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German Pages XIX, 252 [267] Year 2020
Julia Duwe
Beidhändige Führung Wie Sie als Führungskraft durch Ambidextrie Innovationssprünge ermöglichen 2. Auflage
Beidhändige Führung
Julia Duwe
Beidhändige Führung Wie Sie als Führungskraft durch Ambidextrie Innovationssprünge ermöglichen 2. Auflage
Julia Duwe Stuttgart, Baden-Württemberg, Deutschland
ISBN 978-3-662-61571-3 ISBN 978-3-662-61572-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2018, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Illustrationen: KLAREKÖPFE GmbH, Stuttgart: www.klarekoepfe.de Planung/Lektorat: Christine Sheppard Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Vorwort zur 2. Auflage
„Wir brauchen Führung mehr denn je“ Vorwort von Dr. Eberhard Veit Seit dem Erscheinen des Buches Beidhändige Führung im Dezember 2017 verändert sich die Wirtschaftswelt mit rasanter Geschwindigkeit. Industrieunternehmen durchlaufen den Wandel zum datengetriebenen Service-Dienstleister. Klassische Märkte weichen globalen Ökosystemen. Technologien verändern ganze Branchen und Domänen. Und dennoch, oder gerade aus diesem Grund, ist das Konzept der Ambidextrie, der Beidhändigkeit, aktueller denn je. Sowohl strategisch als auch in der Führung befinden sich Unternehmen heute wie nie zuvor in einer ständigen Zerreißprobe zwischen einer bekannten Welt und einer ungewissen Zukunft. Wir können davon ausgehen, dass sich schwerwiegende Ereignisse wie die globale Corona-Krise im Jahr 2020 wiederholen werden. Es gibt keine Garantie mehr für Stabilität. Wir müssen uns für diese Welt rüsten. Als Anhänger der ambidextren Führung will ich in diesem Vorwort das Konzept der Ambidextrie weit über seine ursprüngliche Bedeutung hinaus strapazieren. Über den Trade-Off zwischen Exploration und Exploitation hinaus plädiere ich für eine mehrhändige Unternehmensführung, die sich den Widersprüchlichkeiten auf allen Ebenen stellt. Es ist eine Unternehmensführung, die genau in diesen Widersprüchen die Chancen identifiziert und die mit diesen Chancen aktiv die Zukunft gestaltet. Lassen Sie mich dafür den Begriff der „vierdimensionalen Ambidextrie“ prägen. Die vier Ambidextrie-Dimensionen sind zum einen der Transformations-Umfeld-Faktor (TUF), zum anderen der Politische-Umfeld-Faktor (PUF), weiterhin der EreignisUmfeld-Faktor (EUF) und schließlich der Führungs-Umfeld-Faktor (FUF). Hinter dem TUF stecken die drei T’s: Technologie, Technik und Transformation. Der PUF wird geprägt von den Schlagworten lokal, regional versus global, samt politischer Strömungen und Trends. Durchschlagend ist oftmals der EUF durch die Umfeld-Faktoren wie besondere Ereignisse, Hypes oder Krisen im Hinblick auf Gesundheit und die politische Situation. Schon immer präsent, aber auch von Kultur V
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und Wirtschaftsraum abhängig, ist der FUF mit Führung, Kultur, Mensch sowie der Organisation in Hinblick auf Governance, Entscheidungsprozesse und Gremien. Bei allen vier Dimensionen ist sowohl eine horizontale als auch eine vertikale Verschiebung der Megatrends zu erwarten. Während horizontal eine Reaktion durch die STRATEGIE des Unternehmens notwendig wird, gilt vertikal eine Reaktion durch die TAKTIK, und zwar innerhalb des Unternehmens. Es handelt sich um „Sowohl-als-auchSpannungsfelder“, auf die wir als Management und Unternehmensleitung entschieden reagieren müssen. 1. Technologie, Technik, Transformation (TUF) Bei der Strategie-Dimension Technologie, Technik und Transformation in der Industrie heißt es insbesondere, Altes und Bewährtes zu verbessern und gleichzeitig die neue digitale und datengetriebene Welt aufzubauen (horizontal). Die vertikale Achse beschreibt die Taktik bestehender Geschäftsmodelle und Kundenbeziehungen von Unternehmen, die durch neue digitale Geschäftsmodelle und Kundenbeziehungen herausgefordert werden. Digital bedeutet „direkt“, „vor Ort“, „in Echtzeit“ beim Kunden. Die Chancen, die durch datengetriebene Geschäftsmodelle entstehen, sind unermesslich. Doch müssen sich Unternehmen hierauf in Strategie und Taktik systematisch und mit großer Geschwindigkeit vorbereiten.
Ambidextrie-Dimension 1: Transformations-Umfeld-Faktor (TUF)
2. Lokal, regional und global (PUF) In strategischer Hinsicht (horizontal) auf die politischen Umfeldfaktoren „lokal, regional versus global“, samt der politischen Strömungen und Trends der letzten Jahre müssen Unternehmen und ganze Branchen die Spannungen zwischen den Regionen „USA und
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China“ mit dem Sandwich „Europa“ managen. In der vertikalen Taktik-Achse ist die globale versus der lokalen Standortfrage und Unternehmens-Resilienz innerhalb der Wertschöpfung durch die Führung auszubalancieren.
Ambidextrie-Dimension 2: Politischer-Umfeld-Faktor (PUF)
3. Ereignis- und Umfeld-Faktor (EUF) Im Hinblick auf Umfeld-Faktoren, Hypes, Gesundheitskrisen und die politische Situation ist ebenfalls Beidhändigkeit zur Ausbalancierung von Spannungen gefragt. So gilt es einerseits die Strategie-Balance zwischen reaktivem und proaktivem Handeln zu finden, wenn Trends und Game Changer von außen auf das Unternehmen einwirken. Zugleich ist bei global agierenden Unternehmen bei solchen Einwirkungen die Frage der Autonomie der Gesellschaften entscheidend. Als Beispiel eignet sich die Reaktion eines globalen Unternehmens auf die Corona-Krise (vgl. Kap. 6), die sich von einem lokalen zu einem weltumspannenden Problem entwickelte. Die Pole möglicher Taktik (vertikale Dimension) auf die Krise reichen einerseits von der Ignoranz der Zentrale des lokalen Problems bis hin zum übertriebenen Eingriff durch die Zentrale. In Krisenzeiten heißt es ganz besonders abzuwägen, ob autonomes Handeln der lokalen Gesellschaften oder eine starke Lenkung sinnvoll sind. Umso wichtiger ist es, das vertikale Spannungsfeld zwischen „gelenkter AUTONOMIE“ und „GELENKTER Autonomie“ bestmöglich zu beherrschen.
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Ambidextrie-Dimension 3: Ereignis-Umfeld-Faktor (EUF)
4. Führung, Mensch und Organisation (FUF) Tools der beidhändigen Führung bei Organisation, Mensch, Governance, Entscheidungsprozessen und Gremien sind die Faktoren der organisatorischen Abläufe und Prozesse, die es dringend anzugehen gilt. Von klarer Hierarchie bis hin zu agiler Projektorganisation und Kreativ-Management-Trends ist abzuwägen. In der horizontalen Strategie-Dimension dieses Vierquadranten gilt es festzulegen, inwieweit Lenkung und Führung notwendig sind und an welchen Stellen Freiheit und Selbstorganisation zum Ziel bester und erfolgreichster Ergebnisse notwendig sind. Auch die vertikale Taktik-Dimension, also eine Neuausrichtung der Verantwortungen und Entscheidungsleitlinien ist notwendig. Gerade die Frage der Taktik und damit der Unternehmenspyramide ist eine der wesentlichen Zukunftsfaktoren. Denn immer stärker ist zu hören, wie wichtig die gut organisierte „Lenkung und Steuerung“ ist, um schnell zu agieren und klare Entscheidungen in Unternehmen zu treffen. Welche neue Rolle spielen Gesellschafter und Aufsicht in der Zukunft und nach welchen Spielregeln agieren die Gremien?
Vorwort zur 2. Auflage
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Ambidextrie-Dimension 4: Führungs-Umfeld-Faktor (FUF)
Die vier Ambidextrie-Dimensionen Technologie (TUF), Standort (PUF), Ereignisse (EUF) sowie Führung und Mensch (FUF) sind ein Impuls, um Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, die Komplexität der Unternehmensführung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufzuzeigen. Wenn wir es schaffen, uns von einer starren Weltsicht hin zu höchster Flexibilität im Umgang mit Widersprüchen zu bewegen, ist die Chance groß, dass wir den Sprung in die Zukunft sowohl strategisch wie auch taktisch erfolgreich meistern und als Gewinner durchs Ziel laufen. Dieser Sprung beginnt im Innern der Organisation. Von der globalen Sicht möchte ich Sie deshalb einladen, in die Mikroebene des Unternehmens einzutauchen und sich mit den Grundlagen des ambidextren Denkens und Handelns vertraut zu machen. Wir brauchen Führung mehr denn je. Drei Jahre nach dem ersten Erscheinen von „Beidhändige Führung“ lege ich Ihnen dieses Buch deshalb erneut ans Herz. Göppingen im Juni 2020
Ihr Eberhard Veit
Vorwort zur 1. Auflage
Was Industrie 4.0 für Führungskräfte bedeutet: Vom agilen Sprinten zur beidhändigen Führung Vorwort von Dr. Eberhard Veit
Vor vielen Jahren, ich war damals als Vorstandsvorsitzender bei Festo tätig, konnte ich beobachten, mit welcher Geschwindigkeit die Auswirkungen der Digitalisierung im privaten Alltag von Menschen akzeptiert wurden. Ich traf damals auf Konsumenten, die voller Begeisterung neueste Technologien und Services in Empfang nahmen. Zugleich war es regelrecht frustrierend zu beobachten, wie sehr die Industrie zögerte, die neu verfügbaren digitalen Technologien anzunehmen. Ich fragte mich damals immer wieder: „Jeder von uns hat Smartphones. Firmen wie eBay und Amazon bringen völlig neue Geschäftsmodelle hervor. Aber warum hält dieser Wandel nicht Einzug in die Industrie?“ In der Konsequenz habe ich damals meinen Führungsstil grundlegend verändert und von da an etwas praktiziert, was wir heute „Beidhändige Führung“ oder „Ambidextrous Leadership“ nennen. Ich habe neben der evolutionären Weiterentwicklung des Kerngeschäfts systematisch Raum für das zukünftige digitale Geschäft geschaffen. Heute ist es erfolgsentscheidend und von zentraler Bedeutung für Organisationen in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Sektor, dass sie die neuen Technologien akzeptieren und annehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. In Deutschland sorgt die von der Bundesregierung initiierte Plattform Industrie 4.0 für den engen Austausch zwischen Regierung und Industrievertretern, mit dem Ziel, die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen wie auch der europäischen Industrie zu stärken. Im Rahmen meiner Aufgabe in Deutschlands Aufsichtsgremium für die Industrie 4.0 befürworte und unterstütze ich neben einer „evolutionären Revolution“ auf Technologieseite auch aktiv den radikalen Wandel der Führung in Organisationen. Dieser Wandel muss bereits im Aufsichtsrat und im Vorstand beginnen und bis in die gesamte Organisation hineinreichen. Ich habe dabei eine klare Vision von Führung, die erforderlich ist, um erfolgreich durch die digitale Transformation zu navigieren.
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Um Menschen zu motivieren, eine digitale Kultur wirklich vollumfänglich anzunehmen und um die Erwartungen der Kunden für die Zukunft auch zu erfüllen, muss ich als Vorsitzender der Industrie 4.0-Initiative den vier C’s der Transformation auch selbst folgen: „Culture, Content, taking a Chance, starting the Change.“ Es geht um eine neue Kultur, um die Vermittlung der richtigen Inhalte, um Mut und Risikobereitschaft und darum, den Wandel aktiv zu gestalten. Dabei ist es nicht nur das Management, das Teil einer gewagten, langfristigen Vision der Digitalisierung sein muss, sondern die gesamte Organisation. Jeder Einzelne muss sich deshalb mit beidhändiger Führung auseinandersetzen, damit wir das heutige Geschäft erfolgreich vorantreiben und dabei gleichzeitig weit in die Zukunft blicken können. Die gesamte Firma einbinden Meine Formel für den digitalen Wandel lautet „SPRINT“: • • • • • •
Spirit/Speed (Spirit und Geschwindigkeit) Participation (Beteiligung) Rely (Sich verlassen können) Inspiration (Inspiration) Need (Notwendigkeit) Trust (Vertrauen)
Das Digitale wird zwangsläufig das gesamte Unternehmen durchdringen. Es wird die Art und Weise, wie ein Unternehmen funktioniert, auf sämtlichen Ebenen verändern. CEOs müssen deshalb die gesamte Organisation unter einem Banner der Dringlichkeit zusammenhalten. Sie müssen den Geist (Spirit) verkörpern und die Geschwindigkeit (Speed), die der Wandel benötigt, auch selbst vorleben. CEOs müssen eine Kultur der offenen Kommunikation und der aktiven Beteiligung (Participation) schaffen und die gesamte Firma ermutigen, im Einklang zu agieren und zu lernen, sich auf neue digitale Systeme auch zu einzulassen (Rely). Der CEO hat die Aufgabe, die Menschen in der gesamten Organisation dazu zu inspirieren (Inspiration), ihr Denken und Handeln auf neue digitale Prozesse und Methoden auszurichten, zu verstehen, wie die neuen Werkzeuge verwendet werden und die Notwendigkeit (Need) für die Transformation zu erkennen. Schließlich setzt der Prozess des Wandels das Vertrauen (Trust) der Menschen in die neuen Technologien und Vorgehensweisen voraus. Auf Basis dieser Prinzipien konnte ich bei Festo durch den digitalen Transformationsprozess führen. Er stellt die Grundlage meiner Empfehlungen für die Industrie 4.0 dar. Die Empfehlungen bauen weiterhin auf fünf Schlüsselelementen auf, die ich unter dem Begriff „AGILE“, meiner zweiten Formel, zusammenfasse: • Architecture-based (Architekturbasiert) • General Business Models (Geschäftsmodelle) • Innovation (Innovation)
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• Learning (Lernen) • Education (Ausbildung) Architektur: Flexible, Architektur-basierte Produkte und Komponenten arbeiten kollaborativ und vernetzt zusammen und sind intuitiv integrierbar. Geschäftsmodelle: Neue Wege Geld zu verdienen resultieren aus neuen Wegen die Produktion zu organisieren sowie aus unternehmensübergreifenden Netzwerken und einer effektiveren Zusammenarbeit. Innovation: Europäische Firmen müssen bessere und innovativere Produkte und Services herstellen, da sie im Allgemeinen deutlich teurer entwickeln und produzieren: Wir können und müssen um mindestens so viel besser sein, wie wir teurer sind. Lernen: Wir benötigen eine Einstellung des lebenslangen Lernens und die Bereitschaft, uns kontinuierlich neue Fähigkeiten anzueignen. Ausbildung: Wir brauchen ein klares Commitment, in das Wissen der Menschen zu investieren und ihre Fähigkeiten durch modernste Trainingsprogramme zu entwickeln und sie kontinuierlich weiter zu qualifizieren. Talente einstellen und fördern: Wenn wir fit für die Digitalisierung werden wollen, müssen wir dann völlig neue Kompetenzen und Menschen an Bord holen? Ich glaube nein. Ich empfehle eine Mischung aus neuen Talenten und erfahrenen langjährigen Mitarbeitern. Denn der Erfolg wird maßgeblich auf dem Training und der Ausbildung der Menschen beruhen. Ich betone absichtlich, dass der technologische Wandel allein nicht ausreichen wird, um die Industrie zu transformieren. Es sind die Menschen in den Organisationen, die kontinuierlich trainiert und geschult werden müssen – ein Feld, das viel zu häufig übersehen wird. Letztes Jahr wurden in Deutschland 12,4 Mrd. EUR für neue Technologien ausgegeben, aber nur 1,2 Mrd. EUR in Training und Ausbildung investiert, um die Menschen auf das Digitale vorzubereiten. Wir müssen in diesem Feld schneller werden. Wir müssen die Menschen in den Organisationen auf den richtigen Weg bringen und zugleich Universitäten und Trainingseinrichtungen unterstützen. Ich bin überzeugt: 50 % des Erfolges wird die Technologie ausmachen, aber 50 % beruhen auf Führung, Training und auf dem lebenslangen Lernen. Ich glaube deshalb, dass gerade auch die Aufsichtsräte eine entscheidende Rolle in der Transformation der Industrie spielen werden. Das Management muss den gesamten Wandel entlang der vier C’s orchestrieren. Die Menschen in Aufsichtsräten müssen sich dagegen auf die Strategien und Risiken konzentrieren und darauf, die richtigen Menschen einzusetzen. Deshalb müssen auch sie auf die Digitalisierung und die Industrie 4.0 vorbereitet werden, damit sie verstehen, was Vorstände und Führungskräfte
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ihnen berichten. Im Gegenzug müssen Aufsichtsräte den Unternehmensleitungen auch vertrauen und sich auf sie verlassen. Und das erfordert einen wirklichen kulturellen Wandel. Ich halte wenig davon, krampfhaft an veralteten Management-Modellen oder tradierten Organisationsstrukturen festzuhalten. Vielmehr gilt es jetzt die Art und Weise, in der die Industrie agiert, zu verändern und zu prägen und dies schnell zu tun. Für zahlreiche statische Businesspläne haben wir jetzt keine Zeit mehr. Auf dem Weg in eine neue Ära des Vertrauens in die digitale Industrie will ich mit Nachdruck unterstreichen, dass eine agile, beidhändige Führung der zentrale Treiber für den Erfolg der Digitalisierung und der vierten industriellen Revolution sein wird. Denn nur wenn Führungskräfte die Zeit des Wandels ernst nehmen und sich vor dem Hintergrund des heutigen Kerngeschäftes intensiv mit dem Sprung in die digitale Zukunft beschäftigen, werden Unternehmen langfristig erfolgreich sein. Ich wünsche Ihnen viele neue Erkenntnisse und Einblicke bei der Lektüre dieses Buches. Göppingen im Juni 2017
Ihr Eberhard Veit
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Die Zerreißprobe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Evolution oder Revolution?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 In der digitalen Transformation ist Beidhändigkeit zentrale Führungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.3 Das Buch im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3.1 Zielsetzung und Lösungsansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3.2 Gliederung des Buches. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 Ambidextrie: Beidhändigkeit im Orchestrieren von Innovation. . . . . . . . . 20 2.1.1 Schlüsselkompetenz für die digitale Transformation. . . . . . . . . . . . 20 2.1.2 Formen der organisationalen Ambidextrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.2 Beidhändigkeit ist Führungsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.2.1 Führung in einer hybriden Welt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2.2.2 Führung als Ergebnis sozialer Interaktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3.1 Drei Handlungsfelder der Kommunikation in Unternehmen. . . . . . 41 2.3.2 Zwei Naturen von Kommunikation: Transmission und Wirklichkeitskonstruktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.3.3 Beidhändig kommunizieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.4 Fazit: Die Gabe für etwas völlig Neues. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3 Neuland erschließen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.1 Im blauen Ozean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.1.1 Neue Prozesse für die digitale Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.1.2 Neue Führungskompetenz gefragt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
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3.2 Wir verlassen die Organisationspyramide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2.1 Pyramide, Netzwerk, Ökosystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.2.2 Netzkommunikation für die Organisation 4.0. . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.3 Die Handlungsoptionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.3.1 Ecosystem Thinking. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.3.2 Exkurs: Agiles, kommunikationsbasiertes Betriebssystem. . . . . . . 94 3.3.3 Design Thinking als gemeinsame Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.4 Fazit: Einfach anfangen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4 Bestehendes Business vorantreiben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.1 Im roten Ozean. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.1 Beat the Competition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.1.2 Zeiten des Übergangs gestalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.2 Wir nutzen die Organisationspyramide. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.2.1 Hierarchie als Effizienzmöglichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.2.2 Kommunikation für die Effizienz-getriebene Organisation. . . . . . . 129 4.3 Die Handlungsoptionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.3.1 Der gemeinsame Nenner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.3.2 Mit Hochgeschwindigkeit zum Ziel: Kommunikation wird durchorganisiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4.3.3 Exkurs: Innovationskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.4 Fazit: Kommunikation ist Wertschöpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5 Im Zwei-Weltenraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.1 Ein anderer Kosmos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 5.2 Der Überflug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5.3 Die Handlungsoptionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.3.1 Die Zwei-Hände-Übung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.3.2 Der Innovationskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5.3.3 Die Kommunikationstools für Beidhändigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.4 Fazit: Mut zur Beidhändigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.1 Frisst Virus gute Führung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 6.2 Interview 1: Constanze Holzwarth, Top-Management-Beraterin . . . . . . . . 188 6.3 Interview 2: Wiltrud Pekarek, HALLESCHE Krankenversicherung. . . . . . 196 6.4 Interview 3: Thomas Fischer, MANN + HUMMEL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
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6.5 Interview 4: Karin Pahl, Resilienz-Expertin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 6.6 Interview 5: Frank Riemensperger, ACCENTURE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6.7 Interview 6: Gregor Pillen, IBM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6.8 Fazit: Robust durch die Krise, bereit für den Sprung . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 7 Wie Sie morgen damit beginnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 7.1 Kommunikation ist wichtigstes Mittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 7.2 Die sechs Essenzen der beidhändigen Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 7.3 Epilog: Schulen Sie den Anfänger-Geist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Dank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Über die Autorin
© Julia Duwe
Dr. Julia Duwe ist seit vielen Jahren als Führungskraft im Forschungs- und Entwicklungsumfeld von High-Tech-Unternehmen und Forschungsorganisationen tätig, u. a. bei FESTO, TRUMPF und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im beruflichen Alltag treibt sie den Wandel von Unternehmen zur digitalen, datengetriebenen Organisation voran und begleitet Entwicklungsteams in multidisziplinären, unternehmensübergreifenden Ökosystemen. Julia Duwe studierte Publizistikwissenschaften, BWL und Amerikanistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Universität Bergen in Norwegen. Von 2013 bis 2016 promovierte sie berufsbegleitend an der European Business School (EBS) Wiesbaden zur Rolle der Kommunikation von Führungskräften in beidhändigen Technologieunternehmen. Als Expertin für Digital Leadership, Ökosystem-Management und organisationale Ambidextrie sowie als FachbuchAutorin und Bloggerin (www.ambidextrie.de) beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Unternehmen ihr Kerngeschäft vorantreiben und gleichzeitig neue digitale Geschäftsfelder in der Plattformökonomie erschließen. 2019 wurde sie für den Bereich „Digital und Analytics“ in die Vordenker-Community von Handelsblatt und der Boston Consulting Group (BCG) aufgenommen. Seit 2020 ist Julia Duwe Mitglied im Hochschulrat der Technischen Universität Dresden. Webseite der Autorin: www.ambidextrie.de
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Einleitung: Die Zerreißprobe
Zusammenfassung
Evolution oder Revolution? Unternehmen stehen heute vor einer nie da gewesenen Zerreißprobe. In Zeiten von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz müssen sie die bestehenden Produkte und Dienstleistungen dramatisch verbessern, um auf weltweiten Märkten und in heftigen Preiskriegen kurzfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Zugleich gilt es mit radikal neuen Lösungen die Zukunft zu gestalten, um die Organisation auch langfristig überlebensfähig zu halten. Die Evolution zahlt die Gehälter, die Revolution muss das zukünftige Business sichern. Und beide Welten müssen zudem immer öfter völlig unvorhersehbaren Krisen standhalten. Sich gleichzeitig in diametral entgegengesetzten Welten zu bewegen, ist ein Spagat, der von Organisationen und den Menschen, die in ihnen arbeiten in höchstem Maße Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erfordert. Unternehmenserfolg setzt heute voraus, dass Sie beides beherrschen. Führung bedeutet heute, sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft zu orchestrieren und beide Welten gleichermaßen voranzutreiben.
1.1 Evolution oder Revolution? Wie gelingt der Weg durch die digitale Transformation? Wie können Unternehmen die Veränderung steuern? Welche Mittel, Methoden, Strukturen sind die besten, um den Sprung in die Zukunft zu schaffen? Stellt man diese Fragen unter Führungskräften, herrscht selten Einigkeit. Wir wissen mit Sicherheit, dass kein Weg an der Digitalisierung vorbeiführt, doch zugleich fehlt das eine Patentrezept für den erfolgreichen Sprung. Dabei wachsen die Anforderungen an Organisationen im Umfeld der Digitalisierung exponentiell. Analysten zufolge steigt die Zahl der vernetzten
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0_1
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1 Einleitung: Die Zerreißprobe
IoT-Devices (Geräte, Maschinen, Anlagen) bis 2030 auf 125 Mrd. an, dies mit einem jährlichen Wachstum von durchschnittlich 12 %. Der globale Datenverkehr soll innerhalb der nächsten 15 Jahre von heute 20–25 % jährlichem Wachstum auf durchschnittlich 50 % Wachstum pro Jahr zulegen [1]. Mittel- bis langfristig werden nur diejenigen Unternehmen wettbewerbsfähig sein, die den Einzug in die digitale, datengetriebene Welt erfolgreich meistern, die ihre Zukunft aktiv gestalten und ihren Platz in einem neuen, digitalen Ökosystem einnehmen. Die Anstrengungen reichen von zögerlichem bis hin zu absolut konsequentem Vorgehen: „Ab 2025 enthält jedes Bosch-Produkt künstliche Intelligenz oder wurde mit ihrer Hilfe entwickelt beziehungsweise produziert“, erklärt das Industrieunternehmen BOSCH im Vorfeld der Consumer Electronics Show CES 2020 in Las Vegas [2]. Doch die Anforderungen an Unternehmen sind vielfältiger denn je. KI und das Internet der Dinge stellen jede Branche und jede Industrie vor ganz eigene Herausforderungen. Bewegt sich ein Unternehmen auf der Seite des Internets, so gilt es Partnerschaften mit der Hardware-Welt einzugehen, sich beispielsweise im Smart Factory-Umfeld der Industrie 4.0 auf der Feldebene der intelligenten Hardware-Komponenten genauso elegant zu bewegen wie auf der Ebene der datenbasierten Fabriksteuerung. Zählt eine Organisation zu den „Dinge-Machern“ im Internet der Dinge, so zielt ihre Strategie darauf ab, verstärkt die IT-, Software- und Daten-Kompetenzen auszubauen. Es gilt, vernetzte Hardware-Produkte zu den intelligenten Systemen zu entwickeln, die den Kunden datenbasiert zu jedem Zeitpunkt den besten Dienst erweisen: die den Prozess des Kunden rund um die Uhr mit Sensoren begleiten, ihm jeden Wunsch von den Lippen ablesen und die sich eigenständig und mit immer neuen Services an geänderte Nutzerbedürfnisse anpassen. Wie gelingt der Sprung in die Zukunft? Nur wie gelingt den Anbietern von Produkten und Dienstleistungen dieser Sprung in die Zukunft? Wie gelingt der Wandel vom Automobilhersteller zum Anbieter von Mobility as a Service? Wie wird ein Komponentenhersteller von Automatisierungstechnik zum Anbieter von Produktivität On Demand für die Smart Factory? Wie werden Werkzeugmaschinen zu digital vernetzten Datenfabriken? Wie werden Filter in Verbrennungsmotoren zu intelligenten Alltagshelfern der Menschen in der Globalisierung? Wie schaffen wir den Sprung in die Zukunft, obwohl unser heutiges Geschäft erfolgreich unsere Gehälter bezahlt? Der Harvard Business School-Professor Clayton M. Christensen wies schon 1997 in seinem viel zitierten Werk „The Innovator’s Dilemma“ auf den Konflikt sehr erfolgreicher Unternehmen hin. Während diese mit dem heutigen Geschäft satte Gewinne einfahren, sind sie zugleich der Gefahr ausgesetzt, den Zeitpunkt für den Absprung in die Zukunft zu verpassen. Gerade in Zeiten schwarzer Zahlen und wachsendem Umsatz gilt es frühzeitig in neue Technologien und Geschäftsmodelle zu investieren – und gerade dann, wenn die neuen Lösungen das gegenwärtige Geschäft völlig infrage stellen [3].
1.1 Evolution oder Revolution?
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Um trotz intensivem Wettbewerbsdruck im Kerngeschäft die Einführung zukünftiger Lösungen nicht zu verpassen und in das in Abb. 1.1 dargestellte Dilemma gerade nicht zu geraten, müssen Unternehmen beide Welten gleichermaßen orchestrieren: die Gegenwart und die Zukunft. „Einerseits müssen wir unsere bestehenden Strukturen, Erzeugnisse und Prozesse weiterentwickeln, andererseits brauchen wir aber auch ganz neue Technologien, Produkte und Lösungen“, erklärt Ansgar Kriwet, Vertriebsvorstand der Festo AG, auf der Hannover Messe 2017 [4] das Spannungsfeld und zugleich die beidhändige Strategie des Automatisierungsunternehmens. Die Evolution, die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung von Automatisierungskomponenten für den Maschinen- und Anlagenbau und für weltweite Massenmärkte geht hier einher mit der Revolution, dem Sprung in die Welt der intelligenten Automatisierungslösungen für die Industrie 4.0. Spagat-Konzerne „Vom Autobauer zum Spagat-Konzern“, titelt die Süddeutsche Zeitung anlässlich des 100. Geburtstages des Traditionsunternehmens BMW im März 2016 [6] und erklärt den Begriff der „Disruption“ wie folgt: „Eine Technologie löst eine andere ab. Es kommt zu Brüchen, vielleicht sogar zum totalen Bruch mit der Vergangenheit“ [6]. In zahlreichen Unternehmen wird aktuell sichtbar, wie zwei völlig gegensätzliche Welten aufeinander prallen, wie beispielsweise der Verbrennungsmotor nicht nur mit alternativen Antriebskonzepten, sondern gleich mit völlig neuen datenbasierten Lösungen für die zukünftige
Abb. 1.1 Zu beschäftigt für Innovation? (Quelle: Eigene Darstellung inspiriert von R. van den Bergh [5])
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1 Einleitung: Die Zerreißprobe
Mobilität von Menschen konkurriert. Bei der Auflösung dieses Konfliktes hilft ein einfacher Ansatz. In der Übergangszeit brauchen Unternehmen beide Welten, denn ohne Evolution keine Revolution: „Irgendwann muss die BMW Group den großen Sprung machen“, sagt Tony Douglas, der BMW-Mann fürs Digitale. „Wenn er dann kommt, müssen wir es so organisieren, dass die Evolution die Revolution bezahlt“ [6]. Ob Automatisierungslösungen für die Industrie 4.0 oder Mobilitätsdienstleistungen der Zukunft – dies sind nur ausgewählte Beispiele, die verdeutlichen, dass sich die Industrie im radikalen Umbruch befindet. Im Zuge der digitalen Transformation sind Unternehmen jedoch nicht nur mit dem technologischen Wandel konfrontiert. Die Deutsche Akademie der Technik Wissenschaften Acatech fordert bereits 2013 in den Handlungsempfehlungen für die Industrie 4.0 einen „sozio-technischen Ansatz des Zukunftsprojektes“ [7]. Um immer neue smarte Produkte und Dienstleistungen für die Kunden weltweit hervorzubringen, müssen auch neue Formen der Zusammenarbeit geschaffen werden. In Organisationen rücken deshalb die Kernprozesse ins Visier. Hier gilt es immer neue Lösungen hervorzubringen, die den Firmen den Sprung in die Zukunft sichern und die Kunden begeistern. Massenpersonalisierung Denn was wollen Kunden? Einerseits muss die Industrie globale Massenmärkte bedienen können, um den Bedarf nach Produkten und Erzeugnissen von bald acht Milliarden Menschen (Stand: Mai 2020) weltweit [8] zu decken. Andererseits steigen die Anforderungen an die produzierenden Unternehmen, immer zielgerichteter auf Kundenwünsche einzugehen und für jeden Einzelnen das individualisierte Lösungsangebot zu liefern. „Wer sich digital gut aufstellt, kann seinen Kunden einen höchst personalisierten Service bieten, seine Werteversprechen hyperpersonalisieren“, erklärt die Unternehmensberatung Accenture [9]. Eine institutsübergreifende Studie der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung sieht hier ein riesiges Marktpotenzial für Unternehmen. Die Autoren empfehlen in der Studie „Mass Personalization“ einen konsequenten „Business to User“-Ansatz (B2U) und zeigen auf, wie personalisierte Produkte und Dienstleistungen die Wertschöpfungsprozesse in Unternehmen immer weiter verändern [10]. Zukünftige Geschäftsmodelle für personalisierte Produkte und Dienstleistungen entzögen sich der tradierten Einordnung in B2B und B2C und verfolgten vielmehr die Logik des B2U. In der beschriebenen Welt werden sich Nutzerbedürfnisse immer weiter verändern. Produkte sind definiert „als Summe ihrer Services über den Lebenszyklus“, deren echter Mehrwert erst durch die Vernetzung entsteht. In dieser Welt rücken
1.1 Evolution oder Revolution?
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nternehmen konsequent den Nutzer in den Mittelpunkt, entwickeln ein umfassendes U Verständnis seiner Bedürfnisse und Wünsche und schaffen die Möglichkeit, ihn in den Innovationsprozess zu involvieren [10]. Und damit nicht genug, denn ist ein Produkt erst auf dem Markt, ist es noch lange nicht fertiggestellt. Denn jetzt entstehen um das Angebot herum ganze Ökosysteme, in denen Communities über digitale Services das ursprüngliche Lösungsangebot immer weiter individualisieren und kundenspezifisch ausprägen. Der Kunde entwickelt kontinuierlich mit – ein Paradigmenwechsel, den es heute und in Zukunft zu meistern gilt. Nicht nur die Wertschöpfung innerhalb von Unternehmen wird sich deshalb zu „wandelbaren, flexiblen vernetzten Wertschöpfungssystemen“ entwickeln. Immer mehr muss zur Erfüllung der Kundenwünsche unternehmensübergreifend kooperiert werden [10]. Damit sind es nicht mehr die technologischen Innovationen allein, die Unternehmen einen Vorsprung am Markt sichern. Es ist die Art und Weise der Zusammenarbeit, die Fähigkeit, in Netzwerken und Communities zu denken und zu handeln und eine führende Rolle in Wertschöpfungsökosystemen einzunehmen, die weit über die Unternehmensgrenzen hinausreichen (Kap. 3). Kommoditisierung Doch zurück in die Gegenwart. Jenseits der digitalen Wertschöpfungsnetzwerke dreht sich die Welt von Industrieunternehmen auf Hochtouren weiter um das Kerngeschäft. Hier sind die Märkte globalisiert und gesättigt, die Technologien ausgereift. Und während Produkte zur Commodity, zur austauschbaren Massenware, werden, die Preise auf Tiefststände sinken und Unternehmen immer weiter mit ihrer Kostenstruktur kämpfen, liegt die Strategie in erster Linie darin, besser als der Wettbewerb zu sein. Um langfristig überhaupt die Zukunft gestalten zu können, müssen Unternehmen zunächst die Gegenwart bewältigen (Kap. 4). Kundenwünsche müssen erfüllt, schwarze Zahlen geschrieben, Umsatzzuwächse erzielt werden. Denn nur wer erfolgreich im Hier und Jetzt agiert, wird ausreichend Ressourcen besitzen, um den großen Sprung in die Zukunft zu finanzieren. Da sind wir also in der beidhändigen Organisation. Ob Globalisierung, Kommoditisierung, Digitalisierung, immer kürzere Produktlebenszyklen, verschärfter Preiswettbewerb oder disruptive Technologien – in einem hochdynamischen Markt- und Technologieumfeld gilt es für alle Einwirkungen von außen die richtige Antwort parat zu haben (Abb. 1.2). Dass zu den Einwirkungen von außen neuerdings auch völlig unberechenbare Krisen zählen, vertieft dieses Buch in Kap. 6.
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1 Einleitung: Die Zerreißprobe
Abb. 1.2 Beidhändigkeit: Entgegengesetzte Innovationsparadigmen in einer Organisation
1.2 In der digitalen Transformation ist Beidhändigkeit zentrale Führungsfähigkeit In der beidhändigen Organisation sind Führungskräfte täglich gefordert, das bestehende Geschäft hocheffizient voranzutreiben und zugleich in neue, unbekannte Gefilde vorzustoßen. Innovationssprünge sollen die Zukunft des Unternehmens sichern, während die Optimierung des heutigen Geschäftes dafür sorgt, dass Gehälter gezahlt und Kundenwünsche sofort befriedigt werden können. Das Buch Beidhändige Führung setzt an dieser Stelle an. Es bereitet Führungskräfte auf neue Aufgaben im Zuge der Digitalisierung vor, denn Beidhändigkeit ist für global agierende Industrieunternehmen die zentrale Schlüsselkompetenz. Vermehrt wird im Zuge der digitalen Transformation das gleichzeitige Orchestrieren in sich widersprüchlicher Innovationsansätze gefordert. Evolution und Revolution sind die beiden Welten, in denen sich Führungskräfte heute bewegen müssen.
1.2 In der digitalen Transformation ist Beidhändigkeit …
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Doch gerade im Umfeld der Revolution wird häufig auf die Defizite von Führungskräften gezeigt: „Führungskräfte bremsen digitale Transformation aus“ titelt das Industrie-Magazin Scope im Januar 2017 [11]. Die deutschen Mittelstandsnachrichten bemerken „Wissenslücken der Führungskräfte“ [12]. Im Online-Portal CIO liest man: „Führungskräfte verschlafen die Digitalisierung“ [13]. Was also können wir tun, um diesem Trend entgegen zu wirken? Digitalkompetenz durch Ambidextrie-orientierten Führungsstil Dieses Buch vertritt die These, dass Digitalkompetenz nicht dann entsteht, wenn sich Führungskräfte flächendeckend zu Daten-, Software- und IT-Experten verwandeln. Sie entsteht auch nicht, wenn erfolgreiche Unternehmen ihre Strukturen und Funktionsweisen über Bord werfen, auf Hierarchien gänzlich verzichten und sich voll und ganz einer Start-up-Kultur verschreiben. Digitalkompetenz kann dann entstehen, wenn Führungskräfte sich vom Modell des allwissenden Vorgesetzten lösen, stattdessen kontinuierlich dazulernen und intensiv ihre Vernetzungs- und Kommunikationsfähigkeiten ausbauen. Bei zunehmend komplexen Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen, bei einem nicht mehr aufzuhaltenden Verschmelzen von Hardware, Software und Dienstleistungen in einem Lösungsangebot ist das Konzept der alles wissenden Führungskraft veraltet. Stattdessen sind völlig neue Führungsfähigkeiten gefragt, die ebenso erfolgsentscheidend sind wie die detaillierte Kenntnis einer technischen Disziplin. Zusätzlich zum Wissen über komplexe Regelalgorithmen, über Vernetzungssoftware, Data Analytics oder IT-Infrastrukturen spielen die Entwicklung von Geschäftsmodellen und der Aufbau von internen und externen Ökosystemen eine immer wichtigere Rolle. Die Vernetzung von Disziplinen und das Beherrschen und Einführen von kollaborativen Innovationskulturen mit flachen Hierarchien sind nur einige Führungsfähigkeiten, die in diesem Umfeld zwingend notwendig sind. Und damit beginnt ein fundamentaler Umdenkprozess im Verständnis von Führung. Die zentrale Führungskompetenz, die sowohl im evolutionären als auch im revolutionären Umfeld greift und beide Welten vereint, ist die Ambidextrie [14, 15]. Ambidextrie bedeutet „Beidhändigkeit“, die Fähigkeit beide Hände gleichermaßen gut einsetzen zu können [16]. Übertragen auf Unternehmen beschreibt das Konzept, dass einerseits vorhandene Produktprogramme optimiert und auf Kosteneffizienz getrimmt werden (Exploitation), während parallel völlig neue Produktkategorien und Lösungsräume (Exploration) entstehen [17]. Preiswettbewerb und Technologiesprünge, radikale Kostensenkungsprogramme und Investitionen in F&E, Tradition und Zukunftsorientierung werden in beidhändigen Organisationen gleichzeitig orchestriert (Abb. 1.2). Exploration und Exploitation Die Ambidextrie-Forscher Michael Tushman, Wendy Smith und Andy Binns schreiben in diesem Spannungsfeld den oberen Führungskräften, Vorständen und Geschäftsführern eine zentrale Rolle zu [18]. In ihrem Harvard-Business-Review-Artikel „The
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Ambidextrous CEO“ arbeiten die Autoren drei Führungsprinzipien heraus, die Ambidextrie ermöglichen [18]. Sie fordern von Unternehmensleitungen 1. die Einbindung des Senior-Management-Teams in eine zukunftsweisende strategische Ausrichtung. 2. das explizite Aushalten von Spannungen zwischen Innovationsteams und Kerngeschäft in der Unternehmensleitung sowie 3. das Umarmen der Inkonsistenz, die durch den Erhalt gegensätzlicher strategischer Vorgehensweisen steht. Firmen würden wachsen, so die Autoren, wenn das Management die Spannung zwischen Altem und Neuen begrüßt und einen Zustand des ständigen Konfliktes an der Spitze nicht nur aushält, sondern bewusst herbeiführt und balanciert [18]. Beispiele finden sich zahlreich in der Industrie. Unternehmen beschreiben immer öfter die Notwendigkeit, erfolgreich in der Gegenwart zu sein und gleichzeitig die Zukunft zu antizipieren: So setzt der Automobilhersteller Porsche in seiner Strategie 2025 auf die Verbindung von Tradition und Innovation: „Wir verbinden die Tradition mit der Zukunft“ erklärt der Vorstandsvorsitzende Oliver Blume anlässlich des 70. Geburtstages der Marke [19]. Nur wie genau funktioniert Führung, wenn Unternehmen sich zwei strategischen Ausrichtungen gleichzeitig verschreiben? Wie können Führungskräfte Beidhändigkeit im täglichen Alltag ganz konkret umsetzen? Wie wird es möglich, sich in beiden Welten zu bewegen und Teams in beiden Welten zu fördern und zu unterstützen? Eine zentrale Antwort auf diese Fragen findet dieses Buch in der täglichen Kommunikation von Führungskräften. Es zeigt auf, wie Führungskräfte auf gleichzeitige Exploitation und Exploration durch ihr kommunikatives Handeln Einfluss nehmen, beide Welten ermöglichen und gewinnbringend verbinden können (Abb. 1.3).
Abb. 1.3 Beidhändigkeit ist neue Führungskompetenz
1.3 Das Buch im Überblick
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1.3 Das Buch im Überblick 1.3.1 Zielsetzung und Lösungsansatz Beidhändige Führung ist ein Buch für Führungskräfte, die ihre Organisation fit machen wollen für die Welt der Daten und künstlichen Intelligenz. Ob im Maschinen- und Anlagenbau, in der IT, in der Automobilindustrie, in Chemie und Pharma, der Lebensmittelindustrie oder im Energiesektor – es adressiert industrie- und branchenübergreifend diejenigen Unternehmen, die auf globalen Märkten durch Innovationskraft echte Wettbewerbsvorteile entwickeln wollen. Das Buch richtet sich an Führungskräfte in allen Unternehmens- und Innovationsbereichen: 1. Führungskräfte, die mit ihren Teams und Aufgaben in den Bereichen Forschung, Entwicklung, Produktion, Vertrieb, Marketing, Logistik an der Entstehung und Kommerzialisierung von Produkten und Dienstleistungen beteiligt sind; 2. Führungskräfte, die in prozessorientierten Bereichen wie Qualität, Controlling, Strategie und Planung oder Verfahrensentwicklung neue Prozesse, Methoden und Abläufe gestalten; 3. Führungskräfte, die kulturprägende neue Methoden und Arbeitsweisen implementieren und dadurch die Unternehmenskultur von Organisationen nachhaltig verändern. 4. Führungskräfte, die im Umfeld von Krisen neue Handlungswerkzeuge suchen, um Menschen und Organisationen stabil durch die Krise und zugleich flexibel und wandlungsfähig in die Zukunft zu führen (Exkurs Kap. 6). Beidhändige Führung wurde darüber hinaus für eine breite Zielgruppe von Menschen geschrieben, die sich im wirtschaftlichen wie wirtschaftswissenschaftlichen Umfeld der Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen bewegen. Es adressiert sowohl Führungskräfte als auch Wissenschaftler, Dozenten, Studierende und Berater mit den Schwerpunkten Innovation, Management und Kommunikation für die digitale Transformation. Der Lösungsansatz Der Lösungsansatz dieses Buches heißt Beidhändigkeit durch Kommunikation. Das Buch beantwortet die Frage, wie Beidhändigkeit im Beruf umgesetzt werden kann und wie bekannte Führungsansätze einfach mit zukunftsweisenden neuen Ansätzen kombiniert werden können. Es zeigt konkrete Mittel und Wege auf, wie es Führungskräften gelingt, das bestehende Geschäft voranzutreiben und zugleich die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens permanent im Blick zu haben. Zahlreiche Praxisbeispiele und konkrete Umsetzungstipps für den Führungsalltag veranschaulichen, wie aus einer Zerreißprobe mithilfe von einfachen Kommunikationsinstrumenten ein eleganter Spagat werden kann.
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Beidhändige Führung stützt sich neben den täglichen Erfahrungen der Autorin selbst auf Aussagen von Führungskräften aus deutschen Industrieunternehmen, die die Herausforderungen im Umfeld von Industrie 4.0 und Digitalisierung aus dem eigenen Berufsalltag kennen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes [20] wurden Führungskräfte im Hoch- bis Spitzentechnologie-Sektor zwischen 2013 und 2017 dazu befragt, welche Verhaltensmuster sie im Alltag anwenden, um welche Ziele in Hinblick auf Exploration oder Exploitation zu erreichen. Dabei wurde insbesondere das Kommunikationsverhalten von Führungskräften aus dem oberen Management untersucht, die sich im Kontext der Exploitation, der Exploration und in beiden Welten gleichzeitig bewegen. Die Studienergebnisse machten sichtbar, dass das kommunikative Handeln der Führungskräfte je nach Innovationszielsetzung – Exploration oder Exploitation – völlig unterschiedlich in Erscheinung trat und von streng hierarchisch organisiertem Kommunikationsmanagement bis hin zur losen Steuerung offener Netzwerken reichte. Die Ergebnisse der Studie wurden in einem Modell der Ambidextrie-orientierten Kommunikation von Führungskräften zusammengefasst und sind Grundlage dieses Buches. Die Zielsetzung Ergänzend zur 2016 erschienenen Forschungsarbeit Ambidextrie, Führung und Kommunikation [20], die einen intensiven Dialog mit der Wissenschaft darstellt, ist Beidhändige Führung in erster Linie ein Praxisbuch für den Führungsalltag im Umfeld von Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Die inzwischen mehrfach erprobten Forschungsergebnisse und die gewonnenen Erfahrungen mit dem kommunikationsbasierten beidhändigen Führungsansatz wurden in Form von konkreten Handlungsoptionen für den Leser aufbereitet. Denn solange organisationale Ambidextrie und beidhändige Führung in den Führungsetagen von Institutionen und Konzernen noch als Ausnahme-Thema in Erscheinung tritt, solange beidhändige Führungskräfte immer noch Einzelfälle sind, wird der Sprung in die digitale Zukunft kaum gelingen. Die langfristige Zukunftsfähigkeit von Organisationen wird sich erst dann entfalten, wenn das heutige Verständnis von Führung einen grundsätzlichen Wandel erfährt, wenn die Evolution dafür genutzt wird, die Revolution zu ermöglichen, wenn Führungskräfte sich in beiden Welten auf vertrautem Terrain bewegen. Beidhändige Führung stellt hilfreiches Rüstzeug bereit, das Führungskräfte benötigen, um die Digitalisierung nicht zu bremsen, sondern als Chance zu nutzen und in großen Schritten voranzutreiben. Das Buch wurde dazu aus drei verschiedenen Perspektiven verfasst (Abb. 1.4): 1. Theorie 2. Training und Lernen 3. Praxis
1.3 Das Buch im Überblick
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Abb. 1.4 Die drei Perspektiven dieses Buches: Theorie, Praxis, Training
1. Theorie: Beidhändige Führung besitzt erstens eine fundierte wissenschaftliche Grundlage. Es baut auf der wissenschaftlichen Forschung zur Ambidextrie auf und erweitert diese um den Aspekt der Kommunikation von Führungskräften. Die Inhalte sind wissenschaftlich durch empirische Fallstudien begründet [20]. 2. Training und Lernen: Beidhändige Führung integriert zweitens eine vermittelnde Trainings- und Lern-Perspektive, die aus dem zum Buch entstandenen Ambidextrie-Training abgeleitet ist. Der hier beschriebene Lösungsansatz basiert auf den Lerninhalten des Trainings. Das Buch enthält aus diesem Grund wiederholt Definitionen, erklärende Illustrationen und hilfreiche Hinweise auf weiterführende Literatur. Es bietet seinen Lesern darüber hinaus konkrete Ansatzpunkte für die direkte und einfache Umsetzung im Führungsalltag. 3. Praxis: Beidhändige Führung baut drittens auf zahlreichen praktischen Erfahrungswerten auf. Exklusiv für dieses Buch wurden Experten-Interviews mit Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen und Organisationen geführt. Die Interviews im Überblick Mit Prof. Dr. Wilhelm Bauer, dem geschäftsführenden Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart („Spagat in der Management-Praxis“, Kap. 2) und Prof. Dr. Manfred Aigner, Direktor des Instituts für Verbrennungstechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
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in Stuttgart („Hierarchie als Effizienzmöglichkeit“, Kap. 4) berichten zwei Vertreter der außeruniversitären Forschung über die Bedeutung von Ambidextrie für die Wirtschaft und über die Anwendung im Forschungsalltag. Die Perspektive einer deutschen Exzellenz-Universität ergänzt Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen, von 2010 bis 2020 Rektor der Technischen Universität Dresden, mit seinem Blick auf das Thema Vision und Zukunftsfähigkeit („Die Kunst, die Balance zu finden“, Kap. 5). Die Bedeutung von beidhändiger Führung und Kommunikation im Kontext von Innovation und Entrepreneurship erklärt Prof. Dr. Ronald Gleich, Professor für Management Practice und Control an der Frankfurt School of Finance und Management in Frankfurt am Main („Kultur des Unternehmertums wichtiger denn je“, Kap. 6). Anne-Elisabeth Krüger, Expertin für User Driven Innovation und User Experience des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO („Kreatives Selbstvertrauen fördern“, Kap. 3) und Andreas Leinfelder, Vice President Business Development bei Bosch Power Tools („Neue Rolle für Führungskräfte“, Kap. 3) vertiefen den Handlungsansatz des Design Thinking und erklären aus Sicht von Wissenschaft und Praxis die Bedeutung von Design Thinking für den Innovationsalltag von Industrieunternehmen. Praxiseinblicke für den beidhändigen Führungsalltag geben Prof. Dr. Volker Nestle, Vorstandsvorsitzender der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung und Leiter der Produktentwicklung LifeTech des Technologieunternehmens FESTO („Ambidextrie ist Unternehmensalltag“, Kap. 5) sowie der Geschäftsführer Cluster Benelux von FESTO in Delft, Dennis van Beers („Das Team steuert sich vollständig selbst“, Kap. 5). In der 2. Auflage wurden anlässlich der COVID-19-Krise weitere sechs Interviews zu Führung und Krisenmanagement ergänzt (vgl. Kap. 6): Das Interview „Jetzt gilt es, sichtbar zu sein“ mit Dr. Constanze Holzwarth, Psychologin und Top-Management-Beraterin, betrachtet die Ebene der einzelnen Führungskraft im Umfeld der Krise. Das Interview „Wir brauchen jetzt doppelte Beidhändigkeit“ mit Wiltrud Pekarek, Vorstandsmitglied der HALLESCHE Krankenversicherung aG, gibt einen Einblick in die Führungsetage eines systemrelevanten privaten Krankenversicherers. Das Gespräch „Es geht um Empowerment“ mit Thomas Fischer, Vorsitzender des Aufsichtsrates von MANN+HUMMEL, vertieft die Bedeutung von empathischer, sinnstiftender Führung in der Krise und beantwortet die Frage wie Führungskräfte in Krisenzeiten Beidhändigkeit erreichen. Karin Pahl, Inhaberin der PAHL Resilienz-Förderung in Bremen, erklärt im Interview „Resilienz ist in jedem von uns angelegt“, wodurch Führungskräfte widerstandsfähig werden und wie sie sich für Krisenzeiten wappnen. Wir treffen auf Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture Deutschland, der im Interview „Reboot in die neue, veränderte Welt“ die Sicht einer internationalen Unternehmensberatung und deren Kunden beschreibt. Im Gespräch „Das ist ein Gleichklang“ mit Gregor Pillen,
1.3 Das Buch im Überblick
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orsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland, erhalten wir Einblicke in die V Führung und das Krisenmanagement eines globalen IT-Unternehmens. Dr. Eberhard Veit fasst im Vorwort zur zweiten Auflage dieses Buches die Bedeutung beidhändiger Führung zusammen: „Das Konzept der Ambidextrie ist aktueller denn je. Sowohl strategisch als auch in der Führung befinden sich Unternehmen heute wie nie zuvor in einer ständigen Zerreißprobe zwischen einer bekannten Welt und einer ungewissen Zukunft. Wir können davon ausgehen, dass sich schwerwiegende Ereignisse wie die globale Corona-Krise im Jahr 2020 wiederholen werden. Es gibt keine Garantie für Stabilität. Wir müssen uns für diese Welt rüsten“ (Vorwort zur zweiten Auflage). Die exklusiv für das Buch Beidhändige Führung gesammelten Einblicke in die Arbeit im ambidextren Innovationsumfeld wurden durch intensive Recherche in den Medien um weitere Praxis-Stimmen und Fallstudien ergänzt. Sie liefern wertvolle Anregungen für einen Führungsalltag, in dem es gilt, Menschen in Unternehmen zu begeistern, ihr kreatives Potenzial freizusetzen und als Organisation gemeinsam den Sprung in die Zukunft zu schaffen.
1.3.2 Gliederung des Buches Beidhändige Führung ist in zwei Teile unterteilt, einen theoretischen Teil (Kap. 1 und 2), der in das Thema einführt und den Lösungsansatz dieses Buches vorstellt und einen praktischen Teil (Kap. 3 bis 6) zur Vermittlung von Werkzeugen für die Umsetzung. Um die Motivation dieses Buches ausreichend darzustellen, beginnt Kap. 1 mit einer Einführung in den Kontext, in dem sich Führungskräfte täglich bewegen. Es erörtert die Herausforderungen von Organisationen im Umfeld der Digitalisierung, stellt das Spannungsfeld zwischen Evolution und Revolution an Beispielunternehmen vor und führt in den Ansatz der Beidhändigkeit ein. In Kap. 2 wird der zentrale Lösungsansatz des Buches, die Ambidextrie-orientierte Kommunikation von Führungskräften, ausführlich erklärt. Das wissenschaftliche Konzept der organisationalen Ambidextrie (Beidhändigkeit) wird zunächst eingeführt und erklärt, warum Beidhändigkeit im Kern eine Fähigkeit von Führungskräften ist und nur durch diese in die Organisation getragen werden kann. Schließlich werden die zentralen Erkenntnisse des zugrunde liegenden Forschungsprojektes herangezogen und vorgestellt, wie Führungskräfte Beidhändigkeit durch ihre tägliche Kommunikation erreichen können. Das heute weit verbreitete Rollenverständnis von Führung, dem zufolge sich Führungskräfte weitestgehend in hierarchischen Organisationsstrukturen bewegen, wird dabei nicht grundsätzlich infrage gestellt, sondern um einen zweiten Ansatz (die zweite Hand) erweitert und damit für die Herausforderungen der Digitalisierung angepasst. Das Bild, das in den ersten beiden Kapiteln entsteht, macht das Spannungsfeld, dem Organisationen ausgesetzt sind, greifbar. Führungskräfte sind gezwungen, sich im
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täglichen Handeln in diametral entgegengesetzten Welten zu bewegen und teilweise hochgradig widersprüchliche Entscheidungen zu treffen, um das Heute und das Morgen zu orchestrieren. Der zweite Teil des Buches baut auf diesem Bezugsrahmen auf. Auf Basis des vorgestellten Ansatzes zeigen die Kap. 3 bis 6 Handlungsoptionen für die praktische Umsetzbarkeit im Führungsalltag auf. Kap. 3 betrachtet das kommunikative Handeln von Führungskräften im Umfeld von Exploration. Es rückt die Zukunft in den Fokus und bietet Handlungsmuster an, die zu unbekannten, noch nicht definierten Lösungsräumen führen. Es beschreibt, wie, um Neuland zu erreichen, die Vielstimmigkeit und Vernetzung von Teilnehmern einer Organisation in den Vordergrund rücken muss. Kommunikation hat in diesem Umfeld die Aufgabe, die vielen individuellen Interaktionen zu ermöglichen und vielfältige Ideen zu fördern. Wenn die genaue Lösung noch nicht definiert ist, eröffnet sich durch Kommunikation ein Raum der Interaktion, in dem kollektives Wissen entstehen und angezapft werden kann. Kap. 3 stellt Ihnen dazu einen Ökosystem-basierten Führungsstil vor. Sie erfahren, wie Führungskräfte interne Ökosysteme aufbauen und nähren können und damit die Tür zu unbekannten, noch nicht definierten Lösungsräumen öffnen. Je stärker ein potenzieller Lösungsraum im Umfeld von Digitalisierung und Industrie 4.0 dabei selbst von autonomen, kommunizierenden Einheiten und deren Vernetzung bestimmt ist, desto mehr müssen genau diese menschlichen Fähigkeiten in Teams entlang des Innovationsprozesses aktiviert werden. Es gilt, vielfältige individuelle Interaktionen herbeizuführen, Begegnungsräume zu schaffen und die Resultate des dort stattfindenden Austauschs zur Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen zu nutzen. Kommunikationszentrierte Handlungsrahmen wie das agile Projektmanagement und kreativitätsfördernde Methoden wie Design Thinking unterstützen Führungskräfte dabei, ein zukunftsorientiertes Mindset in Organisationen zu prägen. Bei aller Zukunftsorientierung müssen Unternehmen jedoch zugleich im Hier und Jetzt erfolgreich sein. Kap. 4 beschäftigt sich deshalb mit dem kommunikativen Handeln von Führungskräften im Umfeld von Exploitation, dem Vorantreiben des bestehenden Geschäftes und der inkrementellen Weiterentwicklung bestehender Lösungen. Es beschreibt, wie Informationsvermittlung und Kommunikationskaskaden bestmöglich geplant und organisiert werden können, um das bestehende und bekannte Geschäft voranzutreiben. Es erklärt, wie Informationen an Zielgruppen verteilt, Kenntnisstände synchronisiert und die Mitglieder einer Organisation auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Um Einstimmigkeit und Effizienz bei der Umsetzung strategischer Ziele zu erreichen, ist formelle, durchgeplante Top-down-Kommunikation eine Voraussetzung. Sie zeigt sich beispielsweise in Form von offizieller Projektkommunikation mit ihren Gremienstrukturen und regelmäßigen Abstimmungen oder als offizielle Mitarbeiter-Information über das Intranet oder Veranstaltungen. Schließlich thematisiert Kap. 5 den Spagat, in den Führungskräfte sich begeben, wenn sie sich in beiden Welten bewegen. Es bietet Handlungsoptionen, wie eine Balance zwischen Exploitation und Exploration in der Organisation hergestellt werden und wie man beides gleichzeitig vorantreiben kann. Diese Form der Kommunikation
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ist insbesondere bei oberen Führungskräften notwendig, die die Entscheidung treffen und stärken können, dass sich ein Unternehmen in beiden Welten bewegt. Vorstände, Geschäftsführer oder Leiter großer Bereiche haben hier die Aufgabe, eine überzeugende Vision von der Zukunft zu vermitteln und immer wieder die Notwendigkeit zu unterstreichen, sich heute schon für die Zukunft zu engagieren. Denn erst, wenn eine klare Vision für die Zukunft vermittelt ist, kann sich eine Organisation danach ausrichten und sich in beiden Welten bewegen. Zielsetzung der Kap. 3 bis 5 ist es, dem Leser konkretes Werkzeug an die Hand zu geben, das im Organisationsumfeld schnell und einfach einzusetzen ist. Neben zahlreichen Beispielen aus dem Praxisalltag liefern die Interviews in jedem Kapitel begleitende Stimmen von Führungskräften aus Industrie und Wissenschaft. Jedes der drei Kap. 3 bis 5 umfasst die folgenden Elemente: • Das Anwendungsgebiet: Einführung in den Innovationskontext • Die Handlungsoptionen für Führungskräfte • Das Interview: Stimmen aus der Praxis • Fazit • Empfohlene Literatur/Quellenangaben. Kap. 6 ist das Ergebnis einer Interview-Studie zur Fragestellung, wie Menschen und Unternehmen gestärkt durch Krisen gehen. Das Kapitel wurde in der 2. Auflage von Beidhändige Führung anlässlich der COVID-19-Krise ergänzt. Der Exkurs zum Themenfeld Führung und Krisenmanagement dokumentiert die Ausnahmesituation in sechs Gesprächen mit Persönlichkeiten aus der deutschen Unternehmenslandschaft. Während die Welt im Frühjahr 2020 gebannt auf die Corona-Pandemie und auf die Folgen der Stilllegung des öffentlichen Lebens schaut, teilten die Experten in den Wochen des Lockdowns ihre Führungserfahrungen und Erkenntnisse über erfolgreiches Krisenmanagement mit Beidhändige Führung. Das Fazit: In der Krise erhöht „Doppelte Beidhändigkeit“ die Resilienz (Widerstandskraft) von Unternehmen. Aufgabe des abschließenden Kap. 7 ist es, die einzelnen Bestandteile der Kap. 3 bis 6 in ein Gesamtbild zusammenzufügen. Denn in der Praxis zeigt sich, dass die Innovationskontexte (Exploration, Exploitation) selten in ihrer reinen Form auftreten. So findet sich auch im Umfeld von Sprung-Innovationen die Berechtigung für zielgerichtete, durchgeplante Kommunikationskaskaden zur Vermittlung von Informationen. Genauso kann die kontinuierliche Verbesserung des bestehenden Produktprogrammes einen revolutionär neuen Ansatz in der Gestaltung von Entwicklungsprozessen erfordern. Die „Reinform“ aus Exploitation oder Exploration ist selten anzutreffen. Es ist nur entscheidend für den Leser, die grundsätzlichen Naturen von Kommunikation zu kennen und je nach Kontext einsetzen zu können. Darüber hinaus fasst Kap. 7 für den schnellen Leser mit wenig Zeit die wichtigsten Aussagen des Buches nochmals zusammen und erklärt, wie das Gelernte schon morgen in die Praxis umgesetzt werden kann.
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1 Einleitung: Die Zerreißprobe
Die Kapitel im Überblick (Abb. 1.5) Kap. 1 – Die Zerreißprobe: Warum ist Beidhändigkeit so wichtig? Was hat sie mit der Digitalisierung zu tun? Wer ist betroffen und wie reagieren wir darauf? Sind Organisationen dehnbar, flexibel und anpassungsfähig? Oder sind sie starre Gebilde mit festen Strukturen? Kap. 2 – Erfolg durch beidhändige Kommunikation: Was ist Ambidextrie? Wann tritt sie auf? Wie hängt das Konzept mit Führung zusammen? Wie kann ich die beiden Welten Exploitation und Exploration durch Kommunikation orchestrieren? Kap. 3 – Neuland erschließen widmet sich einem explorativen Handlungsumfeld von Führungskräften, in dem es gilt, neue Lösungen hervorzubringen. Wie können bestehende Wertschöpfungsketten in sich selbstorganisierende Wertschöpfungsökosysteme überführt werden? Wie entstehen interne Ökosysteme und wie kann man sie als Führungskraft nutzen? Wie schafft man ein kreativitätsförderndes Arbeitsumfeld? Wie entstehen durch den Austausch verschiedener Disziplinen neue Lösungen? Kap. 4 – Bestehendes Business vorantreiben stellt Kommunikationsgrundlagen, Handlungsoptionen und Tools für den Alltag von Führungskräften im Umfeld
Abb. 1.5 Die Kapitel im Überblick
Literatur
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von Exploitation, bestehendem Geschäft und Effizienzsteigerung vor. Wie können Informationen schnell und effizient verteilt werden? Wie erreiche ich einen gemeinsamen Nenner in der Organisation? Kap. 5 – Im Zwei-Weltenraum stellt beide Ansätze – Exploration und Exploitation – auf das Fundament der Beidhändigkeit und vermittelt Kommunikationsansätze, die Ambidextrie fördern. Wie können Führungskräfte beiden strategischen Ausrichtungen eine Daseinsberechtigung verleihen? Wie können beide Welten balanciert und orchestriert werden? Welche Rolle spielt dabei die Vermittlung einer starken Vision? Kap. 6 – Exkurs: Beidhändig durch die Krise dokumentiert in sechs Gesprächen mit Persönlichkeiten aus der deutschen Unternehmenslandschaft die Ausnahmesituation der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020. Als Exkurs in die Praxis liefert das Kapitel neben den persönlichen Erfahrungen der Interviewpartner konkrete Erkenntnisse und Handlungsoptionen für die Führungsarbeit im Umfeld von Krisen. Kap. 7 – Wie Sie morgen damit beginnen arbeitet abschließend die Essenzen dieses Buches heraus und bietet einen Ausblick auf die konkrete Nutzung des Gelernten im Führungsalltag. Wie können wir mit der Umsetzung einfach anfangen? Und wie erhalten wir uns den für Innovation so wertvollen „Anfänger-Geist“?
Literatur 1. IHS Markit (2020): The Internet of Things: revolutionizing the competitive landscape. Online unter: https://cdn.ihs.com/www/pdf/IoT_ebook.pdf [Zugegriffen am 17.50.2020]. 2. „Bosch strebt Technologieführerschaft bei Künstlicher Intelligenz an“, in: Industry of Things vom 07.01.2020. Online unter: https://www.industry-of-things.de/bosch-strebttechnologiefuehrerschaft-bei-kuenstlicher-intelligenz-an-a-894049/ [Zugegriffen am 21.05.2020]. 3. Christensen, C.M. (2011): The Innovator’s Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren. 2. korr. Aufl. München: Franz Vahlen. 4. Pressemitteilung der Festo AG & Co. KG (2017): „Digitalisierung: Evolution oder Revolution?“ Erschienen am 9.2.2017. Esslingen. Online unter: https://www.festo.com/net/ de_de/SupportPortal/Details/419179/PressArticle.aspx?&KeepThis=true& [Zugegriffen am 24.05.2020]. 5. Van den Bergh, Rens (2014): Too Busy to Innovate. Online unter: https://twitter.com/ Rensvandenbergh/status/460747654083801088 [Zugegriffen am 12.08.2017]. 6. „Vom Autobauer zum Spagatkonzern“, in: Süddeutsche Zeitung vom 7.3.2016. Online unter: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/jahre-bmw-und-jetzt-1.2881380-3 [Zugegriffen am 24.05.2020]. 7. Acatech. (2013): Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0: Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. Frankfurt a. M.. Online unter: https://www.bmbf.de/ files/Umsetzungsempfehlungen_Industrie4_0.pdf [Zugegriffen am 24.05.2020]. 8. Countrymeters (2020): Population of the world and countries. Online unter: https://countrymeters.info/en [Zugegriffen am 17.05.2020]. 9. Riemensperger, Frank; Falk, Svenja (2019): Titelverteidiger. Wie die deutsche Industrie ihre Spitzenposition auch im digitalen Zeitalter sichert. München: Redline, S. 156.
