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German Pages 341 Year 2019
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 57
Dienstherrnfähigkeit der Kirchen Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten in kirchendienstrechtlichen Streitigkeiten nach dem kollisionsrechtlichen Ansatz
Von
Matthias Friehe
Duncker & Humblot · Berlin
MATTHIAS FRIEHE
Dienstherrnfähigkeit der Kirchen
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Ansgar Hense · Alexander Hollerbach Josef Isensee · Matthias Jestaedt · Paul Kirchhof · Joseph Listl (†) Wolfgang Loschelder (†) · Hans Maier · Paul Mikat (†) · Stefan Muckel Wolfgang Rüfner · Christian Starck · Arnd Uhle
Band 57
Dienstherrnfähigkeit der Kirchen Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten in kirchendienstrechtlichen Streitigkeiten nach dem kollisionsrechtlichen Ansatz
Von
Matthias Friehe
Duncker & Humblot · Berlin
Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2018 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: TextFormArt, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 978-3-428-15545-3 (Print) ISBN 978-3-428-55545-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-85545-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Anna
Vorwort Diese Untersuchung behandelt eine Streitfrage, die Rechtsprechung und Literatur seit Gründung der Bundesrepublik intensiv beschäftigt hat: Können Geistliche und so genannte „Kirchenbeamte“ in dienstrechtlichen Streitigkeiten mit der Kirche Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten erlangen und wenn ja, in welchem Umfang? Die Arbeit ist nicht aus einer bestimmten konfessionellen Perspektive heraus geschrieben. Staatliches Recht muss Regeln für alle Konfessionen und Religionen gleichermaßen setzen. Um allgemein akzeptanzfähige Ergebnisse für das staatliche Religionsrecht erzielen zu können, bedarf es daher einer gewissen professionellen Distanz zu den vermeintlichen Forderungen der eigenen Kirche an das staatliche Recht. Dem will die Schrift dadurch Rechnung tragen, dass sie einen Überblick über das kirchliche Recht nicht nur der beiden großen christlichen Konfessionen, sondern auch des jüdischen und des islamischen Rechts gibt. Die Arbeit ist im Übrigen ganz aus der Perspektive des staatlichen Rechts geschrieben und behandelt daher insbesondere nicht umfassend die Frage, wie die Kirchen auf den hier verfolgten kollisionsrechtlichen Ansatz reagieren könnten. So klassisch die von mir behandelte Fragestellung ist, so unorthodox werden den informierten Leserinnen und Lesern die hier verfolgten dogmatischen Antworten erscheinen. In einem Satz zusammengefasst lautet die Kernthese dieses Buchs: Kirchendienstrecht ist das für die Dienstverhältnisse der Geistlichen und „Kirchenbeamten“ materiell einschlägige Recht, das die staatlichen Gerichte in grundsätzlich gleicher Weise anzuwenden haben wie die Normen einer ausländischen Rechtsordnung, die von einer international-privatrechtlichen Kollisionsnorm zur Anwendung berufen ist. Auf den ersten Blick scheint diese These zu grundstürzenden Neuerungen zu führen. Tatsächlich bringt sie einige dogmatische Neuerungen mit sich. Insbesondere muss der staatliche Richter nach diesem Ansatz kirchliches Recht anwenden und das Ergebnis dieser Rechtsanwendung am Maßstab des staatlichen ordre public überprüfen. Dies könnte möglicherweise zu Vorbehalten führen, der hier verfolgte Ansatz bedrohe die Unabhängigkeit der Kirchen. Dem ist aber nicht so. Klagen der Geistlichen und Kirchenbeamten bleiben auch nach dem hier verfolgten Ansatz weitgehend erfolglos. Dass der ordre public nur einen restriktiven Überprüfungsmaßstab bildet, ist dafür ein Grund. Mindestens genauso wichtig ist der Umstand, dass sich die ordre-public-Kontrolle stets nur auf das Anwendungsergebnis im Einzelfall, nie dagegen auf die Norm an sich bezieht.
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Vorwort
Der kollisionsrechtliche Ansatz eröffnet daher keinen Raum für eine allgemeine staatliche Überprüfung kirchlicher Normen oder gar religiöser Lehren. Vielmehr ist der staatliche Richter stets darauf beschränkt, ein im Einzelfall ordre-publicwidriges Ergebnis der kirchlichen Rechtsanwendung durch ein gerade noch ordrepublic-konformes zu ersetzen. Selbst dann, wenn die Kirche ein Dienstverhältnis ohne bzw. wegen eines nach dem Maßstab des staatlichen ordre public unzulässigen Grundes beendet, kann der staatliche Richter lediglich eine Abfindung bzw. Übergangszahlung zusprechen. Denn die grundlose Beendigung von Dienstverhältnissen verstößt jedenfalls dann nicht gegen den ordre public, wenn der Dienstherr eine angemessene Kündigungsfrist wahrt bzw. eine Abfindung oder Übergangszahlung leistet. Das eigentliche Rechtsschutzziel, nämlich die Fortdauer des Dienstverhältnisses, bleibt damit aber gerade unerreichbar. Für eine Abfindung bzw. Überbrückungsgelder wird die Kirche vielfach schon selbst gesorgt haben. Obwohl der kollisionsrechtliche Ansatz damit gerade keine grundstürzenden praktischen Folgen hat, bringt er doch eine wichtige dogmatische Erkenntnis: Direkte oder verkappte Justizimmunität ist keineswegs erforderlich, um die Unabhängigkeit der Kirchen zu sichern. Selbst eine ordre-public-Kontrolle sollte aus kirchlicher Sicht kein Schreckgespenst sein. Mangelnde Erfolgsaussichten für kirchendienstrechtliche Klagen lassen sich begründen, ohne dass es dafür eines Systembruchs wie der Annahme justizfreier Räume bedürfte. Abgesehen von den kirchlichen Dienstverhältnissen schlage ich im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit genau hundert Jahre nach den Verhandlungen der Weimarer Nationalversammlung eine neue Lesart des Weimarer Kirchenkompromisses vor. Ausgehend von einer Auswertung der juristischen Literatur um 1900 komme ich über eine Nachlese der Protokolle des Verfassungsausschusses zu der These, dass der Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ in Art. 137 Abs. 5 WRV eine falsa demonstratio für „privilegierte Körperschaft“ ist. Eine besondere Staatsnähe der Kirchen wurde erst später von denjenigen in den Begriff hineingelesen, die sich genau damit in der Nationalversammlung nicht hatten durchsetzen können. Nach dem Willen der Mehrheit in der Nationalversammlung sollte der Begriff keine besondere Staatsnähe der Kirchen implizieren, sondern lediglich Ausdruck bestimmter Rechte der Kirchen sein, gerade auch gegenüber dem Staat. Die Grundrechtsthese, wie sie sich insbesondere der Zeugen-Jehovas-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 102, 370) entnehmen lässt, steht damit gerade nicht im Widerspruch zum historischen Verständnis des Verfassungsgebers, sondern kehrt zu diesem zurück. Bedanken möchte ich mich zuallererst bei meiner Frau Anna, die mich in der gesamten Dissertationsphase mit viel Liebe und Geduld unterstützt hat. Mein Dank gilt auch meinen Eltern und Großeltern sowie meinem Bruder. Meine Familie hat mich auf meinem Lebensweg bis heute getragen, und in dieser Geborgenheit habe ich viel Freiheit zum eigenen Denken gefunden.
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Vorwort
Ermutigt und bestärkt in dieser Freiheit hat mich auch mein akademischer Lehrer und Doktorvater, Herr Professor Dr. Steffen Detterbeck. Ihm gilt mein besonderer Dank für die vielen Jahre, die ich seit meinem zweiten Semester an seinem Lehrstuhl tätig sein durfte. Herr Detterbeck hat mich in all der Zeit stets gefördert und unterstützt, vor allem hat er meinen Blick für das Wesentliche (hoffentlich erfolgreich) geschärft. Daneben möchte ich Herrn Professor Dr. Sebastian MüllerFranken besonders danken, der nicht nur rasch das Zweitgutachten erstellt hat, sondern schon in den Jahren zuvor für mich ein unverzichtbarer Ratgeber geworden ist. Stellvertretend für den gesamten Herausgeberkreis danke ich dem geschäftsführenden Herausgeber, Herrn Professor Dr. Ansgar Hense, für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe der „Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen“. Dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität danke ich für die Auszeichnung der Arbeit mit dem erstmalig vergebenen Promotionspreis im Fach Öffentliches Recht. Finanzielle Sorgenfreiheit während der Promotionszeit hat mir die Studienstiftung des deutschen Volkes verschafft. Bei der Stiftung bedanke ich mich für diese finanzielle Förderung sowie für die Gelegenheit, drei Wochen in St. Petersburg mein Russisch zu verbessern. Schließlich bedanke ich mich sehr herzlich bei meinen langjährigen Lehrstuhlkollegen Stephan Klenner und Dr. Vincent Klausmann – wir hatten (und haben noch) eine unvergessliche Zeit zusammen! Marburg, im Juli 2018
Matthias Friehe
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einleitung
23
A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Begriffliche Vereinfachungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 C. Begriff der Dienstherrnfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Zweites Kapitel
Existenz des Kirchenrechts als Faktum
32
A. Das kanonische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I.
Geschichtliche Entwicklung des kanonischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
II. Bleibender Letztverbindlichkeitsanspruch der römischen Kirche . . . . . . . . . . . . 35 III. Heutige soziale Relevanz des kanonischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 IV. Dienstrecht der römisch-katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Inhalt des Inkardinationsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Innerkirchlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Arbeitsvertragliche Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Das evangelische Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I.
Innere Legitimation des evangelischen Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
II. Emanzipation des evangelischen Kirchenrechts vom Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum kanonischen Recht . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Dienstrecht der evangelischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Rechtsnatur des Pfarrerdienstverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Rechte und Pflichten aus dem Pfarrerdienstverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Innerkirchlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Arbeitsvertragliche Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
12
Inhaltsverzeichnis
C. Jüdisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I.
Grundzüge des jüdischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
II. Jüdisches Recht als Organisationsrecht der jüdischen Gemeinden . . . . . . . . . . . 50 D. Islamisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I.
Grundsätze des islamischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
II. Organisation der Moscheegemeinden und Dienstrecht der Imame . . . . . . . . . . . 54
Drittes Kapitel Staatlicher Justizgewährungsanspruch für kirchenrechtlich geregelte Sachverhalte
57
A. Frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I.
Inhalt der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . 57
II. Kritik der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . 60 B. Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I.
Inhalt der neuen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
II. Kritik der neueren Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 C. Stellungnahme zur Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I. Abgrenzung zwischen Art. 19 Abs. 4 GG und dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Formeller und materieller Gehalt des Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . . . . 73 1. Formeller Gehalt des Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Materieller Gehalt des Justizgewährungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Viertes Kapitel Historische Spurensuche: Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts
80
A. Regressus ad infinitum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 B. Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts am Vorabend der Weimarer Nationalversammlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I.
Begriff der juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
II. Der verwaltungsrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts . . . 87 III. Der staatskirchenrechtliche Begriff der öffentlichen Korporation . . . . . . . . . . . . 90
Inhaltsverzeichnis
13
IV. Religionsgesellschaften in der Frankfurter Nationalversammlung . . . . . . . . . . . 94 V. Zeit der unklaren Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I.
Von der wilden Kirchentrennungspolitik Adolph Hoffmanns zur ersten Lesung in der Weimarer Nationalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Wortbeiträge von Spahn, v. Delbrück, Heinze und Düringer in der Ersten Lesung der Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Bedeutung der Vorgeschichte: Kirchentrennungspolitik Adolph Hoffmanns 99 3. Hoffmanns Gegenspieler Wilhelm Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Schlussfolgerungen: Körperschaft des öffentlichen Rechts als Propagandabegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
II. Bedeutung der Definition Wilhelm Kahls (DVP) im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung für die historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Einordnung von Kahls Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Unmittelbare Reaktionen im Verfassungsausschuss am 2.4.1919 . . . . . . . . . 108 3. Zur Haltung des Zentrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Zweite Lesung im Verfassungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 5. Beratungen im Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 6. Schlussfolgerungen für die historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Positiver Inhalt des Begriffs Körperschaft des öffentlichen Rechts? . . . . . . . . . . 116 1. Dilatorischer Formelkompromiss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Vieldeutigkeit des Weimarer Kompromisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Bedeutungssubstrat des Weimarer Kompromisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Körperschaftsstatus als Institutsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Insbesondere: Dienstherrnfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. Schlussfolgerungen aus den Weimarer Verhandlungen: Eine falsa demonstratio 127 D. Rezeption in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I.
Suggestivkraft der falsa demonstratio: Von Privilegien zu obrigkeitlichen Rechten 128
II. Inhalt des Danaergeschenkes: Besondere Staatsaufsicht über die Kirchen . . . . . 130 III. Gegenposition von Godehard Ebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Bewertung der Weimarer Rechtsprechung und Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 E. Beratungen im Parlamentarischen Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 F. Zwischenergebnis zum vierten Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
14
Inhaltsverzeichnis Fünftes Kapitel
Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
142
A. Lehre vom Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 I.
Ausgangspunkt: Sozialversicherung der Geistlichen und Kirchenbeamten . . . . 143
II. Inhalt der Lehre vom Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Begrifflicher Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Kompensatorischer Begründungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Protestantische Perspektive der Lehre vom Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Begrifflicher Begründungsansatz als petitio principii . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Grundsätze des Berufsbeamtentums mehr als soziale Mindestabsicherung . 150 a) Lebenszeitprinzip und beamtenmäßige Altersversorgung . . . . . . . . . . . . 150 b) Amtsangemessene Besoldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Regelung durch Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Inkonsequente Umsetzung der Lehre vom Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IV. Typenzwang im Geltungsbereich der „Öffentlicher-Dienst-Klausel“? . . . . . . . . 154 V. Zwischenergebnis zur Lehre vom Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 B. Lehre von der Dienstgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I.
Theologischer Ausgangspunkt: Dienstgemeinschaft in der Nachfolge Christi . . 160
II. Juristische Folgerungen: Entwicklung eines kirchlichen Arbeitsrechts . . . . . . . 161 III. Rezeption durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Vertragliche oder kirchengesetzliche Grundlage kirchlicher Arbeitsverhältnisse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Maßstab richterlicher Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 IV. Verhältnis zur Lehre vom Typenzwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 C. Lehre vom Doppelrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Sechstes Kapitel Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse als materielle und bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnisse
170
A. Kirchen(dienst)recht als materielles Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I.
Existenz des Kirchenrechts als empirische Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Inhaltsverzeichnis
15
II. Kirchenrecht als geordneter „rechtsfreier Raum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Bürgerliche Wirksamkeit des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 B. Legitimation der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 I.
Rechtsanwendungsbefehl für das kirchliche Recht als Grundlage seiner bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
II. Privatautonomie als Grundlage der bürgerlich-rechtlichen Wirkung des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Vereinsautonomie als Erscheinungsform der Privatautonomie . . . . . . . . . . . 177 2. Vereinsautonomie und kirchliche Rechtsetzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Delegation vs. Rechtsanerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Prinzip der Freiwilligkeit im kirchlichen Mitgliedschaftsrecht . . . . . . . . 181 c) Zur Qualifikation des Kirchenrechts als „Privatrecht“ bzw. „öffentliches Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 d) Keine Grundrechtsbindung des Kirchenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 III. Dienstherrnfähigkeit und Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Inkonsequenz der Gegenauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Materielle Gründe für eine Zuordnung der Kirchendienstverhältnisse zum Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 C. Das Kirchen(dienst)recht als materielles Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I.
Abgrenzung bürgerlich wirksamer Kirchenrechtsnormen von bloß sozial wirksamen Kirchenrechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
II. Kirchendienstrecht als materielles Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Objektiver Erklärungsgehalt auf Seiten des Bediensteten . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Objektiver Erklärungsgehalt auf Seiten der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Arbeitsrechtliche Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 D. Zwischenfazit zur bürgerlichen Wirksamkeit von Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Siebentes Kapitel
Die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
203
A. Begriff der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 203 I.
Befreiung vom zwingenden staatlichen Arbeits- und Sozialrecht als religionsverfassungsrechtliches „Plus“ gegenüber der allgemeinen Privatautonomie . . . . . . 204
II. Kollisionsrechtliche Normstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Dienstherrnfähigkeit der Religionsgesellschaften keine Sachnorm . . . . . . . . 207 2. Dogmatische Parallelität zu international-privatrechtlichen Kollisionsnormen 208
16
Inhaltsverzeichnis 3. Dienstherrnfähigkeit als kollisionsrechtliche Parteiautonomie im Unterschied zu sachrechtlicher Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
B. Verfassungsrechtliche Garantie und einfachgesetzlicher Normenbestand . . . . . . . . . 210 I.
Garantiefunktion der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit . . . . . . . 210
II. Überblick über den einfachgesetzlichen Regelungsbestand . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Sozialrechtliche Befreiungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Überblick über die sozialrechtlichen Befreiungstatbestände . . . . . . . . . . 211 b) Würdigung der verschiedenen sozialrechtlichen Befreiungstatbestände . 213 c) Rechtliche Zulässigkeit der vorgesehenen Beschränkungen . . . . . . . . . . 214 aa) Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Materielle Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Keine arbeitsrechtliche Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Allgemeines Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Keine entsprechende Gestaltungsfreiheit durch Rom-I-Verordnung . 216 bb) Fehlende Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Spezifisch religionsrechtliches Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 aa) Art. 80 Abs. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 bb) Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 cc) Staatskirchenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 C. Voraussetzungen der verfassungsunmittelbaren Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . 220 I.
Normative Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
II. Tatbestandsmerkmale der kollisionsrechtlichen Verdrängung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts im Rahmen der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Korporierte Religionsgesellschaft als Dienstgeberin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Rechtsformvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Keine materiellen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4. Keine Beschränkungen auf ein „eigenes“ Dienstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5. Formulierung des Tatbestands der religionsverfassungsrechtlichen Kollisionsnorm „Dienstherrnfähigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 D. Rechtsfolgen der religionsverfassungsrechtlichen Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . 226 E. Europarechtskonformität des religionsverfassungsrechtlichen Sonderkollisionsrechts 229 F. Zwischenfazit zum Religionsverfassungsrecht als Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 230
Inhaltsverzeichnis
17
Achtes Kapitel Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts
231
A. Der ordre public im internationalen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I.
Die negative Funktion des ordre public in Form der Vorbehaltsklausel . . . . . . . 232
II. Die positive Funktion des ordre public in Form der Eingriffsnormen . . . . . . . . . 234 III. Verfassungsrechtliche Verankerung des Prinzips vom ordre public . . . . . . . . . . 236 1. Verfassungsrechtlicher Schutz der negativen Funktion des ordre public . . . . 236 2. Verfassungsrechtlicher Schutz der positiven Funktion des ordre public . . . . 239 B. Analoge Anwendung des Prinzips vom ordre public auf das religionsrechtliche Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I.
Grundrechtsbindung des deutschen staatlichen Richters in religionsrechtlichen Streitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
II. Der Schutz des negativen ordre public im Religionskollisionsrecht . . . . . . . . . . 242 1. Grundrechtliche Gefährdungslage durch „Sprung ins Dunkle“ . . . . . . . . . . . 242 2. Inlandssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Grundrechtlicher Schutz der kollisionsrechtlichen Wirkung . . . . . . . . . . . . . 244 4. Keine Geltung des ordre public jenseits von Grundrechtsverstößen . . . . . . . 244 5. Einzelfallbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 6. Rechtsfolgen des ordre-public-Vorbehalts im Religionskollisionsrecht . . . . 245 III. Der Schutz des positiven ordre public im Religionskollisionsrecht . . . . . . . . . . 248 C. Behandlung typischer Fallkonstellationen nach dem kollisionsrechtlichen Ansatz . . 249 I.
Beendigung des Dienstverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Ordre-public-Kontrolle kirchlicher Kündigungs- bzw. Beendigungstatbestände 250 3. Bildung des hypothetischen Ersatzrechts im Falle eines ordre-public-Verstoßes 252
II. Änderung des Dienstverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 III. Kein Einstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 IV. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Verstoß gegen den Pflichtzölibat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Verstoß gegen Lebensführungspflichten im Bereich Ehe und Familie . . . . . 256 3. Lehrbeanstandung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 4. Nichtgedeihliches Zusammenwirken mit der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . 261 D. Zwischenfazit zum Rechtsschutz der Geistlichen nach dem international-privatrechtlichen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
18
Inhaltsverzeichnis Neuntes Kapitel Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche im Bereich des kirchlichen Dienstrechts
265
A. Einschlägiger Fachrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I.
Frühere Rechtsprechung: § 135 BRRG als ausschließliche Zuweisung an die Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Inhalt der früheren Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
II. „Glockenläuten“-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Inhalt der „Glockenläuten“-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 III. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 1. Das staatliche Angebot: Verwaltungsrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Keine Anwendung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel . . . . . . . . . 273 3. Zuständigkeit der Zivilgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Einklang mit der früheren bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 274 b) Kirchenrechtlich Beschäftigte keine Beamte im Sinne von § 5 Abs. 2 ArbGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 c) Privatvertragliche Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 d) Vorliegen der typischen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . 278 4. Ergebnis zum einschlägigen Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlich vorgesehenen Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 I.
Kein Ersatz staatlicher Gerichte durch kirchliche Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
II. Übertragung der Grundsätze über die Vereinsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Kirchliche Gerichtsbarkeit als Verbandsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 2. Keine Einschränkung der Justiziabilität kirchendienstrechtlicher Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 3. Kein staatlicher Rechtsweg vor Erschöpfung des innerkirchlichen Rechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 III. Kirchliche Gerichte als „echte“ Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Konsequenzen einer Qualifikation als „echte“ Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . 285 2. Voraussetzungen für die Anerkennung kirchlicher Gerichte als „echte“ Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 b) Satzungsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Inhaltsverzeichnis
19
c) Materielle Anforderungen an das Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 d) Schiedsfähigkeit des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Ergebnis zur Einrichtung kirchlicher Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 IV. Nachkontrolle kirchengerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
Zehntes Kapitel
Zusammenfassung in Thesen
295
Elftes Kapitel
Zusammenfassendes Prüfprogramm für den staatlichen Richter in kirchendienstrechtlichen Angelegenheiten
298
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
Abkürzungsverzeichnis Für die verwendeten Abkürzungen wird auf den Duden sowie auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Aufl., Berlin / Boston 2015 verwiesen. Ergänzend dazu werden folgende Abkürzungen verwendet: BayRelEd
Edict über die äußern Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreichs Baiern, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften v. 26.5.1818, GBl. S. 149 ff. BeckOK Beck’scher Onlinekommentar BerGesVR Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Schriftenreihe 1957–2012. BK Bonner Kommentar zum Grundgesetz BTPlProt. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages C. civ. Code civile D. Digestum DBK Deutsche Bischofskonferenz DG.EKD Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland v. 28.10.2009, ABl. EKD S. 316, zuletzt geändert am 12.11.2014, ABl. EKD S. 342 DDP Deutsche Demokratische Partei DITIB Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.) DNVP Deutschnationale Volkspartei DVP Deutsche Volkspartei ErfK Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht EssG Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Schriftenreihe zu der gleichnamigen Tagung, Münster 1968 ff. ev. evangelisch Verfassung des deutschen Reiches v. 28.3.1848, RGBl. S. 1 („FrankFRV furter Verfassung“ bzw. „Paulskirchenverfassung“) Freie Volkspartei FVP Handbuch des evangelischen Kirchenrechts HdbEvKR Handbuch der Grundrechte HdbGR Handbuch des katholischen Kirchenrechts HdbKathKR Handbuch des Staatskirchenrechts HdbStKirchR Handbuch des Staatsrechts HdbStR Humboldt-Forum Recht, Zeitschrift, 1996 ff. HFR inst. institutiones Jer Jeremia kath. katholisch KBG.EKD Kirchengesetz über die Kirchenbeamtinnen und Kirchenbeamten in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Kirchenbeamtengesetz der EKD – KBG.EKD), i. d. F. d. Bek. v. 4.4.2012, ABl. EKD, S. 110
Abkürzungsverzeichnis
21
Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen („Loccumer Vertrag“) v. 19.3.1955, GVBl. S. 159 Loyalitätsrichtlinie.EKD Richtlinie des Rates der EKD über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie v. 9.12.2016, ABl. EKD 2017, S. 11 Münchener Kommentar zum BGB MüKoBGB Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung MüKoZPO Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts MünchHdbGesR Evangelium nach Matthäus Mt Neh Nehemia Apostolische Konstitution Pastor Bonus (1988) PastBon Kirchengesetz zur Regelung der Dienstverhältnisse der PfarrerinPfDG.EKD nen und Pfarrer in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Pfarrdienstgesetz der EKD – PfDG.EKD) v. 10.11.2010, ABl. EKD, S. 307 Kirchengesetz zur Neuordnung des Pfarrerdienstrechts in der EvanPfDRNOG.ELKB gelisch-Lutherischen Kirche in Bayern v. 1.4.2012, ABl. EKD, S. 202 Preußisches Staatsgesetz betreffend die Kirchenverfassungen der PrKVevLK evangelischen Landeskirchen v. 8.4.1924, GS S. 221 PrVerf-1850 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat v. 31.1.1850, GS S. 17 PrVerf-1920 Verfassung des Freistaats Preußen v. 30.11.1920, GS S. 543 Revue critique de droit international privé, Zeitschrift, Paris 1934 ff. RCDIP Rec. des cours Recueil des cours, Académie de Droit International de La Haye, Zeitschrift, Den Haag 1925 ff. RMI Reichsministerium des Inneren Reichsministerium der Justiz RMJ RsprB ABl. EKD Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland RVA Reichsversicherungsamt SchiedsGH Schiedsgerichtshof Theologische Realenzyklopädie TRE Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands USPD Weimarer Ausgabe (Luther) WA Entwurf der Reichsregierung für eine Reichsverfassung nach den WRV-E Beschlüssen des Staatenausschusses vom 21.2.1919, abgedruckt bei Ebers, Verfassung des Deutschen Reichs, S. 2 ff., 1. Spalte Beschlüsse des Verfassungsausschusses der Weimarer NationalverWRV-L1 sammlung in erster Lesung, abgedruckt bei Ebers, Verfassung des Deutschen Reichs, S. 2 ff., 2. Spalte Vorentwurf von Hugo Preuß für die Weimarer Reichsverfassung, WRV-P abgedruckt bei Ebers, Verfassung des Deutschen Reichs, S. 106 ff. Z Zentrumspartei LoccV
Erstes Kapitel
Einleitung A. Problemaufriss Die christlichen Kirchen gelten nach dem öffentlichen Dienst als der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland.1 Die ganz überwiegende Zahl der kirchlichen Mitarbeiter ist auf der Grundlage eines privatrechtlichen Arbeitsvertrags beschäftigt. Daneben haben evangelische und katholische Kirche allerdings auch Bedienstete, die mit der Kirche keinen Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern deren Dienstverhältnis originär kirchenrechtlich geregelt ist. Dies betrifft die große Mehrzahl der etwa 21.000 Theologen in Vollzeit, die von der evangelischen Kirche beschäftigt werden, sowie die 14.000 Priester in der katholischen Kirche.2 Außerdem beschäftigen die evangelische und in geringerem Maße auch die katholische Kirche so genannte „Kirchenbeamte“, deren Dienstverhältnis ebenfalls nicht durch staatliche, sondern durch kirchliche Regelungen gestaltet wird. Im weiteren Sinne können zu den kirchenrechtlichen Dienstverhältnissen auch die Rechtsbeziehungen zwischen den Ordensleuten und ihrer jeweiligen Ordensgemeinschaft gerechnet werden. Die wechselseitigen Rechte und Pflichten von Ordensangehörigen und Ordensgemeinschaft werden üblicherweise ebenfalls nicht durch privatrechtlichen Vertrag, sondern durch kirchliches Recht geregelt.3 Die Befugnis zum Abschluss von Dienstverhältnissen jenseits des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts wird allgemein als „Dienstherrnfähigkeit“4 bezeichnet. Überwiegend wird der Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV als verfassungsrechtliche Garantie dieser Fähigkeit angesehen.5 Die genauen Rechtswirkungen dieser Garantie sind allerdings noch in vielen Punkten ungeklärt. Denn die Debatte 1 Die katholische und evangelische Kirche geben die Gesamtzahl ihrer hauptamtlichen Mitarbeiter mit etwa 1,2 Millionen an. Der Großteil ist im karitativen bzw. diakonischen Bereich tätig. Vgl. http://www.caritas.de/diecaritas/wofuerwirstehen/millionenfache-hilfe ; https://www.diakonie.de/infografiken/die-diakonie-in-zahlen/ . 2 EKD, Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben, 2018, S. 20. Abrufbar unter https://archiv. ekd.de/download/broschuere_2018_internet.pdf . DBK, Katholische Kirche in Deutschland, Zahlen und Fakten, 2016/2017, S. 42. Abrufbar unter: https://dbk.de/fileadmin/ redaktion/Zahlen%20und%20Fakten/Kirchliche%20Statistik/Allgemein_-_Zahlen_und_ Fakten/AH294_Zahlen-und-Fakten-2016-2017_web.pdf . 3 Zur katholischen Rechtslage Haering, in: HdbKathKR, 32015, § 57 S. 842 f. 4 Zu diesem missverständlichen Begriff sogleich noch unten Kapitel 1, C. 5 Dazu näher Kapitel 7, C. I.
24
1. Kap.: Einleitung
wurde über Jahrzehnte von einer Rechtsprechung blockiert, die jeglichen Rechtsschutz in Fragen des Dienstrechts der „Geistlichen und Kirchenbeamten“ a limine ablehnte.6 Die Literatur arbeitete sich jahrzehntelang an dieser für den Rechtswegstaat7 des Grundgesetzes einmaligen Rechtsschutzverweigerung ab. Ein geschlossener rechtswissenschaftlicher Gegenentwurf entwickelte sich aus dieser Kritik indes nicht.8 Indem das Bundesverwaltungsgericht 2014 seine bisherige Rechtsprechung aufgab,9 ermöglichte es gewissermaßen einen Neustart der Debatte. Interessant ist, dass die Leipziger Richter in ihrer Entscheidung die Lehre vom Typenzwang nicht einmal erwähnten. Nach diesem in der Lehre überwiegend vertretenen Ansatz müssen die Kirchen bei der Ausgestaltung von Dienstverhältnissen im Rahmen der kirchlichen Dienstherrnfähigkeit die wesentlichen Grundsätze des staatlichen Berufsbeamtentums beachten.10 Entgegen den eigenen Vorgaben wendet das Gericht den Justizgewährungsanspruch nicht konsequent an. Denn die Anwendung kirchlicher Bestimmungen durch die staatlichen Gerichte lehnt das Bundesverwaltungsgericht ab, ohne der Frage nachzugehen, ob nicht diese Bestimmungen das materiell einschlägige Recht sind. Nach welchen Maßstäben genau die staatlichen Gerichte künftig kirchendienstrechtliche Maßnahmen prüfen sollen, bleibt in den wenig konkreten Ausführungen des Leipziger Urteils weitgehend offen.11 Damit fehlt es insgesamt an einer Klärung, welche Grenzen den Kirchen anstelle des Arbeits- und Sozialrechts bei der Ausgestaltung ihrer Kirchendienstverhältnisse auferlegt sind. In prozessualer Hinsicht stellen sich Fragen zum einschlägigen Fachrechtsweg, die das Bundesverwaltungsgericht schlicht übergangen hat. Schließlich gilt es, das Verhältnis von staatlichen und kirchlichen Gerichten zu klären. Hinter diesen praktischen Fragen steht eine Reihe verfassungsdogmatischer Probleme, die das Grundverhältnis von Staat und Kirchen im säkularen Verfassungsstaat betreffen. Zum Grundsätzlichen wird die vorliegende Arbeit eine klare Antwort geben, indem sie die kirchliche Dienstherrnfähigkeit als grundrechtliche Garantie versteht und damit einen Beitrag zur grundrechtlichen Deutung des Körperschaftsstatus im Sinne von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 5 WRV zu leisten versucht. Bewusst setzt diese Arbeit aber nicht beim Prinzipiellen an, sondern sucht dies von den praktischen Fragen her zu erschließen, die für die rund 30.000 kirchenrechtlich Beschäftigten in Deutschland ganz konkrete Bedeutung haben.
6
Dazu eingehend Kapitel 2. Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641; Papier, HdbStR VIII, 32010, § 177 Rn. 5. 8 Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 253. 9 BVerwGE 149, 139. 10 Dazu noch eingehend Kapitel 5, A. 11 Zur Kritik eingehend Kapitel 3, B. II. 7
B. Begriffliche Vereinfachungen
25
B. Begriffliche Vereinfachungen Ausgehend davon, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil zu den Zeugen Jehovas den Körperschaftsstatus grundrechtlich deutet, hat sich seit der Jahrtausendwende die schon seit den 1970er-Jahren schwelende Debatte12 darüber intensiviert, ob der traditionelle Begriff des Staatskirchenrechts weiterhin angemessen ist oder ob die Rechtsmaterie nicht besser mit Religionsverfassungsrecht umschrieben ist. Jenseits von Reminiszenzen auf einen althergebrachten Terminus sprechen in der Sache die besseren Argumente für den Begriff des Religionsverfassungsrechts.13 Zwanglos schließt dieser nämlich die nichtchristlichen Religionsgemeinschaften ein. Damit wird dem Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates in einer religiös pluralisierten Gesellschaft Rechnung getragen. Zugleich nimmt der Begriff des Religionsverfassungsrechts neben den religiösen Organisationen auch den verfassungsrechtlichen Schutz der freien Religionsausübung als Individualgrundrecht angemessen in den Blick. Die vorliegende Untersuchung lässt sich mit ihrem Versuch, die Dienstherrnfähigkeit der korporierten Religionsgesellschaften grundrechtlich zu deuten, unschwer dem religionsverfassungsrechtlichen „Lager“ zuordnen. Glücklicherweise allerdings ist der begriffspolitische Grundsatzstreit, wie es im Untertitel eines dazu vielzitierten Sammelbandes heißt,14 inzwischen zugunsten einer pragmatischen Herangehensweise überwunden, bei der beide Begriffe vielfach parallel verwendet werden.15 So handhabt es auch die vorliegende Untersuchung. Obschon sie gleich zu Beginn den sachlichen Vorzug der religionsverfassungsrechtlichen Begrifflichkeit benannt hat, wird sie an einigen der überkommenen staatskirchlichen Begriffen festhalten, nicht zuletzt, um sprachliche Verrenkungen zu vermeiden. Dies gilt vor allem für den Begriff der Kirche selbst. Dieser ist eindeutig christlich konnotiert und bezieht sich zunächst einmal auf das Gebäude für christliche Gottesdienste, dann aber auch auf „die Kirche“ als christgläubige Gemeinde.16 Um das Prinzip der religiösen Parität zu unterstreichen, hat der Verfassungsgeber 1919 und wie 12
Vgl. Häberle, DÖV 1976, S. 73; diese Debatte vorausahnend Johannes Heckel, FS Smend (1952), S. 103 (106 f.), der das Staatskirchenrecht dem – vermeintlich die Religion zur Privatsache erklärenden – „Religionsrecht“ gegenüberstellt. 13 Morlok, in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 185 (187 f.); Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 140 (Stand: 74. EL 2015) Rn. 3. 14 Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, Ein begriffspolitischer Grundsatzstreit, Tübingen 2006. 15 So die pragmatische Benennung des „Klassikers“ v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, in dessen Buchuntertitel es heißt: „Eine systematische Darstellung des Religionsverfassungsrechts in Deutschland und Europa“. 16 Kirche ist dem spätgriechischen „κυριακόν“ entlehnt: Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 492. Bibelübersetzungen übertragen häufig den Begriff „ἡ ἐκκλησία τοῦ θεοῦ“ (wörtlich: die Volksversammlung Gottes, vgl. etwa in dem berühmten Wort Mt 16,18) mit „Kirche“ ins Deutsche. Kirche ist damit auch ein theologischer Begriff. Er meint die versammelte christliche Gemeinde. Zum neutestamentlichen Begriff der „ἐκκλησία“ Bultmann, Zwischen den Zeiten 7 (1929), S. 9 (18 ff.).
26
1. Kap.: Einleitung
derum 1949 den Begriff der Kirche vermieden. Nur negativ kommt er vor, nämlich im Verbot der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV). Im Übrigen ist von Religionsgesellschaften die Rede (Art. 137 Abs. 2–6 WRV). Gleichwohl verwendet diese Arbeit den Begriff Kirche als Synonym für Religionsgesellschaften, die Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV sind. Die Gründe liegen ausschließlich in der besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit der Arbeit. Überzeugende sprachliche Alternativen sind bisher nicht ersichtlich. Bei allen unterschiedlichen Auffassungen über den Bedeutungsinhalt von Art. 137 Abs. 5 WRV besteht doch weitgehende Einigkeit, dass der vom Verfassungsgeber benutzte Begriff der „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ missverständlich und daher unglücklich gewählt ist.17 Denn dieser Begriff hat im allgemeinen Verwaltungsrecht eine ganz andere Bedeutung als im Staatskirchen- bzw. Religionsverfassungsrecht. Die korporierten Religionsgesellschaften unterscheiden sich grundlegend von den Körperschaften des öffentlichen Rechts im verwaltungs- bzw. staatsorganisationsrechtlichen Sinne.18 Obwohl dies im Grundsatz allgemein anerkannt ist,19 hat die „Blendwirkung eingeführter Begriffe“20 nicht nur in Weimarer Zeit,21 sondern bis in die Jetztzeit immer wieder dazu geführt, dass Querverbindungen gezogen wurden, mit denen eben doch der allgemeine verwaltungsrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts in das Religionsverfassungsrecht hineininterpretiert wird. Die Selbstverständlichkeit, mit der gerade im evangelisch geprägten Schrifttum Begriffe aus dem staatlichen öffentlichen Dienst- und Beamtenrecht auf die religionsverfassungsrechtliche „Dienstherrnfähigkeit“ (!) übertragen werden,22 ist dafür gerade ein bezeichnendes Beispiel. Der Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ birgt damit größere Gefahren für Missverständnisse bei der Auslegung als der Begriff „Kirche“. Heute ist es nämlich selbstverständlich, dass die Privilegien des Körperschaftsstatus im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV allen „Kirchen“, nicht nur den christlichen, zugute kommen, also allen Religionsgesellschaften, die diesen Status erworben haben. Differenzierungen zwischen den altkorporierten Kirchen und denjenigen Religionsgesellschaften, denen dieser Rechtsstatus erst später verliehen wurde, sind unzulässig.23 Die Rede von einer Dreigliedrigkeit des religionsgesellschaftlichen Organisationsrechts24 – in privatrechtliche, altkorporierte und neu 17 Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 137 WRV Rn. 194; v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 127. 18 BVerfGE 102, 370 (387 f.); 139, 321 (Rn. 91). 19 Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 137 WRV (Stand: 42. EL 2003) Rn. 67. 20 Quaritsch, Kirchen und Staat, S. 313. 21 Dazu noch eingehend Kapitel 4, D. I. 22 Dazu Kapitel 5, A., Anfang von Kapitel 6. 23 Hermann Weber, NJW 1983, S. 2541 (2543); anders noch Menger, MDR 1955, S. 512 (514). 24 Hesse, ZevKR 3 (1953/54), S. 188; Johannes Heckel, FS Smend (1952), S. 103 (109).
B. Begriffliche Vereinfachungen
27
korporierte Religionsgesellschaften – ist damit überholt;25 sie hat allenfalls noch – wiederum – traditionelle, also letztlich rechtshistorische Bedeutung. Hingegen bietet der Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ nach wie vor ein schier unerschöpfliches Reservoir verschiedenster Fehldeutungen: Dieses speist sich aus den Assoziationen, die der homonyme Begriff aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht in das Religionsverfassungsrecht hinüberträgt, aus den rechtsphilosophischen Versuchen einer staatskirchlichen Systembestimmung zwischen Staatskirche und strikter Trennung, schließlich auch aus den Erwartungshaltungen, welche die ganz überwiegend selbst kirchlich gebundenen Autoren aus ihrem jeweiligen eigenen Bekenntnis und Kirchenverständnis heraus in das staatliche Religionsverfassungsrecht hineintragen. Diese Mannigfaltigkeit vermeintlich legitimer Referenzen lädt zu spekulativen Interpretationen geradezu ein. Mit der vielzitierten Erhebung des Körperschaftsstatus zum „rätselhaften Ehrentitel“26 (Rudolf Smend) werden dabei dogmatische Unschärfen allzuleicht beschönigt. Zwar ist es richtig, dass der Verfassungsgeber sich nun einmal für diesen Begriff entschieden hat und die Verfassungsauslegung deshalb mit ihm operieren muss;27 nicht in Betracht kommt seine Abqualifizierung als „verfassungswidriger Verfassungsartikel“28 (Gerd Schmidt-Eichstaedt). Will man indes sprachlich jede Begriffsverwirrung vermeiden, so wird man konsequent überall stets von den „Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV“ sprechen müssen. Die Beispiele in diesem Absatz zeigen zur Genüge, wie wenig förderlich sich dieses Vorgehen auf die Lesbarkeit insgesamt auswirken müsste. Der Begriff „Kirche“ dagegen ist denkbar kompakt und lässt sich auch als Adjektiv „kirchlich“ verwenden. Ist der Begriff „Kirche“ – wiewohl unglücklich – im Ergebnis weniger verwirrend als der isolierte Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, so mag dies mangels überzeugender Alternativen Rechtfertigung dafür sein, wenn statt den „Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV“ überwiegend von den „Kirchen“ gesprochen wird. Geht es einmal ausdrücklich nur um die altkorporierten christlichen Kirchen, so wird dies ausdrücklich gesagt, um Missverständnissen vorzubeugen. Um die hier beschriebenen Schwierigkeiten zu vermeiden, hat sich teils im Schrifttum auch die Bezeichnung „korporierte“ Religionsgesellschaft eingebürgert. Damit sind ebenfalls die Kirchen, also jene Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV sind, gemeint. Strenggenommen leistet dieser Begriff aber gerade nicht die 25
Hermann Weber, NJW 1983, S. 2541 (2544). Smend, ZevKR 1 (1951), S. 4 (9). Diese Wendung wird im Schrifttum immer wieder aufgegriffen, so etwa Starski, KuR 2016, S. 51. 27 Insoweit richtig bereits Anschütz, WRV, Art. 137 Anm. 8. 28 Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 107 ff.; aus verfassungspolitischer Perspektive zustimmend Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen, S. 200 ff.; dazu noch Kapitel 4, F. 26
28
1. Kap.: Einleitung
Eingrenzung, die er leisten soll. Denn das Adjektiv „korporiert“ leitet sich vom Substantiv „Korporation“ ab. Dieses vor allem früher geläufige Synonym für Körperschaft grenzt indessen nicht die privatrechtlichen Religionsgesellschaften i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 4 WRV von jenen Religionsgesellschaften ab, die Körperschaften des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV sind. Denn zu den Körperschaften gehören auch privatrechtliche Vereine.29 Aber auch diesbezüglich soll im Folgenden Pragmatismus vor Spitzfindigkeit gehen. Da sich die Bezeichnung eingebürgert hat und sprachliche Variationsmöglichkeiten stilistisch nottun, soll unter einer korporierten Religionsgesellschaft im Folgenden eine Kirche, also eine Religionsgesellschaft verstanden werden, die Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV ist. Schließlich noch eine Vereinfachung: Selbstverständlich gelten die Weimarer Staatskirchenartikel nicht mehr kraft ihrer selbst, sondern sind erst wieder kraft ihrer Inkorporation qua Art. 140 GG „vollgültiges Verfassungsrecht“30 geworden. Um den Lesefluss zu erleichtern, wird daher im Folgenden davon abgesehen, stets Art. 140 GG in Verbindung mit den inkorporierten Weimarer Staatskirchenartikeln zu zitieren. Stattdessen wird unmittelbar der einschlägige Artikel aus der Weimarer Reichsverfassung zitiert.
C. Begriff der Dienstherrnfähigkeit Die Rechtsmaterie, die im Zentrum dieser Arbeit steht, wird üblicherweise als das Dienstrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten bezeichnet. Häufig, besonders im evangelisch geprägten Schrifttum, wird auch von den „öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen“31 in Abgrenzung zu den privatrechtlich Beschäftigten gesprochen. Diese Begrifflichkeiten werden in dieser Arbeit vermieden. Denn in ihnen klingt, ähnlich wie im Begriff der „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, schon ein Vorverständnis dieser Beschäftigungsverhältnisse an, wie es seit Weimarer Zeit vor allem in evangelischen Kreisen gepflegt wird und wie es zuletzt vor allem in der Lehre vom Typenzwang seinen Niederschlag gefunden hat.32 Die kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse werden dann vorschnell mit entsprechenden Beschäftigungsformen des staatlichen öffentlichen Dienstes gleichgesetzt. Im Folgenden soll von „kirchenrechtlichen Beschäftigungsverhältnissen“ bzw. von „kirchenrechtlich Beschäftigten“ die Rede sein. Diese Bezeichnungen beschränken sich auf den unstreitigen Kern dessen, was diejenigen kirchlichen 29
Einhellige Ansicht, vgl. nur Medicus / Petersen, BGB AT, Rn. 1097. BVerfGE 19, 206 (219); 139, 321 (Rn. 89); Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 140 Rn. 28. 31 Zur Anlehnung des evangelischen Kirchenrechts an die Begriffe des staatlichen Rechts noch näher unter Kapitel 2, B.III, IV. 32 Dazu Kapitel 5, A. 30
C. Begriff der Dienstherrnfähigkeit
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Dienstverhältnisse auszeichnet, die unter Inanspruchnahme der besondere Privilegien des Art. 137 Abs. 5 WRV geschlossen werden: Für sie gilt grundsätzlich nicht das staatliche Arbeits- und Sozialrecht, sondern sie werden unmittelbar durch kirchliche Bestimmungen geregelt. Was die Bezeichnung des von Art. 137 Abs. 5 WRV gewährten Privilegiums im Bereich der kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse selbst anbelangt, so soll es mangels überzeugender Alternative bei dem allgemein gebräuchlichen Begriff der Dienstherrnfähigkeit verbleiben. Freilich ist auch dies ein missverständlicher Begriff.33 Beamtenrechtlich meint Dienstherrnfähigkeit das Recht, Beamte zu haben (§ 2 BeamtStG).34 Der Begriff der Dienstherrnfähigkeit im Bereich der (mittelbaren) Staatsverwaltung meint aber etwas grundsätzlich anderes als der Begriff der Dienstherrnfähigkeit der Religionsgemeinschaften.35 Die Dienstherrnfähigkeit einer Kommune beispielsweise erschöpft sich darin, ein gesetzlich vorgesehenes staatliches Rechtsverhältnis zu begründen. Dienstherrnfähigkeit einer Religionsgemeinschaft meint hingegen die Kompetenz, eigene Regelungen für die Ausgestaltung von Dienstverhältnissen vorzusehen.36 § 146 BBG stellt ausdrücklich klar, dass das staatliche Beamtenrecht nicht gilt. Religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit setzt also nicht erst bei der Anstellungsbefugnis, sondern bereits davor bei der Regelungsbefugnis an.37 Umgekehrt haben die Kirchen übrigens 33
Dies zeigt sich insbesondere dort, wo die für das Beamtenrecht maßgebliche Definition – Befugnis, Beamte zu haben – zunächst übernommen wird, so Hübner, ZevKR 44 (1999), S. 477 (479); ders., Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 28; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 298. Der Kern des religionsverfassungsrechtlichen Begriffs liegt aber eben nicht in der Anstellungs-, sondern in der Rechtsetzungsbefugnis. 34 Reich, BeamtStG, § 2 Rn. 1. 35 Gegen eine Übertragung des staatlichen „Beamtenrechtsdenken(s)“ auf das kirchliche Dienstrecht zu Recht Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 120 f. Missverständlich Paul Kirchhof, in: HdbStKirchR I, 21994, § 22 S. 671, der Dienstherrnfähigkeit (der Religionsgesellschaft) lediglich als „Befugnis, Beamte zu haben“ definiert und diese durch die Rechtsetzungsbefugnis „ergänzt“ sieht. Diese Unterscheidung verkennt, dass die Rechtsetzungsbefugnis der korporierten Religionsgesellschaften sich zwar prinzipiell – wie die jeder anderen Privatvereinigung – auf sämtliche Rechtsfragen erstreckt, jedoch nur in einzelnen Bereichen – so im Dienstrecht – die staatliche Rechtsordnung kollisionsrechtlich verdrängt. Es gibt kein allgemeines Prinzip, wonach kirchlichem Recht grundsätzlich der Vorrang vor staatlichem Recht zukäme; im Gegenteil gilt dies nur in einzelnen konkret abgegrenzten Bereichen. Dementsprechend ist für die Dienstherrnfähigkeit der Religionsgesellschaften genau dieser Aspekt konstitutiv. 36 Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (411 f.); Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 96 ff.; Schenke, FS Faller (1984), S. 133 (138); a. A. Pirson, HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 862, der stattdessen ein staatliches Schuldverhältnis konstruiert (S. 864 ff.), das neben den kirchenrechtlichen Bestimmungen stehen soll. 37 Tatsächlich ist die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit im Verhältnis zur beamtenrechtlichen Dienstherrnfähigkeit nicht einmal ein „Plus“, sondern ein Aliud. Die Fähigkeit, staatliche Beamtenverhältnisse zu begründen, kommt den Religionsgesellschaften nämlich gerade nicht zu. Kirchenbeamte sind keine Staatsbeamte, so grundlegend Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (157 ff., insbes. 167); ebenfalls Staats- und Kirchenbeamte differenzierend PrOVG 82, 231 – Kirchenbeamte so zu behandeln, „als wenn sie wie früher als Beamte des Konsistoriums
30
1. Kap.: Einleitung
gerade nicht die Befugnis, „echte“ Beamte im Sinne von § 2 BeamtStG zu haben. „Kirchenbeamte“ sind keine Beamten im Sinne dieser Vorschrift.38 Um den hier verwendeten Begriff der Dienstherrnfähigkeit der Religionsgesellschaften vom staatsbeamtenrechtlichen Begriff abzugrenzen, soll im weiteren Verlauf von „kirchlicher Dienstherrnfähigkeit“ gesprochen werden. Kirchlich ist auch hier im oben beschriebenen Sinne39 zu verstehen. Gegenstand dieser Untersuchung sind also Voraussetzungen, Inhalt und Grenzen der spezifischen verfassungsrechtlichen Garantie zugunsten derjenigen Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 137 Abs. 5 WRV sind, im Bereich ihrer Beschäftigungsverhältnisse.
D. Gang der Untersuchung Die Untersuchung zur kirchlichen Dienstherrnfähigkeit beginnt im zweiten Kapitel mit einem Überblick, mit dem die Existenz von Kirchenrecht als Faktum zur Kenntnis genommen wird. Dabei werden die Rechtstraditionen verschiedener Religionsgemeinschaften in Deutschland allgemein und mit besonderem Augenmerk auf ihre dienstrechtlichen Bestimmungen kurz dargestellt. Das folgende dritte Kapitel blickt auf die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsprechung und Literatur um die Justizgewährung in kirchendienstrechtlichen Angelegenheiten zurück. Als Zwischenergebnis wird sich herausstellen, dass die Fokussierung der Debatte auf den Justizgewährungsanspruch ein Umweg war: Die eigentlich entscheidende Frage lautet, ob und wann Kirchenrecht materielles, also bürgerlich wirksames Recht ist. Als Vorbemerkung dazu befasst sich das vierte Kapitel mit der Entstehungsgeschichte von Art. 137 Abs. 5 WRV. Dabei wird sich zeigen, dass die grundrechtliche Sichtweise auf den Körperschaftsstatus zwar nicht von der späteren Weimarer Staatspraxis, wohl aber von den ursprünglichen Vorstellungen des Weimarer Verfassungsgebers getragen ist. Dies mündet im fünften Kapitel in die Kritik an der Lehre vom Typenzwang, welche die kirchenrechtlich geregelten Beschäftigungsverhältnisse in die Nähe des staatlichen Beamtenrechts rückt. Im Anschluss an die Zwischenergebnisse aus dem dritten Kapitel (zur Relevanz des Justizgewährungsanspruchs) und des vierten Kapitels (grundrechtliche Intention des Weimarer Verfassungsgebers) wird das sechste Kapitel eine Konzeption Staatsbeamte wären“; PrOVG 82, 242 (243); ausdrücklich Wacke, AöR 74 (1948), S. 438 (443); Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 29. Obwohl das RG die Anwendung von Art. 129 WRV auf Kirchenbeamte bejahte, trennt es dabei zwischen Staats- und Kirchenbeamten ausdrücklich, vgl. RG, JW 1927, S. 1253 (1254). In RGZ 114, 220 (223) wird allerdings nicht deutlich zwischen Kirchenbeamten und Beamten sonstiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften (mittelbare Staatsbeamte) unterschieden. 38 Undeutlich Reich, BeamtStG, § 2 Rn. 6, dem zufolge die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften zwar die Dienstherrneigenschaft besäßen, das Beamtenstatusgesetz aber gleichwohl nicht anwendbar sei. Damit ist im Ergebnis aber nichts anderes gesagt als hier. 39 Oben unter B.
D. Gang der Untersuchung
31
ausarbeiten, nach der die bürgerliche Wirkung des Kirchenrechts als vor Gerichten klagbares materielles Recht nicht anders als das Verbandsrecht anderer Verbände Ausfluss der Privatautonomie ist. Kirchendienstverhältnisse sind nach dieser Konzeption jedenfalls deshalb materielle Rechtsverhältnisse (und nicht „Nicht-Recht“), weil im Arbeitsrecht die Eingehung eines materiellen Rechtsverhältnisses von den wirklichen Verhältnissen abhängig ist. Im siebten Kapitel wird die Befreiung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht als das eigentliche religionsverfassungsrechtliche „Plus“ zugunsten der Kirchen herausgearbeitet. Die kirchliche Dienstherrnfähigkeit geht über das Prinzip der Privatautonomie hinaus, weil sie Kirchen und Beschäftigten ermöglicht, das staatliche Recht mit kollisionsrechtlicher Wirkung durch kirchliche Bestimmungen zu verdrängen. Im achten Kapitel wird herausgearbeitet, dass die Gründe, die von Verfassungs wegen im internationalen Privatrecht für die Durchsetzung des deutschen ordre public sprechen, analog in kirchendienstrechtlichen Angelegenheiten gelten. Vorbehaltsklausel und Eingriffsnormen sind daher auch in kirchendienstrechtlichen Streitigkeiten von staatlichen Gerichten anzuwenden, soweit sich in ihnen die Grundrechtsbindung der staatlichen Rechtsprechungsgewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) konkretisiert. Nachdem die materiellrechtlichen Fragen geklärt sind, befasst sich das neunte Kapitel mit den verbleibenden prozessualen Fragen; es entwickelt eine differenzierte Lösung zum einschlägigen Fachrechtsweg in kirchendienstrechtlichen Angelegenheiten, klärt die Rolle der Kirchengerichte als bloße Verbandsgerichte und erörtert kurz die Möglichkeiten einer „echten“ kirchlichen Schiedsgerichtsbarkeit. Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit im zehnten Kapitel thesenhaft sowie im elften Kapitel in Form eines Prüfprogramms für den staatlichen Richter zusammengefasst.
Zweites Kapitel
Existenz des Kirchenrechts als Faktum Die Existenz von Kirchenrecht bzw. religiösem Recht ist ein konfessions- und religionsübergreifendes Faktum. Religiöses Recht meint dabei normative Bestimmungen, welche die jeweiligen Religionsgesellschaften gegenüber ihren Mitgliedern als verbindlich geltend machen.1 Der Begriff des „Faktum“ soll dabei zunächst in Erinnerung rufen, dass Kirchenrecht vom Staat genauso wenig geschaffen wurde wie die Religionsgemeinschaften selbst; Kirchenrecht ist noch nicht einmal erst aufgrund bzw. im Anschluss an die staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen entstanden. Christoph Goos bringt es auf den Punkt: „Religionsgemeinschaften schafft der Staat nicht, er findet sie (…) als sozial wirkmächtige Organisationen auf seinem Territorium vor“2. Dieses Vorfinden einer Organisation verweist bereits auf ihre rechtliche Verfasstheit, die insoweit vorstaatlich ist. Geschichtlich mag dies für die verschiedenen Religionsgesellschaften in unterschiedlicher Weise gelten. Das Beispiel des kanonischen Rechts zeigt jedenfalls, dass Kirchenrecht als soziales Faktum weder durch staatliche Garantien bedingt ist, noch sich stets an dessen Grenzen hält. Ohne bereits hier eine säkular-rechtliche Einordnung dessen vorzunehmen, gilt es zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass die für das gesellschaftliche Leben relevanten Konfessionen Normen aufgestellt haben, die einen Geltungsanspruch erheben.3 Von den christlichen Amtskirchen werden diese Normengebilde ausdrücklich als Kirchenrecht bezeichnet. Im Folgenden soll jeweils ein kurzer Überblick über das Kirchenrecht der in Deutschland maßgeblichen Konfessionen gegeben werden. Besondere Berücksichtigung wird dabei das Selbstverständnis der jeweiligen Konfession und ihrer Kirchenrechtsordnung, vor allem auch im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Staat und zur staatlichen Rechtsordnung, finden. Zu jeder der behandelten Konfessionen gibt es zudem einen kurzen Abriss der jeweiligen dienstrechtlichen Bestimmungen. 1 Augsberg, in: Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte als Herausforderung des Staates, S. 1 (15). 2 Goos, ZBR 2004, S. 159 (162). 3 Die hier angesprochene „Faktizität“ des Kirchenrechts darf nicht mit den „data“ im Sinne von Ehrenzweigs Datumtheorie verwechselt werden, da letztere eine Beachtlichkeit dieser „data“ unabhängig von Kollisionsnormen implizieren soll (Beispiel: Berücksichtigung der Verkehrsregeln am Unfallort unabhängig vom anwendbaren Deliktsrecht), während das kirchliche Dienstrecht von staatlichen Gerichten gerade nur auf der Grundlage von Rechtsanwendungsbefehl und Kollisionsnorm anzuwenden ist; vgl. eingehend dazu Kapitel 6, 7. Zur Datumstheorie Jayme, GS Ehrenzweig (1976), S. 37 (39 ff.); die Theorie geht zurück auf Ehrenzweig, Private International Law I, S. 75 ff.
A. Das kanonische Recht
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A. Das kanonische Recht Auf europäischem Boden hat das kanonische Recht, also das Kirchenrecht der römisch-katholischen Kirche, die längste Tradition.
I. Geschichtliche Entwicklung des kanonischen Rechts Zwischen 1140 und 1325 sind die Rechtssammlungen entstanden, die das „klassische“ Corpus Iuris Canonici bilden und in der römisch-katholischen Weltkirche bis zu dessen Neufassung 1918 galten.4 Dieses umfassende Rechtswerk regelt nicht etwa nur – vom heutigen Standpunkt aus betrachtet – rein „innerkirchliche“ Fragen wie die Ämterbesetzung oder die Kirchenorganisation, sondern enthält namentlich ein eigenes Vertragsrecht und vor allem ein eigenes Familienrecht. Das Corpus Iuris Canonici als umfassendes Gesetzbuch bildet damit die Grundlage für die Ausbildung der societas-perfecta-Lehre in der italienischen Kanonistik des 18. Jahrhunderts. Nach dieser Theorie soll es eine eigenständige Rechtsmacht der Kirche geben, die von der staatlichen Gewalt völlig unabhängig, vor allem aber auch ihr ebenbürtig ist.5 Berühmt geworden ist der Syllabus errorum, in dem Papst Pius IX. sich 1864 in Thesenform gegen achtzig vermeintliche Irrtümer seiner Zeit wandte. Zu diesen Irrtümern rechnet der Syllabus: „Die Kirche ist nicht eine wahre vollkommene ganz freie Gesellschaft, noch hat sie ihre eignen feststehenden Rechte, welche ihr von ihrem Stifter verliehen sind; sondern es ist Sache der Staatsgewalt zu bestimmen, welches die Rechte der Kirche sind, und welches die Grenzen sind, innerhalb derer sie diese Rechte ausüben kann“6. Unschwer lässt sich als Gegenthese die Behauptung des Papstes ableiten, die Kirche sei eine „societas perfecta“, die über eine eigene Rechtsmacht verfüge, deren Grenzen sie nur selbst bestimmen könne und deren Festlegung nicht Sache des Staates sei.7 Diese im Ersten Vatikanischen Konzil bekräftigte Forderung führte in den 1870er-Jahren zum Kulturkampf mit dem protestantischen deutschen Kaiserreich.8 Obwohl Papst Leo XIII. um dessen Beilegung bemüht war,9 entfaltete er die societas-perfecta-Lehre zum offiziellen römisch-katholischen Programm im Hinblick auf das Staat-KirchenVerhältnis.10 Zentral blieb dabei vor allem die Forderung nach der Eigenrechtsmacht der katholischen Kirche.11 4
Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 6 Rn. 2, 12. Hierzu mit zahlreichen Nw. Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 119 ff. 6 Papst Pius IX., Syllabus errorum, abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche II, Nr. 183, S. 402; lateinisches Original bei Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 142 Fn. 17. 7 Vgl. Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 142 f. 8 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 6 Rn. 14. 9 Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 173. 10 Mikat, in: HdbStKirchR I, 21994, § 4 S. 132; Muckel, in: HdbKathKR, 32015, § 116 S. 1779 ff. 11 Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 179. 5
34
2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
Das Zweite Vatikanische Konzil markiert gegenüber der früheren Doktrin eine deutliche Zäsur.12 Wegweisend für diese Neupositionierung der katholischen Kirche ist die Anerkennung der Religionsfreiheit in der Erklärung Dignitatis humanae.13 Damit hat die katholische Kirche ihr vorheriges Selbstverständnis als eine mit dem Staat vergleichbare Macht zumindest relativiert.14 Nach heutigem katholischem Verständnis ist es der Kirche verwehrt, „selbst zum Staat zu werden und ihre Position des Gegenübers zum Staat preiszugeben“15. Die Konzilsdokumente erteilen damit der Idee eines konfessionellen Staates eine Absage und bekennen sich zum Prinzip des religiös neutralen Staates.16 Zugleich lebt die Kirche innerhalb des Staates.17 Damit hat die katholische Kirche ihren Verzicht ausgesprochen, staatliche Machtmittel zur Durchsetzung kirchlicher Forderungen in Anspruch zu nehmen.18 Der auf der Grundlage des Konzils entwickelte neue Codex Iuris Canonici von 1983 trägt dem für die Frage der Konfessionszugehörigkeit Rechnung, indem er zwar alle Getauften zu den Christgläubigen zählt (c. 204 § 1 CIC), die Geltung der katholischen Gesetze aber auf Katholiken begrenzt (c. 11 CIC).19 Gebunden werden allerdings auch aus der Kirche Ausgetretene20, da es nach katholischem Verständnis keinen Kirchenaustritt (semel catholicus, semper catholicus),21 sondern nur einen Trennungsakt (actus formalis defectionis ab ecclesia) gibt.22
12
Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 209. de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 7 Rn. 15; Mikat, in: HdbStKirchR I, 21994, § 4 S. 135 f.; Luf, in: HdbKathKR 32015, § 66 S. 964; Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 32 Rn. 5; Listl, in: HdbKathKR 21999, § 116 S. 1250; ders., FS Geiger (1974), S. 521 (522). 14 Mikat, in: HdbStKirchR I, 21994, § 4 S. 115 macht zutreffend darauf aufmerksam, dass die Konzilslehre eine kirchliche „Umbruchsituation“ dokumentiert und damit nicht mehr von einer in sich geschlossene Lehre gesprochen werden kann. In diesem Sinne meint Relativierung keine völlige Aufgabe bisheriger Position, wohl aber deren kritische Infragestellung und Ergänzung um andere Aspekte. 15 Mikat, in: HdbStKirchR I, 21994, § 4 S. 112. 16 Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 216. 17 Listl, EssG 19 (1985), S. 9 (10). 18 Listl, FS Geiger (1974), S. 521 (527). 19 Dazu eingehend de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 17 Rn. 9 ff.; ebenso Luf, in: HdbKathKR 3 2015, § 66 S. 970. 20 Dies geht auf eine Gesetzesänderung durch Papst Benedikt XVI. zurück, der die Geltung des CIC wieder auf die Ausgetretenen erstreckte, dazu Rees, in: HdbKathKR, 32015, § 9 S. 148 f. 21 Althaus, in: HdbKathKR, 32015, § 16 S. 280. 22 Außerordentlich umstritten ist, welche genauen Konsequenzen der staatliche Kirchenaustritt nach innerkirchlichem Recht genau hat, vor allem dann, wenn der Kirchenaustritt lediglich der Entledigung von der Kirchensteuerpflicht dient, dazu mit zahlreichen Nw. Althaus, in: HdbKathKR, 32015, § 16 S. 280 ff. 13
A. Das kanonische Recht
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II. Bleibender Letztverbindlichkeitsanspruch der römischen Kirche Einen vollkommenen Bruch mit der bisherigen Lehre hat das Konzil aber nicht vollzogen.23 Die Konzilsaussagen dürfen nicht als völlige Aufgabe des innerkirchlichen Letztverbindlichkeitsanspruchs missverstanden werden. Die Verkündigung vom Reich Gottes ist ihrem Wesen nach subversiv, weil sie – in den Worten des katholischen Kirchenrechtlers Paul Mikat – die „Vorläufigkeit, Endlichkeit und Begrenztheit der irdisch-politischen Macht gerade darum so deutlich in Erscheinung treten [lässt], weil sie Verkündigung von der endgültigen, ewigen und umfassenden Herrschaft Gottes ist“24. Die Kanonistik geht weiter vom Bestand eines unmittelbar göttlichen Rechts aus, das für alle Menschen verbindlich ist, unabhängig davon, ob diese getauft sind oder nicht.25 Die Religionsfreiheit bezieht sich demnach ausschließlich auf die staatliche Ordnung, also auf das Recht im Staat-Bürger-Verhältnis, die Religion frei von jedem staatlichen und gesellschaftlichen Zwang auszuüben.26 Die moralische Pflicht jedes Menschen zum Bekenntnis zur vermeintlich einzig wahren (katholischen) Kirche bleibt hingegen unangetastet (Vat. II DH Nr. 1; vgl. auch c. 748 § 1 CIC).27 Religiöse Freiheit innerhalb der Kirche ist nicht Gegenstand der Konzilserklärung Dignitatis humanae.28 Die kirchliche Anerkennung der Religionsfreiheit meint daher nicht die Aufgabe des katholischen Wahrheitsanspruchs,29 sondern ist als Forderung an den Staat zu verstehen, die kirchliche Eigenständigkeit als vorstaatliches Grundrecht zu achten.30 Dementsprechend hält c. 113 § 1 CIC daran fest, dass die Rechtspersönlichkeit der Kirche auf göttlicher Anordnung beruht, woraus die Kirche eine Eigenrechtsmacht (potestas iurisdictionis, c. 129 § 1 CIC) ableitet, deren Umfang sie kraft ihrer Souveränität jeweils nur selbst verbindlich bestimmen kann.31 Obwohl in den Konzilsdokumenten der Begriff der societas perfecta vermieden wurde, hält das Konzil an deren Wesenskern fest.32
23
Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 217 ff. Mikat, in: HdbStKirchR I, 21994, § 4 S. 112 f. 25 Rees, in: HdbKathKR, 32015, § 9 S. 147 f. 26 Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 210. 27 Listl, FS Geiger (1974), S. 521 (532); ders., Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 220. 28 Luf, in: HdbKathKR 32015, § 66 S. 966. 29 Muckel, in: HdbKathKR, 32015, § 116 S. 1785. 30 Vgl. Listl, FS Geiger (1974), S. 521 (535); ders., in: HdbKathKR 21999, § 116 S. 1251 f. 31 Mikat, in: HdbStKirchR I, 21994, § 4 S. 145; Listl, in: HdbKathKR 21999, § 116 S. 1244 f., 1247 f.; ders., EssG 19 (1985), S. 9 (18 f.); ders., Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 222 ff. 32 Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, S. 224. 24
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
Der Rechtscharakter der Kirche und die Regierungsgewalt der Apostel und ihrer Nachfolger sind nach diesem Verständnis im Taufbefehl (Mt 28,18–20) angelegt (Vat. II LG Art. 8).33 Das Zweite Vatikanische Konzil hat damit den übernatürlichen Charakter des Kirchenrechts klar herausgearbeitet.34 Insbesondere dort, wo die katholische Kirchenrechtswissenschaft unmittelbare göttliche Anordnungen ausmacht, wird daran festgehalten, dass diese jeder Verfügung durch menschliches Gesetz entzogen sind.35 Die Kirchenrechtswissenschaft hat nach einer Verlautbarung von Papst Paul VI. eine theologische Wissenschaft zu sein.36
III. Heutige soziale Relevanz des kanonischen Rechts Obwohl aus säkular-rechtlicher Perspektive manche Defizite wie etwa stark eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten auf der Hand liegen, kann dem kanonischen Recht eine beachtliche soziale Relevanz nicht abgesprochen werden. Das kanonische Recht enthält eine Sammlung von Regeln, die an generell-abstrakte Tatbestände Rechtsfolgen knüpfen und den Anspruch erheben, nicht nur Rat oder Empfehlung zu sein, sondern von den Adressaten strikt beachtet und eingehalten zu werden.37 Studienangebote im kanonischen Recht,38 das traditionsreiche Archiv für katholisches Kirchenrecht (seit 1856) und andere Publikationsformen dokumentieren das Bemühen, den Inhalt des Kirchenrechts wissenschaftlich zu erfassen. Besonders nachdrücklich zeigt sich die soziale Relevanz des kanonischen Rechts dort, wo sich Menschen kirchenrechtlichen Regelungen bzw. Verfahren unterwerfen.39 So sind beispielsweise kirchengerichtliche Ehenichtigkeitsverfahren ein Beleg dafür, dass trotz der im bürgerlichen Bereich unbestrittenen Alleinverbindlichkeit der Zivilehe nach wie vor viele Menschen ihrem Familienstand nach kanonischem Recht eine Bedeutung beimessen.40 Das wird auch in Zukunft so bleiben, 33
Erdö, in: HdbKathKR 21999, § 2 S. 17. Vgl. Papst Paul VI., AfkKR 142 (1973), S. 463 (466). 35 Listl, in: EssG 19 (1985), S. 9 (16); Jurina, Rechtsstatus der Kirchen im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 86. 36 Papst Paul VI., AfkKR 142 (1973), S. 463 (464). 37 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 19 Rn. 13. Nach Listl, in: HdbKathKR 21999, § 8 S. 110 verpflichten die kirchlichen Gesetze neben dem bloß äußeren Vollzug allerdings auch zur „inneren Annahme im Gewissen“. Wie sich Gewissen befehlen lässt, bleibt ein Glaubensgeheimnis der kath. Kirche. 38 In Deutschland ermöglichen die Westfälische Wilhelms-Universität Münster und die Ludwig-Maximilians-Universität München den Erwerb des Lizentiats im Kanonischen Recht. Das Studium schließt an ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaft oder der Theologie an. Einige Universitäten bieten im Rahmen ihres rechtswissenschaftlichen Studiengangs Kanonisches Recht im Schwerpunktbereich an. 39 Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 5. 40 Im Erzbistum Köln beispielsweise gab es im Jahr 2016 immerhin 106 neu anhängig gemachte Ehenichtigkeitsverfahren. Detaillierte Statistik abrufbar unter http://erzbistum-koeln.de/ export/sites/ebkportal/erzbistum/offizialat/.content/.galleries/downloads/Statistiken/k-stat16. pdf . Deutschlandweite Zahlen sind laut Auskunft der DBK nicht verfügbar. 34
A. Das kanonische Recht
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solange Menschen Wege suchen, nach einer gescheiterten Zivilehe (erneut) mit katholisch-kirchlicher Wirkung zu heiraten, sei es wegen der Feier, sei es wegen der Zulassung zu den Sakramenten, sei es, um eine Entlassung aus einem kirchlichen Arbeitsverhältnis abzuwenden. Das Dienstrecht der Kleriker ist ebenfalls Beweis für die Ordnungsfunktion des kanonischen Rechts. Dass nach wie vor etwa 14.000 Priester in Deutschland unter Verzicht auf ein Arbeitsverhältnis nach staatlichem Recht hauptberuflich Dienste leisten, zeigt, welches Vertrauen einer Rechtsordnung entgegengebracht wird, deren Zusagen jedenfalls bis vor kurzem bei keinem staatlichen Gericht einklagbar waren.
IV. Dienstrecht der römisch-katholischen Kirche Bereits angesprochen wurde, dass sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche einerseits Arbeitsverträge nach staatlichem Recht begründen wie andererseits Dienstformen kennen, die ausschließlich auf kirchenrechtlichen Bestimmungen beruhen. 1. Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse Das originär kirchenrechtliche Dienstrecht der katholischen Kirche bestimmt sich sakramental, nämlich von der Weihe her.41 Gemäß c. 266 § 1 CIC ist mit der Weihe untrennbar das Inkardinationsverhältnis verbunden. Gemäß c. 265 CIC darf es keinen Kleriker ohne Inkardination geben. Das Inkardinationsverhältnis wird ergänzt durch ämterbezogene Vorschriften. a) Inhalt des Inkardinationsverhältnisses Das Inkardinationsverhältnis ist ein Grunddienstverhältnis zwischen dem Bischof und dem Kleriker.42 Es beinhaltet auf Seiten des Klerikers die Verpflichtung zum lebenslangen Dienst in der Kirche. Wie umfassend diese Dienstverpflichtung auch im Hinblick auf die eigene private Lebensführung ist, verdeutlicht die den Klerikern auferlegte Pflicht zum zölibatären Leben (c. 277 §§ 1, 2 CIC). Mit der Dienstverpflichtung korrespondiert ein Anspruch auf wirtschaftliche Versorgung, insbesondere auf Besoldung und Altersversorgung.43 Nach dem Grundsatz des 41 Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen, S. 45; zur Unzulänglichkeit, den religiösen Gehalt mit einem staatlichen Arbeitsvertrag zum Ausdruck zu bringen Schwendenwein, in: HdbKathKR, 32015, § 22 S. 357. 42 Jurina, EssG 10 (1976), S. 57 (59); ders., Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen, S. 46. 43 Jurina, EssG, 10 (1976), S. 57 (60); Schmitz, FS Scheuermann (1968), S. 137 (145); May, AfkKR 173 (2004), S. 7 (24).
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
c. 281 § 1 CIC besteht eine Verpflichtung zur amtsangemessenen Vergütung (remuneratio). Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes sieht c. 281 § 3 Hs. 2 CIC lediglich für verheiratete Diakone vor, die sich ihren Lebensunterhalt aus ihrem zivilen Beruf verdienen. Für die Vergütung ist zu beachten, dass die Kleriker zu einer einfachen Lebensführung angehalten sind.44 Diese weltkirchlichen Grundregelungen werden in den deutschen Diözesen näher ausgestaltet durch einzelne Besoldungsordnungen. Die Höhe der Besoldung richtet sich dabei nach dem Amt, das dem Kleriker übertragen wurde, sowie nach dessen Lebensalter.45 Neben der Pflicht zur Besoldung bestehen umfangreiche Schutz- und Fürsorgepflichten des kirchlichen Dienstherrn gegenüber seinen Klerikern.46 Die Rechtsstellung des Klerikers und die damit verbundene Begründung der Inkardination erfolgen durch die Diakonatsweihe (c. 266 § 1 CIC).47 Die Weihe ist gemäß cc. 845 § 1, 290 S. 1 CIC unverlierbar. Allerdings kann in Ausnahmefällen der Kleriker seines klerikalen Standes verlustig gehen (c. 290 S. 2 CIC). Dies kann etwa Folge eines kirchenstrafgerichtlichen Urteils sein (c. 290 no. 2 CIC).48 In der Praxis bedeutsam ist vor allem die Entlassung durch Zölibatsdispens in den Fällen, in denen ein Kleriker sich außer Stande sieht, den Zölibat weiter einzuhalten.49 Mit der Entlassung aus dem Klerikerstand verliert der Betroffene gemäß c. 292 CIC die damit entsprechenden Rechte und Pflichten, sodass auch das Inkardinationsverhältnis endet. Damit gehen auch die Besoldungs- und Versorgungsansprüche verloren, wie c. 1350 § 1 a. E. CIC ausdrücklich klarstellt.50 Das Inkardinationsverhältnis teilt wesentliche Merkmale eines staatlichen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses, weil es auf Lebenszeit angelegt ist und sich Dienstpflichten auf der Seite des Dienstverpflichteten Alimentationsund Fürsorgepflichten auf der Seite des Dienstherrn gegenüberstehen.51 Gleichwohl gibt es im katholischen Schrifttum Vorbehalte gegen die Bezeichnung als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis.52 Gegen seine Übernahme sprächen demnach die Eigenständigkeit des Kirchenrechts und die sakramentale Prägung des
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Schwendenwein, in: HdbKathKR, 32015, § 22 S. 359. May, AfkKR 173 (2004), S. 7 (25 f.). 46 Ausführlich Schmitz, FS Scheuermann (1968), S. 137 (149 ff.). 47 Schwendenwein, in: HdbKathKR, 32015, § 21 S. 344; Jurina, EssG 10 (1976), S. 57 (59). Deshalb ist es entgegen BFHE 253, 326 (Rn. 13), nicht richtig, dass erst mit der Ernennung zum Pfarrer ein Dienstverhältnis begründet werde. 48 Das katholische Kirchenrecht trennt nicht klar zwischen Straf- und Disziplinarrecht, dazu Goos, KuR 2010, S. 209 (210 f.). 49 Dazu eingehend Rieger, in: HdbKathKR, 32015, § 25 S. 421 ff. 50 Fahrnberger, in: HdbKathKR, 21999, § 23 S. 285. 51 Im Ergebnis genauso May, AfkKR 173 (2004), S. 7 (14 ff.). 52 Jurina, EssG 10 (1976), S. 57 (66); ders., Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen, S. 51 ff. Wie schwer sich die kath. Kirchenrechtswissenschaft mitunter mit der Übernahme staatlicher Begriffe tut, zeigt die Wendung von Kaiser, EssG 7 (1972), S. 92 (95), die Weihe begründe „so etwas wie ein Dienstverhältnis“. 45
A. Das kanonische Recht
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Inkardinationsverhältnisses.53 Tatsächlich ist den weltkirchlichen Rechtstexten des kanonischen Rechts die dem weltlichen deutschen Juristen geläufige Trennung von privatem und öffentlichem Recht fremd. Im Anschluss an den für die evangelische Kirche richtungsweisenden „Loccumer Vertrag“54 ist es seit den 1970er-Jahren allerdings auch in den staatskirchlichen Verträgen mit der katholischen Kirche üblich geworden, den kirchlichen Dienst als „öffentlichen Dienst“ zu bezeichnen.55 Dass kirchliche Dienstverhältnisse damit stets auch als „öffentlich-rechtlich“ zu qualifizieren wären, kann aber schon deswegen nicht zutreffen, weil der Begriff „öffentlicher Dienst“ nach staatlichem Dienstrecht auch privatrechtliche Beschäftigungsverhältnisse mitumfasst.56 Mit der Übertragung eines bestimmten Amtes wird das Inkardinationsverhältnis gegebenenfalls ergänzt und konkretisiert durch dienstrechtliche Vorschriften, die sich auf das konkret übertragene Amt beziehen. Beispielsweise kennt der Codex Iuris Canonici besondere Rechte und Pflichten der Pfarrer. Zu den wichtigsten Vorrechten der Pfarrer gehört die Inamovibilität (c. 522 CIC),57 der zufolge sie grundsätzlich nicht gegen ihren Willen versetzt werden dürfen. Nur unter engen Voraussetzungen ist die Versetzung ausnahmsweise dennoch möglich.58 Da das katholische Kirchenrecht kein Disziplinarrecht im eigentlichen Sinne kennt, vermischen sich hier Tatbestände, die ein Verschulden des Pfarrers voraussetzen, wie die Verletzung pfarrlicher Amtspflichten (c. 1741 no. 4 CIC), mit verschuldensunabhängigen Tatbeständen wie dem nichtgedeihlichen Wirken des Pfarrers in der Gemeinde (c. 1741 no. 3 CIC).
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Vgl. Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen, S. 48 f. Dazu noch weiter unten Kapitel 5, A. IV. 55 Brandenburg: Art. 11 Abs. 1 S. 2 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg v. 12.11.2003, GVBl 2004 S. 223; Bremen: Art. 14 Abs. 1 Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und dem Heiligen Stuhl v. 21.11.2003, GVBl 2004, S. 151; Hamburg: Art. 12 Abs. 2 S. 1 a. E. Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Heiligen Stuhl v. 29.11.2005, GVBl 2006, S. 435; Hessen: Art. 1 Abs. 2 Vertrag des Landes Hessen mit den Katholischen Bistümern in Hessen v. 29.3.1974, GVBl S. 388; Mecklenburg-Vorpommern: Art. 15 Abs. 2 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern v. 15.9.1997, GVBl 1998, S. 2.; Rheinland-Pfalz: Art. 1 Abs. 3 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Rheinland-Pfalz zur Ergänzung und Änderung der konkordatären Bestimmungen im Land Rheinland-Pfalz v. 29.4.1969, GVBl S. 165; Sachsen: Art. 15 Abs. 1 a. E. Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen v. 2.7.1996, GVBl 1997, S. 17; Sachsen-Anhalt: Art. 14 Abs. 1 a. E. Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt v. 15.1.1998, GVBl S. 160; Schleswig-Holstein: Art. 12 Abs. 2 S. 1 a. E. Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und dem Heiligen Stuhl v. 12.1.2009, GVBl S. 264; Thüringen: Art. 6 Abs. 1 a. E. Staatsvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen v. 11.6.1997, GVBl S. 266. 56 Zur „Öffentlicher-Dienst-Klausel“ eingehend unten Kapitel 5, A. IV. 57 Jurina, EssG 10 (1976), S. 57 (62). 58 Dazu Lederhilger, in: HdbKathKR 32015, § 45 S. 717 f. 54
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
b) Innerkirchlicher Rechtsschutz Innerkirchlicher Rechtsschutz59 gegen dienstrechtliche Maßnahmen ist zwar möglich, entspricht jedoch erkennbar nicht den Standards der staatlichen Rechtsordnung. Wird etwa ein Pfarrer seines Amtes enthoben, so steht ihm dagegen auf diözesaner Ebene lediglich eine hierarchische Beschwerde gemäß den cc. 1732 ff. CIC offen.60 Hierbei handelt es sich um einen kirchenverwaltungsinternen Vorgang,61 also nicht um ein gerichtliches Verfahren. Zuständig ist gemäß c. 1734 § 1 CIC zunächst derjenige, der den angegriffenen Verwaltungsakt (im Sinne des Kirchenrechts) erlassen hat, im Falle der Absetzung des Pfarrers also der Diözesanbischof (c. 1740 CIC). In einem zweiten Verfahrensschritt kann dann Beschwerde beim hierarchisch Oberen gemäß c. 1737 CIC eingelegt werden. Für den Fall der Amtsenthebung eines Pfarrers ist dies also bereits auf der zweiten – verwaltungsinternen Stufe – der Papst, für den die jeweils zuständige Kongregation der Römischen Kurie die Entscheidung trifft.62 Erst gegen deren Entscheidung ist gemäß Art. 123 § 1 PastBon die Anfechtungsklage zur Apostolischen Signatur63 statthaft.64 Das erstinstanzliche kirchengerichtliche Verfahren ist also bereits in Rom angesiedelt. Der Papst, gemäß c. 1442 CIC oberster Richter der katholischen Kirche, kann das Verfahren jederzeit an sich ziehen (c. 1405 § 1 no. 4 CIC).65 Der Papst ist damit Gesetzgeber, Verwaltungshandelnder und Richter in einer Person.66 2. Arbeitsvertragliche Dienstverhältnisse Während im Zentrum dieser Arbeit die kirchenrechtlich geregelten Dienstverhältnisse stehen, beruht die große Mehrzahl der kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse auf einem Privatarbeitsvertrag nach staatlichem Recht. Auch für diese Beschäftigungsverhältnisse hat die Kirche indes eigene kirchliche Bestimmungen erlassen, die das staatliche Arbeitsrecht ergänzen sollen. Zu nennen ist vor allem die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrOkathK)67, bei der es sich aus der Perspektive des kanonischen Rechts um diözesane Kirchengesetze handelt.68 59
Überblick zur katholischen Kirchengerichtsbarkeit: Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 142 ff. 60 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 19 Rn. 63a. 61 Lüdicke, in: HdbKathKR 32015, § 114 S. 1752; Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 164. 62 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 19 Rn. 63a. 63 Zur Rechtspraxis der Apostolischen Signatur von 1968 bis 1993 Michael Landau, Amtsenthebung und Versetzung von Pfarrern, S. 233 ff. 64 Lüdicke, in: HdbKathKR 32015, § 114 S. 1756. 65 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 19 Rn. 58. 66 Krit. dazu aus kirchenrechtlicher Perspektive Kaiser, EssG 7 (1972), S. 92 (99). 67 In der novellierten Fassung v. 27.4.2015 abrufbar unter http://www.dbk.de/fileadmin/redak tion/diverse_downloads/VDD/Grundordnung_GO-30-04-2015_final.pdf . 68 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4 Rn. 33, § 14 Rn. 12.
B. Das evangelische Kirchenrecht
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Individuell betroffen sind die Mitarbeiter zunächst von den dort aufgestellten Loyalitätsobliegenheiten. Diese beziehen sich nicht nur auf das dienstliche, sondern auch auf das außerdienstliche Verhalten. So wird es beispielsweise als Kündigungsgrund angesehen, wenn der Mitarbeiter öffentlich für Abtreibung eintritt (Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GrOkathK). Die verschiedenen Loyalitätsobliegenheiten beziehen sich unmittelbar auf den Intimbereich. Hieran ändert auch die Novellierung aus dem Jahr 2015 nichts. Nach wie vor stellt das Eingehen einer kirchenrechtlich als unzulässig betrachteten Zivilehe – typischerweise die Wiederheirat eines nach staatlichem Recht Geschiedenen – einen Kündigungsgrund dar (Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. c GrOkathK). Die kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmerrechte – eine zentrale Säule des deutschen Arbeitsrechts – wird maßgeblich dadurch beschränkt, dass gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 2 GrOkathK den Arbeitnehmern ein Streik untersagt ist. Statt Tarifverträge abzuschließen, beteiligt die katholische Kirche gemäß Art. 7 Abs. 1 GrOkathK ihre Mitarbeiter durch ein eigenes Verfahren mit paritätisch besetzten Kommissionen daran, die Arbeitsbedingungen festzulegen (so genannter „Dritter Weg“).
B. Das evangelische Kirchenrecht Zu den Kernanliegen der Reformation zählt, dass sie sich gegen die „Verrechtlichung des Glaubens im spätmittelalterlichen kanonischen Recht [wendet], gegen seinen Grundzug der Gesetzlichkeit, seine Prägung durch die hierarchischen Strukturen, gegen den bestimmenden Zug zu Herrschaft, Zwang, Obödienz in der Ausformung der geistlichen Hirtengewalt“69. Traditionell ist die evangelische Kirche geradezu von einer „Rechtsaversion“70 gekennzeichnet. Die Existenz eines evangelischen Kirchenrechts scheint daher zunächst ein Paradoxon zu sein. Nach wie vor ist die Legitimität von Recht in der Kirche unter evangelischen Christen umstritten. Gleichwohl hat sich in der Praxis ein ausdifferenziertes Kirchenrecht, vor allem zur Regelung organisatorischer und dienstrechtlicher Fragen, herausgebildet.
I. Innere Legitimation des evangelischen Kirchenrechts Nach der Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers ist das rein geistliche Regiment der Kirche zu trennen vom weltlichen Regiment, das mit Zwang regiert.71 Die Kirche verzichtet auf Zwangsmittel, sie regiert „sine vi humana, sed verbo“ (Art. 28 CA). 69
Martin Heckel, EssG 30 (1996), S. 82 (99). Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 209. 71 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 24 Rn. 12; de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 19 ff.; v. Campenhausen, FS Obermayer (1986), S. 165 (166 f.). 70
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
Die radikalste Konsequenz aus diesem reformatorischen Verständnis zog Ende des 19. Jahrhunderts Rudolph Sohm mit seiner berühmten These: „Das Kirchenrecht steht mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch“72. Diese These wird zwar heute in der evangelischen Kirchenrechtswissenschaft durchweg abgelehnt,73 prägt aber nach wie vor Debatten um die innere Legitimation des evangelischen Kirchenrechts.74 Noch immer zeigen sich von Seiten der Theologen große Vorbehalte gegenüber einer autoritativen Entscheidung von Streitigkeiten, wie sie dem (kirchen-) gerichtlichen Prozess eigen ist.75 Ohne die Radikalität der Thesen Sohms zu übernehmen, hat später die so genannte dualistische Theorie die Wesensverschiedenheit von staatlichem und kirchlichem Recht betont.76 Ausgangspunkt ist Luthers Verständnis: „Respublica ecclesiastica unica lege charitatis instituta est“77. Das Kirchenrecht unterscheide sich demnach von allem staatlichen Recht in der alleinigen Begründung durch die lex charitatis spiritualis.78 Dies schließt eine Sanktion nach Art des weltlichen Rechts aus.79 Gegen dieses dualistische Denken ist allerdings zu Recht eingewandt worden, dass es der Realität des evangelischen Kirchenrechts nicht entspricht:80 „Auch das Kirchenrecht kennt und hat Gesetze im juristischen Sinn. Auch das kirchliche Gesetz enthält normative Gebote, die von einer dafür zuständigen Autorität ausgehen und die Adressaten zu einem Verhalten verpflichten“81 (Grundmann). Für
72
Sohm, Kirchenrecht I, S. 1; dazu näher Germann, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 109 ff. de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 24 Rn. 9; Johannes Heckel, ZRG Kan. Abt. 79 (1962), S. 222 (223); Grundmann, JuS 1966, S. 466 (468); Obermayer, FS Liermann (1964), S. 144; Robbers, ZevKR 37 (1992), S. 230 (236). Der bis heute gültige Kern von Sohms These liegt indes darin, das evangelisches Kirchenrecht nicht heilsrelevant ist (dazu Friehe, in: HinghoferSzalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 4). 74 Ralf Dreier, Das kirchliche Amt, S. 19; Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 179. Vgl. nur Schlaich, ZevKR 28 (1983), S. 337 (362), der eine mittlere Position in Abgrenzung zu Sohm und der dualistischen Lehre sucht; Grundmann, JuS 1966, S. 466 (468), dem ein möglicher „später Sieg Sohms und eine Realisierung seiner Lehre“ Unbehagen bereitet. Hier wird deutlich, dass Sohms Thesen die Kirchenrechtswissenschaft „herausgefordert“ haben, so de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 24 Rn. 3. Das Bemühen um eine theologische Begründung des Kirchenrechts ist auch eine Reaktion auf die Thesen Sohms, so zutreffend Heun, ZevKR 49 (2004), S. 443 (449). Zur Bedeutung von Sohms These für die katholische Kirchenrechtswissenschaft Ludger Müller, in: HdbKathKR 32015, § 2 S. 16 ff. 75 Kästner, ZevKR 49 (2004), S. 171 ff.; ders., FS Rüfner (2003), S. 423; Winter, Staatskirchenrecht, S. 212 f. 76 Grundlegend mit zahlreichen Bezugnahmen auf Luther Johannes Heckel, ZRG Kan. Abt. 79 (1962), S. 222 ff. 77 Luther, Galater 1519, in: WA II, S. 617. 78 Johannes Heckel, ZRG Kan. Abt. 79 (1962), S. 222 (248). 79 Johannes Heckel, ZRG Kan. Abt. 79 (1962), S. 222 (257); a. A. Ralf Dreier, ZevKR 32 (1987), S. 289 (315). 80 de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 16; Grundmann, ZevKR 8 (1961/62), S. 326 (337); Kästner, FS Rüfner (2003), S. 423 (426); Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 209; grundsätzlich Heun, ZevKR 49 (2004), S. 443 (449 f.). 81 Grundmann, JuS 1966, S. 466 (468). 73
B. Das evangelische Kirchenrecht
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den Rechtscharakter des (evangelischen) Kirchenrechts ist es daher weit weniger erheblich, ob Gebote ohne Sanktionsbewehrung Rechtssätze sein können, als es die lebhafte Diskussion um genau diese Frage82 vermuten lässt. Denn das evangelische Kirchenrecht ist keineswegs sanktionslos,83 wie sich beispielsweise im Disziplinarrecht zeigt.84 Amts- und Gehaltsverlust sind kein stumpfes Schwert, wenn es um die zwangsweise Durchsetzung des Kirchenrechts in diesem Bereich geht. Die Vertreter eines monistischen Rechtsverständnisses betonen daher, erst die Anerkennung der Verbindlichkeit des Kirchenrechts eröffne die Chance, normative Verbindlichkeit und geistliche Freiheit klar voneinander zu trennen.85
II. Emanzipation des evangelischen Kirchenrechts vom Staat Abgesehen von diesem theoretischen Grundsatzstreit war die Eigenständigkeit des evangelischen Kirchenrechts lange Zeit durch den beherrschenden staatlichen Einfluss auf die evangelische Kirche in Frage gestellt. In der Zeit nach der Reformation wurde die reformatorische Lehre über das Verhältnis von Staat und Kirche „nur in sehr gebrochener Weise verwirklicht“86. Da sich der katholische Episkopat der Reformation weitgehend verschlossen hatte, lag nach diesem „Ausfall der katholischen Bischöfe“87 die kirchliche Rechtsetzungsmacht unter Wegfall der konkurrierenden Rechtsautorität von Papst und Kirchenhierarchie (vgl. § 20 ARF) allein beim Landesherrn. Um diese Übernahme der bischöflichen Amtsgewalt zu legitimieren, gab es verschiedene Begründungsansätze. Der Episkopalismus nahm eine Art treuhänderische Verwaltung bischöflicher Rechte an, die bis zur erhofften Wiedervereinigung der beiden Konfessionen erforderlich sei;88 dabei sei die kirchliche Gewalt von der territorialen Staatsgewalt zu trennen, der Fürst lediglich in Personalunion sowohl Landesherr als auch Bischof.89 Dem gegenüber leitete der
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Vgl. de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 24 Rn. 9; Schlaich, ZevKR 28 (1983), S. 337 (360 f.); Robbers, ZevKR 37 (1992), S. 230 (233); Ehlers, ZevKR 49 (2004), S. 496 (501). 83 Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 223; Ehlers, ZevKR 49 (2004), S. 496 (500). 84 Hierauf zu Recht hinweisend Obermayer, FS Liermann (1964), S. 144 (149); Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 225. 85 Schlaich, ZevKR 28 (1983), S. 337 (365). 86 v. Campenhausen, FS Obermayer (1986), S. 165 (167); ähnlich Link, ZevKR 45 (2000), S. 73 (76); schärfer Martin Heckel, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (6 ff.). 87 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13 Rn. 1. 88 v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 16. 89 v. Campenhausen / de Wall, ibid.; Martin Heckel, Staat und Kirche, S. 237. Organisatorisch abgesichert wurde diese Zweigleisigkeit von kirchlicher und weltlicher Herrscher durch den Fürsten durch die Konsistorialverfassung, also die Einrichtung einer als Konsistorium bezeichneten kirchlichen Oberbehörde, die meist aus Juristen und Theologen paritätisch besetzt wurde, dazu Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 13 Rn. 4.
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
Territorialismus die Kirchenhoheit des Fürsten direkt aus seiner landesherrlichen Souveränität ab.90 Gewisse Abnabelungstendenzen im 19. Jahrhundert mussten notwendigerweise unvollendet bleiben, solange die bischöfliche Stellung der Landesherrn, die Einheit von Thron und Altar, fortdauerte.91 Erst die Weimarer Reichsverfassung brachte eine Zäsur.92 Die evangelische Kirche stand nun vor der Aufgabe, ihre Angelegenheiten vollständig selbst zu ordnen.93 Die Zeit der Weimarer Republik ist dabei trotz Art. 137 Abs. 1 WRV noch von großen Unsicherheiten in der juristischen Praxis und Lehre gekennzeichnet, ob der Staat nicht doch noch auf Fragen der Kirchenorganisation Einfluss nehmen dürfe.94 Zur vollen Entfaltung evangelischer Eigenorganisation ist es daher erst in der Bundesrepublik gekommen, befördert durch die kirchenfreundliche Entwicklung des Staatskirchenrechts in Rechtsprechung und Lehre. Heute verfügt die evangelische Kirche über ein voll ausgeprägtes Organisationsrecht. Die wissenschaftliche Durchdringung ist dank zahlreicher Lehrstühle sehr hoch, auch weil mit der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht ein entsprechendes Forum zur Verfügung steht. Die schrittweise Einführung kirchlicher Verwaltungsgerichte nach dem Vorbild der staatlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit dürfte zu einer weiteren Verrechtlichung der evangelischen Binnenorganisation beitragen. Ob eine engere organisatorische Verbindung zwischen Staat und Kirche gerechtfertigt oder wünschenswert ist, wird unterschiedlich beurteilt. Ein einheitliches evangelisches Verständnis über das Verhältnis von Staat und Kirche hat sich nicht entwickelt.95 Die V. These der Barmer Theologischen Erklärung hat 1934 deutlich ausgesprochen, dass weder der Staat „die Bestimmung der Kirche erfüllen“ noch „die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus (…) staatliche Aufgaben“ übernehmen und „damit selbst zu einem Organ des Staates werden“ dürfe. Diese programmatische Erklärung wird heute zugunsten eines rechtstaatlich-liberalen Konzepts der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates gedeutet.96 Wäh 90
Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 140 Rn. 5. Dabei kommt es vor, dass bei Kirchenrechtlern der damaligen Zeit sogar beide Theorien nebeneinander vertreten werden, weil sich die auf Logik fokussierte Rechtsmethodik noch nicht voll entwickelt hatte, vgl. dazu Martin Heckel, Staat und Kirche, S. 122 ff. Zu beiden Theorien Link, ZRG Kan. Abt. 117 (2000), S. 414 ff. 91 Vgl. Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (36), der von „Reste[n] dieses Staatskirchentums“ spricht. 92 Honecker, EssG 25 (1991), S. 49 (53). 93 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 27 Rn. 1. 94 So regelt Art. 82 Abs. 2 PrVerf-1920, dass die bischöflichen Rechte des preußischen Königs zunächst von einem Staatsministerium wahrzunehmen seien. Außerdem wird eine staatsgesetzliche Annahme von Kirchengesetzen vorgesehen. Gegen die Zulässigkeit dieser Regelung Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (37). Für eine gesteigerte Staatsaufsicht als „Korrelat“ für besondere Privilegien bei den korporierten Religionsgesellschaften grundlegend Schoen, VerwArch 29 (1922), S. 2 (20 ff.). 95 Martin Heckel, in: HdbStKirchR I, 21994, § 5 S. 158. 96 Die Barmer Erklärung war hierauf allerdings keineswegs festgelegt, sondern es handelt sich um eine systematische Weiterentwicklung in heutiger Zeit: Hans-Richard Reuter, KuR 2009, S. 184 (190).
B. Das evangelische Kirchenrecht
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rend aber einige Autoren eine radikale Trennung von Staat und Kirche im freiheitlichen Staat für unnötig oder sogar gefährlich halten,97 betonen andere die Selbstgefährdung der Kirche, wenn sie politische Macht einfordert oder die Distanz zum Staat verliert.98
III. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum kanonischen Recht Wie das kanonische Recht ist auch das evangelische Kirchenrecht von dem Selbstverständnis getragen, dass selbst gesetzte verbindliche99 Rechtsregeln die eigene Organisation und in bestimmten Bereichen die Rechtsbeziehungen zu den eigenen Mitgliedern regeln. Mit Hilfe des Kirchenrechts verständigt sich die Gemeinschaft der Getauften darüber, welches kirchliche Handeln als geistlich angezeigt verantwortet werden soll.100 Im Unterschied zum kanonischen Recht ist das evangelische Kirchenrecht dabei jedoch auf Organisationsfragen beschränkt. Ein eigenes Familienrecht wie im katholischen Recht gibt es nicht.101 Anders als das „weltkirchlich“ kanonische Recht zeichnet sich das evangelische Kirchenrecht durch eine große Nähe zur deutschen Rechtstradition aus. Diese Anlehnung an staatliche Rechtsstrukturen ist bewusst und gewollt gewählt.102 Sie manifestiert sich in der Übernahme staatlicher Begriffe bei der Formulierung kirchengesetzlicher Vorschriften und im dogmatischen Aufbau evangelischer Kirchengesetze.103 Zahlreiche Rechtsinstitute sind zudem erkennbar eng an die entsprechenden staatlichen Regelungen angelehnt. So zeigen das Pfarrerdienstgesetz und das Kirchenbeamtengesetz der EKD sehr viel deutlichere Parallelen zum staatlichen Beamtenrecht, als dies bei dem im Codex Iuris Canonici geregelten Inkardinationsverhältnis der Fall ist. Für den im staatlichen Recht ausgebildeten Juristen hat das evangelische Kirchenrecht damit den Vorteil, leichter zugänglich und insgesamt vertrauter zu sein als das kanonische Recht. Ganz bewusst wird durch den Einsatz staatlicher Richter und Juristen auch im Bereich der Kirchengerichte eine Professionalisierung der evangelischen Kirchengerichtsbarkeit angestrebt.104 Dies ändert freilich 97
So namentlich Martin Heckel, in: HdbStKirchR I, 21994, § 5 S. 171. Honecker, EssG 25 (1991), S. 49 (74). 99 Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 221. 100 Germann, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 171. 101 Die ev. Regelungen zur Trauung beschränken sich auf die Regelung der Voraussetzungen und den Ablauf der kirchlichen Feier. Ein vom staatlichen Recht losgelöster Familienstand wird hierdurch jedoch nicht geschaffen. Vielmehr wird die nach staatlichem Recht geschlossene Ehe unter Gottes Segen gestellt, weshalb nach ev. Verständnis ein Traugottesdienst ohne vorherige standesamtliche Eheschließung ausgeschlossen ist. Vgl. dazu de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 33 Rn. 12; Heinig, FamRZ 2010, S. 81 (83). 102 Anke, in: HdbEvKR, § 4 Rn. 34. 103 Zu den ev. Verwaltungsgerichtsordnungen Kästner, ZevKR 49 (2004), S. 171 f.; ders., FS Rüfner (2003), S. 423. 104 Kästner, FS Rüfner (2003), S. 423 (434). 98
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
nichts an der religiösen Prägung des evangelischen Kirchenrechts. Die Bekenntnisbindung ist wesentlich für das evangelische Kirchenrecht.105 Sogar die Existenz eines ius divinum wird deshalb inzwischen im evangelischen Bereich erwogen.106 In organisatorischer Hinsicht ist noch bedeutsam, dass die einzelnen Landeskirchen zunächst einmal unabhängig und eigenständig voneinander sind und sogar bekenntnismäßige Unterschiede zwischen lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen bestehen. Die Kompetenzen der EKD sind demgegenüber beschränkt; sie auszuüben hängt vielfach von der Mitwirkung der Gliedkirchen ab.107 Gleichwohl ist in den letzten Jahren in vielen Bereichen eine deutschlandweite Vereinheitlichung des evangelischen Kirchenrechts gelungen. Namentlich gilt das für das mit dem Pfarrerdienstgesetz der EKD von 2010 deutschlandweit vereinheitlichte Dienstrecht der Geistlichen.
IV. Dienstrecht der evangelischen Kirche Wie die katholische Kirche hat auch die evangelische Kirche ein originär kirchenrechtlich geregeltes Dienstrecht für Geistliche entwickelt, während nicht-geistliche Beschäftigte überwiegend auf arbeitsvertraglicher Grundlage beschäftigt werden. 1. Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse Die evangelische Kirche bezeichnet ihre originär kirchenrechtlich geregelten Dienstverhältnisse in Anlehnung an die staatliche Terminologie auch als „öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse“.108 105
Jurina, Rechtsstatus der Kirchen im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 89. Grundmann, JuS 1966, S. 466 (468); ders., ZevKR 8 (1961/62), S. 326 (331 f.); Link, ZevKR 45 (2000), S. 73 (80); Obermayer, FS Liermann (1964), S. 144 (149 f.); Ralf Dreier, Das kirchliche Amt, S. 94 ff. mit ausführlicher Definition Ralf Dreier, ZevKR 32 (1987), S. 289 (303 ff.), der allerdings eine Transformation verlangt, damit göttliches Recht „rechtlich geltendes Recht“ wird (S. 307); ebenso Heun, ZevKR 49 (2004), S. 443 (456); krit. de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 57 ff.; ablehnend Anke, in: HdbEvKR, § 4 Rn. 18; Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 17; vgl. auch Wilhelm Maurer, Kerygma und Dogma 6 (1960), S. 194 (204 ff.); Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 231 f. Zum Verhältnis von Kirchengesetzen einerseits und Schrift und Bekenntnis andererseits bei der Rechtsanwendung durch kirchl. Gerichte Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 40 ff.; Kästner, ZevKR 49 (2004), S. 171 (179 ff.); ders., FS Rüfner (2003), S. 423 (428 ff.); Häberle, JZ 1966, S. 384 (385). In jedem Fall unterscheidet sich das ev. Konzept eines ius divinum deutlich vom kath. Verständnis, so zutreffend Link, a. a. O., S. 84. Über die Bekenntnisbindung der Kirchengerichte darf nicht mittelbar ein evangelisches Lehramt etabliert werden, so zutreffend Kästner, FS Rüfner (2003), S. 423 (431). 107 Dazu Tröger, FS Link (2003), S. 159 (161 ff.). 108 Vgl. § 1 Abs. 3 Loyalitätsrichtlinie.EKD, wonach diese nicht für die öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse gelte; § 2 Abs. 1 S. 1 PfDG.EKD, wonach das Pfarrerdienstverhältnis ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis sei; ebenso § 1 Abs. 2 KBG.EKD für das Kirchenbeamtenverhältnis. 106
B. Das evangelische Kirchenrecht
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Das Dienstrecht der evangelischen Geistlichen bestimmt sich nach dem Pfarrerdienstgesetz der EKD (PfDG.EKD). Mit diesem Gesetz aus dem Jahr 2010 wurden die bisherigen entsprechenden Kirchengesetze der einzelnen Gliedkirchen abgelöst.109 Dadurch soll eine Gleichberechtigung aller in Deutschland tätigen Pfarrer gewährleistet werden.110 a) Rechtsnatur des Pfarrerdienstverhältnisses Nach der evangelischen Lehre vom Priestertum aller Gläubigen hat jeder Christ teil am kirchlichen Auftrag, das Wort zu verkündigen. Nach dem Grundsatz nisi rite vocatus (Art. 14 CA) ist die öffentliche Wahrnehmung dieser Aufgabe, also die Predigt in der Kirche und die Sakramentenverwaltung, allerdings denjenigen vorbehalten, die dazu ordnungsgemäß berufen wurden.111 Diese Berufung erfolgt gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 PfDG.EKD durch die Ordination.112 Nach dem evangelischen Kirchenrecht ist das kirchliche Predigtamt vom Dienstverhältnis des Pfarrers zu unterscheiden.113 Die Ordination verleiht damit zwar das Recht – und die Pflicht – zur Wortverkündigung und Sakramentenverwaltung, begründet jedoch noch kein Dienstverhältnis; vielmehr gibt es auch Ordinierte, die ihr Predigtamt außerhalb des Dienstverhältnisses als Pfarrer ehrenamtlich wahrnehmen.114 Das Dienstverhältnis der Pfarrer wird als Pfarrerdienstverhältnis bezeichnet. Es wird von § 2 Abs. 1 PfDG.EKD als öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis zum jeweiligen kirchlichen Dienstherrn legal definiert. In der Regel besteht das Pfarrerdienstverhältnis auf Lebenszeit (§ 2 Abs. 2 S. 1 PfDG.EKD). Das Pfarrerdienstverhältnis teilt demnach die wichtigsten Merkmale des staatlichen Beamtenverhältnisses.115 b) Rechte und Pflichten aus dem Pfarrerdienstverhältnis Zu den wesentlichen Pflichten der Pfarrer gehört die Wahrnehmung der Rechte aus der Ordination (§§ 24 f. PfDG.EKD). Insbesondere sind die Pfarrer verpflichtet, durch ihr dienstliches wie außerdienstliches Verhalten deutlich zu machen, dass sie dem ihnen anvertrauten Amt verpflichtet sind (§ 24 Abs. 3 PfDG.EKD); ihr Amt müssen sie „mit vollem persönlichen Einsatz“ ausüben (§ 24 Abs. 4 PfDG.EKD). 109 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf des PfDG.EKD auf Drucks. VII/1 der 3. Tagung der 11. Synode der EKD, 7.–10.11.2010 in Hannover, S. 1 f. 110 Tröger, FS Link (2003), S. 159 (169). 111 de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 61. 112 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 28 Rn. 5. 113 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 30 Rn. 5; 8 f. 114 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 30 Rn. 5. 115 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 30 Rn. 5, 11; de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 1.
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
Zu den wesentlichen Rechten der Pfarrer gegenüber ihrem Dienstherrn gehören das Recht auf Fürsorge (§ 47 PfDG.EKD) sowie das Recht auf Unterhalt durch Gewährung von Besoldung (§ 49 Abs. 1 PfDG.EKD). Nach kirchenrechtlichem Selbstverständnis handelt es sich dabei ebenso wie im Beamtenrecht um eine Unterhaltsleistung (Alimentationsgrundsatz).116 Im evangelischen Schrifttum wird betont, dass die „öffentlich-rechtliche“ Ausgestaltung des Dienstverhältnisses „eine besonders funktionsgerechte Form für die Wahrnehmung des Pfarramtes“117 sei. Theologisch zwingend kann diese Ausgestaltung aber nicht sein, denn seit jeher werden einzelne Pfarrer aus verschiedenen Gründen im Angestelltenverhältnis118 beschäftigt. c) Innerkirchlicher Rechtsschutz Gemäß § 105 Abs. 1 PfDG.EKD ist für Rechtsstreitigkeiten aus dem Pfarrerdienstverhältnis der Rechtsweg zu den kirchlichen Verwaltungsgerichten119 eröffnet. Gemäß § 105 Abs. 3 PfDG.EKD hat dieser Rechtsschutz zwar keine aufschiebende Wirkung, jedoch ist eine Besetzung der Pfarrstelle mit einem anderen Pfarrer unzulässig, solange die Maßnahme noch nicht bestandskräftig geworden ist (§ 105 Abs. 3 S. 2 PfDG.EKD). Damit wird verhindert, dass „vollendete Tat sachen“ geschaffen werden, weshalb der innerkirchliche Rechtsschutz grundsätzlich effektiv ist. Die einschlägigen Vorschriften des kirchlichen Prozessrechts sind dem staatlichen Recht nachempfunden und genügen rechtsstaatlichen Standards.120 Die hohe Professionalität der evangelischen Kirchengerichtsbarkeit wird auch dadurch sichergestellt, dass die Kirchenrichter überwiegend die Befähigung zum Richteramt nach staatlichem Recht haben und hauptberuflich als staatliche Richter tätig sind.121 2. Arbeitsvertragliche Dienstverhältnisse Soweit es um Arbeitsverträge nach staatlichem Recht geht, stellt die evangelische Kirche ebenfalls besondere Loyalitätsanforderungen an ihre Mitarbeiter. Eine einheitliche Regelung gibt es allerdings nicht.122 Die EKD hat lediglich eine Loyalitäts 116
de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 71. de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 24. 118 Hierzu etwa Wölbing, ZevKR 28 (1983), S. 62 ff., der allerdings ebenfalls im Grundsatz für die „öffentlich-rechtliche“ Ausgestaltung eintritt (S. 64 f.). 119 Überblick zur evangelischen Kirchengerichtsbarkeit bei Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 173 ff. 120 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 41 Rn. 10. 121 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 41 Rn. 9. 122 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 4 Rn. 50. 117
C. Jüdisches Recht
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richtlinie erlassen; die Umsetzung obliegt den Landeskirchen. Die Anforderungen sind dabei weniger detailliert geregelt. Die in der katholischen Praxis so problematischen Anforderungen an die private Lebensführung spielen in der evangelischen Kirche praktisch keine Rolle, da nach evangelischem Bekenntnis die gewissenhafte Verantwortung des Einzelnen vor Gott an die Stelle lehramtlicher Vorgaben für die eigene Lebensführung tritt. Die Eigenständigkeit der Landeskirchen schlägt sich auch in einer unterschiedlichen Handhabung des kollektiven Arbeitsrechts nieder. Zwar ist auch im evangelischen Bereich der so genannte „Dritte Weg“, also die Festlegung der Arbeitsbedingungen durch paritätisch besetzte Kommissionen vorherrschend; daneben gibt es Landeskirchen, die sich für den so genannten „Zweiten Weg“ entschieden, also Tarifverträge mit Gewerkschaften abgeschlossen haben.123
C. Jüdisches Recht Neben den christlichen Amtskirchen gehören die Jüdischen Gemeinden zu den sogenannten „altkorporierten“ Religionsgesellschaften.124 Das Judentum als Gesetzesreligion verfügt über die älteste noch heute bedeutsame religiöse Rechtstradition.
I. Grundzüge des jüdischen Rechts Charakteristisch für das jüdische Recht ist, dass es nicht als menschliche Schöpfung, sondern als göttliche Einrichtung aufgefasst wird.125 Die Eigenschaft Gottes als Gesetzgeber seines Volkes bildet das Wesen der hebräischen Theokratie.126 Das biblische – alttestamentarische – Recht erhebt nach jüdischem Verständnis den Anspruch auf Unabänderbarkeit und Vollständigkeit.127 Es beansprucht unbedingte Geltung.128 Der Regelungsumfang des mosaischen Rechts umfasst das gesamte Zivil-, Straf-, Prozess- und öffentliche Recht und wird in den Interpretationen durch den Talmud weiter ausdifferenziert.129 Der Regelungsumfang des jüdischen Rechts entspricht demnach dem staatlichen Recht, ohne als solches wirksam werden zu können. Seit der Gründung des Staates Israels hat sich hieran die Frage aktualisiert, ob die Juden außerhalb Israels – namentlich in Deutschland – „nur“ eine Religionsgemeinschaft sind oder ob es sich 123
Dazu Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 13 Rn. 10 ff. Jedenfalls gilt das für einzelne israelitische Kultusgemeinden, vgl. dazu näher Penßel, ZRG Kan. Abt. 99 (2013), S. 309 ff.; ausführlich zur Rechtslage vor 1919 in den einzelnen dt. Territorien auch Demel, Gebrochene Normalität, S. 96 ff. 125 Cohn, Wörterbuch des Jüdischen Rechts, S. 9; Homolka, HFR 2009, S. 251. 126 Saalschütz, Das Mosaische Recht, S. 17. 127 Lehner, Jura 1999, S. 26 (27). 128 Hötte, Religiöse Schiedsgerichtsbarkeit, S. 14. 129 Instruktiver Überblick bei Lehner, Jura 1999, S. 26 (27 ff.); ausführlich Saalschütz, Das mosaische Recht, passim. 124
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
um eine nationale Minderheit handelt.130 Das jüdische Leben in der Diaspora – über Jahrhunderte alternativlos – wirft auch die Frage auf, in welchem Verhältnis sich das jüdische Recht zum staatlichen Recht am Wohnsitz der betroffenen Juden verhält. Schon aus vorchristlicher Zeit stammt die jüdische Lehre, nach der Juden in zivilen Angelegenheiten der Rechtsprechung des Landes, in dem sie leben, folgen sollen, soweit dies nicht im Widerspruch zum religiös-sittlichen Gesetz des Judentums steht, während in rituellen Fragen stets das jüdische Recht gilt (vgl. dazu die Bibelworte aus der Zeit der babylonischen Gefangenschaft Jer 29,4–7; Neh 9,37).131 Gleichwohl bemühte sich die jüdische Diaspora, die Anrufung staatlicher Gerichte zu vermeiden. Rabbinatsgerichte konnten so die Tradition des jüdischen Rechts auch in der Zeit wahren, als das Volk Israel seine politische Unabhängigkeit verloren hatte.132
II. Jüdisches Recht als Organisationsrecht der jüdischen Gemeinden Nahezu unerforscht und wenig dokumentiert ist das Organisationsrecht der Jüdischen Gemeinden in Deutschland. Rechtsprechung und Literatur haben sich hier hauptsächlich mit der Frage beschäftigt, ob der Grundsatz der Matrilinearität allein die Mitgliedschaft in einer Jüdischen Gemeinde begründen kann.133 Darüber hinaus sind verschiedentlich Konflikte bekannt geworden, bei denen „alteingesessene“ Juden mit zugewanderten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion über den jeweiligen Einfluss in ihrer Gemeinde stritten; einige dieser Konflikte wurden auch vor staatlichen Gerichten ausgetragen.134 Wissenschaftlich bisher kaum durchdrungen ist das Dienstrecht der Rabbiner. So dokumentiert ein Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg (Breisgau), dass die rechtliche Qualifikation eines Dienstvertrags zwischen einem Rabbiner und seiner Gemeinde Schwierigkeiten bereiten kann.135 Auf Anfrage äußerten sich gegenüber dem Autor der Zentralrat der Juden in Deutschland136, die Jüdische Gemeinde Düsseldorf137, die Jüdische Gemeinde Frankfurt a. M.138 und die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern139. 130
Dazu Demel, Gebrochene Normalität, S. 225 ff. Homolka, HFR 2009, S. 251 (274). 132 Hötte, Religiöse Schiedsgerichtsbarkeit, S. 18 f. 133 Dazu unten noch Kapitel 6, B. II. 2. b). 134 Vgl. OVG Magdeburg, NJW 1998, S. 3070; VG Augsburg, Beschl. v. 12.07.2002, Az.: Au 9 E 02.793 – juris. 135 ArbG Freiburg (Breisgau), KirchE 57, 19. In dem Fall war ein Dienstvertrag geschlossen, zugleich aber eine Ernennung zum Rabbiner vorgenommen worden. Das Gericht ging zutreffend davon aus, dass die Kultusgemeinde ihre Dienstherrnfähigkeit wahrgenommen habe (S. 198). 136 Auskunft per Email v. 17.7.2017. 137 Telefonische Auskunft v. 18.7.2017. 138 Auskunft per Email v. 16.8.2017. 139 Auskunft per Email v. 29.8.2017. 131
D. Islamisches Recht
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Weitere Anfragen, insbesondere an die beiden in Deutschland tätigen Rabbiner konferenzen – Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland und Allgemeine Rabbinerkonferenz –, blieben unbeantwortet. Nach den vorliegenden Rückmeldungen lässt sich daher nur ein ganz grober erster Überblick zeichnen. Demnach gibt es kein einheitliches Dienstrecht der Rabbiner in Deutschland. Wie die Gemeinden das Rechtsverhältnis zu ihrem jeweiligen Rabbiner ausgestalten, entscheiden sie selbständig. Alle Gemeinden, die sich gegenüber dem Autor äußerten, schlossen dazu Verträge ab und betonten, dass staatliches Arbeits- und Sozialrecht gelte. Zugleich gaben die Gemeinden allerdings an, dass Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis vor einem gemeindeeigenen bzw. vor dem Schiedsgericht des Zentralrats der Juden verhandelt würden. Obwohl es dazu keine offizielle Festlegung gibt, deuten diese Schiedsbestimmungen darauf hin, dass die Jüdischen Gemeinden in begrenztem Umfang sehr wohl von der Dienstherrnfähigkeit Gebrauch machen. Andernfalls wären diese Schiedsvereinbarungen nämlich mangels Schiedsfähigkeit des Rechtsverhältnisses regelmäßig unwirksam (Gegenschluss aus § 101 ArbGG). Wie sich im Verlauf dieser Untersuchung heraustellen wird, ermöglicht die religionsverfassungsrechtliche Dienstherrnfähigkeit diesbezüglich aber eine Korrektur.140 Damit deutet sich bereits die Möglichkeit an, dass die Dienstherrnfähigkeit auch für solche Religionsgesellschaften fruchtbar gemacht werden kann, die ihre Dienstverhältnisse nicht wie die christlichen Kirchen gesetzlich, sondern vertraglich regeln. Ähnlich hatte das Arbeitsgericht Freiburg (Breisgau) in dem schon erwähnten Urteil entschieden. Das Gericht nahm eine Inanspruchnahme der Dienstherrnfähigkeit an, obwohl zwischen den Beteiligten ein „Dienstvertrag“ geschlossen worden war.