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1 Einleitung: Die Zerreißprobe
10. Bauer, Wilhelm; Leistner, Phlipp; Schenke-Layland, Katja; Oehr, Christian; Bauernhansel, Thomas; Morszeck, Thomas H. (2016): Mass Personalization. Mit personalisierten Produkten zum „Business to User“ (B2U). Stuttgart: Fraunhofer Gesellschaft: Stuttgart. Online unter: https://www.stuttgart.fraunhofer.de/de/studie_b2u.html [Zugegriffen am 24.05.2020]. 11. „Führungskräfte bremsen digitale Transformation aus“, in: Scope Online vom 18.1.2017. Online unter: https://www.scope-online.de/smart-industry/industrie-4-0--fuehrungskraeftebremsen-digitale-transformation-aus.htm [Zugegriffen am: 24.05.2020]. 12. „Wissenslücken der Führungskräfte bremsen Digitalisierung“, in: Deutsche Mittelstands Nachrichten vom 30.1.2017. Online unter: http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten. de/2017/01/87226/ [Zugegriffen am 24.05.2020]. 13. „Deutsche Führungskräfte verschlafen die Digitalisierung“, in: CIO Online vom 27.10.2015. Online unter: https://www.cio.de/a/deutsche-fuehrungskraefte-verschlafen-diedigitalisierung,3249055 [Zugegriffen am 24.05.2020]. 14. O’Reilly, C. A. & Tushman, M. (2013): Organizational Ambidexterity: Past, Present, and Future. Academy of Management Perspectives, 27 (4), S. 324–338. 15. O’Reilly, C. A. & Tushman, M. L. (2004): The Ambidextrous Organization. Harvard Business Review, 82 (4), S. 74–81. 16. Birkinshaw, J. & Gupta, K. (2013): Clarifying the Distinctive Contribution of Ambidexterity to the Field of Organization Studies. Academy of Management Perspectives, 27 (4), S. 287– 298. 17. O’Reilly, C. A. & Tushman, M. L. (2008): Ambidexterity as a Dynamic Capability: Resolving the Innovator’s Dilemma. Research in Organizational Behavior, 28, S. 185–206. 18. Tushman, Michael M., Smith, Wendy K., Binns, Andy (2011): The Ambidextrous CEO. In: Harvard Business Review, Juni 2011, 89 (6), S. 74–80. 19. Porsche AG (2018): „Wir verbinden unsere Tradition mit der Zukunft. Interview mit dem Porsche-Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume anlässlich 70 Jahre Porsche Sportwagen. Online unter: https://presskit.porsche.de/anniversaries/de/70-years-porsche-sports-cars/topic/category/ porsche-bleibt-porsche/items/de-wir-verbinden-unsere-tradition-mit-der-zukunft-334.html [Zugegriffen am 24.05.2020]. 20. Duwe Julia (2016): Ambidextrie, Führung und Kommunikation. Interne Kommunikation im Innovationsmanagement ambidextrer Technologieunternehmen. Wiesbaden: Springer Gabler.
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Erfolg durch beidhändige Kommunikation
Zusammenfassung
Was ist Ambidextrie? Warum brauchen wir sie in Unternehmen? Wie verändert das Konzept das heutige Führungsverständnis? Wie kann ich als Führungskraft den beidhändigen Führungsstil umsetzen? Kap. 2 führt in das wissenschaftliche Konzept der organisationalen Ambidextrie (Beidhändigkeit) ein und stellt das Ambidextrie-orientierte Kommunikationsmodell für Führungskräfte vor. Es wird erklärt, warum Beidhändigkeit im Kern eine Fähigkeit von Führungskräften ist und wie Sie Beidhändigkeit durch Ihre tägliche Kommunikation in die Organisation tragen können. Das heute weit verbreitete Rollenverständnis von Führung, dem zufolge sich Führungskräfte weitgehend in hierarchischen Organisationsstrukturen bewegen, wird in Kap. 2 einem Umdenkprozess unterzogen. Ein komplementärer Ansatz, die zweite Hand, wird benötigt, der Führung fit macht für die Herausforderungen der digitalen Transformation. Die zweite Hand beruht auf einem Verständnis, das Führung losgelöst von einer zugewiesenen Funktion sieht und als Ergebnis eines komplexen Prozesses der sozialen Interaktion versteht. Wenn die Interaktion zwischen Menschen im Unternehmen in den Fokus von Führung rückt, erhalten auch Kommunikation und Austausch zwischen Individuen einen ganz neuen Stellenwert. Der zentrale Lösungsansatz dieses Buches trägt dieser Bedeutungsverschiebung Rechnung. Er stellt Kommunikation in den Mittelpunkt der täglichen Führungsarbeit.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0_2
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2.1 Ambidextrie: Beidhändigkeit im Orchestrieren von Innovation 2.1.1 Schlüsselkompetenz für die digitale Transformation 2.1.1.1 Was passiert in der digitalen Transformation? Was passiert in Unternehmen nun eigentlich genau in der Zeit der digitalen Transformation? Wie lässt sich der Transformationsprozess am ehesten verstehen? Klar ist, dass wir das „digitale Ziel“ erreichen wollen, denn an unzähligen Stellen des digitalen Alltags ist es heutzutage sichtbar, welchen Nutzen die neuen Lösungen breitflächig stiften. Ob als E-Commerce, Apps oder Online-Services – digitale Lösungen bieten dem Kunden ein Plus an Leistung, Transparenz in jeder Situation, rund um die Uhr und On Demand unterstützende Dienstleistungen und um ein Vielfaches gesteigerte Flexibilität. Wenn wir diesen Mehrwert tatsächlich erzielen und gewinnbringend für die Zukunft nutzen wollen, werden dringend neue Kompetenzen, Technologien, IT-Infrastrukturen und vor allem neue datengetriebene Geschäftsmodelle benötigt. Darin ist man sich zweifelslos einig. Alexander Osterwalder und Yves Pigneur definieren in ihrem Buch „Business Model Generation“ ein Geschäftsmodell als „das Grundprinzip, nach dem eine Organisation Werte schafft, vermittelt und erfasst“ [1]. Der Business Model Canvas, den Osterwalder im Rahmen seiner Dissertation zusammen mit Pigneur entwickelte, beschreibt alle Elemente, die notwendig sind, um Wertschöpfung zu betreiben und ein Angebot gewinnbringend zu vermarkten: die zentralen Ressourcen und Aktivitäten eines Unternehmens, die notwendigen Partnerschaften, die Kostenstruktur, das eigentliche Wertangebot, die Beziehungen zum Kunden, die Kundensegmente, die (Vertriebs-) Kanäle sowie die Einnahmequellen eines Unternehmens oder einer Geschäftseinheit. In der Praxis dient die Arbeit mit dem Canvas als ideale Einstiegsgrundlage und praxisorientiertes Instrument, um ein Geschäftsmodell „aus der Perspektive von Wertschöpfung, Kunden und Kostenstruktur“ zu hinterfragen, zu überarbeiten oder völlig neu zu entwickeln [1]. Kein Prozess greift mehr… Wenn Menschen in Organisationen jedoch bestehende Geschäftsmodelle hinterfragen und völlig neue Lösungen auf den Weg bringen sollen, greifen die vorhandenen bewährten Prozesse und Methoden plötzlich zu kurz. Wir stehen „ohne etwas“ da. Ernüchternd ist die Erkenntnis, dass ein vorhandener Unternehmensprozess ein neues Geschäftsmodell schlichtweg blockiert, dass eine erfolgreiche Organisation ein Innovationsvorhaben einfach nicht ermöglicht. Denn in den meisten Traditionsunternehmen sind die Prozesse, Strukturen, Methoden – das komplette Mindset – konsequent auf die heutigen Technologien und deren Erfolgsprodukte ausgerichtet. Die Gewinne sind satt, die Prozesse sind spezialisiert, die Menschen und Teams eingespielt. Hier wissen wir im Schlaf, was zu tun ist. Die Lösungen sind bekannt, das Know-how ist im Überfluss vorhanden. Es wird unter Hochdruck weiterentwickelt und optimiert.
2.1 Ambidextrie: Beidhändigkeit im Orchestrieren von Innovation
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Gefahr: Verlust von Marktanteilen Doch der 100 % Fokus auf bestehende Technologien führt mittel- bis langfristig zum Verlust von Marktanteilen (Abb. 2.1). Zugleich führt die Erkenntnis, dass die vorhandene Maschinerie für Neues nicht funktioniert, im schlimmsten Fall zu Stillstand und Apathie bei den Innovatoren. Um dem Stillstand zu entkommen, ist vielerorts ein Run auf Start-ups oder die schnelle Abspaltung von Innovationseinheiten, Inkubatoren und Innovation Hubs zu beobachten. Ob dies mehr konfliktbedingte Übersprungshandlung oder tatsächlich Erfolg versprechender Weg ist und worauf es schließlich ankommt, damit die Abspaltung funktioniert, vertiefen wir in Kap. 5. Fest steht jedenfalls: Im bekannten Zustand abzuwarten, sprich in der (sich in aller Seelenruhe evolutionär weiterentwickelnden) Komfortzone zu verharren, ist ebenso wenig eine Lösung, wie die hektische Flucht aus der Gegenwart und die Glorifizierung einer revolutionären Zukunft. Stattdessen ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Zeitraum des Übergangs, einem teilweise langjährigen Prozess der digitalen Transformation, gefragt, in Abb. 2.1 orange eingefärbt. Dieser orangefarbene Zeitraum des Übergangs, die Phase der Beidhändigkeit, entsteht in Abb. 2.1 durch die Überschneidung zweier Technologie-S-Kurven.
Abb. 2.1 Beidhändigkeit ist Schlüsselkompetenz für die digitale Transformation. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Gabler Wirtschaftslexikon [2])
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Technologie-S-Kurve Mit S-Kurven beschreibt die Innovationsforschung die Entwicklungsstufen bzw. den Reifegrad von Technologien [2]. Viele Technologien durchlaufen während ihrer Lebenszeit, dem Lebenszyklus, eine s-förmige Kurve in Bezug auf ihre Leistungssteigerung bzw. ihren Reifegrad und die erbrachten Forschungs- und Entwicklungs-Aufwände. Auf die Phase der Entstehung einer neuen Technologie mit einem zunächst flachen Anlauf, zum Beispiel aufgrund noch fehlender Erfahrungen, Routinen und Prozesse oder noch mangelndem Technologie-Verständnis, folgt die Phase des Wachstums der Technologie mit einer beschleunigten Leistungssteigerung, z. B. aufgrund eines besseren Technologieverständnisses und gewonnener Erfahrungen, sowie die Phase der Etablierung als anerkannte Technologie. Die Kurve mündet schließlich in eine Phase der Reife mit abnehmender Leistungssteigerung der Technologie gegen Ende der Lebenszeit, wenn die Technologie ihre Leistungsgrenze erreicht hat bzw. von anderen Technologien verdrängt wird [3]. Abb. 2.1 verdeutlicht den spezifischen Fall technologischer Diskontinuität bzw. der sprunghaften technologischen Veränderung. Sie zeigt eine Entwicklung, in der sich eine bekannte bewährte Technologie noch in der Phase der Leistungssteigerung befindet, während zeitgleich der Lebenszyklus einer völlig neuen Technologie einsetzt, die das Potenzial besitzt, bisherige Lösungen zu substituieren [4]. Phase der Beidhändigkeit Ganz neue Marktteilnehmer entscheiden sich in dieser Zeit natürlicherweise direkt für die neue Technologie und verschaffen sich dadurch erste Wettbewerbsvorteile. Für Unternehmen, die im Markt seit Jahrzehnten erfolgreich existieren, ist dieselbe Phase eine Zerreißprobe. Sie sind mit der Entscheidung konfrontiert, entweder die Lebensdauer der bewährten Technologie durch evolutionäre Weiterentwicklung auszudehnen oder zielstrebig den Sprung auf die neue Technologie zu wagen [4] – oder eben beides zu tun. Entscheidend ist es deshalb, sehr bewusst auf den nicht zu unterschätzenden Zeitraum des Übergangs, die Phase der Beidhändigkeit, zu schauen und den Zeitpunkt des Absprungs auf den revolutionären Technologie-Pfad in die Welt der digitalen Dienste und Lösungen intensiv vorzubereiten.
2.1.1.2 Denkmodell für den digitalen Transformationsprozess Wir brauchen also die Auseinandersetzung mit dem Zeitraum des Wandels, um die Zukunft zu erreichen. Baut das Kerngeschäft eines Zulieferbetriebes in der Automobilindustrie beispielsweise auf dem Verbrennungsmotor auf, gilt es genau zu analysieren und zu evaluieren, welche neuen Möglichkeiten sich durch Elektromobilität, digitale Mobilitätsdienstleistungen oder aber durch gänzlich neue Märkte und Geschäftsmodelle außerhalb des Mobilitätssektors eröffnen. Oder nehmen wir den Maschinen- und Anlagenbau: Hier werden bei Unternehmen mittel- bis langfristig die bisherigen Hardware-Produkte und Vor-Ort-Dienstleistungen den zukünftigen smarten Komponenten und vernetzten Anlagen inklusive neuer digitaler Services für die Industrie
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4.0 weichen. Nimmt man die Herausforderung als Organisation wirklich ernst, wird schnell klar, wie extrem entfernt die Welten voneinander sind und was es bedeutet, neue digitale Geschäftsfelder hervorzubringen. Ein einfacher Sprung von der einen Klippe zur nächsten wird hier unter keinen Umständen gelingen. Vielmehr wird sich der Wandel als jahrelanger, technologienübergreifender, ständiger Transformationsprozess gestalten, und die gegenwärtigen Lösungen müssen uns so lange in die Zukunft tragen, bis die zukünftigen, heute noch unrentablen Lösungen zur neuen Cash Cow eines Unternehmens werden. Noch 2017 spricht Daimler-Chef Dieter Zetsche im Deutschlandfunk über den Zeitraum des Übergangs vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität [5]: Es hat keinen Sinn, sich in die Ecke zu setzen und zu warten, ob die Kosten irgendwann geringer werden, denn sie werden nur dadurch geringer, dass wir uns mit diesen Fahrzeugen, sowohl in der Entwicklung als auch in der Produktion beschäftigen, die Prozesse optimieren, die Materialien, die eingesetzt werden etc., um letztendlich diesen Zeitpunkt zu erreichen, wo dann tatsächlich – und das nennen wir den Tipping-Point – sowohl der Kundennutzen als auch die Kosten und damit dann auch die Preise vergleichbar wettbewerbsfähig mit Verbrennungsmotoren werden.
Doch schon eine Amtszeit später ist für den Autobauer klar. „Autos werden zu Smartphones auf Rädern.“ Der neue Daimler-Chef Ola Källenius erklärt: „Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir die Software beherrschen“. Auch mit Elektroantrieben können sich Hersteller kaum mehr differenzieren. Man arbeitet am eigenen Betriebssystem [6]. Das Beispiel der Automobilindustrie verdeutlicht, dass sich der Zeitraum der Ablösung einer bestehenden Technologie durch Substitutionstechnologien und völlig neue Geschäftsmodelle (Abb. 2.1) über einen langen Zeitraum erstrecken kann und zugleich immer neue Richtungen einschlägt – Grund genug also, sich für die Überfahrt (Kap. 5) zu wappnen und genügend Material und Innovationskraft an Bord zu haben, um den dauerhaften Transformationsprozess meistern. Das hier herangezogene Modell der Technologie-S-Kurven wurde Abb. 2.1 deshalb um die Menschen ergänzt, die Unternehmen für den Wandel dringend brauchen. Denn die Herausforderung wird sein, die vorhandenen Mitglieder einer Organisation für ein sich kontinuierlich änderndes Zukunftsbild zu begeistern und die Teams mittel- bis langfristig für neue Geschäftsfelder aufzustellen: „Wenn wir fit für die Digitalisierung werden wollen, müssen wir dann völlig neue Kompetenzen und Menschen an Bord holen? Ich glaube nein“, erklärt Eberhard Veit, Experte für die Industrie 4.0 in Deutschland, im Vorwort dieses Buches. „Ich empfehle eine Mischung aus neuen Talenten und erfahrenen langjährigen Mitarbeitern. Denn der Erfolg wird maßgeblich auf dem Training und der Ausbildung der Menschen beruhen“, so Veit. Es gilt also, die Menschen in Organisationen mitzunehmen und diese Aufgabe liegt vorrangig und in allererster Linie bei den Führungskräften von Unternehmen.
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Tragfähiger Lösungsansatz Für den digitalen Transformationsprozess und seine Auswirkungen auf alle Bereiche von Unternehmen und vor allem für die Menschen, die in ihnen arbeiten, bietet das Konzept der organisationalen Ambidextrie oder Beidhändigkeit den einzig wirklich tragfähigen Lösungsansatz. Es liefert Führungskräften nicht nur das maßgeschneiderte Denkmodell, das die Zerreißprobe aus Gegenwart und digitaler Zukunft abbildet, sondern ein aus vielen Perspektiven empirisch erforschtes Fundament sowie strategische Handlungsoptionen für den Unternehmensalltag [7]. Die Anwendung des in diesem Buch vorgestellten Lösungsansatzes, sprich das tägliche Ausüben von Beidhändigkeit durch Kommunikation, setzt nicht voraus, dass Unternehmen millionenschwere Beratungsprojekte oder Restrukturierungen durchführen. Es setzt stattdessen gezielt auf der Handlungsebene der einzelnen Führungskraft an. Denn der Transformationsprozess muss bei den Menschen und der Unternehmenskultur beginnen und nicht auf einer abstrakten Ebene der Organisation. Diese Zeit des Übergangs gilt es nicht „auszusitzen“ oder gar zu überspringen. Es liegt an den Führungskräften, sie bewusst auszugestalten. Ambidextrie bedeutet „Beidhändigkeit“ oder die Kunst beide Hände gleichermaßen gut einsetzen zu können [8]. Übertragen auf den Kontext von Unternehmen definieren die Management-Forscher Michael L. Tushman und Charles O’Reilly [9] organisationale Ambidextrie als die Fähigkeit von Unternehmen, radikale und inkrementelle Innovation gleichzeitig zu verfolgen. Im Kern des Konzeptes steht das parallele Orchestrieren und Ausbalancieren von Exploration, dem Erschließen von technologischem Neuland, neuer Geschäftsmodelle und neuer Märkte, sowie Exploitation, dem Ausbau und der evolutionären Weiterentwicklung des bestehenden Geschäfts. Organisationale Ambidextrie oder Beidhändigkeit beschreibt also die Kompetenz von Organisationen, einerseits ganz neue Lösungsräume hervorzubringen, während sie parallel ihre vorhandenen Produktprogramme optimieren und auf Kosteneffizienz trimmen. Beidhändig geführte Organisationen schaffen sich den Raum für Technologiesprünge und völlig neue Lösungen, während sie sich mit ihren bestehenden Produkten im Preiswettbewerb in gesättigten Märkten erfolgreich behaupten: „Wir werden unser Kerngeschäft mit der gleichen Konzentration wie bisher betreiben und schaffen gleichzeitig gezielt Managementkapazität für das Neue“, erläutert Heinz-Jürgen Prokop, Geschäftsführer für den Bereich Werkzeugmaschinen des Lasertechnikspezialisten TRUMPF, im Interview mit der Zeitschrift Maschinenmarkt die beidhändige Vorgehensweise des Unternehmens. Ziel ist es, „Freiräume für Zukunftsthemen zu schaffen sowie den digitalen Wandel im Maschinenbau maßgeblich mitzugestalten“ [10]. Beidhändige Unternehmen treiben intensiv ihr Kerngeschäft voran und schaffen sich auf diese Weise den finanziellen Spielraum, um in Forschung und Entwicklung für die Zukunft zu investieren. Sie sind Umsetzer und Unternehmer zugleich und zählen sowohl
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inkrementelle als auch radikale Innovationen zu ihren zentralen Handlungsfeldern. Ihr Geheimnis liegt darin, das Beste der Vergangenheit zu zelebrieren und zu nutzen, während gleichzeitig neue Innovations- und Geschäftsfelder erschlossen werden. Radikale und inkrementelle Innovation Gemäß den Harvard-Innovationsforschern Rebecca Henderson und Kim Clark beschreibt inkrementelle Innovation die geringfügige Veränderung bzw. die Weiterentwicklung bestehender Lösungen [11]. Inkrementelle Innovation schöpft aus dem vorhandenen Wissen eines Unternehmens und zielt auf eine starke Position existierender Firmen in einem bestehenden, gesättigten Markt (Exploitation). Bezogen auf Produktinnovation geht es um geringfügige Anpassungen existierender Produkte. Etablierte technologische Ordnungen werden damit verstärkt, bestehende Kompetenzen werden erweitert. Auf Märkten trägt inkrementelle Innovation zur Konsolidierung bei. Radikale Innovation durchbricht diesen kontinuierlichen Prozess. Sie erklärt bestehende Kompetenzen für überholt und baut stattdessen auf neuem Wissen und neuen Technologien auf. Sie steigert den Kundennutzen und ermöglicht völlig neue Anwendungen im Vergleich zu bisherigen Lösungen. Sie eröffnet auch neuen Firmen den Markteintritt und kann bestehende Märkte und Industrien grundsätzlich infrage stellen (Exploration) [12]. Der Pfad der Exploration, der Aufbruch in das Unbekannte, mit dem Ziel, revolutionär Neues hervorzubringen, steht der Anforderung, das bestehende umsatzstarke Geschäft zu optimieren, dabei häufig diametral entgegen – ein Spannungsfeld, dass im Forschungsfeld zur organisationalen Ambidextrie aus zahlreichen Forschungsperspektiven untersucht wird [13]. Mit unterschiedlichen Lösungsansätzen versuchen Firmen diesem Spannungsfeld zu begegnen. Von der zeitlichen oder räumlichen Trennung von Exploration und Exploitation bis hin zum situativen Kontextmanagement finden sich verschiedene Vorgehensweisen, die im folgenden Abschnitt genauer erklärt werden.
2.1.2 Formen der organisationalen Ambidextrie Erstmalig wurde die Zerreißprobe zwischen Exploitation und Exploration durch den amerikanischen Organisationsdesigner Robert Duncan im Jahr 1976 explizit erwähnt [14]: Organisationen müssten in der Lage sein, den strategischen Wandel voranzutreiben und gleichzeitig die laufenden Aktivitäten auf Effizienz zu trimmen. 1991 führt der Organisationstheoretiker James G. March für diesen Zielkonflikt zwischen Gegenwart und Zukunft den Begriff des „Exploration/Exploitation-Trade-Off“ ein [15]. Er unterstreicht, wie sehr die beiden Ansätze der Exploration und der Exploitation voneinander abweichen und sich gegenseitig behindern.
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Der Exploration/Exploitation-Trade-Off Stanford-Professor James March [15] unterstreicht bereits 1991 die Notwendigkeit der Balance zwischen Exploration und Exploitation, damit Unternehmen weder in Stillstand verfallen, noch in kostenintensivem Experimentieren gefangen sind. Das Erhalten einer angemessenen Balance zwischen Exploration und Exploitation sei primärer Erfolgsfaktor, damit ein System überlebt und wächst. Die Herausforderung sieht March darin, dass beide Handlungsstrategien im Wettbewerb miteinander stehen: „Sowohl Exploration als auch Exploitation sind essenziell für Organisationen, aber sie konkurrieren um knappe Ressourcen.“ Er beschreibt, dass die Exploration neuer Alternativen die Geschwindigkeit reduziere, bestehende Alternativen zu verbessern. Zugleich würde die Verbesserung bestehender Kompetenzen das Experimentieren mit Neuem weniger attraktiv erscheinen lassen. March bezeichnet diesen Zielkonflikt als „Exploration/Exploitation-Trade-Off“. Wie unterschiedlich die Ansätze der Unternehmensführung für Exploration und Exploitation sind, beschreiben auch die Ambidextrie-Forscher Charles O’Reilly und Michael Tushman in ihrem viel zitierten Harvard-Business-Review-Artikel über die beidhändige Organisation [16]: Während der Ansatz der Exploitation die inkrementelle Verbesserung von Produkten, die Reduktion von Kosten, maximalen Profit und höchste Produktivität verfolgt und auf Kontinuität aufsetzt (Abb. 2.2), stehen im Ansatz der Exploration radikale Innovation, Wachstum, Unternehmertum und das Erschließen von Neuland (Abb. 2.3) im Mittelpunkt. Bei Exploitation dreht sich alles um Effizienz, geringes Risiko und Qualität. Bei Exploration geht es um Risikobereitschaft, F lexibilität
Abb. 2.2 Exploitation baut auf Kontinuität
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Abb. 2.3 Exploration = Neuland erschließen
und Experimentierfreudigkeit. Auch völlig gegenläufige Führungsstile beobachten die Wissenschaftler in beiden Welten: von autoritären Top-down-Ansätzen im Umfeld von Exploitation bis hin zu flachen Hierarchien und einem visionären Führungsstil im Umfeld von Exploration. In der wissenschaftlichen Literatur zu Ambidextrie kristallisieren sich drei Schwerpunkte in Hinblick auf die unterschiedlichen Erscheinungs- bzw. Organisationsformen von Beidhändigkeit im Unternehmen heraus: die sequenzielle, strukturelle und kontextuelle Ambidextrie [17]. Dabei handelt es sich um drei verschiedene Handlungsstrategien, die Organisationen entwickeln, um den von James March beschriebenen „Trade-Off“ zwischen Aktivitäten der Exploration und Aktivitäten der Exploitation zu beherrschen. Die Neurowissenschaftlerin Nancy Andreasen ergänzt einen bemerkenswerten vierten Typus: die intellektuelle Ambidextrie des Einzelnen (siehe Tab. 2.1). 1. Sequenzielle Ambidextrie Als früher Vertreter der sequenziellen Ambidextrie unterteilt Robert Duncan [14] den Prozess der Innovation in eine Phase der Initiierung und eine Phase der Implementierung. Duncan sieht eine Möglichkeit, das Spannungsfeld zwischen Exploration und Exploitation aufzulösen, darin, dass Organisationen beide Aktivitäten
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
Tab. 2.1 Formen von Beidhändigkeit im Unternehmen Typus
Merkmal
1. Sequenzielle Ambidextrie
Zeitliche Trennung von Exploration und Exploitation
2. Strukturelle Ambidextrie
Räumliche Trennung von Exploration und Exploitation
3. Kontextuelle Ambidextrie
Kontextuelle Balance von Exploration und Exploitation
4. Intellektuelle Ambidextrie
Cross-Over-Begabung einzelner Menschen
zeitlich voneinander trennen. Dieser Typ der Beidhändigkeit tritt in den aktuellen Diskussionen meist in den Hintergrund, da er in einem dynamischen Umfeld, in dem alles gleichzeitig stattfinden muss, nicht mehr ausreichend trägt. 2. Strukturelle Ambidextrie Die Ambidextrie-Forschung unterscheidet weiterhin zwischen der kontextuellen und strukturellen Form von Beidhändigkeit [18]. Strukturelle Ambidextrie bezeichnet den Aufbau und Erhalt von dualen Strukturen innerhalb des Unternehmens, zum Beispiel von getrennten organisatorischen Einheiten für Exploitation (z. B. Business Units) und Exploration (Forschung und Entwicklung, Innovation Hubs). 3. Kontextuelle Ambidextrie Kontextuelle Ambidextrie tritt dagegen dann auf, wenn Exploitation und Exploration nicht zeitlich oder strukturell streng getrennt sind, sondern beide Aktivitäten innerhalb einer Organisation oder eines Führungskontextes gleichzeitig stattfinden. Kontextuelle Ambidextrie ist generell dann vorhanden, wenn das gegenwärtige und das zukünftige Geschäft innerhalb einer Organisationseinheit balanciert werden muss. Sie tritt spätestens dann in Erscheinung, wenn Reintegrationsprozesse stattfinden und vormals abgespaltene Wachstumsthemen mithilfe der bestehenden Strukturen in den Markt geführt werden sollen. Während die strukturelle Ambidextrie meist eine Entweder-/oder-Entscheidung bei Führungskräften voraussetzt (Bewege ich mich in der einen oder in der anderen Welt?), geht es im Konzept der kontextuellen Ambidextrie um eine „sowohl als auch“-Frage (Wie können beide Welten gleichzeitig orchestriert werden?). Dieser nochmals verschärfte Zustand der Beidhändigkeit verlangt von Führungskräften ab, sich kontinuierlich darüber klar zu werden, in welchem Kontext sie gerade agieren und einen Weg zu finden, wie sie mit widersprüchlichen Anforderungen umgehen, die Spannungen balancieren und ein Gleichgewicht herstellen [19]. Im Umfeld der digitalen Transformation, in der bestehende Produkte auf immer neue digitale Lösungsräume treffen, wird kontextuelle Beidhändigkeit zu einer der zentralen Anforderungen, der Führungskräfte im Unternehmensalltag gerecht werden müssen. 4. Intellektuelle Beidhändigkeit Die amerikanische Neurowissenschaftlerin und Professorin für englische Literatur der Renaissance Nancy Andreasen geht in Bezug auf Ambidextrie sogar noch einen Schritt weiter und bringt einen zusätzlichen Typus von Ambidextrie ins Spiel.
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Sie erklärt Beidhändigkeit nicht mehr nur durch den äußeren Kontext bedingt, sondern als Cross-Over-Fähigkeit einzelner Personen. In ihrer Forschung über hochkreative Menschen prägt Andreasen dafür den Begriff der mentalen Ambidextrie („intellectual ambidexterity“). Sie beschreibt damit Menschen, die zusätzlich zu ihrem Fachgebiet in völlig fachfremden Feldern ebenfalls eine ausgeprägte Begabung besitzen, cross-disziplinäre Fähigkeiten hervorbringen und Verbindungen zwischen den Gebieten herstellen können [20]. Als promovierte Literaturwissenschaften mit Faszination für Kunst und Kultur und zugleich als weltweit renommierte Gehirnforscherin und Neurowissenschaftlerin ist Andreasen selbst Beispiel für den Typus der intellektuellen Ambidextrie. Im Interview mit dem amerikanischen National Public Radio (NPR) erklärt sie ihre eigene Kreativität und ihren Erfolg als Neurowissenschaftlerin insbesondere mit der Entscheidung, ihr Tätigkeitsfeld zu wechseln und sich mit diesem Wechsel auch die Fähigkeit zum interdisziplinären Denken ermöglicht zu haben: „Ich glaube, ich bin jemand, der intellektuell beidhändig ist und gut ist in zwei unterschiedlichen Feldern“ [21]. Übertragen auf Unternehmen empfiehlt Andreasen im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin brand eins, Kreativität in neuen Feldern dadurch zu ermöglichen, dass Silos abgebaut werden, dass Fachgebietsgrenzen überschritten und dass Diversität und Neugier bei Menschen bewusst gefördert werden [22]. Beidhändigkeit ermöglicht dynamisches Verhalten Doch selbst wenn beim einzelnen Menschen generell nicht von einer intrinsisch verankerten mentalen Beidhändigkeit auszugehen ist, ist ein durch äußere Faktoren erwirkter beidhändiger Kontext im täglichen Arbeitsumfeld Herausforderung genug. Trotz der Widersprüchlichkeit, den die Beidhändigkeit für Unternehmen mit sich bringt, ist genau diese kontextuelle Cross-Over-Kompetenz von Führungskräften im Umfeld der Digitalisierung unentbehrlich, um den Wandel zu meistern und sich auch langfristig auf weltweiten Märkten behaupten zu können. O’Reilly und Tushman [23] beschreiben Ambidextrie deshalb als eine dynamische Fähigkeit von Organisationen. Sich flexibel auf Wandel und Veränderung einzustellen und diese aktiv herbeizuführen, ist für die Wissenschaftler eine der zentralen Fähigkeiten von zukunftsorientierten Unternehmen. Beidhändige Firmen sind in der Lage, sich gleichzeitig in reifen und neu entstehenden Märkten zu bewegen. Sie nutzen ihre bestehenden, bewährten Fähigkeiten und Prozesse effizient und schaffen zugleich den Sprung in die Zukunft. Vergleichbar mit der immer wieder beeindruckenden Cross-Over-Fähigkeit eines Basketballspielers, der den Ball fast unbemerkt von der einen in die andere Hand wechselt, um am Gegner vorbeizuziehen [24], schaffen es diese Firmen durch ihre Fähigkeit zur Beidhändigkeit, einfach am Wettbewerb vorbeizuziehen. Im folgenden Gespräch mit dem Stuttgarter Fraunhofer-Experten für zukünftige Arbeitswelten, Wilhelm Bauer, wird jedoch sichtbar, dass dafür ein radikales Umdenken in der heutigen Management-Praxis notwendig ist.
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
„SPAGAT IN DER MANAGEMENT-PRAXIS“
Interview mit Prof. Dr. Wilhelm Bauer, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart und Technologiebeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Was bedeutet für Sie organisationale Ambidextrie bzw. Beidhändigkeit? Worauf kommt es aus Ihrer Sicht in Unternehmen an? Ein spannendes Thema der Organisationsgestaltung. Es umfasst den Umgang mit Bereichen innerhalb eines Unternehmens, die unterschiedlichen Marktanforderungen in Bezug auf Reaktionsgeschwindigkeiten, Innovationsorientierung, Marktzugängen unterliegen. Überall da, wo schnelle Innovation, Experimentieren und unmittelbarer Marktzugang erforderlich werden, sind agile Strukturen sinnvoll – in der qualitätsgesicherten Produktion z. B. geht es schwerpunktmäßig um andere Prinzipien und Werte wie Qualitätsorientierung, Sicherheit, Kosteneffizienz. Beide Bereiche sind wichtig – brauchen aber andere Arbeitsprinzipien, Führungskonzepte, und letztlich auch Mitarbeiter. Sie wurden 2012 vom Land Baden-Württemberg als „Übermorgenmacher“ ausgezeichnet. Worauf kommt es bei der Gestaltung der Zukunft an und welche Rolle spielt Beidhändigkeit in Zeiten der digitalen Transformation? Nach meiner Einschätzung wird Beidhändigkeit eine zentrale Organisationsund Führungsanforderung. Sie fordert einen gewissen Spagat in der täglichen Managementpraxis, der aber vor allem durch gleichmäßige Wertschätzung und Anerkennung beider Pole geprägt ist. Es darf keinesfalls der Eindruck entstehen, dass es wichtige und weniger wichtige Unternehmensbereiche und dort angesiedelte Mitarbeitergruppen gibt. Es wird zu prüfen sein, wo unterschiedliche Systeme integriert geführt werden können, oder aber über Ausgründungen, Start-ups oder ähnliches nachgedacht werden sollte. Fraunhofer hat beidhändige Führung in seinen Führungsrichtlinien verankert. Welchen Beitrag können Führungskräfte aus Ihrer Sicht durch einen beidhändigen Führungsansatz leisten? Was können sie dadurch erreichen? Die Führungskräfte leisten durch einen beidhändigen Führungsansatz einen wesentlichen Beitrag dazu, die vorhandenen und notwendigen Ressourcen der Organisation bestmöglich wirksam zu machen. Sie respektieren damit die Unterschiedlichkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und deren Tätigkeitsprofile, entsprechen aber auch der Notwendigkeit einer für Fraunhofer extrem wichtigen Innovations- und Veränderungsfähigkeit der Gesamtorganisation. Auch wir integrieren Mitarbeiterinnen
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und Mitarbeiter mit unterschiedlichen Tätigkeitsprofilen, Arbeitsschwerpunkten und Lebensphasen – hierdurch gelingt es uns unsere führende Position im Innovationsgeschehen gemäß unseres Auftrags zu behaupten und weiter erfolgreich auszubauen. Vielen Dank Herr Professor Bauer für das Gespräch!
Der Organisations- und Arbeitswissenschaftler Wilhelm Bauer unterstreicht, wie wichtig die sorgfältige Organisation beider Bereiche – Exploration und Exploitation – für Unternehmen ist und dass beide Ansätze unterschiedlichen Prinzipien und Werten folgen, die es zu berücksichtigen gilt. Konzepte für beide Welten müssen auf einer gleichmäßigen Anerkennung und Wertschätzung beider Pole beruhen. Sie müssen zugleich dazu beitragen, die Organisation für die Zukunft aufzustellen und in der Zeit des Übergangs bestmöglich wirksam zu machen. Bauer bezeichnet Beidhändigkeit deshalb als zentrale Organisations- und Führungsanforderung, die grundlegende Regeln, Konzepte und entsprechend handelnde Menschen erfordert. Schauen wir in den nächsten Abschnitten also tiefer in das Verständnis von Ambidextrie als Führungsfähigkeit. Zusammenfassung: Beidhändigkeit ist Schlüsselkompetenz
Der Zeitraum der digitalen Transformation ist in produzierenden Unternehmen häufig bestimmt durch das gleichzeitige Optimieren des bestehenden Hardware-orientierten „Brot und Butter-Geschäftes“ und das Erschließen neuer digitaler Lösungsräume. Das Wesen der Transformation wurde hier als Überschneidung zweier den Reifegrad beschreibenden Technologie-S-Kurven erklärt. Es beruht auf der Ablösung einer bestehenden Technologie durch ihre Substitutionstechnologie – ein Wandel, der sich jahrelang ausdehnen kann. Die gegenwärtigen Lösungen müssen uns so lange in die Zukunft tragen, bis die zukünftigen, heute noch unrentablen Lösungen zur neuen Cash Cow eines Unternehmens werden. Aus diesem Grund ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Zeitraum des Übergangs notwendig. Ein wissenschaftliches Denkmodell, das den theoretischen Unterbau und zugleich praktische Handlungsoptionen für den Unternehmensalltag bereitstellt, ist das Konzept der organisationalen Ambidextrie, der Beidhändigkeit im Ausüben von widersprüchlichen Innovationsanforderungen. Das Konzept liefert Lösungsansätze, die bei der Navigation durch den Exploration/Exploitation-Trade-Off helfen. Von der zeitlichen Trennung von Exploration und Exploitation, über die strukturelle Trennung in unterschiedlichen Organisationseinheiten bis hin zu kontextuellen und intellektuellen Ambidextrie, wenn die Grenzen zwischen beiden Welten im Alltag der einzelnen Menschen verschwimmen, treten in Unternehmen unterschiedlichste Formen von Beidhändigkeit in Erscheinung.
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Wir beschäftigen uns in diesem Buch vor allem mit der kontextuellen ross-Over-Kompetenz und der damit verbundenen Anforderung an FührungsC kräfte, sich je nach Situation und Umfeld immer wieder neu auf Exploration oder Exploitation einzustellen und beiden Ansätzen mit entsprechenden Handlungsstrategien zu begegnen. ◄
2.2 Beidhändigkeit ist Führungsaufgabe 2.2.1 Führung in einer hybriden Welt Genau wie der Fraunhofer-Experte Wilhelm Bauer verankern auch die Ambidextrie-Forscher O’Reilly und Tushman die Fähigkeit, organisationale Beidhändigkeit auszuüben und in der Organisation zu implementieren, bei den Führungskräften von Unternehmen. Für die Experten ist Beidhändigkeit eine Fähigkeit von Führungskräften und eine Führungsaufgabe. Aus ihrer Sicht sei Ambidextrie eine spezifische Kompetenz, die sich im der Lern-Bereitschaft von Führungskräften äußert und deren Fähigkeit, vorhandene Kompetenzen und Stärken der Organisation immer wieder neu zu konfigurieren und somit an sich ändernde Rahmenbedingungen anzupassen [23]. In den folgenden Abschnitten wird deshalb die Frage weiterverfolgt, wie genau Führungskräfte ein Ambidextrie-förderndes Umfeld schaffen können und warum ausgerechnet Kommunikation hierbei eine zentrale Rolle spielt. Zur genaueren Standortbestimmung zeigt Abb. 2.4 einen Ausschnitt aus dem bereits vorgestellten Zeitraum der Überschneidung zweier Technologie-S-Kurven, hier als „Hybride Welt“ bezeichnet. Während sich eine bekannte, bewährte Technologie noch in der Phase der Leistungssteigerung und des Wachstums befindet, beginnt gleichzeitig der Lebenszyklus einer neuen Technologie, die das Potenzial besitzt, mittel- bis langfristig die bestehenden Lösungen abzulösen. Da dieser Zeitraum der Überschneidung sich über
Abb. 2.4 Die hybride Welt der Beidhändigkeit
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mehrere Jahre bis Jahrzehnte ziehen kann, reicht es nicht aus, wenn Führungskräfte sich für die eine oder die andere Welt entscheiden und entweder Experten im bestehenden oder zukünftigen Business sind. Vielmehr benötigen sie für den Transformationszeitraum spezifische Handlungsmuster und Modelle, die ein Gleichgewicht und eine Balance zwischen dem bestehenden und dem neuen Business schaffen. Dieser Zeitraum erfordert die Fähigkeit zur Beidhändigkeit. Prinzipien für CEOs und obere Führungskräfte Für die Wissenschaftler Michael Tushman, Wendy Smith und Andy Binns ist Beidhändigkeit dabei Aufgabe des CEO und seiner gesamten oberen Führungsmannschaft: „Sie überlassen diese Schlacht nicht dem mittleren Management“ [25]. Ganz oben muss eine größere Identität entwickelt werden, müssen die Spannungen ausgehalten und Widersprüche aktiv umarmt werden, so die Quintessenz des empfehlenswerten Harvard-Business-Review-Beitrags „Der beidhändige CEO“ [25]. Der Beitrag beschreibt die immer wieder zu beobachtende Tendenz von Managern, sich unter dem Druck des Tagesgeschäfts und vor allem in schwierigen Zeiten für den kurzfristigen Gewinn mit dem Kerngeschäft zu entscheiden, obwohl sie die Notwendigkeit sehen, neue Märkte und Geschäftsfelder zu erschließen. Häufig sei der CEO der einzig verbleibende Freund von Innovation – ein zum Scheitern verurteilter Ansatz. Die Ambidextrie-Experten empfehlen aus diesem Grund ausdrücklich, die oberen Führungskräfte in einen beidhändigen Ansatz einzubeziehen und einen beide Welten balancierenden Führungsstil zu entwickeln. Sie schlagen aufbauend auf einer Studie unter zwölf Management-Teams unterschiedlicher Unternehmen drei Prinzipien für die ambidextre Führung vor [25]: Bereits bei der Entwicklung einer umfassenden Identität für ein Unternehmen müssen die oberen Führungskräfte eingebunden sein. Diese Identität muss Raum schaffen für widersprüchliche Handlungsfelder eines Unternehmens. Die Entscheidungsfindung zugunsten von Innovationsvorhaben sollte dabei nicht auf unteren Ebenen stattfinden, sondern ganz oben bei CEO und Führungskreis, um sicherzustellen, dass Innovation nicht durch etablierte Prozesse und Projekte verdrängt wird. Schließlich sollten Unternehmen Innovation und Kerngeschäft mit zweierlei Maß messen und nicht nach denselben Kriterien und Leistungsindikatoren bewerten, die Aktivitäten zum Erschließen von Neuland im Vergleich zum etablierten Geschäft immer in ein schlechteres Licht rücken würden. In Zeiten knapper Ressourcen braucht es dabei eine Flexibilität in der Entscheidungsfindung und Verteilung von Ressourcen sowie die Bereitschaft, diese zwischen den Welten zu verschieben – dies erfordere von Senior Teams „die Abkehr von der Feudalherrschaft und das Engagement in eine zukunftsorientierte Debatte über die Spannungen, die im Herzen des Geschäfts stattfinden“ [25]. Drei Handlungsfelder des Wandels für Führungskräfte im operativen Geschäft Zusätzlich zu den hier beschriebenen übergeordneten Prinzipien für den CEO und das obere Management, benötigen Führungskräfte auf allen Unternehmensebenen zur
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Umsetzung des operativen Geschäfts weitere Ansätze, um Beidhändigkeit zu praktizieren. Um die zunehmenden, durch den digitalen Wandel verursachten Spannungen in Unternehmen balancieren zu können, lohnt es sich, besser zu verstehen, auf welchen Ebenen genau der Transformationsprozess passiert. Digitalisierung findet nicht nur auf Technologieseite statt. Auch das Geschäftsmodell von traditionell technologie- und produktorientierten Organisationen verändert sich, wenn Software die Welt erobert und datenbasierte Dienste für den Endkunden immer wichtiger werden [26]. Schließlich verändern sich auch die Arbeits- und Denkweisen der Menschen, die neue Technologien und digitale Geschäftsmodelle hervorbringen sollen. Ist es vereinbartes Ziel, einen neuen zukunftsträchtigen Geschäftsbereich innerhalb einer bestehenden Firma auf- und auszubauen, müssen Aktivitäten und Handlungsfelder deshalb immer auf mehreren Ebenen betrachtet werden (Tab. 2.2). Vom Technologie- und Kompetenzmanagement, um notwendiges neues Wissen und Fähigkeiten in der Organisation zu integrieren 1) über die Veränderung und Erweiterung der bisherigen eher transaktionsbasierten Geschäftsmodelle zu einem beziehungsorientierten Geschäftsmodell 2) bis hin zum Wandel in den Denk- und Arbeitsweisen, im Mindset der Menschen und in der Kultur einer Organisation 3) – ganzheitliches Innovationsmanagement betrachtet alle drei Ebenen und vernachlässigt vor allem nicht die Ebene der Unternehmenskultur. Denn um die ersten beiden Ebenen zu verändern und zu gestalten, werden beidhändige Fähigkeiten von Führungskräften und ein Mindset im Unternehmen gebraucht, das es ermöglicht, neben dem bestehenden Business zugleich eine neue Welt aufzubauen. Betrachten wir zur Veranschaulichung folgenden Fall: In einem Hardware-Unternehmen im Business-to-Consumer-Umfeld gibt es eine Idee für ein revolutionär neues, intelligentes Produkt: Das Unternehmen, das mit einfachen mechanischen Produkten über Jahrzehnte erfolgreich gewachsen ist, verortet nun den Wandel zunächst auf Kompetenz- und Tab. 2.2 Drei Ebenen des Innovationsmanagements für die digitalen Transformation Veränderungsfeld
Spannungsfeld
Handlungsfeld
1. Technologie
Bestehende vs. neue digitale Technologien
Technologie- und Kompetenzmanagement/-aufbau in Richtung digitaler Technologien
2. Geschäftsmodell
Bestehende vs. neue digitale Geschäftsmodelle
Wandel von transaktionsbasiertem, technologie- und produktorientiertem Geschäftsmodell hin zu beziehungsbasiertem, dienstleistungsorientiertem digitalen Geschäftsmodell
3. Unternehmenskultur
Bestehende vs. neue Prozesse, Praktizieren von beidhändiger Vorgehensweisen, Methoden Führung Einführung von ÖkosystemManagement, agilen Arbeitsweisen, agilem Projektmanagement, Design Thinking
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Technologieseite (1). Es gilt, die vorhandenen Hardware- und produktionsorientierten Entwicklungsprozesse und -Kompetenzen um software-orientierte Fähigkeiten und Vorgehensweisen im Entwicklungsteam zu erweitern und zu verändern. Wird jedoch nun davon ausgegangen, dass das heutige Geschäftsmodell auf das zukünftige Angebot genauso passt, wird das Unternehmen Aufgabenpakete, in denen softwarebasierte Services sowie digitale Geschäftsmodelle erarbeitet werden, vermutlich vernachlässigen. Nach heutigem Standard würden dann die bestehenden Routinen und Organisationsstrukturen genutzt, selbst wenn Elemente der Technologie aufgrund neuer software-definierter Funktionen ganz neue Potenziale für die Steigerung des Kundennutzens besitzen. Alte Prozesse und verkrustete Strukturen würden im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Potenziale gänzlich ungenutzt bleiben, sodass aus einer brillanten Idee eine nur halb so erfolgreiche Innovation entsteht. Das H ardware-Unternehmen integriert deshalb auch ein Aufgabenpaket zur Überarbeitung des Geschäftsmodells in den Innovationsprozess (2). Im Laufe der Entwicklungszeit wird immer mehr sichtbar, dass sich dies auf immer mehr als nur den Produkt-Entwicklungsprozess auswirkt. Nach sorgfältiger Analyse der Chancen und Potenziale der neuen Technologie werden Geschäftsmöglichkeiten erarbeitet, die die Prozesse der gesamten Firma betreffen. Von völlig neuen Preiskonzepten und Lizenzmodellen, über digitale Verkaufsprozesse und –Infrastrukturen bis hin zu hochgradig kundenzentrierten Entwicklungsweisen – das neue Business benötigt zahlreiche Aktivitäten, Teil-Schritte, Kompetenzen und Vorgehensweisen, die in der bestehenden Welt bislang keine Rolle spielten. Für die Implementierung eines digitalen Geschäftsmodells werden völlig neue Bereiche gebraucht. Und dieser Eingriff betrifft im beschriebenen Hardware-Unternehmen nun eine dritte Ebene: die Ebene der Unternehmenskultur und der Führung (3). Inmitten des orangefarbenen Feldes (Abb. 2.4), der hybriden Welt, gilt es sehr genau auszuloten, welche Kompetenzen, Ressourcen und Prozesse, wo und in welcher Art benötigt werden. In der hybriden Welt zu agieren heißt, nicht nur bestehende Technologien und Geschäftsmodelle, sondern das bestehende Mindset eines Unternehmens grundsätzlich zu hinterfragen. Diese dritte, häufig vernachlässigte Ebene der Kultur ist für den digitalen Wandel die wichtigste und alles überstrahlende Ebene, denn die richtige Kultur und das richtige Umfeld können neue Geschäftsmodelle und Technologien ermöglichen oder komplett verhindern. Aus diesem Grund konzentriert sich das Buch Beidhändige Führung auf die Ebene der Kultur, die durch Führung und Kommunikation geprägt und gestaltet werden kann. Um die Prinzipien und Handlungsfelder für beidhändige Führung im Top und Senior Management für den Praxisalltag mit Leben zu füllen, werden in Kap. 3 bis 5 konkrete kommunikationsbasierte Handlungsoptionen vorgestellt, die dabei helfen, beidhändige Führung tatsächlich auch im Tagesgeschäft zu leben und zu vermitteln. Für den Leser mit wenig Zeit besteht die Möglichkeit, an dieser Stelle direkt in die Praxis-Kapitel abzuspringen. Oder Sie tauchen weiter in die Theorie ein und werfen einen Blick auf aktuelle Führungstheorien, die dem Konzept der beidhändigen Führung zugrunde liegen.
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2.2.2 Führung als Ergebnis sozialer Interaktion 2.2.2.1 Transaktionale und transformationale Führung Charisma, Autorität, Kontrolle, Macht, Moderation, Coaching, Empowerment… in Wissenschaft und Unternehmenspraxis tritt Führung in unzähligen verschiedenen Gewändern in Erscheinung. Theorien und Management-Handbücher kreisen um die Frage, was erfolgreiche Führung ausmacht. Wem folgen die Mitarbeiter? Welche Ansätze führen in welchem Umfeld zum Erfolg? Wie muss sich das Hierarchie-zentrierte Weltbild von Unternehmen verändern? Welche Art von Führung wird benötigt, wenn Firmen sich in gravierenden Umbruchsituationen der Digitalisierung befinden? Um ein grundsätzliches Verständnis für die Ansätze und Rollen zu erhalten, folgen wir zunächst den Organisationsforschern Rainhart Lang und Irma Rybnikova. Sie unterscheiden nach Managementtechniken für das „klassische, tayloristisch-fordistische Produktionsregime“, die laut den Autoren „zumindest teilweise durch postfordistische Regime und Strukturen abgelöst wurden“ [27]. Während sich erstere über Jahrzehnte im Umfeld der Massenproduktion etablierten und ein zentralistisches und autoritäts- und hierarchie-dominiertes Verständnis von Führung verfolgten, bezogen die Management-Stile in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert immer öfter auch die Rolle und den Einfluss der Mitarbeiter ein. So entstand eine Vielzahl neuer Konzepte und Führungstheorien, die sich zunehmend weg von einer auf die Führungskraft fokussierten Sichtweise entwickelten und Führung im Gesamtkontext der Organisation betrachten. Inzwischen bedeutet Führung nicht mehr allein, ein zugewiesenes Amt funktional auszuüben [28]. Führung tritt immer häufiger unabhängig von einer spezifischen Funktion im Unternehmen in Erscheinung. Sie entsteht flexibel und dynamisch Aufgaben- und Kompetenz-bezogen. Diese Unterscheidung zwischen einem Hierarchie-orientierten, anordnenden Führungsstil durch eine zuvor bestimmte Führungskraft und einem motivierenden, Menschen-zentrierten, Veränderung und Wandel ermöglichenden Führungsstil findet sich beispielsweise im „Full-Range-of-Leadership“ -Ansatz der amerikanischen Leadership-Experten Bruce Avolio und Bernard Bass [29]. Die Wissenschaftler stellten bereits in den 90er Jahren die bis heute viel zitierte Unterscheidung zwischen transaktionaler und transformationaler Führung vor und integrierten beides in einem ganzheitlichen Modell. Transaktionale Führung beruht auf dem Hierarchie-orientierten Prinzip der Anleitung und Anordnung von Aufgaben und motiviert Mitarbeiter durch äußere Anreize, beispielsweise über Gehalt oder Beförderung zur Erbringung von Leistung bzw. korrigiert oder sanktioniert schlechte Leistung. Transformationale Führung setzt dagegen auf die intrinsische Motivation von Menschen und darauf, Mitarbeiter zur Veränderung zu bewegen. Im Gegensatz zur „schließenden Natur“ transaktionaler Führung, die zu allererst auf das Ausführen von Anweisungen zielt, setzt die transformationale Führung ein öffnendes Verhalten des Führenden voraus, sodass Raum für Kreativität und neue Ideen entstehen kann. In ihrem
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Praxis-Buch „Developing Potential Across a Full Range of Leadership“ stellen Bass und Avolio Fallstudien zu transaktionaler und transformationaler Führung vor [29]. Beispiel: Transaktionale und transformationale Führung bei Fraunhofer
Die Kombination aus einem transformationalen und einem transaktionalen Führungsansatz legt die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft ihrem Führungsleitbild zugrunde: Um „exzellente angewandte Forschung“ zu ermöglichen, müssen Führungskräfte im Alltag „gegensätzliche Anforderungen“ balancieren: „Einerseits müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitenden größtmöglichen Gestaltungsfreiraum gewähren, in dem sich Kreativität und Innovation entwickeln können. Andererseits müssen sie sicherstellen, dass aus den entwickelten Ideen auch umsetzbare Ergebnisse werden“ [30]. Um diesen Spagat für das Feld der angewandten Forschung zu meistern, bezieht sich Fraunhofer explizit auf einen „beidhändigen Führungsansatz“, der sich zwischen öffnendem, Veränderung ermöglichendem Führungsverhalten und schließendem, umsetzungsorientierten Führungsverhalten bewegt. Die Wissenschaftler für Unternehmenspsychologie Rosing, Frese und Bausch unterstreichen, dass Innovation erst durch das Wechselspiel transaktionaler und transformationaler Ansätze und einem öffnenden und schließenden Führungsverhalten ermöglicht wird [31]. ◄
2.2.2.2 Grenzverschiebung zwischen Führen und geführt werden Wir werden an dieser Stelle nicht tiefer in die Vielzahl an Führungstheorien und -konzepten eingehen, und stellen vielmehr die Frage nach der Essenz für den Führungsalltag. Was ist wirklich wichtig für meinen Führungsalltag als beidhändige Führungskraft? Was muss ich wissen, um erfolgreich und sicher durch die digitale Transformation zu navigieren? Im Praxisalltag zeigt sich, dass zwei Erkenntnisse hilfreich sind: • Erstens, die soeben beschriebene Unterscheidung zwischen einem schließenden und öffnenden Führungsverhalten von Führungskräften und • zweitens die Lösung der Führungsaufgabe von einer vordefinierten Position des Führenden. Ein starres Verständnis von Führung wird der Situation von Unternehmen, die sich in einem hochdynamischen Markt- und Technologieumfeld der Digitalisierung behaupten müssen, einfach nicht mehr gerecht. Vielmehr müssen Führungskräfte ihr Verhalten in einem innovationsgetriebenen Umfeld je nach Innovationskontext immer wieder neu anpassen und dafür zuallererst ihre persönliche, emotionale Bindung an eine Funktion aufgeben. Vielmehr rückt der komplexe Prozess der sozialen Interaktion zwischen Individuen innerhalb und außerhalb einer Organisation, und damit ein öffnender Ansatz, in den Fokus von Führung. Der Organisationsforscher Ingo Winkler resümiert: „Führung ist das Ergebnis der verschiedenen Interaktionen zwischen Mitgliedern einer vorhandenen Gruppe, es ist damit kaum vorhersehbar“ [28]. Das Verständnis der
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Organisation, die auf fest vordefinierten Führungsstrukturen basiert, wird kontextbezogen infrage gestellt. Diesem Ansatz folgt auch das vorliegende Buch. Das Bewusstsein, dass Führung durch soziale Interaktionsprozesse – und damit durch Kommunikation und Austausch zwischen den Mitgliedern einer Organisation – bestimmt ist und nicht durch vorgegebene Funktionen und Ämter, muss vor allem im explorativen Umfeld der Digitalisierung stärker an Bedeutung gewinnen: Kommunikation beschreibt im Interaktionsprozess einerseits die Übertragung von Information zwischen Personen (schließendes Verhalten). Sie beschreibt andererseits den Vorgang der Konstruktion von Realität (öffnendes Verhalten). Im Prozess der Kommunikation zwischen Personen entstehen neues Wissen und neue Ideen und auch ganz neue Verbindungen innerhalb (und außerhalb) eines Unternehmens, die realitätsschaffende Wirkung haben. Für Führungskräfte im Umfeld der Digitalisierung liegt genau in dieser bimodalen Natur von Kommunikation (Öffnen und Schließen) riesiges Potenzial für einen neuen beidhändigen Führungsstil. Die amerikanischen Organisationsforscher und Leadership-Experten Gail Fairhurst und Stacey Connaughton [32] beschreiben diesen Führungsstil auch als „kommunikationszentrierte Sichtweise der Führung“, die sowohl den Informationsaustausch sicherstellt als auch eine sinnstiftende Komponente enthält. In einem durchgängig kommunikationszentrierten Ansatz von Führung löst sich in aller Konsequenz auch das vordefinierte Rollenverständnis von Führendem und Mitarbeiter auf. Denn Führung entfaltet sich in der kommunikativen Interaktion von Personen kontinuierlich neu. Als Führungskräfte agierende Akteure formen Realitäten und werden zugleich durch die Realität, die sie kokreieren wiederum selbst geprägt – ein zwar unsicheres, schwer greifbares aber hoch flexibles, bewegliches Rollenverständnis. „Wer zum Führenden wird, scheint demnach weniger eine Funktion der Position in der Hierarchie als eine Funktion der Fähigkeit zu sein, zentrale Gegensätze oder Spannungen zu managen bzw. aufzulösen“ [32]. Anthony Giddens’ Theorie der Strukturierung Das hier beschriebene Führungsverständnis lässt sich zurückführen auf die von Anthony Giddens 1984 vorgestellte Theorie der Strukturierung [33]. Die Theorie erklärt das Spannungsfeld, das zwischen den individuellen Handlungen der Akteure eines Systems, z. B. eines Unternehmens, und den vorherrschenden Strukturen des Systems besteht und setzt beides in einen engen Zusammenhang. Giddens erklärt mit dem Prozess der Strukturierung, wie sich ein System durch die Interaktion seiner Akteure selbst produziert und ständig reproduziert. Er beschreibt die wechselseitige Wirkung zwischen dem Handeln des Einzelnen und dem System, in dem er sich bewegt. Dabei weist er dem Einzelnen eine nicht fremdgesteuerte, sondern eine aktive Rolle als selbstständig handelnder Akteur, Wissensträger und Gestalter in einem sich kontinuierlich verändernden System zu.
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Der Weg zu dem hier beschriebenen Führungsverständnis ist jedoch genauso ein gravierender Transformationsprozess wie der Wandel auf Technologie- und Geschäftsmodellseite. Denn die Führungsrolle, die interaktiv im Team von Wissensträgern und Gestaltern entsteht, muss auch aktiv vom Team ergriffen werden, was folgendes Beispiel aus dem Praxisalltag verdeutlicht. Denn gerade im Umfeld der digitalen Transformation, wenn Teams Neuland erschließen, werden sie immer wieder an Kreuzungen kommen, in denen die gewohnten Entscheidungsträger fehlen und Entscheidungen getroffen werden müssen, die es in gleicher Form bisher nicht gab. Fallstudie: Machtvakuum
Für die Entwicklung einer neuen IT-Infrastruktur für den Vertrieb und die Nutzung völlig neuer Software-Angebote einer traditionsreichen Hardware-Firma im Business-to-Consumer-Umfeld haben sich Mitglieder aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen und Disziplinen in einem agilen Design Thinking-Team (Abschn. 3.3.3) zusammengefunden. Bei der anfänglichen Entwicklung der ersten Prototypen der software-basierten Infrastruktur hat das Team – koordiniert durch einen vom Team benannten Projektleiter – an Geschwindigkeit aufgenommen und in kürzester Zeit ein MVP- ein Minimum Viable Product – hervorgebracht. Die Vorstellung des ersten Prototypen auf der wichtigsten Consumer-Messe des Unternehmens wird zum Erfolg. Als es kurz vor der Markteinführung um die finale Klärung und Fertigstellung der benötigten Infrastruktur geht und um das Treffen von Entscheidungen mit unternehmensweiten Konsequenzen, wird im Projektteam plötzlich der Ruf nach Entscheidern laut. „Wo sind die Personen, die hier die finale Entscheidung treffen?“ fragen einzelne Teilnehmer. Die anfängliche Geschwindigkeit des bereichsübergreifenden Teams weicht in dem Augenblick, in dem Entscheidungen plötzlich unternehmensweite Auswirkungen haben, dem Rückzug und der Forderung nach einer Führungskraft mit Macht und Entscheidungskompetenz. Gefragt wird: „Wer gibt hier eigentlich die Richtung vor?“ Während diese Frage unbeantwortet bleibt, da für Entscheidungen dieser Art im beschriebenen Unternehmen keine definierten Entscheidungsträger existieren, steht das Team plötzlich vor einem (aus dem bestehenden Geschäft nicht bekannten) Machtvakuum. Die Führung, die das Team jetzt von oben erwartet, bleibt aus. Niemand trifft die Entscheidung von außen. Mehr noch, selbst wenn es definierte Entscheidungsträger gäbe, hätten auch sie in einem hochdynamischen, interdisziplinären, sich kontinuierlich verändernden System nicht immer die richtige Antwort parat. Denn die wirklich umfassendste Kompetenz hat sich das interdisziplinäre Team aufgebaut, das sich seit Monaten mit der Lösung der Aufgabe beschäftigt. Die Richtung muss vom Team vorgegeben werden. Den gewonnenen Verantwortungsspielraum jedoch wirklich in aller Konsequenz und aufgrund ihrer Kompetenz zu nutzen, ist auch für die Teammitglieder ein
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ransformationsprozess. Waren sie bislang bei aller Entscheidungsfreiheit doch in T letzter Instanz an Führung „von oben“ gewöhnt, nehmen sie nun die Führungsrolle selber ein. Vorausgesetzt, dass sie den Sprung wagen und sich nach Prüfung aller vorhandenen Optionen mutig für den aus ihrer Sicht besten Weg entscheiden. ◄ Was bedeutet dies nun für Sie, wenn Sie als Führungskraft oder Projektleiter in einem solchen Umfeld der Unsicherheit unterwegs sind? Wenn Lösungen immer weniger von oben kommen und stattdessen die soziale Interaktion – und damit Kommunikation und Austausch zwischen Individuen – zum Dreh- und Angelpunkt für die Lösungsfindung werden? Dann lohnt sich in jedem Fall ein Blick auf das Wesen und die Bedeutung von Kommunikation. Sie kann zum wichtigen Vehikel werden, um Beidhändigkeit tatsächlich im Führungsalltag auszuüben und im täglichen (!) Handeln fest zu verankern. Sind sie in der oben beschriebenen Situation der Exploration als Projektleiter zugegen, können Sie ihre Rolle einbringen und dem Team Mut machen, die Entscheidung aufgrund der vorhandenen Kompetenz selbstbewusst zu treffen. Zusammenfassung: Von der vordefinierten Führungsrolle lösen
Für Experten der Ambidextrie-Forschung ist Beidhändigkeit Führungsfähigkeit und Führungsaufgabe. In der hybriden Welt des Übergangs reicht es nicht aus, wenn Führungskräfte sich in ihrem Handeln für Exploitation oder Exploration entscheiden und entweder Experten im bestehenden oder zukünftigen Business sind. Für den Transformationszeitraum benötigen sie spezifische Handlungsmuster, die eine Balance zwischen bestehenden und neuen Geschäftsfeldern schaffen. Ganz oben im Unternehmen muss eine umfassende Identität für die Organisation entwickelt werden, müssen die Spannungen ausgehalten und den Widersprüchen auf allen Ebenen – Technologie, Geschäftsmodell und Organisation und Kultur – aktiv begegnet werden. Um das Konzept der beidhändigen Führung zu erklären, wurde in diesem Abschnitt zwischen einem transaktionalen, Hierarchie-orientierten, anordnenden Führungsstil und einem transformationalen, motivierenden, Veränderung und Wandel ermöglichenden Führungsstil unterschieden. Zusätzlich zu dieser Unterscheidung wurde noch eine weitere Erkenntnis als Baustein für beidhändige Führung erfasst: die Lösung der Führungsaufgabe von einer vordefinierten Position des Führenden. Im Umfeld der digitalen Transformation bedeutet Führung nicht mehr, ein Amt funktional auszuüben. Führung wird immer häufiger unabhängig von einer spezifischen Funktion im Unternehmen sichtbar und entsteht flexibel und dynamisch sowie Aufgaben- und Kompetenz-bezogen in der Interaktion der Teammitglieder. Die Kommunikation zwischen Individuen rückt damit in das Zentrum von Entscheidungsfindungsprozessen. Führungskräfte können diese Entwicklung durch ihr kommunikatives Handeln fördern. In einem durchgängig kommunikationszentrierten Verständnis von Führung müssen sie sich in aller Konsequenz auch von einem vordefinierten Rollenverständnis von Führendem und Mitarbeiter lösen. Denn Führung entfaltet sich immer öfter in der kommunikativen Interaktion im Team. ◄
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2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation 2.3.1 Drei Handlungsfelder der Kommunikation in Unternehmen Schon im Jahr 1961 hob der bekannte amerikanische Sozialforscher Rensis Likert [34] die Rolle von Kommunikation im Unternehmen hervor: Sie sei essenziell für das Funktionieren einer Organisation und würde weitgehend als einer der wichtigsten Management-Prozesse gesehen. Wenn wir die Bedeutung und Rolle von Kommunikation im Unternehmen allerdings wirklich verstehen wollen, so müssen wir zunächst die verschiedenen Handlungsfelder betrachten. Unterschiedliche Sichten auf Kommunikation in Unternehmen Als interdisziplinäres Forschungsfeld befasst sich die Unternehmenskommunikation mit verschiedensten Aspekten der internen und externen Kommunikation von gewinnorientierten Organisationen. Sie ist Gegenstand der Managementforschung, der Organisationsforschung, der Kommunikationswissenschaften oder der Marketingforschung und genießt zahlreiche verschiedene Definitionen. Vor allem in der kommunikations- und marketingwissenschaftlichen Literatur wird Kommunikation im Unternehmen als eine Disziplin betrachtet, die ein homogenes Erscheinungsbild zum Ziel hat, sprich alle kommunikativen Aktivitäten einer Firma unter einem Banner vereint. Sie dient der Koordination, Orchestrierung und Abstimmung aller Einzelinteressen der Stakeholder und ermöglicht die Implementierung einer Unternehmensstrategie sowie die Erreichung der Unternehmensziele. Während dieser Ansatz in erster Linie auf den gemeinsamen Nenner und ein homogenes Erscheinungsbild abzielt, betrachtet die Disziplin der Organisationsforschung vor allem die internen Kommunikationsprozesse einer Organisation. Sie unterstreichen die Bedeutung der Heterogenität der Stimmen und Meinungen, die innerhalb einer Organisation existieren. Handlungsfelder der Kommunikation Um schließlich Klarheit in die Disziplin der Kommunikation im Unternehmen zu bringen und dieses Buch klar zu verorten, ziehen wir die Unterteilung des Leipziger Kommunikationswissenschaftlers Ansgar Zerfass [35] heran. Er unterteilt die im Unternehmen stattfindende Kommunikation in drei an der Unternehmensstrategie ausgerichtete Handlungsfelder: • Marktkommunikation (extern), • Public Relations (extern) und • Interne Kommunikation. Kommunikation im Unternehmen betrifft demnach einerseits die Gestaltung von marktorientierten und gesellschaftspolitischen Beziehungen und andererseits die Steuerung der Prozesse innerhalb des Unternehmens.
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Die Marktkommunikation, Gegenstand der Marketingforschung, umfasst „alle kommunikativen Handlungen von Organisationsmitgliedern (Führungskräfte, Kommunikationsverantwortliche) und ihren Beauftragten (Agenturen), mit denen Transaktions- und Wettbewerbsbeziehungen gestaltet werden“ [35]. Sie richtet sich dabei vor allem auf den „Tauschprozess“ [36] bzw. die Beziehungen mit den Stakeholdern am Markt. Public Relations richtet sich ebenfalls an externe Bezugsgruppen: Sie orientiert sich „im weiteren Sinne an Kommunikationsbeziehungen zu Bezugsgruppen im sozialen und politischen Kontext“ [37]. Es ist Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit, „die Unternehmensstrategie in den Handlungsfeldern von Politik, Bildung, Wissenschaft usw. durchzusetzen bzw. entsprechende Widerspruchspotenziale und gesellschaftliche Anforderungen in das organisatorische Entscheidungssystem einzuspeisen“, erklärt Kommunikationsprofessor Ansgar Zerfass [35]. Neben der direkten Kunden- und Marktkommunikation ist Public Relations wichtiges weiteres Betätigungsfeld der Außendarstellung eines Unternehmens. Sie prägt das öffentliche Erscheinungsbild einer Organisation im Sinne der Zielerreichung und pflegt den Dialog mit den relevanten Stakeholdern einer Unternehmung. Interne Kommunikation beschreibt dagegen alle internen Kommunikationsprozesse, die zwischen den Mitgliedern eines Unternehmens, z. B. zwischen verschiedenen Abteilungen, Hierarchie-Ebenen oder einzelnen Personen stattfinden. Sie betrachtet die internen Akteure der Organisation vor dem Hintergrund der gemeinsamen Zielerreichung und Leistungserbringung [35] und reicht von der alltäglichen Kommunikation zwischen internen Akteuren bis zur internen Kommunikation im Ausnahmefall. Interne Akteure sind dabei einerseits verfassungskonstituierende Akteure „bei denen man vom Grundsatz der direkten Kommunikation zwischen den Beteiligten ausgehen kann“, andererseits alle anderen Organisationsmitglieder, z. B. Mitarbeiter, deren Leistungsprozesse innerhalb des Verfassungsrahmens strukturiert und gesteuert werden müssen [35]. Die Strukturierung und Steuerung des Leistungsprozesses durch unternehmensinterne Kommunikation betrachten wir im weiteren Verlauf genauer. In diesem Buch treten Marktkommunikation und Public Relations in den Hintergrund. Die interne Kommunikation von Führungskräften rückt in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ziel ist es, zu verstehen, welche Rolle das kommunikative Handeln des Einzelnen in seiner Rolle als Akteur innerhalb einer gewinnorientierten Organisation spielt und wie Führungskräfte Kommunikation gewinnbringend nutzen können. Gerade im Umfeld der digitalen Transformation verändert sich die Rolle von Führungskräften dabei zunehmend: „Je stärker die Kommunikation über Netzwerke abläuft und je weniger steuerbar sie wird, desto wichtiger wird Führung durch Kommunikation“, unterstreicht die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Mast [38]. „Führung durch Kommunikation“ basiert in einem beidhändigen Umfeld auf zwei wesentlichen Naturen von Kommunikation: Kommunikation als Transmission und Kommunikation als Wirklichkeitskonstruktion. Das Verständnis dieser beiden Ausprägungen von Kommunikation ist in der Praxis von allergrößter Bedeutung, um im Umfeld der Digitalisierung erfolgreich führen zu können. Die zwei Naturen werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.
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2.3.2 Zwei Naturen von Kommunikation: Transmission und Wirklichkeitskonstruktion Dem Prinzip der beidhändigen Führung liegen zwei grundsätzlich verschiedene Naturen von Kommunikation zugrunde [7], von Organisationsforschern auch als „bimodale“ Natur von Kommunikation beschrieben [39]. Diese bimodale Natur umfasst 1. die Kommunikation zur Übertragung von Informationen und 2. die Kommunikation zur Konstruktion von Realität. Dieses bimodale Verständnis beschreibt damit über die reine Informationsvermittlung hinaus auch einen konstitutiven, die organisationale Realität schaffenden Charakter von Kommunikation. Wir gehen in diesem Abschnitt im Detail auf beides ein. Denn die Kenntnis und der bewusste Einsatz der beiden Dimensionen sind im Unternehmensalltag der digitalen Transformation ein überaus hilfreicher Handlungswegweiser, den Sie, einmal verstanden und getestet, bald nicht mehr missen möchten.
2.3.2.1 Kommunikation ist Transmission Wenn wir im Folgenden von der Übertragung von Information (Transmission) sprechen, ist die Kommunikation zwischen den Akteuren in einer Organisation gemeint, bei der Inhalte ausgetauscht und Botschaften übermittelt werden – beispielsweise, wenn ein Chef in einer Sitzung sein Team über Aktuelles aus der Unternehmensleitung informiert, oder wenn der Geschäftsführer in einer Videobotschaft für die Mitarbeiter die neue Unternehmensstrategie vorstellt. Hier geht es um die Verteilung von Informationen. Es handelt sich um das bereits beschriebene schließende, möglichst keine Fragen offen lassende Kommunikationsverhalten (Abschn. 2.2). Es setzt voraus, dass eine zu verteilende Information, sprich der Inhalt einer Botschaft, bereits vor dem Start der Kommunikationsaktivitäten feststeht. Wenn die Unternehmensleitung die neue Unternehmensstrategie der nächsten Jahre bekannt gibt, sind die Inhalte der Strategie im Vorfeld erarbeitet und die Kommunikationsunterlagen dazu erstellt. Der Brief ist im Umschlag. Sie haben den Umschlag zugeklebt. Jetzt geht es in den Versand. Es geht um das Aussenden von Informationen, das Verteilen, das Übermitteln – meist von oben nach unten in die Breite der Belegschaft. Der Brief selbst wird nicht mehr verändert. Im Falle der Vorstellung einer Unternehmensstrategie erhalten alle Empfänger den gleichen Brief, dieselbe Botschaft, um sicherzustellen, dass ein einheitliches Verständnis in der Organisation entsteht. Diese Art der Kommunikation, in Abb. 2.5, auf der linken Seite dargestellt, dient der möglichst effizienten, breitflächigen Verteilung von Information und zielt auf ein einheitliches Gesamtbild bei den Empfängern. Sie setzt ein eher hierarchisches Organisationsumfeld voraus und ist angelehnt an das lineare Sender-Empfänger-Modell des Mathematikers Claude Shannon [40]. Shannon hatte das bis heute bekannte Kommunikationsmodell 1948 zur Beschreibung des Informationsaustausches zwischen
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Abb. 2.5 Zwei Naturen von Kommunikation
zwei Systemen im Umfeld der Nachrichtentechnik entwickelt. Das lineare Modell geht von einem zentralen Sender aus, der eine zu übertragende Information besitzt und diese mithilfe eines Übertragungskanals an einen Empfänger übermittelt [40]. Wird dieses Modell auf den Organisationskontext übertragen, so handelt es sich beim Prozess der Informationsübertragung tendenziell um eine Einweg-Kommunikation von den oberen Hierarchie-Ebenen zu den Mitarbeitern. Dieser Ansatz ist rein auf die Weitergabe und den Austausch von Informationen konzentriert und zielt darauf ab, entsprechend zielführendes Verhalten bei den Empfängern, z. B. einem Team oder allen Mitarbeitern, zu erwirken. Handlungsoptionen hierfür finden Sie in Kap. 4. Unbestritten ist, dass die Top-down-Übermittlung von Informationen an die Belegschaft für das Funktionieren von Unternehmen eine elementare Säule darstellt und somit zum kleinen Einmaleins der Unternehmensführung zählt. Wenn Führungskräfte Kommunikation jedoch ausschließlich als Übermittlung und Austausch von Botschaften verstehen, lassen sie ein wichtiges Potenzial von Kommunikation ungenutzt. Denn gerade die unzähligen Interaktionen, die in Unternehmen täglich stattfinden, können dazu führen, dass Inhalte sich verändern oder ganz neue Inhalte und Realitäten durch Kommunikation entstehen. Die möglichen Effekte der Vielfalt und Heterogenität der Stimmen und Meinungen innerhalb einer Organisation können für das Erschließen von
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Neuland die allerwichtigste Voraussetzung sein. Betrachten wir also die zweite Natur, der häufig noch blinde Fleck der internen Kommunikation, in Abb. 2.5 auf der rechten Seite dargestellt.
2.3.2.2 Kommunikation ist Wirklichkeitskonstruktion In ihrer zweiten Natur ist Kommunikation „gemeinsame Aktivität, innerhalb derer Sprecher und Adressat in jedem Moment ein Verständnis ihrer sozialen Beziehung und ihrer gemeinsamen Sichtweise ko-produzieren“, beschreiben Wissenschaftler das konstituierende Wesen der Organisationskommunikation [41]. Diese Sichtweise wurde in den letzten Jahren insbesondere durch eine nordamerikanische Schule von Organisationsforschern geprägt: „Eine bimodale Theorie von Information als sowohl Transmission als auch Generierung von Wissen wirft ein völlig neues Licht auf die Organisation und ihre Beziehung zu Kommunikation“, so die kanadischen Kommunikationswissenschaftler James Taylor und Elizabeth van Every [39]. Die Vertreter der „Montréal School of Organizational Communication“ nehmen in ihrer Definition auf Anthony Giddens’ Strukturationstheorie [33] Bezug (Abschn. 2.2) und erklären Kommunikation zwischen Organisationsmitgliedern als die grundlegende Handlungsweise, damit Organisationen überhaupt entstehen können. „Eine Situation wird erst durch das Sprechen zum Leben erweckt“ [39]. Organisationale Realität gibt es erst dann, wenn die Mitglieder einer Organisation miteinander im interaktiven Austausch stünden und dadurch die Umstände einschließlich der Menschen, der Objekte, der Institutionen und der Geschichte und ihres eigenen zeitlichen und räumlichen Standortes produzierten [39]. Organisationen existieren demnach nur durch Kommunikation. Kommunikation ist Verhandlung von Realität In diesem konstitutiven Verständnis von Kommunikation wird die Wirklichkeit also durch die einzelnen Akteure überhaupt erst verhandelt. Das Ergebnis ist offen (Abschn. 2.2). Ausgangspunkt für diese Auffassung bilden die Arbeiten des renommierten Organisationspsychologen Karl Weick. Laut Weick ist Organisation zu definieren als ein sozialer Prozess des Organisierens. Das Organisieren selbst ist „zu allererst gegründet auf Einigungen darüber, was Wirklichkeit und was Illusion ist“ [42]. Weick beschreibt die Organisation als „Interpretationssystem“ [43]. In diesem System spielt Kommunikation eine zentrale Rolle im Bilden und Erhalten von Organisationen. Organisation entsteht erst dadurch, dass die Organisationsmitglieder im gegenseitigen Austausch kontinuierlich Bedeutungen zuweisen. Der Prozess des Organisierens selbst sei in den Aktionen und Konversationen zu verorten, die in Hinblick auf eine angenommene Organisation erscheinen [44]. Im Verständnis von Weick werden damit Ereignisse und Organisationen erst durch den interaktiven Austausch der Akteure real. Situationen, Organisationen und Umgebungen würden erst durch Kommunikation existent [44]. Realität wird zur Verhandlungssache. Taylor und van Every [39] machen diesen Gedanken zum Kern ihrer Kommunikationstheorie. Für sie ist Kommunikation ein interaktiver Prozess, in dem
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
Organisationsmitglieder die Bedeutung von Situationen im gegenseitigen Austausch entschlüsseln. Die Verhandlung, Interpretation und Zuweisung kollektiver Bedeutung, in der Organisationstheorie als „Sensemaking“ bezeichnet, finde im interaktiven Gespräch statt. Kommunikation wird damit befreit von der ausschließlich passiven Vermittlerfunktion. Sie erhält einen aktiven realitätsschaffenden Charakter.
2.3.2.3 Bedeutung für Führung im Innovationsumfeld Zurück zur digitalen Transformation: Was bedeutet diese Erkenntnis nun für das Umfeld der Digitalisierung? Was bedeutet das Wissen um die zwei Naturen von Kommunikation für Unternehmen, in denen neben bestehenden Produktprogrammen Geld mit neuen digitalen Lösungen verdient werden soll? Wenn wir davon ausgehen, dass sich neben der Welt der Kommunikation zur Informationsübertragung eine zweite Welt auftut, in der durch Kommunikation neues Wissen (Innovation) entsteht, dann können wir dies im Umfeld des bestehenden und neuen Business (Abb. 2.4) gezielt einsetzen. Das Problem Während im Unternehmensalltag die erste Natur von Kommunikation, die Natur der Top-down-Vermittlung von Inhalten, den Ruf des Offiziellen genießt, pflegt die zweite Natur der realitätsschaffenden Vernetzung und Interaktion ein Schattendasein. Sie lebt informell auf dem Flur, statt offiziell im Zentrum der Innovation zu stehen. Sie wird mancherorts geradezu unterbunden, wo ein streng hierarchisch und zentralistisch geführtes Umfeld herrscht. Was für die konsequente Effizienzsteigerung im bestehenden Business funktionieren mag, ist beim Aufbau des neuen digitalen Business häufig kontraproduktiv. Statt neuer Ideen, erhält man so nur den alten Wein… Es sei denn, Organisationen institutionalisieren auch die zweite Natur von Kommunikation und nutzen sie aktiv zur Generierung neuen Wissens. Eine Institutionalisierung findet in den letzten Jahren vermehrt (wenn auch zögerlich) durch die Einführung von Design Thinking oder agilen Arbeitsweisen in Unternehmen statt. Solche Handlungsrahmen nutzen bewusst die realitätsschaffende und lösungsgenerierende Dimension von Kommunikation und rücken Vernetzung und Austausch in den Mittelpunkt des kollektiven Handelns (siehe Kap. 3 und 4). Wenn Führungskräfte diese zweite Natur von Kommunikation bewusst in ihre Führungsarbeit einbauen und zwischen den unterschiedlichen Handlungsmustern beider Naturen (siehe Kap. 3 und 5) je nach Situation und Kontext wählen, können sie nicht nur selbst besser durch die beidhändige Organisation navigieren, sondern den Zeitraum, in dem inkrementelle Weiterentwicklungen neben radikalen Innovationsvorhaben koexistieren, aktiv gestalten und damit eine beidhändige Kultur im Unternehmen schaffen. Welche Rolle die zwei Arten von Kommunikation im Umfeld der Entstehung von Innovation haben einnehmen können, zeigt Abb. 2.6 in Anlehnung an die Darstellungen von Zerfass zur bimodalen Natur der Innovationskommunikation [45].
2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation
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Abb. 2.6 Innovation: Artefakt oder sozialer Prozess? (Eigene Darstellung in Anlehnung an Angar Zerfass, 2009 [45])
Die zwei grundsätzlich gegenläufigen Kommunikationsmodelle im Umfeld des Innovationsmanagements, „Kommunikation als Transmission“ sowie das der nordamerikanischen Schule der Organisationskommunikation (vgl. Abschn. 2.3) nahestehende Modell der „Kommunikation als Wirklichkeitskonstruktion“ unterscheiden sich darin, auf welchen Aspekt von Innovation sie ihren Scheinwerfer richten. In ersterem Verständnis ist das, was wir mit Innovation bezeichnen, ein bereits vorliegendes Ergebnis. Es sind „qualitativ neuartige Produkte oder Prozesse, die von einem Unternehmen (bzw. dessen Führungskräften) als neu gekennzeichnet werden“ [45]. Es handelt sich um ein bereits erschaffenes Artefakt. Kommunikation dient in diesem Umfeld weniger der Entstehung neuer Ideen und der Lösungsfindung, sondern der Übermittlung von Informationen und Bedeutung über die bereits vorhandene neue Lösung (vgl. Abschn. 4.3). Das zweite Verständnis von Kommunikation als Prozess der Wirklichkeitskonstruktion richtet den Schweinwerfer nicht auf das Ergebnis, sondern auf den Entstehungsprozess von Innovation und auf die Bedeutungsentstehung durch soziale Interaktion. In dieser Sichtweise sind neue Technologien oder neue Produkte das Resultat der „sozialen Konstruktion von Bedeutung und Wirklichkeit sowie eines interessengeleiteten Handelns der Akteure“ [45]. Die Innovation selbst ist in der Interaktion entstandenes soziales Konstrukt (vgl. Kap. 3).
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
Beidhändige Führung basiert auf den zwei Naturen von Kommunikation Für die Führung im Innovationsumfeld sind diese zwei unterschiedlichen Dimensionen von elementarer Bedeutung, denn wendet man – wie häufig der Fall – nur die Dimension der Informationsvermittlung an, wird schnell klar, dass die Entstehung neuer Ideen damit nicht vorangetrieben wird. Stehen Anordnung und Ausführen im Mittelpunkt, so werden die Teams gerade nicht zur kreativen interdisziplinären Lösungsfindung und zu eigenen Ideen ermutigt. Was im effizienz-getriebenen Umfeld zielführend ist, kann bei der Suche nach radikal neuen Lösungen gerade entgegengesetzt wirken. Es gilt, also beide Ausrichtungen im eigenen Führungsstil situations- und kontextbezogen einzusetzen. Wie sich die jeweiligen Kommunikationsstile unterscheiden, wird im folgenden Abschnitt vertieft. Konkrete Handlungsoptionen finden Sie in Kap. 3 bis 5.
2.3.3 Beidhändig kommunizieren 2.3.3.1 Forschungsprojekt in der Industrie 4.0 Das Prinzip der zwei Naturen ist nun vorgestellt. Nur wie unterscheidet sich die Kommunikation jetzt im Alltag genau? Und eignet sich dieser Ansatz wirklich für das gleichzeitige Vorantreiben von Exploitation und Exploration? Zur Klärung dieser Fragestellung wurde im Forschungsprojekt „Ambidextrie, Führung und Kommunikation“ [7] der Innovationsprozess von beidhändigen Unternehmen aus einer kommunikationswissenschaftlichen Perspektive untersucht. Ambidextrie ist dynamische Fähigkeit Das Forschungsprojekt baut auf dem Verständnis von Beidhändigkeit als sogenannte dynamische Fähigkeit von Unternehmen auf, Exploration und Exploitation ausüben zu können. Der von dem renommierten neuseeländischen Wirtschaftswissenschaftler David J. Teece geprägte Forschungsansatz der dynamischen Fähigkeiten (Dynamic Capabilities View) [46] beschäftigt sich mit einem unternehmerischen Umfeld des Wandels und der Frage, wie Firmen darauf bestmöglich reagieren können. Wenn sich Märkte kontinuierlich verändern, der Preiswettbewerb sich verschärft und bewährte Produkte durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche durch völlig neue Technologien infrage gestellt werden, überleben diejenigen Firmen, die sich am ehesten an immer neue Rahmenbedingungen anpassen und ihre Ressourcenbasis kontinuierlich verändern können. David Teece richtet den Fokus seiner Forschung dabei vor allem auf die Rolle von Führungskräften. Die Aktivitäten von Top und Senior Managern führen auf der Mikroebene von Organisationen dazu, dass Firmen den Sprung in die Zukunft meistern können. Teece versteht Beidhändigkeit als eine notwendige dynamische Fähigkeit, die Unternehmen durch das Handeln ihrer Führungskräfte hervorbringen können. Er beschreibt Führungskräfte, die es schaffen, immer wieder neue strategische Handlungsoptionen aufzuspüren, die zugleich die Umsetzung bestehender strategischer Zielsetzungen vorantreiben und dabei das bestehende Firmen-Set-up kontinuierlich
2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation
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Konfigurieren und Rekonfigurieren. Jedoch liegen gerade darüber, wie genau Führungskräfte nun tagtäglich diese dynamischen Fähigkeiten ausüben, nur wenige Erkenntnisse vor. Das Projekt „Kommunikation, Führung und Ambidextrie“ liefert dazu einen interdisziplinären Lösungsansatz. Studie „Kommunikation, Führung und Ambidextrie“ Die fallstudienbasierte Untersuchung im deutschen Maschinen- und Anlagenbau richtet den Fokus auf Produkteinführungen großer international agierender Unternehmen und fragt danach, welchen Beitrag Führungskräfte in ihrem täglichen Handeln leisten können, damit Firmen in einem dynamischen Markt- und Technologieumfeld langfristig wettbewerbsfähig bleiben. Im Rahmen eines qualitativen Forschungsprojektes wurden zwischen 2013 und 2015 Führungskräfte aus deutschen Industrieunternehmen befragt, die die Herausforderungen im Umfeld von Industrie 4.0 und Digitalisierung aus dem eigenen Berufsalltag kennen. Die Ergebnisse der Studie basieren auf Experteninterviews mit oberen Führungskräften (Vorstände, obere Führungsebenen) deutscher Industrieunternehmen im Hoch- bis Spitzentechnologiesektor, die zum Zeitpunkt des Gesprächs entweder im Umfeld von Exploitation oder im Umfeld von Exploration oder in beiden Welten aktiv waren. Die Führungskräfte gaben Auskunft darüber, welche Kommunikationsmuster sie im Alltag anwenden, um welche Innovationsziele zu erreichen. Die Ergebnisse machten sichtbar, dass das kommunikative Handeln der Führungskräfte je nach Innovationszielsetzung – Exploration oder Exploitation – völlig unterschiedlich in Erscheinung trat. Das Verhalten der befragten Führungskräfte hatte entweder einen informationsvermittelnden Charakter oder reflektierte den sozialen Prozess des Verhandelns von Realität. Es reichte von streng hierarchisch organisiertem Kommunikationsmanagement bis hin zur losen Steuerung offener Netzwerken. Es zeigten sich Kommunikationsmuster, die im Umfeld der reinen Umsetzung von definierten Zielen genutzt wurden und solche, die für das Schaffen einer „grünen Wiese“ und das Erschließen von Neuland verwendet wurden. Zugleich traten spezifische Kommunikationsmuster auf, die die Beidhändigkeit einer Organisation unterstützen. Die befragten Führungskräfte steuerten also durch ihr unterschiedliches Kommunikationsverhalten, ob sie Exploration oder Exploitation oder ob sie die Beidhändigkeit der Organisation förderten. Welten durch Kommunikation verbinden Die Ergebnisse des Forschungsprojektes wurden in einem Modell der Ambidextrieorientierten Führungskommunikation zusammengefasst, das der Forderung nach Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit von Organisationen Rechnung trägt. Es beschreibt, dass gerade die unterschiedliche Art der Kommunikation ein wirksamer Weg sein kann, um das eigene Handeln kontinuierlich anzupassen und damit dynamische Fähigkeiten in Unternehmen hervorzubringen. Das Modell liefert konkrete Antworten auf die Frage, wie genau Führungskräfte in einem Spannungsfeld aus Exploration und Exploitation über Kommunikation vorhandene Stärken nutzen können, neue Handlungsfelder aufspüren und dafür wenn
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
Abb. 2.7 Beidhändige Führung durch Kommunikation
nötig die vorhandenen Ressourcen des Unternehmens verändern und immer wieder neu zusammenzusetzen können. Es zeigt auf, wie Führungskräfte auf gleichzeitig radikale und inkrementelle Innovation durch ihr tägliches kommunikatives Handeln Einfluss nehmen und wie sie beide Welten gewinnbringend verbinden können (Abb. 2.7). Aufbauend auf den Forschungsergebnissen betrachtet dieses Buch die Chancen und Möglichkeiten der Führung im Umfeld unterschiedlicher Innovationsvorhaben. Es liefert in den Kap. 3 bis 5 für die Arbeit in einem zunehmend komplexen, dynamischen und ambivalenten Umfeld einfache Umsetzungsempfehlungen, um im täglichen kommunikativen Handeln mit geringem Aufwand ein innovationsorientiertes internes Umfeld zu schaffen, das Exploration und Exploitation erfolgreich verbindet.
2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation
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Kommunikation prägt Innovationskultur Während in bisherigen Forschungsarbeiten zur Kommunikation von Führungskräften nur selten die Ausgestaltung eines innovationsspezifischen Handelns im Kern des Forschungsinteresses stand, wird jedoch gerade hierin ein Stellhebel gesehen, um Innovationskultur zu prägen und tatsächlich Veränderung in den Teams zu erzeugen. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften Acatech [47] prognostiziert: „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Arbeit in der Industrie 4.0 an alle Beschäftigten deutlich erhöhte Komplexitäts-, Abstraktions- und Problemlösungsanforderungen stellen.“ Das erfolgreiche Integrieren von Zukunftstechnologien bedürfe einer „intelligenten Einbettung in eine innovative (betriebliche) Sozialorganisation“. Der hier geforderte Aufbau einer innovativen Sozialorganisation beginnt in allererster Linie bei den Menschen und der Kultur eines Unternehmens. Und auf die Kultur haben Führungskräfte einen entscheidenden Einfluss. Denn gerade die Ausgestaltung der Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern bzw. das Ermöglichen von Kommunikation in Teams ist enorm wichtig für die Motivation und das gegenseitige Verständnis. Sie ist darüber hinaus Voraussetzung dafür, dass neue Ideen überhaupt entstehen können.
2.3.3.2 Das Modell der beidhändigen Kommunikation „Innovation ist Vernetzung, neuronales Netz, Unternehmenskultur“, beschreibt ein Experte eines deutschen Industrieunternehmens die Bedeutung von Austausch und Interaktion im Unternehmen [7]. Eine offene Kultur wird als Voraussetzung für Innovation betrachtet. Innovation sei nur über Firmenkultur zu erreichen. Sie bahnt sich dann ihren Weg, wenn es möglich (und erwünscht!) ist, auf den Fluren und über Bereichsgrenzen und Hierarchieebenen hinweg zu diskutieren. Ein wichtiger Stellhebel für die Veränderung einer Kultur liegt also in der Kommunikation von Führungskräften [37]. Das in diesem Buch vorgestellte Kommunikationsmodell zeigt, dass Führungskräfte je nach Innovationskontext – Exploitation, Exploration oder Beidhändigkeit – unterschiedlich agieren müssen. Sie können durch unterschiedliche Arten der Kommunikation inmitten einer hierarchiegeprägten Top-down-Kultur bestehender Geschäftsfelder, interne Ökosysteme und dezentral organisierte Kommunikation im Netzwerk für neue Geschäftsfelder ermöglichen und institutionalisieren. Betrachten wir zunächst die Unterscheidung zwischen Exploitation und Exploration: Ein effizientes Management des Innovationsprozesses im Umfeld inkrementeller Verbesserungen und der Optimierung des bestehenden Business erfordert einerseits Klarheit in den Handlungsanweisungen (Exploitation). Andererseits liegt diese Klarheit im Umfeld von Exploration bezogen auf völlig neue technologische Lösungsräume meist gar nicht vor. Hier treffen aus Kommunikationssicht zentral gesteuerte Kommunikationsprozesse auf zahlreiche dezentrale, auf Austausch und Diskussion basierende Lösungsfindungsschritte. Die auf Integration und Homogenität ausgerichtete Kommunikation zur Strategieumsetzung begegnet dem Orchestrieren von Heterogenität und Vielfalt
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
öglicher Lösungen. Schmale Umsetzungskorridore und Prozesseffizienz konkurrieren m mit Möglichkeitsräumen für radikale Innovationen. Wir legen deshalb diesem Buch den folgenden Merksatz zugrunde:
1. Radikale und inkrementelle Innovationsvorhaben benötigen unterschiedliches kommunikatives Handeln von Führungskräften.
Tab. 2.3 gibt erste Anhaltspunkte für die unterschiedlichen Möglichkeiten für kommunikatives Handeln von Führungskräften in einem beidhändigen Organisationsumfeld. Kommunikation im Umfeld radikaler Innovationsvorhaben (rechte Spalte) tritt eher als dezentral verteilte, autonome Bottom-up-Initiative in Erscheinung. Top-down und zentral vom oberen Management wird in einem solchen Umfeld maximal die Vision als Rahmensetzung vermittelt. Darüber hinaus steht die kommunikative Konstruktion von Realität in Hinblick auf neu entstehende Lösungsräume im Mittelpunkt. Kommunikationsstrukturen sind agiler Natur und entstehen und verändern sich im laufenden Prozess. Führungskräfte ermöglichen und fördern dezentrale und bereichsund hierarchieübergreifende Kommunikationsaktivitäten der Teams (vgl. Kap. 3). Kommunikation im Umfeld von Exploitation und inkrementeller Innovationsvorhaben (Tab. 2.3, linke Spalte) tritt eher zentral gesteuert in Erscheinung. Die Inhalte sind aus der Unternehmensstrategie abgeleitet. Informationen bzw. Handlungsanweisungen werden strategieinduziert top-down von oben an die Breite der Belegschaft gesendet. Für die Informationsvermittlung können klar vordefinierte Strukturen, z. B. Hierarchie-Ebenen sowie die offiziellen Mittel und Kanäle der Unternehmenskommunikation genutzt werden. Im Umfeld von Exploitation bzw. der Verbesserung bestehender Produkte, Prozesse oder Lösungen wird vorausgesetzt, dass an zentraler Stelle alle Informationen zur Zielerreichung vorliegen und durch die schnelle Verteilung von Handlungsanweisungen und der Exekution der Strategie die Effizienz gesteigert wird (Kap. 4). Sind Führungskräfte in einer beidhändigen Organisation im Einsatz, können sie je nach Kontext in die eine oder andere Seite des Kommunikationsbaukastens greifen. Das Modell der beidhändigen Kommunikation enthält aber über die Kommunikationsmöglichkeiten für Exploration und Exploitation noch zusätzliches, verbindendes Werkzeug bereit. Hierauf beruht der zweite Merksatz dieses Buches:
2. Beidhändigkeit ist mehr als die Fähigkeit des Navigierens durch Exploitation und Exploration. In der beidhändigen Organisation nutzen Führungskräfte zusätzliche Kommunikationstools für das Balancieren, Orchestrieren und Verbinden beider Welten (Abb. 2.7).
Wenn Führungskräfte beidhändig sind, dann schaffen sie es, den Zusammenhang zwischen Aktivitäten für die Gegenwart und für die Zukunft herzustellen. Denn wenn Umsätze zu 70, 80, 90 % durch das bekannte, erfolgreiche Kerngeschäft einer Firma
2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation
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Tab. 2.3 Unterschiede der Kommunikation für Exploitation und Exploration Verankerung in Unternehmensstrategie
Inkrementelle Innovation
Radikale Innovation
Kerngeschäft/fester Bestandteil der Unternehmensstrategie Topdown-Initiative
(Noch) nicht zwangsläufig Teil der Unternehmensstrategie, häufig Bottum-up-Initiative
Wesen von Kommunikation „Senden von Information“ Formalisiert, organisiert, zentralisiert, offiziell, hierarchiezentriert
„Realität durch Interaktion“ Eher informell, weniger straff organisiert, dezentralisiert, inoffiziell, bereichs- und hierarchieübergreifend
Organisation von Kommunikation
Klar vordefinierte Strukturen der Kommunikation: Pyramide, Kommunikationskaskaden Zentral gesteuerte Top-downKommunikation Klassische Mittel der internen Unternehmenskommunikation
Agile, anpassungsfähige, wachsende Kommunikationsstrukturen: Ökosystem-Management Bottom-up-Kommunikation, horizontale und dezentrale Netzkommunikation Agiler Kommunikationsbaukasten/Design Thinking
Zielgruppe
Breitflächige Kommunikation: Alle Mitarbeiter bis hin zu Entwicklungsteams
Kommunikation zunächst mit definierter Personengruppe; in Abhängigkeit von Reifegrad der Technologie wachsender Adressatenkreis
Inhalt
Unternehmensstrategie, Effizienz, Kundennutzen, Potenziale Kosten, Volumenbusiness, technologische Innovation, Prozessinnovation Geschäftsmodellinnovation, neue Inhalte entstehen erst
Zielsetzung
Exekution der Strategie Effizienzsteigerung Homogenität: Gemeinsamen Nenner in der Organisation erreichen
Führungsverständnis
Manager, allwissend, Führung Förderer, Orchestrierer, Verqua Amt, Hierarchie als Effizienz- netzer, Brückenbauer, Führung möglichkeit durch Kommunikation und Ermöglichung von Kommunikation
Neue Lösungen finden, Kundennutzen schaffen, Outof-the-box-Denken, vernetztes Arbeiten, Risikobereitschaft, ausprobieren Heterogenität: Vielfalt und Vernetzung fördern
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
generiert werden (Exploitation), wenn Unternehmen erfolgreiche Jahresabschlüsse vermelden, warum sollten Menschen in Organisationen ausgerechnet dann Veränderung akzeptieren? Beidhändige Führungskräfte haben auf diese Frage eine Antwort. Sie begründen, warum Veränderungen für die Zukunft dringend notwendig sind, obwohl ein Unternehmen heute überaus erfolgreich ist. Sie sitzen in der Mitte der in Abb. 2.7 dargestellten Welten und verbinden die linke und die rechte Seite der Organisation. Sie prägen durch ihr kommunikatives Handeln die Unternehmenskultur und das Mindset der beidhändigen Organisation und schaffen in der täglichen Interaktion mit den Menschen eines Unternehmens den passenden Bedeutungskontext dafür, dass beide Welten koexistieren und kooperieren und dass schließlich die Grenzen zwischen Exploitation und Exploration verschwimmen können (Tab. 2.4). Tab. 2.4 Kommunikation für die beidhändige Organisation Beidhändige Organisation Verankerung in Unternehmensstrategie
Starke beidhändige Vision sowie strategische Maßnahmen zu beiden Welten kommunizieren, aber auch wichtige Bottom-up-Aktivitäten neu in der Strategie-Kommunikation aufgreifen
Wesen von Kommunikation
Senden von Information zu Vision und Zielen (Topdown) und Verbindungen herstellen zwischen den Bereichen (Rekonfiguration)
Organisation von Kommunikation
Für die Kommunikation von Vision und Strategie klar vordefinierte Strukturen der Kommunikation nutzen. Zusätzlich neue gemeinsame Kommunikationsräume für beide Welten schaffen
Zielgruppe
Mitarbeiter beider Welten
Inhalt
Begründen, warum Revolution notwendig, wenn doch evolutionäres Vorgehen heute erfolgreich Beidhändige Vision und Strategie (=beidhändigen Bedeutungskontext) vermitteln Ziele der einen Welt vor dem Hintergrund der anderen Welt erklären Gegenseitiges Profitieren aufzeigen
Zielsetzung
Akzeptanz, Verständnis, Commitment für beide Welten und für notwendige Transformation erreichen Austausch zwischen beiden Welten generieren, institutionalisieren Neue Verknüpfungen schaffen, Umverteilung und Neuzusammensetzung von Ressourcen vorbereiten
Führungsverständnis
Beidhändiges adaptives Führungsverständnis (beide Welten im Blick), ausgleichend und je nach Innovationskontext angepasst, auf Top-down und Rekonfiguration des Organisationssettings ausgerichtet
2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation
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Der erste Erfolg versprechende Schritt der beidhändigen Führung liegt darin, die eigenen Denk- und Handlungsmuster zu hinterfragen und noch bevor Erwartungen an die Teams gestellt werden, wirklich glaubhaft und nachvollziehbar die Ideen, Ziele und Absichten eines „Zwei-Welten-Raums“ (Kap. 5) zu vermitteln. Dazu gehört die Darstellung einer klaren Zukunftsvision, die einen Raum aufspannt, in dem der Zusammenhang beider Welten klar wird. Es muss erklärt und unmissverständlich vermittelt werden, warum es gegenläufige Ziele gibt, welche strategischen Maßnahmen dafür umzusetzen sind und wie beide Welten voneinander profitieren. Für letzteres reicht das reine Senden von Botschaften nicht mehr aus. Führungskräfte müssen hierfür Verbindungen, sprich Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten schaffen. Indem sie die Menschen aus unterschiedlichen Innovationskontexten aktiv zusammenführen, können sie eine mögliche Umverteilung von Ressourcen vorbereiten. Rekonfiguration: Menschen aktiv in die Vernetzung bringen Das abstrakt klingende Verständnis von Führung als „Rekonfiguration“ oder „Verbinden von Welten“ kann dabei durch ganz einfache Maßnahmen vollzogen werden, die neuen Austausch von Personengruppen herstellen, die bisher nicht miteinander im Kontakt standen: Von der Disziplinen-übergreifenden Nutzung von Räumen, über die Einführung eines Business-Partner-Modells bis hin zur Schaffung einer gemeinsamen Ressourcenbasis für beide Welten kommen hier unterschiedliche Vorgehensweisen infrage. Ziel der Führungsarbeit ist es dabei immer, Menschen aktiv in die Vernetzung zu bringen. Vernetzung und Interaktion erfordern ein gezieltes Herbeiführen (Institutionalisieren) von Kommunikation zwischen Personengruppen. Damit wird nicht nur das Ziel verfolgt, dass Mitarbeiter beider Welten sich gegenseitig akzeptieren und ihre eigene Rolle im Gesamtsystem verstehen und für gut befinden. Vor dem Hintergrund neuer Geschäftsfelder und dem damit notwendigen Aufbau neuer Kernkompetenzen bzw. der Rekonfiguration vorhandener Kompetenzen müssen Führungskräfte ganz konkret eine Umverteilung von Ressourcen in die Wege leiten. Es reicht es nicht aus, an zentralen Stellen im Unternehmen Kaffeeküchen und Kommunikationsräume für den „zufälligen“ Austausch anzubieten. Der Austausch zwischen Technologie- und Kompetenzteams muss bewusst vor dem Hintergrund eines neuen Geschäftes oder Geschäftsmodells vorbereitet werden, wie die folgenden Beispiele für rekonfigurierende Maßnahmen zeigen. Beispiel
Beispiel 1: Bereichsübergreifende interdisziplinäre Projektorganisation Ein Anbieter von Komponenten für Maschinen- und Anlagen setzt im Rahmen der Digitalisierung einer seiner Kerntechnologien auf eine projektbasierte Organisation innerhalb der bestehenden Strukturen des Unternehmens. Unter der Federführung einer zentralen Projektleitung werden abgeleitet aus dem technologischen Wandel, dem potenziellen Wandel im Geschäftsmodell sowie dem notwenigen Kulturwandel
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
unternehmensweite Projektteams aufgestellt, mit dem Ziel ein bereichs- und länderübergreifendes Ökosystem für die Markteinführung der neuen Technologie aufzubauen. Dazu werden, wo möglich, die vorhandenen Kernprozesse des Unternehmens genutzt, wie beispielsweise in der Hardware-Entwicklung, in der Produktion oder im Marketing. Zusätzlich werden im Rahmen des Projektes neue Prozesse und interdisziplinäre Teams aufgebaut, die Teilaufgaben der neuen digitalen Lösungswelt übernahmen. Das Leitbild hier ist die Nutzung der besten Prozesse aus der bestehenden Welt und die Einführung neuer Prozesse und Methoden, wo die vorhandenen Wege nicht greifen. Rekonfiguration entsteht hier durch den bereichsübergreifenden Aufbau neuer Strukturen und die Zusammenführung interdisziplinärer Teams inmitten der bestehenden Organisation. Durch die Vernetzung von bisher nicht direkt zusammenarbeitenden Einheiten und die Neuverknüpfung von vorhandenem Know-how des Unternehmens entstehen Lösungskonzepte, die den Weg für das neue Business bereiten. Beispiel 2: Vernetzung der Technologien durch neues Raumnutzungskonzept Ein Hersteller von Maschinen für die industrielle Produktion verändert sein Raumnutzungskonzept, um den Schwenk auf ein neues Geschäftsmodell zu unterstützen und Mitarbeiter unterschiedlichster Bereiche neu zusammenzuführen. Das Unternehmen, das einerseits mit dem Verkauf von Einzel-Anlagen erfolgreich ist, implementiert zusätzlich ein plattformbasiertes Geschäftsmodell, das den gesamten Produktionsprozess seiner Kunden unterstützt. Neben der weiterhin stattfindenden Einzeloptimierung (inkrementelle Weiterentwicklung) vorhandener Hardware-Produkte und -Technologien soll zusätzlich für den Kunden im Umfeld der Industrie 4.0 ein neues Lösungsangebot entstehen, in dem durch die horizontale Vernetzung einzelner Anlagen und Module im Produktionsprozess (neues Business) der Kundennutzen um ein Vielfaches steigt. Die bisher nach Technologien eingeteilten Teams müssen hierfür jedoch ganz anders zusammenarbeiten – was durch das bisherige Nutzungskonzept der hauseigenen Entwicklungs- und Testinfrastruktur eher erschwert wurde. Die angestrebte softwarebasierte horizontale Vernetzung von Einzelanlagen und Technologien wurde im Entwicklungs- und Qualifizierungsbereich dadurch eingeleitet, dass die an den Einzeltechnologien arbeitenden Menschen räumlich neu zusammengeführt wurden. Die Test-Anlagen wurden vor diesem Hintergrund technologie-übergreifend und in Hinblick auf das neue Geschäftsfeld umverteilt und Teams durch die örtliche Verschiebung des Arbeitsplatzes der einzelnen Mitarbeiter neu zusammengesetzt. Zusätzliche Frühstücksräume führten zum Austausch von Menschen, die zuvor allein durch die räumliche Trennung nicht miteinander in Kontakt traten. Durch diese räumliche Umkonfiguration wurden völlig neue, für das zukünftige Geschäftsfeld des Unternehmens gewinnbringende Verbindungen zwischen den Teams herbeigeführt. Beispiel 3: Aufbau einer gemeinsamen Kompetenz- und Ressourcenbasis Ein Automobilzulieferer beschreibt, wie die jahrzehntelang fest in einem Geschäftsfeld verankerte F&E-Ressourcenbasis im Zuge des Aufbaus zukünftiger
2.3 Beidhändige Führung durch Kommunikation
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Geschäftsfelder aus den ursprünglichen Strukturen herausgelöst und in eine Zentraleinheit außerhalb der Business Units überführt wird. Die Zentraleinheit selbst wird dahin gehend transformiert, dass sie nach der Herauslösung Entwicklungs- und Qualifizierungsleistungen für bestehende wie auch neue Geschäftsfelder anbietet. In dem neu entstehenden Kompetenz- und Ressourcenpool werden dafür sowohl die bestehenden Kompetenzen weiterentwickelt als auch neue IoT- und Digitalisierungskompetenz en aufgebaut. Dieser Ansatz geht davon aus, dass das bestehende wertvolle Know-how des Unternehmens auch in völlig neuen Märkten Gewinn bringen kann. Zugleich soll das neue IT- und Digitalisierungs-Know-how auch das bestehende Business in bestehenden Märkten verändern. Dieses Modell zeigt die strukturelle Trennung von Geschäftsfeldern, die aber auf eine gemeinsame Forschungs-, Entwicklungs- und Qualifizierungsinfrastruktur zugreifen. Durch die Zusammenführung der F&E-Ressourcenbasis werden neue Verknüpfungen entstehen, die für alle Geschäftsfelder einen Mehrwert bieten. ◄ Alle eben beschriebenen Vorgehensweisen und Maßnahmen dienen demselben Zweck, den täglichen Bedeutungskontext für Mitarbeiter in Organisationen in Hinblick auf neue Geschäftsfelder zu erweitern und die Transformation zu anzustoßen. Alle drei Beispiele benötigen eine intensive Begleitung durch Führungskräfte auf allen Ebenen. Denn solche einfachen Einschnitte (Projektorganisation, neue Raumnutzung) bis hin zu gravierenden Einschnitten wie in Beispiel 3 (komplette Reorganisation) werden nur dann Erfolg zeigen, wenn sich auch die Führungskultur, das Führungsverständnis, das Rollenverständnis auf allen Ebenen ändern. Wie wichtig ein Kulturwandel an dieser Stelle ist, kann nicht genug betont werden. Denn die Kultur wird durch Führungskräfte geprägt und organisationaler Wandel durch ihr Handeln entweder massiv blockiert oder ermöglicht. Für die Zeit der Organisation im Übergangsmodus, wenn zwei Welten gewinnbringend verbunden werden müssen, stellt dieses Buch in Kap. 5 deshalb konkrete kommunikationsbasierte Führungsinstrumente vor, die dabei helfen eine neue Kultur zu prägen. Diese Kernelemente, die auf Kommunikationsarbeit beruhen, erleichtern es, einen beidhändigen Führungsstil in einer hybriden Welt auch tatsächlich umzusetzen. Zusammenfassung: Kommunikation ermöglicht Beidhändigkeit
Kommunikation von Unternehmen kann anhand drei verschiedener Handlungsfelder beschrieben werden: Marktkommunikation und Public Relations zielen auf ein homogenes Erscheinungsbild einer Organisation nach außen. Die interne Kommunikation beschäftigt sich mit der Nutzung der internen Informationsflüsse und Kommunikationsereignisse innerhalb eines Unternehmens. Sie kanalisiert die Vielfalt und Heterogenität der Stimmen und Meinungen zur gemeinsamen, arbeitsteiligen Erbringung von Leistungen. Wir vertiefen in diesem Buch die interne Kommunikation von Führungskräften.
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2 Erfolg durch beidhändige Kommunikation
Grundsätzlich kann beim kommunikativen Handeln von Führungskräften von zwei Naturen von Kommunikation ausgegangen: Kommunikation dient einerseits der Übertragung von Informationen und andererseits der Konstruktion von Realität. Gerade im Umfeld von Innovation müssen beide Naturen aktiv genutzt werden, da Kommunikation über die Informationsübertragung hinaus einen innovationsschaffenden Charakter besitzt: Durch kommunikative Interaktion können Personen unterschiedlichster Disziplinen gemeinsame Sichtweisen aushandeln und damit eine Innovation, ein Objekt, ein Geschäftsmodell zum Leben erwecken. Das Wissen um die zwei Naturen von Kommunikation können wir gezielt im Umfeld des bestehenden und neuen Business einsetzen – so lautet die Essenz des hier vorgestellten Forschungsprojekts „Ambidextrie, Führung und Kommunikation“. Je nach Innovationskontext – Exploitation oder Exploration – gilt es unterschiedlich zu agieren. Wir können inmitten einer nach wie vor hierarchiegeprägten Top-down-Kultur bestehender Geschäftsfelder, interne Ökosysteme und dezentral organisierte Kommunikation im Netzwerk für neue Geschäftsfelder ermöglichen und institutionalisieren. Beidhändige Kommunikation geht jedoch über die Kombination von Handlungsmustern für Exploration oder Exploitation hinaus. Sie benötigt zusätzlich spezifische balancierende und rekonfigurierende Muster, die den umfassenden Bedeutungskontext für Mitarbeiter in Organisationen in Hinblick auf bestehende und neue Geschäftsfelder erweitern und damit den Transformationsprozess anstoßen. ◄
2.4 Fazit: Die Gabe für etwas völlig Neues Gehen wir zurück zu den eingangs gestellten Fragen: Was ist Ambidextrie? Warum brauchen wir sie in Unternehmen? Wie verändert das Konzept das heutige Führungsverständnis? Und wie kann ich als Führungskraft einen beidhändigen Führungsstil umsetzen? Um diese Fragen gleich zu Beginn des Buches zu klären, hat dieses Kapitel in das Konzept der organisationalen Ambidextrie eingeführt. Beidhändigkeit gibt Antworten auf ein vielerorts zu beobachtendes Phänomen, mit dem zahlreiche Unternehmen im Umfeld der digitalen Transformation konfrontiert sind. Sie setzen in ihrem heutigen Geschäft auf bestehende Technologien, das „Brot und Butter-Geschäft“, während im Hintergrund ein schleichender Wandel das Ende einer vorhandenen Technologie heraufbeschwört. Dennoch sind alle Ressourcen im Heute gebunden, obwohl wir wissen, dass die Zukunft nicht auf uns wartet. Von allergrößter Bedeutung ist dieses Spannungsfeld für die oberen Führungskräfte von Unternehmen, denn gerade sie sind mit beiden Herausforderungen tagtäglich konfrontiert und müssen Entscheidungen über die Zukunft des Unternehmens treffen. Konzentrieren sie sich zu stark auf neue Lösungswelten, wird im Extremfall die solide Basis der Belegschaft verprellt. Ist der Fokus zu stark auf dem heutigen Business, ist es
2.4 Fazit: Die Gabe für etwas völlig Neues
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nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Unternehmen den Anschluss verliert. Die wissenschaftliche Erklärung und ein tragfähiges Denk- und Handlungsmodell für diesen Zustand liefert das Konzept der organisationalen Ambidextrie. Es beschreibt Unternehmen, die es schaffen, beide Welten zu balancieren und die Evolution voranzutreiben, um die Revolution zu bezahlen. Im Kern des Konzeptes steht das parallele Orchestrieren und Ausbalancieren von Exploration, dem Erschließen von technologischem Neuland, neuer Geschäftsmodelle und neuer Märkte, sowie Exploitation, dem Ausbau und der evolutionären Weiterentwicklung des bestehenden Geschäfts. Ziel ist es, einen Weg zu finden, um den problematischen „Exploration/Exploitation Trade-Off“ in eine synergetische Angelegenheit zu verwandeln. Handlungsmuster zur Orchestrierung der Welten Unternehmen haben hierfür ganz unterschiedliche Handlungsmuster entwickelt, die, je weiter fortgeschritten, eine immer stärkere Beidhändigkeit der einzelnen Führungskraft bis hin zu allen Akteuren einer Organisation erfordert. Wurde zunächst eine zeitliche, sequenzielle Trennung von Exploration und Exploitation favorisiert – wir machen zuerst das eine, dann folgen Aktivitäten für das andere – lässt der verschärfte Druck eines hochdynamischen Markt- und Technologieumfeldes für einen solchen Ansatz keine Zeit mehr. Heutzutage müssen beide Welten – Kerngeschäft und Zukunftsgeschäft – gleichzeitig stattfinden. Deshalb ist vielerorts eine räumliche, strukturelle Trennung von bestehenden und neuen Geschäftsfeldern zu beobachten – man schafft duale Strukturen, damit sich die beiden gegensätzlichen Ausrichtungen nicht gegenseitig behindern und eine klare Zuordnung von Personen ermöglichen. Nur wenige Personen ganz oben müssen dann beide Welten balancieren. Doch auch hier zeigt sich in der Realität, dass eine strikte Trennung meist nicht zum Ziel führt. Spätestens wenn dieselben Ressourcen und Kompetenzen in beiden Welten gebraucht werden, verschwimmen die Grenzen und die Zerreißprobe erobert den Führungsalltag auf allen Ebenen einer Organisation. Dieser Zustand wird im Konzept der kontextuellen Ambidextrie beschrieben, der eine permanente Balance und Orchestrierung beider Innovationskontexte zum Gegenstand macht. Führungskräfte müssen jeden Tag mit widersprüchlichen Anforderungen umgehen, die Spannungen balancieren und ein Gleichgewicht herstellen. Beidhändigkeit ist damit nicht mehr nur eine organisationale Fähigkeit sondern eine Kompetenz, die jeder Einzelne für den Führungsalltag parat haben muss. Nur wie? Auswirkungen auf das Führungsverständnis Um uns dieser Frage zu nähern, hat dieses Kapitel einen kompakten Blick auf Führungstheorien geworfen. Wenn Beidhändigkeit elementare Führungsaufgabe ist, welche Prinzipien liegen dann der Führungsarbeit zugrunde? Die Prinzipien der Ambidextrie-Forschung ermöglichten uns zunächst den Einstieg und erklärten, dass Beidhändigkeit eine Unternehmensidentität voraussetzt, in der widersprüchliche Handlungsfelder abgebildet sind. Sie benötigt unterschiedliche Kriterien und
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eistungsindikatoren für Exploration und Exploitation und die Bereitschaft der L Führungsebenen, sich auf beide Welten einzulassen und die Feudalherrschaft aufzugeben. Die Veränderung des Führungsverständnisses geht soweit, dass Führungskräfte sich nicht nur zwischen bestehendem und zukünftigen Business wiederfinden, sondern dass sie – zumindest teilweise – bereit sein müssen, sich von einer vordefinierten Position des Führenden zu lösen – ein grundsätzlicher Umdenkprozess. Denn ein starres Verständnis von Führung wird der Situation von Unternehmen Umfeld der Digitalisierung nicht mehr gerecht. Vielmehr müssen Führungskräfte ihr Verhalten in einem innovationsgetriebenen Umfeld je nach Innovationskontext immer wieder neu anpassen und dafür zuallererst ihre persönliche, emotionale Bindung an eine Funktion aufgeben. Die zweite Hand der Führungsarbeit wird an dieser Stelle benötigt. Sie beruht auf einem Verständnis, das Führung losgelöst von einer zugewiesenen Funktion betrachtet und vielmehr als Ergebnis eines komplexen Prozesses der sozialen Interaktion versteht. Wenn die Interaktion zwischen Menschen im Unternehmen in den Fokus von Führung rückt, erhalten auch Kommunikation und Austausch zwischen Individuen einen ganz neuen Stellenwert. Kommunikation wird damit zum zentralen Stellhebel der Führungsarbeit. Der Lösungsansatz: Kommunikation Der zentrale Lösungsansatz dieses Buches trägt dieser Bedeutungsverschiebung Rechnung. Er stellt Kommunikation als Führungsinstrument in den Mittelpunkt der Betrachtung. Entsprechend wurden zunächst die Handlungsfelder von Kommunikation im Unternehmen aufgezeigt und vertiefend das Wesen der internen Kommunikation im Unternehmen vorgestellt. Entsprechend ihrer zwei grundsätzlichen Naturen dient Kommunikation dabei nicht nur der reinen Vermittlung von bereits vorhandenen Informationen. Sie hat vielmehr das Potenzial, völlig neue Realitäten zu schaffen. Beide Facetten müssen in der Führungsarbeit, die Beidhändigkeit will, institutionalisiert werden. Das Modell der beidhändigen Kommunikation von Führungskräften erklärt, wie Führungskräfte Beidhändigkeit durch ihre tägliche Kommunikation in die Organisation tragen können. Es zielt darauf ab, die zwei Naturen von Kommunikation sichtbar zu machen und im Unternehmensalltag zu institutionalisieren. Es zeigt, wie je nach Innovationskontext unterschiedliche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Die konkreten Instrumente werden im Praxisteil dieses Buches, den folgenden Kap. 3, 4 und 5, ausführlich beschrieben. Neu entdeckt: Die Gabe für etwas völlig anderes Springen wir zum Abschluss des Kapitels zurück zu den Gedanken der Gehirnforscherin Nancy Andreasen, denn sie sind mehr als ermutigend, den Schritt in die Beidhändigkeit zu gehen. Andreasen beschreibt Menschen, die zusätzlich zu ihren bekannten Neigungen und Begabungen erfolgreich in völlig fachfremde Felder eintauchen, cross-disziplinäre Fähigkeiten hervorbringen und überaus gewinnbringende neue Verbindungen zwischen
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Gebieten herstellen [20]. „Ich habe also den Sprung gewagt“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Und was ich dort entdeckte, war eine unglaubliche Gabe für Wissenschaft, von der ich niemals erfahren hätte, wenn ich den Wandel nicht gemacht hätte“ [21]. Wenn wir uns also trauen, diesen Sprung ins Unbekannte zu wagen, wenn Unternehmen sich in aller Konsequenz und trotz aller zu erwartenden Schwierigkeiten für Veränderung entscheiden, wenn aus der Stärke der bestehenden Fähigkeiten heraus Neuland erschlossen wird, tut sich ein faszinierendes neues Feld auf. Und wer möchte nicht einfach wissen, was dort auf uns wartet? Gehen wir also weiter zum Kapitel „Neuland erschließen“…
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Neuland erschließen
Zusammenfassung
Wenn wir in der Vergangenheit von Innovationen sprachen und das Hervorbringen neuer Produkte meinten, geht es heute und in Zukunft darum, umfassende digitale Ökosysteme zu gestalten. Ökosysteme stellen den Nutzer konsequent in das Zentrum des Entstehungsprozesses neuer Lösungswelten. Sie bieten Unternehmen die Chance, aus dem „Roten Ozean“ des Preiswettbewerbs und der Kommoditisierung von Produkten auszusteigen. Sie ermöglichen es, mit neuen Lösungen einen „Blauen Ozean“ zu erschließen und die Spielregeln auf globalen Märkten neu zu gestalten. Dieses Kapitel stellt Ihnen einen Ökosystem-basierten Führungsstil vor, der für dieses Umfeld maßgeschneidert ist. Sie erfahren, wie Führungskräfte Ökosysteme für Innovation im Innern der Organisation aufbauen können und damit die Tür zu unbekannten, noch nicht definierten Lösungsräumen öffnen. Je stärker ein potenzieller Lösungsraum im Umfeld von Digitalisierung und Industrie 4.0 dabei selbst von autonomen, kommunizierenden Einheiten und deren Vernetzung bestimmt ist, desto mehr müssen genau diese Fähigkeiten auch bei den Menschen und Teams entlang der Wertschöpfung aktiviert werden. Es gilt, vielfältige individuelle Interaktionen herbeizuführen, Begegnungsräume zu schaffen und die Resultate des dort stattfindenden Austauschs zur Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen zu nutzen. Im Zentrum des Ökosystem-basierten Führungsstils steht deshalb Kommunikation. Vor dem Hintergrund eines grundsätzlich neuen Organisationsparadigmas – weg von der Organisationspyramide, hin zum wandlungsfähigen Ökosystem – gibt das Kapitel Antworten auf die Frage, wie Führungskräfte ihr Rollenverständnis im Umfeld neuer Arbeitsmethoden und Philosophien verändern müssen. Dazu werden drei kommunikationsbasierte Handlungsoptionen vorgestellt. Erstens wird der System-orientierte Ansatz des Ökosystem-Managements eingeführt. Zweitens erklärt ein Exkurs zu agilen Arbeitsweisen den Zusammenhang zwischen Kommunikation © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0_3
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und Agilität in eigenverantwortlichen, autonomen, sich selbst organisierenden Teams. Der Abschnitt über Design Thinking taucht drittens in eine konkrete Vorgehensweise zur kreativitätsfördernden Zusammenarbeit von Menschen ein und beschreibt wie Führungskräfte ein neues Mindset in Organisationen prägen können.
3.1 Im blauen Ozean 3.1.1 Neue Prozesse für die digitale Transformation Die meisten Industrieunternehmen tragen Innovationskraft und Technologieführerschaft in ihrer DNA. Sie sind mit neuen Ideen erfolgreich gestartet und über Jahrzehnte gewachsen. Ab einer bestimmten Unternehmensgröße, Reife der Produkte und zunehmendem Wettbewerbsdruck wird jedoch die Vision, die Zukunft zu gestalten, zugunsten des Managements der Gegenwart vernachlässigt. Denn im hier und jetzt erfordern die Kommoditisierung von Produkten und ein aggressiver Preiswettbewerb auf weltweiten Märkten ganz andere Maßnahmen. Es gilt, den maximalen Deckungsbeitrag mit bestehenden Technologien zu erzielen. Herstellkosten müssen drastisch gesenkt, Prozesse optimiert und durch die kontinuierliche Verbesserung des bestehenden Programms Skaleneffekte erzielt werden. Willkommen im roten Ozean. Die INSEAD-Business School Professoren W. Chan Kim und Renée Mauborgne unterteilen in ihrer „Blue Ocean Strategie“ [1] die weltweiten Märkte in „blaue und rote Ozeane“. Der Begriff des Roten Ozeans beschreibt bekannte Märkte in allen Industriezweigen. Rote Ozeane sind geprägt von gesättigten Märkten mit klar beschriebenen Spielregeln und Grenzen. Einstige High-End-Produkte entwickeln sich in roten Ozeanen zur Massenware. Kommoditisierung und erbitterte Preiskriege unter den Marktteilnehmern sind hier an der Tagesordnung. Zielsetzung oder vielmehr einzige Überlebenschance der Marktteilnehmer ist es, sich gegenseitig zu schlagen und den Markt zu den eigenen Gunsten aufzuteilen. Dieser Kampf kostet Unternehmen Unmengen an Energie. Es gilt, die Gegenwart zu managen. Für die Entwicklung von Zukunftslösungen bleiben im roten Ozean kaum Zeit noch Ressourcen. Im blauen Ozean gibt es keine Konkurrenz Doch es gibt neue Möglichkeiten in Hülle und Fülle. Um wirkliche Innovationskraft zu entwickeln und wahre Wettbewerbsvorteile zu generieren, fordern die Wettbewerbsforscher Kim und Mauborgne Organisationen dazu auf, nicht im roten Ozean zu schwimmen, sondern völlig neue Märkte aufzuspüren und Neuland zu erschließen. Dieses Neuland nennen sie den blauen Ozean. Ein Unternehmen im blauen Ozean ist nicht darauf fokussiert, die Wettbewerber zu attackieren. Es lässt den Wettbewerb weit hinter sich. In einem blauen Ozean ist der Blick nicht auf bestehende Märkte und bestehende Geschäftsfelder gerichtet. Die Aufmerksamkeit
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liegt auf dem Erschließen von Neuland: „It is about creating new land, not dividing existing land“ [2], erklären die Strategie-Experten den Unterschied. In einem blauen Ozean gibt es keine Konkurrenz. Unternehmen im blauen Ozean stellen nicht den Wettbewerber, sondern den NUTZER in den Mittelpunkt ihres Handelns. Im Gegensatz zum konventionellen Gedanken eines Trade-Offs zwischen möglichst geringen Kosten des Unternehmens und dem größtmöglichen Nutzen für den Kunden erschließen Unternehmen den blauen Ozean dann, wenn sie sowohl ihre Kostenstruktur verbessern als auch einen Mehrwert für den Kunden erzielen. Sie schaffen damit eine „Nutzeninnovation“ im Gegensatz zu einer rein technologischen Innovation. Digitalisierung kommt wie gerufen Für den blauen Ozean kommt die Digitalisierung wie gerufen. Sie bietet Unternehmen die Chance, beide Ansätze zu verbinden, das heißt die Kostenstruktur und den Kundennutzen zu optimieren. Sie liefert Ansätze zur radikalen Kostenreduktion, beispielsweise durch die Digitalisierung von Dienstleistungen oder von Hardware-Funktionalität bei gleichzeitig hoher Nutzenorientierung. So erreichen Maschinenbauer und Anlagenbetreiber im Umfeld der Industrie 4.0 durch durchgehende digitale Lösungsangebote deutlich schneller ihre Produktivitätsziele. Vom optimierten Maschinendesign dank digitalem Abbild einer realen Anlage, der einfachen Inbetriebnahme und Konfiguration von App-gesteuerten Komponenten und Cloud-angebundenen Maschinen bis hin zum umfassenden Prozess- und Datenmanagement von Anlagen, die im Betrieb Zustandsinformationen in Echtzeit liefern, online ohne Stillstand gewartet werden und per Knopfdruck umkonfiguriert oder erweitert werden können: Funktionen oder Dienstleistungen, die bislang kostenintensiv über unterschiedliche Hardware-Produkte oder den Einsatz menschlicher Arbeitskraft realisierbar waren, werden jetzt digital und in Echtzeit bereitgestellt. Für Unternehmen verbessern sich durch digitale Technologien und Geschäftsmodelle die Kostenstruktur und Kundennutzen erheblich – ein Mekka für den, der den blauen Ozean sucht. Blauer Ozean erfordert radikales Umdenken Allerdings führt die Entscheidung zugunsten einer Blue Ocean-Strategie laut den Experten Kim und Mauborgne auch zu massiven Veränderungen innerhalb von Organisationen und deren Prozessen [1]. Die Implementierung einer Blue Ocean Strategie ist extreme Zerreißprobe und grundlegende Veränderungsaufgabe für Unternehmen zugleich. Dass ein Wandel der internen Prozesse jedoch zwingend notwendig ist, um wirkliche Innovationen hervorzubringen, unterstreicht auch der Harvard Business School-Professor Gary P. Pisano [3] mit seiner Formel: „Your process shapes the product“. Der immer gleiche Prozess wird die immer gleichen Produkte hervorbringen, ein zentraler Merksatz, den Pisano 2015 in einem Vortrag mithilfe einer Spaghetti-Maschine einprägsam illustriert (vgl. Abb. 3.1).