D. Islamisches Recht Zuwanderungsbewegungen aus islamisch geprägten Ländern haben den Islam inzwischen nach der katholischen und der evangelischen Kirche zur drittgrößten religiösen Gruppe in Deutschland werden lassen. Die überwiegende Zahl der Muslime in Deutschland sind Sunniten, mit einigem Abstand folgen dicht hintereinander Schiiten und Aleviten.141
140
Dazu im Einzelnen Kapitel 9, B. II., insbesondere zur Schiedsfähigkeit B. II. 2. d). Vgl. die Daten der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, http://fowid.de/ fileadmin/datenarchiv/Religionszugehoerigkeit/Religionszugehoerigkeit_Bevoelkerung_ Deutschland_2014.pdf ; http://fowid.de/fileadmin/datenarchiv/Muslime_in_Deutsch land__2005.pdf . 141
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
I. Grundsätze des islamischen Rechts Wie das Judentum versteht sich auch der Islam als Gesetzesreligion, weshalb religiöse Dogmatik in Form von Rechtsauslegung und Rechtsanwendung betrieben wird.142 Die Wissenschaft von der Scharia gilt dementsprechend als wichtigste islamische Wissenschaft.143 Unter Scharia ist nach islamischem Verständnis die gesamte auf Gott beruhende Rechtsordnung als konstituierendes Element der islamischen Gemeinschaft zu verstehen.144 Geschichtlich erklärt sich die zentrale Stellung des islamischen Rechts für den Islam als Religion darin, dass Mohammed im 7. Jahrhundert n. Chr. in der Gegend von Mekka und Medina als Schlichter für private Streitigkeiten tätig war.145 Koran und Sunna sind nach islamischem Verständnis normative Festsetzungen Gottes, des einzigen Souveräns.146 Muslime betonen gerade gegenüber dem Judentum und dem Christentum die vermeintlich besondere Wahrheit und Autorität des Korans, die mit seiner Authentizität als unmittelbar niedergeschriebene, wörtliche göttliche Offenbarung begründet wird.147 Ihr Wesen als göttliche Offenbarung impliziert, dass die Scharia unveränderlich und einer weltlichen Gesetzgebung unzugänglich ist.148 Vereinzelte Bestrebungen islamischer Rechtsgelehrter, die Scharia als rein religiöses Pflichtensystem zu deuten und damit vom staatlichen Recht abzulösen,149 haben kaum Resonanz gefunden. Aus den genannten Gründen hält vielmehr die im Islam überwiegende Auffassung einen säkularen Rechtsstaat für unvereinbar mit dem islamischen Religions- und Rechtsverständnis.150 Denn das islamische Recht umfasst das gesamte Leben der Muslime und regelt sowohl die Rechtsbeziehungen zwischen den Menschen als auch ihre Beziehung zu Gott.151
142
Bock, JZ 2012, S. 60 (61, 63); vgl. allgemein zum islamischen Recht bereits Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, S. 13 (15 ff.). 143 Scholz, Jura 2001, S. 525 (526). 144 Scholz, Jura 2001, S. 525; Busch, NJ 2011, S. 102 (104); vgl. aber zur Wortbedeutung über das „islamische Recht“ hinaus Rohe, Islamisches Recht, S. 9. 145 Adolphsen / Schmalenberg, SchiedsVZ 2007, S. 57 (58); Yassari, ZVglRWiss 103 (2004), S. 103 (105). 146 Bock, JZ 2012, S. 60 (63). 147 Busch, NJ 2011, S. 102 (105 f.); Bock, JZ 2012, S. 60 (61). In Kontrast zu diesem islamischen Selbstbild steht allerdings die tatsächlich oft dürftige Quellenlage besonders für die Frühzeit, so Rohe, Islamisches Recht, S. 43 f. Zur Entwicklung des Korantexts auch Zacharias, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaates, S. 44 (117 ff.). 148 Scholz, Jura 2001, S. 525; Bock, JZ 2012, S. 60 (61 f.). 149 Dazu Rohe, Islamisches Recht, S. 11 m. w. N. 150 Bock, JZ 2012, S. 60 (61); v. Campenhausen, ZevKR 37 (1992), S. 405 (407). Vgl. zu den Unterschieden von säkularem Recht und religiösem Recht im islamischen Sinne Yassari, ZVglRWiss 103 (2004), S. 103 (106). Zu den Möglichkeiten eines säkularen Islams aus islamwissenschaftlicher Sicht Johansen, EssG 20 (1986), S. 12 ff. 151 Scholz, Jura 2001, S. 525 (527); Uslacan, ZAR 2006, S. 237 (238). Die Unterscheidung dieser beiden Rechtspflichten, nämlich Rechten Gottes gegen den Menschen einerseits (huquq allah) und der Pflichten der Menschen untereinander (huquq an-nas), ist für das islamische
D. Islamisches Recht
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Demnach gibt es auch keinen Unterschied von Geistlichem und Weltlichem.152 Ein wichtiger Unterschied zum kanonischen Recht liegt darin, dass nach muslimischer Überzeugung das islamische Recht – unabhängig von seiner Verortung im Koran selbst oder in anderen Rechtsquellen153 wie der Sunna – niemals nur ius humanum, sondern ausschließlich göttlich geoffenbartes Recht (ius divinum) ist.154 Die umfassenden islamischen Rechtsregeln dokumentieren, dass Mohammed mit der Verkündung des Islams einen Staat errichtete und als dessen Grundlage die religiös motivierten Rechtsregeln überlieferte.155 Bereits dem Koran wird unmittelbare Gesetzeskraft beigemessen, die keines Transformationsakts in ein säkulares Recht bedürfe.156 Noch heute wird die tatsächliche Geltung der Scharia als wichtigste Voraussetzung für das Vorliegen eines islamischen Staats angesehen.157 Diese Verknüpfung von Staat und Recht erschweren die Akzeptanz von Religionsfreiheit im Islam.158 Demgegenüber ist die Praxis der überwiegend muslimisch bevölkerten Staaten sehr unterschiedlich. Mehrere Staaten im arabischen Raum bezeichnen sich selbst als „islamische Staaten“, ohne dass das islamische Recht die Rechtspraxis dieser Länder tatsächlich umfassend bestimmt.159 Vielfach ist die Geltung der Scharia auf ihre heutigen Kernbereiche im Familien- und Erbrechts zurückgedrängt.160 Da zahlreiche Institute des Familienrechts der Scharia der deutschen Rechtsordnung fremd sind – etwa die Vielehe oder die bevorzugte Stellung des Mannes beispielsweise bei der Scheidung –, beschäftigt sich die Literatur seit längerem mit den Grenzen, die den deutschen Familiengerichten bei der Anwendung der Scharia gezogen sind.161 Ausdruck der innerislamischen Sorge um die Beachtung des islamischen Rechts ist die Auseinandersetzung mit der Frage, ob Muslime sich in nicht-muslimischen Herrschaftsgebieten überhaupt aufhalten dürfen und wenn ja, wie sich dies auf Recht strukturbildend, jedoch nicht ohne weiteres mit der uns geläufigen Unterscheidung von öffentlichem Recht und Privatrecht gleichzusetzen, vgl. Scholz, a. a. O., S. 529. 152 Matyssek, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaates, S. 166. 153 Die islamische Rechtslehre kennt verschiedene Rechtsquellen, als deren wichtigste der Koran und die Sunna, also die Praxis Mohammeds, hervorzuheben sind. Weitere Rechtsquellen sind teils strittig. Zur islamischen Rechtsquellenlehre ausführlich Rohe, Islamisches Recht, S. 43 ff.; Zacharias, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaats, S. 116 ff. 154 Zacharias, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaates, S. 120; Yassari, ZfRV 1999, S. 103. 155 Adolphsen / Schmalenberg, SchiedsVZ 2007, S. 57 (58); Zacharias, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaates, S. 121. 156 Zacharias, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaates, S. 120. 157 Matyssek, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaates, S. 160. 158 Vgl. v. Campenhausen, ZevKR 37 (1992), S. 405 (407). 159 Matyssek, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaats, S. 161. 160 Uslacan, ZAR 2006, S. 237 (241). 161 Vgl. hierzu etwa Jones, DRiZ 1996, S. 322 ff.; Scholz, StAZ 2002, S. 321 ff.; Yassari, RdJB 2006, S. 197 ff.; Andrae, NJW 2007, S. 1730 ff.; Rohe, Islamisches Recht, S. 351 ff.; Looschelders, RabelsZ 65 (2001), S. 463 (465).
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
ihre Pflichten nach islamischem Recht auswirkt.162 Die Geltung des islamischen Rechts hängt nämlich nicht vom Staatsgebiet ab, sondern knüpft an die Religionszugehörigkeit der Person an.163 Ob die Scharia außerhalb des muslimischen Herrschaftsgebiets im Hinblick auf die Souveränität des Gaststaats nur begrenzt gilt, wird von den islamischen Rechtsschulen unterschiedlich beantwortet.164 Um dem verbreiteten Wunsch vieler Muslime nach Anwendung des islamischen Rechts Rechnung zu tragen, wird de lege lata diskutiert, ob die Rechtsgeltung des islamischen Rechts zwischen Muslimen – auch außerhalb internationalprivatrechtlicher Sachverhalte – durch die Unterwerfung unter private Schiedsgerichte i. S. d. §§ 1025 ff. ZPO ermöglicht werden kann.165 Informelle oder außergerichtliche Anwendung islamischen Rechts ist ein ebenfalls festzustellendes Phänomen.166 De lege ferenda wird diskutiert, ob Scharia-Gerichte als alternative Form der Streitbeilegung explizit eingeführt werden sollen.167 Einige europäische Staaten haben sogar islam-rechtliche Normen in ihre materielle Rechtsordnung inkorporiert.168
II. Organisation der Moscheegemeinden und Dienstrecht der Imame Moscheegemeinden sind in Deutschland anders als die Kirchen und die jüdischen Gemeinden regelmäßig als Privatvereine organisiert. Zwar wurden schon in den 1980er-Jahren Anträge auf die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 137 Abs. 5 WRV gestellt. Diese Anträge blieben aber erfolglos. Erst seit 2013 gibt es mit der Ahmadiyya eine Ausnahme, nachdem das Land Hessen dem hessischen Verband den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt hat.169 Die Ahmadiyya-Anhänger werden indes von den meisten Muslimen nicht als Muslime anerkannt. Im Schrifttum wird gegen eine Anerkennung muslimischer Glaubensgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts vorgebracht, sie böten keine hinreichende Gewähr dafür, auf Dauer Bestand zu haben.170 In diesem Zusammenhang 162 Dazu Rohe, Islamisches Recht, S. 158 ff.; Matyssek, in: Muckel, Der Islam im öffentlichen Recht des Verfassungsstaats, S. 181 ff.; Johansen, EssG 20 (1986), S. 12 (19 f.). 163 Scholz, Jura 2001, S. 525 (528). 164 Rohe, Islamisches Recht, S. 160 f. m. w. N. und zu den unter Muslimen in Deutschland anzutreffenden Ansichten S. 383 ff. 165 Differenzierend Adolphsen / Schmalenberg, SchiedsVZ 2007, S. 57 (61 ff.). 166 Rohe, Islamisches Recht, S. 380 ff. 167 Ablehnend Brocker, ZfP 59 (2012), S. 314 ff. mit einer instruktiven tabellarischen Übersicht über den Rechtszustand in verschiedenen Ländern des „westlichen“ Rechtskreises auf S. 319. 168 Rohe, Islamisches Recht, S. 375 f. 169 Zur Erfolglosigkeit bisheriger Anträge Hillgruber, KuR 2011, S. 225 (230) sowie zum aktuellen Stand Spielhaus / Herzog, KuR 2016, S. 14 (20). 170 Apodiktisch Waldhoff, 68. DJT 2010, S. D81, der meint, es stehe „weitgehend außer Streit, dass der organisierte Islam in der Bundesrepublik auch auf absehbare Zeit die Voraussetzungen des Körperschaftsstatus nach Art. 137 Abs. 5 WRV nicht erfüllen wird“.
D. Islamisches Recht
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wird etwa verlangt, dass die Religionsgesellschaft dreißig Jahre bestehen müsse.171 Da sich mittlerweile in Deutschland ein muslimischer Bevölkerungsanteil fest etabliert hat, sind diese Bedenken von der Realität überholt. Bei Moscheegemeinden, die repräsentative Moscheebauten unterhalten und umfassende Seelsorge betreiben, gibt es regelmäßig keinen begründeten Zweifel daran, dass sie in absehbarer Zeit bestehen bleiben.172 Weiter wird gegen eine Zuerkennung des Körperschaftsstatus vorgebracht, den Moscheegemeinden fehle es an körperschaftlicher Verfasstheit.173 In diesem Zusammenhang wird zum einen geltend gemacht, dass die Dachverbände nur einen Teil der Muslime repräsentierten, zum anderen, dass es an Organen fehle, die gegenüber dem Staat verbindlich Auskunft über die religiöse Lehre geben könnten. Diese Einwände können ebenfalls nicht überzeugen. Die körperschaftliche Verfasstheit ergibt sich im Regelfall bereits daraus, dass die Moscheegemeinde eingetragener Privatverein und insofern Privatkörperschaft ist.174 Genauso, wie es kirchenlose „Christen“ gibt, ist es für ihren Rechtsstatus unschädlich, wenn eine Moscheegemeinde nicht sämtliche Muslime ihres Einzugsbereichs zu ihren Mitgliedern zählt. Ebensowenig verlangt das Religionsverfassungsrecht verbindliche Lehramtsorgane. Solche sind in den evangelischen Kirchen ebenfalls nicht vorhanden. Die institutionellen Entfaltungsmöglichkeiten des deutschen Staatskirchenrechts verlangen im Übrigen keine kirchenähnliche Organisation.175 Etablierte Moscheegemeinden, die sich rechtstreu verhalten,176 haben daher einen Anspruch auf Verleihung des Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 137 Abs. 5 WRV.177 Die bei weitem größte Dachorganisation von Moscheegemeinden in Deutschland ist die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religionen (DİTİB), die organisatorisch eng mit der staatlichen türkischen Religionsbehörde verbunden ist.178 Türkische Wurzeln haben auch der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ)179 sowie der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD), dem 171
Kästner, in: BK, Art. 140 (145. EL 2010) Rn. 390; Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 137 WRV (Stand: 42. EL 2003) Rn. 74; zur Konventionswidrigkeit derartiger Fristen in einem österreichischen Fall EGMR, NVwZ 2009, S. 509 (512) – Zeugen Jehovas. 172 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 324; Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (30); bereits vor über dreißig Jahren Loschelder, EssG 20 (1986), S. 149 (164). 173 Waldhoff, 68. DJT 2010, S. D81. 174 Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (32). 175 Martin Heckel, AöR 134 (2009), S. 309 (349). 176 BVerfGE 102, 370 (390). Dabei kommt es nur auf das rechtstreue Verhalten der Religionsgesellschaft an (S. 394). Das von BVerwGE 105, 117 (124 ff.) angenommene Kriterium einer besonderen Staatsloyalität hat das BVerfG damit zutreffend zurückgewiesen. 177 Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (29 ff.). 178 Rohe, Islam in Deutschland, S. 131. 179 Rohe, Islam in Deutschland, S. 135.
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2. Kap.: Existenz des Kirchenrechts als Faktum
als bedeutendste Mitgliedsorganisation die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş angehört.180 Ein breites ethnisches Spektrum von Muslimen vertritt hingegen der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), der allerdings die kleinste Dachorganisation von Muslimen in Deutschland ist.181 Nach einer empirischen Studie von 2012 fühlt sich allerdings nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden Muslime überhaupt von einem der genannten Dachverbände vertreten.182 Die Tätigkeit als Imam steht in der Tradition des Propheten Mohammed, der als erster islamischer Imam gilt.183 Im klassischen islamischen Staatsrecht dient die Bezeichnung auch für den Nachfolger von Mohammed als politisch-religiösem Führer aller Muslime.184 Heute ist „Imam“ zunächst eine Ehrenbezeichnung für besonders religiös gebildete Männer. In Moscheegemeinden meint die Bezeichnung das Amt des Gebetsleiters. Imame werden beim Gemeinschaftsgebet in der Moschee als Vorbeter tätig, halten beim Freitagsgebet und an islamischen Feiertagen regelmäßig eine Predigt und betätigen sich als Koranschullehrer.185 Im Unterschied zu christlich-kirchlichen Kasualien ist die Mitwirkung eines Geistlichen bei muslimischen Eheschließungs- und Bestattungsritualen nicht zwingend erforderlich, aber gleichwohl in der Regel üblich.186 Die meisten Imame widmen sich ganz ihrem Dienst. So gab in einer Untersuchung in Hamburg mehr als die Hälfte der befragten Imame an, „24 Stunden einsatzbereit“ zu sein.187 Die Imame der DİTİB-Gemeinden werden von der türkisch-staatlichen Religionsbehörde entsandt und finanziert.188 Es handelt sich um türkische Staatsbeamte.189 Sie sind weisungsgebunden gegenüber den Anordnungen der türkisch-staatlichen Religionsbehörde sowie der von dieser in die türkischen Auslandsvertretungen entsandten Botschaftsräte und Religionsattachés.190
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Rohe, Islam in Deutschland, S. 137. Rohe, Islam in Deutschland, S. 139. 182 Haug / Müssig / Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland, S. 179. 183 Claudia Thiele, Imame in türkisch-sunnitischen Gemeinden in Deutschland, S. 13. 184 Rohe, Islamisches Recht, S. 141. 185 Zu den Aufgaben der Imame näher Claudia Thiele, Imame in türkisch-sunnitischen Gemeinden in Deutschland, S. 57 ff. 186 Claudia Thiele, Imame in türkisch-sunnitischen Gemeinden in Deutschland, S. 66 f., 68 f. 187 Claudia Thiele, Imame in türkisch-sunnitischen Gemeinden in Deutschland, S. 108. 188 Rohe, Islam in Deutschland, S. 131; Yaşar, DITIB zwischen der Türkei und Deutschland, S. 126 ff. 189 Zu deren Dienstrecht eingehend Uslubaş, Präsidium für Diyanet-Angelegenheiten der Republik Türkei, S. 470 ff. 190 Yaşar, DITIB zwischen der Türkei und Deutschland, S. 129 und eingehend zum System der Botschaftsräte und Religionsattachés S. 40 ff. 181
Drittes Kapitel
Staatlicher Justizgewährungsanspruch für kirchenrechtlich geregelte Sachverhalte Während die kirchliche Dienstherrnfähigkeit hier im Kern materiell-rechtlich behandelt wird, überwog über Jahrzehnte eine Diskussion auf prozessualer Ebene. Ursächlich dafür war, dass die Rechtsprechung trotz aller Kritik über Jahrzehnte an ihrer Auffassung festhielt, wonach Klagen der Geistlichen und Kirchenbeamten vor staatlichen Gerichten a limine unzulässig seien. Inzwischen zeichnet sich hier zwar ein Umdenken ab. Mit der Jahrtausendwende gab zunächst der Bundesgerichtshof seine frühere Rechtsprechung auf. 2014 folgte das Bundesverwaltungsgericht. In einem scheinbar spektakulären Schritt erklärte es Klagen von Geistlichen und Kirchenbeamten vor staatlichen Gerichten im Grundsatz für zulässig. Wie sich aber sogleich zeigen wird, ist die Rechtsprechungswende auf halber Drehung stehengeblieben. Die Auswirkungen für die Betroffenen sind wenig spektakulär; es ist noch nicht einmal klar, ob sich im Ergebnis überhaupt etwas daran ändert, dass entsprechende Klagen vor staatlichen Gerichten praktisch aussichtslos sind.
A. Frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Ausgangspunkt der Auseinandersetzung war die erwähnte und über Jahrzehnte vertiefte Rechtsprechung, wonach Klagen von Geistlichen und Kirchenbeamten in dienstrechtlichen Angelegenheiten vor staatlichen Gerichten a limine unzulässig seien.
I. Inhalt der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Diese Rechtsprechung1 wurde im Frühjahr 1961 zunächst vom Bundesgerichtshof eingeläutet.2 In dem zu entscheidenden Fall ging es um vermögensrechtliche Ansprüche eines kirchlichen Amtsträgers gegen seinen Dienstherrn. Während des 1 Eingehende Darstellung auch bei Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 54 ff. (BGH-Rechtsprechung) und S. 188 ff. (BVerwG-Rechtsprechung). 2 Zuvor lehnten bereits Teile der Literatur die Zuständigkeit der staatlichen Gereichte in Fragen des kirchlichen Dienstrechts ab: Vischer, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Kirchenrecht, S. 21 f.
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
laufenden Prozesses erließ die beklagte Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg eine Zuständigkeitsverordnung, mit welcher der klageweise verfolgte Anspruch der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit zugewiesen wurde. Der Bundesgerichts hof stellte daraufhin den „Wegfall der staatlichen Jurisdiktionsgewalt“3 fest. Im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten stehe den Kirchen das Recht zu, den staatlichen Gerichten die Zuständigkeit dadurch zu entziehen, dass die Entscheidung einem kirchlichen Gericht zugewiesen werde.4 Ähnlich urteilte das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen, die seit Mitte der 1960er-Jahre ergingen. Klagen über den Fortbestand des Gesamtstatus des Klägers als Geistlicher – so genannte Statusklagen – seien von vornherein unzulässig,5 weil die gerichtliche Überprüfung innerkirchlicher Maßnahmen die von der Verfassung anerkannte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen unzulässig schmälere.6 Vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Dienstverhältnis könnten nur dann vor den staatlichen Gerichten verfolgt werden, wenn die Kirche den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht durch eigene Bestimmungen entzogen habe.7 Diese Rechtsprechung führte bald dazu, dass Ansprüche aus kirchlichen Dienstverhältnissen vor staatlichen Gerichten nicht mehr verfolgbar waren. Denn nach katholischem Kirchenrecht kann gegen Verwaltungsakte im Einzelfall eine Verwaltungsbeschwerde gemäß cc. 1732 ff. CIC erhoben werden. Die Beschreitung des staatlichen Gerichtswegs wird dagegen gemäß c. 1401 CIC als illegitim angesehen und ist gemäß c. 1375 CIC sogar eine Kirchenstraftat.8 In der evangelischen Kirche wurden dienstrechtliche Streitigkeiten ebenfalls nach und nach der kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit überantwortet. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht war damit der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten weitgehend versperrt.9 1994 erfolgte ein letzter „Lückenschluss“ durch das Bundesverwaltungsgericht. Nunmehr sollte das staatliche Gericht sogar dann, wenn ihm kirchenrechtlich die Entscheidung über Versorgungsstreitigkeiten zugewiesen war, keine inzidente Entscheidung über den Status eines Geistlichen – so genannte verkappte Statusklage – treffen
3
BGHZ 34, 372 (373). BGHZ 34, 372 (374); 46, 96 (98 f.). 5 BVerwGE 25, 226 (230 f.). 6 BVerwGE 25, 226 (229); 66, 241 (244); 117, 145 (148); BVerwG, NJW 1983, S. 2580. 7 BVerwGE 25, 226 (231 ff.); 28, 345 (347); BVerwG, NJW 1983, S. 2582 (2583). 8 Schöch, FS Listl (2004), S. 395 (407); zum c. 1553 CIC a. F. Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 74. Partikularrechtlich verbot in jüngerer Zeit der Bischof von Regensburg nicht nur den kirchlichen Mitarbeitern, sondern „mit sofortiger Wirkung den katholischen Christen“, bei Streitigkeiten über kirchliche Ämter und Aufgaben „weltliche Gerichte anzugehen“, ABl Diözese Regensburg 2003, S. 154. 9 Aus der Instanzrechtsprechung vgl. nur OVG Bremen, KirchE 26, 98 (99 f.); OVG NRW, KirchE 35, 388 (389); OVG Berlin, KirchE 37, 446 (447 ff.); VGH Baden-Württemberg, KirchE 60, 462 (463 ff.); NVwZ-RR 1994, S. 422; VGH Kassel, NZA 1995, S. 1201 ff. 4
A. Frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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können.10 Da die Mehrzahl der Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche letztlich um die Frage kreist, ob das Dienstverhältnis (fort)besteht, beschränkte sich fortan staatlicher Rechtsschutz nur noch auf einen Minimalbereich: Da über den Status des Geistlichen abschließend die Kirche zu entscheiden hat, konnte es vor dem staatlichen Gericht nur noch über die Auslegung der Besoldungsbzw. Versorgungsvorschriften selbst gehen, auch dies freilich nur dann, wenn die Kirche den Rechtsweg zu staatlichen Gerichten zugelassen hatte. De facto war der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte, wie Alexander Hollerbach treffend zusammenfasste, auf die Zuständigkeit „kraft kirchlicher Zuweisung“11 reduziert. Mehrere Entscheidungen von Vorprüfungsausschüssen des Bundesverfassungsgerichts billigten die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, soweit dieses für Statusklagen den staatlichen Rechtsweg verneinte; im Hinblick auf die vermögensrechtlichen Folgen ließ das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung regelmäßig offen.12 Jedenfalls sei der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht vor Erschöpfung des kirchlichen Gerichtswegs eröffnet.13 Selbst als der Bundesgerichtshof bereits in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung die Eröffnung des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten bejaht hatte, nahm das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen eine weitere verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht zur Entscheidung an.14 Im Jahr 2009 legte sich dann eine Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend fest, dass Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit kirchenrechtlichen Dienstverhältnissen unzulässig seien;15 die Ausgestaltung des kirchlichen Dienst- und Amtsrechts sei „der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen“16. Immerhin widmete das Gericht dann allerdings der verneinten Begründetheit eine ebenso umfangreiche Hilfsbegründung.17
10
BVerwGE 95, 379 (381 f.); dem folgend OVG NRW, KirchE 35, 388 (389); OVG Berlin, KirchE 37, 446 (449). 11 Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (71). 12 BVerfG (Vorprüfungsausschuss), NJW 1980, S. 1041 – Nr. 1 –; NJW 1983, S. 2569 – Nr. 1 –; NJW 1983, S. 2569 – Nr. 2 – (2570); NVwZ 1985, S. 105. 13 BVerfG (K), NJW 1999, S. 349 (350). 14 Nichtannahme der gegen VGH Baden-Württemberg, KirchE 39, 24 gerichteten Verfassungsbeschwerde durch BVerfGE 111, 1 (5 f.) bei Offenlassen der grundsätzlichen Frage, ob die Klage a limine abgewiesen werden durfte – diese Entscheidung erging nach BGHZ 154, 306. A. A. abw. Meinung Richterin am BVerfG Lübbe-Wolff, BVerfGE 111, 7 (8 f.); ablehnend auch Bechler, in: Becker / Lange, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts III, S. 297 (303). 15 BVerfGK 14, 485 (486); krit. dazu Hermann Weber, NJW 2009, S. 1179 (1182); Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 32 f. 16 BVerfGK 14, 485 (488). 17 BVerfGK 14, 485 (488 ff.).
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
II. Kritik der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Nur vereinzelt hat die frühere Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht in der Literatur Zustimmung gefunden.18 Besonders energisch verteidigt wurde sie von dem Jesuitenpater und Gründungsdirektor des Instituts für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands, Joseph Listl. Für ihn folgte die Unzuständigkeit staatlicher Gerichte im Bereich des Dienstrechts der Geistlichen aus der konsequenten Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten19 Bereichslehre.20 Danach ist bei der Anwendung des religionsgesellschaftlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV) zwischen den rein innerkirchlichen und den staatlichen Angelegenheiten zu unterscheiden.21 Die Schranke des für alle geltenden Gesetzes soll nur in solchen Angelegenheiten gelten, die einen Anknüpfungspunkt im staatlichen Recht finden. Für rein innerkirchliche Maßnahmem gelte die Schranke dagegen nicht, weshalb diese auch keiner Überprüfung durch die staatlichen Gerichte zugänglich seien.22 Zu diesem kirchlichen Innenbereich gehöre das kirchliche Amts-, Dienst- und Versorgungsrecht.23 Auf dieser Grundlage hielt Listl die Bindung des kirchlichen Dienstrechts an die Rechtsprechung staatlicher Gerichte nicht nur für einen unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, sondern auch in die korporative Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 GG.24 Während Listl allerdings in seiner Dissertation noch in Anlehnung an eine zwischenzeitliche Andeutung des Bundesverwaltungsgerichts25 eine Bindung der Kirchen an die „Geltung staatsunabhängiger und der Nachprüfung staatlicher Gerichte unterliegender Grundrechte“26 18
Vor allem bei Listl, Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 412 ff.; ders., DÖV 1989, S. 409 ff.; ders., DÖV 1984, S. 587 ff.; Papier, HdbStR VIII, 32010, § 177 Rn. 30; Jurina, Dienst- und Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen, S. 172 ff.; Petermann, DÖV 1991, S. 16 (19); weitgehend zudem bei Evers, FS Ruppel (1968), S. 329 ff., der zwar im Grundsatz den Justizgewährungsanspruch anerkennt, im kirchlichen Amtsrecht den Rechtsschutz durch staatliche Gerichte aber lediglich hinsichtlich der richtigen Anwendung der kirchenrechtlichen Vorschriften, weder aber im Hinblick auf die Überprüfung der Vorschrift an sich, noch im Hinblick auf die Nachprüfung der konstitutiven Maßnahmen des Dienstherrn anerkennt (a. a. O., S. 349). Gegen eine inzidente Prüfung innerkirchlicher Maßnahmen Winands, DÖV 1986, S. 98 (101). 19 Zur Entwicklung der Rechtsprechung Bechler, in: Becker / Lange, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts III, S. 297 (303 ff.). 20 Vgl. Listl, Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 412 ff.; ders., DÖV 1989, S. 409 (414 f.). 21 BVerfGE 18, 385 (387); 42, 312 (333 f.); 66, 1 (20); 72, 278 (289). 22 BVerfGE 18, 385 (387 f.). 23 BVerfGE 42, 312 (334 f.). 24 Listl, Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 415. 25 In BVerwGE 28, 345 (351) hatte sich der 6. Senat des BVerwG der Auffassung zugeneigt erklärt, dass die Kirchen an staatsunabhängige Grundrechte gebunden seien. 26 Listl, Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 421; in diese Richtung auch Hartmut Maurer, ZevKR 38 (1993), S. 397 (405): dass sich „aus der Menschenwürde (…) grundlegende Rechtspositionen ergeben, die jedem Recht, auch dem Kirchenrecht, vorgegeben sind“.
A. Frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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in Betracht zog, kam er darauf hernach nicht mehr zurück.27 Etwas mehr als zehn Jahre später erklärt er die Frage nach der Eröffnung des staatlichen Rechtswegs bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten von Geistlichen rigoros für „endgültig entschieden“28. Zu den namhaften Unterstützern der früheren Rechtsprechung kann auch Hartmut Maurer gerechnet werden. Er führt das Recht der Kirchen, mit der Einrichtung eines kirchlichen Rechtswegs den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten zu versperren, auf § 135 S. 2 BRRG zurück.29 Nach dieser Vorschrift bleibt es den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften „überlassen“, ob sie die Vorschriften des Beamtenrechtsrahmengesetzes über den Rechtsweg für anwendbar erklären. Maurer sieht hieran nicht nur ein staatliches „Angebot“ an die Kirchen, den staatlichen Verwaltungsrechtsweg (vgl. § 126 Abs. 1 BRRG) in Anspruch zu nehmen, sondern entnimmt § 135 S. 2 BRRG im Umkehrschluss, dass jeglicher staatlicher Rechtsweg dort versperrt sei, wo die Kirchen von der ihr gewährten Möglichkeit keinen Gebrauch machen.30 Demgegenüber kritisierte „eine beachtliche und engagierte Phalanx von Vertretern der staatskirchenrechtlichen Literatur“31 die dargelegte Rechtsprechung über die Jahrzehnte ebenso hartnäckig, wie das Bundesverwaltungsgericht an ihr festhielt. Einer der prominentesten Vertreter war mit dem langjährigen Direktor des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland Listls protestantisches Pendant Axel Freiherr v. Campenhausen. Für ihn war die aufgezeigte Rechtsprechung „der befremdliche Rückfall in eine neue geistliche Immunität“32 der Kirchen. Dabei stellte v. Campenhausen die Bereichslehre nicht gänzlich in Frage, betonte aber, dass der Staat auch dort Rechtsschutz leisten dürfe, wo innerkirchliche Maßnahmen in den allgemeinen Rechtsbereich übergreifen, d. h. den bürgerlichen Bereich mittelbar oder unmittelbar berühren.33 Einfachgesetzlich ergebe sich die Eröffnung des staatlichen Verwaltungsgerichtswegs für vermögensrechtliche Streitigkeiten von kirchlichen Amtsträgern aus § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO.34 Dafür, dass kirchliche Dienstverhältnisse in den bürgerlichen Bereich hinein-
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Ohne ausdrückliche Aufgabe seiner früheren Position versieht er diese in einer Zwischenüberschrift eines späteren Aufsatzes mit einem Fragezeichen und belässt es ohne Stellungnahme bei einer Darstellung der hierzu ergangenen Rechtsprechung: Listl, DÖV 1989, S. 409 (417). 28 Listl, DÖV 1984, S. 587 (588); weitere fünf Jahre später ist die Frage vermeintlich sogar „endgültig geklärt und entschieden“, Listl, DÖV 1989, S. 409 (419), Hervorhebung durch Verf. 29 Hartmut Maurer, DVBl 1961, S. 625. 30 Hartmut Maurer, ibid. 31 Listl, DÖV 1984, S. 587. 32 v. Campenhausen, AöR 112 (1987), S. 623 (624); auch Vischer, JZ 1967, S. 597 (598) zieht die Parallele zum früheren kanonischen Recht mit seinem privilegium fori, wonach Geistliche auch in Zivil- und Strafsachen nur vor kirchlichen Sondergerichten verklagt werden konnten. 33 v. Campenhausen, ZevKR 17 (1972), S. 127 (136); ebenso Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (72). 34 v. Campenhausen, ZevKR 17 (1972), S. 127 (134).
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
reichen, soll sprechen, dass die Bediensteten der Kirche nicht ausschließlich als Amtswalter, sondern weiterhin als selbständige Rechtssubjekte gegenüberstehen.35 Noch einen Schritt weiter ging Hermann Weber, der über Jahrzehnte hinweg einerseits zu den profiliertesten Kritikern der Rechtsprechung zum kirchlichen Dienstrecht zählte, andererseits aber die Bereichslehre stets verteidigte. Weber hat eine strikte Trennung von Amts- und Dienstverhältnis vorgeschlagen.36 Während das Amtsverhältnis als innerkirchliche Maßnahme keiner staatlichen Regelung zugänglich sei, stütze sich die Kirche hinsichtlich des Dienstverhältnisses auf eine staatlicherseits verliehene Rechtsetzungsbefugnis.37 In diesem Bereich unterliege sie in vollem Umfang den Bindungen des öffentlichen Rechts38 und insbesondere der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.39 Wegen des in Art. 92 GG verankerten staatlichen Rechtsprechungsmonopols könne diese Rechtsschutzgarantie nur von staatlichen Gerichten verwirklicht werden.40 Die wesentliche Schwachstelle in Webers Argumentation ist die Behauptung, das vom Amtsverhältnis zu trennende Dienstverhältnis beruhe auf staatsabgeleiteter Hoheitsgewalt. Diese später von Weber selbst relativierte41 These einer vollen Bindung an das öffentliche Recht umfasst nämlich neben der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG noch zahlreiche materielle Gewährleistungen. Daher würde 35
Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (275). Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641 (1646); ders., DVBl 1970, S. 250 (253); ebenso Engelhardt, DRiZ 1979, S. 267 (269); Schenke, in: BK (Stand: 141. EL 2009), Art. 19 Abs. 4 Rn. 272; krit. dazu Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 131; Rüfner, HdbStKirchR II, 21994, § 73 S. 1104 f.; Haastert, DÖV 1996, S. 363 (367). 37 Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641 (1645). 38 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 138 f.; später allerdings relativiert Weber diese eigene Feststellung, indem er sich der Lehre vom Typenzwang anschließt. Dazu noch eingehend Kapitel 5, A. 39 Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641 (1644); eingehend ders., Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 143 ff.; schon früh Menger, MDR 1955, S. 512; ebenfalls für eine Anwendung des Art. 19 Abs. 4 GG OVG Koblenz, NJW 2009, S. 1223; OVG NRW, DVBl 2012, S. 1585; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG (Stand: 73. EL 2014), Art. 19 Rn. 115; Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 89 f.; Schenke, FS Faller (1984), S. 133 (138 f.); ders., in: BK (Stand: 141. EL 2009), Art. 19 Abs. 4 Rn. 271; Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (412). Lapidar hatte früher einmal das OLG Hamburg, DVBl 1955, S. 62 die Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 GG für die Rechtswegeröffnung im Zusammenhang mit einer Maßnahme des kirchlichen Amtsrechts bejaht, sich materiellrechtlich aber einer näheren Prüfung unter Hinweis auf die Kirchenfreiheit verweigert (a. a. O., S. 63). 40 Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641 (1646); eingehend ders., DVBl 1970, S. 250 (254 f.); ders., Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 136 f.; auch im Hinblick auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch ders., ZevKR 49 (2004), S. 385 (398 f.). Ebenso ablehnend gegenüber einer Wahrnehmung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs durch kirchliche Gerichte Kästner, ZevKR 48 (2003), S. 301 (309); ders., ZevKR 49 (2004), S. 171 (188 f.); Schenke, FS Faller (1984), S. 133 (136); Rüfner, HdbStKirchR II, 21994, § 73 S. 1113 f. Für die Zulässigkeit einer Delegation der Rechtsschutzwahrnehmung an kirchliche Gerichte Hartmut Maurer, FS Menger (1985), S. 285 (299). 41 Vgl. zur Lehre vom Typenzwang eingehend Kapitel 5, A. 36
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sie im katholischen Bereich zu erheblichen Schwierigkeiten führen, beispielsweise bei der Vereinbarkeit des Zölibats mit den Grundrechten42 oder beim Ausschluss von Frauen vom geistlichen Amt. Diese Fragen lassen sich auch nicht einfach in den justiziell nicht nachprüfbaren Bereich des Amtsrechts abschieben,43 da der Zölibat eine Dienstpflicht der katholischen Geistlichen ist. Diese Schwierigkeiten vermeiden diejenigen Autoren, die zwar nicht von der speziellen Justizgewährungspflicht des Art. 19 Abs. 4 GG,44 dafür aber vom allgemeinen Justizgewährungsanspruch ausgehen,45 wie er üblicherweise aus Art. 92 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird.46 In letzter Konsequenz bedeutet auch dieser Weg indes, wie Karl-Hermann Kästner zutreffend hervorgehoben hat, die Unterwerfung der Kirchen unter die Letztent 42 Die Grundrechtsbindung der Kirchen ausdrücklich bejahend Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 149 ff. 43 So aber Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 150, demzufolge es allein auf die richtige Abgrenzung von kircheninternem Bereich und dem Bereich verliehener Hoheitsgewalt ankommen soll. 44 Krit. zur zwischenzeitlichen Verengung der Diskussion auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 103 ff.; v. Campenhausen, ZevKR 17 (1972), S. 127 (132); ders., AöR 112 (1987), S. 623 (627); Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 137 WRV Rn. 75; Stern, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 119 IV 6 S. 1261; Magen, NVwZ 2002, S. 897; dem schließlich im Wesentlichen folgend Hermann Weber, ZevKR 49 (2004), S. 385 (395). Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 89 f. ist noch der Ansicht, dass eine weite Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich sei, um keine Rechtsschutzlücken entstehen zu lassen, übersieht dabei aber den heute anerkannten allgemeinen Justizgewährungsanspruch. 45 Grundlegend Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 99 ff., 139 ff.; ders., ZevKR 48 (2003), S. 301 (304); Magen, NVwZ 2002, S. 897; Droege, ZevKR 49 (2004), S. 763 (768); Germann, FS Listl (2004), S. 627 (640); v. Campenhausen, ZevKR 17 (1972), S. 127 (130); Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 113; Stern, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 119 IV 6, S. 1261 f.; Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 41; Rüfner, in: HdbStKirchR II, 21994, § 73 S. 1085 mit zurückhaltenden Konsequenzen im Hinblick auf innerkirchliche Vorfragen (S. 1090), speziell zum kirchlichen Dienstrecht vgl. S. 1100 ff.; zumindest ergänzend in Betracht ziehend Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (414); Hermann Weber, NJW 1989, S. 2217 (2219); nunmehr die eigene Argumentationslinie nahezu aufgebend ders., ZevKR 49 (2004), S. 385 (395). 46 BVerfGE 122, 248 (271); Papier, in: HdbStR VIII, 32010, § 176 Rn. 8; Uhle, in: HdbGR V, § 129 Rn. 27; Schenke, in: BK (Stand: 138. EL 2009), Art. 19 Abs. 4 Rn. 58; Sommermann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Rn. 322; Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 137 WRV Rn. 113; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 140 Rn. 31; Droege, ZevKR 49 (2004), S. 763 (768); Goos, ZBR 2004, S. 159; Kästner, ZevKR 48 (2003), S. 301 (304); Voßkuhle / Kaiser, JuS 2014, S. 312 (313); Schroeder, JA 2010, S. 167 (168); auch Hartmut Maurer, FS Bethge (2009), S. 535 (536). Die Einzelheiten sind durchaus umstritten, weil es sich letztlich um einen ungeschriebenen Anspruch handelt (vom Verfassungsgeber als selbstverständlich vorausgesetzt: Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 111). Ausführlich zu den Rechtsgrundlagen Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (328 ff.); Dütz, a. a. O., S. 56 ff. Den Justizgewährungsanspruch noch aus dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) ableitend Baur, AcP 153 (1954), S. 393 (397); für eine Ableitung aus dem jeweils materiell einschlägigen Grundrecht Dorn, Justizgewährungsanspruch und Grundgesetz, S. 116 ff.
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
scheidung des Staates „vermittels seiner unabhängigen und im Rahmen der Verfassung judizierenden Gerichte“47. Diese staatliche Letztentscheidung ist schon zur Wahrung der staatlichen Souveränität unabdingbar.48 Die Verteidigung der staatlichen Souveränität ist dabei kein Selbstzweck und dient nicht der Wiederherstellung einer überholten staatlichen Kirchenhoheit.49 Vielmehr macht erst die Letztentscheidungsbefugnis staatlicher Gerichte den Staat zum Garanten des inneren Rechtsfriedens, sodass die letztverbindliche Gewährung effektiven Rechtsschutzes „eine ganz zentrale Gemeinwohlfunktion des Verfassungsstaats“50 erfüllt. Bei genauem Hinsehen offenbart sich zudem, dass staatliche Justizgewährung von vornherein nur dann in Grundrechte der Kirche eingreift, wenn die Kirche in der Sache unterliegt.51 Verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig ist damit weniger die Justizgewährung an sich als vielmehr die Sachentscheidung.52 Umgekehrt wäre eine Freistellung der Kirchen von der staatlichen Letztentscheidung übrigens nichts anderes als Justizverweigerung mit der inakzeptablen Konsequenz rechtsfreier Räume.53 In systematischer Hinsicht ist bemerkenswert, dass die Arbeitsgerichte stets ohne Weiteres ihre Zuständigkeit in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten annahmen und annehmen.54 Dies führte nach der früheren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu einer merkwürdigen Asymmetrie zwischen dem Rechtsschutz arbeitsvertraglich Beschäftigter einerseits und auf kirchenrechtlicher Grundlage Beschäftigter andererseits.55 Allerdings ging bisher auch das Bundesarbeitsgericht 47
Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 148; krit. zu dieser „Fremdbestimmung“ der Kirchen Hillgruber, FS Rüfner (2003), S. 297 (299). 48 So bereits gegen die damals ganz h. M. Schleicher, Staatliches Rechtsprechungsmonopol und kirchliche Gerichtsbarkeit, S. 3; Grundmann, JZ 1966, S. 81 (86). 49 Kästner, ZevKR 48 (2003), S. 301 (307); differenzierend Goos, ZBR 2004, S. 159 (166), für den auch die gerichtliche Beurteilung kirchlicher Rechtsakte „eine Art von Staatsaufsicht“ ist und der daher den Justizgewährungsanspruch mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht abwägen möchte. Für Hillgruber, FS Rüfner (2003), S. 297 (301) umfasst die Neuordnung des Staat-Kirche-Verhältnisses mit der WRV nicht nur die Abschaffung der Kirchenhoheit, sondern auch die Unzulässigkeit „sonstige[r] staatliche[r] Kontrollmaßnahmen“. 50 Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 149. 51 Germann, FS Listl (2004), S. 627 (643); a. A. Hillgruber, FS Rüfner (2003), S. 297 (301). 52 Vgl. Kästner, in: BK (Stand: 144. EL 2010), Art. 137 Abs. 3 WRV Rn. 291 f. 53 So ausdrücklich – begrüßend – Schöch, FS Listl (2004), S. 395 (414 f.). 54 Ohne Prüfung des Rechtswegs bejahen BAGE 30, 247 (251 ff.); 34, 195 (202 f.); 45, 250 (253 f.); 47, 144 (148); 47, 292 (296 f.); 139, 144 (Rn. 31); 145, 90 (Rn. 22) die Anwendbarkeit des KSchG. In BAGE 74, 325 (332) wird die Rechtswegzuständigkeit knapp bejaht. Für BVerfGE 70, 138 (165) ist die Anwendbarkeit des staatlichen Arbeitsrechts bei der Begründung privatautonomer Arbeitsverhältnisse „schlichte Folge einer Rechtswahl“; ähnlich BAGE 145, 90 (Rn. 25). Aus der Lit. vgl. nur Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 137 WRV (Stand: 42. EL 2003) Rn. 54 – „steht aber außer Zweifel“; krit. indes Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 WRV Rn. 147 f.; Geiger, ZevKR 26 (1981), S. 156 (164). 55 Hermann Weber, NJW 1983, S. 2541 (2551); v. Campenhausen, ZevKR 45 (2000), S. 622 (623); Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (413); Haastert, DÖV 1996, S. 363 (371); zu Unrecht erwägt Grundmann, JZ 1966, S. 81 (85) einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Selbst wenn die Kir-
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davon aus, dass die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten für ein Dienstverhältnis mit der Kirche davon abhänge, ob es sich um einen privatrechtlichen Arbeitsvertrag nach staatlichem Recht oder um ein auf Kirchenrecht beruhendes Dienstverhältnis handele.56 Aus kirchenrechtlicher Sicht ist sogar herausgestellt worden, dass die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für arbeitsrechtliche Streitigkeiten ein wichtiger Grund sei, Pfarrer nicht im Angestelltenverhältnis, sondern im kirchlichen Dienstverhältnis zu beschäftigen.57 Indem sie die Diskussion vom speziellen auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch verlagerten, konnten sich die Befürworter einer gerichtlichen Nachprüfung kirchlicher Maßnahmen zunächst etwas „Luft“ verschaffen. Es kam jetzt nämlich nicht mehr zwingend darauf an, zu begründen, warum die Kirchen „öffentliche Gewalt“ im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG ausüben.58 Vielmehr konnte man sich jetzt darauf zurückziehen, dass jedenfalls die Verletzung staatlich geschützter Rechtspositionen vor staatlichen Gerichten geltend gemacht werden könne.59 Indes tauchen zahlreiche Streitfragen, die man auf der prozessualen Ebene hinter sich gelassen hatte, nun auf der materiellen Ebene wieder auf.60 Denn im Bereich des kirchlichen Dienstrechts stehen gerade keine staatlichen Regelungen zur Verfügung, welche diese Dienstverhältnisse regeln. Der Rückgriff auf Kirchenrecht ist damit für die Entscheidung über Rechtsfragen aus diesen Dienstverhältnissen geradezu zwingend. Während ein Teil der Literatur es für zulässig erachtet, dass staatliche Gerichte auf kirchliche Regelungen zurückgreifen,61 halten andere daran fest, staatliche Gerichte seien für die Entscheidung über kirchlich gesetzte Normen gerade unzuständig.62 Damit zeigt sich das alte Problem letztlich nur im neuen Gewande. Die Unsicherheit über das materiell anzuwendende Recht kennzeichnet
chen grundrechtsgebunden wären, würde es sich doch um zwei unterschiedliche Sachverhalte handeln. Allgemein lässt sich dem Einwand, es bestehe eine unangemessene Asymmetrie zwischen dem Rechtsschutz Geistlicher und dem kirchlicher Angestellter entgegenhalten, dass bisher schlicht kein umfassendes kirchliches Arbeitsrecht geschaffen wurde, das die staatlichen Bestimmungen voll verdrängen könnte. So ist Listl, DÖV 1989, S. 409 (412), der Ansicht, dass die Entwicklung eines eigenkirchlichen Arbeitsrechts den staatlichen Arbeitsgerichten die Zuständigkeit entziehen würde; ebenso Hartmut Maurer, FS Menger (1985), S. 285 (297 f.); wohl auch Geiger, ZevKR 26 (1981), S. 156 (164). 56 BAGE 64, 131 (135 ff.). 57 Wölbing, ZevKR 28 (1983), S. 62 (67). 58 Magen, NVwZ 2002, S. 897; ebenso diese Erleichterung anerkennend Hermann Weber, ZevKR 49 (2004), S. 385 (395). 59 So bereits Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (287). 60 Magen, NVwZ 2002, S. 897 (898). 61 Magen, NVwZ 2002, S. 897 (899); Goos, ZBR 2004, S. 159 (166); Friehe, JZ 2014, S. 954 (956). 62 Hartmut Maurer, FS Menger (1985), S. 285 (290, 295), der zudem die Auffassung vertritt, dass die Kirchen durch die Aufstellung eigener arbeitsrechtlicher Normen arbeitsvertragliche Streitigkeiten der Zuständigkeit der staatlichen Arbeitsgerichte entziehen könnten (a. a. O., S. 297 f.); ebenso Listl, DÖV 1989, S. 409 (412). Aus jüngerer Zeit Hillgruber, FS Rüfner (2003), S. 297 (303 f.).
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
übrigens auch, wie noch zu erörtern sein wird, die neuere Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht.63
B. Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Über Jahrzehnte trotzte die Rechtsprechung vehementen Vorwürfen aus dem Schrifttum, sie enthebe „kirchliche Bedienstete in rechtsstaatlich unerträglicher und teilweise existenzbedrohender Weise zentraler staatsbürgerlicher Rechte“64. Anfang 2014 gab das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich auf. Ob damit tatsächlich der Durchbruch hin zu einem Rechtsschutz der Geistlichen und Kirchenbeamten vor staatlichen Gerichten geschafft ist, wird sich allerdings erst zeigen, wenn das Bundesverfassungsgericht Gelegenheit hatte, sich zu dieser neuen Rechtsprechung zu äußern.65
I. Inhalt der neuen Rechtsprechung Wie bereits bei der früheren Rechtsprechung so war es auch diesmal der Bundesgerichtshof, der die heutige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich der Klagen von Geistlichen und Kirchenbeamten vor staatlichen Gerichten einläutete. Angedeutet hatte sich die Kehrtwende bereits in einem Urteil aus dem Jahr 2000, in dem der Bundesgerichtshof entschied, über den Anspruch einer Religionsgemeinschaft gegen eines ihrer Mitglieder auf Unterlassen müssten die staatlichen Gerichte auch dann entscheiden, wenn hierfür innergemeinschaftliche Vorfragen zu klären seien.66 Zwar betonte der Bundesgerichtshof, dass die staatlichen Gerichte an die Entscheidung eines Kirchengerichts in einer innergemeinschaftlichen Angelegenheit gebunden seien. Zugleich stellte das Gericht diese Bindung aber unter den Vorbehalt, dass die Entscheidung nicht willkürlich ist oder gegen fundamentale Rechtsprinzipien verstößt.67 Anfang 2003 hatte der Bundesgerichtshof dann über eine Klage mehrerer Offiziere der Heilsarmee, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 137 Abs. 5 WRV, zu entscheiden, die sich gegen ihre Entlassung wehrten und rückständigen Lohn verlangten.68 Der Bundesgerichtshof urteilte, die staatliche Pflicht zur Justizgewährung gelte selbst dann, wenn bei der Anwendung staatlicher Rechtssätze glaubensgemeinschaftliche Vorfragen zu klären seien. Auch 63
Dazu sogleich unter B. II. Kästner, JöR NF 27 (1978), S. 239 (271). 65 Ähnlich vorsichtig Kirchberg, NJW 2014, S. 2763 (2764). 66 BGH, NJW 2000, S. 1555 (1556). 67 BGH, NJW 2000, S. 1555 (1556 f.); ausdrücklich a. A. BVerwGE 117, 145 (148). 68 Die Klage war zunächst vor dem ArbG Pforzheim erhoben worden, das die Klage mangels Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten an das LG Köln verwiesen hat. 64
B. Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bewirke keine Freistellung von der staatlichen Justizhoheit.69 Ausdrücklich betont das Gericht, dass der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten auch bei der so genannten verkappten Statusklage eröffnet sei.70 Allerdings beschränke das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht das Maß der Justiziabilität.71 Deshalb seien Maßnahmen, die vom kirchlichen Selbstverständnis getragen seien, von den staatlichen Gerichten nicht auf ihre Rechtmäßigkeit, sondern nur auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Maßstab hierfür seien das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), der Begriff der guten Sitten (§ 138 BGB) sowie der ordre public (Art. 6 EGBGB).72 Nachdem bereits einige oberverwaltungsgerichtliche Entscheidungen der neuen Linie des Bundesgerichtshofs gefolgt waren,73 hat sich dem 2014 nach anfänglichem Zögern74 im Wesentlichen auch das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen. Zwar übten die Kirchen keine öffentliche Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG aus.75 Jedoch garantiere das Grundgesetz darüber hinaus einen allgemeinen Justizgewährungsanspruch, der den Zugang zu staatlichen Gerichten auch für Geistliche und Kirchenbeamte wegen Streitigkeiten aus ihrem Dienstverhältnis eröffne.76 Das verfassungsrechtlich geschützte kirchliche Selbstbestimmungsrecht schließe demgegenüber nicht den Zugang zu den staatlichen Gerichten aus, sondern bestimme nur Umfang und Intensität der Prüfung.77 Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht die Bereichsscheidung damit nicht völlig aufgegeben.78 Mehrfach greifen die Richter die Terminologie vom innerkirchlichen Bereich bzw. von innerkirch 69
BGHZ 154, 306 (309). BGHZ 154, 306 (310). 71 BGHZ 154, 306 (312). 72 BGHZ 154, 306 (313). 73 OVG Koblenz, NJW 2009, S. 1223 (1224); OVG NRW, DVBl 2012, S. 1585 (1586); grundlegend bereits vor dem Grundsatzurteil BGHZ 154, 306 das OVG Rheinland-Pfalz, KirchE 39, 159 (162 ff.); abw. auch von der früheren Linie der Rspr. OVG Lüneburg, DVBl 1964, S. 1027 (1028 f.); OVG Münster, NJW 1994, S. 3368 (3369). Die BGH-Rechtsprechung ablehnend hingegen VG Stuttgart, KirchE 47, 289 (292). Ebenfalls noch auf der Linie der alten Rechtsprechung VGH Bad.-Württ., KirchE 60, S. 462 ff., wobei sich hier zum allgemeinen Justizgewährungsanspruch die interessante Variation findet, dass die Eröffnung des Rechtswegs daran scheitere, dass es im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche kein zulässiges staatliches Recht geben könne (a. a. O., S. 465). 74 Nachdem die neue Linie durch BGH, NJW 2000, S. 1555 bereits angedeutet war, hatte sich dem der 7. Senat des BVerwG in BVerwGE 116, 86 (88) zwar grundsätzlich angeschlossen, der 2. Senat betonte in BVerwGE 117, 145 (148) hingegen entgegen der BGH-Linie ausdrücklich: „Die Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit bezieht sich auch auf die Einhaltung der ‚fundamentalen Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung‘ durch die kirchlichen Stellen, die die Entscheidung getroffen haben“. In anderem Zusammenhang schwenkte später der 6. Senat auf die Linie des 7. Senats ein: BVerwGE 148, 271 (Rn. 45 f.), bevor sich schließlich der 2. Senat zur Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung im Dienstrecht durchrang: BVerwGE 149, 139 ff. 75 BVerwGE 149, 139 (Rn. 10). 76 BVerwGE 149, 139 (Rn. 12 f.). 77 BVerwGE 149, 139 (Rn. 14). 78 Krit. dazu bereits Friehe, JZ 2014, S. 954 f. 70
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
lichen Akten auf.79 Die gerichtliche Kontrolldichte soll sich nun danach richten, wie nah der jeweilige Akt der Religionsgesellschaft dem Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts zuzuordnen ist.80 Das Dienstrecht wird diesem Kernbereich zugeordnet. Hier soll lediglich geprüft werden, ob die in Art. 79 Abs. 3 GG genannten fundamentalen Verfassungsprinzipien beachtet wurden.81
II. Kritik der neueren Rechtsprechung Die neuere Rechtsprechung hat in der Literatur breite82 Zustimmung gefunden.83 So feierte v. Campenhausen bereits die Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 200084 als „Meilenstein auf dem Weg zur Durchsetzung der staatskirchenrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes“85. Überwiegend Lob gab es aus der Literatur auch für die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs86 zur Zulässigkeit der Gehaltsklage eines Offiziers der Heilsarmee von 200387 sowie für die Übernahme dieser Rechtsprechung durch das Bundesverwaltungsgericht88.89 Dass die geänderte Rechtsprechung so positiv aufgenommen wurde, geht sicherlich zunächst darauf zurück, dass sich die Leipziger Richter dazu entschlossen, eine über Jahrzehnte gefestigte Rechtsprechung aufzugeben, obwohl nach dem Stand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dazu keine unmittelbare Veranlassung bestand.90 79
BVerwGE 149, 139 (Rn. 15, 23). BVerwGE 149, 139 (Rn. 20). 81 BVerwGE 149, 139 (Rn. 23). 82 Dezidiert krit. Hillgruber, FS Rüfner (2003), S. 297 ff., der jedoch im Ergebnis den ordre public ebenfalls als Grenze der Freistellung der Kirchen von der Jurisdiktion staatlicher Gerichte anerkennt (S. 311); ähnlich Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, vor Art. 92 Rn. 135 f.; scharfe Kritik bei Kazele, VerwArch 96 (2005), S. 557 (564 ff.). 83 Vgl. etwa die dankbare Übernahme der neuen Rspr. in der Kommentarliteratur: Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 137 WRV Rn. 16. Schon vor der Übernahme der BGH-Rspr. durch BVerwGE 149, 139 geht Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 31, so weit, die Justizgewähr in kirchlichen Angelegenheiten als „hinreichend geklärt“ zu bezeichnen. 84 BGH, NJW 2000, S. 1555. 85 v. Campenhausen, ZevKR 45 (2000), S. 622; ebenfalls zustimmend Kästner, NVwZ 2000, S. 889 (890). 86 BGHZ 154, 306. 87 Hermann Weber, NJW 2003, S. 2067 (2069 f.); ders., ZevKR 49 (2004), S. 385 (387); differenzierend Goos, ZBR 2004, S. 159 (161). 88 BVerwGE 149, 139. 89 Im Wesentlichen zustimmende Beiträge von Kirchberg, NJW 2014, S. 2763; Hotstegs, NVwZ 2014, S. 1106; Friehe, JZ 2014, S. 954; Kuntze, ZevKR 60 (2015), S. 195. 90 Hierauf zu Recht hinweisend Kirchberg, NJW 2014, S. 2763. Nachdem mit BVerfGK 14, 485 die a-limine-Abweisung von Klagen gegen Geistliche erneut verfassungsgerichtlich gebilligt worden war und EGMR, KirchE 58, 409 ff. die hiergegen gerichtete Beschwerde abgewiesen hatte, hätte sich das BVerwG ohne weiteres auf diese Rechtsprechung zurückziehen können. In einem jüngsten Urteil der Großen Kammer des EGMR wird noch einmal deutlich, 80
B. Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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Die Euphorie könnte sich allerdings schon bald wieder legen. Denn im Ergebnis ist nach dem vom Bundesverwaltungsgericht zugrunde gelegten Prüfmaßstab keine Verbesserung des effektiven Rechtsschutzes zu erwarten. Für dieses ernüchternde Ergebnis kommt es nicht darauf an, ob man – wie der Bundesgerichtshof – das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), den Begriff der guten Sitten (§ 138 BGB) und den ordre public (Art. 6 EGBGB) als Prüfmaßstab wählt91 oder ob man – wie das Bundesverwaltungsgericht – die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG für einschlägig erachtet.92 Entscheidend ist vielmehr, dass beide Gerichte betont haben, der Justizgewährungsanspruch gelte nur für solche Rechtsfragen, deren Beurteilung sich nach staatlichem Recht richte.93 Diese Formulierung94 ist mindestens missverständlich. In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, der Justizgewährungsanspruch sei nur auf die Entscheidung solcher Streitigkeiten gerichtet, für die staatlich gesetzte Rechtsnormen einschlägig seien.95 Das Bundesverwaltungsgericht hat jüngst noch einmal klar-
dass aus Straßburg über Art. 6 Abs. 1 EMRK keine Hilfe bei der Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche von Geistlichen und Kirchenbeamten zu erwarten ist. Im Fall eines suspendierten und letztlich entlassenen Pastors der ungarischen evangelisch-reformierten Kirche akzeptierte EGMR, EuZW 2018, S. 461 (464) – Nagy / Ungarn mehrheitlich die Einstellung entsprechender Klageverfahren des Betroffenen durch die staatlichen ungarischen Gerichte. Diese hatten entschieden, die kirchenrechtlich geregelten Rechtsbeziehungen seien nicht Teil des staatlichen Rechts und damit nicht justiziabel. Letztlich völlig offen ist, wie das BVerfG über die Sache entscheidet, sobald in einem Verfahren nicht nur die Zulässigkeit bejaht, sondern auch in der Sache gegen einen kirchlichen Dienstgeber entschieden sein wird. Im Lichte der äußerst kirchenfreundlichen jüngeren Chefarzt-Rechtsprechung zum kirchlichen Arbeitsrecht (dazu noch eingehend Kapitel 5, B.III) scheint nicht ausgeschlossen, dass das BVerfG die faktische Immunität der Kirchen in Streitigkeiten der Geitlichen und Kirchenbeamten wiederherstellen könnte. 91 BGHZ 154, 306 (313). 92 BVerwGE 149, 139 (Rn. 25). Dieser Maßstab ist zur Prüfung einer dienstrechtlichen Maßnahme jedoch schon deshalb ungeeignet, weil er die äußerste Grenze einer Verfassungsänderung markiert, sich die Grenzen kirchlicher Rechtsmacht mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung aber nicht nach fiktivem künftigen, sondern nach aktuellem Verfassungsrecht richten. Dazu Friehe, JZ 2014, S. 954 (956). 93 BGHZ 154, 306 (309); BVerwGE 149, 139 (Rn. 12). 94 So aber auch Teile der Literatur: Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 137 WRV Rn. 75; unklar Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140, Art. 137 WRV Rn. 16 „Beurteilung nach staatl. Recht“ bzw. „staatlich geschützte(r) Rechtsposition“. 95 Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 303, der allerdings auch staatliches „Parallelrecht“ gelten lässt (S. 305 f.), etwa Besoldungsansprüche, die analog auch im staatlichen Recht gelten; Hartmut Maurer, FS Menger (1985), S. 285 (290, 295); Listl, DÖV 1989, S. 409 (412), der davon ausgeht, dass die Schaffung eines eigenen kirchlichen Arbeitsrechts den staatlichen Gerichten die Zuständigkeit zur Streitentscheidung entziehen würde; mit Bezug auf die jüngere Rspr. Hillgruber, FS Rüfner (2003), S. 297 (303 f.); ausdrücklich auch Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 140 Rn. 17a – „Klagen (…) wegen Verletzung innerkirchlicher Vorschriften regelmäßig ausgeschossen“; ohne klares Ergebnis Evers, FS Ruppel (1968), S. 329 (344). Krit. zu diesem Missverständnis Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 130.
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
gestellt, dass es die richtige Anwendung innerkirchlichen Rechts regelmäßig nicht prüft.96 Damit wird jedoch verkannt, dass der Prüfungsmaßstab staatlicher Gerichte nicht nur das staatliche Recht, sondern das gesamte materiell einschlägige Recht ist.97 Tatsächlich kommt es daher auch für den Justizgewährungsanspruch nicht etwa auf die staatlicherseits gesetzten Rechtsnormen an; vielmehr ist eine Streitigkeit nach dem gesamten materiellen Recht zu entscheiden.98 Vorzugswürdig wäre es daher gewesen, wenn Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht klargestellt hätten, dass sich der Justizgewährungsanspruch nach dem durch staatliche Gerichte anwendbaren Recht richtet.99 Dies müsste insbesondere zu der Erkenntnis führen, dass zur Entscheidung einer Streitigkeit im kirchlichen Dienstrecht auch kirchliche Rechtsnormen herangezogen werden müssen.100 Wäre die Prüfung dienstrechtlicher Maßnahmen nämlich auf die Anwendung von staatlicherseits erlassenen Rechtsnormen beschränkt, so bliebe offen, nach welchen derartigen staatlichen Vorschriften jemals ein entsprechender Klageanspruch bestehen soll.101 Typisch für das kirchenrechtlich geregelte Dienstverhältnis ist gerade seine kirchenrechtliche Regelung. Wer Geistlicher ist und was daraus folgt, kann nur in Anwendung kirchlicher Bestimmungen ermittelt werden.102 Der Besoldungsanspruch eines Geistlichen oder Kirchenbeamten folgt eben nicht aus staatlichem Beamtenrecht oder aus § 611a Abs. 2 BGB, sondern aus den entsprechenden kirchenrechtlichen Bestimmungen (beispielsweise c. 384 a. E.
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BVerwG, NVwZ-RR 2017, S. 399 (401). Unzutreffend die Behauptung von Augsberg, in: Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte als Herausforderung des Staates, S. 1 (33), der meint, Prüfungsmaßstab staatlicher Gerichte sei immer nur das staatliche Recht. Die Anwendung von Vertragsbestimmungen, Vereinssatzungen und die Beachtung von Handelsbräuchen sind nur einige Beispiele dafür, dass diese pauschale Behauptung die tägliche Praxis deutscher Zivilgerichte verkennt. 98 Ebenso Magen, NVwZ 2002, S. 897 (899); ähnlich Droege, ZevKR 49 (2004), S. 763 (770). 99 Kästner, ZevKR 48 (2003), S. 301 (306); nach Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 31, kommt es darauf an, dass das geltend gemachte Recht den „Schutz der staatlichen Rechtsordnung genießt“, dies können freilich auch kirchenrechtlich verbriefte Rechte sein (a. a. O., S. 29 ff.). 100 Magen, NVwZ 2002, S. 897 (899); Goos, ZBR 2004, S. 159 (166); Friehe, JZ 2014, S. 954 (956); Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 129 f.; allgemein Reichert, VereinsR, Rn. 6403 ff., wo allerdings im Hinblick auf die Rechtswegeröffnung nach wie vor auf die Bereichslehre abgestellt wird; a. A. Pirson, HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 860 ff. 101 Pirson, HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 864 ff. geht davon aus, dass ein Schuldverhältnis nach staatlichem Recht begründet wird, das dem staatlichen Beamtenrecht ähnelt. Dabei verkennt er indes, dass die von ihm erhobene Forderung einer Ausgestaltung der Dienstverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten durch staatliches Recht (a. a. O., S. 859) dem Zweck der kirchlichen Dienstherrnfähigkeit zuwiderläuft. Denn dieses soll gerade die Ausgestaltung der Dienstverhältnisse nach eigenen Vorstellungen ermöglichen. 102 So auch Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (282 f.), der insoweit von einer Gleichzeitigkeit von weltlichem und kirchlichem Rechtsverhältnis ausgeht (a. a. O., S. 293) und später daraus ein parallel zum kirchlichen Rechtsverhältnis laufendes Schuldverhältnis nach staatlichem Recht konstruiert. 97
B. Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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CIC; § 49 Abs. 1 PfDG.EKD).103 Es ist strenggenommen geradezu widersinnig, im staatlichen Recht nach entsprechenden Ansprüchen zu suchen, denn dann wäre das Dienstverhältnis eben nicht kirchenrechtlich, sondern staatlich geregelt.104 Dagegen scheinen Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht lediglich die Maßnahme an sich prüfen zu wollen, losgelöst von den dazu einschlägigen kirchlichen Bestimmungen.105 Mit dieser Formel lässt sich praktisch kein Rechtsschutz im kirchlichen Dienstrecht erlangen. Denn dass bereits die Maßnahme an sich – wie von der Rechtsprechung verlangt – gegen fundamentale Grundsätze der Rechtsordnung verstößt, dürfte die absolute Ausnahme sein.106 Die Entfernung aus dem kirchlichen Dienst als typischer Streitgegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen im kirchlichen Dienstrecht ist jedenfalls kein Ereignis, das bereits als solches gegen fundamentale Grundsätze der Rechtsordnung verstößt. Denn nach staatlichem Recht kann die Beendigung eines Dienstverhältnisses – sei es nun privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich ausgestaltet – stets rechtmäßig aber auch rechtswidrig sein. Es gibt keinen Rechtssatz des staatlichen Rechts, der die Beendigung eines Dienstverhältnisses an sich verbieten würde. Ob die Beendigung des Dienstes rechtmäßig war, kann immer nur nach den Umständen entschieden werden, die zu der Beendigung geführt haben. Nicht anders verhält es sich bei kirchlichen Dienstverhältnissen. Selbstverständlich kann sich die Beendigung eines kirchlichen Dienstverhältnisses als rechtmäßig erweisen, und zwar sowohl vom Standpunkt des kirchlichen wie auch des staatlichen Rechts aus gesehen. Effektiver staatlicher Rechtsschutz wird aber nur dann gewährt, wenn jedenfalls die Möglich 103 Aus diesem Grund haben diejenigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die bereits in der Vergangenheit die Eröffnung des staatlichen Rechtswegs für vermögensrechtliche Streitigkeiten bejaht haben, wie selbstverständlich die einschlägigen kirchlichen Besoldungsbestimmungen geprüft, vgl. etwa OVG Lüneburg, KirchE 31, 35 (38 ff.); DVBl 1964, S. 1027 (1029 ff.); VG Arnsberg, KirchE 17, 173 (177); 18, 407 (409 f.); VG Minden, KirchE 24, 104 (106). 104 Anders allerdings die – abzulehnende – Bereichslehre der Rspr, die bei konsequenter Anwendung ebenfalls zu dem Ergebnis gelangen müsste, dass zur Entscheidung über dienstrechtliche Streitigkeiten der Geistlichen und Kirchenbeamten kirchlich gesetztes Recht anzuwenden ist. Da der Abschluss kirchlicher Dienstverhältnisse in der Terminologie der Bereichslehre die Ausübung staatlicherseits verliehener Hoheitsbefugnisse ist, müssten die zur Ausgestaltung dieser Dienstverhältnisse erlassenen kirchlichen Bestimmungen als staatliches Recht qualifiziert werden, so zutreffend Magen, NVwZ 2002, S. 897 (898 f.); Goos, ZBR 2004, S. 159 (163). 105 Ausführungen zum einschlägigen religionsgemeinschaftlichen Recht sind den beiden Urteilen BGHZ 154, 306 und BVerwGE 149, 139 jedenfalls nicht zu entnehmen. In BGHZ 154, 306 (313) wird ausdrücklich betont, dass keine Rechtmäßigkeits-, sondern lediglich eine Wirksamkeitskontrolle der auf Kirchenrecht beruhenden Maßnahme durchzuführen ist. In BVerwGE 149, 139 (Rn. 14) wird immerhin in Erwägung gezogen, ob kirchliches Recht oder dessen fallbezogene Anwendung gegen staatlicherseits verliehene Rechtspositionen verstößt. Das BVerwG betont aber in demselben Atemzug, das kirchliche Recht dürfe nur dann angewandt werden, wenn die Religionsgesellschaft selbst diese Möglichkeit eröffne (BVerwG, ibid.). 106 Lehrbuchbeispiel ist das Menschenopfer, das auch nicht durch eine religiöse Motivation zu rechtfertigen ist. Dass in derartigen Fällen die staatliche Rechtsordnung – insbesondere das Strafrecht – die kirchliche Eigenständigkeit beschränken, ist aber nie ernstlich bestritten worden.
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
keit besteht, dass das Gericht die Beendigung eines kirchlichen Dienstverhältnisses für unwirksam erklärt, wenn also, wie bei anderen Dienstverhältnissen auch, sich aus den Umständen der Beendigung ergeben kann, dass diese rechtswidrig und unwirksam war. Wollte man nur die Umstände der Beendigung des Dienstverhältnisses ohne Rückgriff auf das Kirchenrecht beurteilen, so käme nur eine allgemeine Billigkeitsprüfung in Betracht. Eine solches Abwägungsmodell als Entscheidung ex aequo et bono ist aber weder geeignet, in einem Rechtsstaat der Justizgewährungspflicht genüge zu leisten, noch stellt sie gegenüber einer Anwendung des Kirchenrechts aus der Sicht der Kirche ein milderes Mittel dar. Vielmehr versetzt sie Kirchen und deren kirchenrechtlich Beschäftigte gleichermaßen in eine Situation massiver Rechtsunsicherheit, nach welchen Regeln ein Gericht Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis in der Sache entscheiden würde.
C. Stellungnahme zur Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs Der Justizgewährungsanspruch ist daher lediglich ein erster Ansatzpunkt zur Beantwortung der Frage, ob staatliche Gerichte in kirchenrechtlich geregelten Sachverhalten judizieren dürfen. Wie sich zeigen wird, ist die entscheidende Frage aber, was das materiell einschlägige Recht ist.107
I. Abgrenzung zwischen Art. 19 Abs. 4 GG und dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch Wie bereits angesprochen, kennt das Grundgesetz unterschiedliche justizielle Garantien. Art. 19 Abs. 4 GG regelt den Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt.108 Davon zu unterscheiden ist der allgemeine Justizgewährungsanspruch.109 Neben seiner verfassungsrechtlichen Verankerung kommt dessen Geltung in der Generalklausel des § 13 GVG zum Ausdruck.110 Entgegen einer früher verbreiteten Ansicht111 ist Art. 19 Abs. 4 GG für den Rechtsschutz gegen religionsgesellschaftliche Maßnahmen nicht anwendbar.112 Denn 107
So bereits zutreffend Magen, NVwZ 2002, S. 897 (898). Zur Unanwendbarkeit bei Rechtsschutz unter Privaten Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, S. 128 f.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 71; Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (329). 109 Vgl. Hartmut Maurer, FS Bethge (2009), S. 535 (547 f.). 110 Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (332). 111 Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641 (1644); ders., Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 143 ff.; Schenke, FS Faller (1984), S. 133 (138 f.); Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (412). 112 BVerwGE 149, 139 (Rn. 9 f.); Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 103 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 117; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 123 IV 1, S. 1902 f. 108
C. Stellungnahme zur Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs
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öffentliche Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG meint die grundrechtsverpflichteten Staatsfunktionen.113 Die Vorschrift trägt der besonderen Schutzbedürftigkeit des Bürgers gegenüber dem „übermächtigen“ Staat Rechnung.114 Die Ausübung kirchlicher Gewalt – auch im Bereich des Kirchendienstrechts – ist nicht unmittelbar grundrechtsgebunden.115 Es ist auch nicht erforderlich, den Geltungsbereich von Art. 19 Abs. 4 GG über den Bereich der grundrechtsverpflichteten Gewalt hinaus auszudehnen. Denn für den Rechtsschutz zwischen nicht grundrechtsgebundenen Rechtssubjekten – also zwischen Privaten116 – ist der allgemeine Justizgewährungsanspruch117 einschlägig.118 Unter dem Grundgesetz ist damit der Gedanke umfassenden Rechtsschutzes voll zur Entfaltung gelangt.119
II. Formeller und materieller Gehalt des Justizgewährungsanspruchs Der allgemeine Justizgewährungsanspruch hat einen formellen und einen materiellen Aspekt:120 Anders ist die Sachlage dann, wenn die Kirche ausnahmsweise mit staatlichen Befugnissen beliehen wird. Dann ist sie – wie sonstige beliehene Privatpersonen – grundrechtsgebunden und unterliegt damit auch der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, so zutreffend Papier, HdbStR VIII, 32010, § 177 Rn. 31, der aber ansonsten überhaupt keinen Rechtsschutz gegenüber innerkirchlichen Maßnahmen anerkennt (Rn. 30). Im Bereich des hier interessierenden kirchlichen Dienstrechts sind die Kirchen aber gerade nicht beliehen, noch sind ihnen sonst hoheitliche Befugnisse „übertragen“, vgl. dazu noch ausführlich Kapitel 6, B. II., III. 113 BVerwGE 149, 139 (Rn. 10); Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 123 IV 1 S. 1899. Umstritten ist dies für privatrechtliches staatliches Handeln. Auch hier gilt richtigerweise wegen der Grundrechtsbindung die Garantie des Art. 19 Abs. 4: Hartmut Maurer, FS Betghe (2009), S. 535 (546) – missverständlich auf S. 537: Art. 19 Abs. 4 beziehe sich auf „öffentlich-rechtliche Streitigkeiten“; a. A. zum privatrechtlichen Verwaltungshandeln BVerfGE 116, 135 (149); Papier, HdbStR VIII, 32010, § 177 Rn. 27. 114 Maurer, FS Bethge (2009), S. 535 (540); a. A. – Schutzbedürftigkeit nur im klassischen Subordinationsverhältnis – BVerfGE 116, 135 (149). 115 Dazu eingehend Kapitel 6, B. II. 2. d) und B. III. 116 Schroeder, JA 2010, S. 167 (168); Winterhoff, AnwBl 2008, S. 227 (229). 117 Umstritten ist, ob sich beide Ansprüche im Ergebnis decken. Für einen weitergehenden Schutz durch Art. 19 Abs. 4 GG: Hartmut Maurer, FS Bethge (2009), S. 535 (547 ff.). 118 Zutreffend Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 110; anders noch Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte in kirchlichen Angelegenheiten, S. 89 f., der hier eine Rechtsschutzlücke befürchtete. Hier wird deutlich, dass der allgemeine Justizgewährungsanspruch erst mit der Zeit voll anerkannt wurde. Vgl. auch Evers, FS Ruppel (1968), S. 329 ff., der das grundgesetzliche Prinzip umfassenden Rechtsschutzes ebenfalls noch in Art. 19 Abs. 4 GG verortet. 119 Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 101 f.; Steiner, SchiedsVZ 2013, S. 13 (15); Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641 spricht etwas überspitzt von einem „perfekten ‚Rechtswegstaat‘ des Grundgesetzes“; ähnlich Papier, HdbStR VIII, 32010, § 177 Rn. 5: „Rechtsweg- oder Richterstaat“. 120 Unterscheidung nach Germann, FS Listl (2004), S. 627 (640 f.); ähnlich Krugmann, ZRP 2001, S. 306 (307); in diese Richtung auch die Unterscheidung bei Dütz, Rechtsstaatlicher Ge-
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
1. Formeller Gehalt des Justizgewährungsanspruchs In formeller Hinsicht beinhaltet der Justizgewährungsanspruch, dass staatliche Gerichte eine letztverbindliche Sachentscheidung, einen formellen Hoheitsakt, treffen.121 Diese formell letztverbindliche Sachentscheidung des Staates ist Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols und des den Bürgern auferlegten Selbsthilfeverbots.122 Die staatliche Letztentscheidung darüber, was vermöge des staatlichen Gewaltmonopols als Recht durchsetzbar ist, gehört zu den „Minimalbedingungen zur Erfüllung [der staatlichen] Friedenspflicht“ und ist als solche eine „indisponible Position“123 des Staates auch gegenüber Religionsgesellschaften. Sie kann niemals aufgegeben werden und unterliegt auch keiner Abwägung mit religionsgemeinschaftlichem Exemtionsstreben.124 Dem Rechtsstaat ist es verboten, „seine Bürger (…) in einen von ihm nicht kontrollierten Raum zu verstoßen“125. Ein lückenhaftes Rechtsschutzsystem, das im Einzelfall jeglichen Rechtsschutz verweigert, gäbe die davon Betroffenen der Willkür preis.126 Insofern begründet der Justizgewährungsanspruch einen „Entscheidungszwang“127. Ein Eingriff in die Freiheit der Kirchen liegt darin nur dann, wenn die staatliche Letztentscheidung zuungunsten der Kirchen ausfällt.128 richtsschutz im Privatrecht, S. 115, der den „Gerichtsschutz durch Sachentscheidung“ (S. 117 f.) und den „Gerichtsschutz durch Wahrheits- und Rechtsprüfung“ (S. 118 ff.) unterscheidet, freilich ergänzt um weitere Kategorien wie rechtssichernden Gerichtsschutz (S. 120 ff.) und Gerichtsschutz in angemessener Zeit (S. 122) – formelle Aspekte. Von einem „materiell-grundrechtlichen Justizgewährungsanspruch“ spricht Dorn, Justizgewährungsanspruch und Grundgesetz, S. 240 f., 249, der den Justizgewährungsanspruch aus dem materiell-rechtlichen Gehalt der einschlägigen Grundrechte ableitet (S. 116 ff.). Seine Terminologie ist nicht ganz klar. Die Letztentscheidung durch den staatlichen Richter wird zwar zu den „formaleren“ Aspekten des Justizgewährungsanspruchs gezählt (S. 254), letztlich aber als Teil des materiell-grundrechtlichen Justizgewährungsanspruchs dargestellt (S. 241 ff.). 121 BVerfGE 103, 111 (137); Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 117 f. 122 Uhle, in: HdbGR V, § 129 Rn. 27; Degenhart, in: HdbStR V, 32007, § 114 Rn. 1; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 162; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, GG (Stand: 73. EL 2014), Art. 19 Rn. 16; Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/2, § 123 II 5, S. 1880; Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (327); Baur, AcP 153 (1954), S. 393 (396); Germann, FS Listl (2004), S. 627 (641); Ehlers, ZevKR 49 (2004), S. 496 (508); Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 72; zur historischen Entwicklung Hartmut Maurer, FS Bethge (2009), S. 535 (537 ff.). 123 Germann, FS Listl (2004), S. 627 (648); ähnlich Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (414) – „Mindestversprechen des Grundgesetzes, daß kein Bürger von den staatlichen Gerichten zurückgewiesen wird, wenn er Schutz vor rechtlich willkürlichen Akten welcher Institution auch immer sucht“; ebenso zur Friedensfunktion der Justizhoheit Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 100. 124 Germann, FS Listl (2004), S. 627 (649); ders., in: BeckOK GG, Art. 140 (Stand: 1.6.2017) Rn. 55 f.; a. A. Goos, ZBR 2004, S. 159 (166). 125 Vieweg, Normsetzung und -anwendung deutscher und internationaler Verbände, S. 169. 126 Mikat, FS BVerwG (1963) II, S. 315. 127 Dorn, Justizgewährungsanspruch und Grundgesetz, S. 243. 128 Germann, FS Listl (2004), S. 627 (643); ausdrücklich a. A. Hillgruber, FS Rüfner (2003), S. 297 (301). Ein Eingriff soll nur dann nicht vorliegen, wenn die Kirche selbst um staatlichen Rechtsschutz nachgesucht hat (a. a. O., Fn. 14). Ähnlich Goos, ZBR 2004, S. 159 (166), der
C. Stellungnahme zur Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs
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Im Übrigen hängt die Rechtfertigung des mit der ungünstigen Letztentscheidung einhergehenden Freiheitseingriffs an der materiellen Rechtslage.129 Dies unterstreicht, wie fragwürdig es ist, die Frage nach der Zulässigkeit kirchlicher Rechtssachen vom materiell-rechtlichen Prüfungsumfang zu trennen.130 2. Materieller Gehalt des Justizgewährungsanspruchs Ohne materiellen Inhalt wäre der Justizgewährungsanspruch unvollständig. Das Verhältnis des Justizgewährungsanspruchs zu den Garantien des materiellen Rechts ist freilich sehr umstritten. Vor dem Hintergrund der Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) liegt es nahe, den Justizgewährungsanspruch als einen Anspruch auf die mit dem Gesetz übereinstimmende, also richtige Entscheidung zu entnehmen.131 Gegen eine solche Sicht lässt sich allerdings einwenden, dass aufgrund des Dispositionsgrundsatzes sowie der praktischen Grenzen richterlicher Erkenntnismöglichkeiten die Übereinstimmung des Urteils mit der „wirklichen“ Rechtslage nicht garantiert werden kann, sondern vielmehr das Urteil vom Prozessverlauf abhängt.132 Diese Überlegung spricht dafür, den Justizgewährungsanspruch als prozessuales133 Grundrecht134 aufzufassen, das die jedwede Beurteilung kirchlicher Rechtsakte als „eine Art Staatsaufsicht“ bezeichnet. Will man aber tatsächlich schon die Letztentscheidung zugunsten der Religionsgesellschaft als Freiheitseingriff betrachten, so müsste das religiöse Selbstverständnis die formelle Letztentscheidung über bürgerliche Rechtsfragen mitumfassen, was auf die Behauptung einer staatsähnlichen souveränen Hoheitsgewalt hinausläuft (zutreffend Germann, a. a. O., S. 645). 129 Germann, FS Listl (2004), S. 627 (643). 130 Haastert, DÖV 1996, S. 363 (366). 131 In diese Richtung geht die von Adolf Wach begründete Lehre vom Rechtsschutzanspruch. Wach deutete den Rechtsschutzanspruch in doppelter Form: einmal als Anspruch gegen den Staat, das Rechtsschutzinteresse in prozessordnungsmäßiger Form zu befriedigen, dann als Anspruch gegen den Gegner, die Rechtsschutzhandlung zu dulden. Vgl. Wach, Civilprozessrecht I, S. 19; ders., FG Leipzig für Windscheid (1888), S. 73 (99). Für Wach folgt bereits aus dem Gesetzesbegriff, dass der materielle Inhalt des Gesetzes auch erzwingbar sein muss (Wach, FG Leipzig für Windscheid [1888], S. 73 [91]). Während Pieck, Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, S. 71, diese Lehre noch 1966 für „überwunden“ hielt, hat sie aus rechtsstaatlicher Perspektive neue Unterstützer gefunden, so insbesondere Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (333 ff.). 132 Musielak, in: Musielak / Voit, ZPO, Einl Rn. 8; Pieck, Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren, S. 71; Dorn, Justizgewährungsanspruch und Grundgesetz, S. 343. Dies verkennt Wach, ZZP 32 (1904), S. 1 (9), wenn er meint, den von ihm konstruierten Rechtsschutzanspruch unabhängig vom Prozessgeschehen denken zu können. Auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten darf nur der Prozessinhalt in die richterliche Entscheidungsfindung einfließen. Beweismittel, die aus praktischen oder rechtlichen Gründen nicht einbringbar sind, dürfen auf die richterliche Entscheidung keinen Einfluss haben. Das Rechtsstaatsprinzip selbst kann demnach erfordern, dass der Ausgang des Prozesses von der wirklichen Rechtslage abweicht. 133 Musielak, in: Musielak / Voit, ZPO, Einl Rn. 8; Schenke, in: BK (Stand: 138 EL 2009), Art. 19 Abs. 4 Rn. 61. Zur Freiheitssicherung durch die Verfahrensorganisation Degenhart, in: HdbStR V, 32007, § 114 Rn. 3, 11. 134 Die Qualifizierung ist umstritten. Als Teil der grundrechtlichen Garantie des Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör): Baur, AcP 153 (1954), S. 393 (397); subjektives-öffentliches
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
Entscheidungsfindung in einem rechtsstaatlichen Verfahren und nach Maßgabe des materiellen Rechts garantiert. Bei richtigem Verständnis dieser prozessualen Garantie erübrigt sich der aufgezeigte Theorienstreit.135 Der Justizgewährungsanspruch verlangt qualitativen Rechtsschutz136 und ist darauf gerichtet, dass die Prozessbeteiligten eine möglichst rechtsfehlerfreie Entscheidungsfindung erhalten.137 Ansonsten würde sich nämlich der Justizgewährungsanspruch in seinem formellen Gehalt erschöpfen und lediglich irgendeine Entscheidung eines Richters138 erfordern.139 Bereits die Begründungspflicht richterlicher Entscheidungen demonstriert, dass Rechtsprechung keine subjektive Beliebigkeit auf Seiten des Richters zulässt.140 Wirkungsvoller Rechtsschutz erfordert eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes.141 Durch dieses Gebot effektiven Rechtsschutzes142
Recht: Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (327); Voßkuhle / Kaiser, JuS 2014, S. 312; nur objektives Recht, dessen Verletzung aber als Grundrechtsverletzung – jedenfalls von Art. 2 Abs. 1 GG – einklagbar ist: Papier, HdbStR VIII, 32010, § 176 Rn. 5; ähnlich BVerfGE (Plenum) 107, 395 (401); „Subjektivierung“ durch Art. 2 Abs. 1 GG – letztlich grundrechtliche Garantie aus Art. 2 Abs. 1 GG: Uhle, HdbGR V, § 129 Rn. 27; Schenke, BK (Stand: 138. EL 2009), Art. 19 Abs. 4 Rn. 58 f.; in diese Richtung auch BVerfGE 122, 248 (271): allgemeine Rechtsschutzgarantie „wurzelt (…) im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten des Grundgesetzes“; Folge dessen, dass subjektive Rechte bereits ihrem Wesen nach „wehrfähig“ sind: Raumsauer, in: AK-GG (Stand: 2001), Art. 19 Abs. 4 Rn. 27; dem tendenziell folgend Hartmut Maurer, FS Bethge (2009), S. 535 (536 f.); ähnlich Dorn, Justizgewährungsanspruch und Grundgesetz, S. 116 ff. – Ableitung des Justizgewährungsanspruchs aus dem jeweils materiell einschlägigen Grundrecht. 135 A. A., weil der Justizgewährungsanspruch auf Rechtspflegetätigkeit schlechthin gerichtet sei, während der Rechtsschutzanspruch auf ein Urteil bestimmten Inhalts abziele: Dorn, Justizgewährungsanspruch und Grundgesetz, S. 344 f. 136 Begrifflichkeit von Krugmann, ZRP 2001, S. 306 (307); ähnlich Winterhoff, AnwBl 2008, S. 227 (232). 137 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 19 Rn. 30; Wolf, ZZP 99 (1986), S. 361 (371): „Rechtskontrolle unter weitestgehenden institutionellen Richtigkeitsgarantien“; zur objektiven Funktion der Rechtsprechung, möglichst richtige Gesetzesanwendung im Einzelfall zu gewährleisten Starck, in: VVDStRL 37 (1976), S. 43 (67). 138 Ähnlich Krugmann, ZRP 2001, S. 306 (307). 139 Insofern ist das Anliegen der Vertreter der Lehre vom Rechtsschutzanspruch berechtigt, einen Anspruch zu konstruieren, der über ein „Recht auf Verhandlung und Urteil“ hinaus eine „dem Berechtigten günstige Rechtsschutzhandlung“ (Wach, FG Leipzig für Windscheid [1888], S. 73 [104]) umfasst. 140 Vgl. Starck, VVDStRL 34 (1975), S. 43 (72). 141 BVerfGE 54, 277 (291); 85, 337 (345); Schmidt-Aßmann, HdbStR II, 32004, § 26 Rn. 72; Schenke, in: BK (Stand: 138. EL 2009), Art. 19 Abs. 4 Rn. 62; Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211; Musielak, in: Musielak / Voit, ZPO, Einl Rn. 6; Voßkuhle / Kaiser, JuS 2014, S. 312 (313); Hartmut Maurer, FS Bethge (2009), S. 535 (541); Winterhoff, AnwBl 2008, S. 227 (233); Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 118 ff.; Sonnauer, Kontrolle der Schiedsgerichte durch die staatlichen Gerichte, S. 25 f. 142 Degenhart, in: HdbStR V, 32007, § 114 Rn. 8; Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 101 f.; krit. zur Begrifflichkeit der Effektivität des Rechtsschutzes Dorn, Justiz
C. Stellungnahme zur Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs
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erhält der Justizgewährungsanspruch seine materielle Dimension.143 Das gilt auch für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten.144 Ohne ein gewisses Qualitätsminimum als materieller Mindestgehalt der Justizgewährung könnte die Befriedungsfunktion gerichtlicher Entscheidungen nicht verwirklicht werden.145 Auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten wäre es unerträglich, wenn Gerichte nicht dazu verpflichtet wären, inhaltlich richtige Entscheidungen zu treffen.146 Zur umfassenden rechtlichen Prüfung des Streitgegenstandes gehört, dass das Gericht den Fall nach dem gesamten materiell einschlägigen Recht anhand der Regeln der juristischen Methodik beurteilt.147 Dies ist auch der begriffliche Inhalt von Rechtsprechung.148 Gerichtliche Entscheidungen, die das materiell einschlägige Recht nicht anwenden oder die Regeln der juristischen Entscheidungsfindung nicht beachten, verfehlen die materiellen Grundanforderungen an rechtsprechende
gewährungsanspruch und Grundgesetz, S. 248 f., für den die tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes aus dem „materiell-grundrechtlichen Justizgewährungsanspruch“, der aus dem jeweils materiell einschlägigen Grundrecht abgeleitet wird, unmittelbar folgt. 143 Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (327 f.); ders., Streitgegenstand und Entscheidungswir kungen, S. 32, der allerdings diese materielle Dimension tendenziell dem Rechtsschutzanspruch zuordnet, dabei aber „zahlreiche Querverbindungen und Überschneidungen“ zu einem weitgefassten Verständnis des Justizgewährungsanspruchs anerkennt. 144 Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 211; Degenhart, in: HdbStR V, 32007, § 114 Rn. 9; grundlegend Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 84 ff., 115 ff., insbes. 118 ff. 145 Krugmann, ZRP 2001, S. 306 (307). 146 Insoweit zutreffend Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (335). Indes kann mit richtiger Entscheidung nur gemeint sein, dass diese auf dem prozessualen Beweisergebnis beruht und dieses rechtlich nach dem materiell einschlägigen Recht anhand der juristischen Methodik bewertet. 147 Dementsprechend stellt das BVerfG einen Verfassungsverstoß fest, wenn die Auswahl des zu prüfenden einfachen Gesetzesrechts und die Methodik der Gesetzesanwendung durch die Fachgerichte nicht mehr vertretbar sind, vgl. BVerfGE 122, 248 (257 f.). Ähnlich Magen, NVwZ 2002, S. 897: „Kann sich ein Anspruch deshalb materiell-rechtlich gegenüber der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 137 III WRV behaupten, soll er auch vor staatlichen Gerichten eingeklagt werden können“. 148 Der Begriff Rechtsprechung ist umstritten. Einen Überblick bietet Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 69 ff. Das BVerfG geht davon aus, das Grundgesetz erfordere einen materiellen Rechtsprechungsbegriff (BVerfGE 22, 49 [73]). Hierzu soll jedenfalls der Kernbereich der Aufgaben der Rechtsprechung zählen, zu denen u. a. die bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten zählen (BVerfGE 22, 49 [78]; 27, 18 [28]). Dieser Rechtsprechungsbegriff ist aber zu Art. 92 GG und damit zur Kompetenzabgrenzung (vgl. Roellecke, VVDStRL 34 [1976], S. 7 [31]) zu anderen Staatsfunktionen entwickelt worden. Er dient der Klärung, welche staatlichen Tätigkeiten dem Richtermonopol unterfallen. Hier geht es dagegen um die inhaltlichen Anforderungen an rechtsprechende Tätigkeit. So mag eine gerichtliche Entscheidung zwar in formeller Hinsicht Rechtsprechung sein, wenn sie nach einem gerichtsförmigen Verfahren durch unabhängige Entscheidungsträger eine verbindliche Hoheitsentscheidung herbeiführt. Materiell erfordert Rechtsprechung aber Rechtsanwendung. Dies ergibt sich auch aus dem Willkürverbot, das dem Richter gebietet, eine sachgerechte Entscheidung „im Rahmen der Gesetze“ zu treffen (BVerfGE 42, 64 [78]).
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3. Kap.: Staatlicher Justizgewährungsanspruch
Tätigkeit149 und sind daher auch nicht geeignet, den Justizgewährungsanspruch zu erfüllen.150 Das einschlägige Recht und die juristische Methodik sind als objektiver Maßstab der Entscheidungsfindung zudem Grundvoraussetzung für die Neutralität des Richters.151 Diese Neutralität wiederum ist „für die richterliche Tätigkeit insoweit ‚schlechthin konstituierend‘“152. Das Vorliegen eines materiellen Rechtsverhältnisses kann als Tatbestand des Justizgewährungsanspruchs aufgefasst werden.153 Jedes materielle Rechtsverhältnis ist damit auch „wehrfähig“154 und klagbar. Der Umfang erforderlicher Justizgewährung in kirchlichen Angelegenheiten ist folglich erneut auf die Frage nach dem justiziablen Recht als die eigentliche Gretchenfrage zugespitzt. Denn materiellrechtlich gegenüber den Religionsgesellschaften anwendbares Recht ist stets auch
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Vgl. Schmidt-Aßmann, HdbStR II, 32004, § 26 Rn. 52: „Rechtsprechung ist die ausschließlich nach Methoden und Maßstäben des Rechts in einem qualifizierten Verfahren zu treffende verbindliche Entscheidung von Fällen“ (Hervorhebung d. Verf.); ähnlich Stern, in: Stern, Staatsrecht II, S. 898; Wolf, ZZP 99 (1986), S. 361 (371): „Rechtsprechung ist danach Rechtskontrolle unter weitestgehenden institutionellen Richtigkeitsgarantien im Interesse der Effektivität des Rechts“ (Hervorhebung wie im Original); zur juridischen Vorgehensweise des Richters Friehe, Diskursive Gerichtsöffentlichkeit, in: Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft, Von der Kontrolle des Gerichts zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses der Gesellschaft, Gibt es einen Funktionswandel der ‚Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens‘ (§ 169 GVG)?, S. 1 (13 f.). 150 Anders Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (337 f.), der davon ausgeht, dass der Justizgewährungsanspruch „lediglich auf (effektives) Tätigwerden der Gerichte“ gerichtet ist, während der Rechtsschutzanspruch „auf eine dem Anspruchsberechtigten günstige Entscheidung in der Sache bzw. auf eine richtige Sachentscheidung“ gerichtet ist. Daraus folge eine „prinzipielle[n] Verschiedenartigkeit“ (S. 338). Rechtsprechung ist aber keine rein formelle Tätigkeit, sondern meint eine Tätigkeit, die aufgrund ihrer Methodik bereits auf die Herbeiführung einer richtigen Entscheidung gerichtet ist. Die Richtigkeit einer Entscheidung ergibt sich demgemäß nicht aus der Übereinstimmung mit der wirklichen Rechtslage, sondern daraus, dass der Richter in der Prozessführung wie in der Urteilsfindung de lege artis gehandelt hat. Fehlt es hieran, so liegt eine Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht vor, anders als bei der bloß unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzesrechts, das sich aber noch im vertretbaren Rahmen hält. Hieraus rechtfertigt sich, dass bei Urteilsverfassungsbeschwerden das BVerfG keine Verletzung des einfachen Rechts prüft (dazu auch Detterbeck, a. a. O., S. 336). Dabei wird die prozedurale Legitimation der Rechtsprechung hier nicht im Sinne Luhmanns als bloßes Ritual verstanden (vgl. dazu Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 114 ff.). Vielmehr sollen die Verfahren und Methoden im Sinne der Diskurstheorie Habermas’ die gerichtliche Entscheidung materiell legitimieren. Zu dieser Übertragung der Diskurstheorie auf die Rechtsprechung vgl. Friehe, Diskursive Gerichtsöffentlichkeit, in: Stiftung der Hessischen Rechtsanwaltschaft, Von der Kontrolle des Gerichts zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses der Gesellschaft, S. 1 (15 ff.). 151 Vgl. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 107, 119. 152 Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter, S. 101. 153 Zu Recht krit. zur Verengung der Diskussion um den allgemeinen Justizgewährungsanspruch auf die Rechtsfolgenseite Winterhoff, AnwBl 2008, S. 227 (229). 154 Vgl. Ramsauer, in: AK-GG (Stand: 2001), Art. 19 Abs. 4, Rn. 27: „Es gehört zum Wesen subjektiver Rechte, daß sie wehrfähig sind, daß im Falle ihrer Verletzung auch Gerichte angerufen werden können“; ähnlich Bethge, KritV 1999, S. 9 insbesondere im Hinblick auf Grundrechte.
C. Stellungnahme zur Bedeutung des Justizgewährungsanspruchs
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justiziabel.155 Zur ordnungsgemäßen Rechtsprechung gehört es daher, das Kirchenrecht anzuwenden, soweit dieses materiell einschlägige Rechtssätze beinhaltet.156 Der Justizgewährungsanspruch ist damit nur das Vehikel, das die Anwendung des materiellen Rechts durch die Gerichte zum Gegenstand eines Prozessgrundrechts macht, die „Brücke“157 zwischen Privatrecht und Prozess. Dagegen kann aus der Justizgewährungspflicht kein Anspruch auf einen bestimmten Inhalt dieses Rechts abgeleitet, also insbesondere kein „Anspruch auf einen Anspruch“ nach staatlichem Recht begründet werden.158 Der allgemeine Justizgewährungsanspruch ist somit ein subjektiv-öffentliches159 Recht, das auf die Entscheidung – bereits nach materiellem Recht bestehender – zivilrechtlicher Ansprüche gerichtet ist.160 Die Diskussion um den Justizgewährungsanspruch ist nach alledem nur ein Exkurs, der den Blick auf die eigentliche Streitfrage verstellt hat: nämlich die Frage, was das materiell klagbare Recht ist.161 Insofern gilt es, die Diskussion von der Ebene der Justizgewährung wieder auf die Ebene des prozessualen Anspruchs zu verlagern.162 Denn Justizgewähr ist im Rechtsstaat eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die Frage hingegen, was denn Recht sei, der lohnenswerte Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussion.
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Magen, NVwZ 2002, S. 897. Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 177; zum kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht Richardi, NZA 2000, S. 1305 (1306). 157 Wach, FG Leipzig für Windscheid (1888), S. 73 (99) zum Rechtsschutzanspruch. Nach dem hier vertretenen Verständnis des Justizgewährungsanspruchs kann diese Formulierung durchaus auf diesen übertragen werden. 158 EGMR, EuZW 2018, S. 461 (463); KirchE 58, 409 (418) zu Art. 6 EMRK; zum allgemeinen Justizgewährungsanspruch nach nationalem deutschen Verfassungsrecht vgl. Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (327); Voßkuhle / Kaiser, JuS 2014, S. 312 (313). In diesem Sinne hat VG Düsseldorf, KirchE 50, 274 (281) betont, dass allein die Anwendbarkeit des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs dem Kläger nicht weiterhilft, wenn es an einem materiellen Anspruch fehlt. Problematisch ist allerdings, dass das Gericht lediglich nach Ansprüchen im staatlichen Recht gesucht hat, während richtigerweise der materielle Anspruch auch auf kirchlichem Recht beruhen kann. 159 Die öffentlich-rechtliche Qualität des Justizgewährungsanspruchs wurde zuerst klar herausgestellt bei James Goldschmidt, Prozess als Rechtslage, S. 77 ff.; allgemein zum Zivilprozess als Gegenstand des öffentlichen Rechts Detterbeck, AcP 192 (1992), S. 325 (329). Da der Justizgewährungsanspruch grundrechtlich subjektiviertes objektives Verfassungsrecht ist, bietet sich die Qualifizierung als Grundrecht an. 160 Voßkuhle / Kaiser, JuS 2014, S. 312. 161 Magen, NVwZ 2002, S. 897 (898). 162 Zur Abgrenzung Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen, S. 28. 156
Viertes Kapitel
Historische Spurensuche: Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts Nach überwiegender und zutreffender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur folgt die Dienstherrnfähigkeit von Religionsgesellschaften aus deren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 137 Abs. 5 WRV.1 Dieser Begriff ist seit jeher umstritten. Rudolf Smend hat den Körperschaftsstatus als einen „rätselhaften Ehrentitel“2 charakterisiert. Dieses berühmte Bonmot erfreut sich anhaltender Beliebtheit3 und zeigt damit, dass der genaue Inhalt dieser Rechtsstellung nach wie vor nicht hinreichend geklärt ist. Mit den nachfolgenden Ausführungen können nicht alle Aspekte dieser andauernden Auseinandersetzung um die Auslegung von Art. 137 Abs. 5 WRV wiederaufgegriffen werden. Allerdings gilt es insofern Stellung zu beziehen, als davon das Verständnis der Dienstherrnfähigkeit maßgeblich abhängt. Die nachfolgenden Ausführungen nähern sich dem Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts auf historischem Wege. Die Arbeit folgt damit einer Einsicht, die bereits kurz nach der Weimarer Nationalversammlung Carl Israël formulierte: „Wer glaubt, sich lediglich an den Wortlaut halten zu können, scheitert“4. Indem diese Arbeit die Weimarer Entstehungsgeschichte ins Zentrum der Auslegung stellt, grenzt sie sich bewusst von denjenigen Stimmen ab, die den Wert der historisch-genealogischen Auslegung für das Verständnis von Art. 137 Abs. 5 WRV in Zweifel ziehen.5 Aus dem schon zitierten Beitrag Smends ist dazu eine weitere Bemerkung berühmt geworden: „Wenn zwei Grundgesetze dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe“6. Dieser These ist zwar zuzugeben, dass aus der Inkorporation der Weimarer Staatskirchenartikel nicht gefolgert werden darf, die Weimarer Verfassungslage wäre eins zu eins übernommen worden. Die Weimarer Bestimmungen müssen vielmehr im Kontext des Grundgesetzes gesehen7 und in diesen inte-
1
Dazu noch nächer unter Kapitel 7, C. I. Smend, ZevKR 1 (1951), S. 4 (9). 3 So etwa bei Starski, KuR 2016, S. 51. 4 Israël, Geschichte des Reichskirchenrechts, S. 62. 5 So Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 123; wie hier aber Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 74 ff. 6 Smend, ZevKR 1 (1951), S. 4. 7 Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 132. 2
4. Kap.: Historische Spurensuche
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griert werden,8 da sie mit diesem als vollwertiges Verfassungsrecht ein „organisches Ganzes“9 bilden. Die Weimarer Staatskirchenartikel müssen also als Teil des Grundgesetzes, nicht als Bestimmungen der Weimarer Verfassung ausgelegt werden.10 Für die historisch-genealogische Auslegung ist daher die Ausübung des pouvoir constituant durch den Bonner Grundgesetzgeber ausschlaggebend.11 Allerdings sind die Beratungen im Parlamentarischen Rat für die Bestimmung des Begriffs der Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV ausgesprochen unergiebig.12 Dies spricht dafür, dass sich der Bonner Grundgesetzgeber den Weimarer Beratungsstand eben doch zueigen gemacht hat,13 soweit er sich in den Gesamtkontext des Grundgesetzes einfügt. Wer dagegen überhaupt nicht auf die Entstehungsmaterialien zurückgreift, gerät methodisch in die Gefahr, eine eigene politische Neuinterpretation zum Maßstab der Auslegung zu machen.14 Politisch motivierte Änderungen der Verfassungslage stehen aber nur dem verfassungsändernden Gesetzgeber zu. Die Ergebnisse der historischen Spurensuche in den Weimarer Beratungen werden überraschen. Nach der hiesigen Lesart war vom Weimarer Verfassungsgeber ein ganz anderes Verständnis des Körperschaftsstatus intendiert, als es der spären Weimarer Praxis entsprach, gegen die sich Smends Bemerkung vor allem richtete. Das in der Verfassungswirklichkeit etablierte kirchenpolitische System der Weimarer Republik wurde durch Art. 140 GG tatsächlich nicht übernommen.15 Mit Hermann Weber will sich die vorliegende Arbeit aber „davor (…) hüten, den wirklichen Sinn der Weimarer Artikel (…) mit der Interpretation gleichzusetzen, (die) ihnen die stark von traditionellen Vorstellungen geprägte Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit überwiegend gegeben hat“16. Die Neuentdeckung der Weimarer Beratungen kann vielmehr einen Bedeutungsgehalt des Art. 137 Abs. 5 WRV offenlegen, wie er vom missverständlichen Wortlaut dieser Bestimmungen später ver 8 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 5; Huber, in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 155 (162 f.). 9 BVerfGE 19, 206 (219); 19, 226 (236); 53, 366 (400); 139, 321 (Rn. 89). 10 Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 140 (Stand: 74. EL 2015) Rn. 9. 11 Dezidiert betont Gerhard Hoffmann, dass der Grundgesetzgeber durch Art. 140 GG neues Verfassungsrecht im Rückgriff auf alte Gesetzesinhalte geschaffen habe, da die Weimarer Staatskirchenartikel zwischenzeitlich durch den NS-Staat außer Kraft gesetzt worden seien, in: FS Obermayer (1986), S. 33 (38 ff., 41). 12 Dazu unter E. 13 Vgl. Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 26, der zu Recht darauf aufmerksam macht, dass die „wörtliche Übernahme eines alten Textes in die neue Verfassung primär für den Willen des Verfassungsgebers spricht, mit dem alten Text auch den bisherigen Inhalt beizubehalten“. 14 So ganz offen – durchaus repräsentativ für die damalige staatskirchenrechtliche Lehre – Grundmann, JZ 1966, S. 81, der als Rechtfertigung für diese Vorgehensweise auf „zahlreiche Faktoren parajuristischer Art“ wie etwa die „Rolle der Kirchen (…) als führende Kräfte des Widerstands zwischen 1933 und 1945“ – historisch eine überaus selektive Wahrnehmung – verweist. 15 Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 98. 16 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 31.
82
4. Kap.: Historische Spurensuche
schüttet wurde. Während beispielsweise der Wortlaut eine grundrechtliche Deutung des Körperschaftsstatus zunächst in der Tat nicht nahelegt,17 zeigt die Entstehungsgeschichte, dass mit dem Körperschaftsstatus Rechte der Kirchen gegen konkrete einschränkende Tendenzen des Staates gesichert werden sollten. Während bis heute Rechtsprechung und Literatur überwiegend aus dem Begriff der „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ folgern, dass den Kirchen bestimmte Hoheitsbefugnisse übertragen worden seien,18 lehnte es der Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung nahezu einhellig ab, die aus dem Körperschaftsstatus folgenden Rechte als „obrigkeitliche Befugnisse“ zu bezeichnen.19 Die sogleich näher darzulegende hiesige Interpretation weist einen Weg um den „Abgrund“20 herum, den der Frankfurter Professor Friedrich Giese schon 1924 zwischen dem Verbot der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV) einerseits und dem Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 137 Abs. 5 WRV) anderseits ausmachte. Ironischerweise kann der Weg aus einer Verstrickung des Religionsverfassungsrechts in historischer Pfadabhängigkeit21 gerade über die Verhandlungen von 1919 führen. Sie zeigen nämlich, dass der Weimarer Verfassungsgeber das Staat-Kirchen-Verhältnis gar nicht in einer Weise organisatorisch-institutionell verstanden wissen wollte, wie dies später aus einer unglücklichen Wortwahl gefolgert wurde. Die Weimarer Staatskirchenartikel passen sich damit weitaus besser in den Gesamtkontext des Grundgesetzes ein, als es nach einer von der Weimarer Verfassungswirklichkeit dominierten Auslegung dieser Bestimmungen zunächst den Anschein hat.22 Erst später haben sich um das pragmatische Verständnis des Jahres 1919 „weitere Bedeutungs- und Legitimationsschichten gelegt“23. Geht man auf den ursprünglichen verfassungsgeberischen Willen zurück, erweist sich die grundrechtliche Deutung von Art. 137 Abs. 5 WRV als keineswegs ahistorisch24. Zugleich schafft der Rückblick in die Vergangenheit damit für die Zukunft die Voraussetzungen dafür, dass der Staat auch in Zeiten zunehmender religiöser Plura lisierung seine weltanschaulich-religiöse Neutralität glaubwürdig aufrechterhalten und damit „Heimstatt aller Staatsbürger“25 bleiben kann.26
17
Uhle, FS Isensee (2007), S. 1033 (1039). Dazu noch eingehend Kapitel 6, B. II. 2. und B. III. 19 Unter C. II. 20 Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (34). 21 Vgl. Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (27 ff.). 22 Krit. dazu, dass die Weimarer Staatskirchenartikel nicht auf das Grundgesetz abgestimmt seien, Schlief, Entwicklung von des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 135. 23 So noch Korioth, GS Jeand’Heur (1999), S. 221 (225). 24 So aber Korioth, FS Badura (2004), S. 727 (737); ders., in: Maunz / Dürig, GG, Art. 140 (Stand: 74. Lfg 2015) Rn. 15. 25 BVerfGE 19, 206 (216); 108, 282 (299); 138, 296 (Rn. 109). 26 Vgl. Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (27 ff.). 18
A. Regressus ad infinitum?
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A. Regressus ad infinitum? Der Grundgesetzgeber von 1949 hat sich einer ungewöhnlichen Methode bedient,27 um die Rechtsverhältnisse der Religionsgesellschaften zu regeln. Gemäß Art. 140 GG werden die Weimarer Staatskirchenartikel (Art. 136 ff. WRV) in das Grundgesetz inkorporiert28. Im Parlamentarischen Rat sah der hessische Abgeordnete Georg August Zinn (SPD) darin „eine gesetzestechnische Überrumpelung des Mannes aus dem Volke“29. Mit der von CDU / CSU und FDP getragenen Entscheidung30 sind die Weimarer Staatskirchenartikel gleichwohl vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland geworden.31 Der Bonner Grundgesetzgeber steht damit in einer längeren Traditionslinie, denn schon die Weimarer Versammlung knüpfte in Art. 137 Abs. 5 WRV an einen früheren Rechtszustand an. Dort heißt es nämlich: „Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren“. Die Verweisungskette in frühere Rechtszustände lässt sich über die Stationen von 1949 (Art. 140 GG) und 1919 (Art. 137 Abs. 5 WRV) noch weiter zurück in die Vergangenheit verfolgen. Im Kaiserreich wurden die Rechtsverhältnisse der Religionsgesellschaften mangels Reichskompetenz – im Katalog des Art. 2 RV war keine einschlägige Materie enthalten32 – durch Landesrecht geregelt. Für Preußen unterschied das Allgemeine Landrecht die vom Staat ausdrücklich aufgenommenenen Religionsgesellschaften als privilegierte Korporationen (§ 17 II.11 ALR) von den bloß geduldeten Religionsgesellschaften. Welche Religionsgesellschaften zu den privilegierten Korporationen gehören, ergibt sich wiederum aus dem so genannten Wöllnerschen Religionsedikt33 des preußischen Königs von 1788, das nämlich die „drei Haupt-Confessionen der Christlichen Religion, nemlich die Reformirte, Lutherische und Römisch-Catholische“ schützt, freilich wiederum unter Verweis auf die „von Unsern gottseligen Vorfahren vielfältig erlassenen Edicten und Verordnungen“34. Auch dieses Edikt gewährt damit Bestandsschutz für frühere Bestimmungen.35 Zu diesen kann der Westfälische Friede von 1648 gerechnet werden, der wiederum auf die hergebrachten Rechtssätze, die „usitata 27
Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 124 f. Zur Inkorporation als dem passenden Begriff für die Regelungstechnik Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 127 f. 29 Wortbeitrag Abg. Zinn (SPD), Hauptausschuss Parlamentarischer Rat, 46. Sitzung, 20.1. 1949, Der Parlamentarische Rat 14/II, S. 1452. Diese Kritik ist weitgehend verstummt, vgl. aber aus der Lit. etwa Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 140 Rn. 1. 30 Unter E. 31 BVerfGE 19, 206 (219). 32 Kahl, Kirchenrecht, S. 182 f. 33 Nach dem damaligen Justizminister und Vertrauten Friedrich Wilhelms II. (1786–1797), Johann Christoph Wöllner (1732–1800). Zum Edikt Schmal, Staatliches Kirchenaustrittsrecht, S. 81 ff. 34 § 1 des Edicts v. 9.7.1788, abgedruckt bei Mannkopff, ALR V, S. 330. 35 Schmal, Staatliches Kirchenaustrittsrecht, S. 84. 28
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4. Kap.: Historische Spurensuche
praxis“ (Art. V § 30 IPO), Bezug nimmt. Art. V § 1 IPO verweist außerdem ausdrücklich auf die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555, der wiederum seinerseits Bezugnahmen auf eine Rechtspraxis enthält, die sich seit der Reformation herausgebildet hatte. Diese Verweisungskette macht deutlich, dass es nicht Ziel einer historischen Spurensuche sein kann, die heutigen Rechtsverhältnisse der Religionsgesellschaften durch eine exakte historische Rekonstruktion früherer Rechtszustände zu bestimmen. Der Gesetzgeber hat nämlich nur scheinbar frühere Rechtszustände konserviert. Tatsächlich hat sich das Staatskirchenrecht über die Jahrhunderte immer wieder stark gewandelt. Der Augsburger Religionsfriede manifestierte beispielsweise noch das religiös-homogene Landesgebiet, indem es dem Landesherrn das ius reformandi zugestand, den Untertanen dagegen lediglich ein qualifiziertes Auswanderungsrecht garantierte.36 Im 18. Jahrhundert trat Friedrich der Große dann dafür ein, dass jeder nach seiner Façon selig werden solle. Die wechselvolle Geschichte mehr oder weniger enger Verbindung zwischen Staat und Kirche kann hier nicht umfassend nachgezeichnet werden. Für den Zweck dieser Untersuchung genügt die Feststellung, dass die Wandlung der gesamtverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen über die Jahrhunderte jeden Versuch, das heutige verfassungsrechtliche Staat-Kirchen-Verhältnis an einem bestimmten früheren Rechtszustand fixieren zu wollen, scheitern lassen muss. Eine Erfolg versprechende historische Spurensuche setzt daher am „Vorabend“ der Weimarer Nationalversammlung ein. Die Abschaffung der Monarchie markierte einen entscheidenden Umbruch im Staat-Kirchen-Verhältnis. Sie entzog der Personalunion von Landesfürst und Kirchenoberhaupt und somit dem Landeskirchentum die Grundlage.37 Mit dem Verbot der Staatskirche in Art. 137 Abs. 1 WRV wurde dieser Systemwechsel in der Weimarer Verfassung normativ verankert. Im Rückblick zeigt sich der epochale Einschnitt in den Staat-Kirchen-Beziehungen.38 Nach der gescheiterten Paulskirchenverfassung garantierten die Art. 135 f. WRV zum ersten Mal für das gesamte Reichsgebiet die Religionsfreiheit. An die Stelle des christlichen Staates (Art. 14 PrVerf-1850) trat nunmehr der Grundsatz der religiösen Parität, wie er in den Art. 137 Abs. 3 und Abs. 5 S. 2 WRV39 besonders zum Ausdruck kommt. Diese wesentlichen Neuerungen demonstrieren bereits, dass der Weimarer Verfassungsgeber – ungeachtet Art. 137 Abs. 5 WRV – nicht nur altes konserviert, sondern neues Recht geschaffen hat. Deshalb kann es nicht Ziel einer historischen Auslegung sein, eine „saubere“ Anknüpfung an einen früheren Rechtszustand zu rekonstruieren, sondern vielmehr zu ermitteln, welche Rechtsstellung der Weimarer Verfassungsgeber (nicht frühere Gesetzgeber) den Religionsgesell 36
Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 12 Rn. 5. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 157. 38 v. Campenhausen, in: Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, In Freiheit verbunden, S. 57 (58). 39 Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (375 f.). 37
B. Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts
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schaften, die er als Körperschaften des öffentlichen Rechts bezeichnete (Art. 137 Abs. 5 WRV), zukommen lassen (nicht lediglich konservieren) wollte.
B. Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts am Vorabend der Weimarer Nationalversammlung? Als der Weimarer Verfassungsgeber 1919 in Art. 137 Abs. 5 von „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ sprach, verband er Begriffe miteinander, die in den Jahrzehnten zuvor Gegenstand leidenschaftlicher Debatten in der Rechtswissenschaft gewesen waren: Körperschaft und öffentliches Recht, sowie in der Kombination Körperschaft des öffentlichen Rechts.
I. Begriff der juristischen Person All diese Begriffe waren um 1900 noch immer ungeklärt. Die Definition des Oberbegriffs der juristischen Person war Gegenstand eines zentralen Theorienstreits in der Zivilrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts.40 Dabei standen sich die historische Schule um Friedrich Carl v. Savigny auf der einen und die Germanisten – auch „Gierkisten“41 – auf der anderen Seite gegenüber. Für die romanische Sichtweise arbeitetete Savigny den fingierten42 Charakter der juristischen Person als rechtsfähiges Subjekt,43 als – so später das Bundesverfassungsgericht – „Zweckgebilde der Rechtordnung“44, deutlich heraus. Wesentliches Merkmal der Körperschaft als Erscheinungsform der juristischen Person ist, dass diese unabhängig von ihrem Mitgliederbestand besteht.45 Allerdings unterschied Savigny nicht zwischen den juristischen Personen des öffentlichen Rechts und solchen des Privatrechts, sondern meinte im Gegenteil, den Begriff der juristischen Person
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Dazu rückblickend im Überblick Staudinger / Weick (2005), Einl zu §§ 21 ff. Rn. 4 und zu neueren Konzeptionen Rn. 5. 41 Zurückgehend auf Otto v. Gierke, der mit seinem mehrbändigen Werk zum Genossenschaftswesen eine spezifisch deutschrechtliche Theorie der juristischen Person zu entwickeln suchte. Der Begriff „Gierkisten“ findet sich bei Befürwortern wie Gegnern dieser Theorie, so abschätzig de Vareilles-Sommières, Personnes morales, S. 204; sich der Bezeichnung rühmend dagegen Waldecker, Begriff der Korporation des öffentlichen Rechts, S. 6. 42 v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II, S. 241. 43 v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II, S. 236 ff. Die Fiktion einer rechtsfähigen Person steht auch im Mittelpunkt der Überlegungen bei Puchta, Corporationen, in: Weiske, Rechtslexikon III, S. 65 (68 ff.). 44 BVerfGE 95, 220 (242); 106, 28 (42). 45 Vgl. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II, S. 244. So auch die moderne Definition der Körperschaft, vgl. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 182.