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Abb. 3.1 Der Prozess formt das Produkt. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Gary P. Pisano [3])
Ein Prozess muss zu dem Ergebnis passen, das durch ihn entstehen soll. Ist ein Prozess auf die Entwicklung einzelner Maschinen-Bauteile für den einfachen Verkauf ausgelegt, wird er vermutlich nicht in gleicher Güte eine Systemlösung hervorbringen, die den gesamten Produktionsprozess des Kunden begleitet und auf Hardware-, Software- und Service-Elementen beruht. Genauso wird ein Prozess für die Entwicklung von Verbrennungsmotoren nicht das umfassende Mobilitätsbedürfnis der heutigen Nutzer befriedigen. Die Erfahrung im Unternehmensalltag zeigt: Erst ein Paradigmenwechsel in den Kernprozessen und Routinen eröffnet Firmen die Chance, radikal neue Lösungsräume zu erschließen, die in einen „Blue Ocean“ der digitalen Lösungen führen. Porsche-Vorstandschef Oliver Blume weist in einem Interview auf die tief greifenden Auswirkungen der Digitalisierung auf Produkte und Prozesse hin: „In der Automobilindustrie sorgt die Digitalisierung für einen epochalen Wandel. Unsere Produkte, die Produktion, die Prozesse – alles wird hinterfragt“ [4]. Um neue Lösungen hervorzubringen, sind die Kompetenzen einzelner Unternehmensbereiche deshalb nicht mehr ausreichend. Vielmehr führen das Verschmelzen von Hardware, Software und Services und das Entstehen von Business-Ökosystem en auf globalen Märkten zu einer Vielzahl von im Innovationsprozess beteiligten Disziplinen und Fakultäten. Sie können in einzelnen Abteilungen und Unternehmensbereichen nicht mehr abgebildet werden und bedürfen zusätzlich der intensiven Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb von Unternehmen.
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Digitale Transformation: Investieren in Ökosysteme Um schnell am Markt zu sein und dem Wettbewerbsdruck stand zu halten, ist es nahezu unmöglich, in kürzester Zeit notwendiges neues Know-how innerhalb der eigenen Organisation oder Organisationseinheit aufzubauen. Unternehmen müssen deshalb dafür sorgen, aus anderen Unternehmensbereichen bis hin zu externen Partnern und Kunden Wissensträger zu integrieren und deren Wissen anzuzapfen. So investiert auch der Sportwagenhersteller in den Aufbau digitaler Ökosysteme und gibt bekannt: „Um sich gegenüber herkömmlichen und neuen Wettbewerbern zu behaupten, öffnet sich Porsche und arbeitet daran, ein Ökosystem mit passenden Partnern aufzubauen“ [5]. Damit genau dieser Zugriff auf vielfältige Ressourcen und Kompetenzen im Umfeld der Digitalisierung möglich wird, müssen sich in Organisationen interne Bereichsgrenzen und Silos immer weiter auflösen und in projekt- und netzwerkartige Strukturen übergehen. Zudem werden sich auch die Unternehmensgrenzen öffnen. Die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit externen Stakeholdern, mit Kunden und Lieferanten, mit Start-ups, Forschungsinstituten oder Universitäten wird zur immer wichtigeren Voraussetzung, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn sich die Spielregeln auf globalen Märkten derart dramatisch verändern, welche Veränderung kommt dann zwangsläufig auf Führungskräfte in diesem Umfeld zu?
3.1.2 Neue Führungskompetenz gefragt Wenn wir heute von Produktinnovationen sprechen, werden Unternehmen morgen maßgeschneiderte Kombinationen von Lösungsangeboten hervorbringen müssen. Statt einzelner Objekte sind ganze Lösungswelten bestehend aus Hardware, Software, Services, aus Produkten und zahlreichen Dienstleistungen gefragt. Ob Apple mit iTunes, IBM mit dem Superrechner Watson, Vorwerk mit der Küchenwunder Thermomix oder das amerikanische Online-Magazin Huffington Post – zahlreiche Unternehmen machen es vor. Sie schaffen es, um eine technologische Hardware- oder Software-Plattform einen ganzen Kosmos, ein Business-Ökosystem, aufzubauen. Damit revolutionieren sie zugleich ihr Geschäftsmodell. Statt ausschließlich auf einmalige Hardware-Verkäufe zu bauen, geben sie ihrer Community kostenfreie und kostenpflichtige Vehikel an die Hand, um sich in diesem Kosmos zu bewegen und kontinuierlich Nutzen zu erzielen. Wie sollen solche hochgradig dynamischen, vernetzten, sich selbst
organisierenden Business-Ökosysteme entstehen, wenn Unternehmen selbst nicht in solchen Strukturen denken und handeln? Wer draußen im Markt der Initiator und Mittelpunkt eines Business-Ökosystems sein will, muss diesem Wunsch auch im Innern Rechnung tragen. Entsprechend der Aussage des Innovationsforschers Gary Pisano (Abb. 3.1) wird die Gestaltung des
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Innovationsprozesses direkte Auswirkungen auf das Ergebnis haben. Der Prozess formt die Innovation. Intelligente, wandlungs- und anpassungsfähige Plattformen werden nur in Teams entstehen, die selbst diese Eigenschaften besitzen und hochvernetzt arbeiten. Business-Ökosysteme werden nur in Organisationen entstehen, die die Mechanismen solcher Systeme verstanden und in den eigenen Prozessen implementiert haben. Doch solche Strukturen und Prozesse entstehen nicht von allein. Damit sie sich überhaupt entwickeln und wachsen können, muss jemand den Samen dafür säen. Wer könnte dies besser tun, als Führungskräfte einer Organisation? Wer, wenn nicht Sie? Business Ecosystem Marco Iansiti und Roy Levien charakterisieren in ihrem Harvard-Business-Review-Beitrag „Strategy as Ecology“ [6] Business-Ökosysteme durch das Vorhandensein „lose verbundener Teilnehmer, die zum Zwecke der eigenen Wirksamkeit und des eigenen Überlebens voneinander abhängen“ und symbiotische Beziehungen pflegen. Die Grenzen des Verbundes sind fließend. Analog zu biologischen Systemen sprechen die Experten von den „Keystone players“ eines Ökosystems. „Keystone player“ sind die Schlüsselakteure, die in einem Ökosystem mit ihren Produkten und Plattformen den Dreh- und Angelpunkt liefern und die Spielregeln des Systems gestalten. Sie erhöhen die Produktivität eines Systems, in dem sie mithilfe von Plattformen die Verbindungen der Teilnehmer herstellen. Sie stärken das System, in dem sie technologische Innovationen liefern, zur Verfügung stellen und kontinuierlich optimieren. In dem die Schlüsselspieler über ihren eigenen direkten Aktionsradius hinaus die Optimierung des Gesamtsystems verfolgen und die Akteure im Ökosystem an der Wertschöpfung beteiligen, schaffen sie langfristig auch für sich selbst den größtmöglichen Wert [6]. Obwohl Business-Ökosysteme zunehmend die weltweiten Märkte bestimmen, bemerken die Ökosystem-Experten Iansiti und Levien, dass die Mechanismen dahinter immer noch viel zu wenig verstanden und gemanagt werden [6]. Doch wenn die globalen Märkte zunehmend von dynamischen, losen Netzwerken geprägt sind, müssen Unternehmen sich hierfür dringend aufstellen. Sie müssen zusätzlich einer weiteren Realität ins Auge blicken: Der Typus des allwissenden Managers ist in diesem Umfeld vom Aussterben bedroht. Die Führungskraft, die vollumfänglich die fachliche Antwort zu einem technischen Problem oder einer Prozessgestaltung kennt, die entsprechend klare Anweisungen zur Umsetzung an die Teams erteilt, wird es im Umfeld komplexer Ökosysteme nur noch selten geben. Denn das Wissen einer Person reicht kaum mehr aus, um ein plattformbasiertes Hardware-Software-Service-Problem vollständig zu lösen. Viel zu groß ist die Komplexität der entstehenden Lösungswelten geworden. Stattdessen wird Führungskräften abverlangt, sich einzugestehen, dass sie alleine die Antwort nicht mehr kennen. Und das ist der erste Schritt. Denn die digitale Transformation ist einmalige Gelegenheit, die eigene Führungsrolle zu überdenken und völlig neu auszugestalten (Abb. 3.2).
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Abb. 3.2 Führungsstil für Exploration
Führungskräfte prägen die Prozesse und Strukturen sowie die Kultur einer Organisation mehr als ihnen häufig bewusst ist. Es wäre deshalb eine ungenutzte Chance, nur passiv dem digitalen Wandel hinterherzulaufen und sich den Netzwerken und Spielregeln, die andere Marktteilnehmer gestalten, anzuschließen. Den Wandel stattdessen aktiv zu gestalten und Schlüssel-Akteur zu sein, bedeutet für Führungskräfte in Organisationen, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen und weit über das eigene Produkt hinaus konsequent in Service-, Geschäftsmodell- und in Prozessinnovationen zu denken. Es bedeutet, innerhalb der Organisation die entsprechenden Strukturen für den Wandel zu schaffen und die draußen stattfindenden Entwicklungen bereits frühzeitig im Innern zu implementieren und zu beherrschen. Angst vor hierarchiearmen Strukturen unbegründet Die Angst vor hierarchiearmen Strukturen ist dabei völlig unbegründet. Die Sorge, in Zeiten flacher werdender Hierarchien und autonom agierender Teams die Kontrolle zu verlieren, ist haltlos. Denn im Umfeld der digitalen Transformation kommt Führungskräften eine neue, wegweisende Rolle zu: Denn sie sind es, die die Unternehmenskultur transformieren, Prozesse neu gestalten und Strukturen für das Betreten von Neuland schaffen können. Sie sind es, die darüber entscheiden, ob ein Unternehmen zum Schlüsselspieler aufsteigt oder der digitalen Transformation als Nischenspieler hinterherläuft.
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Für Führungskräfte entlang des Innovationsprozesses empfiehlt sich deshalb ein neuer, systemorientierter Führungsstil, der den Scheinwerfer über die Grenzen des eigenen Verantwortungsbereichs hinaus richtet. Dies bedeutet, etwas weniger der Spezialist mit Detailblick und etwas mehr Architekt mit Systemblick zu sein. Statt sich als Linien-Manager auf den eigenen Bereich oder die eigene Abteilung zu konzentrieren, müssen Führungskräfte im Umfeld der digitalen Transformation immer stärker das Gesamtsystem von Organisation und Markt und den gesamten, über die Unternehmensgrenzen hinausreichenden Innovationsprozess im Blick haben. Zusammenfassung: Keystone-Leadership
Die Strategie-Experten Kim und Mauborgne unterteilen die weltweiten Märkte in „blaue und rote Ozeane“. Rote Ozeane sind geprägt von gesättigten Märkten, Kommoditisierung und erbitterten Preiskriegen unter den Marktteilnehmern. Im blauen Ozean lassen Unternehmen den Wettbewerb dagegen hinter sich. Hier kommt die Digitalisierung wie gerufen, durch digitale Technologien verbessern sich vielerorts Kostenstruktur und Kundennutzen erheblich – ein Mekka für den, der den blauen Ozean sucht. Doch noch viel zu wenig nehmen Unternehmen die Mechanismen und Spielregeln der neuen digitalen Ökosysteme ernst. Noch sind die Prozesse auf die heutige Welt ausgerichtet. Doch wie wollen Firmen in dynamischen Business-Ökosystemen eine Rolle spielen, wenn sie selbst nicht in solchen Strukturen denken und handeln? Wer draußen im Markt der Schlüsselspieler sein will, muss diesem Wunsch auch im Innern Rechnung tragen. Und hier beginnt die Führungsaufgabe. Um einen blauen Ozean der neuen Möglichkeiten zu erschließen, müssen Unternehmen ihre Prozesse und ihre Führungskultur verändern. Denn radikale Innovationen im Umfeld der Digitalisierung erfordern die konsequente Vernetzung von Disziplinen und Stakeholdern. Sie erfordern offene Unternehmenskultur bis über die Organisationsgrenzen hinaus. Kommunikations- und Schnittstellenmanagement im Netzwerk und in Ökosystemen werden in diesem Umfeld zur neuen Führungsfähigkeit. Führung, die digital transformieren will, ganz gleich ob in Forschung, Entwicklung, Vertrieb, Einkauf, Produktion oder Logistik, benötigt Ökosystem-basierte Handlungsstile, die die Vernetzung von Disziplinen fördert und diese gezielt ermöglicht. Führungskräfte werden durch ihr Denken und Handeln darüber entscheiden, ob ein Unternehmen der digitalen Transformation als Nischenspieler hinterherläuft oder zum Keystone Player aufsteigen kann. ◄
3.2 Wir verlassen die Organisationspyramide
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3.2 Wir verlassen die Organisationspyramide 3.2.1 Pyramide, Netzwerk, Ökosystem Die Digitalisierung revolutioniert nicht nur die technologischen Möglichkeitsräume. Sie rüttelt aufgrund ihrer hochinterdisziplinären Natur massiv an bestehenden Prozessen und der Kultur von Unternehmen. Statt wie bisher geschlossen und in bestehenden Wertschöpfungsketten, liegt die Zukunft im Management von offenen Gesamtsystemen, von sich selbst organisierenden kooperativen Wertschöpfungsökosystemen, die unternehmensweit und jenseits der Unternehmensgrenzen die gewünschte Leistung in Form von Produkten und Dienstleistungen erbringen – ein Paradigmen-Wechsel. Statt in der klassischen Organisationspyramide Abteilungen oder Bereiche zu leiten, werden Sie als Führungskraft zukünftig gefordert sein, Bereichs- und Disziplinen-übergreifende Wertschöpfungsnetzwerke zu steuern oder gar ganze Öko systeme aufzubauen und zu orchestrieren. Es sind auf den Kundennutzen ausgerichtete Systeme, die sich kontinuierlich und hochdynamisch verändern und teilweise unerwartet weiterentwickeln und dabei weit über die Unternehmensgrenzen hinauswachsen. Nur wie genau soll das funktionieren und welche Führungskompetenzen sind dafür erforderlich? Abb. 3.3 zeigt eine hierarchische Organisationsstruktur im Vergleich zu einer Netzwerkstruktur und einem Ökosystem-Ansatz (Abschn. 3.3). Während Entscheidungen in einer pyramidalen Organisation in den Hierarchie-Ebenen getroffen und „nach unten“ vermittelt werden, verlagern sich Entscheidungsprozesse in der Netzwerkstruktur von oberen Führungsebenen und Steuerungsorganen auf die Ebene der Mitarbeiter und Teams. Vergleichbarer Wandel in der Produktionswelt Zur Veranschaulichung dient ein Vergleich mit der Welt der industriellen Produktion: „Die klassische Automatisierungspyramide mit ihren strikten Hierarchien ist nicht mehr
Abb. 3.3 Paradigmenwechsel: Organisationspyramide, Netzwerk und Ökosystem
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zeitgemäß“, erklärt das Industrie-Magazin IEE anlässlich der Hannover Messe 2016 [7] den Wandel in der Industrie 4.0 . Vielmehr werden Entscheidungsprozesse in der Fabriksteuerung aus den oberen Ebenen der Automatisierungspyramide immer weiter in die unteren Ebenen verlagert. Der Hersteller von Automatisierungslösungen für die Industrieautomation Festo beschreibt diesen Prozess: Produktionssysteme bauen künftig auf autonom funktionierenden, mechatronischen Baugruppen auf. Sie werden auch als intelligente Komponenten bezeichnet. Die Datenverarbeitung findet zunehmend dezentral statt und immer mehr Funktionen werden direkt auf den Baugruppen integriert. Sie vernetzen, organisieren und konfigurieren sich selbst, um so Aufträge der übergeordneten Steuerungsebene zu übernehmen [8].
Durch die zunehmende Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen rückt die Kommunikation im Netzwerk in den Mittelpunkt der Industrie 4.0: „Netzkommunikation ist ein wichtiges Element bei der Veränderung der klassischen industriellen Fertigungspyramide hin zu einem durchgängigen Netzwerk verteilter Systeme“, so erklärt die Plattform Industrie 4.0 die Notwendigkeit, über Technologien, Netze und Protokolle die Kommunikationsbeziehungen zwischen Industrie 4.0-Komponenten zu ermöglichen [9]. Gefahr: Interne Kommunikation wird unterschätzt Doch während die Kommunikationsinfrastrukturen der industriellen Produktion zum Kern-Bestandteil eines Referenzarchitekturmodells für die Industrie 4.0 (RAMI 4.0) aufsteigen [9], werden zeitgleich nicht ebensolche Anstrengungen für den Wandel organisationsinterner Steuerungs- und Kommunikationsprozesse unternommen. Tatsächlich muss aber davon ausgegangen werden, dass hochvernetzte digitale Lösungen für das Internet der Dinge in Organisationen nur dann entstehen können, wenn diese selbst in einem durchgängigen Netzwerk verteilter Systeme denken und arbeiten. Um Netzwerke innerhalb bestehender Organisationen mit ihren Linienorganisationen und ausgeprägten Silos aufzubauen, müssen Führungskräfte bewusst die intraorganisationalen Grenzen zu benachbarten Bereichen öffnen (horizontal). Sie müssen zusätzlich innerhalb der Linienorganisationen die Grenzen zwischen Hierarchieebenen (vertikal) aufbrechen. Denn nur durch die vertikale und horizontale Öffnung kann sichergestellt werden, dass sich Innovationsnetzwerke bilden und die richtigen Disziplinen zusammenfinden, um das Ausmaß an geforderter Komplexität überhaupt noch beherrschen zu können. Deshalb muss „Netzkommunikation“ genau wie im beschriebenen Wandel der Automatisierungswelt auch zum zentralen Element bei der Veränderung der klassischen Organisationspyramide hin zu einem durchgängigen organisationalen Netzwerk werden. Die Kommunikations- und Netzwerk-Arbeit – so die Grundannahme dieses Buches – wird im Umfeld von Industrie 4.0 und Digitalisierung zum Dreh- und Angelpunkt von Führung.
3.2 Wir verlassen die Organisationspyramide
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3.2.2 Netzkommunikation für die Organisation 4.0 Wir sprechen auch von einem neuen Führungsparadigma, in dem Kommunikation zur zentralen Handlungskompetenz wird. Diese Kommunikation ist in ihrer Grundnatur geprägt durch die Kommunikation im Netzwerk. Durch zielgerichtete Netzkommunikation können selbstorganisierende Teams und Communities in einer losen Struktur verbunden werden. Durch zielgerichtete Netzkommunikation können in einer Organisation die internen Vorläufer von Business-Ökosystem en entstehen. Den Gestaltern solcher internen Ökosysteme kommt dabei die Rolle zu, die Stakeholder durch eine gemeinsame Vision und ein gemeinsames Kulturverständnis zusammenzuhalten. Der erste Schritt zu einer offenen Innovationskultur und zur Arbeit in intraorganisationalen und interorganisationalen dynamischen Netzwerken liegt dabei zunächst in einem gleichen Kommunikationsverständnis aller beteiligten Akteure. Er liegt auch in dem bewussten Ermöglichen von Austausch zwischen den Akteuren über Bereichsgrenzen und Unternehmensgrenzen hinweg (vgl. Abschn. 3.3). Netzkommunikation ermöglicht Öffnung. Sie findet in realen und virtuellen Netzwerken statt. Dabei ist die persönliche Kommunikation zwischen Menschen der nachhaltigste aber nicht der einzige Weg, um Verbindungen zu schaffen. Führungskräfte und insbesondere Manager der oberen Ebenen haben die Möglichkeiten, dieses öffnende Verständnis in einem Unternehmen zu prägen. Sie können eine Kultur der offenen Türen, der Kollaboration und des täglichen informellen Austausches schaffen und wachsen lassen, in dem sie selbst damit beginnen. Digitale Transformation braucht Führung Sich als Führungskraft in einem über Jahrzehnte erfolgreich geführten Unternehmen wirklich der digitalen Transformation zu verschreiben, bedeutet trotz des bisherigen Erfolgs neue Wege in der Führung zu gehen. Der Schritt, neue Strukturen aufzubauen, bedeutet auch, es mit Unsicherheit und Gegenwind aufzunehmen. Sich der digitalen Transformation zu verschreiben, heißt dabei nicht, jeden Tag die richtige Antwort zu haben. Es heißt vielmehr, das Potenzial des (noch) Unbekannten zu nutzen und dafür völlig neue Verbindungen zu schaffen. Der Schritt hinaus aus der Gegenwart und hinein in die digitale Zukunft erfordert von Ihnen als Führungskraft Mut. Denn im Hier und jetzt sind Sie sicher, Sie kennen Ihr Umfeld, Ihre Aufgaben, Ihre Ziele. Nur wie sehen diese aus, wenn es gilt, Brüche zu erzeugen? Wenn wirkliche Sprünge in der Entwicklung passieren sollen? Wie verändert sich Ihre Rolle, wenn Sie sich in einer technischen Lösung nicht mehr hundertprozentig auskennen und wenn Sie Partner für die Realisierung einer Vision benötigen? Wenn Sie Altes zurück lassen, ohne das Neue schon genau definieren zu können? Um in Unsicherheit führen zu können, brauchen Sie eine starke Vision, Risikobereitschaft und Vertrauen in die Fähigkeiten der Menschen, die für das Erfüllen einer
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Vision temporär zusammenarbeiten. Führung bedeutet in einem solchen Umfeld, die Voraussetzungen für Unerwartetes zu schaffen. Es bedeutet Rahmenbedingungen bereit zu stellen, in denen mit Sicherheit die Ausnahme von der Regel passieren kann. Die Rahmenbedingungen gleichen einer Referenzarchitektur für die Organisation 4.0. Diese Organisation basiert im Kern auf Kommunikation. Und das zielgerichtete Einsetzen von Kommunikation bringt Ihnen als Führungskraft in einem volatilen Umfeld wiederum Sicherheit. Die Kuratoren des blauen Ozeans Denn mit absoluter Sicherheit führt die Heterogenität in den Teams, bringt man sie richtig zusammen, zu völlig neue Lösungen. Mit absoluter Sicherheit wird jedes Teammitglied einzigartige Fähigkeiten mitbringen. Und mit absoluter Sicherheit gibt es Methoden und Führungswerkzeuge, um diese einzigartigen Fähigkeiten gewinnbringend für eine Organisation nutzbar zu machen. Wie Kuratoren in einer Kunstausstellung sind Führungskräfte in der digitalen Transformation diejenigen Akteure, die den Raum und Kontext für vielfältige Interaktionen und Kommunikationen schaffen und damit die Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches erhöhen, dass ein blauer Ozean geschaffen werden kann. Zusammenfassung: Neues Führungsparadigma
Die Digitalisierung revolutioniert nicht nur die technologischen Möglichkeitsräume. Sie rüttelt massiv an bestehenden Prozessen und der Kultur von Unternehmen. Statt in der klassischen Organisationspyramide Abteilungen oder Bereiche zu leiten, sind Führungskräfte in der digitalen Welt verstärkt gefordert, bereichs- und Disziplinen-übergreifende Wertschöpfungsnetzwerke zu steuern oder gar ganze Ökosysteme aufzubauen und zu orchestrieren. Doch während die Kommunikationsinfrastrukturen in der digitalen Transformation zum Kern-Bestandteil von Referenzarchitekturen aufsteigen, werden zeitgleich nicht ebensolche Anstrengungen für den Wandel organisationsinterner Steuerungs- und Kommunikationsprozesse unternommen. Jedoch brauchen wir hierfür dringend ein neues Führungsparadigma, in dem Kommunikation zum zentralen Handlungsbestandteil wird. Denn durch zielgerichtete interne Netzkommunikation können Organisationen die Vorläufer von Business-Ökosystemen ausprägen. Führungskräfte können hierbei die Rolle der Gestalter oder Schlüsselspieler interner Ökosysteme einnehmen. Indem sie Rahmenbedingungen für die zielgerichtete Vernetzung von Disziplinen und Bereichen schaffen und verbindende Plattformen und Räume für den Austausch anbieten, ermöglichen sie es, dass digitale Lösungsräume entstehen, die für die Teilnehmer nützlich sind und die sich deshalb kontinuierlich ausdehnen. ◄
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3.3 Die Handlungsoptionen 3.3.1 Ecosystem Thinking Was nun folgt, ist ein praxisorientierter Leitfaden für den Aufbau und die Pflege interner Ökosysteme. Wir begeben uns nicht in die wissenschaftlichen Tiefen der Systemtheorie. Noch versuchen wir, die Kybernetik, Wissenschaft von der Steuerung und Regelung komplexer, dynamischer Systeme, aufzuarbeiten. Um jedoch besser zu verstehen, was Ökosystem-basierte Führung tatsächlich ausmacht, wird an dieser Stelle die Grundannahme des amerikanischen Begründers der Kybernetik Norbert Wiener herangezogen: Ein System wird kontrollierbar, wenn alle Parameter des Systems und ihre Beziehungen untereinander, von Wiener als „Kommunikation“ bezeichnet, bekannt sind [10]. Der Führungsalltag zeigt: Ökosystem-Management ist Kommunikationsmanagement. Es basiert auf der Grundphilosophie des Denkens in Kommunikations- und Netzwerkstrukturen [11]. Dieser Ökosystem-basierte Führungsansatz wird im Folgenden als Ecosystem Thinking bezeichnet. Ecosystem Thinking beruht auf einem Führungsverständnis, das den neuen Spielregeln der hochgradig vernetzten globalen Märkte und digitalen daten- und serviceorientierten Geschäftsmodellen Rechnung trägt. Denn obwohl die Welt draußen im Markt immer flächendeckender in Business-Ökosystemen funktioniert, und obwohl der wirtschaftliche Erfolg dieser Entwicklung kaum zu übersehen ist, spielen Ökosysteme in der Führung von Unternehmen noch immer kaum eine Rolle. Viel zu wenig werden die Mechanismen loser Verbundnetzwerke reflektiert. Viel zu selten wird gefragt, wie sich Führung verändern muss, damit Business-Ökosysteme nicht überall sonst auf der Welt, sondern mitten im eigenen Unternehmen entstehen.
3.3.1.1 Innovationsökosysteme zur Kommerzialisierung disruptiver Technologien Um ein Business-Ökosystem draußen am Markt erfolgreich zu gestalten, empfiehlt sich ein Vorlauf in der eigenen Organisation. Mit einem internen Ökosystem für Innovation können Sie das Ziel verfolgen, disruptive Technologien oder Geschäftsmodelle zu kommerzialisieren. Der Aufbau und „Betrieb“ eines internen Ökosystems entpuppt sich in der Praxis als Erfolg versprechender Weg, um zukunftsweisende Lösungen in den Markt zu führen. Er wird zum einzig gangbaren Weg, wenn es gilt, einen blauen Ozean zu erschließen, ein radikal neues Geschäftsmodell zu implementieren und sich langfristig als Innovationsführer oder Schlüsselspieler in der digitalen Welt zu positionieren. Wir wiederholen an dieser Stelle kurz die Definition und Auffassung von Geschäftsmodellen aus Abschn. 2.1, da der Begriff noch öfter verwendet werden wird: Geschäftsmodelle Alexander Osterwalder und Yves Pigneur definieren in ihrem Buch „Business Model Generation“ ein Geschäftsmodell als „das Grundprinzip, nach dem eine Organisation Werte schafft, vermittelt und erfasst“ [12]. Der von den Autoren entworfene Business Model Canvas beschreibt die zentralen Ressourcen und Aktivitäten,
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Partnerschaften, die Kostenstruktur, das eigentliche Wertangebot, die Beziehungen zum Kunden, die Kundensegmente, die Vertriebskanäle sowie die Einnahmequellen einer Organisation. Der Canvas dient als Grundlage und praxisorientiertes Instrument, um ein Geschäftsmodell „aus der Perspektive von Wertschöpfung, Kunden und Kostenstruktur“ zu hinterfragen, zu überarbeiten oder völlig neu zu entwickeln [12]. Um völlig neue digitale Geschäftsmodelle und software- und datenbasierte Lösungsräume hervorzubringen, ist zunehmend die Fähigkeit von Führungskräften gefordert, in Ökosystemen denken und handeln zu können. Sie müssen das Potenzial für die Wertschöpfung in Ökosystemen erkennen, Ökosysteme aufbauen, ihr Wachstum ankurbeln und die Systeme im Sinne einer definierten Vision im Gleichgewicht halten können. Führung funktioniert in einem komplexen, netzwerkbasierten Umfeld nicht mehr nach dem Vorbild streng hierarchisch organisierter Strukturen und Prozesse. Führung erfordert stattdessen neue Kompetenzen im Management dynamischer intra- und interorganisationaler Beziehungsgeflechte [13]. Denn die hier als Ökosysteme für Innovation bezeichneten Verbundsysteme werden im Idealfall weit über die Organisationsgrenzen hinaus wachsen und sich dort als Business-Ökosysteme etablieren. Und genau darin liegt ihr Mehrwert für die erfolgreiche Kommerzialisierung neuer Lösungen. Führung bedeutet, diese Verbundsysteme dazu zu befähigen, dass sie sich irgendwann für die eigene Organisation gewinnbringend selbst steuern und regeln. Ökosysteme für Innovation Das Wort Ökosystem geht zurück auf den altgriechischen Begriff Oikos und bedeutet „Haus“. Es beschreibt einen Lebensraum und die darin lebenden Lebewesen [14]. Ökosysteme für Innovation werden in diesem Buch als dynamische soziale Organismen definiert, die der erfolgreichen Einführung neuer Technologien und deren Kommerzialisierung über ein nachhaltiges Geschäftsmodell dienen. Innovationsökosysteme werden aufgrund der Tatsache sinnvoll, dass Innovationen heute nicht mehr technologiezentriert durch einzelne Personen oder Personengruppen innerhalb einer Organisation hervorgebracht werden. Vielmehr entstehen Innovationen hochgradig nutzerzentriert. Sie gehen aus komplexen Interaktionen zwischen Individuen innerhalb und außerhalb der Organisation hervor. Wenn Führungskräfte ein solches loses Verbundsystem im Umfeld einer nutzenstiftenden technologischen Plattform aufbauen wollen, sollte die Motivation und Zielsetzung sein, die Interaktion und Kollaboration zwischen den für die Kommerzialisierung relevanten Stakeholdern zu ermöglichen und die Akteure gewinnbringend zu vernetzen [6]. Innovationsökosysteme treten entsprechend als Wertschöpfungsnetzwerke von lose verbundenen Teilnehmern in Erscheinung. Die Teilnehmer (z. B. Mitarbeiter, Vertriebsgesellschaften, Kunden, Lieferanten, Entwicklungspartner) schließen sich dann an, wenn ihnen die Vernetzung für die eigene Zielerreichung hilfreich erscheint. Die Grenzen solcher Netzwerke sind im Gegensatz zu konventionellen starren Organisations- oder Projektstrukturen fließend. Sie passen
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sich selbstständig an die jeweiligen Aufgabenstellungen und den Kundennutzen an und wachsen durch die Bereitstellung von Mehrwert für die Teilnehmer, z. B. Informationen, Dienstleistungen oder Beziehungen. Ein zentraler Player, der dem Keystone-Player im Business-Ökosystem gleicht [6], muss sich dabei um den Zustand des Gesamtsystems sorgen – eine ideale Rolle für Führungskräfte im Umfeld der Digitalisierung.
3.3.1.2 Führung eines dynamischen Gefüges Der Kern des Ökosystem-Managements liegt darin, die Chance für ein solches System zu identifizieren, es aufzubauen und zu nähren, d. h. einen Mehrwert für die Partner des Systems zu generieren [15]. Vergleichbar zu biologischen Systemen, in denen die Zusammenarbeit für die beteiligten Lebewesen vorteilhaft ist, muss auch in Innovationsökosystemen ein Anreizsystem entwickelt werden, dass den Zusammenschluss von Mitgliedern begünstigt und dazu führt, dass eine wachsende Anzahl von im Verbund organisierten Akteuren eine größere Leistung erzielt, als es ihnen alleine möglich ist [16]. Im Vergleich zur Führung und Steuerung von Projektorganisationen in Unternehmen ist das Ökosystem-Management ein hochdynamischer Vorgang, der den Kundenund Teilnehmernutzen konsequent in den Mittelpunkt stellt. Obwohl heute in den meisten Unternehmen netzwerk- und projektbasiert gearbeitet wird und die Bereichsgrenzen sich zunehmend öffnen, sind die Führungsmethoden nach wie vor noch konventioneller Natur. Wenn Sie als Projektleiter die Budgethoheit und einen offiziellen Auftrag der Geschäftsleitung inklusive Entscheidungsbefugnis besitzen, dann folgen Ihnen die Teams. In Ökosystemen, in denen teilnehmende Einheiten auch außerhalb der Unternehmensgrenzen liegen können oder eine Initiative erst Bottom-up in das Bewusstsein des Managements geführt werden muss, sind die Budgets und die Entscheidungsprozesse hochgradig dezentral verteilt. Unterschied zum klassischen Projektmanagement Das wirklich einzige Mittel, auf dass Sie als Führungskraft in einem solchen Umfeld bauen können, ist ihre Fähigkeit, Kommunikation zielgerichtet einzusetzen und zwischen Akteuren zu initiieren. Denn Druckmittel existieren in Ökosystemen nicht. Die Teilnehmer entscheiden sich freiwillig, ob sie mitmachen – sofern sie einen persönlichen Nutzen sehen. Das Management eines Ökosystems bedeutet, hochgradig dynamische Interaktionen zwischen Teilnehmern möglich zu machen. Es bedeutet, Menschen über Schnittstellen und Plattformen zum Austausch zu befähigen und immer neue hilfreiche Teilnehmer zu gewinnen, die der gesunden Entwicklung des Gesamtsystems dienen. Im Unterschied zu einem Projekt, beispielsweise einem Entwicklungsprojekt mit klassischem linear aufgebautem Stage-Gate-Prozess, funktioniert ein Ökosystem nach anderen Grundprinzipien. Es atmet, bewegt und verändert sich kontinuierlich. Es lebt. Die Teilnehmer kommen und gehen, je nach Nutzen, den das Ökosystem – der Lebensraum – für sie stiftet. Zielsetzung ist es, alle Teilnehmer und deren kollektives unternehmerisches Handeln für eine übergeordnete Vision einer Unternehmung zu gewinnen. Dies geht über reine Vernetzungsaktivitäten hinaus und erfordert von Führungskräften
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als Schlüsselakteure (Keystone Leadership) ein extrem bewusstes und zugleich intuitives Handeln in einem Umfeld von Dynamik, Unsicherheit und Unberechenbarkeit. Resilienz durch Kommunikation Der Aufbau von internen Ökosystemen wird allerdings dann zum überaus wirkungsvollen Führungstool, wenn sich selbstorganisierende Subsysteme herausbilden, die einzig durch eine gemeinsame Daseinsberechtigung und Vision verbunden und gesteuert werden. Es entsteht ein widerstandsfähiger Zusammenschluss von Teilnehmern zur Kommerzialisierung von Innovation. Und die Erfolgswahrscheinlichkeit der potenziellen Innovation steigt mit der Weiterentwicklung und Optimierung der Technologie genauso wie mit jedem weiteren Teilnehmer, seinen Beziehungen und seinem Beitrag zur strategischen Zielsetzung. Genauso wie in der Natur ein wachsendes Ökosystem mit steigender Überlebenschance seiner Lebewesen immer resilienter wird. Zugang zu anderen Bereichen und Unternehmen schaffen Je größer ein Unternehmen ist und je mehr Bereiche sie mit einem Thema adressieren, desto schwieriger wird die Aufgabe, ein Ökosystem zu orchestrieren. Welchen Beitrag können Sie als Führungskraft vor diesem Hintergrund leisten? Um ein radikal neues Produkt oder einen zukunftsweisenden neuen Lösungsraum für Kunden zu schaffen, müssen Sie sich Zugang zu unterschiedlichsten Bereichen bis hin zu externen Partnern und Kunden verschaffen. Denn die unterschiedlichen Disziplinen, die Sie benötigen, werden sich aufgrund der immer komplexer werdenden Anforderungen nicht mehr in Ihrer Abteilung oder einem einzigen Unternehmensbereich abbilden lassen (vgl. Abb. 3.4). Vielmehr wird der Lösungsfindungsprozess dann erfolgreich, wenn Vertreter aus anderen Bereichen, externe Partner wie Universitäten, Zulieferer und Kunden für einen Zeitraum X in Ihr Ökosystem eintreten und sich wieder absetzen können, wenn ihr Zweck erfüllt ist oder sie keinen Nutzen mehr für sich darin sehen.
Abb. 3.4 Quer durch die Organisation: Zugänge zu anderen Disziplinen schaffen
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Führung, die dem Grundgedanken des Ecosystem Thinking folgt, ergänzt den von Ulrich Weinberg, Leiter der HPI School of Design Thinking, geprägten Ansatz des „Network Thinking“ [17] um ein weiteres Element. Ecosystem Thinking basiert zwar auf der gleichen Grundthese, dass Wissen als dezentrale und in „weit aufgespannten Netzwerken“ [17] verteilte Ressource auftritt, die es zu nutzen gilt. Weinberg betont dabei den dringend notwendigen Übergang von einer „trennenden Brockhaus-Denkkultur, in der wir jetzt gerade alle leben, hin zu einer vernetzten Denkkultur in der Welt des 21. Jahrhunderts“ [18]. Er beschreibt drei Kernelemente des Network Thinking, an denen permanent weitergearbeitet werden muss: 1) Fokussierung auf das Team und auf Diversität statt auf den Einzelnen, 2) Ausbruch aus der streng linearen Denkkultur und 3) Ermöglichung der Kollaboration zwischen den Menschen [18]. Führung, die auf diesen drei Kernelementen basiert, setzt voraus, dass Führungskräfte ein Verständnis für das Gesamtsystem und für das Verknüpfen der richtigen Disziplinen zum richtigen Zeitpunkt besitzen. Ecosystem Thinking bedeutet darüber hinaus, solche vernetzten Systeme zu „ernähren“ und kontinuierlich für die Gesundheit und das Gleichgewicht im System zu sorgen [16]. Es bedeutet, immer wieder neu zu prüfen und sicherzustellen, dass alle Akteure ihren persönlichen Mehrwert und Nutzen finden und sich deshalb „freiwillig“ einem System anschließen. Für das Führen von Ökosystemen werden über die Vernetzungsaufgabe hinaus Menschen gebraucht, die ihre Aufgabe insgesamt als unterstützende, nährende, verbindende Aktivität verstehen. Indem sie eine starke nutzerzentrierte Zukunftsvision vermitteln, aktives Beziehungsund Kommunikationsmanagement betreiben und durch die Bereitstellung von Wissen und Informationen einen globalen Erfahrungsaustausch ermöglichen, schaffen „Ökosystem-Denker“ kontinuierlich Mehrwert für die Akteure des Systems.
Buchtipp: "Your Strategy Needs a Strategy: How to Choose and Execute the Right Approach" Die Strategie-Experten der Boston Consulting Group, Martin Reeves, Knut Haanaes and Janmejaya Sinha, führen in ihre Strategiepalette einen neuen Ansatz in der Strategiearbeit ein, der die Voraussetzungen für den Aufbau von Ökosystemen schafft [19]: Mit „Shaping“ bezeichnen sie den Strategie-Stil, der neue Märkte erschließen will und noch nicht vorhandene Spielregeln in bestehenden und neuen Märkten prägt. In einem sich kontinuierlich verändernden Organisationsumfeld müssen die Planungszyklen dazu drastisch verkürzt oder in einen kontinuierlichen Planungsprozess überführt werden. Ziele werden in einem iterativen Prozess angepasst oder neu definiert, Taktiken verändert und Ressourcenzusammensetzungen neu konfiguriert. Der Strategie-Stil des „Shaping“ (Deutsch: Formen, ausgestalten) verfolgt im Gegensatz zu effizienzsteigernden Strategiemaßnahmen das Ziel, dass eine Organisation an Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft gewinnt.
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3.3.1.3 Die sieben Schritte des Ökosystem-Managements Zurück zur anfänglichen Aussage: Ökosystem-Management ist Kommunikationsmanagement. Damit durch Ökosysteme eine neue Innovationskultur im Unternehmen entsteht, die die kollaborative Kommerzialisierung und Vermarktung digitaler Innovationen möglich macht, ist es Grundlage von Führung, für nährende Verbindungen zu sorgen. Dies wird mithilfe von zielgerichteter Kommunikation und Initiierung von Kommunikation zwischen den Akteuren des Ökosystems möglich. In der Praxis haben sich dabei wiederkehrende Handlungsmuster herauskristallisiert, die auf den zwei Naturen von Kommunikation, dem Verteilen von Information und der Generierung von Ideen durch soziale Interaktion (vgl. Kap. 2) beruhen. Aus den praxiserprobten Mustern wurde ein Leitfaden erarbeitet, der Ihnen als Schlüssel-Akteur (Keystone Player) beim Aufbau und der Gestaltung eines internen Ökosystems Orientierung geben soll und konkrete Handlungsoptionen zur Verfügung stellt. Das Ökosystem-Management beruht auf sieben zentralen Schritten: 1. Eine überzeugende Geschäftsmodell-orientierte Vision vermitteln 2. Strategische Handlungsfelder des Ökosystems identifizieren und lancieren 3. Offenes Netzwerk aufbauen 4. Selbstorganisation in Teams ermöglichen 5. Lebendige Kommunikationsplattformen schaffen 6. Agiles Betriebssystem implementieren 7. Förderer und Mentoren gewinnen Die in Abb. 3.5 dargestellten Schritte werden nicht einmalig umgesetzt, sondern können kontinuierlich durchlaufen und je nach Bedarf mehrfach genutzt werden. Die sieben Schritte des Ökosystem-Managements beschreiben einen iterativen, adaptiven Prozess, der es Führungskräften in der Rolle des Schlüssel-Akteurs ermöglicht, ein Ökosystem zu formen und zu gestalten, sich zugleich ständig an neue Anforderungen des Systems anzupassen und auf sie zu reagieren. Denn neue Anforderungen entstehen im Ökosystem fortlaufend und erfordern die kontinuierliche Überprüfung der Strategie. Wenn ein Entwicklungsteam beispielsweise im Rahmen eines Kundentermins festgestellt, dass ein völlig anderes als das geplante Lizenzierungsmodell von Vorteil ist oder dass bisher vernachlässigte Funktionen für den Kunden von größter Wichtigkeit sind, müssen Handlungsfelder gegebenenfalls neu definiert und an die Teams kommuniziert werden. Vielleicht müssen neue Zugänge zum System für neue Personengruppen geschaffen oder neue Förderer und Mentoren gewonnen werden. Durch das Ökosystem-Management (Abb. 3.5) wird ein iterativer Planungs- und Steuerungs-Prozess in Gang gehalten, der es ermöglicht durch die kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Zielsetzungen schnell auf Kundenwünsche zu reagieren und Teams entsprechend umzukonfigurieren.
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Abb. 3.5 Die sieben Schritte des kommunikationsbasierten Ökosystem-Managements
Schritt 1: Eine Geschäftsmodell-orientierte Vision vermitteln Die Aufbauarbeit eines internen Ökosystems um eine potenzielle Innovation beginnt mit der Vermittlung einer umfassend gedachten, am Gesamtsystem der beidhändigen Organisation orientierten Vision. Sie enthält die zentralen Ansatzpunkte für das zukünftige Geschäftsmodell und zeigt auf, welche Chancen und Risiken sich zukünftig auftun. Das Visionsbild eines Hardware-Produzenten kann beispielsweise darstellen, wie sein heutiges Kerngeschäft zukünftig nur noch einen Anteil zum Gesamtumsatz beitragen wird und welche neuen Plattform- und dienstleistungsbasierten Einnahmequellen hinzukommen.
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Die am zukünftigen Geschäftsmodell und Kundennutzen orientierte Vision für einen Lösungsraum ist das zentrale Element, das über der Gesamtarchitektur eines Ökosystems steht. Diese Vision unterscheidet sich deutlich von einer Vision, die sich auf ein einzelnes Produkt einer Firma, z. B. die Marktführerschaft für ein Produktsortiment, bezieht. Sie beschreibt stattdessen ein komplexes Produkt- und Dienstleistungsgeflecht und gibt Raum dafür, dass sich das beschriebene Geflecht im Innovationsprozess dynamisch weiterentwickeln kann. Den Bezugsrahmen neu definieren und kommunizieren Die Vision ist der wesentliche Ausgangspunkt des Ökosystems. An dieser Stelle dürfen nicht mehr die heute stark ausgeprägte Innensicht und das Denken in getrennten Einzel-Abteilungen, in getrennten Einzel-Technologien, in getrennten Einzel-Unter nehmen vorherrschen. Vielmehr basiert ein Visionsbild für ein Ökosystem auf einer größeren, unternehmensübergreifenden Gesamtarchitektur, die Verbindungen über die Unternehmensgrenzen hinaus zieht. Das bedeutet, dass Bestandteile des Gesamtzielbildes auch außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen liegen können, dass ein Teil des Geschäftes auch außerhalb, z. B. bei Partnern gemacht werden kann. Zur Veranschaulichung dieses Ansatzes wird in Abb. 3.6 das bekannte „9-Punkte Problem“ herangezogen, das der Gestaltpsychologe Martin Scheerer [20] erstmals 1963 veröffentlichte. Scheerer führt uns mit einem einfachen Test vor Augen, dass Problemlösungen häufig außerhalb unseres bekannten Bezugsrahmens liegen. Die Aufgabe, alle auf der linken Seite von Abb. 3.6 eingezeichneten Punkte mit vier gerade Linien ohne Unterbrechung zu verbinden, ist nicht lösbar, wenn wir in den für uns spontan sichtbaren, durch die vier Eckpunkte definierten Grenzen bleiben. Wir sind so stark auf das Quadrat konzentriert, dass wir nicht in Erwägung ziehen, eine Lösung außerhalb zu suchen. Betrachten wir den Raum außerhalb der Punkte, ist die Lösung plötzlich leicht. Damit wir ein Ökosystem überhaupt aufbauen können, wird ein Visionsbild benötigt, das den uns bekannten Bezugsrahmen sprengt. Das Visionsbild verlässt das evolutionäre Denken und zeigt ein über die Unternehmensgrenzen hinausreichendes Bild der Handlungsfelder. Der Aufbau eines Ökosystems setzt voraus, dass ein solches, den Rahmen sprengendes Zielbild vorhanden ist und an die Stakeholder des Unternehmens kommuniziert werden kann. „Man benötigt das große Bild, sonst machen sich die Leute nicht auf den Weg“, beschreibt der Vorstandsvorsitzende des Maschinenbauers Bosch Rexroth in einem Interview die Notwendigkeit einer Vision, um im Umfeld epochaler Veränderungen innovativ zu sein [21]. Wie beim Bau von Häusern und großen Gebäuden ist hierfür die Rolle eines Architekten notwendig, der im Sinne des Gesamtsystems agiert und kommuniziert. Zugleich ist diese anfängliche Rahmensetzung durch die Führungskraft/das obere Management in einem weiteren Punkt von größter Bedeutung: Bei den Teams innerhalb der Organisation gilt es das gefühlt hohe Risiko eines radikalen Unterfangens möglichst gering zu halten und die Beteiligten in das Zielbild einzubinden. Klarheit für die konkrete
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Abb. 3.6 Das 9-Punkte-Problem. Die Lösung liegt außerhalb unseres Bezugsrahmens. (Eigene Darstellung inspiriert durch Martin Scheerer [20])
Umsetzung einer Aufgabe muss eine Vision dabei nicht vermitteln, denn die detaillierte Ausgestaltung von Technologie und Lösungsraum wird in der Community entschieden. Vielmehr muss das Zielbild in aller Klarheit den zentralen Kundennutzen vermitteln. Es muss kontinuierlich im Austausch mit allen Beteiligten weiterentwickelt werden, sodass die Teilnehmer jederzeit ihre Daseinsberechtigung kennen, verstehen und aktiv mitgestalten können. Die Vermittlung der Vision ist im Rahmen des Ökosystem-Managements deshalb keine kommunikative Einmal-Handlung. Sie ist ein Kommunikationsprozess. Auf die erstmalige Vermittlung des Zielbildes folgt ein kontinuierlicher Prozess des Sinnstiftens und Orientierung Gebens. Denn jede Veränderung bringt Unsicherheit mit sich und erfordert automatisch eine höhere Kommunikation. Der verstärkte Einsatz von Kommunikation ist im Umfeld der massiv auftretenden Veränderungen der digitalen Transformation sogar überlebensnotwendig für Organisationen. Es gilt, durch eine klare Vision im Unternehmen Vertrauen in den gemeinsamen Weg zu schaffen, Verständnis bei allen Beteiligten zu erzielen und sie durch eine kontinuierliche Schärfung aktiv in die Ausgestaltung des Visionsbildes zu integrieren.
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Kommunikationsaufgabe für Führungskraft: • Vision an die internen Stakeholder kommunizieren, damit den Bezugsrahmen der Organisation erweitern und den Raum für ein unternehmensübergreifendes Öko-System aufspannen • Kontinuierlich die Vision über verschiedene Kanäle vermitteln (keine Einmal-Aktion) • Zustimmung und Einbindung der Stakeholder nachhaltig aufrechterhalten, ihre Ideen aufgreifen, prüfen und das Visionsbild erweitern und neu kommunizieren Schritt 2: Strategische Handlungsfelder des Ökosystems identifizieren und lancieren Beim Aufbau eines Ökosystems für Innovation gilt es nicht wie bisher nur in Einzel-Produkten oder Einzel-Technologien zu denken, sondern in techno logischen Lösungsräumen. Der Schlüssel-Akteur eines Ökosystems stellt dafür eine Technologie-Plattform zu Verfügung. Die Teilnehmer des Systems generieren durch die Arbeit an dieser Hardware- oder Software-Plattform für sich einen Mehrwert. Dafür bietet der Schlüssel-Akteur eine gewisse Offenheit der Plattform, die Spielraum für die Weiterentwicklung der Technologie lässt. Der eigentliche Mehrwert, der durch das interne Ökosystem entsteht, ist dabei nicht die Plattform selbst, sondern das wachsende Wissen und die immer neuen strategischen Handlungsfelder, die um die Plattform herum entstehen [22]. Die strategischen Handlungsfelder, die der Kommerzialisierung der neuen Technologie dienen, gilt es in diesem zweiten Schritt kontinuierlich zu identifizieren und gezielt in der Organisation zu lancieren. Eine system-orientierte Vision, die ganze Welten und nicht einzelne Produkte beschreibt (siehe Schritt 1), ist hierfür eine hilfreiche Ausgangsposition, denn sie enthält Ansatzpunkte für strategische Handlungsfelder. Entsteht in Ihrem Unternehmen beispielsweise eine programmierbare Hardware-Plattform, z. B. ein Elektrofahrzeug, eine programmierbare Küchenmaschine oder eine wandlungsfähige Automatisierungsplattform, können sich um diese Technologie-Plattformen herum zahlreiche weitere Objekte und komplexe Beziehungsgeflechte versammeln, z. B. die zukünftigen Nutzer oder App-Entwickler, aber auch Kundenschnittstellen, Programmierschnittstellen, Online-Shops, Hardware-Zubehör, Software-Zubehör etc. Aus dem Geschäftsmodell heraus, verbunden mit der einfachen Frage „Womit können wir Geld verdienen?“, müssen Ökosystem-Manager aus diesem potenziellen Gesamtsystem kontinuierlich die richtigen Handlungsfelder ableiten und durch aktive Kommunikation den Akteuren des Ökosystems vermitteln. Vergleicht man dies mit der konventionellen Art Strategien und zugehörige Maßnahmenpakete einmal zu entwickeln und dann über einen mehrjährigen Zeitraum auszurollen, wird deutlich, wie sehr das Ökosystem-Management eine andere Art des Strategieprozesses erfordert. Gebraucht wird ein agiler, adaptiver Strategieprozess [19]. Er läuft kontinuierlich, in iterativen Schritten mit der Entwicklung des Ökosystems mit und berücksichtigt auf dem Weg neue, hinzukommende Handlungsfelder (inklusive
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deren Monetarisierungsansätze) sowie einzubindende neue Teilnehmer. Strategiewechselbzw. Anpassungen müssen durch Kommunikation kontinuierlich begleitet und bei den relevanten Stakeholdern lanciert werden. Der Strategieprozess gleicht hier mehr dem kontinuierlichen Release-Management der Software-Welt als der einmaligen Einführung eines Hardware-Produktes. Kommunikationsaufgabe für Führungskraft: • Gewinnbringende Handlungsfelder aus der Vision ableiten und kommunizieren • Release-Management: Änderungen, neue Handlungsfelder bzw. Strategiewechsel aufgreifen, ausarbeiten und lancieren. Schritt 3: Offenes Netzwerk aufbauen 1. Ansprache: Im dritten Schritt des Ökosystem-Managements sind Sie auf der Jagd nach Akteuren für das System. Denn für die Umsetzung der strategischen Handlungsfelder brauchen Sie Menschen, die mitmachen, ob im Prozess der Wertschöpfung selbst oder bei der Finanzierung des Innovationsvorhabens. Um zu ermöglichen, dass ein Ökosystem wächst und gedeiht, muss die kontinuierliche Suche nach hilfreichen Teilnehmern, sprich den Nutzern, Entwicklern, Verkäufern, Käufern, Mentoren, Förderern und Financiers im Mittelpunkt Ihres täglichen Handelns stehen. Hierzu gehört die Kontaktaufnahme zu möglichen Akteuren im System, die sich für eine Innovation begeistern oder Fähigkeiten einbringen können, die für die Einführung einer Innovation notwendig und nützlich sind – von interner Forschung und Entwicklung bis zu externen Kunden und Partnern. Diese Verbindungen bauen auf einer Win-Win-Situation für alle Parteien auf. Denn im Ökosystem wird Wissen geteilt. Dies setzt eine gewisse Offenheit des Systems voraus [22], die Sie als Ökosystem-Manager sicherstellen. 2. Zugang: Der nach wie vor weit verbreitete Wunsch, der Erfinder einer Innovation zu sein und das Ablehnen der Ideen anderer, auch als „Not-invented-here“-Syndrom bekannt, wirken in diesem Umfeld regelrecht altmodisch. Ideen, Wissen und Informationen werden geteilt, um schnellstmöglich durch die Kombination unterschiedlicher Lösungsansätze einen Fortschritt zu erzielen. Es geht um das Verwenden und Wiederverwenden von Information. Die zentrale Ressource im Ökosystem-Management ist Wissen. Ökosystem-Management bedeutet vor diesem Hintergrund, dass Sie den immer wieder neuen Akteuren auch den Zugang zum System mit seinen Technologie-, Informations- und Austauschplattformen verschaffen. Um Ökosysteme zu entwickeln, braucht es eine transparente und offene Kommunikation, die den dezentral verteilten Wissens- und Informationsaustausch sicherstellt. Geben Sie Starthilfe bei der Nutzung von Kommunikationsplattformen, moderieren Sie die Kommunikation und gestalten Sie die Kontaktaufnahme zwischen den Akteuren untereinander so einfach wie möglich.
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3. Vernetzung: Dazu ist es wichtig, dass alle Kommunikationsteilnehmer voneinander wissen, die Möglichkeit erhalten, jederzeit miteinander in Austausch zu treten und Zugang zu notwendigen Informationen erhalten. Ihnen als Gestalter des Ökosystems kommt dabei die Rolle zu, die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu ermöglichen. Innerhalb der Organisation treten in Ökosystemen Hierarchie-Ebenen in den Hintergrund und Wissen und Disziplinen in den Vordergrund. Die bereichs- und unternehmensübergreifende Vernetzung, das aktive Aufbrechen von Strukturen durch Kommunikation, das Fördern von Kooperation und der Abbau von Barrieren ist eine weitere Hauptaufgabe der Führung in Ökosystemen. 4. Konfiguration: Je komplexer ein Vorhaben, desto wichtiger wird es, die richtigen Disziplinen, Unternehmensbereiche und Partner zusammenzuführen. Hierbei geht es um das immer wieder neue Konfigurieren und Rekonfigurieren von Ressourcen im Innovationsprozess. Quer durch die Organisation und über die Organisationsgrenzen hinaus die passenden Akteure aufzuspüren und zu vernetzen, ist Ihre Aufgabe als Keystone Player im Innovationsprozess. Starre Prozesse und Strukturen können hier nicht genutzt werden, denn je nach Problemstellung muss der Kontakt zu immer neuen Fakultäten aufgenommen werden. Verantwortliche für Ökosysteme sorgen kontinuierlich dafür, dass viele verschiedene Disziplinen zusammenkommen und Wissensnetzwerke bilden und durch eine wachsende Vielfalt an eingebundenen Disziplinen und Akteuren der Möglichkeitsraum für eine Lösung ständig wächst. Kommunikationsaufgabe für Führungskraft: • Kontinuierliche Kontaktaufnahme zu hilfreichen Teilnehmern (Ansprache) • Kommunikationsplattformen schaffen und Teilnehmer an Kommunikationsplattformen anbinden (Zugang) • Verbindungen zwischen den Teilnehmern herstellen und ermöglichen (Vernetzung) • Verteiltes Wissen nutzbar machen, dazu Aufbrechen von Silos, Abbau von Verkrustungen und Schaffen von immer neuen Verbindungen durch offene Kommunikation zwischen den Bereichen und Hierarchie-Ebenen (Konfiguration) Schritt 4: Selbstorganisation in Teams ermöglichen Je komplexer die Beziehungsgeflechte Ihres Ökosystems im Laufe der Zeit werden, je verteilter die Teams, die Entscheidungsprozesse, die Budgets, desto schwerer wird es Ihnen fallen, ein Innovationsvorhaben im herkömmlichen Sinne zu führen und zu steuern. Wenn Sie nun beim alten Steuerungsmodell bleiben und die volle Kontrolle über das Gesamtsystem beanspruchen, ist das Wachstum des Systems an dieser Stelle beendet. Sie werden zum Verwalter. In diesem vierten Schritt zeigt sich der Unterschied zu einem konventionellen Projektmanagement in aller Deutlichkeit. Führung bedeutet im Ökosystem, Vertrauen in die Teams zu setzen und loszulassen. Das Wirtschaftsmagazin brand eins widmet den ver-
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schiedenen Formen des Loslassens im Berufsalltag übrigens gleich ein ganzes Heft [23]. Loslassen im Ökosystem-Management bedeutet, dass die Selbstorganisation der teilnehmenden Teams nicht nur akzeptiert, sondern ermöglicht wird und Entscheidungsprozesse aktiv dezentralisiert werden. Für den Initiator eines Ökosystems heißt es, raus aus der Entscheider-Rolle, hinein in die Rolle des Mentors und Koordinators. Für Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter in ein fremdinitiiertes Ökosystem „abgegeben“ haben, bedeutet es das gleiche. Führung wird nicht weniger wichtig, sie erhält nur eine andere Ausrichtung und sie basiert auf Vertrauen. Denn dieses ist zunehmend wichtig, um ein immer komplexer werdendes internes Beziehungsgeflecht zu steuern. Es ist schier unmöglich, in einem komplexen System konsequent die Entscheidungen selbst zu treffen, die Ansagen zu machen oder das letzte Wort zu haben. Deshalb heißt es, von Anfang an bewusst die Teams in den Fahrersitz zu bringen und zu entscheiden, die Entscheidungsprozesse aktiv zu dezentralisieren. Den Überblick behalten alle Teilnehmer durch die aktive Anbindung an Kommunikationsplattformen. Kommunikationsaufgabe für Führungskraft: • Transparenz schaffen, sichtbar machen, wer, warum, welche Entscheidungen trifft • Vertrauen in die Teams haben und aktiv an sie kommunizieren • Selbstorganisation zulassen und durch das Angebot von Kommunikationsplattformen den Fortschritt aller Handlungsfelder sichtbar machen • Dezentrale Entscheidungen zulassen und ermöglichen, nicht selbst immer die Ansagen machen Schritt 5: Lebendige Kommunikationsplattformen schaffen Damit sich Organisationsmitglieder entlang des Innovationsprozesses selbst organisieren können (Schritt 4), müssen Sie als Ökosystem-Manager Rahmenstrukturen schaffen, die eine schnelle Kommunikation zwischen den Beteiligten möglich macht, zugleich Transparenz über die vielen verschiedenen Einzelaktivitäten schafft und die Arbeit an einem Innovationsvorhaben befeuert. Wenn Menschen Räume gerne aufsuchen und sich immer wieder dorthin begeben, ist das eine gute Voraussetzung für den Fortschritt und das Wachstum einer Idee. Als Ökosystem-Manager müssen Sie deshalb dafür sorgen, dass attraktive Austausch-Plattformen wie Co-Creation Spaces oder Innovationslabore zur Ver fügung stehen. Sie werden dafür sorgen, dass es Räume gibt, in denen Informationen ausgetauscht, Fortschritte berichtet, Kontakte geschlossen und gemeinsame Arbeiten durchgeführt werden können. Sie können es sich dabei zur ureigenen Aufgabe machen, Interaktion, Kollaboration und Co-Creation der Teams mit dem Kunden zu ermöglichen. Denn genau dafür benötigen Teams einen Ort, an dem sie sich treffen und austauschen können. Sie benötigen einen Marktplatz oder Möglichkeitsraum, in dem die Lösung für
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ein Kundenproblem wächst und weiterentwickelt werden kann. Dies können reale oder virtuelle Räume sein. Ein gemeinsamer Raum entwickelt sich dann, wenn alle Nutzer das gleiche Verständnis für den Sinn und Zweck der angebotenen Infrastruktur haben. Werden Plattformen zur Verfügung gestellt, ist es zentrale Aufgabe, für Dynamik zu sorgen und den Austausch zu befeuern und zu moderieren. Kommunikationsaufgabe für Führungskraft: • Räume, Labore, temporäre Begegnungsorte zur Ermöglichung von Kommunikation und Kollaboration (be-)schaffen • Räume aktiv zur Nutzung anbieten und Regeln zur Nutzung kommunizieren • Durch Moderation und regelmäßige Events für Dynamik und Austausch in den Räumen sorgen Schritt 6: Agiles Betriebssystem implementieren Während bestehende Produktwelten über Jahre in vorhandenen stabilen Strukturen und Prozessen gewachsen sind, benötigen neue Lösungen häufig ein völlig anderes Mindset. Hier kommt der Begriff des agilen Arbeitens ins Spiel. Agil stammt vom lateinischen Begriff „agilis“. Agiles Verhalten bezeichnet meist ein gewandtes, flexibles und bewegliches Verhalten. Agil steht in Unternehmen für Eigenverantwortlichkeit und für eine gesteigerte Transparenz im Team. Es strukturiert den Arbeitsalltag neu. Eine neue Form von Kommunikation, die nicht mehr von oben nach unten, sondern vernetzt im eigenverantwortlich arbeitenden Team stattfindet, ermöglicht es, dass Teams schneller und kreativer zum Ziel kommen und auch schwer lösbare Aufgaben oder ein kaum machbares Pensum mit Hochgeschwindigkeit erledigen. Während im Organisationskontext bei der Implementierung von agilem Arbeiten Begriffe wie Methode, Instrument oder Prozess zu kurz greifen, um das Ausmaß an Veränderung zu beschreiben, findet der Change-Experte John P. Kotter einen umfassenden Begriff. Er nennt Agilität ein Betriebssystem für Organisationen, im Gegensatz zum heute weit verbreiteten Betriebssystem der „Managementgesteuerten Hierarchie“ [24, 25] (vgl. auch Abschn. 5.1). Im agilen Betriebssystem verlässt die Führungskraft die Rolle des allwissenden Fachmanns, der Top-down Ansagen macht und alles weiß. Stattdessen wird sie Coach und Mentor und schafft den Rahmen dafür, dass die richtigen Personen zusammenfinden. Agiles Arbeiten ist in seiner Grundnatur kommunikationsbasiertes Arbeiten. Was ursprünglich in der Software-Entwicklung begann [26], wird inzwischen in vielen Bereichen von Unternehmen und in unterschiedlichen Erscheinungsformen angewendet. Sie können es also wunderbar als Ökosystem-Manager in Ihre Teams und Kultur implementieren. Wir vertiefen das Thema in den folgenden Abschnitten.
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Kommunikationsaufgabe für Führungskraft: • Agiles Betriebssystem einführen, z. B. durch täglichen Austausch und erhöhte Kommunikation Transparenz steigern • Design Thinking zur interdisziplinären Zusammenarbeit und zur gezielten Bearbeitung von Entwicklungsaufgaben nutzen Schritt 7: Förderer und Mentoren gewinnen Ist die Anhängerschaft einer Idee zu entsprechender Größe angewachsen, ist es spätestens Zeit prominente Förderer und Mentoren ins Boot zu holen. Dies können Vorstände oder obere Führungskräfte sein. Hilfreich sind aber auch wichtige Kunden. Sie brauchen den klaren Rückhalt von oberster Ebene (und vermutlich eine Finanzierung), sodass eine anfängliche Bottom-up-Initiative durch eine strategische Top-down-Entscheidung Rückenwind erhält. Ohne diesen Rückenwind kann der Aufstieg (Abb. 3.7) beschwerlich werden…. Zugleich benötigen Sie Mentoren aus unterschiedlichen Bereichen und aus der Firmenleitung, die die Teams nicht nur punktuell sondern kontinuierlich auf dem neuen Weg im Alltag begleiten und fördern. Dafür gilt es Führungskräfte aus allen Unternehmensbereichen
Abb. 3.7 Bottom-up-Initiativen brauchen Rückenwind
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einzubinden, sie regelmäßig zu informieren und sie sichtbar als Förderer im Ökosystem zu platzieren. Kommunikationsaufgabe für Führungskraft: • Zu prominenten Unterstützern Kontakt aufnehmen und diese sichtbar in das System einbinden • Die Unterstützer mit den Stakeholdern des Ökosystems zusammenbringen • Die Unterstützer über den Status und Fortschritt eines Vorhabens informiert halten Beispiel
Beispiel 1: Ökosystem-Management zur Markteinführung einer Industrie 4.0 Plattform Bei der weltweiten Markteinführung einer intelligenten Automatisierungsplattform für die Industrie 4.0 [27] setzt die Festo AG & Co. KG auf eine Netzwerk-basierte Organisationsstruktur. Mit dem grundsätzlichen Wandel im Organisationsverständnis weg von der Pyramide und einer starren Prozesswelt hin zu einem dynamischen, nutzerzentrierten Innovationsansatz wird, koordiniert durch eine entwicklungsnahe Projektleitung, ein unternehmensweites, kontinuierlich wachsendes Team aufgebaut, dass die Markteinführung der neuen digitalen Lösungswelt dezentralisiert vorantreiben soll. Über das Entwicklungsteam hinaus können in das weltweite Netzwerk Vertriebsgesellschaften und über sie auch Kunden eintreten und an der Weiterentwicklung der neuen Technologieplattform mitwirken. Durch aktives Beziehungs- und Kommunikationsmanagement, durch die Bereitstellung von Wissen und Informationen zur neuen digitalen Technologie und die Ermöglichung eines weltweiten Erfahrungsaustauschs entsteht ein Mehrwert für die angebundenen Akteure. Sie entscheiden sich selbstständig zur Nutzung und zum Ausbau der vorhandenen Strukturen, die für den Einzelnen gewinnbringend sind und dem Unternehmen insgesamt zur Kommerzialisierung der neuen Technologie verhelfen. Unterschiedliche agile Arbeitsweisen, wie Design Thinking und Elemente aus dem agilen Methodenbaukasten unterstützen die Teams in den unterschiedlichen Handlungsfeldern. Reale Labor-Räume, in denen eine bereichs- und unternehmensübergreifende Kommunikation und Kollaboration zwischen F&E, Vertrieb und Kunden stattfinden kann, werden ebenso angeboten wie interne Online-Plattformen, die den Dialog zwischen den Beteiligten firmenweit ermöglichen. Beispiel 2: IBM startet weltweites Ökosystem für Innovation Mit dem Watson Ecosystem orchestriert die IBM (vgl. auch Abschn. 6.7) um ihren auf künstlicher Intelligenz basierenden Super-Computer ein Ökosystem für Innovation, in dem Kunden, Partner, Startups, Universitäten und Forschungsinstitute Zugang zur intelligenten Plattform Watson erhalten [28]. Über den Ökosystem-
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Ansatz verfolgt die IBM das Ziel der Kommerzialisierung von Watson. Der Aufbau des Watson Ökosystems begann zunächst mit der Bereitstellung der Watson Developer Cloud, einer Plattform, auf der Entwickler weltweit Geschäftsideen pilotieren und testen und zugleich neue Programme für Watson entwickeln können. Im Februar 2017 eröffnete IBM neben dem virtuellen Raum auch reale Räume für die firmenübergreifende Kollaboration in München, um damit ein neues Kapitel in der kollaborativen Technologie-Entwicklung gemeinsam mit Kunden und Partnern aufzuschlagen. Um Watson herum entsteht eine ganze Welt, über Ko-Allokation werden Kunden und Partner inzwischen real im Watson IoT Center angesiedelt. Auszug aus der Pressemitteilung der IBM vom 16. Februar 2017: „Mit dem weltweiten Watson IoT-Headquarter in München beschreitet IBM vollkommen neue Wege der Zusammenarbeit: So werden in sogenannten Collaboratories – eine Zusammensetzung aus den Worten „Collaboration“ und „Laboratories“ – IBM Experten gemeinsam mit Kunden, Partnern und Forschungseinrichtungen an neuen kognitiven Technologien und Lösungen arbeiten. Diese offene, unternehmens- und grenzüberschreitende Zusammenarbeit wird damit gleichzeitig zur Keimzelle eines neuen Ökosystems für Innovation“, erklärt IBM [28]. ◄ Werden die beschriebenen sieben Schritte des Ökosystem-Managements in einem iterativen Prozess durchlaufen, kann ein resilientes Ökosystem entstehen. Je stärker die Verbindungen zwischen den Teilnehmern des Ökosystems dabei werden, desto widerstandsfähiger wird auch das gesamte System. Verbindungslinien werden stabiler, je öfter die Teilnehmer miteinander in Austausch treten – ob im persönlichen Kontakt oder auf virtuellen Plattformen. Damit das Ökosystem an Robustheit gewinnt [6], benötigen Firmen Schlüssel-Gestalter des Ökosystems, die die vorhandenen Beziehungen durch die Initiierung und Ermöglichung regelmäßigen Austauschs stärken und kontinuierlich für das Entstehen neuer Beziehungspfade sorgen. Geschäftsmodell und Monetarisierungsansätze im Mittelpunkt Zugleich müssen die Schlüsselspieler auch dafür sorgen, dass ein gesundes Gleichgewicht zwischen dem Nutzen für die Teilnehmer und dem eigenen Nutzen als Plattform-Anbieter entsteht. Eine zunächst kritische Entwicklung findet sich im folgenden Beispiel eines bekannten Business-Ökosystems: Im Juli 2012 schreibt die Süddeutsche Zeitung über den Kurznachrichten-Dienst Twitter und das Risiko offener Plattformen [29]: „Heute existiert ein beeindruckend großes Ökosystem, das für viele Nutzer zwar erheblichen Zusatznutzen bringt, für Twitter aber keine Werbeeinnahmen.“ Twitter verfolgt die Mission: „Es jedem zu ermöglichen, Ideen und Informationen sofort und ohne Barrieren zu erstellen und zu teilen“. Gegenüber 328 Millionen monatlich aktiven Nutzern in 2017 [30] kann die Plattform im Jahr 2020 bereits täglich 166 Mio. aktive Nutzer verbuchen, mit einem jährlichen Wachstum von 24 Prozent [31]. Sie ist damit Schlüsselspieler eines robusten Ökosystems. Und während das Unternehmen, das sich mit seiner offenen Plattform über Werbeeinnahmen finanziert, 2017
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noch mit einem Rückgang der Erlöse zu kämpfen hatte [30], knackt Twitter 2020 dank gestiegener Werbeeinnahmen erstmals die Milliardenmarke [32]. Damit der Aufbau und Erhalt von Ökosystemen der Kommerzialisierung neuer Technologien im Umfeld der Digitalisierung dient, ist es erfolgsentscheidend, das eigene Geschäftsmodell und die Ansätze zur Monetarisierung von Leistungen konsequent im Blick zu behalten. Denn Ökosysteme sind kein Selbstzweck, sondern ein zielgerichteter strategischer Ansatz, um Märkte langfristig zum eigenen Vorteil radikal neu zu gestalten (vgl. Strategie des Shaping [19]). Übertragen auf das Management von Innovationsökosystemen gilt es also, bei aller Nutzenstiftung für die Teilnehmer, konsequent auch auf die potenziellen Monetarisierungsmöglichkeiten zu achten. Zusammenfassung: Resilienz durch Ökosystem-Management
Ökosystem-Management ist Kommunikationsmanagement. Damit durch Ökosysteme eine neue Innovationskultur entsteht, die die kollaborative Kommerzialisierung und Vermarktung digitaler Innovationen ermöglicht, ist es Grundlage der Führung, für nährende Verbindungen zu sorgen. Dies wird mithilfe von zielgerichteter Kommunikation und Initiierung von Kommunikation zwischen den Akteuren des Ökosystems möglich. Ist die Entscheidung für den Aufbau eines Ökosystems getroffen, hat das weitreichende Konsequenzen auf den bisherigen Führungsansatz von Unternehmen. Denn wie das Visionsbild muss auch die Führung in einem wesentlich größeren Bezugsrahmen und über Abteilungs-, Bereichs- und Organisationsgrenzen hinaus neu gedacht werden. In diesem Abschnitt wurden dazu die sieben Schritte des ÖkosystemManagements mit ihren jeweiligen Handlungsoptionen für die Führung und Gestaltung von Ökosystemen vorgestellt. Von der übergeordneten Vision, über die strategischen Handlungsfelder und deren Fortschritte müssen Ökosystem-Manager kontinuierlich alle relevanten Informationen im offenen Netzwerk bereitstellen. Sie müssen die Selbstorganisation in Teams zulassen und fördern, lebendige Kommunikationsplattformen schaffen und ein agiles Betriebssystem mit neuen Arbeitsmethoden implementieren. Schließlich gilt es permanent die wichtigen Förderer und Mentoren aus allen Bereichen an Bord zu haben, damit ein Ö kosystem-basiertes Vorhaben auch die notwendige Legitimation und den Rückenwind erhält. Werden die Schritte kontinuierlich durchgeführt, so führt dies zunächst zu einem widerstandsfähigen internen Ökosystem. Es kann zur idealen Basis und Vorbereitung für eine überzeugende Einführung einer neuen Technologie am Markt werden. ◄
3.3.2 Exkurs: Agiles, kommunikationsbasiertes Betriebssystem Über agile Methoden und passende Strukturen in Unternehmen wurde bereits viel geschrieben. Dieser kurze Exkurs verfolgt allein das Ziel, den Zusammenhang zwischen agilem Arbeiten und der Bedeutung von Kommunikation herauszustellen. Denn agiles
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Arbeiten ist im Kern kommunikationsbasiertes Arbeiten. Es verbessert automatisch die Kommunikation. Taktung Agiles Arbeiten strukturiert den Arbeitsalltag. Es liefert neue Ansätze zur Gestaltung von Projekten. Der Gedanke basiert darauf, kürzere Abstimmungszyklen, sprich eine neue zeitliche Gestaltung von Abstimmungsprozessen, einen Rhythmus, zu implementieren. Er erhöht die Transparenz im Team um ein Vielfaches allein durch die zeitliche Strukturierung der regelmäßigen Abstimmungen der Beteiligten untereinander. Pakete Zu erreichende Ziele werden bei agilem Arbeiten in überschaubare Aufgabenpakete heruntergebrochen und für den Alltag in kleinste bearbeitbare Einheiten geschnitten (Product Backlog). Die direkt zu erledigenden „Tasks“ werden von den Teams über einen definierten wiederkehrenden Zeitraum von wenigen Wochen geplant (Sprint Planung). In täglichen Abstimmungsrunden (Daily Stand-ups) informieren die Teammitglieder über den Arbeitsfortschritt und die nächsten Schritte. Der Umsetzungsgrad der Aufgaben wird im definierten Rhythmus, z. B. zwei Wochen, überprüft (Review). Die erledigten Aufgabenpakete werden im Review „geliefert“. In anschließenden Retrospektiven (Retro) blicken die Teammitglieder zurück und bewerten, was im aktuellen Sprint gut lief und was zu verbessern ist. Kundennutzen Die Entscheidungshoheit liegt bei agilem Arbeiten im Team. Durch das regelmäßige Präsentieren von Zwischenständen orientiert sich die Arbeit konsequent an den Anforderungen des Kunden. Dieser einfache nutzerzentrierte Grundmechanismus kann in jedem Arbeitsumfeld eingesetzt werden. Er führt dazu, dass Prozesse transparent werden, Teams Verantwortung übernehmen, an Geschwindigkeit aufnehmen und motivierter arbeiten. Dass der im Software-Umfeld mit ‚Scrum‘ (engl. „Gedränge“) bezeichnete Ansatz nicht nur in der Ingenieurswelt [33], sondern auch außerhalb des Entwicklungsalltags funktioniert, zeigt der folgende Exkurs in den Journalismus. Agiles Arbeiten im Journalismus – ein Vergleich
Folgt man den Prinzipien des agilen Manifests, so ist der Journalismus ein Beispiel für agiles Arbeiten par excellence. Hier wird von jeher „agil“ gearbeitet. Denn Journalisten haben immer das Ohr am Nutzer. Sie stehen im ständigen Dialog mit ihm. In Online- oder Zeitungsredaktionen trifft man sich täglich, häufig im Stehen direkt am Redaktionsplan (Taskboard) zur ersten Sitzung und bespricht den Tag (Daily Stand-up). In regelmäßigen Abständen wird an die Kunden geliefert und die „Blattkritik“ findet statt (Retro), die auf das Veröffentlichte schaut und in der die Veröffentlichungen bewertet werden. Regelmäßig folgen die Redaktionskonferenzen (Sprintplanung), in denen die nächsten Ausgaben geplant werden. Themen und
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Artikel werden in Redaktionsplänen (Product Backlog) aufgenommen und priorisiert und es wird definiert, welche Beiträge für den direkt anstehenden Veröffentlichungszeitraum (Sprint Backlog) zu bearbeiten sind. Während es bei agiler Software-Entwicklung heißt „Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen“ [26], ist das funktionierende Produkt des Journalisten der lesbare Beitrag, den es zu liefern gilt. Erscheinungstermine können in der Regel ebenso wenig verschoben werden, wie ein Präsentationstermin beim Kunden. Vor diesem Hintergrund ist es umso überraschender, dass große Verlage und Medienunternehmen neuerdings vermehrt kommunizieren, jetzt „auch“ agile Arbeitsmethoden zu implementieren. Dabei liegt Agilität in der Natur von journalistischen Teams: die Arbeit in Sprints gehört allein aufgrund der regelmäßigen Erscheinungstermine von wöchentlich bis täglich bis stündlich bis minütlich…. zum Geschäft. Ob Leserbrief oder Kommentar in Echtzeit – die konsequente Orientierung am Nutzer bestimmt das journalistische Handeln, denn der Nutzer (die Leserschaft) ist schonungslos. Der Leiter einer Redaktion ist in diesem Umfeld schlecht beraten, in jedem journalistischen Beitrag selbst alle Entscheidungen zu treffen. Um der Informationsflut und dem exponentiell zunehmenden Dialog mit dem Nutzer zu begegnen, verlagert er Entscheidungsprozesse in die Redaktionsteams bis hin zur Leserschaft. Redaktionen organisieren sich zunehmend dezentral bis hin zu Autoren-Modellen, in denen die Nutzer selbst zu Produzenten werden. Für letzteres ist die 2005 gestartete amerikanische Online-Zeitung Huffington Post ein Beispiel, die sich Schritt für Schritt von der Informations- zur interaktiven Kollaborationsplattform verwandelte. Die Redaktion stellt die Infrastruktur und erhält die Dynamik im Ökosystem aus Lesern und Autoren durch die Moderation des Netzwerks: In den Nutzungsbedingungen ist festgelegt: „HuffPost provides a forum with a large, diverse audience for you to share your views and express your unique opinions and ideas.“ Die Verantwortung für den Inhalt überträgt das Portal an ihre „unabhängigen Nutzer“ [34]. Industrieunternehmen können gerade im streng getakteten, hochgradig dezentralisierten Arbeiten der inzwischen zahlreichen Medienplattformen Umsetzungsbeispiele finden und sich von der Kultur der Schnelllebigkeit und der permanenten Veränderung inspirieren lassen. Denn hier herrscht eisiger Kampf um Aufmerksamkeit. Wer sich nicht differenziert, geht unter. ◄ Agiles Arbeiten ist in seiner Grundnatur kommunikationsbasiertes Arbeiten. Das Beispiel aus der Medienwelt zeigt, dass Sie keine Produkte oder Dienstleistungen entwickeln müssen, um agile Methoden in Ihrem Bereich einzuführen. Was ursprünglich in der Software-Entwicklung begann und seinen Ausdruck 2001 im „Manifest für Agile SoftwareEntwicklung“ fand, hat sich inzwischen über alle Bereiche von Unternehmen ausgedehnt. Dabei rückt das „Agile Manifest für Softwareentwicklung“ Individuen, Interaktionen und Kommunikation im Entwicklungsprozess, die Zusammenarbeit mit dem
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Kunden und eine hohe Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen in den Mittelpunkt: „Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht“ [26]. Agiles Arbeiten ist kommunikationsbasiertes Arbeiten Agil zu arbeiten ist einfach und unabhängig von vorhandenen Prozessen und Routinen sofort umsetzbar. Ein geeigneter Ort für die täglichen Treffen, die maximal 15 min dauern sollten, ist im Idealfall nah an den Arbeitsplätzen der Teams und ermöglicht den persönlichen Austausch zwischen Personen, die an einem gemeinsamen Vorhaben arbeiten. Anwesende Teammitglieder berichten der Reihe nach, was sie seit gestern erreicht haben, woran sie heute arbeiten und ob es Probleme gibt – mehr nicht. Agil als Betriebssystem verstanden legt den Arbeitsmodus einer Organisationseinheit fest und entscheidet über ihre Leistungsfähigkeit. Ein agiler Handlungsrahmen stellt bestimmte Handlungsoptionen zur Kommunikation und Zusammenarbeit zur Verfügung, die zu mehr Transparenz, Flexibilität und Effizienz führen. Agiles Arbeiten ist kommunikationsbasiertes Arbeiten [35]. Es zeigt sich, dass allein durch die gestiegene Transparenz auch die Effizienz und zugleich die Fähigkeit zur Problemlösung eines Teams gesteigert werden können. Doppelt geleistete Arbeit entfällt, Frustration aufgrund mangelnder Information („ich war ja nicht informiert“) sinkt, Erfolge – auch die kleinen – werden sichtbar und vom Team honoriert. Die Leistung im Team, die nur durch Zusammenarbeit möglich wird, wird transparent und das Team wächst durch regelmäßigen Austausch enger zusammen. Kommunikation ist im Umfeld agiler Arbeitsweisen von zentraler Bedeutung [35]. Eine neue Form von Kommunikation, die nicht mehr von oben nach unten, sondern vernetzt im eigenverantwortlich arbeitenden Team stattfindet, ermöglicht es, dass Teams schneller und kreativer zum Ziel kommen. Sie erledigen plötzlich kaum lösbare Aufgaben und ein eigentlich nicht machbares Pensum mit Hochgeschwindigkeit. Um agil zu arbeiten, braucht es nicht ein dogmatisch entsprechend der Regeln ausgeführtes System. Allein schon die Bereitschaft, ein einzelnes Element aus einem agilen Methodenbaukasten zu nutzen, z. B. Führungskräfte, die sich täglich zum Daily treffen, verbessert die Kommunikation und das Mindset einer Mannschaft. Agil steht für Eigenverantwortlichkeit und für eine gesteigerte Transparenz im Team. Die Führungskraft selbst verlässt die Rolle des Fachmanns, der Top-down Ansagen macht und alles weiß. Stattdessen wird sie mehr Coach und Mentor. Sie schafft den Rahmen dafür, dass die richtigen Personen zusammenfinden und dass stärkerer Austausch zwischen den Disziplinen stattfindet. Die Teams sind dann dauerhaft in Kommunikation. Die Chance, täglich und auf Augenhöhe miteinander zu sprechen, führt nicht nur zu besseren Ergebnissen, sondern auch dazu, das Personen plötzlich „aufblühen“. Das können Appelle und Ansagen nicht ermöglichen. Hier entsteht ein natürlicher Antrieb von innen heraus und Spaß daran, Dinge einfach einmal auszuprobieren. So kommen „automatisch“ neue Ideen.
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Genau dieses agile Mindset findet sich auch im folgenden Abschnitt über Design Thinking wieder. Der Denk- und Handlungsansatz ermöglicht es Unternehmen, die Kreativität von Teams durch zielgerichtete Handlungsschritte freizusetzen und gewinnbringend zu nutzen.
3.3.3 Design Thinking als gemeinsame Sprache 3.3.3.1 Kreativität als Prozess der sozialen Interaktion Was den Menschen – zumindest im Jahr 2020 noch – von einem Roboter unterscheidet, ist sein unendliches kreatives Potenzial und die Fähigkeit, nicht berechenbare, unvorhersehbare Ideen hervorzubringen. Menschen kommen mit diesem Potenzial auf die Welt. Sie bewegen sich während der ersten Lebensjahre spielerisch. Sie nutzen ihre Kreativität, um die Welt zu entdecken und in beeindruckend kurzer Zeit Neues zu erlernen. Durch Erziehung und gesellschaftliche Konventionen tritt dieses Potenzial über die Jahre in den Hintergrund. Kreativität und Bottom-up entstehende Ideen werden auch später im Berufsleben häufig zugunsten streng berechenbarer, konzeptioneller Top-down-Vorgehensweisen vernachlässigt. Doch das soll sich ändern. Kreativität Die amerikanische Gehirnforscherin Nancy C. Andreasen erklärt Kreativität mithilfe dreier wesentlicher Merkmale [36]: 1. Kreativität führt zu etwas Neuem, z. B. zu neuen Verbindungen, neuen technischen Lösungen (Originalität). 2. Kreativität bringt etwas Nützliches hervor (Nützlichkeit). 3. Kreativität führt zur Schaffung eines Artefaktes (Produkt). Der Prozess der Kreativität selbst besteht laut Andreasen aus drei Komponenten: Person, Prozess und Produkt: Kreativität startet mit einer Person, die eine Aufgabe lösen will. Im Rahmen eines kreativen Prozesses bearbeitet sie die Aufgabenstellung. Wenn der Prozess beendet ist, liegt ein Ergebnis, ein Produkt vor. Wie der kreative Prozess genau abläuft, hält Andreasen dabei für eine der spannendsten Fragestellungen überhaupt. Eine Antwort liefert der ungarische Psychologe und Kreativitätsforscher Mihaly Csikszentmihalyi. Er löst den kreativen Prozess aus dem Kopf des Einzelnen und beschreibt Kreativität vielmehr als einen sozialen Prozess der Interaktion zwischen mehreren Individuen: „Insofern findet Kreativität nicht im Kopf des Individuums statt, sondern in der Interaktion zwischen dem individuellen Denken und einem s ozio-kulturellen Kontext. Sie ist eher ein systemisches denn ein individuelles Phänomen“ [37]. Design Thinking baut auf einem solchen systemischen Verständnis des Kreativitätsprozesses auf. Der Ansatz beantwortet die Fragestellung, wie eine Disziplinen-übergreifende Zusammenarbeit die kreative Ideenfindung in Teams ermöglicht. Er fragt, wie Unternehmen zu völlig neuen gewinnbringenden Lösungen finden können.
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Der dem Design Thinking zugrunde liegende zielgerichtete Ansatz zur Ideenfindung baut auf den von Andreasen beschriebenen Merkmalen von Kreativität, 1) Originalität, 2) Nützlichkeit und 3) dem Hervorbringen eines Produktes auf. Im Mittelpunkt steht das Verstehen des Nutzers und seines ureigenen Problems. Ausgehend von seinen Bedürfnissen und dem eigentlichen Motiv seines Handelns werden in wenigen Schritten die Sichtweise definiert, Ideen zur Befriedigung seines Bedürfnisses generiert, darauf aufbauend Prototypen entwickelt und rasch mit dem Nutzer getestet.
3.3.3.2 Design Thinking verändert Kultur und Mindset Design Thinking ist jedoch mehr als nur eine Vorgehensweise zur Förderung von Kreativität. Die Einführung von Design Thinking bietet Ihnen als Führungskraft eine Chance, die Perspektive auf den Nutzer zu lenken und zugleich die Zusammenarbeitskultur innerhalb von Unternehmen neu auszurichten. Das Mindset beschreibt die Einstellung. Es ist die grundsätzliche Haltung zur Zusammenarbeit, die Logik, die unserem Denken und Handeln zugrunde liegt. Design Thinking erfolgreich einzuführen, setzt voraus, dass ich mich auf neue Vorgehensweisen einlasse. Der Design Thinking Prozess baut auf Kollaboration, Ideenfindung im Team und flache Hierarchien und erfordert von Führungskräften neue moderierende Kompetenzen und ein anderes Mindset. Die Stuttgarter Expertin für User Driven Innovation und User Experience Anne-Elisabeth Krüger betont bei Design Thinking vor allem das Mindset, welches mit dem konsequenten Fokus auf die Kunden und Nutzer sowie den folgenden Wesenszügen das Potenzial hat, die Kultur von Organisationen zu verändern [38, 39]: Fehlerkultur durch Iterationen Der Design Thinking Prozess begrüßt und nutzt Fehler. Er kreist in zeitlich getakteten, sich wiederholenden Schritten um den Nutzer und seine Motivation, ein mögliches Angebot zu nutzen. Erst durch die Möglichkeit zur Iteration, zum wiederholten Durchlaufen einzelner Schritte, entsteht eine Kultur, in der „Fehler“ willkommen sind. Durch das schnelle Testen erster Lösungen mit dem Nutzer und den direkten Erhalt von Feedback in einer frühen Phase des Innovationsprozesses wird der vermeintliche Fehler zum Freund, kritisches Feedback zum Steigbügel, um schneller und kosteneffizienter zur idealen Lösung für den Nutzer zu kommen. Mensch im Mittelpunkt Zugleich werden die Teams im Innovationsprozess und die konsequente Zusammenarbeit der Menschen verschiedener Disziplinen, Fachrichtungen und Abteilungen durch die Vorgehensweise in den Mittelpunkt gerückt. Dies hilft, eine öffnende, Disziplinen-übergreifende Kultur in Unternehmen aufzubauen. Kreatives Selbstvertrauen Design Thinking ermöglicht die Aktivierung des kreativen Selbstverstrauens in Organisationen. Während Menschen im Kindesalter ihre selbstgeschaffenen Kunstwerke
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(Bilder, Bauten etc.) stolz vorzeigen, verlieren viele Erwachsenen das Vertrauen in die eigenen Ideen. In den seltensten Fällen greifen sie zu Papier und Stift und visualisieren diese, weil sie Angst vor der Bewertung Anderer haben Und wenn es einmal gefordert ist, einen Sachverhalt zu skizzieren, dann folgen schnell Kommentare wie „Das ist jetzt nicht wirklich gut geworden, …“ oder „Ich kann nicht zeichnen, ich bin nicht kreativ“. Visualisierung Es verbindet die Anwesenden und ermöglicht es ihnen, trotz unterschiedlicher fachlicher Hintergründe mit Sicherheit über ein und dieselbe Sache zu sprechen. Denn wer kennt die Situation aus dem Berufsalltag nicht? Wir sprechen miteinander, verwenden dieselben Worte und meinen doch unterschiedliche Dinge damit. Das Visualisieren hilft Teams, eine gemeinsame, für alle verständliche Sprache (Abb. 3.8) zu sprechen. Zielgerichteter Prozess Schließlich ist Design Thinking ein zielgerichteter, geführter und strukturierter Prozess der sozialen Interaktion von Individuen verschiedener Fachrichtungen. Die strenge zeitliche Taktung und das Arbeiten in kurzen Zyklen erfordern Konsequenz und Disziplin, führen aber gerade dadurch in kürzester Zeit zu Ergebnissen und damit Erfolgen für das Team.
Abb. 3.8 Design Thinking als gemeinsame Sprache
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„KREATIVES SELBSTVERTRAUEN FÖRDERN“
Interview mit Anne Elisabeth Krüger, User Experience-Expertin am FraunhoferInstitut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung damit, wie Unternehmen neue Geschäftsmodelle und effizientere Innovationsprozesse im Umfeld der digitalen Transformation etablieren können. Was können Unternehmen mit Design Thinking erreichen? Die Digitalisierung eröffnet neue Marktchancen und neue Wege. Gerade deshalb sprießen ja vermehrt Start-ups aus dem Boden. Sie entwickeln Geschäftsmodelle, die nicht mehr unbedingt langjährige technologische Entwicklungen oder Investitionen voraussetzen. Ansatzpunkt für Unternehmen ist es daher genau wie diese, nicht mehr ausschließlich die technologiezentrierte Sichtweise zu verfolgen, sondern eher kundenorientiert vorzugehen. Dabei kann Design Thinking helfen. Es macht die Kundenperspektive Menschen zugänglich, die vorher noch nicht aus dieser Perspektive heraus gedacht haben. Welche Rolle spielen Führungskräfte im Design Thinking? Es ist wichtig, dass im Design Thinking-Team eine Person – wenn auch nicht unbedingt explizit – die Führung innehat und den Prozess moderiert. Wenn der Prozess strukturiert und Regeln wie z. B. bestimmte Quality Gates gesetzt werden, funktioniert Ideenfindung im Team meist wesentlich effizienter. Zugleich braucht es Führungskräfte als Initiatoren und Vorbilder. Will man Design Thinking bei Ingenieuren ganz neu einführen, ist es wichtig, dass jemand das Mindset vorlebt, dadurch Verbindlichkeit schafft und Menschen dafür begeistert. Erst wenn die Teams in das Erfolgserlebnis des Design Thinking kommen und in realen Projekten den Mehrwert erkennen, erfolgt auch eine intrinsische Motivation. In der Einführungsphase sehe ich deshalb vor allem die Führungskräfte, die das unterstützen und sagen: ‚Ich stelle Euch Räume zur Verfügung, ich gebe Euch die Rückendeckung, vielleicht auch am Anfang in der Findungsphase etwas mehr Zeit zu investieren‘. Die Führungskraft kann Freiräume schaffen, Räume bereitstellen und Design Thinking methodisch ermöglichen. Sie bezeichnen Design Thinking als Mindset. Wie kann ich als Führungskraft dieses Mindset einführen und leben? Bei der Einführung ist wertschätzende Kommunikation extrem wichtig. Man sollte nicht sagen ‚Design Thinking ist jetzt das große neue Ding und wie es vorher lief, ist nicht gut‘. Dann gehen bei den Mitarbeitenden innerlich die Mauern hoch. Wenn ich aber sage, ‚ja, was wir bisher gemacht haben ist gut, aber wir können unser Mindset erweitern, in dem wir in bestimmten Phasen Design Thinking
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e insetzen‘, dann werde ich eher erreichen, dass die Leute die neue Arbeitsweise annehmen und nachhaltig integrieren. Wie definieren Sie das Mindset des Design Thinking? Es ist eine besondere Art und Weise, wie ich arbeite: Dass ich Fehler zulasse, dass ich mich traue Ideen zu äußern, dass ich spielerisch an Aufgaben herangehe, Freiräume für das Spinnen neuer Ideen schaffe, die ich dann wieder in einem strukturierten Prozess weiterverfolge. Design Thinking fördert das kreative Selbstvertrauen und arbeitet dabei visuell, menschzentriert, interdisziplinär und strukturiert. Design Thinking wird auch als Disziplinen übergreifende gemeinsame Sprache bezeichnet. Was hat Design Thinking mit Kommunikation zu tun? Beim Design Thinking kommen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen. Im Idealfall haben Sie sogenannte ‚T-Shaped People‘. Das sind Menschen, die Fachexpertise mitbringen, aber auch empathie- und kommunikationsfähig sind. Zum einen sind also Menschen, die fähig zum interdisziplinären Arbeiten sind, für Design Thinking Aktivitäten interessant, zum anderen wird Kommunikation durch Design Thinking aber auch gezielt unterstützt und gefördert. Durch die visuelle Arbeitsweise (u. a. frühe Prototypen) werden die Mitglieder des Design Thinking Teams angeleitet, ihre Ideen zu konkretisieren und nicht nur auf der Tonspur auszudrücken. Dies kann Missverständnisse durch z. B. unterschiedliche Fachsprachen vermeiden und dabei helfen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Gleichzeitig hilft es, Gedanken zu strukturieren und implizites Wissen zugänglich zu machen. Design Thinking erlaubt zusätzlich meist eine wesentlich authentischere Kommunikation. Es gibt zum Beispiel die Warm-ups, Aufwärm-Techniken, die spielerisch sind. So schafft man es, dass Menschen am Anfang gleich miteinander lachen und zwischen ihnen das sogenannte Eis brechen zu lassen. Man legt damit eine ganz andere Basis für die spätere Zusammenarbeit, das Teamgefühl und damit auch für die Kommunikation. Einzelne Design Thinking Aktivitäten sind extrem zielgerichtet und zeitlich strukturiert. Aufgaben werden „time-geboxt“ – es gibt zum Beispiel zehn Minuten Zeit, um ein Thema zu bearbeiten. Danach hat jede Person ca. fünf Minuten für die Vorstellung ihrer Ideen und erarbeiteten Inhalte. Hierdurch wird die Kommunikation bewusst gesteuert. Redeanteile werden gerecht verteilt. Schüchterne Menschen kommen zu Wort und extrovertierten Menschen wird geschickt ein begrenzender Rahmen gesteckt. Vor allem aber vereinfacht Design Thinking auch die Kommunikation zu Kunden und Nutzern. So bringt man z. B., Empathie und Verständnis für diese
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auf, in dem man sich in ihre Erfahrungswelt und Nutzungskontexte begibt und versucht, ihr Erleben nachzuempfinden und zu verstehen. Dies kombiniert mit dem konsequenten Visualisieren von Ideen sowie frühen Prototypen als Kommunikationsgrundlage unterstützt das schnelle Finden einer gemeinsamen Sprache. Vielen Dank Frau Krüger für das Gespräch!
3.3.3.3 Die Schritte im Design Thinking Der Design Thinking Prozess unterteilt sich grob in zwei Phasen, die Problemfindung und die Lösungsfindung. Bevor sie sich mit dem Bau und der Entwicklung von Lösungen beschäftigen, nehmen sich die Teilnehmer in Design Thinking Teams ausgiebig Zeit, die Perspektive des Nutzers einzunehmen und seine Bedürfnisse und Probleme zu verstehen. Erst dann beginnen die Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten und die Darstellung von Lösungsansätzen in Prototypen. Iteration, das mehrfache Durchlaufen der im folgenden Abschnitt beschriebenen Schritte, ist ein zentrales Merkmal des Design Thinking Prozesses. Teams nähern sich in kurzen Schritten und regelmäßiger Wiederholung von Prozessschritten einer Lösung. Dabei haben sie konsequent die Brille des Nutzers auf. Die fünf (bzw. in deutschen Darstellungen häufig sechs) Schritte des Prozesses sind gemäß der Definition der School of Design Thinking des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam [40]: 1. Den Nutzer verstehen und beobachten (Empathize) 2. Synthese und Definieren der Sichtweise des Nutzers (Define) 3. Lösungsideen entwickeln (Ideate) 4. Ideen auswählen und Prototypen davon erstellen (Prototype) 5. Prototyp beim Nutzer testen (Test) 1. Den Nutzer verstehen und beobachten Die in Abb. 3.9 dargestellten ersten beiden Schritte, Verstehen und Beobachten, werden im Englischen häufig mit „Empathize“ zusammengefasst. Verstehen bedeutet, das richtige Problem und die richtige Fragestellung zu finden. Es geht darum, den Nutzer und das was ihn eigentlich antreibt, zu verstehen. Es wird beobachtet, gefragt und zugehört. Wer ist Ihr Nutzer? Was macht er gern? Was treibt ihn an? Wie verbringt er seine Freizeit? Wie seine Arbeit? Was macht ihn aus? Was begeistert ihn? Welches Problem hat er, dass Sie möglicherweise lösen können? Um das Verstehen und Beobachten zu vollziehen, rückt dieser erste Schritt des Design Thinking unmittelbar die Perspektive auf den Nutzer. Sie verlassen die Innensicht Ihrer Organisation. Sie verlassen gedanklich Ihre Firma und besuchen zuallererst
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Abb. 3.9 Iterativer Design-Thinking-Prozess. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an HPI School of Design Thinking [40])
den Nutzer. Dieser erste Schritt klingt einfach. Er wird jedoch in der heutigen Unternehmenswelt oftmals übersprungen. Wir wissen, was ein Kunde braucht. Wir kennen seine Bedürfnisse! Nur genau das ist häufig nicht der Fall. Diese ersten beiden Schritte werden Sie überraschen. Durch aktives Zuhören, Interviews, das Beobachten ihres potenziellen Kunden, finden Sie heraus, was ihn eigentlich bewegt. „Empathize“ lautet die englische Beschreibung dieser ersten Phase – Sie versetzen sich konsequent in Ihren Kunden. „Ach SO macht er das? Das hätte ich nicht gedacht“ ist eine oft geäußerte Reaktion der Teams. Die ersten beiden Schritte des Prozesses liefern eine Fülle an Material. Es wird zunächst nichts vorausgesetzt. Es werden sämtliche Informationen aufgenommen, die zu gewinnen sind. Nehmen Sie wirklich alle Informationen auf, die sie über Ihren Kunden und seine Problemstellung finden können. Und lassen Sie sich überraschen. 2. Synthese und Definieren der Sichtweise des Nutzers Nach diesem öffnenden ersten Schritt folgt ein „schließender“ zweiter Schritt: Die Synthese aller gewonnenen Informationen. Aus den Erkenntnissen heraus definieren Sie das richtige Problem, das eigentliche Bedürfnis Ihres Kunden. Jetzt gilt es das gewonnene Wissen sichtbar zu machen, aus dem Kopf herauszuholen und für das Team aufzuzeigen. Sie arbeiten mit Stift und klebenden Zetteln – das Problem kommt an die Wand. Alle Informationen aus den ersten beiden Schritten werden aufgeklebt, aufgemalt oder aufgeschrieben. Dann können Sie Verbindungen ziehen. Es geht darum, die Sichtweise des Nutzers aufzuzeigen. Seinen „Point of View“. Dafür eignen sich Instrumente wie Storytelling oder der Aufbau von Customer Journey Maps, die den Kunden bei der Nutzung eines bestimmten Angebotes beobachten und die Höhen und Tiefen auf seiner „Reise“ dokumentieren.
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Wie in einem Krimi, in dem das Motiv gesucht wird, sind Sie in diesem Schritt des Prozesses auf der Jagd nach seinem eigentlichen Motiv: Warum möchte ein Mensch ein Mittel zur Fortbewegung? Um möglichst schnell von A nach B zu kommen? Oder um Sport zu treiben? Um kurz einkaufen zu gehen? Um mit der Familie Ausflüge zu erleben? Um ein neues Statussymbol zu besitzen? Es gibt viele Gründe, die zu ganz unterschiedlichen Lösungen führen können – vom Leihmobil oder Mitfahrservice bis zum High-Tech-Elektro-Sportgerät für den privaten Besitz. Sie hätten ihm vielleicht einen elektrifizierten Sportwagen angeboten, womöglich sucht er eine Mitfahrgelegenheit. Es geht also darum, das richtige Motiv Ihres Nutzers zu finden und dieses zu definieren. 3. Lösungsideen entwickeln Erst jetzt verlassen Sie die Problemfindungsphase und betreten den Lösungsraum. Erst jetzt – im dritten Prozessschritt – fangen Sie an, eine Lösung zu suchen. Hier nutzen Sie Instrumente wie Brainstorming oder Mindmapping, um eine Fülle von Lösungsmöglichkeiten zu generieren, die das spezifische Bedürfnis Ihres Nutzers befriedigen können. Dabei ist es wichtig, in diesem Schritt noch keinerlei Bewertung vorzunehmen. Sie sprudeln ohne den Prozess zu begrenzen. 4. Ideen auswählen und Prototypen davon erstellen Mit dem Bauen von Prototypen nähern Sie sich der konkreten Lösungsfindung. Um einen ersten Prototypen zu bauen, wählen Sie aus der Fülle von Ideen aus, z. B. drei Ideen, die Sie für den Kundentest umsetzen möchten. Ob im 3-D-Druck oder aus Pappe, mit Alufolie oder aus Papier – für den Bau von Prototypen benötigen Sie unterschiedlichstes Material. Das Prinzip des frühen Scheiterns tritt hier in Kraft, denn jetzt einen Prototypen aus erschwinglichen Materialien aufzubauen, kostet Sie wenig. Warum ist dieser Schritt so wichtig? In vielen Fällen steht die Produktionsanlage schon, wenn Kunden das erste Mal mit einem Produkt in Berührung kommen. Unternehmen haben Investitionen getätigt, die sich nicht einfach wegdenken lassen und die ein Innovationsprojekt über Jahre „belasten“ können. Mit einem einfachen ersten Prototyp dürfen Sie, ja müssen Sie sogar Fehler machen, denn über das wertvolle Feedback können Sie mehr über das Bedürfnis des Kunden herausfinden und wertvolle Zeit und Geld sparen. 5. Prototyp beim Nutzer testen Feedback holen Sie sich beim Test mit dem Kunden. Die Lösung wird für ihn durch den Prototypen begreifbar. Sie zeigen, was Sie entwickelt haben. Der Kunde probiert aus. Sie beobachten, lernen und erhalten Feedback. In der jetzt folgenden Iteration liegt der Charme des Design Thinking Ansatzes. Er nutzt mögliche Fehler und Nutzer-Feedback, um Schrittweise für ein richtig identifiziertes Bedürfnis des Kunden eine nutzerorientierte Lösung zu entwickeln. Wie im Monopoly passiert hier manchmal etwas Drastisches: „Gehen Sie zurück auf Los“ oder gleich zurück zu „Define“, die Sichtweise
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muss angepasst werden. Aber genau durch diese Iterationen erhöhen Sie die Chance auf einen Markterfolg um ein Vielfaches. Tipp Design Thinking wird u. a. am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam in Kooperation mit der Stanford University gelehrt und erforscht. Auf der Webseite der HPI School of Design Thinking finden sich zahlreiche Beispiele und weiterführende Informationen: HPI School of Design Thinking: https://hpi.de/school-of-design-thinking.html Stanford d.school: https://dschool.stanford.edu/
3.3.3.4 Innovation und Spiel Ein zentraler Wesenszug von Design Thinking ist die spielerische Herangehensweise. Sie prägt den Prozess und gibt den Teilnehmern Freiheit im Denken und Handeln. Häufig ist zu beobachten, dass Teilnehmer in Design Thinking-Workshops regelrecht aufatmen. Die Vorgehensweise vermittelt ein anderes Arbeitsgefühl als der sonstige Berufsalltag. Bei der Suche nach dem Grund, warum dies Gefühl so anders ist, lieferte ein kleines Büchlein von Johan Huizinga (1872–1945) über den Zusammenhang von Kultur und Spiel aus dem Jahr 1938 eine schlüssige Antwort [41]. In seinem Werk „Homo Ludens“ (Der spielende Mensch) beschäftigt sich der niederländische Kulturhistoriker mit dem Ursprung der Kultur im Spiel. Er definiert vier formale Kennzeichen für die menschliche Aktivität des Spiels, die auch eine Erklärung dafür sein können, warum Design Thinking so erfolgreich und mit Begeisterung von Teams angenommen wird [41]. 1. Spiel ist freiwilliges Handeln 2. Spiel ist Intermezzo 3. Spiel ist eine abgeschlossene, zeitlich und räumlich begrenzte Handlung 4. Spiel ist spannend 1. Spiel ist freiwilliges Handeln „Spiel steht in unserem Bewusstsein dem Ernst gegenüber“ [41], erklärt Huizinga. Das Spiel befreit durch zweierlei Wesensmerkmale: zum einen durch das reine Vergnügen, den Spaß am Spiel, zum anderen durch das gedankliche Heraustreten aus einer eigentlichen, realen Welt. Genau durch dieses Heraustreten aus der gewöhnlichen Welt entsteht Freiheit im Denken und Handeln. Diese gefühlte Freiheit ermöglicht es Teilnehmern von Design Thinking Workshops häufig, auf kreative neue Lösungen zuzugreifen, die sonst häufig unerwähnt bleiben. So berichten Akteure im Prozess, dass sie Ideen einbringen, bei denen sie „nie gedacht hätten“, dass diese einen Beitrag leisten. „Zu verrückte“, „eigentlich nicht machbare“ Ideen führen – werden sie weitergedacht und ergänzt – schließlich zur besten Lösung für den Nutzer.
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Zudem können Sie niemanden zwingen, an einem solchen Prozess teilzunehmen. Das wäre einfach vertane Zeit. Design Thinking ist freiwillig. Sie bringen sich freiwillig als Teilnehmer ein. „Befohlenes Spiel ist kein Spiel mehr“, beschreibt Huizinga [41] und damit wird deutlich, warum ein Hierarchie-orientierter Top-down Führungsstil hier nicht nutzbar ist. 2. Spiel ist Intermezzo Huizinga spricht von „Gebieten, wo man vielleicht vom Spielfaktor keine Spur erwarten würde, nämlich zu denjenigen der wirtschaftlichen Produktion, des Tauschverkehrs, des Staats- und Rechtslebens. Hier scheint ja von Anfang an zwingender, bitterer Ernst vorwaltend“ [42]. „Aber“, so hinterfragt er, „das ist nicht das einzige, was in Frage kommt“ [42]. In diesem Verständnis bricht der Ansatz des Design Thinking mit dem oftmals in Organisationen vorherrschenden ernsten Charakter und kommt auf ungewohntem Weg zu unerwarteten Lösungsansätzen. „Spiel ist nicht das ‚gewöhnliche‘ oder das ‚eigentliche‘ Leben. Es ist vielmehr das Heraustreten aus ihm in eine [ganz eigene] zeitweilige Sphäre“ [42] mit Vergnügen und Spaß. 3. Spiel ist zeitlich und räumlich begrenzt. „In der Sphäre eines Spiels haben die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung. Wir ‚sind‘ und wir ‚machen‘ es ‚anders‘.“ Der Kulturhistoriker beschreibt das Spiel als die „zeitweilige Aufhebung der ‚gewöhnlichen Welt‘“ [41]. Es ist zeitlich begrenzt, wiederholbar, besitzt eine bestimmte Reihenfolge und führt schließlich zur Lösung einer Aufgabe. Dem entsprechen die fünf Prozessschritte des Design-Thinking, die immer wiederholt (Iteration) werden, bis schließlich die beste Lösung für den Nutzer gefunden wird. Zugleich läuft das Spiel auch räumlich getrennt ab: Die Arena, der Spieltisch, der Zauberkeis, der Tempel, die Bühne, die Filmleinwand, der Gerichtshof, sie sind allesamt der Form und der Funktion nach Spielplätze, d.h. geweihter Boden, abgesondertes, umzäuntes, geheiligtes Gebiet, in dem besondere Regeln gelten. Sie sind zeitweilige Welten innerhalb der gewöhnlichen Welt, die zur Ausführung einer in sich abgeschlossenen Handlung dienen [41].
Neue Arbeitswelten, Co-Working Spaces, Ideenschmieden, Co-Creation Labs – wenn Sie einen solchen von Johan Huizinga beschriebenen Raum außerhalb der gewöhnlichen Welt bereitstellen können, ist das der Idealzustand. Aber es ist nicht die Voraussetzung. Denn Sie können den „Ausnahme“-Raum überall schaffen und jeden einfachen Besprechungsraum sofort umfunktionieren. Rücken Sie Tische zur Seite, nutzen Sie Fenster als Whiteboards. Ein Koffer mit Material reicht aus, um eine konventionelle Besprechung in einen Kreativ-Workshop zur Generierung frischer Ideen umzufunktionieren. Design Thinking Räume können in kürzester Zeit überall entstehen. Führungskräfte können diese Räume schaffen und mit Leben füllen.
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Mobiles Starter-Paket Um jeden Raum zu verwandeln, benötigen Sie ein mobiles Starter-Paket. Schon mit wenig Material kann ein Workshop zu völlig neuen Lösungen führen und ein Raum zur zeitweiligen „Welt innerhalb der gewöhnlichen Welt“ werden. Zur Basis-Ausstattung zählen: • Eine große Stopp-Uhr für das Time-boxing • Buntstifte • Papier A4 und A3 • Whiteboard und Whiteboard-Marker • Haftnotizzettel und Moderationskarten in unterschiedlichen Farben und Formen • Kiste mit Lego • Kreppband, Tesafilm • Alufolie • Knete • Allesmögliche an Material, mit dem Sie gerne arbeiten • Diverse Design Thinking-Vorlagen [43] 4. Spiel ist spannend Ungewissheit und Chance sind laut Huizinga zentrale Merkmale des Spiels [41], die im Verlauf des Spieles aufgelöst werden. Gerade diese Chance und das Bewegen auf ungewissem, unbekanntem Terrain wird im Design Thinking genutzt. Führungskräfte wie auch Teams haben mit dieser Methode eine Möglichkeit, bewusst mit dem Unbekannten zu arbeiten und für das Entwickeln neuer Lösungen zu nutzen. Die Unkenntnis des Ausgangs und die Überraschung zum Ende des Spiels machen die Aktivität für die Teilnehmer immer wieder von neuem spannend. „Mit einer gewissen Anspannung muss etwas glücken“, lautet die Beschreibung aus dem Jahr 1938 [41], die 2017 ebenso gut auf Design Thinking passt. Fazit: Spiel prägt Innovationskultur Durch das Spiel entfaltet sich eine andere Art der Innovationskultur – ein Gedanke, den der amerikanische MIT Innovationsexperte Michael Schrage schon 1999 in seinem Buch „Serious Play“ vertieft: Das wichtigste „Rohmaterial“ von Innovation sei das Zusammenspiel verschiedener Individuen und das Ausdrücken ihrer Ideen [44]. Schrage beschreibt den im Design Thinking aufgegriffenen Schritt des Prototyping als „Serious Play“, als ernstes Spiel und eine Möglichkeit zur Kommunikation und Interaktion: „Prototypen sind ein Weg, um laut zu denken“. Innovative Prototypen führten unweigerlich zum innovativen Austausch zwischen den anwesenden Akteuren und seien Startpunkt für ihre weitere Konversation. Schrage sieht die Aufgabe für Führungskräfte darin, diese in der sozialen Interaktion entstehende Innovation möglich zu machen [44].
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Übung: Setting the Stage mit Lego Serious Play Spiel im Unternehmensalltag – diesen Ansatz verfolgt Lego mit seiner Serie „Lego Serious Play“ [45]. Das Bauen von Prototypen kann schon bei Vorstellungsrunden von Workshop-Teilnehmern das Setting für den Workshop-Tag völlig verändern. Laden Sie die Teilnehmer – auch wenn sie sich bereits kennen – dazu ein, sich in wenigen Minuten mit Lego-Steinen selbst zu bauen und stellen Sie sich die „Prototypen“ im Anschluss gegenseitig vor. Sie erfahren mehr, als Sie im Rahmen eines beruflichen Workshops erwartet hätten. Diese ungewöhnlichen Informationen setzen Maßstäbe für einen ungewöhnlichen Workshop-Tag und liefern bestenfalls wertvolle Hintergründe, die im Verlauf des Tages bei der Ideengenerierung nutzbar sind.
3.3.3.5 Führung prägt Mindset Dass Design Thinking ein anderes Mindset, eine andere Grundhaltung bei uns selbst voraussetzt, ist nun klar. Jetzt kommt der nächste Schritt: Sie haben als Führungskraft die Chance, das Mindset einer Organisation zu verändern, in dem Sie Ihr Umfeld dazu einladen. Für Führungskräfte entfaltet sich der Mehrwert von Design Thinking schnell, wenn sie das die Disziplinen verbindende Potenzial der Methode aktiv nutzen und zur Lösung von Aufgaben einsetzen. Dies ist vor allem bei komplexen Fragestellungen von hohem Mehrwert, wenn völlig neue Lösungsräume im Umfeld von Industrie 4.0 und Digitalisierung entstehen sollen, wenn Hardware, Software und Services in hochintegrierten intelligenten Produkten und Systemen zusammenfließen, wenn neue datenbasierte Geschäftsmodelle entwickelt werden. Der folgende Einblick in die Praxis von Bosch Power Tools zeigt, dass sich Design Thinking sogar positiv auf die Stimmung im Team auswirkt. „NEUE ROLLE FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE“
Interview mit Andreas Leinfelder, Vice President Business Development bei Bosch Power Tools GmbH Sie führen bei Bosch Power Tools aktuell unternehmensweit Design Thinking ein. Was versprechen Sie sich davon? Wir sind überzeugt davon, dass Design Thinking mehr als eine Methode ist. Für uns ist Design Thinking ein Mindset, das uns dabei unterstützt für unsere Verwender, aber auch für interne Fragestellungen bessere, weil auf den jeweiligen Verwender optimierte, Lösungen zu finden. Dazu ist es wichtig, dass jeder Mitarbeiter zumindest ein Grundverständnis von Design Thinking hat – idealerweise sind aber sogar so viele Mitarbeiter wie möglich in der Lage, Design Thinking in der täglichen Arbeit einzusetzen.
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Was hat Design Thinking mit Kommunikation zu tun? Design Thinking zahlt aus meiner Sicht auf zwei unterschiedliche Weisen auf Kommunikation ein: Auf der einen Seite auf die Kommunikation mit dem Verwender, die im iterativen Vorgehen ein elementarer Bestandteil ist. Auf der anderen Seite auf die Kommunikation im Team, da die Kolleginnen und Kollegen crossfunktional in allen Phasen des jeweiligen Projekts zusammenarbeiten und nicht mehr in ihren „Silos“ verschwinden. Verbessert sich die Kommunikation durch diesen Ansatz? In jedem Fall! Design Thinking eröffnet für alle neue Sichtweisen. Es verbessert das gemeinsame Verständnis für das zu lösende Problem des Verwenders sowie die Lösungsoptionen und führt damit am Ende zu besseren Lösungen. Welche Rolle spielen Ihre Führungskräfte in einem Umfeld, dass von Design Thinking geprägt ist? Den Führungskräften kommt eine andere Rolle zu als bisher. Statt auf Erfahrung basierend eine Lösung vorzugeben, die dann noch ausdetailliert wird, geht es vielmehr darum das Team zu begleiten, Barrieren und Widerstände zu beseitigen und Ratgeber zu sein. Daran müssen sich Führungskräfte an vielen Stellen erst einmal gewöhnen, aber am Ende merken Teams sehr schnell, ob der „Chef“ am Ende wieder alles besser weiß. Wie reagieren die Teams auf das neue Mindset? Nicht nur die Teams, sondern fast alle Mitarbeiter reagieren extrem positiv auf die neue Arbeitsweise bzw. das veränderte Mindset, auch wenn vor der ersten praktischen Berührung mit Design Thinking mancher Kollege etwas skeptisch war. Das neue Mindset eröffnet für alle völlig neue Möglichkeiten, sich einzubringen. Gleichzeitig zeigt der Erfolg der mit Design Thinking entwickelten Lösungen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dieser Erfolg wirkt sich selbstredend positiv auf die Stimmung im jeweiligen Team und damit im gesamten Unternehmen aus. Vielen Dank Herr Leinfelder für das Gespräch!
Als Führungskraft gilt es das neue Mindset in Teams zu prägen, zu fördern, zu moderieren und regelrecht zu säen. Die Verantwortung für die Lösungsfindung wird dem Team und dem kollaborativen Prozess übergeben. Die Entscheidungshoheit liegt ebenfalls im Team. Ihre Rolle wird damit zur moderierenden Rolle. Um diesen neuen Geist einzuführen, können Sie heute schon beginnen, anders zu arbeiten, den Alltag spielerischer zu gestalten, Bilder zu malen, Ideen zu skizzieren. Das Skizzenblatt (Abb. 3.10) wartet auf Ihren Einsatz.
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Abb. 3.10 Seite für Ihre Ideen
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Visuelle Kommunikation im Business Alltag Falls Sie noch zögern, kann folgender Buchtipp helfen: Die niederländische Grafikund Industriedesignerin Willemien Brand ist überzeugt von der Kraft visueller Kommunikation. Sie hat mit ihrem Handbuch Visual Thinking – Empowering People und Organizations Through Visual Collaboration ein kleines Meisterwerk für den Business Alltag geschaffen [46]. Das Buch ist ein inspirierender Praxisratgeber für die einfache kreative Gestaltung der täglichen internen Kommunikation von Führungskräften in einem hochdynamischen Markt- und Technologie-Umfeld. Wenn Unsicherheit und Wandel zur einzigen Konstante und zum „neuen Normalzustand“ werden, benötigen wir Mittel und Wege, um uns schnell an neue Umstände anzupassen und unterschiedlichste Menschen und Aufgaben zusammenzubringen. Willemien Brand führt in diesem Umfeld Visual Thinking als Methode ein, um eine wirksame interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern, die schnell zu kreativen Lösungen führt. Stift zur Hand und los geht’s…. Zusammenfassung: Design Thinking vielfältig einsetzbar
Wird eine Innovation ganzheitlich betrachtet, so besteht sie nicht nur aus einer technischen Lösung, sondern zusätzlich aus zahlreichen begleitenden Prozessen und Elementen: angefangen von IT-Infrastrukturfragen bis hin zur Entwicklung einer Marketing-Kampagne. Design Thinking lässt sich nicht auf die Produktentwicklung einschränken, sondern kann alle Phasen des Innovationsprozesses unterstützen. Wo immer Neuland betreten wird, können kreativitätsfördernde Maßnahmen unterstützen – ob beim Aufbau eines Customer Development Centers, der Entwicklung einer Filmkampagne zur Markteinführung eines neuen Angebots, dem Aufbau einer IT-Infrastruktur für den Verkauf von Software und Services oder der Entwicklung eines Messestandes. Es gibt keine Einschränkung. Durch den mehrstufigen Prozess kann in einer kurzen Sitzung ebenso wie an einem Workshop-Tag oder in mehrwöchigen Sprints geführt werden – entscheidend ist die Anwendung des Grundprinzips, das dem Denken und Handeln zugrunde liegt. Design Thinking kann noch heute eingeführt werden, wenn Führungskräfte bei sich selbst beginnen und die Entscheidung treffen, durch das eigene Handeln eine neue Innovationskultur zu schaffen. ◄
3.4 Fazit: Einfach anfangen Die Wettbewerbsexperten Kim und Mauborgne unterteilen die weltweiten Märkte in „blaue und rote Ozeane“ [1]. Rote Ozeane sind geprägt von gesättigten Märkten, Kommoditisierung und erbitterten Preiskriege unter den Marktteilnehmern. Im blauen Ozean lassen Unternehmen den Wettbewerb hinter sich. Hier kommt die Digitalisierung wie gerufen, durch digitale Technologien verbessern sich Kostenstruktur und Kundennutzen erheblich.
3.4 Fazit: Einfach anfangen
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Statt wie bisher im Umfeld geschlossener Wertschöpfungsketten liegt die Zukunft der Führung im Management offener Gesamtsysteme. Wir treffen auf sich selbst organisierende, kooperative Wertschöpfungsökosysteme, die unternehmensweit und über die Unternehmensgrenzen hinaus eine gewünschte Leistung in Form von Produkten und Dienstleistungen erbringen – ein Paradigmen-Wechsel. Doch viel zu wenig werden die Mechanismen von Ökosystemen in Unternehmen ernst genommen. Noch sind die Prozesse von Firmen auf die heutige Welt ausgerichtet. Doch wie wollen Firmen in dynamischen Business-Ökosystemen eine Rolle spielen, wenn sie selbst nicht in solchen Strukturen denken und handeln? Wer draußen im Markt der Schlüsselspieler sein will, muss diesem Wunsch auch im Innern Rechnung tragen. Kommunikation ist Dreh- und Angelpunkt Innovationsökosysteme, ein agiles Betriebssystem und kreativitätsfördernde Prozesse – in diesem Kapitel wurden Ihnen Handlungsoptionen für den Führungsalltag in einem innovationsorientierten Umfeld vorgestellt. Es sind im Industriealltag erprobte Ansätze, mit denen Sie heute noch beginnen können, eine Innovationskultur auszuprägen. Denn digitale Innovation braucht andere Prozesse, ein entsprechendes Mindset und eine offene Unternehmenskultur – denn alle Elemente haben Auswirkungen auf das Ergebnis. Und in allen Bereichen wird Kommunikation zum neuen Dreh- und Angelpunkt. Damit durch Ökosysteme eine neue Innovationskultur entsteht, die die kollaborative Kommerzialisierung und Vermarktung digitaler Innovationen ermöglicht, ist es Grundlage der Führung, für nährende Verbindungen zu sorgen. Dies wird mithilfe von zielgerichteter Kommunikation und Initiierung von Kommunikation zwischen den Akteuren des Ökosystems möglich. Ökosystem-Management ist Kommunikationsmanagement. Konsequenzen für das gesamte Unternehmen Ist die Entscheidung für den Aufbau eines internen Ökosystems getroffen, hat das weitreichende Konsequenzen auf den bisherigen Führungsansatz von Unternehmen. Die sieben Schritte des kommunikationsbasierten Ökosystem-Managements sind ein hilfreicher Leitfaden für den Arbeitsalltag. Wie das Visionsbild muss auch die Führung in einem wesentlich größeren Bezugsrahmen und über Abteilungs-, Bereichs- und Organisationsgrenzen hinaus neu gedacht werden. Von der übergeordneten Vision über die strategischen Handlungsfelder müssen Ökosystem-Manager kontinuierlich alle relevanten Informationen im offenen Netzwerk bereitstellen. Sie müssen die Selbstorganisation in interdisziplinären, bereichsübergreifenden Teams fördern, lebendige Kommunikationsplattformen schaffen und ein agiles Betriebssystem mit neuen Arbeitsmethoden implementieren. Um agil zu arbeiten, braucht es nicht ein dogmatisch entsprechend der Regeln ausgeführtes System. Allein schon die Bereitschaft, ein einzelnes Element aus dem „Methodenbaukasten“ zu nutzen, verbessert die Kommunikation und verändert das Mindset einer Mannschaft. Wo immer Neuland betreten wird, können agile, kreativitätsfördernde Maßnahmen unterstützen. Agiles Projektmanagement oder Design Thinking
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können noch heute eingeführt werden, wenn Führungskräfte bei sich selbst beginnen und die Entscheidung treffen, durch das eigene Handeln eine neue Innovationskultur zu schaffen. Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung Mit dieser Erkenntnis rückt der Mensch endgültig in den Mittelpunkt der digitalen Transformation. Denn wenn der Entstehungsprozess digitaler Innovationen voraussetzt, dass cross-funktionale Teams hochvernetzt arbeiten, wenn die Entwicklung kommunizierender, vernetzter Systeme eine Unternehmenskultur erfordert, in der alle Türen offen stehen, in der auf den Fluren und über alle Hierarchieebenen hinweg Ideen ausgetauscht werden, wenn der Aufbau von digitalen Plattformen und das Wachstum von Ökosystemen bedeutet, dass immer mehr Disziplinen bis über die Unternehmensgrenzen hinweg zusammenarbeiten, dann wird Kommunikation zur zentralen Fähigkeit der Menschen im Innovationsprozess. Dieser Ansatz rüttelt an den Grundfesten eines durchgehend hierarchischen Führungsverständnisses. Er beschreibt ein neues kommunikationsbasiertes Führungsparadigma. Statt Top-down Ansagen zu machen, schaffen Führungskräfte konsequent eine innovationsorientierte Kommunikationskultur in Teams. Sie stellen den sinnstiftenden Handlungsrahmen bereit, eröffnen Räume für den Austausch im Netzwerk und füllen diese Räume mit Leben. Sie stellen durch offene und öffnende Kommunikation den Teams eine grüne Wiese zur Verfügung und ermutigen sie zum Ausprobieren. Die Zeit läuft Denn in zahlreichen Unternehmen liegt die Mammutaufgabe darin, im Umfeld von Industrie 4.0 und Digitalisierung in kürzester Zeit neue Ansätze und Lösungswege hervorzubringen. Der Wettbewerbsdruck steigt exponentiell an. Organisationen werden in einem neuen digitalen Ökosystem nur dann überleben, wenn sie an Geschwindigkeit aufnehmen, schnell an den Markt gehen und eng verzahnt mit dem Nutzer Innovationen hervorbringen. Verabschieden Sie sich vom Modell der allwissenden Führungskraft und nutzen Sie lieber einen strukturierenden, moderierenden Ansatz. Es gilt, Netzwerke aufzubauen, sodass innovative Lösungen und zugehörige Ökosysteme entstehen und wachsen können. Wenn Sie bewusst einen neuen Kommunikationsstil einsetzen, kann dies der Startpunkt werden für eine Öffnung der Organisation. Diese für Teams sofort spürbare Veränderung Ihres Verhaltens als Führungskraft wird eine Kettenreaktion auslösen. Die Aufwände sind gering Wenn Sie Ihr kommunikatives Verhalten als Führungskraft bewusst verändern, setzt das weder hohe Investitionen voraus, noch werden sechsstellige Innovationsbudgets für die Umsetzung benötigt. Sie werden weder teure Berater noch groß angelegte Change-Projekte benötigen. Fangen Sie große Aufregung an.
Literatur
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Der Rest kommt von selbst. Denn wenn Sie sich verändern, hat das Auswirkungen auf das gesamte System. Wenn Sie konsequent den Nutzer in den Fokus stellen, werden Investitionen folgen und Budgets bereitgestellt. Sie können ein neues Mindset schaffen, die Kultur verändern und mit den Menschen in Ihrer Organisation Neuland erreichen. Den ersten Schritt müssen Sie allerdings alleine tun und einfach beginnen.
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Literatur
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32. „Twitter-Umsatz knackt erstmals die Milliardenmarke“. Handelsblatt vom 06.02.2020. Online unter https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/kurznachrichtendienst-twitter-umsatzknackt-erstmals-die-milliardenmarke/25518682.html [Zugegriffen am 24.05.2020]. 33. F&E Manager (2014): AGIL. In: F&E Manager, 01/2014. München: AS&P. 34. Huffington Post: Contributer – Terms of Use and User Agreement. Online unter: https://www. huffingtonpost.co.uk/p/contributor-terms-of-use-and-agreement [Zugegriffen am 24.05.2020]. 35. Buchholz, Ulrike; Knorre, Susanne (2017): Interne Kommunikation in agilen Unternehmen. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer Gabler (essentials). 36. Andreasen, Nancy C. (2005): The Creating Brain: The Neuroscience of Genius. New York: Dana Press. 37. Csikszentmihalyi, Mihaly (1997). Kreativität. Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden. Stuttgart: Klett-Cotta. 38. Krüger, Anne Elisabeth (2017): Building Ideas. mit Design Thinking und User Experience zu Innovationen. Seminar und Workshop des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart am 16. und 17. Mai 2017. 39. Krüger, Anne Elisabeth; Fronemann, N.; Peissner, M. (2015): Das kreative Potential der Ingenieure. Menschzentrierte Ingenieurskunst. In: Stuttgarter Symposium für Produktentwicklung (SSP). Entwicklung smarter Produkte für die Zukunft, H. Binz, B. Bertsche, W. Bauer und D. Roth, Hrsg., Stuttgart, 40. 40. HPI Academy: Was ist Design Thinking? Online unter: https://hpi-academy.de/design thinking/was-ist-design-thinking.html [Zugegriffen am 24.05.2020]. 41. Huizinga, Johan (1938): Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 24. Auflage von 2015. Reinbeck: Rowohlt. 42. Huizinga, Johan (2014): Das Spielelement der Kultur. Berlin: Matthes & Seitz. 43. Design Kit by IDEO.ORG. Online unter: http://www.designkit.org/ [Zugegriffen am 24.05.2020]. 44. Schrage, Michael (1999): Serious Play: How the World’s Best Companies Simulate to Innovate. Boston: Harvard Business School Press. 45. Lego Serious Play: Online unter: https://www.lego.com/de-de/seriousplay [Zugegriffen am 24.05.2020]. 46. Brand, Willemien (2017): Visual Thinking. Empowering People & Organizations Through Visual Collaboration. Amsterdam: BIS Publishers.