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4. Kap.: Historische Spurensuche
ausschließlich aus der Perspektive des Privatrechts verstehen zu können und zu sollen.46 Er war damit deutlich von der Rezeption des römischen Rechts geprägt, das ebenfalls keine klare Trennung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Korporationen erlaubt.47 Der romanischen Sichtweise stand der maßgeblich durch Otto v. Gierke begründete Versuch gegenüber, einen „deutschrechtlichen“48 Begriff der Körperschaft zu prägen. Die Körperschaft sollte dabei nicht lediglich technisch als fiktives Rechtsgebilde beschrieben werden. Vielmehr betonte Gierke die reale Personalität der juristischen Person, die sich aus der engen Beziehung zu ihren Mitgliedern ergebe.49 Die Germanisten meinten, unmittelbar aus dem Begriff der Körperschaft Mitwirkungs- und Teilhaberechte ableiten zu können.50 Wegen seiner besonderen gesellschaftlichen Funktion ordnete Gierke das Vereinsrecht nicht dem Zivilrecht zu, sondern bezeichnet dieses als „Sozialrecht“51. Dieser Theorienstreit verlagerte sich im Zuge der Ausarbeitungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch auf die politische Ebene. Gierke persönlich unterbrach sein wissenschaftliches Werk, um sich dem „Kampf für germanisches Recht im deutschen bürgerlichen Gesetzbuch“52 zu widmen. Da der Theorienstreit zwischen Romanisten und Germanisten von unterschiedlichen philosophischen und soziologischen Ansätzen ausging, war eine Lösung aussichtslos.53 Obschon das Bürgerliche Gesetzbuch den Streit nicht durch eine Legaldefinition gelöst hat, ist heute an die Stelle des einstigen Grundsatzstreits überwiegend eine pragmatische Betrachtungsweise getreten, die am positiven Recht orientiert ist. Die Einzelheiten der aufgezeigten Auseinandersetzung sind hier nicht entscheidend. Für den Zweck dieser Arbeit genügt die Feststellung Otto Mayers, dass 46
v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts II, S. 236. Kaser, Römisches Privatrecht I, S. 263 f.; ders., Römisches Privatrecht II, S. 104. 48 Besonders deutlich wird dies bei Gierke, der seine Definition des Körperschaftsbegriffs in erklärter Gegnerschaft zur romanistischen Auffassung entwickelte, Korporation, in: Holtzendorff, Rechtslexikon II, 31881, S. 560 ff. Besonders eindrücklich wird Gierkes Selbstsicht als Kämpfer für das germanistische, vermeintlich genossenschaftliche Verständnis von der Korporation im Vorwort zum letzten Band seiner unvollendeten Abhandlung über das Genossenschaftswesen, vgl. Genossenschaftsrecht IV, S. XI f. Vgl. ebenso die ironisch-polemische Kritik der romanistischen Sichtweise bei Weiske, Corporationen nach römischen und teutschen Rechtsbegriffen, S. 115 f. Speziell bezogen auf die öffentlich-rechtlichen Körperschaften bezeichnet sich Waldecker Anfang des 20. Jahrhunderts ausdrücklich als einer der „Gierkisten“ (Begriff der Korporation des öffentlichen Rechts, S. 6). Zu den vermeintlich „jugendlichen Züge[n]“ des germanischen Rechts und seines genossenschaftlichen Korporationsbegriffs a. a. O., S. 37. 49 v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 470 f. 50 Vgl. Weiske, Corporationen nach römischen und teutschen Rechtsbegriffen, S. 121 ff.; Gierke, Korporation, in: Holtzendorff, Rechtslexikon II, 31881, S. 560 (561 ff.). 51 v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 534; zu v. Gierkes Begriff des Sozialrechts Hadding, FS Fischer (1979), S. 165 (175 f.). 52 v. Gierke, Genossenschaftsrecht IV, S. XII. 53 Staudinger / Weick (2005), Einl §§ 21 ff. Rn. 4. 47
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sich der Theorienstreit über den Begriff der juristischen Person im Allgemeinen auch auf die Definition der Körperschaft des öffentlichen Rechts „eher schädlich“54 auswirkte.
II. Der verwaltungsrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts Noch unübersichtlicher war das Meinungsbild zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Rechtswissenschaft bot damals „eine bunte Palette von Auffassungen über das Wesen der öffentlichen Korporation“55. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts befasste sich die Wissenschaft kaum mit dem Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts.56 Noch in der Mitte des Jahrhunderts wurde häufig überhaupt nicht zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Korporationen unterschieden.57 Otto Mayer betonte: „Die[se] Unterscheidung gehört ganz dem neueren Rechte an. Im alten Staatswesen war ja öffentliches und Privatrecht überhaupt nicht getrennt“58. Tatsächlich ging die Ausdifferenzierung des öffentlichen Rechts als Sonderrecht erst mit der Entwicklung des Rechtsstaatsprinzips im 19. Jahrhundert einher.59 So hat beispielsweise die Vereinigungsfreiheit ebenfalls erst nach 1848 nach und nach allgemeine Anerkennung gefunden.60 Bis zur Anerkennung der Vereinigungsfreiheit aber bedingte bereits die staatliche Anerkennung eine gewisse öffentliche Stellung der Vereine.61 Insbesondere der preußische Staat sah das gemeinnützige Vereinswesen als verlängerten Arm der eigenen Sozial- und Kulturverwaltung an.62 Die heutige Differenzierung
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Otto Mayer, in: FS Laband I (1908), S. 1 (4). Bieback, Die öffentliche Körperschaft, S. 120; ähnlich für die spätere Weimarer Zeit Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 55; zum Meinungsstand um die Jahrhundertwende vgl. auch Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 17 ff. 56 Endrös, ZRG Kan. Abt. 69 (1983), S. 292 (309). 57 Vgl. die Begriffsbestimmung bei Weiske, Corporationen nach römischen und teutschen Rechtsbegriffen, S. 121 ff., die keine derartige Abgrenzung erkennen lässt. Wie hier Endrös, ZRG Kan. Abt. 69 (1983), S. 292 (310). 58 Otto Mayer, Verwaltungsrecht II, 1. Aufl. 1896, S. 368. 59 Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland II, S. 51 f. 60 Meyer, Staatsrecht, S. 759, wobei noch bei Erscheinen des Werks (1899) politische Vereine in einigen Ländern einem Genehmigungsvorbehalt unterlagen, vgl. S. 761, mit Aufzählung der entsprechenden landesrechtlichen Regelungen in Fn. 5. 61 Schmal, Staatliches Kirchenaustrittsrecht, S. 97; vgl. dazu aus der zeitgenössischen Literatur Weiske, Corporationen nach römischen und teutschen Rechtsbegriffen, S. 171 f. Otto Mayer, Verwaltungsrecht II, 1. Aufl. 1896, S. 368, ebenso noch 3. Aufl. 1924, S. 327, betont demgegenüber, vor der Abgrenzung des öffentlichen Rechts als Sonderrecht seien Körperschaften immer rein privatrechtlicher Natur gewesen. 62 MüKoBGB / Reuter, vor § 21 Rn. 164. 55
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zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Körperschaften war dem gemäß auch dem Preußischen Allgemeinen Landrecht fremd.63 1873 lehrte der Berliner Professor Eduard Zeller, dass drei verschiedene Arten von Gesellschaften zu unterscheiden seien: die reinen Privatgesellschaften, die vom Staat anerkannten Privatgesellschaften mit Rechtspersönlichkeit und die öffentlichen Korporationen.64 Noch in der Spätphase des Kaiserreichs lehnte Hans Schuler 1908 die Anwendung dessen, was heute als Sonderrechtstheorie anerkannt ist, zur Unterscheidung der öffentlich-rechtlichen von den privatrechtlichen Körperschaften ab: Denn der Begriff des öffentlichen Rechts sei derart umstritten, dass von seiner Anwendung für die Unterscheidung der öffentlich-rechtlichen von den privatrechtlichen Körperschaften keine praktischen Resultate zu erhoffen seien.65 Die herrschende Auffassung im ausgehenden 19. Jahrhundert ging davon aus, dass das Wesen der Körperschaft des öffentlichen Rechts durch deren hoheitliche Befugnisse ihren Mitgliedern gegenüber bestimmt sei.66 Verschiedentlich wird in diesem Zusammenhang auf die Zwangsmitgliedschaft in der Körperschaft ab gestellt.67 Andere Autoren gingen hingegen gerade vom Gegenteil aus: Rudolph von Jhering, einer der bedeutendsten deutschen Zivilisten des 19. Jahrhunderts, sah das Wesensmerkmal einer „Gesellschaft des öffentlichen Rechts“ gerade darin, dass sie offen ist und neuen Mitgliedern freien Zutritt gestattet.68 Darüber, wie privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Korporationen voneinander zu unterscheiden seien,
63 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 88; Herlitzius, Begriff der kirchlichen Selbstverwaltung, S. 24. 64 Zeller, Staat und Kirche, S. 74, der die großen Kirchen zu den öffentlichen Korporationen zählt (S. 78 ff.). Zeller versteht die Kirchen allerdings noch konsequent als mittelbare Staatsanstalten. Das wird insbesondere daran deutlich, dass er aus ihrem Rechtsstatus als öffentliche Körperschaften die Befugnis des Staates ableitet, das Dienstrecht der Geistlichen (auch im Hinblick auf die erforderliche Ausbildung und die Voraussetzungen der Anstellungsfähigkeit) durch staatliches Gesetz zu regeln, S. 130 ff. 65 Schuler, Öffentlich-rechtliche Körperschaft, S. 19. 66 Meyer, Verwaltungsrecht I, S. 18 f.: „obrigkeitliche Befugnisse“; sowie zur Abgrenzung zum bloß privatrechtlichen Verein S. 399 Fn. 9; v. Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht, in: Marquardsen, Handbuch des Oeffentlichen Rechts der Gegenwart I/2, S. 5 (72): „mit der staatlichen Gewalt ausgestattet“ nur als typisches, nicht aber als notwendiges Merkmal F. Mayer, KritV 26 (1884), S. 591 (593). 67 F. Mayer, KritV 26 (1884), S. 591 (593); a. A. Freiherr v. Stengel, Organisation der preußischen Verwaltung, S. 14, der von einer freiwilligen Mitgliedschaft auch in den öffentlich-rechtlichen Korporationen ausgeht. Entsprechend ordnet er allerdings beispielsweise die Kommunen nicht als Körperschaften ein, vgl. seine Einteilung der verschiedenen Selbstverwaltungskörper, S. 13 f. 68 v. Jhering, Zweck im Recht I, S. 297 f. Die Ausführungen v. Jherings belegen zudem, wie offen und strittig die Abgrenzung von Privatrecht und öffentlichem Recht seinerzeit noch war. So tritt v. Jhering vehement dafür ein, das Prinzip der Offenheit zum Abgrenzungskriterium von privatem und öffentlichem Recht zu machen und dementsprechend alle Vereine als juristische Personen des öffentlichen Rechts zu betrachten, a. a. O., S. 297 f.; S. 302 ff., insbesondere S. 305.
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konnte auch bei den Beratungen für das Bürgerliche Gesetzbuch keine Einigkeit erzielt werden.69 Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert erwachte das Interesse der Verwaltungsrechtswissenschaft an einer vertieften Untersuchung des Begriffs der Körperschaft des öffentlichen Rechts. Diese Entwicklung wird durch mehrere um 1900 erschienene Monographien dokumentiert, die den Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft erstmals ins Zentrum wissenschaftlicher Untersuchungen rückten.70 Den Anfang dieser monographischen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts setzte 1886 der damalige Freiburger Rechtsprofessor Heinrich Rosin71 mit seiner Abhandlung „Das Recht der Öffentlichen Genossenschaft“. Rosin ging noch von der heute als veraltet angesehenen72 Interessentheorie73 aus.74 Dementsprechend sei öffentliche Genossenschaft „diejenige Genossenschaft, welche kraft öffentlichen Rechts dem Staate zur Erfüllung ihres Zweckes verpflichtet ist“75. Daraus leitete Rosin ab, dass der öffentlichen Genossenschaft zwar eine selbständige Rechtspersönlichkeit zukomme, sie zugleich jedoch mit dem „Organismus des Staates“76 verbunden sei und staatlicher Aufsicht unterliege.77 Die Bezeichnung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts lehnte Rosin ab. Die Gegenauffassung entspreche der überholten Lehre vom 69
Gemäß § 89 Abs. 1 BGB ist die Vorschrift über die Haftung des Vereins für Handlungen des Vorstands und anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) auch auf öffentlichrechtliche Körperschaften anwendbar. In den Gesetzgebungsmaterialien wird die „Schwierigkeit ihrer begrifflichen Abgrenzung“ erwähnt, Motive I, S. 82. 70 Es handelt sich um Rosin, Recht der Öffentlichen Genossenschaft (1886); Franz Wolff, Staat und öffentlich-rechtliche Korporationen (1897); Schuler, Öffentlich-rechtliche Körperschaft (1908); Waldecker, Begriff der Korporation des öffentlichen Rechts (1913). Keine Monographie aber einen wichtigen Beitrag in diesem Zusammenhang stellt Otto Mayers Beitrag über „Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht“ dar, in: FS Laband I (1908), S. 1 ff. Die Wende um 1900 wird überdies gut durch das bekannte Verwaltungsrechtslehrbuch Otto Mayers dokumentiert. Dessen Erstauflage von 1896 enthält lediglich einen kurzen Absatz zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts (Otto Mayer, Verwaltungsrecht II, 1. Aufl. 1895 f., S. 381). In der Zweitauflage wird dem Begriff dann ein eigener Paragraph gewidmet (Otto Mayer, Verwaltungsrecht II, 2. Aufl. 1917, § 57). 71 Heinrich Rosin, *14.9.1855 Breslau, †31.3.1927 Freiburg im Breisgau, ab 1888 Professor in Freiburg, 1888–1908 Mitglied im Oberrat der Israeliten Badens. 72 Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 31 f. 73 Zurückgehend auf D. 1.1.1.2. (Ulp. 1 inst.). 74 Rosin, Recht der Öffentlichen Genossenschaft, S. 17. 75 Rosin, Recht der Öffentlichen Genossenschaft, S. 18; zust. Franz Wolff, Der Staat und die öffentlich-rechtlichen Korporationen, S. 94. Ähnlich und von der Interessentheorie ausgehend Freiherr v. Stengel, Organisation der preußischen Verwaltung, S. 11 ff., insbes. S. 13 f. 76 Rosin, Recht der Öffentlichen Genossenschaft, S. 19; ebenso Gierke, Korporation, in: Holtzendorff, Rechtslexikon II, 31881, S. 560 (563). 77 Rosin, Recht der Öffentlichen Genossenschaft, S. 19; zugleich macht Rosin jedoch deutlich, dass die Rechtsbeziehung zwischen Staat und Körperschaft des öffentlichen Rechts auf gesetzlicher Grundlage zu regeln sei, sodass die Einwirkung des Staats auf die Körperschaft nicht der staatlichen Willkür unterliege, a. a. O., S. 33.
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Staatskirchentum.78 Es handele sich um „nichts Anderes als Reminiscenzen eines früheren Rechtszustandes“79. Ein Jahrzehnt nach dem Erscheinen von Rosins Werk schloss hieran Franz Wolff mit seiner Dissertation an. Im Sinne der Theorie Rosins beschrieb er das Verhältnis der Körperschaft des öffentlichen Rechts zum Staat bildlich als das eines procurator in rem suam80: Der Staat übertrage der Körperschaft Aufgaben, damit diese in seinem Sinne erfüllt werden; diese Aufgaben werden sodann von der Körperschaft als eigene Angelegenheit betrachtet. Die Kirchen qualifizierte Wolff, anders als Rosin, als öffentliche Genossenschaften. Dabei berief sich Wolff allerdings ausdrücklich darauf, dass die Kirchen derart unter staatlicher Aufsicht stünden, dass sie Teil der mittelbaren Staatsgewalt seien.81 Der öffentliche Zweck der Körperschaft des öffentlichen Rechts wird ebenfalls in der Dissertation Hans Schulers von 1908 betont. Allerdings sei der öffentliche Zweck allein nicht ausreichend, vielmehr müsse es zu einer Anerkennung dieses öffentlichen Zwecks durch die Rechtsordnung kommen.82 In eine ähnliche Richtung geht die Arbeit von Ludwig Waldecker aus dem Jahr 1913. Sein Ausgangspunkt ist zwar ebenfalls, dass der Staat einzelnen Körperschaften wegen ihres öffentlichen Zwecks den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zuerkennt. Im Vordergrund sah Waldecker aber die formale staatliche Entscheidung, die Körperschaft dem öffentlichen Recht zu unterstellen.83
III. Der staatskirchenrechtliche Begriff der öffentlichen Korporation Während der verwaltungsrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts erst im ausgehenden 19. Jahrhundert Gestalt annahm, gab es im Bereich des Staatskirchenrechts schon länger den Begriff der öffentlichen Korporation. Alfred Endrös versuchte sogar nachzuweisen, dass der Begriff in der Schrift „De iure naturae et gentium“ Samuel Pufendorfs aus dem 17. Jahrhundert wurzelt.84 Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 ist von privilegierten Korporationen 78 Rosin, Recht der Öffentlichen Genossenschaft, S. 36 ff.; explizit S. 39: „daß die Bezeichnung der Kirchen als öffentliche Corporationen nur ein Ausdruck für das System des polizeistaatlichen Staatskirchenthums ist“. 79 Rosin, Recht der Öffentlichen Genossenschaft, S. 39. 80 Franz Wolff, Der Staat und die öffentlich-rechtlichen Korporationen, S. 93. 81 Franz Wolff, Der Staat und die öffentlich-rechtlichen Korporationen, S. 24. 82 Schuler, Öffentlich-rechtliche Körperschaft, S. 47 f. Die Kirchen qualifiziert Schuler als öffentlich-rechtliche Körperschaften, weil die Religionspflege seiner Ansicht nach eine staatliche Aufgabe sei. Kämen die Kirchen dieser Aufgabe nicht mehr ausreichend nach, müsse der Staat selbst die Religionspflege in die Hand nehmen (S. 34 f.). 83 Waldecker, Begriff der Korporation des öffentlichen Rechts, S. 29 f. 84 Endrös, Körperschaft des öffentlichen Rechts, S. 57 ff.; ders., ZRG Kan. Abt. 69 (1983), S. 292 (295 ff.).
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(§ 17 II.11 ALR) die Rede, die an anderer Stelle auch als „öffentlich aufgenommene“ Religionsgesellschaften (§ 27 II.11 ALR; e contrario § 20 II.11 ALR) bezeichnet werden. Diese unterscheiden sich von den bloß geduldeten Religionsgesellschaften (§ 20 II.11 ALR). Diese Einteilung der Religionsgesellschaften nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht war charakteristisch für das ganze deutsche Staatengefüge dieser Zeit.85 Eine ähnliche Terminologie findet sich im Bayerischen Religionsedikt von 181886, das zwischen den christlichen Konfessionen als den öffentlichen Kirchengesellschaften (§§ 24, 28 ff. BayRelEd) und den anderen Kirchengesellschaften (§ 25 BayRelEd) unterscheidet. In den aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden Gesetzen Badens, Württembergs und Hessens werden die christlichen Kirchen jeweils zu öffentlichen Korporationen erklärt.87 Der rechtliche Inhalt dieser staatskirchenrechtlichen Charakterisierung war jedoch nicht minder umstritten88 als der verwaltungsrechtliche Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Aus der Perspektive des Staatskirchentums erscheint es zunächst nur konsequent, die Kirchen als öffentlich-rechtliche Gebilde zu behandeln. So bezeichnete 1849 Emil Herrmann89 die Kirche als „Anstalt des öffentlichen Rechts (…) und staatsseitig zu pflegende Institution“90. Als sich die evangelische Kirche im Verlauf des 19. Jahrhunderts von der staatlichen Verwaltung zu lösen begann, wurde diese schlichte Qualifikation indes fraglich. So ging der damalige Jenaer Rechtsprofessor Paul Schoen91 davon aus, dass die Bezeichnung als öffentlich-rechtliche Körperschaft wenigstens in der Gesetzgebung Badens, Württembergs und Hessens nur noch politische Bedeutung habe.92 Ausdrücklich wendete Schoen gegen die Qualifizierung der Kirchen als öffentlich-rechtliche Körperschaften ein, dass dieser Begriff nicht feststehe.93 In der Sache lehnte er die 85
Schmal, Staatliches Kirchenaustrittsrecht, S. 95. Edict über die äußern Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königsreichs Baiern, in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften (Zweyte Beylage zur Verfassungs-Urkunde des Reichs Tit. IV. §. 9.) v. 26.05.1818, BayGVBl S. 149 ff. 87 § 1 des Gesetzes, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend, v. 09.10.1860, Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt 1860, S. 375; Art. 1 des Gesetzes, betreffend die religiösen Dissidenten-Vereine, v. 09.04.1872, Regierungs-Blatt für das Königreich Württemberg 1872, S. 151; Art. 1 des Gesetzes, die rechtliche Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Staate betreffend, v. 23.04.1875, Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1875, S. 35. 88 So auch Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 1. 89 Emil Herrmann, *9.4.1812 Dresden, † 16.4.1885 Gotha, 1836 Professor in Kiel, ab 1847 in Göttingen, 1864–1872 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 1872–1878 Präsident des Evangelischen Oberkirchenrats der Altpreußischen Union. 90 Herrmann, Stellung der Religionsgemeinschaften im Staate, S. 9. 91 Paul Schoen, *16.5.1867 Königsberg, † 21.9.1949 Göttingen, ab 1896 Professor in Jena, ab 1900 Professor in Göttingen. 92 Schoen, VerwArch 6 (1898), S. 101 (126 f.); kritischer später: „vereinzelte Überreste des alten Staatskirchentums“ in Anspielung auf „gewisse[n] Vorzugsrechte[n], die […] ein Konglo merat willkürlicher Bestimmungen [sind], die nur historisch verstanden werden können“, ders., Evangelisches Kirchenrecht in Preußen I, S. 172. 93 Schoen, VerwArch 6 (1898), S. 101 (103). 86
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öffentlich-rechtliche Korporationsqualität ab und erklärte die Kirchen ausdrücklich zu privaten Korporationen94. Der Bonner Rechtslehrer Wilhelm Kahl ging in seinem berühmten Kirchenrechtslehrbuch von 1894 ebenfalls davon aus, dass der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts als „terminus technicus“ für die Kirchen „unbrauchbar“95 sei; stattdessen schlug er vor, von qualifizierten Korporationen zu sprechen.96 In seinem Kommentar zur preußischen Verfassung zieht Anschütz die Konsequenz aus der Abnabelung der kirchlichen von der staatlichen Verwaltung: Weil die Kirchen nicht mehr in den Staat eingegliedert seien, komme die Bezeichnung als Körperschaft des öffentlichen Rechts für sie nicht mehr in Betracht.97 Andere Autoren dagegen hielten unter Hinweis auf die Gesetzeslage an der Bezeichnung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts fest.98 Näher begründete dies Rudolph Sohm. Zwar sei die Kirche Heilsanstalt, keine Staatsanstalt, weswegen die Staatsgewalt von der Kirchengewalt zu unterscheiden sei.99 Die Stellung einer öffentlichen Korporation bringe allerdings zum Ausdruck, dass die Kirche „ethisch gleichberechtigt mit dem Staat“ sei, da beide die gleichen Aufgaben verfolgten, nämlich den „Dienst [an] der menschlichen Vollkommenheit“100. Gleichwohl forderte Sohm den Staat zur aktiven Anteilnahme an der Ausübung der Kirchengewalt auf.101 Die damit einhergehende Machtminderung der Kirche sei durch die Privilegien der öffentlichen Rechtsform gerechtfertigt.102 Eine frühe evangelische Variante der katholischen Koordinationslehre vertrat bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert Paul Hinschius, seinerzeit Professor in Berlin.103 Für ihn lag das Charakteristikum der Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Befugnis zu öffentlich-rechtlichem Handeln.104 Dies sei jedoch nicht mit der Ausübung staatlicher Funktionen gleichzusetzen, vielmehr erfüllten die Kirchen ihre 94
Schoen, Evangelisches Kirchenrecht in Preußen I, S. 172. Kahl, Kirchenrecht, S. 337. 96 Kahl, Kirchenrecht, S. 332 ff., insbes. S. 340. Die Verwendung des Begriffs der Körperschaft des öffentlichen Rechts wird in der zeitgenössischen Literatur um 1900 ebenfalls abgelehnt von Rosin, Recht der Öffentliche Genossenschaft, S. 39. 97 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde I, S. 300. 98 v. Gierke, Privatrecht I, S. 621 Anm. 18; ders., Genossenschaftstheorie, S. 167 ff.; Bluntschli, Allgemeines Staatsecht II, S. 427; Friedberg, Evangelisches Verfassungsrecht, S. 34; Sartorius, Staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Kirchenrechts, S. 142; Goßner, Preußisches Evangelisches Kirchenrecht I, S. 17, der so den Begriff der öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaft aus dem ALR „übersetzt“; Meyer, Staatsrecht, S. 771, einschließlich Hinweis auf die Gesetzeslage nach ALR in Fn. 23, verwendet die Bezeichnungen „privilegierte Religionsgemeinschaft“ und „öffentliche Korporation“(nicht: öffentlich-rechtliche) parallel. 99 Sohm, Zeitschrift für Kirchenrecht 11 (1873), S. 157 (169). 100 Sohm, Zeitschrift für Kirchenrecht 11 (1873), S. 157 (171). 101 Sohm, Zeitschrift für Kirchenrecht 11 (1873), S. 157 (172 ff.). 102 Sohm, Zeitschrift für Kirchenrecht 11 (1873), S. 157 (173). 103 Gegen eine Behandlung der Kirchen als Privatvereine Hinschius, in: Marquardsen, Handbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart I/1, S. 187 (262 ff.). 104 Hinschius, in: Marquardsen, Handbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart I/1, S. 187 (254). 95
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Aufgaben „kraft ihrer eigenen, nicht kraft staatlich abgeleiteter Befugniß“105. Der Staat erkenne damit eine obrigkeitliche Gewalt neben der staatlichen Gewalt an.106 Hiermit werde die besondere Selbständigkeit und Selbstverwaltung der Kirchen gefördert.107 Umgekehrt fanden sich aber auch Stimmen, die den Körperschaftsbegriff gerade deshalb für die Kirchen erhalten wollten, weil darin das Recht einer besonderen Kirchenaufsicht (ius circa sacra) zum Ausdruck komme, die wegen der besonderen Gefährdungen des Staates durch religiöse Gesellschaften vonnöten seien.108 In der Staatspraxis hatten sich die Kirchen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine gewisse Unabhängigkeit vom Staat erkämpfen können; zu einer strikten Trennung von Staat und Kirche ist es damals aber gerade noch nicht gekommen. Zwar garantierte die preußische Verfassung von 1850 den Kirchen die selbständige Regelung ihrer Angelegenheiten (Art. 15 PrVerf-1850). Zunächst verfolgte Ansätze, die Leitung der evangelischen Kirche aus den Händen des Landesherrn zurück in die Hände eigener kirchlicher Bischöfe zu geben,109 waren jedoch mit den Ereignissen um 1848/49 überholt.110 Das landesherrliche Kirchenregiment bestand noch bis ins 20. Jahrhundert.111 Deutlich wird dies etwa112 in der Kirchengemeinde- und Synodalverordnung von 1873113 sowie in der Generalsynodalordnung von 1876114, die der König jeweils „kraft der Mir als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments zustehenden Befugnisse“115 in der (staatlichen) preußischen Gesetzessamm 105
Hinschius, in: Marquardsen, Handbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart I/1, S. 187 (254). 106 Hinschius, in: Marquardsen, Handbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart I/1, S. 187 (255). 107 Hinschius, in: Marquardsen, Handbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart I/1, S. 187 (261). 108 Friedberg, Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen, S. 50. 109 Vgl. zum Entwurf einer Kirchenverfassung von 1847 Johannes Heckel, ZRG Kan. Abt. 12 (1922), S. 444 ff. 110 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 21 Rn. 9. 111 Vgl. aus einem Lehrbuch von 1903: Schoen, Evangelisches Kirchenrecht in Preußen I, S. 159 f. 112 Beispielhaft wird der beherrschende Letzteinfluss des Staates auf die kirchliche Organisation auch in der Geschichte des hannoverschen Landeskirchenamtes im ausgehenden 19. Jahrhundert deutlich, dargestellt von Springer / Kröger, NdsVBl 2017, S. 225 (226 f.). 113 Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen, v. 10.09.1873, GS 1874, S. 151 ff.; auszugsweise ebenfalls abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert II, Nr. 445. 114 Generalsynodal-Ordnung für die evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen der Monarchie, Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1876, S. 8; ebenfalls abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert II, Nr. 448. 115 Allerhöchster Erlaß vom 10. September 1873, betreffend die Einführung einer evange lischen Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen, sowie die Berufung einer außerordentlichen Generalsynode für die acht älteren Provinzen, Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1874, S. 149 f.; ebenfalls abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche im
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lung verkündete. Das Preußische Oberverwaltungsgericht unterschied zwar Ende des 19. Jahrhunderts kirchliche von staatlichen Behörden, nahm aber gleichwohl an, dass Staatsbeamte in den kirchlichen Behörden tätig würden, „da die Kirche zur Zeit außer Stande sei, die Verwaltung ihrer Angelegenheiten mit eigenen Mitteln und Kräften durchzuführen“116.
IV. Religionsgesellschaften in der Frankfurter Nationalversammlung In der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 ist die Privilegierung bestimmter Religionsgesellschaften nicht in Betracht gezogen worden. Zentraler Topos der dortigen Debatten über das Staat-Kirchen-Verhältnis war die Freiheit der Kirchen vor staatlicher Gängelei.117 Uneinigkeit herrschte zwar darüber, ob Staat und Kirche getrennt werden sollten.118 Mit § 147 FRV sollte aber jedenfalls ein Regime der strikten religionsgesellschaftlichen Parität etabliert werden: „Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat“. Die Verwirklichung dieser Bestimmung wäre mehr als nur ein „Quantensprung“119 hin zur Trennung von Staat und Religionsgesellschaften gewesen. Ein öffentlich-rechtlicher Körperschaftsstatus der Kirchen war in der Frankfurter Versammlung kein Thema. Vereinzelt wurden die Kirchen zwar als „Corporation“120 bezeichnet, nicht aber als öffentliche oder öffentlich-rechtliche Cor poration. Zu den Abgeordneten, die den Begriff der Corporation in die Frankfurter Versammlung einbrachten, gehörte der Greifswalder Professor Beseler, der eigentliche Begründer der Genossenschaftstheorie und akademische Vater von Gierke.121
19. und 20. Jahrhundert II, Nr. 444; wortgleich die Formulierung des Allerhöchsten Erlaß vom 20. Januar 1876, betreffend die Einführung einer Generalsynodal-Ordnung für die evangelische Landeskirche der acht älteren Provinzen der Monarchie, GS, S. 7; ebenfalls abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert II, Nr. 447. 116 PrOVG 22, 49 (50); 35, 447 (450). 117 Vgl. Wortbeitrag Abg. Laffaulr, Frankfurter Nationalversammlung, 68. Sitzung in der Paulskirche, 29.8.1848, Stenographischer Bericht Paulskirchenversammlung, S. 1780 f.; Abg. Gfrörer, a. a. O., S. 1783 f. und insbesondere dessen abschließende Bemerkung auf S. 1786 unten („Ich beantrage eine bündige Unabhängigkeits-Erklärung der Kirche, eine solche, welche den Religionsgesellschaften die Erwählung ihrer Beamten, den Cultus, die Verwaltung des Vermögens überläßt, und diejenigen Organe, welche seitdem von den Höfen benützt wurden, um die Kirchen zu beherrschen, als da sind die geistlichen Ministerien, die Kirchenräthe, die Consistorien beseitigt“.); Abg. Friedrich, a. a. O., S. 1790. 118 Vgl. den Bericht des Verfassungsausschusses, in: Verfassungs-Ausschuss der Paulskirchenversammlung, S. 10 ff., nebst den dazugehörigen Minderheitsvoten, S. 380 f., 384. 119 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 83. 120 Wortbeitrag Abg. Löwe, 74. Sitzung in der Paulskirche, 9.9.1848, Stenographischer Bericht, S. 1947, sowie Wortbeitrag Abg. Beseler, S. 1952. 121 Zu Person und Werk Beselers instruktiv Kern, NJW 1998, S. 1540; ders., JuS 1988, S. 598 ff.
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Beseler vertrat ein genossenschaftliches Staatsmodell;122 eine Trennung von privatund öffentlich-rechtlichen Körperschaften lässt sich seinem akademischen Werk aber nicht entnehmen.123
V. Zeit der unklaren Begriffe Die verschiedenen parallel laufenden Diskussionen über die Begriffe Körperschaft des öffentlichen Rechts, öffentliche Genossenschaft, öffentlich aufgenommene Religionsgesellschaft und zahlreiche ähnliche Formulierungen machen den Vorabend der Weimarer Nationalversammlung zu einer Zeit der unklaren Begriffe.124 Zu Beginn der historisch-genealogischen Auslegung von Art. 137 Abs. 5 WRV ist damit gewissermaßen eine „Flunkerei“ des historischen Verfassungsgebers aufgedeckt. Suggeriert nämlich der Wortlaut von Art. 137 Abs. 5 WRV, dass der Verfassungsgeber an einen schon bestehenden Rechtszustand anknüpfen konnte, so hat der Überblick über das vorkonstitutionelle Schrifttum gezeigt, dass bis zur Weimarer Versammlung die Bemühungen um eine staatsrechtsdogmatische Einordnung der Kirchen noch „ohne zwingendes Ergebnis“125 geblieben waren.126 Achim Janssen spricht sogar zugespitzt von einer „babylonische(n) Begriffs verwirrung in Bezug auf den Korporationsstatus von Religionsgemeinschaften“127. Für die weitere Auslegung von Art. 137 Abs. 5 WRV gilt, dass semantisch verwandte Begriffe nicht vorschnell juristisch gleichgesetzt werden dürfen.128 Der Be 122
Kern, JuS 1988, S. 598 (599). Für ihn ist die Genossenschaft neben der Gemeinde die eigentliche Hauptausprägung der Corporation. Zu diesen Genossenschaften zählt Beseler sowohl Gebilde, die wir heute als internationale Organisation im Sinne des Völkerrechts bezeichnen würden (nämlich den deutschen Bund), wie auch Gebilde, die nach heutigen Begriffen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind (nämlich Deichverbände), als auch privatrechtliche Körperschaften wie Aktiengesellschaften und schließlich schlichte Privatvereine (Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, S. 165 ff.). Die Kirchen sind nach Ansicht Beselers hauptsächlich als Gemeinde organisiert, teils aber auch als Genossenschaft, wobei er ausdrücklich die Parallele zu den „Genossenschaften für religiöse, sittliche, wissenschaftliche, künstlerische, ökonomische oder gesellige Zwecke“ zieht (Beseler, a. a. O., S. 166). 124 Waldecker, Begriff der Korporation des öffentlichen Rechts, S. 90. 125 Korioth, in: Kippenberg / Schuppert, Verrechtlichte Religion, S. 109 (121); ähnlich Obermayer, in: ZevKR 18 (1973), S. 247 (250). 126 Verfehlt Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 29, der ohne vertiefte Prüfung der tatsächlichen historischen Verhältnisse vom Wortlaut des Art. 137 Abs. 5 WRV darauf schließt, „dass (…) auch schon vor der Weimarer Reichsverfassung Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts bezeichnet wurden“. 127 Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 83. 128 Vgl. Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 88. Wie problematisch es ist, Begriffsverständnisse über Jahrzehnte oder ganze Jahrhunderte hinweg einfach hin- und hertauschen zu wollen, zeigt sich etwa bei den Ausführungen von Johannes Heckel, FS Smend (1952), S. 103 (119), der im bayerischen Religionsedikt von 1809/1818 den neuen Zentralbegriff 123
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4. Kap.: Historische Spurensuche
griff der privilegierten bzw. öffentlich aufgenommenen Religionsgesellschaft ist bereits nicht identisch mit dem Begriff Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie er sich um 1900 im Verwaltungsrecht entwickelte. Erst recht verfehlt wäre es, den Begriff der öffentlich aufgenommenen Religionsgesellschaft aus dem Preußischen Allgemeinen Landrecht mit dem heutigen Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts gleichzusetzen – und zwar sowohl mit dem verwaltungsrechtlichen als auch mit dem aus Art. 137 Abs. 5 WRV. Denn all diese Begriffe lassen sich nicht losgelöst vom juristischen Gesamtkontext ihrer jeweiligen Zeit verstehen. Die öffentlich aufgenommene Religionsgesellschaft im Preußischen Allgemeinen Landrecht steht 1794 in einem juristischen Kontext, der keine allgemeine Vereinsfreiheit kennt. Die Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt war unbekannt, die evangelische Landeskirche Staatskirche mit dem preußischen König als summus episcopus. Der um 1900 entwickelte verwaltungsrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts reflektiert dagegen bereits die besonderen Machtmittel des Staates und eine – zunächst vage – Vorstellung von damit einhergehenden besonderen Bindungen. 1919 versuchte der Weimarer Verfassungsgeber den Spagat zwischen der Beseitigung des Staatskirchentums einerseits (Art. 137 Abs. 1 WRV) und einer verfassungsrechtlich garantierten besonderen öffentlichen Stellung der Kirchen anderseits (Art. 137 Abs. 5 WRV). Erst der Parlamentarische Rat schuf mit dem Grundgesetz den „Grundrechtsstaat“, indem er die Grundrechte der Verfassung voranstellte und die unmittelbare Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) eindeutig festschrieb.129 Auf dieser Grundlage und angetrieben von der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO hat sich ein Rechtsschutzsystem im öffentlichen Recht entwickelt, das unser Bild vom öffentlichen Recht nachhaltig geprägt und im Vergleich zur Weimarer Zeit erheblich verändert hat.
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung In Frankfurt war es v. Gierkes akademischer Lehrer Beseler, der maßgeblichen Einfluss auf die Beratungen nahm; in Weimar avancierte Gierkes Schüler, der Staatsrechtler Hugo Preuß zum geistigen Vater130 der Verfassung. Er war ein entder öffentlichen Körperschaft etabliert wissen will. Heckel zitiert selbst die seiner Ansicht entgegenstehende damalige Staatspraxis wie auch die zeitgenössische Literatur, die er schlicht als „irrig“ abtut (Fn. 49). 129 Instruktiv für dieses Bestreben vgl. den Bericht des Abg. Schmid (SPD) in der zweiten Plenarsitzung des Parlamentarischen Rates vom 8.9.1948: „Die Grundrechte müssen das Grundgesetz regieren; sie dürfen nicht nur ein Anhängsel des Grundgesetzes sein, wie der Grundrechtskatalog von Weimar ein Anhängsel der Verfassung gewesen ist. Diese Grundrechte sollen nicht bloße Deklamationen, Deklarationen oder Direktiven sein (…), sondern unmittelbar geltendes Bundesrecht, auf Grund dessen jeder einzelne Deutsche, jeder einzelne Bewohner unseres Landes vor den Gerichten soll Klage erheben können“, in: Der Parlamentarische Rat IX, S. 45. 130 Voßkuhle, Der Staat 50 (2011), S. 251 (255).
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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schiedener Gegner des früheren Obrigkeitsstaats.131 Mit seinen Vorstellungen zum Staatskirchenrecht konnte Preuß sich indes nicht durchsetzen. In einem ersten Vorentwurf, den er namens der Reichsregierung erarbeitete,132 übernahm Preuß noch die Formulierung der Frankfurter Versammlung: „Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte im Staat“ (§ 19 Abs. 3 S. 2 WRV-P, entspricht § 147 S. 2 Hs. 1 FRV). Schon in der revidierten Fassung des Entwurfs, der nach Beratungen des Staatenausschusses (vormaliger Reichsrat) entstanden war, taucht der Satz allerdings nicht mehr auf. Stattdessen wurde eine an die Preußische Verfassung angelehnte Formulierung in den Entwurf übernommen, wonach die Freiheit zur Vereinigung zu Religionsgesellschaften gewährleistet werde (Art. 30 Abs. 6 WRV-E; entspricht im Wesentlichen Art. 12 PrVerf-1850). Die Bezeichnung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts fand dann im Zuge der ersten Lesung im Verfassungsausschuss Eingang in die Entwürfe (Art. 30b Abs. 5 WRV-L1, später Art. 137 Abs. 5 WRV).133
I. Von der wilden Kirchentrennungspolitik Adolph Hoffmanns zur ersten Lesung in der Weimarer Nationalversammlung Im heutigen Schrifttum wird Art. 137 Abs. 5 WRV überwiegend als Anknüpfung an die althergebrachten Traditionsbestände des Staatskirchenrechts gesehen. Fragwürdig wird diese Auffassung schon deshalb, weil der Weimarer Verfassungsgeber 1919 eben nicht auf einen geklärten Rechtszustand zurückgreifen konnte.134 Gänzlich aus dem Blick verloren hat das Schrifttum die konkreten Umstände der Revolutionswirren von 1918/1919, welche in der Weimarer Nationalversammlung überhaupt die Forderung aufkommen ließen, den Kirchen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzuerkennen.135 Diese längst vergessenen tagespolitischen Ereignisse müssen hier wieder in Erinnerung gerufen werden. Sie machen nämlich in besonderer Weise die historische Kontingenz von Art. 137 Abs. 5 WRV deutlich. Die Aufnahme des Körperschaftsbegriffs in die Reichsverfassung war eben nicht Ausdruck einer durchdachten dogmatischen Konstruktion,
131 So die Charakterisierung des Zeitgenossen Walter Jellinek, in: Handbuch des deutschen Staatsrechts I, § 12 S. 128. 132 Zur Genese dieses Entwurfes von ersten Entwürfen Preuß’ aus dem Jahr 1917 bis hin zu den Arbeiten in einem Beirat des RMI eingehend Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Verfassung, S. 121 ff. 133 Vgl. hierzu die Synopse der Entwürfe bei Ebers, Verfassung des Deutschen Reichs, S. 78 f. 134 Dazu soeben unter B. 135 Insofern ist – um ein Wort aus dem berühmten Beitrag von Johannes Heckel, FS Smend (1952), S. 106 einmal kritisch aufzugreifen – bisweilen die gefühlte Vergangenheit im Staatskirchenrecht präsenter als die tatsächliche, und ohne ihre „historische Würde“ offenbaren Verfassungsformeln so manchen „verborgenen Sinn“.
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4. Kap.: Historische Spurensuche
sondern Resultat einer emotionalen, geradezu kulturkämpferischen politischen Auseinandersetzung. 1. Wortbeiträge von Spahn, v. Delbrück, Heinze und Düringer in der Ersten Lesung der Weimarer Reichsverfassung Schon im Vorfeld der ersten Lesung des Verfassungsentwurfs hatte der DNVPFraktionsvorsitzende Graf v. Posadowsky-Wehner in der Aussprache zur Regierungserklärung Scheidemanns die Forderung erhoben, die Kirchen zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu erklären.136 Diese wurde dann in der ersten Lesung von mehreren Abgeordneten ausdrücklich aufgegriffen. Der ZentrumsAbgeordnete Spahn stellte seine Forderung, die Kirchen zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu erklären, in einen Zusammenhang mit dem Schutz individueller Grundrechte. Der Oberlandesgerichtspräsident sah ein Missverhältnis darin, zwar auf der einen Seite individuelle Grundrechte zu garantieren, auf der anderen Seite aber nicht auch Religionsgesellschaften eigene Garantien zu gewährleisten.137 In den folgenden Redebeiträgen von Vertretern der DNVP- und der DVP-Fraktion finden sich entscheidende Hinweise darauf, dass die Debatte über den Körperschaftsstatus tagespolitisch veranlasst war. So beklagte der ehemalige stellvertretende Reichskanzler Clemens v. Delbrück (DNVP) unter lebhafter Zustimmung von rechts und aus dem Zentrum, dass es in einzelnen Bundesstaaten die „unerhörtesten Eingriffe in die Rechte der Kirche“138 gegeben habe. Aus diesem Grunde müsse das Reich Grundzüge des Staatskirchenrechts regeln, wozu Delbrück den Status der Kirche als öffentlich-rechtliche Körperschaft zählte.139 Dieser Forderung schlossen sich der Vorsitzende der DVP-Fraktion Rudolf Heinze140 und der DNVP-Politiker Adalbert Düringer an.141 In beiden Wortbeiträgen wird der Körperschaftsstatus in einem Atemzug mit der Sicherung des Religionsunterrichts genannt, wobei das Protokoll jeweils „lebhafte Zustimmung“ bzw. ein „sehr richtig!“ als Zwischenrufe „rechts und im Zentrum“ vermerkt.142 136
Wortbeitrag Abg. Graf v. Posadowsky-Wehner (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 7. Sitzung v. 14.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 84C. 137 Wortbeitrag Abg. Spahn (Z), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 380C. 138 Wortbeitrag Abg. v. Delbrück (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2. 1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 388D. 139 Wortbeitrag Abg. v. Delbrück (DNVP), a. a. O., S. 389A. 140 Wortbeitrag Abg. Heinze (DVP), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 398D. 141 Wortbeitrag Abg. Düringer (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 3.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 474B. 142 Vgl. Wortbeitrag Abg. Heinze (DVP), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 399A sowie Wortbeitrag Abg. Düringer (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 3.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 474B.
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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Besonders deutlich wird der tagespolitische Anlass für die Debatte im Wortbeitrag von Düringer: „Das deutsche Volk ist in seiner überwiegenden Mehrheit religiös, und zwar religiös auf der Grundlage des Christentums. (Sehr richtig! rechts.) […] Deshalb verlangt es die Sicherstellung der christlichen Kirchen durch Aufnahme von Normativbestimmungen in die Verfassung (Sehr gut! rechts.) Vielleicht wäre dieses Verlangen nicht so stürmisch, nicht so elementar aufgetreten, wenn das christliche Bewußtsein nicht durch Regierungsakte von Männern der Revolution in so außerordentlicher Weise provoziert worden wäre. (Sehr richtig! rechts.) Ich brauche auf diese Vorgänge hier im einzelnen nicht einzugehen. Sie alle wissen, was ich meine“143. 2. Bedeutung der Vorgeschichte: Kirchentrennungspolitik Adolph Hoffmanns Auf welche Vorgänge Düringer anspielt, lässt sich rekonstruieren. Die Kritik richtete sich in erster Linie gegen Adolph Hoffmann (zu dem Zeitpunkt USPD, später SPD).144 Hoffmann war den Abgeordneten der Weimarer Versammlung noch mit seinen gesellschaftlichen Tabubrüchen aus Kaiserzeiten bekannt und in konservativen Kreisen verhasst.145 Bereits seit den 1880er-Jahren hatte sich der ursprünglich evangelisch getaufte Hoffmann mit kirchenkritischen Schriften in teils sechsstelliger Auflage den Spitznamen „Zehn-Gebote-Hoffmann“ erworben.146 Für besonderes Aufsehen hatte gesorgt, dass Hoffmann offen zum Kirchenaustritt aufforderte147 und dazu sogar Anleitungen einschließlich vorformulierter Erklärungen verbreitete.148 143
Wortbeitrag Abg. Düringer (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 3.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 474B; Hervorhebung durch den Verf. 144 So auch die plausible Einschätzung des Zeitgenossen Israël, Geschichte des Reichskirchenrechts, S. 12; sowie aus späterer Weimarer Zeit die von Kalle, Bedeutung des Satzes: ‚Es besteht keine Staatskirche‘, S. 18. 145 Vgl. beispielsweise Wortbeitrag Abg. Mumm (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 25. Sitzung, 11.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 665C, wo Mumm Hoffmann nicht nur persönlich diffamiert, sondern auch an dessen kirchenkritische Schrift „Die Zehn Gebote und die besitzende Klasse“ erinnert. 146 Bandur, in: Groschopp, Los von der Kirche, S. 29 (40 f.); Bohnen, Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften, S. 32. 147 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 4; Bandur, in: Groschopp, Los von der Kirche, S. 29 (52); Schmal, Staatliches Kirchenaustrittsrecht, S. 189 ff. Hoffmann war auch selbst aus der Landeskirche ausgetreten und engagierte sich in der Freireligiösen Gemeinde Berlin, dazu Bandur, a. a. O., S. 31 sowie die Kurzbiographie auf deren heutiger Website http://www.freigeistig-berlin.de/index.php/berlinergemeinde/ geschichte/84-forschung/biogrreihe/117-adolph-hoffmann-1858-1930?showall=1&limitstart= . 148 Vgl. Adolph Hoffmann, Los von der Kirche!, S. 44 f. Die Broschüre gab eine Rede Hoffmanns im preußischen Landtag wieder, die zu einem Skandal geführt hatte. Dazu Eckhard Müller, in: Groschopp, Los von der Kirche, S. 70 (94). Die Erläuterungen Hoffmanns zeigen auch die
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4. Kap.: Historische Spurensuche
In den Revolutionswirren 1918/1919 wurde Hoffmann für wenige Wochen preußischer Kultusminister.149 Binnen kürzester Zeit versuchte Hoffmann, seine Vorstellung von einer strikten Trennung von Staat und Kirche, insbesondere im Schulbereich,150 in die Tat umzusetzen. Seit Mitte November 1918 gab es eine entschiedene kirchliche Gegenbewegung gegen die Hoffmann’sche Politik.151 Die zentrumsnahe Presse befeuerte Befürchtungen, ein erneuter Kulturkampf stehe bevor.152 In einem Schreiben an die preußische Regierung legte der Kölner Erzbischof v. Hartmann „feierlichen Protest“153 gegen die geplante Trennung von Staat und Kirche ein. Hoffmann hielt allerdings an seiner Politik fest: Mit einem Erlass des Kultusministeriums vom 29. November 1918154 wurde Religionslehre als Prüfungsfach ausgeschlossen sowie bestimmt, dass kein Schüler zum Besuch des Religionsunterrichts gezwungen sei.155 Neben offiziellen Protesten der katholischen und evangelischen Kirche156 entlud sich die von der Zentrumspresse verstärkte
hohen bürokratischen Hürden für einen Kirchenaustritt zur damaligen Zeit. Die Austrittserklärung durfte nicht früher als vier und nicht später als sechs Wochen nach einer entsprechenden schriftlichen Anmeldung persönlich erfolgen. Die Sprechzeiten bei den zuständigen Amtsgerichten waren z. B. in Berlin täglich nur zwei Stunden, andernorts sogar nur zweimal wöchentlich. Die Kirchensteuerpflicht entfiel erst mit Ablauf des Folgejahres. Gesetzliche Grundlage war seit 1873 in Preußen das Gesetz betreffend den Austritt aus der Kirche vom 14.5.1873, GS S. 207 f., vgl. zu diesem Gesetz eingehend Schmal, Staatliches Kirchenaustrittsrecht, S. 155 ff. 149 Nach Israël, Geschichte des Reichskirchenrechts, S. 12 Fn. 5 vom 14.11.1918 bis zum 4.1.1919. 150 Bohnen, Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften, S. 32. 151 Morsey, Zentrumspartei 1917–1923, S. 113 ff. 152 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlungen, S. 4. 153 Vgl. von katholischer Seite das Protestschreiben des Erzbischofs von Köln, Kardinal v. Hartmann, an die preußische Regierung v. 19.19.1918, abgedruckt bei: Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 8, S. 18: Gegen die von der preußischen Regierung beabsichtigte Trennung von Staat und Kirche „lege ich namens der sämtlichen Bischöfe Preußens feierlich Verwahrung ein, weil die geplante Maßnahme ein flagranter Rechtsbruch ist. Denn (….) 3. Durch die Trennung wird die katholische Kirche zahlreicher wohlerworbener Rechte beraubt (…)“. 154 Auszüge abgedruckt bei Schmidt, in: Groschopp, Los von der Kirche, S. 109 (126); sowie bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 6, S. 14 ff. 155 Hoffmann hatte sich bereits seit den 1890er-Jahren auch persönlich gegen den Religionsunterricht als Pflichtfach gewehrt. Weil er seine Kinder notorisch vom Religionsunterricht fernhielt, wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, vgl. dazu Groschopp, in: Groschopp, Los von der Kirche, S. 7 (19). 156 Vgl. von katholischer Seite Protestschreiben des Erzbischofs von Köln, Kardinal v. Hartmann, an die preußische Regierung v. 16.12.1918, abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 50, S. 67: „Gegen die Entchristlichung der Schule (…) erheben die Bischöfe Preußens voll Schmerz und Entrüstung laut und feierlich Protest. Insbesondere verurteilen wir die Willkür, die in der Verfügung zu Tage tritt (…)“. Hirtenschreiben der bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe vom 17.12.1918, abgdruckt bei: Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 15, S. 25 ff.: „Es will auch bei uns Abend werden. Sorgen wir, daß es nicht völlig Nacht wird! (…) Gott – weg von der Schule! Das Kruxifix, Vater unser, Ave Maria – weg von der Schule! (…) Ein wahres Chaos, das sich vor unseren Augen
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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öffentliche Wut157 gegen diese Politik in einer Großdemonstration in Berlin158 und einer Unterschriftenaktion an die Weimarer Nationalversammlung mit mehreren Millionen Unterschriften.159 Die unmittelbaren Konsequenzen der Hoffmann’schen Trennungspolitik lagen zunächst darin, dass sie die Neukonstituierung des Zentrums sowie den Aufbau von DVP und DNVP begünstigten.160 Als „Symbol für die radikale Kirchenfeindschaft der Linken“ erreichte Hoffmann vor allem, „die christlichen Wähler der Rechten in die Arme zu treiben“161. Der Historiker Rudolf Morsey hat Hoffmann gar als „Retter des Zentrums“162 bezeichnet. Nicht nur mit dieser ungewollten Wahlunterstützung für die kirchenfreundlichen Kräfte nahm Hoffmann indirekt großen Einfluss auf die Weimarer Beratungen. Zwar war Hoffmann im Januar 1919 wie die anderen USPD-Minister aus dem preußischen Kabinett ausgeschieden163 und gehörte auch nicht der Weimarer Versammlung an. Mit seiner „wilden“ Kirchentrennungspolitik hatte Hoffmann aber auf die kirchenfreundlichen Kräfte in der Weimarer Nationalversammlung großen Eindruck gemacht.164 Carl Israël, als Ministerialrat im preußischen Kultusministerium bestens mit der Angelegenheit vertraut, beschrieb die Stimmung unter den konservativ-kirchenfreundlichen Kräften in der Weimarer Versammlung mit den Worten: „Adolph Hoffmann schreckt. Man ist nervös“165. Zur Entstehungsgeschichte der Weimarer Staatskirchenartikel hebt auch der Frankfurter Professor Friedrich Giese, einer der anerkanntesten Staatsrechtler der damaligen Zeit, „den schärfsten Widerspruch“ der Kirchen gegen „Hoffmanns grundstürzende Pläne“166 auftut (…) Die Kirche heraus aus der Schule. Das ist der Fehdehandschuh gegen den Herrn selbst“. Von evangelischer Seite Erklärung des Arbeitsausschusses der Allgemeinen EvangelischLutherischen Konferenz zur Trennung von Staat und Kirche v. 26.11.1918, abgedruckt bei: Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 9, S. 18 ff. 157 Dazu anschaulich und mit zahlreichen Nw. Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 12 f. 158 Bei dieser Großkundgebung am Neujahrstag 1919 sangen 60.000 Teilnehmer u. a. gemeinsam „Großer Gott wir loben Dich“ und „Ein’ feste Burg ist unser Gott“; dazu näher Morsey, Zentrumspartei 1917–1923, S. 135. 159 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26 Rn. 6 und Fn. 15. 160 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 23. 161 Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich I, S. 133. Die katholischen Bischöfe hatten unverhohlen Wahlkampf zugunsten des Zentrums gemacht, vgl. etwa Hirtenbrief der bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe vom 17.12.1918, abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 15, S. 25 ff., worin es im Anschluss an eine Verurteilung der Kirchentrennungspolitik im Schulbereich heißt: „Ihr werdet zur Wahlurne treten und zwar aus Gewissenspflicht. (…) Tuet den Schritt mit Gott! Mögen aus der Wahlurne Persönlichkeiten hervorgehen, welche es mit Staat und Kirche gleich gut meinen (…)“. 162 Morsey, Zentrumspartei 1917–1923, S. 110. 163 Eckhard Müller, in: Groschopp, Los von der Kirche, S. 70 (106). 164 Aus dem zeitgenössischen Schrifttum eingehend zur Hoffmannschen Trennungspolitik als Vorgeschichte der Weimarer Beratungen Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen II, S. 15 ff. 165 Israël, Geschichte des Reichskirchenrechts, S. 12. 166 Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (23).
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4. Kap.: Historische Spurensuche
hervor. Wie emotional aufgeladen die Stimmung damals unter den Abgeordneten war, dokumentieren persönliche Diffamierungen gegen Hoffmann im Plenum der Nationalversammlung.167 3. Hoffmanns Gegenspieler Wilhelm Kahl Die kirchenkritischen Aktionen der ersten Revolutionstage trugen dazu bei, dass die evangelische Kirche dem neu zu bildenden Staat von Beginn an mit Misstrauen und Furcht begegnete.168 In der Weimarer Nationalversammlung wurde der evangelische Kirchenrechtlicher Wilhelm Kahl169 zu einem entschiedenen Gegenspieler von Hoffmanns Trennungspolitik. Dabei hatte Kahl in seinem berühmten Kirchenrechtslehrbuch von 1894 noch selbst den Begriff der öffentlichen Korporation als „Ausdruck eines kirchenpolitischen Prinzips“ abgetan und als rechtlichen „terminus technicus“ für „unbrauchbar“170 erachtet. Als wesentliches Merkmal der einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen arbeitete Kahl damals die Privilegierung einzelner Religionsgesellschaften heraus.171 Zu ihrer Bezeichnung schlug Kahl anstelle des Begriffs der öffentlichen Körperschaft den Begriff „qualifizierte Korporationen“172 vor. Im Verfassungsausschuss gehörte Kahl später aber zu den vehementesten Befürwortern des Begriffs Körperschaft des öffentlichen Rechts. In seinem Eifer schlug er eine
167 Vgl. Wortbeitrag des Theologen Abg. Mumm (DNVP): „Adolf Hoffmann war fähig vor versammeltem Abgeordnetenhause die Ehre seiner eigenen Mutter zu besudeln, wenn es dem Haß gegen eine christliche Kirche dienlich war“, Weimarer Nationalversammlung, 25. Sitzung, 11.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 665C. 168 Bohnen, Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften, S. 38. Instruktiv dafür aus einem Anfang der 1920er-Jahre erschienen Lehrbuch zum ev. Kirchenrecht (!): „Nach mehr als vier Jahren gewaltigsten Ringens erlahmte die deutsche Kraft. Militärisch waren die deutschen Waffen siegreich gewesen. (…) Da erschienen ungezählte Scharen von Amerikanern zur Hilfe (…). Daß diesen Gewalten das ausgehungerte, ausgesogene und erschöpfte Deutschland erlag, war kein Wunder, aber auch keine Schande. Dem äußeren Zusammenbruch aber folgte der innere. Am 9. November machte der Reichskanzler Prinz Max von Baden amtlich bekannt: ‚Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Throne zu entsagen.‘ Diese Veröffentlichung entsprach zwar nicht den Tatsachen, aber sie riß die letzten Dämme hinweg; Deutschland trieb in das Chaos der Revolution hinein“ (Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen II, S. 15). 169 Wilhelm Kahl, * 17.6.1849 Kleinheubach a. M. (Unterfranken); † 14.5.1932 Berlin, Professor in Rostock, Erlangen und Bonn, 1895–1921 Professor in Berlin, 1919–1920 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung für die DVP, ab 1920 Mitglied des Reichstags, 1891–1922 Mitglied der Preußischen Generalsynode, 1922–1933 Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses (leitende Behörde des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes); näher zum Werdegang Kahls Achenbach, Recht, Staat und Kirche bei Wilhelm Kahl, S. 1 ff. 170 Kahl, Kirchenrecht, S. 337. 171 Kahl, Kirchenrecht, S. 332 ff. 172 Kahl, Kirchenrecht, S. 340.
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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Begriffsdefinition vor, welche die Kirchen unmittelbar in Staatsnähe rückte und weit über das hinausging, was im Verfassungsausschuss mehrheitsfähig war.173 Im November 1918 übernahm Kahl die Leitung eines Sonderausschusses der evangelischen Kirchenleitung, der die Reaktionen der evangelischen Kirche auf Hoffmanns Politik koordinieren sollte.174 Als falsche „Zauberformel“175 bekämpfte Kahl in dieser Eigenschaft die Trennung von Staat und Kirche. Später im Ver fassungsausschuss bezeichnete Kahl die Hoffmann’sche Politik als „Peitschenschlag für alle religiösen und kirchlichen Kreise“. Zugleich hob er hervor, dass diese „großen politischen Schaden nicht nur für die Einheit Preußens, sondern für die des Reichs hervorgerufen“176 habe. Tatsächlich hatte die Kirchentrennungspolitik in einigen Reichsteilen wie etwa in Oberschlesien und im Rheinland separatistische Tendenzen verstärkt, weshalb sich die preußische Regierung auch alsbald von dieser Politik verabschiedet hatte.177 Im Rückblick fasste Kahl die Stimmungslage zu Beginn der Weimarer Versammlung wie folgt zusammen: „Der zwingende Anstoß [dazu, das Staat-Kirchen-Verhältnis reichsrechtlich zu regeln,] kam dadurch, daß alsbald mit Beginn der Revolution, schon in den Novembertagen 1918, in einzelnen Staaten die damaligen Machthaber aus irregeleiteter Begeisterung für den Trennungsgedanken eine sofortige Erneuerung des Verhältnisses von Staat und Kirche auf dieser Linie dekretieren zu können glaubten, aber weder mit der erforderlichen Sachkunde, noch mit der erforderlichen Gerechtigkeit. […] Dieser Willkür war Einhalt zu tun. Die wohlbegründeten historischen Rechte der Kirchengesellschaften mußten ausreichenden Schutz erfahren. Mit dieser Forderung ging ein großer Teil der Abgeordneten in die Nationalversammlung nach Weimar“178.
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Sogleich unter C. II. Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 33. Ergebnis dieser Arbeiten war das Schreiben des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses an die Nationalversammlung in Weimar, betreffend die Wahrung der Rechte der deutschen evangelischen Landeskirchen v. 13.3.1919, abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 93, S. 115 f. Die Forderungen beginnen mit „der Anerkennung der bestehenden Landeskirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Nur als öffentlich-rechtlicher Verband ist die Kirche in der Lage, ihren sittlich-religiösen und kulturellen, auch für das Staatsleben unentbehrlichen Aufgaben zu genügen. Eine Gleichstellung der Kirche mit privat rechtlichen Gesellschaften und Vereinen würde nicht nur der Würde der Kirche abbruch tun, sondern auch zu dem in 400jähriger Geschichte festbegründeten Empfinden unseres Volkes in schärfstem Widerspruch stehen“. 175 Kahl, Deutsche Kirche im deutschen Staat, S. 11. 176 Wortbeitrag Abg. Kahl (DVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 8. Sitzung, 17.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 76. Tatsächlich fürchtete auch die preußische Regierung, dass die Kirchentrennungspolitik separatistischen Tendenzen in Oberschlesien, im Rheinland und in den katholischen Gebieten Westfalens Vorschub leisten könnte. 177 Der umstrittene Schulerlass Hoffmanns vom 29.11.1918 wurde schließlich am 1.4.1919 aufgehoben und durch einen neuen Erlass ersetzt. Dazu Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 17 und Fn. 96. 178 Kahl, in: Harms, Recht und Staat im Neuen Deutschland I, S. 353 (371 f.). 174
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4. Kap.: Historische Spurensuche
Diese Beschreibung der Stimmungslage unter den kirchenfreundlichen Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung ist plausibel. Sie deckt sich mit den erwähnten Andeutungen in den Redebeiträgen Delbrücks (DNVP), Düringers (DNVP) und Heinzes (DVP), mit denen diese in erster Plenarlesung forderten, die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu bezeichnen. Der DNVPFraktionsvorsitzende Graf v. Posadowsky-Wehner hatte seine Forderung, die Kirchen zu Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erklären, ebenfalls in einen Zusammenhang mit dem „Federstreich“179 gestellt, mit dem die Trennung von Staat und Kirche angeordnet worden sei. Mit diesem „Federstreich“ ist offenbar Hoffmanns umstrittener Erlass vom November 1918 gemeint. Später im Verfassungsausschuss kam Delbrück (DNVP)180 erneut auf die „unerhörten Eingriffe[n] in die Rechte der Kirche“181 zurück, die es in einzelnen Bundesstaaten gegeben habe. Offenbar befürchtete man in den kirchenfreundlichen Kreisen der Versammlung weitere Angriffe auf die Privilegien der Kirchen.182 Diese Befürchtung ist nachvollziehbar. Denn Hoffmann setzte nur besonders energisch und konsequent um, was seit dem Gothaer Parteiprogramm von 1875 fester Bestandteil sozialdemokratischer Programmatik war.183 So hieß es im damals geltenden Erfurter Programm von 1891 unter Punkt 5: „Erklärung der Religion zur Privatsache. Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu religiösen und kirchlichen Zwecken. Die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften sind als private Vereinigungen zu betrachten, welche ihre Angelegenheiten vollkommen selbständig ordnen“184. Diese Haltung hatte sich auch über den Untergang des Kaiserreichs hinweg zunächst in der SPD gehalten.185 Mitte November 1918 hatte der SPD-Kultusminister Konrad Haenisch186 die Kirchentrennungpolitik Hoffmanns noch mitgetragen.187 Nach den verheerenden Reaktionen auf den Schulerlass vom 29. November 1918 bemühte er sich allerdings um Abmilderungen.188 Gleichwohl
179 Wortbeitrag Abg. Graf v. Posadowsky-Wehner (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 7. Sitzung v. 14.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 84C. 180 v. Delbrück war bis 1916 Stellvertreter des Reichskanzlers v. Bethmann Hollweg. 181 Wortbeitrag Abg. v. Delbrück (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2. 1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 388D. 182 Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 26 Rn. 6. 183 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 77. 184 Abgedruckt bei Farner / Pinkus, Der Weg des Sozialismus, S. 17. 185 Bohnen, Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften, S. 46 f. 186 Haenisch (SPD) und Hoffmann (USPD) übten das Amt des preußischen Kultusministers zunächst zusammen aus. Nach der Entlassung aller USPD-Minister – und damit auch Hoffmanns im Januar 1919 verblieb Haenisch noch bis 1921 allein im Amt. 187 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 3. 188 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 14 f. Diese Abmilderungen kommen in zwei aufeinanderfolgenden Erlässen zum Ausdruck, mit denen der ursprüngliche Erlass Hoffmanns noch im Dezember 1918 abgemildert wurde. So stellte Haenisch mit Erlass v. 18.12.1918 klar, dass Schulweihnachtsfeiern erlaubt bleiben sollten (abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 52, S. 69 f.); mit
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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war aus Sicht der kirchenfreundlichen Kräfte die Gefahr nicht gebannt, dass die SPD eine strikte Trennung von Staat und Kirche anstreben und bei entsprechenden Mehrheiten auch durchsetzen werde. Außer in Preußen hatte es zudem noch andernorts kirchenfeindliche Aktionen gegeben. Der Abgeordnete Mumm (DNVP) empörte sich beispielsweise, dass Revolutionäre 1.500 Kinder gezwungen hätten, an einer „antichristlichen Weihnachtsfeier“ im Braunschweiger Dom teilzunehmen, wo „revolutionäre Hetzreden gehalten“189 worden seien. Zudem beklagte Mumm weitere Versuche in Sachsen und Hamburg, den Religionsunterricht abzuschaffen oder zumindest einzuschränken.190 Tatsächlich war außer in Preußen auch in Sachsen, Hamburg und Braunschweig der Religionsunterricht stark eingeschränkt worden.191 4. Schlussfolgerungen: Körperschaft des öffentlichen Rechts als Propagandabegriff Der Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ ist damit keineswegs als „rätselhafter Ehrentitel“ in die Weimarer Beratungen eingebracht worden, sondern war eine plakative Forderung der bürgerlichen Rechten gegenüber zugespitzten Forderungen von links. Die Debatten in der Weimarer Nationalversammlung dürfen nicht losgelöst von der damaligen „Kulturkampfhysterie“192 verstanden werden. Provoziert „durch Regierungsakte von Männern der Revolution“ (Düringer [DNVP]) setzten drei Abgeordnete der DNVP bzw. DVP den Begriff der öffentlich-rechtlichen Korporation auf die Agenda der Weimarer Nationalversammlung, um „ein Mindestmaß von Garantien für die Erhaltung der christlichen Religion und ihrer Kirche“ zu erreichen.193 Diese Entstehungsumstände gilt es zu berücksichtigen, damit sich das heutige Religionsverfassungsrecht nicht in einer Pfadabhängigkeit194 historischer Ereignisse verstrickt, welche für die heutige Lebensrealität keine Bedeutung mehr haben. Angesichts der Herausforderungen, vor denen das Religionsverfassungsrecht Erlass v. 28.12.1918 wurde der ursprüngliche Erlass gänzlich ausgesetzt wo dieser „auf ernste Schwierigkeiten stößt, bis zur Entscheidung durch die preußische Nationalversammlung“ (abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, a. a. O., Nr. 53, S. 70). 189 Wortbeitrag Abg. Mumm (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 25. Sitzung, 11.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 667A. 190 Wortbeitrag Abg. Mumm (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 25. Sitzung, 11.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 666A-667A. 191 Vgl. dazu im Einzelnen Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 268 Fn. 323–325. 192 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 6; ähnlich Morsey, Zentrumspartei 1917–1923, S. 110 ff. 193 Wortbeitrag Abg. Düringer (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 3.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326 S. 474B. 194 Siehe dazu Ogorek, DÖV 2017, S. 575 ff.
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4. Kap.: Historische Spurensuche
steht, sollte es sich nicht von einer tagespolitischen Gegenaktion auf einen längst bedeutungslosen Schulerlass vom November 1918 in Geiselhaft nehmen lassen. Zwar ist die vom Grundgesetzgeber übernommene Entscheidung des Weimarer Verfassungsgebers zu respektieren, den Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ in den Verfassungswortlaut aufzunehmen. Die Kenntnis der Hintergründe dieser Entscheidung kann aber dazu führen, den Begriff einschränkend zu verstehen. Denn die außerordentliche dogmatische Bedeutung, die diesem Begriff im Laufe der Rezeptionsgeschichte entnommen wurde – bis hin zur angeblich „hinkenden“ Trennung von Staat und Kirche195 –, steht in auffälligem Kontrast zur tagespolitischen Banalität seines Weges in die Verfassung. Persönliche Animositäten waren hierfür jedenfalls stärker ausschlaggebend als dogmatische Sachkunde, wie die nachfolgend zu behandelnden Beratungen im Verfassungsausschuss zeigen. Eine sachgerechte genealogische Auslegung darf jedenfalls nicht unbesehen das verhallte (Nach-)Wahlkampfgetöse von 1918/1919 übernehmen. Die Verfassung suggeriert zwar durch ihren Wortlaut („bleiben“), dass die Kirchen schon immer Körperschaften des öffentlichen Rechts gewesen seien. Die eingangs aufgezeigte unklare dogmatische Lage um 1900 sowie die dargestellte Kulturkampfhysterie kirchennaher Kreise 1918/1919 belegen jedoch, dass die Rede von der Kirche als „tausendjährige(r) öffentliche(r) Korporation“196 reine (Nach-)Wahlkampfpropa ganda war.
II. Bedeutung der Definition Wilhelm Kahls (DVP) im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung für die historische Auslegung Im Vorfeld der Beratungen im Verfassungsausschuss kam es zu einer interfraktionellen Abmachung zwischen DDP, Zentrum, DVP und DNVP.197 Danach sollte Preuß’ Entwurf um nähere Staatskirchenbestimmungen ergänzt werden; vor allem sollte den Kirchen die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt werden.198 Diese Vereinbarung markiert die „entscheidende Zäsur in den kirchenpolitischen Beratungen der Nationalversammlung“199. Fortan war im Grundsatz die Entscheidung zugunsten des Begriffs der Körperschaft des öffentlichen 195 Zurückgehend auf Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII, S. 54 Fn. 2; Begriff übernommen von BVerfGE 42, 312 (331); ähnlich Scheuner, ZevKR 7 (1959/60), S. 225 (245): „gelockerte(n) Fortsetzung der Verbindung von Staat und Kirche“; dem zustimmend Martin Heckel, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (27). 196 Wortbeitrag Abg. Graf v. Posadowsky-Wehner (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 7. Sitzung, 14.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 84C. 197 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 314 f. 198 Mindestvorschläge vereinbart in einer auf Anregung von D. Kahl getroffenen gemeinsamen Aussprache zwischen D. Kahl, D. Naumann, D. Mausbach und D. Traub, Vorschlag betreffs § 30 ff im Entwurf der Reichsverfassung, Bundesarchiv, Signatur: BArch N 1059/49 fol. 20. 199 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 319.
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Rechts getroffen. Nach anfänglichem Zögern akzeptierten auch die Sozialdemokraten diese Forderung und machten sie sich gar in einem gemeinsamen Antrag mit Naumann (DDP) zu eigen.200 Wer die Protokolle der Weimarer Nationalversammlung in der Hoffnung auf eine authentische Interpretation des Begriffs „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ liest, wird allerdings enttäuscht. Das galt allerdings schon damals für die Abgeordneten im Verfassungsausschuss der Nationalversammlung selbst. Der Theologe und liberale Politiker Friedrich Naumann (DDP) warf gleich zu Beginn der Ausschussberatungen die Frage auf, „welche Rechte die Eigenschaft als öffentliche Körperschaft in sich schließt“201. Mit dieser Frage brachte Naumann die anwesenden Juristen nach den Worten des Zeitgenossen Israël „in die tödlichste Verlegenheit“202. Zunächst versuchte sich kein Jurist, sondern der katholische Moraltheologe J oseph Mausbach (Z) an der Beantwortung der Frage. Mausbach wies zunächst darauf hin, dass der Begriff „in der Jurisprudenz sehr umstritten“203 sei. Als Beispiele für Körperschaften des öffentlichen Rechts nannte Mausbach die bürgerlichen Gemeinden und „gewisse soziale Körperschaften“, nämlich die „öffentlichen Versicherungsanstalten und gewisse Berufsorganisationen“. Für die Kirchen rechtfertigte Mausbach die Bezeichnung als Körperschaften des öffentlichen Rechts damit, dass diese eine mindestens ebenso große Bedeutung für das Gemeinwesen hätten und „die Vorrechte der Kirchen durch große sittliche und soziale Leistungen im Volksleben aufgewogen“204 würden. In eine ähnliche Richtung ging der Definitionsversuch von Adalbert Düringer (DNVP), der die Qualität einer öffentlich-rechtlichen Korporation davon abhängig machte, dass diese das öffentliche Interesse berühre; dies gelte auch für das „Staatsinteresse an den Religionsgesellschaften, die ein Faktor des öffentlichen Lebens sind“205. Im Schrifttum ist später vor allem die Definition von Wilhelm Kahl (DVP) wirkmächtig geworden.206 Kahl war damals Professor an der Berliner Humboldt-Universität und ein anerkannter evangelischer Staats- und Kirchenrechtler. Sein wesentlich umfassenderer und präziserer Versuch, die öffentlich-rechtliche Körperschaft zu definieren, lautete demnach „ungefähr folgendermaßen: ‚Sie ist eine Körperschaft, die mit obrigkeitsähnlichen Befugnis sen ausgestattet wegen ihres öffentlichen Interesses unter dem Schutze des Staates und unter 200
Vgl. Antrag Meerfeld / Naumann (Nr. 96), abgedruckt in: Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 199. 201 Wortbeitrag Abg. Naumann (DDP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 1.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 191. 202 Israël, Geschichte des Reichskirchenrechts, S. 36. 203 Wortbeitrag Abg. Mausbach (Z), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 1.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 192. 204 Wortbeitrag Abg. Mausbach (Z), ibid. 205 Wortbeitrag Abg. Düringer (DNVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 1.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 194. 206 Zur Rezeptionsgeschichte unter D.
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4. Kap.: Historische Spurensuche
der besonderen Aufsicht des Staates steht‘. Die wesentlichen Merkmale der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, zu denen auch die kirchenrechtlichen gehören, sind also folgende: 1. Der Staat gestattet ihnen ihren Mitgliedern gegenüber die Ausübung gewisser Rechte, z. B. das Recht der Besteuerung und die Disziplinargewalt, dies ist ein Hauptunterschied gegen die Vereine des bürgerlichen Rechts. 2. Sie genießen den besonderen Schutz des Staates, d. h. Vorteile, die niemals Privatvereinen gegeben worden sind. So haben ihre Organe die Stellung von öffentlichen Organen und ihre Verfassung ist ein Bestandteil des öffentlichen Rechts; (…) auf gleichem Recht beruht der den Kirchen gewährte Verwaltungszwang für den Vollzug der Disziplinaranerkenntnis. 3. Sie stehen auch unter besonderer Staatsaufsicht, d. h. der Staat übt eine viel intensivere Aufsicht wegen des öffentlichen Interesses aus als über die Privatvereine“207.
1. Einordnung von Kahls Definition Auffällig an dieser Definition ist, dass Kahl nicht zwischen den Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts und den verwaltungsrechtlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts unterscheidet. Der Einschub „zu denen auch die kirchenrechtlichen gehören“ macht deutlich, dass Kahl von den Merkmalen der verwaltungsrechtlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts auf die Rechtsverhältnisse der Kirchen schloss. Die von Kahl genannten materiellen Merkmale einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, nämlich deren „obrigkeitsähnliche“ Befugnisse einerseits und deren Unterwerfung unter eine besondere Staatsaufsicht andererseits, unterstreichen dies ebenfalls: Leitbild dieser Definition ist die Körperschaft des öffentlichen Rechts als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung. 2. Unmittelbare Reaktionen im Verfassungsausschuss am 2.4.1919 Unmittelbar nach den entscheidenden Beratungen lobte Kahl den im Verfassungsausschuss gefundenen Kompromiss als „ein Ergebnis, weit entfernt von den anfänglichen Plänen und Drohungen der Revolution“, das „alle besorgten Kirchenglieder erfreuen und beruhigen“208 könne. Dieser zufriedene Rückblick Kahls auf die Weimarer Beratungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Kahls Verständnis vom Inhalt des Begriffs der Körperschaften des öffentlichen Rechts im Hinblick auf die Kirchen gerade nicht durchsetzen konnte. Im Gegenteil war Kahls Definition im Verfassungsausschuss scharfer Kritik ausgesetzt. Nachdem Kahl in der Sitzung vom 1.4.1919 als einer der letzten Redner zum Zuge gekommen war, äußerte sich eine Reihe von Abgeordneten gleich zu Beginn der Sitzung vom 2.4.1919 konzertiert und ablehnend zu Kahls Definition. Den Auftakt machte Düringer (DNVP). Kahls Definition der Körperschaft des öffentlichen 207 Wortbeitrag Abg. Kahl (DVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 1.4.1919, Reichstagsprotokoll Bd. 336, S. 195. 208 Kahl, Deutsche Kirche im deutschen Staat, S. 13.
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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Rechts treffe zwar in den meisten Fällen zu, aber gerade nicht im Falle der Religionsgemeinschaften, da diese „nicht mittelbare Staatsaufgaben erfüllen“209. Ähnlich äußerte sich Düringers Fraktionskollege Delbrück (DNVP). Der Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts beruhe auf deren gemeinnützigem Charakter210; obrigkeitliche Befugnisse seien damit nicht notwendig verbunden. Noch deutlicher lehnte Naumann (DDP) ein staatsnahes Verständnis des kirchlichen Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts ab: „Soll durch die Anerkennung des behördlichen Charakters der Kirchenorgane und -angestellten ihre Gleichstellung mit staatlichen Behörden ausgesprochen werden? Dies würde ich für bedenklich halten“211. Kahl geriet im weiteren Verlauf so unter Druck, dass das Protokoll – im Ausschuss unüblich212 – sogar einen Zwischenruf Kahls zu seiner Verteidigung notiert.213 Obwohl Kahl seine Definition als bloßen Versuch einer „wissenschaftlichen Abstraktion“214 relativierte, riss die Kritik nicht ab. Für das Zentrum stellte der vormalige Katholikentagspräsident Peter Spahn klar: „Den Begriff ‚obrigkeitliche Befugnisse sollte man in die Definition der öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht aufnehmen“215. Die Sozialdemokraten waren in ihrer Haltung zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts gespalten. Der Abgeordnete Meerfeld hatte sich in einem gemeinsamen Antrag mit Naumann (DDP)216 darauf eingelassen, die Kirchen zu Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erklären. Der SPD-Abgeordnete Katzenstein sah den Körperschaftsstatus als Anerkennung für die soziale Bedeutung der Kirchen.217 Kritisch blieb hingegen Max Quarck. Zwar wies er auf der Linie seiner Vorredner darauf hin, dass die Begriffe Körperschaft des öffentlichen 209 Wortbeitrag Abg. Düringer (DNVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 196 f. 210 Wortbeitrag Abg. v. Delbrück (DNVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197. 211 Wortbeitrag Abg. Naumann (DDP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197. Im weiteren Verlauf der Diskussion machte Naumann deutlich, dass Unklarheit in diesem Punkt die Zustimmung seiner Fraktion gefährde (S. 200). 212 Die Arbeitsweise im Verfassungsausschuss entsprach meist dem Stil wissenschaftlicher Sitzungen, vgl. dazu Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 287. 213 Wortbeitrag Abg. Naumann (DDP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197 mit Zwischenruf Abg. Kahl (DVP) rechte Spalten oben. 214 Wortbeitrag Abg. Kahl (DVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197. 215 Wortbeitrag Abg. Spahn (Z), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197. 216 Antrag Meerfeld / Naumann (Nr. 96), abgedruckt in: Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 199. 217 Wortbeitrag Abg. Katzenstein (SPD), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 201.
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Rechts im verwaltungsrechtlichen bzw. im staatsrechtlichen Sinne voneinander getrennt werden müssten: „Wir können hier nur von kirchlichen öffentlich-rechtlichen Körperschaften reden und müssen die anderen außer Betracht lassen, denn die kirchlichen haben ihre besonderen Eigentümlichkeiten“218. Offenbar fürchtete er jedoch, dass beide Begriffe wie in Kahls Definition vermengt werden könnten. Alternativ schlug Quarck vor, konkret das Kirchensteuerrecht zu regeln. Damit drang Quarck indes nicht mehr durch. Die Sozialdemokraten ließen sich letztlich davon überzeugen, dass das Kirchensteuerrecht untrennbar mit dem Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts verknüpft sei. Dies war entscheidend für die Zustimmung der Sozialdemokraten,219 weil diese das Kirchensteuerrecht befürworteten, um die Kirchen nicht in die Abhängigkeit einflußreicher Geldgeber zu treiben.220 Angenommen wurde schließlich im Wesentlichen der gemeinsame Antrag von Meerfeld und Naumann.221 Wenn man den Beratungsstand vom 2. April 1919 rückblickend bewertet, ist es zwar richtig, dass sich Naumann und die Sozialdemokraten trotz gewisser Vorbehalte auf einen Begriff einließen, der nicht abschließend geklärt wurde.222 Die Mehrheit im Verfassungsausschuss – nicht nur die Weimarer Koalition, sondern auch die DNVP – stellte sich allerdings gegen Kahls Definition, welche die Kirchen in die Nähe einer staatlichen Körperschaft rückte. Kahl war es zwar gelungen, den Begriff in der Verfassung zu platzieren; die Deutungshoheit über ihn blieb aber im Ergebnis bei der Weimarer Koalition. Denn alle drei Koalitionäre waren sich darin einig, dass sie sowohl obrigkeitliche Befugnisse der Kirchen als auch eine besondere Staatsaufsicht ablehnten. Indem die Weimarer Koalitionäre Kahls Begriff eigenständig interpretierten, schufen sie die Grundlage für Naumanns „politischtaktische Meisterleistung“223, ohne Koalitionsbruch den Forderungen der Rechtsparteien nachzukommen. 3. Zur Haltung des Zentrums Weniger klar als die Haltung von SPD – grundsätzliche Ablehnung, aber Akzeptanz im Rahmen eines Kompromisses – und DDP – Akzeptanz als Ausdruck kirchlicher Freiheitssicherung – war die Haltung des Zentrums zur Körperschaftsfrage. Zunächst hat es den Anschein, als ob das Zentrum mit Kahl ganz an einem Strang zog: Dafür spricht, dass sich Zentrumspartei und der katholische Episkopat 218
Wortbeitrag Abg. Quarck (SPD), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 199. 219 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 345. 220 So auch der Abg. Quarck (SPD), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 199. 221 Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 21. Sitzung, 3.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 207 f. 222 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 352 f. 223 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 356.
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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vehement gegen die Trennung von Staat und Kirche ausgesprochen hatten.224 Doch im Verfassungsausschuss hatte sich der Zentrumspolitiker Spahn – wie alle außer Kahl – klar dagegen ausgesprochen, den Körperschaftsstatus als Ausdruck obrigkeitlicher Befugnisse der Kirchen anzusehen.225 Diese Äußerung Spahns ist keineswegs ein „Ausrutscher“. Vielmehr illustriert sie, dass das Eintreten des Zentrums für den Status quo ante nicht mit der institutionellen Verbindung von Staat und Kirche gleichgesetzt werden darf, wie sie Kahl vorschwebte. Wenn sich das Zentrum gegen die Trennung von Staat und Kirche aussprach, so sollte damit vor allem die Rolle der Kirche im öffentlichen Leben betont werden: Es ging um die Aufrechterhaltung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, um religiöse Symbole in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt um die Kirchensteuer. Herrschend für das damalige katholische Selbstbild war die von Papst Leo XIII. propagierte Vorstellung, dass die Kirche eine societas perfecta sei.226 Davon ausgehend entwickelte sich in der Rechtswissenschaft die Koordinationslehre, nach der sich Staat und Kirche als Rechtssubjekte gleichberechtigt gegenüberständen. Diese Vorstellung hatte die Fuldaer Bischofskonferenz auch gegenüber der Nationalversammlung noch einmal hervorgehoben.227 Aus katholischer Perspektive ging es also darum, den Status der Kirche als dem Staat gleichgeordnetes Rechtssubjekt zu verteidigen. Auf dieser Grundlage sollte die Kooperation zwischen Staat und Kirche fortgesetzt werden. Als Staatskirche hatte sich die katholische Kirche dagegen nie verstanden.228 Vom Körperschaftsstatus erhoffte sie sich vor allem eine Sicherung ihrer eigenen Unabhängigkeit. Dies wurde schon in der ersten Lesung des Verfassungsentwurfs deutlich. Dort forderte Spahn den Körperschaftsstatus als notwendige Ergänzung individueller Grundrechtsgarantien auf der Ebene der Religionsgesellschaften ein. Er fürchtete, andernfalls könnten die individuellen Grundrechtsgarantien zu Lasten der Rechte der Kirche gehen.229 Kahls Definitionsvorschlag hingegen blieb nicht bei einer Kooperation von Staat und Kirche, sondern lief auf eine Inkorporation der Kirchen in den Staat hinaus. Diese verschaffte den Kirchen zwar Privilegien in Form „obrigkeitlicher Befug 224
Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 96 f. Wortbeitrag Abg. Spahn (Z), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197. 226 Zur societas-perfecta-Lehre vgl. oben Kapitel 2, A. I. 227 Eingabe der Fuldaer Bischofskonferenz an die Reichsregierung v. 24.8.1919, abgedruckt bei: Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 98, S. 133 f., in der die Bischofskonferenz zum Verfassungsentwurf Stellung nimmt und dabei betont: „Die katholische Kirche ist eine Institution, die durch Jesus Christus auf göttlicher Einsetzung beruht und deren Rechten, wie solche ihr von ihrem göttlichen Stifter verliehen sind und aus ihrer göttlichen Stiftung sich ergeben, keine weltliche Gesetzgebung Schranken zu setzen befugt ist“. Daran anschließend wird in dem Schreiben vor allem die Schrankenformel in Art. 137 Abs. 3 WRV angegriffen. 228 So auch Kalle, Bedeutung des Satzes: ‚Es besteht keine Staatskirche‘, S. 13; Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 289 (315). 229 Wortbeitrag Abg. Spahn (Z), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 380C. 225
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4. Kap.: Historische Spurensuche
nisse“. Zugleich aber unterstellte sie die Kirchen einer besonderen staatlichen Aufsicht. Zu den wesentlichen Motiven für Kahls Forderung nach einer bleibenden Verbindung von Staat und Kirche zählt seine Furcht vor einer vermeintlich überlegenen Struktur der katholischen Kirche, die durch eine verstärkte Staatsaufsicht gezähmt werden sollte.230 In dieser Frage befand sich Kahl schon Jahre vor der Weimarer Nationalversammlung in scharfem Konflikt zur katholischen Kirche und zum Zentrum. In mehreren wissenschaftlichen Publikationen, darunter in seiner Habilitationsschrift, hatte Kahl die besondere Staatsaufsicht über die Kirchen als angeblich notwendiges Instrument gefordert, um die staatliche Unabhängigkeit gegenüber der katholischen Kirche zu verteidigen.231 Noch 1902 hatte Kahl den auf die Freiheit der Religionsausübung in allen Bundesstaaten ausgerichteten „Tole ranzantrag“232 des Zentrums als „Unfug“233 abgetan. In seiner Rektoratsrede an der Humboldt-Universität erklärte sich Kahl ganz offen zu seinen Motiven, warum er die Trennung von Staat und Kirche ablehnte: Diese wäre nämlich für die evangelischen Kirchen von Nachteil, während sie für die katholischen Kirche ein Gewinn sei, da diese nach Ende der Kirchenaufsicht erneut auf die Unterwerfung des Staates unter die Kirche hinarbeiten werde.234 Von katholischer Seite durfte Kahl daher keine Unterstützung für seine Vorstellung erwarten, dass Staat und Kirche bleibend verbunden seien. Der Verfassungsausschuss hat denn auch Kahls Forderung nach einer intensiveren Staatsaufsicht über die Kirchen explizit abgelehnt.235 4. Zweite Lesung im Verfassungsausschuss Die zweite Lesung der Kirchenbestimmungen im Verfassungsausschuss bestätigte im Wesentlichen den Beratungsstand aus der ersten Lesung.236 Mit Meerfeld (SPD) und Naumann (DDP) auf der einen und Kahl (DVP) auf der anderen Seite fehlten in der zweiten Lesung alle wesentlichen Protagonisten der Diskussionen um den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts.237 Quarck, der auf Seiten der SPD den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts schon in erster 230
Achenbach, Recht, Staat und Kirche bei Wilhelm Kahl, S. 25 f. In seiner Habilitationsschrift Kahl, Temporaliensperre besonders nach bayerischem Kirchenstaatsrecht, S. 8 ff., plädierte er für einen Entzug der mit dem geistlichen Amt verbundenen Einkünfte als Zwangsmittel, um die katholische Kirche der bayerischen Kirchenhoheit zu unterwerfen. 232 Entwurf eines Reichsgesetzes, betreffend die Freiheit der Religionsausübung, eingebracht am 23.11.1900, Reichstagsprotokolle Bd. 189, S. 367; ebenfalls abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche III, Nr. 6, S. 9 f. Interessant ist, dass in diesem Gesetzentwurf der Begriff einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ebenfalls nicht vorkommt, sondern stattdessen von anerkannten Religionsgemeinschaften die Rede ist (§ 5). 233 Kahl, Bedeutung des Toleranzantrags für Staat und evangelische Kirche, S. 35. 234 Kahl, Aphorismen zur Trennung von Staat und Kirche, S. 26 f. 235 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 358. 236 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 106. 237 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 441. 231
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Lesung abgelehnt hatte, nahm einen weiteren Anlauf, diesen zu verhindern. So beantragte er zunächst die Streichung der entsprechenden Bestimmung.238 Dieser Antrag war aufgrund der Mehrheitsverhältnisse aussichtslos. Allerdings scheiterte auch ein Versuch der kirchenfreundlichen Kräfte, den Kompromiss aus der ersten Lesung in ihrem Sinne zu erweitern. Gröber (Z) verlangte nämlich, dass Kirchen auch von juristischen Personen wie Aktiengesellschaften Kirchensteuern erheben können sollten.239 Dieses Ansinnen wurde von der SPD in aller Entschiedenheit zurückgewiesen. Für sie drohte Keil offen mit dem Bruch der Koalition, sollte die Rechtsstellung der Kirchen noch über den Kompromiss aus erster Lesung hinaus privilegiert werden.240 5. Beratungen im Plenum Die abschließenden Beratungen im Plenum gaben dem hier festgehaltenen Beratungsstand aus dem Verfassungsausschuss ebenfalls keine andere entscheidende Wendung. Zweifel könnten sich aus dem erbitterten Fazit241 von Quarck (SPD) ergeben, der „in diesem weltgeschichtlichen Augenblick“242 das „Steckenbleiben der reinlichen Trennungsarbeit“ zwischen Staat und Kirche beklagte. Das Bestreben der bürgerlichen Parteien sei es gewesen, den Kirchen „eine ganze Reihe staatlicher Machtmittel (…) weiter zu erhalten“ und im Ergebnis habe man den Kirchen mit dem Körperschaftsbegriff „eine ‚obirgkeitliche Gewalt‘ anerkannt“243. In der Weimarer Literatur ist dies als Beleg dafür angeführt worden, wonach die Sozialdemokraten ihre Position aufgegeben hätten und eine „reinliche Entstaatlichung der Kirche (…) gescheitert“244 sei. Tatsächlich gab es jedoch im Plenum der Nationalversammlung keinen Meinungsumschwung gegenüber dem vorherigen Beratungsstand. Anders als im Verfassungsausschuss fand in der zweiten Plenarlesung keine vertiefte Diskussion um den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts mehr statt. Das Plenum der Nationalversammlung war – anders als der Verfassungsausschuss – kein Ort trockener und sachlicher Verhandlungen im Stil wissenschaftlicher Sitzungen, sondern 238 Wortbeitrag Abg. Quarck (SPD), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 41. Sitzung, 17.6.1919 (Nachmittagssitzung), Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 515. 239 Wortbeitrag Abg. Gröber (Z), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 41. Sitzung, 17.6.1919 (Nachmittagssitzung), Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 515. 240 Wortbeitrag Abg. Keil (SPD), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 41. Sitzung, 17.6.1919 (Nachmittagssitzung), Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 516. 241 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 536. 242 Wortbeitrag Abg. Quarck (SPD), Weimarer Nationalversammlung, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 328, S. 1650B bzw. 1650D. 243 Wortbeitrag Abg. Quarck (SPD) ibid. 244 Kalle, Bedeutung des Satzes: ‚Es besteht keine Staatskirche‘, S. 21.
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„Agitationstribüne“.245 Quarck war bereits im Verfassungsausschuss gegen den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts angetreten und erneuerte insofern nur seine bereits bekannte Position. Seine Skepsis dürfte vor allem daraus resultieren, dass er eine Verselbständigung des Begriffs im juristischen Schrifttum befürchtete.246 Obwohl sich diese Sorge später nicht zuletzt wegen der Doppelrolle Kahls als „Verfassungsvater“ und Staatsrechtler bewahrheitete, kann sie nicht als Beleg dienen, der Verfassungsgeber habe sich Kahls Position zu eigen gemacht. Denn im Verfassungsausschuss war – das ist das zentrale Ergebnis dieser historischen Spurensuche – Kahls Definition einhellig abgelehnt worden.247 Zu diesem Ergebnis kommt auch der Historiker Ludwig Richter in seiner Bewertung des Beratungsgangs: „Kahl [folgte] insbesondere nicht der vom Verfassungsausschuß vorgesehenen klaren Scheidung der staatlichen und religionsgesellschaftlichen Sphäre. Zur Begründung dieser Ansicht stützte er sich, neben einer Argumentation, die in grotesker Weise vollständig dem Arsenal des früheren Systems der Staatskirchenhoheit entlehnt war, geradezu tautologisch einzig auf seine eigenen Anträge und Definitionen – insofern war die Intention des Verfassungsentwurfs das vollkommene Gegenteil von Kahls Auffassung“248.
Weder Kahl, der im Plenum noch einmal auf einer besonderen Staatsaufsicht insistiert hatte,249 noch Quarck gaben damit den historischen Willen des Verfassungsgebers zuverlässig wieder. Eine abgewogene Wiedergabe des tatsächlichen Beratungsergebnisses aus dem Verfassungsausschuss trug dagegen Naumann (DDP) vor.250 Ausdrücklich legte Naumann großen Wert auf die dortigen Beratungen, ohne deren Klarstellungen die DDP die Aufnahme des Begriffs gar nicht unterstützt hätte.251 245
Vgl. Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 287. Mehrfach zitierte er aus dem juristischen Schrifttum zum verwaltungsrechtlichen Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts und stützte damit letztlich Kahls Definition. Vgl. im Verfassungsausschuss, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 199, später dann im Plenum, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 328, S. 1650D. Quarck war sich also der Gefahr bewusst, dass Kahl und andere Interpreten den einmal verwandten Begriff entgegen der Mehrheitsmeinung im Verfassungsausschuss doch an den verwaltungsrechtlichen Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts anlehnen könnten. Schon aus biographischen Gründen dürfte Quarck den Juristen seiner Zeit misstrauisch begegnet sein. Quarck war selbst promovierter Jurist, wurde aber aus dem Referendariat in Sachsen wieder entlassen, weil er als politisch unzuverlässig eingestuft wurde. Daraufhin betätigte sich Quarck als Journalist und politisch in der SPD. 247 Auf diese Diskrepanz zwischen dem Beratungsstand aus dem Verfassungsausschuss und dessen Darstellung durch Quarck weist zutreffend auch Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 108, hin. 248 Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 547. 249 Wortbeitrag Abg. Kahl (DVP), Weimarer Nationalversammlung, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 328, S. 1647C-D. 250 Ausdrücklich Ebers, Staat und Kirche, S. 302: „Nun ist allerdings das, was Kahl im Plenum vortrug, nichts anderes als die Privatmeinung eines Abgeordneten, wogegen in den Ausführungen Naumanns der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck kam, weil sie die Ansicht der Mehrheit wiedergab“. Zur Bedeutung von Naumanns Redebeiträgen bei der Auslegung der Verhandlungsmaterialien Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 102 f. 251 Wortbeitrag Abg. Naumann, (DDP), Verfassungsausschuss der Weimarer Nationalversamm lung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 200. und darauf im Plenum zu 246
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Der Ausdruck Körperschaft des öffentlichen Rechts sei demnach nur als „Hilfsbegriff“252 gemeint, um den Kirchen die Beibehaltung einer privilegierten Finanzierung mithilfe der Kirchensteuer zu ermöglichen. Mit dem Begriff werde keine Staatsnähe der Kirche und ihrer Befugnisse ausgedrückt.253 6. Schlussfolgerungen für die historische Auslegung Die Feststellung, dass die Definition Kahls weder im Verfassungsausschuss noch im Plenum mehrheitsfähig war, ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil jene Definition später nicht unerheblichen Einfluss darauf hatte, wie die Weimarer Verhandlungen im juristischen Schrifttum rezipiert wurden. Seit der Weimarer Zeit gibt es immer wieder Verweise auf Kahls Definition der Körperschaft des öffentlichen Rechts am 1.4.1919, um ein bestimmtes Verständnis dieses Begriffs nach der historischen Auslegungsmethode zu rechtfertigen.254 Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig. Die Definition Kahls ist der mit Abstand präziseste und umfassendste Versuch im Verfassungsausschuss, den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts zu klären. Für juristische Rezipienten ist es daher verführerisch, mit dieser rechtstechnischen Definition zu arbeiten, die erkennbar aus einer Juristenhand stammt, anstatt mit den vagen, bruchstückhaften und oft widersprüchlichen Äußerungen der übrigen Mitglieder des Verfassungsausschusses zu operieren. Hinzu kommt, dass Kahls Begriffserklärung einer Auffassung über das Verhältnis von Staat und Kirche entgegenkam, die dem Verständnis der zu Weimarer Zeit tonangebenden konservativ-protestantischen Kreise entsprach.255 Zudem hatte der Rechtswissenschaftler Kahl im Anschluss an die Weimarer Verhandlungen noch verschiedentlich die Gelegenheit, seine eigene Auffassung weiter zu verbreiten.256 Dass Kahl dabei die Autorität eines „Verfassungsvaters“ in Anspruch nehmen konnte, stellte die Dinge geradezu auf den Kopf.257 Angesichts der klaren Mehrheitsmeinung im Verfassungsausschuss muss jedem Versuch, Kahls Definition mit dem Willen des historischen Verfassungsgebers rückkommend, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 328, S. 1653D (auf einen Zuruf von Kahl): „Gerade bei Ihrem Vortrag über die Pflichten und Befugnisse der öffentlichen Korporationen war ich nahe daran, koste es, was es wolle, diesen Begriff abzulehnen, weil ich einen Schrecken hatte“. 252 Wortbeitrag Abg. Naumann (DDP), Weimarer Nationalversammlung, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichtstagsprotokolle Bd. 328, S. 1654A. 253 Vgl. Wortbeitrag Abg. Naumann (DDP), Weimarer Nationalversammlung, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichtstagsprotokolle Bd. 328, S. 1653D. 254 Vgl. etwa Scheuner, ZevKR 7 (1959/60), S. 224 (246, Fn. 59). 255 Von der „herrschenden Theorie des Staatskirchenrechts unter der Führung von Wilhelm Kahl“ spricht Werner Weber, VVDStRL 11 (1954), S. 153 (154). 256 Zur Rezeptionsgeschichte gleich näher unter D. 257 Krit. zur zweifelhaften Doppelrolle Kahls bereits dessen Zeitgenosse Ebers, Staat und Kirche, S. 301 f.
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gleichzusetzen, entschieden widersprochen werden. Verfassungsausschuss und Nationalversammlung haben die Definition Kahls abgelehnt.258 Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass sie für die historische Auslegung wertlos wäre, im Gegenteil: Mit der Ablehnung von Kahls Definition brachte der Verfassungsgeber nämlich sehr wohl zum Ausdruck, wie der Körperschaftsstatus gerade nicht zu verstehen ist. Der Verfassungsausschuss wollte weder das Verbot der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV) durchbrechen, noch den Kirchen obrigkeitliche Befugnisse zugestehen. Aus den Materialien ergibt sich daher ein schwerwiegender Einwand gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur,259 wonach die Privilegien der Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, als Ausdruck staatsabgeleiteter Hoheitsgewalt zu verstehen seien.
III. Positiver Inhalt des Begriffs Körperschaft des öffentlichen Rechts? Schon in Weimarer Zeit war umstritten, ob dem Beratungsergebnis der Nationalversammlung ein positiver Inhalt des Begriffs „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ entnommen werden könne. Giese beklagte schon 1924, die Abgeordneten hätten sich „mit der Gewinnung einer halbklaren Vorstellung“260 vom Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts begnügt. Die Wendung vom „rätselhaften Ehrentitel“ greift diese Skepsis bis heute auf. 1. Dilatorischer Formelkompromiss? Die schärfste Kritik am Weimarer Beratungsergebnis stammt von Carl Schmitt, der den Verfassungsvätern einen „dilatorischen Formelkompromiß“ vorhielt.261 Darunter verstand Schmitt einen „unechten“262 Kompromiss, bei dem man sich 258 Ebers, Staat und Kirche, S. 188 f.; Achenbach, Recht, Staat und Kirche bei Wilhelm Kahl, S. 196. 259 Dazu mit Nw. noch Kapitel 6, B. II. 2. c) und B. III. 260 Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (38). 261 Schmitt, Verfassungslehre, S. 31 ff.; zust. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 169, der allerdings im Widerspruch dazu an späterer Stelle selbst die Körperschaftsgarantie als Einrichtungsgarantie entfaltet (S. 204 ff.); im Ergebnis ähnlich wie Schmitt auch Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 122: „Diese Fragen lassen sich auch bei gründlicher Analyse der Debatte nicht wirklich beantworten“ – ohne eine solche Analyse indes selbst zu versuchen; ohne nähere Erklärung den Begriff übernehmend Sachs, BayVBl 1987, S. 463. Unter Bezugnahme auf Schmitt meint auch Johannes Heckel, FS Smend (1952), S. 103 (108), der Körperschaftsbegriff sei nur angesichts seiner „formalen Dehnbarkeit und inhaltlichen Leere“ akzeptanzfähig gewesen. Wilms, NJW 2003, S. 1083 (1085) hält auch dem Bonner Grundgesetzgeber einen dilatorischen Formelkompromiss vor. 262 Schmitt, Verfassungslehre, S. 31.
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nicht über die Sache, sondern nur darüber einig geworden sei, „die Entscheidung zu vertagen und sich die verschiedensten Möglichkeiten und Deutungen offen zu halten“263. Bei der Auslegung solcher Kompromissformeln könne die historische Auslegung zu keinem Erfolg führen, weil „kein anderer Wille vorhanden ist als der, in dieser Angelegenheit vorläufig keinen Willen zu haben“264. a) Vieldeutigkeit des Weimarer Kompromisses Zutreffender Ausgangspunkt dieser Kritik ist die Vieldeutigkeit des Staatskirchenkompromisses. Die verschiedenen Parteien einigten sich auf einen Begriff, der für sie aus ganz unterschiedlichen Gründen akzeptanzfähig war. Der Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ kam zunächst den evangelischen, deutsch-nationalen und monarchistisch eingestellten Vertretern entgegen. Obwohl die staatliche Herrschaft über die Kirche keineswegs der reformatorischen Lehre entspricht, war sie doch gute protestantische Tradition. So kam die Formel von der Körperschaft des öffentlichen Rechts all denjenigen entgegen, denen eine organisatorische Verbindung von Staat und Kirche weiterhin selbstverständlich erschien. Ganz anders war das Verständnis der katholischen Kräfte, die sich über das Zentrum artikulierten. Denn als Staatskirche hat sich die katholische Kirche nie verstanden. Ihrem universalen Charakter entsprechend ist es der katholischen Kirche fremd, sich an bestimmte staatliche Strukturen und Rechtsbegriffe anzulehnen. Für sie war es im Sinne der Koordinationslehre entscheidend, mit dem Staat gleichberechtigt auf einer Stufe zu stehen. Um diese Haltung in der Praxis umzusetzen, betrieb sie mit beachtlichem Erfolg den Abschluss von Konkordaten. Entsprechend hoffte man, den Begriff Körperschaft des öffentlichen Rechts nutzbar machen zu können. Ein hartes Zugeständnis war der Begriff hingegen für die Sozialdemokraten. Denn im Erfurter Parteiprogramm hatten sich die Sozialdemokraten für eine Trennung von Staat und Kirche ausgesprochen. Allerdings war man sich in der SPD bewusst, dass eine grundlegende Beschneidung kirchlicher Privilegien in der damaligen Gesellschaft kaum mehrheitsfähig war.265 Immer wieder betonten die 263
Schmitt, Verfassungslehre, S. 32. Schmitt, Verfassungslehre, S. 34. 265 Instruktiv für die Stimmung in der SPD das Schreiben Konrad Haenischs (SPD) an Adolph Hoffmann (USPD) v. 31.12.1918, in dem dieser Hoffmanns Kirchentrennungspolitik für Separatistenbewegungen im Rheinland, Posen und Oberschlesien verantwortlich macht, abgedruckt bei: Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 54, S. 70 ff.: „Du wirst Dich erinnern, daß ich von Anfang an voraussagte, diese ganze überstürzte Schul- und Kirchenpolitik werde die schwerstwiegenden politischen Konsequenzen haben. (…) Massenhaft waren in diesen letzten Wochen Parteigenossen aus diesen Gebieten (sc. aus Rheinland, Posen und Oberschlesien) bei mir, um mich händeringend zu beschwören, noch schleunigst gut zu machen, was noch irgend zu machen sei. (…) Jeder weitere Tag der Aufrechterhaltung, insbesondere des Religionserlasses, hätte unseren beiden Parteien Hunderttausende von Stimmen gekostet. 264
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SPD-Vertreter, man wolle eine „schiedlich-friedliche“266 Trennung von Staat und Kirche. Die Reaktionen, die Hoffmann (USPD) durch sein forsches Vorgehen gegen den konfessionellen Religionsunterricht hervorrief und die ihn nach nur wenigen Wochen im Amt scheitern ließen, waren für die SPD eine deutliche Warnung. Dies erklärt die Kompromissbereitschaft der SPD. Der „rätselhafte Ehrentitel“ verschleierte dabei, dass die Kirchen im Ergebnis Privilegien erhielten, und ermöglichte den Sozialdemokraten so einen gesichtswahrenden Kompromiss. Die Zustimmung der DDP schließlich beruht auf dem Umstand, dass sich Naumann davon überzeugen ließ, ohne den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts könne es kein Kirchensteuerrecht geben. Allerdings hatte Naumann mehrfach deutlich ausgesprochen, dass es nicht darum gehen könne, die Kirchen wieder in Staatsnähe zu rücken. b) Bedeutungssubstrat des Weimarer Kompromisses Angesichts dieser ganz verschiedenen Perspektiven ist der Vorwurf nicht ganz unberechtigt, der Verfassungsgeber habe sich gar nicht bis ins letzte Detail den Bedeutungsgehalt des Körperschaftsbegriffs klar machen wollen.267 Voreilig und unzutreffend ist dagegen Schmitts Schlussfolgerung, dass dem Körperschaftsstatus überhaupt kein positiver Inhalt entnommen werden könne. Es handelt sich um eine petitio principii, weil Schmitt die genaue Entstehungsgeschichte von Art. 137 Abs. 5 WRV gar nicht näher untersucht hat. Seine Schlussfolgerung deckt sich nicht mit den Beratungen.268 Lediglich Kahl (DVP), der sich in den Beratungen nicht durchsetzen konnte, propagierte ähnlich wie später Schmitt schon gegen Ende der Weimarer Beratungen, einzelne Aspekte wie die Frage der besonderen Staatsaufsicht müsse „künftig die Wissenschaft entscheiden“269. Unter diesen Umständen war es nicht nur höchste politische Pflicht, sondern auch Pflicht dem Sozialismus gegenüber, einzulenken (…)“. Zu dieser Folge der Hoffmannschen Politik auch Morsey, Zentrumspartei 1917–1923, S. 117 ff. 266 Wortbeitrag Abg. Meerfeld (SPD), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 1.1.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 188. 267 Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 35. 268 So auch Kalle, Bedeutung des Satzes: ‚Es besteht keine Staatskirche‘, S. 26. 269 Wortbeitrag Abg. Kahl (DVP), Weimarer Nationalversammlung, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 328, S. 1647D. Kahl kokettiert an dieser Stelle noch weiter: „Ich freue mich für meine jüngeren kirchenrechtlichen Kollegen, die künftig Kommentare zur Verfassung zu schreiben haben, daß sie hier ein weites Gebiet und Feld für ihren Scharfsinn finden werden“. Ähnlich wie Schmitt und Kahl – allerdings nach eingehender Betrachtung der Beratungen – die Schlussfolgerung von Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 112. Heinig bezweifelt die Beweiskraft der dem Beratungsergebnis zugrunde liegenden „Hintergrundannahmen“, weil über diese keine Beschlussfassung erfolgte. Diese Kritik zielt im Grunde aber auf die historische Auslegung überhaupt ab, weil diese stets darauf gerichtet ist, die Vorstellungen des Gesetzgebers zu erforschen, die nicht ausdrücklich beschlossen wurden und daher nicht Teil des Gesetzestextes sind.
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Bei aller Vieldeutigkeit lässt sich den Beratungen zu Art. 137 Abs. 5 WRV ein Bedeutungssubstrat entnehmen, das – teils aus voller Überzeugung, teils als Zugeständnis – den Kompromiss getragen hat. Den Beratungen kann der klare Wille entnommen werden, den Kirchen bestimmte Sonderrechte vor anderen Verenigungen zu gewähren.270 Hinter dem politischen271 Begriff verbirgt sich im Grundsatz die Konservierung der alten Zweiteilung in privilegierten Religionsgesellschaften (§ 17 II.11 ALR) einerseits und bloß „geduldeten“ (§ 20 II.11 ALR) andererseits.272 Der Bedeutungskern des Begriffs Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 137 Abs. 5 wird klarer, wenn man ihn mit „privilegierte Religionsgesellschaft“ übesetzt.273 Die historische Auslegung von Art. 137 Abs. 5 WRV unterscheidet sich damit, anders als von Schmitt angenommen, nicht prinzipiell von der Auslegung anderer (im Sinne Schmitts: „echter“274) Kompromisse. Die Deutung von Kompromissformeln ist in einer Demokratie sogar der Regelfall historischer Auslegung.275 Gegenüber dem Gesetzgeber genießen die deutenden Juristen dabei das Privileg, nicht den „Ballast“ der Gesichtswahrung gegenüber der eigenen Partei und der Öffentlichkeit tragen zu müssen. Historische Auslegung darf und muss hinter die Fassade von Kompromissformeln blicken und danach fragen, was wirklich gewollt war.
270 Hierüber besteht bei den Interpreten des Entstehungsprozesses der WRV weitgehende Einigkeit, vgl. nur Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (38 f.); Schoen, VerwArch 29 (1922), S. 2 (16); Lilienthal, Staatsaufsicht über die Religionsgesellschaften, S. 64; Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (368); interessanterweise spricht Schmitt an anderer Stelle ebenfalls von der „Garantie eines status quo mit instituellener Garantie“ zugunsten der Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts II, § 101, S. 594. A. A. – insoweit allerdings zu einseitig diejenigen Stimmen betonend, welche die Notwendigkeit landesrechtlicher Ausgestaltung betonten – Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 87 ff. 271 Schoen, VerwArch 29 (1922), S. 2 (16); Forsthoff, Öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, S. 22. So bereits im Verfassungsausschuss Wortbeitrag Abg. Beyerle (Z), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 201. 272 Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 103; Korioth, in: Kippenberg / Schuppert, Verrechtlichte Religion, S. 109 (114). 273 Vgl. aus zeitgenössischer Sicht Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (38 f.). Der Begriff taucht aber nur noch vereinzelt und beiläufig in der Literatur auf, etwa bei Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (169); Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (366): „privilegierte Korporation des öffentlichen Rechts“. 274 Schmitt, Verfassungslehre, S. 31. 275 Übertrieben ist aber auch Hammers, Rechtsfragen der Kirchensteuer, S. 50 pathetisches Lob der Weimarer Staatskirchenartikel als eines „gelungenen, schöpferischen Ausgleichs konträrer Ideen, wie er ein seltenes, aber ein bedeutendes Resultat demokratischer Entscheidungsfindung bildet“. Für dieses vorbehaltlose Lob haben die Weimarer Staatskirchenartikel zu viele Missverständnisse ermöglicht.
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2. Körperschaftsstatus als Institutsgarantie Die privilegierte Stellung der Kirchen genauer auszugestalten, war eine Aufgabe, die der Weimarer Verfassungsgeber dem einfachen Gesetzgeber überließ.276 Im Verfassungsausschuss hatte zunächst Delbrück (DNVP) die Bedeutung des Verleihungsakts für den Umfang der Körperschaftsrechte hervorgehoben.277 Nach Meinung von Ablaß (DDP) folgte hieraus die Möglichkeit, „daß die gleiche Körperschaft in verschiedenen Ländern verschieden behandelt wird“278. Rudolf Heinze (DVP), der sich ebenso wie Delbrück seit der ersten Lesung im Plenum für die Bezeichnung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts eingesetzt hatte, betonte: „Welche Rechte das sind [sc. die den Religiosgesellschaften, die Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, zustehen], muß für jedes Land im einzelnen festgestellt werden“279. Adolf Gröber, Vorsitzender der Zentrums-Fraktion, stellte ebenfalls klar: „Welche Rechte diese neuen Religionsgesellschaften [sc. durch die Zuerkennung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts] erhalten, richtet sich nach Landesrecht“280. Diese Wortbeiträge deuten damit in eine Richtung, den Körperschaftsstatus der Kirchen als eine Art „normgeprägtes Grundrecht“ zu verstehen. Das Erfordernis einer gesetzlichen Konkretisierung der Körperschaftsrechte ist in der späteren Rezeptionsgeschichte vielfach verschüttet worden. Dabei findet es in Art. 137 Abs. 8 WRV einen ausdrücklichen normativen Ausdruck. Das Meinungsbild im Verfassungsausschuss darf indes nicht dahin verkürzt werden, dass der Verfassungsbegriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ keinerlei eigenen Inhalt haben, seine Ausgestaltung also ganz zur Disposition des einfachen Gesetzgebers stehen sollte.281 Diese Auffassung wurde zwar von einem beratend teilnehmenden Vertreter des Reichsjustizministeriums geäußert.282 Sie widerspricht jedoch der Intention, mit welcher der Begriff überhaupt erst in die Verfassungsberatungen eingebracht wurde. Ausgangspunkt war schließlich gewesen, dass einige Abgeordnete als Reaktion auf die beschriebene Politik Adolph Hoffmanns (USPD) und entsprechende Forderungen aus dem Erfurter Parteiprogramm der SPD den Kirchen eine reichsverfassungsrechtliche Garantie ihrer „wohlerworbe 276
Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 111. Wortbeitrag Abg. v. Delbrück (DNVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197. 278 Wortbeitrag Abg. Ablaß (DDP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 199. 279 Wortbeitrag Abg. Heinze (DVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 200. 280 Wortbeitrag Abg. Gröber (Z), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 200; ähnlich in seiner Eigenschaft als Sachverständiger Wortbeitrag Wirklicher Geheimer Rat v. Harnack, Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 201. 281 So aber zu den res sacrae Renck, JZ 2001, S. 375 (377). 282 Wortbeitrag Geheimer Regierungsrat Zweigert (RMJ), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 202. 277
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nen Rechte“ verschaffen wollten. Als ein Vertreter der sächsischen Regierung die Klarstellung wünschte, dass den Kirchen durch die Körperschaftsgarantie nicht der bestehende Rechtsbestand garantiert werde, sondern das Landesrecht hiervon abweichen könne,283 wies Düringer (DNVP), einer der Initiatoren der Debatte um den Körperschaftsbegriff, dieses Ansinnen sogleich zurück.284 Schon im Plenum war der Körperschaftsstatus vor allem mit dem Erhalt des Kirchensteuerwesens verknüpft worden.285 Diese privilegierte Form der Beitragserhebung aufrecht zu erhalten stand für die Kirchen ganz im Mittelpunkt, weil sie andernfalls den „wirtschaftlichen Zusammenbruch unseres landeskirchlichen Gemeinwesens“286 fürchteten. Über dieses Privileg bestand auch im Verfassungsausschuss parteiübergreifend Einigkeit.287 Die Kirchensteuer ist das einzige der mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Privilegien, das ausdrücklichen Eingang in den Verfassungstext fand (Art. 137 Abs. 6 WRV). Die Garantie der Kirchensteuer bildet damit den „Kern“ der materiellen Körperschaftsgarantie. Die übrigen Rechte, welche heute üblicherweise mit dem Körperschaftsstatus verbunden werden – Dienstherrnfähigkeit, res sacrae, Parochialrecht –, sind hingegen weder ausdrücklich im Verfassungstext erwähnt, noch ist ihr Schutz auch nur annähernd so klar wie das Kirchensteuerrecht in der Entstehungsgeschichte der Weimarer Verfassung belegt. Wenn überhaupt, waren sie nur am Rande Gegenstand der Beratungen.288 Damit ist noch nicht gesagt, dass diese Rechte nicht vom Willen des historischen Verfassungsgebers mitumfasst waren.289 Fehlende Ausführungen zu einzelnen Aspekten des Körperschaftsstatus lassen sich teils da durch erklären, dass sie neben dem alles überragenden Aspekt der Kirchensteuer 283
Wortbeitrag Geheimer Legationsrat Poetzsch (Sachsen), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 41. Sitzung, 17.6.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 516. 284 Wortbeitrag Abg. Düringer (DNVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 41. Sitzung, 17.6.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 517. 285 Wortbeiträge Abg. v. Delbrück (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 389A; Abg. Heinze (DVP), Weimarer Nationalversammlung, 17. Sitzung, 28.2.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 398D; Abg. Düringer (DNVP), Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 3.3.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 326, S. 474B. 286 Eingabe des Oberkirchenrats der altpreußischen Landeskirche an die Nationalversammlung in Weimar v. 22.2.1919, abgedruckt in: Ernst Rudolf Huber / Wolfgang Huber, Staat und Kirche IV, Nr. 92, S. 112 ff.; zur prekären Finanzlage der Kirchen 1918 vgl. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich I, S. 6. 287 Vgl. Beratungen im Verfassungsausschuss, Reichstagsprotokolle Bd. 336, die Wortbeiträge der Abg. Düringer (DNVP), 19. Sitzung, 1.4.1919, S. 194; Spahn (Z), 20. Sitzung, 2.4.1919, S. 197; Quarck (SPD), 20. Sitzung, 2.4.1919, S. 199; Heinze (DVP), 20. Sitzung, 2.4.1919, S. 200; Gröber (Z), 41. Sitzung, 17.6.1919, S. 515; krit. dagegen als Sachverständiger Wortbeitrag Wirklicher Geheimer Rat v. Harnack, Verfassungsausschuss, 19. Sitzung, 1.4.1919, Reichstagsprotokoll Bd. 336, S. 192, der das Kirchensteuerrecht zwar erhalten, aber nicht in die Verfassung schreiben wollte. 288 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 111. 289 So indes der Umkehrschluss bei Rieder, Staat und Kirche, S. 19.
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untergingen.290 Ähnlich wie schon in der Paulskirchenversammlung von 1848/49 waren nämlich die Weimarer Debatten von jenen Akteuren bestimmt, die lieber Grundsatzdiskussionen291 führten, als Detailfragen zu klären. Gleichwohl lässt sich den Protokollen in der Summe die Tendenz entnehmen, dass den Kirchen neben der Kirchensteuer noch ein Mindestbestand weiterer Privilegien zustehen sollte.292 Die Mehrheit der Nationalversammlung strebte einen substantiellen Bestandsschutz für die Kirchen an.293 Dafür sprachen sich nämlich auch diejenigen Redner aus, welche die Definition Kahls ablehnten und den näheren Inhalt des Körperschaftsstatus durch Landesgesetze ausgestalten wollten. So wies beispielsweise Spahn (Z) ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff Körperschaft des öffentlichen Rechts an den preußischen Begriff der „privilegierten öffentlich-rechtlichen Kirchengesellschaften“294 anknüpfe. Ähnlich äußerte sich Heinze (DVP), der als eine Art Mindestbestand folgende Rechte aufzählte: „Recht freier Gemeindebildung; das Steurrecht; das Recht, daß die Religionsdiener als öffentliche Beamte (nicht Staatsbeamte) anerkannt werden; das Recht öffentlichen Gottesdienstes; das Glockenrecht“295. Damit zählte Heinze im Wesentlichen Vorrechte auf, die das Preußische Allgemeine Landrecht den privilegierten bzw. „öffentlich aufgenommenen“ Religionsgesellschaften gewährte.296 Mit dem Körperschaftsstatus sollten diese „wohlerworbenen Rechte“ erhalten bleiben: „Erhält man den Kirchen ihren öffentlich-rechtlichen Charakter, so bleiben zahllose Rechtsverhältnisse in Ruhe, was am besten für sie ist“ (wiederum Heinze)297. Hier kommt die Konservierungs- und Perpetuierungsfunktion298 des Art. 137 Abs. 5 WRV deutlich zum Ausdruck. Die hier interessierende Dienstherrnfähigkeit kann daher als „stillschweigend verfassungsrechtlich mitgeschrieben“299 gelten.
290
In diese Richtung Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 93. 291 Zur „Methode Kahls“, seine kirchenrechtlichen Positionierung aus einer Darstellung der historischen Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche abzuleiten, Achenbach, Recht, Staat und Kirche bei Wilhelm Kahl, S. 126 ff. 292 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 93 f. 293 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 204. 294 Wortbeitrag Abg. Spahn (Z), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 197. 295 Wortbeitrag Abg. Heinze (DVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 200. 296 § 19 II.11 ALR – Gleichstellung der Religionsdiener mit staatlichen Beamten; Umkehrschluss aus § 25 II.11 ALR – Glockenrecht nur für privilegierte Religionsgesellschaften; Umkehrschluss aus §§ 22 f. ALR – öffentliche Gottesdienste nur für privilegierte Religionsgesellschaften. 297 Wortbeitrag Abg. Heinze (DVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 200. 298 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 287. 299 Hense, in: HdbKathKR, 32015, § 120 S. 1857.
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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Das Votum der Weimarer Nationalversammlung kann daher so verstanden werden, dass der Verfassungsgeber wenigstens „gewisse die Landesgesetzgebungen bindende Richtlinien aufgestellt“300 hat. Art. 137 Abs. 5 WRV entspricht damit in der Sache – obwohl dieser Begriff erst später entwickelt wurde301 – einer Einrichtungs-302, genauer: einer Institutsgarantie303. Sie verpflichtet den Staat darauf, die Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts für Religionsgesellschaften vorzuhalten.304 Bei der Ausgestaltung dieser Einrichtung darf ein gewisses Mindestmaß nicht unterschritten werden.305 Der Gesetzgeber muss den öffentlichrechtlichen Religionsgesellschaften also einen privilegierten Status verschaffen, der diesen Namen auch noch verdient.306 Art. 137 Abs. 5 WRV billigt daher den korporierten Religionsgesellschaften eine subjektiv-rechtliche Garantie des Status quo zu.307 3. Insbesondere: Dienstherrnfähigkeit Zu dem von Art. 137 Abs. 5 WRV geschützten Acquis körperschaftlicher Rechte gehört die Dienstherrnfähigkeit. Sie ist damit verfassungskräftig gewährleistet.308 Denn bereits vor der Weimarer Reichsverfassung waren die Dienstverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten von der Geltung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts ausgenommen. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings daraus, dass das Arbeitsrecht in seiner heutigen Form noch unbekannt war. Die Grundlagen des heutigen Arbeitsrechts wurden erst während der Weimarer Republik gelegt.309 In der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts fehlte es zunächst an einheitlichen Bestimmungen für Arbeitsverhältnisse überhaupt. So ist beispielweise kennzeichnend für das Preußische Allgemeine Landrecht, dass es nicht den Dienst- bzw. Arbeitsvertrag regelt, sondern einzelne Bestimmungen für verschiedene Berufs 300
So der Zeitgenosse Lilienthal, Staatsaufsicht über die Religionsgesellschaften, S. 64. Schmitt, Verfassungslehre, S. 170 ff. 302 Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 312; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 204. 303 Bewusst wird hier nicht von einer institutionellen Garantie gesprochen, da die Rechtswirkungen der Dienstherrnfähigkeit nach hier vertretener Auffassung dem bürgerlichen Recht zuzurechnen sind, vgl. dazu unten Kapitel 6, B. II. 2. c). Anders Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 156; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 32. 304 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 281. 305 Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 312. 306 Ähnlich Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 287. 307 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 282. 308 Im Ergebnis entspricht das der nahezu einhelligen Auffassung, vgl. nur Schlaich, JZ 1980, S. 209 (212); Hermann Weber, NJW 1983, S. 2541 (2550); a. A. offenbar Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (251); nur einfachgesetzlich gewährleistet: Pirson, in: HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 858; eingehend zu einer Gewährleistung kraft § 135 S. 2 BRRG Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 159 ff. 309 Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 13 f.; Dütz / Thüsing, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 10. 301
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4. Kap.: Historische Spurensuche
gruppen enthält, etwa für Fabrikangestellte (§§ 408, 417 ff. II.8 ALR) oder Matrosen (§§ 1534 ff. II.8 ALR).310 Die Tatsache, dass das Preußische Allgemeine Landrecht gesonderte Bestimmungen für die Geistlichen und Kirchenbeamten enthielt (§§ 58 ff., 318 ff. II.11 ALR), deutet daher für sich genommen noch nicht zwingend auf eine besondere Behandlung dieser Dienstverhältnisse hin. Die ersten arbeitsrechtlichen Bestimmungen im heutigen Sinne betrafen konkrete Schutzbestimmungen für bestimmte Personengruppen (z. B. Verbot der Kinderarbeit) oder einzelne Tätigkeiten (z. B. Unfallverhütungen in Fabriken).311 Hiervon waren die Geistlichen ohnehin nicht betroffen, sodass diese Bestimmungen keinen Anlass für eine Unterscheidung von Arbeitsverhältnissen und dem Dienstverhältnis eines Geistlichen geben konnten. Obwohl die besondere Stellung der Geistlichen gegenüber Arbeitern und Angestellten damit in den gesetzlichen Bestimmungen zunächst nicht ganz klar zum Ausdruck kam, war sie für die Zeitgenossen eine Selbstverständlichkeit. Allgemein respektierte das gemeine Recht eine Sonderstellung des Klerus.312 Während sich das Arbeitsvertragsverhältnis zunächst aus dem römisch-rechtlichen Schuldrecht entwickelte,313 wurden die Rechtsverhältnisse der Geistlichen noch Mitte des 19. Jahrhunderts als eine Frage des Standesrechts verstanden.314 Dem entspricht, dass die wirtschaftliche Versorgung der Geistlichen in dieser Zeit durch das Pfründewesen gesichert wurde. Pfarrer erhielten also keine regelmäßige Geldzahlung ihres Dienstherrn, sondern ernährten sich aus den Erträgen des mit ihrer Pfarrstelle verbundenen Sondervermögens (beneficium).315 Insofern entsprach ihre Stellung eher dem eines selbständigen Unternehmens als dem eines Lohnarbeiters. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es dann zunehmend zu einer beamtenmäßigen Alimentation der Geistlichen.316 Erst jetzt konnte sich die Frage nach einer Abgrenzung dieser Dienstverhältnisse zu „normalen“ Arbeitsverhältnissen stellen. Die Sonderstellung der Geistlichen wurde im 19. Jahrhundert auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass diesen gleiche Rechte wie den Staatsbeamten zugestanden wurden (§ 19 II.11 ALR).317 Dementsprechend hatte sich schon im Vorfeld der Weimarer Reichsverfassung die Rechtsauffassung gebildet, dass der Staat den „Beamten der Landeskirchen“ eine „besondere Rechtsstellung“318 einräume. Diese seien nämlich – ungeachtet der Trennung der kirchlichen von der staatlichen
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Bernert, Arbeitsverhältnisse im 19. Jahrhundert, S. 60. Überblick dazu bei Kaufhold, ZfA 1991, S. 277 (289 ff.). 312 Pirson, in: HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 854. 313 Reichhold, ZfA 1990, S. 5 (9). 314 So etwa Bluntschli, Allgemeine Staatslehre I, S. 134 ff. 315 Dazu näher Peter Landau, Beneficium, in: TRE V (1980), S. 577 ff., insbes. S. 582. 316 Vgl. Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 21 ff. 317 So auch PrOVG 35, 447 (453). 318 So Schoen, VerwArch 6 (1898), S. 101 (193). 311
C. Beratungen in der Weimarer Nationalversammlung
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Sphäre – „nicht in die Stellung der Organe gewöhnlicher privater Korporationen herabgedrückt“319. Die Unterscheidung von Arbeits- und Kirchendienstverhältnissen wird greifbar mit der Sozialversicherungsgesetzgebung der 1880er-Jahre. Zunächst waren die Kranken- und Unfallversicherung auf bestimmte vom Gesetz konkret benannte Beschäftigungen in bestimmten Branchen (u. a. Fabrikarbeiter) beschränkt.320 Diese Regelungstechnik folgte damit noch dem Preußischen Allgemeinen Landrecht. Erst das Rentenversicherungsgesetz von 1889 wechselte zu einer allgemeinen Formulierung, der zufolge alle Arbeiter sowie die Betriebsbeamten321 versicherungspflichtig wurden.322 Nach der amtlichen Gesetzesbegründung sollte so der „Versicherungszwang auf die arbeitende Bevölkerung sämtlicher Berufszweige“323 erstreckt werden. Gesonderte Bestimmungen zu den Kirchenbediensteten enthielt das Gesetz nicht. Die Befreiung der Geistlichen von der Versicherungspflicht wurde offenbar als selbstverständlich empfunden. Beispielsweise schreibt Rosin in seinen Erläuterungen zum Altersversicherungsgesetz: „Die Geistlichen […] heben sich, wie schon ihr Name sagt, kraft ihrer Stellung über die Arbeitsverrichtung vorwiegend materieller Art hinaus und sind daher, ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens[,] unbedingt versicherungsfrei“324. Die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes differenzierte. Für Kirchendiener mit herausgehobener Stellung nahm das Reichsversicherungsamt Versicherungsfreiheit, für Hilfsbeschäftigte Versicherungspflicht an. Versicherungsfrei war demnach ein israelitischer Kultusbeamter, der mit Unterrichtserteilung und gottesdienstlichen Handlungen betraut war,325 ebenso ein Hauptküster.326 Versicherungspflichtig war dagegen ein Organist, der noch einem Kantor unterstand.327 Während sich in früheren Zeiten die Frage der Altersvorsorge oft gar nicht gestellt hatte, da die Geistlichen ihr Amt in vielen Fällen bis zum Tod ausübten, ging die evangelische Kirche im Laufe des 19. Jahrhunderts dazu über, die Altervorsorge 319
Schoen, ibid. § 1 Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter v. 15.6.1883, RGBl, S. 73; § 1 Unfallversicherungsgesetz v. 6.7.1884, RGBl, S. 69. 321 Unter Betriebsbeamte verstand man damals Personen, die in der Verwaltung eines privaten Gewerbebetriebes tätig waren, vgl. §§ 133a GewO a. F. Dieser Begriff hat also mit dem Beamten im staatsbeamtenrechtlichen Sinne nichts zu tun. 322 § 1 Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung v. 22.6.1889, RGBl, S. 97. 323 Reichstagsprotokolle, 7. Legislaturperiode, IV. Session 1889/89, Bd. 4, 1. Anlagenband, S. 65. 324 Rosin, Recht der Invaliden- und Altersversicherung, S. 172. 325 Revisionsentsch. des RVA, ANRVA 1893, S. 100 f. Das RVA war nicht nur mit exekutiven Aufgaben betraut, sondern sprach auch Recht im Bereich der Sozialversicherung. 326 Revisionsentsch. des RVA, ANRVA 1892, S. 84. 327 Revisionsentsch. des RVA, ANRVA 1892, S. 37. Das RVA ging hier von einer bloßen Hilfstätigkeit aus. Denn – so die wenig sachkundige Einschätzung –: „Ein solches Orgelspiel in der Kirche einer kleinen Stadt muß bei der regelmäßigen Wiederkehr derselben Melodien immer mehr zu einer rein manuellen Thätigkeit werden und kann im Großen und Ganzen als eine Kunstleistung nicht angesehen werden“. 320
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4. Kap.: Historische Spurensuche
für ihre Geistlichen durch die Errichtung von Pensionskassen sicherzustellen.328 Formell blieb es indes dabei, dass die Geistlichen ein Dienstverhältnis auf Lebenszeit ausübten.329 Dementsprechend wurde das Dienstverhältnis bei Erreichen der Altersgrenze nicht aufgelöst, sondern der Geistliche wurde unter Zuerkennung eines Ruhegehalts emeritiert.330 Der Staat billigt diese Eigenvorsorge der Kirchen für ihre Geistlichen, indem er entsprechende Kirchengesetze bestätigte und in den staatlichen Gesetzessammlungen publizierte.331 Dementsprechend hatte sich schon am Vorabend der Weimarer Nationalversammlung die Rechtsüberzeugung herausgebildet, dass das im Entstehen begriffene Arbeits- und Sozialrecht nicht auf die Dienstverhältnisse der Geistlichen anwendbar sei. Diese Rechtsüberzeugung fand auch in den Beratungen – wenn auch nur in einer Randbemerkung – Erwähnung, als der Abgeordnete Heinze (DVP) im Verfassungsausschuss die Stellung der Geistlichen als öffentliche, aber nicht staatliche Beamte erwähnte.332 Ausdrücklich wurden Befreiungstatbestände von der Sozialversicherungspflicht allerdings erst später gesetzlich normiert. Eine gesetzgeberische Klarstellung, dass Geistliche von der Krankenversicherungspflicht befreit sind, erfolgte durch eine umfassende redaktionelle Neufassung der einschlägigen Bestimmungen in den letzten Kriegswochen 1945.333 Eine Klarstellung zur Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung erfolgte noch später, nämlich 1957 im Zuge von Adenauers Rentenreform334. Dabei war der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung335 auf diese Frage gar nicht eingegangen. Erst im federführenden Bundestagsausschuss wurde eine entsprechende Klarstellung „redaktionell ergänzt“336. Eine Diskussion zu diesem Punkt ist nicht ersichtlich. Durch die Anpassungen der Reichsversicherungsordnung wurde im Gesetzestext nur nachvollzogen, was ohnehin unbestrittene Rechtspraxis war.
328 Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 23 f.; dazu aus dem zeitgenössischen Schrifttum Schoen, Evangelisches Kirchenrecht in Preußen II, S. 148 ff., 168 ff. Die Notwendigkeit für einen Ausbau der Altersvorsorge ergab sich auch aus der gestiegenen Lebenserwartung. Zuvor waren Pfarrer oft bis zum Tod Inhaber ihrer Pfarrstelle geblieben. 329 Schoen, Evangelisches Kirchenrecht in Preußen II, S. 126; Goßner, Preußisches Evangeli sches Kirchenrecht I, S. 439 Fn. 1 (zum Begriff der Anstellungsfähigkeit). 330 Schoen, Evangelisches Kirchenrecht in Preußen II, S. 203 f. 331 Gesetz, betreffend das Diensteinkommen der evangelischen Pfarrer v. 2.7.1898 nebst den als Anlage abgedruckten einschlägigen Kirchengesetzen, GS 1898, S. 155 ff.; Gesetz, bestreffend die Pfarrbesoldung, das Ruhegehaltswesen und die Hinterbliebenenversorgung für die Geistlichen der evangelischen Landeskirchen v. 26.5.1909, ebenfalls nebst den als Anlage abgedruck ten einschlägigen Kirchengesetzen, GS 1909, S. 113 ff. 332 Wortbeitrag Abg. Heinze (DVP), Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 20. Sitzung, 2.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 200. 333 Neufassung des § 169 RVO durch Art. 1 VO v. 17.3.1945, RGBl I S. 41. 334 Neufassung des § 1229 Abs. 1 Nr. 2 RVO durch G. v. 23.2.1957, BGBl I S. 45. 335 Gesetzentwurf der BReg auf BTDrucks 2/2437. 336 Schriftlicher Bericht des Berichterstatters Abg. Berg (FVP), abgedruckt als Anl. zum BTPlenProt., 2. WP, 184. Sitzung v. 16.1.1957, S. 10247B.
D. Rezeption in der Weimarer Republik
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IV. Schlussfolgerungen aus den Weimarer Verhandlungen: Eine falsa demonstratio Der Begriff „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ war zunächst eine politische „Metapher für den Öffentlichkeitscharakter und -anspruch der Kirchen“337. Seine Aufnahme in die Weimarer Verfassung steht in engem Zusammenhang mit den Revolutionswirren von 1918/1919 und dem damals unternommenen Versuch, die Kirchen aus dem öffentlichen Bereich herauszudrängen. Die kirchenfreundlichen Kräfte in der Weimarer Nationalversammlung wollten vor allem den Religionsunterricht an staatlichen Schulen und das Kirchensteuerwesen als wirtschaftliche Existenzgrundlage der Kirchen erhalten. Im Verfassungsausschuss setzte sich auf Grundlage der heute als überholt angesehenen Interessentheorie die Auffassung durch, dass den Kirchen die Bezeichnung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ zustehe, weil er ihre besondere Bedeutung für das Gemeinwesen hervorhebe. Des Weiteren waren die Ausschussmitglieder überzeugt, dass diese Qualifikation begriffliche Voraussetzung dafür sei, den Kirchen bestimmte Privilegien wie insbesondere die Kirchensteuer (Art. 137 Abs. 6 WRV) zu erhalten. Im Übrigen lehnte es die Mehrheit von Verfassungsausschuss und Nationalversammlung ab, aus dem Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts eine besondere Staatsnähe der Kirchen herzuleiten. Insbesondere wurde die Auffassung abgelehnt, der Staat verleihe den Kirchen damit „obrigkeitliche Befugnisse“. Die von Wilhelm Kahl (DVP) verfochtene Gegenmeinung blieb in der Weimarer Versammlung isoliert. Zur Verdeutlichung dieses Beratungsergebnisses bietet es sich an, den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem der „privilegierten Religionsgesellschaft“ zu übersetzen. In diesem Sinne liest sich der Verfassungstext wie folgt:338 „(5) Die Religionsgesellschaften bleiben privilegierte Religionsgesellschaften, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, (…). (6) Die privilegierten Religionsgesellschaften sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben“.
D. Rezeption in der Weimarer Republik Die frühe Rezeptionsgeschichte von Art. 137 Abs. 5 WRV ist geprägt von der semantischen Suggestivkraft der falsa demonstratio „Körperschaft des öffentlichen Rechts“. Warnungen in der Weimarer Versammlung vor diesem Begriff erwiesen 337
Richter, Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, S. 646. Ganz ähnlich der Vorschlag Ebers, Staat und Kirche, S. 208, den Begriff der öffentlichrechtlichen Korporation für eine treffende Interpretation durch den Begriff der „qualifizierten Körperschaft“ zu ersetzen. Angedeutet bei Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (290). 338
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4. Kap.: Historische Spurensuche
sich bald als berechtigt:339 Schon wenig später wurde der Körperschaftsstatus mit der zu Weimarer Zeit herrschenden Korrelatstheorie zum Danaergeschenk, das die kirchliche Freiheit durch eine gesteigerte Staatsaufsicht beschränkte.
I. Suggestivkraft der falsa demonstratio: Von Privilegien zu obrigkeitlichen Rechten Wie wenig die Weimarer Rechtspraxis Anfang der 1920er-Jahre gewillt war, den Bruch mit dem alten Staatskirchenregime zur Kenntnis zu nehmen, zeigt zunächst eine Entscheidung des Reichsgerichts in einer Strafsache von 1922. Die Leipziger Richter meinten, an dem früheren „Rechtszustand ist, von der Beseitigung der Monarchie abgesehen, durch die Staatsumwälzung und die sich daran anschließende Gesetzgebung nichts wesentliches geändert worden“340. Demnach seien kirchliche Amtsträger weiterhin als mittelbare Staatsbeamte anzusehen.341 Mit der vermeintlichen Klarstellung durch den Reichsverfassungsgeber gaben auch diejenigen ihre früher kritische Position auf, die die Qualifikation der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts bis dahin abgelehnt hatten. Typisch für diese neue herrschende Linie der Literatur ist der Verfassungskommentar von Anschütz. Einerseits betont er, dass die Kirchen gerade keine Körperschaften des öffentlichen Rechts in dem Sinne seien, dass sie in den Staat „organschaftlich eingegliedert“ wären. Dann aber meint Anschütz „andererseits (…) nicht übersehen“ zu dürfen, dass die Kirchen nach dem vermeintlich „unzweideutigen Ausspruch des Abs. 5 ‚Körperschaften des öffentlichen Rechts‘ waren und bleiben, d. h. doch also Körperschaften dieser Art sind“342, woraus er alsbald auf deren Ausstattung mit öffentlicher Gewalt sowie auf die Zugehörigkeit ihrer Rechtsverhältnisse zum öffentlichen Recht schließt. Deutlich wird hier, wie Anschütz seine eigene, ursprünglich ablehnende Haltung gegenüber dem Körperschaftsstatus343 mit dem Text von Art. 137 Abs. 5 WRV in Einklang zu bringen sucht. Ähnlich wie Anschütz folgerten auch andere Autoren der Weimarer Zeit allein aus der semantischen Nähe, dass die Religionsgesellschaften als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ auch öffentlich-rechtlich handeln.344 Von dort aus schlossen einige Autoren dann sogar ohne Weiteres auf vermeintlich obrigkeitliche Befug 339
Korioth, in: GS Jeand’Heur (1999), S. 221 (228). RGSt 57, 23 (25). 341 RGSt ibid. 342 Anschütz, WRV, Art. 137 Anm. 8, Hervorhebung durch Verf. 343 Anschütz, Preußische Verfassungsurkunde I, S. 300. 344 Vgl. die Argumentation bei Giese, WRV, Art. 137 Anm. 7: „Öffentliche Körperschaft sein (…) heißt: nach öffentlichem Recht leben, Träger öffentlichrechtlicher Befugnisse und Verpflichtungen sein (…)“; ähnlich Conrad, Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 25. Selbst Ebers, Staat und Kirche, S. 188 f., der – zutreffend – betont, dass sich Kahls Definition in der Nationalversammlung nicht durchsetzen konnte, trennt nicht sauber 340
D. Rezeption in der Weimarer Republik
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nisse der Kirchen.345 Diese Argumentationsfigur fand sich auch in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts wieder. Vom Begriff Körperschaft des öffentlichen Rechts schloss das Gericht auf die öffentlich-rechtlichen Befugnisse, von dort darauf, dass die Kirchen „Zwangsgewalt des Staates in Anspruch“ nähmen, um schließlich das Erfordernis einer besonderen Staatsaufsicht zu begründen.346 Diese Argumentationskette vom Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts über vermeintlich obrigkeitliche Befugnisse bis zur besonderen Staatsaufsicht war genau diejenige, die im Verfassungsausschuss von Kahl vertreten, dort aber auf einhellige Ablehnung gestoßen war. Im Weimarer Schrifttum wurde sie aber sogar mit der Entstehungsgeschichte gerechtfertigt. Ermöglicht hat dies eine verzerrend-selektive Wahrnehmung der Materialien zur Reichsverfassung. Mehrere Autoren stützten sich ausdrücklich auf die Positionen Kahls in den Beratungen,347 unterschlugen aber, dass es sich um eine Minderheitsauffassung gehandelt hatte.348 Kahl selbst bemühte sich nicht um Klarstellung. Im Gegenteil verfolgte er nach den Weimarer Beratungen seine Position, mit der er im Verfassungsausschuss ohne Mehrheit geblieben war, nunmehr mit der Autorität eines Verfassungsvaters zwischen öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Befugnissen und erliegt damit der Suggestivkraft des Begriffs. 345 Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (18; 46); ders., WRV, Art. 137 Anm. 7. 346 PrOVG 82, 231 (238); ähnlich 82, 196 (204). 347 Vgl. Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (46) m. Fn. 130, die unmittelbar an das Wort „obrigkeitlichen“ anschließt. Ähnlich Conrad, Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 23 m. Fn. 65; fehlgehend ist auch Conrads Verweis auf S. 51 zu einem Wortbeitrag Kahls in der zweiten Lesung im Plenum der Nationalversammlung im Hinblick auf eine besondere Staatsaufsicht. Richtig ist zwar, dass Kahl sich an dieser Stelle für eine derartige Staatsaufsicht einsetzt (Vgl. Wortbeitrag Abg. Kahl [DVP], Weimarer Nationalversammlung, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 328, S. 1647D). Seine Formulierungen machen aber deutlich, dass Kahl sich bewusst war, nicht die allgemeine Meinung wiederzugeben („Diese Frage ist im Zusammenhange der Reichsverfassung nicht zu lösen. […] Ich stehe auf dem Standpunkt, […]. Ich freue mich für meine jüngeren kirchenrechtlichen Kollegen, die künftig Kommentare zur Verfassung zu schreiben haben, daß sie hier ein weites Gebiet und Feld für ihren Scharfsinn finden werden“). Nach den Beratungen im Verfassungsausschuss bestand insbesondere das Zentrum, ohne dessen Zustimmung die Formulierung in Art. 137 Abs. 5 WRV nicht zustande gekommen wäre, einer besonders gearteten Staatsaufsicht ablehnend gegenüber. Besonders symptomatisch für die selektive Wahrnehmung der Weimarer Verfassung sind auch die Ausführungen aus der Marburger Dissertation von Kalle, Bedeutung des Satzes ‚Es besteht keine Staatskirche‘, S. 18 ff., der auf die Diskussion im Verfassungsausschuss nur kurz eingeht (S. 18 f.) um dann aus einer überzeichneten Darstellung des Beitrags des Abg. Quarck (SPD) aus der zweiten Plenarlesung abzuleiten, dass es zu keiner Trennung von Staat und Kirche gekommen sei. Wie dargestellt diente die Darstellung Quarcks dazu, noch einmal die eigentliche Position der Sozialdemokratie darzustellen, gibt aber keineswegs das Beratungsergebnis aus dem Verfassungsausschuss wieder. Dieses findet sich treffend bei Naumann (DDP) dargestellt, dessen Beitrag Kalle aber ebenso unterschlägt wie überhaupt die gesamte entscheidende Debatte im Verfassungsausschuss am 2.4.1919. 348 Dieses Missverständnis der Weimarer Materialien hat bereits Ebers, Staat und Kirche, S. 302, ausdrücklich hervorgehoben.
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4. Kap.: Historische Spurensuche
publizistisch weiter. Allenfalls in einer sprachlichen Nuance trug er der Mehrheitsauffassung im Verfassungsausschuss Rechnung, wenn er die kirchlichen Privilegien nunmehr als „eine Art obrigkeitliche Gewalt“349 bezeichnet.
II. Inhalt des Danaergeschenkes: Besondere Staatsaufsicht über die Kirchen Je mehr sich im Weimarer Schrifttum die Auffassung durchsetzte, dass Art. 137 Abs. 5 WRV den Kirchen Privilegien in Form obrigkeitlicher Befugnisse zubillige, umso deutlicher bestätigten sich die bereits in der Weimarer Versammlung vereinzelt geäußerten Befürchtungen, dass sich die vermeintlichen Privilegien als Danaergeschenk erweisen könnten. Rechtsprechung und Literatur kreisten schon bald um die Frage einer besonderen Staatsaufsicht über die Kirchen.350 Die herrschende Lehre hatte auch Einfluss auf die Landesgesetzgebung351 und vor allem auf den in seinen „alten staatskirchenhoheitlichen Vorstellungen und Praktiken befangen gebliebene(n) Verwaltungsapparat, der als Erbe der konstitutionellen Monarchie eine weitgehende Kontinuität, vor allem auf dem Gebiete der Kirchenpolitik bewirkte“ (Werner Weber)352. Dass der Staat die Kirchenhoheit auszuüben hatte, schien der Ministerialbürokratie in den Kultusministerien auch nach Inkrafttreten der Weimarer Verfassung selbstverständlich.353 Bereits in der Weimarer Versammlung hatte Kahl (DVP) argumentiert, die Staatsaufsicht sei das „notwendige Korrelat dazu, daß die Kirchengesellschaften öffentliche Korporationsfähigkeit“354 haben. 1922 konkretisierte der Göttinger Staatsrechtler Paul Schoen die Korrelatstheorie dahingehend, dass eine „besonders geartete Staatsaufsicht über die Kirchen“ als ein „notwendiges Korrelat der den Kirchen staatlicherseits gewährten öffentlichrechtlich gehobenen Stellung“355 349 Kahl, in: Harms, Recht und Staat im Neuen Deutschland I, S. 353 (374), Hervorhebung durch Verf.; an späterer Stelle kehrt Kahl einschränkungslos auf seine alte Linie zurück, wonach die Kirchen „ihre alte obrigkeitliche Gewalt“ behielten (a. a. O., S. 383). 350 Zur Weimarer Lit. eingehend Bohnen, Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften, S. 109 ff. 351 Vgl. etwa das Staatsgesetz, betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landes kirchen in Preußen, GS S. 221, das u. a. eine Vorlagepflicht kirchlicher Gesetze beinhaltete (Art. 2). 352 Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 63. 353 Werner Weber, VVDStRL 11 (1954), S. 153 (154). 354 Wortbeitrag Abg. Kahl (DVP), Weimarer Nationalversammlung, 59. Sitzung, 17.7.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 328, S. 1647D. Unklar bleibt hier allerdings, ob sich Kahls Argumentation nur auf die Religionsgesellschaften bezieht, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, oder auch auf alle übrigen Religionsgesellschaften. Denn er wendet sich vor allem gegen eine vermeintlich unklare Formulierung in Art. 137 Abs. 3 WRV, der für alle Religionsgesellschaften gilt. 355 Schoen, VerwArch 29 (1922), S. 2 (20). Bei Schoen erweist sich der Körperschaftsstatus in besonderer Weise als Danaergeschenk, weil Schoen einerseits die besondere Staatsaufsicht als Korrelat des privilegierten Status betrachtet, andererseits aber – durchaus in Übereinstimmung
D. Rezeption in der Weimarer Republik
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bestehe. Diese Auffassung wurde alsbald herrschend.356 Noch einen Schritt weiter ging 1931 Ernst Forsthoff in seiner bekannten Schrift über die „öffentliche Körperschaft im Bundesstaat“. Forsthoff berief sich nicht mehr auf die Korrelativität von Recht und Pflicht, sondern meinte, aus der „Einweisung der Religionsgesellschaften in die Sphäre des organisatorisch-öffentlichen“ folge „ohne weiteres ihre Unterwerfung unter eine besondere Hoheit des Staates“357. Dabei hatte Forsthoff zunächst noch ausdrücklich zwischen den Begriffen öffentlich und staatlich358 unterschieden und damit einen Ausweg aus dem staatsnahen Verständnis des Körperschaftsstatus aufgezeigt. Später verwarf Forsthoff übrigens seine frühere Auffassung und lehnte es ab, die Religionsgesellschaften weiter unter den allgemeinen Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts zu fassen.359 Das Preußische Oberverwaltungsgericht etablierte die Korrelatstheorie in der Rechtsprechung. Bereits 1924 hatte das Gericht ausgeführt, aus dem religionsgesellschaftlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV) folge keineswegs der Wegfall der aus der Kirchenhoheit fließenden Aufsichtsrechte.360 Diese Auffassung wurde 1927 in zwei kurz hintereinander ergangenen Urteilen weiter vertieft. Ausgangspunkt war der Erlass des preußischen Staatsgesetzes betreffend die Kirchenverfassungen der evangelischen Landeskirchen (PrKVeLK).361 Demnach waren Kirchengesetze vor ihrer Verkündung dem zuständigen staatlichen Minister vorzulegen, der gegen sie Einspruch erheben konnte (Art. 2 Abs. 1, 2 PrKVeLK). Gegen den Einspruch musste die Kirche ihrerseits vor dem Preußischen Oberverwaltungsgericht vorgehen (Art. 2 Abs. 4 PrKVeLK). Der Einspruch war zwar nur bei Gesetzesverletzungen, bei Erforderlichkeit einer staatlichen Mitwirkung sowie im Hinblick auf die Gestaltung der Vertretungsorgane der Kirchensteuerpflichtigen zulässig (Art. 2 Abs. 3 PrKVeLK). In der Folge kam es allerdings zu Auseinandersetzungen zwischen den staatlichen und den kirchlichen Behörden über die kirchliche Vermögensverwaltung im Hinblick auf Besoldungsordnungen und Haushaltspläne. Das Preußische Oberverwaltungsgericht rechtfertigte diese
mit einer im Verfassungsausschuss verbreiteten Position – die kirchlichen Privilegien mit Ausnahme des eigens geregelten Kirchensteurrechts (Art. 137 Abs. 6 WRV) zur Disposition der Landesgesetzgebung stellte (a. a. O., S. 16 f.). In weiten Teilen nur einfachgesetzlichen Privilegien stand damit eine besondere Staatsaufsicht im Verfassungsrang gegenüber. 356 Vgl. Bredt, Neues evangelisches Kirchenrecht für Preußen II, S. 205 ff.; Conrad, Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 22, 48 ff.; Kalle, Bedeutung des Satzes ‚Es besteht keine Staatskirche‘, S. 59 ff.; ausdrücklich ablehnend zu einer besonderen Staatsaufsicht gegenüber den privatrechtlichen Religionsgesellschaften Conrad, a. a. O., S. 47 f.; Kalle, a. a. O., S. 58. Gegen die Korrelatstheorie Lilienthal, Staatsaufsicht über die Religionsgesellschaften, S. 68. 357 Forsthoff, Öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, S. 115. 358 Forsthoff, Öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, S. 18. 359 Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 356, Fn. 1, 2. 360 PrOVG 79, 98 (104). 361 G. v. 8.4.1924, GS S. 221.
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4. Kap.: Historische Spurensuche
besondere Aufsicht unter Berufung auf die Literatur mit dem „Grundsatze der Korrelativität von Recht und Pflicht“362. Konsequenzen hatte diese Auffassung auch für das kirchliche Dienstrecht. So ging das Reichsgericht davon aus, dass Pfarrer Beamte im Sinne von Art. 129 WRV363 seien.364 Dies hatte einmal zur Folge, dass gemäß Art. 129 Abs. 1 S. 4 WRV für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Pfarrer der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet war.365 Gleichzeitig implizierte es allerdings auch materiell-rechtlich eine Bindung der Kirchen unmittelbar an das staatliche Beamtenrecht.
III. Gegenposition von Godehard Ebers Allerdings gab es schon zu Weimarer Zeit Kritik daran, dass die Korrelatstheorie die ursprünglichen Absichten des Verfassungsgebers umdeutete. 1930 wandte sich der katholische Professor Godehard Ebers in zwei umfangreichen Publikationen gegen die von der herrschenden Lehre angenommene besondere Staatsaufsicht über die Religionsgesellschaften.366 Der Kölner Professor arbeitete klar heraus, dass der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts in Art. 137 Abs. 5 WRV ein anderer sei als der im allgemeinen verwaltungsrechtlichen Sinne.367 Anders als bei den Körperschaften des öffentlichen Rechts seien die Kirchen, was ihre Entstehung und Fortdauer sowie die Verbindlichkeit ihrer Regeln für die Mitglieder betreffe, unabhängig vom Staat. Weder seien sie vom Staat geschaffen noch seien sie ihm 362
PrOVG 82, 231. Art. 129 WRV hatte folgenden Wortlaut: „(1) Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Lebenszeit, soweit nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung werden gesetzlich geregelt. Die wohlerworbenen Rechte der Beamten sind unverletzlich. Für die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten steht der Rechtsweg offen. (2) Die Beamten können nur unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen und Formen vorläufig ihres Amtes enthoben, einstweilen oder endgültig in den Ruhestand oder in ein anderes Amt mit geringerem Gehalt versetzt werden. (3) Gegen jedes dienstliche Straferkenntnis muss ein Beschwerdeweg und die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet sein. In die Nachweise über die Person des Beamten sind Eintragungen von ihm ungünstigen Tatsachen erst vorzunehmen, wenn dem Beamten Gelegenheit gegeben war, sich über sie zu äußern. Dem Beamten ist Einsicht in seine Personalnachweise zu gewähren. (4) Die Unverletzlichkeit der wohlerworbenen Rechte und die Offenhaltung des Rechtswegs für die vermögensrechtlichen Ansprüche werden besonders auch den Berufssoldaten gewährleistet. Im Übrigen wird ihre Stellung durch Reichsgesetz geregelt.“ 364 RGZ 114, 220 (223 ff.). Noch weiter ging die Strafentscheidung des RG, die Kirchenbeamte kurzerhand zu mittelbaren Staatsbeamten erklärte: RGSt 57, 23 (25). 365 RGZ 114, 220 (223 f.; 225); RG, JW 1927, S. 1253 (1254). 366 Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (368 ff.); ders., Staat und Kirche, S. 126 ff.; ebenso ablehnend gegenüber der h. L. Löhr, Ist eine besondere Staatsaufsicht über die Kirche mit der deutschen Reichsverfassung vereinbar?, S. 26 f.; Rieder, Staat und Kirche, S. 19, 31 ff.; Herlitzius, Begriff der kirchlichen Selbstverwaltung, S. 103 ff. 367 Ebers, Staat und Kirche, S. 199 ff. 363
D. Rezeption in der Weimarer Republik
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organisch eingegliedert.368 Folgerichtig versteht Ebers den Körperschaftsstatus der Kirchen nicht als Ausdruck einer besonderen institutionellen Verbindung von Staat und Kirche, sondern als Mittel zur religiösen Freiheitentfaltung. Die Absicht des Verfassungsgebers sei dahin gegangen, „die Freiheit der Religionsgesellschaften von allen staatlichen Fesseln sicherzustellen“369. Ebers verwies dabei auch auf den systematischen Widerspruch, der entstünde, wollte man die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften, die doch privilegiert werden sollten, schlechter stellen als die privatrechtlichen Religionsgesellschaften.370 Der Verfassungsgeber habe die alte Staatskirchenhoheit bewusst aufgegeben371 und den Kirchen damit Privilegien verschafft, ohne diese mit besonderen Aufsichtsrechten zu verbinden.372 Die Korrelatstheorie bedeutete für Ebers die „völlige Verkennung der Absicht des Verfassungsgebers, die Kirchen von jeder Bevormundung des Staates […] zu befreien“373. Die neue Religionsaufsicht über privat- wie öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften unterscheide sich nicht von der allgemeinen Vereinsaufsicht.374 In der Spätphase der Weimarer Republik fand Ebers Kritik auch im evangelischen Schrifttum Anklang. Beispielsweise betonte der Greifswalder Staatsrechtler Günther Holstein die Verschiedenheit von Staats- und Kirchenbeamten.375 In der reichsgerichtlichen Rechtsprechung über die Anwendbarkeit des staatlichen Beamtenrechts sah er eine Gefahr für die Eigenständigkeit der kirchlichen Ordnung.376 Diese Kritik Holsteins an der Qualifizierung der Geistlichen als Beamte im Sinne der Reichsverfassung teilte auch deren wirkmächtiger Kommentator Anschütz.377 Ohne die Machtergreifung der Nationalsozialisten wäre womöglich der berühmte Aufsatz von Johannes Heckel zu einem Befreiungsschlag der Kirchen aus staatlicher Bevormundung geworden. In dem Wort von den „gewaltigen öffentlichen Gemeinwesen, da dem politischen, dort dem religiösen“378 klingt so etwas wie eine evangelische Koordinationslehre an. Heckel betont das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und schränkt die Schrankenformel in Art. 137 Abs. 1 S. 1 WRV stark ein, wenn nur ein solches Gesetz darunter fallen soll, „das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als sachlich notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muß; 368 Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (378); ders., Staat und Kirche, S. 200. 369 Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (371). 370 Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (368). 371 Ebers, Staat und Kirche, S. 131. 372 Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (369). 373 Ebers, Staat und Kirche, S. 302. 374 Ebers, in: Nipperdey, Grundrechte und Grundpflichten II, S. 361 (369). 375 Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (154 ff.). 376 Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (179). 377 Anschütz, WRV, S. 92 f. Fn. 1; ebenso Fürstenau, JW 1927, S. 1253 (1254); gegen eine Anwendbarkeit der beamtenrechtlichen Vorschriften der Reichsverfassung – aber ohne Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung – Köttgen, in: Handbuch des Deutschen Staatsrecht II, § 69 S. 97. 378 Johannes Heckel, VerwArch 37 (1932), S. 280 (283).
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4. Kap.: Historische Spurensuche
m. a. W. jedes für die Gesamtnation als politische, Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches Gesetz“379.
IV. Bewertung der Weimarer Rechtsprechung und Lehre Rechtsprechung und herrschende Lehre der Weimarer Zeit sind deutlich hinter das liberale Beratungsergebnis der Weimarer Nationalversammlung zurückgefallen. Während diese den Kirchen und anderen Religionsgesellschaften bestimmte Freiheiten sichern wollte, untergrub die Weimarer Lehre die in der Verfassung klar ausgesprochene Trennung von Staat und Kirche (Art. 137 Abs. 1 WRV). Für die Kirchen hatte dies vor allem eine umfangreiche Staatsaufsicht zur Folge. Die beschriebene Entwicklung hatte verschiedene Ursachen. Außerordentlich begünstigt wurde die teils völlige Verkehrung des Weimarer Beratungsergebnisses zunächst durch eine unglücklich gewählte falsa demonstratio. Diese „Blendwirkung eingeführter Begriffe“380 hat die Kirchen entgegen Art. 137 Abs. 1 WRV in Staatsnähe gerückt und hat damit erst die Annahme ermöglicht, die Kirchen übten staatsabgeleitete Hoheitsbefugnisse aus. Insofern ist die These Schmidt-Eichstaedts durchaus zutreffend, dass die „Verklammerung des Begriffs [sc. der öffentlichrechtlichen Körperschaft] mit der Realität […] im Jahr 1919 […] schon so stark war, daß das in Art. 137 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung niedergelegte verfassungsrechtliche Gebot der Abschaffung der Staatskirche und die Forderung, daß die Religionsgesellschaften nur dem für alle geltenden Gesetz unterworfen sein sollten […,] sich gegenüber den begrifflichen Folgerungen aus dem Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht mehr durchzusetzen vermochten“381. Die Weimarer Lehre hat dementsprechend das Staatskirchenrecht überwiegend als eine staatsorganisationsrechtliche, nicht als eine grundrechtliche Frage behandelt. Statt konkrete Freiheitsgewährleistungen zu ermitteln, stand für viele Autoren die Frage der historischen kirchenpolitischen Systeme im Vordergrund.382 Einige Autoren wollten dabei auch dem französischen Laizitätsgesetz von 1905, das vor allem die finanzielle Ausstattung der Kirchen stark einschränkte, ganz bewusst ein deutsches Gegenmodell der fortwährenden Verbundenheit von Staat und Kirche entgegenstellen.383 Die Trennung von Staat und Kirche wurde als falsche „Zauberformel“384 379
Johannes Heckel, VerwArch 37 (1932), S. 280 (284). Quaritsch, Kirchen und Staat, S. 313. 381 Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 40. 382 Vgl. etwa bei Kahl, in: Harms, Recht und Staat im Neuen Deutschland I, S. 353 ff., wo die Verknüpfung rechtshistorischer und rechtspositiver Aspekte schon im Titel programmatisch erkennbar ist. 383 Kokott, Der Staat 44 (2005), S. 343 (348). 384 Die Rede von der falschen „Zauberformel“ hat eine lange Tradition: Zeller, Staat und Kirche, S. 59; Kahl, Kirchenrecht, S. 304; ders., Deutsche Kirche im deutschen Staat, S. 11, ders., Aphorismen zur Trennung von Staat und Kirche, S. 24; ebenso Wortbeitrag Abg. Kahl (DVP), 380
D. Rezeption in der Weimarer Republik
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abgetan. Autoren wie Kahl – dessen zweifelhafte Doppelrolle als Verfassungsvater und -interpret bereits angesprochen wurde385 – schien es schlicht undenkbar, kirchliche Privilegien als grundrechtliche Freiheiten zu verstehen. Deshalb gingen sie davon aus, dass die konsequente Trennung von Staat und Kirche den Wegfall aller kirchlichen Privilegien zur Folge haben müsse.386 In diesem Zusammenhang fallen Sätze wie der von Kahl, dass mit der Weimarer Verfassung nicht die Trennung von Staat und Kirche, sondern „lediglich eine Erweiterung, ich will sogar zugeben, an einigen Stellen Vertiefung des seit 1794 bestehenden Systems der Staatskirchenhoheit“387 stattgefunden habe. Schließlich zeigt sich hinter der Fassade streng wissenschaftlicher Auseinandersetzung auch ein konfessioneller Konflikt. Die Kritiker einer fortbestehenden besonderen Staatsaufsicht über die Religionsgesellschaften – Godehard Josef Ebers388 und Joseph Löhr389 – waren katholisch. Die Vertreter der herrschenden Meinung wie insbesondere Wilhelm Kahl, Paul Schoen und Ernst Forsthoff hingegen waren evangelisch.390 Wie schon die Protagonisten in der Weimarer Nationalversammlung verfolgten sie damit letztlich auch die Positionen ihrer jeweiligen Konfession auf dem staatsrechtlichen Parkett weiter.391 Freilich war die Zeit, in der die Weimarer Lehre sich hätte bewähren und entwickeln können, auf die kurze Spanne von 14 Jahren beschränkt.392 Wie sich die Weimarer Staatspraxis ohne die nationalsozialistische „Machtergreifung“ weiterentwickelt hätte, ist müßige Spekulation. Festzuhalten bleibt indes, dass auch in der frühen Bundesrepublik staatskirchenrechtliche Positionen dominierten, die
Verfassungsausschuss Weimarer Nationalversammlung, 19. Sitzung, 1.4.1919, Reichstagsprotokolle Bd. 336, S. 187, daran anschließend Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (10). 385 Oben Kapitel 4, C. II. 6. 386 Nachdrücklich Kahl, in: Harms, Recht und Staat im Neuen Deutschland I, S. 353 (368 f.). 387 Kahl, Harms, Recht und Staat im Neuen Deutschland I, S. 353 (382); ähnlich Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (46). 388 Godehard Joseph Ebers, * 22.9.1880 Salzwedel; † 18.5.1958 Innsbruck, war seit der Gründung der Kölner Universität 1920 dort o. Professor für öffentliches Recht und Staatslehre, gründete dort das bis heute bestehende Institut für Kirchenrecht und rheinische Kirchengeschichte. Ebers, selbst Mitglied der Zentrumspartei, wurde 1935 wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft mit den Nationalsozialisten zwangsemeritiert. Von 1936 bis zum „Anschluss“ Österreichs war Ebers o. Professor für katholisches Kirchenrecht in Innsbruck. Nach dem Krieg nahm er diese Tätigkeit wieder auf und war Mitglied des österreichischen Verfassungsgerichtshofs. 389 Joseph Löhr, * 21.1.1878 Kornelimemünster, † 19.4.1956 Bonn, römisch-katholischer Priester und von 1926 bis 1946 o. Professor für Kirchenrecht in Tübingen. 390 Auf diese konfessionelle Aufspaltung des Schrifttums wies bereits Forsthoff, Öffentliche Körperschaft im Bundesstaat, S. 117 Fn. 1 hin. 391 Dabei machen die wenigsten Autoren ihre konfessionelle Prägung explizit. Oft gibt es aber Anspielungen in Nebenbermerkungen. Conrad, Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 50 wirft dem Katholiken Ebers ausdrücklich vor, dass dessen „Ansicht von der Beeinflussung des Verfassers durch die katholische Lehre über das Verhältnis von Staat und Kirche“ zeuge. 392 Korioth, in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 39 (58).
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4. Kap.: Historische Spurensuche
heute kaum noch vertreten werden. Sicherlich hätte es in der Weimarer Staatslehre bedeutende neue Impulse gegeben, wenn eine neue Generation jene ältere abgelöst hätte, die zum Teil noch – wie Wilhelm Kahl – selbst an den Weimarer Verfassungsberatungen beteiligt gewesen war. Das abrupte Ende der Weimarer Staatslehre nach nicht einmal einer Staatsrechtler-Generation lässt es nicht zu, die seinerzeitige Interpretation als „abgeschlossene“ und quasiauthentische Interpretation zu betrachten.
E. Beratungen im Parlamentarischen Rat Die Beratungen im Parlamentarischen Rat standen unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Zentrales und für die Bundesrepublik identitätsstiftendes Anliegen aller Beteiligten war es, einen Gegenentwurf zum Unrechtsstaat des „Dritten Reichs“ zu schaffen.393 Dies gilt auch im Staat-KirchenVerhältnis, das in der Zeit von 1933 bis 1945 eine tiefgreifende Erschütterung erfahren hatte. Nachdem anfängliche Versuche Hitlers, die Kirchen zu vereinnahmen, nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, trat das Regime seit 1936 unter der Parole „Entkonfessionalisierung“ zum offenen Kampf gegen die Kirchen an.394 Ausgehend von diesen Erfahrungen setzten sich nach eingehender Debatte im Parlamentarischen Rat diejenigen durch, die für einen besonderen Schutz der Religionsfreiheit eintraten und diese – ein Novum gegenüber früheren Verfassungen – vorbehaltlos gewährleisten wollten.395 Nachdem sich in Bezug auf die individuelle Religionsfreiheit eine ausgesprochen religionsfreundliche Linie durchgesetzt hatte, brachten CDU / CSU, Zentrum und DP Ende November 1948 einen gemeinsamen Antrag ein,396 mit dem auch die in-
393
BVerfGE 124, 300 (328). Link, Kirchliche Rechtsgeschichte, § 29 Rn. 1, 20 ff. 395 Wortführer war hier der Abg. Süsterhenn (CDU), vgl. Wortbeiträge Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 24. Sitzung, 23.11.1948, Der Parlamentarische Rat 5/ II, 1993, S. 626, 629. Auf der anderen Seite stand der spätere Grundgesetzkommentator Abg. v. Mangoldt (CDU), Wortbeitrag a. a. O., S. 627. 396 Parlamentarischer Rat Drucks. 321, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 835 Fn. 44. Die hier besonders relevanten Passagen lauten: „1. Die Kirchen werden in ihrer Bedeutung für die Wahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlage des menschlichen Lebens anerkannt. Es besteht keine Staatskirche. 2. Die Kirchen und Religionsgesellschaften ordnen ihre Angelegenheiten selbständig aus eigenem Recht. Sie haben das Recht, ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates und der politischen Gemeinden zu verleihen und zu entziehen. 3. Kirchen und Religionsgesellschaften sowie ihre Einrichtungen behalten, ohne deshalb einer besonderen Staatsaufsicht zu unterliegen, die Rechte von Körperschaften öffentlichen Rechts, soweit sie diese bisher besaßen. Anderen sind die gleichen Rechte auf Antrag zu verliehen, wenn sie durch die Verfassung oder die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Bei der Ausübung des ihnen eigenen Rechts, Steuern zu erheben, können Kirchen und Religionsgesellschaften sich der staatlichen Steuerlisten bedienen (…)“. 394
E. Beratungen im Parlamentarischen Rat
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stitutionellen Rechte der Kirche gesichert werden sollten. Der Antragstext war eng an die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung angelehnt, präzisierte aber einige zu ihrer Zeit umstrittene Fragen im Sinne einer stärkeren kirchlichen Unabhängigkeit.397 Dies gilt beispielsweise für einen Einschub in derjenigen Bestimmung, welche die Rechtsstellung der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts bestätigte. Dieser Status sollte gewährt werden, „ohne [dass die Kirchen] deshalb einer besonderen Staatsaufsicht […] unterliegen“. Der Antrag bezweckte augenscheinlich, die Rechte der Kirchen als Organisationen gegenüber dem Staat besonders zu schützen. Noch 1948 wirkte dabei auch Adolph Hoffmanns Kirchentrennungspolitik in einer bemerkenswerten Wortmeldung des Abgeordneten Süsterhenn (CDU) nach: „Hat es denn nicht allzu lange Zeit nach einem Adolf Hoffmann [sic! – richtig: Adolph] einen Adolf Hitler gegeben, der dieselbe Politik noch in verstärktem Maß verfolgt hat, wie sie Herr Adolf Hoffmann [sic!] Gott sei Dank nur kurze Zeit auf dem Gebiet der Kirchen- und Kulturpolitik in Preußen verfolgt hat?“398. Anders als in Weimar fehlte es in Bonn allerdings an jeglicher kulturkämpferischen Stimmung.399 Den Provokationsversuch Süsterhenns wehrte für die SPD Eberhard mit dem klaren Bekenntnis ab, dass „bei der gegenwärtigen politischen Lage in Deutschland (…) hoffentlich ein Zehn-Gebote-Hoffmann nicht vorhanden ist“400. Gegen eine bundesrechtliche Regelung des Staat-Kirchen-Verhältnisses wurde allerdings von SPD- und FDP-Seite zunächst vorgebracht, dass derartige Bestimmungen den Ländern überlassen bleiben sollten.401 Die SPD wies überdies darauf hin, dass Forderungen nach spezifischen Garantien auch von anderen Verbänden wie den Gewerkschaften erhoben werden könnten.402 Den Ausschlag gab schließlich die Kompromissbereitschaft der FDP.403 Sie führte dahin,
397
Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 75. Wortbeitrag Abg. Süsterhenn (CDU), Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates, 22. Sitzung, 8.12.1948, Der Parlamentarische Rat 14/I, S. 649; ähnlich schon ders., Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarsichen Rates, 29. Sitzung, 4.12.1948, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 838. 399 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 115. 400 Wortbeitrag Abg. Eberhard (SPD), Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates, 22. Sitzung, 8.12.1948, Der Parlamentarische Rat 14/I, S. 650. 401 In diesem Sinne der spätere Bundespräsident Abg. Heuss (FDP), Wortbeitrag, Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 24. Sitzung, 23.11.1948, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 636; Wortbeitrag Abg. Bergsträsser (SPD), Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 24. Sitzung, 23.11.1948, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 640; ders., Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 29. Sitzung, 4.12.1946, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 836 f. 402 Wortbeitrag Abg. Eberhard (SPD), Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 24. Sitzung, 23.11.1948, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 637; Wortbeitrag Abg. Bergsträsser (SPD), a. a. O., S. 638. 403 Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 78. 398
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4. Kap.: Historische Spurensuche
dass man die Weimarer Bestimmungen über Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierte.404 Anders als in der Weimarer Nationalversammlung gab es im Parlamentarischen Rat keine inhaltlichen Auseinandersetzungen um den Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts.405 Soweit ersichtlich äußerte sich nur der spätere Bundespräsident Heuss (FDP) näher zu diesem Begriff. Auf der Linie der Weimarer Verfassungsbestimmungen hob er die Bedeutung der Kirchen als „für das Volksleben wichtig und notwendig“ hervor.406 Die Kirchen seien als „historische Persönlichkeiten ganz anderer Natur als irgendein Verein“407. Sie seien „keine Vereinigungen, sondern Organe“408. Diese wenig konkreten Beschreibungen lassen keine näheren Rückschlüsse zu, welche spezifische Vorstellung der Bonner Verfassungsgeber von den Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts hatte. Insgesamt sind die Beratungen im Parlamentarischen Rat für die Auslegung des Begriffs der Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV wenig ergiebig.409 Am ehesten deuten sie darauf hin, dass der Bonner Grundgesetzgeber am Weimarer Kompromiss nicht rühren wollte.410 Dies unterstreicht noch einmal, dass die Weimarer mit den Bonner Beratungen keineswegs „überholt“ sind.411
F. Zwischenergebnis zum vierten Kapitel Die historische Spurensuche hat eine zentrale Annahme der Rechtsprechung und weiter Teile der Literatur erschüttert. Mit dem Körperschaftsstatus werden keine staatsabgeleiteten Hoheitsbefugnisse übertragen.412 Dieses Fehlverständnis greift nämlich die Auffassung von Wilhelm Kahl (DVP) aus dem Verfassungsausschuss wieder auf, wonach den Kirchen obrigkeitliche Befugnisse über ihre Mitglieder übertragen würden. Diese Auffassung ist in der Weimarer Nationalversammlung 404
Abstimmung im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates, 22. Sitzung, 8.12.1948, Der Parlamentarische Rat 14/I, S. 658. 405 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 114. 406 Wortbeitrag Abg. Heuss (FDP), Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 29. Sitzung, 4.12.1948, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 838. 407 Wortbeitrag Abg. Heuss (FDP), Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 29. Sitzung, 4.12.1948, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 837. 408 Wortbeitrag Abg. Heuss (FDP), Ausschuss für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, 24. Sitzung, 23.11.1948, Der Parlamentarische Rat 5/II, S. 640. 409 Ebenso Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 115. 410 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 167; Hermann Weber, Religionsge meinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 28 ff. 411 Ebenso Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 71 f. 412 Dazu noch eingehend Kapitel 6, B. III.
F. Zwischenergebnis zum vierten Kapitel
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einhellig abgelehnt worden und kann schon deshalb nicht tragend für die weitere Auslegung des Körperschaftsstatus sein. Die Ergebnisse der historischen Spurensuche sprechen vielmehr dafür, die „Grundrechtsthese“413 des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung zur Verleihung des Körperschaftsstatus an die Zeugen Jehovas weiter zu vertiefen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits ausgesprochen, dass der Körperschaftsstatus „ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit“414 sei und sich seine Existenz in der „Verstärkung der Entfaltung grundrechtlicher Freiheit“415 rechtfertige. Inkonsequent blieb das Gericht dabei allerdings in mehrfacher Hinsicht. In prozessualer Hinsicht lehnt es weiter den Grundrechtscharakter der Weimarer Staatskirchenbestimmungen416 ab und nutzt stattdessen die Religionsfreiheit als grundrechtliches „Vehikel“417 zur Prüfung der Art. 136 ff. WRV.418 Dabei wird der subjektivrechtliche,419 materiell grundrechtsähnliche Charakter dieser Garantien verkannt.420 Maßgeblich sollte der materielle Gehalt der Art. 136 ff. WRV sein, nicht die Tatsache, dass diese Bestimmungen nicht im ersten Abschnitt des Grundgesetzes stehen.421 Denn die von Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierten Staats kirchenartikel stehen „nur aufgrund einer redaktionellen Zufälligkeit außerhalb des formellen Grundrechtskataloges“422. Die Art. 136 ff. WRV standen demgegenüber in der Weimarer Verfassung im als „Grundrechte und Grundpflichten“ überschriebenen zweiten Hauptteil der Verfassung.423 Überdies verstrickt sich das Bundesverfassungsgericht unnötig dadurch in Widersprüche,424 dass es die Körperschaftsrechte zu staatsabgeleiteten Hoheitsbefugnissen erklärt.425
413 So die zust. Bezeichnung von Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 137 WRV, Rn. 198 zu BVerfGE 102, 370; ablehnend Hillgruber, NVwZ 2001, S. 1347; Röger, FS Rüfner (2003), S. 749 (751 f.). 414 BVerfGE 102, 370 (387). 415 BVerfGE 102, 370 (390). 416 BVerfGE 19, 129 (135); BVerfG (Vorprüfungsausschuss), NJW 1983, S. 2571. 417 Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 11. 418 Das BVerfG begründet regelmäßig die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mit einer möglichen Verletzung der Religionsfreiheit, um dann im Rahmen der Begründetheit die einschlägigen Weimarer Staatskirchenartikel zu prüfen, vgl. BVerfGE 42, 312 (322 f.; 325 f.); 46, 73 (83; 85); 57, 220 (240 f.; 241); 70, 138 (160 f.; 162); 99, 100 (118; 119); 102, 370 (383 f.). Aus der Lit. dem BVerfG folgend etwa Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 140 Rn. 2. 419 Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 300. 420 Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 Rn. 3; Muckel, in: Friauf / Höfling, GG, Art. 140/Art. 137 WRV (Stand: 34. EL 2011) Rn. 28; Morlok, in: Horst Dreier, GG I, Art. 4 Rn. 109; Hollerbach, AöR 92 (1967), S. 108 (125); grundlegend bereits Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 (Stand: Erstbearbeitung 1958) Rn. 92. 421 So aber im Ergebnis Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 322 f. 422 Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 165. 423 Auf dieses systematische Argument für die Grundrechtsthese weist auch Röger, FS Rüfner (2003), S. 749 (750) hin, der sodann aber inkonsequent die These weitgehend ablehnt. 424 Hierzu noch eingehend Kapitel 6, B. III. 1. 425 BVerfGE 102, 370 (388).
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4. Kap.: Historische Spurensuche
Der ursprüngliche Regelungszweck, die Kirche vor staatlichen Eingriffen gegen ihren Acquis an wohlerworbenen Rechten zu schützen, stützt eine konsequente Fortentwicklung der Grundrechtsthese. Der Körperschaftsstatus ist demnach nicht nur Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit, sondern selbst ein Grundrecht.426 Als summarischer Sammelbegriff bezeichnet der Begriff Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV als „Verlegenheitslösung“ die „den Kirchen eingeräumten Sonderrechte“427. Der Körperschaftsbegriff ist also die „abkürzende Bezeichnung für die Vorrechte und Begünstigungen“428 der Kirchen. Als Institutsgarantie429 schützt die Norm den staatskirchenrechtlichen „Acquis“ vom Vorabend der Nationalversammlung, meint also die Gesamtheit der diesen Religionsgesellschaften nach deutscher Rechtstradition zustehenden Rechte.430 In der Weimarer Religionsverfassung ist demnach gerade keine Durchbrechung des Verbots der Staatskirche, wohl aber eine Privilegierung bestimmter Religionsgesellschaften angelegt. Diese souveräne Entscheidung des Verfassungsgebers von 1919 bzw. 1949 gilt es zu akzeptieren. Sie darf nicht unter Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus den Angeln gehoben werden.431 Die prononcierte Kritik Schmidt-Eichstaedts, Art. 137 Abs. 5 WRV sei ein „verfassungswidriger Verfassungsartikel“432, kann dogmatisch de constitutione lata nicht überzeugen.433 Umgekehrt kann aber auch die Kritik Christian Hillgrubers, es handele sich um eine „merkwürdige Form staatlicher Grundrechtssubventionierung“, wenn dieser „nach dem Grundsatz ‚bekannt und bewährt‘ als Erfolgsprämie für arrivierte, gesellschaftlich verankerte Religionsgesellschaften (…) gewährt wird“434, die grundrechtliche Intention des Verfassungsgebers nicht überspielen. In der Sache hat die 426 Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (33); davon, dass die in Art. 137 WRV enthaltenen subjektiven Gewährleistungen „in einem formalen Sinne Grundrechte“ seien, sprach interessanterweise bereits Schmitt, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts II, § 101, S. 588 – vgl. aber zu Schmitts Kritik an dem vermeintlichen „dilatorischen Formelkompromiss“ oben unter Kapitel 4, C. III. 1; a. A. Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 97; Kästner, in: BK, Art. 140 (Stand: 145. EL 2010), Rn. 363. StGH BW, VBlBW 2015, S. 414 (417) bejaht die Landesgrundrechtsqualität von Art. 5 LV BW i. V. m. Art. 140 GG und Art. 138 Abs. 2 WRV (Kirchengutsgarantie). 427 Forsthoff, Verwaltungsrecht I, S. 356 Fn. 2, mit der er sich zugleich von der früheren Deutung aus seiner berühmten Monographie Öffentliche Körperschaft im Bundesstaat distanziert. 428 Scheuner, ZevKR 6 (1957/58), S. 24. 429 Bewusst wird hier nicht von einer institutionellen Garantie gesprochen, da die Rechtswirkungen der Dienstherrnfähigkeit nach hier vertretener Auffassung dem bürgerlichen Recht zuzurechnen sind, vgl. dazu unten Kapitel 6, B. II. 2. c). Anders Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien, S. 156; Schmidt-Jortzig, Einrichtungsgarantien der Verfassung, S. 32. 430 Staudinger / Weick (2005), Einl §§ 21 ff. Rn. 20. 431 Hollerbach, AöR 92 (1967), S. 108 (111). 432 Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 107 ff. 433 Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 547; Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 137 WRV (Stand: 83. EL 2018) Rn. 65. 434 Hillgruber, in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 213 (218 f.); ders., NVwZ 2001, S. 1347 (1349).
F. Zwischenergebnis zum vierten Kapitel
141
konsequent grundrechtliche Lesart des Körperschaftsstatus überdies den Vorteil, dass sie ihn von jedweder staatskirchlichen Attitude befreit.435 In einer religiös pluralisierten Gesellschaft ist dies Grundvoraussetzung dafür, dass der Körperschaftsstatus auch in Zukunft gesellschaftlich akzeptanzfähig bleibt.436
435
Diese staatskirchliche Attitude wird vor allem dort noch sichtbar, wo der Körperschaftsstatus nach wie vor als besondere Zuordnung der Religionsgemeinschaft zum Staat verstanden wird, so bei Scheuner, ZevKR 7 (1959/60), S. 225 (245): „gelockerte(n) Fortsetzung der Verbindung von Staat und Kirche“; Korioth, in: Kippenberg / Schuppert, Verrechtlichte Religion, S. 109 (130); ders., in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 39 (62); Huber, in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 155 (177) meint, „daß sich die Religionsgemeinschaften mit der Verleihung des Körperschaftsstatus dem Staat unübersehbar annähern“; Hillgruber, in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, S. 213 (216) spricht von einer „Sonderbeziehung zum Staat“. 436 Entgegen Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (306 ff.); ders., Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, S. 127 ff. taugt der Körperschaftsstatus der Kirchen aber nicht als Vorbild für ein allgemeines Verbändeverfassungsrecht. Dies zeigt sich nicht zuletzt bei der Dienstherrnfähigkeit: Die Befreiung der Kirchen von weiten Teilen des Arbeits- und Sozialrechts mag ausnahmsweise durch die spezifische Bedeutung religiöser Überzeugungen für die Wahrnehmung des kirchlichen Dienstes legitimiert sein. Von einer vergleichbaren Interessenlage kann aber z. B. bei den Beschäftigungsverhältnissen von Partei- oder Gewerkschaftsmitarbeitern keine Rede sein.
Fünftes Kapitel
Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit Die in der Literatur herrschende Meinung hat als Alternative zu der von der Rechtsprechung über Jahrzehnte betriebenen Rechtsschutzverweigerung in Kirchendienstsachen die Lehre vom Typenzwang entwickelt. Eigenartiger Weise wurde sie bei Aufgabe der früheren Rechtsprechung mit keinem Wort erwähnt. Bevor im weiteren Verlauf eine eigene Position entwickelt wird, gilt es indes, die Lehre vom Typenzwang genauso zu würdigen wie die Lehre von der Dienstgemeinschaft. Letztere wurde im Schrifttum parallel zur Lehre vom Typenzwang entwickelt und bezieht sich vorrangig auf das kirchliche Arbeitsrecht. Dabei wurde bisher nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, dass die Lehre vom Typenzwang und die Lehre von der Dienstgemeinschaft in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Schließlich soll die Lehre vom Doppelrechtsverhältnis dargestellt werden, die sich um eine Abgrenzung zwischen justiziablem Dienstrecht und bloßer kirchlicher Konvention bemüht.
A. Lehre vom Typenzwang Nach der im Schrifttum ganz herrschenden Lehre vom „Typenzwang“ gestattet die Dienstherrnfähigkeit nur den Abschluss „öffentlich-rechtlicher“ Dienstverhältnisse. Voraussetzung für das Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses soll demnach sein, dass die wesentlichen Grundsätze des Berufsbeamtentums beachtet werden, also der Grundtypus eines Beamtenverhältnisses gewahrt bleibt.1 Nur wenn dies der Fall sei, komme es zu einer Befreiung vom Arbeits- und Sozialrecht. Die Beachtung der wesentlichen Grundsätze des Berufsbeamtentums tritt damit als sozialer Schutzmechanismus an die Stelle der Arbeitnehmerschutzbestimmungen des Arbeits- und Sozialrechts.
1
Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 Rn. 220; Kästner, in: BK, Art. 140 (Stand: 145. EL 2010), Rn. 417; v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 255 f.; Ennuschat, ZevKR 53 (2008), S. 113 (137); Frank, EssG 10 (1976), S. 9 (26); Hübner, ZevKR 44 (1999), S. 477 (493 f.); Kapischke, ZBR 2007, S. 235 (237); Link, FS Listl (1999), S. 503 (508); ders., ZevKR 54 (2009), S. 122 (158 f.); May, AfkKR 173 (2004), S. 7 (15); v. Tiling, ZevKR 37 (1992), S. 113 (124); ders., ZevKR 43 (1998), S. 55 (68); Hermann Weber, ZevKR 22 (1977), S. 346 (364 ff.); Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 170 ff.; krit. zum Begriff des Typenzwangs, aber im Ergebnis ähnlich de Wall, ZevKR 49 (2004), S. 369 (370 ff.); abl. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 137 WRV Rn. 24.
A. Lehre vom Typenzwang
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I. Ausgangspunkt: Sozialversicherung der Geistlichen und Kirchenbeamten Einen ersten Vorläufer hatte die heutige Lehre vom Typenzwang bereits in der Weimarer Republik. Damals qualifizierte das Reichsgericht die Geistlichen als Beamte im Sinne der Reichsverfassung und zog daraus die Schlussfolgerung, dass die wesentlichen Grundsätze des Berufsbeamtentums nach Art. 129 WRV auch für sie anwendbar seien.2 Zu Recht erkannte Günter Holstein hierin eine Gefahr für die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung.3 Nach dem Zweiten Weltkrieg schlug die Rechtsprechung bekanntlich ins Gegenteil um und verneinte jedweden Rechtsschutz für Geistliche durch staatliche Gerichte.4 Zwischen der Weimarer Rechtsprechung und der späteren Lehre vom Typenzwang gibt es keine ersichtliche Kontinuität. Vielmehr geht die heute herrschende Lehre5 auf eine Kontroverse aus den 1970er-Jahren zurück.6 Damals wurde darüber gestritten, ob Pfarrer und Kirchenbeamte in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert werden könnten. Beschäftigte von Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, bleiben von der Sozialversicherungspflicht befreit.7 Voraussetzung dafür ist nach den einfachgesetzlichen Bestimmungen, dass die Religionsgesellschaft eine eigene Absicherung vornimmt, die mit der entsprechenden Versorgung der staatlichen Beamten vergleichbar8 ist. Die Versicherungsfreiheit tritt dann kraft Gesetzes ein.9 Stellen die Kirchen die erforderliche eigene Versorgung ein, werden 2 RGZ 114, 220 (223 f.); begriffliche Trennung von Staats- und Kirchenbeamten allerdings bei RG, JW 1927, S. 1253 (1254); PrOVG 82, 231; 82, 242 (243). 3 Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (157 ff.), der den Begriff der Beamten „im engeren und eigentlichen Sinne (S. 167) von dem der Kirchenbeamten trennt. 4 Dazu oben Kapitel 3, A. 5 Von der Rechtsprechung ist diese Lehre bisher weitgehend ignoriert worden, nicht zuletzt in der Grundsatzentscheidung BVerwGE 149, 139. Gelegentlich hat die Rechtsprechung hilfsweise – meist in Randbemerkungen – die Vereinbarkeit mit Grundsätzen des Beamtenrechts geprüft, etwa BVerfGE 111, 1 (6); BVerfG (K), NJW 2009, S. 1195 (1196); OVG NRW, KirchE 35, 388 (390). Noch vor Entstehung der Lehre vom Typenzwang eine Parallelität zum staatlichen Beamtenrecht andeutend OVG Lüneburg, DVBl 1964, S. 1027 (1028 f.). 6 Dabei konnte an Vorüberlegungen aus früherer Zeit angeknüpft werden. Vgl. etwa die in eine ähnliche Richtung gehenden Ausführungen von Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 148, wonach „die ‚hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums‘ jedenfalls nicht en bloc auch für die Kirchen (gelten)“, dies „schließt (…) nicht aus, daß ein Teil dieser Grundsätze gleichwohl für sie verbindlich ist; (…) weil sie zugleich allgemeine rechtsstaatliche Prinzipien in sich schließen, die, unabhängig von ihrer positivrechtlichen Fortgeltung, auch die Kirchen nicht außer acht lassen dürfen“. 7 Zu den Einzelheiten vgl. Kapitel 7, B. II. 1. 8 Für Ordensangehörige gilt ein weniger strenger Maßstab, vgl. dazu KassKomm / Gürtner, § 5 SGB VI (Stand: 88. EL 2015) Rn. 24. 9 Ausdrücklich auch im Hinblick auf die kirchlich Beschäftigten und Ordensangehörigen Segebrecht, in: Kreikebohm, SGB VI, § 5 Rn. 11; allgemein Berchtold, in: Knickrehm / Kreikebohm / Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, SGB VI, § 5 Rn. 11.
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
die Beschäftigungen wiederum automatisch sozialversicherungspflichtig.10 Die Kirchen gewährleisten üblicherweise eine beamtenmäßige Eigenversorgung nur für ihre Geistlichen und Kirchenbeamten. Diese sind daher versicherungsfrei, während Personen, die auf Grundlage eines Dienst- oder Arbeitsvertrages nach staatlichem Recht beschäftigt werden, gesetzlich rentenversichert sind. In den 1970er-Jahren gab es Bestrebungen in einigen evangelischen Landeskirchen, freiwillig auf die Rentenversicherungsfreiheit ihrer Geistlichen und Kirchenbeamten zu verzichten. Damit sollten die Risiken eigener Rückstellungen vermieden werden. Stattdessen sollte die Altersvorsorge über die gesetzliche Rentenversicherung sichergestellt werden. Einige Landeskirchen haben dann tatsächlich ihre Geistlichen und Kirchenbeamten in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, freilich nicht ohne Ruhestandsgeistlichen und Ruhestandskirchen beamten den Differenzbetrag zwischen der gesetzlichen Rente und einer beamtenmäßigen Pension zu zahlen. Inzwischen ist die evangelische Kirche – mit Ausnahme der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern – wieder zur vollständig eigenen Versorgung zurückgekehrt.11 Damals hat es im evangelischen Schrifttum heftige Kritik ausgelöst, dass die Altersversorgung der Geistlichen und Kirchenbeamten über die gesetzliche Rentenversicherung erfolgen sollte. Aus dieser Kritik heraus ist die Lehre vom Typenzwang entwickelt worden. Mehrere wirkmächtige Gutachten behaupteten, ohne eine „beamtenähnliche“ Ausgestaltung könnten die kirchlichen Dienstverhältnisse nicht mehr der Dienstherrnfähigkeit unterfallen, sodass automatisch das gesamte Arbeits- und Sozialrecht zur Anwendung komme.12
10
Vgl. zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 AVG a. F. v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236. Zur Krankenversicherungspflicht bei Wegfall der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB V Axer, FS Listl (1999), S. 587 (595). 11 Vgl. dazu Nichtamtliche Begründung zum Besoldungs- und Versorgungsgesetz der EKD, ABl EKD 2014 S. 346, zu Teil 4. 12 v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (243 ff.); Hermann Weber, ZevKR 22 (1972), S. 346 (364 ff.); Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (265 f.) verlangt, dass die Kirche eine Ausfallgarantie für den Fall übernehme, dass die Versicherung in der gesetzlichen Renten versicherung nicht die volle beamtenrechtliche Versorgung erbringe. Ansonsten unterfielen die Dienstverhältnisse wieder dem Arbeitsrecht. Anders allerdings BSGE 55, 19 (20), wonach die Dienstverhältnisse der Geistlichen auch dann als „öffentlich-rechtlich“ zu qualifizieren seien, wenn die Altersversorgung weitgehend über die gesetzliche Rentenversicherung sichergestellt werde. So jetzt auch einschränkend zur Lehre vom Typenzwang Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 175.
A. Lehre vom Typenzwang
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II. Inhalt der Lehre vom Typenzwang Diese Lehre vom Typenzwang bietet einen speziellen religionsverfassungsrechtlichen Begrenzungsmaßstab13, nach dem das staatliche Arbeits- und Sozialrecht durch kirchliches Dienstrecht verdrängt wird. Dogmatischer Ausgangspunkt ist nämlich, dass die Dienstherrnfähigkeit aus der Körperschaftsgarantie des Art. 137 Abs. 5 WRV – also nicht aus dem Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 Abs. 3 WRV – abgeleitet wird.14 Zwar sei Art. 33 Abs. 5 GG auf Geistliche und Kirchenbeamte nicht unmittelbar anwendbar.15 Jedoch sei tatbestandliche Voraussetzung für die Wahrnehmung der Dienstherrnfähigkeit, dass wenigstens die wesentlichen Grundsätze des hergebrachten Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG beachtet würden.16 1. Begrifflicher Begründungsansatz Der vorherrschende Begründungsansatz setzt dabei unmittelbar am Begriff des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses an. Nur dann, wenn der kirchliche Dienst die Grundsätze des öffentlichen Dienstrechts beachte, könne er als öffentlichrechtlich anerkannt werden;17 das Dienstrecht der Kirchen müsse – so Hermann Weber – „echtes öffentliches Beamtenrecht sein“18. Jedenfalls der „Grundtypus eines Beamtenverhältnisses“ müsse, verlangt Stefan Magen, „doch noch gewahrt sein“19. Axel Freiherr v. Campenhausen entwickelte hieran anknüpfend maßgeblich die Vorstellung, dass der auch nur teilweise Verzicht auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zum Verlust des öffentlich-rechtlich ausgestalteten 13
Ausdrücklich die Lehre vom Typenzwang methodisch aus einer Begrenzung der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 5 WRV ableitend Hermann Weber, ZevKR 22 (1977), S. 346 (365). 14 Eine andere Spielart der Lehre vom Typenzwang findet sich bei Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 ff. Obermayer bestreitet bereits – abweichend von der ganz h. M. in Rspr. und Lit. – die verfassungsrechtliche Verankerung der Dienstherrnfähigkeit (S. 251) und sieht die kirchliche Rechtsetzungsbefugnis in Bezug auf deren Dienstverhältnisse nur einfachgesetzlich durch § 135 S. 2, 3 BRRG garantiert (S. 252); diese Ermächtigungsgrundlage versteht Obermayer – insofern i. E. ähnlich wie die herkömmliche Begründung der Lehre vom Typenzwang – so, dass sie auf die Einhaltung der wesentlichen Grundsätze verpflichtet, die das staatliche Beamtenrecht beherrschen (S. 253). 15 Anders Säcker, DVBl 1969, S. 5 (8). 16 So insbesondere die grundlegenden Überlegungen von Hermann Weber, ZevKR 15 (1970), S. 20 (43), dem zufolge kirchenrechtliches Dienstrecht, das nicht die wesentlichen Grundsätze des Berufsbeamtentums beachtet, „wegen Verstoßes gegen die in Art. 137 V WRV liegende Ermächtigungsgrundlage ungültig“ ist; auch v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (244) entwickelt seine Überlegungen zum Typenzwang ausdrücklich von Art. 137 Abs. 5 WRV ausgehend. 17 v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (244); Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 98. 18 Hermann Weber, ZevKR 15 (1970), S. 20 (42); ders., ZevKR 22 (1977), S. 346 (366). 19 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 98.
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
Dienstrechts insgesamt führe; als Folge davon fielen diese Dienstverhältnisse dann wieder in den Bereich des Arbeitsrechts.20 Insofern begründe Art. 137 Abs. 5 WRV unmittelbar einen „gewissen Typenzwang“21. 2. Kompensatorischer Begründungsansatz Daneben spielen kompensatorische Überlegungen eine Rolle. Sehr allgemein äußert Campenhausen, dass die Vorteile der öffentlich-rechtlichen Gestaltung des Dienstrechts nicht erhalten bleiben könnten, „wenn man die Lasten abwälzt“22. Konkreter ist der Ansatz von Hans-Peter Hübner. Er begreift die Bindung an die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als sozialstaatlich gebotenen Ausgleich für die Entbindung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht und schlägt zugleich vor, die Bindung an die Grundsätze des Berufsbeamtentums auf das sozialstaatlich gebotene Maß zu begrenzen.23
III. Kritik Dass kirchliches Dienstrecht den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums entsprechen müsse, vermag nicht zu überzeugen. 1. Protestantische Perspektive der Lehre vom Typenzwang Deutungen im Religionsverfassungsrecht sind häufig vom jeweiligen Vorverständnis geprägt.24 Die Lehre vom Typenzwang ist dafür ein herausragendes Beispiel. Augenscheinlich ist ihre protestantische Perspektive. Diese Ausrichtung ist
20
v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (243) anknüpfend an Hermann Weber, ZevKR 15 (1970), S. 40 ff., ders., Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 114, 123, der bereits ganz ähnliche Argumente vorbringt, allerdings noch nicht vom Typenzwang spricht. Später wiederum in diesem Sinne Hermann Weber, ZevKR 22 (1977), S. 346 (368): „Den Religionsgesellschaften bleibt nur die Alternative, sich bei der Gestaltung ihrer Dienstverhältnisse entweder an den Typus ‚öffentlich-rechtliches Beamtenverhältnis‘ zu halten (und die damit verbundenen Bindungen in Kauf zu nehmen) oder aber – wenn sie sich dadurch in ihrer freien Entfaltung gehindert sehen – den jederzeit offenen Weg eines Verzichts auf die öffentlich-rechtliche Gestaltung der Dienstverhältnisse zu wählen“. 21 v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (244). 22 v. Campenhausen, ibid. 23 Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 38; ähnlich auch Differenzierungsversuche bei Hermann Weber, ZevKR 22 (1977), S. 346 (365 ff.); ähnlich Classen, Religionsrecht, Rn. 426, Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 299 die von denjenigen Grundsätzen des Berufsbeamtentums sprechen, deren Beachtung eine Freistellung vom staatlichen Recht sachlich rechtfertige. 24 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 31.
A. Lehre vom Typenzwang
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schon deswegen problematisch, weil Grundstatus und Dienstverhältnis der Geistlichen von den Konfessionen sehr unterschiedlich verstanden werden.25 Es ist kein Zufall, dass mit Hermann Weber und Axel Freiherr v. Campenhausen zwei der namhaftesten evangelischen Kirchenrechtler des 20. Jahrhunderts die Lehre vom Typenzwang entwickelt haben. Die evangelischen Geistlichen waren über Jahrhunderte Staatsbeamte. Erst auf der Grundlage der Weimarer Staats kirchenartikel kam es zur Trennung von Staats- und Kirchenbeamten.26 Die evangelische Kirche war in der Folge aber bemüht, die Strukturen der staatlichen Verwaltungsorganisation in ihrem Binnenbereich nachzubilden.27 In einem für die weitere Entwicklung instruktiven Beitrag betonte Gerhard Wacke unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zwar die Eigenständigkeit des Kirchenbeamtenrechts als Kirchenrecht, hob aber zugleich hervor, dass es parallel zum staatlichen Beamtenrecht liege. Das Kirchenbeamtentum sei im Verhältnis zum Staatsbeamtentum eine „grundsätzlich gleichartige Einrichtung“28. Die enge Anlehnung an Begrifflichkeit und Strukturen des staatlichen Rechts im Dienstrecht der Geistlichen und Kirchenbeamten ist in der evangelischen Kirche niemals ernsthaft in Frage gestellt,29 teils sogar als Ausdruck einer kirchlich gebotenen Loyalität gegenüber dem Staat verstanden worden.30 Die Bezeichnung als „öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis“ (§ 2 Abs. 1 S. 1 PfDG.EKD für die Geistlichen; § 1 Abs. 2 KBG.EKD für die Kirchenbeamten) findet sich jeweils an zentraler Stelle der einschlägigen Kirchengesetze, wie sich auch deren Regelungen und Formulierungen eng an das staatliche Beamtenrecht anlehnen. Die Anerkennung des kirchlichen Dienstes als öffentlicher Dienst ist für die evangelische Kirchenrechtswissenschaft stets ein wichtiger Topos gewesen.31 Dem katholischen Codex Iuris Canonici ist hingegen die Terminologie der öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse fremd. Ob das katholische Inkardina tionsverhältnis als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis zutreffend charakterisiert 25
Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 121. Vgl. die grundlegenden Ausführungen von Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (157 ff.), der den Begriff der Beamten „im engeren und eigentlichen Sinne“ (S. 167) von den Kirchenbeamten trennt. 27 Vgl. zu dieser geschichtlichen Entwicklung Frank, EssG 10 (1976), S. 9 ff. 28 Wacke, AöR 74 (1948), S. 438 (444). 29 Zu Recht hat indes jüngst Renate Penßel darauf aufmerksam gemacht, dass die Aufteilung von privatem und öffentlichem Recht strenggenommen auch nicht für das evangelische Kirchenrecht passt. Denn dem evangelischen Kirchenrecht sind privat(kirchen-)rechtliche Regelungen fremd, weshalb die evangelische Kirche, die inzwischen eine umfassende Verwaltungsgerichtsbarkeit eingerichtet hat, folgerichtig auch keine kirchlichen Zivilgerichte kennt. Öffentlich-rechtlich steht daher eher als Chiffre für spezifisch kirchenrechtlich überhaupt. Vgl. Penßel, ZevKR 59 (2014), S. 279 (301). 30 Vgl. Scheuner, ZevKR 7 (1959/60), S. 225 (258 f.). 31 Vgl. etwa Frank, EssG 10 (1976), S. 9 (19 f.); ablehnend dagegen aus kath. Perspektive Mörsdorf, Diskussionsbeitrag, EssG 10 (1976), S. 173, da das kanonische Recht die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht nicht kenne. 26
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
wird, ist in der Kanonistik umstritten.32 Jedenfalls ist das Recht der katholischen Kleriker ersichtlich weiter vom staatlichen Amtsrecht abgerückt als das Dienstrecht der evangelischen Kirche.33 Umgekehrt ist die evangelische Kirche außerhalb ihrer als „öffentlich-rechtlich“ bezeichneten Dienstverhältnisse eher bereit als die katholische, den Vorrang des staatlichen Arbeitsrechts zu akzeptieren.34 Hermann Weber hat deshalb sogar erwogen, das evangelische Geistlichendienstverhältnis staatsrechtlich anders zu behandeln als das katholische Inkardinationsverhältnis.35 Doch erscheint dies wenig überzeugend. Denn so würde Art. 137 Abs. 5 WRV zu einem Sondergesetz nur für die evangelische Kirche, was ersichtlich den Prinzipien der staatlichen religiösen Neutralität und Parität zuwiderläuft.36 Die Lehre vom Typenzwang beruht damit im Wesentlichen auf dem Fehlschluss, die gelebte Rechtspraxis der evangelischen Kirche in eine normative Anforderung des Religionsverfassungsrechts zu transformieren.37 Dass die evangelische Kirche 32
Ablehnend Jurina, EssG 10 (1976), S. 57 (65 f.); prononciert zur Verschiedenheit des Dienstverständnisses der kath. Kirche vom staatlichen Rechtsverständnis Scheven, ZBR 1964, S. 289 (290): „Der katholische Geistliche steht damit in einem Dienstverhältnis, das dem staatlichen Recht fremd ist und nach Geltungsgrund und Inhalt sich auch grundsätzlich jeder staatlichen Regelung entzieht“. Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 115 f., stellt deshalb sogar infrage, ob sich die kath. Kirche für das Dienstrecht ihrer Geistlichen auf die Dienstherrnfähigkeit berufen könne. 33 Scheuner, Diskussionsbeitrag, EssG 10 (1976), S. 98. 34 Scheuner, Diskussionsbeitrag, EssG 10 (1976), S. 98. Prononciert noch einmal im Diskussionsverlauf Jurina, Diskussionbeitrag, EssG 10 (1976), S. 119, der aus kath. Sicht eine Freistellung kath. Pfarrerdienstverhältnisse vom staatlichen Arbeitsrecht begründet, obwohl er diese nicht als öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse versteht (vgl. dazu Fn. 32). 35 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 115 f., stellt infrage, ob sich die kath. Kirche für das Dienstrecht ihrer Geistlichen auf die Dienstherrnfähigkeit berufen könne. Abweichend von seiner Linie, dass für Streitigkeiten der ev. Geistlichen und Kirchenbeamten die staatlichen Gerichte zuständig seien, erwägt Weber später, dass das Dienstrecht der kath. Kleriker rein innerkirchliches Recht sei: NJW 1983, S. 2541 (2550). Dabei beruft er sich ausdrücklich auf die kath. Auffassung, dass es sich nicht um ein öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis handele. 36 Gegen eine Vorform der Lehre vom Typenzwang in Weimarer Zeit wandte zu Recht bereits Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (186, 200) ein, dass sie insbesondere mit dem kath. Amtsverständnis kollidiere. 37 Zahlreiche Beispiele aus dem Schrifttum belegen den Hang zu unzulässiger Analogiebildung. Pars pro toto seien nur folgende Beispiele genannt: Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 292 meint, Dienstverhältnisse im Rahmen der Dienstherrnfähigkeit müssten stets durch mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt begründet werden. Dies entspricht dem ev., nicht jedoch dem kath. Kirchenrecht, wonach das Dienstverhältnis nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Weihe begründet wird. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 281, behauptet ohne nähere Begründung, die Prämissen staatlicher Beamtenverhältnisse träfen sich mit den „Direktiven der Religionsfreiheit“ und entsprächen dem „Dienstcharakter religiöser Beschäftigungsverhältnisse“. Schablone ist dabei das ev. Pfarrerdienstverhältnis. Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 146, sagt sogar ganz offen – noch vor der Etablierung der Lehre vom Typenzwang –: „Die historisch-sachliche Entwicklung des kirchlichen Beamtenrechts, die gerade auf ev. Seite weithin mit der Entwicklung des staatlichen Beamtenrechts übereinstimmt, legt es nahe, diese Schranken (sc. der kirchlichen Ämterfreiheit nach Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV) in Art. 33 Abs. 5 GG zu suchen“.
A. Lehre vom Typenzwang
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ihre Dienstverhältnisse traditionell eng an die Maßstäbe des staatlichen Beamtenrechts anlehnt, besagt tatsächlich noch lange nicht, dass dies auch staatsverfassungsrechtlich geboten wäre.38 Die in der evangelischen Kirche praktizierte Orientierung am staatlichen Recht geschieht freiwillig.39 Rechtssoziologisch erklärt sich die weite Verbreitung der Lehre vom Typenzwang schlicht daraus, dass die evangelischen Stimmen im staatskirchenrechtlichen Schrifttum dominieren.40 Die Gefahr unzulässiger Analogie zwischen staatlichem Religionsverfassungsrecht einerseits und kirchlichem Dienst- und Organisationsrecht andererseits wird noch verstärkt durch den Umstand, dass viele im evangelischen Schrifttum anzutreffende Autoren sowohl im Staatskirchen- als auch im Kirchenrecht forschen. Umso wichtiger ist es, klar zwischen beiden Rechtsgebieten zu unterscheiden. 2. Begrifflicher Begründungsansatz als petitio principii In ihrem begrifflichen Begründungsansatz fixiert sich die Lehre vom Typenzwang auf das eigene konfessionelle Vorverständnis; man hat es mit einem Zirkelschluss zu tun.41 Denn der Begriff „Dienstherrnfähigkeit“ wird weder im Verfassungstext noch in den einfachgesetzlichen Bestimmungen ausdrücklich erwähnt. Gesetzlich hat sich die Bezeichnung erst seit dem Loccumer Staatskirchenvertrag zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Kirchen (1955) und in den nachfolgenden Staatskirchenverträgen mit den christlichen Kirchen eingebürgert.42 Der Begriff Dienstherrnfähigkeit geht in erster Linie auf die Lehre zurück. Sie meinte, die von Art. 137 Abs. 5 WRV vermittelte Garantie im Hinblick auf die Geistlichendienstverhältnisse damit treffend zu beschreiben. Wenn nun die Lehre den Begriff der Dienstherrnfähigkeit selbst wie einen Verfassungsbegriff behandelt und daraus den Inhalt der ursprünglichen Garantie ableiten will, so schließt sich der Zirkel: Vorausgesetzt wird – erstens –, dass Art. 137 Abs. 5 WRV die Begründung öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse regele; daraus wird – zweitens – eine 38
So aber die unzulässige Vermischung kirchlicher Traditionen mit religionsverfassungsrechtlichen Anforderungen z. B. bei Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 47 ff. 39 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 125; inkonsequent allerdings an anderer Stelle S. 98. 40 Für diese Dominanz sei nur verwiesen auf die vielzitierte Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht (ZevKR). Das Archiv für katholisches Kirchenrecht (AfkKR) wird hingegen im Schrifttum so gut wie gar nicht zitiert. Die vom Bistum Essen ausgerichteten Essener Gespräche bieten ein gewisses Gegengewicht, sind aber ökumenisch ausgerichtet. 41 Ein besonders prägnantes Beispiel für diesen Zirkelschluss findet sich bei Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 299, der die vermeintliche Zugehörigkeit kirchlicher Dienstverhältnisse zum öffentlichen Dienstrecht zum Anlass nimmt, die Beachtung der Grundsätze des öffentlichen Dienstrechts einzufordern, um auf dieser Basis wiederum den Charakter des Kirchendienstrechts als öffentliches Dienstrecht zu rechtfertigen. 42 Dazu sogleich noch eingehend unter Kapitel 5, A. IV.
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
Bindung an die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gefolgert, die Bindung wiederum soll – drittens – den Typenzwang begründen; der Typenzwang macht – viertens – die Qualifikation als öffentlich-rechtlich zur Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Art. 137 Abs. 5 WRV. 3. Grundsätze des Berufsbeamtentums mehr als soziale Mindestabsicherung Obwohl der kompensatorische Begründungsansatz immerhin die Lehre vom Typenzwang von ihren konfessionellen Wurzeln löst, vermag auch dieser nicht zu überzeugen. Zwar ist es richtig, dass die Befreiung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht nach einer Kompensation verlangt, um eine soziale Mindestabsicherung der Geistlichen und Kirchenbeamten zu gewährleisten. Die Grundsätze vom Berufsbeamtentum gehen aber weit über eine solche Mindestabsicherung hinaus.43 Beamte sind gegenüber Arbeitnehmern vielfach bessergestellt. Dabei dürfte es sich als kaum praktikabel erweisen, aus den Grundsätzen des Berufsbeamtentums das sozialstaatlich Notwendige herauszufiltern. Denn die Grundsätze des Berufsbeamtentums bilden ein Gesamtkonstrukt, dessen einzelne Komponenten sich nur schwer voneinander trennen lassen. Wenn dann die Kompensation auf die wesentlichen Grundsätze des Berufsbeamtentums beschränkt bleiben soll, läuft dies auf eine Verlegenheitslösung hinaus, deren genauer Gehalt im Unklaren bleibt.44 a) Lebenszeitprinzip und beamtenmäßige Altersversorgung Dies gilt beispielsweise für die Ausgestaltung staatlicher Beamtenverhältnisse als prinzipiell lebenslanges Dienstverhältnis.45 Das Lebenszeitprinzip ist eng mit der beamtenmäßigen Altersversorgung und dem Alimentationsprinzip verknüpft. Denn das Lebenszeitprinzip impliziert gerade nicht, dass wirklich auf Lebenszeit Dienste geleistet werden sollen. Nach Erreichen der Regelaltersgrenze werden Lebenszeitbeamte in den Ruhestand versetzt (§ 25 BeamtStG); in der Folge bleiben ihnen aber Alimentationsansprüche erhalten. Es ist allerdings nicht einzusehen, warum diese Art von Altersvorsorge zwingend Voraussetzung dafür sein soll, dass kirchliche Dienstverhältnisse von der Geltung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts entbunden werden können.46 Denn die gesetzlichen Vorgaben zur Befreiung 43
Trotz der protestantischen Perspektive passen daher auch nicht alle Ergebnisse der Lehre vom Typenzwang zum ev. Kirchenrecht. So verlangt Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 299 die Übernahme des Laufbahnprinzips, das für das ev. Pfarrerdienstverhältnis gerade nicht gilt (de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 111). 44 Zur Rede vom „Kernbereich“ einer Rechtsposition vgl. krit. Muckel, JZ 2002, S. 192 (193). 45 Zu dieser Anforderung an kirchliche Dienstverhältnisse Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 38, 134. 46 Wie hier im Ergebnis gegen die Übertragung des Lebenszeitprinzips Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 150.
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von der Sozialversicherungspflicht folgen keineswegs einem Alles- oder NichtsPrinzip.47 Der Gesetzgeber knüpft die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht an bestimmte Voraussetzungen. Damit bringt er zugleich zum Ausdruck, dass ein kircheneigenes Dienstverhältnis auch bei Inanspruchnahme der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen kann.48 Überdies gehört die beamtenmäßige Pensionsversorgung keineswegs zum sozialstaatlich gebotenen Minimum.49 Typisch für die beamtenmäßige Versorgung ist gerade, dass die Ruhestandsbezüge über entsprechende Rentenbezüge hinausgehen. In den Fällen, in denen Landeskirchen die Altersvorsorge ihrer Geistlichen mit Hilfe der gesetzlichen Rentenversicherung gewährleisteten, zahlten die Landeskirchen daher selbst einen entsprechenden Unterschiedsbetrag zur beamtenmäßigen Versorgung.50 b) Amtsangemessene Besoldung Die amtsangemessene Besoldung ist eine weitere in den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums enthaltene Garantie,51 die deutlich über eine soziale Mindestabsicherung hinausgeht.52 Amtsangemessene Besoldung meint etwas grundsätzlich anderes als eine bloße Mindestlohnregelung im öffentlich-rechtlichen Bereich. Vor allem muss die Besoldung der Bedeutung des übertragenen Amts gerecht werden. Die Besoldung muss nach der unterschiedlichen Wertigkeit der übertragenen Ämter abgestuft sein.53 Derartige Anforderungen kann der Staat nicht auf die Kirche übertragen, ohne dass er seine religiöse Neutralität verletzt und unzulässig in die Autonomie der Religionsgesellschaften eingreift.54 Welche Bedeutung welchem Amt zukommt, können die Religionsgesellschaften nur selbst entscheiden. Dem Staat kommt es noch nicht einmal zu, den Religionsgesellschaften überhaupt aufzuerlegen, ein hierarchisch gestuftes System unterschiedlicher Besoldung aufzuerlegen. Wenn es der 47
Dazu Kapitel 7, B. II. 1. Wie hier Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 137 WRV Rn. 24; ebenso im Grundsatz Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (265), der gleichwohl eine Ausfallgarantie der Kirche zugunsten ihrer Geistlichen und Kirchenbeamten für den Fall verlangt, dass die gesetzliche Rentenversicherung keine beamtenmäßige Versorgung gewährleiste. 49 So aber Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 134. 50 Hermann Weber, ZevKR 22 (1977), S. 346 (348). 51 Zu dieser Anforderung an kirchliche Dienstverhältnisse Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 38. 52 Deshalb ist es schief, wenn de Wall, ZevKR 49 (2004), S. 369 (381) einer eingeschränkten Bindung der Kirchen an den Alimentationsgrundsatz entnehmen will, dass die Versorgung der Beschäftigten im Kirchendienstverhältnis nicht unter Sozialhilfeniveau sinken dürfe. Hier zeigt sich einmal mehr, dass eine konsequente Reduzierung der Grundsätze des Berufsbeamtentums dazu führt, dass von ihrem eigentlichen Inhalt nichts übrigbleibt. Dann ist es aber auch nicht konsequent, überhaupt von einer Bindung an die Grundsätze des Berufsbeamtentums auszugehen. 53 BVerfGE 130, 263 (293). 54 de Wall, ZevKR 49 (2004), S. 369 (380 f.); anders Säcker, DVBl 1969, S. 5 (8). 48
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
Religionsgesellschaft passend erscheint, alle ihre Amtsträger gleich zu entlohnen, gibt es dagegen von staatlicher Seite nichts zu erinnern. Die beamtenrechtliche Alimentation geht auch insofern weit über die Mindeststandards des Sozialstaatsprinzips hinaus, als sie, anders als es zwischen Arbeitslohn und Arbeitsleistung der Fall ist, keine synallagmatische Verknüpfung zwischen Dienstleistung und Besoldung kennt.55 Für das Beamtenrecht folgt hieraus beispielsweise, dass die Besoldung auch im Krankheitsfalle zu gewähren ist, weil es sich eben um eine Unterhaltsleistung handelt.56 Demgegenüber sind Arbeitnehmer mit dem auf sechs Wochen begrenzten Entgeltfortzahlungsanspruch (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) deutlich schlechter gestellt. c) Regelung durch Gesetz Nach heute57 einhelligem Verständnis wird das Beamtenverhältnis nicht auf vertraglicher Grundlage, sondern einseitig durch Gesetz geregelt.58 Privatrechtliche Vereinbarungen sind insoweit ausgeschlossen.59 Das lässt sich bereits deshalb nicht vollständig auf Religionsgesellschaften übertragen,60 weil diese kein Recht haben, einseitig Dienstverhältnisse zu begründen.61 Allerdings entspricht es katholischem wie evangelischem Kirchendienstrecht, dass der Inhalt des Dienstverhältnisses durch einseitig abänderbares Kirchengesetz geregelt wird, sich der Bedienstete also mit der Aufnahme des entsprechenden Dienstverhältnisses einer entsprechenden einseitigen Änderungsbefugnis des Dienstherrn unterwirft. Es ist jedoch nicht einsichtig, warum die Religionsgesellschaften von Verfassungs wegen zu einer derartigen Konstruktion gezwungen sein sollen. Wenn die Dienstherrnfähigkeit vor allem die Absicherung religiöser Freiheit bei der Ausgestaltung von Dienstverhältnissen bezweckt, gibt es keinen Grund, warum diese Freiheit nicht auch durch den Entwurf eines eigenen kirchlichen Dienstvertragsrechts gewährleistet sein könnte. Die Position der Bediensteten würde hierdurch gestärkt.62 55
So aber Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 47 f. Wacke, AöR 74 (1948), S. 438 (454). 57 A. A. noch Laband, Staatsrecht I, S. 401 f. 58 Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 33 Rn. 53; Battis, in: Ehlers / Fehling / Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht III, 32013, § 87 Rn. 25; Reich, BeamtStG, § 3 Rn. 3. 59 BVerwGE 91, 200 (203). 60 Zu dieser Anforderung an kirchliche Dienstverhältnisse Hübner, Pfarrer in der Sozial versicherung, S. 39. 61 Zur heteronomen Legitimation dieser Dienstverhältnisse sogleich noch eingehend unter Kapitel 6, B. III. 62 Insofern widersprüchlich die Position von Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 38 f., der zwar den Typenzwang als dem Sozialstaatsprinzip entsprechende Kompensation für die Befreiung vom Arbeits- und Sozialrecht versteht (S. 38), zugleich aber auf der Ausgestaltung des Dienstverhältnisses durch Gesetz beharrt (S. 39). 56
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In der Praxis handhaben es beispielsweise die jüdischen Gemeinden so, dass sie mit ihren Rabbinern zwar Dienstverträge aushandeln; dabei weichen sie aber teils vom zwingenden staatlichen Arbeits- und Sozialrecht ab.63 Diese Dienstverhältnisse ähneln im Ergebnis in vielerlei Hinsicht den Geistlichen- bzw. Kirchenbeamtenverhältnissen der christlichen Kirchen. Nicht nachvollziehbar ist, warum die jüdischen Gemeinden mit Körperschaftsstatus von der Inanspruchnahme der Dienstherrnfähigkeit nur deshalb ausgeschlossen sein sollten, weil sie die entsprechenden Regelungen mit ihren Rabbinern vertraglich vereinbaren, anstatt ein Kirchengesetz gleichen Inhalts zu erlassen. Zu Recht hat daher das Arbeitsgericht Freiburg im Breisgau in einem Fall eine Ausübung der Dienstherrnfähigkeit angenommen, obwohl der Rabbiner mit seiner Gemeinde einen Dienstvertrag geschlossen hatte.64 4. Inkonsequente Umsetzung der Lehre vom Typenzwang Die Lehre vom Typenzwang ist schließlich niemals konsequent zu Ende geführt worden. Denn wesentlich für staatliche Beamtenverhältnisse sind nicht nur das Lebenszeitprinzip und die amtsangemessene Besoldung. Mindestens genauso entscheidend ist, dass das Beamtenverhältnis grundsätzlich jedem nach seiner fachlichen Eignung und Befähigung in gleicher Weise offensteht (Art. 33 Abs. 2 GG). Davon kann im Hinblick etwa darauf, dass Frauen in der katholischen Kirche vom geistlichen Amt ausgeschlossen sind, bei kirchlichen Dienstverhältnissen keine Rede sein.65 Bei allem Streit über den Umfang staatlicher Justizgewährleistung dürfte auch Einigkeit herrschen, dass vor staatlichen Gerichten keine Konkurrentenklage um kirchliche Ämter erfolgreich sein kann (vgl. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV). Wenn aber die Berücksichtigung kirchlicher Freiheiten dazu führt, dass selbst grundlegende Prinzipien des staatlichen Beamtenrechts – etwa die Gleichbehandlung von Mann und Frau – für die Kirchen am Ende doch nicht zur Anwendung gelangen können, dann ist es auch nicht sinnvoll, eine Vergleichbarkeit kirchlicher Dienst- und staatlicher Beamtenverhältnisse zu behaupten.
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Dazu oben Kapitel 2, C. II. ArbG Freiburg (Breisgau), KirchE 57, 194 (198). Auf Grundlage der früheren bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung versagte das ArbG sodann den Zugang zu den staatlichen Gerichten (S. 199). 65 Aus diesem Grunde bereits krit. zu Vorformen der Lehre vom Typenzwang in Weimarer Zeit Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (186). 64
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
IV. Typenzwang im Geltungsbereich der „Öffentlicher-Dienst-Klausel“? Die Lehre vom Typenzwang gibt den verfassungsrechtlichen Gehalt der religions gesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit nach dem Zuvorgesagten nicht zutreffend wieder. Fraglich ist allerdings, ob Kirchen ausnahmsweise im Geltungsbereich der „Öffentlicher-Dienst-Klausel“ einschlägiger Staatskirchenverträge an die wesentlichen Grundsätze des staatlichen öffentlichen Dienstrechts gebunden sind. Die Klausel zum öffentlichen Dienst findet sich heute in der Mehrzahl der Staatskirchenverträge mit der katholischen und der evangelischen Kirche. Sie fehlt allerdings in den frühen Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, so namentlich im Reichskonkordat66 (1933), im badischen Kirchenvertrag sowie im badischen Konkordat67 (1932), im Vertrag zwischen Preußen und den evangelischen Landeskirchen68 (1931), im bayerischen Konkordat und in den bayerischen Verträgen mit den evangelischen Kirchen69 (1924). Soweit ersichtlich findet sie sich zum ersten Mal im so genannten „Loccumer Vertrag“ zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen70 (1955). Demnach „bleibt“ der kirchliche Dienst „öffentlicher Dienst“71. Auffällig ist, dass die Klausel im zehn Jahre später abgeschlossenen Konkordat des Heiligen Stuhls mit dem Land Niedersachsen72 (1965) fehlt. Mit der weiteren Ausnahme des Vertrags zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der lippischen Landeskirche73 (1958) findet sich die Klausel zum öffentlichen Dienst aber nach Vorbild des Loccumer Vertrags in allen weiteren Staatsverträgen mit der evangelischen und der katholischen Kirche, in denen die Verhältnisse zwischen Staat und Kirche umfassend geregelt werden. Die Klausel zum Dienstrecht ist damit nur ein Beispiel dafür, dass der Loccumer 66 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich v. 20.7.1933, RGBl II, S. 679 ff. 67 Vertrag des Freistaates Baden mit der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens v. 14.11.1932, GVBl 1933, S. 31; Vertrag (Konkordat) des Freistaates Baden mit dem Heiligen Stuhl v. 12.10.1932, GVBl 1933, S. 19. 68 Vertrag des Freistaates Preußen mit den Evangelischen Landeskirchen v. 11.5.1931, GS S. 107. 69 Konkordat zwischen seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staat Bayern v. 29.3.1924, BayGVBl 1925, S. 53, zuletzt geändert durch Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern v. 8.6.1988, BayGVBl S. 241; Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Vereinigten protestantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz v. 15.11.1924, BayGVBl 1925, S. 65; Vertrag zwischen dem Bayerischen Staat und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins v. 15.11.1924, BayGVBl 1925, S. 21. 70 Vertrag des Landes Niedersachsen mit den Evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen v. 19.3.1955, GVBl S. 159 (im Folgenden: LoccV). 71 Art. 1 Abs. 2 S. 2 a. E. LoccV. 72 Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhle und dem Lande Niedersachsen v. 26.2.1965, GVBl S. 191. 73 Vertrag des Landes Nordrhein-Westfalen mit der Lippischen Landeskirche v. 6.3.1958, GV.NW S. 205.
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Vertrag richtungsweisend für die weiteren Staatskirchenverträge war.74 In den Verträgen mit den jüdischen Gemeinden finden sich keine entsprechenden Klauseln. Die Terminologie in den einschlägigen Verträgen ist nicht ganz einheitlich. Häufig wird festgestellt: „Kirchlicher Dienst ist öffentlicher Dienst“ 75. In jüngerer Zeit findet sich diese Feststellung oftmals ergänzt um die Einschränkung „eigener Art“76. In einzelnen Verträgen – ausschließlich mit der evangelischen Kirche – 74
v. Campenhausen, AfkKR 177 (2008), S. 479. Baden-Württemberg: Art. 17 Abs. 3 Vertrag des Landes Baden-Württemberg mit der Evangelischen Landeskirche in Baden und mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg v. 17.10.2007, GBl.BW 2008, S. 1 – eine entsprechende Klausel in den Verträgen mit der kath. Kirche fehlt; Hessen: Art. 1 Abs. 4 a. E. Vertrag des Landes Hessen mit den Evangelischen Landeskirchen in Hessen v. 18.2.1960, GVBl S. 54; Art. 1 Abs. 2 Vertrag zur Ergänzung des Vertrages des Landes Hessen mit den Katholischen Bistümern in Hessen v. 29.3.1974, GVBl S. 388; Mecklenburg-Vorpommern: Art. 1 Abs. 4 S. 1 Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche v. 20.1.1994, GVOBl M-V S. 559 – ergänzt um eine erweiterte Klausel zur Kirche als öffentlichem Dienstherrn in S. 2; Art. 15 Abs. 2 S. 1 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Mecklenburg-Vorpommern v. 15.9.1997, GVBl 1998, S. 2; Niedersachsen: Art. 1 Abs. 2 S. 2 LoccV; Rheinland-Pfalz: Art. 2 Abs. 3 a. E. Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den Evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz v. 3.3.1962, GVBl S. 173; Art. 1 Abs. 3 Vertrag zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Erzbistum Köln sowie den Bistümern Limburg, Mainz, Speyer und Trier über Fragen der Rechtsstellung und Vermögensverwaltung der Katholischen Kirche v. 18.9.1975, GVBl S. 398; Sachsen: Art. 9 Abs. 1 a. E. Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen v. 24.3.1994, SächsGVBl S. 1253; Art. 15 Abs. 1 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen v. 2.7.1996, SächsGVBl 1997, S. 17; Sachsen-Anhalt: Art. 8 Abs. 1 Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt v. 15.9.1993, GVBl LSA S. 172; Art. 14 Abs. 1 a. E. Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt v. 31.3.1998, GVBl S. 160; Schleswig-Holstein: Art. 2 Abs. 2 S. 2 Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in SchleswigHolstein v. 23.5.1957 i. d. F. d. Bek. v. 31.12.1971, GVOBl Schl.-H. S. 182; Thüringen: Art. 7 Abs. 1 a. E. Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Thüringen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, der Evangelischen Kirche von Kurhessen Waldeck sowie der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens v. 15.3.1994, GVBl S. 509; Art. 6 Abs. 1 a. E. Staatsvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen v. 11.6.1997, GVBl S. 266. 76 Berlin: Art. 10 Abs. 1 a. E. Vertrag des Landes Berlin mit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz v. 20.2.2006, GVBl (BE) S. 715; Brandenburg: Art. 7 Abs. 1 a. E. Vertrag zwischen dem Land Brandenburg und den evangelischen Landeskirchen in Brandenburg v. 8.11.1996, GVBl I 1997 S. 4; Art. 11 Abs. 1 S. 2 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg v. 12.11.2003, GVBl I 2004, S. 223; Bremen: Art. 6 Abs. 1 a. E. Vertrag der Freien Hansestadt Bremen mit den Evangelischen Kirchen in Bremen v. 31.10.2011, GBl 2002 S. 15; Hamburg: Art. 2 Abs. 1 S. 2 Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche v. 29.11.2005, GVBl 2006, S. 429 – ergänzt um eine erweiterte Klausel zur Kirche als öffentlichem Dienstherrn in S. 3; Art. 12 Abs. 1 S. 1 a. E. Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Heiligen Stuhl v. 29.11.2005, GVBl 2006, S. 435; Schleswig-Holstein: Art. 12 Abs. 2 S. 1 a. E. Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und dem Heiligen Stuhl v. 12.1.2009, GVOBl Schl.-H. S. 264. 75
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
werden die Kirchen als „Dienstherren nach öffentlichem Recht“77 bezeichnet. In einigen Schlussprotokollen findet sich die Forderung, dass die Kirchen „unter Wahrung der kirchlichen Eigenart“ die Regelungen des staatlichen Dienstrechts „in ihren Grundsätzen“ übernehmen sollen.78 Einzelne Schlussprotokolle legen fest, dass Betroffenen aus dem Wechsel zwischen kirchlichem und staatlichem Dienst keine oder nicht unverhältnismäßige Nachteile entstehen sollen.79 Allgemeiner heißt es an anderer Stelle, dass das Land bei seiner Gesetzgebung und Verwaltung dem Charakter des kirchlichen Dienstes als öffentlicher Dienst Rechnung tragen soll.80 Wie dieser Überblick zeigt, lässt sich die „Öffentlicher-Dienst-Klausel“ in ganz verschiedene Richtungen deuten. Zum einen mag man sie tatsächlich als Beschränkung der Kirchen bei der Ausgestaltung ihres Dienstrechts verstehen. Dafür sprechen einige – wenig konkrete – Protokollerklärungen, wonach die Kirche ihr Dienstrecht nach Möglichkeit an das staatliche Dienstrecht angleichen soll. Andererseits mag man sie auch als Forderung an die Bundesländer verstehen, im Hinblick auf Anrechnungs- und Übernahmebestimmungen den kirchlichen Dienst dem (staatlichen) öffentlichen Dienst gleichzustellen. Dafür sprechen diejenigen Protokollerklärungen, die sich gegen unangemessene Nachteile bei dem Wechsel zwischen dem kirchlichen und dem staatlichen Dienst wenden. Schließlich kann man die Klausel auch als bloße „Prestigeerklärung“ werten, die eine ideelle „Gleichwertigkeit“ des kirchlichen mit dem staatlichen Dienst ausdrücken soll.
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Hamburg: Art. 2 Abs. 1 S. 3 Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (Fn. 76); Mecklenburg-Vorpommern: Art. 1 Abs. 4 S. 1 Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Evangelisch-Luthe rischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche (Fn. 75). 78 Brandenburg: Schlussprotokoll zu Art. 11 Abs. 1, Abs. 1 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg (Fn. 76) – eine entsprechende Klausel im Vertrag mit der ev. Kirche fehlt; Sachsen (ähnlich): Schlussprotokoll zum Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und den evangelischen Landeskirchen im Freistaat Sachsen (Fn. 75); Schlussprotokoll zu Art. 15 Abs. 1 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen (Fn. 75); Sachsen-Anhalt: Schlussprotokoll zu Art. 8 Abs. 1, Abs. 1 Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt (Fn. 75); Schlussprotokoll zu Art. 14 Abs. 1, Abs. 1 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Sachsen-Anhalt (Fn. 75). 79 Brandenburg: Schlussprotokoll zu Art. 11 Abs. 1, Abs. 3 Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Land Brandenburg (Fn. 76) – eine entsprechende Klausel im Vertrag mit der ev. Kirche fehlt; Thüringen: Schlussprotokoll zu Art. 7 Abs. 1 Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Thüringen und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sowie der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Fn. 75); Schlussprotokoll zu Art. 6 Abs. 1 Staatsvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen (Fn. 75). 80 Rheinland-Pfalz: Schlussprotokoll zu Art. 2 Abs. 3 letzter Hs. Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den Evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz (Fn. 75); Schlussprotokoll zu Art. 1 Abs. 3 Vertrag des Landes Rheinland-Pfalz mit den Evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz v. 3.3.1962, GVBl S. 173; Art. 1 Abs. 3 Vertrag zwischen dem Land RheinlandPfalz und dem Erzbistum Köln sowie den Bistümern Limburg, Mainz, Speyer und Trier über Fragen der Rechtsstellung und Vermögensverwaltung der Katholischen Kirche (Fn. 75).
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Ein Blick auf die Staatspraxis zeigt zunächst, dass sich die Klausel im Wesentlichen als wirkungslos erwiesen hat. Zwar ermöglichen verschiedene landesrechtliche Bestimmungen die Anerkennung bzw. Anrechnung von Zeiten im kirchlichen Dienst.81 Diese Regelungen knüpfen aber nicht an die „Öffentlicher-Dienst-Klausel“ an. Sie gelten allgemein für alle öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften. Typischerweise stellen sie Dienstzeiten im kirchlichen Dienst auch nicht völlig mit Dienstzeiten im staatlichen Dienst gleich. Ähnliche Anrechnungsklauseln gibt es auch für sonstige Dienstzeiten im nicht-staatlichen Dienst, beispielsweise für die Tätigkeit als Rechtsanwalt oder die Anstellung als Fraktionsmitarbeiter.82 Umgekehrt hatte die „Öffentlicher-Dienst-Klausel“ keinen erkennbaren Einfluss auf die Ausgestaltung des kirchlichen Dienstrechts. Die evangelische Kirche lehnt ihr Dienstrecht traditionell ohnehin an das staatliche Dienstrecht an. In der katholischen Kirche ist dagegen die weltkirchliche Regelung der Klerikerdienstverhältnisse durch den Codex Iuris Canonici unberührt geblieben. Im Hinblick auf beide Kirchen konnte und kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass die Bediensteten in einem ähnlich privilegierten Dienstverhältnis stünden wie staatliche Beamte oder auch Angestellte im öffentlichen Dienst. Denn sowohl im Hinblick auf die kirchenrechtlich Beschäftigten als auch im Hinblick auf die Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag nach staatlichem Recht gewährleistet die Rechtsprechung faktisch – wenn überhaupt – nur einen beschränkten Rechtsschutz, der weit hinter das Schutzniveau für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft zurückfällt. Kirchlicher Dienst ist daher kein öffentlicher Dienst im allgemeinen Sinne.83 Konkrete politische Bemühungen, gegenüber den Kirchen eine stärkere Anlehnung an das staatliche Dienstrecht durchzusetzen – insbesondere im Hinblick auf den Rechtsschutz –, sind nicht erkennbar. Kirche und Staat scheinen sich mit dem Status quo arrangiert zu haben. Die Klausel zum öffentlichen Dienst lässt sich daher nur im Kontext der 1950erJahre und des Loccumer Vertrags verstehen, durch den sie erstmals in das Staats 81 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Baden-Württemberg: § 23 Abs. 5 Nr. 1 LBG; Berlin: § 11 Nr. 1 lit. b LBeamtVG; Brandenburg: § 26 Abs. 1 Nr. 1 BbgBesG; § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BbgBeamtVG; Bremen: § 11 Abs. 1 Nr. 2 BremBeamtVG; Hamburg: § 28 Abs. 1 Nr. 1 HmbBesG; § 11 Nr. 1 lit. a HmbBeamtVG; Hessen: § 29 Abs. 1 Nr. 1 HBesG; § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. a HBeamtVG; Mecklenburg-Vorpommern: § 11 Abs. 1 Nr. 1 lit. b LBeamtVG; Niedersachsen: § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NBeamtVG; Nordrhein-Westfalen: § 10 Nr. 1 lit. a LBeamtVG; Rheinland-Pfalz: § 17 Nr. 1 lit. b LBeamtVG; Saarland: § 11 Nr. 1 lit. b SBeamtVG; § 73 Abs. 4 S. 2 SBeamtVG; Sachsen: § 28 Abs. 1 Nr. 1 SächsBesG; § 89 Abs. 8 Nr. 3 SächsBeamtVG; SachsenAnhalt: § 11 Nr. 1 lit. b BeamtVG; § 24 Abs. 1 Nr. 1 LBesG; Schleswig-Holstein: § 11 Abs. 1 Nr. 1 LBeamtVG; § 28 Abs. 1 Nr. 2 LBesG; Thüringen: § 17 Abs. 1 Nr. 2 ThürBeamtVG. 82 Daher entspricht die Behauptung von Germann, in: BeckOK-GG, Art. 140 (Stand: 1.7.2017) Rn. 99, mit der Behandlung des kirchlichen Dienstes als öffentlichen Dienstes werde der Wechsel vom staatlichen in den kirchlichen Dienst und umgekehrt erleichtert, nicht in jeder Hinsicht der Rechtslage. 83 Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 123; Scheven, ZBR 1964, S. 289 (294); a. A. Mayer-Maly, EssG 10 (1976), S. 127 (134); Germann, in: BeckOK-GG, Art. 140 (Stand: 1.7.2017) Rn. 99.