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Bestehendes Business vorantreiben
Zusammenfassung
Jenseits des Trubels um künstliche Intelligenz und die digitale Transformation dreht sich die Welt weiter um das Kerngeschäft. Wie steht es um die Profitabilität? Verschärft sich der globale Preiswettbewerb? Müssen Konkurrenten unterboten, Prozesse effizienter und Kosten drastisch reduziert werden? Dann sollten Sie jetzt umschalten. Denn nun geht es um Effizienz statt um innovative neue Lösungen und Kreativität. Es geht um klare Führung und klare Ansagen in der Organisationspyramide. Von oben, nach unten. Dieses Kapitel fasst die wichtigsten Mittel und Wege zur Informationsverteilung in Organisationen zusammen. Sie gehören in großen Unternehmen heute zum Standard, um Strategien schnell und wirksam zu implementieren und in der Organisation auszurollen. Diese Welt kennen Sie bereits. Sie hat sich über Jahre bewährt und vermittelt uns Sicherheit. Doch obwohl wir in der Welt des roten Ozeans Zuhause sind, nutzen wir die Chancen, die die Kommunikation in der Pyramide bietet, viel zu wenig. Für Führungskräfte ist Kommunikation häufig ein Instrument, das im Führungsalltag ‚nebenher‘ laufen kann. Ein verschenktes Potenzial… In diesem Kapitel geht es deshalb um die Rolle der unternehmensinternen Kommunikation von Führungskräften zur Effizienzsteigerung. Es geht darum, dass Ihr Thema an Fahrt aufnimmt, beschleunigt wird, die Höchstgeschwindigkeit erreicht und hält und schließlich im Markt einschlägt. Kommunikation ist auch im roten Ozean wichtiges Führungsinstrument. Sie funktioniert nur grundsätzlich anders als im Umfeld des revolutionären Wandels. Sie verfolgt das Ziel, Reaktionszeiten zu verkürzen und die Menschen in Unternehmen in kürzester Zeit auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen: One company, one voice.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0_4
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4.1 Im roten Ozean 4.1.1 Beat the Competition Den Wettbewerber zu überholen, ist das große Ziel im roten Ozean. Während in blauen Ozeanen ein nahezu wettbewerbsloser Zustand herrscht, steht im roten Ozean der Konkurrenzkampf an erster Stelle. Die Märkte sind globalisiert und gesättigt, die Technologien ausgereift. Und während Ihre Produkte zur Massenware werden, die Preise auf Tiefststände sinken und Sie mit Ihrer Kostenstruktur kämpfen, ist es Ihre einzige Chance, Ihren Wettbewerber zu attackieren. Es gilt, jede offene Flanke zu nutzen, die er Ihnen bietet. Im roten Ozean herrscht Krieg. Dieser Kampf kostet Unmengen an Energie. Denn um langfristig überhaupt die Zukunft gestalten zu können (vgl. Kap. 3) müssen Unternehmen zunächst die Gegenwart bewältigen. Kundenwünsche müssen erfüllt, schwarze Zahlen geschrieben, Umsatzzuwächse erzielt und Gehälter gezahlt werden. Denn nur wer erfolgreich im Hier und Jetzt agiert, wird ausreichend Ressourcen besitzen, um den großen Sprung in die Zukunft zu finanzieren. Die Evolution muss die Revolution bezahlen. Exploitation Um den Kampf im roten Ozean zu überleben, sind Schnelligkeit und Effizienz das oberste Gebot. Statt ausgefeilter Ingenieurskunst gilt es Gut-genug-Produkte zu günstigsten Preisen anzubieten und Produktvarianten drastisch zu reduzieren. Im Fokus stehen Volumengeschäft und Volumenmärkte sowie Investitionen in Automatisierung und Produktionssteigerung. Es gilt, die Herstellkosten radikal zu senken und Skaleneffekte zu erzielen. Produzierende Unternehmen müssen im roten Ozean die bestehenden Prozesse systematisch optimieren und die größtmögliche Leistung aus der eigenen Organisation herausholen. Die Antwort auf den roten Ozean lautet Exploitation. Was bedeutet Exploitation? Die amerikanischen Ambidextrie-Experten Charles O’Reilly und Michael Tushman beschreiben den Weg der Exploitation als eine konsequent auf Kosten und Profit ausgerichtete Vorgehensweise [1]. Stanford-Professor James March – Urheber des Exploration/Exploitation-Trade-Off – erklärt: Exploitation schöpft Wert aus den vorhandenen Ressourcen und steht für kontinuierliche Verbesserung, Effizienz und Geschwindigkeit [2]. In der formalen, hierarchisch aufgebauten, mechanistisch wirkenden Organisationsstruktur für Exploitation herrscht ein vergleichsweise autoritärer Führungsstil des Top-down. Marge und Produktivität greifen als Kennzahlen der strategie- und umsatzgetriebenen Unternehmenssteuerung. Straffes Planen, effiziente Entscheidungsprozesse, die zielgerichtete Umsetzung strategischer Maßnahmen und eine Politik der Stabilität und Kontinuität stehen im Mittelpunkt der Unternehmensführung bei Exploitation [1] (vgl. Abschn. 2.1). Diese Welt kennen Sie bereits aus der Vergangenheit. Sie hat sich über Jahrzehnte bewährt und vermittelt uns Sicherheit. Denn im Gegensatz zu radikalen Brüchen und
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sprunghaften Veränderungen, die wir Kap. 2 und 3 beschrieben haben, wird hier die bekannte Ordnung kontinuierlich optimiert. Während technologische Diskontinuität [3] eine Entwicklung beschreibt, in der eine vorhandene Technologie von einer neuen Technologie mit Substitutionspotenzial abgelöst wird (vgl. Abb. 2.1), bedeutet Kontinuität, dass wir auf der S-Kurve [4] einer bewährten Technologie bleiben und diese kontinuierlich weiterverfolgen. Für die vergleichsweise geringfügigen Veränderungen der Technologie kommen die bekannten Kompetenzen, Ressourcen, Routinen und Prozesse zum Einsatz. Wir schöpfen aus dem vorhandenen Bestand und stärken unsere Position in einem sich konsolidierenden Markt.
4.1.2 Zeiten des Übergangs gestalten 4.1.2.1 Der Zwischenzustand In einem solchen Umfeld des roten Ozeans [5] haben sich über Jahre erfolgreich Organisationsstrukturen und Führungsansätze herausgebildet. Diese Strukturen unterstützen Unternehmen dabei, Prozesse zu optimieren und noch effizienter zu werden. Führungskräfte sind in diesem Umfeld die zentralen Verantwortungs- und Entscheidungsträger. Sie steuern auf verschiedenen Hierarchieebenen die Organisation und besitzen das Wissen, was zu tun ist. Sie bieten der Organisation Orientierung und geben die Richtung vor. Sie entscheiden, welche Schritte zu gehen sind und welche nicht. Gefahr: Starre Strukturen Was auf den ersten Blick zielstrebig wirkt und angenehme Sicherheit und Stabilität vermittelt, kann aber auch dazu führen, dass Teams sich darauf verlassen, dass ‚oben‘ die Entscheidung schon getroffen wird. Mitarbeiter sind ‚ausführende‘ Organe, deren Handeln sich an den Ansagen der übergeordneten Führungskraft orientiert – die ihr Handeln wiederum an der nächsthöheren Führungskraft orientiert usw. Das Ergebnis solcher Abläufe sind oftmals eingefahrene Strukturen, in denen niemand die Verantwortung übernehmen möchte, eine Entscheidung zu treffen, bis schließlich ein Thema auf dem Tisch des Vorstandes landet. Im schlimmsten Fall werden streng hierarchisch geführte Organisationen zu hochgradig starren statt zu effizienten Gebilden. Nachvollziehbar also, dass immer mehr Studien und Management-Ratgeber die Abkehr von traditionellen hierarchischen Modellen in Unternehmen prognostizieren. Ein bekannter Vertreter der Organisation als lebendigem Organismus ist der belgische Autor Frederic Laloux [6]. In seinem vielfach übersetzten Buch „Reinventing Organizations“ durchläuft der ehemalige McKinsey-Berater die verschiedenen Organisationsparadigmen der Vergangenheit. Er baut darauf ein neues umfassendes ‚integrales‘ Organisationsmodell auf, das selbstbestimmtes Handeln des Menschen in den Mittelpunkt rückt. Dabei werden Hierarchien nicht abgeschafft. Vielmehr werden Macht und Entscheidungsprozesse von einer vordefinierten Rolle des Managers gelöst und dezentral breit über die Organisation verteilt. Hierarchie wird nicht künstlich durch Zuweisung von Rollen
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erzeugt, sondern entsteht in einem natürlichen Prozess der Selbstführung auf Basis der Fähigkeiten der Menschen vor Ort, die zur Bearbeitung einer Aufgabe beitragen. Doch hier sind wir in den meisten Fällen noch nicht angekommen. Mehr Verantwortung und klare Anweisungen Also zurück zur traditionellen Organisationspyramide: Hier macht eine Studie der Personalberatung Kienbaum und dem Karriereportal StepStone über die Organisationsstrukturen in deutschen Unternehmen eine interessante andere Entwicklung sichtbar: Mitarbeiter befürworten zwar organischere Führungsmodelle und dezentral verteilte Entscheidungsprozesse. Zugleich sind es gerade auch die Mitarbeiter in Unternehmen, die sich nicht immer das damit einhergehende Mehr an Verantwortung wünschen. Die Studienteilnehmer – darunter Fach- und Führungskräfte aus deutschen Unternehmen unterschiedlicher Branchen – bewerten Firmen mit wenigen Hierarchiestufen im Vergleich zu stark hierarchisch organisierten Unternehmen zwar als innovativer [7]. Zugleich besagen die Umfragen, dass Mitarbeiter einen Top-down-Führungsstil nach wie vor begrüßen [8]: Vier von fünf Fachkräften in Deutschland möchten in Unternehmen mit flachen Hierarchien arbeiten. Zugleich wollen sie aber nicht auf klare Vorgaben des Vorgesetzten verzichten. Mitarbeiter in Organisationen wollen demnach zwar mehr Verantwortung. Sie wünschen sich aber dennoch Vorgesetzte, die klare Anweisungen erteilen und die wissen, was zu tun ist. Sie wollen also alles. Willkommen lieber Leser im Zwischenzustand. Der Begriff Zwischenzustand beschreibt in der Theologie die wechselnden Bewusstseinszustände im Diesseits und Jenseits. Er ist zugleich eine treffende Metapher für den Wandel, den die Menschen in Organisationen im Augenblick durchlaufen. Sie sind im Heute und im Morgen gleichzeitig. Sie pendeln zwischen den Organisationsparadigmen. Und Sie als Führungskraft müssen von einem auf den anderen Moment umschalten können. Denn lange bevor Ihre Organisation konkurrenzlos im blauen Ozean schwimmt, müssen Sie als Führungskraft die Zeit des Übergangs gestalten. Die Brücke zwischen neu und alt zu schaffen, ist die Aufgabe, die es zu meistern gilt. Dieses Buch schaut sich deshalb diesen Zustand „zwischen den Welten“ genauer an und betrachtet den Zeitpunkt des Wandels von dem einen zum anderen Organisationsparadigma (vgl. Kap. 2 und 3). Es gibt für Stabilität und für Wandel in Organisationen Antworten und empfiehlt, Strategien aus beiden Welten für das Erschließen des blauen und den Kampf im roten Ozean zu nutzen.
4.1.2.2 Die Vergangenheit zelebrieren Wenn Unternehmen über einen notwendigen Wandel sprechen, wird meistens der zukünftige Zustand glorifiziert. Die neuen Arbeitsweisen, Technologien und Lösungen werden die Erlösung bringen. Wenn wir erst dort sind, wird alles besser sein. Doch wie genau sieht die Zeit eigentlich aus, bevor wir die Zukunft erreichen? Wenn wir die Reise von A nach B nicht genau planen und gestalten, kann es sein, dass wir niemals am Ziel ankommen. Sich intensiv mit den Denk- und Handlungsmodellen für
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die Phase des Übergangs zu beschäftigen, wird dennoch häufig vernachlässigt und das obwohl sich Übergangszeiten in Unternehmen erfahrungsgemäß lange hinziehen können. Das Bauen der Brücke über den ‚Graben‘ zwischen heute und morgen, das kontinuierlich Bewegen zwischen den Welten, ist nicht nur ein notwendiges Übel, dass möglichst schnell überwunden werden soll. Es ist eine entscheidende Übergangszeit, deren bewusste Gestaltung Menschen zwingend benötigen, um sich von einer Welt zu verabschieden und sich für eine neue Welt zu öffnen. Raum für Übergänge Wie wichtig die Bedeutung von Übergangen in der menschlichen Persönlichkeitsentwicklung ist, beschreibt die Medienwissenschaftlerin Claudia Duwe in ihrer Forschung zu Übergangsräumen in der kindlichen Ich-Findung [9]: „In früheren Gesellschaften gab es wesentlich mehr soziale Rituale, die die Bedeutung von Anfang, Ende und Übergang spürbar machten. Jeder Eintritt in eine neue Lebensphase wurde zelebriert, und er bedeutete zugleich den Abschluss der vorherigen.“ Zugleich weist die Autorin darauf hin, dass es in Zeiten des rasanten technologischen Fortschritts, in denen notwendige Übergangszeiten immer kürzer werden und Anfang und Ende tendenziell zusammenfallen, immer wichtiger wird, diese Übergangsräume bewusst zu gestalten. Genauso bedeutsam wie für die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit, ist das Gestalten von Übergängen in Zeiten der digitalen Transformation für die Entwicklung ganzer Organisationen. Das bewusste Wahrnehmen und Gestalten des Wandels ist Kernkompetenz, die Unternehmen zwingend benötigen, um von der einen Welt in eine neue Welt zu gehen. Es wird zur zentralen Fähigkeit von Führungskräften, die es durch das Ausgestalten des Wandels schaffen, mit ihren Teams Spannungen so lange aushalten, bis der Zeitpunkt für das erfolgreiche Durchstarten in eine neue Welt gekommen ist. Wie fangen wir also an? Stabilität: Auf dem heutigen Fundament aufbauen Wenn Sie Ihre Mitarbeiter und Teams dort abholen, wo sie heute stehen, wenn Sie sie mit bekannten Führungsansätzen ansprechen und sie zugleich mit neuen Denk- und Handlungsweisen vertraut machen, dann stehen die Chancen gut, dass der Wandel gelingt. Denn große Organisationen besitzen eine Zukunft und eine Vergangenheit mit Tradition. Sie bieten im Idealfall eine auf Effizienz ausgerichtete Infrastruktur und wertvolles über Jahrzehnte aufgebautes Wissen und Ressourcen. Es gilt also, auszuschöpfen, was vorhanden und bewährt ist. Es gibt einen Grund, warum Ihre Organisation heute erfolgreich ist. Bei aller Begeisterung für die Zukunft, vergessen Sie nicht, das Beste aus der Vergangenheit zu zelebrieren! Denn alles infrage zu stellen, würde bedeuten, dass Sie die bisherigen Stärken nicht nutzen und Ihre Mannschaft im schlimmsten Fall verprellen. Mit der explizit oder implizit geäußerten Botschaft „Wie Ihr es heute macht, ist es schlecht, macht es anders“ verlieren Sie in kürzester Zeit das Commitment der Menschen, die Sie brauchen, um in die Zukunft zu gehen (vgl. Interview mit Wilhelm Bauer Kap. 2). Und Sie schwächen
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damit das Selbstvertrauen des Teams. Die Erfolgsrezepte der Vergangenheit zu feiern und zugleich die Trends und Innovationen der Zukunft zu begrüßen, wird Ihnen dagegen über den Weg der Wertschätzung ausreichend Spielraum (und -geld) für die Zukunft verschaffen. Und nicht nur Ihr bestehendes Geschäft muss auf Effizienz und Schnelligkeit ausgerichtet sein. Irgendwann wird auch die neueste und innovativste Lösung zum dankbaren Abnehmer bestehender Routinen werden: Versetzen Sie sich einen Moment in die Arbeit eines zukünftigen Sterne-Kochs, der plant, seinen ersten Stern zu erkochen: Um ein völliges neues Menü, eine Revolution in der Küche hervorzubringen, wird es umfassender Kreativität bedürfen. Geschmacksrichtungen werden kombiniert, Zutaten ausprobiert, Zubereitungsverfahren neu gedacht und völlig neue Verfahren getestet. Es geht um Neuland, um Differenzierung, um das Herausstechen aus der Masse der erstklassigen Restaurants und Köche. Zugleich wird der Koch zum Erreichen seines Ziels auf Routinen bauen, die das Team im Schlaf beherrscht. Ob Kartoffeln schälen oder Karotten raspeln – spätestens, wenn es um das rasche und perfekte Servieren des duftenden Menüs geht, wird es Schritte geben, die nicht Kreativität, sondern Effizienz und Routine und absolute Sicherheit benötigen. Hier greift die Hierarchie, es werden Anweisungen erteilt und ausgeführt. Befehl und Gehorsam. Nicht nur Ihr heutiges Geschäft braucht Methoden zur Effizienzsteigerung. Auch für Innovation und das Erschließen von Neuland sind diese hilfreich. Auch ein Sternemenü braucht Schritte zur kreativen Lösungsfindung und Schritte zur effizienten Umsetzung. Allerspätestens, wenn Sie mit ihrem Produkt an den Markt gehen (oder es dem Gast servieren), werden Sie erleichtert auf vorhandene Prozesse und Infrastrukturen zugreifen, die auf Hierarchien, Top-down-Ansagen und auf einem über Jahrzehnte gewachsenen Erfahrungsschatz beruhen. Warum also nicht das Beste aus beiden Welten nutzen? In diesem Kapitel schauen wir aus diesem Grund ausführlich auf das heutige Fundament – die linke Hälfte der Bank in Abb. 4.1. Wir betrachten, welche Elemente wir davon nutzen können, um den Übergangsraum bewusst zu gestalten. Zusammenfassung: Menschen im Heute abholen
Wenn Unternehmen über den digitalen Wandel sprechen, wird in den meisten Fällen die Zukunft glorifiziert. Mit den neuen Arbeitsweisen, Technologien und Lösungen wird der Kunde in der Zukunft den höchsten Nutzen erzielen, während wir zugleich unsere Kosten reduzieren. Wenn wir erst dort sind, wird alles besser sein. Während in einem solchen blauen Ozean der kosten- und nutzenoptimierten Angebote ein wettbewerbsloser Zustand herrscht, steht im roten Ozean der Konkurrenzkampf an erster Stelle [5]. Die Märkte sind globalisiert und gesättigt, die Technologien ausgereift. Und während Produkte zur Massenware werden, ist es die einzige Chance, den Wettbewerber zu attackieren. Dazu werden Prozesse systematisch optimiert und die größtmögliche Leistung aus der eigenen Organisation herausgeholt. Die Antwort auf
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Abb. 4.1 Exploitation als Strategie im roten Ozean
den roten Ozean lautet Exploitation. Sie wird begleitet von einer Unternehmenskultur des straffen Planens, der effizienten Entscheidungsprozesses, der zielgerichteten Umsetzung strategischer Maßnahmen und von einer Politik der Stabilität und Kontinuität. Über Jahrzehnte bewährte Organisationsstrukturen und Führungsansätze helfen Unternehmen dabei, Prozesse zu optimieren und noch effizienter zu werden. Im schlimmsten Fall werden streng hierarchisch geführte Organisationen jedoch zu hochgradig starren statt zu effizienten Gebilden. Nachvollziehbar also, dass immer mehr Studien und Management-Ratgeber die Abkehr von traditionellen hierarchischen Modellen in Unternehmen prognostizieren. Viele Mitarbeiter in Organisationen wünschen sich vor diesem Hintergrund mehr Verantwortung, wollen aber dennoch Vorgesetzte, die klare Anweisungen erteilen und die wissen, was zu tun ist. Sie wollen alles. Willkommen, liebe Führungskraft, im Zwischenzustand der wechselnden Bewusstseinszustände zwischen dem heutigen und dem zukünftigen Geschäft. Das bewusste Gestalten von Übergängen in Zeiten der digitalen Transformation bedeutet vor diesem Hintergrund, nicht nur die Zukunft schnell erreichen zu wollen, sondern ganz bewusst das Beste der bekannten Welt zu nutzen: Celebrate the present! Wenn Sie Ihre Mitarbeiter und Teams dort abholen, wo sie heute stehen, sie mit bekannten Führungsansätzen ansprechen und sie zugleich mit neuen Denk- und Handlungsweisen vertraut machen, dann stehen die Chancen gut, dass der Wandel
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gelingt. Denn große Organisationen bieten im Idealfall wertvolles über Jahrzehnte aufgebautes Wissen, Ressourcen und Infrastrukturen, sie besitzen eine Zukunft und eine Vergangenheit mit Tradition. Es gilt also, auszuschöpfen, was vorhanden und bewährt ist. ◄
4.2 Wir nutzen die Organisationspyramide 4.2.1 Hierarchie als Effizienzmöglichkeit Hierarchien sind zielführendes Mittel zur Effizienzsteigerung. Dies zeigt allein die Tatsache, dass sich hierarchische Organisationsstrukturen in der industrialisierten Welt über Jahrzehnte hinweg etabliert und weiterentwickelt haben. In diesen hierarchie-zentrierten Strukturen hat sich eine Form der Kommunikation herausgebildet, die den Mustern des Top-down-Führungsstils und der zentralisierten Entscheidungsfindung entspricht. Im Umfeld der Exploitation gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Kommunikation, um Prozesse zu optimieren und eine Mannschaft auf ein gemeinsames großes Ziel auszurichten. Ob Sie Artikel im Intranet, Filme, Podcasts oder ein Mitarbeiter-Event wählen – um eine Strategie in der Organisation auszurollen, ist in der hierarchisch organisierten Welt eine zentral von oben gesteuerte Kommunikation das Mittel der Wahl. Kommunikation dient der Vermittlung strategischer Inhalte, erzeugt Klarheit über Ziele und kann eine Mannschaft und alle wichtigen Stakeholder im Unternehmen zum Handeln bewegen. Es gibt jedoch Rahmenbedingungen, die vorhanden sein müssen, damit ein Hierarchie-zentrierter Kommunikationsstil auch wirklich zum Erfolg führt. Fachkompetenz bei Führungskräften Voraussetzung dafür, dass die zentralistisch organisierte Kommunikation funktioniert ist, dass Führungskräfte an zentraler Stelle wissen, was sie tun. Dieser Weg setzt Fachkompetenz bei den Führenden voraus, denn um klare Handlungsanweisungen zu erteilen, müssen sie den Lösungsweg kennen. Sie müssen wissen, wie sie ihre Mannschaft zum Ziel führen. Dies ist meist in einem eher stabilen Umfeld der kontinuierlichen Verbesserung bestehender Produkte und Prozesse der Fall, wenn auf bereits vorhandenes Wissen aufgebaut werden kann. Es ist dann am ehesten möglich, wenn die Antworten auf Probleme bereits vorliegen und wenn es „nur“ um das Ausrollen detailliert beschriebener Maßnahmen geht. In einem solchen Top-down-Umfeld sind die Prozesse und Zuständigkeiten von Beginn an klar definiert. Die Fäden laufen an einer Stelle zusammen. Der Chef besitzt die Entscheidungsgewalt und kann Entscheidungen entsprechend schnell treffen – vorausgesetzt natürlich er ist entscheidungsfreudig und sich der Richtigkeit und Notwendigkeit seiner Entscheidung sicher. Ist er selbst überzeugt, den richtigen Weg einzuschlagen, wird auch die Mannschaft einfacher motiviert, einer Sache zu folgen.
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„HIERARCHIE ALS EFFIZIENZMÖGLICHKEIT“
Interview mit Prof. Dr. Manfred Aigner, seit 1998 Direktor des Instituts für Verbrennungstechnik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart, ehemals Vice President für Gasturbinenentwicklung beim Schweizer Kraftwerksbauer ABB. Herr Professor Aigner, Sie sind Leiter eines großen Forschungsinstitutes des DLR. Was halten Sie von hierarchiearmen Organisationen und der Arbeit in Netzwerken? Ich halte viel von möglichst flachen Hierarchien und einer Kultur der offenen Türen. Denn eine solche Kultur ist gut für Innovation und fördert Vernetzung und Kreativität bei allen Beteiligten. Wissenschaftliche Forschungseinrichtungen sollten häufig so arbeiten. Die Realität liegt aber nicht in einem Ansatz mit oder ohne Hierarchie, sondern in einer Kombinationen von Beidem. Man sollte Hierarchien also nicht abschaffen? Nein, das wäre nicht zielführend. Denn es hängt immer davon ab, ob die Lösungskonzepte für ein Problem schon vollumfänglich vorliegen oder ob völlig neue Wege gegangen werden müssen. Die meisten erfolgreichen Firmen verfolgen deshalb Kombinationen unterschiedlicher Ansätze. In der Forschungsabteilung sind sie zum Beispiel kreativer und vernetzter tätig, in der Produktion mehr effizient und hierarchieorientiert. In den Bereichen dazwischen muss man von Fall zu Fall entscheiden: Wenn ein Produkt sehr jung ist, wird es mehr auf Kreativität ankommen. Wenn ein Produkt sehr reif ist, wird Effizienz immer wichtiger. Was empfehlen Sie Führungskräften? Man sollte sich als Führungskraft immer fragen, wieviel Innovation und wieviel Effizienz man für eine Aufgabe benötigt. Das ist in einer Forschungsorganisation, in der immer wieder neue Lösungsansätze gesucht werden, ganz anders als beispielsweise in einem Automobilfertigungsbetrieb. Dort geht es um Schnelligkeit und einen ausgeprägten Verdrängungswettbewerb und darum die Kosten bis auf die Cents zu reduzieren. Das bedeutet, dass ich möglichst viel Effizienz erreichen muss. Methoden zur Kreativitätsförderung sind dann sehr gut geeignet, wenn man eine innovative Lösung sucht, d. h. wenn noch niemand auf der Welt das vorliegende Problem bewältigt oder noch nicht auf diese Art und Weise gelöst hat. Dann bringe ich möglichst viele Köpfe und auch Quereinsteiger zusammen, die frei miteinander diskutieren und sich gegenseitig inspirieren können. Dafür brauche ich viel Zeit, aber ich kriege durch dieses Mehr an interaktiver Kommunikation auch die kreativste Lösung. Die schnellste Lösung erhalte ich dagegen von einer streng hierarchischen Organisation. Man muss sich deshalb
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fragen, wann was angebracht ist. Wenn ich die Effizienz steigern und Schnelligkeit erreichen will, dann sind klare Ansagen der beste Weg. Wie gehen Sie dann vor? Wenn es um Effizienz geht, ist bei mir die Top-down-Kommunikation an die Mannschaft ausgeprägt. Klare Ansagen sind aus meiner Erfahrung vor allem dann notwendig und sinnvoll, wenn man als Chef die Lösung genau kennt und es darum geht in kürzester Zeit etwas möglichst effektiv umzusetzen. Dann ‚ordne ich an‘. Wie setzen Sie Ihren Weg durch? Ich gebe dem Team eine Begründung, warum etwas jetzt so sein muss, z. B. aufgrund von Termindruck oder von Beschwerden eines wichtigen Kunden. Wichtig ist die Motivation, damit das Team nicht darüber rätselt, warum es Topdown-Ansagen erhält. Stellen Sie sich eine typische Situation im Industriealltag vor: Eine Firma hat etwas verkauft, was noch nicht fertiggestellt war. Es drohen Strafzahlungen, wir müssen als ‚Feuerwehr‘ aktiv werden und die Firma retten. Dann ist es wichtig, alle möglichst schnell ins Boot zu holen. Ich halte dann eine motivierende Rede und liefere eine Begründung, warum jetzt jeder akzeptieren muss, einfach den Anweisungen zu folgen. Sie wissen als Chef genau was zu tun ist? Das ist die Grundvoraussetzung. Der hierarchische Ansatz geht absolut schief, wenn ich als Chef nicht weiß, was zu tun ist. Bedingung für eine solche Kommunikation der Top-down-Ansagen ist, dass ich die Kompetenz besitze, die Lösung wirklich im Detail zu beschreiben. Wenn ich jedoch die Kompetenz habe und die Lösung wirklich kenne, dann ist das der effektivste Weg. Wie funktioniert das bei einer Mannschaft mit mehreren 100 Leuten? Es funktioniert genauso, aber mit einer Zwischenstruktur. Ich bilde Teams und Gruppen mit Team- und Abteilungsleitern. Schlussendlich baue ich eine Hierarchie auf mit möglichst wenigen Stufen. Dann gibt es klare Ansagen, die von der jeweiligen Ebene darunter weiterverteilt werden. Hierarchien haben sich entwickelt, weil sie effizient sind. Hierarchien sind nicht innovativ, sie sind vielleicht auch nicht immer fair. Aber es sind Effizienzmöglichkeiten. Vielen Dank Herr Professor Aigner für das Gespräch!
Im Interview wird nochmals klar, dass Top-down-Kommunikation nicht in jedem Umfeld funktioniert. Sie setzt eine gewisse Stabilität voraus, das heißt, dass Know-how vorhanden ist und existierende Routinen und Prozesse zur Verfügung stehen.
4.2 Wir nutzen die Organisationspyramide
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Voraussetzungen, die für Top-down-Kommunikation erfüllt sein müssen: • Die Führungskraft besitzt ein hohes Maß an Fachkompetenz und kennt die Lösung und den Weg dorthin. • Die Führungskraft hat eine stichhaltige Begründung für ein Vorgehen. • Die Lösungsansätze zur Bearbeitung des Problems müssen nicht neu erarbeitet werden, sondern sind in der Organisation vorhanden und für die Teams zugänglich. • Die Teams können auf vorhandene Strukturen und Prozesse zugreifen und vorhandene Ressourcen und Routinen der Organisation zur Problemlösung nutzen. Sind diese Mindestanforderungen erfüllt, können Sie verschiedene Handlungsoptionen der Top-down-Kommunikation nutzen, um Commitment, Effizienz und Schnelligkeit in der Organisation zu erzielen.
4.2.2 Kommunikation für die Effizienz-getriebene Organisation Wie genau tritt nun Kommunikation in hierarchisch organisierten Strukturen in Erscheinung? Welche grundsätzlichen Formen sollten Sie als Führungskraft kennen? In seinem erstmals 1947 erschienenen Standardwerk zum Administrativen Verhalten von Organisationen definiert der amerikanische Organisationsforscher Herbert Simon Kommunikation als konstitutives Element von Organisation: Es sei offensichtlich, dass ohne Kommunikation keine Organisation existieren könne, da es keine Möglichkeit der Gruppe gebe, den Einzelnen zu beeinflussen [10]. Simon beschreibt Kommunikation als einen Prozess zur Übertragung von Entscheidungen von einem Organisationsmitglied zum anderen. Entscheidungen können zentral oder dezentral getroffen, auf formellem oder informellem Weg übermittelt und von oben nach unten, von unten nach oben oder quer durch das Unternehmen getragen werden. Diese einfache Unterscheidung in drei grundsätzliche Erscheinungsformen ist heute immer noch aktuell und hilfreich, wenn Sie als Führungskraft Ihre eigene Kommunikation in einem Hierarchie-zentrierten Umfeld ausgestalten wollen. Betrachten Sie also Ihre Kommunikationsaktivitäten zunächst in Hinblick auf 1. die Richtung der Informationsübertragung (Bottom-up/Top-down), 2. den Formalisierungsgrad (formell/informell) und 3. das zugrunde liegende Steuerungsmodell (zentral/dezentral). Sender-Empfänger-Prinzip Zur Erklärung der Kommunikation zur effizienten, schnellen Verteilung von Information in einem Hierarchie-zentrierten Umfeld hilft ein Blick auf das technisch-orientierte lineare Sender-Empfänger-Modell. Der bei einer Telefongesellschaft angestellte
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amerikanische Mathematiker Claude Shannon hat das bis heute viel zitierte Kommunikationsmodell im Jahr 1948 erstmals zur Beschreibung des Informationsaustausches zwischen zwei Systemen im Umfeld der Nachrichtentechnik vorgestellt [11]. Das lineare Modell beschreibt die Idee eines zentralen Senders, der eine zu übertragende Information besitzt und diese mithilfe eines Übertragungskanals – bei Shannon bevorzugt ein schnurgebundenes Telefon – an einen Empfänger übermittelt. Übertragen wir dieses Modell auf den Unternehmenskontext, so handelt es sich beim Prozess der Informationsübertragung mehr oder weniger um eine Einbahnstraße der Kommunikation von den oberen Hierarchie-Ebenen zu den Mitarbeitern. Vernachlässigt werden dabei Effekte, die durch soziale Interaktion von Menschen entstehen können und zum Beispiel dazu führen können, dass Inhalte sich verändern können, neue Inhalte dazukommen. Vernachlässigt wird in diesem Ansatz auch, dass Emotionen und Befindlichkeiten oft eine wesentliche Rolle im Kommunikationsprozess spielen. Dieser Ansatz ist rein auf die Weitergabe und den Austausch von Information konzentriert – ein Verständnis das jedoch gerade in streng hierarchisch geführten Organisationen vorherrscht. Hier weist Kommunikation dem Modell entsprechend vor allem drei Ausprägungen auf: 1. Top-down ablaufende Informationsverteilung 2. Formelle, offiziell geplante Kommunikationsaktivitäten 3. Von zentraler Stelle gesteuerte, Hierarchie-zentrierte Kommunikation 1. Top-down-Kommunikation Top-down-Kommunikation beschreibt die Richtung der Informationsverteilung. Information wird nicht von unten nach oben oder quer durch das Unternehmen getragen, sondern von oben über die Hierarchie-Ebenen nach unten kontrolliert an die Mitarbeiter verteilt. Das obere Management leitet die zu kommunizierenden Inhalte aus einer Strategie ab und identifiziert die wesentlichen Botschaften und Handlungsanweisungen. Die Informationen werden dann, beispielsweise vom Vorstand oder den Führungskräften, direkt und oder indirekt über die Kanäle der Unternehmenskommunikation nach unten an die Mitarbeiter verteilt. Entsprechend ihrer Hierarchie-Stufe und je nach Thema sind Führungskräfte an der Definition der Inhalte beteiligt oder aber zur Weitergabe strategierelevanter Informationen aus der Ebene über ihnen aufgerufen. Sie können als Führungskraft diesen Weg der Kommunikation einsetzen, um einen klaren Rahmen für ein Vorhaben zu vermitteln, Informationen zu verteilen, Wissensstände zu synchronisieren und Ihre internen Stakeholder auf den gleichen Stand zu bringen. Top-down-Kommunikation dient der Integration aller Stakeholder und der Legitimation eines Vorhabens. Wenn eine Botschaft von „oben“ kommt, verstehen alle Mitarbeiter im Unternehmen, dass das Management dahinter steht (Abb. 4.2).
4.2 Wir nutzen die Organisationspyramide
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Abb. 4.2 Top-down-Kommunikation: Von der Spitze mit Geschwindigkeit nach unten
2. Zentral gesteuerte Kommunikation Zusätzlich zu der Richtung der Informationsverteilung – von oben nach unten – ist es entscheidend für den Erfolg der Informationsverteilung, an welcher Stelle die Fäden zusammenlaufen. Denn dort herrscht wahrgenommene Macht. Diese Art von Kommunikation richtet sich von einer Stelle mit Entscheidungsgewalt an eine größere Empfängergruppe der Umsetzer bis hin an die breite Masse aller Mitarbeiter. Kommt eine Botschaft von zentraler Stelle, sprich von zentralen einflussreichen Instanzen wie der Geschäftsleitung, dem Vorstand oder oberen Führungskräften, so wird sie von den Empfängern als besonders bedeutsam empfunden. Und das können Sie nutzen. Wenn Sie diesen Weg wählen – vorausgesetzt bei Ihnen laufen die Fäden auch wirklich zusammen – leiten Sie die Inhalte aus Ihrer Strategie ab und geben in der Rolle des Entscheidungsträgers die relevanten Informationen an Ihre Mitarbeiter heraus. Alternativ finden Sie einen Entscheidungsträger in den höheren Ebenen, der Ihre strategisch relevanten Inhalte transportiert. Die Inhalte werden dann über die Hierarchieebenen mithilfe vorhandener Kommunikationskanäle in die Breite des Unternehmens getragen. Diese vermittelnde Kommunikation läuft entweder über die Kampagnen, Medien und Kanäle der Unternehmenskommunikation oder es wird durch das obere Management, zum Beispiel bei großen Mitarbeiterveranstaltungen, direkt kommuniziert. Zentral gesteuerte Kommunikation nutzt dabei Kommunikationskaskaden bis hin zu den einzelnen Mitarbeitern.
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3. Formelle Kommunikation Kommunikation die Top-down und zentral von Vorstand oder dem oberen Management ausgeht, ist in den meisten Fällen hochgradig formell, durchgeplant und strategisch relevant. Zur Weitergabe wichtiger Informationen werden häufig die offiziell etablierten Kanäle der internen Unternehmenskommunikation genutzt. Die Kommunikation ist durchorganisiert, der Empfängerkreis akribisch definiert. Zufall und informelle Kommunikation sind Störgrößen im Prozess der Informationsübertragung, die es möglichst zu eliminieren gilt. Formelle Kommunikation ist meist unpersönlich von einigen wenigen Personen an die breite Masse. Je nach Größe des Empfängerkreises werden Informationen medial übertragen. Beispiele für formelle Kommunikation sind Intranet-Meldungen vom Vorstand, offizielle Mitarbeiter-Veranstaltungen oder Informationen im Mitarbeitermagazin. Formelle Kommunikation beschreibt genauso auch Kommunikation im Unternehmensalltag, z. B. protokollierte Steuerkreissitzungen, Standard-Reportings und offizielle protokollierte Projekt-Treffen. Formalisiert bedeutet geplant, beabsichtigt und als offizieller Kommunikationskanal (Nicht Flurfunk!) anerkannt. Sie schaffen Tatsachen Stichwort Flurfunk: Über den hier beschriebenen zentralisierten, formalisierten Top-down-Ansatz hinaus findet natürlich weitaus umfangreichere (vielleicht auch weitaus wichtigere) informelle Kommunikation auf allen Unternehmensebenen statt. Der Flurfunk wird immer stärker, je weniger ein Unternehmen transparent kommuniziert. Über die offizielle, möglichst transparente und zeitnahe Vermittlung wichtiger strategischer Botschaften können Sie diesen meist informell stattfindenden Meinungsbildungsprozess im Unternehmen jedoch steuern und verändern. Sie können durch Ihre offizielle Kommunikation dazu beitragen, dass Informationen schnell durch die Organisation getragen und neue Themen schnell und mit dem passenden Kontext zum Gesprächsthema werden. Sie können Ziele schnell vermitteln und Effizienz und Schnelligkeit in der Umsetzung bei den adressierten Zielgruppen erwirken. Und Sie können dafür sorgen, dass ein bislang noch nicht bekanntes Thema in kürzester Zeit an offizieller Bedeutung gewinnt. Wenn Sie diesen offiziellen Weg nutzen, ist damit jedoch ein umfangreicher Vorbereitungs- und Abstimmungsprozess verbunden. Denn erst wenn alle relevanten Stakeholder ihr OK gegeben haben, wenn wirklich alle Entscheider abgeholt und einverstanden sind, können Sie den Kommunikationsprozess in Gang setzen. Je wichtiger eine Botschaft und je höher in der Hierarchie ein Thema angesiedelt ist, desto aufwendiger ist die Vorbereitung der Informationsübertragung in die Organisation. Während Sie auf informellem Wege innerhalb von Sekunden eine Botschaft auf den Flur geschickt haben, sollten Sie für die Abstimmung eines Zehnzeilers mehrere Tage bis hin zu Wochen einplanen. Dafür schaffen Sie dann auch Fakten – im Gegensatz zu einem unbestätigten Gerücht.
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Zusammenfassung: Top-down, formell und zentralisiert
Hierarchien können zielführendes Mittel zur Effizienzsteigerung sein. Das zeigt die Tatsache, dass sich hierarchische Organisationsstrukturen über Jahrzehnte hinweg erfolgreich entwickelt haben. In Hierarchie-zentrierten Strukturen hat sich auch ein eigener Kommunikations- und Führungsstil herausgebildet. Er entspricht den Mustern der transaktionsorientierten Top-down-Führung und der zentralisierten Entscheidungsfindung. Ob Artikel im Intranet, Blogbeiträge aus dem Vorstand oder Mitarbeiter-Events – um eine Strategie in der Organisation auszurollen, ist in der Effizienz-getriebenen Welt zentral durch die oberen Führungskräfte gesteuerte Kommunikation das Mittel der Wahl. Sie dient der Vermittlung strategischer Inhalte, erzeugt Klarheit über Ziele und kann eine Mannschaft im Unternehmen zum Handeln bewegen. Vorausgesetzt, die Führungskräfte besitzen ein hohes Maß an Fachkompetenz. Damit ein Hierarchie-zentrierter Kommunikationsstil zum Erfolg führt, müssen Führungskräfte wissen, was sie tun. Sie sind in der Lage, den eingeschlagenen Weg zu begründen und stellen zur Lösung von übertragenen Aufgaben vorhandene Ressourcen, Kompetenzen, Infrastrukturen und Prozesse bereit, auf die die Teams zugreifen können. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können Informationen wie in einem Wasserfall über die Hierarchie-Stufen nach dem linearen Sender-Empfänger-Modell schnell und effizient an die Mitarbeiter verteilt werden. Zur Ausgestaltung von Kommunikation in einem Hierarchie-zentrierten Umfeld ist die Unterscheidung in drei grundsätzliche Erscheinungsformen hilfreich. Kommunikation tritt erstens als Top-down ablaufende Informationsverteilung auf. Sie ist zweitens formell und offiziell geplant und wird drittens von zentraler oberer Stelle gesteuert. ◄
4.3 Die Handlungsoptionen 4.3.1 Der gemeinsame Nenner Was erreichen Sie nun, wenn Sie den offiziellen Kommunikationsweg einschlagen? Welche Absichten können Sie auf diesem Weg verfolgen? Der hier beschriebene Hierarchie-zentrierte Stil betrachtet die Mitglieder eines Unternehmens vor dem Hintergrund ihres gemeinsamen Ziels. Es geht darum, mit Erfolg und absoluter Zielsicherheit eine gemeinsame Leistung zu erbringen. Diese Art der Kommunikation ist gerade auch in Krisenzeiten absolut elementar, wenn es darum geht die gesamte Organisation schnell mit denselben Informationen zu versorgen, sie neu auszurichten und in kürzester Zeit zu synchronisiertem Handeln zu bewegen (vgl. Kap. 6). Schauen wir also etwas genauer darauf, was Sie mit einer durchgeplanten, durchorganisierten und von zentraler Stelle gesteuerten Top-down-Kommunikation bewirken können.
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Stakeholder für eine Strategie gewinnen Wenn Sie die Absicht verfolgen, Ihre Stakeholder auf Ihre Reise mitzunehmen, Commitment von ihnen zu erhalten, sie zu motivieren und für die Umsetzung einer Strategie zu gewinnen, dann hilft Ihnen eine bewusst gesteuerte, gut organisierte Kommunikation. Denn als zentraler Multiplikator in der Kommunikation mit den Mitarbeitern haben Sie unmittelbaren Einfluss. Sie verbinden die Hierarchie-Ebenen und Sie sind Informationsvermittler und Übersetzer [12]. Zentral gesteuerte Kommunikation dient zunächst der Vermittlung wichtiger Information. Sie muss absolute Klarheit über ein Vorhaben erzeugen, um ein Team bzw. die Stakeholder im Unternehmen zur Umsetzung bewegen. Wenn Sie ein großes Vorhaben, bei dem Sie viele Menschen brauchen, zum Erfolg führen wollen, können Sie als Führungskraft diesen Weg nutzen, um einen klaren Rahmen und Kontext für eine Strategie zu vermitteln, Wissensstände zu synchronisieren und den Beitrag des Einzelnen zur Strategie zu erklären. Ihre Kommunikation geht dann Top-down von oben aus. Sie nimmt formelle, geplante und organisierte Formen an, ist z. B. als Veranstaltung organisiert oder erscheint, wenn an die anonyme Breite der Belegschaft gerichtet, in Artikeln im Intranet oder in Mitarbeitermagazinen. Die Dialog-Form von Kommunikation mit Rückkanal ist dabei höchstens angedeutet, aber wenig ausgeprägt. Es wird „gesendet“. Homogenität statt Heterogenität Während Sie in Kreativprozessen mithilfe von Kommunikationsinstrumenten gerade die Vielfalt der Stimmen und Meinungen in einer Gruppe erhalten möchten (vgl. Kap. 3), wollen Sie mit Top-down-Kommunikation zur Strategie-Implementierung absolute Einstimmigkeit: One company, one voice. Damit Sie Ihre Stakeholder auf ein gemeinsames Ziel einschwören können, ist durchgeplante, von zentraler Stelle initiierte Kommunikation die Voraussetzung. Nur durch aktive Informationsvermittlung, die keine Fragen offen lässt, können Sie Teams und Mitarbeiter in Hinblick auf Wissen und strategische Ziele auf einen gemeinsamen Nenner bringen [13]. Sie können informieren, für eine Sache gewinnen und auf ein entsprechendes Vorgehen einschwören. Mithilfe Ihrer Kommunikation liefern Sie eine Begründung für eine Vorgehensweise und erzielen Verständnis bei Ihrer Zielgruppe. Sie können dazu den Beitrag jedes einzelnen Mitarbeiters herausstellen und erklären, wie sehr sein Einsatz zum Gelingen der Sache beitragen wird. Legitimation Um einem Vorhaben im Unternehmen den notwendigen offiziellen Charakter zu verleihen und die Organisation wirklich in Bewegung zu versetzen, ist Geschlossenheit im Management ein wichtiges Signal. Nur wenn Sie klar von oben aussenden, dass die Führungsebene geschlossen hinter einer Sache steht, schaffen Sie Vertrauen und legitimieren damit Ihr Vorhaben. Ihre Zuhörer/Empfänger der Nachricht nehmen dann wahr, dass das Management sich einig ist. Also muss etwas daran sein. Um Legitimation
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zu erreichen, ist es wichtig, dass Sie das Management möglichst für alle sichtbar hinter Ihrem Vorhaben versammeln. Unterschätzen Sie nicht die Wirkung, die ein grundlos fehlender Vorstand auf einer Veranstaltung hat, auf der alle anderen Vorstandsressorts vertreten sind. Wie sollen sich die Mitarbeiter und Teams in seinem Bereich verhalten? Was ist die Botschaft? Steht er nicht dahinter? Legitimation erzielen Sie durch Geschlossenheit. Es ist eine zentrale Säule Ihres Kommunikationserfolgs. Vertrauen und Verständnis Wenn Sie alle Entscheider für die Kommunikation an Bord haben, reicht dies allein noch nicht aus. Um zu „folgen“ und ein Vorhaben wirklich aktiv zu unterstützen, müssen Teams verstehen, warum etwas getan wird. So einfach und klar dies klingt, so häufig wird vergessen, eine stichhaltige Begründung und ein klares Visionsbild für etwas zu liefern. Wird dies vergessen, verlieren Sie mit Sicherheit einen Großteil der Mannschaft. Wenn Sie Menschen dazu zu bewegen wollen, Ihrer Aufforderung nachzukommen, ist es erfolgsentscheidend zu erklären, warum etwas getan werden muss und was das Ziel dahinter ist. Erst wenn jeder einzelne das Vorhaben auch wirklich nachvollziehen kann, können Sie mit Unterstützung rechnen. Commitment Verständnis erzielen Sie insbesondere dann, wenn Sie sich in die Perspektive der einzelnen Teams und beteiligten Personen versetzen und ihren jeweiligen Beitrag hervorheben. Dies motiviert nicht nur, sondern macht eine große Sache plötzlich für jeden greifbar. Wenn Sie klar aus Ihrer Strategie ableiten, was der einzelne Wertbeitrag ist, ist dies zugleich eine Wertschätzung aller Beteiligten und motiviert zur Teilnahme. Ihre Kommunikation führt dann zum Erfolg, wenn es gelingt, die Beteiligten so hinter eine Sache zu stellen, dass jeder sich im Idealfall in irgendeiner Form darin wiederfinden und dafür begeistern kann. Effizienz steigern und Ressourcen gewinnen Durch Ihre Kommunikation erwirken Sie dabei nicht nur Commitment und Motivation innerhalb eines Projektteams oder einer Gruppe von Mitarbeitern. Kommunikation kann darüber hinaus die Interessen aller relevanten Stakeholder im Unternehmen auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Sie ist erfolgsentscheidend, um weitere Ressourcen für ein Vorhaben zu gewinnen und wird zur Priorisierung Ihres Themas an unterschiedlichen Stellen im Unternehmen beitragen. Mit Top-down Kommunikation können Sie für die Handlungen des Unternehmens werben, aufklären und Begeisterung für eine Sache wecken. Sie können die Bereitschaft steigern, dass ein Projekt proaktiv unterstützt wird. Denn je mehr Menschen von einem Vorhaben überzeugt sind, desto größer die Chance, dass es gelingt. Auf der Ebene einzelner Maßnahmen kann Top-down Kommunikation dazu beitragen, einem Projekt zum Erfolg verhelfen, in dem sie die Synchronisation aller Beteiligten ermöglicht. Fehlerquellen werden durch frühzeitige Weitergabe von
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Informationen eliminiert, der Prozess wird durch Kommunikation optimiert. In Krisenzeiten ist die zentral durch das Top-Management gesteuerte Kommunikation sogar überlebensnotwendig.
4.3.2 Mit Hochgeschwindigkeit zum Ziel: Kommunikation wird durchorganisiert Sind die strategischen Ziele und Maßnahmen definiert und ist Ihre Absicht klar, warum Sie kommunizieren wollen, gilt es die richtigen Zielgruppen im Unternehmen mit den strategischen Botschaften zu adressieren. Je nachdem, wen Sie im Unternehmen erreichen möchten – alle Mitarbeiter, ein Projektteam, nur die Führungskräfte, alle Vertriebsgesellschaften – kommen dabei unterschiedliche Medien und Kanäle der Kommunikation infrage. Jetzt steht die straffe Planung und Organisation von Kommunikation und die Kaskadierung der Informationsübertragung im Vordergrund. Die hierfür notwendigen Prozesse und Maßnahmen sind in den meisten großen Unternehmen etabliert und können von Führungskräften aktiv genutzt werden. Beschrieben werden im folgenden Abschnitt die Top 5 der wirkungsvollsten Medien und Kanäle, die sich in der Praxis bei der Strategie-Implementierung und Generierung von Öffentlichkeit und Commitment bei relevanten Stakeholder-Gruppen bewährt haben. Die Top 5 der internen Kommunikation: 1. Interne Veranstaltungen/ Town-Hall-Meetings/ Mitarbeiter-Events (physisch/virtuell) 2. Intranet-Artikel/ Videobotschaften/ Beiträge im Mitarbeiter-Magazin 3. Klassische Printmedien/ Flyer 4. Soziale Medien: Podcasts, Posts, Blogbeiträge, Beiträge in Communities 5. Offizielles Reporting/ Gremien-/ Steuerkreis-Sitzungen mit Protokoll Der erfolgreiche Einsatz dieser Top 5 setzt natürlich voraus, dass Ihre Stakeholder sich innerhalb des Unternehmens befinden und auf die internen Kommunikationsmittel zugreifen können. Ist dies der Fall, sind Sie mit den fünf wichtigsten Kommunikationsmöglichkeiten im Alltag gut versorgt. Um Nachhaltigkeit in Ihre Kommunikation zu bringen und da einmaliges Senden in der Informationsflut meistens untergeht, nutzen Sie im Idealfall eine Kombination der im Folgenden beschriebenen Optionen.
4.3.2.1 Veranstaltungen Für Führungskräfte eignen sich interne Veranstaltung en als Kommunikationsmittel dann, wenn Sie möglichst viele Menschen auf einmal erreichen und zugleich eine persönliche Atmosphäre transportieren wollen. Sind Sie Vortragender oder gar Gastgeber bei einem solchen Event, sollten Sie sich darauf konzentrieren, das Publikum für Ihre Mission zu gewinnen.
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Was machbar klingt, ist in der Realität jedoch gar nicht so einfach: Denn häufig sind Informationsveranstaltungen für Mitarbeiter viel zu lang. Oder sie finden zu später Stunde statt oder in einem viel zu konventionellen Format. Sprich, eine Power-Point-Präsentation folgt der anderen. Es wird frontal gesendet. Spätestens nach dem zwölften Vortrag sind die Zuschauer müde. Informationen wurden bereits im Überfluss verteilt. Im schlimmsten Fall sind Sie jetzt noch der letzte Sprecher kurz vor der Eröffnung des Buffets oder der erste Redner direkt nach der Mittagspause. Hunger oder Sattheit der Teilnehmer ziehen Ihnen jetzt vermutlich den letzten Funken Aufmerksamkeit ab. Begeisterung als roter Faden Jetzt haben Sie die Aufgabe, die Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer für ein paar Minuten zurückzuholen und sie zu begeistern. Und begeistern können Sie, wenn Sie selbst von einer Sache angetan sind. In der Vorbereitung einer Rede für die Mitarbeiter – und sei das Thema noch so trocken – empfiehlt es sich deshalb, dass Sie sich selbst zunächst die Frage stellen, was Sie ganz persönlich an dem Thema begeistert. Die Vorbereitungsfrage Was motiviert Sie, für diese Sache einzustehen? Was finden Sie toll an Ihrem Thema? Warum stehen Sie ausgerechnet für dieses Thema vorne? Man findet bei dieser Vorbereitungsfrage übrigens immer eine Antwort. Aus Erfahrung gibt es doch an jedem Vorhaben irgendetwas Bemerkenswertes. Wenn Sie diese erste Frage geklärt haben, haben Sie schon 50 % der Vorbereitungsleistung erbracht. Denn das strahlen Sie aus. Zweitens hilft Ihnen die Frage dabei, Ihre zentrale Botschaft freizulegen. Das, was Sie begeistert, sollte zum roten Faden werden. Die eigene Begeisterung und Motivation herauszufinden, ist leicht, wenn es sich um ein spannendes neues Thema handelt oder eine neue Super-Strategie. Es ist manchmal fast hoffnungslos schwer, wenn Sie sich in einer Krisensituation befinden. Wenn Sie sich jetzt nicht motivieren können, wie sollte das Ihren Mitarbeitern gelingen? Suchen Sie nach Ihrem Motiv, jetzt weiter zu machen. Gerade eine Krisensituation kann über alle Maßen zusammenschweißen – ein vorweggenommener Erfolg oder Sieg so sehr begeistern, dass Sie alle Zuhörer auf Ihre Seite bekommen. Es gibt immer einen Aspekt, der Sie begeistern wird. Das Prinzip ist bemerkenswert einfach: Sind Sie begeistert, sind es Ihre Zuhörer. Sie aktivieren damit Ihre Zuhörer zum Mitmachen. Die Begeisterung und Motivation, die Sie aussenden, kehrt in jedem Fall zu Ihnen zurück. Setting the Stage Sind Sie nicht nur Vortragender sondern selbst Initiator einer Veranstaltung, dann ist der Aufwand groß, aber Sie haben die Wirkung noch stärker in der Hand. Welches Wesen, welchen Charakter wird Ihr Event besitzen? Wird es die Teilnehmer ermüden oder anzünden? Wird eine Welle der Müdigkeit oder Begeisterung durch den Raum wandern?
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Wollen Sie Funken versprühen, ja vielleicht Kampfgeist wecken? Wollen Sie Ihre Gäste für eine Sache gewinnen? Ja, Ihre Gäste, denn Sie sind Gastgeber. Wie bei jeder Party zu Hause, geht es um „Setting the Stage“. Gastgeber setzen Maßstäbe. Gastgeber sind dafür verantwortlich, welche Stimmung auf einer Veranstaltung vorherrscht. Gastgeber können beeinflussen, mit welcher Stimmung Menschen einen Raum wieder verlassen werden. Dieser Verantwortung sind sich die Organisatoren von Mitarbeiter-Events häufig nicht umfassend bewusst. Doch genau dies sind die zweiten 50 % Ihres Einsatzes. Wenn Sie etwas von Ihren Mitarbeitern wollen, dann geht es in den 50 bis 150 min (oder mehr) einer Veranstaltung darum, dass die Anwesenden sich gut fühlen. Dass sie auftanken können und dass sie eingeschworen werden auf Ihr gemeinsames Ziel. Sparen Sie nicht an dieser Veranstaltung. Und fehlt es an Budget, dann reichen auch originelle Details. Nur sparen Sie nicht. Investieren Sie. Wenn die Gäste merken, dass sie Ihnen wichtig sind, dann können Sie in aller Ruhe Ihre Botschaft senden und werden auch danach Commitment erhalten. Denn war ein Event überraschend gut, spricht sich das wie ein Lauffeuer herum. In der Pressearbeit gibt es ein einfaches Grundgesetz. Eine Pressekonferenz (und hier wird gesendet!) beginnt nicht ohne Catering. Ob Brezel, Kaffee oder Fingerfood – leicht gesättigt und glücklich sind Ihre Gäste anders gestimmt. Kümmern Sie sich um sie, pflegen Sie sie. Das kann im besten Fall ein kleiner Empfang mit Imbiss zur Einstimmung auf ein Thema sein, das können bei knappem Budget auch Worte sein, die willkommen heißen. Wenn der Kunde bei Ihnen König ist, dann sollte bei einem Mitarbeiter-Event auch der Mitarbeiter bei Ihnen König sein. Wie fühlen sich Ihre Gäste? Wenn Sie jetzt ein Programm so planen, dass Sie den Mitarbeiter als Ihren Gast behandeln, den Sie für sich gewinnen möchten, dann haben Sie die weiteren 50 %. Ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender einer großen Bank sagte einmal in einem Interview: „People never remember what you tell them. They always remember how you made them feel“. Das ist das Mantra für die Organisation Ihrer Veranstaltung. Wenn Sie diesen Satz berücksichtigen, stehen die Chancen gut, dass Sie die Menschen für Ihre Sache gewinnen. Wenn Sie einen solchen Rahmen aufbauen, dann können Sie Ihre Botschaft „senden“. Und Sie werden sehen, es funktioniert. Sie sind Gastgeber Leider wird genau dieses Element des „Gastgeber-Seins“ häufig katastrophal vernachlässigt. Eine dreistündige Mitarbeiter-Veranstaltung beginnt und nach wenigen Minuten ist schon klar, dass die Anwesenden nicht auf Empfang stellen werden. Wofür die Hunderte an Power-Point-Folien, die Sie und die teilnehmenden Redner vorbereitet haben? Wofür die Vorstände, die Sie vielleicht eingeladen haben? Das einfache Sender-Empfänger-Modell nach Shannon [11] bedeutet, dass Sie sich auch um den Empfänger kümmern müssen. Ist er nicht richtig eingestellt, ist der ganze Aufwand umsonst.
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Das ist hart, aber es ist genau der Effekt, den viele Organisatoren interner Veranstaltungen erzielen. Strahlt Ihre Veranstaltung aus, dass sie „nur intern und nicht so wichtig“ ist, dann können Sie sich den gesamten Aufwand sparen. Rechnen Sie durch, was eine dreistündige interne Veranstaltung (inklusive der Vorbereitungszeit endlos langer Power Point Präsentationen) vor Ihrem obersten Führungskreis kostet. Nehmen wir an, es handelt sich um 50 Führungskräfte, dazu die Vorstände und leitenden Angestellten. Diese einfache Rechenübung MUSS eine auf Kosteneffizienz und Marktführerschaft geeichte Organisation dazu anhalten, diese drei Stunden bestmöglich zu nutzen. Formen von Veranstaltungen sind • (Groß-)Veranstaltungen mit Vorstand und Top-Management zur Strategievermittlung (Town-Hall-Meeting, Führungskräfte-Veranstaltungen) • Informationsveranstaltungen/ Marktplätze • Kick-Off-Veranstaltungen z. B. für große Projekte oder Innovationsvorhaben • Meilensteinveranstaltungen, wenn Sie ein Zwischenziel erreicht haben • Die Eröffnungsveranstaltung, z. B. wenn Sie neue Räumlichkeiten einweihen • Einschwör-Veranstaltungen: z. B. vor einer großen Messe oder einem wichtigen Ereignis Wenn die wichtigsten Elemente von Veranstaltungen zusammengefasst werden sollten, dann ist es erstens der rote Faden der Begeisterung und Motivation. Dann ist es zweitens das Einnehmen der Rolle des Gastgebers. Und es ist drittens der Fokus auf das Wohlgefühl der Gäste. Mit Veranstaltungen erreichen Sie dabei vor allem größere Gruppen. Sie eignen sich sehr gut, um Vision, Mission, Strategie einer Organisation oder eines Projektes zu vermitteln und alle Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Das persönliche Erscheinen von oberen Führungskräften verleiht einer Veranstaltung und Botschaft Gewicht. Was dort gesendet wird, hat über ein Event hinaus Strahlkraft. Denn sind Veranstaltungen vorüber, können diese auch im Nachhinein noch über Wochen und Monate Wogen schlagen. Gesetzt den Fall, Sie helfen ein wenig nach…
4.3.2.2 Intranet-Artikel/ Videobotschaften/ Beiträge im MitarbeiterMagazin Der Nachbericht im Intranet über ein großes Mitarbeiter-Event kann die Meinung über das stattgefundene Ereignis nachhaltig prägen. Ein solcher Bericht ist durchaus aufwendig, ja. Sie müssen einen Autor organisieren, Stimmen und Impressionen einfangen, einen Fotografen bestellen oder vielleicht sogar selbst den Bericht verfassen. Je nach Anzahl und Wichtigkeit der Beteiligten haben Sie aufwendige Abstimmungsprozesse. Aber das ist gut investierte Zeit. Denn die durch einen einfachen Bericht initiierte gute Stimmung in der Belegschaft zu einem Thema wird Ihnen für Ihr Vorhaben neuen Spielraum verschaffen. Raum, den Sie für das Durchsetzen Ihres Themas vielleicht sogar dringend benötigen.
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Denn bedenken Sie, dass gerade Beiträge im Intranet meist weltweit und zeitnah gelesen werden. Sie können Themen positiv aufladen und dafür sorgen, dass überall in den Ländern Ihrer Organisation die gleiche Botschaft vorliegt. Intranet-Artikel oder Videobotschaften an alle eignen sich dabei sowohl zur einmaligen Information als auch zur Organisation einer Informationskampagne. Sie können zu Ihrem Thema einmalig informieren: „Person X, Y übernimmt eine neue Funktion Z“, „Landesgesellschaft A feierte 50. Geburtstag“. Sie berichten wiederkehrend über Fortschritte im Projekt: „Lang ersehnt: A-Team eröffnet neues Zukunftslabor“. Oder Sie begleiten akute Ausnahmesituationen wie Krisen (vgl. Kap. 6) durch regelmäßige persönliche Botschaften der Geschäftsleitung. Was hier steht, ist offiziell Die Mühe, solche Beiträge zu erstellen, lohnt sich dabei aus einem weiteren ganz einfachen Grund: Was im Intranet erscheint, ist offiziell. Jeder weiß, dass die hier veröffentlichten Botschaften durch die offiziellen Mühlen der Unternehmenskommunikation gedreht wurden. Was hier zu lesen ist, ist legitimiert und wird (von nun an) als offizielles Thema akzeptiert. Je nachdem, welches Mittel Sie wählen, erreichen Sie unterschiedliche Wirkungen beim Leser. Eine offizielle Botschaft des Vorstandes, ein Aushang oder eine kurze Nachricht kann eher der Informationsverteilung dienen. Ein umfangreich bebilderter Bericht kann Emotion und Stimmung transportieren. Wählen Sie bewusst aus. Wenn Sie die Zielgruppe „alle Mitarbeiter“ oder „das gesamte Unternehmen“ erreichen wollen, sind Beiträge im Intranet oder offizielle Verlautbarungen zielführend. Damit streuen Sie Informationen in die Breite und können sicherstellen, dass das Unternehmen gesamthaft den gleichen Kenntnisstand erhält. Ebenso eignen sich hierfür Berichte im klassischen Mitarbeiter-Magazin von Unternehmen. Ein Beitrag in der offiziellen internen Publikation eines Unternehmens, ganz gleich ob in der Print- oder Online-Ausgabe, wird von den Mitarbeitern als offizielles Statement des Unternehmens wahrgenommen. Ergattern Sie einen Platz auf den raren Seiten der Print-Ausgabe, so ist das der Ritterschlag der internen Kommunikation. Denn was hier steht, ist offiziell anerkannt. Es wird in großen Unternehmen sogar in x Sprachen übersetzt und weltweit verteilt und kann nicht mehr einfach aus dem Firmenbewusstsein gelöscht werden. Im Zweifelsfall bahnt sich ein Magazin auch seinen Weg über die Unternehmensgrenze hinaus. Die hier veröffentlichten Informationen werden deshalb mehrfach abgestimmt und von einer zentralen Stelle, häufig vom Vorstand persönlich, zur Veröffentlichung freigegeben. Um im Mitarbeitermagazin zu erscheinen, arbeiten Sie eng mit der Unternehmenskommunikation zusammen. Hierbei können Sie sich beraten lassen und auf die Expertise der hauseigenen PR-Spezialisten und deren Agenturen hoffen. Ein solcher Beitrag ist ein aufwendiger Prozess, aber absolut empfehlenswert, um einem Thema Bedeutung zu verleihen, es voranzutreiben und Unterstützung von vielen Seiten zu generieren.
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Im Vergleich zu Hochglanzbroschüren werden Mitarbeitermagazine meist flächendeckend verteilt. Hier erreichen Sie wirklich „alle“ bis über die Unternehmensgrenzen hinaus. Entsprechend müssen die Botschaften neutral genug sein und keine streng vertraulichen Firmeninterna beinhalten.
4.3.2.3 Klassische Printmedien Klassische Printmedien sterben aus. Alles ist inzwischen Online. Wenn dann allerdings doch einmal ein Magazin, eine Broschüre oder ein Flyer erscheinen, gewinnen diese in der heutigen Welt schon wieder an Gewicht. Warum nicht diesen altmodischen Kanal zur Differenzierung nutzen, wenn alle Welt im Internet ist? Ein gedrucktes gut gemachtes Medium hebt sich ab. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht antiquiert wirken mag: Liegt zu einem Thema ein Flyer in der Kantine aus, greift man beim Essen schnell mal zu. Wird ein Projekt in einer Hochglanzbroschüre vorgestellt, so verleiht dies der Sache Wertigkeit. Flyer, Broschüren, Magazine, Bücher: Der Druck auf Papier ist eine kostspielige Sache. Informationen in Printprodukten sind in langer Vorbereitungszeit entstanden, die Inhalte müssen über einen langen Zeitraum „halten“. Sie sind x-fach abgestimmt und durchgelesen, x-mal freigegeben, hochwertig gedruckt, vielleicht mit aufwendigen Fotografien bestückt. Spendiert ein Unternehmen dieses Geld, so muss ein Thema wichtig sein. Diesen Effekt können Sie auch zur Aufwertung Ihres Vorhabens nutzen. In Hinblick auf die Zielgruppe sind Sie hier allerdings eingeschränkt. Hochwertige Printpublikationen werden meist nur einem begrenzten Adressatenkreis zur Verfügung gestellt. Sie müssen also vorab genau definieren, wen es mit einem Printprodukt mit welcher Botschaft zu erreichen gilt. 4.3.2.4 Soziale Medien und Communities So wie im privaten Leben Instagram, Whatsapp und Co. die Hoheit über unsere Kommunikation besitzen, so gilt es auch im Beruf, die Kommunikation konsequent auf digitale Kanäle und Plattformen zu verlagern. Wenn Sie sich für den Start neuer Communities oder die Nutzung bestehender digitaler Kanäle entscheiden, müssen Sie allerdings Präsenz zeigen und am Ball bleiben. Denn hier zählen Sichtbarkeit und Kontinuität. Ein einmal eröffneter Dialog mit einer Zielgruppe muss bedient werden. Zwar werden kurze Posts in sozialen Netzwerken, je nachdem wo sie erscheinen, oft als weniger „offiziell“ wahrgenommen als beispielsweise eine sachlich formulierte Vorstandsinformation im Intranet oder die offizielle Mail an alle Führungskräfte. Dennoch können Sie über diesen Weg eine hohe Frequenz erreichen und in Echt-Zeit mit Ihrer Zielgruppe in Verbindung treten. Je höher der Nutzen für die Zielgruppe, desto erfolgreicher werden Sie mit Ihrem Anliegen sein. Ob Slack, Teams, Yammer oder die hauseigene Connect-Community – je nach Kanal den Sie wählen, hilft ein Verständnis für die in der jeweiligen Community herrschende Kultur.