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
kirchenvertragsrecht eingeführt wurde. Loccum ist damit ein „Erinnerungsort“84 der staatskirchenrechtlichen Entwicklung. Der Loccumer Vertrag zeichnet sich dadurch aus, dass er vielfach evangelische kirchenrechtliche Terminologie übernommen hat.85 Er hat sich damit von den katholischen Konkordaten emanzipiert.86 Der Wunsch, den kirchlichen Dienst als „öffentlichen Dienst“ zu bezeichnen, ging bei den Loccumer Verhandlungen von der evangelischen Kirche aus.87 Der Loccumer Vertrag betont überhaupt an mehreren Stellen die „Öffentlichkeit“ der Kirche. Bereits in der Präambel ist vom „Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen“ die Rede. Dieser in der evangelischen Theologie geprägte Begriff88 betont die Wirksamkeit der Kirchen im öffentlichen Bereich, deren Berechtigung der Staat anerkennt.89 Anders als zu Weimarer Zeit wurde diese öffentliche Wirksamkeit im Loccumer Vertrag aber nicht mit verstärkten staatlichen Aufsichtsrechten verbunden. Grundlegend für den Loccumer Vertrag ist gerade die Abkehr von der bisher behaupteten staatlichen Kirchenhoheit als eines umfassenden Rechts staatlicher Aufsicht und Kontrolle.90 Die „Grundstimmung“ des Vertrags ist das freundschaftliche Verhältnis von Staat und Kirchen.91 Sein zentrales Ergebnis im Vergleich zur früheren Rechtslage ist der „radikale Abbau der staatlichen Rechte“92. Dieses Gesamtgepräge spricht dagegen, der Klausel zum öffentlichen Dienst besondere Bindungen der Kirchen bei der Ausgestaltung ihres Dienstrechts zu entnehmen. Heute ist die Zulässigkeit öffentlichen Wirkens der Kirchen grundrechtlich garantiert und eine „bare Selbstverständlichkeit“93. Aus dem grundrechtlich geschützten freien Zugang zur Öffentlichkeit lässt sich aber nicht ableiten, dass die kirchlichen Rechtsverhältnisse zum öffentlichen Recht gehören.94 Öffentlichkeitsanspruch und Körperschaftsstatus stehen in keinem untrennbaren Zusammenhang.95 Über 84
Waldhoff / Rennert, NdsVBl 2016, S. 33. v. Campenhausen, AfkKR 177 (2008), S. 479 (483). 86 Scheuner, ZevKR 6 (1957/58), S. 1. 87 Konrad Müller, DÖV 1955, S. 421 (424). 88 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 79; Klostermann, in: HdbEvKR, § 22 Rn. 1. 89 v. Campenhausen, AfkKR 177 (2008), S. 479 (489). 90 Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 78; v. Campenhausen, AfkKR 177 (2008), S. 479 (491); Radtke, NdsVBl 1995, S. 157 (158); Thieme, DVBl 1955, S. 273; a. A. Scheuner, ZevKR 6 (1956/57), S. 1 (25). 91 Waldhoff / Rennert, NdsVBl 2016, S. 33 (35). 92 Thieme, DVBl 1955, S. 273 (275). 93 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 191; ähnlich Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (305). 94 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 88. 95 Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, S. 133; a. A. Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 49 f., 60. Ob der Öffentlichkeitsanspruch durch den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts tatsächlich noch einmal besonders betont wird – so etwa Kästner, in: BK, Art. 140 (Stand: 145. EL 2010) Rn. 376 – ist zweifelhaft: Die Rspr. zu den Äußerungsbefugnissen der kirchlichen Sektenbeauftragten legt 85
A. Lehre vom Typenzwang
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dies besteht schon auf staatlicher Ebene kein einheitliches öffentliches Dienstrecht.96 Die Tarifbeschäftigten sind ebenfalls Teil des öffentlichen Dienstes. Schon deshalb kann der „Öffentlicher-Dienst-Klausel“ nicht entnommen werden, dass die Kirchen dazu verpflichtet wären, ihr Dienstrecht an das staatliche Beamtenrecht anzulehnen. Schließlich ist die Überhöhung der Staatskirchenverträge als „authentische Auslegung des geltenden Staatskirchenrechts“97 abzulehnen.98 Die „koordinationsrechtliche Aufladung“99 des Loccumer Vertrags ist überholt. Mit der staatlichen Souveränität ist es unvereinbar, das staatliche Religionsverfassungsrecht durch „eine quasi-völkerrechtliche Rechtsordnung (…) abzulösen“100. Derartige Forderungen entsprechen auch nicht dem geltenden Verfassungsrecht. Staatskirchenverträge erhalten ihre Bindungswirkung durch Transformationsgesetz, sodass sie den Rang eines formellen Landesgesetzes haben.101 Die verfassungsrechtlichen Garantien wie hier die Dienstherrnfähigkeit sind daher als höherrangiges Recht unabhängig von den staatskirchenrechtlichen Bestimmungen auszulegen. Die Verklärung des Loccumer Vertrags zum „Leuchtturm in der Entwicklung des Staatskirchenrechts“102 trägt insofern eher zur Verdunkelung der verfassungsrechtlichen Lage bei.
V. Zwischenergebnis zur Lehre vom Typenzwang Die Lehre vom Typenzwang bemüht sich um eine spezifisch religionsverfassungsrechtliche Begrenzung der mit der Dienstherrnfähigkeit einhergehenden Befreiung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht. Sie beruht jedoch im Wesentlichen auf der unzulässigen Übertragung kirchlicher Rechtstraditionen, die sich im evangelischen Bereich gebildet haben, auf den Anforderungskatalog des Religionsverfassungsrechts. Sie lässt sich auch nicht als kompensatorisch-sozialstaatliche Begrenzung der Entbindung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht begründen. Der soziale Mindeststandard, den sie aufstellt, geht weit über eine soziale Mindestjedenfalls das Gegenteil nahe, denn hier hat der BGH aus deren vermeintlich öffentlich-rechtlichem Wirken auf eine stärkere Beschränkung der Äußerungsbefugnisse geschlossen, als sie für Privatpersonen gelten (vgl. dazu Kapitel 9, A. II.2.). 96 Daher auch nicht richtig die Einschätzung von Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 293, dass die Problematik des kirchlichen Dienstes als „öffentlicher Dienst“ mit der Frage nach dem Typenzwang verknüpft sei. 97 So zum LoccV Smend, JZ 1956, S. 50. 98 Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 289 (300 f., Fn. 104). 99 Waldhoff / Rennert, NdsVBl 2016, S. 33 (35). 100 So die Deutung des LoccV von Thieme, DVBl 1955, S. 273 (274). 101 Classen, Religionsrecht, Rn. 76; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 361; Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 253; Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 140 (Stand: 74. EL 2015) Rn. 25. Vgl. BVerfGE 123, 148 (171); a. A. – jedenfalls keine Anwendbarkeit der lex-posterior-Regel – Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (83 f.). 102 v. Campenhausen, in: Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, In Freiheit verbunden, S. 57.
160
5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
absicherung hinaus. Warum die Entbindung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht nur denkbar ist, wenn noch höhere soziale Mindestanforderungen akzeptiert werden, ist nicht ersichtlich.
B. Lehre von der Dienstgemeinschaft Die Lehre von der Dienstgemeinschaft spielt vor allem im kirchlichen Arbeitsrecht eine wichtige Rolle, und zwar sowohl für die katholische als auch für die evangelische Kirche. Bisher wenig beachtet wurde, dass verschiedene Folgerungen, die sich aus der Lehre von der Dienstgemeinschaft ableiten lassen, im Widerspruch zur Lehre vom Typenzwang stehen.
I. Theologischer Ausgangspunkt: Dienstgemeinschaft in der Nachfolge Christi Die Lehre von der Dienstgemeinschaft greift unmittelbar auf theologische Überzeugungen zurück. Die Vorstellung einer kirchlichen Dienstgemeinschaft fußt auf dem Gedanken des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen.103 Grundlegend war ein Beitrag von Werner Kalisch, der kurz nach Inkrafttreten des Grundgesetzes entstanden ist. Darin rief Kalisch in Erinnerung, dass aus theologischer Perspektive nicht nur der Dienst der Geistlichen, sondern auch der Dienst der übrigen Amtsträger und Bediensteten, insbesondere auch der im karitativen Bereich Beschäftigten, einheitlicher Dienst in der Nachfolge Christi ist. Denn „alle noch so verschiedenen Funktionen des einen Dienstes“ bezeugten die frohe Botschaft und ließen so eine „große Gemeinschaft des Dienstes“104 entstehen. Hieraus leitete Kalisch ab, dass die Kirchen berechtigt seien, ein eigenständiges kirchliches Dienstrecht auch für die Angestellten und Arbeiter der Kirche zu entwickeln.105 Aus kirchlicher Perspektive forderte er zugleich, dass ein solches übergreifendes kirchliches Dienstrecht geschaffen werde.106
103
v. Campenhausen, EssG 18 (1984), S. 9 (24). Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), S. 24 (31). Dieses Selbstverständnis wird von den staatlichen Gerichten durchgehend anerkannt, vgl. nur BAGE 30, 247 (252; 255); 34, 195 (203); 45, 250 (254); 47, 144 (148); 139, 144 (149). 105 Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), S. 24 (30). Inkonsequent sind allerdings die späteren Ausführungen (S. 56), wonach die Kirchen für das Dienstrecht der Arbeiter und Angestellten auf die Prinzipien des Vertragsrechts – also auf ein kircheneigenes Vertragsrecht – festgelegt seien. Insofern kann die Position von Kalisch auch als eine Art Lehre vom „doppelten Typenzwang“ gedeutet werden. 106 Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), S. 24 (32, 50). 104
B. Lehre von der Dienstgemeinschaft
161
II. Juristische Folgerungen: Entwicklung eines kirchlichen Arbeitsrechts Die am weitesten reichenden Folgerungen aus diesen Überlegungen hat der katholische Rechtshistoriker und Arbeitsrechtler Theo Mayer-Maly gezogen. Nach seiner Auffassung erstreckt sich die kirchliche Rechtsetzungsbefugnis nicht nur auf die Dienstverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten, sondern auch auf die Arbeitsverhältnisse von Angestellten und Arbeitern im kirchlichen Dienst.107 Anders als Kalisch zog Mayer-Maly hieraus den Schluss, dass Kirchenrecht auch als Privatrecht denkbar sei, nämlich in der Form kirchlichen Arbeitsrechts.108 Werde solches von der Kirche erlassen, sei es anstelle der staatlichen Normen anzuwenden. Allenfalls die „elementaren Prinzipien“109 des staatlichen Rechts setzten dem kirchlichen Arbeitsrecht eine Grenze. Ausdrückliche Erwähnung findet in diesem Zusammenhang der Maßstab des odre public.110 In ihrer weitreichenden Konzeption gehen die Überlegungen von Mayer-Maly weit über den damaligen wie heutigen common sense des Religionsverfassungsrechts hinaus. Keine der beiden Amtskirchen hat bisher ein einheitliches kirchliches Dienstrecht tatsächlich entwickelt.111 Es sollte gleichwohl nicht übersehen werden, dass manche Tendenzen im kirchlichen Arbeitsrecht durchaus in die Richtung gehen, die Mayer-Maly gewiesen hat. So ist seit langem anerkannt, dass bei Beschäftigungsverhältnissen mit kirchlichen Arbeitgebern weitreichende religionsverfassungsrechtliche Besonderheiten gelten.112 Die katholische Kirche hat den Begriff der Dienstgemeinschaft in Art. 1 S. 1 GrOkathK zum Grundprinzip für den kirchlichen Dienst erklärt.113 Die Grundordnung für den kirchlichen Dienst mitsamt ihren umstrittenen Bestimmungen zu den Loyalitätspflichten kirchlicher Beschäftigter hat den Rang eines Kirchengesetzes. Kirchengesetzliche Bestimmungen sind außerdem im kollektiven Arbeitsrecht der Kirchen verbreitet und verdrängen hier beispielsweise das Mitbestimmungsrecht (§ 118 Abs. 2 BetrVG). Damit gibt es zumindest Ansätze für ein kirchliches Arbeitsrecht, das zwar nicht sämtliche Fragen regelt und damit nicht ohne das staatliche Recht auskommt, wohl aber wichtige Teilbereiche des Arbeitsverhältnisses selbständig ordnet.
107
Mayer-Maly, BB-Beil. 3/1977, S. 4. Mayer-Maly, BB-Beil. 3/1977, S. 5; ausdrücklich a. A. Hermann Weber, NJW 1989, S. 2217 (2222). 109 Mayer-Maly, BB-Beil. 3/1977, S. 6. 110 Mayer-Maly, BB-Beil. 3/1977, S. 6. 111 Im kanonischen Recht lassen sich aber Ansätze eines eigenen Laiendienstrechts finden, vgl. dazu Pree, in: FS Schwendenwein (1986), S. 467 (472). 112 Vgl. dazu die Leitentscheidungen BVerfGE 70, 138; 137, 273 – Loyalitätspflichten; BAGE 143, 354 – Streikrecht und so genannter „Dritter Weg“; im Einzelnen Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, passim. 113 Vgl. auch den programmatischen Titel der Ausarbeitung von Richardi, FS Rüfner (2003), S. 727 ff. 108
162
5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
Vor allem im katholischen Schrifttum ist – ohne die weitreichenden Überlegun gen Mayer-Malys zu übernehmen – zudem immer wieder dessen Ausgangspunkt vertreten worden, dass nämlich kirchliches Arbeitsrecht normiert werden könne, womit eine Befreiung der Kirchen vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht einhergehe.114
III. Rezeption durch das Bundesverfassungsgericht In diese Richtung geht auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit kirchlicher Loyalitätsanforderungen.115 In seinem 1985 ergangenen Grundsatzurteil zu kirchlichen Beschäftigungsverhältnissen hatte sich das Bundesverfassungsgericht zwar noch ausdrücklich dazu bekannt, privatrechtliche Arbeitsverträge zwischen der Kirche und ihren Beschäftigten dürften nicht „klerikalisiert“116 werden. Die ausdrückliche Bezugnahme auf das Konzept der Dienstgemeinschaft117 birgt indes eben diese Gefahr in sich. Denn ausgehend vom Pries-
114 Listl, DÖV 1989, S. 409 (412), vertrat die Ansicht, dass die Entwicklung eines eigenkirchlichen Arbeitsrechts den staatlichen Arbeitsgerichten die Zuständigkeit entziehen würde; ebenso Hartmut Maurer, FS Menger (1985), S. 285 (297 f.); wohl auch Geiger, ZevKR 26 (1981), S. 156 (164); in dieselbe Richtung auch v. Campenhausen, EssG 18 (1984), S. 9 (34 f.): „Der Umfang kirchlicher Regelungsbefugnis ist auch nicht unterschiedlich je nachdem, ob die Kirchen öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Gestaltungsformen für den kirchlichen Dienst vorziehen“. Angesichts dessen, dass v. Campenhausen zu den prominenten Vertretern der Lehre vom Typenzwang zählt, überrascht diese Äußerung. Denn die Annahme einer umfassenden und einheitlichen Rechtsetzungsbefugnis der Kirchen widerspricht der sorgsamen Trennung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Dienstverhältnisse nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen, wie sie gerade Kern der Lehre vom Typenzwang ist. Gegen eine entsprechende Rechtsetzungsbefugnis im Bereich des Privatarbeitsvertragsrechts Hermann Weber, ZevKR 22 (1977), S. 346 (359), dessen Ausgangspunkt die Bindung an das staatliche Arbeits- und Sozialrecht ist und der eine Entbindung davon nur bei öffentlich-rechtlicher Gestaltung des Dienstverhältnisses zugibt (S. 360 f.), woraus Weber eben jene Bindung an die Grundprinzipien des öffentlich-rechtlichen Beamtentums ableitet (S. 364). Das kanonische Recht geht davon aus, dass die Anwendbarkeit des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts unter dem Vorbehalt seiner Vereinbarkeit mit kirchlichen Lehren steht, so Pree, in: FS Schwendenwein (1986), S. 467 (469). Im katholischen Kirchenrecht wird das staatliche Recht gemäß cc. 1290, 22 CIC geradezu kanonisiert („lex canonizata“), das heißt Gegenstand des kanonischen Vertragsrechts. Dies gilt aber nur, soweit dies mit dem vom katholischen Kirchenrecht angenommen ius divinum vereinbar ist (Kalb, in: HdbKathKR 32015, § 20 S. 327). 115 Zu den konventionsrechtlichen Anforderungen vgl. EGMR, EuGRZ 2010, S. 560 (569 f.) – unzureichende Abwägung mit Grundrechten des Arbeitnehmers im Fall Schüth; anders allerdings im Fall Obst: EuGRZ 2010, S. 571 (576 f.). 116 BVerfGE 70, 138 (166); zur Unzulässigkeit einer Klerikalisierung des Laienstandes auch Thüsing, FS Rüfner (2003), S. 901 (910); ders., EssG 46 (2012), S. 129 (131). 117 Vgl. BVerfGE 70, 138 (165); zuvor bereits ähnlich BVerfGE 53, 366 (404); vgl. auch BVerfG 137, 273 (Rn. 105). Im Nachgang zu BVerfGE 70, 138 hat das BAG den Begriff der christlichen Dienstgemeinschaft immer wieder aufgegriffen, vgl. BAGE 51, 238 (242); 74, 325 (334); 143, 354 (Rn. 97 f.); 144, 1 (Rn. 37 f.).
B. Lehre von der Dienstgemeinschaft
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tertum aller Gläubigen als theologischer Grundlage118 leugnet die Lehre von der Dienstgemeinschaft gerade die prinzipielle Unterschiedlichkeit der jeweiligen Dienstformen.119 Das in abstracto abgegebene Bekenntnis des Bundesverfassungsgerichts, wonach kirchliche Arbeitsverhältnisse als „schlichte Folge einer Rechtswahl“120 an das staatliche Arbeits- und Sozialrecht gebunden sind, wird wenig später in concreto durchlöchert. 1. Vertragliche oder kirchengesetzliche Grundlage kirchlicher Arbeitsverhältnisse? Die Bindung an das staatliche Arbeits- und Sozialrecht setzt zunächst voraus, dass das Dienstverhältnis der kirchlichen Arbeitnehmer nicht kirchengesetzlich, sondern vertraglich geregelt ist.121 Kirchengesetzlichen Bestimmungen kann daher nur durch eine Verweisungsklausel Geltung verschafft werden.122 Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hierzu sind allerdings ambivalent. Im Ergebnis behandeln sie kirchliche Loyalitätsanforderungen gerade nicht als vertragliche Vereinbarung, sondern als Gesetz.123 Denn allein den Kirchen soll es obliegen, Bedeutung und Tragweite einzelner Loyalitätspflichten zu bestimmen.124 In seiner jüngsten Entscheidung von 2014 im so genannten „Chefarzt-Fall“ erwähnt das Gericht zwar – beiläufig – die vertragliche Grundlage der Loyalitätspflichten.125 In dem Beschluss wird allerdings lediglich verlangt, dass die kirchlichen Loyalitäts-
118
BAGE 143, 354 (Rn. 98); Richardi, FS Rüfner (2003), S. 727 (730); Jurina, EssG 10 (1976), S. 57 (91). 119 Vgl. Kalisch, ZevKR 2 (1952/1953), S. 24 (30; 55); Mayer-Maly, BB-Beil. 3/1977, S. 4. 120 BVerfGE 70, 138 (165). Vor diesem Grundsatzurteil vom 4.6.1985 gingen die Arbeitsgerichte noch in aller Deutlichkeit von einer umfassenden Bindung kirchlicher Arbeitsverhältnisse an das staatliche Arbeits- und Sozialrecht aus, so grundlegend BAGE 30, 247 (252 f.); ebenso BAGE 34, 195 (203); 45, 250 (254); 47, 144 (150); 47, 292 (298). Im Anschluss an das Grundsatzurteil des BVerfG betont die neuere bundesarbeitsgerichtliche Rspr. im Einklang mit der Formulierung von BVerfGE 70, 138 (165), dass die Bindung an das staatliche Arbeitsrecht die Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten der Kirche nicht aufhebt, vgl. BAGE 120, 55 (Rn. 28); 130, 146 (Rn. 26); 139, 144 (Rn. 23), – aufgehoben durch BVerfG 137, 273 –; BAGE 143, 354 (Rn. 95); 144, 1 (Rn. 35); 145, 90 (Rn. 25). Noch ohne diese Einschränkung BAGE 74, 325 (332). 121 So zutreffend v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (244); Isensee, FS Obermayer (1986), S. 203 (206). Umgekehrt verhält es sich in der Praxis, in der die kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen dem Arbeitnehmer nicht als Vertrag, sondern als Gesetz gegenüber treten, so Richardi, ZevKR 19 (1974), S. 275 (280). 122 BAGE 142, 247 (Rn. 34). 123 Ausdrücklich meint auch v. Campenhausen, EssG 18 (1984), S. 9 (14 f.), dass die kirchengesetzlichen Bestimmungen für ihre Arbeitnehmer „durch Einbeziehung in den Vertrag nicht einfach Vertragsrecht werden. Sie behalten ihren Normcharakter“. 124 BVerfGE 70, 138 (168). 125 BVerfGE 137, 273 (Rn. 133) enthält diese wichtigen Erkenntnisse lediglich als Attribut in einem Nebensatz.
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
erwartungen für den Arbeitnehmer vorhersehbar sein müssten.126 Erkennbarkeit ist jedoch nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für eine vertragliche Bindung. Zur Abstufung und Bedeutung der Loyalitätspflichten zitiert das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Grundordnung in ihrer Eigenschaft als kirchlich promulgiertes Gesetz.127 Immerhin erwähnen die Richter, die Grundordnung sei zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden.128 Mit ihrer Auffassung, Zweifel über den Inhalt der Grundordnung hätten die Gerichte durch Rückfragen bei den zuständigen Kirchenbehörden klären müssen,129 wird der vertragliche Charakter dieser Bindung jedoch sogleich wieder infrage gestellt. Denn ein Interpretationsmonopol einer Partei widerspricht dem Charakter vertraglicher Bindungen. Meint man es mit dem vertraglichen Charakter der Bindung an die Grundordnung zum kirchlichen Dienst und der Geltung des staatlichen Arbeitsrechts ernst, müsste es sogar gerade umgekehrt sein: Zweifel an der Auslegung der kirchlichen Bestimmungen, die dann als allgemeine Arbeitsbedingungen im Sinne der §§ 305 Abs. 1 S. 1, 310 Abs. 4 S. 2 BGB einzustufen sind, gehen zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB), also der Kirchen. Nicht vereinbar mit ihrem vertraglichen Charakter ist überdies die Auffassung von Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht, dass die Loyalitätsobliegenheiten nicht von der einzelnen kirchlichen Einrichtung, sondern von der verfassten Kirche festgelegt würden.130 Denn aus Sicht des Arbeitnehmers kann es nicht darauf ankommen, welche Loyalitätsobliegenheiten sein konkreter Arbeitgeber ihm nach den Maßstäben der verfassten Kirche hätte auferlegen müssen, sondern allein darauf, welche Loyalitätsobliegenheiten sein konkreter Arbeitgeber auch wirklich mit ihm vereinbart hat.131 Die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen der Kirche und ihrer rechtlich verselbständigten Einrichtung (beispielsweise einer GmbH) schlagen nach allgemeinem bürgerlichen Recht gerade nicht auf die Rechtsbeziehungen zwischen der verselbständigten Einrichtung und deren Vertragspartnern „durch“. Derartige Vereinbarungen wären unzulässige Verträge zulasten Dritter.
126
BVerfGE 137, 273 (Rn. 133, 141, 153, 158). BVerfGE 137, 273 (Rn. 152). 128 BVerfGE 137, 273 (Rn. 151). 129 BVerfGE 137, 273 (Rn. 152). Ähnlich bereits BVerfGE 70, 138 (168) und dem folgend BAGE 120, 55 (Rn. 29). 130 BAGE 139, 144 (Rn. 24) im Anschluss an BVerfGE 70, 138 (168); ebenso BAGE 145, 90 (Rn. 26). 131 Krit. zu dieser Durchbrechung der Privatautonomie auch Wieland, FS Schlink (2014), S. 277 (285 f.). 127
B. Lehre von der Dienstgemeinschaft
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2. Maßstab richterlicher Inhaltskontrolle Inkonsequent ist die Rechtsprechung auch im Hinblick auf die Geltung der gesetzlichen Regelungen. Sollen kirchliche Arbeitsverhältnisse nicht „klerikalisiert“ werden, so gelten für sie die Grenzen des zwingenden staatlichen Arbeitsrechts, von denen nicht durch Parteivereinbarung abgewichen werden kann.132 Im Bereich des dispositiven Rechts kann zwar kirchliches Recht durch entsprechende Vereinbarungen in das Privatrecht übertragen werden. Diese Transformierung richtet sich aber wiederum nach dem (staatlichen) Vertragsrecht.133 Die Grenzen privatautonomer Vertragsgestaltung ergeben sich auch für Arbeitsverträge, die nach staatlichem Recht mit einem kirchlichen Arbeitgeber geschlossen wurden, aus dem nichtdispositiven Zivil- und Arbeitsrecht.134 Freilich müsste dann für die Inhaltskontrolle der Loyalitätsrichtlinien ein ganz anderer Maßstab gelten als derjenige, den das Bundesverfassungsgericht heranzieht. Klauseln, mit denen kirchliche Dienstordnungen in den Vertrag einbezogen werden, sind nämlich als allgemeine Arbeitsbedingungen zu klassifizieren.135 Sie unterliegen damit gemäß §§ 310 Abs. 4 S. 2, 305 Abs. 1 S. 1 BGB der Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB.136 Hierauf geht das Bundesverfassungsgericht mit keinem Wort ein. Stattdessen will das Gericht einen sehr viel schwächeren Kontrollmaßstab anwenden. Die Zulässigkeit kirchlicher Loyalitätserwartungen soll nach Ansicht der Karlsruher Richter nur anhand des allgemeinen Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG), des Begriffs der guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) und des ordre public (Art. 6 EGBGB) geprüft werden.137 Insbesondere mit ihrem Verweis auf Art. 6 EGBGB konterkarieren die Richter ihre eigene Forderung nach einer Bindung der Kirchen an das staatliche Arbeitsrecht.138 Denn der Maßstab des ordre public ist kein Teil des staatlichen Arbeitsrechts, sondern ein Instrument zur Abgrenzung und Akzeptanz verschiede 132
Vgl. zur vom BAG bejahten Bindungen an das TzBfG BAGE 130, 146 (Rn. 12 ff.). Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 2 Rn. 19. 134 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 165. 135 BAGE 135, 163 (Rn. 12); 142, 247 (Rn. 30); BAG NZA 2006, S. 872 (873); Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (255); Schlaich, JZ 1980, S. 209 (213); Mayer-Maly, EssG 10 (1976), S. 127 (142 f.); Rüfner, Diskussionsbeitrag, EssG 10 (1976), S. 159; offenlassend Richardi, ZevKR 19 (1974), S. 275 (282); a. A. Dütz, FS Listl (1999), S. 573 (583 f.), der einer Analogie zu §§ 112 BPersVG, 118 Abs. 2 BetrVG entnehmen will, dass den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen auch im Hinblick auf Fragen des Individualarbeitsrechts normative Wirkung entsprechend einem Tarifvertrag zukomme. 136 Inkonsequent BAGE 142, 247 (Rn. 71); BAG NZA 2006, S. 872 (874) – Rechtskontrolle lediglich wie bei Tarifverträgen. 137 BVerfGE 137, 273 (Rn. 118); so schon BVerfGE 70, 138 (168); für eine reine ordre-publicKontrolle v. Campenhausen, EssG 18 (1984), S. 9 (15). 138 Krit. auch Hammer, AuR 2011, S. 278 (280 f.) – noch zur Grundsatzentscheidung BVerfGE 70, 138. 133
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
ner Rechtskreise.139 Art. 6 EGBGB kennzeichnet damit gerade nicht die äußerste Grenze vertraglicher Vereinbarungen im Rahmen des deutschen staatlichen Arbeits- und Sozialrechts, sondern die äußerste Grenze der Anerkennung einer fremden Rechtsordnung (= außerhalb des Rahmens des deutschen staatlichen Arbeits- und Sozialrechts). Die Geltung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts für kirchliche Arbeitsverhältnisse gibt das Bundesverfassungsgericht damit – trotz gegenteiliger Beteuerung – in der Sache auf.
IV. Verhältnis zur Lehre vom Typenzwang Die bundesverfassungsgerichtlichen Maßstäbe zur Freiheit der Kirchen im kirchlichen Arbeitsrecht folgen in der Sache – ohne dass dies ausdrücklich ausgesprochen worden wäre – den Forderungen von Mayer-Maly. Für kirchliche Arbeitgeber gilt das zwingende staatliche Arbeitsrecht faktisch nicht mehr, sondern wird durch kirchliche Bestimmungen ersetzt. Deshalb stehen die Lehre von der Dienstgemeinschaft und ihre Rezeption durch die Rechtsprechung im Gegensatz zur Lehre vom Typenzwang.140 Im kirchlichen Arbeitsrecht wird den Kirchen faktisch die kollisionsrechtliche Verdrängung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts durch eigenes Kirchenrecht ermöglicht, ohne dass die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums beachtet werden müssten. Obwohl die Thesen von Kalisch und Mayer-Maly heute im Schrifttum kaum noch Beachtung finden, werden ihre Konsequenzen doch faktisch praktiziert.141 Das Instrument der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit wird damit tendenziell überflüssig. Besonders deutlich wird dies auch daran, dass der vom Bundesverfassungsgericht für kirchliche Arbeitsverhältnisse genannte Kontrollmaßstab – Art. 3 Abs. 1 GG, § 138 Abs. 1 BGB und Art. 6 EGBGB – genau dem Maßstab entspricht, den der Bundesgerichtshof für die Kontrolle kirchenrechtlicher Dienstverhältnisse nach der Dienstherrnfähigkeit annimmt.142 139
Thüsing, FS Rüfner (2003), S. 901 (907); ders., EssG 46 (2012), S. 129 (131). Dieser Gegensatz ist indes in der Lit. bisher kaum erkannt worden. Widersprüchlich beispielsweise v. Campenhausen, EssG 18 (1984), S. 9, der einerseits betont: „Mit dem Verzicht auf die öffentlich-rechtliche Gestaltungsform ist jedoch die Geltung des Arbeitsrechts untrennbar verbunden“ (S. 10), andererseits aber im Anschluss an Kalisch (S. 11) den vertraglichen Charakter kirchenrechtlicher Bestimmungen zu Arbeitnehmern bestreitet (S. 14) und „normative kirchenrechtliche Konkretisierung eines Arbeitsverhältnisses“ nur einer Willkür- und ordre-publicKontrolle unterziehen will (S. 15). Schließlich lässt v. Campenhausen die eingangs postulierte Bindung an das Arbeitsrecht völlig fallen: „Der Umfang kirchlicher Regelungsbefugnis ist auch nicht unterschiedlich je nachdem, ob die Kirchen öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Gestaltungsformen für den kirchlichen Dienst vorziehen“ (S. 34 f.). In der Diskussion sah sich v. Campenhausen dann zu der Klarstellung genötigt: „Ich habe nicht ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht propagiert“ (S. 48). 141 So bereits der Befund von Richardi, ZevKR 19 (1974), S. 275 (280) zu den Thesen von Kalisch. 142 Vgl. BGHZ 154, 306 (313) wiederum unter Berufung auf BVerfGE 70, 138 (168). Ausgangspunkt dieses Maßstabs bildet also das zitierte Grundrechtsurteil des BVerfG von 1985. 140
C. Lehre vom Doppelrechtsverhältnis
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V. Kritik Wie bereits die Lehre vom Typenzwang so ist auch die Lehre von der Dienstgemeinschaft von einer unzulässigen Vermengung kirchenrechtlich theologischer Fragen einerseits und religionsverfassungsrechtlicher Implikationen andererseits geprägt. Dass die Entwicklung eines einheitlichen kirchlichen Dienstrechts theologisch wünschenswert erscheint, sagt noch nichts darüber aus, ob dieses nach religionsverfassungsrechtlichen Maßstäben auch bürgerlich wirksam ist. Besonders problematisch ist die Rezeption der Lehre von der Dienstgemeinschaft durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht ist ausgesprochen inkonsequent, weil es zwar auf der einen Seite in abstracto die vertragliche Grundlage privatrechtlicher Arbeitsverträge sowie deren Bindung an das staatliche Arbeitsund Sozialrecht anerkannt, auf der anderen Seite aber dann in concreto kirchliche Arbeitgeber von Grundprinzipien des bürgerlichen Vertragsrechts weitgehend dispensiert. Tatsächlich nähern sich die kirchlichen Arbeitsrechtsverhältnisse damit den originär kirchenrechtlich geregelten Dienstverhältnissen an. Diese schleichende Klerikalisierung des kirchlichen Arbeitsrechts ist rechtssystematisch nicht überzeugend. Denn den Religionsgesellschaften steht mit der Dienstherrnfähigkeit ein Instrument zur Verfügung, um ihre eigenen kirchenrechtlichen Bestimmungen an die Stelle des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts zu stellen. Schließen sie stattdessen Arbeitsverträge nach staatlichem Recht ab, so entspricht es ihrer eigenen Wahl, dass das staatliche Arbeits- und Sozialrecht gilt. Dessen Durchsetzung ist dann auch zum Schutz des Bediensteten erforderlich. Denn dieser hat sich eben nicht auf ein Dienst- bzw. Arbeitsverhältnis eingelassen, in dem der Mindestschutz des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts nicht gilt. Insofern hat es bei der Geltung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts zu bleiben, wenn die Beteiligten einen privaten Arbeitsvertrag nach staatlichem Recht abgeschlossen haben.143.
C. Lehre vom Doppelrechtsverhältnis Eine eigenständige Konzeption des kirchlichen Dienstrechts hat Dietrich Pirson skizziert. Seine Überlegungen sollen hier als „Lehre vom Doppelrechtsverhältnis“ gewürdigt werden. Pirsons Ausgangspunkt ist die Trennung von kirchlicher und staatlicher Rechtsphäre.144 Pirson vertritt hier eine strikt dualistische Theorie, indem er dem kirchlichen Recht die Rechtsgeltung im staatlichen Bereich abspricht: Weder gebe es eine gesetzliche Grundlage für autonomes Verbandsrecht der KirEinen anderen Maßstab – Art. 79 Abs. 3 GG – will dagegen das BVerwG für die Kontrolle öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse der Kirchen anwenden, vgl. BVerwGE 149, 139 (Rn. 25). Dabei steht das Gericht allerdings auf dem Standpunkt, dass beide Prüfungsmaßstäbe in der Sache nicht voneinander abweichen (Rn. 26). 143 Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (255); Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 165; Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 WRV Rn. 120. 144 Vgl. Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (298).
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5. Kap.: Bisherige Konzeptionen der Dienstherrnfähigkeit
che, noch begründe die Dienstherrnfähigkeit selbst eine Befugnis zur Rechtsetzung.145 Die Einbeziehung kirchlicher Normen in die staatliche Rechtsordnung wirke darüber hinaus „für das kirchliche Amtsrecht derogierend oder limitierend“, da „dem Vorrang des materiellen Verfassungsrechts gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. GG Rechnung zu tragen“146 sei. Obwohl Pirson den kirchlichen Bestimmungen zum Dienstrecht die Rechtsqualität im staatlichen Rechtskreis abspricht, behandelt er die Dienstverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten nicht als Nicht-Rechtsverhältnisse. Vielmehr geht Pirson davon aus, dass nach den Wertungen des staatlichen Rechts ein Schuldverhältnis bestehe.147 Pirson legt sich nicht völlig fest, aus welchem Tatbestand genau dieses Schuldverhältnis entsteht, betont aber: „Wenn sich jemand in soziale Abhängigkeit von einem anderen begibt, indem er diesem seine Dienste zur Verfügung stellt, kommt ein Schuldrechtsverhältnis zustande, auch wenn ein Rechtsgrund für die Verpflichtung zur Dienstleistung, etwa wegen Nichtigkeit eines beabsichtigten Vertrages, nicht vorhanden ist“148. Nach der Konzeption von Pirson entsteht demnach eine Parallelität von kirchlichem und staatlichem Rechtsverhältnis. Kirchenrechtlich betrachtet bestehen die kirchengesetzlichen Rechte und Pflichten. Diese sind aber im staatlichen Bereich nicht als solche wirksam. Dort wird ein faktisches Schuldverhältnis konstruiert, dessen Rechte und Pflichten sich allein aus dem staatlichen Recht ergeben. Pirson selbst beschreibt diese Situation als „Gleichzeitigkeit des weltlichen und kirchlichen Rechtsverhältnisses“149. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Wolfgang Bock. Dieser hält zwar „rein kirchenrechtliche“ Streitigkeiten für nicht justiziabel. Indes komme staatlicher Gerichtsschutz dann in Betracht, wenn eine „als für alle geltendes Gesetz anzusehende staatliche Rechtsnorm mit dem Kirchenrecht entsprechenden Gehalt“150 existiere. Während – mangels Parallele im staatlichen Recht – staatlicher Gerichtsschutz im Lehrbeanstandungsverfahren151 ausscheide,152 komme dieser Schutz im Bereich der Besoldung und Versorgung durchaus in Betracht. Dafür greift Bock auf „gemeinsame Grundsätze und Rechtsnormen“ im Bereich des Beamten- und Arbeitsrechts zurück, nach denen „jedes abhängige Beschäftigungsverhältnis (…) ab einem gewissen Umfang ein Recht auf Sicherstellung der Versorgung (begründet)“153. Zu den Vorzügen der Lehre vom Doppelrechtsverhältnis gehört zunächst, dass sie die Sphären des staatlichen und des kirchlichen Rechts nicht objektiv an 145
Pirson, in: HdbStKirchR II, 21995, § 64, S. 861 f. Pirson, in: HdbStKirchR II, 21995, § 64, S. 863. 147 Pirson, in: HdbStKirchR II, 21995, § 64, S. 865; ders., FS Ruppel (1968), S. 277 (298 f.). 148 Pirson, ibid. 149 Pirson, in: FS Ruppel (1968), S. 277 (293). 150 Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 303. 151 Zum Lehrbeanstandungsverfahren und seiner Behandlung nach dem hier vertretenen Ansatz vgl. unten Kapitel 8, B. III. 1. e) ff). 152 Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 304 f. 153 Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 306. 146
C. Lehre vom Doppelrechtsverhältnis
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hand von Zuständigkeitsbereichen voneinander scheidet. Wenn kirchliches und staatliches Recht als nebeneinander stehende und sich wechselseitig überlappende Rechtskreise beschrieben werden, so ist dies rechtstatsächlich eine treffende Darstellung. Die völlige Trennung von staatlichem und kirchlichem Rechtsverhältnis wirkt indes künstlich. Die Überlegungen zum staatlichen Rechtsverhältnis müssen notwendig vage bleiben: Ohne Rückgriff auf die kirchlichen Bestimmungen fehlt es schlicht an einschlägigen Bestimmungen, die diese Dienstverhältnisse regeln könnten.154 Unzutreffend ist überdies der Ausgangspunkt Pirsons, wonach die Kirchen überhaupt keine Befugnis zur bürgerlich wirksamen Rechtsetzung hätten. Dabei übersieht Pirson zum einen, dass sich die Kirchen wie alle Verbände auf die Privatautonomie berufen können; zum anderen verkennt er den spezifischen Freiheitsgehalt der Dienstherrnfähigkeit.155
154 Insofern gilt die gleiche Kritik, die bereits gegen die neue Rspr. von BGH und BVerwG vorgebracht wurde, vgl. oben Kapitel 3, B. II. 155 Kapitel 6 bzw. Kapitel 7.
Sechstes Kapitel
Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse als materielle und bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnisse Nachdem sich die dargestellten Ansätze als nicht tragfähig erwiesen haben, soll nunmehr die Grundlage für das in dieser Arbeit verfolgte kollisionsrechtliche Verständnis der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit geschaffen werden. Dabei soll in zwei Schritten aufgezeigt werden, dass kirchenrechtliche Dienstverhältnisse materielle Rechtsverhältnisse sind, die als bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnisse zu qualifizieren sind.
A. Kirchen(dienst)recht als materielles Recht In Anknüpfung an die Überlegungen zum Justizgewährungsanspruch1 ist die Justiziabilität des Kirchen(dienst)rechts untrennbar mit seiner Qualifizierung als materielles Recht verknüpft. Kirchen(dienst)recht, das materielles Recht ist, muss vom Richter angewandt werden. Handelt es sich hingegen nicht um materielles Recht, so verlangt der Justizgewährungsanspruch zwar, dass überhaupt eine richterliche Entscheidung ergeht; die vor staatlichen Gerichten erhobene Klage ist indes mangels entsprechender Ansprüche regelmäßig aussichtslos.
I. Existenz des Kirchenrechts als empirische Tatsache Zu Beginn dieser Überlegungen steht eine scheinbar banale Feststellung: Es gibt Kirchenrecht. Die Existenz des Kirchenrechts ist eine empirische Tatsache.2 Kirchenrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es von den Adressaten Gehorsam verlangt. Die Abgrenzung kirchenrechtlicher Sätze von allgemeinen glaubensbedingten Imperativen kann mitunter schwierig sein. Da das Kirchenrecht nicht zuletzt auf Glaubensüberzeugungen beruht, ergeben sich zahlreiche Überschneidungen. Im Unterschied zu „bloßen“ bekenntnisgeleiteten Imperativen kennt das Kirchenrecht allerdings verbindliche Rechtsfolgen im Hier und Jetzt. Kirchenrechtliche Bestimmungen sehen das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechtsverhältnissen 1
Oben Kapitel 3, C. Dazu bereits Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 4 ff.
2
A. Kirchen(dienst)recht als materielles Recht
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und entsprechende Folgen wie etwa den Ausschluss von den Sakramenten oder die Zahlung bzw. Verweigerung von Dienstbezügen vor. Der tatsächliche Gehorsam, der diesen Rechtsbestimmungen entgegengebracht wird, unterstreicht, dass das Kirchenrecht kein bloßer Rechtsentwurf, sondern soziologisch wirksam und damit geltende Rechtsordnung ist.3 Besonders anschaulich wird diese soziologische Wirksamkeit dort, wo um kirchenrechtliche Fragen Prozesse geführt werden.4 Beispielsweise dokumentieren die Eheprozesse vor katholischen Ehegerichten, dass manche Menschen ihrem kirchlichen Familienstand nach wie vor Bedeutung zumessen. Diese strukturell-geordnete, eben prozesshafte Klärung dessen, was nach dem Kirchenrecht Recht ist, unterscheidet Kirchenrecht auch von sonstigen bloß sozialen Normen, bei denen es keine verbindlichen Instanzen gibt, die über deren Anwendung entscheiden. Für den empirischen Rechtsbegriff ist damit weniger der Zwangscharakter als vielmehr die richterliche Tätigkeit konstitutiv.5 Nicht zuletzt dokumentiert die Tatsache, dass in Deutschland nach wie vor einige tausend Kleriker, Ordensleute und Geistliche allein aufgrund der kirchenrechtlichen Dienstvorschriften in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihrem kirchlichen Dienstherrn stehen, in beeindruckender Weise die tatsächliche Wirksamkeit des Kirchendienstrechts.
II. Kirchenrecht als geordneter „rechtsfreier Raum“ Die soziologische Wirksamkeit des Kirchenrechts hängt nicht zwingend davon ab, dass ihm von staatlicher Seite bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit zuerkannt wird. Das staatliche Recht kann sich nämlich gegenüber nicht-staatlichen Regeln auf drei verschiedene Arten verhalten: Erstens kann es diese für illegal erklären und sanktionieren; zweitens kann es diese billigen und ihnen so zur Wirksamkeit verhelfen; drittens kann es nicht-staatlichem Recht auch eine Art „rechtsfreien Raum“ verschaffen, indem es sich schlicht nicht zu ihm verhält.6 Einen solchen „rechtsfreie Raum“ eröffnet der Grundsatz Nemo iudex sine actore.7 Die meisten staatlichen Rechtssätze sind keine Offizialrechtssätze in dem Sinne, dass ihre unbedingte Einhaltung durch staatliche Behörden und Gerichte durchgesetzt würde. Insbesondere im bürgerlichen Recht ist es den Betroffenen regelmäßig freigestellt, ob sie ihre Ansprüche vor Gericht tatsächlich verfolgen oder ob sie ihre Konflikte auf andere 3
Zur Realisierung einer Rechtsordnung als Kriterium für ihre Geltung Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 45. Anders als Kirchhof meint (S. 46 f.), zeigt das Beispiel freiwillig beachteter religiöser Rechtsordnungen, dass Zwang kein zwingendes Merkmal einer Rechtsordnung ist. So bereits zum Recht einer freien Vereinskirche Bierling, Zeitschrift für Kirchenrecht 10 (1871), S. 442 (443). 4 Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 5. 5 Ralf Dreier, Das kirchliche Amt, S. 45. 6 Bachmann, Private Ordnung, S. 44. 7 Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 14.
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
Weise beilegen. Die außergerichtliche Schlichtung von Alltagskonflikten ist – zum Glück – noch immer der Regelfall.8 Diese freiwillige Beachtung des Kirchenrechts ist grundrechtlich geschützt. Die zwangsweise Durchsetzung von Recht gegen den Willen der Betroffenen kann nur ausnahmsweise einer grundrechtlichen Abwägung standhalten.9 Versagt das staatliche Recht einer religiösen Zeremonie oder „Rechtshandlung“ die bürgerliche Wirkung, so heißt das noch nicht, dass die Zeremonie oder „Rechtshandlung“ auch verboten wäre. Anschaulich hat diesen Unterschied bereits Rudolph Sohm in Bezug auf die katholische Ehegerichtsbarkeit hervorgehoben: „Selbstverständlich können sich irgend welche katholische Konsistorialräte jeden Tag zusammensetzen und sagen: wir üben Ehegerichtsbarkeit aus. Deshalb wird ihnen nichts Leides angetan werden, so lange sie dieser Meinung weiter keine praktischen Folgen geben (…) Ebenso ist es natürlich jedem Katholiken unverboten, in der Entscheidung eines solchen Kollegiums eine ehegerichtliche Entscheidung zu erblicken und sich freiwillig nach ihr zu richten. Gedanken sind zollfrei“10. Religiöse „Parallelrechtsordnungen“ bis hin zu religiöser „Paralleljustiz“ sind also rechtlich unproblematisch,11 solange sie nicht mit dem Versuch, kirchliches Recht zwangszweise durchzusetzen, die Grenze zur Strafbarkeit – wenigstens als Nötigung (§ 240 StGB) – überschreiten.12
8 Indes ist es nicht Sache der staatlichen Gerichte, Kläger dafür zu rügen, wenn sie doch staatlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Neben der Sache daher die folgende Randbemerkung des VG München, Urt. v. 22.9.2017, Az.: M 21 K 16.1061, Rn. 25 – juris: „Bedauerlicherweise hat der Kläger im vorliegenden Fall nicht die Weisheit der Bibel auf sich angewendet, die sich aus 1. Kor. 6,1–6 erschlossen und ihm geboten hätte, in dem zugrunde liegenden Streit ‚zwischen Bruder und Bruder‘ (…) die Anrufung eines staatlichen Gerichts zu unterlassen und stattdessen den Streit ‚vor den Heiligen‘ – etwa im Wege einer innerkirchlichen Mediation – auszutragen“. 9 Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 14. 10 Sohm, Kirchenrecht II, S. 126 – die Grenze ist für Sohm indes bereits dort erreicht, wo katholische Ehegerichte „Protestanten (etwa den protestantischen Eheteil einer gemischten Ehe) vor ein solches ‚geistliches Gericht‘ (…) laden oder ihm ihr geistliches ‚Urteil‘ in autoritärer Form kundzutun unternehmen“. 11 Brosius-Gersdorf, VVDStRL 74 (2015), S. 169 (193); Detterbeck, in: Sachs, Art. 92 Rn. 28; eingehend zu muslimischen Friedensrichtern Ernst, in: Hölzlwimmer et al., RECHTsFRIEDEN – FRIEDENsRECHT, 55. Assistententagung Öffentliches Recht, 2016, S. 179 (186 f.); Bauwens, Religiöse Paralleljustiz, passim. 12 Bauwens, Religiöse Paralleljustiz, S. 194 ff.; Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 15.
A. Kirchen(dienst)recht als materielles Recht
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III. Bürgerliche Wirksamkeit des Kirchenrechts Damit ist sogleich die größte Schwäche des Kirchenrechts offengelegt: Seine Beachtung beruht in der Regel auf Freiwilligkeit. Aus der Perspektive des staatlichen Rechts handelt es sich dann um rein soziale Normen.13 Die katholische Kirche etwa mag die Eingehung einer neuen Ehe nach erfolgter Scheidung nach staatlichem Recht als Ehebruch betrachten und verbieten. Ihre effektiven Mittel, diesen „Ehebruch“ zu verhindern, sind indes begrenzt. Anders als dem Staat fehlen der Kirche physische Zwangsmittel, um ihre Rechtsgrundsätze auch gegen Willen und Einsicht der Rechtsadressaten durchzusetzen. Das Kirchenrecht ist damit letztlich – wie die gesamte Kirche – eine „freiwillige Veranstaltung“. Diese „Freiwilligkeit“ des Kirchenrechts ist häufig von allen Seiten gewünscht. Mit der Ausklammerung theologischer Wahrheitsfragen im säkularen Recht beispielsweise würde es sich schlecht vertragen, wenn staatliche Gerichte über die Vornahme sakramentaler Handlungen entscheiden würden. Mit der Religions freiheit wäre es unvereinbar, die Kirchen zur Vornahme sakramentaler Handlungen zu verurteilen. In anderen Fällen kann die Freiwilligkeit als Prinzip des Kirchenrechts aber zum Problem werden. In bestimmten Konstellationen ist auch die Kirche darauf angewiesen, dass ihr Recht von staatlichen Behörden und Gerichten nicht als „Nichtrecht“14 behandelt wird und damit im „rein moralisch-symbolischen Raum“15 verharrt: Die Verpflichtung zur Entrichtung von Kirchensteuern beispielsweise wäre wirkungslos, wenn sie nicht auch vollstreckt werden könnte. Aus dem gleichen Grund hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst die materielle Rechtswirkung kirchlicher Bestimmungen zu Kirchengerichtsgebühren anerkannt und der Kirche so zu einem entsprechenden Vollstreckungstitel verholfen.16 Würden die kirchlichen Bestimmungen über die ordnungsgemäße Vertretung kirchlicher Rechtsträger nicht als materielles Recht anerkannt,17 wären die Kirchen faktisch vom 13
Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 43. So der treffende Begriff von Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, S. 118. 15 Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 249. 16 BVerwGE 153, 282 (Rn. 11 ff.). Zu weitgehend ist es indes, wenn Christoph Thiele, FS Gaertner (2003), S. 673 (676); ders., ZevKR 48 (2003), S. 342 (345) davon ausgeht, die kirchliche Entscheidung müsse nur für vollstreckbar erklärt werden. Richtigerweise hat das staatliche Gericht den materiellen Anspruch zu prüfen. Denn andernfalls würden die Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO umgangen. Im Ergebnis wie hier BVerwGE 153, 282 (Rn. 19, 21); OVG NRW, ZevKR 48 (2003), S. 342 (343) und mit eingehender Begründung Ehlers, ZevKR 49 (2004), S. 508 ff. Ohne bürgerliche Wirkung ist die Auferlegung von Verwaltungsgebühren an einen Dritten bei der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr (Grundstückserwerb von einer Kirchengemeinde): BVerwG, NVwZ 2008, S. 1357 (1358). 17 Zutreffend für eine bürgerliche Wirksamkeit kirchlicher Vertretungsregelungen BGHZ 197, 61 (Rn. 26); BVerwG, NVwZ 2008, S. 1357 (1358); Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (292). Soweit das OLG Naumburg, NJW 1998, S. 3060 (3062) meint, es könne lediglich der Entscheidung eines innerkirchlichen Gerichts über die Vertretungsbefugnis zur Durchsetzung verhelfen, 14
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
allgemeinen Rechtsverkehr ausgeschlossen,18 da sie sich nicht ordnungsgemäß vertreten lassen könnten.19 Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass es nicht nur im Interesse des Gegenübers, sondern auch im Interesse der Kirche liegen kann, dass ihr eigenes Recht „echtes“ materielles Recht und damit vor staatlichen Gerichten durchsetzbar ist.20 Die Vorenthaltung staatlichen Rechtsschutzes stellt sich damit immer als ambivalent dar, wie auch der berühmte Gemeindeteilungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zeigt. Zunächst lehnte das Gericht es ab, eine kirchliche Entscheidung über den Bestand einer Kirchengemeinde zu überprüfen,21 was vordergründig der kirchlichen Freiheit zugute zu kommen schien. Etwa zwanzig Jahre später aber dokumentierte ein Rechtsstreit die freiheitsgefährdende Kehrseite dieser Entscheidung, als staatliche Gerichte einem kirchlichen Gemeindeteilungsbeschluss die bürgerliche Wirksamkeit versagten. In der Folge verneinten sie einen Grundbuchberichtigungsanspruch für Grundstücke, die im Zusammenhang mit der Gemeindeteilung übertragen worden waren.22
B. Legitimation der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts Die Kirchen sind darauf angewiesen, dass ihr Recht zumindest in bestimmten Konstellationen Rechtswirkungen auch im staatlichen Rechtskreis erzeugt. Das im staatlichen Rechtskreis wirksame Recht soll im Folgenden als bürgerlich wirksames Kirchenrecht bezeichnet werden.23 Mit der bürgerlichen Wirksamkeit des Kirchenrechts werden die kirchlichen Normen von sozialen Normen zu „echten“, niemals aber über die Frage der rechten Vertretungsbefugnis selbst entscheiden, verkennt das Gericht, dass es zu einer solchen Entscheidung spätestens dann gezwungen wäre, wenn konkurrierende innerkirchliche Gerichte über die Entscheidungsbefugnis streiten. 18 Aus diesem Grund zieht OVG Magdeburg, NJW 1998, S. 3070 (3072), eine staatliche Notbestellung für ein kirchliches Vertretungsorgan ausnahmsweise dann in Betracht, wenn andernfalls die Religionsgesellschaft handlungsunfähig würde. 19 Darauf macht zutreffend Sachs, BayVBl 1987, S. 463 (464 f.) aufmerksam. 20 So auch Classen, Religionsrecht, Rn. 587. 21 BVerfGE 18, 385. 22 OLG Hamm, NJW 1980, S. 843 und die Verfassungsbeschwerde hiergegen nicht zur Entscheidung annehmend BVerfG (Vorprüfungsausschuss), NJW 1983, S. 2571; zutreffend OLG Hamburg, NJW 1983, S. 2572 – Wirksamkeit kirchengesetzlich angeordneter Übertragung von Grundeigentum ohne Auflassung; ebenso Germann, in: EssG 47 (2013), S. 57 (69). VGH Baden-Württemberg, KirchE 47, 381 (383) versagte unter Hinweis darauf, dass es sich um eine rein innerkirchliche Angelegenheit handele, einer übergeordneten israelitischen Kultusgemeinde Rechtsschutz für Herausgabeansprüche für Unterlagen über die Vermögensverwaltung einer nachgeordneten Religionsgemeinschaft. Würde dieses Beispiel Schule machen, könnten sich zum Beispiel einzelne Pfarrgemeinden dem Zugriff von Bistum und Landeskirche schlicht entziehen. Dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, das auch die hierarchische Organisation der Kirchen schützt, würde dadurch nicht geholfen. 23 Terminologie in Anlehnung an Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 29; ebenso Germann, in: BeckOK-GG, Art. 140 (Stand: 1.6.2017) Rn. 38.
B. Legitimation der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts
175
also materiellen Rechtsnormen.24 Diese bürgerliche Wirksamkeit des Kirchenrechts bedarf der Legitimation in Form von staatlichen Rechtsgrundlagen.
I. Rechtsanwendungsbefehl für das kirchliche Recht als Grundlage seiner bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit Dieses Erfordernis eines staatlichen Rechtsanwendungsbefehls wird vereinzelt bestritten. Auf Otto v. Gierke geht die Theorie zurück, wonach gesellschaftliche Verbände eine autonome Rechtsetzungsbefugnis hätten, die keiner staatlichen Anerkennung bedürfe.25 Das Vereinsrecht sei Teil des „Sozialrechts“, das gegenüber dem Privatrecht ein „Rechtssystem höherer Ordnung“26 sei. Analog dazu wird der Verband selbst zu einer „Person höherer Ordnung“27 erklärt. Bereits aus diesem Begriff folge – „ohne besondere gesetzliche (…) Ermächtigung“28 – eine selbständige Vereinsgewalt29 als „Herrschaft des Verbandsganzen über seine Mitglieder“30. Für die Rechtsetzungsmacht der Kirchen bietet die Koordinationslehre eine spezielle Ausprägung dieser These. So klingt bereits in dem berühmten Beitrag Johannes Heckels von 1932 an, dass Staat und Kirche zwei grundsätzlich gleichgeordnete Autoritäten seien; für Heckel ging es um die „Grenzziehung zwischen gewaltigen öffentlichen Gemeinwesen, da dem politischen, dort dem religiösen“31. In der frühen Bundesrepublik herrschte die These, der Staat habe den Kirchen durch Art. 137 Abs. 5 WRV nicht besondere Befugnisse verliehen, sonderen sie als Träger einer eigenen, ursprünglichen und hoheitlichen Gewalt neben der staatlichen Gewalt anerkannt.32 Aus dieser für die Koordinationslehre typischen Gleichordnungsthese ist zumindest vereinzelt gefolgert worden, staatliche Gerichte hätten Kirchenrecht unabhängig davon anzuwenden, ob dies im staatlichen Recht besonders vorge sehen sei.33 Die These einer autonomen Rechtsmacht überzeugt für die Kirchen aber ebenso wenig wie für andere Verbände. Sie verkennt die Souveränität des Staates, der keine
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Vgl. Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 17. v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 142 ff. 26 v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 9 f. 27 v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 458. 28 v. Gierke, JherJb 35 (1896), S. 167 (197). 29 So auch BGHZ 13, 5 (11). 30 v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 535. 31 Johannes Heckel, VerwArch 37 (1932), S. 280 (283). 32 Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 78; Marré, DVBl 1966, S. 10 (11); Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (62); Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche, S. 182 f. Von der Anerkennung einer originären Rechtsgewalt spricht auch BVerfGE 19, 1 (12). 33 So Geiger, ZevKR 26 (1981), S. 156 (158 f.); in diese Richtung wohl auch Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (75). 25
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
selbstherrlichen Verbände über oder neben sich duldet.34 Die souveräne Staatsgewalt ist allen anderen Gewalten im Staate rechtlich übergeordnet (Prinzip der Einzigartigkeit der Staatsgewalt).35 Die Möglichkeit des „letzten“ Wortes ist wesentlich für die neuzeitliche Staatlichkeit36 und gilt gegenüber allen Rechtssubjek ten, die sich im staatlichen Herrschaftsbereich befinden, gleichermaßen. Dieser Herrschaftsanspruch des Staates ist nicht bloß eine staatstheoretische Überlegung, sondern positives Verfassungsrecht.37 Denn das Grundgesetz selbst erhebt einen „ausschließlichen Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes“38. Andere „Gewalten“ – wie die gesellschaftlichen Verbände – können sich daher nur im Rahmen der von der souveränen Staatsgewalt erlassenen Gesetze entfalten.39 Die Möglichkeit zu privater (nicht-staatlicher) Normsetzung wird dadurch nicht ausgeschlossen.40 Der Staat behält aber das Monopol dafür, privaten (nicht-staatlichen) Normen durch einen Geltungsbefehl Verbindlichkeit zu verschaffen.41 Privatautonome Gestaltung erfolgt kraft der Rechtsordnung,42 nicht gegen sie. Trotz ihrer hervorgehobenen Stellung gilt für die Kirchen prinzipiell nichts anderes:43 Auch ihre Stellung wird in und durch die verfassungsmäßige Ordnung,44 nicht gegen sie garantiert. Genauso wenig, wie der Staat der Kirche vorschreiben kann, was sie für sich als Recht erachtet, genauso wenig muss der Staat notwendig die von der Kirche gesetzte Ordnung für seinen Rechtskreis anerkennen.45 Daher gibt es weder eine Kompetenz-Kompetenz der Kirchen mit Wirkung für den staatlichen Bereich noch ein gleichberechtigtes Nebeneinander von verfassungsmäßiger Rechtsordnung und Kirchenrecht.46 Der Staat behält das letzte Wort bei der Auslegung seiner eigenen Verfassung, einschließlich der religionsverfassungsrechtlich 34 Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 158; Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 39; Classen, Religionsrecht, Rn. 108; Grundmann, JZ 1966, S. 81 (86). 35 Randelzhofer, in: HdbStR II, 32004, § 17 Rn. 35. 36 Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 289 (298); aus geschichtlicher Perspektive Scheuner, ZevKR 7 (1959/60), S. 225 (236, 241 f., 256). 37 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 47; Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, S. 115 f. 38 BVerfGE 37, 271 (280); 58, 1 (28). 39 Vgl. Randelzhofer, in: HdbStR II, 32004, § 17 Rn. 37. 40 Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 107 ff.; Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 39 ff. 41 Bachmann, Private Ordnung, S. 63, 182; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 47 f.; Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 133 f.; Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 49; Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 153; Vieweg, Normsetzung und anwendung deutscher und internationaler Verbände, S. 318. 42 Flume, BGB AT II, S. 3, 5 f. 43 Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 50; Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 248 f. 44 Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 38. 45 Vgl. Richardi, FS Rüfner (2003), S. 727 (733 f.). 46 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 48.
B. Legitimation der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts
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garantierten Freiheiten für die Kirchen. Insofern gibt es auch keinen „Zwang zur Verständigung“47 zwischen Staat und Kirche:48 Die Geltung der Verfassung hängt nicht von irgendeiner partnerschaftlichen Einigung ab.49 Die Geltung kirchlicher Rechtsquellen kann auch nicht ohne gesetzliche Grundlage allein durch Richterrecht erfolgen. Denn dies würde der unbedingten Verfassungsbindung der staatlichen Rechtsordnung widersprechen. Die Geltung der verfassungsrechtlichen Ordnung ist die von Hans Kelsen postulierte Grundnorm50 der deutschen Rechtsordnung und lautet schlicht und einfach: Unser Grundgesetz gilt!51 Die Bindung an diese nicht näher begründbare Letztautorität der Verfassung ist Voraussetzung dafür, dass ein Richter Richter im Sinne des Grundgesetzes ist.52 Unsere Verfassungsordnung ist damit gleichsam der Gerichtsherr, der autoritär über die geltenden Rechtsquellen entscheidet. Wer meint, sich nicht an die Autorität dieses Gerichtsherrn halten zu müssen, kann schlechterdings nicht Richter des grundgesetzlichen Staates sein. Daher ist es ausgeschlossen, dass staatliche deutsche Gerichte Rechtsquellen jenseits des Grundgesetzes und der grundgesetzlichen Ordnung anerkennen.
II. Privatautonomie als Grundlage der bürgerlich-rechtlichen Wirkung des Kirchenrechts Die Befugnis der Religionsgesellschaften, sich eigenes Recht zu setzen, folgt ohne weiteres aus der Verbandsautonomie als einer Erscheinungsform der Privatautonomie. 1. Vereinsautonomie als Erscheinungsform der Privatautonomie Überwiegend wird die Rechtsetzungsbefugnis der Religionsgesellschaften aus dem religionsgesellschaftlichen Selbstbestimmungsrecht abgeleitet. Ort dieser Gewährleistung soll damit der Begriff „ordnen“ in Art. 137 Abs. 3 WRV sein.53 47
So aber Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 76. Insofern zutreffend Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 57 (79). 49 Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 289 (299). 50 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 66 ff. 51 In Anlehnung an Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie, Rn. 478; zur Verbindlichkeit der Verfassungsordnung etwa Paul Kirchhof, in: HdbStR II 32004, § 21 Rn. 67. 52 Vgl. zur zwingenden Gesetzesbindung des Richters eingehend Roellecke, VVDStRL 34 (1976), S. 7 (32 ff.). 53 Hesse, in: HdbStKirchR I, 21994, § 17 S. 535; de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 10; Anke, in: HdbEvKR, § 4 Rn. 26; Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 137 WRV, Rn. 6; v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 101; Classen, Religionsrecht, Rn. 265; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 155; Jurina, Rechtsstatus der Kirchen im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 68; Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 29; Goos, ZBR 2004, S. 159 (162); Heun, ZevKR 49 (2004), S. 443 (456). 48
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
Teils wird die „Rechtsetzungsgewalt“ auch als Teil der Körperschaftsrechte nach Art. 137 Abs. 5 WRV gedeutet.54 Diese Deutungen übersehen, dass die Fähigkeit, bürgerlich wirksames Eigenrecht zu setzen, kein spezielles Privileg der Religionsgesellschaften ist.55 Die bürgerliche Wirksamkeit des Kirchenrechts entspricht allgemeiner bürgerlicher Freiheit.56 Denn die Frage nach einer autonomen Rechtsetzungsbefugnis stellt sich für sämtliche private (nicht-staatliche) Rechtssubjekte.57 Tatsächlich können nicht nur Religionsgesellschaften, sondern auch andere natürliche und juristische Personen ihre Rechtsverhältnisse weitgehend selbstbestimmt ausgestalten und sich bürgerlich verbindliches Eigenrecht geben. Denn zu den Fundamentalprinzipien unserer Rechtsordnung gehört die Privatautonomie. Sie gewährleistet die „Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“58. Diese „Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben“59 ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch verfassungsrechtlich geschützt. Die Vereinsautonomie ist eine besondere Form der Privatautonomie.60 Denn sie schützt die privautonome Willensbestimmung ihrer Mitglieder.61 Haben sich mehrere Rechtssubjekte dauerhaft in einem Verein zusammengeschlossen, so setzt sich diese Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse in den Vereinsstatuten fort. Der Eintritt in den Verein begründet die rechtsgeschäftliche Geltung der Vereinssatzung gegenüber den Mitgliedern. Nichtmitglieder werden demgegenüber grundsätzlich nicht durch das Vereinsrecht gebunden,62 wenn sie sich nicht im Einzelfall in Ausübung ihrer Vertragsfreiheit dem Vereinsrecht oder Teilen davon unterworfen 54
BGHZ 197, 61 (Rn. 22); Heinig, Öffentlich-rechtlich Religionsgesellschaften, S. 294 f. So im Grundsatz auch de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 12. 56 Germann, in: BeckOK-GG, Art. 140 (Stand: 1.6.2017) Rn. 38. 57 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 109 f. dient diese Rechtsetzungsbefugnis der Vereine als Grund gegen die Hoheitlichkeit des Kirchenrechts. 58 Flume, BGB AT II, S. 1. 59 BVerfGE 89, 214 (231); 114, 1 (34); 114, 73 (89). 60 Grundlegend Staudinger / Weick (2005), vor §§ 21 ff. BGB Rn. 35 ff.; Soergel / Hadding, vor § 21 Rn. 50; § 25 Rn. 17; Hadding, FS Fischer (1979), S. 165 (188 ff.); ebenso Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 89; im Ergebnis ähnlich MüKoBGB / Reuter, § 25 Rn. 19. Anders die von Otto v. Gierke vertretene Lehre, wonach das Vereinsrecht nicht Teil des Privatrechts, sondern des Sozialrechts (zu v. Gierkes Begriff des Sozialrechts Hadding, FS Fischer [1979], S. 165 [175 f.]) sei, vgl. v. Gierke, Privatrecht I, S. 534; ähnlich Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 90 ff. Dem folgte auch die reichsgerichtliche und frühe BGH-Rspr., vgl. RG, JW 1928, S. 2208 – Vereinsstrafe keine Vertragsstrafe, sondern Akt der Selbstverwaltung des Vereins; JW 1937, S. 1548 – Verein kein Schuldverhältnis, sondern personenrechtliches Gebilde; BGHZ 21, 370 – Vereinsstrafe keine Vertragsstrafe. Aus der zeitgenössischen Kritik an v. Gierke vgl. v. Tuhr, BGB AT I, S. 476 ff. Vgl. aus der neueren BGH-Rspr. im Sinne der hier vertretenen Auffassung BGHZ 87, 337 (344) – vertragsähnliche Auslegung der freiwilligen Unterwerfung unter die Vereinsgewalt. Vgl. auch BVerfGE 83, 341 (358) – Vergleichbarkeit von Vereins- und Privatautonomie. 61 BVerfGE 83, 341 (358 f.). 62 Staudinger / Weick (2005), § 25 BGB Rn. 10; MüKoBGB / Reuter, § 25 Rn. 28; Bachmann, Private Ordnung, S. 300 ff. 55
B. Legitimation der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts
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haben.63 Umstritten ist nach wie vor, ob die Vereinssatzung ihren rechtsgeschäftlichen Charakter auch nach der Vereinsgründung beibehält („Vertragstheorie“),64 oder ob sie mit der Gründung des Vereins zur körperschaftlichen Norm wird („modifzierte Normtheorie“).65 Im Ergebnis beruht die Geltung der Vereinssatzung aber nach beiden Theorien auf der autonomen Entscheidung der Vereinsmitglieder.66 2. Vereinsautonomie und kirchliche Rechtsetzungsbefugnis Ermöglicht bereits die allgemeine Vereinsautonomie allen Vereinen, durch Satzung die eigene Organisation und die Rechtsbeziehung zu den eigenen Mitgliedern zu regeln, so können die Religionsgesellschaften insoweit jedenfalls nicht schlechter gestellt sein.67 Dafür, dass kirchliches Recht überhaupt bürgerliche Wirkung 63 Eine Problematik, die vor allem im Sportrecht eine große Bedeutung zukommt, vgl. dazu BGHZ 128, 93 (103) – „Unterwerfung nur durch rechtsgeschäftlichen Einzelakt“; Staudinger / Weick (2005), § 25 BGB Rn. 11; Soergel / Hadding, § 25 Rn. 35; MüKoBGB / Reuter, § 25 Rn. 29; ausführlich Heermann, NZG 1999, S. 325 (236 ff.). 64 Soergel / Hadding, § 24 Rn. 17; Wolf / Neuner, BGB AT, § 17 Rn. 4. 65 BGHZ 21, 370 (373); 47, 172 (179); Reichert, VereinsR, Rn. 87; Kuntze, Bürgerliche Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, S. 57 f. MüKoBGB / Reuter, § 25 Rn. 18 f. vertritt die Normentheorie, betont aber zugleich die rechtsgeschäftliche Legitimation der Normbindung. Richtigerweise kommt es auf diesen Streit nicht an. Die rechtsgeschäftlichen Regeln können jedenfalls nicht ohne Modifizierung auf Satzungen angewendet werden (richtig Schöpflin, in: BeckOK-BGB, § 25 [Stand: 1.5.2018] Rn. 10). Entscheidend aber ist, dass die Satzung als Rechtsgeschäft entsteht und die Bindung der Mitglieder an diese Satzung auf Rechtsgeschäft beruht. Insoweit beinhaltet der Eintritt in den Verein zugleich einen Unterwerfungsvertrag unter das geltende Vereinsrecht in seiner jeweils geltenden Fassung. Die Unterschiede zur Bindung von Nichtmitgliedern bestehen damit lediglich darin, dass bei Nichtmitgliedern der Unterwerfungsvertrag ggf. auf bestimmte Sachmaterien des Vereinsrechts begrenzt ist. Abzulehnen ist daher lediglich die Auffassung, nach der die Geltung des Vereinsrechts auf einer hoheitsähnlichen Körperschaftsgewalt beruhe („klassische Normentheorie“); so aber v. Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 534; Vollmer, Satzungsmäßige Schiedsklauseln, S. 20 ff., vgl. aber anders S. 25. Entscheidend dagegen spricht, dass privatrechtliche Verbände kein allgemeinverbindliches Recht setzen können (ebenso Reichert, VereinsR, Rn. 87); zur praktischen Irrelevanz der Unterscheidung von Vertrags- und modifizierter Normtheorie Vieweg, Normsetzung und -anwendung durch deutsche und internationale Verbände, S. 319 ff. 66 Gegen diese Deutung hat Ferdinand Kirchhof eingewandt, dass der Einzelne meist nur einem Verband zugehören wolle. In diese Erklärung dürfe nicht hineininterpretiert werden, dass der Beitretende sich einzelnen Vereinsregeln unterwerfen wolle (Private Rechtsetzung, S. 93 f., speziell zur Vereinssatzung S. 267 ff.). Richtig hieran ist, dass die Einbindung des Einzelnen in jedwede Gemeinschaft seine unbeschränkte Autonomie ausschließt. Freiheit zur Bildung rechtlich verfasster Gemeinschaften kann es nur geben, wenn der Einzelne bereit ist, sich allgemein den Gemeinschaftsregeln zu unterwerfen und sich damit auch der Möglichkeit begibt, einzelne Regeln abzulehnen. Der entscheidende Unterschied zur heteronomen Rechtsetzung des Staates liegt aber darin, dass es der Einzelne bei Vereinsbestimmungen selbst in der Hand behält, ob er sich diesen in ihrer Gesamtheit unterwirft oder nicht. 67 Hierauf zu Recht hinweisend Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 137 WRV Rn. 96; v. Campenhausen, ZevKR 17 (1972), S. 127 (141 f.); ähnlich Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (278); ders., ZevKR 49 (2004), S. 496 (509).
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
hat, muss daher nicht auf spezifische religionsverfassungsrechtliche Garantien zurückgegriffen werden. Vielmehr folgt diese Rechtsetzungsbefugnis schon aus der allgemeinen Verbandsautonomie als Unterfall der Privatautonomie.68 a) Delegation vs. Rechtsanerkennung Der Rekurs auf die allgemeine Vereinsautonomie hat den Vorteil, dass kirchliche Rechtsetzung nicht mehr aus der Delegation staatlicher Hoheitsbefugnisse abgeleitet werden muss. Eine solche Übertragung anzunehmen, ist bereits historisch fragwürdig: Denn die Rechtsetzungstätigkeit der Kirchen ging jedem denkbaren Übertragungsakt voraus.69 Private Rechtsetzung findet ihre Legitimation zuallererst in den Grundrechten.70 Diese verpflichten den Staat, die Selbstordnung durch Privatrechtssubjekte zu respektieren, und verlangt daher, dass der Staat privaten Regelungen Verbindlichkeit verleiht.71 Delegation staatlicher Hoheitsbefugnisse ist daher keine Bedingung von Selbstbestimmung. Vielmehr ermöglicht bereits die Privatautonomie Selbstbestimmung, indem sie dem Einzelnen die Machtmittel der Rechtsordnung zur Verfügung stellt.72 Die Privatautonomie ist dabei nicht als staatliche Ermächtigungsnorm, sondern als staatliche Anerkennung einer originären Kompetenz der Privatrechtsakteure zur Selbstgestaltung ihrer Rechtsverhältnisse zu verstehen.73 Die Rechtsetzungsbefugnis der Religionsgesellschaften folgt also dem für die deutsche Rechtstradition und -praxis typischen Modell der Rechtsanerkennung, wonach der Staat eine bestehende gesellschaftliche Regelung durch Anerkennung zur Rechtsnorm macht.74 Dieses Modell hat einen entscheidenden Vorzug: Zum einen wird das Erfordernis eines staatlichen Geltungsbefehls für die Geltung nicht-staatlicher (hier: kirchlicher) Regelungen nicht bestritten, zum anderen wird aber dieser staatliche Mitwirkungsakt derart distanziert verstanden, dass 68
Zur Qualifikation des Kirchenrechts als Verbandsrecht Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 289 (319); Spanhel, Kirchenrecht in der staatlichen Rechtsordnung, S. 47 ff.; speziell aus ev. Perspektive vgl. die – Mindermeinung – Sohms, Kirchenrecht II, S. 51 ff., 58; ders., Kirchenrecht I, S. 692, 695; ders., in: FG Leipzig für Binding (1914), S. 4 (21); Ralf Dreier, Das kirchliche Amt, S. 63 f.; Holstein, Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, S. 270 spricht von öffentlich-rechtlichem Genossenschaftsrecht, wobei er die Qualifikaion als öffentliches Recht als nur „formale Erhebung“ bezeichnet. 69 Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 42. 70 Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 511 f., der allerdings nachdrücklich darauf hinweist, dass die Grundrechte nicht selbst Rechtsgeltungsbefehl seien, sondern der Umsetzung im einfachen Recht bedürfen. 71 Bachmann, Private Ordnung, S. 65. 72 Medicus / Petersen, BGB AT, Rn. 176. 73 Wolf / Neuner, BGB AT, § 10 Rn. 29. 74 Zur Rechtsanerkennung Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 138 ff.; für die Übertragung auf die Rechtsetzungsbefugnis der Religionsgesellschaften Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 44; bereits Bierling, Zeitschrift für Kirchenrecht 10 (1871), S. 442 (444) stellte die Geltung des Kirchenrechts im staatlichen Bereich durch einen Akt der Rechtsanerkennung heraus.
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sich nicht-staatliche Rechtsetzung überhaupt in Freiräumen jenseits der Bindungen staatlicher Rechtsetzungsmacht entfalten kann.75 Bezogen auf die Religionsgesellschaften ermöglicht damit erst die Befreiung von jeder staatskirchlichen Attitude den Perspektivwechsel, die Körperschaftsgarantie des Art. 137 Abs. 5 als Instrument zur Verwirklichung kollektiver Religionsfreiheit76 zu verstehen. Damit ist eine Selbstverständlichkeit angesprochen, die nicht durch die Annahme staatsabgeleiteter Hoheitsrechte verdunkelt werden sollte: Kirche im freiheitlich-säkularen Staat ist stets eine „freiwillige Veranstaltung“. Ihr fehlen die wesentlichen Merkmale hoheitlichen Handelns, nämlich die „Fähigkeit, einen anderen auch gegen seinen Willen rechtlich zu verpflichten und die Pflichterfüllung mit eigenen Mitteln, notfalls mit physischer Gewalt, durchzusetzen“ 77. Zugleich entfallen damit aber auch die besonderen öffentlich-rechtlichen Bindungen, welche die freie Selbstentfaltung der Kirche massiv gefährden müssten.78 b) Prinzip der Freiwilligkeit im kirchlichen Mitgliedschaftsrecht Exemplarisch zeigt sich das Prinzip der freiwilligen Veranstaltung im Hinblick auf die bürgerliche Wirksamkeit des kirchlichen Mitgliedschaftsrechts. Der Staat hat auf ein umfangreiches staatliches Kirchenmitgliedschaftsrecht verzichtet. Die Kirchenmitgliedschaft richtet sich – auch mit Wirkung für den staatlichen Bereich – zunächst nach kirchenrechtlichen79 Bestimmungen.80 Allerdings sind dessen bürgerliche Wirkungen staatlicherseits beschränkt. Denn das Grundgesetz gewähr 75
Vgl. Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 176. So prinzipiell auch BVerfGE 42, 312 (322; 332); 102, 370 (387; 393). Gegen dieses Verständnis Hillgruber, NVwZ 2001, S. 1347 ff., der stattdessen eine „verfassungsrechtliche Inpflichtnahme korporierter Religionsgesellschaften“ für angezeigt hält (S. 1353). 77 Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 289 (307 f.), der allerdings einzelne Bereiche kirchlichen Handelns, namentlich die Festsetzung der Kirchensteuern und die Handhabung der Disziplinargewalt gegenüber ihren Amtsträgern, für staatsabgeleitete Hoheitsrechte hält (S. 318 f.). Dies überzeugt umso weniger, als Quaritsch als weiteres Merkmal hoheitlichen Handelns die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben benennt und lediglich behauptet, dies sei in den genannten Fällen der Fall. Tatsächlich gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es eine staatliche Aufgabe wäre, Kirchensteuern einzutreiben oder kirchliche Amtsträger zu disziplinieren. Zur Unwirksamkeit einer einseitigen kirchengesetzlichen Auferlegung einer Gebühr bei Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr (Grundstückserwerb von einer Kirchengemeinde), BVerwG, NVwZ 2008, S. 1357 (1358). 78 Dazu sogleich noch unten Kapitel 6, B. II. 2. c) und d). 79 Ein Überblick über das innere Mitgliedschaftsrecht nicht nur der christlichen Großkirchen sondern auch jüdischer und muslimischer Religionsgemeinschaften findet sich bei Kuntze, Bürgerliche Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, S. 201 ff. 80 BVerfGE 30, 415 (422); BVerfG (K), NVwZ 2015, S. 517 (518); BVerwGE 21, 330 (332); BFHE 146, 315 (Ls. 2; 318); 172, 570 (571); 177, 194 (195); 188, 244 (247); v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 150; Kuntze, Bürgerliche Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, S. 94; ähnlich Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (294 ff.), der von einem doppelten (staatlichen bzw. kirchlichen) Rechtsverhältnis ausgeht. Zu den kirchenrechtlichen Rechtsquellen der mit der Mitgliedschaft üblicherweise verbundenen Kirchensteuerpflicht Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, S. 135 ff. 76
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leistet jedem die Freiheit, selbst und ohne Zwang über die Zugehörigkeit zu einer Kirche zu entscheiden.81 Die Kirchenmitgliedschaft muss daher aus der Perspektive des staatlichen Rechts zwingend freiwilligen Charakter haben.82 Zwar kann die Kirche mit Wirkung für das innerkirchliche Recht frei entscheiden, wer zu ihren Mitgliedern zählt.83 Die bürgerliche Wirkung derartiger Mitgliedschaftsregelungen ist aber ausgeschlossen, wenn die Mitgliedschaft ohne84 oder gar gegen85 den Willen des Betroffenen erfolgt.86 Eine Zwangsmitgliedschaft, wie sie bei „echten“ Körperschaften des öffentlichen Rechts zulässig sein kann,87 ist bei Religionsgesellschaften ausgeschlossen.88 Entgegenstehende Mitgliedschaftsregeln behalten ihre Wirksamkeit zwar für die religionsgesellschaftliche Rechtsordnung,89 entfalten aber keine Rechtswirkungen im bürgerlichen Bereich.90 Selbst wenn nach kirchlichem Recht eine Kirchenzugehörigkeit unverlierbar ist,91 endet die bürgerliche Wirkung92 der Zugehörigkeit zur Religionsgesellschaft 81
BVerfGE 30, 415 (423); 44, 37 (49); BVerfG (K), NVwZ 2015, S. 517 (519); BFHE 188, 244 (247). 82 Classen, Religionsrecht, Rn. 340. 83 v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 149 f. 84 Ausgeschlossen ist insofern die bürgerlich-rechtliche Wirkung einer Mitgliedschaft qua Geburt bzw. Abstammung. Das ist insbesondere für das Judentum von Bedeutung, weil nach jüdischem Recht Jude ist, wessen Mutter Jüdin ist. Dazu wie hier v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 156 f.; Reichert, VereinsR, Rn. 6371; Classen, Religionsrecht, Rn. 340, 346; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 181. Ablehnend zur Zulässigkeit einer Kirchenmitgliedschaft qua fehlendem votum negativum Kuntze, in: HdbEvKR, § 5 Rn. 17. A. A. Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, S. 320 f., der die Möglichkeit eines staatlichen Kirchenaustrittsrechts für ausreichend hält und daher auch die Kirchenmitgliedschaft ohne den Willen des Betroffenen für möglich hält, insbesondere durch das Abstammungsprinzip; offenbar ebenso zum Abstammungsprinzip Demel, Gebrochene Normalität, S. 235 f. 85 v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 149. 86 Vgl. zur Kirchensteuerpflichtigkeit BVerfGE 30, 415 (424): „sichergestellt, daß ein Kirchenangehöriger nicht ohne oder gegen seinen Willen der steuerberechtigten Kirche zugeordnet wird“; ähnlich BFHE 188, 244 (246). Allerdings stuft das BVerfG das Kirchensteuerrecht anders als nach hier vertretener Ansicht als staatsabgeleitetes Hoheitsrecht ein und geht von einer unmittelbaren Grundrechtsbindung aus (a. a. O., S. 422). Allgemein zur Willensabhängigkeit der bürgerlich-rechtlichen Wirkung der Religionszugehörigkeit Kuntze, Bürgerliche Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, S. 80 ff. 87 BVerfGE 38, 281 (302); 78, 320 (329 f.); 146, 164 (Rn. 77 ff.). 88 Ausdrücklich BVerfGE 30, 415 (423); BVerfG (K), NVwZ 2015, S. 517 (519); eingehend Kuntze, Bürgerliche Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, S. 85 ff. 89 Zu diesem Intaktbleiben der religiösen Rechtsordnung im Innenbereich allgemein Friehe, in: Hinghofer-Szalkay / Kalb, Islam, Recht und Diversität, Rn. 13. 90 Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 178. 91 Zur Unverlierbarkeit der Taufe und den Diskussionen im katholischen Kirchenrecht über die Rechtswirkungen eines staatlichen Kirchenaustritts im innerkirchlichen Bereich Schmal, Staatliches Kirchenaustrittsrecht, S. 272 ff. Auch nach evangelischem Verständnis wird die Zugehörigkeit zur ecclesia spiritualis et universalis durch den Kirchenaustritt nicht berührt: Kuntze, in: HdbEvKR, § 5 Rn. 40. 92 Davon zu trennen sind die innerkirchlichen Wirkungen, zu denen sich das staatliche Recht nicht positioniert, so zutreffend v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 154; Kuntze,
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mit der Wahrnehmung des staatlicherseits verbürgten Kirchenaustrittsrechts.93 Genauso kann mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung keine Mitgliedschaft in einer Religionsgesellschaft ohne einen entsprechenden Mitwirkungsakt des Betroffenen begründet werden.94 Zwar ist kein formalisierter Eintrittsakt erforderlich,95 wohl aber eine nach außen hin erkennbare und zurechenbare Willensäußerung.96 Dass diese nach dem „objektivierten Empfängerhorizont“97 zu bestimmen ist, unterstreicht den rechtsgeschäftlichen Charakter des Kircheneintritts. Die Freiwilligkeit der Kirchenmitgliedschaft wird durch die Praxis der Kindstaufe nicht durchbrochen, weil insoweit die Sorgeberechtigten ihr Kind nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln in Verbindung mit den Bestimmungen zur Religionsmündigkeit (§§ 1, 2 RelKEG) wirksam vertreten.98 Die dargestellten Grundsätze gelten für privatrechtliche Religionsgesellschaften gleichermaßen wie für Religionsgesellschaften mit Körperschaftsstatus.99 c) Zur Qualifikation des Kirchenrechts als „Privatrecht“ bzw. „öffentliches Recht“ Die hier vertretene Kongruenz der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts mit der bürgerlichen Wirkung sonstigen Verbandsrechts wirft die Frage auf, wie das Kirchenrecht nach den Kategorien von Privatrecht und öffentlichem Recht zu qualifizieren ist. Lange Zeit ist das Kirchenrecht, jedenfalls im evangelischen Bereich, wie selbstverständlich zum öffentlichen Recht gerechnet worden.100 Während dem kathoBürgerliche Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, S. 109. Ähnlich auch Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (294 ff.), der von einem doppelten (staatlichem und kirchlichen) Rechtsverhältnis spricht, dazu näher Kapitel 5, C. 93 Nach BVerfGE 44, 37 (53) verbietet die individuelle Religionsfreiheit sogar eine „Überlegungsfrist“ zwischen Austrittserklärung und ihrem Wirksamwerden. Das Austrittsrecht ist insofern sogar stärker bewehrt als im allgemeinen Vereinsrecht, wo Fristen nicht unüblich sind. Zulässig ist indes eine Übergangsregelung, nach der Kirchensteuer noch bis zum auf den Austritt folgenden Monat zu zahlen ist, BVerfGE 44, 59 (67 f.). 94 BVerwG, NVwZ-RR 2011, S. 90 (91); a. A. BVerwGE 21, 330 (Ls. 2; 334) – negativer Religionsfreiheit sei durch Austrittsrecht genüge getan; offenlassend, aber widersprüchlich BVerfG (K), NVwZ 2015, S. 517, wo einerseits ein wirksam bekundeter positiver Wille des Betroffenen zur Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft gemacht wird (Ls. 1; S. 519); andererseits die Frage offengelassen wird, ob eine allein auf Wohnsitz und Abstammung beruhende Mitgliedschaftsregelung mit Wirkung für den staatlichen Bereich wirksam sein könne (Ls. 2; S. 521); offenlassend auch BFHE 172, 570 (574). Zulässig ist hingegen die bürgerlichrechtliche Wirkung der Kindstaufe, weil insofern die Eltern in Vertretung für ihr Kind handeln, BVerfGE 30, 415 (424); v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 156. 95 BFHE 188, 244 (248). 96 BFHE 188, 244 (249). 97 BVerfG (K), NVwZ 2015, S. 517 (519); offenbar a. A. BVerwG, NVwZ-RR, S. 90 (91). 98 Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 180; Classen, Religionsrecht, Rn. 340. 99 Kuntze, Bürgerliche Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften, S. 191. 100 Vgl. etwa lapidar Vischer, Verwaltungsgerichtsbarkeit und Kirchenrecht, S. 17.
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lischen Kirchenrecht die Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht an sich fremd ist,101 legt die evangelische Kirche bei der Normierung ihrer Rechtsverhältnisse nach wie vor großen Wert auf die Qualifizierung als „öffentlich-rechtlich“. Wenn in diesem Zusammenhang davor gewarnt wird, die Kirchen würden andernfalls „effektiv zu privatrechtlichen Vereinen degradiert“102, so kommt darin ein inzwischen überholtes Standesdenken zum Ausdruck. Tatsächlich ist problematisch, ob das evangelische Kirchenrecht mit der Bezeichnung „öffentlich-rechtlich“ das gleiche meint wie das staatliche Recht, weil dem evangelischen Kirchenrecht das Privatrecht als Gegenstück zum öffentlichen Recht fehlt.103 Neben dem kirchenrechtlichen Selbstverständnis spielt die Tradition für die Qualifikation des Kirchenrechts eine große Rolle. So lässt sich bereits bei Ulpian nachlesen: „publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem: (…) publicum ius in sacris, in sacerdotibus, in magistratibus consistit.“104 Indes ist die hier zum Ausdruck kommende Interessentheorie nach allgemeiner Ansicht überholt.105 Zwar ist die Gemeinwohldienlichkeit der Kirchen seit den Weimarer Verfassungsberatungen106 und bis heute ein wichtiges Argument, um die besondere Rechtsstellung der Kirchen zu legitimieren.107 Die Wahrnehmung der Körperschaftsrechte ist aber nicht damit verknüpft, dass die konkrete Religionsgesellschaft das Gemeinwohl tatsächlich befördert.108 Andernfalls bestünde nämlich die Gefahr religiöser Vereinnahmung.109 Staatlichen Stellen fehlt aufgrund des Neutralitätsprinzips die Kompetenz, die Gemeinwohldienlichkeit von Religionsgesellschaften konkret zu überprüfen.110 Der Körperschaftsstatus steht damit prinzipiell allen Religionsgesellschaften offen, er wird nach dem rein formalen Kriterium der Rechtstreue im Sinne von Rechtsbefolgung erlangt.111 Eine weitere Begründungslinie, Kirchenrecht als öffentliches Recht zu qualifizieren, geht von Anschütz aus; ihr zufolge ergibt sich aus dem Körperschaftsstatus als solchem, dass kirchliche Rechtsverhältnisse dem öffentlichen Recht 101
Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (11). Isensee, GS Constantinesco (1983), S. 301 (317). 103 Penßel, ZevKR 59 (2014), S. 279 (301); ablehnend zum Begriff des öffentlichen Rechts als einem Begriff des ev. Kirchenrechts Scheven, ZBR 1964, S. 289 (291). 104 D. 1.1.1.2. (Ulpianus 1 inst.). 105 Speziell zum Verweis auf Ulpian für die Qualifizierung des Kirchenrechts Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (11). 106 Vgl. Kahl, Aphorismen zur Trennung von Staat und Kirche, S. 8. 107 Engagiert Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (319, 322 ff.); ähnlich etwa Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 137 WRV Rn. 78. 108 Ablehnend zu einem Erfordernis besonderer Staatsloyalität BVerfGE 102, 370 (395 f.) in Reaktion auf BVerwGE 105, 117 (124 ff.). Vermeintlich auf der Linie des BVerfG fordert Röger, FS Rüfner (2003), S. 749 (752, 755 ff.): ein „solidarisches Plus“ der Kirchen ein (S. 757). 109 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 262 ff.; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 552 f. 110 Eingehend Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 172 ff. 111 Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (30 f.). 102
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zugehören.112 Dem ist bereits entgegenzuhalten, dass auch „echte“ (verwaltungsrechtliche) Körperschaften des öffentlichen Rechts sowohl privat- als auch öffentlich-rechtlich handeln können und daher die Organisationsform nicht zwingend das Handeln determiniert.113 Im Übrigen widerspricht Anschütz’ Auffassung der heute im Grundsatz akzeptierten Unterscheidung von verwaltungsrechtlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts und Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 137 Abs. 5 WRV. Hier liegt ein rein semantisch provozierter Fehlschluss, eine „Begriffsvertauschung“114 vor.115 Inzwischen setzt sich im religionsverfassungsrechtlichen Schrifttum mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass die kirchlichen Rechtsverhältnisse allenfalls formell zum öffentlichen Recht gerechnet werden können.116 Nach materiellen Kriterien sind kirchenrechtliche Rechtsverhältnisse aus staatlicher Perspektive privatrechtliche Rechtsverhältnisse.117 Diese Einteilung entspricht einer klaren Rollenverteilung im freiheitlichen Verfassungsstaat: „Der Bürger ist Inhaber von 112 Dazu bereits eingehend oben Kapitel 4, D. I.; allgemein meint auch Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 104 f., das stets nur an die Person des Regelsetzers anzuknüpfen sei und daher die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften stets „nur öffentlichrechtliche Normen produzieren“. 113 Spanhel, Kirchenrecht in der staatlichen Rechtsordnung, S. 63. 114 Insoweit zutreffend Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (10) für den Versuch, vom Körperschaftsstatus auf eine Grundrechtsbindung zu schließen. Inkonsequent ist allerdings, dass Rüfner wenig später die mit dem Körperschaftsstatus zusammenhängenden Privilegien doch als staatsabgeleitete Hoheitsrechte einordnet (S. 12). 115 Vgl. Kästner, JöR 27 (1978), S. 239 (281). 116 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 122 f.; Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 127; von quasi-öffentlichem Recht spricht Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (255); gegen eine Qualifizierung als öffentliches Recht auch Mikat, FS BVerwG (1963) II, S. 315 (235); ähnlich bereits Holstein, Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, S. 270. Speziell zum kirchlichen Dienstrecht als „rein formal(es) Mittel des öffentlichen Rechts“ – materiell keine staatsabgeleitete öffentliche Gewalt – Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (281); zweifelnd an der öffentlich-rechtlichen Qualität des kirchlichen Dienstrechts, aber ohne klare Festlegung Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (302). 117 Magen, NVwZ 2002, S. 897 (899, Fn. 33); a. A. später Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 124 f., der – obwohl er dem kirchlichen Recht namentlich im Bereich des Dienstrechts jede Hoheitlichkeit abspricht und auch die besonderen öffentlich-rechtlichen Bindungen nicht gelten lassen will – das Kirchenrecht wegen seiner „historischen, strukturellen und inhaltlichen Eigenheiten“ nicht als Privatrecht qualifizieren will. Wenig überzeugend ist der Vorschlag von Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (296 f.), die Begriffe „öffentlich-rechtlich“ und „staatlichen“ voneinander zu trennen. Im Dunkeln bleibt dann nämlich, welche genauen Rechtsfolgen mit der Qualifikation als öffentlich-rechtlich verbunden sein sollen. Schief ist der Vergleich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, denn letzterer ist, anders als die Kirchen, vom Staat gegründet worden und daher Teil der öffentlichen Verwaltung (BVerfGE 31, 314 [329]). Verfehlt ist der Vergleich mit berufständischen Einrichtungen (S. 298 f.), weil letztere als staatliche Zwangskörperschaften – anders als die Kirchen – umfassend grundrechtsgebunden und sehr wohl Teil der mittelbaren Staatsverwaltung sind. Allerdings gelangte Hesse, FS Werner Weber (1974), S. 447 (458 f.), zu ähnlichen Ergebnissen wie hier – insbesondere im Hinblick auf die Grundrechtsbindung –, indem er zwar am Begriff der „öffentlichen“ Gewalt der Kirchen festhielt, diesen aber vom Begriff der staatsabgeleiteten Hoheitsgewalt strikt trennte.
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Freiheit, der Staat Träger von Pflichten“118. Die Befugnis zu öffentlich-rechtlichem Handeln ist daher kein Ausdruck eines Privilegs, sondern Verpflichtung auf besondere öffentlich-rechtliche Bindungen. Diese Bindungen sollen die besonderen Gefährdungen eindämmen, die von staatlichem Handeln für die Freiheit der Bürger ausgehen.119 Öffentliches Recht ist daher notwendig staatsbezogen.120 Die besonderen Freiheitsgefährdungen durch staatliches Handeln ergeben sich vor allem daraus, dass der Staat Inhaber des Gewaltmonopols ist. Dieses umfasst neben dem Vollstreckungsmonopol die exklusive Befugnis des Staates, einseitig – ohne Mitwirkung des Betroffenen – Rechtspflichten aufzuerlegen.121 Die Hoheitlichkeit des Staates fußt auf der einseitig bindenen Kraft des Staatswillens. Otto Mayer stellte dies wie folgt klar heraus: „Der durch das zuständige Organ geäusserte Staatswille hat bindende Kraft, ist für sich allein ohne weitere positive Voraussetzungen fähig, rechtlich wirksam den Einzelnen zu bestimmen“122. Der Rechtsstaat verknüpft diese hoheitliche Souveränität mit einem besonderen öffentlich-rechtlichen Pflichtenprogramm. Dieses ergibt sich in erster Linie aus der unmittelbaren Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt (Art. 1 Abs. 3 GG), verbunden mit einer besonderen Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG). Der so konstituierte Grundrechts- und Rechtswegestaat des Grundgesetzes macht in vorher nie dagewesener Weise ernst mit dem Schutz individueller Freiheiten.123 Die Kirchen sind nicht Teil dieses souveränen, aber öffentlich-rechtlich gebundenen Staates, sondern stehen diesem als Teil der Gesellschaft gegenüber.124 Die Kirchen sind organisatorisch nicht in den Staat eingegliedert und in ihrem Bestand vom Staat unabhängig. Sie wurden nicht vom Staat gegründet, sondern von ihm als bestehende Rechtssubjekte vorgefunden. Der Status als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ im Sinne von Art. 137 Abs. 5 WRV ändert hieran nichts. Das öffentliche Wirken der Kirchen darf nicht mit der Zugehörigkeit zum öffentlichen Recht gleichgesetzt werden,125 da weite Bereiche der Öffentlichkeit zivilgesellschaftlich konstituiert sind.126 Öffentlich wirken könnten die Kirchen auch in Ausübung der
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Müller-Franken, FS Bethge (2009), S. 223 (229). Medicus / Petersen, BGB AT, Rn. 5. 120 Spanhel, Kirchenrecht in der staatlichen Rechtsordnung, S. 68. 121 Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 47. 122 Otto Mayer, AöR 3 (1888), S. 3 (39); vgl. in diesem Sinne auch Sohm, FG Leipzig für Binding (1914): „Wo Rechtsquelle, da ist Obrigkeit. Und umgekehrt: wo Obrigkeit, da ist Rechtsquelle“. 123 Starck, Der demokratische Verfassungsstaat, S. 253. 124 BVerfGE 102, 370 (387), 70, 138 (160 f.); 53, 366 (387); Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (294); Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 272; Korioth, in: GS Jeand’Heur (1999), S. 221 (231); Muckel, JZ 2002, S. 192 (193); zur bleibenden Relevanz der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft überzeugend Müller-Franken, FS Bethge (2009), S. 223 (229); Rupp, in: HdbStR II 32004, § 31 Rn. 29 ff. 125 So bereits zutreffend Schoen, VerwArch 6 (1898), S. 101 (105). 126 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 203; Mikat, FS BVerwG (1963) II, S. 315 (326, 328). 119
B. Legitimation der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts
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Religionsfreiheit,127 ohne Körperschaftsstatus.128 Indem das Grundgesetz dem Staat die Ausübung kirchlicher Leitungsfunktionen und kirchlicher Verwaltung untersagt, stellt es zugleich klar, dass die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die Kirchen keine Wahrnehmung von Staatsaufgaben ist.129 Die besonderen Machtmittel des Staates stehen den Kirchen nicht zur Verfügung. Ihnen fehlt bereits das Vollstreckungsmonopol oder überhaupt ein Recht zu eigenmächtiger Vollstreckung.130 Nur das staatliche Recht kann die Fähigkeit verleihen, einen wirksamen Vollstreckungstitel auszustellen.131 Nach geltender Gesetzeslage sind weder kirchliche Gerichtsentscheidungen noch kirchliche Verwaltungsakte taugliche Vollstreckungstitel.132 Art. 137 Abs. 5 WRV ist keine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage für die Ausstellung von Vollstreckungstiteln durch kirchliche Stellen.133 Die Kirchen sind damit auf Vollstreckbarkeitserklärungen in Form von staatlichen Hoheitsakten angewiesen.134 Rechtlich unbedenklich ist zwar die Ausübung kirchlicher Gerichtsbarkeit, soweit deren Befolgung ebenfalls auf Freiwilligkeit beruht. Die eigenmächtige Vollstreckung kirchlicher Entscheidungen ist aber stets – wenigstens als Nötigung (§ 240 StGB) – strafbar.135 Die Kirche ist daher auf staatliche Vollstreckungshilfe angewiesen, wenn sie ihre Ansprüche gegen den Willen des Betroffenen durchsetzen will. Anders als dem Staat fehlt den Kirchen überdies die Befugnis, einseitig zu entscheiden.136 Die Kirche bleibt eine „freiwillige Veranstaltung“. Ihre Rechtsverhältnisse entsprechen dem Wirkmechanismus der Privatautonomie: Der Einzelne kann von einem Rechtsverhältnis grundsätzlich nur betroffen werden, wenn er selbst kraft seiner Selbstbestimmung an der rechtlichen Gestaltung mitwirkt.137 Das kirchliche Mitgliedschaftsrecht zeigt diese Begrenzung deutlich auf: Die Mitglieder können den kirchenrechtlichen Bindungen jederzeit durch Kirchenaustritt entfliehen. Die Kirche bindet daher heute grundsätzlich nur durch das Gewissen, nicht durch das Schwert. Diese Gewissensbindung mag ihre eigene soziale Macht 127
Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 205. Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (304). 129 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 28 ff. 130 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 45; de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 11. 131 BVerwG, NVwZ 2016, S. 453 (454); VG Hannover, KirchE 51, 293 (297) – jeweils zur Vollstreckung kirchlicher Gerichtsgebühren; OVG Lüneburg, NJW 1999, S. 1882 ff. 132 BVerwG, NVwZ 2016, S. 453 (455); VG Gelsenkirchen, NVwZ 2002, S. 1023; zust. OVG NRW, ZevKR 48 (2003), S. 342; zu § 1 Abs. 1 Nds. VwVG VG Hannover, KirchE 51, 293 (299); eingehend Ehlers, ZevKR 49 (2004), S. 496 (502 ff.); Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 138; Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 73; Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 18; Christoph Thiele, in: FS Gaertner (2003), S. 673 f.; Safoklov, DÖV 2017, S. 99 (102). 133 VG Hannover, KirchE 51, 293 (297); Ehlers, ZevKR 49 (2004), S. 496 (505 f.). 134 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 85. 135 Dazu bereits oben Kapitel 5, A. II. 136 Loschelder, EssG 20 (1986), S. 149 (165). 137 So zur Privatautonomie Flume, BGB AT II, S. 41. 128
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
entfalten und auf Einzelne sogar stärker wirken als die staatliche Zwangsgewalt.138 Gleichwohl kann die Ausübung von Gewissenszwang nicht mit der Ausübung staatlicher Zwangsgewalt gleichsetzt werden. Letztere wirkt nämlich von außen auf die Autonomiesphäre des Einzelnen ein, während jene gerade in die Autonomiesphäre des Einzelnen fällt.139 Wer freiwillig kirchliche Vorschriften beachtet, nimmt das Recht wahr, sein gesamtes Leben nach den Vorschriften seiner Religion auszurichten und entsprechend danach zu handeln.140 Die freiwillige Beachtung des Kirchenrechts ist damit kein Grundrechtseingriff, sondern Ausdruck gelebter grundrechtlicher Freiheit.141 d) Keine Grundrechtsbindung des Kirchenrechts Sobald das Kirchenrecht in dieser Weise als Privatrecht qualifiziert ist, kann die Grundrechtsbindung der Kirchen142 nicht länger „offene Flanke“143 des Religionsverfassungsrechts sein. Denn offengehalten wurde diese Flanke allein durch die Inkonsequenz, wonach das Kirchenrecht einerseits als öffentlich-rechtlich qualifiziert wurde, zugleich aber die Kirchen von allen öffentlich-rechtlichen Bindungen freigestellt wurden. Die Frage der Grundrechtsbindung ist für die Rechtsnatur des Kirchenrechts zentral und kann nicht einfach offen gelassen werden.144 Man kann sie auch nicht mit wenig konkreten Überlegungen über eine Bindung an staatsunabhängige Grundrechte145 beiseite schieben. Tatsächlich müsste die Wahrnehmung staatsabgeleiteter Hoheitsbefugnisse durch die Kirchen zur unmittelbaren Grundrechtsbindung führen, wie Hermann Weber überzeugend dargelegt hat.146 Wegen dieser Konsequenz hat Konrad Hesse mit Recht davor gewarnt, dass die Annahme 138
Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (18). Kästner, JuS 1977, S. 715 (721). 140 Zu dieser Gewährleistung der Religionsfreiheit BVerfGE 32, 98 (106); 108, 282 (297); 138, 296 (Rn. 85). 141 Allgemein zu Recht aus diesem Grund ablehnend zur Grundrechtsbindung „sozialer Gewalten“ Müller-Franken, FS Bethge (2009), S. 223 (231). 142 Zur Diskussion um eine innerkirchliche Grundrechtsbindung aus ökumenischer Perspektive Pirson, ZevKR 17 (1972), S. 358 ff.; Hermann Weber, ZevKR 42 (1997), S. 282 (294 ff.); speziell aus katholischer Perspektive: Zacher, FS Obermayer (1986), S. 325 (331 ff.); Kaiser, EssG 7 (1972), S. 92 (93); Überblick zur kath. Literatur in dieser Frage: Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 81 ff., zum ev. Schrifttum S. 106 ff.; krit. zu innerkirchlichen Grundrechten Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9; dafür, dass grundlegende Rechtspositionen, die sich aus der Menschenwürde ergeben, jedem Recht und auch dem ev. Kirchenrecht vorgehen: Hartmut Maurer, ZevKR 38 (1993), S. 397 (405). 143 Stern, Staatsrecht III/1, § 72 IV 2, S. 1211. 144 So noch BVerfGE 18, 385 (387); krit. dazu Häberle, ZevKR 11 (1964/65), S. 395 (399; 401). 145 Vgl. BVerwGE 28, 345 (351). 146 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 138 f.; 149 ff.; ders., HdbStKirchR I, 21994, § 19, S. 585; ders., DVBl 1970, S. 250 (251); ders., ZevKR 17 (1972), S. 386 (412); ders., ZevKR 42 (1997), S. 282 (292); ebenso Anke, in: HdbEvKR, § 4 Rn. 34; Hillgruber, in: Heinig / Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsver 139
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staatsabgeleiteter Hoheitsbefugnisse auf eine „neue Version der (…) Korrelatentheorie der Weimarer Zeit“147 hinauslaufe. Versuche im Schrifttum, diese Konsequenz zu umgehen, können nicht überzeugen. Dies gilt beispielsweise für die Bemerkung von Wolfgang Rüfner, die Verbindung von staatsabgeleiter Hoheitsgewalt auf der einen und unmittelbarer Grundrechtsbindung auf der anderen Seite sei „viel zu formal“148. Genauso wenig überzeugt eine Argumentation, die Art. 137 Abs. 5 bzw. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV als lex specialis zu Art. 1 Abs. 3 GG, also als Ausnahme zur Grundrechtsbindung hoheitlicher Gewalt, verstanden wissen will.149 Dieser Ansatz wird der überragenden Bedeutung von Art. 1 Abs. 3 GG und der Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt nicht gerecht. Mit dieser Argumentation ließen sich auch andere Grundgesetzbestimmungen als Ausnahmen von der Grundrechtsbindung verstehen, was einen gefährlichen Fluchtweg aus der Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt eröffnete. Art. 79 Abs. 3 GG unterstreicht die fundamentale Bedeutung der Grundrechtsbindung aller staatlichen bzw. hoheitlichen Gewalt. Deshalb verbietet es sich, „einfaches“ Verfassungsrecht als lex specialis zur staatlichen Grundrechtsbindung zu interpretieren. Nicht überzeugend ist es schließlich, die Grundrechtsbindung der Kirchen zwar im Grundsatz anzuerkennen, dann aber praktisch wegen einer gleichzeitigen Grundrechtsberechtigung der Kirchen zu nivellieren. Beispielsweise meinen Martin Morlok und Hans Michael Heinig, die Grundrechtsbindung der Kirchen werde „durch die Gewährleistung eigener Grundrechte konterkariert“150. Sie verkennen dabei, dass eine Grundrechtsberechtigung staatlicher Stellen, wie sie beispielsweise den Universitäten für die Wissenschaftsfreiheit zugesprochen wird,151 keineswegs von der gleichzeitigen Grundrechtsbindung freistellt. So entbindet die Wissenfassungsrecht?, S. 213 (223 f.); ders., NVwZ 2001, S. 1347 (1352); ähnlich Säcker, DVBl 1969, S. 5; auch Stern, Staatsrecht III/1, § 72 IV 5, S. 1221 diese Konsequenz zugebend, ihre Prämissen jedoch ablehnend Hesse, FS Werner Weber (1974), S. 447 (458). 147 Hesse, in: FS Werner Weber (1974), S. 447 (459). 148 Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (16). 149 Kempen, in: HdbGR II, § 54 Rn. 78. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 73; ähnlich die Argumentation Magens, a. a. O., S. 69 f., dass hoheitliches Handeln der Kirchen nicht vom Demokratieprinzip legitimiert werden müsse, weil Art. 137 Abs. 5, 6 WRV demgegenüber als „verfassungsrechtlicher Dispens“ wirke. Hoheitliche Gewalt des Staates ist an die Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG einschließlich des Demokratieprinzips gebunden. Insbesondere geht hier die historische Argumentation Magens fehl, auf den vermeintlichen Willen der Weimarer Nationalversammlung abzustellen. Erstens lehnte es die Weimarer Nationalversammlung gerade ab, die Privilegien der Kirchen als hoheitliche („obrigkeitliche“) Befugnisse zu deuten (vgl. oben Kapitel 4, C. II.). Zweitens gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Parlamentarische Rat die Möglichkeit schaffen wollte, von der Geltung der Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG in ihrem Anwendungsbereich zu dispensieren. Die nach der Erosion der Weimarer Verfassung vom Parlamentarischen Rat geschaffene „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG spricht vielmehr klar dagegen. 150 Morlok / Heinig, NVwZ 1999, S. 697 (702 f.). 151 BVerfGE 21, 362 (373 f.); 31, 314 (322).
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schaftsfreiheit die Universität nicht davon, die Berufsfreiheit oder den Gleichheitsgrundsatz für ihre Studenten zu beachten. Indes erübrigen sich derlei Widersprüchlichkeiten. Denn wie aufgezeigt beruht die Geltung kirchlichen Rechts überhaupt nicht auf der Verleihung eines Hoheitsrechts.152 Die „Wasserscheide“ zwischen grundrechtlicher Freiheit der Gesellschaft auf der einen und grundrechtsgebundener Staatsgewalt auf der anderen Seite153 lässt sich daher konsequent und ohne dass vermeintliche Ausnahmen konstruiert werden müssen, aufrechterhalten. Als Teil der Gesellschaft sind die Kirchen nicht (unmittelbar) grundrechtsverpflichtet,154 sondern wie Privatrechtssubjekte155 umfassend grundrechtsberechtigt.156 Teil dieses grundrechtlichen Schutzes ist es, dass der Staat Verbänden die Möglichkeit gibt, sich bürgerlich-rechtlich verbindliches Eigenrecht zu geben. Es ist daher voreilig, wenn das religionsverfassungsrechtliche Schrifttum dazu tendiert, vom Ergebnis staatskirchenrechtlicher Traditionsbestände wie der Rechtsetzungsbefugnis der Kirchen unbesehen auf die Übertragung hoheitlicher Befugnisse zu schließen.157 In ihrer Fixierung auf das Staatskirchenrecht als Sonderrechtsgebiet hat sich die herrschende Lehre bisher weitgehend blind für die Freiräume gezeigt, die das Privatrecht – verfassungskräftig abgesichert – Verbänden ohnehin lässt. Kommt eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Kirchen nach dem zuvor Gesagten nicht in Betracht, so verbleibt es allerdings wie für andere Private auch bei einer mittelbaren Grundrechtsbindung.158 Diese beruht darauf, dass der Staat als Adressat der Grundrechte dazu verpflichtet ist, die betreffenden Grundrechte durch entsprechende Schrankengesetze auch gegenüber den Kirchen zu schützen.159 Die mittelbare Grundrechtsbindung verwirklicht sich im Bereich des kirchlichen Dienstrechts im Prinzip des ordre public.160 Mit dem Rückgriff auf die allgemeinen Prinzipien der Privat- und Vereinsautonomie wird die Freiheit der Kirchen nicht geschmälert, sondern erst ermöglicht. 152
Oben B. II. 1. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 25. 154 Kästner, JuS 1977, S. 715 (718 ff.). 155 Demgegenüber kommt es nicht in Betracht, Trägern hoheitlicher Gewalt über Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsfreiheit zuzugestehen, so zutreffend Rupp, in: HdbStR II 32004, § 31 Rn. 31. 156 BVerfGE 102, 370 (387); StGH BW, VBlBW 2015, S. 414 (417); Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 7 f.; Wißmann, VerwArch 96 (2005), S. 369 (378); Lorenz, NJW 1996, S. 1855 (1856); Wilms, NJW 2003, S. 1083 (1086); ablehnend zur unmittelbaren Grundrechtsbindung kraft sozialer Wirkmacht zu Recht Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 517 ff.; Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 587. 157 So beispielsweise Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 30 f., der an anderer Stelle selbst darauf hinweist, dass aus der Inanspruchnahme von Privatautonomie nicht auf die Übertragung staatlicher Hoheitsgewalt geschlossen werden kann (S. 60). 158 Heun, ZevKR 49 (2004), S. 443 (459); Hermann Weber, ZevKR 17 (1972), S. 386 (404) – soweit die Kirchen seiner Auffassung nach nicht ohnehin unmittelbar grundrechtsgebunden sind. 159 Kästner, JuS 1977, S. 715 (720). 160 Dazu eingehend Kapitel 8. 153
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Freies Kirchenrecht kann es nur als Privatrecht geben. Denn „öffentliches Recht ist das Recht der gebundenen, das Privatrecht dasjenige der freien Entscheidung“161. Insbesondere befreit das Privatrecht von dem im öffentlichen Recht herrschenden Begründungszwang:162 Die „Grundrechte entbinden das Recht zu privater Willkür“163. Die Kirche profitiert damit von dem alten Grundsatz: „Stat pro ratione voluntas“164. Diese Freiheit zur Willkür gibt den Kirchen Raum, ihre Bekenntnisbindung zu verwirklichen. Unvereinbar mit dem Charakter religiösen Rechts wären hingegen öffentlich-rechtliche Rechtfertigungszwänge: Stat pro ratione fides.
III. Dienstherrnfähigkeit und Privatautonomie Die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung165 und Literatur166 geht davon aus, dass die Kirchen jedenfalls dort staatsabgeleitete Hoheitsgewalt wahrnehmen, wo sie sich der besonderen Rechte bedienen, die aus dem Körperschaftsstatus folgen. Das wirft die Frage auf, ob für jene kirchlichen Bestimmungen, die im Rahmen der Dienstherrnfähigkeit erlassen werden, etwas anderes gilt als für die allgemeinen kirchlichen Bestimmungen, ob das Kirchendienstrecht also ausnahmsweise doch zum öffentlichen Recht zählt. 1. Inkonsequenz der Gegenauffassung Diese Frage ist zu verneinen.167 Zunächst ist eine bemerkenswerte Inkonsequenz der Gegenauffassung festzuhalten. Sie entzieht sich weitgehend den Folgerungen, die aus der Qualifikation der Kirchendienstverhältnisse als materiell öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse gezogen werden. Dies gilt insbesondere für die Rechtsprechng des Bundesverfassungsgerichts. Diese betont zwar, dass die Kirchen ihre öffentliche Rechtsstellung aus ihrem besonderen Auftrag168 und nicht
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Medicus / Petersen, BGB AT, Rn. 10. Medicus / Petersen, BGB AT, Rn. 4; Wolf / Neuner, BGB AT, § 2 Rn. 14; problematisch daher der Versuch Traulsens, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 52 ff., für die Kirchen eine mittelbare Rechtsstaatsbindung zu konstruieren, welche den prinzipiellen Unterschied zwischen der ungebunden staatlichen und der freien nicht-staatlichen Entscheidung nivelliert. 163 Müller-Franken, FS Bethge (2009), S. 223 (230). 164 In Anlehnung an Juvenal, Satiren VI, Z. 223. 165 BVerfGE 18, 385 (387); 30, 415 (422); 102, 370 (388); 139, 321 (Rn. 113). 166 Vgl. statt vieler nur Meyer-Teschendorf, AöR 103 (1978), S. 289 (294 f.); Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 272; Hermann Weber, ZevKR 42 (1997), S. 282 (287); a. A. Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 118 ff; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 90 ff. 167 Ebenso dezidiert gegen eine Qualifikation der kirchlichen Dienstverhältnisse als öffentlichrechtliche Dienstverhältnisse Spanhel, Kirchenrecht in der staatlichen Rechtsordnung, S. 86 ff. 168 BVerfGE 18, 385 (387). 162
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vom Staat ableiten.169 In diesem Zusammenhang sprechen die Karlsruher Richter sogar von einer „originären Rechtsgewalt“170 der Kirchen. Zugleich sollen die mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Privilegien allerdings staatsabgeleitete Hoheitsbefugnisse sein.171 Die Widersprüche dieser Rechtsprechung treten besonders deutlich in der Grundsatzentscheidung zur Verleihung des Körperschaftsstatus an die Zeugen Jehovas zutage.172 Auf der einen Seite hat das Bundesverfassungsgericht dort die grundrechtliche Deutung des Körperschaftsstatus maßgeblich begründet.173 Demnach ist der Körperschaftsstatus „funktional auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt“174. Der Körperschaftsstatus ist „ein Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit“175, rechtfertigt sogar seine Existenz in der „Verstärkung der Entfaltung grundrechtlicher Freiheit“176. Auf der anderen Seite blieb das Bundesverfassungsgericht bei seiner Auffassung, mit dem Körperschaftsstatus würden „bestimmte hoheitliche Befugnisse übertragen“177. Aus „der Bindung aller öffentlichen Gewalt an Gesetz, Recht und Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG)“ leiten die Richter weiter ab, „dass eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Gewähr dafür bieten muss, die ihr übertragene Hoheitsgewalt in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und den sonstigen gesetzlichen Vorgaben auszuüben“178. Noch deutlicher heißt es kurz darauf: „Die korporierten Religionsgemeinschaften sind – soweit sie außerhalb des ihnen übertragenen Bereichs hoheitlicher Befugnisse handeln – an die einzelnen Grundrechte nicht unmittelbar gebunden“179. Diese grundsätzlichen Feststellungen treffen zu. Der Staat kann seine Hoheitsgewalt nicht ohne die damit verbundenen Bindungen übertragen:180 nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet. Seine eigenen Prämissen setzt das Bundesverfassungsgericht aber später nicht um.181 Zwar ordnet das Bundesverfassungsgericht im selben Urteil die Dienstherrnfähigkeit erstmals ausdrücklich den aus dem Körperschaftsstatus folgenden öffentlich-rechtlichen Befugnissen zu.182 In späteren Entscheidungen entzieht es sich aber dem aus den eigenen Prämissen folgenden Schluss, dass die Kirchen in ihrem Dienstrecht unmittelbar an die 169
BVerfGE 18, 385 (386). BVerfGE 19, 1 (12). 171 BVerfGE 18, 385 (387); 30, 415 (422). 172 Zum Ganzen krit., allerdings mit teils zur hier vertretenen Position abw. Schlussfolgerungen Hillgruber, NVwZ 2001, S. 1347 ff.; Uhle, FS Isensee (2007), S. 1033 (1038 ff.). 173 Uhle, in: FS Isensee (2007), S. 1033 (1035). 174 BVerfGE 102, 370 (387). 175 BVerfGE ibid. 176 BVerfGE 102, 370 (390). 177 BVerfGE 102, 370 (388), Hervorhebung durch den Verf. 178 BVerfGE 102, 370 (390), Hervorhebungen durch den Verf. 179 BVerfGE 102, 370 (392). 180 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 138 f.; ders., ZevKR 17 (1972), S. 386 (412). 181 Ebenso krit. zur Inkonsequenz des BVerfG Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 587. 182 BVerfGE 102, 370 (371; 388). 170
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Grundrechte gebunden sein müssten. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde wurde nicht einmal zur Entscheidung angenommen.183 Tatsächlich wären die Konsequenzen einer unmittelbaren Grundrechtsbindung verheerend für die kirchliche Freiheit zur Dienstgestaltung: Unter einer unmittelbaren Grundrechtsbindung ist es schlicht unerklärlich, wie die Dienstherrnfähigkeit ein Dienstrecht ermöglichen soll, das den Pflichtzölibat kennt oder Frauen vom Priestertum ausschließt.184 Die Freiheiten bei der Ausgestaltung der Dienstverhältnisse könnten dann eher durch den Abschluss von Arbeitsverträgen unter Inanspruchnahme des staatlichen Vertragsrechts erreicht werden. Unvereinbar mit dem öffentlich-rechtlichen Pflichtenprogramm sind aber auch die aktuellen Prüfungsmaßstäbe von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht. Wenn im Bereich des Dienstrechts eine unmittelbare Grundrechtsbindung bestehen sollte, wäre es unerklärlich, warum eine gerichtliche Aufhebung dienstrechtlicher Maßnahmen erst dann möglich werden sollte, wenn diese die in Art. 79 Abs. 3 GG festgelegten Grundsätze verletzen. Denn das Pflichtenprogramm der „normalen“ staatlichen (wie auch der staatsabgeleiteten) Hoheitsgewalt erschöpft sich nicht in der Beachtung jener Grenzen, die dem verfassungsändernden Gesetzgeber gesetzt sind (Art. 79 Abs. 3 GG); einzuhalten ist vielmehr das gesamte geltende Verfassungsrecht.185 Ähnlich inkonsequent wie die Rechtsprechung bleiben weite Teile der Literatur. Selbst diejenigen, die eine Grundrechtsbindung der Kirchen bei der Ausübung staatsabgeleiteter Hoheitsbefugnisse grundsätzlich akzeptieren,186 lösen sie im Konkreten oft nicht ein.187 Dies gilt insbesondere für die Lehre vom Typenzwang. Denn der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Art. 33 Abs. 2 GG188 sowie 183
BVerfGE 111, 1 (5); krit. dazu abw. M. Lübbe-Wolff, BVerfGE 111, 7; ebenso BVerfGK 14, 485. 184 Vgl. Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (16). 185 Friehe, JZ 2014, S. 954 (956). 186 Germann, in: BeckOK-GG, Art. 140 (Stand: 1.6.2017) Rn. 83, behauptet ohne nähere Begründung, dass die Kirchen auch dort nicht unmittelbar grundrechtsgebunden seien, wo sie von öffentlich-rechtlichen Handlungsformen Gebrauch machten. 187 Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (12) bejaht zwar die Grundrechtsbindung der Kirchen im Bereich der übertragenen Hoheitsbefugnisse, lehnt sie dann aber wenig später bei den „öffentlichrechtlichen Dienstverhältnisse(n) der Religionsgemeinschaften“ ab (S. 16). Anke, in: HdbEvKR, § 4 Rn. 34, bejaht zwar ausdrücklich die unmittelbare Grundrechtsbindung der Kirchen, lehnt dann aber die Anwendung des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes ab (Rn. 38). Hammer, Rechtsfragen der Kirchensteuer, qualifiziert die Kirchensteuer zwar in Übereinstimmung mit der nahezu einhelligen Literatur als übertragenes Hoheitsrecht (S. 140), belässt es dann aber im Ergebnis bei einer mittelbaren Grundrechtsbindung der Kirchen bei der Kirchensteuererhebung (S. 295). Selbst Hermann Weber, der sich als einer der wenigen Vertreter der Literatur ausdrücklich zur Grundrechtsbindung der Kirchen dort bekennt, wo es um vermeintlich staatsabgeleitete Hoheitsrechte aus dem Körperschaftsstatus geht, zieht im Dienstrecht nicht die erforderlichen Konsequenzen, in dem er es als Vertreter der Lehre vom Typenzwang bei einer nur eingeschränkten Bindung an Art. 33 Abs. 5 GG belässt. So etwa ZevKR 42 (1997), S. 282 (292 f.). 188 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 33 Rn. 7.
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
der Anspruch auf Beachtung der hergebrachten Grundsätze zum Berufsbeamtentum nach Art. 33 Abs. 5 GG189 sind grundrechtsgleiche Rechte. Die unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften lehnt die Lehre vom Typenzwang – nicht anders als die Rechtsprechung – indessen ab.190 Das Grundproblem der These von den staatsabgeleiteten Hoheitsbefugnissen liegt nach alledem darin, dass sie den freiheitssichernden Zweck der Körperschaftsrechte nicht mit dem heute pflichtengeprägten Begriff des öffentlchen Rechts in Einklang zu bringen vermag. Erneut zeigt sich überdies die evangelische Prägung des Staatskirchenrechts, verbunden mit dem unzulässigen Schluss vom evangelischen Selbstverständnis auf das Staatskirchenrecht. Zu Recht wendet Stefan Magen ein: „Die Orientierung am staatlichen Recht ist (…) freiwillig und wandelt die grundrechtlich fundierten Befugnisse nicht zu Hoheitsbefugnissen“191. 2. Materielle Gründe für eine Zuordnung der Kirchendienstverhältnisse zum Privatrecht Nach materiellen Kriterien gehören auch Kirchendienstverhältnisse zum Privatrecht.192 Kirchendienstrecht ist kein staatliches Recht.193 Nach den Ergebnissen zur Entstehungsgeschichte sollten die mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Rechte nicht als obrigkeitliche Befugnisse gedeutet werden. Indem die Körperschaftsrechte nicht länger als staatsabgeleitete Hoheitsrechte verstanden werden, wird der Körperschaftsstatus von jeder staatskirchlichen Attitude befreit.194 Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse beruhen, nicht anders als die Kirchenmitgliedschaft, auf der freiwilligen Mitwirkung der Beteiligten.195 Mit dem Verbot religiösen Zwangs (Art. 136 Abs. 4 WRV) und dem Charakter der Kirche als „freiwillige Veranstaltung“ sind kirchliche Zwangsdienstverhältnisse noch weniger vereinbar als eine Zwangsmitgliedschaft. Während der Staat in Ausnahmefällen Dienstverhältnisse auch gegen den Willen des Betroffenen begründen kann – beispielsweise beim Soldatenverhältnis oder bei kommunalen Ehrenämtern –, steht der Kirche diese Befugnis nicht zu. Die bürgerliche Wirkung kirchlicher Dienst 189
BVerfGE 117, 330 (344); 119, 247 (266); 139, 64 (Rn. 92). So Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 293. 191 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 125. 192 Im Ergebnis wie hier Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 96 ff., der zwar von öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen spricht, aber deren hoheitlichen Charakter ablehnt; dem folgend Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 183 ff.; zuvor bereits Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (281). 193 So konsequent Kästner, JuS 1977, S. 715 (719) und widersprüchlich Rüfner, EssG 7 (1972), S. 7 (11 f.; 16). 194 Friehe, JZ 2014, S. 954 (955). 195 Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 184; Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 164, ohne allerdings die daraus folgenden Konsequenzen zu ziehen. 190
B. Legitimation der bürgerlichen Wirkung des Kirchenrechts
195
verhältnisse hängt stets von einem Mitwirkungsakt des Bediensteten ab.196 Existiert ein hinreichend bestimmtes Satzungsrecht, kann dieser Mitwirkungsakt schon durch den Eintritt in die Religionsgesellschaft erfolgen, wie etwa bei Orden und geistlichen Gemeinschaften; im Übrigen muss das Dienstverhältnis separat mit Zustimmung des Betroffenen begründet werden. Die bürgerlich-rechtliche Wirkung der Kirchendienstverhältnisse beruht damit, ebenso wie die Kirchenmitgliedschaft, auf rechtsgeschäftlicher Einigung. Aus diesem Grunde kann ein Beschäftigungsverhältnis auch nicht beliebig einseitig von der Kirche geändert werden. Die einseitige Umwandlung eines nach staatlichem Recht geschlossenen Arbeitsvertrags in ein kirchenrechtliches Dienstverhältnisses ist unzulässig. Denn damit würde die rechtsgeschäftliche Legitimation für die bürgerlich-rechtliche Geltung des Kirchendienstverhältnisses fehlen. Hierin liegt die Begründung für das Diktum des Bundesverfassungsgerichts, privatvertragliche Beschäftigungsverhältnisse der Kirchen dürften nicht „klerikalisiert“ werden. Soweit ein Arbeitsverhältnis begründet wurde, bleibt es deshalb bei der Bindung an das zwingende Arbeits- und Sozialrecht.197 Dies ist – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – schlichte „Folge einer Rechtswahl“. Das kirchenrechtliche Verständnis zur Begründung der Kirchendienstverhältnisse ist mit dem hier vertretenen Mitwirkungserfordernis kompatibel. Zwar wird das Dienstverhältnis an sich nach dem kirchlichen Selbstverständnis einseitig begründet, nämlich durch Ernennung bzw. Weihe. Gleichwohl geht auch das Kirchenrecht von einem Mitwirkungserfordernis aus: Nach evangelischem Verständnis ist die Ernennung ein mitwirkungsbedürftiger „Hoheitsakt“.198 Nach katholischem Verständnis gehört die notwendige Freiheit zu den grundlegenden Voraussetzungen für den Empfang der Weihe.199 Der Weihebewerber muss vor der Weihehandlung eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung vorlegen, in der er um die Zulassung zur Weihe bittet (c. 1036 CIC).200 Zwang ist strikt untersagt (c. 1026 CIC) und macht die Weihe ungültig (c. 125 CIC).201 Ein kirchliches Dienstverhältnis kann daher sowohl nach staatlichem Recht als auch nach dem kirchlichen Selbstverständnis nur durch Einverständnis zwischen der Kirche und dem Bediensteten begründet werden. Kirche und Bediensteter erfüllen damit den Tatbestand eines Vertrags. Denn nach der klassischen 196 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 99, der allerdings eine Analogie zum staatlichen Beamtenrecht bildet. Dabei übersieht er gerade, dass bestimmte öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse auch gegen den Willen des Betroffenen begründet werden können. 197 Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (255). 198 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 1. 199 Hirnsperger, in: HdbKathKR, 32015, § 82 S. 1230. 200 Schwendenwein, in: HdbKathKR, 32015, § 21 S. 345. 201 Hirnsperger, in: HdbKathKR, 32015, § 82 S. 1230; eingehend Weinberger, Voraussetzungen für die Zulassung zum Priestertum, S. 342 ff., der allerdings für die Ungültigkeit vis absoluta verlangt, und im Fall der vis relativa lediglich von der Möglichkeit ausgeht, die Rechtsfolgen der Weihe ex nunc zu beseitigen.
196
6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
Definition Savignys ist ein Vertrag „die Vereinigung Mehrerer zu einer übereinstimmenden Willenserklärung, wodurch ihre Rechtsverhältnisse bestimmt werden“202. Ausdrücklich hält Stefan Magen fest: „In ihrer konsensualen Absicherung unterscheidet sich die Ernennung eines Kirchenbeamten also nicht von einem Arbeitsvertrag“203. Bedarf es damit für das Zustandekommen eines kirchlichen Dienstverhältnisses einer vertraglichen Einigung, so kann der eigentliche Inhalt der Dienstherrnfähigkeit nicht darin bestehen, dass die Religionsgesellschaften überhaupt imstande sind, kirchenrechtliche Dienstverhältnisse zu begründen. Denn dazu sind sie ohnehin mittels der Vertragsfreiheit imstande. In den Grenzen des zwingenden staatlichen Rechts können die Kirchen mit den Mitteln der Privatautonomie ihr kirchliches Recht in das staatliche Recht transformieren. Demgegenüber liegt das entscheidende „religionsverfassungsrechtliche Plus“ darin, dass die Kirchen bei Inanspruchnahme der Dienstherrnfähigkeit nicht an die Grenzen des zwingenden staatlichen Arbeits- und Sozialrechts gebunden sind. Die Dienstherrnfähigkeit ermöglicht den Parteien damit, über das anwendbare zwingende Recht zu disponieren, und geht insofern über die Privatautonomie hinaus. Dieser Mechanismus wird im folgenden Kapitel noch eingehend erläutert.
C. Das Kirchen(dienst)recht als materielles Recht Abschließend zu den Überlegungen dieses Kapitels stellt sich die Frage, ob das kirchliche Dienstrecht nach den oben genannten Maßstäben materielles Recht ist. Diese Frage ist – wie bereits im dritten Kapitel eingehend dargelegt204 – auch im Hinblick auf die Rechtsschutzgewährung die entscheidende.
I. Abgrenzung bürgerlich wirksamer Kirchenrechtsnormen von bloß sozial wirksamen Kirchenrechtsnormen Die hier vertretene Auffassung, wonach die bürgerlich-rechtliche Geltung des Kirchenrechts auf einer privatautonomen Entscheidung beruht, hat einen entscheidenden Vorteil: Sie ermöglicht eine klare Abgrenzung zwischen justiziablem und nicht justiziablem Kirchenrecht. Diese Abgrenzung hat in der Diskussion über die Justizgewährung in Bezug auf kirchliche Rechtsverhältnisse stets eine große Rolle gespielt. Dabei bestand und besteht im Grunde Einigkeit, dass nicht jede 202
v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts III, S. 309. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 99; ebenso Achim Janssen, Status von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 165. 204 Oben Kapitel 3, C. 203
C. Das Kirchen(dienst)recht als materielles Recht
197
kirchenrechtlich geregelte Frage justiziabel sein soll.205 Beispielsweise soll vermieden werden, dass Klagen auf Sakramentenspendung vor staatlichen Gerichten Erfolg haben könnten.206 Als praktisch undurchführbar hat sich der Versuch der Bereichslehre erwiesen, staatlichen und kirchlichen Bereich anhand objektiver Kriterien voneinander zu scheiden.207 Da sich Kirche und Staat in den „gleichen Menschen [begegnen], die Gläubige und Bürger zugleich sind“, begegnen sie sich zugleich auch „in den gleichen Objekten und Sachproblemen, in denen die Gläubigen ihre Bürgerpflichten erfüllen und die Bürger ihres Glaubens leben wollen“208. Nach der hier vertretenen Auffassung kommt es auf ein subjektives Kriterium an: Justiziabel ist demnach – abgesehen vom staatlichen Recht – solches Kirchenrecht, das die Kirche kraft privatautonomer Entscheidung zu materiellem Recht macht. Die Klagbarkeit des Kirchenrechts hängt damit vom Willen der Kirche ab.209 Nach allgemeiner Rechtsgeschäftslehre setzt eine rechtsgeschäftlich relevante Willenserklärung einen Rechtsbindungswillen voraus. Beim fehlerfreien Rechtsgeschäft liegt dieser Rechtsbindungswille subjektiv vor. Zwingende Voraussetzung ist, dass der Rechtsbindungswille zumindest vom Standpunkt des objektiven Empfängers angenommen werden muss.210 Indem sie einen Rechtsbindungswillen artikulieren, erlangen die Kirchen selbst die Verfügung darüber, welchen kirchenrechtlichen Bestimmungen die Eigenschaft als bürgerlich wirksames, also materielles Recht zukommen soll. Die Kirchen können sich demnach selbst entscheiden, ob „sie ihr internes Recht bewusst auf Geltung auch im weltlichen Rechtskreis anlegen oder dies gerade ausschließen“211. Diese Verfügung entscheidet darüber, ob die einschlägige kirchenrechtliche Bestimmung ausschließlich im „rechtsfreien Raum“ wirksam werden kann, der durch die grundrechtlich geschützte freiwillige Beachtung des Kirchenrechts entsteht, oder ob die kirchenrechtliche Bestimmung bürgerlich-rechtlich verbindlich und damit auch vor Gerichten klagbar ist. Danach lässt sich nicht pauschal sagen, ob Kirchenrecht materielles Recht und damit vor staatlichen Gerichten justiziabel ist oder nicht. Das Kirchenrecht enthält teils rein soziale Normen, deren Beachtung im Grunde unverbindlich ist und allein auf Freiwilligkeit beruht. Teils enthält es aber auch Rechtsnormen, die verbindliche Rechtspflichten erzeugen. Die Abgrenzung muss nach den Maßstäben der allgemeinen Lehre über die Rechtsgeschäfte erfolgen.
205
Vgl. etwa auch Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 173, zu rein litur gischen Fragen. 206 Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, S. 118. 207 Bechler, in: Becker / Lange, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts III, S. 297 (311 f.). 208 Martin Heckel, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (32). 209 Classen, Religionsrecht, Rn. 592. 210 BGHZ 91, 324 (Ls. 1); 109, 171 (177). 211 So im Ergebnis ganz ähnlich Classen, Religionsrecht, Rn. 589.
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
II. Kirchendienstrecht als materielles Recht Nach diesen Maßstäben muss auch entschieden werden, ob kirchliches Dienstrecht materielles Recht ist. Die Frage, ob und welche kirchendienstrechtlichen Bestimmungen materielles Recht sind, hängt mithin vom Rechtsbindungswillen der Beteiligten ab. 1. Objektiver Erklärungsgehalt auf Seiten des Bediensteten Auf Seiten des Dienstnehmers sprechen alle wesentlichen Umstände dafür, einen Rechtsbindungswillen anzunehmen. Das Dienstverhältnis ist für die Geistlichen und Kirchenbeamten wirtschaftliche Grundlage ihrer Existenz. Die Verbindlichkeit kirchenrechtlicher Besoldungs- und Versorgungsansprüche liegt damit gerade in ihrem Interesse. Typischerweise findet sich der Dienstnehmer in der Position des Klägers wieder, der die Fortdauer des Dienstverhältnisses und der Besoldungsansprüche geltend macht. Damit seine Klage erfolgreich sein kann, ist der Bedienstete auf materielle Ansprüche angewiesen. Die bloß unverbindliche Geltung der kirchenrechtlichen Normen liegt dagegen nicht im Interesse des Bediensteten. Zwar kann der Bedienstete innerkirchliche Rechtsschutzmechanismen nutzen. Da die Kirchengerichte aber von der Kirche selbst eingesetzt werden und die Kirchen damit letztlich in eigener Sache judizieren, handelt es sich dabei nicht um eine gleichwertige Alternative zu staatlichem Rechtsschutz. 2. Objektiver Erklärungsgehalt auf Seiten der Kirche Für die Kirche als Dienstgeberin ist es in einigen Fällen ebenfalls vorteilhaft, dass das kirchliche Dienstrecht materielles Recht und damit klagbar ist. In Einzelfällen ist es nämlich denkbar, dass auch sie ein Interesse hat, Ansprüche gegen ihren Dienstnehmer zwangsweise durchsetzen zu können. Die Rechtsqualität des kirchlichen Dienstverhältnisses im staatlichen Bereich völlig zu negieren, bringt Probleme mit sich. In der Praxis wurde auf dieser Basis etwa die Klage gegen einen Pfarrer auf Räumung der Dienstwohnung abgewiesen.212 Zahlt die Kirche Dienstbezüge zu viel, wäre die Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen ausgeschlossen. Denn Besoldungszahlungen der Kirche erfolgten in diesem Falle zwar – aus der Perspektive des staatlichen Rechts – allesamt rechtsgrundlos; einem Kondiktionsanspruch stünde indes die Kenntnis der Nichtschuld entgegen (§ 814 BGB).213 212
LG Berlin, ZevKR 33 (1988), S. 69 f. Dies übersieht Reichert, VereinsR, Rn. 6402.
213
C. Das Kirchen(dienst)recht als materielles Recht
199
Gleichwohl sprechen bei der Dienstgeberin gewichtige Anhaltspunkte gegen einen Rechtsbindungswillen. Wie bereits erwähnt, dürfte nämlich in der überwiegenden Zahl der Fälle der Dienstnehmer als Kläger auftreten, sodass der Kirche die Beklagtenrolle zufällt. Insgesamt kann es daher für sie vorteilhafter sein, wenn das Kirchendienstverhältnis kein materielles Rechtsverhältnis ist. Dann fehlt es nämlich an einem Anspruch im materiellen Recht, sodass entsprechende Klagen regelmäßig erfolglos bleiben. Das gilt umso mehr, als sich die Kirche im Konfliktfall regelmäßig selbst befriedigen kann, ohne staatlichen Rechtsschutz zu suchen. Stehen ihr selbst – nach kirchlichem Recht – Zahlungsansprüche gegen den Dienstnehmer zu (Schadensersatz, Rückzahlung, disziplinarische Geldstrafen), so kann sie diese durch bloße Einbehaltung der Besoldung effektiv durchsetzen. Ist nach staatlichem Recht das kirchliche Dienstrecht schon kein materielles Recht, dann erübrigen sich Auseinandersetzungen darum, ob die Gegenansprüche der Kirche berechtigt sind: Der Dienstnehmer hat sowieso keinen klagbaren Anspruch. Schließlich hat die Kirche als Dienstgeberin strukturell ein ungleich geringeres Interesse am Fortbestehen des Dienstverhältnisses als der Dienstnehmer. Kommt es zum Konflikt, wird die Kirche im Zweifel die Beendigung des Dienstverhältnisses hinnehmen oder sogar anstreben.214 Für den Dienstnehmer hängt dagegen die wirtschaftliche Existenz an dem Dienstverhältnis, sodass er dessen Fortgeltung anstreben wird. In dieser – in der Arbeitswelt typischen – Konfliktsituation ist es für die Kirche ebenfalls von Vorteil, wenn das kirchenrechtliche Dienstverhältnis nach staatlichen Begriffen ein rein soziales, rechtlich irrelevantes Verhältnis ist. Die Beendigung ist dann ohne weitere Voraussetzungen jederzeit möglich. Die Interessenlage der Kirche spricht also insgesamt dagegen, einen Rechtsbindungswillen anzunehmen. Zur Auslegung des Erklärungsinhalts von Weihe bzw. Ernennung ist aber ein anderer Aspekt noch entscheidender: Die Kirchen lehnen eine Streitbeilegung durch die staatlichen Gerichte ausdrücklich ab. Die einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen verweisen den Dienstnehmer gerade auf den kirchlichen Rechtsweg. Der staatliche Rechtsweg sollte dadurch ganz bewusst ausgeschlossen werden. In der katholischen Kirche ist der Gang vor die staatlichen Gerichte sogar eine Kirchenstraftat (c. 1375 CIC).215 Die Kirchen befürchten nämlich, dass bei staatlichen Entscheidungen über ihre Dienstverhältnisse die religiösen Besonderheiten des Dienstverhältnisses missachtet werden könnten. Die Entscheidung eines staatlichen Gerichts ist für sie immer Fremdbestimmung. Maximale religiöse Autonomie in dienstrechtlichen Angelegenheiten kann nur erreicht werden, wenn 214 Sperling, ZevKR 37 (1992), S. 273 (274) macht zutreffend darauf aufmerksam, dass die Kirche auch dort, wo sie zunächst ein kirchengerichtliches Urteil nicht unmittelbar vollstrecken kann – zum Beispiel Verpflichtung zum Bezug einer Pfarrwohnung – gegenüber ihren Amtsträgern durch das Disziplinarrecht die nötigen Druckmittel hat, um eine Vollstreckung des kirchengerichtlichen Urteils durchzusetzen. Die Missachtung kirchengerichtlicher Urteile ist nämlich stets kirchenrechtlich eine Amtspflichtverletzung. 215 Schöch, in: FS Listl (2004), S. 395 (407); zum c. 1553 CIC a. F. Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 74.
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6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
die Kirchen nicht nur kirchengesetzlich das Dienstverhältnis regeln, sondern auch kirchengerichtlich seine Anwendung selbst steuern können. Dass die Kirchen eine Streitbeilegung durch staatliche Gerichte ablehnen, ist – in den interessierten Kreisen – auch allgemein bekannt. Daher ist ohne Weiteres nach außen hin erkennbar, dass die Kirchen durch Amtshandlungen wie Weihe oder Ernennung kein Dienstverhältnis begründen wollen, aus dem vor staatlichen Gerichten einklagbare Rechte entstünden. Insofern scheidet ein Rechtsbindungswille aus. Nach der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre lässt sich daher noch nicht begründen, dass das kirchliche Dienstrecht materielles, klagbares Recht wäre. 3. Arbeitsrechtliche Korrektur Die materielle Rechtsqualität des kirchlichen Dienstrechts ergibt sich aber aus einer arbeitsrechtlichen Korrektur des vorgenannten Ergebnisses. Die genannte Interessenlage der Kirche, die gegen einen Rechtsbindungswillen spricht, unterscheidet sich nicht von der typischen Interessenlage, die bei jedem ArbeitnehmerArbeitgeber-Verhältnis vorliegt. Stets ist der Arbeitgeber strukturell im Vorteil, weil er einen Arbeitnehmer austauschen kann, während das Arbeitsverhältnis für den Arbeitnehmer Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz ist. Die wirtschaftliche Bedeutung des einzelnen Arbeitsverhältnisses ist für den Arbeitnehmer daher typischerweise ungleich viel höher als für den Arbeitgeber. Um diese strukturelle Ungleichheit auszugleichen, gehört es zu den Grundprinzipien des staatlichen Arbeitsrechts, dass nicht der Inhalt des Vertrags allein zählt, sondern auch die tatsächlichen Verhältnisse betrachtet werden müssen. Liegt faktisch ein Arbeitsverhältnis vor, so ist eine entgegenstehende andere Bezeichnung unerheblich. Die Einordnung als Arbeitsverhältnis steht aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes nicht zur Disposition der Parteien; sie richtet sich daher nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Parteien, sondern danach, wie die Rechtsbeziehung nach dem wirklichen Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist.216 Beispielsweise ist die Bezeichnung als „Werkvertrag“ rechtlich irrelevant, wenn es sich tatsächlich um ein Dienstverhältnis handelt. Noch weniger kann eine Partei darauf beharren, sie habe lediglich ein Gefälligkeitsverhältnis begründen wollen. Ein solcher Vortrag der Kirchen wäre dem Einwand des venire contra factum proprium ausgesetzt. Jüngst hat der Gesetzgeber diese in Rechtsprechung und Literatur längst anerkannten Grundsätze ausdrücklich verankert: Ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist demnach aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände zu entscheiden. Zeigt die Durchführung des Vertrags, dass es sich um einen Arbeitsvertrag handelt, kommt es auf eine entgegenstehende andere Bezeichnung nicht an (§ 611a S. 5, 6 BGB). 216 BAGE 146, 97 (Rn. 17); 145, 26 (Rn. 15); 143, 77 (Rn. 15); 88, 263 (269); 84, 108 (112 f.); 77, 226 (Ls. 1); 76, 21 (26); 69, 62 (67); ErfK / Preis, § 611a BGB Rn. 44.
C. Das Kirchen(dienst)recht als materielles Recht
201
Diese arbeitsrechtlichen Korrekturen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre sind auch verfassungskräftig garantiert. Objektiv-rechtlich sind sie Ausdruck des Sozialstaatsprinzips; grundrechtlich geht es darum, die arbeitnehmerschützende Wirkung der Berufsfreiheit zu sichern. Berufsmäßige Beschäftigungsverhältnisse ohne Rechtsverbindlichkeit sind mit dem Sozialstaatsprinzip und der Berufsfreiheit unvereinbar.217 Die Beschäftigung von Bediensteten ist deshalb stets einer Normierung durch die staatliche Rechtsordnung unterworfen.218 Verfassungskonform ist daher nur ein solches Verständnis der Dienstherrnfähigkeit, welches kirchenrechtlichen Dienstverhältnissen Rechtswirksamkeit zuerkennt.219 Insofern werden mit einem solchen Dienstverhältnis „selbstverständlich Rechtsbeziehungen auch im weltlichen Rechtskreis begründet“220. Der Gesetzgeber bestätigt den materiellen Rechtscharakter der kirchenrechtlichen Beschäftigtenverhältnisse, wenn er im Einzelnen deren Befreiung von der Sozialversicherungspflicht regelt.221 Die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit steht dieser Wertung nicht entgegen. Sie erlaubt den Kirchen zwar, ihre Dienstverhältnisse jenseits der Grenzen des zwingenden staatlichen Arbeits- und Sozialrechts auszugestalten. Die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit ist hingegen nicht als prozessuale Immunität der Kirchen zu verstehen. Darauf würde es aber faktisch hinauslaufen, wenn die Kirche entgegen den tatsächlichen Verhältnissen darauf beharren könnte, dass das Kirchendienstverhältnis kein „echtes“ Rechtsverhältnis sein soll. Die Dienstherrnfähigkeit ist eine materielle Garantie zur Rechtsgestaltung, aber keine Rechtsschutzexemtion. Kirchendienstverhältnisse sind „echte“ Dienstverhältnisse, d. h. mit Wirkung auch für das staatliche Recht.222 Die Justiziabilität kirchendienstrechtlicher Bestimmungen ergibt sich damit aus der schlichten Tatsache, dass die Kirchen nach den wirklichen Verhältnissen ein materielles Rechtsverhältnis mit ihrem Bediensteten begründet haben, vermöge dessen beide Seiten Rechte wie Pflichten gegeneinander haben.
217
Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 44 f. Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (299); ähnlich ders., HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 865; ähnlich auch Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 306. 219 Vgl. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 245. 220 Classen, Religionsrecht, Rn. 426; aus sozialrechtlicher Sicht zum Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses Axer, FS Listl 1999, S. 587 (590) jedenfalls für Geistliche und Kirchenbeamte. 221 Dazu sogleich noch Kapitel 7, B. II. 1. 222 So ausdrücklich Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 137 WRV Rn. 92, der sie allerdings mit der h. M. zugleich als öffentlich-rechtlich einstuft. 218
202
6. Kap.: Kirchenrechtliche Dienstverhältnisse
D. Zwischenfazit zur bürgerlichen Wirksamkeit von Kirchenrecht Nach den Ergebnissen dieses Kapitels hat sich das bestätigt, was Carl Sartorius bereits 1891 in seiner Habilitationsschrift aussprach: Nicht alle kirchlichen Normen gehören dem Anwendungsbereich der staatlichen Rechtsprechung an, wohl aber diejenigen, „welche durch Staatsgesetz mit verpflichtender Kraft für das bürgerliche Leben ausgestattet sind“223. Die Kirchen können sich der Verbandsautonomie als besonderer Form der Privatautonomie bedienen. Damit haben sie es weitgehend selbst in der Hand, welche Bereiche ihres Rechts bürgerlich wirksam sein sollen. Entscheidend ist, ob ein entsprechender Rechtsbindungswille vorhanden ist. So kann die eine kirchliche Bestimmung bürgerlich verbindlich und damit auch von staatlichen Stellen vollstreckbar sein, während andere kirchliche Bestimmungen rein sozial wirksam bleiben. Die Kirche muss sich dann aber damit abfinden, dass diese Bestimmung sich nicht zwangsweise durchsetzen lässt. Im Bereich des Dienstrechts ist die Freiheit der Kirchen nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen allerdings durch das Verbot des venire contra factum proprium, wie es inzwischen in § 611a Abs. 1 S. 4, 5 BGB ausdrücklich normiert ist, begrenzt: Liegt faktisch ein Arbeitsverhältnis vor, so lässt sich dessen bürgerliche Wirksamkeit nicht unter Berufung auf einen fehlenden Rechtsbindungswillen oder angebliche kirchliche Freiheiten bestreiten. Eine kirchliche Freiheit zur Exemtion von staatlicher Justizhoheit gibt es nämlich nicht. Kirchenrechtlich geregelte Dienstverhältnisse sind daher „echte“, bürgerlich wirksame, materielle und vor staatlichen Gerichten klagbare Rechtsverhältnisse.
223
Sartorius, Staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Kirchenrechts, S. 117.
Siebentes Kapitel
Die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm Kirchliche Dienstverhältnisse sind abhängige Beschäftigungsverhältnisse. Prinzipiell unterfallen sie daher erst einmal dem staatlichen Arbeits- und Sozialrecht.1 Die Dienstverhältnisse der Geistlichen und „Kirchenbeamten“ sind also nicht prima facie vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht ausgenommen. Diese Befreiung ist vielmehr erst das Ergebnis einer spezifischen religionsverfassungsrechtlichen Korrektur, die es im Folgenden nachzuzeichnen gilt.
A. Begriff der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit Dienstherrnfähigkeit ist ein missverständlicher Begriff.2 Beamtenrechtlich meint Dienstherrnfähigkeit das Recht, Beamte zu haben (§ 2 BeamtStG).3 Der Begriff der Dienstherrnfähigkeit im Bereich der (mittelbaren) Staatsverwaltung meint aber etwas grundsätzlich anderes als der Begriff der Dienstherrnfähigkeit der Religionsgemeinschaften.4 Die Dienstherrnfähigkeit einer Kommune beispiels 1
Ausdrücklich wie hier Hermann Weber, NJW 1967, S. 1641 (1645); ders., ZevKR 17 (1972), S. 386 (414); ders., Diskussionsbeitrag, EssG 10 (1976), S. 113 f. Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (298 f.), ders., HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 864 ff. geht sogar so weit, aus dem staatlichen Arbeitsrecht eine Art staatliches Paralleldienstverhältnis zum kirchlichen Dienstverhältnis zu konstruieren. Wenn die allgemeine Meinung der Dienstherrnfähigkeit eine Verdrängung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts entnimmt, so geht sie auch von der prinzipiellen Anwendbarkeit des Arbeits- und Sozialrechts aus. Verdrängung setzt voraus, dass das Arbeits- und Sozialrecht prinzipiell einschlägig ist. Ähnlich auch VGH Bad.-Württ., KirchE 18, 165 (173 f.), wonach das kirchliche Dienstrecht „in Konkurrenz zum weltlichen Recht tritt, wo die vermögensrechtlichen Beziehungen der im Dienste eines anderen zur Arbeit verpflichteten Personen durch das Arbeitsrecht (…) geregelt werden“. 2 Dies zeigt sich insbesondere dort, wo die für das Beamtenrecht maßgebliche Definition – Befugnis, Beamte zu haben – zunächst übernommen wird, so Hübner, ZevKR 44 (1999), S. 477 (479), ders., Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 28; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 298. Der Kern des religionsverfassungsrechtlichen Begriffs liegt aber eben nicht in der Anstellungs-, sondern in der Rechtsetzungsbefugnis. 3 Reich, BeamtStG, § 2 Rn. 1. 4 Gegen eine Übertragung des staatlichen „Beamtenrechtsdenken(s)“ auf das kirchliche Dienstrecht zu Recht Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 120 f. Missverständlich Paul Kirchhof, in: HdbStKirchR I, 21994, § 22 S. 671, der Dienstherrnfähigkeit (der Religionsgesellschaft) lediglich als „Befugnis, Beamte zu haben“ definiert und diese durch
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
weise erschöpft sich darin, ein gesetzlich vorgesehenes staatliches Rechtsverhältnis zu begründen. Dienstherrnfähigkeit einer Religionsgemeinschaft meint hingegen die Kompetenz, eigene Regelungen für die Ausgestaltung von Dienstverhältnissen vorzusehen.5 § 146 BBG stellt ausdrücklich klar, dass das staatliche Beamtenrecht nicht gilt. Religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit setzt also nicht erst bei der Anstellungsbefugnis, sondern bereits davor, bei der Regelungsbefugnis an.6
I. Befreiung vom zwingenden staatlichen Arbeitsund Sozialrecht als religionsverfassungsrechtliches „Plus“ gegenüber der allgemeinen Privatautonomie Nach den Ergebnissen des vorherigen Kapitels bedarf es freilich keiner spezifisch religionsverfassungsrechtlichen Erklärung dafür, dass die Religionsgesellschaften überhaupt ein Dienstrecht mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung schaffen können. Diese Rechtsmacht folgt nämlich bereits aus der allgemein geltenden Privatautonomie. Die entscheidende Ergänzung der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit liegt darin, dass ihre Inanspruchnahme von der Geltung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts befreit.7 Ohne die Dienstherrnfähigkeit wären die die Rechtsetzungsbefugnis „ergänzt“ sieht. Diese Unterscheidung verkennt, dass die Recht setzungsbefugnis der korporierten Religionsgesellschaften sich zwar prinzipiell – wie die jeder anderen Privatvereinigung – auf sämtliche Rechtsfragen erstreckt, jedoch nur in einzelnen Bereichen – so im Dienstrecht – die staatliche Rechtsordnung kollisionsrechtlich verdrängt. Es gibt kein allgemeines Prinzip, wonach kirchliches Recht grundsätzlich der Vorrang vor staatlichem Recht zukäme; im Gegenteil gilt dies nur in einzelnen konkret abgegrenzten Bereichen. Dementsprechend ist für die Dienstherrnfähigkeit der Religionsgesellschaften genau dieser Aspekt konstitutiv. 5 Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (411 f.); Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 96 ff.; Schenke, FS Faller (1984), S. 133 (138); a. A. Pirson, HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 862, der stattdessen ein staatliches Schuldverhältnis konstruiert (S. 864 ff.), das neben den kirchenrechtlichen Bestimmungen stehen soll. 6 Tatsächlich ist die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit im Verhältnis zur beam tenrechtlichen Dienstherrnfähigkeit nicht einmal ein „Plus“, sondern ein Aliud. Die Fähigkeit, staatliche Beamtenverhältnisse zu begründen, kommt den Religionsgesellschaften nämlich gerade nicht zu. Kirchenbeamte sind keine Staatsbeamte, so grundlegend Holstein, AöR 52 (1927), S. 153 (157 ff., insbes. 167); Wacke, AöR 74 (1948), S. 438 (443); Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 29. Bereits das PrOVG differenzierte: Kirchenbeamte seien so zu behandeln, „als wenn sie wie früher als Beamte des Konsistoriums Staatsbeamte wären“ (PrOVG 82, 242 [243]). 7 v. Campenhausen / de Wall, Staatskirchenrecht, S. 252; Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 WRV Rn. 215; Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 137 WRV, Rn. 25; Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 137 WRV Rn. 92; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 140 Rn. 24; Korioth, in: HdbGR IV, § 97 Rn. 51; ders., in: Maunz / Dürig, GG (Stand: 73. EL 2014), Art. 137 WRV Rn. 84; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 298; Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 122; Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 96; Hermann Weber, NJW 1989, S. 2217 (2225); Friehe, JZ 2014, S. 954 (956 f.).
A. Begriff der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit
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Kirchen an die prinzipielle Geltung des Arbeitsrechts gebunden.8 Die Dienstherrnfähigkeit geht in ihrer Wirkung über die auch im Arbeitsrecht ohnehin geltende Vertragsgestaltungsfreiheit9 hinaus.10 Vertragliche Vereinbarungen können nämlich stets nur von dispositiven Gesetzesvorschriften abweichen, von denen die zwingenden Gesetzesvorschriften zu unterscheiden sind. Das zwingende Gesetzesrecht zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es nicht zur Disposition der Parteien steht.11 Zentral für den religionsverfassungsrechtlichen Begriff der Dienstherrnfähigkeit ist genau diese Befreiung von der Geltung des zwingenden Rechts.12 Hierin liegt das spezifisch religionsverfassungsrechtliche „Mehr“13 an Gestaltungsfreiheit kirchenrechtlich geregelter Dienstverhältnisse gegenüber der allgemeinen Privat- und Vereinsautonomie.14
II. Kollisionsrechtliche Normstruktur Die religionsverfassungsrechtlich garantierte Dienstherrnfähigkeit entspricht damit den kollisionsrechtlichen Anknüpfungsnormen des internationalen Privatrechts. Obwohl diese Wirkung im Schrifttum allgemein akzeptiert ist, wurde im Schrifttum die Parallele zur Wirkung international-privatrechtlicher Kollisionsnormen nur erahnt.15 In der Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof, ohne 8 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 114; ders., ZevKR 17 (1972), S. 386 (414). 9 Wolf / Neuner, BGB AT, § 3 Rn. 8. 10 Jedenfalls im Hinblick auf das Individualarbeitsrecht Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 101; allgemein v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (244), der jedoch die Besonderheiten von Arbeitsverträgen, die von Religionsgesellschaften abgeschlossen werden, hier ausblendet. 11 Schurig, RabelsZ 54 (1990), S. 217 (221). 12 Dieser Unterschied wird bisweilen nicht trennscharf genug herausgearbeitet, etwa wenn v. Campenhausen, ZevKR 18 (1973), S. 236 (145) allgemein von „der vorrangigen Geltung arbeitsrechtlicher Normen“ spricht, worin sich öffentliches Dienstrecht der Kirchen und privatvertragliche Dienstverhältnisse unterschieden. 13 Unscharf Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 37, der zwar – obwohl er ausdrücklich die Parallelen zur privaten Rechtsetzungsautonomie anspricht – anmahnt, das Religionsverfassungsrecht dürfe nicht zu einem allgemeinen „Verbändeverfassungsrecht amalgamisiert“ werden, jedoch nicht das entscheidende „Mehr“ der religionsverfassungsrechtlichen Rechtsetzungsautonomie benennt: seine – in Einzelfällen – kollisionsrechtliche Wirkung. 14 Dies übersieht Evers, FS Ruppel (1968), S. 329 (344), wenn er meint, die Freistellung vom Arbeitsrecht beruhe auf der freiwilligen Begründung des Kirchenbeamtenverhältnisses. Denn von zwingenden Normen des Arbeitsrechts kann auch nicht durch freiwillige Vereinbarung abgewichen werden. 15 Der einzig ersichtliche Beitrag, der die Parallelität des Staatskirchenrechts zum Internationalen Privatrecht zum zentralen Thema hat, ist der Festschriftsbeitrag von Albert Janssen, FS Hollerbach (2001), S. 707 ff., der unter dem programmatischen Titel „Staatskirchenrecht als Kollisionsrecht“ steht. Die staatskirchenrechtlichen Normen seien „(primär) als Kollisionsnormen“ (a. a. O., S. 709) zu verstehen. Angedeutet wird die Eigenschaft des Staatskirchenrechts als Kollisionsrecht von Jurina, Rechtsstatus der Kirchen im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten,
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
ausdrücklich Parallelen zum Internationalen Privatrecht zu ziehen, – quasi „intuitiv“ – den Maßstab des ordre public unter ausdrücklichem Bezug auf Art. 6 EGBGB als äußerste Grenze benannt, bis zu der die staatliche Rechtsordnung kollisionsrechtlich verdrängt werden könne.16 Die folgenden Überlegungen sollen verdeutlichen, dass die gezogene Parallele zum Kollisionsrecht des Internationalen Privatrechts keineswegs nur ein programmatischer Vorschlag ist, um künftige Herausforderungen durch eine Diversifizierung des religiösen Spektrums in Deutschland staatskirchenrechtlich aufzufangen.17 Sie ergibt sich vielmehr dogmatisch aus den herkömmlichen Rechtsfolgen, die gemeinhin der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit entnommen werden. Gegen die hier gezogene Parallele zum international-privatrechtlichen Kollisionsrecht spricht nicht in prinzipieller Hinsicht, dass das kirchliche Recht kein Recht eines fremden und souveränen Staates ist.18 Denn Kollisionsnormen müssen nicht zwingend nur auf staatliches Recht, sondern können auch auf nicht-staatliches Recht verweisen. Nach dem geltenden internationalen Privatrecht ist die kollisionsrechtliche Verdrängung der staatlichen durch eine private Rechtsordnung in Verbindung mit einer Schiedsabrede möglich.19 Schon deshalb ist es nicht zutreffend, den international-privatrechtlichen Ansatz als „Irrweg, der in koordinationsrechtliche Vorstellungen zurückführt“20, abzuqualifizieren. Dass Art. 137 Abs. 5 WRV einen kollisionsrechtlichen Verweis auf ein fremdes Recht beinhaltet, unterstreicht umgekehrt noch einmal die privatrechtliche RechtsS. 76; Friehe, JZ 2014, S. 954 (957); Thüsing, FS Rüfner (2003), S. 901 (905 f.); eine Parallelität zum ordre-public-Maßstab des Internationalen Privatrechts wird gezogen von Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 88; v. Campenhausen, ZevKR 17 (1972), S. 127 (136); Germann, FS Listl (2004), S. 627 (651 f.) – ordre-public-Maßstab als „Veranschaulichung“; Kuntze, ZevKR 60 (2015), S. 195 (199); Schöch, FS Listl (2004), S. 395 (410); Hermann Weber, ZevKR 49 (2004), S. 385 (404); mit Bezug zum Grundrechtsgehalt des ordre-public-Maßstabs Wenzel, ZevKR 49 (2004), S. 559 (574); Parallelen zur Nachprüfbarkeit von Schiedssprüchen der privaten Schiedsgerichtsbarkeit i. S. d. §§ 1025 ff., insbesondere im Hinblick auf den ordrepublic-Maßstab, zieht Goerlich, JZ 2004, S. 793 (794); eine Parallele zwischen der Auslegung ausländischen und der Auslegung kirchlichen Rechts durch staatliche (deutsche) Gerichte ziehen Magen, NVwZ 2002, S. 897 (902); Goos, ZBR 2004, S. 159 (168); allgemein eine Parallele zur Anwendung ausländischen Rechts zieht Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 180, ders., ZevKR 48 (2003), S. 301 (306); zur Vollstreckbarkeitserklärung kirchengerichtlicher Entscheidungen erwogen von Ehlers, ZevKR 49 (2004), S. 496 (512). Das Problem der Normkollisionen hat auch Pirson, FS Ruppel (1968), S. 277 (293) bereits erkannt, wenn er von der „Gleichzeitigkeit des weltlichen und kirchlichen Rechtsverhältnisses“ spricht, und in verschiedenen Bereichen versucht, die Eigenständigkeit der kirchlichen und der staatlichen Bewertung einzelner Rechtsfragen hervorzuheben (passim). 16 BGHZ 154, 306 (312). 17 So der Ausgangspunkt von Albert Janssen, FS Hollerbach (2001), S. 707 f. 18 So aber die Kritik an Albert Janssens Ansatz bei Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 52; Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 89. 19 Zu der Möglichkeit echter Schiedsgerichte im kirchlichen Bereich eingehend Kapitel 9, B. II. 20 So aber Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 89.
A. Begriff der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit
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natur kirchenrechtlicher Dienstverhältnisse. Denn dem öffentlichen Recht ist ein kollisionsrechtlicher Verweis auf fremde Rechtsordnungen grundsätzlich fremd.21 1. Dienstherrnfähigkeit der Religionsgesellschaften keine Sachnorm Die Garantie religionsgesellschaftlicher Dienstherrnfähigkeit ist keine Sachnorm. Sachnormen gewähren, verbieten oder autorisieren;22 Kollisionsnormen hingegen „do not themselves decide cases“23. Kollisionsnormen entscheiden also nicht in der Sache, sondern sie bestimmen lediglich, welche Rechtsordnung die Sachnormen zur Entscheidung des Sachverhalts liefert; die Kollisionsnorm „‚beruft‘ also andere Normen, ist ‚Rechtsanwendungsnorm‘, ‚Verweisungsnorm‘“24. Die religionsverfassungsrechtliche Garantie der Dienstherrnfähigkeit enthält keine eigenen Bestimmungen, die den Inhalt des Dienstverhältnisses festlegen würden. Vielmehr können die Religionsgesellschaften gerade „selbst entscheiden, (…) wie die ‚entsprechende‘ kirchliche Regelung aussehen soll“25. Dementsprechend ist die Dienstherrnfähigkeit der Religionsgesellschaften auch kein Rechtssatz, anhand dessen sich ein Fall in der Sache entscheiden ließe. Um eine Sachnorm sein zu können, fehlt der Dienstherrnfähigkeit gewissermaßen der Inhalt. Dieser beschränkt sich nämlich in der Auflösung von Normgeltungskonflikten. Die Dienstherrnfähigkeit regelt im Sinne einer negativen Abgrenzung die Unanwendbarkeit des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts und im Sinne einer positiven Zuweisung die Anwendbarkeit des Kirchenrechts der jeweiligen Religionsgesellschaft, die das Dienstverhältnis begründet. Die Rechtsfolge der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit befindet sich also eine Abstraktionsebene oberhalb der sachrechtlichen Rechtsfolge. Die Garantie der Dienstherrnfähigkeit wirkt wie eine Rechtsanwendungs- oder Verweisungsnorm, indem sie die Sachnormen des kirchlichen Rechts ‚beruft‘.
21 Dazu Classen, VVDStRL 67 (2008), S. 365 (395 ff.); Deinert, JbArbR 50 (2013), S. 77 (79). 22 v. Bar / Mankowski, IPR I, § 4 Rn. 2. 23 Reese, FS Vischer (1983), S. 287. 24 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 58; vgl. auch näher zur Abgrenzung von Sachund Kollisionsnormen S. 64. 25 Insofern zutreffend BVerwGE 66, 241 (245) – Hervorhebung wie im Original.
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
2. Dogmatische Parallelität zu international-privatrechtlichen Kollisionsnormen Die Struktur der religionsverfassungsrechtlich garantierten Dienstherrnfähigkeit entspricht damit dem Tatbestand einer Kollisionsnorm. Dieser beinhaltet erstens einen materiell-rechtlichen Sachverhalt, zweitens ein Anknüpfungsmoment zu einem bestimmten Rechtsgebiet, drittens einen Sachrechtssatz, dessen Tatbestand durch den Sachverhalt erfüllt wird, also sachlich anwendbar wäre (zu erstens), mit viertens einem Anknüpfungsmoment, nämlich der Geltung in dem Rechtsgebiet (zu zweitens).26 Dass diese Struktur nicht ohne Weiteres erkennbar ist, liegt an der sehr allgemeinen Formulierung von Art. 137 WRV, der den Begriff der Dienstherrnfähigkeit nicht einmal erwähnt. Für Kollisionsnormen ist es aber nicht untypisch, dass sie oft „versteckt“ sind und „erst ‚herauspräpariert‘ werden“27 müssen. Entscheidend ist, dass sich die dargestellte Normstruktur aus der Wirkungsweise der Dienstherrnfähigkeit ergibt: Der materiell-rechtliche Sachverhalt ist die Existenz des in Ausübung der Dienstherrnfähigkeit bestehenden, kirchenrechtlich ausgestalteten Dienstverhältnisses und der damit verbundenen konkreten Einzelfragen (z. B.: Bestehen einer bestimmten Dienstpflicht). Bei der Bestimmung des Anknüpfungsmoments besteht die Schwierigkeit darin, dass Art. 137 WRV nirgends zu entnehmen ist, unter welchen Voraussetzungen es zur Anwendung des Kirchenrechts anstelle des staatlichen Rechts kommt. Wie noch zu zeigen sein wird, kann die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Kirchenrechts nur in der gegenseitigen Übereinkunft bestehen, dass die kirchenrechtlichen Bestimmungen anstelle des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts gelten sollen (Rechtsformvereinbarung)28. Die Sachrechtssätze sind die Regelungen des Kirchenrechts über das fragliche Dienstverhältnis mit dem Anknüpfungsmoment, dass diese in der jeweiligen Religionsgesellschaft gelten. Der Inhalt der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit lässt sich also nach Tatbestand und Rechtsfolge wie folgt ausdrücken: Tatbestand: (1) Geht es um die Rechtsfolgen aus einem Dienstverhältnis und (2) waren sich der Dienstverpflichtete und der kirchliche Dienstherr darüber einig, dass Kirchenrecht anstelle von staatlichem Arbeits- und Sozialrecht gelten soll, und (3) gibt es kirchenrechtliche Sachnormen zur Regelungen der Rechtsfolgen aus dem Dienstverhältnis mit Wirkung in der Kirche, mit der das Dienstverhältnis abgeschlossen wurde, 26
Kegel / Schurig, IPR, S. 312. Die hier vorgenommen Strukturierung der Dienstherrnfähigkeit folgt dem dort aufgezeigten Strukturprinzip von Kollisionsnormen. Die Strukturierung geht auf die grundlegenden Ausarbeitungen von Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 78 ff. zum Aufbau von Kollisionsnormen zurück, vgl. insbes. S. 87. 27 Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, S. 58 zu Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts. 28 Dazu unter C. II. 2.
A. Begriff der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit
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Rechtsfolge: so finden diese kirchenrechtlichen Sachnormen auf dieses Dienstverhältnis Anwendung.
3. Dienstherrnfähigkeit als kollisionsrechtliche Parteiautonomie im Unterschied zu sachrechtlicher Privatautonomie Die religionsverfassungsrechtlich garantierte Kollisionsnorm Dienstherrnfähigkeit unterscheidet sich in ihrer Wirkung fundamental von der bloß privatautonomen Gestaltungsfreiheit bei Arbeitsverhältnissen, weil Kollisionsnormen auf das zwingende Recht zielen. Um diesen Unterschied zwischen privatautonomer Gestaltungfreiheit von Arbeitsverhältnissen einerseits und religionsverfassungsrechtlicher Dienstherrnfähigkeit andererseits zu verdeutlichen, kann erneut auf Begriffe des internationalen Privatrechts zurückgegriffen werden. Dort wird bei Parteivereinbarungen über das anzuwendende Recht zwischen kollisionsrechtlichen und materiell-rechtlichen Verweisungen unterschieden. Kollisionsrechtliche Verweisungen verdrängen das an sich anwendbare Sachrecht insgesamt, also auch dessen zwingende Vorschriften.29 An deren Stelle treten die Grenzen der zwingenden Vorschriften des gewählten Rechts. Materiell-rechtliche Verweisungen dagegen wirken sich nicht auf das anwendbare Recht, sondern nur auf den Vertragsinhalt aus. Das gewählte Recht wird im Falle der materiell-rechtlichen Verweisung also – in den Grenzen der zwingenden Vorschriften des anwendbaren Rechts – Vertragsinhalt.30 Insofern kann auch zwischen kollisionsrechtlicher Parteiautonomie und sachrechtlicher Privatautonomie unterschieden werden.31 Die kollisionsrechtliche Parteiautonomie ermöglicht die Wahl des anwendbaren Rechts und damit auch die Wahl des einschlägigen zwingenden Rechts, also der Grenzen der sachrechtlichen Privatautonomie. Diese ist nämlich darauf gerichtet, den eigentlichen Inhalt des Rechtsgeschäfts, freilich in den Grenzen des anwendbaren Rechts, zu bestimmen. Diese Begriffspaare lassen sich auf die Freiheit der Religionsgesellschaften zur Ausgestaltung ihrer Dienstverhältnisse übertragen. Wie alle Rechtssubjekte können sich die Religionsgesellschaften der sachrechtlichen Privatautonomie bedienen, also in den Grenzen des zwingenden staatlichen Arbeits- und Sozialrechts mittels vertraglicher Vereinbarung das Dienstverhältnis selbst ausgestalten. Die Dienstherrnfähigkeit entspricht allerdings dem, was im internationalen Privatrecht unter kollisionsrechtlicher Parteiautonomie verstanden wird. Sie ermöglicht den Reli gionsgesellschaften, über das anwendbare Recht selbst und damit über die zwingenden Grenzen des Sachrechts zu verfügen. 29
Schurig, RabelsZ 54 (1990), S. 217 (220 f.). Zu dieser Abgrenzung prägnant Kegel / Schurig, IPR, S. 654; ausführlich v. Bar, IPR II, Rn. 420. 31 v. Bar, IPR II, Rn. 416. 30
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
B. Verfassungsrechtliche Garantie und einfachgesetzlicher Normenbestand Die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit ist als verfassungsrechtliche Gewährleistung zunächst einmal eine grundrechtliche Garantie32 zugunsten der korporierten Religionsgesellschaften. Als Einrichtungsgarantie verlangt sie dem Staat ab, eine entsprechende Rechtsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts tatsächlich vorzuhalten.33 Im Hinblick auf die Dienstherrnfähigkeit fordert diese Garantie konkret vom Gesetzgeber, dass er die Religionsgesellschaften bei der Wahrnehmung der Dienstherrnfähigkeit vom zwingenden staatlichen Arbeits- und Sozialrecht befreit. Die nähere Ausgestaltung obliegt gemäß Art. 137 Abs. 8 WRV dem Landesgesetzgeber. In der Staatspraxis wurden die wenigen ausdrücklichen Befreiungstatbestände – vor allem im Sozialrecht – indes als Annexmaterie vom Bundesgesetzgeber geregelt.
I. Garantiefunktion der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit Grundsätzlich muss die religionsverfassungsrechtliche Dienstherrnfähigkeit, da sie ein normgeprägtes Grundrecht ist, vom Gesetzgeber ausgestaltet werden. Auf diese Weise lassen sich Voraussetzungen und Grenzen regeln, unter denen die Religionsgesellschaften vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht befreit sind. Aus historischen Gründen sind die aus Art. 137 Abs. 5 WRV folgenden Privilegien allerdings nicht durchgängig kodifiziert.34 Obwohl gesetzgeberische Konkretisierungen der Dienstherrnfähigkeit wünschenswert erscheinen, sind sie nicht zwingend erforderlich. Dogmatisch wirkt diese Garantie nämlich nicht als Leistungs-, sondern als Abwehrrecht. Ihr Kern liegt nicht darin, dass der Staat einen Regelungsrahmen für die Ausübung der Dienstherrnfähigkeit schafft, sondern darin, dass entgegenstehende Regelungen abgewehrt werden. Die Dienstherrnfähigkeit verbietet es, das staatliche Arbeitsund Sozialrecht auf solche Dienstverhältnisse anzuwenden, die der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit unterliegen. Dieser abwehrrechtliche Gehalt entfaltet zunächst dort Bedeutung, wo der Staat auch solche Dienstverhältnisse seinem Arbeits- und Sozialrecht unterwirft, die prinzipiell der Dienstherrnfähigkeit unterliegen. Derartige Bestimmungen finden sich vor allem im Sozialrecht. Hier knüpft der Staat die Befreiung von den gesetzlichen Sozialversicherungspflichten an bestimmte Bedingungen, um dem betroffenen Beschäftigten eine soziale Mindest-
32
Dazu Kapitel 4, C. III. 2. Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 281. 34 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 289. 33
B. Verfassungsrechtliche Garantie und einfachgesetzlicher Normenbestand
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absicherung zu verschaffen. Solche Regelungen greifen in die Dienstherrnfähigkeit ein, können aber gerechtfertigt sein. Im Übrigen steht die abwehrrechtliche Dimension der Dienstherrnfähigkeit der Anwendung staatlicher Arbeits- und Sozialbestimmungen überall dort entgegen, wo der Gesetzgeber es versäumt hat, eine einfachgesetzliche Kollisionsbestimmung zu erlassen.
II. Überblick über den einfachgesetzlichen Regelungsbestand Einfachgesetzliche Bestimmungen, welche die Anwendung des staatlichen Rechts ausschließen, finden sich vor allem im Sozialrecht. 1. Sozialrechtliche Befreiungstatbestände Konkrete Befreiungstatbestände finden sich im Sozialrecht. a) Überblick über die sozialrechtlichen Befreiungstatbestände Kirchliche Beschäftigte sind unter bestimmten Voraussetzungen von der Sozialversicherungspflicht befreit: – Für die gesetzliche Krankenversicherung regelt § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB V eine Versicherungsfreiheit für „Geistliche der als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannten Religionsgesellschaften, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe haben“. Da nach § 20 SGB XI die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung an die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung gekoppelt ist, sind Geistliche unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB V auch von der Pflegeversicherungspflicht befreit.35 – Keine klare gesetzliche Regelung gibt es zur Unfallversicherung. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind Personen versicherungsfrei, „soweit für sie beamtenrechtliche Unfallfürsorgevorschriften oder entsprechende Grundsätze gelten“. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass hierunter auch die Geistlichen fallen.36 Satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften sind durch § 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII von der Unfallversicherungspflicht befreit, „wenn ihnen nach 35 Soweit eine private Krankenversicherung abgeschlossen wurde, besteht nach § 23 SGB XI eine Versicherungspflicht in der privaten Pflegeversicherung. 36 HessLSG, KirchE 58, 376 (Rn. 19); a. A. offenbar Teile der Lit., nach denen nur Beamte im staatsrechtlichen Sinne gemeint seien, so Holtstraeter, in: Knickrehm / Kreikebohm / Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, § 4 SGB VII, Rn. 2.
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
den Regeln der Gemeinschaft Anwartschaft auf die in der Gemeinschaft übliche Versorgung gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist“. – § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI befreit „Beamte und Richter“ von der gesetzlichen Rentenversicherung. Hierunter fallen die Geistlichen und „Kirchenbeamten“ nicht, da für sie in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i. V. m. Nr. 2 SGB VI eine spezielle Regelung getroffen ist.37 Nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI sind versicherungsfrei: „Beschäftigte im Sinne von Nummer 2, wenn ihnen nach kirchenrechtlichen Regelungen eine Anwartschaft im Sinne von Nummer 2 gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist, sowie satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften, wenn ihnen nach den Regeln der Gemeinschaft Anwartschaft auf die in der Gemeinschaft übliche Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist“. Der Verweis auf Nr. 2 verdeutlicht, dass es sich um Beschäftigte von Körperschaften des öffentlichen Rechts handeln muss. Interessant ist, dass § 5 Abs. 1 S. 2 SGB VI für Beschäftigte staatlicher Körperschaften die Versicherungsfreiheit an weitere Bedingungen knüpft. Damit wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die Rentenversicherungsfreiheit nur dann besteht, wenn sich die Rechtsstellung des Betroffenen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen richtet.38 Allerdings fehlt ein Verweis auf die Beschäftigten der Religionsgesellschaften (in § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI geregelt). Für diese gelten die zusätzlichen Voraussetzungen des S. 2 daher nicht. Die beamtenähnliche Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses im Ganzen ist daher keine Voraussetzung für die Rentenversicherungsfreiheit. – In der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung regelt § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III zunächst die Versicherungsfreiheit für Beamte.39 Nr. 2 ergänzt die Versicherungsfreiheit für „Geistliche der als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannten Religionsgesellschaften, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe haben“. Nr. 4 vervollständigt diese Befreiung um „satzungsmäßige Mitglieder von geistlichen Genossenschaften, Diakonissen und ähnliche Personen, wenn sie sich aus überwiegend religiösen oder sittlichen Beweggründen mit Krankenpflege, Unterricht oder anderen gemeinnützigen Tätigkeiten beschäftigen und nicht mehr als freien Unterhalt oder ein geringes Entgelt beziehen, das nur zur Beschaffung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse an Wohnung, Verpflegung, Kleidung und dergleichen ausreicht“.
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Vgl. v. Koch, in: BeckOK-Sozialrecht, § 5 SGB VI (Stand: 1.9.2017) Rn. 8a; KassKomm / Gürtner, § 5 SGB VI Rn. 9. 38 Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf BTDrucks 16/10488, S. 17. 39 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 301, ist der Auffassung, darunter fielen auch die Kirchenbeamten. Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber in allen Tatbeständen zur Versicherungsfreiheit letztlich eigene Bestimmungen für die Geistlichen vorsieht, teils mit spezifischen Voraussetzungen.
B. Verfassungsrechtliche Garantie und einfachgesetzlicher Normenbestand
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b) Würdigung der verschiedenen sozialrechtlichen Befreiungstatbestände Es fällt auf, dass die verschiedenen Befreiungstatbestände vom Idealbild einer beamtenmäßigen Versorgung der Geistlichen und Kirchenbeamten ausgehen. So verlangt etwa die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht sowohl die beamtenmäßige Fortzahlung der Bezüge – also über die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG hinaus – als auch die Leistung einer Beihilfe (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB V). Hieran ist auch die Befreiung von der Arbeitslosenversicherungspflicht geknüpft (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Die Befreiung von der Unfallversicherungspflicht setzt ebenfalls eine „beamtenrechtliche“ Versorgung voraus (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Gleichwohl bestätigen diese Bestimmungen gerade nicht die Lehre vom Typenzwang, die den Kirchen nur die Wahl zwischen einer insgesamt beamtenähnlichen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses oder dem Abschluss eines privaten Arbeitsvertrages ohne Inanspruchnahme der Dienstherrnfähigkeit lässt. Denn die einzelnen Befreiungstatbestände knüpfen nicht an einen „Gesamtstatus“ des Bediensteten an, sondern beziehen sich auf die jeweils konkrete Absicherung für das Risiko, das von der gesetzlichen Versicherung gedeckt werden soll. Deshalb kann der kirchliche Dienstherr für das eine Risiko seinen Bediensteten in der gesetzlichen Sozialversicherung versichern, ohne dass er sich damit die Möglichkeit nimmt, für ein anderes Risiko eine eigene Absicherung vorzusehen. Insbesondere sind Kranken- und Rentenversicherung nicht miteinander verknüpft. Zulässig ist es daher, wenn die Kirchen die Altersvorsorge ihrer Beschäftigten über die gesetzliche Rentenversicherung sicherstellen, die Krankenvorsorge aber nach beamtenrechtlichen Grundsätzen selbst organisieren – oder umgekehrt. Für die Rentenversicherung durchbricht § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI überdies die Terminologie von den Geistlichen und Kirchenbeamten und spricht stattdessen schlicht von „Beschäftigten“. Dass eine beamtenrechtliche Ausgestaltung keine zwingende Voraussetzung für die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht ist, wird aber auch an jenen speziellen Befreiungstatbeständen deutlich, die zugunsten von Mitgliedern religiöser Gemeinschaften bestehen. Diese sind oftmals sehr viel schlechter abgesichert als Beamte, weil sie statt einer finanziellen Alimentation lediglich Sachunterhalt bekommen. Im Übrigen wird der Begriff des Geistlichen auch bei den übrigen Befreiungstatbeständen auch auf nicht-geistliche Bedienstete im Kirchendienstverhältnis ausgedehnt werden müssen, da die Interessenlage vergleichbar ist.40 Nach ihrem materiellen Gehalt lassen sich alle genannten Vorschriften als Konkretisierungen der Dienstherrnfähigkeit verstehen. Es handelt sich um konkrete Kollisionsnormen für einzelne Bereiche des Sozialrechts. Die sonst geltenden so-
40
So zu § 169 Abs. 1 S. 1 RVO a. F. BSG, RiA 1985, S. 141.
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
zialrechtlichen Bestimmungen werden zugunsten eines kirchlichen Sicherungsregimes verdrängt. c) Rechtliche Zulässigkeit der vorgesehenen Beschränkungen Zugleich enthalten die genannten Bestimmungen Beschränkungen der kirchlichen Dienstherrnfähigkeit. Denn die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht wird jeweils an verschiedene konkrete Bedingungen geknüpft. Diese Beschränkungen sind nach der abwehrrechtlichen Struktur der Dienstherrnfähigkeitsgarantie rechtfertigungsbedürftig.41 Insbesondere muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden. Im Ergebnis bestehen danach gegen die genannten Bestimmungen keine durchgreifenden Bedenken. aa) Gesetzgebungskompetenz In formeller Hinsicht stellt sich die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz. Art. 137 Abs. 8 WRV weist die Gesetzgebungskompetenz zur Konkretisierung des Körperschaftsstatus ausdrücklich den Ländern zu. Ein entsprechendes Bundesgesetz wäre kompetenzwidrig. Die Vorschriften können indes dem Sozialversicherungsrecht zugerechnet werden, für das sich der Bund auf einen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenztitel stützen kann (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung sind die Gesetzgebungskompetenzen scharf voneinander abzugrenzen; eine „Doppelkompetenz“ gibt es nicht.42 Bezieht sich eine Regelung auf verschiedene Sachmaterien, so ist nach dem Schwerpunkt der Regelung abzugrenzen. Das Bundesverfassungsgericht hebt zudem die Bedeutung der Staatspraxis für die Abgrenzung der Kompetenztitel hervor.43 Nach diesen Maßstäben kann die Befreiung der kirchlich Beschäftigten dem Sozial versicherungsrecht zugerechnet werden. Denn von Land zu Land unterschiedliche Regelungen zur Versicherungspflicht der Beschäftigten wären kaum praktikabel. Nach der Staatspraxis wird die Versicherungsfreiheit der Geistlichen seit den 1950er-Jahren44 beanstandungslos bundesrechtlich geregelt.
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Vgl. Axer, FS Listl (1999), S. 587 (607), der dies allerdings zu Unrecht für eine Frage des Selbstbestimmungsrechts hält: Religionsgesellschaften, die nicht Körperschaft des öffentlichen Rechts i. S. v. Art. 137 Abs. 5 WRV sind, haben nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen keine Möglichkeit, ihre Beschäftigten von der Sozialversicherungspflicht zu befreien. Hierin liegt kein Verfassungsverstoß. 42 BVerfGE 36, 193 (202 f.). 43 BVerfGE 7, 29 (40). 44 Gesetzgeberische Klarstellungen erfolgten für die Krankenversicherung 1945 und für die Rentenversicherung 1957, dazu mit Nw. oben Kapitel 4, C. III. 3.
B. Verfassungsrechtliche Garantie und einfachgesetzlicher Normenbestand
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bb) Materielle Rechtfertigung Die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht ist an eine eigene kirchliche Absicherung geknüpft. Der Gesetzgeber will nicht zulassen, dass Alters-, Krankheits- und Unfallvorsorge ohne Sicherung bleiben und kommt so seinen Schutzpflichten gegenüber kirchlichen Bediensteten nach. Darüber hinaus wird die öffentliche Hand davor geschützt, Sozialhilfe für Risiken leisten zu müssen, die grundsätzlich versicherungspflichtig sind. Im Hinblick auf die Krankenversicherung ist eine an den beamtenrechtlichen Grundsätzen orientierte eigene kirchliche Versorgung für alle diejenigen Bediensteten erforderlich, deren Verdienst unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt. Mangels Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse kommen die Betroffenen nicht in den Genuss der günstigen Behandlungstarife, die die Kassen mit den kassenärztlichen Vereinigungen aushandeln. Als Privatpatienten benötigen sie eine private Krankenversicherung, die allerdings im unteren bis mittleren Einkommensbereich ohne Beihilfe kaum bezahlbar ist. Die beamtenrechtliche Fortzahlung der Bezüge ist erforderlich, weil die Betroffenen keinen Anspruch auf Krankengeld haben und daher ohne Bezüge dastünden, sobald die sechswöchige Lohnfortzahlung endet. Im Ergebnis führen die Bedingungen für die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht zwar zu einer Besserstellung gegenüber gesetzlich Versicherten. Ohne diese Voraussetzungen wäre indes ein Absinken unter einen sozialen Mindestschutz zu befürchten. Die Dienstherrnfähigkeit wird somit durch die gesetzlichen Anforderungen nicht unverhältnismäßig beschränkt. Grundrechtlich wie sozialstaatlich gerechtfertigt ist auch die Beschränkung bei der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Da die Beschäftigten ansonsten ohne Alterssicherung dastünden, kann der Staat ein eigenes kirchliches Versorgungssystem verlangen und die Befreiung auch davon abhängig machen, dass dieses die Altersvorsorge tatsächlich gewährleistet.45 2. Keine arbeitsrechtliche Kollisionsnorm Vergleichbare einfachgesetzliche Kollisionsnomen, welche die Verdrängung des zwingenden Arbeitsrechts durch kirchenrechtliche Bestimmungen sicherstellen, gibt es nicht. a) Allgemeines Kollisionsrecht Nach dem einfachgesetzlichen Kollisionsrecht können die Kirchen ihr eigenes Dienstrecht nicht mit kollisionsrechtlicher Wirkung an die Stelle des zwingenden Arbeitsvertragsrechts setzen. 45 Zu Recht hält Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (24) auch eine verschärfte Nachversicherungspflicht für ausgeschiedene Ordensleute für verfassungsrecht unbedenklich.
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
aa) Keine entsprechende Gestaltungsfreiheit durch Rom-I-Verordnung Das Kollisionsrecht für vertragliche Schuldverhältnisse wurde von der Rom-IVerordnung46 harmonisiert. Hiernach bestimmt sich auch die Verdrängung des Arbeitsvertragsrechts der jeweiligen lex fori. Kirchliche Dienstverhältnisse regeln sich nach Art. 8 Rom-I-VO. Der autonom auszulegende Arbeitnehmerbegriff47 umfasst nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jeden, der während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.48 Vorliegen muss also eine abhängige, weisungsgebundene und entgeltliche Tätigkeit.49 Dabei kommt es wiederum auf die wirklichen Verhältnisse an. Obwohl die Pfarrerbesoldung kirchenrechtlich als Unterhaltsleistung verstanden wird, handelt es sich tatsächlich um die Vergütung von Diensten. Denn die Pfarrerbesoldung wird gerade im Gegenzug dafür gewährt, dass die Geistlichen ihrer Amtstätigkeit nachgehen.50 Ungeachtet dessen, dass die Pfarrer nach evangelischem Kirchenrecht in Gestaltung und Inhalt ihres Verkündungsauftrags frei sind (vgl. § 24 Abs. 2 PfDG.EKD),51 handelt es sich zudem um eine weisungsgebundene Tätigkeit. Denn die Lehrfreiheit bezieht sich ausschließlich auf das Predigtamt, nicht auf sonstige Bereiche, in denen zahlreiche weitere Dienstpflichten bestehen.52 Dienstliche Anordnungen sind für die Pfarrer bindend (§ 58 Abs. 2 PfDG. EKD). Pfarrer unterliegen der Dienstaufsicht des Dienstherrn.53 Die katholischen Geistlichen sind ohnehin zum Gehorsam ihrem Ordinarius gegenüber verpflichtet (c. 273 CIC)54 und damit ebenfalls weisungsabhängig. Allgemein ist der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff weit auszulegen und kann sogar staatliche Beamte umfassen.55 Geistliche und „Kirchenbeamte“ erfüllen damit den Arbeitnehmerbegriff des Art. 8 Rom-I-VO.56 Für Arbeitsvertragsverhält 46 Als loi uniforme ist es für die Anwendung der Rom-I-Verordnung unerheblich, ob auf das Recht eines EU-Staats verwiesen wird, dazu Deinert, RdA 2009, S. 144 (145); Wurmnest, EuZA 2 (2009), S. 481 (483). 47 Schönbohm, in: BeckOK-Arbeitsrecht, VO (EG) 593/2008 Art. 8 (Stand: 1.3.2015) Rn. 1; Callsen, Eingriffsnormen und Ordre public-Vorbehalt im Internationalen Arbeitsrecht, S. 30 f. 48 EuGH, NZA 2008, S. 995 (996) – Rannccanelli; NZA 2005, S. 757 – Trojani. 49 MüKoBGB / Martiny, Art. 8 Rom-I-VO Rn. 19. 50 Im kath. Kirchenrecht ist sogar ausdrücklich von Vergütung (remuneratio) die Rede (c. 281 § 1 CIC). Im ev. Kirchenrecht wird das faktische Synallagma etwa in § 42 PfDG.EKD sowie bei den Bestimmungen zu den Teildienstverhältnissen bei anteilig gekürzten Bezügen (§ 68 Abs. 2 PfDG.EKD) deutlich. Zum Widerspruch zwischen der Teilzahlung und dem Unterhaltsgedanken des Alimentationsprinzips de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 98. 51 Zur Lehrfreiheit der Pfarrer de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 45 ff. 52 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 48. 53 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 91 ff. 54 Schwendenwein, in: HdbKathKR, 32015, § 22 S. 362 f. 55 EuGH, NVwZ 2012, S. 688 (689) – Neidel. 56 Allgemein zum unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 469, ausdrücklich auch bezogen auf die Beschäftigten „in öffentlich-
B. Verfassungsrechtliche Garantie und einfachgesetzlicher Normenbestand
217
nisse gilt zunächst wie für andere Vertragsverhältnisse die Grundregel der freien Rechtswahl (Art. 8 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 3 Rom-I-VO).57 Diese Parteiautonomie ermöglicht auch die Wahl eines Rechts, zu dem kein objektiver Anknüpfungspunkt besteht.58 Gleichwohl eröffnet das Instrument der Rechtswahl keinen Weg, zwingende Vorschriften des deutschen Arbeitsvertragsrechts zu umgehen. Nach Art. 3 Abs. 3 Rom-I-Verordnung kann bei einem reinen Inlandsfall durch Rechtswahl nicht von zwingenden Vorschriften desjenigen Staates abgewichen werden, dessen Recht aufgrund der einschlägigen Kollisionsnormen – ohne die Rechtswahl – einschlägig wäre.59 Die Rechtswahl entfaltet bei einem Fall mit reinem Inlandsbezug also lediglich materiell-rechtliche, keine kollisionsrechtliche Wirkung; sie hat den Rang einer Vertragsbestimmung.60 Selbst dann, wenn es sich nicht um einen reinen Inlandsfall handelt, zum Beispiel, wenn ein ausländischer Missionspriester in Deutschland eingesetzt wird, sind die Wirkungen der Rechtswahl beschränkt. Art. 8 Abs. 1 S. 2 Rom-I-Verordnung sieht vor, dass durch Rechtswahl dem Arbeitnehmer nicht der Schutz zwingender Vorschriften des Staates genommen werden darf, dessen Recht nach den Kollisionsnormen der Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom-I-Verordnung ohne die Rechtswahl einschlägig wäre.61 Nach diesem Günstigkeitsprinzip62 wirkt die Rechtswahl stets nur zugunsten des Arbeitnehmers als des schwächeren Vertragsteils.63 Einschlägig ist regelmäßig nach dem Anknüpfungspunkt der lex loci laboris64 das deutsche Recht.65 Soweit sich nach der Günstigkeitsprüfung das objektiv einschlägige Recht durchsetzt, hat die Rechtswahl wiederum keine kollisionsrechtliche Wirkung, sondern wirkt nur als materiell-rechtliche Verweisung.66 Im Ergebnis besteht damit praktisch keine Möglichkeit der kollisionsrechtlichen Verdrängung zwingender Arbeitnehmerschutzvorschriften. Unter dem Regime der Rom-I-Verordnung kommt eine kollisionsrechtliche Verdrängung des staatlichen Arbeitsvertragsrechts durch kirchliche Bestimmungen noch aus einem anderen Grund nicht in Betracht. Denn die Rom-I-Verordnung verrechtlichen Dienstverhältnissen“ (= kirchenrechtlich Beschäftigte nach hiesigem Begriffsverständnis). 57 Deinert, RdA 2009, S. 144 (148); ders., JbArbR 50 (2013), S. 77 (81); Wurmnest, EuZA 2 (2009), S. 481 (486). 58 MüKoBGB / Martiny (6. Aufl.), Art. 8 Rom-I-VO Rn. 27. 59 ErfK / Schlachter, Rom-I-VO, Art. 9 Rn. 20. 60 Hermann Hoffmann / Stegemann, JuS 2013, S. 207 (208). 61 Deinert, RdA 2009, S. 144 (145); Magnus, IPrax 2010, S. 27 (40). 62 MüKoBGB / Martiny (6. Aufl.), Art. 8 Rom-I-VO Rn. 40; Deinert, JbArbR 50 (2013), S. 77 (82). 63 Eichenhofer, EuZA 5 (2012), S. 140 (143 f.); Wurmnest, EuZA 2 (2009), S. 481 (487). 64 Deinert, RdA 2009, S. 144 (145). 65 Umstritten ist, auf welche Weise der Günstigkeitsvergleich durchzuführen ist. Für einen Sachgruppenvergleich: MüKoBGB / Martiny (6. Aufl.), Art. 8 Rom-I-VO Rn. 42; Deinert, RdA 2009, S. 144 (149); für einen Ergebnisvergleich im Einzelfall: MüKoBGB / Martiny, Art. 8 Rom I-VO, Rn. 42; offenlassend Gero Schneider, NZA 2010, S. 1380 (1382). 66 MüKoBGB / Martiny, Art. 8 Rom I-VO, Rn. 35.
218
7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
schließt sich nach der zutreffenden herrschenden Meinung der Wahl eines nichtstaatlichen Rechts mit kollisionsrechtlicher Wirkung.67 Dafür sprechen Gesetzessystematik und Entstehungsgeschichte. Die in der Rom-I-Verordnung vorgesehenen Kollisionsnormen knüpfen überwiegend an ein Territorium an (so auch Art. 8 Abs. 2 bis 4 Rom-I-Verordnung). Zumindest diese Kollisionsnormen verweisen damit stets nur auf staatliches Recht. Geht man davon aus, dass der Begriff Recht in der Rom-I-Verordnung einheitlich gebraucht wird, so sind auch mit dem Rechtsbegriff in Art. 3 Rom-I-Verordnung ausschließlich staatliche Rechtsordnungen gemeint.68 Diese Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte gestützt. Im Vorschlag der EU-Kommission war nämlich noch eine Regelung enthalten, unter welchen Voraussetzungen die Wahl eines nichtstaatlichen Rechts zulässig sein sollte.69 Aus der Tatsache, dass diese Regelung nicht in die Verordnung übernommen wurde, lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber keine Wahl eines nichtstaatlichen Rechts zulassen wollte.70 Die Wahl einer nichtstaatlichen Rechtsordnung kann unter dem Regime der Rom-I-Verordnung damit stets nur als materiell-rechtlicher Verweis wirken. Dies gilt auch für nicht-staatliches religiöses Recht.71 bb) Fehlende Schiedsfähigkeit Nach herrschender Auffassung wird die Rechtswahl erweitert, wenn diese im Zusammenhang mit einer Schiedsklausel getroffen wird. Nach § 1051 ZPO ist auch eine Rechtswahl zugunsten einer nicht-staatlichen Rechtsordnung mit kollisionsrechtlicher Wirkung möglich.72 Das führt jedoch ebenfalls nicht weiter, da die hier maßgeblichen Individualarbeitsverhältnisse nicht schiedsfähig sind (Gegenschluss aus § 1030 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 101 Abs. 3, 2 ArbGG).73
67 Wie hier Hermann Hoffmann / Stegemann, JuS 2013, S. 207 (209); Magnus, IPrax 2010, S. 27 (33); Wurmnest, EuZA 2 (2009), S. 481 (487). 68 MüKoBGB / Martiny (6. Aufl.), Art. 8 Rom-I-VO Rn. 28. 69 EG-Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I), 15.12.2005, Dokument-Nr.: KOM(2005) 650 endgültig, Art. 3 Abs. 2. 70 Magnus, IPrax 2010, S. 27 (33); Hermann Hoffmann / Stegemann, JuS 2013, S. 207 (209). 71 MüKoBGB / Martiny (6. Aufl.), Art. 8 Rom-I-VO Rn. 28. 72 Zutreffend Hermann Hoffmann / Stegemann, JuS 2013, S. 207 (210); Augsberg, in: Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte als Herausforderung des Staates, S. 1 (32). Hötte, Religiöse Schiedsgerichtsbarkeit, S. 205 ff. Hierfür spricht insbesondere die Gesetzesbegründung, vgl. BTDrucks 13/5274, S. 52. A. A. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, § 1051 Rn. 2 – § 1051 ZPO keine selbständige Kollisionsnorm, Rechtswahl nur in den Grenzen von Art. 3 Rom-I-VO. 73 Zu dieser Problematik noch näher Kapitel 9, B. II.
B. Verfassungsrechtliche Garantie und einfachgesetzlicher Normenbestand
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b) Spezifisch religionsrechtliches Kollisionsrecht Eine spezifisch (einfachrechtliche) religionsrechtliche Kollisionsnorm, welche die Kirchen von der Geltung des staatlichen Arbeitsvertragsrechts befreit, existiert ebenfalls nicht. aa) Art. 80 Abs. 1 EGBGB Art. 80 Abs. 1 EGBGB stellt keine entsprechende Kollisionsnorm dar. Gemäß Art. 80 EGBGB bleibt es bei den „landesgesetzlichen Vorschriften über die vermögensrechtlichen Ansprüche und Verbindlichkeiten der Beamten, der Geistlichen“. Die Vorschrift ist gegenstandslos, weil die entsprechenden Ansprüche im Bundesbeamtengesetz, in den Landesbeamtengesetzen sowie im Beamtenstatusgesetz geregelt sind.74 Sachnormen des Landesgesetzgebers zu kirchendienstlichen Beschäftigungsverhältnissen sind wegen der Dienstherrnfähigkeit gerade unzulässig. bb) Landesrecht In den einzelnen Landesverfassungen finden sich keine näheren Konkretisierungen der Dienstherrnfähigkeit. Immerhin ein Viertel der in Kraft befindlichen Landesverfassungen geht auf die Rechtsverhältnisse der Religionsgesellschaften überhaupt nicht ein.75 In anderen Bundesländern wurden die Weimarer Staatskirchenartikel unmittelbar76 oder mittelbar über Art. 140 GG77 in die Landesverfassung inkorporiert. Wieder andere Landesverfassungen enthalten eigene Garantien der kirchlichen Ämterfreiheit.78 Die Landesverfassungen sind damit zur Dienstherrnfähigkeit der Religionsgesellschaften nicht ergiebiger als die Bundesverfassung. Nähere Bestimmungen finden sich auch nicht in den einfachen Landesgesetzen. In den landesbeamtenrechtlichen Vorschriften finden sich zahlreiche Klarstellungen,79 dass die einschlägigen Bestimmungen nicht für die Religionsgesellschaften gelten.80 In einigen Landesbeamtengesetzen ist diese Klarstellung wie in § 146 74
MüKoBGB / Säcker, Art. 80 EGBGB Rn. 1; Staudinger / Merten (2012), Art. 80 EGBG Rn. 3. Landesverfassungen von Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. 76 Art. 9 Abs. 1 LV-MV; Art. 32 Abs. 5 LV-ST. 77 Art. 5 LV-BW; Art. 22 LV-NW; Art. 109 Abs. 4 LV-SN; Art. 40 LV-TH. 78 Art. 142 Abs. 3 S. 3 BV; Art. 36 Abs. 2 S. 2 LV-BB; Art. 59 Abs. 2 S. 2 LV-HB; Art. 49 S. 2 HV; Art. 19 Abs. 2 S. 2 LV-NW; Art. 41 Abs. 2 S. 3 LV-RP; Art. 35 Abs. 2 S. 1 LV-SL. 79 Zum Bundesbeamtengesetz Hebeler, in: Battis, BBG, § 146 Rn. 1. 80 Ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Baden-Württemberg: § 1 Abs. 2 LBG; § 1 Abs. 6 LBesG; Bayern: Art. 1 Abs. 2 BayBG; Art. 1 Abs. 5 BayBesG; Art. 1 Abs. 4 BayBeamtVG; Berlin: § 1 Abs. 2 LBG; § 1 Abs. 2 LBesG; Brandenburg: § 1 Abs. 2 LBG; § 1 Abs. 2 LBesG; § 1 Abs. 3 LBeamtVG; Bremen: § 1 Abs. 2 LBG; § 1 Abs. 3 LBesG; § 15c Abs. 1 LBesG; § 1 Abs. 4 LBeamtVG; Hamburg: § 1 Abs. 2 HmbgBG; § 1 Abs. 2 HmbgBesG; § 1 Abs. 4 HmbgBeamtVG; Hessen: 75
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
S. 2 BBG um den Zusatz versehen, dass es den Religionsgesellschaften überlassen bleibt, die Rechtsverhältnisse ihrer Seelsorger entsprechend dem Bundes- bzw. Landesbeamtengesetz zu regeln;81 in anderen Landesbeamtengesetzen fehlt diese Klausel. Schon ihrem Wortlaut nach kann dieser Norm nicht entnommen werden, dass die Religionsgesellschaften darauf festgelegt wären, ihre Dienstverhältnisse an das staatliche Beamtenrecht anzulehnen. Die Formulierung „bleibt überlassen“ ist offen für eigene kirchliche Bestimmungen und legt die Kirchen insbesondere nicht auf einen „Typenzwang“ für ihre Dienstverhältnisse fest. Aus der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zu § 146 Abs. 2 BBG ergibt sich ebenfalls, dass keine Beschränkung der kirchlichen Gestaltungsfreiheit bei den Dienstverhältnissen beabsichtigt war.82 cc) Staatskirchenverträge Schließlich enthalten auch die staatsvertraglichen Vereinbarungen der Bundesländer mit den verfassten Kirchen keine Kollisionsnormen. Soweit diese Verträge Bestimmungen zur kirchlichen Dienstherrnfähigkeit enthalten, sind diese ebenfalls im Hinblick auf die Voraussetzungen einer Befreiung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht nicht hinreichend bestimmt. Dies gilt insbesondere für die Öffentlicher-Dienst-Klausel.83
C. Voraussetzungen der verfassungsunmittelbaren Kollisionsnorm Mangels allgemeiner einfachgesetzlicher Kollisionsnormen wirkt die religionsverfassungsrechtlich garantierte Dienstherrnfähigkeit aufgrund ihrer abwehrrechtlichen Struktur verfassungsunmittelbar.
§ 1 Abs. 2 HBG; § 1 Abs. 4 HBesG; § 30 Abs. 1 HBesG; Mecklenburg-Vorpommern: § 1 Abs. 2 LBG; § 1 Abs. 4 Nr. 3 LBesG; § 22 Abs. 1 Nr. 1 LBesG, § 1 Abs. 2 LBeamtVG; Niedersachsen: § 27 Abs. 1 NBesG; Nordrhein-Westfalen: § 1 Abs. 3 LBesG; § 31 Abs. 1 LBesG; § 1 Abs. 3 LBeamtVG; Rheinland-Pfalz: § 1 Abs. 2 LBG; § 1 Abs. 2 LBesG; § 20 Abs. 1 LBesG; § 1 Abs. 3 LBeamtVG; Saarland: § 1 Abs. 2 SBG; § 1 Abs. 4 SBesG; § 1 Abs. 3 SBeamtVG; Sachsen: § 1 Abs. 2 SächsBesG; § 4 Abs. 1 SächsBesG; § 1 Abs. 4 SächsBeamtVG; Sachsen-Anhalt: § 25 Abs. 1 LBesG; § 1 Abs. 3 LBeamtVG; Schleswig-Holstein: § 1 Abs. 2 LBG; § 1 Abs. 4 Nr. 2 LBesG; § 29 Abs. 1 S. 1 LBesG; § 1 Abs. 3 Nr. 2 LBeamtVG; Thüringen: § 1 Abs. 2 ThürBG; § 1 Abs. 4 ThürBesG; § 25 Abs. 1 S. 1 ThürBesG; § 1 Abs. 3 ThürBesG. 81 § 1 Abs. 2 LBG-HB; § 1 Abs. 2 HBG; § 1 Abs. 2 LBG-MV; § 1 Abs. 2 LBG-RP; § 1 Abs. 2 SBG; § 1 Abs. 2 LBG-SH. 82 Vgl. Begründung zu einem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Gesetz zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz – DNeuG), BTDrucks 16/7076, S. 133. 83 Dazu bereits oben Kapitel 5, A. IV.
C. Voraussetzungen der verfassungsunmittelbaren Kollisionsnorm
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I. Normative Grundlage Während die Befreiung vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht als wesentliche Folge der Dienstherrnfähigkeit unumstritten ist, besteht Streit über die normative Grundlage dieser Garantie. Die Rechtsprechung ist einer Festlegung längere Zeit ausgewichen. So hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Dienstherrnfähigkeit zunächst ein ausdrückliches Zitat von Art. 137 Abs. 5 WRV vermieden. Zwischenzeitlich hatte es sogar den Anschein, als sollte Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV zur Begründung der Dienstherrnfähigkeit herangezogen werden.84 Diese zögerliche Haltung erklärt sich daraus, dass die Dienstherrnfähigkeit zwar in der Logik der Bereichslehre als staatsabgeleitete Hoheitsgewalt einzuordnen wäre, jedoch die Konsequenz, dass dann öffentlich-rechtliche Bindungen bestehen, in diametralem Gegensatz zur kirchenfreundlichen Linie der Rechtsprechung liegt. Erst spät stellte das Bundesverfassungsgericht in einer Randbemerkung klar, dass die Dienstherrnfähigkeit aus dem Körperschaftsstatus folgt.85 Inzwischen ist dies von der Rechtsprechung mehrfach bekräftigt worden,86 freilich ohne die entsprechenden Konsequenzen der Bereichslehre zu ziehen.87 Teile der Literatur führen die kirchliche Rechtsetzungsbefugnis auf Art. 137 Abs. 3 WRV als der vermeintlichen „lex regia“88 des Staatskirchenrechts zurück. Daher scheint es nahe zu liegen, die Befugnis zur Entwicklung eines eigenen Dienstrechts ebenfalls hier zu verorten. Tatsächlich geschieht das in der Literatur auch vereinzelt.89 Die herrschende Literaturmeinung geht indes in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung davon aus, dass die Dienstherrnfähigkeit auf dem von Art. 137 Abs. 5 WRV garantierten Körperschaftsstatus beruhe.90 Rechtsprechung und herrschende Meinung in der Literatur erweisen sich schon aus historischen Gründen als richtig. Die Privilegierung einzelner Religionsgesellschaften hat eine lange Tradition im deutschen Staatskirchenrecht. Verfassungs-
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In diesem Zusammenhang zitiert in BVerwGE 25, 226 (230); 66, 241 (244). BVerfGE 102, 370 (371; 388). 86 BVerfGE 139, 321 (Rn. 113). 87 Krit. zur inkonsequenten Haltung der Rspr. bereits oben Kapitel 6, B. III. 88 Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 137 Rn. 4; Richardi, FS Rüfner (2003), S. 727 (734). 89 So Bock, Für alle geltendes Gesetz und kirchliche Selbstbestimmung, S. 260 ff., insbesondere S. 265 f.; ebenso Magen, Körperschaftsstatus, S. 278 ff. Vgl. auch Mayer-Maly, BB-Beil. 3/1977, S. 3 ff. der aus Art. 137 Abs. 3 WRV eine umfassende Rechtsetzungsbefugnis auch für das kirchliche Arbeitsrecht ableitete (S. 4) und davon ausging, das staatliche Arbeitsrecht werde in den Grenzen des odre public verdrängt. 90 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 292; Morlok, in: Horst Dreier, GG III, Art. 137 WRV, Rn. 94; Paul Kirchhof, in: HdbStKirchR I, § 22 S. 671; de Wall, ZevKR 49 (2004), S. 369 (374 f.); Listl / Hollerbach, in: HdbKathKR 21999, § 118 S. 1279 f.; Frank, EssG 10 (1976), S. 9 (23); v. Campenhausen, EssG 18 (1984), S. 9; Steiner, NVwZ 1989, S. 410 (411); Hense, in: HdbKathKR, 32015, § 120 S. 1857. 85
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
politisch motivierte Skepsis91 demgegenüber darf nicht dazu führen, die insofern eindeutige Systematik von Art. 137 WRV de constitutione lata zu nivellieren. Das geltende Religionsverfassungsrecht unterscheidet die privatrechtlichen Religionsgesellschaften (Art. 137 Abs. 4 WRV) als normsystematischen Regel- und praktischen Ausnahmefall von den korporierten Religionsgesellschaften (Art. 137 Abs. 5, 6 WRV) als normsystematischen Ausnahme- und praktischen Regelfall. Der Verfassungsgeber von 1919 bezweckte mit Art. 137 Abs. 5 WRV, den korporierten Religionsgesellschaften besondere Vorrechte zu garantieren, wozu er auch die Dienstherrnfähigkeit zählte.92 Der Körperschaftsstatus ist damit so etwas wie die „Kurzformel“ für die besonderen Privilegien der korporierten Religionsgesellschaften.93 Das Selbstbestimmungsrecht gilt hingegen für jede Religionsgesellschaft, also für privatrechtliche wie korporierte Religionsgesellschaften gleichermaßen. Erstere sollen aber nach Systematik und Entstehungsgeschichte gerade nicht in den Genuss der Dienstherrnfähigkeit kommen. Darüber hinaus wäre die Verankerung der Dienstherrnfähigkeit im Selbstbestimmungsrecht auch mit der Schrankenformel von Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV unvereinbar.94 Denn diese ermöglicht kirchliche Selbstverwaltung gerade nur in den Schranken des „für alle geltenden Gesetzes“, während die Dienstherrnfähigkeit gerade vom Arbeits- und Sozialrecht als dem für alle geltenden Gesetz befreit.
II. Tatbestandsmerkmale der kollisionsrechtlichen Verdrängung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts im Rahmen der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit Die Voraussetzungen, unter denen die Kollisionsnorm des Art. 137 Abs. 5 WRV greift und das staatliche Arbeits- und Sozialrecht vom kirchlichen Recht verdrängt wird, lassen sich dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht unmittelbar entnehmen. In Rechtsprechung und Literatur hat dieses Problem bisher keine große Rolle gespielt. Eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Freiburg im Breisgau zur Qualifikation des Dienstverhältnisses eines jüdischen Rabbiners95 zeigt immerhin, dass das Problem nicht ohne praktische Relevanz ist. Abgrenzungsschwierigkeiten von kirchenrechtlich geregelten Dienstverhältnissen zu Arbeitsverhältnissen nach staatlichem Recht mit kirchlichen Arbeitgebern könnten in Zukunft noch zunehmen, wenn das Instrument der Dienstherrnfähigkeit verstärkt von den „kleineren“ korporierten Religionsgesellschaften in Anspruch genommen wird. Da die Voraussetzungen
91 Prononciert Schmidt-Eichstaedt, Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts?, S. 107 ff.; demgegenüber bereits oben Kapitel 4, F. 92 Oben Kapitel 4, C.III und speziell zur Dienstherrnfähigkeit C. III. 3. 93 Hübner, Pfarrer in der Sozialversicherung, S. 29. 94 Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, S. 293. 95 ArbG Freiburg (Breisgau), KirchE 57, 19.
C. Voraussetzungen der verfassungsunmittelbaren Kollisionsnorm
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in Art. 137 Abs. 5 WRV nicht ausdrücklich geregelt sind, müssen sie anhand von Telos, Systematik und Entstehungsgeschichte ermittelt werden. 1. Korporierte Religionsgesellschaft als Dienstgeberin Da die Dienstherrnfähigkeit zum Privilegienbestand des Art. 137 Abs. 5 WRV gehört, muss die Dienstgeberin eine Kirche sein. Privatrechtliche Religionsgesellschaften im Sinne von Art. 137 Abs. 3 WRV können keine Kirchendienstverhältnisse begründen. Zweifel können sich hinsichtlich der Frage ergeben, ob die Dienstherrnfähigkeit auch rechtlich verselbständigten juristischen Personen oder Vereinigungen des Privatrechts zukommt, deren sich eine korporierte Religionsgesellschaft zur Erfüllung ihrer religiösen Zwecke bedient. Diese Frage ist insbesondere für die karitativen kirchlichen Einrichtungen wie Krankenhäuser relevant, die häufig in den Rechtsformen des Privatrechts, etwa als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), organisiert sind. Bekanntlich geht die Rechtsprechung davon aus, dass von den Kirchen beherrschte Privatrechtssubjekte am kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV) teilhaben, wenn sie der Erfüllung kirchlicher Aufträge dienen.96 Nicht in Betracht kommt hingegen, diesen verselbständigten Einrichtungen auch die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit zuzuerkennen. Neben dem rein formalen Aspekt, dass Rechtsträger der Körperschaftsrechte des Art. 137 Abs. 5 WRV eben nur die korporierten Religionsgesellschaften sind, widerspricht es der gebotenen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, die Dienstherrnfähigkeit auch rechtlich verselbständigten Privatrechtssubjekten zuzugestehen. Insoweit ist zu bedenken, dass die Beschäftigten einer Gesellschft regelmäßig keinen Einfluss darauf haben, von wem und in welchem Maße die Gesellschaft beherrscht wird, zumal sich diese Verhältnisse auch während des Beschäftigungsverhältnisses ändern können, etwa wenn die Gesellschaft veräußert wird. 2. Rechtsformvereinbarung Die im internationalen Privatrecht typischen Anknüpfungsmomente wie Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Aufenthalt97 scheiden für das religionsverfassungsrechtliche Kollisionsrecht aus. Wohnsitz und Aufenthalt sind schon deshalb unergiebig, weil Religionsgesellschaften über kein vom Staat abgrenzbares Gebiet verfügen.98 Lediglich das Anknüpfungsmoment der Staatsangehörigkeit könnte 96
BVerfGE 46, 73 (85 f.); 53, 366 (391); 57, 220 (242); 70, 138 (162); 137, 273 (Rn. 91). Vgl. Kegel / Schurig, IPR, S. 437 ff. 98 Vgl. zur fehlenden räumlichen Trennung von Staat und Kirche die berühmte Bemerkung von Martin Heckel, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (32), dass sich Kirche und Staat nicht in gleichsam räumlicher Trennung ihrer Herrschaftsbereiche wie Staaten des Völkerrechts begegnen, sondern „in den gleichen Menschen, die Gläubige und Bürger zugleich sind“. 97
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
in modifizierter Form als Mitgliedschaft in einer Religionsgesellschaft in Betracht kommen. Aus rechtlichen und praktischen Gründen taugt jedoch auch dieses Anknüpfungsmoment nicht. Praktisch kann es auf die Mitgliedschaft nicht ankommen, weil die Religionsgesellschaft mit ihren Mitgliedern sowohl kirchenrechtlich geregelte Dienstverhältnisse als auch Arbeitsverhältnisse nach staatlichem Recht begründen kann, wobei letzteres in der Praxis sogar den ganz überwiegenden Regelfall darstellt. Rechtlich ist die Fähigkeit zur Begründung von kirchenrechtlichen Dienstverhältnissen nicht auf die Kirchenmitglieder der Dienstgeberin beschränkt. Die kirchenrechtlichen Bestimmungen lassen zumindest in Ausnahmefällen die Begründung von kirchenrechtlichen Dienstverhältnissen zu Nichtmitgliedern zu (vgl. § 8 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 KBG.EKD). Hiergegen gibt es aus religionsverfassungsrechtlicher Perspektive nichts zu erinnern, denn die stets erforderliche rechtsgeschäftliche Zustimmung zur Geltung von Kirchenrecht99 liegt insoweit nicht in der Kirchenmitgliedschaft, sondern in der Annahme des Dienstverhältnisses. Das Prinzip der Freiwilligkeit der Unterwerfung unter das Kirchenrecht führt zum entscheidenden Anknüpfungsmoment der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit. Die Geltung des Kirchenrechts muss dem Parteiwillen entsprechen, also zwischen den Parteien vereinbart sein. Die Parteien des Dienstverhältnisses müssen einen Verweisungsvertrag schließen, der im Folgenden als Rechtsformvereinbarung bezeichnet werden soll. Mit der Rechtsformvereinbarung nehmen die Parteien nicht bloße Privat-, sondern die für das internationale Privatrecht typische Parteiautonomie wahr. Der wirksame Rechtsformvertrag verdrängt das einschlägige staatliche Recht insgesamt, also einschließlich des zwingenden Rechts, und setzt an dessen Stelle die einschlägigen kirchlichen Regelungen. Damit können Rechtspflichten zum Gegenstand des Dienstverhältnisses werden, die wegen der Grenzen des zwingenden staatlichen Rechts nicht wirksam Gegenstand einer bloß materiell-rechtlich wirkenden Vertragsabrede sein könnten. Die hier vorgeschlagene Rechtsfigur einer Rechtsformvereinbarung ist bisher, soweit ersichtlich, in dieser Form noch nicht beim Namen genannt worden. Aber die dahinterstehende Idee ist nicht völlig neu. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in der Vergangenheit die Geltung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts bei Abschluss eines Arbeitsvertrags als „schlichte Folge einer Rechtswahl“100 bezeichnet. Das Bundesarbeitsgericht hat – noch unter der herkömmlichen Annahme, dass für Streitigkeiten aus kirchenrechtlich geregelten Dienstverhältnissen der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet sei – ebenfalls maßgeblich darauf abgestellt, ob sich aus den Umständen eines Einzelfalls ableiten ließ, dass ein Arbeitsvertrag geschlossen wurde, oder ob die Leistungen aus einem Dienstverhältnis ausschließlich auf kirchenrechtlichen Bestimmungen beruhten.101
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Dazu oben Kapitel 6, B. II. BVerfGE 70, 138 (165). 101 Vgl. BAGE 64, 131 (135 ff.). 100
C. Voraussetzungen der verfassungsunmittelbaren Kollisionsnorm
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Die Rechtsformvereinbarung kann formlos getroffen werden. Bei den „klassischen“ Dienstformen, wie dem Pfarrerdienst-, Kirchenbeamten- und Inkardinationsverhältnis ergibt sich ohne weiteres aus den Umständen, unter denen die Beschäftigten das Dienstverhältnis begründet haben, dass kirchliches Recht gewählt wurde. Dessen Geltung entspricht nämlich jahrzehntelanger Rechtspraxis und es ist den Betroffenen ohne weiteres bekannt,102 dass die Kirche durch die Bestellung zum Geistlichen oder die Ernennung zum Kirchenbeamten kein staatliches Arbeitsverhältnis, sondern ein kirchenrechtlich geregeltes Dienstverhältnis begründen will. Mit der Unterwerfung unter die Weihe oder der Annahme einer Ernennungsurkunde zum Pfarrer103 wird daher durch schlüssiges Verhalten die Rechtsformvereinbarung zugunsten des kirchlichen Rechts getroffen. Religionsgesellschaften, die über keine mit den Großkirchen vergleichbare gefestigte Rechtstradition verfügen, sollten allerdings im Zweifel die Geltung eines kircheneigenen Dienstrechts klarstellen. Ohne den Abschluss einer Rechtsformvereinbarung bleibt es bei der Anwendung staatlichen Rechts. 3. Keine materiellen Anforderungen Die Kollisionsnorm der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit statuiert darüber hinaus keine materiellen Anforderungen. Wie bereits oben in Auseinandersetzung zur Lehre vom Typenzwang dargelegt wurde, setzt die Wahrnehmung der Dienstherrnfähigkeit nicht voraus, dass die Religionsgesellschaft ihr Dienstrecht an den wesentlichen Grundsätzen des Berufsbeamtentums ausrichtet. Denkbar ist sehr wohl auch, dass die Religionsgesellschaft ein eigenes kirchliches Arbeitsvertragsrecht erlässt. 4. Keine Beschränkungen auf ein „eigenes“ Dienstrecht Die Rechtswahl ist nicht auf die Wahl eines „eigenen“ Dienstrechts der Dienstgeberin beschränkt. Eine derartige Bindung widerspräche dem hergebrachten System der konfessionellen Verwaltungsgliederung, wie es bereits 1919 vom Verfassungsgeber vorgefunden und nicht angetastet wurde. Korporierte Religionsgesellschaften sind nämlich erst einmal nicht die „Gesamtkonfessionen“. Vielmehr untergliedern sich die einzelnen Konfessionen in grundsätzlich selbständige korporierte Religionsgesellschaften, die ihrerseits lediglich kirchenrechtlich miteinander verbunden sind. So sind die einzelnen evangelischen Landeskirchen und 102 In einem vom VG Wiesbaden, KirchE 33, 482 (483) entschiedenen Fall hatte das Bistum einen Kirchenbeamten in einem Begleitschreiben zur Ernennung ausdrücklich auf die Geltung des kirchlichen Rechts hingewiesen. 103 Ausdrücklich a. A. zur Berufung in das Lehrvikariat durch Ernennung SchiedsGH EKD, RsprB ABl EKD 1983, S. 3: „Ebensowenig können der Antrag und der Ernennungsakt als privatrechtliche Vertragsangebots- und Annahmeerklärung angesehen werden“.
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
die Gemeinden jeweils selbständig korporierte Religionsgesellschaften. Die katholische Kirche an sich ist gar keine Religionsgesellschaft; stattdessen kommt diese Eigenschaft den einzelnen Bistümern und Gemeinden zu.104 Der Einheitlichkeit des Kirchenrechts innerhalb einer Konfession widerspräche es, wenn jede Kirchengemeinde ihr eigenes Dienstrecht erlassen müsste, mit der Gefahr, dass dieses dann vom gesamtkirchlichen Recht abweichen könnte. Die Religionsgesellschaft kann vielmehr auf das einschlägige Recht der Landeskirche oder auf das kanonische Recht verweisen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist lediglich erforderlich, dass der Inhalt der gewählten Rechtsordnung bestimmbar ist. Das ist für das evangelische und katholische Kirchenrecht unproblematisch. 5. Formulierung des Tatbestands der religionsverfassungsrechtlichen Kollisionsnorm „Dienstherrnfähigkeit“ Nach alledem lässt sich der Tatbestand der religionsverfassungsrechtlichen Kollisionsnorm „Dienstherrnfähigkeit“ wie folgt formulieren: Das Dienstverhältnis einer korporierten Religionsgesellschaft und ihres Bediensteten unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Wahl eines nicht-staatlichen Rechts ist zulässig, soweit sich dessen Inhalt in einer mit staatlichen Rechtsordnungen vergleichbaren Weise hinreichend konkret bestimmen lässt. Insbesondere ist die Wahl eines von der Religionsgesellschaft selbst erlassenen Rechts zulässig.
D. Rechtsfolgen der religionsverfassungsrechtlichen Kollisionsnorm Die Rechtsfolgen der Dienstherrnfähigkeit als religionsverfassungsrechtliche Kollisionsnorm standen am Anfang der Überlegungen dieses Kapitels. Aus ihrer Wirkungsweise heraus wurde dargelegt, dass die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm wirkt.105 Nur zur Klarstellung sei die Rechtsfolge hier kurz wiederholt: Das gesamte staatliche Recht, das der Sache nach auf kirchliche Dienstverhältnisse anwendbar wäre, wird einschließlich seiner zwingenden Bestandteile durch die einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen ersetzt. Diese Rechtsfolge unterstreicht noch einmal eine praktische Konsequenz, die sich bereits daraus ergibt, dass kirchliches Dienstrecht als materielles Recht zu qualifizieren ist:106 Staatliche Gerichte müssen im Prozess kirchliches Recht anwenden.107 104
Jurina, in: FS Rüfner (2003), S. 381 (383 f.). Oben Kapitel 7, A. 106 Oben Kapitel 6, C. 107 Magen, NVwZ 2002, S. 897 (899); Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 35; Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 129 f.; ders., FS Rüfner (2003), 105
D. Rechtsfolgen der religionsverfassungsrechtlichen Kollisionsnorm
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Dagegen ist vorgebracht worden, die Anwendung bekenntnisgebundenen Rechts stehe in prinzipiellem Widerspruch zur religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates,108 sei „rechsdogmatisch schwierig und in der Praxis heikel“109. Diese Kritik greift allerdings nicht durch. Im Gegenteil folgt die Anwendung kirchlichen Rechts der Einsicht, dass der religiös-weltanschaulich neutrale Staat religiöse Sachverhalte als solche prinzipiell nicht selbst regeln darf, andererseits derartige Sachverhalte im staatlichen Rechtsleben aber auch nicht belanglos sind.110 Die Anwendung religiösen Rechts ist überdies kein Novum für die deutsche Rechtsordnung.111 In Streitigkeiten mit international-privatrechtlichen Bezügen sind die staatlichen Gerichte seit langem mit Situationen konfrontiert, in denen mittelbar religiöses Recht zur Anwendung kommt: Die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das internationale Privatrecht war provoziert von einem Fall, in dem das spanische Familienrecht auf das kanonische Familienrecht verwies.112 Fälle, in denen international-privatrechtliche Kollisionsnormen auf islamisches Recht verweisen, sind insbesondere im Familien- und Erbrecht Gerichtsalltag. Verweist das internationale Privatrecht auf die Anwendung einer ausländischen Rechtsordnung, die ein bestimmtes religiöses Recht in sich inkorporiert hat, so haben die Zivilgerichte dieses wie jedes andere ausländische staatliche Recht anzuwenden.113 Die Anwendung der ausländischen Rechtsordnung darf also nicht schon deshalb verweigert werden, weil sie auf religiöse Rechtsnormen verweist oder diese adaptiert. Das fremde Recht ist S. 423 (425); ders., in: BK, Art. 140 (Stand: 144. EL 2010), Rn. 62 f.; Hermann Weber, NJW 1989, S. 2217 (2221); Classen, Religionsrecht, Rn. 592; ders., Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, S. 126; Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 250. 108 Pirson, in: HdbStKirchR II, 21995, § 64 S. 863 f.; ders., FS Ruppel (1968), S. 277 (279) – im Ergebnis aber schließlich ähnlich wie hier (S. 308); Augsberg, in: Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte als Herausforderung des Staates, S. 1 (29 f.); Ehlers, ZevKR 61 (2016), S. 313 (318). 109 Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, vor Art. 92 Rn. 124. 110 Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 64. 111 Kirchliches Recht wenden in anderem Zusammenhang an: BVerwGE 148, 271 (Rn. 53 ff.) – jüdisches Mitgliedschaftsrecht; so auch allgemein die Finanzgerichte zur Feststellung der Kirchensteuerpflicht (vgl. dazu mit Nw. oben Kapitel 6, B. II. 2. b); OVG Lüneburg, KirchE 31, 35 (38 ff.); DVBl 1964, S. 1027 (1029 ff.); VG Arnsberg, KirchE 17, 173 (177); 18, 407 (409 f.); VG Minden, KirchE 24, 104 (106) – jeweils Anwendung kirchlicher Besoldungsbestimmungen; VGH München, NVwZ 1991, S. 794 (795) – kirchliche Friedhofssatzung. Die Anwendbarkeit kirchlichen Rechts wird obiter dicta bejaht: VG Gelsenkirchen, NVwZ-RR 2004, S. 860 (861) – kirchliches Datenschutzrecht. 112 BVerfGE 31, 58; zur Bedeutung für die kirchliche Dienstherrnfähigkeit sogleich noch eingehend Kapitel 8. 113 So auch Augsberg, in: Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte als Herausforderung des Staates, S. 1 (21); eingehend zum islamischen Familienrecht am Beispiel Ägyptens Menhoffer, Religiöses Recht und internationales Privatrecht, S. 120 ff.; a. A. KG, FamRZ 1994, S. 839 f. – keine Ehescheidung durch deutsches Gericht nach israelischem Recht, da nach israelischem Recht Rabbinatsgericht zuständig wäre, dessen religiöse Funktion staatliches Gericht nicht erfüllen könne.
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
dabei „aus dem Zusammenhang und dem Geist der fremden Rechtsordnung“114 zu interpretieren. Diese Vorgehensweise lässt sich auf die Anwendung religiösen Rechts im Rahmen der Dienstherrnfähigkeit übertragen.115 Dadurch wird auch methodisch jene Distanz hergestellt, die das Neutralitätsgebot den staatlichen Gerichten abverlangt.116 Denn die Anwendung fremden Rechts ist „wirklich Anwendung fremden Rechts, nicht etwa Anwendung eigenen Rechts in bloßer Nachahmung (…) und auch nicht eine Art der Rezeption“117. Es obliegt dem staatlichen Gericht, das maßgebliche kirchliche Recht von Amts wegen zu ermitteln (§ 293 ZPO).118 Die staatlichen Gerichte haben die kirchliche Rechtsordnung zunächst so anzuwenden, wie es auch die dafür zuständigen kirchlichen Gerichte tun.119 Den Kirchen verbleibt so die „maßgebliche Konkretisierungskompetenz“120 für ihr eigenes Recht. Um ein berühmtes Wort aus dem Internationalen Privatrecht zu bemühen: Die Kirche bleibt Architektin ihres Rechts, während der staatliche Richter nur Fotograf ist.121 Ist das säkularstaatliche Gericht nicht in der Lage, die maßgebliche innerkirchliche Rechtslage selbst zu beurteilen, so hat es ein Rechtsgutachten einzuholen.122 Das bedeutet allerdings gerade nicht, dass das staatliche Gericht die kirchenrechtliche Rechtslage nicht selbst beurteilen dürfe, sondern nur als Tatsache hinzunehmen habe.123 Die Ermittlung des kirchlichen Rechts ist Rechts-, nicht Tatfrage.124 Der staatliche Richter genießt insofern die gleiche Freiheit wie der kirchliche Richter.125 Inwieweit der staatliche Richter nicht nur an die Rechtsprechung der kirchlichen Gerichtsbarkeit allgemein, sondern auch an die Entscheidung kirchlicher Vorinstanzen in derselben Sache gebunden ist, wird an späterer Stelle noch näher erörtert.126 114
Kropholler, IPR, S. 213. Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 250; ders., NVwZ 2002, S. 897 (902); Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 279; a. A. Augsberg, in: Kischel, Religiöses Recht und religiöse Gerichte als Herausforderung des Staates, S. 1 (29). 116 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 250. 117 Kropholler, IPR, S. 212. 118 Grundlegend RGZ 39, 371 (376); Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 181; ders., in: BK, Art. 140 (Stand: 144. EL 2010) Rn. 65. 119 Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 250; zum IPR BGHZ 201, 252 (Rn. 26); 198, 14 (Rn. 21); BGH MDR 2007, S. 487 (Rn. 18); NJW 2003, 2685 (2686); NJW 2002, 3335; IPrax 1981, S. 130 (134); v. Bar / Mankowski, IPR I, § 5 Rn. 100; Kropholler, IPR, S. 212 f.; das RG billigte indes noch Abweichungen von den jeweiligen ausländischen Obergerichten: RGZ 62, 379 (383 f.); 126, 196 (202). 120 Classen, Religionsrecht, Rn. 272. 121 Frei nach Werner Goldschmidt, Derecho Internacional Privado, S. 92. 122 Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 184; ders., in: BK XVIII, Art. 140 (Stand: 144. Aktual. 2010) Rn. 65; zum IPR: Waldhoff, 68. DJT 2010, S. D139. 123 So aber Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 33. 124 Zum IPR v. Bar / Mankowski, IPR I, § 5 Rn. 97; Kropholler, IPR, S. 212. 125 Zum IPR Kegel / Schurig, IPR, S. 506. 126 Kapitel 9, B. IV. 115
E. Europarechtskonformität des Sonderkollisionsrechts
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E. Europarechtskonformität des religionsverfassungsrechtlichen Sonderkollisionsrechts Abschließend soll die Frage erörtert werden, ob die aus der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit resultierende Sonderkollisionsnorm europarechtskonform ist. Problematisch ist, dass sie das von den Rom-Verordnungen weitgehend harmonisierte Kollisionsrecht ergänzt. Der Anwendungsvorrang des EU-Rechts schließt nicht nur unmittelbar entgegenstehendes nationales Recht, sondern auch die Anwendbarkeit ergänzenden nationalen Rechts aus, soweit die EU-Verordnung die Sachmaterie abschließend geregelt hat.127 Allerdings fehlt es an dieser Voraussetzung, weil die EU nicht das gesamte Kollisionsrecht geregelt hat. Die Rom-I-Verordnung betrifft lediglich das zwischenstaatliche Kollisionsrecht bei vertraglichen Schuldverhältnissen (Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom-I-VO). Das Verhältnis von staatlichem und kirchlichem Recht wird dagegen nicht geregelt. Dieses kann vielmehr als ein interlokales Kollisionsrecht verstanden werden, vergleichbar mit dem in Art. 22 Abs. 2 Rom-I-VO ausdrücklich geregelten Fall unterschiedlicher Rechtsordnungen in verschiedenen Gebietseinheiten. Im Übrigen wäre ein Ausschluss nationaler religionsverfassungsrechtlicher Kollisionsregeln kompetenzwidrig. Denn die Verordnung stützt sich auf Art. 61 lit. c EGV. Eine entsprechende Vorschrift findet sich heute in Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV. Gemäß Art. 81 Abs. 1 AEUV dient diese Kompetenz der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen. Vermieden werden sollen demnach Kompetenzkonflikte, die transnationale Rechtsgeschäfte durch eine unklare Rechtslage behindern.128 Diese Problemlage ist auf das staatskirchenrechtliche Kollisionsrecht nicht übertragbar. Denn hier geht es nicht um Kompetenzkonflikte, die bei transnationalen Rechtsgeschäften auftreten können. Vielmehr bezweckt das staatskirchenrechtliche Kollisionsrecht, den Religionsgesellschaften den nötigen Freiraum gegenüber staatlichen Vorschriften insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung ihrer Dienstverhältnisse einzuräumen. Für die Regelung derartiger Fragen gibt die Kompetenznorm des Art. 81 AEUV, die sich auf das klassische internationale Privatrecht bezieht, nichts her. Im Bereich des Staatskirchenrechts sind der EU dagegen keine Kompetenzen übertragen worden.129 Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (compétence d’attribution)130 verbleibt die Kompetenz zur Regelung staatskirchenrechtlicher Fragen damit ausschließlich bei den Mitgliedstaaten. Speziell in religionsrechtlichen Fragen wird dieses Ergebnis dadurch untermauert, dass die Union den Status, den Kirchen nach dem Recht der Mitgliedstaaten genie 127 Zum Anwendungsvorrang bei „indirekten Kollisionen“ Schroeder, in: Streinz, EUV / AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 43; Ruffert, in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 22. 128 Vgl. Leible, in: Streinz, EUV / AEUV, Art. 81 Rn. 5. 129 Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 140 (Stand: 74. EL 2015) Rn. 40. 130 Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 65.
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7. Kap.: Die Dienstherrnfähigkeit als Kollisionsnorm
ßen, nicht beeinträchtigt (Art. 17 Abs. 1 AEUV). Dieser Status gehört überdies zur von Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV geschützten nationalen Identität der Mitgliedstaaten.131
F. Zwischenfazit zum Religionsverfassungsrecht als Kollisionsrecht Während sich die Rechtsetzungsbefugnis der Religionsgesellschaften mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung bereits zwanglos aus der allgemeinen Privat- und Verbandsautonomie herleiten lässt, ohne dass auf spezielle religionsverfassungsrechtliche Gewährleistungen zurückgegriffen werden müsste, ist vor allem die kollisionsrechtliche Verdrängung der zwingenden staatlichen Rechtsordnung ein religionsverfassungsrechtliches Spezifikum. Die religionsverfassungsrechtliche Dienstherrnfähigkeit kann als solche Kollisionsnorm verstanden werden, der zufolge das staatliche Arbeits- und Sozialrecht insgesamt und einschließlich seiner zwingenden Bestimmungen durch das gewählte, meist kirchliche Recht verdrängt wird. Ausschließlich korporierte Religionsgesellschaften haben damit das Recht, durch eine Rechtsformvereinbarung mit ihren Beschäftigten eine andere als die staatliche Rechtsordnung für die Regelung des Dienstverhältnisses zu wählen. Dabei kann es sich um eine ausländische oder um eine nicht-staatliche Rechtsordnung handeln; typisch ist die Wahl von Kirchenrecht.
131
Korioth, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 140 (Stand: 74. EL 2015) Rn. 41.
Achtes Kapitel
Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts Im öffentlichen Recht ist die Anwendung einer fremden Rechtsordnung durch deutsche Gerichte ein ungewohntes Terrain. Im Privatrecht hingegen ist die Anwendung einer fremden Rechtsordnung in Fällen mit Auslandsberührung alltägliches Geschäft. Deshalb haben sich im internationalen Privatrecht schon lange Mechanismen entwickelt und bewährt, mit denen die Anwendung einer fremden Rechtsordnung begrenzt werden kann. Wie sich zeigen wird, lassen sich diese Strukturen auf die Anwendung kirchlichen Dienstrechts durch staatliche Gerichte übertragen. Insbesondere stellen sich der Sache nach die gleichen Fragen wie beim internationalen Arbeitsrecht. Hier wie dort geht es darum, in welchen Grenzen deutsche staatliche Gerichte bei Dienstverhältnissen eine fremde Arbeits- bzw. Dienstordnung anwenden können und welche Regelungen des deutschen staatlichen Arbeitsrechts so fundamental sind, dass sie in jedem Fall auf das eigentlich von fremdem Recht regierte Dienstverhältnis angewendet werden müssen.