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4.3.2.5 Offizielles Berichtswesen: Das Protokoll Schließlich gibt es noch ein fünftes eher traditionelles, aber Erfolg versprechendes Kommunikationsmittel, das, auch wenn es nebensächlich klingt, doch unbedingt erwähnt werden soll. Denn während Sie virtuelle Kommunikationsplattformen und Online-News in Ihrer Kommunikation etablieren und in Communities regelmäßig posten, gelten in Ihrer Organisation vermutlich weiterhin die bekannten Spielregeln des klassischen Berichtswesens. Hier geht es um harte Fakten, Entscheidungen und Beschlüsse statt um News und Emotion. Und diese finden sich im offiziellen Reporting, das der Steuerung von Unternehmen in vielen Bereichen noch immer zugrunde liegt. Denn wird ein Post auf einer Online-Plattform von Mitarbeitern tatsächlich als Handlungsaufforderung wahrgenommen? Vermutlich wird er einfach nur konsumiert. In zahlreichen Gremien und Meetings werden dagegen die wichtigsten Punkte beschlossen und notwendige Handlungen protokolliert. Hier findet der Austausch der offizielle Beschlüsse statt. Die Zielgruppen der Protokolle und die Teilnehmer der Gremiensitzungen sind meist genau definiert. Zielgruppenspezifischer können Sie kaum kommunizieren. Stellen Sie also unbedingt sicher, dass Ihr Vorhaben in den Protokollen der für Sie wichtigsten Gremien auch regelmäßig erscheint. Denn je nach Größe und Umfang eines Projektes brauchen Sie zunehmend offizielles Commitment des gesamten Unternehmens. Sind Sie schließlich im Vorstandsprotokoll gelandet, so können Sie sicher sein, dass alle Bereiche des Unternehmens über Ihr Vorhaben in Kenntnis gesetzt werden und Ihrem Thema beim nächsten Mal etwas mehr Aufmerksamkeit zu Teil werden lassen. Vernachlässigen Sie in der Kommunikation also nicht die Macht der Gremien und des Protokolls. 4.3.2.6 Die Kampagne Einmal ist keinmal. Genauso wie sie Ihre Kunden nicht mehr nur bei einer einmaligen Transaktion antreffen, sondern zum dauerhaften Partner werden wollen, macht bei Ihrer Kommunikation die Nachhaltigkeit den entscheidenden Unterschied. Erst durch das „Nachhalten“, sprich durch die wiederkehrende Vermittlung Ihrer Botschaften auf unterschiedlichen Kanälen, werden Menschen dauerhaft zum Handeln bewegt. Verstehen Sie also Ihre Kommunikationsaktivitäten als Kampagne. Wie in einem Wahlkampf gilt es über einen langen Zeitraum die Stimmung zu prägen und zu formen. Selbstverständlich gibt es Themen und Informationen, die sich besser zur einmaligen Bekanntgabe eignen – beispielsweise eine Personalie oder ein Firmenkauf. Soll jedoch ein strategischer Richtungswechsel implementiert oder eine Verhaltensänderung initiiert und begleitet werden? Müssen Sie Ressourcen und Unterstützung für ein Vorhaben gewinnen? Ist ein Großprojekt zu meistern? Dann ist eine über einen längeren Zeitraum laufende Kampagne der richtige Weg. Das Gestalten und Umsetzen von Kampagnen bedeutet, kontinuierlich Informationen zu einem Themenfeld zu senden, zu empfangen, zu verarbeiten, wiederum zu senden
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usw. Dafür ist es sinnvoll, einen Fächer an Medien, digitalen Kanälen und Formaten zu nutzen. Denn einmalige Kommunikation wird in der Informationsflut untergehen. Im besten Fall kombinieren Sie also die hier beschriebenen Kommunikationsmöglichkeiten, um dauerhafte Aufmerksamkeit in der Organisation zu erzielen.
4.3.3 Exkurs: Innovationskommunikation Zurück zum Feld der Innovation. Wir befinden uns im Kapitel über Exploitation. Kann die hier funktionierende Art der Top-down-Kommunikation nicht auch im Kontext radikaler Innovationsvorhaben angewendet werden? In jedem Fall kann sie das. Mit ihrem Grundsatz: „Ohne Kommunikation keine Innovation“ machen die Kommunikationsforscher Zerfass, Sandhu und Huck deutlich [14], wie wichtig die systematische Vermittlung von Innovationen ist und welchen Beitrag Kommunikation zur Wertschöpfung leistet. Denn die Entwicklung neuer Lösungen allein führt noch nicht zur Erreichung von Umsatzzielen. Innovation erklären und verständlich vermitteln Die vermittelnde Natur von Kommunikation ist deshalb nicht nur für das Vorantreiben des bestehenden Business nützlich. Ab einem bestimmten Zeitpunkt kann Kommunikation zur großflächigen Informationsvermittlung auch im Kontext radikaler Innovationen überaus hilfreich sein. Aber eben nicht zur initialen Generierung von neuen Lösungen, sondern dafür, den relevanten Stakeholdern die komplexe Innovation zu erklären und ihnen den Nutzen der Neuheit verständlich zu vermitteln. Wie in Kap. 2 eingeführt, sprechen wir jetzt über den Fall, wenn mit Innovation ein bereits vorliegendes Ergebnis gemeint ist, sprich wenn neuartige Produkte, Ideen oder Technologien bereits existieren und jetzt im Unternehmen und über die Unternehmensgrenzen hinaus erfolgreich positioniert werden sollen. Liegt ein neu erschaffenes, erfolgversprechendes Artefakt (vgl. Abb. 2.6) bereits vor, sollten Sie schleunigst darüber nachdenken auch über den Kreis der Beteiligten hinaus die Welt über die Neuheit zu informieren. Sie können mit den richtigen Botschaften erste Nutzer, Befürworter, Fans und Förderer gewinnen. Denn wie auch das Kerngeschäft müssen innovative neue Lösungen oder ganze Geschäftsfelder irgendwann fest im Unternehmen verankert sein. Auch für die neuesten Produkte eignen sich dann die bewährten Methoden und Prozesse der Top-down-Kommunikation. Nutzen Sie hierfür einfach die besten Kommunikations möglichkeiten der bestehenden Welt! Innovation bedroht Status quo Die Kommunikation von Innovationsthemen ist deshalb so wichtig und notwendig, weil neue Themen den Status quo in Unternehmen bedrohen und stets „im Spannungsfeld verschiedener Stakeholder-Interessen“ [14] stattfinden. Aufgrund von mangelnder
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Erfahrung mit einer neuen Lösung, einer oftmals geringen Anschlussfähigkeit an bestehende Themen sowie der hohen Unsicherheit über den potenziellen Nutzen einer Innovation ist eine glaubhafte Vermittlung des Wertes einer neuen Lösung von erfolgsentscheidender Bedeutung. Die Kommunikation von Innovationen wird deshalb in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur als Führungsaufgabe verstanden und wie folgt definiert: Innovationskommunikation ist die systematisch geplante, durchgeführte und evaluierte kommunikative Vermittlung neuer Produkte, Dienstleistungen, Technologien, Prozesse, Konzepte und Ideen mit dem Ziel, Verständnis für und Vertrauen in die Innovation zu schaffen und die dahinter stehende Organisation als Innovator zu positionieren [15].
Innovationskommunikation verfolgt also das Ziel, Menschen für eine Innovation zu gewinnen, komplexe Themen einfach zu erklären und über unterschiedliche Medien und Kanäle bei allen relevanten Zielgruppen ein einheitliches Verständnis über eine Innovation zu generieren. In dem Sie Innovationen immer wieder erklären und die Bedeutung für das Unternehmen aufzeigen, können Sie ein Innovationsvorhaben in der Organisation legitimieren. Sie können Vertrauen schaffen, hohes Commitment bei den Beteiligten erzielen und schließlich die benötigten Ressourcen für Ihr Vorhaben gewinnen. Beispiel: Stakeholder für eine Innovation gewinnen
Bei der Untersuchung einer intelligenten Technologie-Plattform für die Industrie 4.0 ist innerhalb von Firma A zunächst ein kleiner Teilnehmerkreis aus Forschung und Entwicklung involviert. Als im Entwicklungsbereich beschlossen wird, ein offizielles Entwicklungsprojekt zu starten und die Technologie zur Marktreife zu bringen, werden zusätzliche Ressourcen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen benötigt. Die Zustimmung eines immer größeren Stakeholder-Kreises in Firma A wird deshalb notwendig. Die Entwicklungsleitung macht es sich nun zur Kommunikationsaufgabe, ein einheitliches Verständnis der neuen Technologie bei den relevanten Stakeholdern zu erzeugen. Neben der Technologie selbst werden Marktpotenziale, Kundennutzen bis hin zu Umsatzzielen dargestellt, mit dem Ziel, Begeisterung für die Möglichkeiten der neuen Technologie zu erzielen. Hierbei geht es gerade nicht um die Generierung einer Vielfalt von Stimmen und Meinungen, sondern darum, ein einheitliches Gesamtbild von der Innovation bei allen Beteiligten zu schaffen und die neue Technologie klar im Unternehmen zu positionieren. Ausgehend von einer zentralen Stelle, der Projektleitung, werden alle relevanten Stakeholder über unterschiedliche Medien und Kanäle der Projekt- und Unternehmenskommunikation auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Ziel ist es, auf diesem Wege das Innovationsvorhaben zu legitimieren und die notwendigen Ressourcen zu erhalten, um das Projekt zu finanzieren und final umzusetzen.
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Zugleich ist die Akzeptanz einer Neuheit in den eigenen Reihen bis hin zum Vertrieb von allergrößter Bedeutung, um schließlich auf weltweiten Märkten beim Kunden überzeugen zu können. Deshalb spielt auch im weiteren Verlauf des Entwicklungsprojektes die Kommunikation mit den Stakeholdern eine zentrale Rolle. Die Vermittlung und Positionierung der Technologie wird von zentraler Stelle koordiniert und gesteuert: Auf regelmäßigen Meilensteinveranstaltungen motivieren der Vorstand und sein Führungskreis die immer größer werdende Gruppe der direkt an der Innovation Beteiligten. Über Berichte im Mitarbeitermagazin werden alle Mitarbeiter des Unternehmens weltweit auf die Neuheit vorbereitet. In regelmäßigen Trainings werden die weltweiten Vertriebsgesellschaften geschult. Zum Zeitpunkt der Vorstellung auf dem Markt startet schließlich die externe Markt- und Kundenkommunikation, die auf den internen Botschaften basiert. In Firma A wird durch die früh gestartete Innovationskommunikation ein stimmiges Gesamtbild in der Innenund Außenkommunikation hergestellt. ◄ Wie im hier dargestellten Beispiel können Führungskräfte für die Verbreitung einer Innovation in der eigenen Organisation unterschiedliche Instrumente der offiziellen, zentral gesteuerten Unternehmenskommunikation einsetzen. Die Nutzung von Hierarchien kann dabei zielführendes Mittel zur Legitimation eines Innovationsvorhabens sein. Die Handlungsmuster, die in diesem Kapitel für das Umfeld der Exploitation beschrieben werden, können Sie in dem Augenblick auch für explorative Innovationsvorhaben nutzen, wenn die Innovation vor der Markteinführung steht und sie Unterstützung, Ressourcen, Akzeptanz und Rückenwind von der breiten Masse des Unternehmens benötigen. Von Veranstaltungen mit Vorstandsbeteiligung, über Beiträge im Intranet bis hin zur Verbreitung über Blogs und Posts – wenn es um die flächendeckende Verankerung einer Innovation im Unternehmen geht, sind die Mittel der zentral gesteuerten Top-down-Kommunikation auch für revolutionäre Neuerungen genau richtig. Zusammenfassung: Kommunikation ist Wahlkampf
Was will ich mit Kommunikation erreichen? Und wie setze ich Kommunikation konkret um? Der hier beschriebene Hierarchie-zentrierte Kommunikationsstil betrachtet die Mitglieder eines Unternehmens vor dem Hintergrund ihres gemeinsamen Ziels. Er unterstützt die Absicht, Stakeholder einzubinden, Commitment zu erhalten, zu motivieren und für die Umsetzung einer Strategie (oder einer Innovation) oder auch dem abgestimmten schnellen Handeln in Ausnahmesituationen (vgl. Kap. 6) zu gewinnen. Während in Kreativprozessen mithilfe von Kommunikationsinstrumenten gerade die Vielfalt der Stimmen und Meinungen in einer Gruppe gefördert wird, will Top-down-Kommunikation absolute Einstimmigkeit erzielen: One company, one voice. Und diese Einstimmigkeit fängt oben an. Um einem Vorhaben offiziellen Charakter zu verleihen und die Organisation wirklich in Bewegung zu versetzen, ist Geschlossenheit im Management ein wichtiges Signal.
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Nur wenn Sie klar von oben aussenden, dass die Führungsebene geschlossen hinter einer Sache steht, schaffen Sie Vertrauen und legitimieren damit Ihr Vorhaben. Wenn Sie alle Entscheider für die Kommunikation an Bord haben, reicht dies allein noch nicht aus. Um ein Vorhaben wirklich aktiv zu unterstützen, müssen Teams verstehen, warum etwas getan werden soll. So einfach und klar dies klingt, so häufig wird vergessen, eine stichhaltige Begründung für ein Vorhaben zu liefern. Sind die strategischen Ziele und Maßnahmen definiert und ist Ihre Absicht klar, warum Sie kommunizieren wollen, gilt es die richtigen Zielgruppen im Unternehmen mit den strategischen Botschaften zu versorgen. Jetzt steht die straffe Planung und Organisation von Kommunikation und die Kaskadierung der Informationsübertragung im Vordergrund. Kommunikationsmittel der Wahl sind hierfür zum Beispiel Veranstaltungen (physisch oder virtuell), Intranet-Artikel, Videobotschaften, klassische Printmedien, Beiträge in Mitarbeiter-Magazinen, Posts, Blogbeiträge und Dialoge in Communities bis hin zum offiziellen Reporting in Steuerkreis-Sitzungen mit Protokoll. Verstehen Sie Ihre Kommunikationsaktivitäten dabei immer als Kampagne. Wie in einem Wahlkampf können Sie über einen langen Zeitraum und auf unterschiedlichen Wegen die Stimmung gestalten und prägen. ◄
4.4 Fazit: Kommunikation ist Wertschöpfung Warum das ganze Spiel um die Aufmerksamkeit? Gerade im Umfeld von Technologen, Forschern, Entwicklern, Ingenieuren steht doch die Sache, die Ingenieurskunst im Vordergrund. Warum einen Großteil der Arbeitszeit in nicht unmittelbar zur Wertschöpfung beitragende Prozesse und Tätigkeiten investieren? Warum sollten Sie Ihre Zeit in das Planen und Orchestrieren von Kommunikation investieren? Kostet das nicht Unmengen an Zeit? Können das nicht andere machen? Die Antwort dieses Buches lautet: Kommunikation ist überlebenswichtig. Vielleicht nicht für Sie als Person direkt, aber für das Thema, für das Sie einstehen. Für das Überleben Ihres Teams und für das Überleben Ihrer Organisation. Kommunikation ist Führungsaufgabe. Sie IST Wertschöpfung. Denn um den Wettbewerb im roten Ozean zu überstehen, sind Geschwindigkeit, Effizienz und Aufmerksamkeit das oberste Gebot. Effizienz Obwohl wir wissen, wie wichtig die Steigerung von Effizienz im Unternehmen ist, nutzen wir die Potenziale, die eine zielgerichtete Kommunikation bietet, noch zu wenig. Für Führungskräfte ist Kommunikation häufig ein Instrument, das im Führungsalltag ‚nebenher‘ laufen kann. Doch Kommunikation muss in Zeiten eines dynamischen Marktund Technologieumfeldes das erste Führungsinstrument sein, um Reaktionszeiten der Organisation zu verkürzen und schnell am Markt zu sein. Es gilt, Kommunikationstools bewusst und wirkungsvoll einzusetzen, um die Organisation in kürzester Zeit auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
4.4 Fazit: Kommunikation ist Wertschöpfung
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Wenn Sie schnell mit Lösungen beim Kunden sein wollen, muss Ihre Mannschaft absolut einstimmig handeln. Unklarheiten müssen ausgeräumt, Raum zu Interpretation eliminiert. Es geht darum, schnell, zielgerichtet und kosteneffizient zu handeln. Wenn Sie Ihre Mannschaft auf einen gemeinsamen Pfad bringen wollen, dann gelingt dies nur über Top-down-Kommunikation. Klare Ansagen, klare Umsetzung. Sie müssen wissen, wo es lang geht und dies unmissverständlich vermitteln. Das bringt Geschwindigkeit. Aufmerksamkeit Neben diesem Wettbewerb um Geschwindigkeit und Effizienz, müssen Sie gleichzeitig für Ihr Vorhaben um knappe Ressourcen kämpfen. Ihr Wettbewerber befindet sich also nicht nur draußen am Markt. Sie kämpfen auch intern, innerhalb der Organisation um Budgets, um Mitarbeiter und Aufmerksamkeit. Ihr Auftrag ist es, ein Thema voranzutreiben, während X andere Teams und Abteilungen ebensolche Aufträge erhalten und ganz andere Ziele verfolgen. In einer Gesamtstrategie ist zwar die Priorisierung der Aufgaben festgelegt. Aber um langfristig ein Vorhaben über mehrere Jahre durchzubringen, hilft Ihnen ausschließlich das Mittel der Kommunikation. Denn Führungsebenen werden ausgetauscht, Organisationen umgebaut, Themen regelmäßig völlig neu hinterfragt, Strategien verändert. Sie müssen deshalb kontinuierlich Rechenschaft abliefern, warum ein Investment sich lohnt. Dafür muss die Leistung sichtbar sein. Die Zielsetzung muss klar und der Nutzen für das Unternehmen unmissverständlich sein. Ohne Sichtbarkeit und Scheinwerferlicht geht Ihr Thema unter, denn Sie konkurrieren unternehmensweit um Ressourcen. Während zur Entwicklung völlig neuer Geschäftsmodelle und digitaler Innovationen gerade die Heterogenität und Vielfalt der Stimmen in Ökosystemen benötigt wird und Sie als Führungskraft in eine moderierende Rolle treten, brauchen Sie im roten Ozean Klarheit, Kompetenz und Macht. Im Team benötigen Sie Homogenität. Sie müssen die größtmögliche Leistung aus der zur Verfügung stehenden Organisation ziehen. Wenn von Anfang klar ist, was zu tun ist und es „nur“ um das schnelle und effiziente Umsetzen von Aufgaben geht, dann kommunizieren Sie Top-down. Dadurch bringen Sie in kürzester Zeit Kraft in ihr Team. Ob durch Veranstaltungen, Intranet-Artikel, Blogposts oder Protokolle – ein Mix aus Kommunikationsmedien und -kanälen mit unmissverständlichen Botschaften und klar formulierten Informationen wird Ihnen dabei helfen, die unterschiedlichen Stakeholder zu adressieren. Diese Art von Kommunikation basiert auf dem Senden von Information. Sie übermitteln die Nachricht von zentraler Stelle, von oben nach unten auf formellem, offiziellem Weg. Auch Innovation braucht zentral gesteuerte Kommunikation Und nicht nur Ihr bestehendes Geschäft muss auf Effizienz und Schnelligkeit ausgerichtet sein. Irgendwann wird auch die neueste und innovativste Lösung zum dankbaren Abnehmer bestehender Routinen werden: Entscheidend für die hier beschriebene Form von Kommunikation bei Exploitation ist, dass man sie jederzeit auch im explorativen Innovationsumfeld einsetzen kann. Und zwar immer dann, wenn bereits geschaffene Inhalte vermittelt und Innovationen verbreitet werden sollen.
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Literatur 1. O’Reilly, C. A. & Tushman, M. L. (2004): The Ambidextrous Organization. Harvard Business Review, 82 (4), S. 74–81. 2. March, James G. (1991): Exploration and Exploitation in Organizational Learning. Organization Science, 2 (1), S. 71–87. 3. Schilling, Melissa A. (2013): Strategic Management of Technological Innovation. 4. Auflage. New York, NY: McGraw-Hill. 4. S-Kurven-Konzept. In: Gabler Wirtschaftslexikon. Online unter: http://wirtschaftslexikon. gabler.de/Definition/s-kurven-konzept.html [Zugegriffen am 29.05.2020]. 5. Kim, W. Chan; Mauborgne, Renée (2016): Der Blaue Ozean als Strategie. Wie man neue Märkte schafft, wo es keine Konkurrenz gibt. 2. aktualisierte und erweiterte Aufl. München: Carl Hanser. 6. Laloux, Frederic (2015): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen. 7. Je flacher die Hierarchie, desto innovativer das Unternehmen. Wirtschaftswoche vom 03.07.2017. Online unter: https://www.wiwo.de/erfolg/management/mittelstand-je-flacher-diehierarchien-desto-innovativer-das-unternehmen/20002628.html [Zugegriffen am 29.05.2020]. 8. Kienbaum, Stepstone (2017): Organigramm deutscher Unternehmen. Studie von Kienbaum und Stepstone zu den Organisationsstrukturen in deutschen Unternehmen. Online unter: http://assets.kienbaum.com/downloads/Hierarchie-Organisation-Fuehrung_Fuehrungskraefte_ Kienbaum-Stepstone-Studie_2017.pdf [Zugegriffen am 29.05.2020]. 9. Duwe, Claudia (2004): Zeit der Begegnung – Begegnung mit der Zeit: Zeitliche Aspekte literarischen Lesens. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. 10. Simon, Herbert. A. (1947): Administrative Behavior: A Study of Decision-Making Processes in Administrative Organizations. 4. Aufl. von 1997. 11. Shannon, Claude E. (1948): A Mathematical Theory of Communication. Bell System Technical Journal, 27 (3), 379–423. 12. Mast, Claudia (2014): Interne Unternehmenskommunikation: Mitarbeiter führen und motivieren. In A. Zerfass & M. Piwinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskommunikation (S. 1121–1140). Wiesbaden: Springer Fachmedien. 13. Zerfass, Ansgar (2014): Unternehmenskommunikation und Kommunikationsmanagement: Strategie, Management und Controlling. In: Manfred Piwinger und Ansgar Zerfass (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskommunikation. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 21–79. 14. Zerfass, Ansgar, Sandhu, S.; Huck, Simone (2004): Innovationskommunikation: Strategisches Handlungsfeld für Corporate Communications. In P. M. &. S. G. Bentele G. (Hrsg.), Kommunikationsmanagement (Loseblattsammlung) (Bd. 1.24). Neuwied: Luchterhand. S. 1–30. 15. Zerfass, Ansgar; Huck, Simone (2007): Innovationskommunikation: Neue Produkte, Ideen und Technologien erfolgreich positionieren. In: Manfred Piwinger und Ansgar Zerfass (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 847–858.
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Im Zwei-Weltenraum
Zusammenfassung
Wie wird nun aus einer Zerreißprobe ein eleganter Spagat? Wie können Führungskräfte neue Denk- und Verhaltensweisen in ein Unternehmen bringen und zu gleicher Zeit mit Priorität das bestehende Geschäft vorantreiben? Wie können sie diametral entgegengesetzte Innovationsvorhaben gleichzeitig steuern? Und welches Mindset benötigen sie dafür? Während Kap. 3 und 4 Handlungsoptionen für entweder Exploitation oder Exploration vorstellen, schafft dieser Abschnitt das Fundament für beides. Beidhändige Führung erfordert mehr, als die Fähigkeit, sich in dem einen und dem anderen Umfeld sicher bewegen zu können. Von oberen Führungskräften ist Gleichzeitigkeit gefragt: Ein verbindender, balancierender Ansatz zwischen den Welten wird dafür gebraucht. Gefordert ist zudem eine starke, alles verbindende Vision, die das gegenwärtige Geschäft in den Kontext der langfristigen Zukunftsperspektive rückt. Wir verlassen deshalb die Ozeane und fliegen in diesem Kapitel ins All. Denn Beidhändigkeit erfordert den Blick von oben auf das Gesamtsystem. Dieses Kapitel zeigt in Fallstudien, Interviews und konkreten Handlungsoptionen, wie Sie als Führungskraft sich selbst und Ihre Teams durch zwei Welten navigieren können. Zugleich wird die Frage nach dem Mindset beantwortet – wie denken und handeln beidhändige Führungskräfte? Alle Erkenntnisse beruhen auf Untersuchungen und Fallstudien im deutschen Maschinen- und Anlagenbau und lassen sich auf weitere Branchen und Industrien anwenden. Das in Kap. 2 vorgestellte wissenschaftlich fundierte Modell der Ambidextrie-orientierten Führungskommunikation bildet die Grundlage des folgenden Abschnittes.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0_5
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5.1 Ein anderer Kosmos Ob Inkubatoren, Innovation Hubs, Co-Creation Spaces oder Digital Labs – zahlreiche Spezialeinheiten großer Unternehmen sprießen in den letzten Jahren außerhalb vorhandener Prozesse und Organisationsstrukturen aus dem Boden, um – meist in der Nähe einer prosperierenden Start-up-Szene – neue Ideen und Lösungen für den Mutterkonzern zu generieren. In den oft sehr jungen, hoch-interdisziplinären Innovationsteams gelten dann ganz eigene Spielregeln. Eingerostete Prozesse werden über Bord geworfen. Es wird frei gedacht und hochflexibel, agil, vernetzt und selbstorganisiert gearbeitet. Schon allein Möbel, Mode und Mindset in den Hubs und Labs spiegeln ein ganz anderes als das bekannte Bild der Großkonzerne wider. Der beabsichtigte Bruch soll es Firmen ermöglichen, die etablierte Welt infrage zu stellen und radikale, revolutionäre Ideen hervorzubringen. Ideen, die die heutige Welt ins Wanken bringen. Der Schritt der Abspaltung vollzieht sich zunächst leicht. Allein die Abspaltung befördert Unternehmen nicht in die Zukunft: „Die Bilanz der getrennten Welten ist ernüchternd“, beobachtet der Change-Experte John P. Kotter, Harvard-Professor für Führung und Veränderungsmanagement [1]. Die gängige Praxis von Firmen, das bestehende Geschäft (Exploitation) und die Innovationseinheiten (Exploration) organisatorisch und strukturell voneinander zu trennen, liefert nicht den gewünschten Erfolg. Unlösbare Interessenkonflikte „Die Beziehung zwischen ‚alter und neuer Welt‘ muss auf den Prüfstand“, so auch die Bilanz der Presse zum Verhältnis von Corporate Start-ups und Mutterkonzernen [2]. Von „unlösbaren Interessenkonflikten“, „PR-Show“, „ersten Rückzügen, Notverkäufen und Pleiten“ berichtet die Wirtschaftswoche [3]. „Nur rund der Hälfte der Unternehmen gelingt es tatsächlich, die Digital-Einheiten effektiv und zielgerichtet einzubinden und nachhaltig Innovationen und neue Produkte zu schaffen“, bilanziert das Wirtschaftsmagazin Capital [4]. „Ein großes Manko haben die Digitalableger: Wirklich Geld hat noch niemand verdient, auch die nicht, die schon länger dabei sind“ [4]. Das Digitalmagazin t3n fordert schließlich: „Killt eure Innovation-Labs!“ Die nachhaltige Alternative läge in der umfassenden internen Restrukturierung [5]. Vermehrt steht also die Zusammenarbeit zwischen Konzernen und ihren Spezialeinheiten auf dem Prüfstand und die unterschiedlichen Interessen, Prozesse und Kulturen in der Kritik. So einfach und reibungslos die Trennung vollzogen wird, so schwierig gestaltet sich die Integration der neuen digitalen Welt in die Konzernstrukturen und Bilanzen der großen Mutterkonzerne. Die vorhandenen Prozesse, die Kultur, die Geschwindigkeit sind nicht für das neue Betriebssystem gemacht. Zugleich sind die bestehenden Strukturen, Hierarchien, Lehmschichten [6] vielerorts viel zu stark und mächtig, als dass man sich wirklich traut, an den Grundfesten zu rütteln.
5.1 Ein anderer Kosmos
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Duales Betriebssystem Doch gerade hier fängt die Arbeit von Führungskräften an (vgl. Abb. 5.1). Denn die beiden Welten verbinden sich nicht von allein. Von ganz oben muss das klare Signal, das Commitment zur Veränderung kommen. Und selten reicht das grüne Licht eines visionären CEO. Er braucht dazu seine Führungsmannschaft. Denn in diesem Transformationsprozess reichen teure Verträge mit externen Digital-Beratern nicht aus. Das Mindset muss von innen kommen. Um das Problem der getrennten Welten zu vermeiden, stattdessen Gewinn aus der bewussten Verbindung zu schöpfen und damit das Unternehmen erfolgreich zu transformieren, empfiehlt Kotter ein „duales Betriebssystem“ [7]: „In einem wirklich zuverlässigen, effizienten, agilen und vor allem schnellen Unternehmen ist das Netzwerk eng mit der traditionellen Struktur verflochten“. In einem solchen dualen Betriebssystem, in diesem Buch als kontextuelle Beidhändigkeit verstanden (vgl. Abschn. 2.1), koexistieren
Abb. 5.1 Beidhändige Führung durch Kommunikation
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5 Im Zwei-Weltenraum
unterschiedliche Regeln und Vorgehensweisen innerhalb einer Organisationseinheit und werden nicht streng voneinander getrennt. Stabilität und Agilität laufen parallel und sind eng miteinander verzahnt. Dies stellt vielerorts den tradierten Führungsstil infrage und die Führungskräfte selbst vor eine Mammutaufgabe, die nur durch den Blick auf das Gesamtsystem zu lösen ist. Der Blick von oben Um das Gesamtsystem zu betrachten, verlassen wir jetzt die Welt der Ozeane und lernen einen anderen Kosmos kennen: den Zwei-Weltenraum. Wir wissen nicht, wie groß er ist. Stellen Sie sich vor, er ist sehr, sehr groß. In diesem Raum findet nicht nur die Gegenwart statt, sondern auch die Zukunft. Gegenwart und Zukunft sind nicht zeitlich, räumlich, organisatorisch, strukturell, kulturell voneinander getrennt. Sie existieren gleichzeitig. Sie sind ineinander verwoben. Bevor Sie nun weiterlesen, verweilen Sie doch ein paar Minuten in diesem Raum… • • • • • •
Wie sieht der Zwei-Weltenraum aus? Wie fühlt es sich dort an? Wo steht die Gegenwart? Wo die Zukunft? Sehen Sie Grenzen? Gibt es überhaupt Grenzen?
Aus dieser Perspektive von oben wird das Handlungsfeld der kontextuellen Beidhändigkeit greifbar. Während Unternehmen eine strukturelle Trennung von gegenwärtigem und zukünftigem Business häufig deshalb vollziehen, weil sie mögliche Spannungen und Konfliktherde zwischen den Welten vermeiden wollen, setzt der Ansatz der kontextuellen Beidhändigkeit (Zwei-Weltenraum) auf die Synergieeffekte von Tradition und Zukunft: Zwei Welten koexistieren friedlich innerhalb eines Unternehmens. Vorausgesetzt es entsteht eine Balance zwischen dem Vorantreiben des bestehenden Geschäftes und dem Fördern neuer Ansätze und Lösungen für die Zukunft.
Das Ausbalancieren der zwei Welten ist zentrale Führungsaufgabe Die Experten für kontextuelle Beidhändigkeit, Christina Gibson und Julian Birkinshaw, beschreiben die Ausgestaltung dieses sehr großen Raumes als zentrale Führungsaufgabe [8]. Während Führungskräfte sich in Zeiten getrennter Welten getrost in ihren jeweiligen Ozean zurückziehen konnten, rückt ihr balancierendes Verhalten in einer Welt, in der beide Ansätze verfolgt werden, in den Mittelpunkt. Sie müssen orchestrieren, ausgleichen, Verbindungen schaffen. Denn wird nicht sorgfältig ausbalanciert und stattdessen die eine oder die andere Welt vernachlässigt, kann ein Unternehmen in kürzester Zeit den Anschluss verlieren: „Ist der Fokus zu
5.1 Ein anderer Kosmos
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stark auf dem bestehenden Geschäft, werden die kurzfristigen Ergebnisse gut aussehen, aber Veränderungen in der Industrie werden dich früher oder später überrumpeln“, beschreiben die Strategie-Professoren die Bedeutung des Ausbalancierens [9]. Beidhändigen Führungskräfte gelingt es, sich zwischen dem roten und dem blauen Ozean gekonnt hin und her zu bewegen. „Das Balancieren der Bedürfnisse des Kerngeschäfts und von Innovation ist ein zentrale Aufgabe von Führungskräften“, unterstreicht der Ambidextrie-Forscher Michael L. Tushman [10]. Die Balance erreichen Sie allerdings nur, wenn Sie sich von der Erde zunächst einmal kurz verabschieden. Sie müssen raus und den Blick von oben einnehmen. Zugegeben, ein Flug ins All erfordert Mut. Aber nur von hier aus können Sie einen Kontext schaffen, in dem die Welten ineinanderfließen, in dem sich jeder Einzelne in seinem Tagesgeschäft entscheiden kann, welche Aktivitäten er wann vorantreibt. Beidhändige Führung bedeutet also, ein Umfeld aufzubauen, in dem jeder Einzelne weiß, wie er handeln muss. Der Ansatz von Gibson und Birkinshaw vermittelt zugleich ein Verständnis von Führung, was nicht zwangsläufig an die Rolle der Führungskraft gekoppelt ist. Kontextuelle Beidhändigkeit bringt zusätzlich Führung auf allen Ebenen und aus dem Inneren der Organisation hervor [9]. Sofern Sie den Raum dafür neu aufspannen und die Grenzen ungewohnt weit nach außen verschieben. Fliegen wir in diesem Kapitel also los… Zusammenfassung: Flug ins All
Vermehrt sprießen in den letzten Jahren Spezialeinheiten für Innovation großer Unternehmen aus dem Boden. Der Schritt der Abspaltung vollzieht sich zunächst leicht. Doch von einer ernüchternden Bilanz spricht Change-Experte John P. Kotter, die Abspaltung allein befördert Unternehmen nicht in die Zukunft. Vielmehr ist es die nachhaltige Zusammenarbeit beider Welten, die zum Ziel führen soll. Experten empfehlen deshalb ein „duales Betriebssystem“, in dem agile Netzwerke mit traditionellen Strukturen verflochten sind. Doch vielerorts sind die Strukturen zu starr, als dass ein solches Betriebssystem sich einfach implementieren ließe. Die Verbindung beider Welten wird damit zur schwierigen Führungsaufgabe. Um diese Aufgabe besser zu verstehen, verlassen wir zunächst die Ozeane und reisen in den Zwei-Weltenraum der kontextuellen Beidhändigkeit. Dieser Raum setzt weniger auf den Trade-Off aus Exploitation und Exploration, sondern auf die Synergieeffekte von Tradition und Zukunft. Während Führungskräfte sich in Zeiten getrennter Welten getrost in ihren jeweiligen Ozean zurückziehen konnten, rückt ihr balancierendes Verhalten in einer Welt, in der beide Ansätze verfolgt werden, in den Mittelpunkt. Sie müssen orchestrieren, ausgleichen und Verbindungen schaffen, mit dem Ziel, dass zwei Welten innerhalb eines Unternehmens gewinnbringend koexistieren. ◄
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5 Im Zwei-Weltenraum
5.2 Der Überflug Wir sind nun unterwegs im Zwei-Weltenraum, einem Wechselspiel aus Pyramide, Netzwerk und Ökosystem. In diesem Übergangsraum kann sich stündlich (auch in noch kürzeren Zyklen) Ihr Handlungskontext völlig verändern. Hier haben Sie als obere Führungskraft, als CEO, als Geschäftsführer allerdings die einmalige Chance, den Handlungskontext für die Menschen in Ihrer Organisation zu prägen und zu gestalten. Sie können ermöglichen, dass sich Ihre Teams je nach dem, was eine Situation am Markt erfordert, für das bestehende oder das zukünftige Geschäft entscheiden. Im Vertriebsumfeld können sich Mitarbeiter beispielsweise die Frage stellen, ob sie den schnellen Gewinn benötigen oder mit Innovation in eine langfristige Kundenbindung investieren. Sie als Führungskraft können Ihre Teams befähigen, sich selbst zu überlegen, welche Ausrichtung wann angebracht ist und wann gegebenenfalls eine Kombination aus Gegenwart und Zukunft zum größten Erfolg führt. Wir bleiben zunächst im Vertrieb und betrachten ein Beispiel aus dem Umfeld der Industrieautomatisierung. Fallstudie: Ambidextrie im Vertrieb Ein Beispiel, wie konventionelle und netzwerkbasierte Ansätze innerhalb eines Unternehmens nebeneinander existieren, zeigt die niederländische Vertriebsgesellschaft des Automatisierungsherstellers Festo. Die Vertriebsgesellschaft mit Sitz in Delft hat 2016 auf ein duales Betriebssystem umgestellt, in dem Netzwerkstrukturen und ein sich selbstorganisierendes Team neben traditionellen Prozessen koexistieren. Von der Geschäftsführung initiiert, hatte das niederländische Management-Team zuvor die bestehenden Prozesse und Methoden der Vertriebssteuerung innerhalb des Unternehmens analysiert und für einen vergleichsweise jungen Geschäftsbereich inmitten der herkömmlichen Strukturen und Prozesse ein neues Organisationsmodell etabliert. Gemeinsam mit der Führungsmannschaft wurden für ein Team von Vertriebsingenieuren klare Vertriebsziele definiert, für die Umsetzung und Zielerreichung jedoch eine „Grüne Wiese“ geschaffen. Das Team war zur Trennung von konventionellen Denkund Vorgehensweisen autorisiert und zur autonomen, eigenverantwortlichen Steuerung aufgerufen. Dieser Ansatz wurde inmitten der vorhandenen über Jahre gewachsenen Organisation umgesetzt. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Die Zielvorgaben wurden in kürzester Zeit erreicht – und übertroffen. „DAS TEAM STEUERT SICH VOLLSTÄNDIG SELBST“
Interview mit Dennis van Beers, Managing Director Cluster Benelux bei FESTO, Delft Herr van Beers, wie haben Sie Ihrer Mannschaft vermittelt, dass Sie zwei völlig unterschiedliche Wege verfolgen müssen?
5.2 Der Überflug
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Ende 2015, als wir die Umsatzzahlen für unsere neueste Produktfamilie in der elektrischen Antriebstechnik diskutiert haben, haben wir gesehen, dass diese die Erwartungen nicht trafen. Wir hatten es nicht geschafft, unsere Kunden zu überzeugen und zugleich bestehende Kunden zu halten. Die stark prozessorientierte Organisation war offensichtlich nicht die richtige, um ein neues Feld der Applikationen und Kunden zu betreten. Mit unserem Management-Team haben wir den Markt untersucht und festgestellt, dass Kunden einen anderen Support und eine andere Reaktionszeit benötigen. Unsere Organisation hatte sich auf reife Märkte und ihre Kunden angepasst und funktionierte nicht für das Erschließen von neuen Applikationen mit neuen Technologien bei bestehenden und neuen Kunden. Dies ist ein völlig anderes Spiel. Zusätzlich mussten wir feststellen, dass sich unsere jüngere Generation von Ingenieuren trotz hoher Motivation nicht wohl in den bestehenden Projektmanagement-Strukturen fühlte. Sie hatte zu wenig Raum, um Neues auszuprobieren und die Grenzen unserer neuen Technologien auszuloten. Hier haben wir nicht das volle Potenzial des Teams ausgeschöpft. Wie ging es dann weiter? Wir haben das EASi3-Team installiert und ihnen zwei große Aufgaben mitgegeben. Erstens, stellt den bestmöglichen hochdynamisch reagierenden Support auf die Beine, um die Kundenbindung bei unseren bestehenden Kunden drastisch zu erhöhen. Es ist deutlich günstiger, existierende Kunden treu zu halten als neue Kunden zu gewinnen. Zweitens, haben wir ihnen die Aufgabe gegeben, neue Applikationen und Kunden zu gewinnen, um unsere neuesten Technologien in der elektrischen Antriebstechnik zu verkaufen. Hier hatte unser bestehendes Team die größten Schwierigkeiten. Zusätzlich haben wir dem Team vermittelt, dass Geschwindigkeit der zentrale Erfolgsfaktor ist. Wir haben zwei Dienstwagen dauerhaft für alle Teammitglieder zur Verfügung gestellt. Wir haben sie auch befähigt, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, ohne das Management hinzuzuziehen. Von meinen direkten Führungskräften habe ich erwartet, dass sie dieses multidisziplinäre Team unterstützen und nicht managen. Wie haben Sie das Team begleitet? Obwohl das Team sich vollständig selbst steuert und keine formale Struktur mit einer Führungskraft besitzt, sind zwei Führungskräfte aus dem ManagementTeam der Gesamtorganisation Teil des Teams, um die richtigen Entscheidungen und Prioritätensetzungen zu unterstützen. Ein Mitglied des Teams ist Koordinator
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5 Im Zwei-Weltenraum
der täglich laufenden Aktivitäten. Das Team weiß, dass es im Problemfall das Management-Team oder den CEO direkt hinzuziehen kann. Wie arbeitet das EASi3Team? Was macht das Team anders als die anderen Teams? Das Team hat keine offizielle Führungskraft. Das Team arbeitet mit verschiedenen funktionalen Rollen und informeller Führung. Dafür ist es extrem wichtig, die richtigen Leute auszuwählen. Sie kommunizieren über Apps statt über offizielle Berichte. Sie sind sehr empfänglich für und reagieren schnell auf Chancen, die sich beim Kunden eröffnen. Da die Aktivitäten sofort gepostet und mit einem hochflexiblen Pool an Personen geteilt werden, ist es jederzeit möglich, sofort auf Kundenanfragen zu reagieren. Die Teammitglieder kennen ihre gegenseitigen Aktivitäten und sind in der Lage, jederzeit in einen Vorgang einzusteigen. Die Ressourcen in einem Pool zu teilen, garantiert uns eine fast 100 prozentige SofortReaktion auf Kundenanfragen. Das unterscheidet sich völlig von einer prozessorientierten Organisation, in der Arbeitspakete von einer Abteilung zur nächsten und von einem Schreibtisch zum nächsten übergeben werden. Die meisten Sitzungen in einer prozessorientierten Organisation handeln von Anpassungen und Verbesserungen zwischen Abteilungen mit minimalen Resultaten. Das EASI3 Team hat jede Woche ein halbstündiges Meeting, um die Chancen zu diskutieren und zu definieren, was zu tun ist, um diese sofort zu ergreifen. In einer Übersicht überwachen sie alle laufenden und neuen Aktivitäten: Pre-Sales-, Sales- und Post-Sales-Aktivitäten. Wie vermitteln Sie Ihrer direkten Führungsmannschaft die Notwendigkeit eines ambidextren Führungsstils? Zweimal im Jahr haben wir „Town-Hall-Meetings“. Ich versuche dort, allen Mitarbeitern die Notwendigkeit zu vermitteln, dass wir die Organisation in Richtung einer ambidextren Organisation verändern. Einer Organisation, die durch eine Outside-In-Perspektive eines sich stark verändernden Marktes angetrieben ist und eines Wandels der eigenen Strukturen bedarf. Statt des Wortes „Ambidextrous“ verwende ich die Metapher der „zwei Hände“. Beschreiben Sie Ihre Rolle als CEO in der Umsetzung einer ambidextren Strategie. Es ist wichtig und erfolgsentscheidend, dass der CEO persönlich an eine beidhändige Unternehmenssteuerung glaubt und diese kontinuierlich in die Organisation trägt. Dieser Prozess verändert ein Unternehmen und viele Kräfte innerhalb einer Organisation können Veränderungen aufgrund zahlreicher Gründe aufhalten. Führungskräfte fühlen sich z. B. für ihre eigenen Abteilungen
5.2 Der Überflug
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v erantwortlich und mögen es weniger, wenn ihre Leute in andere Teams wechseln. Sie „managen“ gerne, denn das bedeutet, dass sie Kontrolle haben. Das ist allerdings nicht der Weg, um sich erfolgreich zu einer ambidextren Organisation zu entwickeln. Der CEO muss auch darauf ein Auge haben. Er muss die Führungskräfte führen und unterstützen, damit sie sich an die geänderte Führungssituation anpassen können und diese annehmen. Von einem Ansatz der „Steuerung und Kontrolle“ verändern wir uns hin zum „Befähigen und Unterstützen“ der Teams. Dafür ist es sehr wichtig, dass der CEO oder Geschäftsführer sich persönlich involviert und sein Engagement für den Wandel offen zeigt. Vielen Dank Herr van Beers für das Gespräch!
Das Fallbeispiel der niederländischen Vertriebsgesellschaft von Festo veranschaulicht, dass gleich mehrere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die beidhändige Unternehmenssteuerung funktioniert. Die fünf wichtigsten Erfahrungswerte und Handlungsempfehlungen für Führungskräfte dieser Fallstudie sind: 1. Beidhändigkeit erfordert Commitment von CEO und Top-Management. 2. Führungskräfte agieren in wechselnden Rollen. 3. Erfahrungsaustausch verbindet beide Welten. 4. Der Aufbau des neuen Betriebssystems erfolgt nutzerzentriert. 5. Führung entwickelt sich natürlich und informell. 1. Beidhändigkeit erfordert Commitment von CEO und Top-Management Der CEO und die Führungsmannschaft müssen hinter den unterschiedlichen Vorgehensweisen stehen – womit häufig der Change-Prozess beginnt. Erste Aufgabe des CEO im hier beschriebenen Beispiel war es, sich selbst und das eigene Management-Team für die Veränderung zu gewinnen. Denn für Führungskräfte bedeutet Beidhändigkeit das Erlernen und Leben einer neuen, andersartigen Führungskultur. Und das im Wechselspiel mit den bekannten, erlernten Vorgehensweisen. Einerseits steuern sie weniger und befähigen mehr, während andererseits in der bekannten Welt die bestehenden Routinen weiterlaufen. Die Offenheit für einen solchen Spagat und die Bereitschaft, den „Übergangsraum“ zu betreten, verlangt dem Führungsteam Offenheit, Mut und Risikobereitschaft ab. Allein die Unterstützung des CEO reicht bei innovativen Vorhaben nicht, denn in der operativen Umsetzung dürfen Teams nicht an den oberen Führungskräften scheitern [10]. 2. Führungskräfte agieren in wechselnden Rollen Im hier beschriebenen Beispiel zeigt sich, wie dieser Spagat gemeistert werden kann, in dem Führungskräfte eine zusätzliche zweite Rolle wahrnehmen. Während sie in der „Welt 1“ als Manager agieren, nehmen sie in der „Welt 2“ einen Platz als Team-Mitglied
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ein. Sie üben zwei Rollen aus, je nachdem in welchem Umfeld sie sich bewegen. Das erfordert Flexibilität im Denken und Handeln, die zur Zerreißprobe werden kann. 3. Erfahrungsaustausch verbindet beide Welten Durch die Durchmischung der Teams, in dem Personen, wie hier die Manager, aus dem konventionellen Betrieb als Teammitglieder im Innovationsteam teilnehmen, wird auch der Erfahrungsaustausch sichergestellt. Denn beide Welten können voneinander lernen. Es ermöglicht dem neuen Team, auch das Beste der „Welt 1“ anzuzapfen. Zugleich können sich neue Vorgehensweisen auch als hilfreich für das bestehende Geschäft erweisen. Nur durch eine Durchlässigkeit zwischen den Welten erreichen Sie Synergien. Diese Durchlässigkeit entsteht nicht von allein, sondern muss bewusst, z. B. durch den geplanten Austausch von Personen, eingebaut werden. 4. Der Aufbau des neuen Betriebssystems erfolgt nutzerzentriert Bereits vorhandene Prozesse und Routinen, die bei bekannten Produkten funktionieren, greifen oftmals nicht bei neuen Kunden, neuen Märkte oder neuen Technologien. Das zeigten die Zahlen der niederländischen Vertriebsgesellschaft. Das neue Geschäft brachte eigene Spielregeln mit, die sich mit den herkömmlichen Routinen nicht vertrugen. Das EASi3-Team hat deshalb seine Strukturen, Prozesse, Verhaltensweisen zu 100 % vom Markt und vom Kunden abgeleitet und neu im Team ausgestaltet (vgl. „Customer Obsession“ Kap. 7). 5. Führung entwickelt sich natürlich und informell Im Fallbeispiel wurde die formale Rolle der Führungskraft abgeschafft. Dennoch arbeitet das Team nicht führungslos. Sie wird im Netzwerk, basierend auf den Kompetenzen und dem Know-how der Teammitglieder, informell gelebt. Zugleich hat das Team den Support des CEO, der in seiner Funktion und Rolle nicht kontrolliert, sondern befähigt und unterstützt und dafür sorgt, dass in der Gesamtorganisation ein Gleichgewicht herrscht. Zusammenfassung: Den Kontext schaffen
Im hier beschriebenen Zwei-Weltenraum kann sich für Sie als Führungskraft stündlich der Handlungskontext verändern – ein anstrengendes Spannungsfeld. Zugleich haben Sie gerade hier die einmalige Chance, den Handlungskontext für die Menschen in Ihrer Organisation gewinnbringend zu gestalten. Sie können ermöglichen, dass sich Ihre Teams, je nach dem was eine Situation am Markt erfordert, für das bestehende oder das zukünftige Geschäft entscheiden. Bei Festo in Holland existiert aus diesem Grund inmitten bewährter hierarchischer Strukturen ein ebenso erfolgreiches kleines Ökosystem. Dafür wurde der Vertriebsansatz radikal aufgebrochen und das Vertriebsteam mit dem Kunden und dem Markt verzahnt. Das Beispiel zeigt, wie je nach Erfordernissen der Technik sowie Regeln
5.3 Die Handlungsoptionen
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des Marktes völlig andere Philosophien greifen. Den Kontext dafür, dass ein solcher Wandel und die Ko-Existenz beider Ansätze möglich werden, hat das Management geschaffen. Denn allein Bottom-up wird eine solche Initiative scheitern. Teams brauchen die Rückendeckung, die schützende Hand und den Raum von oben, um Neues auszuprobieren. ◄
5.3 Die Handlungsoptionen 5.3.1 Die Zwei-Hände-Übung Haben Sie schon einmal versucht, mit Ihrer nicht dominanten Hand einen ganzen Text zu schreiben? Wenn Sie neugierig sind, dann probieren Sie es gerne jetzt aus. Nehmen Sie ein weißes Blatt Papier und einen Stift zur Hand und schreiben Sie ein paar Sätze. Wenn Sie Rechtshänder sind, dann erst ein paar Sätze mit rechts, dann die gleichen Sätze mit links – oder umgekehrt. Falls kein Papier zur Hand, gibt es eine leere Skizzenseite in Kap. 3 (Abb. 3.10) zum Ausprobieren. Versuchen Sie es ein paar Minuten lang (Abb. 5.2). … Bevor Sie jetzt weiterlesen, reflektieren Sie kurz: Wie sehen die beiden Handschriften aus? Welche Buchstaben oder Worte fielen Ihnen besonders schwer? Sind Sie stolz? Oder eher peinlich berührt? Wie haben sich Ihre Hände angefühlt? Wie sieht der Text aus? Welche Gedanken und Gefühle hatten Sie beim Schreiben? …
Abb. 5.2 Übung: Schreiben mit rechts und mit links
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5 Im Zwei-Weltenraum
Findet diese kurze Auflockerungsübung im Rahmen von Workshops statt, werden an dieser Stelle gegenseitig die Kunstwerke gezeigt und das Erlebte wird beschrieben. Wenn Seminarteilnehmer nicht gerade beidhändig veranlagt sind, sind die Kommentare z. B.: • „Zurück auf die Schulbank versetzt“ • „Ich war furchtbar langsam“ • „Es war richtig frustrierend“ • „Eine seltsame Erfahrung“ • „Das Gegenteil eines Erfolgserlebnisses…“ • „Etwas das ich sonst kann, funktioniert nicht mehr richtig“ • „Irritierend“ • „Mich hat aber der Ehrgeiz gepackt…“ • „Wie ein totaler Anfänger…“ • „Ich bin überrascht, dass es irgendwie doch gelingt“ Versetzen Sie sich in die Rolle Ihrer Organisation. In ein ganzes Unternehmen. Mit zahlreichen Menschen, Routinen, Prozessen, mit einer Vision, Mission, Strategie, einer Steuerungszentrale, Bereichen, Abteilungen, Teams, Produktionsanlagen, Logistikzentren etc. Stellen Sie sich vor, Sie drehen dieses Unternehmen nun auf links (bzw. auf die nicht dominante Seite). Vermutlich ahnen Sie spätestens jetzt, was es für die Organisation, für Ihre Teams und schließlich für den einzelnen Mitarbeiter bedeutet, von der dominanten, gewohnten Seite, auf die nicht dominante Seite zu wechseln. Und Sie wissen jetzt, was wir in diesem Kapitel vorhaben… Neuland! Anfänger-Geist! Interessanterweise und immer wieder überraschend kommt nach der Schreibübung nie die Rückmeldung, dass es überhaupt nicht geht. Im Gegenteil, jedes Mal wird sichtbar, dass die Teilnehmer trotz aller Frustration oder Irritation überrascht sind, dass sie überhaupt etwas zu Papier bringen. Es machte vereinzelt sogar Spaß! Für einen Moment breitet sich manchmal sogar der für das Erschließen von Neuland so wertvolle „Anfänger-Geist“ aus [11] aus (vgl. Kap. 7). Es gibt also Hoffnung…! Genauso wie es für Links- und Rechtshänder jede Menge Hilfsmittel gibt – Scheren, Füller, Computer-Maus oder Tastatur – die das Leben mit der einen oder anderen Hand erleichtern, brauchen auch Menschen in Organisationen Hilfsmittel, die es erleichtern, in der einen oder anderen Welt oder in beiden gleichzeitig zu navigieren. Ihre Kommunikation als Führungskraft ist ein solches Instrument, das wir nun noch genauer betrachten.
5.3 Die Handlungsoptionen
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5.3.2 Der Innovationskontext Betreten wir also das Unternehmen. Es ist Montagmorgen, Ihr Tag beginnt. Um als beidhändige Führungskraft einen Kontext zu schaffen, in dem die Teams und einzelnen Mitarbeiter sich zwischen den Welten frei bewegen können, müssen Sie selbst erfassen, in welchem Kontext Sie sich jeweils bewegen. Um ein Umfeld prägen zu können, ist es der erste Schritt, dass Sie Ihren Standort und Ihr Ziel bestimmen. Nehmen wir einen typischen Alltag des Senior Managers Herr B., der an einem Tag im Unternehmen verschiedene Termine und Situationen durchläuft. Unterschiedliche Themen, Projekte, Strategien wollen gehört und besprochen werden. Herr B. trifft auf unterschiedliche Teams und Aufgaben. Gäbe es einen Reset-Button, wäre dieser nach jedem Termin jetzt hilfreich. Denn nach jeder Sitzung muss Herr B. als beidhändige Führungskraft neu entscheiden. Und zwar in Bezug auf das Spannungsfeld Exploitation/ Exploration. „Reset“ nach jedem Termin Herr B. muss sich in jedem Moment erneut fragen, in welchem Umfeld er sich gerade bewegt. Handelt eine Sitzung von innovativen Lösungen für die Digitalisierung? Trifft er auf ein hochinterdisziplinäres Team, dass am besten weiß, was die Lösung ist und von ihm nur einen Rat abholen will? Oder geht es um das Anordnen von Routine-Tätigkeiten? Was braucht das Team jetzt? Ist sein Know-how als Führungskraft gefragt? Klare Ansagen oder Gestaltungsspielraum? Abb. 5.3 zeigt den Pfad in die beidhändige oder nicht beidhändige Organisation. Um zu entscheiden, welches die richtigen Handlungsoptionen für den jeweiligen Kontext sind, muss Herr B. zunächst klären, ob er sich einem Umfeld befindet, in dem Beidhändigkeit gefragt ist. Dies ist dann der Fall, wenn er es sowohl mit dem heutigen Kerngeschäft als auch mit dem zukünftigen Business zu tun hat. Oder befindet er sich in einem Umfeld, in dem er sich ungestört auf das eine oder das andere konzentrieren kann? Die Antwort auf diese Fragen führt zu einem grundsätzlich anderen Verhalten und zu anderen Ergebnissen. Beidhändige Führung: die Standortbestimmung ist elementar Die eigene Standort- und Zielbestimmung ist zentraler erster Schritt auf dem Weg in die beidhändige Führung. Dieser Schritt erfordert lediglich einen Moment Ihrer Aufmerksamkeit, die Sie in jeder neuen Situation auf die anwesenden Personen, ihren Innovationskontext und ihre grundsätzliche Zielsetzung (explore/exploit) lenken. Danach erst richten Sie Ihr Handeln aus. Dieser erste Schritt beruht auf der Fähigkeit, Situationen zu beobachten, Menschen zuzuhören und den Zustand der Organisation oder eines Teams zu erkennen. Dann erst können Sie einschätzen, ob Sie es mit bekannten Technologien und bewährten Routinen
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Abb. 5.3 Leitfaden für die beidhändige Kommunikation
oder mit komplexen neuen Plattformkonzepten und digitalen Geschäftsmodellen oder aber mit beiden Welten gleichzeitig zu tun haben.
Beidhändiges Führen beinhaltet den entscheidenden und immer zu wiederholenden Schritt der kurzen Standort- und Zielbestimmung, bevor Sie beginnen zu handeln.
Die rechte Seite von Abb. 5.3 zeigt ein nicht-beidhändiges Umfeld. Sind Sie in einem überaus explorativen Bereich tätig, z. B. in der Grundlagenforschung für eine neue Technologie oder im Inkubator eines Unternehmens und haben einzig und allein die Zielsetzung, Neuland zu entdecken, dann folgen Sie dem Pfad „Keine Beidhändigkeit“. Sie konzentrieren sich auf das Aufspüren neuer Lösungen. Gleiches gilt für die Tätigkeit in einem streng exploitativen Umfeld mit Fokus auf die Steigerung der Stückzahlen und die Optimierung von Prozessen. Hier gilt es definierte strategische Maßnahmen effizient auszurollen. Sind Sie entweder hier oder dort und verändern sich Zielsetzung und Umfeld nur wenig, können Sie in einem stabilen Führungsmodus bleiben. Wechseln Sie jedoch von Stunde zu Stunde, von Gespräch zu Gespräch zwischen den Extremen, ist es Ihre Aufgabe, beides voranzutreiben, dann ist die Fähigkeit zur
5.3 Die Handlungsoptionen
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Beidhändigkeit gefragt. Dann geht es darum, die Balance zwischen Exploitation und Exploration herzustellen und einen Kontext zu schaffen, in dem beides für Sie und für die Teams funktioniert. Im Top-Management ist Beidhändigkeit an der Tagesordnung Die Realität des Unternehmensalltags zeigt, dass sich vor allem Führungskräfte der oberen Ebenen in einem beidhändigen Kontext bewegen. Je weiter oben in der Hierarchie, je weitreichender der Einfluss eines Managers, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass in seinem Einflussbereich mehrere Innovationsansätze verfolgt werden. Selbst wenn Sie innerhalb Ihrer Organisation getrennte Welten, z. B. getrennte Business Units, für das bestehende und das zukünftige Geschäft etabliert haben, müssen Sie auf oberster Ebene beides orchestrieren. Ganz oben, an dem Ort, an dem Sie die Gegenwart und die Zukunft überschauen, ist Beidhändigkeit immer kontextueller Natur. Das heißt, Sie sind jeden einzelnen Tag mit beidem konfrontiert. Aber auch auf mittleren Unternehmensebenen ist Beidhändigkeit gefragt. Denn selbst innerhalb eines Projektes oder einer klar auf das eine oder das andere ausgerichteten Organisationseinheit zeigt sich häufig, dass je nach Fortschritt eines Vorhaben oder Reife einer Technologie, Fähigkeiten beider Welten gefragt sind: Fähigkeiten zur Ideenfindung und Fähigkeiten zur zielgerichteten Umsetzung. Gegenseitige Akzeptanz, Lernen und Austausch untereinander ist hier für beide Seiten von Vorteil. Wir konzentrieren uns deshalb in den nächsten Minuten auf die linke Seite von Abb. 5.3, die Beidhändigkeit. In diesem Umfeld benötigen Sie eine Palette aus verschiedenen Handlungsmustern, die Sie je nach Situation und Kontext zielgerichtet einsetzen können. Drei verschiedene Grundmuster der beidhändigen Führung Im Rahmen der 2016 erschienen Studie zur Beidhändigkeit von Führungskräften im deutschen Maschinen- und Anlagenbau [12] wurde herausgearbeitet, dass das reine Zusammensetzen von Handlungsmustern aus Exploration und Exploitation nicht ausreichend ist. Führungskräfte benötigen zusätzlich einen weiteren Handlungsansatz, der für ein beidhändiges Setting maßgeschneidert ist. Damit sind es insgesamt drei unterschiedliche Grundmuster, die Sie im Gepäck haben werden, um Beidhändigkeit im Unternehmen zu fördern und die Ihnen helfen, sicher durch die beidhändige Organisation zu führen: 1. Kommunikation für Exploration (Kap. 3) 2. Kommunikation für Exploitation (Kap. 4) 3. Beidhändige Kommunikation (Kap. 5) Sie mögen sich jetzt fragen, ob es überhaupt etwas bringt, wenn der Einzelne an seinem Kommunikationsstil dreht. Vielleicht wenden Sie ein, Kommunikation sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein….?
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Die Antwort ist einfach. Transformation setzt einen Kultur- und Mindset-Change voraus. Dieser Wandel beginnt im Kopf. In meinem, in Ihrem, in dem aller Beteiligten. Er beginnt in unserem Denken und Handeln. Beides offenbart sich in unserer Kommunikation. Die Kultur einer Organisation entsteht durch das kollektive Denken und Handeln der Menschen, die in ihr leben und arbeiten. Der Spirit, der ganz spezielle Geist einer Organisation, erwächst aus dem individuellen Mindset der einzelnen Mitarbeiter und ihrem Teamgeist in der Zusammenarbeit. Jeder Einzelne entscheidet, welchen Beitrag er dazu leistet. Sind Sie Führungskraft und wollen etwas verändern, dann ist die Entscheidung also leicht. Wenn Ihr Mindset sich nicht ändert, wird Ihr Tanker sich nicht drehen. Wenn Ihr Mindset sich aber bewegt, dann passiert plötzlich interessantes…
Fangen wir also einfach an und probieren es aus: Ohne Kosten, ohne Berater. Wir ändern einfach die eigenen Gewohnheiten. Es ist ein bewusstes Steuern der eigenen Kommunikation und ein bewusstes zielgerichtetes Steuern der Kommunikation im Netzwerk. Wenn Sie Kommunikation als Aufgabe ernst nehmen – und das ist die einzige Umsetzungsbedingung dieses Buches – dann drehen Sie damit am ganz großen Rad. Sie drehen an der Kultur.
1. Kommunikation für Exploration Wir fassen kurz die wichtigsten Punkte aus Kap. 3 nochmals zusammen. Exploration benötigt einen kommunikationsbasierten Führungsstil, der sich völlig von dem heutigen Organisationsparadigma der Pyramide löst. Um im Umfeld der Digitalisierung zu neuen Lösungen zu kommen, müssen Verantwortung und Entscheidungsgewalt aus der Führungsetage herausgelöst und hinein in die Teams gebracht werden. Denn hier sitzen das Know-how und die zahlreichen verschiedenen Kompetenzen und Disziplinen, die Sie benötigen, um komplexe Technologie-Plattformen und digitale Services hervorzubringen. Wenn Sie digitale Ökosysteme für Innovation gestalten und orchestrieren wollen, müssen Sie Ihr Führungsverständnis verändern und Kommunikation konsequent in den Mittelpunkt Ihrer Aktivitäten stellen. Denn je stärker ein Lösungsraum im Umfeld von Digitalisierung und Industrie 4.0 selbst von Kommunikation und Vernetzung geprägt ist, desto mehr müssen genau diese menschlichen Fähigkeiten in Teams entlang des Innovationsprozesses aktiviert werden. Ökosystem-Management setzt voraus, dass Sie Kommunikation dezentralisieren. Weg von der Pyramide, hin zum Netzwerk. Sie bauen Netzwerke und Communities bereichsund unternehmensübergreifend auf und „ernähren“ diese mit nützlichen Informationen und Teilnehmern, sodass ein selbstorganisierendes System entstehen und wachsen kann. Die Kommunikation im Ökosystem läuft Bottom-up und quer durch die und außerhalb der Organisation. Hierarchie im herkömmlichen Verständnis tritt in den Hintergrund und Führung findet an den Stellen statt, an denen Entscheidungen aufgrund von Fähigkeit und Wissen getroffen werden können.