A. Der ordre public im internationalen Privatrecht Damit sind bereits zwei Aspekte des Prinzips vom ordre public angesprochen. Der wesentliche Zweck des ordre public im internationalen Privatrecht ist die Durchsetzung fundamentaler materieller Gerechtigkeitsvorstellung der lex fori in den Fällen, in denen die Kollisionsnormen ein fremdes Recht zur lex causae beruft. Der Begriff ordre public geht auf den 1804 erlassenen Code Napoléon zurück. In Art. 6 C. civ. heißt es:1 „On ne peut déroger, par des conventions particulières, aux lois qui intéressent l’ordre public et les bonnes mœurs“. Traditionell unterscheiden sich zwei verschiedene Theorien zur Wirkung des ordre public. Auf Savigny geht die Auffassung zurück, wonach der ordre public eine Ausnahmebestimmung ist.2 In der romanischen Rechtstradition ist demgegenüber im Anschluss an Mancini zunächst davon ausgegangen worden, dass der ordre public sich von den Sach normen der lex fori her bestimme, deren Beachtung den unabdingbaren ordre public ausmache.3
1
Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 5. Vgl. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII, S. 38. 3 Dazu Kegel / Schurig, IPR, S. 517. 2
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
Diesem Theorienstreit kommt heute keine entscheidende praktische Bedeutung mehr zu. Obwohl im Einzelnen strittig, wirkt das Prinzip des ordre public auf zweierlei Weisen. Einmal schließt der ordre public die Anwendung einer fremden Rechtsnorm im Einzelfall aus, wenn diese zu einem Ergebnis führen würde, das mit den fundamentalen Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen der lex fori, also deren ordre public, unvereinbar ist. Der ordre public wirkt in diesem Fall wie eine Ausnahmebestimmung und wird auch als Vorbehaltsklausel,4 Vorbehalt des ordre public oder negative Funktion des ordre public bezeichnet.5 Darüber hinaus kennen die meisten Rechtsordnungen Sachnormen, die wegen ihrer besonderen Wichtigkeit unabhängig von der lex causae anzuwenden sind. Dieses Ergebnis wird dogmatisch unterschiedlich begründet. Nach romanischer Rechtstradition stützt sich die Anwendung dieser loi de police (vgl. Art. 3 Abs. 1 C. civ.) bzw. loi d’application immédiate unmittelbar auf die Sachnorm. Im deutschen Schrifttum überwiegt dagegen die Auffassung, dass die entsprechende Sachnorm über eine Sonderanknüpfung berufen wird, deren normative Verankerung freilich mit der Sachnorm identisch sein kann. Praktische Bedeutung haben diese unterschiedlichen Ansätze nicht: In beiden Fällen gelangt man zur Anwendung der entsprechenden deutschen Norm unabhängig von der lex causae. Während sich im deutschen internationalen Privatrecht bisher keine ausdrückliche Bestimmung zum positiven ordre public findet, setzt Art. 9 Abs. 1 Rom-I-VO die Existenz so genannter Eingriffsnormen (im französischen Wortlaut: loi de police) nunmehr voraus.6
I. Die negative Funktion des ordre public in Form der Vorbehaltsklausel Die negative Funktion des ordre public ist allgemein in der Generalklausel des Art. 6 EGBGB normiert, dessen amtliche Überschrift ausdrücklich den französischen Begriff ordre public enthält und damit auf ein international allgemein übliches Prinzip des internationalen Privatrechts7 verweist. Demnach ist die Rechtsnorm eines fremden Staates nicht anzuwenden, wenn „ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist“. Art. 6 S. 2 EGBGB ergänzt und konkretisiert diese Generalklausel – auch in Reaktion auf die berühmte „Spanier-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts8 – seit 19869 um den Satz: „Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, 4
Zitelmann, IPR I, S. 317 ff. Staudionger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 10. 6 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 28, der allerdings dogmatisch das Konzept der Sonderanknüpfungen verfolgt (Rn. 30). Richtig hieran ist, dass sich die Geltung der Eingriffsnormen nicht generalklauselartig aus Art. 6 EGBGB, sondern aus den einzelnen Sachnormen selbst ergibt. 7 v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7 Rn. 258. 8 BVerfGE 31, 58. 9 Art. 1 G. v. 25.7.1986, BGBl I S. 1142. Zuvor war der ordre-public-Vorbehalt ohne den genannten Zusatz in Art. 30 EGBGB a. F. geregelt. 5
A. Der ordre public im internationalen Privatrecht
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wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist“. Im heute weitgehend harmonisierten europäischen Kollisionsrecht finden sich ähnliche Klauseln in Art. 21 Rom-I-VO und Art. 26 Rom-II-VO, wobei kein ausdrücklicher Bezug auf die Grundrechte genommen wird. Der ordre-public-Vorbehalt steht zur Kollisionsnorm im Regel-Ausnahme-Verhältnis. Er setzt also zunächst die kollisionsrechtliche Anwendung einer fremden Rechtsordnung voraus.10 Die Vorbehaltsklausel steht nicht außerhalb, sondern ist Teil des kollisionsrechtlichen Systems. Indem sie die allgemeine Kollisionsnorm begrenzt, ist sie nämlich selbst Kollisionsnorm.11 Nach der Gesetzesbegründung zu Art. 6 EGBGB soll der ordre-public-Vorbehalt die Anwendung der durch Kollisionsnormen berufenen fremden Rechtsordnung abwehren, wenn deren „Anwendung im Einzelfall zu Ergebnissen führen würde, die den Kernbestand der inländischen Rechtsordnung antasten“12. Diese negative Funktion13 des ordre public dient folglich als eine Art „Überdruckventil“14 zur Sicherung der fundamentalen Grundwerte der eigenen Rechtsordnung, wenn die lex causae „une solution si choquante au regard des conceptions du for“15 bereithält, dass der Richter deren Anwendung verweigern muss. Der ordre-public-Vorbehalt bezweckt hingegen keine allgemeine Zensur oder Normenkontrolle der ausländischen Rechtsordnung. Aus diesem Grund kommt es auch nicht auf die abstrakte Möglichkeit der Verletzung der fundamentalen Werte der inländischen Rechtsordnung an, sondern nur darauf, dass sich diese Verletzung gerade im konkreten Einzelfall manifestiert.16 Hierin unterscheidet sich die ordre-public-Kontrolle von einem Normenkontrollverfahren.17 Der ordre-public-Vorbehalt regelt die materiellen Grenzen jedweder nur denkbarer Rechtsnorm und kann daher notwendig nur als Generalklausel formuliert sein;18 er ist seinem Wesen nach „elastisch und vage“19. Wie bei jeder Generalklausel bringt der Versuch einer konkretisierenden Definition, die sich nicht in Tautologien erschöpft, erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Nach der ursprünglichen Formel des Reichsgerichts, die zunächst auch vom Bundesgerichtshof übernommen wurde, ist die Anwendung ausländischen Rechts ausgeschlossen, „wenn der Unterschied zwischen den staatspolitischen oder sozialen Anschauungen, auf 10
So die auf Savigny zurückgehende heutige Auffassung, vgl. nur Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 16, 22; Francescakis, RCDIP 1966, S. 1 (3); anders die auf Mancini zurückgehende frühere romanische Tradition, dazu instruktiv Maury, RCDIP 43 (1954), S. 7 (9 f.). 11 Maury, RCDIP 43 (1954), S. 7 (11). 12 BTDrucks 10/504, S. 42. 13 Bucher, Rec. des cours 239 (1993 II), S. 11 (28). 14 v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7 Rn. 258. 15 Mayer / Heuzé, Droit international privé, Rn. 204. 16 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 124; Spickhoff, ordre public im internationalen Privatrecht, S. 79 f.; Maury, RCDIP 43 (1954), S. 7 (13); mit Beispielen aus dem Familienrecht Kegel / Schurig, IPR, S. 526. 17 MüKoBGB / v. Hein (6. Aufl.), Art. 6 EGBGB Rn. 117. 18 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 19. 19 Valindas, RabelsZ 19 (1953), S. 1 (5).
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
welchen das konkurrierende deutsche Recht beruht, so erheblich ist, daß die Anwendung des ausländischen Rechts direkt die Grundlagen des deutschen staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens angreifen würde“20. Später hat der Bundesgerichtshof das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit, das vom ordre-public-Vorbehalt geschützt werden soll, noch stärker betont. Demnach kommt es darauf an, „ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, daß es von uns für untragbar gehalten wird“21.
II. Die positive Funktion des ordre public in Form der Eingriffsnormen Die Theorie der Eingriffsnormen geht auf die französische Lehre der lois d’application immédiate bzw. der lois de police zurück.22 Der entscheidende Unterschied zwischen dem ordre-public-Vorbehalt und einer loi de police liegt darin, dass ersterer als Ausnahme im Anschluss an die Anwendung der Kollisionsnorm greift, während letztere, die loi de police, unmittelbar, also noch vor der Bestimmung der lex causae eingreift.23 Große praktische Bedeutung kommt den lois d’ordre public traditionell im Arbeitsrecht zu.24 Im deutschen Schrifttum ist der Terminus lois d’application immédiate nicht ohne Kritik geblieben. Statt der unmittelbaren Berufung einer Sachnorm aus sich selbst heraus sei vielmehr zwischen der eigentlichen Sachnorm und der auf sie bezogenen einseitigen Kollisionsnorm zu trennen.25 Da Art. 6 EGBGB nach Wortlaut und Struktur als reine Vorbehaltsklausel fungiert, scheidet diese Vorschrift als normativer Anknüpfungspunkt für die positive Funktion des ordre public allerdings aus.26 Die normative Grundlage für eine Sonderanknüpfung muss daher in der Sachnorm selbst gesucht werden, die damit einen „sach- und kollisionsrechtlichen Doppelcharakter“27 erhält. In der praktischen Wirkungsweise unterscheidet sich das deutsche Verständnis der Eingriffsnormen mithin kaum von den franzö-
20 RGZ 60, 296 (300); 63, 18 (19); 93, 182 (183); 119, 259 (263); 138, 214 (216); BGHZ 22, 162 (167); 28, 375 (384 f.); 35, 329 (337); 51, 290 (292). 21 BGHZ 50, 370 (375 f.); 54, 123 (130); 118, 312 (330); 123, 268 (270); 138, 331 (334); 203, 350 (Rn. 28); 206, 86 (Rn. 34). 22 Dazu Callsen, Eingriffsnormen und Ordre public-Vorbehalt im Internationalen Arbeitsrecht, S. 76 ff. 23 Mayer / Heuzé, Droit international privé, Rn. 127 ; grundlegend Francescakis, RCDIP 1966, S. 1 (3 ff., insbes. 8); ders., RCDIP 63 (1974), S. 273 f. 24 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 12; Francescakis, RCDIP 63 (1974), S. 273 (294). 25 v. Bar / Mankowski, IPR I, § 4 Rn. 12; Schurig, RabelsZ 54 (1990), S. 217 (233 f.). 26 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 16 ff. 27 v. Bar / Mankowski, IPR I, § 4 Rn. 7.
A. Der ordre public im internationalen Privatrecht
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sischen lois de police,28 da ein und dieselbe Vorschrift sachrechtlichen und darauf bezogenen kollisionsrechtlichen Inhalt hat. Anders als beim negativen ordre public ist das Eingreifen des positiven ordre public in Gestalt der Eingriffsnorm nicht davon abhängig, welches Ergebnis die Anwendung des ausländischen Rechts im Einzelfall hat.29 Die Eingriffsnorm beruft sich selbst zur unmittelbaren Anwendung, sodass sich die Frage eines Ersatzrechts ebenfalls nicht stellt. Eingriffsnormen sind damit international zwingende Vorschriften (vgl. Art. 9 I Rom-I-VO), die nicht einmal durch einen wirksamen Rechtswahlvertrag abbedungen werden können. Sie sind jedoch nicht mit dem zwingenden innerstaatlichen Recht gleichzusetzen,30 weil sich andernfalls das Kollisionsrecht nur noch auf dispositives nationales Recht bezöge.31 Eingriffsnormen liegen demnach nur dann vor, wenn die Norm ausdrücklich oder nach ihrem Sinn und Zweck unabhängig davon gelten soll, welches Sachrecht nach dem Kollisionsrecht zur Regelung des Rechtsverhältnisses berufen ist.32 Das Bundesarbeitsgericht sieht als entscheidendes Abgrenzungsmerkmal an, ob eine Norm – unabhängig von ihrer Einordnung als privat- bzw. öffentlich-rechtlich – nicht nur dem Individualinteresse dient, sondern zumindest auch Interessen des Gemeinwohls unbedingte Geltung verschaffen will.33 Danach hat das Bundesarbeitsgericht den Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld (§ 14 Abs. 1 MuSchG) sowie die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1 EFZG) als Eingriffsnormen qualifiziert.34 Demgegenüber handelt es sich bei den Vorschriften über den allgemeinen Kündigungsschutz nach den §§ 1 ff. KSchG nicht um Eingriffsnormen, weil diese in erster Linie den Ausgleich zwischen Bestandsschutzinteressen des Arbeitnehmers und der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers bezwecken.35 Hingegen bringen öffentlich-rechtliche Erlaubnisvorbehalte im besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte und werdende bzw. junge Mütter zum Ausdruck, dass diese Vorschriften auch Gemeinwohlzwecke verfolgen und daher Eingriffsnormen sind.36 § 2 AEntG enthält eine Aufzählung verschiedener Bestimmungen, die der Gesetzgeber ausdrücklich als
28 Tendenziell breiter als das deutsche Verständnis der Eingriffsnormen ist allerdings das französische Verständnis davon, welche Normen lois de police sind. Dazu Callsen, Eingriffsnormen und Ordre public-Vorbehalt im Internationalen Arbeitsrecht, S. 271 ff. 29 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 12. 30 Callsen, Eingriffsnormen und Ordre public-Vorbehalt im Internationalen Arbeitsrecht, S. 33, 256 f. 31 BAGE 63, 17 (31); 71, 297 (317). 32 BAGE 63, 17 (31 f.); 100, 130 (139); 125, 24 (42); BGHZ 165, 248 (256). 33 BAGE 63, 17 (32); 71, 297 (317); 80, 84 (92); 100, 130 (139); 125, 24 (42); BGHZ 165, 248 (257); krit. Schurig, RabelsZ 54 (1990), S. 217 (227 f.). 34 BAGE 100, 130 (139 f.); anders zur Entgeltfortzahlung an Feiertagen (§ 2 EFZG), BAG, NZA 2012, S. 1152, da diese Vorschrift in erster Linie die Verteilung des Vergütungsrisikos im Arbeitsverhältnis regele. 35 BAGE 63, 17 (32); 71, 297 (317). 36 Vgl. BAGE 63, 17 (33).
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Eingriffsnormen deklariert.37 Dazu zählen etwa auch Bestimmungen über Mindestentgeltsätze, bezahlten Mindestjahresurlaub und zulässige Arbeitszeiten. Im Schrifttum wird teilweise vertreten, die Theorie der Sonderanknüpfungen für Eingriffsnormen mache das Konzept eines positiven ordre public überflüssig.38 Diese Auffassung verkennt die enge dogmatische Nähe zwischen dem ordre-publicVorbehalt und den Eingriffsnormen. Beide Institute begrenzen die Geltung einer fremden Rechtsordnung nicht zuletzt aus Gründen des Grundrechtsschutzes. Die Eingriffsnormen lassen sich daher durchaus als positive Funktion des ordre public39 auffassen. Der ordre public als gemeinsame Klammer von Vorbehaltsklausel und Eingriffsnormen verdeutlicht als übergreifendes Prinzip, dass die Anwendung einer fremden bzw. die Nichtanwendung der eigenen Rechtsordnung nicht zu einer Grundrechtsverletzung durch den grundrechtsgebundenen innerstaatlichen Richter führen darf. Die Nichtanwendung bestimmter ausländischer Normen, deren Anwendung zu einem grundrechtswidrigen Ergebnis führen würde, wie auch die unmittelbare Anwendung solcher Normen, deren Geltung zur Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten unbedingt erforderlich ist, sind damit „zwei Seiten derselben Medaille“40.
III. Verfassungsrechtliche Verankerung des Prinzips vom ordre public Der ordre public sichert seit jeher zentrale Gerechtigkeitsvorstellung der internen Rechtsordnung gegenüber den Ergebnissen des Verweisungsrechts.41 Diese vage Funktion lässt sich im grundrechtlich geprägten Staat erheblich präzisieren. Seit dem berühmten „Spanier-Beschluss“42 ist der ordre public mit den grundrechtlichen Bindungen des Staates bei der Ausgestaltung des Privatrechts verknüpft. 1. Verfassungsrechtlicher Schutz der negativen Funktion des ordre public Der Gesetzgeber ist bei der Privatrechtsgesetzgebung unmittelbar an die Grundrechte gebunden.43 Dies gilt auch für den Erlass von Kollisionsnormen, die keine 37
Deinert, JbArbR 50 (2013), S. 77 (89). MüKoBGB / v. Hein (6. Aufl.), Art. 6 EGBGB Rn. 2. 39 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 9; Deinert, JbArbR 50 (2013), S. 77 (86). 40 Kegel / Schurig, IPR, S. 520. 41 Bucher, Rec. des cours 239 (1993 II), S. 11 (26). 42 BVerfGE 31, 58 ff. 43 Müller-Franken, FS Bethge (2009), S. 223 (224 f.), widersprüchlich dazu allerdings, wenn Müller-Franken an späterer Stelle eine mittelbare Grundrechtsbindung Privater untereinander kraft der Grundrechtsbindung des Richters ablehnt (S. 241). Zwar ist es richtig, dass es für die gerichtliche Entscheidung darauf ankommt, „welchen Inhalt das Recht hat, um dessen An 38
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grundrechtsfreien Räume eröffnen.44 Kollisionsnormen verdrängen daher nicht das deutsche Verfassungsrecht.45 In abwehrrechtlichen Konstellationen – etwa beim Erlass eines Vollstreckungstitels für die Gegenseite – geht der Grundrechtseingriff überdies unmittelbar vom inländischen Richter aus.46 Dass dieser Eingriff durch eine kollisionsrechtliche Verweisung auf der Grundlage einer ausländischen Rechtsordnung erfolgt, ändert nichts daran, dass er der Rechtfertigung bedarf.47 Die materielle Beschränkung bei der Anwendung ausländischen Rechts ist demnach verfassungsrechtlich geboten, weil die Verweisung auf ausländisches Recht den deutschen Richter nicht von seiner Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG) freistellt.48 Dogmatisch geht es mithin um eine grundrechtskonforme Anwendung des Verweisungsrechts.49 Dieser grundrechtliche Schutz im internationalen Privatrecht darf nicht als „Grundrechtsimperialismus“50 oder Oktroi deutscher Wertvorstellungen missverstanden werden.51 Eine Zensur des ausländischen Gesetzgebers findet bereits deswegen nicht statt, weil der ordre-public-Vorbehalt nur im Inland wirkt und lediglich verhindert, dass innerstaatliche Rechtshandlungen der deutschen Staatsgewalt die in Deutschland geltenden Grundrechte verletzen.52 Wie beim ordre-public-Vorbehalt allgemein, so gilt auch im Hinblick auf die Grundrechtsverletzung, dass sich diese gerade im Einzelfall verwirklichen muss.53 Die fremde Norm wird also nicht abstrakt auf ihre Grundrechtskonformität geprüft. Entscheidend ist, dass ein wendung es geht“. Da der Gesetzgeber aber seinerseits grundrechtsgebunden ist, darf das Privatrecht gar keinen Inhalt haben, der die Grundrechte einer Seite des Privatrechtsverhältnisses verletzt. In diesem verfassungswidrigen Sinne darf das einfache Gesetzesrecht auch nicht ausgelegt werden. Insofern sind jedenfalls Gesetzgebung und Rechtsprechung „im Verbund“ das Medium der mittelbaren Grundrechtsbindung. 44 Vgl. BVerfGE 31, 58 (74). 45 So aber noch Gamillscheg, FS Nipperdey I (1965), S. 323 (328), der folgerichtig – irrig – annahm, Kollisionsnormen stünden über den Grundrechten. 46 Gebauer, FS Jayme I (2004), S. 223 (229); vgl. zur Bindung des inländischen Richters an völkerrechtlich übernommene menschenrechtliche Verpflichtungen Scholz, IPrax 2008, S. 213 (216). 47 Looschelders, RabelsZ 65 (2001), S. 463 (485). 48 BVerfGE 31, 58 (74); ebenso Looschelders, RabelsZ 65 (2001), S. 463 (476); Scholz, IPrax 2008, S. 213; Walter, HdbStR XI, 32013, § 237 Rn. 44; Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 88. 49 Vgl. Voltz, Menschenrechte und ordre public, S. 37. 50 In der Literatur ist aber mit den Begriffen „Grundrechtsimperialismus“ und „Grundrechtsoktroi“ bisweilen scharfe Kritik an einer grundrechtlichen Bewertung von Sachverhalten mit Auslandsbezug geübt worden, so Isensee, VVDStRL 32 (1974), S. 49 (63); speziell zum IPR Stern, Staatsrecht III/1, § 72 V 4, 7, S. 1228, 1242 f.; Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I (3. Aufl.), Art. 1 Rn. 150 Fn. 178; inzwischen zurückhaltender Starck., in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG I, Art. 1 Rn. 242. Krit. auch Gamillscheg, FS Nipperdey I (1965), S. 323 (327 f.). 51 BVerfGE 31, 58 (74). 52 BVerfGE 31, 58 (75). 53 MüKoBGB / v. Hein (6. Aufl.), Art. 6 EGBGB Rn. 138; v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7 S. 265; Spickhoff, ordre public im internationalen Privatrecht, S. 120; Walter, HdbStR XI, 32013, § 237 Rn. 24, 44.
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deutsches Gericht, wenn es Rechtsvorschriften welcher Art auch immer auf einen konkreten Fall anwendet, keine Grundrechte verletzen darf.54 In dem erwähnten „Spanier-Beschluss“ hatte das Bundesverfassungsgericht zunächst zwei Wege aufgezeigt, auf denen die Grundrechtskonformität des internationalen Privatrechts hergestellt werden könne. Denkbar wäre zum einen, dass die Grundrechte als unmittelbare Schranke die Anwendung des ausländischen Rechts durch die Kollisionsnorm begrenzen. Zum anderen könnten Grundrechte über die Generalklausel des ordre public in die internationalprivatrechtliche Ordnung hineinwirken. Der Gesetzgeber hat sich mit Art. 6 S. 2 EGBGB für diese zweite Option entschieden.55 Im Ergebnis wird der ordre-public-Vorbehalt grundrechtlich überlagert, was erheblich zu seiner Konkretisierung beiträgt. Demnach liegt nämlich jedenfalls dann ein Verstoß gegen den ordre public vor, wenn die Anwendung der ausländischen Norm durch den deutschen Richter einen Grundrechtsverstoß darstellen würde.56 Denn die vom Gesetzgeber favorisierte Lösung der Grundrechtskonformität über die Generalklausel erfordert nach den zutreffenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, die Vorbehaltsklausel „schlechthin als ‚Einbruchstelle‘ der Grundrechte in das Internationale Privatrecht [zu] verstehen […] mit der Folge, daß jede durch die Anwendung ausländischen Rechts im Einzelfall bewirkte Grundrechtsverletzung das Eingreifen des deutschen ordre public auslöst“57. Die häufig anzutreffende Forderung nach einer möglichst zurückhaltenden Anwendung des ordre-public-Vorbehalts58 kann sich daher nicht auf die Grundrechtskonformität beziehen.59 Insbesondere kann es, sofern eine Grundrechtsverletzung vorliegt, nicht mehr auf das Merkmal der Offenkundigkeit ankommen.60 Die Anwendung ausländischen Rechts auf der Grundlage der deutschen Kollisionsnorm ist jedoch nicht in jedem Fall genauso zu behandeln wie die Anwendung gewöhnlicher deutscher Sachnormen auf rein inlandsbezogene Sachverhalte.61 Denn der Auslandsbezug einer Fallkonstellation hat erhebliche Auswirkungen auf die grundrechtliche Abwägung.62 Dies kann unter Umständen die Anwendung 54 Zutreffend BVerfGE 31, 58 (74 f.); Looschelders, RabelsZ 65 (2001), S. 463 (481); zur Bindung an die Konventionsgrundrechte v. Bar, BerGesVR 33 (1994), S. 191 (208). 55 Art. 1 G. v. 25.7.1986, BGBl I S. 1142. 56 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 138. 57 BVerfGE 31, 58 (86). 58 Prosaisch v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7 Rn. 258, die den ordre public als „Tod allen Verweisungsrechts“ bezeichnen und bei der „Abgrenzung der Arznei vom Gift“ eine richtig dosierte Menge einfordern; ähnlich eine weit verbreitete Auffassung, vgl. nur Vallindas, RabelsZ 19 (1953), S. 1 (5). 59 Zutreffend Waldhoff, 68. DJT 2010, S. D134 f. 60 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 138; Voltz, Menschenrechte und ordre public, S. 41; Lorenz, in: MüKoBGB X, 6. Aufl. 2015, Art. 6 EGBGB Rn. 183; Kropholler, IPR, S. 251. 61 BVerfGE 31, 58 (76 f.). 62 Kropholler, IPR, S. 251 f. Weite Teile der Literatur wollen vorab prüfen, ob das einschlägige Grundrecht überhaupt in Sachverhalten mit Auslandsbezug gelte, so von v. Bar / Mankowski, IPR I,
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von Rechtsnormen rechtfertigen, die sich bei einem reinen Inlandssachverhalt als grundrechtswidrig erweisen würden.63 Nicht jede Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm, die der deutsche Zivilgesetzgeber nicht erlassen dürfte, ist damit in einem Sachverhalt mit hinreichendem Auslandsbezug grundrechtswidrig. In der Literatur sind mehrere Verhältnisformeln aufgestellt worden, die als „Faustformeln“ dienen: Demnach besteht eine Relation zwischen der Schwere des Grundrechtsverstoßes und der erforderlichen Inlandsbeziehung eines Sachverhalts:64 Je weniger offensichtlich das Ergebnis der Rechtsanwendung gegen die deutsche Rechtsordnung verstößt, umso stärker muss die Inlandsbeziehung sein.65 2. Verfassungsrechtlicher Schutz der positiven Funktion des ordre public Bisher wenig beachtet worden ist der verfassungsrechtliche Schutz der positiven Funktion des ordre public in Form der Eingriffsnormen. Dort, wo Gesetze die Untergrenzen grundrechtlicher Schutzpflichten in der Weise nachzeichnen, dass die Nichtanwendung der Eingriffsnorm das Untermaßverbot verletzen würde, wird die Anwendung der Eingriffsnorm zur verfassungsrechtlichen Pflicht. Da dem Gesetzgeber bei der Wahrnehmung grundrechtlicher Schutzpflichten regelmäßig ein besonders weiter Ermessensspielraum zusteht, ist der verfassungsrechtliche Schutz der positiven Funktion des ordre public weniger stark ausgeprägt als der seiner negativen Funktion, wo es regelmäßig um abwehrrechtliche Konstellationen geht. Wenn das Bundesverfassungsgericht aber gerade im Arbeitsrecht bestimmte Mindestanforderungen etwa beim Kündigungsschutz für Schwangere aufstellt, so bleibt der verfassungsrechtliche Schutz der positiven Funktion des ordre public nicht ohne praktische Relevanz. Die wesentlichen Überlegungen zur negativen Funktion des ordre public lassen sich auch auf dessen positive Funktion übertragen. Entscheidend ist, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten für den deutschen § 7 Rn. 264. Dieser Prüfungsschritt wird der unglücklichen Bemerkung in BVerfGE 31, 58 (77) entnommen, wonach ein Grundrecht „wesensgemäß eine bestimmte Beziehung zur Lebensordnung im Geltungsbereich der Verfassung voraussetzen“ könne. Ob das BVerfG hier überhaupt richtig verstanden wurde, muss bezweifelt werden, da es wenig später heißt, dass geprüft werden müsse, ob die Verfassungsnorm „nach Wortlaut, Sinn und Zweck für jede denkbare Anwendung hoheitlicher Gewalt innerhalb der Bundesrepublik gelten will oder ob sie bei Sachverhalten mit mehr oder weniger intensiver Auslandsbeziehung eine Differenzierung zuläßt oder verlangt“. Diese zweite Bemerkung spricht nicht für eine generelle Schutzbereichsversagung, sondern für eine Differenzierung in der Abwägung. In der Sache spricht für eine reine Abwägungslösung, dass ein gewisser Inlandsbezug bereits mit der Befassung des grundrechtsgebundenen deutschen Richters hergestellt ist und es sich daher niemals um reine Auslandssachverhalte handelt. Die Frage kann jedoch für den Zweck dieser Untersuchung auf sich beruhen, da Fallgestaltungen aus dem Religionskollisionsrecht stets Inlandssachverhalte sind, dazu unter B. II. 2. 63 Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 141. 64 Kegel / Schurig, IPR, S. 527; grundlegend bereits Kahn, JherJb 39 (1898), S. 1 (73). 65 Spickhoff, ordre public im internationalen Privatrecht, S. 97.
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
Richter wegen Art. 1 Abs. 3 GG auch in Fällen mit Auslandsbezug gelten. Die Nichtanwendung von Bestimmungen, deren Anwendung grundrechtlich geboten sind, kommt daher nicht in Betracht.
B. Analoge Anwendung des Prinzips vom ordre public auf das religionsrechtliche Kollisionsrecht Das religionsrechtliche Kollisionsrecht bedarf in gleicher Weise wie das internationalprivatrechtliche Kollisionsrecht einer materiell-rechtlichen Korrektur.
I. Grundrechtsbindung des deutschen staatlichen Richters in religionsrechtlichen Streitigkeiten Insofern lassen sich zunächst die wesentlichen Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem „Spanier-Beschluss“ auf das Religionskollisionsrecht übertragen. Die Bindung des staatlichen Richters an die Grundrechte gilt wegen Art. 1 Abs. 3 GG unabhängig davon, ob es sich um eine religionsrechtliche Fragestellung handelt. Zweifel hieran könnten sich allerdings deshalb ergeben, weil die Dienstherrnfähigkeit selbst verfassungsrechtlich verankert ist (Art. 137 Abs. 5 WRV). Insofern besteht ein Unterschied zu internationalprivatrechtlichen Normen, deren Grundrechtsbindung bereits daraus folgt, dass es sich um einfaches Gesetzesrecht handelt.66 Art. 137 Abs. 5 WRV kann keiner Grundrechtsprüfung unterzogen werden. Denn der pouvoir constituant unterlag keinen Verfassungsbindungen; „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ kann daher nur geändertes Verfassungsrecht sein (Art. 79 GG), nicht das vom Verfassungsgeber selbst erlassene Verfassungsrecht.67 Dies schließt allerdings nicht aus, dass die Grundrechte den staatlichen Richter auch in solchen Konstellationen binden, in denen auf der Grundlage von Art. 137 Abs. 5 WRV kirchliches Recht als lex causae berufen ist. Andernfalls müsste man nämlich Art. 137 Abs. 5 WRV als lex specialis zu den Grundrechten und Art. 1 Abs. 3 GG verstehen.68 Dieses Verständnis ist schon deshalb abzulehnen, weil damit die zentrale Bedeutung der Grundrechte verkannt wird, wie sie sich insbesondere in der „Ewigkeitsklausel“ des Art. 79 Abs. 3 GG manifestiert.69 Ähnlich hat das 66 Looschelders, RabelsZ 65 (2001), S. 463 (466). Die Bindung der Kollisionsnorm an die Grundrechte wird auch von BVerfGE 31, 58 (73) betont. Dies unterstreicht noch einmal, dass es insofern nicht um einen „Grundrechtsoktroi“ gegenüber der ausländischen Rechtsordnung, sondern um die Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt geht. 67 Zu der gegenlautenden prononcierten These Schmidt-Eichstaedts bereits oben Kapitel 4, F. 68 So der Vorschlag von Kempen, in: HdbGR II, § 54 Rn. 78 für das religiöse Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 WRV). 69 Friehe, JZ 2014, S. 954.
B. Analoge Anwendung des Prinzips vom ordre public
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Bundesverfassungsgericht in seinem „Spanier“-Beschluss bereits argumentiert, dass das Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes keinesfalls die Geltung der Grundrechte im internationalen Privatrecht in Frage stelle; eine solche Wirkung wäre mit dem besonderen Stellenwert der Grund- und Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft (vgl. Art. 1 Abs. 2 GG) unvereinbar.70 Nach dem Prinzip der Einheit der Verfassung verbietet es sich, einzelne Verfassungsbestimmungen gegeneinander auszuspielen.71 Wie alle kollidierenden Verfassungsbestimmungen muss daher auch die Körperschaftsgarantie im Einklang mit dem übrigen Verfassungsrecht und insbesondere mit den Grundrechten verstanden werden. Die Geltung der Grundrechte ist daher quasi „mitgedacht“, wenn der effektive Umfang der Dienstherrnfähigkeit bestimmt werden soll. Überdies ging der Weimarer Verfassungsgeber schon seinerseits davon aus, dass die Körperschaftsgarantie einer näheren Ausgestaltung durch Gesetz bedürfe (vgl. Art. 137 Abs. 8 WRV). Nur weil dies weitgehend unterblieben ist, wird es überhaupt notwendig, anstatt auf gesetzlich normiertes Religionskollisionsrecht unmittelbar auf Art. 137 Abs. 5 WRV zurückzugreifen. Das Fehlen einer gesetzlichen Konkretisierung kann aber nicht dazu führen, dass die Wissenschaft der religionsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit einen weiter gefassten Inhalt gibt, als es der Gesetzgeber könnte. Dass sich eine gesetzliche Regelung nicht nur an Art. 137 Abs. 5 WRV, sondern auch an kollidierenden Verfassungsbestimmungen wie den Grundrechten zu messen hätte, liegt auf der Hand. Für die in Ermangelung der Konkretisierung unmittelbar aus der Verfassung gezogenen Ableitungen kann daher nichts anderes gelten. Die von Art. 137 Abs. 5 WRV garantierte Anwendung kirchlichen Rechts als lex causae in kirchendienstrechtlichen Streitigkeiten entbindet damit den deutschen staatlichen Richter ebenso wenig von seiner Grundrechtsbindung aus Art. 1 Abs. 3 GG wie die vom Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes getragene Anwendung ausländischen Zivilrechts als lex causae auf der Grundlage des internationalen Privatrechts. Art. 137 Abs. 5 WRV macht die Anwendung kirchlichen Rechts durch den staatlichen Richter nicht von der Beachtung der Grundrechte exemt, sondern ist lediglich, ähnlich wie im internationalen Privatrecht die Tatsache der Auslandsberührung, bei der Abwägung zu berücksichtigen. Im Ergebnis ist der kirchliche Normgeber und -anwender damit zwar nicht unmittelbar, wohl aber mittelbar an die Grundrechte gebunden. Diese mittelbare Grundrechtsbindung, die auch sonst für private Rechtsetzung gilt, resultiert aus der Grundrechtsbindung derjenigen staatlichen Stellen, die dem nicht-staatlichen Recht zur Anwendung verhelfen.72 Die Grundrechte begrenzen insofern den staatlichen Rechtsanwendungsbefehl für nicht-staatliche Normen.73 70
BVerfGE 31, 58 (76). Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 72. 72 Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 521 ff. 73 Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 522. 71
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II. Der Schutz des negativen ordre public im Religionskollisionsrecht Einfachgesetzlich gewährleistet Art. 6 EGBGB in international-privatrechtlichen Fallkonstellationen den Schutz des negativen ordre public. Da Art. 3 EGBGB den Anwendungsbereich der Art. 3 ff. EGBGB ausdrücklich mit der Verbindung zu einem ausländischen Staat verknüpft, gelten die Art. 3 ff. EGBGB allerdings in interlokalen, d. h. innerdeutschen, Kollisionsrechtsfällen, nicht unmittelbar.74 Art. 6 EGBGB kann daher nicht unmittelbar als Rückausnahme angewendet werden, die ihrerseits die kollisionsrechtliche Verdrängung des staatlichen Arbeitsund Sozialrechts durch kirchliches Dienstrecht begrenzen würde. Indes verlangt seine Grundrechtsbindung vom staatlichen Richter, dass dieser die grundrechtlich gebotene negative Funktion des ordre public gewährleistet. Im Einzelfall müssen daher kirchliche Bestimmungen, die wegen Art. 137 Abs. 5 WRV als lex causae berufen wurden, abgewehrt werden, wenn sie zu einem grundrechtswidrigen Ergebnis führen. Die verfassungskonforme Ausgestaltung der religionsgesellschaftlichen Dienstherrnfähigkeit verlangt demnach eine analoge Anwendung von Art. 6 EGBGB überall dort, wo das kirchliche Dienstrecht staatliches Arbeits- und Sozialrecht kollisionsrechtlich verdrängt. 1. Grundrechtliche Gefährdungslage durch „Sprung ins Dunkle“ Nicht anders als im internationalen Privatrecht bedeutet die kollisionsrechtliche Verweisung auf eine fremde Rechtsordnung zunächst einen „Sprung ins Dunkle“75. Denn Art. 137 Abs. 5 WRV verweist als allseitige Kollisionsnorm auf eine Reihe ganz verschiedener kirchlicher Rechtsordnungen. Lediglich das katholische und das evangelische Dienstrecht ist im rechtswissenschaftlichen Schrifttum bisher durchdrungen worden. Das ebenfalls anwendbare Dienstrecht zahlreicher kleinerer Religionsgesellschaften ist hingegen kaum bekannt. Die Verweisung wirkt zudem dynamisch, sodass durch sie nicht nur das derzeitige Dienstrecht ganz verschiedener Religionsgesellschaften anwendbar wird, sondern potentiell das künftig erst noch geschaffene. Genauso wenig wie im internationalen Privatrecht kann auch im Religionskollisionsrecht der aufgezeigte „Sprung ins Dunkle“ nicht zum Anlass genommen werden, jede verfassungsrechtliche Prüfung auszusetzen, und den Schutz der Grundrechte der Betroffenen in das Belieben des jeweils anwendbarenen kirchlichen Rechts zu stellen.76 Wie bei der Anwendung ausländischer 74
Staudinger / Hausmann (2013), Art. 3 EGBGB, Rn. 11. So das häufig anzutreffende Bonmot, vgl. nur BVerfGE 31, 58 (73). Die Formulierung geht auf Raape, IPR I, S. 59 zurück, der den „Sprung ins Dunkle“ vor allem darauf bezog, dass die Kollisionsnorm unter Umständen auf eine Rechtsordnung verweist, deren Anwendung mit der internen Rechtsordnung im Widerspruch steht. 76 So zum IPR BVerfGE 31, 58 (73). 75
B. Analoge Anwendung des Prinzips vom ordre public
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Rechtsordnungen auf der Grundlage des internationalen Privatrechts gilt auch für die Anwendung kirchlicher Rechtsordnungen auf der Grundlage des Religionskollisionsrechts, dass der staatliche Richter auch dort an Grundrechte gebunden ist (Art. 1 Abs. 3 GG), wo er nach fremdem Recht zu urteilen hat. 2. Inlandssachverhalte Das gilt umso mehr, als es sich in Fällen des Religionskollisionsrechts stets um Inlandssachverhalte handelt. Denn die Kirchen sind nicht mit einem ausländischen Staat im Sinne eines „Staat im Staate“ gleichzusetzen.77 Im Unterschied zum internationalen Privatrecht fehlt es also an der dort typischen Auslandsberührung. Das auf Art. 137 Abs. 5 WRV beruhende Kollisionsrecht ist damit ein interlokales Kollisionsrecht. Die Anwendung von Art. 137 Abs. 5 WRV setzt bereits voraus, dass sich der Sachverhalt nach deutschem Recht richtet. Zweck von Art. 137 Abs. 5 WRV ist es nämlich lediglich, den Religionsgesellschaften für den Geltungsbereich des Grundgesetzes ein eigenes Dienstrecht zu ermöglichen; es handelt sich nicht um eine Norm mit Anspruch auf Weltgeltung. Welche Dienstverhältnisse von Geistlichen sich daher überhaupt nach deutschem Recht und damit ggf. auf der Grundlage der interlokalen Kollisionsnorm des Art. 137 Abs. 5 WRV nach kirchlichem Recht richten, muss daher zunächst nach internationalem Privatrecht beurteilt werden. Danach bestimmt sich das Vertragsstatut nach dem Ort, an welchem der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Vertrags regelmäßig seine Arbeit verrichtet (Art. 8 Abs. 2 Rom-I-VO). Dienstverhältnisse von Geistlichen, die nur vorübergehend in Deutschland tätig sind – beispielsweise aus dem Ausland entsandte Missionare –, unterliegen ohnehin nicht dem deutschen Recht (vgl. Art. 8 Abs. 2 S. 2 Rom-I-VO) und damit auch nicht Art. 137 Abs. 5 WRV in seiner Funktion als interlokaler Kollisionsnorm. Findet jedoch das deutsche Sachrecht Anwendung, kann nicht mehr von einer abwägungsrelevanten Auslandsberührung gesprochen werden. Das gilt selbst dann, wenn die Geistlichen von einer korporierten Religionsgesellschaft beschäftigt werden, die in die Organisationsstrukturen international tätiger Konfessionen eingebunden sind, wie dies etwa bei der katholischen Kirche der Fall ist. Verweist das internationale Kollisionsrecht auf nationales Sachrecht, gilt dieses unmittelbar und ohne Rückausnahmen. Die Tätigkeit für in internationale Strukturen eingebettete Religionsgesellschaften begründet also keine extraterritorialen Rückzugsräume, in denen die deutsche Rechtsordnung nur teilweise gelten würde. Anders als im internationalen Privatrecht78 kann es im Religionskollisionsrecht nicht darum gehen, die souveräne Gleichheit der Staaten und ihrer Rechtsordnungen zu achten.79 Im Unterschied zu den 77
Hammer, AuR 2011, S. 278 (280). Schemmer, ordre public-Vorbehalt unter der Geltung des Grundgesetzes, S. 141 ff. 79 Unzutreffend daher der Vorwurf von Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 89, der international-privatrechtliche Ansatz führe als „Irrweg“ zurück in die Koordinationslehre. 78
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
überwiegend auslandsbezogenen Sachverhalten80 verfehlt der Grundrechtsschutz im Hinblick auf das Dienstrecht der im Inland tätigen Kirchenbediensteten auch nicht seinen Zweck. Gerade weil sich die von Art. 137 Abs. 5 WRV geregelten Sachverhalte im Geltungsbereich des Grundgesetzes abspielen, stellt die kollisionsrechtliche Verdrängung zwingenden staatlichen Rechts die Allgemeinverbindlichkeit der Rechtsordnung stärker in Frage, als wenn dies auf der Grundlage von international-privatrechtlichen Kollisionsnormen erfolgt.81 Die Geltung der deutschen Rechtsordnung in Deutschland schließt einen übertriebenen Ultramontanismus genauso aus wie einen „kulturellen Rabatt“ für islamische Religionsgesellschaften. 3. Grundrechtlicher Schutz der kollisionsrechtlichen Wirkung Entfällt im Religionskollisionsrecht der Auslandsbezug als Abwägungskriterium, so kommt im Vergleich zum internationalen Privatrecht mit dem religiösen Selbstverständnis der jeweiligen Kirche ein Abwägungskriterium hinzu. Der kirchliche Normgeber profitiert, anders als ausländische Staaten, von einer grundrechtlichen Garantie, dass sein Recht prinzipiell mit kollisionsrechtlicher Wirkung das (deutsche) staatliche Recht verdrängt (Art. 137 Abs. 5 WRV). Da der Körperschaftsstatus und die darin enthaltene Dienstherrnfähigkeit Mittel zur Entfaltung der Religionsfreiheit sind, kommt es zur Bestimmung der Grenze des ordre public maßgeblich darauf an, ob die fragliche Norm Ausdruck des forum externum der Religionsfreiheit ist. In diesen Fällen greift ein verstärkter Schutz. 4. Keine Geltung des ordre public jenseits von Grundrechtsverstößen Für das internationale Privatrecht stellt die Formulierung des Art. 6 S. 2 EGBGB („insbesondere“) klar, dass Grundrechtsverstöße nur eine Form der Verletzung des ordre public darstellen. Der Vorbehalt des ordre public setzt damit nicht zwingend einen Verstoß gegen Grundrechte voraus. Die Praxis des (deutschen) internationalen Privatrechts zeigt allerdings, dass es ganz überwiegend um grundrechtlich relevante Fragestellungen geht. Anders verhält es sich im religionsverfassungsrechtlichen Kollisionsrecht. Werden kirchliche Bestimmungen im Anwendungsbereich des Art. 137 Abs. 5 WRV nicht angewendet, ist dies nicht nur Ausnahme von der Kollisionsnorm, sondern zugleich ein Grundrechtseingriff.82 Zu dessen Rechtfertigung bedarf es einer hinreichend konkret bestimmten gesetzlichen Er 80
BVerfGE 31, 58 (77). Krit. insoweit Friehe, in: Piecha et al., Rechtskultur und Globalisierung, 57. Assistententagung Öffentliches Recht, S. 13 (33 ff.). 82 Zu den Voraussetzungen für die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht bereits oben Kapitel 7, B. II. 1. c). 81
B. Analoge Anwendung des Prinzips vom ordre public
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mächtigungsgrundlage. Da eine solche derzeit – abgesehen von den Fällen, in denen die Anwendung der kirchlichen Norm ihrerseits grundrechtswidrig wäre – nicht besteht, ist die analoge Anwendung von Art. 6 EGBGB nur insoweit möglich, wie der Richter ansonsten Grundrechte Dritter verletzen müsste. 5. Einzelfallbezogenheit Der Vorbehalt des ordre public im Religionskollisionsrecht setzt nach dem zuvor Gesagten voraus, dass kirchliches Recht als lex causae das kirchliche Dienstverhältnis regiert. Da der ordre public jeweils auf den Einzelfall bezogen ist, muss immer zunächst ermittelt werden, zu welchem Ergebnis die Anwendung der fraglichen kirchlichen Norm jeweils führt. Nur wenn das Ergebnis mit den Grundrechten unvereinbar ist, liegt eine Verletzung des ordre public vor.83 Es kommt daher nicht darauf an, ob die kirchliche Norm generell grundrechtswidrige Ergebnisse ermöglicht. Entscheidend ist allein, dass sich die Grundrechtsverletzung im Einzelfall verwirklicht. Bei dieser Prüfung darf allerdings das Ergebnis nicht isoliert betrachtet werden. Der ordre public ist bereits dann verletzt, wenn das Ergebnis der Rechtsanwendung im Einzelfall gerade darauf beruht, dass die Wertungen des kirchlichen Rechts mit den Grundrechten oder anderen tragenden Prinzipien des deutschen Rechts unvereinbar sind.84 Andernfalls könnte beispielsweise die Beendigung eines Kirchendienstverhältnisses niemals gegen den ordre public verstoßen, weil diese Rechtsfolge nicht schon als solche grundrechtswidrig ist. Der ordre-public-Verstoß ergibt sich hier nicht aus dem isolierten Ergebnis an sich85, sondern aus dem Verhältnis zwischen der Maßnahme und ihrem Anlass. Das Kriterium der Anwendung im Einzelfall besagt hier allerdings, dass es nicht darauf ankommen kann, ob eine Norm generell die Beendigung von Dienstverhältnissen unter Umständen erlaubt, die sich als mit dem ordre public unvereinbar erweisen; entscheidend ist vielmehr, dass sich im konkreten Fall aus den Umständen der Beendigung eines Dienstverhältnisses die Verletzung des ordre public ergibt. 6. Rechtsfolgen des ordre-public-Vorbehalts im Religionskollisionsrecht Art. 6 S. 1 EGBGB ordnet als Rechtsfolge eines ordre-public-Verstoßes die Unanwendbarkeit der fremden Sachnorm an. In gleicher Weise wie im internationalen Privatrecht stellt sich dann aber vielfach die Frage nach dem anwendbaren Ersatzrecht. Erweisen sich beispielsweise die kirchlichen Vorschriften zur Beendigung eines Dienstverhältnisses als nicht tragfähig, muss ein alternatives Sach 83
Zum IPR Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 124 f. So zutreffend zum IPR Looschelders, RabelsZ 65 (2001), S. 463 (477 f. Fn. 75). 85 Ein Beispiel hierfür aus dem IPR ist der Abschluss einer Ehe mit einem Kind. 84
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
recht gefunden werden, nach welchem über die Beendigung entschieden werden kann. Mangels einer gesetzgeberischen Entscheidung haben sich im internationalen Privatrecht verschiedene Lösungsansätze herausentwickelt. Der scheinbar konsequenteste Ansatz liegt darin, stets die lex fori anzuwenden.86 Überwiegend wird dagegen vertreten, dass die lex fori nur subsidiär anzuwenden ist, wenn sich keine ordre-public-konformen Ausweichlösungen in der lex causae finden.87 Die am stärksten am berufenen Sachrecht orientierte Lösung hat Kegel vorgeschlagen. Ihm zufolge soll die unanwendbare Sachnorm durch eine an diese angelehnte, aber gerade noch ordre-public-konforme Sachnorm ersetzt werden.88 Hier muss nicht entschieden werden, welche Art des Ersatzrechts für das internationale Privatrecht zutrifft.89 Wegen der Eigenheiten des Religionsverfassungsrechts muss die für das Religionskollisionsrecht angemessene Lösung nicht notwendig diejenige sein, die im internationalen Privatrecht am besten passt. Der Wertentscheidung von Art. 137 Abs. 5 WRV entspricht es am ehesten, ein zwar konstruiertes, allerdings an die gegebene kirchenrechtliche Regelung möglichst weitgehend angelehntes ordre-public-konformes Ersatzrecht anzuwenden. Mit der Entscheidung für eine religionsrechtliche Dienstherrnfähigkeit hat der Verfassungsgeber zum Ausdruck gebracht, dass grundsätzlich nicht zwingend staatliche Gesetze, sondern kirchliche Regelungen das Dienstverhältnis näher ausgestalten sollen. Damit hat er die Eigenständigkeit kirchlicher Rechtstraditionen anerkannt und ermöglicht den korporierten Religionsgesellschaften, ihre Dienstverhältnisse weitgehend nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Der grundrechtlich gebotene ordre-public-Vorbehalt dient gerade nicht dazu, von dieser Grundentscheidung zugunsten der Eigenständigkeit des kirchlichen Rechts wieder Abstand zu nehmen oder gar die Kirchen bei der Gestaltung ihres Dienstrechts zur Konformität mit staatlichen Rechtsvorstellungen anzuhalten. Er sichert lediglich eine Begrenzung bei der staatlichen Durchsetzung von kirchlichen Rechtsnormen, und dies auch nur insoweit, wie das im Hinblick auf die Grundrechtsbindung des staatlichen Richters (Art. 1 Abs. 3 GG) unabdingbar ist.90 86
So vor allem die französische Tradition, vgl. nur Mayer / Heuzé, Droit International privé, Rn. 219; Maury, RCDIP 43 (1954), S. 7 (24 f.); daran anschließend auch Raape / Sturm, IPR I, S. 219 f.; ebenso v. Bar / Mankowski, IPR I, § 7 Rn. 285 ff.; im Grundsatz auch BGHZ 69, 387, allerdings dann nicht, wenn „die Anwendung des inländischen Rechts äußerst unbefriedigend wäre“. 87 So bereits RGZ 106, 82 (86); ebenso Staudinger / Voltz (2013), Art. 6 EGBGB Rn. 212 ff.; Voltz, Menschenrechte und ordre public, S. 23; Lorenz, in: BeckOK-BGB (Stand: 1.8.2015), Art. 6 EGBGB Rn. 18; v. Hein, in: MüKoBGB X, 6. Aufl. 2015, Art. 6 EGBGB Rn. 214 ff.; Vallindas, RabelsZ 19 (1953), S. 1 (10 f.). 88 Kegel / Schurig, IPR, S. 538 ff.; ebenso Spickhoff, ordre public und internationales Privatrecht, S. 105 ff. Auch im Hinblick auf ordre-public-Verstöße durch eine fremde Kollisionsnorm im Rahmen des Gesamtverweises Gebauer, FS Jayme I (2004), S. 223 (232). 89 Dafür, „von Fall zu Fall gemäß der gerechtesten Lösung“ zu entscheiden Schwung, RabelsZ 49 (1985), S. 407 (419 ff.). 90 Im Ergebnis ähnlich bereits Hesse, in: FS Werner Weber (1974), S. 447 (460). Ihm zufolge können die Kirchen durchaus Recht erlassen, das im Widerspruch zur grundgesetzlichen Ord-
B. Analoge Anwendung des Prinzips vom ordre public
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Es schösse deshalb über das Ziel hinaus, als Reaktion auf einen ordre-publicVerstoß die lex fori, also das staatliche Arbeits- und Sozialrecht, anzuwenden. Denn dieses enthält zahlreiche sozialpolitische Wertentscheidungen, die über das sozialstaatlich verbürgte Minimum hinausgehen. Der Rückgriff auf die lex fori hätte damit nahezu Sanktionscharakter, obwohl der ordre-public-Vorbehalt gerade keine Bewertung der kirchenrechtlichen Bestimmung an sich bezweckt. Die verfassungsrechtliche Wertentscheidung des Art. 137 Abs. 5 WRV spricht im Gegenteil für das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs.91 Dieser Bildung eines hypothetischen Ersatzrechts lässt sich nicht überzeugend entgegenhalten, es würden „fremde Bastardlösungen geschaffen“, die zu einer „Art Fantasierecht“92 führten. Zwar wäre es in der Tat bedenklich, wenn der staatliche Richter religiös geprägtes Ersatzrecht nach den Vorstellungen der jeweiligen Religionsgesellschaft schaffen sollte. Dies würde der staatlichen Neutralität in religiösen Fragen nicht gerecht und wäre überdies nicht praktikabel. Ein ordrepublic-konformes Ersatzrecht lässt sich jedoch sehr wohl wertungsfrei konstruieren. Vielfach lassen sich nämlich, wie noch näher zu erläutern sein wird, Verstöße gegen den ordre public durch wertneutrale Kompensationsbestimmungen abstellen. So kann es beispielsweise bei der Auflösung eines Dienstverhältnisses wegen des Verstoßes gegen eine ordre-public-widrige Loyalitätsbestimmung nicht darum gehen, staatlicherseits eigene kirchliche Loyalitätsanforderungen zu entwerfen, die noch mit dem ordre public konform sind. Wohl aber ist daran zu denken, ob der mit dem ordre public unvereinbare Auflösungsgrund durch wertneutrale Ausgleichsmaßnahmen wie die Zahlung einer Abfindung kompensiert werden kann. Die von Art. 137 Abs. 5 WRV geschützte Freiheit der korperierten Religionsgesellschaften, ihr eigenes Dienstrecht anzuwenden, wird durch diese Vorgehensweise schonend mit den grundrechtlich bedingten Schutzpflichten des Staates gegenüber kirchlichen Dienstnehmern zum Ausgleich gebracht. In dem genannten Beispiel kommt nämlich die Auflösung des Dienstverhältnisses „unter Auflagen“ dem vom kirchlichen Recht gewünschten Ergebnis am nächsten. Die Methodik zur Bildung des Ersatzrechts entspricht einer Art geltungserhaltenden Reduktion.93 Die Anwendung der lex fori würde demgegenüber dort, wo das kirchliche Recht unannehmbare Loyalitätsanforderungen stellt, dazu führen, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt werden müsste (§ 1 Abs. 1 KSchG). Damit würde der Religionsgesellschaft im Ergebnis die unbegrenzte Fortführung eines Dienstverhältnisses aufgezwungen,94 obwohl der Loyalitätsverstoß die weitere Wahrnehmung religiöser nung steht; indes verweigere ihm die weltliche Rechtsordnung dann die Anerkennung in ihrem Rechtskreis. 91 So zum IPR Spickhoff, ordre public im internationalen Privatrecht, S. 105; Kegel / Schurig, IPR, S. 539. 92 So jeweils wörtlich zum IPR Raape / Sturm, IPR I, S. 219. 93 So zum IPR Spickhoff, ordre public im internationalen Privatrecht, S. 107. 94 Gegen diese problematische Rechtsfolge auch Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 264.
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
Aufgaben nach dem religiösen Selbstverständnis der Religionsgesellschaft womöglich ausschließt und obwohl eine grundlose, aber mit ausreichenden sozialen Ausgleichsmaßnahmen flankierte Kündigung keinen Verstoß gegen den ordre public dargestellt hätte. Im Ergebnis ist deshalb davon auszugehen, dass primär die Anwendung einer hypothetischen Ersatznorm, die mit dem ordre public gerade noch vereinbar ist, in Betracht kommt.95
III. Der Schutz des positiven ordre public im Religionskollisionsrecht Der Schutz des positiven ordre public durch die Eingriffsnormen gilt ebenfalls im Religionskollisionsrecht. Soweit eine Norm das grundrechtliche Untermaßverbot nachzeichnet, ist dies schon aus grundrechtlichen Erwägungen zwingend. Der Schutz des positiven ordre public geht allerdings über das grundrechtlich gebotene Mindestmaß hinaus. Denn die von Art. 137 Abs. 5 WRV garantierte kollisionsrechtliche Verdrängung des Arbeits- und Sozialrechts gilt nicht absolut. Gesetze, die die Verwirklichung verfassungsimmanenter Schranken bezwecken und dabei die Grenzen der praktischen Konkordanz wahren, können als Eingriffsnormen auch dann zur Anwendung kommen, wenn sich die Parteien für die Geltung kirchlichen Rechts entschieden haben. Zu den verfassungsimmanenten Schranken gehört es insbesondere, Dienstnehmer vor existenziellen Risiken zu schützen. Deshalb bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die entsprechenden Voraussetzungen für die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht.96 Dass Kirchendienstverhältnisse dort, wo die Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit verfehlt werden, der Sozialversicherungspflicht unterliegen, ist ein Beispiel dafür, dass der Gesetzgeber eine Norm ausdrücklich zur Eingriffsnorm macht und auch dann für anwendbar erklärt, wenn nach Art. 137 Abs. 5 WRV kirchliches Recht als lex causae auf das Dienstverhältnis Anwendung findet. Auf dieser Grundlag findet die in § 2 AEntG enthaltene Liste von Bestimmungen, die der Gesetzgeber für das internationale Arbeitsrecht zu Eingriffsnormen deklariert, analog auch im Verhältnis zum kirchlichen Dienstrecht Anwendung. Demnach sind etwa Bestimmungen über Mindestentgeltsätze, bezahlten Mindesturlaub und die Arbeitszeiten genauso wie Schutzmaßnahmen für Schwangere sowie Kinder und Jugendliche97 unmittelbar anwendbar. Das gilt schließlich auch 95
Im Ergebnis ähnlich Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 114, der dafür plädiert, das religionsgemeinschaftliche Recht „vorsichtig aus dem staatlichen Recht zu ergänzen“. 96 Dazu bereits oben Kapitel 7 B. II. 1. c). 97 Davon ging i. E. – vor § 2 AEntG – bereits das VG Minden, KirchE 17, 129 (131) aus. Noch auf der Grundlage der früheren Bereichsscheidungslehre heißt es dort, Maßnahmen, die einen schwerbehinderten Kirchenbeamten in seinen Rechten aus staatlichem Schwerbehindertenschutz beträfen, überschritten den rein innerkirchlichen Selbstverwaltungsbereich, sodass die Kirche mittelbar staatliche Gewalt i. S. d. Art. 19 Abs. 4 GG ausübten. Daher könnten staatliche Gerichte derartige Maßnahmen nachprüfen.
C. Behandlung typischer Fallkonstellationen
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für Nichtdiskriminierungsbestimmungen,98 also auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz99. Indes trägt § 9 AGG dem Selbstverständnis von Religionsgesellschaften Rechnung, sodass das Gesetz im Ergebnis auf Religionsgesellschaften nur beschränkt anwendbar ist. Die Liste in § 2 AEntG ist nicht abschließend,100 sodass durch Auslegung weitere Eingriffsnormen ermittelt werden können.
C. Behandlung typischer Fallkonstellationen nach dem kollisionsrechtlichen Ansatz Im Folgenden soll der hier vorgestellte kollisionsrechtliche Ansatz einem „Praxistest“ unterzogen werden. Dazu werden typische Fallkonstellationen des religiösen Dienstrechts nach dem international-privatrechtlichen Ansatz behandelt.
I. Beendigung des Dienstverhältnisses Wenn die Kirche ein kirchliches Dienstverhältnis vorzeitig beendet, nehmen die Betroffenen dies häufig als tiefgreifenden Bruch in ihrem persönlichen Lebensweg wahr. Dass sich Geistliche in besonderer Weise zu ihrem Dienst berufen fühlen (sollen), macht sich bei vorzeitiger Beendigung des Dienstes oft in besonderen persönlichen Verletzungen bemerkbar. Häufig gab es im Vorfeld heftige Konflikte mit Gemeinde oder Kirchenleitung. Wie bei jeder Kündigung ist auch die Beendigung eines kirchlichen Dienstverhältnisses üblicherweise mit finanziellen Einbußen und einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit verbunden. Da Theologen ihrer eigentlichen Profession typischerweise nur in einem Beschäftigungsverhältnis mit der Kirche nachkommen können, sind sie regelmäßig zu einer beruflichen Umorientierung gezwungen. 1. Anwendbares Recht Die früher von den staatlichen Gerichten praktizierte Justizverweigerung kommt – hierin stimmen die neuere Rechtsprechung und die Ergebnisse dieser Arbeit überein – nicht mehr in Betracht.101 Nimmt die Kirche die religionsgesellschaftliche Dienstherrnfähigkeit in Anspruch, wird das staatliche Arbeits- und Sozialrecht mit kollisionsrechtlicher Wirkung, d. h. einschließlich seiner zwingenden Bestandteile, 98 Hesse, FS Werner Weber (1974), S. 447 (456) hielt es etwa auch für möglich, dass der Staat durch Gesetz „Bestimmungen über die Lohngleichheit von Männern und Frauen“ mit Wirkung für die Kirche durchsetzt. 99 Deinert, JbArbR 50 (2013), S. 77 (89). 100 Deinert, RdA 2009, S. 144 (152). 101 Zu prozessualen Fragen im Einzelnen noch Kapitel 9.
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
durch das einschlägige kirchliche Recht ersetzt.102 Das kirchliche Recht ist somit das auf den Fall anwendbare materielle Recht. Wenn also der staatliche Richter prüft, ob die Beendigung des Dienstverhältnisses rechtlich zulässig war, hat er das einschlägige kirchliche Recht anzuwenden; in diesem Punkt ist der aktuellen Rechtsprechung zu widersprechen. Die staatlichen Kündigungsschutzbestimmungen bleiben hingegen weitgehend unanwendbar. Etwas anderes gilt nur für solche Vorschriften, die als Ausdruck der positiven Funktion des ordre public als Eingriffsnormen zu qualifizieren sind. Der allgemeine Kündigungsschutz einschließlich des Erfordernisses, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss (§ 1 Abs. 1 KSchG), sind keine Eingriffsnormen. Denn diese Bestimmungen bezwecken vorrangig den Ausgleich zwischen dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers einerseits und der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers andererseits. Aus sozialpolitischen Gründen messen sie der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern eine hohe Bedeutung bei. Dieser im internationalen Vergleich hohe Standard kann nicht im Wege des ordre public zum allgemeinen Standard erhoben werden.103 Dies gilt umso mehr, als es vom Erfordernis der sozialen Rechtfertigung wichtige Ausnahmen gibt. So gilt das Kündigungsschutzgesetz erst ab einer gewissen Mindestgröße des Betriebs (vgl. § 23 Abs. 1 KSchG). Anders verhält es sich mit den speziellen Kündigungsschutzvorschriften im Rahmen des Mutter- und des Schwerbehindertenschutzes. Diese dienen vorwiegend dem Schutz von Gemeinwohlinteressen. Mit ihnen kommt der Gesetzgeber seinen gesteigerten grundrechtlichen Schutzpflichten nach. Sie gelten daher als Eingriffsnormen unabhängig von der lex causae. Die Beendigung eines kirchlichen Dienstverhältnisses ist daher unwirksam, wenn diese mit den Kündigungsschutzbestimmungen des Mutter- und Schwerbehindertenschutzes unvereinbar ist. 2. Ordre-public-Kontrolle kirchlicher Kündigungsbzw. Beendigungstatbestände Die kirchlichen Bestimmungen zur Beendigung eines Dienstverhältnisses dürfen nur dann angewendet werden, wenn sie nicht im Einzelfall zu einem Ergebnis führen, dass mit dem deutschen staatlichen ordre public unvereinbar ist (Art. 6 EGBGB analog).104 Das Bundesarbeitsgericht ist in der Anwendung des ordrepublic-Vorbehalts bisher sehr zurückhaltend gewesen. In einer Entscheidung von 1975 konnte es in einer Kündigung, die ohne besonderen Grund nahezu fristlos ausgesprochen worden war, keinen ordre-public-Verstoß erkennen.105 Später ließ 102
Oben Kapitel 7. ErfK / Oetker, § 1 KSchG Rn. 11; a. A. MüKoBGB / Martiny, Art. 8 Rom-I-VO Rn. 116 – im Einzelfall bei unerträglichen Ergebnissen. 104 Oben Kapitel 8, B. II. 105 BAGE 27, 99 (112). 103
C. Behandlung typischer Fallkonstellationen
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das Gericht ausdrücklich offen, ob das Fehlen jeglichen Kündigungsschutzes mit dem ordre public vereinbar wäre.106 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tragen die aktuellen Kündigungsschutzbestimmungen den aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflichten des Staates im Hinblick auf den Bestand eines Arbeitsplatzes Rechnung.107 Dem Gesetzgeber steht bei der Ausgestaltung des Kündigungsschutzes ein weiter Gestaltungsfreiraum zu.108 Die so genannte Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt.109 Allerdings hat das Gericht hervorgehoben, dass sich in diesem Fall ein grundrechtlich bestimmter Mindestschutz vor ungerechtfertigten Kündigungen über die zivilrechtlichen Generalklauseln vollzieht, sodass jedenfalls sitten- oder treuewidrige Kündigungen des Arbeitgebers ausgeschlossen sind.110 Für unzulässig hat es das Bundesverfassungsgericht befunden, wenn Schwangere und Mütter nach der Entbindung ohne wirksamen Kündigungsschutz bleiben.111 Dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich zuzustimmen. Der Gesetzgeber hat bei der Gestaltung der Privatrechtsordnung weite Gestaltungsspielräume. Verfassungsrechtlich „zwingende“ Lösungen für den Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern lassen sich in der Regel nicht aus dem Grundgesetz ableiten. Allerdings hat der Gesetzgeber das Untermaßverbot bei der Verwirklichung seiner grundrechtlichen Schutzpflichten zu beachten. Abgesehen von speziellen Konstellationen wie dem Mutter- und Schwerbehindertenschutz ist es daher grundrechtlich zwar nicht zu beanstanden, dass die Beendigung eines Dienstverhältnisses staatlicherseits geduldet wird. Grundrechtlich nicht akzeptabel ist es indes, wenn überhaupt kein Kündigungsschutz besteht. Denn der Arbeitnehmer hat sich bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen gerade auch im Interesse des Arbeitgebers an diesen gebunden und entsprechend disponiert. Seine Arbeitskraft stellt der Arbeitnehmer in der Arbeitszeit dem Arbeitgeber exklusiv zur Verfügung, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Grundrechtswidrig ist daher eine grund- und fristlose Kündigung. Der Staat würde seine grundrechtlichen Schutzpflichten verletzen, wenn er einem Arbeitgeber erlaubte, den Arbeitnehmer ohne angemessene Gründe über Nacht „vor die Tür zu setzen“. Fristlose Kündigungen dürfen daher durch den Staat nicht ohne wichtigen Grund, grundlose Kündigungen nicht ohne angemessene Frist akzeptiert werden. Dieses Wechselspiel wird sogleich noch eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Rechtsfolgen ordre-public-widriger Beendigungen des Dienstverhältnisses geht.
106
BAGE 63, 17 (30); ablehnend BAG, NJW 1979, S. 1119 (1120). BVerfGE 84, 133 (147). 108 BVerfG, BB 1998, S. 1058. 109 BVerfG, BB 1998, S. 1058 (1059). 110 BVerfG, BB 1998, S. 1058 (1059). 111 BVerfGE 84, 133 (156). 107
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
Die einschlägigen kirchlichen Bestimmungen sehen typischerweise gerade keine willkürliche Beendigung des Dienstverhältnisses vor, sondern knüpfen diese an bestimmte Tatbestände. Häufig geht es dabei um ein bestimmtes Fehlverhalten der Betroffenen. Auf die typischen Fälle wird sogleich noch konkret eingegangen.112 Grundsätzlich ist zunächst festzuhalten: Ein ordre-public-widriger Beendigungsgrund führt aus der Perspektive des staatlichen Richters dazu, dass das Dienstverhältnis grundlos beendet wurde. Denn einen ordre-public-widrigen Beendigungsgrund kann der grundrechtsgebundene staatliche Richter bei der Rechtsanwendung nicht gelten lassen. Dies bedeutet allerdings noch nicht, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses zwingend unwirksam war. Denn bei der ordre-public-Kontrolle kommt es auf das Ergebnis an: Da eine grundlose Kündigung bei Wahrung einer angemessen Frist nicht gegen den ordre public verstößt, kann die Beendigung eines kirchlichen Dienstverhältnisses im Ergebnis rechtswirksam sein, wenn der Beendigungsgrund zwar gegen den ordre public verstößt, dafür aber eine angemessene Frist gewahrt wird. 3. Bildung des hypothetischen Ersatzrechts im Falle eines ordre-public-Verstoßes Dieser Mechanismus spielt auch eine entscheidende Rolle für die Behandlung der Fälle, in denen die Beendigung des kirchlichen Dienstverhältnisses gegen den ordre public verstößt, weil sie an einen ordre-public-widrigen Beendigungsgrund anknüpft, ohne eine angemessene Frist zu wahren. In diesen Fällen stellt sich die Frage, welches Recht anstelle der vom ordre-public-Vorbehalt abgewehrten lex causae als Ersatzrecht anzuwenden ist. Dazu hat diese Untersuchung bereits herausgearbeitet, dass in diesen Fällen kein Rückfall auf die lex fori erfolgen darf. Vielmehr ist ein hypothetisches Ersatzrecht zu bilden, das dem von der lex causae verfolgten Ergebnis möglichst nahe kommt, ohne den ordre public zu verletzen.113 Wie sich am Beispiel der ordre-public-widrigen Beendigung des Dienstverhältnisses zeigen lässt, ist es sehr wohl möglich, ein solches hypothetisches Ersatzrecht zu bilden, ohne dass die staatliche Neutralitätspflicht verletzt wird. Mit der staatlichen Neutralitätspflicht wäre es unvereinbar, wenn der staatliche Richter nach zusätzlichen, ordre-public-konformen Beendigungsgründen suchen würde. Zugleich steht aber fest, dass die lex causae die Beendigung des bestehenden Dienstverhältnisses bezweckt. Dieses Ergebnis kann ohne weiteres dadurch erreicht werden, dass die Grundlosigkeit der Beendigung des Dienstverhältnisses durch die Wahrung einer angemessenen Frist kompensiert wird. Es kommt also letztlich gar nicht auf den Beendigungsgrund, sondern auf die Frist an.
112
Unter C. Kapitel 8, B. II. 6.
113
C. Behandlung typischer Fallkonstellationen
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Aufgabe des staatlichen Richters ist es daher, die Länge der grundrechtlich mindestens gebotenen Kündigungsfrist zu ermitteln. Dabei ist das Interesse des Bediensteten, seine Lebensumstände an die neue Situation anzupassen, gegen das Interesse der Kirche abzuwägen, das Dienstverhältnis schnellstmöglich zu beenden. Die gebotene Kündigungsfrist zur Beendigung des Dienstverhältnisses orientiert sich dabei an § 622 BGB. Gegen die Verfassungskonformität dieser Bestimmung bestehen keine Bedenken. Zugleich sind die Fristen so niedrig angesetzt, dass ein noch weiteres Absinken regelmäßig den grundrechtlichen Mindeststandard unterschreitet. Aus den besonderen Umständen der kirchlichen Dienstverhältnisse kann sich ausnahmsweise eine längere Frist als die des § 622 BGB ergeben. Denn die Geistlichen werden von den Kirchen in der Regel enger an sich gebunden als sonstige Arbeitnehmer. Je stärker die Kirche selbst durch die Ausgestaltung des Dienstverhältnisses den Geistlichen an sich gebunden hat, umso weniger stark wiegt ihr grundrechtlich geschütztes Interesse daran, sich jederzeit wieder von diesem Dienstverhältnis lösen zu können. Ein starkes Indiz für eine verstärkte Bindung liegt immer dann vor, wenn sich der Geistliche über die normale Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinaus in eine besondere Abhängigkeit zur Kirche begeben hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Kirche auch Einfluss auf die Freizeitgestaltung des Geistlichen nimmt, ihm beispielsweise die Aufnahme von Nebentätigkeiten untersagt oder ihm Residenzpflichten auferlegt. Erst recht gilt dies für Eingriffe in die private Lebensgestaltung wie den Pflichtzölibat. Im Ergebnis bleibt es aber dabei, dass jedes kirchliche Dienstverhältnis unter Wahrung einer angemessenen Frist grundlos beendet werden kann. Der Rechtsschutz durch staatliche Gerichte ermöglicht damit prinzipiell keine dauernde Weiterbeschäftigung der Betroffenen, sondern lediglich eine Verlängerung der Kündigungsfrist bzw. eine entsprechende Abfindung.
II. Änderung des Dienstverhältnisses Neben der einseitigen Beendigung des Dienstverhältnisses kann sich eine einseitige Änderung des Dienstverhältnisses durch den Dienstherrn als problematisch erweisen. Statusänderungen sind zunächst auf bestehender kirchengesetzlicher Grundlage denkbar. Dies betrifft beispielsweise Maßnahmen wie die Versetzung von Pfarrern gegen ihren Willen, insbesonderen die Versetzung in den Warte- (§ 83 Abs. 2 PfDG.EKD) bzw. vorzeitigen Ruhestand (§ 92 Abs. 2 PfDG.EKD). Diese negativen Statusveränderungen tangieren den ordre public in aller Regel nicht. Denn die beschriebenen Statusveränderungen wären vielfach auch dann zulässig, wenn man sie an den Maßstäben des staatlichen Arbeitsrechts messen würde. Die Versetzung eines Bediensteten kann bereits dem Direktionsrecht des Arbeitgebers (vgl. § 106 GewO) unterfallen. Bewirkt die Statusänderung Besoldungseinbußen, so handelt es sich nach den Begriffen des staatlichen Rechts um eine Änderungs-
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
kündigung. Entspricht diese den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes, kommt eine Verletzung des ordre public von vornherein nicht in Betracht. Aber selbst dann, wenn die Änderungskündigung das staatliche Kündigungsschutzrecht verletzt, ist der ordre public regelmäßig nicht verletzt. Denn bei Wahrung einer angemessenen Frist (orientiert an § 622 BGB) könnte der kirchliche Dienstherr das Dienstverhältnis auch ohne triftigen Grund gänzlich beenden, ohne den ordre public zu verletzen.114 Im Vergleich dazu stellt die Weiterbeschäftigung unter verschlechterten Bedingungen ein milderes Mittel dar, dass a maiore ad minus erst Recht mit dem ordre public vereinbar ist. Neben der Änderung des Dienstverhältnisses aufgrund kirchengesetzlicher Bestimmungen kann sich die Rechtsposition des Betroffenen dadurch verschlechtern, dass das Kirchengesetz zu seinen Ungunsten geändert wird. Obwohl die Kirchendienstverhältnisse nach hier vertretener Ansicht auf der freiwilligen Mitwirkung des Betroffenen und damit auf vertraglicher Grundlage beruhen, ist die einseitige kirchengesetzliche Änderung nicht per se rechtsunwirksam.115 Soweit es um Maßnahmen geht, die nach dem staatlichen Arbeitsrecht unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers fielen, ist die Änderung schon deswegen nicht zu beanstanden. Für zulässig hat die Rechtsprechung außerdem dynamische Verweisungsklauseln auf Arbeitsvertragsordnungen erachtet, die im Zuge des so genannten „Dritten Weges“ erlassen werden.116 Einseitige Änderungsvorbehalte sind schon im staatlichen Arbeitsrecht nicht per se unzulässig. Im Übrigen gilt das, was soeben schon zur Änderung des Dienstverhältnisses auf kirchengesetzlicher Grundlage gesagt wurde: Die Änderung kirchengesetzlicher Bestimmungen ist aus der Perspektive des staatlichen Arbeitsrechts als Änderungskündigung zu werten. Da Änderungskündigungen praktisch nie gegen den ordre public verstoßen, lässt sich insofern kein Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten erlangen.
III. Kein Einstellungsanspruch Einstellungsansprüche gegen die Kirche in ein kirchenrechtliches Dienstverhältnis können nicht auf den ordre public gestützt werden.117 Da kirchliche Dienstverhältnisse grundlos beendet werden können, gibt es erst Recht keine Pflicht zur Begründung des Dienstverhältnisses. Zwar ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gemäß § 2 Nr. 7 AEntG analog als Eingriffsnorm auch für kirchliche Dienstverhältnisse anwendbar.118 Das 114
Dazu soeben Kapitel 8, C. I. Diese Änderung ist mittelbar autonom legitimiert, weil sich der Betroffene auf ein entsprechendes Dienstverhältnis eingelassen hat, dazu Magen, Körperschaftsstatus und Religionsfreiheit, S. 101. 116 BAGE 135, 163 (Rn. 22). 117 Im Ergebnis wie hier VG Hamburg, KirchE 58, 87 (90 ff.). 118 Dazu oben bereits unter B. III. 115
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Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sieht aber seinerseits keinen Einstellungsanspruch,119 sondern in § 15 AGG lediglich einen Schadensersatzanspruch vor. Dabei kann das religiöse Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 AGG eine Diskriminierung rechtfertigen.
IV. Einzelfragen Im Folgenden soll noch auf einzelne konkrete Fallkonstellationen kurz eingegangen werden. 1. Verstoß gegen den Pflichtzölibat In der katholischen Kirche120 gehören Konflikte mit dem Pflichtzölibat zu den häufigsten Gründen, aus denen das Dienstverhältnis beendet wird. Dabei besteht die Möglichkeit, dass der Geistliche im beiderseitigen Einvernehmen aus dem Klerikerstand und damit auch aus dem Inkardinationsverhältnis ausscheidet. Im Übrigen sind Verstöße gegen den Pflichtzölibat nach kanonischem Recht Kirchenstraftaten und können entsprechend geahndet werden, insbesondere mit der einseitigen Beendigung des Dienstverhältnisses. Der Pflichtzölibat ist mit dem ordre public unvereinbar. Beschränkungen der menschlichen Sexualität sind ein gravierender Eingriff in den Intimbereich der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Ein erfülltes Sexualleben ist wesentlich für das persönliche Wohlempfinden. Der Wunsch, eine Ehe zu schließen, Kinder zu bekommen und damit eine Familie zu gründen, ist in besonderer Weise grundrechtlich geschützt und hat engen Bezug zur Menschenwürde. Menschliche Nähe und Zuwendung sind Grundbedürfnisse des Menschen. Enttäuschte Hoffnungen in diesem Bereich können Menschen psychisch schwer belasten. Zwar gibt es Enttäuschungen im Hinblick auf Liebe, Ehe und Familie auch außerhalb des religiös begründeten Pflichtzölibats. Während allerdings das bloße Nichtgelingen von Partnerschaft zum Leben dazu gehört und grundrechtlich irrelevant ist, liegt die Problematik des Pflichtzölibats in äußeren Zwängen, denen sich der Betroffene ausgesetzt sieht. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass sich die Geistlichen mit der Entscheidung für ihren Beruf zunächst einmal freiwillig diesen Zwängen unterworfen haben. Häufig wird diese Entscheidung nämlich weniger dem isolierten Wunsch nach einem zölibatären Leben geschuldet sein, als vielmehr der eindeutigen kirchlichen Forderung nach einer entsprechenden Lebensweise. Die Akzeptanz der zölibatären Lebensform ist Voraussetzung dafür, um überhaupt einer empfundenen Berufung als Geistlicher folgen zu können. Denn das Versprechen 119
Roloff, in: BeckOK-Arbeitsrecht, § 15 AGG (Stand: 1.9.2017) Rn. 17. Zur Bekenntniswidrigkeit eines Pflichtzölibats nach ev. Lehre de Wall, in: HdbEvKR, § 1 Rn. 94. 120
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
einer zölibatären Lebensweise ist Weihevoraussetzung. Psychologische Studien legen nahe, dass die Entscheidung für die Weihe und den Zölibat häufig zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem die Betroffenen noch zu jung sind, um zu überblicken, ob sie ihr Leben lang zölibatär leben können und wollen.121 Nach katholischer Lehre ist der Pflichtzölibat zwar kirchengesetzlich vorgeschrieben, fällt aber nicht in den Bereich des ius divinum. Der Pflichtzölibat ist also kein religiöses Gebot im engeren Sinne, sondern beruht auf der Entscheidung des Kirchengesetzgebers. Dass der Pflichtzölibat theologisch auch aus katholischer Perspektive keineswegs zwingend ist, zeigt etwa die Tradition der verheirateten Priester in den unierten Ostkirchen.122 In der römischen Kirche kann vom Pflichtzölibat dispensiert werden, wovon etwa bei der Konversion evangelischer Geistlicher Gebrauch gemacht wird. In der grundrechtlichen Abwägung kann sich damit jedenfalls die katholische Kirche nicht voll auf den besonderen Schutz der kollektiven Religionsfreiheit berufen. Denn zwingende Glaubenssätze, die den Pflichtzölibat erfordern, bestehen bei ihr gerade nicht. Entscheidend für die Abwägung ist aber letztlich, dass auf der Rechtsfolgenseite der Kirche gerade nicht aufgenötigt wird, das Dienstverhältnis mit einem Geistlichen dauerhaft aufrecht zu erhalten, der mit der kirchenrechtlich gebotenen zölibatären Lebensweise gebrochen hat. Der ordre-public-Vorbehalt wehrt lediglich den Verstoß gegen den Pflichtzölibat als Beendigungsgrund ab. Nach dem zu bildenden hypothetischen Ersatzrecht ist die Beendigung des Dienstverhältnisses aber als gewillkürte Beendigung unter Wahrung einer angemessenen Frist zulässig. Dass die Kirche dabei nicht verpflichtet ist, den Betroffenen tatsächlich weiterzubeschäftigen, versteht sich von selbst: Wie jeder andere Arbeitgeber kann sie den Betroffenen sofort von seiner Tätigkeit freistellen und muss lediglich ihrer Entlohnungs- (bzw. kirchenrechtlich betrachtet: Unterhalts-)pflicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist genügen. 2. Verstoß gegen Lebensführungspflichten im Bereich Ehe und Familie Lebensführungspflichten im Bereich von Ehe und Familie spielen vor allem für evangelische Pfarrer eine Rolle. Der Begriff ist eigentlich nicht ganz korrekt, da die betreffenden Pflichten in der Regel keine klagbaren Rechtspflichten sind. Dogmatisch handelt es sich um Obliegenheiten.123 Lebensführungspflichten im Bereich des Privatlebens tragen dem unauflöslichen Zusammenhang von Christsein, Zeugesein und Auftrag Rechnung.124 Den 121
Rösgen-Biel, Zölibat aus psychologischer Perspektive, S. 124. Vgl. Potz, in: HdbkathKR, 32015, § 7 S. 115. 123 v. Notz, Lebensführungspflichten im evangelischen Kirchenrecht, S. 37. 124 Linnenbrink, ZevKR 38 (1998), S. 381 (382). 122
C. Behandlung typischer Fallkonstellationen
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Geistlichen wird ein vorbildlicher Lebenswandel abverlangt, damit ihr Zeugnis nicht unglaubwürdig wird.125 Dabei muss auch die besondere Rolle des Pfarrhauses in der evangelischen Tradition berücksichtigt werden: Seit dem Vorbild von Martin Luther und Katharina Luther, geb. von Bora, gehört das Pfarrhaus zu den Institutionen der evangelischen Kirche. Gesellschaftliche Veränderungen haben sich indes auch hier längst bemerkbar gemacht.126 Die christliche Ehe gilt aber nach wie vor als Leitbild für das Privatleben der Pfarrer.127 Die früher besonders herausgehobene Rolle der Pfarrersfrau128 wirkt heute noch in Bestimmungen nach, denen zufolge die Eheschließung eines Pfarrers der kirchlichen Genehmigung bedarf. Gemäß § 39 Abs. 2 S. 2 PfDG.EKD sollen die Ehegattin oder der Ehegatte eines Pfarrers oder einer Pfarrerin evangelisch sein. Gemäß § 39 Abs. 2 S. 3 PfDG müssen die Ehegattin bzw. der Ehegatte einer christlichen Kirche angehören; Ausnahmen können im Einzelfall zugelassen werden.129 Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und gegenseitige Verantwortung sind gemäß § 39 PfDG.EKD Anforderungen an den Pfarrer beim ehelichen Zusammenleben. Ehebrecherische Beziehungen stellen nach evangelischem Pfarrerdienstrecht eine Dienstpflichtverletzung dar.130 Obwohl die evangelische Kirche die Ehe ebenfalls als grundsätzlich lebenslange Verbindung begreift, stellt die Ehescheidung dagegen per se noch keine Dienstpflichtverletzung eines Pfarrers dar. Allerdings kann Fehlverhalten im Vorfeld der Ehescheidung eine Dienstpflichtverletzung begründen.131 Unabhängig vom Verschulden des Pfarrers kommt in Fällen der Ehescheidung auch dessen Versetzung in den Wartestand in Betracht, wenn Rückwirkungen der Ehescheidung auf das Gemeindeleben zu besorgen sind (§ 79 Abs. 2 PfDG.EKD).132 Im Hinblick auf homosexuelle Beziehungen unterscheiden sich die Positionen von katholischer und evangelischer Kirche grundlegend. Die katholische Kirche lehnt homosexuelle Kontakte als sündhaft ab. Eine homosexuelle Veranlagung ist
125
v. Notz, Lebensführungspflichten im evangelischen Kirchenrecht, S. 187. Vgl. v. Notz, Lebensführungspflichten im evangelischen Kirchenrecht, S. 189 f. 127 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 65. 128 Insbesondere galt es noch in den 1950er-Jahre als selbstverständliche Rechtserwartung, dass sich die „Frau Pfarrer“ – ohne eigenes offizielles Amt und ohne eigene Bezüge – an der Seite ihres Mannes „in der Frauen- und Jungmädchenarbeit, im Kindergottesdienst oder im Kirchenchor, im seelsorgerlichen Besuchsdienst“ zu beteiligen habe, woraus ohne weiteres die Zustimmungsbedürftigkeit der Eheschließung folge, so Kalisch, ZevKR 2 (1952/53), S. 24 (37 f.). 129 Krit. zu konfessionellen Anforderungen an die „Pfarrfrau“ Hartmut Maurer, ZevKR 38 (1993), S. 397 (410 ff.). 130 Disziplinarhof der EKD – Lutherischer Senat, RsprB ABl EKD 1987, S. 16; Senat für Amtszucht der VELKD, RsprB ABl. EKD 1992, S. 25; RsprB ABl. EKD 2009, S. 17; v. Notz, Lebensführungspflichten im evangelischen Kirchenrecht, S. 190 f. 131 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 67. 132 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 67. 126
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
bereits ein Hinderungsgrund für die Weihen.133 Das Ausleben homosexueller Praktiken kann jedenfalls als Zölibatsverstoß zum Verlust des Klerikerstandes führen. Die evangelische Kirche hat hingegen den gesellschaftlichen Wandel in dieser Frage weitgehend mitvollzogen. Eingetragene Lebenspartnerschaften bzw. gleichgeschlechtliche Ehen werden in der Mehrzahl der Landeskirchen gottesdienstlich gesegnet, wobei die Landeskirchen nach wie vor unterschiedlich handhaben, ob diese Segnungsfeier einer kirchlichen Eheschließung gleichgestellt wird.134 § 39 PfDG.EKD enthält zu homosexuellen Lebenspartnerschaften bewusst keine explizite Regelung.135 Die sexuelle Orientierung ist kein Kriterium für oder gegen die Ordination.136 In der Praxis gibt es zunehmend offen homosexuell lebende Pfarrer; unterschiedlich gehandhabt wird die Frage, ob Pfarrer eine homosexuelle Lebenspartnerschaft im Pfarrhaus führen dürfen.137 Was die Wirksamkeit kirchendienstrechtlicher Maßnahmen bei Verstößen gegen Lebensführungspflichten anbelangt, kann zunächst nach der Art der Maßnahme differenziert werden. Änderungen des Dienstverhältnisses sind nach den bisherigen Ergebnissen in der Regel ohne weiteres mit dem ordre public vereinbar. Kein Rechtsschutz kann deshalb gegen Versetzungen erlangt werden, selbst wenn diese in den Warte- oder Ruhestand erfolgen. Lediglich bei der Beendigung des Dienstverhältnisses muss differenziert werden: Ist der Beendigungsgrund ordre-publickonform, kann das Dienstverhältnis fristlos beendet werden; im Übrigen ist eine angemessene Frist zu wahren. Zulässig ist demgemäß die sofortige Beendigung des Dienstverhältnisses bei schweren Verfehlungen gegen die Ehe, also etwa bei ehebrecherischen Kontakten. 133 Eingehend und krit. mit zahlreichen Nw. Weinberger, Voraussetzungen für die Zulassung zum Priestertum, S. 230 ff. 134 Ein aktuellen Überblick findet sich unter https://www.huk.org/cms/front_content.php?idart =352 . Zum aktuellen Diskussionsstand in der ev. Kirche auch eingehend Safoklov, ZevKR 61 (2016), S. 57 (73 ff.). 135 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 69. 136 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 30. 137 Rechtshof der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen, NJW 1983, S. 2606 (2607), hielt noch die Entlassung eines Hilfspfarrers (vergleichbar Beamter auf Probe) aus dem Dienst für zulässig, weil dieser offen in einer homosexuellen Beziehung lebte und sich darum nicht bewährt habe. Eingehend Hans Martin Müller, ZevKR 36 (1991), S. 199 (201 ff.), dass homosexuelle Beziehungen schriftwidrig seien; ebenso Linnenbrink, ZevKR 38 (1993), S. 381 (389). Vielfach darf ein eingetragener Lebenspartner nur dann in das Pfarrhaus miteinziehen, wenn damit Kirchenvorstand und kirchliche Vorgesetzte einverstanden sind, so etwa § 18 Abs. 3 PfDRNOG.ELKB der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Eine „prinzipielle Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Partnerschaften“ lässt sich aus dieser Bestimmung indes gerade nicht ableiten (so aber Safoklov, ZevKR 61 [2016], S. 57 [72]). Denn während für Pfarrer i. d. R. Residenzpflicht besteht (§ 38 Abs. 1 PfDG.EKD), macht die bayerische Regelung hiervon gerade eine Ausnahme und stellt den Einzug in die Pfarrwohnung unter Erlaubnisvorbehalt („nur dann“). Die Vorschrift behandelt eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft im Pfarrhaus damit offenbar nach wie vor als etwas „anstößiges“. Das wird auch daran deutlich, dass die Regelung im Paragraphen enthalten ist, der das „Leitbild von Ehe und Familie“ (amtl. Überschrift) regelt.
C. Behandlung typischer Fallkonstellationen
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Denn auch die eheliche Lebensgemeinschaft i. S. v. § 1353 Abs. 1 BGB impliziert die Pflicht zur ehelichen Treue.138 Dagegen kann eine Ehescheidung nicht zum Anlass für eine sofortige Beendigung des Dienstverhältnisses genommen werden, da die Unauflöslichkeit der Ehe ordre-public-widrig ist.139 Differenziert werden muss bei nichtgenehmigten Eheschließungen. Bereits seit den 1970er-Jahren ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Eheverbot der Religionsverschiedenheit mit dem ordre public unvereinbar ist.140 Diese Wertung aus dem internationalen Familienrecht kann allerdings nicht ohne weiteres auf das kirchliche Dienstrecht übertragen werden. Die Frage, ob eine Ehe überhaupt geschlossen werden kann, ist anders zu bewerten als die Frage, ob die Eingehung einer bestimmten Ehe dienstrechtswidrig ist. Da die Eheschließungsfreiheit enge Bezüge zur Menschenwürde aufweist, kann eine Eheschließung nur in Ausnahmefällen die Beendigung des Dienstverhältnisses rechtfertigen. Gründe für eine solche Ausnahme können in der Person des Ehepartners liegen, zum Beispiel dann, wenn dieser öffentlichkeitswirksam den Verkündungsauftrag des Pfarrers torpediert.141 Mit dem ordre public unvereinbar ist hingegen die Beendigung eines Dienstverhältnisses aufgrund der homosexuellen Orientierung des Betroffenen. Obwohl die sexuelle Orientierung nicht zu den speziellen Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG zählt, ist die Beendigung eines Dienstverhältnisses allein aufgrund der sexuellen Orientierung grundrechtlich unter dem Aspekt des allgemeinen Gleichheitssatzes inakzeptabel.142 Wird die Homosexualität ausgelebt, muss differenziert werden: Stellt sich der Betroffene damit gegen die Lehre seiner Kirche, so kann im Einzelfall eine sofortige Beendigung des Dienstverhältnisses gerechtfertigt sein. In diesem Fall kann sich die Kirche nämlich auf den verstärkten Schutz der kollektiven Religionsfreiheit berufen. Homosexuelle Beziehungen genießen überdies nicht den besonderen Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG.143 Lassen sich hingegen keine zwingenden Glaubensgebote plausibel darlegen, so verstößt die sofortige Beendigung des Dienstverhältnisses gegen den ordre public.
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MüKoBGB / Roth, § 1353 Rn. 40. BGHZ 169, 240 (Rn. 47). 140 BGHZ 56, 180 (187 ff.); anders noch RGZ 132, 416 (418); 148, 383. 141 Hermann Weber, ZevKR 17 (1972), S. 387 (415) hält es indes tendenziell für unzulässig, wenn die Kirche einen Konfessionswechsel der Ehefrau zum Anlass für eine Beendigung des Dienstverhältnisses macht. 142 Vgl. zu den strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen an Ungleichbehandlungen aufgrund sexueller Orientierungen BVerfGE 124, 199 (219 ff.); 126, 400 (419); 131, 239 (256); 133, 59 (Rn. 74); 133, 377 (Rn. 77) – jeweils zu Schlechterstellungen der eingetragenen Lebenspartnerschaften gegenüber der Ehe. 143 BVerfGE 105, 313 (345 f.); 131, 239 (259); 133, 377 (Rn. 81); eingehend Detterbeck, in: FS Bohl (2015), S. 309 (312 ff.); a. A. Brosius-Gersdorf, in: Horst Dreier, GG I, Art. 6 Rn. 53. Zur Verfassungswidrigkeit der Neufassung von § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB v. Coelln, in: Sachs, GG, Art. 6 Rn. 6; Friehe, Alles Ehe, oder was?, JuWissBlog 75/2017 v. 4.7.2017, im Internet abrufbar unter https://www.juwiss.de/75-2017/ . 139
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3. Lehrbeanstandung Eine zentrale Aufgabe der Geistlichen ist in allen größeren Religionsgesellschaften die Wortverkündigung. Besonders in der evangelischen Kirche definiert sich das Pfarramt über die öffentliche Wortverkündigung (vgl. § 1 Abs. 1 S. 3 PfDG. EKD). Obwohl das katholisch verstandene Priestertum mit der Eucharistiefeier leicht andere Akzente setzt, gehört auch hier die Predigt zu den wichtigsten Aufgaben der Kleriker. Diesen ist jedenfalls die Predigt in der Eucharistiefeier (sog. Homilie) vorbehalten (c. 767 § 1 CIC).144 Lehrbeanstandungen betreffen Fälle, in denen die Kirche eine Beendigung des Dienstverhältnisses anstrebt, weil der Geistliche ihrer Meinung nach das Predigtamt im Widerspruch zur kirchlichen Lehre ausübt. In der katholischen Kirche kann das Abweichen von den Aussagen des katholischen Lehramtes als Kirchenstraftat verfolgt werden.145 Aus evangelischer Sicht ist hingegen das Abweichen vom evangelischen Konsens kein vorwerfbares und disziplinarisch zu ahndendes Verhalten. Zwar sind die Pfarrer dem kirchlichen Disziplinarrecht unterworfen (§ 2 Abs. 1 DG.EKD). Das Disziplinarverfahren bezweckt die Sicherung der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung (§ 1 S. 1 PfDG.EKD).146 Aufgrund der theologischen Lehrfreiheit evangelischer Pfarrer stellen Abweichungen von der im Protestantismus ansonsten üblichen Auffassung allerdings keine Amtspflichtverletzung dar und sind daher auch keinem Disziplinarverfahren zugänglich.147 In Betracht kommt allerdings ein Lehrbeanstandungsverfahren nach dem Kirchengesetz über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen.148 Entsprechende Verfahren sind ausgesprochen selten.149 Im Lehrbeanstandungsverfahren wird festgestellt, ob der Betroffene den evangelischen Konsens verlassen hat. In diesem Fall verliert der Geistliche nicht nur das mit der Ordination übertragene Amt der Wortverkündigung (§ 5 Abs. 1 Nr. 8 PfDG.EKD), sondern es tritt zugleich die Entlassung aus dem Dienstverhältnis kraft Kirchengesetzes ein (§ 97 Abs. 1 Nr. 2 PfDG.EKD). Ob die Beendigung des Dienstverhältnisses im Lehrbeanstandungsverfahren gegen den ordre public verstößt, kann nur nach einer Einzelfallabwägung entschieden werden. Zunächst gilt es dabei erneut die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den ordre public in Erinnerung zu rufen: Der Religionsgesellschaft wird nicht die dauernde Weiterbeschäftigung eines Geistlichen aufgenötigt, mit dem sie in Lehrfragen nicht mehr übereinstimmt, sondern sie wird lediglich zur Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist verpflichtet. Dies vorausgeschickt, kann zunächst 144
Ohly, in: HdbKathKR, 32015, § 63 S. 926 f. Rees, in: HdbKathKR, 32015, § 107 S. 1617 f. 146 Die theologische Berechtigung eines kirchlichen Disziplinarrechts ist allerdings nicht unumstritten, vgl. dazu Goos, KuR 2010, S. 209 (210) m. w. Nw. 147 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 30 Rn. 21. 148 Kirchengesetz über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom 25.10.1978 i. d. F. d. Bek. v. 3.1.1983, ABl EKD 1983, S. 99. 149 de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 30 Rn. 21. 145
C. Behandlung typischer Fallkonstellationen
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festgehalten werden, dass sich die Kirche bei Lehrabweichungen grundsätzlich auf die besonders geschützte kollektive Religionsfreiheit berufen kann. Denn ihre Entscheidung, dass ein bestimmter Geistlicher aufgrund seiner Lehre nicht mehr für sie tätig sein kann, bestimmt sich vom kirchlichen Bekenntnis her. Umgekehrt kann sich allerdings auch der Geistliche auf seine individuelle Religionsfreiheit berufen. Die grundrechtliche Freiheit von Kirche und Geistlichem stehen sich damit in Form desselben Grundrechts gegenüber. Dem Staat steht es dabei von vornherein nicht zu, theologisch darüber zu urteilen, wer im Recht ist. Grundsätzlich setzt sich die kollektive Religionsfreiheit der Kirche durch. Denn jeder, der Teil einer Gemeinschaft sein will, muss sich deren Regeln unterwerfen; im Fall einer Religionsgemeinschaft knüpft sich die Mitgliedschaft auch daran, dass deren religiöse Vorstellungen grundsätzlich bejaht werden. Die individuelle Religionsfreiheit lässt sich daher nicht gegen das kollektive kirchliche Bekenntnis in Stellung bringen.150 Es gibt auch keine Verfassungspflicht zu einem internen religiösen Pluralismus der Religionsgesellschaften. Was die Beendigung des kirchlichen Dienstverhältnisses betrifft, geht es aber ohnehin nicht darum, ob die Kirche den Geistlichen dauerhaft fortbeschäftigen muss. Entscheidend für die grundrechtliche Abwägung ist die Frage, ob der Geistliche schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand des Dienstverhältnisses geltend machen kann und daher eine angemessene Kündigungsfrist eingehalten werden muss. Diese Frage muss dann bejaht werden, wenn der Lehrkonflikt in den Verantwortungsbereich der Kirche und nicht in den des Geistlichen fällt. Das ist – ausgehend von einer Übereinstimmung in Lehrfragen zu Beginn des Dienstverhältnisses – dann der Fall, wenn nicht der betroffene Geistliche, sondern die Kirche ihre Lehrmeinung geändert hat. In den übrigen Fällen dagegen fällt die Lehrabweichung in die Risikosphäre des betroffenen Geistlichen. Dann ist auch eine fristlose Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem ordre public vereinbar. 4. Nichtgedeihliches Zusammenwirken mit der Gemeinde Das nichtgedeihliche Zusammenwirken151 mit der Gemeinde ist in der Praxis einer der häufigsten Gründe für den Verlust eines Pfarramtes. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche kennen Vorschriften, die einen Entzug der Pfarrstelle ermöglichen, wenn das Verhältnis zwischen dem Pfarrer und seiner Gemeinde zerrüttet ist. Die Amtsenthebung ist gemäß c. 1740 CIC auch ohne eigenes Verschulden des Pfarrers zulässig. Ausreichend ist nach dem Regelbeispiel des c. 1741 Nr. 3 CIC der objektive Umstand, dass in der Gemeinde gegen den Pfarrer Abneigung (aversio) besteht. Entscheidend ist, dass ein ersprießliches seelsorge
150
Vgl. Martin Heckel, AöR 134 (2009), S. 309 (338 f.). Zur heute im ev. Kirchenrecht nicht mehr gebräuchlichen Begrifflichkeit de Wall / Muckel, Kirchenrecht, § 30 Rn. 27. Eine ähnliche Bestimmung sah bereits § 531 II.11 ALR vor. 151
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
risches Zusammenwirken zwischen Pfarrer und Gemeinde nicht mehr zu erwarten ist, mag es dabei auch allein um Fragen von Sympathie oder Antipathie gehen.152 Ganz ähnlich regelt § 80 Abs. 1 S. 2 PfDG.EKD, dass ein Versetzungsgrund vorliegt, „wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist“. Im Falle dieses nichtgedeihlichen Zusammenwirkens erfolgt die Versetzung regelmäßig in den so genannten Wartestand (§ 79 Abs. 2 Nr. 5 i. V. m. § 83 Abs. 2 PfDG.EKD). Im Wartestand ist der Pfarrer verpflichtet, sich um eine seiner Ausbildung entsprechende Stelle zu bewerben (§ 85 Abs. 2 PfDG.EKD). Während des Wartestandes besteht nur ein Anspruch auf ein – gegenüber den regulären Dienstbezügen gekürztes – Wartegeld (§ 84 Abs. 3 PfDG.EKD). Obwohl die Versetzung in den Wartestand wegen nichtgedeihlichen Zusammenwirkens mit der Gemeinde keine Disziplinarmaßnahme darstellt,153 bewirkt sie eine erhebliche Stigmatisierung.154 So besteht allgemein das Vorurteil, dass ein Pfarrer im Wartestand „wohl schon etwas angestellt“ haben müsse.155 Nur in der Theorie handelt es sich um eine „Versetzung ohne Makel“156. Bei Bewerbungen hat der betroffene Pfarrer entsprechend geringere Chancen. Jedenfalls in den früheren Zeiten des Pfarrerüberschusses folgte auf die Wartestandsversetzung nach Ablauf der dreijährigen Wartefrist (§ 92 Abs. 2 PfDG.EKD) häufig die Versetzung in den Ruhestand.157 Neben erheblichen Besoldungs- und Versorgungseinbußen bedeutet dies für die Betroffenen eine schmerzhafte Zerstörung ihrer beruflichen Lebensentwürfe.158 Aus Sicht der betroffenen Pfarrer wiegen diese Konsequenzen umso schwerer, als die Zerrüttung mit der Gemeinde keineswegs in ihre persönliche Verantwortung fallen muss.159 § 80 Abs. 1 S. 4 PfDG.EKD stellt sogar ausdrücklich klar, dass die Gründe für die nachhaltige Störung weder im Verhalten noch in der Person des Pfarrers liegen müssen. Der Pfarrer, der in den Wartstand versetzt wird, muss sich nicht pflichtwidrig verhalten haben.160 Nicht einmal (objektiv) rechtswidriges Verhalten ist erforderlich.161 Es kommt allein darauf an, dass die objektiven Umstände ein weiteres gedeihliches Zusammenwirken zwischen dem Pfarrer und der Gemeinde
152
Michael Landau, Amtsenthebung und Versetzung von Pfarrern, S. 99 f. VGH EKU, RsprB ABl EKD 1986, S. 9 (10); allerdings kann die Wartestandsversetzung auch Sanktion in einem disziplinarischen Verfahren sein (§ 15 DG.EKD). 154 Link, ZevKR 54 (2009), S. 122 (136). 155 Heidland, KuR 2010, S. 95; Dietrich, ZevKR 53 (2008), S. 141 (159); Ennuschat, ZevKR 53 (2008), S. 113 (130). 156 v. Tiling, ZevKR 43 (1998), S. 55 (60). 157 Link, FS Listl (1999), S. 503 (504). 158 Link, ZevKR 54 (2009), S. 122 (136); Ennuschat, ZevKR 53 (2008), S. 113 (129 f.). 159 Einen Überblick über beispielhafte Konfliktkonstellationen bietet Ennuschat, ZevKR 53 (2008), S. 113 ff. 160 VGH EKU, RsprB ABl EKD 1986, S. 9 (10). 161 v. Tiling, ZevKR 43 (1998), S. 55 (56). 153
D. Zwischenfazit zum Rechtsschutz der Geistlichen
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nicht länger erwarten lassen.162 Worauf das beruht und wer daran welchen Anteil hat, ist unerheblich.163 Das Verfahren erfolgt gänzlich verschuldensunabhängig.164 In Extremfällen kann ein Pfarrer somit völlig schuldlos von der Versetzung in den Wartestand betroffen werden, etwa dann, wenn er an einen kompromissunfähigen Kirchenvorstand geraten ist.165 Die herrschende kirchenrechtliche Lehre hält dies für legitim, wenn der nicht behebbare Konflikt die Wortverkündigung, die Sakramentenverwaltung und die Seelsorge gefährdet.166 Dienstrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem nichtgedeihlichen Zusammenwirken verstoßen nach derzeitiger kirchlicher Rechtslage schon deshalb nicht gegen den staatlichen ordre public, weil das Dienstverhältnis nicht beendet, sondern nur geändert wird. Das gilt auch im Falle der Warte- und Ruhestandsversetzung, denn auch hier werden Bezüge weiter geleistet. Anders wäre die Sachlage nur zu bewerten, wenn der Betroffene tatsächlich aus dem kirchlichen Dienstverhältnis entlassen würde. Die fristlose Beendigung des Dienstverhältnisses verstieße dann immer dort gegen den ordre public, wo den Geistlichen kein Verschulden an dem Konflikt trifft. Zwar liegt ein sachlicher Grund für die Beendigung vor, wenn der Seelsorger seiner Aufgabe aufgrund eines gestörten Vertrauensverhältnisses mit der Gemeinde nicht mehr nachkommen kann. Doch darf dieses Risiko nicht einseitig dem Geistlichen allein auferlegt werden.
D. Zwischenfazit zum Rechtsschutz der Geistlichen nach dem international-privatrechtlichen Ansatz Nach dem hier verfolgten international-privatrechtlichen Ansatz haben Geistliche und andere kirchendienstlich Beschäftigte vor staatlichen Gerichten nur einen stark eingeschränkten Rechtsschutz zu erwarten. Dies hängt vor allem mit der Wirkungsweise des ordre public zusammen. Abgesehen von den seltenen Fällen, in denen der positive ordre public greift und eine Norm des staatlichen Rechts unmittelbar auch auf Kirchendienstverhältnisse Anwendung findet, verbleibt nur der schwache Schutz des negativen ordre public über die Vorbehaltsklausel (Art. 6 EGBGB analog). Besonders zwei Aspekte reduzieren den praktisch zu erlangenden 162
VuVG VELKD, RsprB ABl EKD 1988, S. 16 (17). VGH EKU, RsprB ABl EKD 2004, S. 10 (11); RsprB ABl EKD 1992, S. 12 (15). 164 Link, FS Listl (1999), S. 503 (504). 165 de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 103. In diesem Fall wird sich die Kirchenleitung kirchenrechtlich indes zunächst darum bemühen müssen, den Frieden in der Gemeinde durch eine unmissverständliche Stellungnahme zugunsten des zu Unrecht angegriffen Pfarrers wiederherzustellen, so zutreffend Hermann Weber, ZevKR 15 (1970), S. 20 (29); Link, ZevKR 54 (2009), S. 122 (137). 166 Link, ZevKR 54 (2009), S. 122 (132 f.); Hermann Weber, ZevKR 15 (1970), S. 20 (35 f.); ähnlich v. Tiling, ZevKR 43 (1998), S. 55 (65 ff.); für eine restriktive Auslegung de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 103; für die Abschaffung der Wartestandsversetzung Dietrich, ZevKR 53 (2008), S. 141 (159). 163
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8. Kap.: Grenzen der kollisionsrechtlichen Verdrängung
Rechtsschutz maßgeblich: die Einzelfallbezogenheit der Vorbehaltsklausel und die Bildung eines hypothetischen Ersatzrechts als ihre Rechtsfolge. Die Einzelfallbezogenheit schließt eine abstrakte Normenkontrolle der einschlägigen kirchengesetzlichen Bestimmung aus und beschränkt das Eingreifen des ordre public auf Fälle, in denen nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls eine Grundrechtsverletzung vorliegt. Entscheidend aber ist die Rechtsfolge eines ordre-public-Verstoßes: nämlich dass im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion ein gerade noch mit dem ordre public vereinbares hypothetisches Ersatzrecht zu bilden ist. Der ordre public verlangt nicht, dass die Beendigung eines Dienstverhältnisses sachlich begründet ist, sondern lediglich, dass grundlose, also willkürliche Kündigungen nicht fristlos erfolgen: Fristlose Kündigungen dürfen nicht grundlos, grundlose Kündigungen nicht fristlos erfolgen. Vom Standpunkt des ordre public inakzeptable Beendigungsgründe werden daher bei der Bildung eines hypothetischen Ersatzrechts von der Wahrung einer entsprechenden Frist „aufgefangen“. Die Fristlänge orientiert sich dabei an § 622 BGB. Der Rechtsschutz Geistlicher vor staatlichen Gerichten erschöpft sich daher effektiv darin, dass diese noch für einige Folgemonate eine Weiterzahlung ihres Gehalts erstreiten können. Angesichts dieser ernüchternden Ergebnisse überrascht es, dass über Jahrzehnte darüber gestritten wurde, ob Klagen von Geistlichen und Kirchenbeamten aus dem Dienstverhältnis überhaupt zulässig sind. Von einer Gefährdung der kirchlichen Binnenorganisation kann keine Rede sein. Denn die ordre-public-Kontrolle verlangt in keinem Fall von der Kirche, dass sie ein Dienstverhältnis gegen ihren Willen dauernd aufrechterhält. Obwohl der hier vertretene Ansatz das Prinzip der Freiwilligkeit kirchlicher Rechtsverhältnisse betont, führt dies keineswegs zu einem Verfügungsrecht Einzelner über die kirchlichen Institutionen und Ämter. Der Staat ist kein taugliches Instrument, um innerkirchliche Reformen nach individuellen Wünchen zu erzwingen.167
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Vgl. Martin Heckel, AöR 134 (2009), S. 309 (338 f.).
Neuntes Kapitel
Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche im Bereich des kirchlichen Dienstrechts Bereits im zweiten Kapitel wurde ausführlich begründet, dass in Fragen des kirchlichen Dienstrechts der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet ist. Die Rechtsprechung kommt inzwischen grundsätzlich zum gleichen Ergebnis. Anders als die vorliegende Arbeit stützt sie dieses Ergebnis allein auf den Justiz gewährungsanspruch. Im Mittelpunkt der in dieser Arbeit angestellten Überlegungen stand hingegen die These, dass kirchliches Dienstrecht unter bestimmten Voraussetzungen Teil des materiellen Rechts ist, das der Richter kraft des Justizgewährungsanspruchs anzuwenden hat. Gravierende Folgen hat dieser unterschiedliche Ansatz, weil nach hier vertretener Auffassung die staatlichen Gerichte berufen und verpflichtet sind, kirchenrechtliche Bestimmungen auszulegen und anzuwenden. Die Rechtsprechung hat bisher dagegen nur solche Ansprüche als klagbar anerkannt, die sich unmittelbar aus staatlichem Recht ergeben. Auf der Grundlage der bisher erzielten Ergebnisse sollen im Folgenden noch prozessuale Fragen geklärt werden. Zunächst wird dabei erörtert, welcher Fachgerichtsweg für Klagen aus kirchenrechtlichen Dienstverhältnissen einschlägig ist. Anschließend wird der Frage nachgegangen, in welchem Verhältnis der staatliche Rechtsweg zu einem kirchlichen Rechtsweg steht.
A. Einschlägiger Fachrechtsweg Wenn kirchenrechtlich Beschäftigte dienstrechtliche Streitigkeiten austragen, kommen dafür grundsätzlich die Verwaltungsgerichte, die ordentlichen Gerichte und die Arbeitsgerichte in Betracht. Die weit überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur hält – mit unterschiedlichen Begründungsansätzen – die Verwaltungsgerichte für zuständig. Indessen wird sich zeigen, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise zuständig sind, nämlich wenn dies kirchenrechtlich angeordnet wurde. Regelmäßig hat die Klage vor den Arbeitsgerichten zu erfolgen, im Übrigen sind die ordentlichen Gerichte zuständig.
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
I. Frühere Rechtsprechung: § 135 BRRG als ausschließliche Zuweisung an die Verwaltungsgerichte Die frühere Rechtsprechung hat die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in dienstrechtlichen Streitigkeiten kirchenrechtlich Beschäftigter zunächst mit § 135 BRRG begründet. 1. Inhalt der früheren Rechtsprechung § 135 S. 1 BRRG schließt die Geltung des Beamtenrechtsrahmengesetzes für öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften aus. In § 135 S. 2 BRRG heißt es dann allerdings: „Diesen (sc. öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften) bleibt es überlassen, die Rechtsverhältnisse ihrer Beamten und Seelsorger diesem Gesetz entsprechend zu regeln und die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt II für anwendbar zu erklären“. Die Vorschrift wurde durch das Beamtenrechtsrahmengesetz von 1957 geschaffen. Sie besteht auch jetzt noch fort, obwohl weite Teile dieses Gesetzes inzwischen aufgehoben wurden. In dem Abschnitt, auf den in § 135 S. 1 BRRG verwiesen wird, findet sich die Vorschrift des § 126 Abs. 1 BRRG, in dem es wiederum heißt: „Für alle Klagen der Beamten, Ruhestandsbeamten, früheren Beamten und der Hinterbliebenen aus dem Beamtenverhältnis ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben“. Kurzgefasst besagen die beiden verschachtelten Regelungen also, dass es den öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften freisteht, für Streitigkeiten, die ihre „Beamten und Seelsorger“ betreffen, den Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten zu eröffnen. Keine ausdrückliche Regelung enthält die Vorschrift des § 135 S. 2 BRRG hingegen für den Fall, dass die Kirchen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Wie gesehen,1 betonte der Bundesgerichtshof in seiner früheren Rechtsprechung die vermeintliche Gleichordnung von Staat und Kirche. Der Staat habe durch § 135 S. 2 BRRG lediglich seine Bereitschaft erklärt, „für vermögensrechtliche Streitigkeiten der Pfarrer aus ihrem Dienstverhältnis staatliche Gerichte zur Verfügung zu stellen“2. Zugleich habe er damit „seine Ermächtigung zur Inanspruchnahme der Zivilgerichte insoweit widerrufen und statt dessen den Kirchen für die (kirchen-)beamtenrechtlichen Streitigkeiten den Verwaltungsrechtsweg zur Verfügung gestellt“3. Diese Formulierungen machen bereits deutlich, dass der Bundesgerichtshof damals die Justizgewährung zugunsten bzw. zulasten der Kirchen keineswegs als Grundfunktion des Staates ansah. Staatliche Rechtsprechung wurde nur als „Angebot“ des Staates an die Kirchen verstanden. Diese sollten nicht verpflichtet sein, sich 1
Dazu bereits oben Kapitel 3, A. I. BGHZ 46, 96 (101). 3 BGHZ 46, 96 (102); ähnlich bereits BGH, DVBl 1962, S. 530 (531). 2
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der staatlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen.4 Der Bundesgerichtshof nahm also den Standpunkt ein, dass für dienstrechtliche Streitigkeiten der kirchenrechtlich Beschäftigten nur mit Zustimmung der Kirche überhaupt der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten eröffnet sei.5 Dann jedoch seien ausschließlich die Verwaltungsgerichte zuständig, weil der Staat nur diese den Kirchen „zur Verfügung gestellt“ habe. 2. Kritik Die dargestellte Rechtsprechung ist überholt. Die ausschließliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte beruht auf einer Interpretation des § 135 BRRG, wie sie sich nur aus der früheren übereinstimmenden Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht ergeben kann, wonach die Kirche die Zuständigkeit staatlicher Gerichte in dienstrechtlichen Angelegenheiten der kirchenrechtlich Beschäftigten ganz auschließen könne. Nachdem beide Gerichte diese Rechtsprechung inzwischen aufgegeben haben, ist für das bisherige Verständnis von § 135 BRRG kein Raum mehr. Wenn § 135 BRRG es den Kirchen überlässt, denjenigen Abschnitt des Gesetzes für anwendbar zu erklären, der den Rechtsschutz der Beamten vor den Verwaltungsgerichten regelt, so kann daraus nicht (mehr) umgekehrt gefolgert werden, dass andernfalls überhaupt kein Rechtsschutz bestehe. Staatlicher Rechtsschutz ist vielmehr auch dann gegeben, wenn die Kirche von der Ermächtigung des § 135 S. 2 BRRG keinen Gebraucht gemacht hat. Dann aber kann die Vorschrift nur so verstanden werden, dass kirchendienstrechtliche Streitigkeiten eben nicht zwingend vor die Verwaltungsgerichte gehören; denn andernfalls wäre für die Ermächtigung der Kirchen, diese Streitigkeiten den Verwaltungsgerichten zuzuweisen, kein Raum. Übrigens sprechen bereits die Gesetzgebungsmaterialien aus den 1950er-Jahren dafür, dass der Gesetzgeber weder Rechtsschutz in Kirchensachen gänzlich aufheben noch auf den Verwaltungsrechtsweg beschränken wollte.6
4 BGHZ 46, 96 (98 f.); so bereits zuvor BGHZ 34, 372 (374); von kirchengerichtlicher Seite vgl. Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD, DVBl 1971, S. 117 (119). 5 So auch die Lesart von Mikat, FS BVerwG (1963) II, S. 315 (319). 6 Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks II/1549) fehlte noch der spätere explizite Hinweis auf den Abschnitt über den Rechtsweg. Stattdessen hieß es in § 136 S. 2 des Entwurfs: „Diesen (sc. den korporierten Religionsgesellschaften) bleibt es überlassen, die Rechtsverhältnisse ihrer Beamten und Seelsorger diesem Gesetz entsprechend zu regeln“ (a. a. O, S. 24). Bereits die Bundesregierung dachte dabei offenbar vorrangig an die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, wie ein Randhinweis der Begründung nahelegt: „ist es den Kirchen (…) ausdrücklich freigestellt, die Rechtsverhältnisse ihrer Beamten und Seelsorger dem Rahmengesetz entsprechend zu regeln, z. B. hinsichtlich des Rechtswegs“ (a. a. O., S. 63, Hervorhebung d. Verf.). Der mit dem Gesetzentwurf befasste Ausschuss für Beamtenrecht hat, dieser Intention folgend, den Entwurf dadurch konkretisiert, dass er den Nachsatz „und die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt II für anwendbar zu erklären“ (BTDrucks 3043, S. 73) hinzufügte.
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
Vielmehr ging es darum, alternativ zum Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu eröffnen.7
II. „Glockenläuten“-Rechtsprechung Obwohl die frühere Rechtsprechung aus den genannten Gründen auch gerade nach den eigenen Maßstäben der neueren Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht überholt ist, hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung von 2014 nicht weiter mit der Rechtswegfrage auseinandergesetzt. Vielmehr ging es wie selbstverständlich davon aus, dass Streitigkeiten um kirchliche Dienstverhältnisse vor die Verwaltungsgerichte gehörten. Zu einer Klärung der Rechtswegfrage sahen sich die Richter nicht einmal dadurch veranlasst, dass ein Jahrzehnt zuvor der Bundesgerichtshof in einem ähnlichen Fall judiziert und mit seinem „Paukenschlag“ die neue Rechtsprechung eingeleitet hatte. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs im damaligen Fall beruhte indes auf einem bindenden (§ 17a Abs. 2 S. 3 GVG) Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Köln an das Landgericht Köln.8 Die Karlsruher Richter gingen deshalb nicht näher auf die materielle Zulässigkeit des Zivilrechtswegs ein.9 Womöglich beruht das Schweigen des Bundesverwaltungsgerichts auf der (unzutreffenden) Annahme, die Rechtswegfrage sei hinreichend geklärt. 1. Inhalt der „Glockenläuten“-Rechtsprechung Welcher Rechtsweg für Klagen gegen Religionsgesellschaften einschlägig ist, hat die Rechtsprechung ausgiebig für nachbarschaftliche Klagen gegen kirchliches Glockenläuten erörtert. Als sich in den 1970er-Jahren derartige Klagen häuften, ging die herrschende Meinung im Schrifttum zunächst davon aus, dass die Zivilgerichte zuständig seien. Welche Schallimmissionen zulässiger Weise vom Glockenläuten ausgehen dürften, sei im Verhältnis zwischen Kirchengemeinde und Anwohnern eine Frage des privatrechtlichen Nachbarschaftsrechts.10 Dem folgten zunächst auch die Verwaltungsgerichtshöfe von Bayern und Baden-Württemberg.11 Gegen diese Ende der 1970er-Jahre herrschende Auffassung wandte sich 1983 Josef Isensee mit einem Beitrag, auf den sich später maßgeblich das Bundesverwaltungs 7 So noch eingehend v. Campenhausen, Staatskirchenrecht (2. Aufl.), S. 206 f.; ders., AöR 112 (1987), S. 623 (629). 8 Vgl. OLG Köln, Urt. v. 23.7.2002, Az.: 24 U 49/02, S. 5 (insoweit nicht veröffentlicht). 9 Vgl. BGHZ 154, 306 (311). 10 Stolleis, ZevKR 17 (1972), S. 150 (152); ders., BayVBl 1972, S. 23; v. Campenhausen, DVBl 1972, S. 316 (319). 11 BayVGH, KirchE 18, 66 (67); zust. Schatzschneider, BayVBl 1980, S. 564 (565); VGH Bad.-Württ., KirchE 18, 429 (430).
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gericht berief. Isensee erklärte die Rechtswegfrage zur „Systemfrage an das Staatskirchenrecht“12. Die Formgarantie zugunsten der korporierten Religionsgesellschaften laufe leer, wenn nur solche Akte als öffentlich-rechtlich gelten würden, die auf staatliche Delegation zurückgingen.13 Isensee meint sogar, die Kirchen wären „effektiv zu privatrechtlichen Vereinen degradiert“14, wenn entsprechende Streitigkeiten den Zivilgerichten zugewiesen seien. Von Verfassungs wegen müsse daher vermutet werden, dass bei typischen Lebensäußerungen korporierter Religionsgesellschaften öffentlich-rechtliches Handeln vorliege.15 Den Kirchen soll also ein öffentlich-rechtlicher Gesamtstatus zukommen.16 Diese Auffassung hat sich wenige Monate später das Bundesverwaltungsgericht in seinem Grundsatzurteil zum liturgischen Glockenläuten zu eigen gemacht. Der Sinn der Anerkennung von Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts gebiete es, „deren Wirken, soweit es der staatlichen Rechtsordnung unterliegt, grundsätzlich dem öffentlichen Recht“17 zuzurechnen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieses sehr prinzipielle Diktum später zwar vorsichtig in zwei Fällen eingeschränkt. Demnach sollen die Zivilgerichte zuständig sein für das Zeitschlagen eines Kirchturms18 sowie für einen Rechtsstreit über ein Hausverbot in einem kirchlichen Kindergarten.19 Insgesamt ist das Bundesverwaltungsgericht allerdings nicht von seiner Kernaussage abgerückt, dass bereits aus dem Körperschaftsstatus an sich eine verfassungsrechtliche Vermutung für öffentlich-rechtliches Handeln und die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte folge.20 Seither neigt die Rechtsprechung dazu, den Körperschaftsstatus zum entscheidenden Kriterium für die Bestimmung des Rechtswegs zu machen.21 Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat zunächst Akzeptanz bei den Oberverwaltungsgerichten gefunden. So rechnet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Anschluss an die höchstrichterliche Rechtsprechung inzwischen sogar Kindergeschrei, das von Gruppenstunden der Pfarrjugend auf einem Pfarrgrundstück ausgeht, den typischen kirchlichen Lebensäußerungen zu und bejaht für eine
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Isensee, GS Constantinesco (1983), S. 301. Isensee, GS Constantinesco (1983), S. 301 (315). 14 Isensee, GS Constantinesco (1983), S. 301 (316). 15 Isensee, GS Constantinesco (1983), S. 301 (317). 16 Dazu bereits Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 65 ff.; zur prinzipiellen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, S. 101 ff. 17 BVerwGE 68, 62 (65); ähnlich zuvor schon VG Karlsruhe, KirchE 18, 268. 18 BVerwG, NJW 1994, S. 956; anders noch VG München, KirchE 31, 112 (116). OVG Lüneburg, NdVBl 1996, S. 70 hielt in einem Fall den Verwaltungsrechtsweg gegen das Zeitschlagen für eröffnet, indem die Kirchengemeinde diesem – ausdrücklich sogar dem Viertelstundenschlag – einen liturgischen Zweck beimaß. Nach diesem Maßstab hängt die Beantwortung der Rechtswegfrage vom Prozessvortrag der beklagten Kirchengemeinde ab. 19 BVerwG, NVwZ 1987, S. 677. 20 BVerwGE 68, 62 (65). 21 Dazu näher Laubinger, VerwArch 83 (1992), S. 623 (639). 13
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
hiergegen gerichtete Abwehrklage den Verwaltungsrechtsweg.22 Vor allem aber haben sich auch die Zivilgerichte der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen.23 Der Bundesgerichtshof vertritt, dass für Abwehransprüche gegen Äußerungen kirchlicher Sektenbeauftragter die Verwaltungsgerichte zuständig seien.24 Denn zwischen einer korporierten Religionsgesellschaft und einem Bürger bestehe nach Verfassungsrecht kein Gleichordnungsverhältnis.25 Konsequent bejaht der Bundesgerichtshof für derartige Äußerungen die Möglichkeit von Amtshaftungsansprüchen.26 Diese inzwischen gefestigte Rechtsprechung hat auch ihre Wirkung auf die Literatur nicht verfehlt. Die Positionierung des Bundesverwaltungsgerichts, welche immerhin der damals im Schrifttum herrschenden Meinung widersprach, fand bereits unmittelbar nach dem Urteil deutlichen Zuspruch.27 Obwohl die Kritik nie völlig verstummt ist,28 hat die Kommentarliteratur zu § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO die Position der Rechtsprechung überwiegend übernommen.29 Vereinzelt wird sogar weiterhin gefordert, das Glockenläuten der Kirchen gehöre im Unterschied zu entsprechenden Betätigungen privater Religionsgesellschaften stets, also auch im Falle des Zeitschlagens, vor die Verwaltungsgerichte.30 2. Kritik Mit seiner These, die typischen Lebensäußerungen der Kirche müssten als öffentlich-rechtlich behandelt werden, wollte Isensee die privilegierte Stellung der Kirchen sichern. Die Rechtswegfrage zur „Systemfrage an das Staatskirchenrecht“31 zu erklären, bauscht das Problem indes unnötig auf. Schon die Wortwahl – zu pri 22
VGH München, NVwZ-RR 2004, S. 722 f. Zum Glockenläuten bereits OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, S. 735 (736). 24 BGHZ 148, 307 (309 ff.). 25 BGHZ 148, 307 (311). 26 BGHZ 154, 54 (57). 27 So Sperling, BayVBl 1984, S. 569 (570); Renck, BayVBl 1986, S. 273; Müssig, DVBl 1985, S. 837 (839 ff.); nur i. E. und den Verwaltungsgerichtsweg auch für das Zeitschlagen bejahend Laubinger, VerwArch 83 (1992), S. 623 (645; 647). 28 Vgl. Schatzschneider, NJW 1984, S. 991; Lorenz, JuS 1995, S. 492 (493 f.); ders., NJW 1996, S. 1855 f.; im Hinblick auf die Begründung scharfe Kritik, i. E. aber ebenso wie das BVerwG Goerlich, JZ 1984, S. 221 (222 f.); jüngst noch einmal voll auf Linie der Rspr. Hammer, KuR 2016, S. 37 (38 ff.); ablehnend zur BGH-Rspr. zu den Äußerungen kirchlicher Sektenbeauftragter Muckel, JZ 2002, S. 192 (193); Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 584 ff. 29 W.-R. Schenke / Ruthig, in: Kopp / Schenke, VwGO, § 40 Rn. 40; Rennert, in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn. 97; Reimer, in: BeckOK-VwGO (Stand: 1.4.2016), § 40 Rn. 70a; krit. im Hinblick auf einen öffentlich-rechtlichen „Gesamtstatus“ der Religionsgesellschaften, gleichwohl in Bezug auf das Glockenläuten auf einer Linie mit dem BVerwG Ehlers / Schneider, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 40 (Stand: 28. EL 2015) Rn. 475 f., 478. 30 Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, S. 306 f. 31 Isensee, GS Constantinesco (1983), S. 301. 23
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vatrechtlichen Vereinen „degradiert“32 – zeigt, dass Isensees Überlegungen von einem überkommenen Rangdenken bestimmt sind.33 Die Stellung der Kirche als eines „gewaltigen Gemeinwesens“34 (Johannes Heckel) soll dadurch verteidigt werden, dass ihre Rechtsverhältnisse genau wie staatliche Rechtsverhältnisse zu einem „Sonderrecht“ erklärt werden. Dass der verwaltungsrechtliche Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts ein anderer ist als der religionsverfassungsrechtliche,35 wird damit allerdings ignoriert und unterlaufen. Mit dem Körperschaftsstatus die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs zu begründen, rückt die Religionsgesellschaften auf problematische Weise in die Nähe des Staates.36 Der von Isensee angenommene öffentlich-rechtliche Gesamtstatus der Kirchen widerspricht im Übrigen den bisherigen Ergebnissen dieser Arbeit. Danach sind die Rechtsverhältnisse der Kirchen materiell privatrechtliche Rechtsverhältnisse.37 Das gilt auch für die Kirchendienstverhältnisse.38 Konsequenterweise kann der These, die Kirchendienstverhältnisse gehörten schon wegen ihrer öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur vor die Verwaltungsgerichte, hier nicht gefolgt werden. Jenseits dieser materiellen Qualifikation garantiert Art. 137 Abs. 5 WRV den Kirchen auch nicht aus „Standesgründen“, dass kirchliches Recht stets vor den Verwaltungsgerichten zu verhandeln wäre. Denn als die Weimarer Verfassung geschaffen wurde, gab es noch gar keine umfassende Verwaltungsgerichtsbarkeit.39 Nicht einmal für die Rechtsstreitigkeiten der Weimarer Staatsbeamten waren die Verwaltungsgerichte zuständig. Wenn Art. 129 Abs. 1 S. 4 WRV von der Eröffnung des Rechtswegs für vermögensrechtliche Streitigkeiten der Beamten sprach, so war damit der ordentliche Rechtsweg gemeint.40 Entsprechendes galt nach der – umstrittenen – Rechtsprechung des Reichsgerichts für die Kirchenbeamten.41 An diesem Befund hat sich durch die Inkorporation der Weimarer Staatskirchenartikel in das Grundgesetz nichts geändert. Denn auch bei Inkrafttreten des Grundgesetzes be 32 Isensee, GS Constantinesco (1983), S. 301 (316); an anderer Stelle hat Isensee selbst den Zusammenhang von Regelungskompetenz im Dienstrecht und Privatautonomie herausgestellt und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zur „bereichsspezifische[n] Bastion der Privatautonomie“ erklärt, in: FS Obermayer (1986), S. 203 (205). 33 Vgl. Renck, BayVBl 1984, S. 708 (711): „Bann einer Mystifikation“, „Herkunft aus der monarchischen Vorzeit des Gottesgnadentums“. 34 Johannes Heckel, VerwArch 37 (1932), S. 280 (283). 35 Dazu bereits oben Kapitel 1, B. 36 Lorenz, JuS 1995, S. 492 (493); Mikat, FS BVerwG (1963) II, S. 315 (325); Goerlich, JZ 1984, S. 221 (223). 37 Kapitel 6, B. II. 2. c). 38 Kapitel 6, B. III. 39 Instruktiv die Ausführungen von Anschütz, WRV, Art. 107 Anm. 1 ff. Demnach war die geforderte Einrichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit lediglich als nicht unmittelbar rechtsverbindlicher Programmsatz zu verstehen (Anm. 3). Unter Verwaltungsgerichten verstand Anschütz im Übrigen keine „echten“ Gerichte, sondern „Behörden die im Hinblick auf ihren Zweck (…) gerichtsähnlich gestaltet sind“ (Anm. 1). 40 Vgl. nur Anschütz, WRV, Art. 129 Anm. 6. 41 RGZ 114, 220 (223 f.; 225); RG, JW 1927, S. 1253 (1254).
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fand sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit noch im Aufbau; die verwaltungsgerichtliche Generalklausel, § 40 VwGO, trat erst 1960 mit der Verwaltungsgerichtsordnung in Kraft. Diametral entgegen ihrem Anliegen schafft die These Isensees sogar die Gefahr, dass die grundrechtliche Freiheit der Kirchen geschmälert wird. Die vermeintliche Privilegierung erweist sich in Wahrheit als Danaergeschenk. Denn wenn kirchliche Streitigkeiten öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Sinne von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sein sollen, gibt es kaum einen Grund, warum kirchliche Gewalt nicht auch öffentliche Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG sein soll. Die vermeintlich zwingende Zuweisung kirchlicher Streitigkeiten zu den Verwaltungsgerichten wirft letztlich die Frage nach der gesamten öffentlich-rechtlichen Pflichtenbindung der korporierten Religionsgesellschaften wieder auf, bis hin zur unmittelbaren Grundrechtsbindung.42 Besonders deutlich wird dies an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Amtshaftungsansprüchen, denen die Kirchen im Zusammenhang mit Äußerungen ihrer Sektenbeauftragten ausgesetzt sind. Nach Auffassung der Karlsruher Richter korrespondiert mit der Rechtsposition einer korporierten Religionsgesellschaft eine erhöhte Verantwortung.43 Deshalb seien kirchliche Amtsträger, die sich in amtlicher Eigenschaft äußerten, weitergehenden Bindungen im öffentlichen Meinungskampf unterworfen als einzelne Bürger oder als Vertreter von nicht korporierten Religionsgesellschaften.
III. Eigener Ansatz Eine sachgerechte Beantwortung der Rechtswegfrage muss bei den einschlägigen einfachgesetzlichen prozessualen Bestimmungen ansetzen. Denn aus dem Verfassungsrecht gibt es hierzu keine Vorfestlegung. 1. Das staatliche Angebot: Verwaltungsrechtsweg Nach dem einschlägigen Gesetzesrecht haben es die Kirchen selbst in der Hand, ihre dienstrechtlichen Streitigkeiten den Verwaltungsgerichten zuzuweisen. § 135 S. 2 BRRG i. V. m. § 126 BRRG räumt den korporierten Religionsgesellschaften die Möglichkeit ein, eine aufdrängende Sonderzuweisung für den Verwaltungsrechtsweg zu schaffen.44 Nach dem Wortlaut wie auch nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers sollte es den Kirchen überlassen bleiben, diesen Rechtsweg für ihre
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Dazu bereits eingehend Kapitel 6, B. II. 2. c) und d). BGHZ 154, 54 (63); ähnlich, aber ohne klares Ergebnis Klostermann, in: HdbEvKR, § 22 Rn. 10 f. 44 Ebenso stützt Obermayer, ZevKR 18 (1973), S. 247 (255) die Eröffnung des Verwaltungsgerichtswegs auf §§ 135, 126 BRRG. 43
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kirchenrechtlich Beschäftigten zu wählen. Wie eingangs dargelegt, ist die Bestimmung später dahingehend missverstanden worden, dass die Kirchen nur die Wahl hätten, entweder den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet zu erklären oder aber den Rechtsweg zu staatlichen Gerichten vollständig versperrt zu lassen. Diese Position ist überholt. Denn wie die Rechtsprechung nunmehr zu Recht anerkennt, kommt ein Ausschluss des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten nicht in Betracht; der Staat ist an den allgemeinen Justizgewährungsanspruch gebunden. Unter diesen Vorzeichen ist § 135 S. 2 BRRG so zu verstehen, dass neben dem Verwaltungsrechtsweg auch ein anderer staatlicher Rechtsweg eröffnet sein kann. Die Vorschrift lässt den Kirchen die Wahl zwischen dem Verwaltungs- und dem ordentlichen Rechtsweg in dienstrechtlichen Angelegenheiten.45 Hat die Kirche keine aufdrängende Sonderzuweisung zugunsten der Verwaltungsgerichte erlassen oder hat sie den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten – unzulässigerweise – für gänzlich verschlossen erklärt, so ist § 135 S. 2 BRRG im Umkehrschluss zu entnehmen, dass der Verwaltungsrechtsweg eben nicht eröffnet ist. 2. Keine Anwendung der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel Hieran ändert auch die verwaltungsgerichtliche Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO nichts. Zunächst bestehen bereits Zweifel, ob diese Vorschrift anwendbar sein kann, denn § 135 S. 2 BRRG geht als lex specialis der Anwendung von § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vor. Würde man die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte bereits mit der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel begründen können, wäre § 135 S. 2 BRRG überflüssig. Sie ist aber auch in der Sache nicht einschlägig. Nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg nur bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten eröffnet. Prozessrechtlich schlägt sich damit die materielle Unterscheidung von öffentlichem und Privatrecht in der Unterscheidung von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO und von bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten nach § 13 GVG nieder. Die Art der Streitigkeit ergibt sich aus der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird.46 § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO setzt einfachgesetzlich die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG um. Daher muss auch der Begriff „öffentlich-rechtliche Streitigkeit“ in § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO im Zusammenhang mit der Garantie vor Maßnahmen der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) verstanden werden. Art. 19 Abs. 4 GG meint die staatliche und vom
45
Ebenso Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 WRV Rn. 114; 124; aber inkonsequent in Rn. 215. 46 GmSOBG, BSGE 37, 292; GmSOBG, BGHZ 97, 312 (313 f.); 102, 280 (283); BGHZ (GrSZ) 66, 229 (232); 67, 81 (85).
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Staat abgeleitete Gewalt.47 Kennzeichen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit ist daher in der Regel ein hoheitliches Verhältnis der Über- und Unterordnung.48 Kirchen üben keine öffentliche Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG aus49; Kirchendienstverhältnisse sind materiell privatrechtliche Rechtsverhältnisse.50 Daher ist § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO gerade nicht einschlägig. 3. Zuständigkeit der Zivilgerichte Streitigkeiten über kirchendienstliche Maßnahmen sind daher bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten im Sinne von § 13 GVG, sodass der Rechtsweg zu den ordent lichen Gerichten eröffnet ist. Davon ausgehend stellt sich allerdings die Anschlussfrage, ob die Arbeitsgerichte als spezielle Zivilgerichte zuständig sind. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG weist sämtliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus einem Arbeitsverhältnis ergeben, den Arbeitsgerichten zu. Entscheidend für den Rechtsweg ist demnach, ob kirchenrechtlich Beschäftigte unter den Arbeitnehmerbegriff des § 5 ArbGG fallen. a) Frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Einklang mit der früheren bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage 1990 verneint. Beschäftigte, die auf kirchenrechtlicher Basis tätig sind, seien keine Arbeitnehmer.51 Indes beruhte diese Einschätzung noch auf der früheren Rechtsprechungslinie des Bundesverwaltungsgerichts, die Geistlichen generell den Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten versagte. Das Bundesarbeitsgericht lehnte nämlich damals jeglichen staatlichen Rechtsschutz ab und fasste daher auch keinen Verweisungsbeschluss.52 Die Entscheidung ist damit heute überholt. Anders als das Bundesarbeitsgericht es im Ergebnis annahm, kann heute kirchenrechtlich geregelten Dienstverhältnissen, wie bereits ausführlich dargelegt, die Qualität als materielles klagbares Recht auch im Sinne der staatlichen Rechtsordnung nicht abgesprochen werden.
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Rüfner, EssG 7 (1972), S. 9 (25). GmSOBG, BGHZ 97, 312 (314), 102, 280 (283). 49 Eigehend Kapitel 6, B. II. 2. c). 50 Eingehend Kapitel 6, B. II. 2. c) und B. III. 51 BAGE 64, 131 (136 f.). 52 Vgl. BAGE 64, 131 (138). 48
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b) Kirchenrechtlich Beschäftigte keine Beamte im Sinne von § 5 Abs. 2 ArbGG § 5 Abs. 2 ArbGG stellt ausdrücklich klar, dass Beamte in ihrer Eigenschaft als Beamte keine Arbeitnehmer sind. Kirchenrechtlich Beschäftigte, auch soweit sie kirchenrechtlich als „Kirchenbeamte“ bezeichnet werden, fallen jedoch nicht unter diesen Beamtenbegriff und bleiben daher von der Vorschrift unberührt.53 Die Norm hat klarstellenden Charakter, dass materielle öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse nicht vor die Arbeitsgerichtsbarkeit gehören. Bei den Kirchendienstverhältnissen handelt es sich aber materiell-rechtlich gerade nicht um öffentlichrechtliche, sondern um privatrechtliche Dienstverhältnisse. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass das kirchenrechtliche Selbstverständnis nicht ohne weiteres auf Begriffe des staatlichen Rechts übertragen werden kann. Hätte der Gesetzgeber in § 5 Abs. 2 ArbGG auch kirchenrechtlich Beschäftigte vom Arbeitnehmerbegriff ausschließen wollen, so hätte es nahegelegen, zumindest Geistliche separat zu benennen. Dieser klarstellende Sprachgebrauch findet sich beispielsweise in den einschlägigen Befreiungstatbeständen der gesetzlichen Sozialversicherung und in § 135 S. 2 BRRG. Auch die Gesetzgebungsmaterialien geben nichts dafür her, dass kirchenrechtlich Beschäftigte vom Arbeitnehmerbegriff ausgeschlossen wären.54 Schließlich ist zu bedenken, dass der Gesetzgeber in § 135 S. 2 BRRG davon ausging, dass die Kirche zwar Streitigkeiten in Bezug auf ihre kirchenrechtlich Beschäftigten den Verwaltungsgerichten zuweisen könne, dass dies aber keineswegs zwingend sei. Dem lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber, wie dies von katholischer Seite mehrfach gefordert wurde,55 auch die Ausbildung eines eigenen kirchlichen Arbeitsrechts, d. h. kirchenrechtlicher Bestimmungen als Ersatz für die §§ 611 ff. BGB (heute § 611a BGB), für möglich hielt. c) Privatvertragliche Beschäftigung Notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses ist stets, dass die Arbeitsleistung vertraglich vereinbart wurde.56 Dem scheint zunächst das kirchenrechtliche Selbstverständnis entgegenzustehen, wonach kirchenrechtlich Beschäftigte typischerweise eben nicht auf der Grundlage eines Vertrages, sondern einseitig, nämlich durch Ernennung oder Weihe, in das Dienstverhältnis 53 A. A. Müller-Glöge, in: Germelmann / Matthes / Prütting, ArbGG, § 5 Rn. 52 für Kirchenbeamte. 54 Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird lediglich auf den ähnlichen § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes von 1926 verwiesen (vgl. BTDrucks I/3516, S. 25). In der damaligen Begründung der Reichsregierung wird die Frage der Kirchenbeamten nicht thematisiert (vgl. RTDrucks III/2065, S. 57). 55 Zu diesen Folgerungen aus der Lehre von der Dienstgemeinschaft oben Kapitel 5, B. II. 56 Müller-Glöge, in: Germelmann / Matthes / Prütting, ArbGG, § 5 Rn. 5.
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
berufen werden.57 Hier gilt es allerdings erneut strikt zu trennen zwischen dem kirchenrechtlichen Selbstverständnis einerseits und dessen Rechtswirkungen im staatlichen Bereich andererseits. Denn wie oben bereits gezeigt wurde, lässt das staatliche Recht kein einseitig auferlegtes Dienstverhältnis zu. Erforderlich ist stets eine Willensübereinkunft zwischen den Beteiligten, hier also zwischen der Kirche und ihrem Beschäftigten. Grundlage dafür, dass das Dienstverhältnis im staatlichen Bereich als wirksam anerkannt werden kann, ist diese Willensübereinkunft.58 Die Arbeitnehmereigenschaft des Beschäftigten wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Rechtsverhältnis nach dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung nicht von den §§ 611a ff. BGB und dem staatlichen Arbeitsrecht geregelt werden soll, sondern das stattdessen die einschlägigen kirchenrechtlichen Bestimmungen gelten sollen. Denn nach der Rom-I-Verordnung kann im Einzelfall auch ein ausländisches Arbeitsrecht gelten, was die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nicht berührt. Die privatvertragliche Beschäftigung muss indes noch von der Beschäftigung kraft Satzung abgegrenzt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt als Rechtsgrundlage für die Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit auch die Mitgliedschaft in einem Verein in Betracht.59 Diese Dienste können nämlich Teil der Beitragsabrede in der Vereinssatzung sein.60 Nach Auffassung des Gerichts war ein „hauptamtliches Mitglied“ der Scientology-„Kirche“ nicht als Arbeitnehmer beschäftigt, obwohl der Betroffene im Umfang von mindestens 29,5 Wochenstunden nach Weisung der „Kirche“ für diese tätig geworden war.61 Die Sache wurde daher an die ordentlichen Gerichte verwiesen.62 Die Entscheidung lässt sich allerdings nicht verallgemeinern und dürfte auf die kirchenrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse katholischer und evangelischer Geistlicher und Kirchenbeamter nicht übertragbar sein. Denn das Bundesarbeitsgericht beließ es nicht bei der Feststellung, dass der Inhalt des Dienstverhältnisses von der Vereinssatzung bestimmt war. Vielmehr lehnte das Gericht ein Arbeitsverhältnis wegen der tatsächlichen Umstände des Beschäftigungsverhältnisses ab. Untypisch für ein Arbeitsverhältnis war im konkreten Fall, dass der Betroffene seine Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestalten konnte63 und Einfluss auf Leitung, Organisation und Entscheidungen des Vereins hatte.64 Außerdem ging das Gericht davon aus, dass kein Austauschverhältnis zwischen der Vergütung und der erbrachten Arbeitsleistung vereinbart war, denn die Scientology-„Kirche“ hatte sich von vornherein nur zur unregelmäßigen Leistung eines monatlichen „Taschengeldes“ 57
Zu diesem kirchenrechtlichen Selbstverständnis vgl. oben Kapitel 2, A. IV. 1. a) und B. IV. 1. a). Oben Kapitel 6, B. II., B. III. 59 BAGE 2, 289 (291); 27, 163 (168 f.); 79, 319 (357); 80, 256 (262); 103, 20 (26). 60 BAGE 103, 20 (27). 61 Vgl. BAGE 103, 20 (27 ff.); anders noch in einem ähnlichen Fall BAGE 79, 319 (355 ff.). 62 Vgl. BAGE 103, 20 (30). 63 BAGE 103, 20 (27). 64 BAGE 103, 20 (28). 58
A. Einschlägiger Fachrechtsweg
277
in geringer Höhe verpflichtet und der Betroffene bezog seinen Unterhalt aus einer Erwerbsarbeit, die in keinem Zusammenhang mit der Scientology-„Kirche“ stand.65 Von den genannten Merkmalen trifft auf Geistliche und Kirchenbeamte der beiden christlichen Großkirchen nur eines zu: Auch sie haben über verschiedene Gremien Einfluss auf die Kirchenleitung. Hingegen können sie ihre Arbeitszeit nicht frei gestalten, weil sie insoweit an die Vorgaben des Dienstherrn gebunden sind. Zwar geht das kirchenrechtliche Selbstverständnis davon aus, dass die Vergütung der Geistlichen und Kirchenbeamten nicht in einem Austauschverhältnis zu den erbrachten Diensten stehe, sondern dass die Vergütung eine „beamtenmäßige“ Unterhaltsleistung sei. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft kommt es indes stets auf die wirklichen Verhältnisse an (§ 611a S. 5, 6 BGB). Danach besteht ein Austauschverhältnis, weil die „Besoldung“ der Geistlichen Kehrseite der Dienstpflichten ist. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass es den Kirchen freisteht, gemäß § 135 S. 2 BRG die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu begründen, wenn sie Wert darauf legen, dass ihr kirchenrechtliches Selbstverständnis in der Zuweisung zu einem entsprechenden staatlichen Rechtsweg zum Ausdruck kommt. Macht die Kirche davon keinen Gebrauch, so muss sie sich an den tatsächlichen Verhältnissen festhalten lassen. Anders, als es das Bundesarbeitsgericht für das „hauptamtliche“ Mitglied der Scientology-„Kirche“ annahm, wird man dementsprechend bei Geistlichen und Kirchenbeamten der christlichen Großkirchen annehmen müssen, dass die Dienstpflichten nicht bloß kirchenmitgliedschaftliche Beitragspflichten sind. Es entspricht auch dem kirchlichen Selbstverständnis, dass Dienstverhältnisse der Geistlichen von deren Kirchenmitgliedschaft zu unterscheiden sind. Anders verhält es sich, wenn die Dienstpflichten auf der Mitgliedschaft in einer besonderen geistlichen Gemeinschaft beruhen, etwa bei Ordensangehörigen. In diesen Fällen mag das Dienstverhältnis tatsächlich als Teil der Mitgliedschaft zu der jeweiligen Religionsgesellschaft ausgestaltet sein, sodass es an der privatvertraglichen Beschäftigung fehlt. Zuständig sind dann die ordentlichen Gerichte. Freilich ändert das nichts daran, dass materiell die oben beschriebenen Grenzen für derartige kirchenrechtliche Dienstverhältnisse zu beachten sind. Das Bundesarbeitsgericht hatte in dem erörterten Fall ebenfalls klargestellt, die mitgliedschaftliche Ausgestaltung dürfe nicht dazu führen, dass zwingende Arbeitnehmerschutzvorschriften umgangen würden.66
65
BAGE 103, 20 (28). BAGE 103, 20 (27 und Ls.).
66
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
d) Vorliegen der typischen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses Privatvertragliche Dienstpflichten allein begründen aber noch nicht die Arbeit nehmereigenschaft des Beschäftigten. Arbeitnehmer ist, wer – auf privatvertraglicher Basis – im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.67 Diese Merkmale werden bei den Geistlichen und so genannten Kirchenbeamten regelmäßig, aber nicht in jedem Einzelfall erfüllt sein. Bekanntlich richtet sich die nähere Bestimmung der insoweit entscheidenden Begriffe „Abhängigkeit“ und „Weisungsgebundenheit“ nicht nach einer abstrakten Definition, sondern nach typologischen Indizien, die für ein Arbeitsverhältnis sprechen (vgl. § 611a S. 5 BGB). Diese sind bei Geistlichen regelmäßig erfüllt: Es handelt sich um eine auf Dauer angelegte Tätigkeit, die nur für einen einzigen Auftraggeber erfolgt. Die Dienste müssen in eigener Person erbracht werden. Die Arbeitsmittel werden von der Kirche bereitgestellt. Der Geistliche trägt keinerlei unternehmerisches Risiko. Obwohl Geistliche häufiger an der Spitze einer selbständigen Pfarrei stehen, wird ihre Arbeitnehmereigenschaft nicht durch § 5 Abs.1 S. 3 ArbGG in Frage gestellt. Dienstherr ist nämlich regelmäßig nicht die Pfarrei, sondern die Landeskirche (vgl. § 2 Abs. 1 PfDG.EKD) bzw. beim Inkardinationsverhältnis katholischer Geistlicher der Diözesanobere persönlich. Lediglich bei leitenden Geistlichen bzw. Beschäftigen wie beispielsweise dem Bischof, dem Superintendenten, dem Vizepräsidenten oder dem Generalvikar kann die Arbeitnehmereigenschaft wegen § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG zu verneinen sein. 4. Ergebnis zum einschlägigen Rechtsweg Welcher Rechtsweg für Klagen im Zusammenhang mit kirchenrechtlichen Beschäftigten einschlägig ist, kann nicht pauschal bestimmt werden. § 135 S. 2 BRRG ermöglicht es der Kirche, derartige Streitigkeiten den Verwaltungsgerichten zuzuweisen. Die Kirche ist nicht gezwungen, von ihrer Befugnis Gebrauch zu machen; ihr Unterlassen kann darin bestehen, dass sie den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten gar nicht regelt, aber auch darin, dass sie ihren Beschäftigten untersagt, staatliche Gerichte anzurufen. Dann handelt es sich jeweils um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne von § 13 GVG. Zuständig sind unter den Voraussetzungen des § 5 ArbGG die Arbeitsgerichte, was der Regelfall ist. Im Übrigen sind die ordentlichen Gerichte zuständig. Im Ergebnis besteht für die Kirchen in dienstrechtlichen Angelegenheiten ein Wahlrecht zwischen der Verwaltungs- und der Arbeitsgerichtsbarkeit.68 67 So die anerkannte Definition des Arbeitnehmerbegriffs in Rspr. und Lit.; vgl. nur MüllerGlöge, in: Germelmann / Matthes / Prütting, ArbGG, § 5 Rn. 4. 68 Ähnlich – jeweils ohne die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte zu erwägen – Spanhel, Kirchenrecht in der staatlichen Rechtsordnung, S. 144 f.; Unruh, Religionsverfassungsrecht, Rn. 222; ders., in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 WRV Rn. 114, 124, aber inkonsequent in Rn. 215.
B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlichen Rechtsweg 279
B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlich vorgesehenen Rechtsweg B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlichen Rechtsweg
Die beiden Großkirchen und auch andere Religionsgesellschaften haben eine eigene Kirchengerichtsbarkeit eingerichtet. Die katholische Kirche verfügt traditionell über eine eigene Gerichtsbarkeit, wobei Verwaltungsverfahren in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle spielen. In der evangelischen Kirche hat sich eine eigene Gerichtsbarkeit erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt; dafür liegt hier gerade der Schwerpunkt auf Verwaltungsstreitigkeiten. Der Rechtsweg zu den Kirchengerichten ist insbesondere in dienstrechtlichen Streitigkeiten eröffnet. Diese Parallelität von staatlichem und kirchlichem Rechtsweg führt zu der Frage, in welchem Verhältnis beide Rechtswege zueinander stehen.
I. Kein Ersatz staatlicher Gerichte durch kirchliche Gerichte Vereinzelt ist im Schrifttum erwogen worden, dass der Justizgewährungsanspruch durch kirchliche Gerichte erfüllt werden könne.69 Diese Ansicht hat sich allerdings zu Recht nicht durchsetzen können. Kirchliche Gerichte sind, wie private Gerichte allgemein,70 keine Gerichte im Sinne von Art. 92 GG.71 Denn das Grundgesetz versteht unter Rechtsprechung die Ausübung staatlicher Gewalt. Der Justizgewährungsanspruch richtet sich demgemäß an die staatlichen Gerichte und kann auch nur durch staatliche Rechtsprechung erfüllt werden.72 Dem Staat ist es verboten, „seine Bürger in einen von ihm nicht kontrollierten Raum zu verstoßen“73. Der Ausschluss staatlicher Gerichtsbarkeit verletzt daher die „verfassungsrechtlichen Maximalgrenzen der Verbandsautnomie“74. Nur die staatlichen Gerichte gewähren ein Höchstmaß an Unparteilichkeit und Unbefangenheit. Nur sie tragen umfassend zur Verwirklichung der Grundrechtsordnung im gesamten Rechtsleben bei, da die staatlichen Gerichte unmittelbar grundrechtsgebunden sind (Art. 1 Abs. 3 GG) und die Grundrechtskonformität ihres Handelns durch Urteilsverfassungsbeschwerde überprüft werden kann (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Schließlich ist es wegen des staatlichen Gewaltmonopols auch ausschließlich den staatlichen Gerichten vorbehalten, unmittelbar einen Vollstreckungstitel zu erlassen. Die kirchlichen Gerichte können all diese Funktionen nicht in gleicher Weise
69
So Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 116 ff. Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 92 Rn. 28. 71 Hermann Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 136 f.; Kästner, ZevKR 49 (2004), S. 171 (188); ders., in: BK, Art. 140 (Stand: 144. EL 2010) Rn. 66; Evers, in: FS Ruppel (1968), S. 329 (343); Schenke, FS Faller (1984), S. 133 (136). 72 Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 27. 73 Vieweg, Normsetzung und -anwendung deutscher und internationaler Verbände, S. 169, zu diesem formellen Aspekt des Justizgewährungsanspruchs bereits oben Kapitel 3, C. II. 1. 74 Vieweg, ibid. 70
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
wie staatliche Gerichte erfüllen. Das Bestehen eines kirchlichen Rechtswegs ersetzt daher nicht den staatlichen Rechtsweg.75 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Status als korporierte Religionsgesellschaft. Art. 137 Abs. 5 WRV garantiert den Kirchen nicht, ihre eigenen Gerichte an die Stelle der kirchlichen Gerichte zu setzen. Denn dieses Recht gehört nicht zum vorkonstitutionellen Acquis der Kirchen.76 Im Gegenteil war der Vorrang staatlicher Gerichtsbarkeit im 19. Jahrhundert ein wichtiger Topos.77 Mit Art. 16 der Deutschen Bundesakte von 1815 war die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte auch dort, wo sie mit kirchlicher Gerichtsbarkeit konkurrierten, geklärt.78 Staatliche Rechtsprechung in Kirchensachen war damals selbstverständlicher Teil der Kirchenhoheit.79 Bluntschli etwa betont, der Staat habe das „unveräußerliche Recht, die Gerichtsbarkeit der Kirche zu regeln, zu ändern, zu beschränken oder ganz aufzuheben, soweit dieselbe nicht den Charakter einer freiwilligen und schiedsrichterlichen an sich trägt“80. Ausdrücklich erwähnt Bluntschli in diesem Zusammenhang auch das Aufsichtsrecht des Staates über Disziplinarmaßnahmen der Kirchen gegenüber ihren Beamten.81 Vielfach wurde die staatliche gerichtliche Zuständigkeit in Kirchensachen zwar erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begründet. Das hängt aber damit zusammen, dass erst in dieser Zeit überhaupt anstelle bloß verwaltungsinterner Beschwerdemöglichkeiten Rechtswege in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten eröffnet wurden. Diese Rechtswegeröffnung bezog sich dann aber eben auch auf die Kirchenangelegenheiten.82 So öffnete das preußische Gesetz vom 24. Mai 1861, die Erweiterung des Rechtswegs betreffend,83 die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Kirchensachen wie in bestimmten anderen öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten.84 Im Übrigen setzte sich in der Landesgesetzgebung alsbald die Einrichtung eigener Verwaltungsgerichte durch, so auch in Fragen der Kir 75 v. Campenhausen, AöR 112 (1987), S. 623 (628); Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (277); Germann, in: FS Listl (2004), S. 627 (655); Wolf-Rüdiger Schenke, FS Faller (1984), S. 133 (136). 76 Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 166; Hermann Weber, DVBl 1970, S. 250 (255). 77 Vgl. die eingehende geschichtliche Darstellung mit zahlreichen Beispielen bei Bluntschli, Allgemeine Staatslehre II, S. 406 ff. 78 Scheuner, DÖV 1967, S. 585 (591). 79 Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 6; Zur Nachkontrolle kirchlichendienstrechtlicher und disziplinarischer Maßnahmen vgl. Ebers, Staat und Kirche, S. 89 f.; aus dem Schrifttum vor 1919: Sartorius, Staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebeite des Kirchenrechts, passim; Kahl, Kirchenrecht, S. 368 ff.; Schoen, VerwArch 6 (1898), S. 101 (115 ff.). 80 Bluntschli, Allgemeine Staatslehre II, S. 440. 81 Bluntschli, Allgemeine Staatslehre II, S. 442. 82 Eingehend Sartorius, Staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Kirchenrechts, S. 1 ff. 83 GS S. 241. 84 Vgl. Sartorius, Staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Kirchenrechts, S. 13.
B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlichen Rechtsweg 281
chenhoheit.85 Vermögensrechtliche Ansprüche aus einem Kirchendienstverhältnis waren nach den einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen vor staatlichen Gerichten klagbar, überwiegend vor den ordentlichen, in Bayern hingegen vor den Verwaltungsgerichten.86 Allgemein normierte § 15 GVG a. F.: „Die Ausübung einer geistlichen Gerichtsbarkeit in weltlichen Angelegenheiten ist ohne bürgerliche Wirkung“. Diese Vorschrift wurde 1950 vom Gesetzgeber nur deshalb gestrichen, da diese „im Kampf des Staates gegen Beeinträchtigungen seiner Justizhoheit durch (…) kirchliche Gerichtsbarkeit entstanden (ist). Diese Auseinandersetzungen gehören heute der Vergangenheit an. Die alleinige und unbeschränkte Zuständigkeit des Staates, für seinen Bereich Gerichtsbarkeit zu üben, ist unbestritten“87. Der Entstehungsgeschichte von Art. 137 Abs. 5 WRV lässt sich nirgends entnehmen, dass die Exemtion der Kirchen von staatlicher Gerichtsbarkeit zum Bestand verfassungsrechtlicher Privilegien gehören sollte.88 Ausdruck grundrechtlich geschützter Freiheit und rechtlich unbedenklich ist es hingegen, wenn sich die Beteiligten kirchengerichtlichen Entscheidungen freiwillig unterwerfen.89
II. Übertragung der Grundsätze über die Vereinsgerichtsbarkeit Im Schrifttum wird das Recht der Kirchen, eine eigene Kirchengerichtsbarkeit einzurichten, überwiegend auf das religionsgesellschaftliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV) gestützt.90 85
Sartorius, Staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Kirchenrechts, S. 14 ff., insbesondere S. 16. 86 Eingehend Sartorius, Staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Kirchenrechts, S. 95 ff.; zur preußischen Rechtslage nach Erscheinen von Sartorius’ Schrift vgl. auch Art. 8 Abs. 3 Gesetz, betreffend das Diensteinkommen der evangelischen Pfarrer v. 2.7.1898, GS S. 155 i. V. m. § 1 Gesetz, betreffend die Erweiterung des Rechtsweges v. 24.5.1861, GS S. 241; ab 1909 Art. 10 Abs. 1 Gesetz, betreffend die Pfarrbesoldung, das Ruhegehaltswesen und die Hinterbliebenenfürsorge für die Geistlichen der evangelischen Landeskirchen v. 26.5.1909, GS S. 113 i. V. m. den vorgenannten Vorschriften. Vgl. zur preußischen Verwaltungsrechtsprechung in Kirchensachen PrOVG 34, 218 – Witwenversorgung; PrOVG 35, 447 (453 f.) – Wirksamer Verzicht auf das Pfarramt; PrOVG 48, 180 – zur Belastung des Pfarrstelleneinkommens mit Heizkosten für ein Konfirmandenzimmer; PrOVG 64, 381 – Verpflichtung einer Kirchengemeinde, dem neu berufenen Pastor Umzugskosten zu erstatten; PrOVG 68, 294 – Verpflichtung einer Kirchengemeinde, ihrem Pfarrer einen Grundgehaltszuschuss zu gewähren. 87 Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafrechts und des Kostenrechts, BTDrucks I/530, Anl. Ia, S. 6. 88 Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 165. 89 Vgl. oben, Kapitel 6, A. II. 90 Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 92 Rn. 28; Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 276.
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
1. Kirchliche Gerichtsbarkeit als Verbandsgerichtsbarkeit Einen verbandsinternen „Rechtsweg“ findet man allerdings nicht nur bei den Kirchen. Zahlreiche Privatvereine haben eigene „Vereinsgerichte“ eingerichtet, denen die Entscheidung verbandsinterner Streitigkeiten obliegt. Typischerweise gehören dazu Streitigkeiten zwischen einzelnen Vereinsorganen sowie solche zwischen dem Verein und einzelnen seiner Mitglieder. Insofern ist es nicht zwingend, die kirchliche Gerichtsbarkeit als religionsverfassungsrechtlichen Sonderfall zu betrachten. Da die Kirchen nicht schlechter gestellt werden dürfen als sonstige Vereine, muss die kirchliche Gerichtsbarkeit jedenfalls genauso geschützt werden wie die Vereinsgerichtsbarkeit.91 Doch der Körperschaftsstatus gewährt mangels eines vorkonstitutionellen Besitzstandes und eines entsprechenden verfassungsgeberischen Willens den Kirchen keine darüber hinausgehenden Privilegien. Kirchliche Gerichtsbarkeit ist demnach Vereins- bzw. Verbandsgerichtsbarkeit. 2. Keine Einschränkung der Justiziabilität kirchendienstrechtlicher Maßnahmen Überträgt man die vereinsgerichtlichen Maßstäbe auf das Handeln der Kirchengerichtsbarkeit, schränkt das die Justiziabilität kirchendienstrechtlicher Maßnahmen durch staatliche Gerichte nicht ein. Früher nahm die Rechtsprechung allerdings an, dass vereinsgerichtliche Maßnahmen nur bedingt gerichtlich nachprüfbar seien. Dabei ging es vor allem um die Vereinsstrafen. Nach Auffassung des Reichsgerichts konnten Vereinsmitglieder eine „innere Vereinsangelegenheit (…) durch gerichtliche Klage grundsätzlich nicht bekämpfen“92. Rechtsschutz wurde nur gewährt, soweit die streitgegenständliche Maßnahme das betroffene Mitglied in seiner „Rechtsstellung außerhalb des Vereins berührt“93. Vereinsinterne Disziplinarmaßnahmen sollten dem Grunde nach nicht überprüft werden.94 Freilich hielt bereits das Reichsgericht seine Rechtsprechung nicht konsequent durch, da es an anderer Stelle prüfte, ob die Vereinsmaßnahme in der Satzung eine Stütze fände95 und ob die Verfahrensvorschriften beachtet 91
v. Campenhausen, AöR 112 (1987), S. 623 (639). RG, JW 1915, S. 1424 (1425). Zugleich stellt das RG dahin, ob dies auch dann gilt, wenn die fragliche Maßnahme nicht nur die Betätigung des Mitglieds „innerhalb des Vereins“ betrifft, sondern „auch in seiner Rechtsstellung außerhalb des Vereins berührt“ (ibid.). Die Parallele zur Abgrenzung von Amts- und Dienstverhältnis wird hier überdeutlich. 93 RG, JW 1915, S. 1424 (1425). 94 RG, JW 1915, S. 1424 (1426); ähnlich zuvor RGZ 49, 150 (155) – keine „sachliche Nachprüfung eines Ausschließungsbeschlusses“; einschränkend RGZ 140, 23 (24 f.). 95 In diesem Sinne bereits RGZ 49, 150 (Ls., 154 f.); 80, 189 (191); 81, 248 (251); ausdrücklich RG, JW 1928, S. 2208; RGZ 151, 229 (231). 92
B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlichen Rechtsweg 283
würden.96 Instanzgerichte haben schon damals geprüft, ob die Satzungsbestimmungen gegen Gesetzesrecht verstießen.97 Der Bundesgerichtshof hielt zunächst an der tendenziell restriktiven Rechtsprechung des Reichsgerichts fest.98 Später gab er sie zunächst im Hinblick auf so genannte Monopolverbände ausdrücklich auf.99 Aber auch für die übrigen Vereine geht die Rechtsprechung inzwischen von einer weitgehenden gerichtlichen Nachkontrolle aus. In Bezug auf die Feststellung des Sachverhalts ist die gerichtliche Überprüfung unbeschränkt.100 Zur Kontrolle einer vereinsgerichtlichen Maßnahme gehört außerdem, ob diese „eine Stütze im Gesetz oder in der Satzung hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet [wurde], sonst keine Gesetzesoder Satzungsverstöße vorgekommen sind und ob die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist“101. Das Gesetz hat Vorrang vor innervereinsrechtlichen Normen.102 Die Vereinsautonomie findet, wie jeder Akt der Privatautonomie, ihre Grenze in den Regeln der allgemeinen Rechtsordnung.103 Deshalb wird sogar der Inhalt von Satzungsbestimmungen kontrolliert.104 In der Sache spricht gegen jede Einschränkung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit von Vereinsmaßnahmen, dass die Mitgliedschaft im Verein ein Privatrechtsverhältnis ist.105 Darüber hinaus ist der Rechtsstaat verpflichtet, den Einzelnen gegen willkürliche Machtausübung durch Verbände zu schützen.106 Insgesamt hat sich im Verbandsrecht früher als im Religionsverfassungsrecht die Erkenntnis durchgesetzt, dass Autonomie keine rechts- und gerichtsfreien Räume begründet.107 Doch selbst wenn man verbandsgerichtliche interne Maßnahmen wie Vereinsstrafen als nur beschränkt justiziabel ansieht, hat das keine Auswirkungen für den hier in Rede stehenden Sachverhalt. Denn zu keinem Zeitpunkt haben staatliche Gerichte ihre Jurisdiktionsgewalt dort beschränkt, wo es um sonstige schuldrechtliche Beziehungen zwischen dem Verein und seinem Mitglied geht. Die Kontrolle der Arbeitsgerichte in Kündigungsschutzsachen wird nicht dadurch eingeschränkt, dass der Verein mit einem seiner Mitglieder ein Arbeitsverhältnis aufnimmt. Insofern ist die Rechtsprechung zur beschränkten Justiziabilität von Vereinsmaß-
96
Vgl. RGZ 49, 150 (Ls.): „satzungsgemäß verfahren ist“ (Hervorhebung durch Verf.), sowie eingehende Prüfung des satzungsmäßig vorgesehenen Verfahrens a. a. O., S. 152 ff.; vgl. auch RG, JW 1915, S. 1424 (1426); ausdrücklich RG, JW 1928, S. 2208 f. 97 OLG Jena, JW 1926, S. 1677 – Gesetzeswidrigkeit einer Austrittsbeschränkung. 98 BGHZ 13, 5 (11); 21, 370 (373). 99 BGHZ 102, 265 (276 f.). 100 BGHZ 87, 337 (344); 102, 265 (273). 101 BGHZ 87, 337 (343). 102 BGHZ 71, 126 (128); Staudinger / Weick (2005), § 25 Rn. 19. 103 Grunewald, ZHR 152 (1983), S. 242 (257). 104 BGHZ 128, 93 (101 ff.); 142, 304 (306). 105 Staudinger / Weick (2005), vor §§ 21 ff. Rn. 41. 106 Wolf / Neuner, BGB AT, § 17 Rn. 103. 107 Lohbeck, MDR 1972, S. 381 (383).
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
nahmen nicht auf Dienst- oder Arbeitsverhältnisse übertragbar, die der Verein zu seinen Mitgliedern aufnimmt. 3. Kein staatlicher Rechtsweg vor Erschöpfung des innerkirchlichen Rechtswegs Staatliche Gerichte können in einer Angelegenheit, für die ein innerkirchlicher Rechtsweg eröffnet ist, allerdings erst angerufen werden, wenn der innerkirchliche Rechtsweg erfolglos erschöpft wurde.108 Diese Einschränkung ermöglicht eine interne Selbstkontrolle der kirchlichen Verwaltung durch die kirchlichen Gerichte.109 Dass zunächst interne Verfahren auszuschöpfen sind, gilt auch im allgemeinen Vereinsrecht.110 Die Rechtsprechung begründet dieses Erforderns damit, dass es nicht Aufgabe der Gerichte sei, sich mit bloß vorläufigen Entscheidungen des Vereins zu befassen.111 Die Gerichte sollten vor allem nicht in den vereinsinternen Willensbildungsprozess eingreifen.112 Somit behandelt die Rechtsprechung die vereinsgerichtliche Tätigkeit als Organhandeln des Vereins.113 Dies lässt sich auch auf die kirchlichen Gerichte übertragen. Der Vorrang kirchengerichtlicher Verfahren dient zudem einem schonenden Ausgleich zwischen staatlicher Justizgewähr und religiöser Selbstbestimmung.114 Bevor innerkirchliche Rechtswege erschöpft sind, besteht vor staatlichen Gerichten kein Rechtsschutzbedürfnis.115 Voraussetzung ist indes, dass es sich bei dem kirchengerichtlichen Verfahren um ein justizförmiges und nicht bloß um ein Verfahren im Verwaltungswege handelt.116
108
BVerfG (K), NJW 1999, S. 349 (350); BGHZ 154, 306 (312); BVerwGE 149, 139 (Rn. 27); 153, 282 (Rn. 20); BVerwG, NVwZ-RR 2017, S. 399 (400); BayVGH, Beschl. v. 7.8.2017, Az.: 3 ZB 14.536, Rn. 22 – juris; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, vor Art. 92 Rn. 134; Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 36; de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 108; Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 32; ders., in: FS Listl (2004), S. 627 (655); Classen, Religionsrecht, Rn. 581 f; ders., Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, S. 132 f.; Bechler, in: Becker / Lange, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts III, S. 297 (315); Reinmar Wolff, in: MünchHdbGesR V, 42016, § 7 Rn. 75; Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 280; v. Campenhausen, ZevKR 17 (1972), S. 127 (141 ff.); ders., AöR 112 (1987), S. 623 (641); Wenzel, ZevKR 49 (2004), S. 559 (575); krit. Ehlers, ZevKR 61 (2016), S. 313 (316 f.); a. A. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art. 140 Rn. 31. 109 Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 31. 110 Darauf weist Classen, Religionsrecht, Rn. 581, besonders hin. 111 BGHZ 197, 162 (Rn. 31). 112 Vgl. für die gegen eine vereinsgerichtliche Maßnahme gerichtete Klage des Vereinsvorstands BGHZ 197, 162 (Rn. 32). 113 Vgl. BGHZ 159, 207 (211); 197, 162 (Rn. 32). 114 Traulsen, Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 36. 115 Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 Rn. 127; de Wall, in: HdbEvKR, § 6 Rn. 108; Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 32. 116 Wenzel, ZevKR 49 (2004), S. 559 (575).
B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlichen Rechtsweg 285
III. Kirchliche Gerichte als „echte“ Schiedsgerichte Die bisherigen Ausführungen beruhten auf der Annahme, dass Kirchengerichte wie Verbandsgerichte agieren und nicht Rechtsprechung im eigentlichen Sinne ausüben. Anders wäre die Lage zu beurteilen, wenn die kirchlichen Gerichte als „echte“ Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO zu qualifizieren wären. Nach derzeitigem Stand sind die Kirchengerichte der evangelischen und katholischen Kirche allerdings keine Schiedsgerichte in diesem Sinne.117 Gleichwohl lohnt es sich, kurz die Möglichkeit „echter“ kirchlicher Schiedsgerichte aufzuzeigen. 1. Konsequenzen einer Qualifikation als „echte“ Schiedsgerichte Der Vorteil „echter“ Schiedsgerichtsbarkeit liegt darin, dass sie die staatliche Rechtsprechung weitgehend ersetzt. Für die Kirchen könnte es sich daher um ein interessantes Instrument handeln, um die säkularen staatlichen Gerichte am Ende doch zu verdrängen. Damit könnte sie insbesondere Bedenken Rechnung tragen, säkulare Gerichte würden die religiöse Prägung des Kirchenrechts nicht hinreichend beachten. Ein wirksam vereinbartes Schiedsgericht schließt gemäß § 1032 Abs. 1 ZPO die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte aus. Der Schiedsspruch hat zwischen den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§ 1055 ZPO). Einer späteren Klageerhebung vor staatlichen Gerichten steht daher die formelle Rechtskraft des Schiedsspruchs entgegen.118 Die Überprüfung des Schiedsspruchs durch staatliche Gerichte beschränkt sich auf das in § 1059 ZPO geregelte Aufhebungsverfahren. Dabei handelt es sich aber nicht etwa um ein Rechtsmittelverfahren im eigentlichen Sinne. Die inhaltliche Unrichtigkeit des Schiedsspruchs ist kein Aufhebungsgrund. Eine Aufhebung des Schiedsspruchs aus sachlichen Gründen kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das mit dem ordre public unvereinbar ist (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO). Dabei handelt es sich um eine verfassungsrechtlich gebotene Minimalkontrolle, ob die Entscheidung hinsichtlich ihres Verfahrens und in der Sache selbst tragbar ist.119 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Verdrängung staatlicher Rechtsprechungstätigkeit durch ein privates Schiedsgericht sind unbegründet.120 Es ist nicht ersichtlich, dass der Grundgesetzgeber durch Art. 92 GG die bereits vorkon 117
Dazu sogleich näher unter B. III. 2. Voit, in: Musielak / Voit, ZPO, § 1055 Rn. 5. 119 Sonnauer, Kontrolle der Schiedsgerichte durch die staatlichen Gerichte, S. 38 ff., 41 ff. 120 BGHZ 65, 59 (61); Brosius-Gersdorf, VVDStRL 74 (2015), S. 169 (176 f.); eingehend Distler, Private Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung, S. 47 ff., 59 ff.; 69 ff.; 83 ff.; Sonnauer, Kontrolle der Schiedsgerichte durch die staatlichen Gerichte, S. 21 ff. 118
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
stitutionell bestehende Schiedsgerichtsbarkeit für unzulässig erklären wollte.121 In der Sache rechtfertigt sich die Zuständigkeit der Schiedsgerichte durch das Prinzip der Freiwilligkeit. Diese ergibt sich aus der Schiedsvereinbarung bzw. bei institutionellen Schiedsgerichten aus der Vereinsmitgliedschaft. Streitbeilegung durch Schiedsgerichtsbarkeit ist insofern selbst als „Verlängerung der Privatautonomie ins Prozessrecht“122 grundrechtlich geschützt.123 Ein absolutes staatliches Recht sprechungsmonopol gibt es daher nicht.124 2. Voraussetzungen für die Anerkennung kirchlicher Gerichte als „echte“ Schiedsgerichte Die Kirchengerichte der evangelischen und katholischen Kirche können nach derzeitigem Stand nicht als „echte“ Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO anerkannt werden.125 Die Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO dürfen auch nicht dadurch umgangen werden, dass die kirchlichen Gerichte zu einer Gerichtsbarkeit „sui generis“ erklärt werden und – ohne Stütze in der Verfassung – behauptet wird, deren Entscheidungen seien im Wege der Amtshilfe für vollstreckbar zu erklären.126 a) Schiedsvereinbarung Die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts beruht im Regelfall auf einer Schiedsvereinbarung (§ 1029 ZPO). In diesem Prozessvertrag kommen die Parteien überein, dass alle oder einzelne jetzige oder künftige Streitigkeiten zwischen den Beteiligten von einem Schiedsgericht entschieden werden sollen.127 Die Kirchen könnten eine solche Schiedsvereinbarung zu Beginn eines kirchlichen Dienstverhältnisses mit ihren Beschäftigten in Bezug auf Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis schließen. Diese Vereinbarung würde auch dann wirksam sein, wenn die Kirche ihren Abschluss zur Bedingung für die Aufnahme in das Dienstverhältnis machte.
121
Sonnauer, Kontrolle der Schiedsgerichte durch die staatlichen Gerichte, S. 22. MüKoZPO / Münch, vor § 1025 Rn. 5; ähnlich Steiner, SchiedsVZ 2013, S. 15 (16). 123 Distler, Private Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung, S. 120 ff.; Möller, Echte Schiedsgerichtsbarkeit im Verwaltungsrecht, S. 52. 124 Bauwens, Religiöse Paralleljustiz, S. 110 ff.; anders aber Schleicher, Staatliches Rechtsprechungsmonopol und kirchliche Gerichtsbarkeit, S. 12 als vermeintliches Argument gegen die Zulässigkeit kirchlicher Gerichtsbarkeit (eingehend S. 73 ff.). 125 BVerwGE 153, 282 (Rn. 19); Germann, in: HdbEvKR, § 31 Rn. 28; Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 222 f; Hesse, Rechtsschutz durch staatliche Gerichte im kirchlichen Bereich, S. 118 f.; ders., DVBl 1955, S. 589 (590); a. A. offenbar Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, S. 133 f. 126 So aber Thiele, ZevKR 48 (2003), S. 344 (345). 127 Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, § 1029 Rn. 3. 122
B. Verhältnis des staatlichen Rechtswegs zu einem kirchenrechtlichen Rechtsweg 287
Eine solche Vorgehensweise verstieße nicht gegen den Grundsatz, dass die Schiedsvereinbarung nur freiwillig abgeschlossen werden kann. Zu Unrecht geht eine Mindermeinung in der Literatur davon aus, dass ein faktischer Abschlusszwang im Zusammenhang mit der Möglichkeit, einen bestimmten Beruf ausüben zu können, zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung führe.128 Zu Recht hat der Bundesgerichtshof demgegenüber für Schiedsabreden im Profisport klargestellt, dass eine Schiedsabrede auch dann wirksam werden kann, wenn derjenige, der seinen Beruf ausüben will, faktisch zu einem entsprechenden Abschluss gezwungen ist.129 Das bloße Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Beteiligten ist im Wirtschaftsleben nichts Ungewöhnliches und schließt die Wirksamkeit einer Schiedsabrede noch nicht aus.130 Es kommt vielmehr darauf an, ob die Vereinbarung nach den tatsächlichen Umständen einen angemessenen Ausgleich der Interessen zwischen beiden Vertragspartnern herstellt.131 Das ist bei den kirchenrechtlich Beschäftigten der Fall. Die Einrichtung „echter“ kirchlicher Schiedsgerichte garantiert nämlich beiden Parteien, dass ihre Streitigkeit unter besonderer Beachtung der kirchenrechtlichen Besonderheiten, insbesondere der religiösen Prägung des Kirchenrechts, entschieden wird. Das ist deshalb auch im Interesse des Bediensteten, weil dieser sich bewusst darauf eingelassen hat, in einem Dienstverhältnis religiöser Prägung tätig zu werden. Das Schiedsverfahren muss dem Bediensteten auch keineswegs unbedingt zum Nachteil gereichen. Aus Sicht der Kirche geht es zudem darum, das eigene Bekenntnis auch bei der verbindlichen Streitentscheidung durchzusetzen, wenn es zu Konflikten mit den eigenen Bediensteten kommt. Die Kirche kann sich darauf berufen, dass die Einrichtung entsprechender Schiedsgerichte der organisatorischen Wahrnehmung ihrer Religionsfreiheit dient. b) Satzungsbestimmung Gemäß § 1066 ZPO ist es ausnahmsweise möglich, die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts ohne Schiedsabrede zu begründen. Anerkannt ist, dass dies zum Beispiel durch eine Vereinssatzung geschehen kann.132 Die Zuständigkeit des Schiedsgerichts kann dabei aber nur für solche Rechtsverhältnisse angeordnet werden, die Gegenstand einer statutarischen Bindung sind.133 Die Streitigkeit muss 128
Bleistein / Degenhart, NJW 2015, S. 1353 (1355); Heermann, SchiedsVZ 2015, S. 78 (80 ff.); dafür, dass in Fällen gestörter Vertragsparität nur eine nachträgliche (nach Auftreten der Streitigkeit) getroffene Schiedsvereinbarung wirksam sein soll, Brosius-Gersdorf, VVDStRL 74 (2015), S. 169 (182). 129 BGHZ 210, 292 (Rn. 52 ff.). 130 Hötte, Religiöse Schiedsgerichtsbarkeit, S. 210; Brandner / Kläger, SchiedsVZ 2015, S. 112 (115); Pfeiffer, SchiedsVZ, S. 161 (164); a. A. Nicklisch, BB 1972, S. 1285 (1290). 131 Vgl. BGHZ 210, 292 (Rn. 57 ff.). 132 MüKoZPO / Münch, § 1066 Rn. 8. 133 Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, § 1066 Rn. 3.
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sich also auf das Mitgliedschaftsverhältnis beziehen.134 Für dienstrechtliche Streitigkeiten reicht es deshalb regelmäßig nicht aus, dass die Zuständigkeit des Schiedsgerichts kirchenrechtlich angeordnet wird. Das Dienstverhältnis steht selbständig neben dem bloßen Mitgliedschaftsverhältnis. Nach inzwischen überwiegender Auffassung befreit § 1066 ZPO überdies nicht von den Formvorschriften des § 1031 ZPO. Bei einem mündlichen Vereinsbeitritt ist die Form des § 1031 Abs. 1, 2 ZPO zu wahren.135 Die bloß kirchenrechtlich angeordnete Zuständigkeit eines Schiedsgerichts, ohne dass eine besondere Schiedsabrede getroffen wurde, ist daher regelmäßig formunwirksam. c) Materielle Anforderungen an das Schiedsgericht Ein Schiedsgericht übt Rechtsprechung im materiellen Sinne aus.136 Daher liegt ein Schiedsgericht nur dann vor, wenn der Spruchkörper gegenüber beiden Parteien die notwendige Unabhängigkeit und Unparteilichkeit besitzt.137 Das Schiedsgericht darf nicht als Richter in eigener Sache berufen sein.138 Diese Voraussetzung ist insbesondere wesentlich, um die „echten“ Schiedsgerichte von den bloßen Verbandsgerichten abzugrenzen. Diese Neutralität den Beteiligten gegenüber wird bei der Schiedsgerichtsbarkeit in gewisser Weise dadurch eingeschränkt, dass die Parteien typischerweise die Schiedsrichter benennen. Deshalb hat der Bundesgerichtshof die Qualifikation als „echtes“ Schiedsgericht im Vergleich zu einem bloßen Verbandsgericht zu Recht davon abhängig gemacht, dass die Beteiligten einen paritätischen Einfluss auf die Besetzung des Schiedsgerichts haben.139 Typischerweise wird dies so gewährleistet, dass beide Parteien je einen Schiedsrichter benennen. Die so benannten Schiedsrichter einigen sich dann auf einen dritten Schiedsrichter, der den Vorsitz übernimmt. Dies entspricht auch der gesetzlichen Regelung in § 1035 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die erforderliche Neutralität wird hingegen nicht gewahrt, wenn das Schiedsgericht allein durch Organe des Vereins bestellt, also beispielsweise in einer Verbandsversammlung gewählt wird.140 Denn ein Alleinentscheid des Vereins über die Besetzung des Schiedsgerichts läuft auf einen Streitentscheid in eigener Sache hinaus.141 Das ist mit dem Wesen materieller Rechtsprechung unvereinbar. 134
Staudinger / Weick (2005), vor §§ 21 ff. Rn. 52. Staudinger / Weick (2005), vor §§ 21 ff. Rn. 52. 136 BGHZ 210, 292 (Rn. 24); MüKoZPO / Münch, vor § 1025 Rn. 4. 137 BGHZ 65, 59 (62); 159, 207 (211 f.); 210; 292 (Rn. 24); BVerwGE 153, 282 (Rn. 19); Staudinger / Weick (2005), vor §§ 21 ff. Rn. 53. 138 Hötte, Religiöse Schiedsgerichtsbarkeit, S. 212; Distler, Private Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung, S. 212. 139 BGHZ 159, 207 (213); 210, 292 (Rn. 30). 140 Vgl. BGHZ 159, 207 (214); Vollmer, Satzungsmäßige Schiedsklauseln, S. 153. 141 Vollmer, Satzungsmäßige Schiedsklauseln, S. 117 ff. 135
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Organhandeln eines Vereins kann nicht als schiedsgerichtliche Tätigkeit qualifiziert werden.142 Entsprechende Vereinsgerichte können daher auch dann nicht als Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO anerkannt werden, wenn sie als solche bezeichnet werden. Dementsprechend hat auch das Bundesverwaltungsgericht jüngst seine Auffassung, dass die Kirchengerichte keine „echten“ Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO seien, maßgeblich auf deren „Einbettung in die Organisationsstrukturen der Religionsgesellschaft“143 begründet. Hingegen hat es der Bundesgerichtshof für zulässig erachtet, wenn Verbandsorgane eine geschlossene Schiedsrichterliste bestimmen, aus denen die Schiedsrichter auszuwählen sind.144 In diesem Fall muss das Verfahren zur Bestimmung der Schiedsrichterliste allerdings garantieren, dass eine ausreichende Zahl von Schiedsrichtern zur Verfügung steht, die auch gegenüber dem Verband ausreichend unabhängig sind. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wurde das System der geschlossenen Schiedsrichterliste für den Court of Arbitration for Sport (CAS) in Lausanne gebilligt. Das entsprechende Verfahren sah dabei auch vor, genügend Schiedsrichter im Hinblick auf die Interessen der Athleten zu wählen. Das Verfahren der geschlossenen Schiedsrichterliste bietet den Vorteil, dass es zwar einerseits den paritätischen Einfluss der Parteien auf die Besetzung des Schiedsgerichts sichert, weil aus der Liste jede Partei genau einen Schiedsrichter benennt. Dies ist Grundvoraussetzung dafür, dass das Schiedsgericht überhaupt als „echtes“ Schiedsgericht anerkannt werden kann. Andererseits wird vorab sichergestellt, dass alle Schiedsrichter über die für den Verband typische spezielle Qualifikation verfügen. Im Bereich religiöser Schiedsgerichte könnte so eine entsprechende religiöse Prägung gewährleistet werden. Kirchliche Gerichte können nach dem zuvor Gesagten so lange nicht als „echte“ Schiedsgerichte angesehen werden, wie sie ausschließlich von kirchlichen Organen bestellt werden. Das Verfahren einer geschlossenen Schiedsrichterliste stellt eine Alternative dar. Allerdings müsste – ähnlich wie bei der Schiedsrichterliste für den CAS – institutionell sichergestellt sein, dass die Schiedsrichterliste nicht einseitig von jenen Organen zusammengestellt wird, die später als anderer Verfahrensbeteiligte dem Bediensteten gegenüberstehen. Denkbar wäre etwa, dass neben der Kirchenleitung auch Pfarrervertretungsorgane Schiedsrichter für die geschlossene Schiedsrichterliste benennen können. Gegenüber dem jetzigen System der Kirchengerichte würde die Einrichtung derartiger Schiedsgerichte einen erheblichen Systembruch bedeuten. Immerhin würde die kirchliche Seite damit die Voraussetzung schaffen, kirchendienstrechtliche Angelegenheiten auf der Grundlage des für alle geltenden Gesetzes (§§ 1025 ff. ZPO) religiösen (Schieds-)Gerichten mit verbindlicher Entscheidungsgewalt zu übertragen. 142
OLG Braunschweig, SchiedsVZ 2005, S. 262 (263). BVerwGE 153, 282 (Rn. 19). 144 BGHZ 21, 292 (Rn. 30 ff.); ablehnend Vollmer, Satzungsmäßige Schiedsklauseln, S. 154 f. 143
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9. Kap.: Prozessuale Durchsetzung kirchenrechtlicher Ansprüche
d) Schiedsfähigkeit des Anspruchs Selbst wenn sich die Kirchen zu diesem Systemwechsel entschlössen, stünde der Einrichtung kirchlicher Schiedsgerichte in kirchendienstrechtlichen Angelegenheiten allerdings nach jetziger Gesetzeslage vielfach die fehlende Schiedsfähigkeit entgegen, nämlich dort, wo die Arbeitsgerichte zuständig sind. Schiedsgerichte können nur über schiedsfähige Ansprüche entscheiden (§ 1030 ZPO). Während im Allgemeinen vermögensrechtliche Ansprüche schiedsfähig sind (§ 1030 Abs. 1 S. 1 ZPO), bestehen besondere Voraussetzungen in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Für Arbeitssachen gelten die §§ 1025 ff. ZPO gerade nicht (§ 101 Abs. 3 ArbGG). Für Streitigkeiten, nach denen gemäß § 2 ArbGG das Arbeitsgericht im Urteilsverfahren zu entscheiden hat, sind daher anstelle der §§ 1025 ff. ZPO die §§ 101 ff. ArbGG anzuwenden.145 Danach ist eine Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des Arbeitsrechts weitgehend ausgeschlossen. Dieser Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des Arbeitsrechts ist verfassungsrechtlich zulässig146 und rechtspolitisch geboten.147 § 101 Abs. 2 ArbGG enthält keine für kirchenrechtliche Beschäftigungsverhältnisse relevanten Ausnahmen. Bei grenzüberschreitenden Rechtsverhältnissen geht das Bundesarbeitsgericht allerdings davon aus, dass sich die Zulässigkeit eines Schiedsvertrags nach dem anzuwendenen Arbeitsstatut bestimmt.148 Nimmt man daher an, dass § 101 ArbGG kollisionsrechtlich verdrängt werden kann, so ließe sich dies auch auf die kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse übertragen. Die kirchenrechtliche Bestimmung, die ein Schiedsgericht vorsieht, würde demnach § 101 ArbGG verdrängen.149 Ein weiterer Weg zur Schiedsfähigkeit der kirchendienstrechtlichen Ansprüche nach derzeitiger Gesetzeslage könnte sein, dass die Kirchen von der Möglichkeit des § 135 BRRG Gebrauch machen, die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zu begründen. Dann handelt es sich um keine Arbeitssache mehr, sodass die §§ 101 ff. ArbGG unanwendbar sind. Mangels spezieller Bestimmungen im Verwaltungsprozessrecht richtet sich die Schiedsfähigkeit gemäß § 173 VwGO nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 1025 ff. ZPO.150 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Zulässigkeit „echter“ Schiedsgerichtsbarkeit im Bereich des Verwal 145
Germelmann, in: Germelmann / Matthes / Prütting, ArbGG, § 101 Rn. 33 f. Germelmann, in: Germelmann / Matthes / Prütting, ArbGG, § 101 Rn. 3. 147 Distler, Private Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung, S. 140. 148 BAG, AP Nr. 7 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit; ebenso Germelmann, in: Germelmann / Matthes / Prütting, ArbGG, § 101 Rn. 4; Barber, Objektive Schiedsfähigkeit und ordre public, S. 173 f. 149 A. A. Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (278), der § 101 ArbGG grundsätzlich auch auf kirchenrechtliche Dienstverhältnisse anwendet; so wohl auch Hermann Weber, DVBl 1970, S. 250 (252 – Klammerbemerkung). 150 Meissner / Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch / Schneider / Bier, VwGO, § 173 (Stand: 27. EL 2014) Rn. 316; Classen, Religionsfreiheit und Staatskirchenrecht, S. 133 f. Eingehend zur Übertragbarkeit dieser Bestimmungen Möller, Echte Schiedsgerichtsbarkeit im Verwaltungsrecht, S. 24 ff. 146
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tungsrechts greifen jedenfalls für die kirchlichen Angelegenheiten nicht durch.151 Anders als in materiell verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten beruht die Zuordnung kirchlicher Streitigkeiten zur Verwaltungsgerichtsbarkeit lediglich auf § 135 BRRG. Sie ändert nichts daran, dass sich zwei gleichrangige grundrechtsberechtigte, nicht grundrechtsverpflichtete Akteure gegenüberstehen. 3. Ergebnis zur Einrichtung kirchlicher Schiedsgerichte Die Kirchengerichte der katholischen und evangelischen Kirche sind keine „echten“ Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO. Die Kirchen könnten sich allerdings zur Einrichtung solcher Schiedsgerichte entschließen. Um deren Unabhängigkeit und Neutralität herzustellen, müsste sich die Kirche auf einen paritätischen Einfluss bei der Schiedsrichterbestimmung einlassen und dem Bediensteten ermöglichen, einen Schiedsrichter seiner Wahl zu benennen. Durch geschlossene Schiedsrichterlisten könnte allerdings vorab sichergestellt werden, dass alle Schiedsrichter die gewünschte religiöse Prägung und kirchenrechtliche Qualifikation haben. Die Gruppe der Bediensteten müsste dabei ausreichend Einfluss auf die Bestellung der Schiedsrichterliste haben. Erforderlich ist ferner eine ausdrückliche Schiedsvereinbarung zwischen der Kirche und ihrem Bediensteten. Unschädlich ist faktischer Kontrahierungszwang. Um die Geltung der §§ 101 ff. ArbGG auszuschließen, müssten kirchendienstrechtliche Streitigkeiten überdies gemäß § 135 BRRG den Verwaltungsgerichten übertragen sein. Zuständig für die in den §§ 1025 ff. ZPO vorgesehenen staatlichen Rechtsbehelfe gegen schiedsgerichtliche Entscheidungen wären dann die Verwaltungsgerichte (§ 173 S. 3 VwGO). Solange kirchliche Gerichte die Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO nicht erfüllen, können ihre Entscheidungen auch nicht mit der Wirkung eines Schiedsspruchs versehen werden. Gesetzeswidrig sind daher Andeutungen der Rechtsprechung und Überlegungen in der Literatur,152 kirchengerichtliche Entscheidungen nur einer eingeschränkten Wirksamkeitskontrolle zu unterwerfen. Solches folgt auch nicht aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht (Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV). Denn dieses steht unter dem Vorbehalt des für alle geltenden Gesetzes. Unter den Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO haben die Kirchen die Möglichkeit, staatliche Gerichtsbarkeit weitgehend durch religiöse Schiedsgerichte zu ersetzen. Die §§ 1025 ff. ZPO sind auch im Hinblick auf religiöse Schiedsgerichtsbarkeit verfassungskonform. Dafür spricht schon entstehungsgeschichtlich, dass ihre wesentlichen Bestimmungen älter sind als die Weimarer Reichsverfassung und sich in den Entstehungsmaterialien kein Hinweis darauf findet, dass mit Art. 137 WRV eine Ausweitung der kirchlichen (Schieds-)Gerichtsbarkeit beabsichtigt war. 151
Dazu Möller, Echte Schiedsgerichtsbarkeit im Verwaltungsrecht, S. 54 ff. Arning, Grundrechtsbindung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, S. 278; zur vermeintlichen Tatbestandwirkung kirchengerichtlicher Entscheidungen etwa Unruh, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG III, Art. 137 WRV Rn. 121. 152
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IV. Nachkontrolle kirchengerichtlicher Entscheidungen Nach derzeitiger Sachlage sind die Kirchengerichte nicht als „echte“ Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO ausgestaltet, sondern den staatlichen Gerichten nur als Verbandsgerichtsbarkeit vorgeschaltet. Ein Rechtsschutzbedürfnis vor staatlichen Gerichten besteht nur, wenn der kirchliche Instanzenzug vorher ausgeschöpft wurde.153 Daran anschließend muss noch einmal die Frage aufgerufen werden, inwieweit staatliche Gerichte die Entscheidungen der kirchengerichtlichen Vorinstanzen in derselben Sache nachkontrollieren dürfen. Einerseits sind die staatlichen Gerichte nicht an die Entscheidung der konkreten kirchlichen Vorinstanzen gebunden. Denn andernfalls hätte die kirchengerichtliche Entscheidung die gleiche Wirkung wie ein Schiedsspruch (vgl. §§ 1055, 322 ZPO), obwohl die Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO gerade nicht vorliegen. Diese würden umgangen, was den Kirchen unter anderem ermöglichen würde, in eigener Sache zu judizieren. Damit würde zugleich auch Verfassungsrecht verletzt. Denn die Zuständigkeit staatlicher Gerichte kann nur dann durch private Instanzen wie Schieds- bzw. hier Kirchengerichte ersetzt werden, wenn der private Spruchkörper ein Mindestmaß an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit erfüllt.154 Liegen die Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO nicht vor, verfehlt das staatliche Gericht daher regelmäßig auch die Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs, wenn es nicht seinerseits die Sach- und Rechtslage umfassend prüft. Aus dem Prozessrecht ergibt sich nach alledem gerade nicht, dass die Entscheidungen kirchlicher Vorinstanzen nur eingeschränkt nachprüfbar wären. Im Gegenteil muss das staatliche Gericht die Sach- und Rechtslage uneingeschränkt selbst beurteilen. Andererseits beschränkt die Dienstherrnfähigkeit auf materieller Ebene die Freiheit des staatlichen Gerichts bei der Auslegung kirchlichen Rechts. Denn die Dienstherrnfähigkeit führt dazu, dass die einschlägigen staatlichen Bestimmungen mit kollisionsrechtlicher Wirkung vom kirchlichen Dienstrecht verdrängt werden.155 Das kirchliche Dienstrecht ist keine staatsabgeleitete, sondern eine eigenständige private Rechtsordnung. Sie ist also keine lex fori, sondern fremdes Recht. Die Kirche bleibt Architektin ihres Rechts; das staatliche Gericht ist nur Fotograf.156 Staatliche Gerichte haben das kirchliche Recht daher so anzuwenden, wie es auch die kirchlichen Gerichte tun würden. Dafür ist die kirchengerichtliche Rechtsprechung der entscheidende Anhaltspunkt. Das staatliche Gericht befindet sich damit in dem Zwiespalt, dass es einerseits die Sach- und Rechtslage eigenständig bewerten soll und daher nicht an die kirchlichen Vorinstanzen gebunden ist, andererseits aber das kirchliche Recht wie die Kirchen 153
Oben B. II. 3. Oben B. II. 2. c). 155 Oben Kapitel 7, A. 156 Frei nach Werner Goldschmidt, Derecho Internacional Privado, S. 92, so bereits oben Kapitel 7, D. 154
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gerichte anzuwenden hat und dafür die kirchengerichtliche Rechtsprechung heranziehen muss. Auf materieller Ebene scheint das staatliche Gericht damit von genau dem wieder eingeholt zu werden, wovon es kurz zuvor auf prozessualer Ebene befreit wurde: von der Entscheidung der kirchlichen Vorinstanzen. Da der kirchliche Instanzenzug vor Anrufung der staatlichen Gerichte auszuschöpfen ist, geht der Entscheidung des staatlichen Gerichts nämlich regelmäßig eine obergerichtliche Entscheidung eines Kirchengerichts voraus. Tatsächlich wäre es mit der Eigenständigkeit des kirchlichen Dienstrechts als einer für das staatliche Gericht fremden Rechtsordnung unvereinbar, wenn die staatlichen Gerichte die Rolle einer „Superrevisionsinstanz“ einnähmen. Die richtige Anwendung des Kirchenrechts bleibt zunächst Aufgabe der kirchlichen Gerichte. Deren Rechtsprechung ist daher auch für die staatlichen Gerichte maßgeblich, wenn diese den richtigen Inhalt des Kirchenrechts zu ermitteln haben. Keine Abweichung davon rechtfertigt die Bindung des staatlichen Gerichts an die tragenden Grundsätze der eigenen Rechtsordnung. Denn bei der Anwendung fremden Rechts ist zwischen der Ermittlung des Ergebnisses der lex causae und der im Anschluss durchzuführenden ordre-public-Kontrolle zu trennen. Zunächst muss ermittelt werden, zu welchem Ergebnis die Anwendung der fremden – hier kirchlichen – Rechtsordnung führt. Dafür kommt es auf die lex fori nicht an. Erst in einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob das Ergebnis der lex causae wegen der Verletzung des ordre public abgewehrt werden muss. Insbesondere ist nach dieser zweischrittigen Vorgehensweise eine verfassungskonforme Auslegung der lex causae, hier also des Kirchenrechts, ausgeschlossen. Dementsprechend ergeben sich aber noch drei Konstellationen, in denen das staatliche Gericht zu einem anderen Ergebnis kommen kann als die kirchlichen Vorinstanzen: Erstens kann das staatliche Gericht seiner Entscheidung einen anderen Sachverhalt als die kirchlichen Instanzen zugrunde legen. Da das Kirchengericht kein Schiedsgericht im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO ist, bindet seine Sachverhaltsfeststellung das staatliche Gericht nicht.157 Abgesehen von einer möglicherweise abweichenden Beweiswürdigung kann die Beweissituation vor dem staatlichen Gericht auch aus strukturellen Gründen von der vor dem Kirchengericht abweichen. Denn staatliche Gerichte haben anders als kirchliche Gerichte Zwangsmittel, um bestimmte Beweise wie etwa Zeugenaussagen beizubringen. Die Wahrheitspflicht des Zeugen ist überdies vor staatlichen Gerichten strafbewehrt (§§ 153 f. StGB). Stellt das staatliche Gericht einen anderen Sachverhalt fest als das Kirchengericht, werden sich die Entscheidungsgründe des kirchlichen Gerichts häufig erübrigen, sodass das staatliche Gericht bei der Anwendung des kirchlichen Rechts nicht in unmittelbaren Konflikt zur Rechtsauffassung der kirchlichen Vorinstanzen gera 157
In Vereinssachen kann das staatliche Gericht im Anschluss an eine verbandsgerichtliche Entscheidung den Sachverhalt ebenfalls uneingeschränkt nachprüfen: BGHZ 87, 337 (344); 102, 265 (273).
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ten kann. Das ändert freilich nichts daran, dass es das kirchliche Recht wie ein Kirchengericht anwenden und dabei die kirchengerichtliche Rechtsprechung beachten muss. Die übrigen beiden Fallkonstellationen behandeln Situationen, in denen das staatliche Gericht denselben Sachverhalt ermittelt wie die kirchlichen Vorinstanzen. Dann kann sich eine Abweichung von der kirchengerichtlichen Entscheidung zweitens daraus ergeben, dass das Gericht zwar der Vorinstanz auch in der Anwendung des kirchlichen Rechts folgt, dieses Ergebnis aber mit dem ordre public unvereinbar ist. Im Falle einer vorrangigen Eingriffsnorm wird das Gericht die einschlägige lex fori unmittelbar und ohne Rücksicht auf die lex causae anwenden. In den meisten Fallkonstellationen geht es dagegen um eine Abwehr des zunächst zur Anwendung berufenen kirchlichen Rechts durch die Vorbehaltsklausel. Ist das Ergebnis der Anwendung kirchlichen Rechts mit dem ordre public unvereinbar, dann muss das staatliche Gericht anstelle der lex causae ein an deren Ergebnis angelehntes Ersatzrecht bilden und anwenden.158 Im Kündigungsschutzverfahren ist dazu, wie ausführlich dargelegt, regelmäßig eine angemessene Kündigungsfrist anzunehmen. Abweichend von der kirchlichen Vorinstanz wird das staatliche Gericht dann feststellen, dass das Dienstverhältnis – damit verbunden die vermögensrechtlichen Ansprüche des Beschäftigten aus dem Dienstverhältnis – noch für einen gewissen Zeitraum fortbestehen. Die Eigenständigkeit der kirchlichen Rechtsordnung wird hiervon nicht berührt, denn die Entscheidung des staatlichen Gerichts beruht nicht auf deren Anwendung und Auslegung, sondern gerade auf deren Abwehr auf Grund der Vorbehaltsklausel der lex fori. Schließlich sind drittens ausnahmsweise Fälle denkbar, in denen das staatliche Gericht das Kirchenrecht im Einzelfall anders anwendet und auslegt als die kirchlichen Vorinstanzen. Denn liegen die Voraussetzungen der §§ 1025 ff. ZPO nicht vor, ist das staatliche Gericht eben nur aus materiellen Gründen bei der Auslegung des Kirchenrechts an die kirchengerichtliche Rechtsprechung in ihrer Gesamtheit, nicht aber an die konkrete Entscheidung der Vorinstanzen gebunden. Zwar werden diese die kirchengerichtliche Rechtslage regelmäßig am besten wiedergeben und sind auch selbst Teil der kirchlichen Rechtsprechung. Kommt es aber im Einzelfall zu ausbrechenden Entscheidungen, die sich nicht mehr in die kirchengerichtliche (Gesamt-)Rechtsprechung einfügen, muss davon ausgegangen werden, dass das Kirchengericht die kirchliche Rechtslage verkannt hat. Jedenfalls dann, wenn die Entscheidung der konkreten kirchlichen Vorinstanzen nicht mehr nachvollziehbar und damit willkürlich ist, muss das staatliche Gericht die Kirchenrechtslage eigenständig anhand der gesamten kirchlichen Rechtsprechung beurteilen. Nur so wird es auch dem Justizgewährungsanspruch gerecht, der dem staatlichen Gericht auferlegt, die wirkliche materielle Rechtslage zu ermitteln.
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Oben Kapitel 8, B. II. 2.6.
Zehntes Kapitel
Zusammenfassung in Thesen 1. Die Rechtsordnung findet Kirchenrecht als soziales Faktum vor. Dabei handelt es sich um normative Bestimmungen, welche die jeweiligen Religionsgesellschaften gegenüber ihren Mitgliedern als verbindlich geltend machen. Katholische und evangelische Kirche haben insbesondere jeweils ein eigenes Dienstrecht für ihre Geistlichen herausgebildet. Die einschlägigen Bestimmungen finden sich in Kirchengesetzen. Auf katholischer Seite gilt der weltkirchliche Codex Iuris Canonici, ergänzt um partikularrechtliche Bestimmungen der Bistümer. Auf evangelischer Seite gelten das Pfarrerdienst- und das Kirchenbeamtengesetz der EKD. Geistliche stehen demnach in einem auf Lebenszeit angelegten umfassenden Dienstund Treueverhältnis zu ihrer jeweiligen Kirche. Der Geistliche hat sein geistliches Amt zu vollziehen; im Gegenzug treffen den Dienstherrn Alimentations- und Fürsorgepflichten. Die Kirchen nehmen dabei für sich in Anspruch, vom staatlichen Arbeits- und Sozialrecht abweichende Bestimmungen zu treffen. Bisher kaum erschlossen ist das Dienstrecht kleinerer Religionsgesellschaften. In jüdischen Gemeinden mit Körperschaftsstatus ist es Praxis, dass die Anstellung eines Rabbiners vertraglich geregelt wird. Bei einzelnen Fragen werden insoweit aber Vereinbarungen getroffen, welche die Grenzen des zwingenden staatlichen Arbeitsrechts überschreiten. 2. Die Rechtsprechung hat ihre frühere Haltung aufgegeben, wonach Klagen von kirchenrechtlich Beschäftigten („Geistlichen und Kirchenbeamten“) in dienstrechtlichen Angelegenheiten vor staatlichen Gerichten a limine unzulässig seien. Noch immer wird die Rechtsprechung aber dem Justizgewährungsanspruch nicht gerecht, weil sie kirchenrechtliche Bestimmungen für den Sachentscheid nach wie vor außer Acht lässt. Damit verkennt sie, dass der Justizgewährungsanspruch in materieller Hinsicht eine Prüfung der Rechtslage nach dem gesamten materiellen Recht verlangt, zu dem auch nicht-staatliches, insbesondere kirchliches Recht gehören kann. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob staatliche Gerichte in kirchendienstrechtlichen Fragen judizieren können, sondern unter welchen Voraussetzungen kirchliches Recht materielles Recht ist und deshalb von staatlichen Gerichten angewendet werden muss. 3. Um den materiellen Inhalt der Körperschaftsgarantie des Art. 137 Abs. 5 WRV zu bestimmen, muss maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte zurückgegriffen werden. Anders als es der Normtext suggeriert, war vor 1919 umstritten, ob die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts qualifiziert werden könnten. Dass dieser Begriff in die Weimarer Verfassung aufgenommen wurde, ging weniger
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10. Kap.: Zusammenfassung in Thesen
auf ein vermeintliches Traditionsbewusstsein der Weimarer Abgeordneten zurück als vielmehr auf eine tagespolitisch veranlasste Sorge, die staatliche Neuordnung könne die Rechtsstellung der Kirchen stark eingeschränken. Veranlasst waren diese Befürchtungen dadurch, dass die politische Linke in der Frühphase der Revolution versuchte, die Kirchen aus dem öffentlichen Raum zu drängen. Analysiert man die Beratungen im Verfassungsausschuss der Weimarer Versammlung, liefern diese keinen Grund und sprechen sogar dagegen, die mit dem Körperschaftsstatus verbundenen besonderen Privilegien der Kirchen als staatsabgeleitete Hoheitsbefugnisse zu verstehen. Denn eine im Verfassungsausschuss vorgetragene Definition, wonach mit dem Körperschaftsstatus „obrigkeitliche Befugnisse“ verbunden seien, ist dort auf entschiedene und parteiübergreifende Ablehnung gestoßen. Die Beratungen legen es nahe, den Körperschaftsstatus als grundrechtliche Garantie zu verstehen. Art. 137 Abs. 5 WRV garantiert den Kirchen demnach eine privilegierte Rechtsstellung, die sich am historischen Bestand kirchlicher Rechte, am religionsverfassungsrechtlichen Acquis, orientiert. Hierzu gehört die Dienstherrnfähigkeit als das Recht der Kirchen, Dienstverhältnisse zu begründen, für die das staatliche Arbeits- und Sozialrecht nicht gilt. 4. Die bürgerliche Wirkung kirchenrechtlicher Bestimmungen beruht auf einem staatlichen Rechtsanwendungsbefehl. Dieser Rechtsanwendungsbefehl ist nicht in speziellen religionsverfassungsrechtlichen Garantien zu suchen, sondern liegt in der Vereinsautonomie als besonderer Erscheinungsform der Privatautonomie. Die Geltung der kirchlichen Rechtsordnung beruht darauf, dass sich ihr Kirchenmitglieder und Dienstnehmer aus freiem Willen unterwerfen: Kirche bleibt eine „freiwillige Veranstaltung“. Nach materiellen Kriterien ist das Kirchenrecht deshalb als Privatrecht zu qualifizieren. Diese Einordnung schmälert nicht etwa die kirchlichen Befugnisse, sondern ist Voraussetzung dafür, dass sich kirchliche Freiheit überhaupt jenseits der besonderen öffentlich-rechtlichen Bindungen staatlicher und staatsabgeleiteter Hoheitsgewalt entfalten kann. Die Kirchen stehen dem Staat als Teil der Gesellschaft gegenüber. Kirchliche Rechtsetzung ist daher nicht etwa grundrechtsgebunden, sondern ist Ausübung grundrechtlicher Freiheit. Das gilt auch für das kirchliche Dienstrecht, das zur Ausübung der religionsverfassungsrechtlichen Dienstherrnfähigkeit erlassen wird. Ob kirchenrechtliche Bestimmungen als materielles Recht wirksam werden, hängt grundsätzlich davon ab, ob die Kirche einen entsprechenden Rechtsbindungswillen hat. Das kirchliche Dienstrecht ist hingegen unabhängig vom Rechtsbindungswillen materielles Recht mit bürgerlicher Wirkung, weil es im Bereich des Arbeitsrechts nicht auf äußere Erklärungen, sondern auf die wirklichen Verhältnisse ankommt. 5. Als religionsverfassungsrechtliches „Plus“ befreit die Dienstherrnfähigkeit die Kirchen bei ihrer Dienstrechtsetzung von den Grenzen des zwingenden Arbeits- und Sozialrechts. Die Dienstherrnfähigkeit wirkt demnach wie eine Kollisionsnorm, indem sie anstelle des staatlichen Rechts das kirchliche Recht zur Anwendung beruft. Einfachgesetzlich wird dieser Kollisionstatbestand in verschiedenen sozialrechtlichen Bestimmungen konkretisiert, welche die kirchlich
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Beschäftigten unter bestimmten Voraussetzungen von der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht befreien. Im einfachen Recht fehlt allerdings eine allgemeine Kollisionsnorm, welche die Kirchen von den übrigen Bestimmungen des Arbeitsund Sozialrechts freistellt. Diese Kollisionsnorm ist daher unmittelbar aus der abwehrrechtlichen Wirkung von Art. 137 Abs. 5 WRV abzuleiten. 6. Die kollisionsrechtliche Verdrängung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts durch kirchliches Dienstrecht findet ihre Grenze im Prinzip des ordre public. Denn die Anwendung kirchlichen Dienstrechts entbindet den staatlichen Richter nicht von seiner Grundrechtsbindung. Staatliche Gerichte dürfen daher kirchliches Dienstrecht nicht anwenden, wenn das zu einem Ergebnis führen würde, welches mit den Grundrechten unvereinbar wäre (negative Funktion des ordre public). Zudem haben die staatlichen Gerichte grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates dadurch Rechnung zu tragen, dass sie unmittelbar anwendbare Eingriffsnormen entsprechend umsetzen (positive Funktion des ordre public). Der ordre public gewährleistet nur eingeschränkten Kündigungsschutz: Grundlose Kündigungen dürfen nicht fristlos, fristlose Kündigungen nicht grundlos erfolgen. Die kirchenrechtlich geregelte Beendigung eines Dienstverhältnisses ist daher selbst dann wirksam, wenn die Gründe für die Beendigung zwar den grundrechtlichen Wertentscheidungen zuwiderlaufen, dafür aber eine angemessene Frist gewahrt wird. Bei einem Verstoß gegen den ordre public ist ein gerade noch ordre-public-konformes Ersatzrecht zu schaffen. Mit dem ordre public unvereinbare Beendigungsgründe können dabei durch die Bildung einer angemessenen Kündigungsfrist kompensiert werden. Im Ergebnis beschränkt sich der Rechtsschutz von kirchenrechtlich Beschäftigten bei Beendigung ihres Dienstverhältnisses darauf, dass der Betroffene noch für eine begrenzte Zeit weiter seine Vergütung erhält. Gegen die Änderung eines kirchenrechtlichen Dienstverhältnisses ist praktisch kein Rechtsschutz zu erlangen, weil diese als Änderungskündigung gegenüber einer völligen Beendigung des Dienstverhältnisses milder wirkt und damit erst recht und fristunabhängig mit dem ordre public vereinbar ist. 7. Den Kirchen steht es gemäß § 135 S. 2 BRRG frei, für Streitigkeiten aus ihren Kirchendienstverhältnissen die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte herbeizuführen. Soweit sie davon keinen Gebrauch machen, handelt es sich gemäß § 13 GVG um bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten. Regelmäßig sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG die Arbeitsgerichte im Urteilsverfahren zuständig, im Übrigen die ordentlichen Gerichte. Vor Anrufung der staatlichen Gerichte ist der kirchliche Rechtsweg auszuschöpfen. Die Gerichte der katholischen und evangelischen Kirche sind nach derzeitigem Stand keine „echten“ Schiedsgerichte im Sinne der §§ 1025 ff. ZPO. Grundsätzlich ist es aber möglich, die kirchlichen Gerichte zu „echten“ Schiedsgerichten umzustrukturieren. Dies würde den Kirchen die Möglichkeit eröffnen, ihre dienstrechtlichen Streitigkeiten weitgehend von den staatlichen Gerichten auf religiös geprägte Schiedsgerichte zu übertragen.
Elftes Kapitel
Zusammenfassendes Prüfprogramm für den staatlichen Richter in kirchendienstrechtlichen Angelegenheiten Zunächst muss über den einschlägigen Rechtsweg entschieden werden. Haben die Kirchen von der Ermächtigung des § 135 S. 2 BRRG Gebrauch gemacht, sind die Verwaltungsgerichte kraft aufdrängender Sonderzuweisung zuständig. Im Übrigen handelt es sich um bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten im Sinne von § 13 GVG. Regelmäßig gehören diese Fälle gemäß § 2 Nr. 3 ArbGG vor die Arbeitsgerichte. Ausnahmsweise, etwa bei leitenden Geistlichen, verbleibt es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen ergeben sich aus der jeweils einschlägigen Prozessordnung. In jedem Fall muss zuvor ein kirchlicher Rechtsweg ausgeschöpft worden sein, weil es sonst am Rechtsschutzinteresse fehlt. Auf der Ebene der Begründetheit muss zunächst über das einschlägige Recht entschieden werden. Wenn dies ausdrücklich oder konkludent vereinbart wurde, gilt kirchliches Recht, welches das staatliche Arbeits- und Sozialrecht kollisionsrechtlich verdrängt. Von einer entsprechenden konkludenten Vereinbarung kann regelmäßig ausgegangen werden, wenn die Kirche mit dem Beschäftigten ein „klassisches“ kirchenrechtliches Dienstverhältnis wie das Inkardinations- oder Pfarrerdienstverhältnis begründet hat. Liegt dagegen keine Rechtsformvereinbarung vor, bleibt es bei der Anwendung des staatlichen Arbeits- und Sozialrechts als der lex fori. Das staatliche Gericht hat uneingeschränkt nachzuprüfen, ob das streitgegenständliche Rechtsverhältns besteht. Das umfasst insbesondere die volle Nachprüfung der kirchlichen Rechtslage, soweit das kirchliche Recht materielles Recht mit Wirkung in der staatlichen Rechtsordnung geworden ist. Maßgeblich dafür ist ein nach außen erkennbarer Rechtsbindungswille der Beteiligten. Fehlt dieser, so muss der Rechtsbindungswille dennoch nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen fingiert werden, wenn faktisch ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Deshalb sind die kirchlichen Bestimmungen über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Dienstverhältnisses nebst den daran anknüpfenden vermögensrechtlichen Folgen materielles Recht. Rein liturgische Bestimmungen hingegen, die etwa die Frage betreffen, ob jemand Sakramente gültig spenden kann, sind regelmäßig kein materielles Recht mit Wirkung im staatlichen Bereich. Bei der Anwendung des kirchlichen Rechts ist das staatliche Gericht zwar nicht an die kirchlichen Vorinstanzen gebunden. Es muss die kirchliche Rechts-
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ordnung aber als fremde Rechtsordnung anwenden, d. h. grundsätzlich so, wie es die kirchlichen Gerichte tun. Dass die staatlichen Gerichte allein aufgrund einer abweichenden Rechtsansicht über das kirchliche Recht von den Entscheidungen der kirchlichen Vorinstanzen abweichen, kommt daher nur ausnahmsweise in Betracht, insbesondere dann, wenn die Entscheidung der konkreten kirchlichen Vorinstanzen einer gefestigten kirchengerichtlichen Rechtsprechung widerspricht, das Kirchenrecht nicht nachvollziehbar anwendet und damit willkürlich erscheint. Im Übrigen ist die Rechtsprechung der kirchlichen Obergerichtsbarkeit maßgeblich, die zur einheitlichen Rechtsauslegung des Kirchenrechts berufen ist. Indes hat das staatliche Gericht den Sachverhalt uneingeschränkt nachzuprüfen, weil eine bindende Sachverhaltsfeststellung durch das kirchliche Gericht die §§ 1025 ff. ZPO unzulässig umgehen würde. Das staatliche Gericht muss die Anwendung des kirchlichen Rechts zurückweisen, sofern es im konkreten Einzelfall den grundrechtlich konkretisierten ordre public verletzt. In diesem Fall muss ein ordre-public-konformes Ersatzrecht gebildet und angewendet werden, das dem vom kirchlichen Recht gewünschten Ergebnis so nah wie möglich kommt. Im Kündigungsschutzprozess wird dies regelmäßig dadurch gelingen, dass das Dienstverhältnis nur unter Wahrung einer angemessenen Kündigungsfrist beendet wird. Eine solche Frist kann auch ordre-publicwidrige Kündigungsgründe kompensieren. Im Übrigen hat das staatliche Gericht staatliche Eingriffsnormen unmittelbar auf den Sachverhalt anzuwenden. Durch die Beachtung des negativen und des positiven ordre public können sich ebenfalls Abweichungen von den Entscheidungen der kirchlichen Vorinstanzen ergeben.
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Sachwortverzeichnis Abfindung 247, 253 Abwägungsmodell 72, 74 AGB-Kontrolle 164 f. Alimentationsgrundsatz 37 f., 48, 70, 124, 150 ff., 216 Altersversorgung 37, 125 f., 144, 150, 215 Altkorporierte Kirchen 26 f., 49 Amtsangemessene Besoldung siehe Alimentationsgrundsatz Amtsenthebung 40, 43, 261, siehe auch Beendigung des kirchlichen Dienstverhältnisses Amtspflicht 39, 260 Änderungskündigung 253 f. Apostolische Signatur 40 Arbeitnehmer 40 f., 48 f., 150, 152, 157, 163 f., 200, 216 f., 235, 243, 250 f., 253, 274 ff. – -schutzvorschriften 142, 201, 217 Arbeits- und Sozialrecht, Befreiung vom 23, 123 ff., 145, 159 f., 162, 166, 201, 203 ff., 231 ff., 242, 249 f. Arbeitsgerichtsbarkeit, Zuständigkeit der 64 f., 265 ff., 274 ff. Arbeitslosenversicherung 212 f. Arbeitsrecht, kirchliches 40 f., 48 f., 161 f., 166 f., 275 Arbeitsvertrag, privatrechtlicher 23, 39 f., 46, 48 f., 65, 124, 144, 157, 167, 195, 224 Augsburger Religionsfriede 43, 84 Barmer Theologische Erklärung 44 Bayerisches Religionsedikt 91 Beamtenrecht, staatliches 26, 29, 45, 61, 70, 132 f., 153, 159, 203 f., 211 ff., 220 Beamtenverhältnis, staatliches 47, 70, 145, 150, 152 Beendigung des kirchlichen Dienstverhältnisses 71 f., 199, 245, 249 ff., 255 ff. Begründungspflicht 76, 191
Beneficium siehe Pfründewesen Bereichslehre, Bereichsscheidung 60 f., 67, 197, 221 Berufsbeamtentum 24, 142 f., 145 f., 150 ff., 166, 194, 225 Besoldung, siehe Alimentationsgrundatz Bindungen des öffentlichen Rechts siehe Öffentlich-rechtliche Bindungen Bischof 37, 40, 43, 278 Bistum 38, 40, 226 Bürgerliche Wirksamkeit des Kirchenrechts siehe Kirchenrecht, bürgerliche Wirksamekeit Christlicher Staat 84 Codex Iuris Canonici 34, 37 ff., 45, 147, 157 Corpus Iuris Canonici 33 Diakon 38 Dienstaufsicht 216 Dienstgemeinschaft 160 ff. Dienstherrnfähigkeit 23 f., 26, 28 f., 30, 51, 57, 80, 121 f., 123 ff., 142 ff., 170, 191 ff., 203, 219, 221, 246 – als Kollisionsnorm 203 ff., 207 ff., 220 ff., 226 ff., 240 ff. – als normgeprägtes Grundrecht 210 – Europarechtskonformität 229 f. Dienstpflicht 38, 63, 208, 216, 257, 277 Dienstrecht, kirchliches 28, 32, 37 ff., 46 ff., 50 f., 56 f., 60, 62, 65, 67 f., 70 f., 73, 132, 145 ff., 152, 157 ff., 167 f., 170 ff., 190 ff., 196 ff., 231 Dienstverhältnis, öffentlich-rechtliches 28, 38 f., 46 ff., 142, 145 ff., 275 Diözese siehe Bistum Direktionsrecht 253 f. Dispositionsgrundsatz 75, 171 Disziplinarrecht 39, 43, 108, 199, 260, 262, 280, 282
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Sachwortverzeichnis
Doppelrechtsverhältnis 167 ff. Dritter Weg 41, 49, 254 Dualistische Theorie 42, 167 Effektiver Rechtsschutz 64, 69, 71, 76 Ehebruch 173, 257 ff. Ehenichtigkeitsverfahren 36 Ehescheidung 257, 259 Eheschließung, Genehmigungspflicht 259 Eigenrechtsmacht der Kirchen 33, 35, 92 f., 192 Eingriffsnormen siehe ordre public, positive Funktion Einrichtungsgarantie siehe Körperschaftsstatus als ~ Einstellungsanspruch 254 f. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle 152, 211, 213, 215, 235 Episkopalismus 43 Erfurter Programm der SPD 104, 117, 120 Ernennung 195 f., 199 f., 225, 275 Ersatzrecht siehe ordre public, Rechtsfolgen Europarechtskonformität siehe Dienstherrnfähigkeit, ~ Faktisches Arbeitsverhältnis 200, 202, 277 Familienrecht, kirchliches oder religiöses 33, 36, 45, 53, 172 Formelkompromiss 116 ff. Frauenordination 63, 153, 193 Freiwilligkeit, Prinzip der 172 f., 181 ff., 187 f., 194 f., 197, 224, 254, 264, 286 Fremdes Recht 206 f., 227 f., 231 ff., 237, 242 f., 245, 292 f. Friedenspflicht 64, 74 Fürsorgepflicht 38, 48 Geistlicher 23 f., 28, 46 f., 56, 57 ff., 123 ff., 133, 143 ff., 198, 203, 211 ff., 225, 243, 249, 253, 255 ff., 260 f., 264, 266, 274 ff. Geltungsbefehl siehe Rechtsanwendungs befehl, staatlicher Gemeinwohldienlichkeit der Kirchen 184 Genossenschaft, öffentlich-rechtliche 89 f., 95 Gerechtigkeit, Prinzip der materiellen 231 f., 234, 236 Gewaltmonopol des Staates 74, 186, 279
Glockenleuten 268 ff. Gothaer Programm der SPD 104 Grundordnung des kirchlichen Dienstes 40, 161, 164 Grundrechtsbindung der Kirchen 73, 188 ff. Grundsätze des Berufsbeamtentums siehe Berufsbeamtentum Gute Sitten 67, 69, 165, 251 Hierarchische Beschwerde 40 Hoheitsbefugnisse siehe Staatsabgeleitete Hoheitsbefugnisse, -gewalt Homosexuelle Beziehungen 257 ff. Imam 56 Inamovibilität 39 Inkardinationsverhältnis 37 ff., 45, 147 f., 225, 255, 278 Innerkirchliche Fragen 33, 44, 58, 60, 62, 67 f., 182, 264 Innerkirchlicher Rechtsschutz 40, 48, 58, 198, 265 – Verhältnis zur staatlichen Gerichtsbarkeit 279 ff., 284 Institutsgarantie 120 ff., 140 Interessentheorie 89, 177, 184 Internationales Privatrecht 31, 54, 205 f., 208 f., 223 f., 227 ff., 231 ff., 243 f., 246, 248 f., 259 Islamisches Recht 51 ff., 227 Ius divinum 46, 53, 256 Ius Reformandi 84 Jüdisches Recht 49 ff. Juristische Person, Begriff 85 ff. Justizgewährungsanspruch 24, 57 ff., 63, 67, 69, 72 ff., 75 f., 170, 265 f., 273, 279, 292, 294 Justizhoheit siehe Rechtsprechungsmonopol des Staates Justiziabilität, Einschränkung der 282 ff. Kanonisches Recht 33 ff., 45 f., 53, 226 f., 255 Kirchenaufsicht 93, 112 Kirchenaustritt 34, 99, 183, 187 Kirchenbeamtengesetz der EKD 45, 147, 224
Sachwortverzeichnis Kirchenbeamter 23 f., 28, 30, 57, 66 f., 70, 123 f., 133, 149 f., 150, 161, 168, 196, 198, 203, 212 f., 216, 225, 264, 266, 271, 275 ff. Kirchengericht 36, 40, 45, 48, 172 f., 198, 200, 228, 279, 281, 282 ff., 289, 291 – Nachkontrolle von Entscheidungen 292 ff. Kirchenhoheit 44, 64, 114, 130 f., 133, 158, 280 Kirchenmitgliedschaft 50, 181 ff., 187, 194 f., 224, 261 Kirchenrecht 32 ff., 45, 170 ff., 208, 224, 230, 287 – Anwendung durch staatliche Gerichte 226 ff., 241, 250, 271 – bürgerliche Wirksamkeit 169, 170 ff., 173 ff., 204 – Eigenständigkeit des 38, 43, 147, 175, 293 – evangelisches 41 ff. – katholisches siehe Kanonisches Recht Kirchenrechtliches Dienstverhältnis 24, 37 ff., 40, 46 ff., 70 ff., 144, 166 ff., 170 ff., 198 ff., 224, 243, 245 ff., 265 ff., 271, 274 Kirchensteuer 110 ff., 115, 118, 121, 127, 173 Kirchenstraftat 58, 199, 260 Kirchliche Gerichtsbarkeit siehe Kirchengericht Kleriker 37 f., 148, 171, 255, 258, 260 Kollisionsnorm 207 f., 217 f., 229, 233, 237, siehe auch Dienstherrnfähigkeit als ~ Kollisionsrecht 166, 205 ff., 215 ff., 237, 243 Kondiktion von Dienstbezügen 198 Konkordat siehe Staatskirchenverträge Koordinationslehre 92, 111, 117, 133, 159, 175, 206 Körperschaft des öffentlichen Rechts 26 ff., 87 ff., 182, 185 Körperschaftsstatus 23, 25 ff., 80 ff., 153, 184, 241, 269 ff., 280 – als Einrichtungsgarantie 210 – grundrechtliche Deutung 82, 139 f., 181, 192 – von islamischen Religionsgesellschaften 54 f. Korrelatstheorie 128, 130 f., 133, 189
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Krankenversicherung 125, 211, 213, 215 Kündigung 247 ff. – fristlose 250, 264 Kündigungsfrist 253, 254, 256, 260 f., 294 Kündigungsgrund 41, 247 Kündigungsschutz, arbeitsrechtlicher 235, 239, 247, 250, 254, 283 – ordre public 251 f., 264 Laizität 134 Landesherr 43 f., 84, 93 Landeskirche 46, 49, 96, 131, 225, 258, 278 Lebensführungspflichten siehe Private Lebensführung Lebenspartnerschaft, siehe Homosexuelle Beziehungen Lebenszeitprinzip 37 f., 47, 126, 150 f. Lehramt 49, 260 Lehrbeanstandung 168, 260 f. Lehrfreiheit 216, 260 Letztentscheidung siehe Staatliche ~ Lex causae 231 ff., 240 ff., 245 f., 248, 250, 252, 293 f. Lex fori 216, 231 f., 246 f., 252, 292 ff. Lex loci laboris 217 Loccumer Vertrag 39, 149, 154 f., 157 ff. Loi de police 232, 234 ff. Loyalitätsobliegenheit 41, 48, 161 ff., 247 Materiell anwendbares Recht 24, 30, 65, 70, 72, 76 f., 79, 170 ff., 196 ff., 249 f., 265 Matrilinearität 50, 182 Mindestlohn 151, 236, 248 Mitbestimmungsrecht 161 Mittelbare Staatsverwaltung 29, 108, 203 Mutterschutz 235, 248, 250 f. Neutralität, religiös-weltanschauliche 25, 44, 82, 148, 151, 184, 227 f., 247, 252 Neutralität, des Richters 78, 279, 288 f. Nichtgedeihliches Wirken 39, 261 ff. Nichtrecht 168, 173 Nichtstaatliches Recht 218, 230 Normenkontrolle 233, 264 Normgeprägtes Grundrecht siehe Dienstherrnfähigkeit als ~ Novemberrevolution 97, 99, 100, 102 f., 105, 108, 127
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Sachwortverzeichnis
Öffentlich-rechtliche Bindungen 62, 96, 186, 188, 192, 221, 236, 272 Öffentlicher Dienst 23, 28, 39, 147, 154 ff., 220 Öffentliches Recht 39, 183 ff., 207, 231 Öffentlichkeitsanspruch/-auftrag der Kirchen 127, 158, 186 Ordensleute 23, 212 f., 277 Ordentlicher Rechtsweg 265 ff., 273, 274 ff., 280 Ordination 47, 258, 260 Ordre public 67, 69, 161, 165, 190, 206, 231 ff., 293 f. – Einzelfallbezogenheit 264 – Grundrechtsschutz 232 f., 236 ff., 244 f. – im religionsrechtlichen Kollisionsrecht 240 ff. – negative Funktion 232 ff., 236 ff., 242 ff. – positive Funktion 234 ff., 239 ff., 248 ff. – Rechtsfolgen 245 ff., 252 f., 256, 264, 294 Papst 40, 43 Paralleljustiz, religiöse 172 Parität, religiöse 25, 84, 94, 148 Parochialrecht 121 Parteiautonomie 209, 217, 224 Pfadabhängigkeit 82, 105 Pfarrer 39 f., 48, 124, 132, 143, 216, 253, 256 ff., 262 f., 266, 289 – -dienstgesetz der EKD 45 ff., 216, 257, 260 – -dienstverhältnis 47 f., 65, 225 – im Angestelltenverhältnis 48, 65 Pfarrersfrau 257 Pfarrhaus 257 f. Pfründewesen 124 Predigt 47, 56, 216, 260 Preußisches Allgemeines Landrecht 83, 88, 90 f., 96, 122 ff. Priestertum aller Gläubigen 47, 160, 162 f. Privatarbeitsvertrag siehe Arbeitsvertrag, privatrechtlicher Privatautonomie 169, 176, 177 ff., 187, 190, 191 ff., 196, 204 f., 209, 224, 283, 286 Private Lebensführung 37 f., 49, 253, 256 ff. Privatrecht 39, 183 ff., 191, 194, 231 Privilegierte Korporationen im Sine des PrALR 83, 90 f., 96, 119, 122
Rabbiner 50 f., 153, 222 Rechtfertigungspflicht siehe Begründungspflicht Rechtsanerkennung 180 f. Rechtsanwendungsbefehl, staatlicher 175 ff., 241 Rechtsbindungswille 197 ff., 202 Rechtsetzungsbefugnis 62, 161, 175, 177, 179 ff., 221 Rechtsformvereinbarung 208, 223 ff. Rechtsprechung, Begriff 77 f., 288 Rechtsprechungsmonopol des Staates 62, 280 f. Rechtsschutzanspruch 75 Rechtswahl 195, 217 f., 224 f. Reformation 41, 43, 117 Religionsfreiheit 25, 34 f., 53, 60, 84, 112, 136, 139 f., 181, 186 f., 192, 244, 256, 259, 261 Religionsmündigkeit 183 Religionsunterricht 100, 118, 127 Religionsverfassungsrecht, Begriff 25, 105 f. Rentenversicherung 125 f., 143 f., 151, 212 f. Res sacrae 121 Ruhestand, vorzeitiger 253 f., 262 f. Sakrament 37 f., 47, 171, 173, 197, 263 Scharia 52 ff. Schiedsabrede siehe Schiedsvereinbarung Schiedsfähigkeit 218, 290 f. Schiedsgericht, kirchliches oder religiöses 51, 54, 285 ff. Schiedsvereinbarung 51, 206, 218, 286 f. Schutzpflichten, grundrechtliche 236, 239, 247, 250 f. Schwangere siehe Mutterschutz Schwerbehindertenschutz 235, 250 Selbstbestimmungsrecht 60, 67 f., 131, 133 145, 177, 222 f., 281, 291 Selbstverständnis, religiöses bzw. kirchliches 32, 34, 45, 48, 67, 184, 194 f., 244, 248 f., 255, 275 ff. Societas-perfecta-Lehre 33, 35, 111 Souveränität des Staates 64, 159, 175 f., 186, 243 Soziale Rechtfertigung der Kündigung 247
Sachwortverzeichnis Sozialstaatsprinzip 146, 150 ff., 159, 201, 215, 247 Sozialversicherungsfreiheit 125 f., 143 f., 150 f., 201, 210, 211 ff., 248 Staatliche Letztentscheidung 64, 74 f., 176 Staatliches Gewaltmonopol siehe Gewalt monopol des Staates Staatsabgeleitete Hoheitsbefugnisse, -gewalt 62, 116, 134, 138 f., 180 f., 188 f., 191 ff., 194, 221, 292 Staatsaufsicht über die Kirche 108, 110, 112, 114, 128 f., 130 ff., 134 f., 137 Staatskirche 26 f., 82, 84, 89 f., 91, 96, 111, 116 f., 128, 134, 141, 194 Staatskirchenartikel, siehe Weimarer Staatskirchenartikel Staatskirchenverträge 39, 117, 154 f., 159, 220 Staatsnähe der Kirchen 103, 115, 118, 127, 134 Statusklage 58 f., 67 Streik 41 Syllabus errorum 33 Talmud 49 Tarifvertrag 41, 49 Taufe 183 Territorialismus 44 Toleranzantrag des Zentrums 112 Trennung von Amts- und Dienstverhältnis 62 Trennung von Staat und Gesellschaft 186, 190 Trennung von Staat und Kirche 27, 45, 93 f., 100, 103 ff., 111 ff., 117 f., 134 Typenzwang 24, 28, 30, 142 ff., 166 f., 193 f., 213, 220, 225 Unfallversicherung 125, 211, 213, 215
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Unparteilichkeit des Richters siehe Neutra lität des Richters Urlaub 236, 248 Vereinigungsfreiheit 87 Vereinsautonomie 177 f., 179 ff., 190, 205, 283 Vereinsgerichtsbarkeit 281 ff. Vermögensrechtliche Ansprüche 57 ff., 61, 132, 266, 271, 281, 290 Versetzung 39, 150, 253, 272 f., 262 f. Versorgung, siehe Alterversorgung Vertragsfreiheit 178, 196, 205, 250 Verwaltungsakt, kirchlicher 40, 58, 187 Verwaltungsrechtsweg 265 ff., 272 ff. Verweisungsrecht siehe Kollisionsrecht Vollstreckungsmonopol des Staates 186 f. Vollstreckungstitel 173, 187, 237, 279 Vorbehaltsklausel siehe ordre public, negative Funktion Wartestand 253, 257, 262 f. Weihe 37 f., 195, 199 f., 225, 256, 258, 275 Weimarer Staatskirchenartikel 28, 80 ff., 101, 139, 219, 271 Westfälischer Friede 83 f. Willkürverbot 67, 69, 74, 165, 252, 264, 283, 294 Wöllnersches Religionsedikt 83 Zivilehe 36 f., 41 Zölibat 37 f., 63, 193, 253, 255 f., 258 Zulässigkeit des staatlichen Rechtswegs 57 ff., 199 – Subsidiarität 284 Zwangsmittel 41, 171 ff., 293 Zwei-Reiche-Lehre 41 Zweiter Weg 49 Zweites Vatikanisches Konzil 34 ff.
Personenverzeichnis Ablaß, Bruno (DDP) 120 Anschütz, Gerhard 92, 128, 133, 184 f. Beseler, Georg 94 ff. Bora, Katharina v. siehe Luther, Katharina
Leo XIII. 33, 111 Löhr, Joseph 135 Luther, Katharina 257 Luther, Martin 41 f., 257
Delbrück, Clemens v. (DNVP) 98, 104, 109, 120 Düringer, Adalbert (DNVP) 98 f., 104 f., 107 f., 121
Mausbach, Joseph (Z) 107 Mayer, Otto 86 f. Meerfeld, Johannes (SPD) 109 f., 112 Mohammed 52 f., 56 Mumm, Reinhard (DNVP) 105
Eberhard, Fritz (SPD) 137 Ebers, Godehard 132 ff., 135
Naumann, Friedrich (DDP) 107, 109 f., 112, 114, 118
Forsthoff, Ernst 131, 135 Friedrich der Große 84
Pius IX. 33 Posadowsky-Wehner, Arthur v. (DNVP) 98, 104 Preuß, Hugo 96 f., 106 Pufendorf, Samuel 90
Gierke, Otto v. 85 f., 94, 96, 175 Giese, Friedrich 82, 101, 116 Gröber, Adolf (Z) 113, 120
Quarck, Max (SPD) 109 f., 112 ff. Haenisch, Konrad (SPD) 104 Hartmann, Felix Kardinal v. 100 Heckel, Johannes 133, 175, 271 Heinze, Rudolf (DVP) 98, 104, 120, 122, 126 Herrmann, Emil 91 Heuss, Theodor (FDP) 138 Hinschius, Paul 92 Hoffmann, Adolph (USPD, SPD) 97, 99 ff., 103 f., 118, 120, 137
Rosin, Heinrich 89 f., 125
Israël, Carl 80, 101, 107
Sartorius, Carl 202 Savigny, Friedrich Carl v. 85, 196, 231 Scheidemann, Philipp (SPD) 98 Schmitt, Carl 116, 118 f. Schoen, Paul 91, 130, 135 Schuler, Hans 88, 90 Sohm, Rudolph 42, 92, 172 Spahn, Peter (Z) 98, 109, 111, 122 Süsterhenn, Adolf (CDU) 137
Jhering, Rudolph v. 88
Ulpian 184
Kahl, Wilhelm (DVP) 92, 102 ff., 107 ff., 111 f., 114 ff., 118, 122, 127, 129 f., 135 f., 138 Katzenstein, Simon (SPD) 109
Waldecker, Ludwig 90 Wolff, Franz 90 Zeller, Eduard 88