5.3 Die Handlungsoptionen
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Werden weniger Ansagen von oben benötigt, kann Kommunikation vermehrt auf allen Ebenen und informell ablaufen. Sie hat einen vernetzenden, Transparenz-schaffenden Charakter und unterstützt z. B. die kundenzentrierte Lösungsfindung durch Design Thinking oder die Selbstorganisation im Team durch agiles Projektmanagement. Fazit: Im Mittelpunkt Ihrer Aktivitäten als Führungskraft steht das Orchestrieren von Ökosystemen und die Prägung eines agilen, beweglichen Mindsets für Innovation. Ziel ist es, durch Kommunikation und Vernetzung neues Wissen und Chancen für neue Geschäftsmodelle zu generieren – und zu ergreifen. 2. Kommunikation für Exploitation Im Umfeld der Exploitation ist Wissen ausreichend vorhanden. Führungskräfte kennen den Weg und sind in der Lage, Entscheidungen Top-down zu treffen (Kap. 4). Ein Hierarchie-zentrierter Kommunikationsstil in der Organisationspyramide setzt voraus, dass das Management weiß, was zu tun ist. Abgeleitet aus der Strategie werden von oben die Anweisungen herausgegeben. Um an Fahrt aufzunehmen und Entscheidungen schnell durch die Organisation zu bringen, ist es wichtig, sämtliche Kommunikation zu zentralisieren und den Prozess der Informationsübertragung straff durchzuorganisieren. An einer Stelle laufen die Fäden zusammen, von dort wird gesteuert, welche Informationen über welchen Kanal in die Organisation gesendet werden. Ob als Veranstaltung, Bericht im Mitarbeitermagazin, Artikel im Intranet, Blogbeitrag, Broschüre, Aushang oder Protokolleintrag – um Einstimmigkeit und Klarheit im Unternehmen zu erzielen, muss die Botschaft sitzen und die Medien und Kanäle müssen zielgerichtet ausgewählt werden. Der Dialog mit den Mitarbeitern wird möglichst kontrolliert und klein gehalten, denn die Entscheidungen sind bereits getroffen. Jetzt geht es um die Umsetzung. Um Effizienz und Geschwindigkeit zu erzielen, greifen Sie auf vorhandene Prozesse und Strukturen zu und erfinden das Rad nicht neu. Klare Ansagen. Befehl und Gehorsam sind das Grundprinzip. Von oben nach unten informieren Sie über Vision, Mission, Strategie oder Maßnahmenpakete und erklären den Grund, warum etwas zu tun ist. Ziel Ihrer Kommunikation ist es Homogenität zu erreichen. Sie bringen die Organisation auf einen Nenner. Fazit: Im Mittelpunkt Ihrer Aktivitäten als Führungskraft stehen die zentral gesteuerte Kommunikation und die Top-down-Vermittlung von Informationen zum Ausrollen einer Strategie. Ziel ist es, durch Kommunikation ein einheitliches Verständnis zu schaffen, Effizienz in den Prozessen zu optimieren und die Umsetzung von Maßnahmen zu beschleunigen. 3. Beidhändige Kommunikation Beidhändige Führung geht über das Kombinieren der Ansätze für Exploitation und Exploration hinaus. Beidhändigkeit benötigt zusätzliche, weitere Verhaltensweisen. Denn wollen Sie sicherstellen, dass in Ihrem Unternehmen Aktivitäten für die Gegenwart und die Zukunft erfolgreich vorwärts kommen, so müssen Sie beides balancieren. Sobald die beidhändige Organisation aus dem Gleichgewicht gerät, ist das eine oder das andere in Gefahr.
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Die folgende Analogie brachte ein Seminarteilnehmer während eines Trainings ein. Er verdeutlichte mit einem Blick in den Familienalltag, dass Beidhändigkeit weit mehr erfordert, als die Kompetenz in verschiedenen Einzelbereichen. Zum Zeitpunkt des Übergangs zwischen der heutigen Welt und der zukünftigen Welt gilt es Exploitation und Exploration gleichberechtigt zu betrachten. Schauen wir auf Herrn B., der neben seiner beruflichen Verpflichtung als Führungskraft auch begeisterter Vater zweier Kinder ist. Mit jedem Kind einzeln hat er eine ganz besondere Beziehung. Mit seinem Sohn spielt er Fußball und Tennis. Mit seiner Tochter diskutiert er kniffelige Mathe-Aufgaben. Dabei muss Herr B. immer wieder sicherstellen, dass keines der beiden Kinder sich benachteiligt fühlt. Hat ein Kind das Gefühl, zu wenig Aufmerksamkeit zu bekommen, hängt kurzfristig schnell der Haussegen schief. Das gilt es tunlichst zu vermeiden. Und Herr B. weiß zudem, dass ein Mangel an Aufmerksamkeit, und sei es nur ein unterbewusst erlebter Mangel, nichts Gutes bewirkt. Herr B. verteilt also erstens seine Aufmerksamkeit gerecht. Er stellt zweitens sicher, dass zwischen beiden Kindern ein reger Austausch entsteht, dass sie die Existenz des jeweils anderen nicht nur akzeptieren, sondern den Vorteil verstehen, der darin liegt, voneinander zu lernen oder sich gegenseitig zu helfen und gemeinsame Dinge zu unternehmen. Nichts anderes benötigen Vorhaben der Exploitation und Exploration im Übergangsraum. Dies heißt nicht, dass Sie jede Start-up-Idee, die in Ihrer Organisation aus dem Boden sprießt, gleich fördern und unterstützen müssen. Es bedeutet, dass Sie die grundsätzliche Entscheidung für zwei unterschiedliche Innovationsrichtungen treffen und einen Raum aufspannen, in dem beides funktioniert. Fazit: Im Mittelpunkt Ihrer Aktivitäten als beidhändige Führungskraft steht das Ausbalancieren beider Welten. Sie lenken durch Ihre Kommunikation die Aufmerksamkeit der Organisation passend auf Initiativen der Exploration und der Exploitation, treffen in beiden Umgebungen den richtigen Ton und schaffen einen Kontext, in dem die Mitarbeiter in beiden Welten agieren können. Ziel ist es, beide Innovationsvorhaben zu stärken und ein Umfeld zu schaffen, in dem sich beide erfolgreich entwickeln können (Tab. 5.1).
5.3.3 Die Kommunikationstools für Beidhändigkeit Ob eine Organisation wirklich beidhändig ist, zeigt sich erst im Denken und Handeln ihrer Führungskräfte. Ambidextrie oder Beidhändigkeit erfordert die Fähigkeit von Führungskräften, den Zeitraum des Wandels in einem Unternehmen bewusst zu gestalten. Es erfordert das Gespür dafür, einen heutigen Zustand erfolgreich zu führen und zugleich die Verhaltensweisen, Routinen, Prozesse, Methoden eines neuen Zustands zu erlernen und zu nutzen [12]. Während Sie mit den bekannten Vorgehensweisen im bestehenden Geschäft Erfolge verzeichnen, gilt es zugleich, unternehmensweit und über die Grenzen hinaus vorhandenes Wissen, Disziplinen, Fähigkeiten neu zusammenzusetzen.
Beidhändige Kommunikation Organisation und Führung: Pyramide/Netzwerk/Ökosystem Balance und Verbindung zwischen den Welten Führung qua Amt und natürliche Führung in Teams Kommunikation: Kommunikatives Kontextmanagement: Schaffen eines Umfeldes, in dem Exploitation und Exploration koexistieren und sich ergänzen
Inhalt: Zwei-Welten-Vision vermitteln, die die Gegenwart in den Kontext des zukünftigen Geschäfts setzt Notwendigkeit eines ausgewogenen Innovations- und Businessportfolios für langfristiges Überleben vermitteln Formate: Offizielle Formate wie Veranstaltungen zur Vermittlung der Vision nutzen Sonst Raum geben für Top-down und Bottomup- und Netzwerk-Kommunikation
Kommunikation für Exploitation Organisation und Führung: Hierarchie/Pyramide Homogenität, gemeinsamer Nenner Bestehendes Wissen nutzen Führung qua Amt Kommunikation: Kommunikation zentralisieren, durchorganisieren und Top-down kaskadieren (senden) Klare Ansagen Die Diskussion eröffnende Kommunikation vermeiden Inhalt: Über Vision, Strategie, Maßnahmenpakete informieren Klare Handlungsanweisungen erteilen
Formate: Offizielle und formelle Medien und Kanäle nutzen wie z. B. Mitarbeiter-Veranstaltungen, Berichte in Mitarbeitermagazinen, Artikel im Intranet, Videobotschaften, Gremien und Protokolle
Kommunikation für Exploration
Organisation und Führung: Ökosystem/Agiles Mindset Heterogenität, Vielfalt der Stimmen Neues Wissen entsteht Natürliche Führung in Teams
Kommunikation: Kommunikation dezentralisieren Netzwerke und Communities aufbauen, Bottomup-Kommunikation ermöglichen Management-zentrierte Top-down Kommunikation vermeiden, natürliche Hierarchien entstehen lassen
Inhalt: Starke Vision kommunizieren, dadurch Rahmen setzen, keine Handlungsvorgaben machen Inhalte (Ideen, Lösungsansätze) dezentral entstehen lassen Grüne Wiese-Mindset vermitteln
Formate: Kreativitäts- und Vernetzungs-fördernde Formate nutzen wie Design Thinking Selbstorganisation durch agile Methoden, agiles Projektmanagement
Tab. 5.1 Die drei Grundmuster der Kommunikation für beidhändige Führung
5.3 Die Handlungsoptionen 167
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Sie müssen für Stabilität sorgen und bringen zugleich mit anderen Tätigkeiten alles ins Wanken. Durch den passenden Einsatz Ihrer Kommunikation können Sie diese Situation entspannen und Synergieeffekte erzielen. Wie genau sieht diese Kommunikation also aus? Im Wesentlichen können vier verbindende Kernelemente im Verhalten von beidhändigen Führungskräften beobachtet werden. Sie schaffen durch ihr Mindset und ihr Handeln einen Kontext, in dem Beidhändigkeit als Gleichklang in einer Organisation entstehen und von allen Organisationsmitgliedern gelebt werden kann. 1. Vision: Sie vermitteln eine umfassende Zukunftsvision. 2. Strategie: Sie kommunizieren kontinuierlich die Strategie für beide Welten. 3. Integration: Sie führen beide Welten durch Kommunikation zusammen. 4. Rekonfiguration: Sie schaffen gewinnbringende neue organisationale Verbindungen. Diese vier Kernelemente ermöglichen es, die von den Ambidextrie-Experten Tushman und Kollegen vorgeschlagenen Prinzipien ambidextrer Führungskräfte (Kap. 2) auch wirklich in die Tat umzusetzen. Die Ambidextrie-Experten fordern von den oberen Führungskräften die Entwicklung einer größeren Identität, das Verorten und Aushalten von Spannungen und das Umarmen von Widersprüchen [10]. Um dies zu erreichen und die Prinzipien mit Leben zu füllen, sollten Sie die vier hier vorgestellten Kernelemente in ihr kommunikatives Handeln implementieren. 1. Vision Einen Kontext zu schaffen, der es den Organisationsmitgliedern ermöglicht, in einem Feld der Extreme zu arbeiten und Entscheidungen zu treffen, beginnt mit der identitätsstiftenden Vision des Unternehmens. Die Vision setzt das heutige Betätigungsfeld in den Zusammenhang mit der Zukunft, den technologischen Trends und mittel- bis langfristigen Entwicklungen am Markt. Durch wiederholte Vermittlung einer verbindlichen Zukunftsvision des Zwei-Weltenraums, die keine Zweifel offenlässt, schaffen Sie den Gesamtrahmen für eine beidhändige Organisation [13]. 2. Strategie Damit eng einher geht die Vermittlung der strategischen Maßnahmen und Absichten beider Welten. Denn gleichzeitig Exploration und Exploitation zu betreiben, bedeutet, dass sich beides im Maßnahmenpaket Ihrer Strategie auch wiederfindet. Wenn schließlich Aktivitäten in beiden Richtungen laufen, dann beginnt der eigentliche Balance-Akt. Denn jetzt geht es um die Integration zweier konträrer Philosophien, Organisationsparadigmen, Handlungs- und Denkweisen innerhalb Ihrer Organisation. 3. Integration Integration beider Welten bedeutet, dass sich Teams aus der einen und der anderen Ausrichtung nicht benachteiligt fühlen, sondern einen klaren Platz in der Gesamtausrichtung
5.3 Die Handlungsoptionen
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des Unternehmens finden. Aktivitäten für heute und für morgen finden gleichberechtigt und gleichermaßen erwünscht statt. Es bedeutet auch, dass Sie Austausch zwischen den Teams herstellen und dafür sorgen, dass Erfahrungen geteilt werden [14]. 4. Rekonfiguration Und schließlich ist es Ihre Aufgabe, neue organisationale Verbindungen herzustellen, die es ermöglichen, Ressourcen aus beiden Welten quer durch die Organisation durch Kommunikation neu zu verknüpfen und dadurch Wert für die Zukunft zu generieren. Abb. 5.4 veranschaulicht die vier Kernaktivitäten, auf die Sie zur Förderung von Ambidextrie zugreifen können. Wenn Sie die Zukunft schon einführen wollen, obwohl die Gegenwart erfolgreich die Erträge bringt, dann benötigen Sie an dieser Stelle Beharrlichkeit und Ausdauer. Denn einmaliges Handeln reicht hier nicht aus. Diese Handlungsmuster werden Sie zukünftig begleiten. Sie müssen kontinuierlich und wiederholt eingesetzt werden, wenn Sie wirklichen Wandel in Ihrer Organisation bewirken wollen. Steigen wir also tiefer in die Handlungsoptionen ein.
Abb. 5.4 Vier Kernaktivitäten der beidhändigen Kommunikation
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5.3.3.1 Vermittlung der Zukunftsvision Die Vision ist ein verbindliches Leitbild für die Mitglieder einer Organisation. In einem beidhändigen Unternehmen setzt das Visionsbild die gegenwärtige und die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens in einen großen Kontext. Sie vermittelt ein Bild, in dem die evolutionäre Weiterentwicklung und die revolutionäre Neuausrichtung in einer Balance stehen und schlüssig ineinander greifen. Die Evolution bereitet die Revolution vor – der Zusammenhang muss hier sichtbar werden, damit jeder Einzelne in der Organisation versteht, warum heute schon Aktivitäten für die Zukunft gestartet werden. Warum jetzt diese oder jene Initiative? Uns geht es doch gut! Das Visionsbild vermittelt, warum Stabilität und Effizienzsteigerung im bestehenden Geschäft überlebensnotwendig sind. Sie zeigt zugleich auf, wie das heutige Business den finanziellen Weg ebnen wird, um die Zukunft zu erreichen und Technologiesprünge nicht zu verpassen. Die Vision ist ein verbindliches und inspirierendes Leitbild für die Mitglieder einer Organisation. In einem beidhändigen Unternehmen setzt das Visionsbild die gegenwärtige und die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens in einen großen Kontext. Die Vision einer ambidextren Organisation durchbricht bestehende Grenzen, begeistert und reißt gedankliche Barrieren ein. Sie spannt den riesigen Zwei-Weltenraum zwischen dem Hier und Jetzt und einer erstrebenswerten, spannenden Zukunft auf. Doch jedes noch so zukunftsträchtige Visionsbild ist wertlos, wenn keiner von ihm weiß. Ein kraftvolles Visionsbild muss die breite Masse der Belegschaft begeistern und mitreißen. Und dafür benötigen Sie Kommunikation. Im Portfolio der Instrumente und Methoden eignet sich für die Vermittlung der Vision ein konventionelles Mittel der Top-down-Kommunikation (Kap. 4): die Mitarbeiter-Veranstaltung. Sie wollen alle Mitarbeiter erreichen. Sie wollen nicht nur Fakten transportieren, sondern ein Erlebnis schaffen. Die Vision soll die Mannschaft aufladen und begeistern. Mitreißen und verbinden. Sie macht sichtbar, wie sehr alle Beteiligten, ganz gleich ob sie für Exploitation oder Exploration im Einsatz sind, aufeinander angewiesen sind. Denn das eine kann ohne das andere nicht dauerhaft existieren. Damit schweißen Sie Ihre Teams zusammen. Eine emotional packende Visionsveranstaltung über die zukünftige Ausrichtung macht unmissverständlich klar, warum es ein Unternehmen sich nicht erlauben kann, im Tagesgeschäft unterzugehen. Es macht zugleich deutlich, wie spannend und ermutigend der Blick für das große Ganze sein kann. Sie zündet an. Als CEO, Vorstand, Geschäftsführer, Senior Manager, Projektleiter sind Sie in der Pflicht und in der Rolle, diese Vision zu vermitteln und zu erklären, wie weit ein Unternehmen über die heutigen Grenzen hinausdenken muss. Sie können Ihre Teams und Mitarbeiter dazu anstiften, es ebenso zu tun. Die Vision einer ambidextren Organisation durchbricht bestehende Grenzen und reißt gedankliche Barrieren ein. Das ist die Chance. Und es ist der erste Schritt in Richtung eines Organisationskontextes, in dem Beidhändigkeit entstehen kann.
5.3 Die Handlungsoptionen
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„DIE KUNST, DIE BALANCE ZU FINDEN“
Interview mit Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen, von 2010 bis 2020 Rektor der Technischen Universität Dresden Sie leiten eine der größten deutschen technischen Universitäten. Das CHE Centrum für Hochschulentwicklung bezeichnet Sie als „Visionär mit Bodenhaftung“ [15]. Wie wichtig ist die Vision von einer Zukunft für Sie? Eine so große Universität wie die TU Dresden kann man gern mit einem Tanker auf hoher See vergleichen. Wenn man sein Ziel nicht kennt, kann man nicht steuern und Kurs halten, sondern wird einfach durch die Meere getrieben. Eine Navigation wäre so unmöglich. Um aber Ziele und Strategien formulieren und einen Kurs bestimmen zu können, braucht man zunächst eine Vision. Eine Vision ist in meinen Augen eine Art Leitidee, verbindlich für alle Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Studierenden. Meine Vision für die TU Dresden spiegelt sich in unserem Zukunftskonzept wider, mit dem wir 2012 in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder als eine von elf deutschen Universitäten erfolgreich waren. Und der Aufwärtstrend setzt sich seit 2019 mit der Bestätigung des Exzellenzstatus fort: Die TU Dresden ist eine international führende, hoch innovative Universität durch ihre Fähigkeit, synergetisch, das heißt Disziplinen- und Institutionen-übergreifend, zusammenzuarbeiten und ihre Bereitschaft, ihre Strukturen und Prozesse kontinuierlich zu überdenken und zu optimieren. Gleichzeitig etablieren wir über alle Bereiche hinweg eine Kultur der Verantwortung für die Erfüllung unserer Aufgaben und Verpflichtungen in Forschung, Lehre und Transfer, in der Verwaltung unserer Ressourcen und im Umgang mit allen Hochschulangehörigen. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, eine starke Vision auch zu vermitteln, zu kommunizieren? Wie machen Sie das? Eine Vision, die man nur im Kopf hat und nicht nach außen trägt, ist in meinen Augen eine verlorene Vision. Je mehr Menschen man für eine Vision begeistern kann, umso größer ist die Chance, diese auch umzusetzen. Jeder engagiert sich lieber für Dinge, die ihm wichtig sind; deren Bedeutung er versteht. Nur durch das Mitnehmen aller Beteiligten kann ich erreichen, dass alle an einem Strang ziehen. Das muss nicht heißen, dass alle immer einer Meinung sein müssen! Aber sie müssen die Visionen und Ziele der Universität kennen und akzeptieren. Ohne Kommunikation ist das undenkbar. Nicht zuletzt deshalb war es eine meiner ersten Entscheidungen nach meiner Wahl zum Rektor der TU Dresden, die Kommunikationsabteilung strukturell direkt bei mir anzusiedeln und danach eine Strategieabteilung aufzubauen. Gemeinsam entwickeln wir Strategien und Maßnahmen, wie die gesamte Universität in Entscheidungsprozesse eingebunden werden kann.
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Als Rektor nutze ich das persönliche Gespräch ebenso wie große Informationsveranstaltungen, um die Ziele und Vorhaben der TU Dresden intern und extern zu vermitteln. Es gibt kaum einen Tag, an dem ich nicht im Rahmen verschiedenster Veranstaltungen über die TU Dresden informiere und um Unterstützung für unsere Universität werbe. Das sind zum Beispiel regelmäßige Treffen mit Vertretern der unterschiedlichen Gruppen unserer Universität – angefangen von den Studierenden bis hin zu den Hochschullehrern. Oder auch gemeinsame Frühstücksrunden mit den Politikern der einzelnen Stadtrats- und Landtagsfraktionen und die aktive Teilnahme in zahlreichen Gremien auf Bundesebene. Ganz besonders wichtig ist aber das Zuhören. In Gesprächen werden mitunter auch Ängste und Sorgen an mich herangetragen. Hier immer ein offenes Ohr zu haben und diese Ängste ernst zu nehmen, ist eine wichtige Voraussetzung für das Miteinander in Veränderungsprozessen. Sie arbeiten bei Innovationen eng mit der Industrie zusammen. Unternehmen sind häufig sehr stark im Tagesgeschäft eingebunden. Warum sollten Unternehmen dennoch auch weit in die Zukunft blicken? Wer die großen und langfristigen Entwicklungen nicht vorausschauend im Auge hat, wird aufs falsche Pferd setzen. Wichtig ist es für Unternehmen genauso wie für Hochschulen, nicht im Tagesgeschäft unterzugehen, sondern immer auch den Blick für das große Ganze zu behalten. Unternehmen, die nicht nur im heute agieren, sondern auch die Zukunftsszenarien durchspielen, verschaffen sich aus meiner Sicht entscheidende Wettbewerbsvorteile. Je weiter man vorausschaut in die Zukunft, umso größer ist die Chance, Technologiesprünge nicht zu verpassen. Umso früher kann man auch Veränderungen der eigenen Unternehmenspolitik einleiten, deren Umsetzung in der Regel ihre Zeit dauern. Die deutsche Industrie hat weltweit einen Ruf für herausragende Qualität und Optimierung, hat aber in den vergangenen Jahrzehnten auch etliche disruptive Innovationen verpasst. Welche Rolle spielt Innovationsfähigkeit für eine weltweit anerkannte Exzellenz-Universität wie die Technische Universität Dresden? Ohne Innovationsfähigkeit sowohl in Lehre und Forschung als auch in den Verwaltungs- und Unterstützungsprozessen kann eine Universität heute nicht im internationalen Wettbewerb bestehen. Die TU Dresden bekennt sich seit vielen Jahren zu dem Ziel, die Megaprobleme der Menschheit mit ihrer Forschung und der Ausbildung von hoch qualifizierten Absolventen lösen zu helfen. Als eine der elf Exzellenzuniversitäten deutschlandweit haben wir bewiesen, dass Innovation und Vision in unseren Reihen gelebt wird. Nicht zuletzt wurden wir 2016 von der Agentur Reuters als eine der 20 innovativsten Universitäten in Europa bewertet.
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Gerade eine Universität muss immer in Bewegung bleiben und in der Lage sein, sich immer wieder neu erfinden. Die ZEIT und das Centrum für Hochschulentwicklung haben Sie im Jahr 2014 mit der Bezeichnung „Der Motivator“ zum Hochschulmanager des Jahres des Jahres ausgewählt. Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter dazu, als Akteure und Gestalter der Universität immer wieder Neuland zu erschließen, während zugleich das bestehende Tagesgeschäft laufen muss? Die Kunst besteht darin, die Balance zu finden zwischen der Weiterentwicklung von Kreativität und neuen Ideen, der Schaffung von Freiräumen und Autonomie auf der einen Seite und detaillierten Anforderungen und mitunter auch klaren Ansagen auf der anderen. Wir müssen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genau wie unseren Studierenden Rahmenbedingungen schaffen, die Raum für neue Ideen und Visionen und deren Umsetzung lassen. Dazu gehört auch, ein entsprechendes Klima zu schaffen. Wir müssen den Mut haben, verkrustete Strukturen auf den Prüfstand zu stellen. In Zeiten ständig wachsender Anforderungen gilt es außerdem, Prioritäten zu setzen und so eine Überbelastung der eigenen Kräfte aber vor allem auch der Mitarbeiter zu vermeiden. Ein ständiges „Schneller, höher, weiter“ auf allen Gebieten gleichzeitig führt langfristig zum Verschleiß. Es ist auf den ersten Blick oft verlockend, immer wieder neue Aktivitäten für die TU Dresden anzustoßen. Aber auch das muss ich als Führungskraft im Auge behalten: Wer dauerhaft an der Kapazitätsgrenze agiert, wird nicht langfristig erfolgreich sein können. Das gilt für die Universität als Ganzes genauso wie für jeden einzelnen Mitarbeiter und für mich als Rektor. Vielen Dank Herr Professor Müller-Steinhagen für das Gespräch!
Das Interview schließt mit einem zentralen Punkt für die Kommunikation: Wenn die Vision Ihre Organisation überfordert, in dem sie ihr zu viel abverlangt, besteht die Gefahr, dass Sie Ihre Zuhörer verlieren. Das Bild des „Visionärs mit Bodenhaftung“ [15] gibt genau darauf eine Antwort. Spannen Sie den Raum auf, der den Weg aus dem heute in die Zukunft erlebbar macht und die Organisationsmitglieder auf die Reise mitnimmt. Ein Visionsbild, das beide Welten enthält, das das Beste der Vergangenheit zelebriert und eine faszinierende Zukunft beschreibt, schafft einen verbindenden Übergangsraum, in dem sich alle ihre Stakeholder zurechtfinden werden. Kommunikationsaufgabe für Führungskraft • Die identitätsstiftende Zukunftsvision mit Bodenhaftung vermitteln und für sie begeistern und anzünden • Die untrennbaren Zusammenhänge zwischen Evolution und Revolution sichtbar machen • Verbindlichkeit durch Ihre Kommunikation schaffen
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5.3.3.2 Kommunikation der Strategie Ist die Vision kommuniziert und von der Organisation akzeptiert, geht es um die Vermittlung und Umsetzung der Arbeitspakete zur Zielbild-Erreichung. Denn auch in der Strategie müssen sich Evolution und Revolution wieder finden. Hier müssen Maßnahmen existieren, die beides ermöglichen. Stellen Sie als Führungskraft zunächst sicher, dass die zwei Ausrichtungen des Visionsbildes auch in den strategischen Maßnahmen verankert sind. Denn häufig ist man hier zurück auf dem Boden der Tatsachen, sprich zurück im Tagesgeschäft. Umsatzziele, Finanzkennzahlen, „die Zukunft kostet Geld, wir müssen im hier und jetzt überleben“, sind Einwände, die im Zweifelsfall gerne von Managern bevorzugt werden [10]. Findet sich die Zukunft in der Maßnahmenplanung nicht wieder, können Sie die beidhändige Organisation jetzt begraben. Denn es ist elementar für den Erfolg eines Vorhabens, dass Sie vermitteln und belegen können, dass beide Ausrichtungen in der Strategie ein Zuhause finden. Reine Bottom-up-Aktivitäten besitzen auf Dauer nicht ausreichend Kraft. Ist beides in der Strategie verankert und steht nicht nur der CEO, sondern die Führungsmannschaft hinter der beidhändigen Strategie, greifen die üblichen Kommunikationsmechanismen der Unternehmenskommunikation. Informationspakete werden geschnürt und Top-down kaskadiert. Zugleich gilt es für Führungskräfte, immer wieder die Bedeutung einzelner Maßnahmen der einen und anderen Welt zu unterstreichen und zu betonen. Soll beides in einer Organisation passieren, darf sich kein Team, keine Mannschaft benachteiligt fühlen. Hier geht es um Verteilung und Lenkung der Aufmerksamkeit innerhalb der Organisation. Ob mithilfe von Mitarbeiter-Veranstaltungen, Artikeln im Mitarbeitermagazin, Newslettern oder Blogbeiträgen – das Setzen von Scheinwerfern gelingt jetzt am besten mit den bewährten Mitteln der Top-down-Kommunikation (Kap. 4). Wie gut, dass wir auf das Beste beider Welten zugreifen können… Kommunikationsaufgabe für Führungskraft • Beidhändige Strategie kommunizieren und für Akzeptanz werben • Maßnahmenpakete für Evolution und für Revolution gleichermaßen hervorheben • Kontinuierlich Scheinwerfer setzen und die Aufmerksamkeit der Organisation durch Ihre Kommunikation lenken und „gerecht“ verteilen • Kommunikationsmittel und Kanäle der Top-down-Kommunikation nutzen Das folgende Interview mit dem Leiter der Produktentwicklung LifeTech bei FESTO unterstreicht, dass Beidhändigkeit bereits im Zielbildungsprozess für die Unternehmensstrategie beginnt. Denn schon hier geht es um das Austarieren gegenläufiger Interessen und Zielsetzungen und darum, die Mitarbeiter zum frühestmöglichen Zeitpunkt einzubinden.
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„AMBIDEXTRIE IST UNTERNEHMENSALLTAG“
Interview mit Prof. Dr. Volker Nestle, Vorstandsvorsitzender der Hahn-SchickardGesellschaft für angewandte Forschung e. V. und Head of Product Development LifeTech bei Festo SE & Co. KG Welche Bedeutung hat für Sie Ambidextrie im Unternehmensalltag? Ganz einfach: Ambidextrie IST Unternehmensalltag, weil der wesentliche Treiber der Ambidextrie das Wettbewerbsumfeld des Unternehmens ist. Volatilere Märke im regionalen, nationalen und internationalen Umfeld und ein schneller werdender technologischer Wandel bei immer kürzeren Produktlebenszyklen zwingen Unternehmen zu mehr Flexibilität und schnelleren Innovationszyklen. Andererseits brauchen Unternehmen aber auch Stabilität und müssen profitabel sein. Vorhandene Kompetenzen müssen dazu bestmöglich genutzt und Produkte und Dienstleistungen möglichst effizient zu Geld gemacht werden – ohne Liquidität gehen schnell die Lichter aus. Was ist in diesem Spannungsfeld das größte Problem? Unternehmen finden sich zunehmend in der Situation wieder, zwischen Investitionen in Innovationsgenerierung und Investitionen in Effizienzsteigerung abzuwägen. Ein großes Problem stellen die damit verbunden völlig unterschiedlichen Amortisierungszeiträume dar. Effizienz steigernde Maßnahmen zeigen meist recht schnell ihre Wirkung im operativen Geschäft, während Innovation grundsätzlich eine mit Risiken behaftete Investition in die Zukunft darstellt. Die Statistik zeigt übrigens, dass die Mehrzahl der Unternehmen eine Vorliebe für kurzfristige Amortisation und Optimierung bestehender Produkte und Dienstleistungen entwickelt hat, was aus den eben genannten Gründen auch nachvollziehbar erscheint. Auch die Weiterentwicklung des Portfolios wird häufig auf Basis des vorhandenen Wissens und der erfolgreich platzierten Produkte vorangetrieben. Dies ist einerseits zwar nicht grundsätzlich problematisch, birgt aber andererseits doch die Gefahr sukzessiver Lock-In Effekte, die bei Veränderung der Wettbewerbsbedingungen dann eben doch schnell problematisch werden können. Wie reagieren Sie hierauf als Führungskraft? Wie beugen Sie vor? Da sich kein Unternehmen der Ambidextrie entziehen kann, müssen sich Führungskräfte auf die großen Herausforderungen einstellen, die das Thema mit sich bringt. Dies beginnt schon im Zielbildungsprozess für die Unternehmensstrategie, wo Kostenoptimierungs- und Profitabilitätsziele mit Innovations- und Wachstumszielen austariert werden müssen. Es ist extrem wichtig, die Mitarbeiter in diesem Prozess mitzunehmen und ihnen die Strategie umfassend zu erklären. Denn für die Umsetzung einer ambidextren Strategie unterscheiden sich je nach Aktivität auch die anzuwendenden Prozesse und Vorgehensweisen,
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von eher formalistisch/mechanistisch bis hin zu agil/wandlungsfähig. Die angewandten Methoden und Prozesse sind außerordentlich wichtig, da die machbaren Innovationssprünge unmittelbar damit zusammenhängen. Als Führungskraft müssen Sie deshalb dafür sorgen, dass die gesamte Organisation das Zielbild kennt und versteht und die beidhändige Strategie nachvollziehen kann. Wie äußert sich Beidhändigkeit in Ihren Prozessen? In der Regel werden Produktoptimierungen mit inkrementellen Innovationen vorangetrieben, die aus Effizienzgründen auf derselben Prozesslandschaft aufbauen wie das ursprüngliche Produkt. Ganz neue Produkte erfordern aber häufig den Aufbau einer neuen Perspektive auf Produkte und Märkte. Sie stellen dabei gleichzeitig das eigentliche Kundenbedürfnis wieder stärker in den Vordergrund. Daher werden immer mehr Neuheitenprojekte agil aufgesetzt, sodass mit einem kleinen Spezifikationsset gestartet und in häufigen Rekursionen Funktionsoptimierungen in Richtung der Kundenbedürfnisse vorgenommen werden können. So können die Mitarbeiter sukzessive und methodisch gezielt unterstützt immer wieder an innovative Themen herangeführt werden. Hat das auch Auswirkungen auf die Kultur? In jedem Fall. Über die Zeit stellt sich so auch die Unternehmenskultur um, das Experimentieren und die Kreativität gewinnen im Alltag wieder mehr an Bedeutung und Geschwindigkeit und Flexibilität im Innovationsprozess steigern sich. Durch das neue Rollenverständnis in agilen Projekten werden aber auch etablierte Hierarchiestufen infrage gestellt – das Ausmaß der Diskussion, die möglichen Auswirkungen auf die Aufbauorganisation und auch die Chancen, die darin liegen, lassen sich heute noch gar nicht wirklich absehen. Welche Kommunikationstools nutzen Sie, um Ambidextrie in Ihrer Organisation zu implementieren und zu fördern? Hier muss zwischen Tools unterschieden werden, die in der Top-downKommunikation eingesetzt werden können und Tools, welche die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern entlang des Projektgeschäfts fördern. In der formalen, zentral gesteuerten Top-down-Kommunikation bieten sich regelmäßige, kaskadierte Mitarbeiter-Informationen als Frontalveranstaltung an. So können Informationen zur aktuellen Lage und zu wichtigen aktuellen Handlungsfeldern des Unternehmens schnell und effizient weiterverteilt werden. Diese Veranstaltungen sind auch psychologisch wichtig, weil sie der Belegschaft das Gefühl geben, gut informiert zu sein – was sie ja dann auch ist. Zusätzlich bieten sich bei bestimmten Themen persönliche Ansprachen des Managements – live oder per Videostream – an. Top-down Kommunikation funktioniert natürlich nach wie vor auch hervorragend über das geschriebene Wort, wie z. B. Newsletter im
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Inter- oder Intranet, Facebook, Twitter oder XING und LinkedIn. Und ganz besonders empfehlenswert sind persönliche Regelrücksprachen, bei denen man sich nicht nur inhaltlich, sondern auch emphatisch abstimmen kann. Die Kommunikation von zentraler Stelle an die Belegschaft ist aber immer eher ein Senden von Information. Um wirklich neues Wissen und Fortschritte zu generieren, muss die Kommunikation in den Teams ermöglicht werden. Wie machen Sie das? Ich moderiere und vernetze dann eher. Entlang der horizontalen Kommunikation wird das Tagesgeschäft bearbeitet und sozusagen die Wirklichkeit konstruiert. Projektplanungstools geben z. B. einen Rahmen für formale Kommunikation vor, auch Lastenhefte und Pflichtenhefte gehören letztendlich dazu. In den offiziellen Gremien entlang des Neuheitenentstehungsprozesses wird mit starkem Produktbezug kommuniziert. Genau überlegen sollte man sich interne, offene Foren zu Zukunftsthemen, sei es mit physischer Präsenz oder online unterstützt mit entsprechenden Web-Tools wie z. B. Ideenmanagementsoftware im Intranet. Häufig ist der Erkenntnisgewinn gering, weil die kritische Masse an Teilnehmern nicht erreicht wird. Moderierte Tagungen und Workshops zu vorher spezifizierten und kommunizierten Themen haben hier aus meiner Erfahrung deutlich mehr Aussicht auf Erfolg. Vielen Dank Herr Professor Nestle für das Gespräch!
5.3.3.3 Integration der beiden Welten durch Kommunikation Vision und Strategie sind nun Top-down kommuniziert, es wurde umfassend um Akzeptanz geworben. Spätestens jetzt wissen alle Mitglieder der Organisation, dass es sowohl Aktivitäten für das heutige Kerngeschäft als auch für zukünftige Geschäftsfelder geben wird. Bis hierhin war die Kommunikationsaufgabe vergleichsweise leicht. Ein bekanntes Spiel. Sie haben von oben nach unten gesendet. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass beide Welten sich jetzt auch vertragen. Es heißt auch nicht, dass eine gesunde Balance und Synergieeffekte entstehen. Sie müssen jetzt den Mehrwert vermitteln, den die gegenseitige Duldung und vielleicht sogar Kooperation (!) besitzen. Dass diese Aufgabe nicht zu unterschätzen ist, zeigen beobachtbare Sorgen und Ängste von Menschen im beidhändigen Organisationsumfeld: Die Angst, weniger wichtig zu sein So gewinnt die Meinung unter Mitarbeitern, eine Initiative der Exploitation sei weniger innovativ, erst dadurch an Gewicht, dass es Initiativen der Exploration innerhalb einer Organisation gibt, die die Strahlkraft der Innovation um sich herum tragen. „Wir machen ja nur das alte Standard-Geschäft. Die spannenden neuen Dinge, das digitale Business, passieren auf der anderen Seite.“ Die Gefahr besteht, dass diejenigen, die auf
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bestehenden Geschäftsfeldern arbeiten, sich zurückgesetzt fühlen, wenn sie die neuen, scheinbar aufregenderen Themen sehen, an denen sie nicht mitarbeiten. Die gleiche Angst vor Benachteiligung lässt sich im hoch innovativen Umfeld beobachten: Beteiligte in Innovationsprojekten reagieren dann besorgt, wenn alle auf den kurzfristigen Erfolg des umsatzstarken Kerngeschäfts schauen. Während die einen leisen Kompetenz-Aufbau betreiben, erhalten die anderen Applaus für Umsatz und Gewinn. Die einen „liefern“. Die anderen scheinbar nicht. Denn langfristiger Kompetenzaufbau generiert zwar Wert, zeigt sich aber kurzfristig in keiner Bilanz. Organisationsforscher Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart, hebt im Interview deshalb dieses Spannungspotenzial hervor und unterstreicht, wie wichtig eine gleichmäßige Wertschätzung und Anerkennung beider Pole ist: „Es darf keinesfalls der Eindruck entstehen, dass es wichtige und weniger wichtige Unternehmensbereiche und dort angesiedelte Mitarbeitergruppen gibt“ (Kap. 2). Sie müssen als Führungskraft also zwingend dieses Spannungsfeld auflösen und allen Beteiligten vermitteln, dass sie nur durch die Existenz des jeweils anderen eine gesicherte Erfolg versprechende Zukunft vor sich haben. Die Vermittlung zwischen den Welten ist hier Kommunikationsaufgabe. Die Chance des Erfahrungsaustauschs Im Rahmen der Fallstudie im Maschinen- und Anlagenbau, in der ein kontextuelles Setting der Beidhändigkeit untersucht wurde, fanden Exploitation und Exploration innerhalb derselben Organisation statt [12]. Es wurde wiederholt sichtbar, wie sehr sich Initiativen der Exploitation und der Exploration gegenseitig befruchten können. Denn im Unternehmensalltag wird klar, dass kaum ein Vorhaben absolut sortenrein ist. Wenn Sie als Führungskraft (kaum ein anderer wird sich dafür zuständig fühlen) jetzt die Vernetzung und Kommunikation zwischen den Welten fördern, sei es in Form von Erfahrungsaustausch oder der gegenseitigen Nutzung von Wissen oder Infrastrukturen, können Sie dafür sorgen, dass nach und nach die Akzeptanz steigt und nützliche Verbindungen entstehen. So kann ein Design Thinking-Workshop im Umfeld der Exploitation bei der schnellen Lösungsfindung für ein Effizienzproblem helfen. Die Erfahrungswerte aus der Produktion können bei der Konzeption eines smarten Produktes zum Durchbruch verhelfen. Das gegenseitige Lernen und Nutzen bereits vorhandener Erfahrungen aus der jeweils anderen Welt kann beide Prozesse optimieren und den Wandel (für den Sie als beidhändige Führungskraft zuständig sind) deutlich beschleunigen. Während für die reine Vermittlung von Vision und Strategie die klassischen Top-down-Instrumente der internen Unternehmenskommunikation ausreichen, müssen Sie jetzt einen anderen Weg einschlagen. Sie sind Systemintegrator, Vernetzer, Vermittler, Verbinder. Als Führungskraft mit „Autorität“ können Sie dem Erfahrungsaustausch zwar Top-down Gewicht verleihen und Bedenken aus dem Weg räumen. Damit er erfolgreich stattfindet, müssen Sie dann aber den Raum für die Kommunikation zwischen den Bereichen bereitstellen und sich selbst in die moderierende Rolle begeben.
5.3 Die Handlungsoptionen
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Die Möglichkeit der gemeinsamen Vermarktung In der Praxis zeigt sich schließlich noch ein weiterer günstiger Effekt, wenn Sie beide Welten verbinden. Die kommunikative Verknüpfung von Exploration und Exploitation ist nicht nur für die interne Akzeptanz und das Commitment der Mitarbeiter von Bedeutung. Gerade in der Außenkommunikation zum Kunden erweist sich ein ausgewogenes Innovationsportfolio als überaus hilfreich. Denn Evolution und Revolution sind nach außen wunderbar im „Set“ vermarktbar. Sie beißen sich nicht, sondern ergänzen sich ideal. Während Sie innerhalb der Organisation vielleicht um eine Balance und gegenseitiges Verständnis ringen, werden die weltweiten Vertriebsmitarbeiter auf das Duo von Commodity und High-End aufspringen und Ihnen dafür danken, dass Sie beides anbieten. Denn der Vertrieb hat nun beides im Gepäck: Volumenprodukte für den Massenmarkt und innovative Lösungen für die Zukunft. Die Kombination differenziert. Sie transportiert einen Wert, den Sie mit einem Angebot allein nicht vermitteln können. Kommunikationsaufgabe für Führungskraft • Als Systemintegrator zwischen den Welten vermitteln und Ängste der Mitarbeiter auflösen • Erfahrungsaustausch zwischen den Welten herstellen und moderieren • Gewinnbringende Verbindung auch über die Organisationsgrenzen hinaus in der Kommunikation zum Kunden nutzen
5.3.3.4 Rekonfiguration durch Kommunikation Durch das Herstellen neuer Verbindungen zwischen beiden Welten und durch die Koordination und Gestaltung dieser neuen Verbindungen, können Sie zukünftig Wert generieren und den Wandel vorantreiben. Es geht nicht mehr wie im vorherigen Schritt um die Systemintegration, sondern um die Neu-Konfiguration. Es geht um einen operativen Eingriff. Dazu zählt die Abkehr von Routinen des heutigen Geschäftes und von etablierten Strukturen und Methoden. Umverteilung oder Veränderung von Ressourcenzusammensetzungen kann zwischen den Welten stattfinden, wenn Wissen und Personen verschoben werden und im jeweils anderen Kontext zum Einsatz kommen. Dabei werden Sie merken, dass einige Menschen in einer für sie unvorteilhaften Welt beschäftigt sind und viel besser im jeweils anderen Umfeld wirken könnten. Das setzt voraus, dass die Übergänge offen sind und dass es Führungskräfte gibt, die dieses Potenzial erkennen und nutzen. Falls Sie jetzt Zweifel haben: Auch diese Rolle ist Teil der beidhändigen Führung! Denn Sie lassen als natürlich keine Chance ungenutzt. Im ersten Schritt benötigen Sie dazu außer Beobachtungsgabe Ihre Kommunikation. Hier wird die an Hierarchien orientierte Top-down-Kommunikation des Sendens allein wenig bewirken. Denn es geht um das Durchbrechen von Silos und den flexiblen Einsatz von Wissen und Fähigkeiten. Die Kommunikationsaufgabe lautet, Kontakt aufnehmen und Verknüpfungen herstellen, denn mit der gegenseitigen Kenntnis voneinander beginnt der Prozess der Verschiebens und der Rekonfiguration von Wissen und Ressourcen.
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Kommunikationsaufgabe für Führungskraft • Benötigtes Wissen und Fähigkeiten in beiden Welten suchen und kommunikativ einbinden • Ressourcenverschiebung zwischen den Welten durch kommunikative Vernetzung von Personen und Abteilungen vorbereiten • Neukonfiguration (Austausch und Verschiebungen) durch Kommunikation begleiten Beidhändigkeit ist Unternehmensalltag Mit diesen vier auf Kommunikation basierenden Handlungsoptionen – Visionsvermittlung, Strategievermittlung, Systemintegration und Rekonfiguration – können Sie einen beidhändigen Führungsstil in Ihrem Alltag implementieren. Sie können gleich morgen mit der Erprobung starten, denn schenkt man den Aussagen des Interviews mit Volker Nestle Gehör, kann sich „kein Unternehmen der Ambidextrie entziehen“. Zusammenfassung: „Auf links gedreht“
Wenn wir Dinge im Alltag mit der ungeübten, nicht-dominanten Hand tun, wird alles plötzlich langsam und schwer. Übertragen auf ganze Organisationen können wir nur erahnen, was es bedeutet ein Unternehmen „auf links“ umzustellen. Im allerbesten Fall stellt sich dabei der für das Erschließen von Neuland so wichtige „Anfänger-Geist“ ein. Um diesen hervorzulocken und die ohnehin schwierige Situation zu erleichtern, bietet dieses Kapitel kommunikationsbasierte Handlungsoptionen für das Führen durch die Beidhändigkeit. Voraussetzung für die kommunikationsbasierte Navigation durch den Alltag ist dabei zunächst, dass Führungskräfte in jeder Situation eine kurze Standort- und Zielbestimmung vornehmen. Denn je nachdem in welchem Innovationskontext sie sich bewegen, verhilft ein grundsätzlich anderes Kommunikationsverhalten zum Ziel. Die Realität des Unternehmensalltags zeigt, dass sich vor allem Führungskräfte der oberen Ebenen in einem beidhändigen Kontext bewegen. Je weiter oben in der Hierarchie, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass in einem zu leitenden System mehrere Innovationsansätze verfolgt werden. Drei verschiedene Grundmuster der Kommunikation können Führungskräfte dann zur Hilfe nehmen: Kommunikation für Exploration (Ökosystem-Management), Kommunikation für Exploitation (Top-down-Kommunikation) und beidhändige Kommunikation. Letztere verlangt das kontinuierliche Ausbalancieren und das Schaffen eines Kontextes, in dem sich beide Welten erfolgreich entwickeln können. Dafür muss eine Zukunftsvision inklusive strategischer Maßnahmen vermittelt werden, die beide Welten umfasst. Es bedarf der Zusammenführung und Orchestrierung beider Welten und der gewinnbringenden Rekonfiguration. ◄
5.4 Fazit: Mut zur Beidhändigkeit
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5.4 Fazit: Mut zur Beidhändigkeit Beidhändigkeit ist mehr als die Fähigkeit des Navigierens durch Exploitation und durch Exploration. Wenn Organisationen und Führungskräfte beidhändig sind, dann schaffen sie es, beide Welten zu verbinden und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Aktivitäten für die Gegenwart und für die Zukunft herzustellen. Aufbauend auf dem Modell der Ambidextrie-orientierten Führungskommunikation hat dieses Kapitel verschiedene Handlungsmuster der Kommunikation von Führungskräften aufgezeigt: von der Vermittlung der Zwei-Welten-Vision bis zum Eingriff in die Ressourcenverteilung der zwei Welten durch Kommunikation. Führungskräfte prägen durch ihr Handeln die Unternehmenskultur und das Mindset. Nur durch eine die Kultur verändernde Kommunikation kann ein Kontext dafür geschaffen werden, dass beide Welten nicht nur koexistieren, sondern auch kooperieren und dass schließlich die Grenzen verschwimmen können. So wie es Hilfsmittel für Links- und für Rechtshänder gibt, die es erleichtern, verschiedene Tätigkeiten auszuführen, brauchen auch Führungskräfte im Alltag Instrumente, um durch ein hochdynamisches Technologie- und Marktumfeld und immer komplexer werdende Organisationsstrukturen zu navigieren. Die vorgestellten Instrumente können im Alltag direkt eingesetzt werden. Wenn Sie als Führungskraft in einem Spannungsfeld aus Evolution und Revolution tätig sind und täglich mit den Herausforderungen beider Welten zu kämpfen haben, wird Ihnen zielgerichtete Kommunikation dabei helfen. Denn je nachdem in welchem Umfeld Sie sich bewegen, können Sie auf unterschiedliche Arten der Kommunikation zugreifen und diese bewusst einsetzen, um Exploration oder Exploitation oder beide Welten zu fördern. Mut! Das Wechselspiel zwischen Gegenwart und Zukunft müssen Sie dann auch vorleben und beide Welten zusammenführen. Die wichtigste Zutat hierfür ist ausreichend Mut. Das Beispiel der niederländischen Vertriebsgesellschaft eines Automatisierungsunternehmens zeigt, dass allein das Commitment des CEO nicht ausreicht, um Veränderung zu bewegen und dass der intensive Dialog zwischen ihm und seinem Management-Team die Grundlage bildet, um neue Denk- und Arbeitsweisen zu implementieren. Diese Arbeitsweisen basieren auf einer anderen Art der Zusammenarbeit, in deren Mittelpunkt wiederum Kommunikation und Vernetzung stehen. Es gilt, als Führungskraft Kommunikation im Team zu ermöglichen und Selbstorganisation zuzulassen und zu fördern. Die Übung des Schreibens mit beiden Händen vermittelt eine erste Ahnung davon, was es für Organisationen bedeutet, von der dominanten Hand auf die nicht dominante, weniger geübte Hand zu wechseln. Es geht darum zu verstehen, wie Menschen in Organisationen sich möglicherweise fühlen, wenn Sie diesen Transformationsprozess
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durchlaufen müssen oder dürfen. Die Erfahrungen reichen von Frustration bis hin zu Neugier. Und mit der gesamten Bandbreite haben Sie es als Führungskraft in einer beidhändigen Organisation zu tun. Einleitung des großen Transformationsprozesses Drei verschiedene Grundmuster helfen Ihnen schließlich dabei, die Menschen in jeder Welt anzusprechen, vor Ort abzuholen und hierfür den richtigen Ton zu treffen. In Ihrem Instrumentenkoffer befinden sich Handlungsoptionen für Exploitation, für Exploration und für die Orchestrierung beider Welten. Während die Kap. 3 und 4 auf die Kommunikationstypen in entweder dem einen oder dem anderen Umfeld eingehen, vertieft Kap. 5 die Kommunikation der Beidhändigkeit. Es geht um das gesunde Ausbalancieren, das gewinnbringende Verbinden beider Welten und schließlich um die Einleitung eines großen Transformationsprozesses, in dem die Grenzen nach und nach verschwimmen und sich die Organisation auf die Zukunft ausrichtet. Der dritte Typus der Kommunikation für beide Welten baut auf vier Kernelementen auf: der Visionsvermittlung, der Strategie-Vermittlung, der Integration beider Welten zur Schaffung von Synergien und der Rekonfiguration und Vernetzung zur langfristigen Neuausrichtung auf die Zukunft. Zunächst ist es wichtig, in der Zukunftsvision den großen Raum von der Gegenwart bis zur Zukunft aufzuspannen. Dieser Raum betrachtet die gegenwärtigen Aktivitäten vor dem Hintergrund einer zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens. Das Visionsbild schließt die Aktivitäten aller Beteiligten ein, sodass sich jeder darin wieder finden kann. Die Metapher des „Visionärs mit Bodenhaftung“ hilft an dieser Stelle dabei, zu verstehen, dass ein Visionsbild nicht überfordern darf, sondern integrieren muss. Sie verlassen mit diesem Bild die Welt der roten und blauen Ozeane und betrachten beides in einem Gesamtbild: dem Zwei-Weltenraum. Dieses Bild gilt es zu kommunizieren – hierfür eignen sich ganz typische Formen der Top-down-Kommunikation wie Veranstaltungen oder auch Beiträge im Mitarbeitermagazin. Ein Visionsbild ist kein reines Faktenbild. Es ist auch ein Lebensgefühl, eine verbindende Stimmung, die Sie in der Organisation prägen wollen. Diese Stimmung transportieren Sie mithilfe von Kommunikation. Denn das Bild muss jeder kennen und erleben. Steht die Vision fest, folgt auch die strategische Planung und Umsetzung dem Prinzip der Beidhändigkeit. Maßnahmen aus beiden Welten müssen sich hierin wiederfinden und auch kommuniziert werden. Denn nur wenn Aktivitäten strategische Relevanz besitzen, werden Sie im Unternehmen als „wichtig“ anerkannt und können von den Teams priorisiert werden. Die Bedeutung beider Welten in der Strategie eines Unternehmens gilt es kontinuierlich und begleitend zum laufenden Geschäft zu kommunizieren. Auch hier können Sie auf Top-down-Vorgehensweisen zugreifen. Es geht darum, den Scheinwerfer immer wieder auf beide Welten zu richten und damit die Aufmerksamkeit der Organisation zu lenken. Um zu verhindern, dass sich zwischen Gegenwart und Zukunft Silos herausbilden, ist es Ihre Aufgaben, die beiden Welten gewinnbringend zu vernetzen und durch
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Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, dass das Beste aus beiden Welten zu nutzen. Zur jeweiligen Zielerreichung – ob Effizienzsteigerung oder Ideengenerierung – können Fähigkeiten und Erfahrungen aus der jeweils anderen Welt den entscheidenden Impuls liefern. Zugleich müssen Teams in beiden Welten merken, dass alle Felder der Organisation von Bedeutung sind und dass das eine ohne das andere nicht langfristig gesichert ist. Die Grenzen verschwimmen Schließlich lassen Sie die Grenzen zwischen den Welten verschwimmen, in dem Sie durch Kommunikation und Vernetzung den ersten Schritt für eine Neukonfiguration eröffnen. Disziplinen, Fähigkeiten, Kompetenzfelder aus „Welt 1“ und „Welt 2“ gilt es langfristig neu zusammenzusetzen, um bei knappen Budgets und begrenzten Ressourcen dennoch neue Wege zu gehen. Rekonfiguration beginnt mit Öffnung und Austausch. Durch Kommunikation binden Sie neues Wissen aus anderen Bereichen ein und triggern eine Ressourcenverschiebung an. Denn wenn wir voneinander wissen und den Mehrwert einer Zusammenarbeit verstehen, erleichtert dies spätere Neuzusammensetzungen und bereitet den Sprung in die Zukunft vor. Sie kennen nach der Lektüre dieses Kapitels nun die grundlegenden drei Kommunikationstypen der Ambidextrie und sollten am besten direkt damit beginnen. Denn ein beidhändiger Ansatz ist aus Unternehmen heute nicht mehr wegzudenken. Ambidextrie ist Unternehmensalltag.
Literatur 1. Kotter, John (2016): „Ein völlig neues Spiel“. Interview mit John Kotter vom 23.06.2017. In: Haufe.de. Online unter: https://www.haufe.de/personal/hr-management/john-kotter-ueberagilitaet-unternehmen-brauchen-2-betriebssystem_80_362438.html [Zugegriffen am 30.05.2020]. 2. Fünf Punkte für den Erfolg von Corporate Startup Initiativen. In: Computerwoche.de vom 14.06.2017. Online unter: https://www.computerwoche.de/a/fuenf-punkte-fuer-den-erfolgvon-corporate-startup-initiativen,3330920 [Zugegriffen am 30.05.2020]. 3. Warum Konzerne als Gründungshelfer oft scheitern. In: Wirtschaftswoche Online vom 5. April 2015. Online unter: http://www.wiwo.de/erfolg/gruender/inkubatoren-als-pr-show-warumkonzerne-als-gruendungshelfer-oft-scheitern/11532078.html [Zugegriffen am 30.05.2020]. 4. Deutschlands beste Digilabs. In: Capital vom 22. Juni 2017. Online unter: http://www.capital. de/dasmagazin/ranking-digitalisierung-deutschlands-beste-digital-labore-lufthansa-daimlerman-9067.html [Zugegriffen am 14.07.2017]. 5. Killt eure Innovation Labs! t3n vom 30.11.2019. Online unter https://t3n.de/news/killtinnovation-labs-1228358/ [Zugegriffen am 24.05.2020]. 6. „Mein Leben in der Lehmschicht“. In: Capital vom 18.12.2013. Online unter: http://www. capital.de/meinungen/mein-leben-in-der-lehmschicht.html [Zugegriffen am 30.05.2020]. 7. Kotter, P. John (2015): Accelerate: Strategischen Herausforderungen schnell, agil und kreativ begegnen. München: Vahlen.
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8. Gibson, C. B. & Birkinshaw, J. (2004): The Antecedents, Consequences, and Mediating Role of Organizational Ambidexterity. In: Academy of Management Journal, 47 (2), S. 209–226. 9. Gibson, C. B. & Birkinshaw, J. (2004): Building Ambidexterity Into an Organization. In: MIT Sloan Management Review. Online unter: http://sloanreview.mit.edu/article/buildingambidexterity-into-an-organization/ [Zugegriffen am 30.05.2020]. 10. Tushman, Michael L; Smith, Wendy K.; Binns, Andy (2011): The Ambidextrous CEO. In: Harvard Business Review. Juni 2011, 89 (6), S. 74–80. 11. Suzuki, Shunryu (2012): Zen-Geist, Anfänger-Geist. Unterweisungen in Zen-Meditation. 3. Aufl. Freiburg, Basel, Wien: Herder. 12. Duwe, Julia (2016): Ambidextrie, Führung und Kommunikation. Interne Kommunikation im Innovationsmanagement ambidextrer Technologieunternehmen. Heidelberg: Springer Gabler. 13. O’Reilly, C. A. & Tushman, M. L. (2008): Ambidexterity as a Dynamic Capability: Resolving the Innovator’s Dilemma. In: Research in Organizational Behavior, 28, S. 185–206. 14. Taylor, A. & Helfat, C. E. (2009): Organizational Linkages for Surviving Technological Change: Complementary Assets, Middle Management, and Ambidexterity. In: Organization Science, 20 (4), S. 718–739. 15. Schmidt, Marion (2014): Der Motivator. Hans Müller-Steinhagen hat die TU Dresden zur Exzellenzuniversität gemacht. In: Die ZEIT, Ausgabe Nr. 48/2014 vom 20.11.2014. Online unter: http://www.zeit.de/2014/48/tu-dresden-che-ranking-exzellenz-universitaet [Zugegriffen am 30.05.2020].
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Exkurs: Beidhändig durch die Krise
Zusammenfassung
Im Frühjahr 2020 schaut die Welt gebannt auf die Corona-Pandemie, auf deren Ausmaß und auf die Folgen der Stilllegung des öffentlichen Lebens [1]. Seit dem 23. März 2020 gilt in Deutschland das strenge Kontaktverbot [2]. Während sich das Virus von einer Gesundheitskrise zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise vermehrt, zwingt der Lockdown Unternehmen zur Vollbremsung und bedroht zahlreiche Existenzen. Flughäfen laufen im Notbetrieb. Geschäfte sind geschlossen. Die weltweiten Aktienmärkte brechen ein. Mitte April 2020 stehen etwa 50 % der deutschen Wirtschaft still [3]. Im Innern von Unternehmen stellt das Virus den Arbeitsalltag auf den Kopf und trifft die Führungsebenen hart. Man fährt auf Sicht. Dieses Kapitel ist das Ergebnis einer Interview-Studie über die Frage, wie Menschen und Unternehmen dank guter Führung gestärkt durch die Krise gehen. Es dokumentiert die Ausnahmesituation der ersten Monate im Jahr 2020 in sechs Gesprächen mit Persönlichkeiten aus der deutschen Unternehmenslandschaft. Zwischen März und Mai teilten sie ihre Perspektiven mit Beidhändige Führung. Die Erkenntnis: In der Krise erhöht „doppelte Beidhändigkeit“ die Resilienz von Unternehmen. Wer bewusst beidhändig führt, besitzt den Schlüssel zu einer wandlungsfähigen und flexiblen Organisation, die stabil in Krisenzeiten steht. Das Kapitel zeigt in Praxis-Beispielen und mit konkreten Handlungstipps, wie beidhändige Führung durch die Krise gelingt.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0_6
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
6.1 Frisst Virus gute Führung? „Virus frisst Grundrechte“. Mit dieser Überschrift illustriert die Süddeutsche Zeitung am 28. März 2020, welche gravierenden Folgen sich bereits nach wenigen Tagen des deutschlandweiten Lockdowns abzeichnen [4]: Diese Krise war nicht nur eine Gesundheits-, Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie hatte schwerwiegendere gesellschaftliche Auswirkungen bis hin zur Einschränkung der Grundrechte jedes Einzelnen [5]. Während sich das Corona-Virus in allen Lebensbereichen und auf allen Kontinenten der Erde ausbreitet, zwingt es auch Unternehmen weltweit zur Vollbremsung. Im Innern der Firmen stellt es den Arbeitsalltag auf den Kopf und die Führungsetagen auf eine harte Probe. Der Spagat zwischen persönlicher Betroffenheit und beruflicher Verantwortung trifft alle Führungskräfte gleichermaßen. Worauf kam es in dieser Ausnahmesituation an? Wie führte man richtig durch die Krise? Laut einer Befragung unter Arbeitnehmern in Deutschland durch das Beratungsunternehmen Gallup waren zwischen dem 19. und 24. März 2020 nur 33 % der Beschäftigten überzeugt, dass ihr Arbeitgeber einen klaren Maßnahmenplan als Reaktion auf das Corona-Virus kommuniziert [6]. Das Krisenmanagement sei ausbaufähig, titelt die FAZ [7]. Zugleich geriet man vielerorts über die modernen Führungsansätze der digitalen Transformation ins Zweifeln. Agiles Führen, digitales Führen, Führung im Ökosystem – im Augenblick der Schockstarre und einer völlig unberechenbaren Situation schien kein Patentrezept mehr zu greifen (vgl. Abb. 6.1). Fraß Virus nun auch gute Führung? COVID-19-Krise: Zeit voller Spannungsfelder Trotz aller Unklarheit über ihren Verlauf forderte die Krise von den Führungsetagen Konsequenz und Klarheit im Handeln, zielstrebiges Top-down-Management und unmissverständliche Anweisungen. Es ging darum, schnellstmöglich Entscheidungen zu treffen: zum Schutze der Mitarbeiter, zu Kapazitätsreduzierungen, zu Kurzarbeit, zu drastischen Sparmaßnahmen. Zu gleicher Zeit war das Einfühlen in die Belange der Menschen gefragt. Es ging um persönliche Schicksale, um Ängste und Sorgen der Mitarbeitenden und deren Angehörigen. Um den operativen Geschäftsbetrieb während des Lockdowns abzusichern, war es für viele Führungskräfte Kernaufgabe und zugleich große Herausforderung, die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt in den Teams aufrechtzuerhalten – nun auf Distanz, digital, in einer virtuellen Welt. Es ging um das gemeinsame Austesten und Ausprobieren neuer Arbeitsweisen und darum, den neuen digitalen Raum gemeinsam zu gestalten. Und es ging um den offenen Umgang mit Unsicherheit – in Bezug auf die Krise, aber auch auf den neuen Arbeitsalltag. Führung bedeutete jetzt, viel Verantwortung an die Menschen im Home Office zu übertragen und wirklich zu vertrauen. Schließlich war es die Aufgabe der Führungskräfte, inmitten der Zeit des Feuerlöschens im operativen Geschäft und inmitten des Erhalts bereits laufender Zukunfts-
6.1 Frisst Virus gute Führung?
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Abb. 6.1 Frisst Virus Führung?
projekte ein neues starkes Zukunftsbild der Organisation für die Zeit nach Corona aufzubauen und gänzlich neue Handlungsfelder zu identifizieren. Führen durch derart extreme Spannungsfelder in kürzester Zeit war neu – zumindest in dieser Intensität. Interviewstudie Dieses Kapitel ist das Ergebnis einer Interview-Studie im Frühjahr 2020. Es kreist um die Frage, ob und wie Menschen und Unternehmen durch gute Führung durch die Krise und gestärkt in die Zukunft navigiert werden. Was hilft in der akuten Ausnahmesituation? Was macht Unternehmen krisenfest? Wofür wollen Unternehmen nach der Krise stehen? Sind sie gewappnet, wenn so etwas wieder passiert? Wie entsteht eine neue veränderte Vision, die Menschen und Organisationen fasziniert und in Bewegung hält? Das Kapitel dokumentiert in sechs Gesprächen mit Persönlichkeiten aus der deutschen Unternehmenslandschaft die Ausnahmesituation der ersten Monate im Jahr 2020. Zwischen März und Mai teilten sie ihre Perspektiven und Einschätzungen mit Beidhändige Führung.
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
Im ersten Interview mit Constanze Holzwarth, Psychologin und Top-Management beraterin, wird die Ebene der einzelnen Führungskraft betrachtet. Es folgt die Praxis-Sicht von Wiltrud Pekarek, Vorständin des in der Krise systemrelevanten privaten Krankenversicherers HALLESCHE. Das Gespräch mit Thomas Fischer, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Familienunternehmens MANN + HUMMEL, vertieft die Bedeutung von empathischer Führung in der Krise. Wir erfahren im Interview mit Karin Pahl, Expertin für Resilienz im Unternehmensumfeld, wodurch Führungskräfte widerstandsfähig werden. Wir treffen mit Frank Riemensperger auf die Sicht der internationalen Unternehmensberatung Accenture und deren Kunden und tauchen schließlich ein in die beidhändige Führung eines globalen IT-Unternehmens im Gespräch mit Gregor Pillen, IBM. Das Kapitel entfernt sich bewusst von der Theorie und vertieft die persönliche Innensicht von Menschen, die in den Wochen des Corona-Lockdowns über ihre Führungserfahrungen berichten und die ihre Erkenntnisse über erfolgreiches Krisenmanagement in Beidhändige Führung teilen.
Die Erkenntnis: In der Krise erhöht „doppelte Beidhändigkeit“ die
Resilienz von Unternehmen (vgl. Abschn. 6.3 und 6.8). Um durch Führung eine robuste, widerstandsfähige Organisation aufzubauen, benötigen Führungskräfte ein hohes Maß an Flexibilität im Umgang mit Widersprüchen und Spannungsfeldern. Sie stärken die Widerstandskraft ihrer Organisation, in dem sie frühzeitig in der Krise mit dem Aufbau des neuen Zukunftsbildes beginnen.
6.2 Interview 1: Constanze Holzwarth, Top-ManagementBeraterin Die ersten Tage der Corona-Krise sind geprägt von schnellen Entscheidungen, schnellem Reagieren, dem Gewährleisten sicherer Rahmenbedingungen für die Gesundheit aller Mitarbeiter, dem Absichern des Tagesgeschäfts. Von heute auf morgen ändert sich für die Firmenleitung und Führungskräfte auf allen Ebenen der Modus im Geschäftsbetrieb. Wie Führungskräfte mit den Herausforderungen der ersten Tage und Wochen einer Krise am besten umgehen, beschreibt Constanze Holzwarth für Beidhändige Führung. Die promovierte Psychologin arbeitet seit über 20 Jahren mit TopmanagerInnen und Management-Teams von Großunternehmen und führenden Mittelständlern im Umfeld von großen Transformations- und Innovationsprozessen [8]. Das Gespräch über Führung in der Krisensituation fand kurz nach Beginn des Corona-Lockdowns in Deutschland statt.
6.2 Interview 1: Constanze Holzwarth, Top-Management-Beraterin
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„JETZT GILT ES, SICHTBAR ZU SEIN“
Ein Gespräch über Spannungsfelder mit Dr. Constanze Holzwarth, D iplomPsychologin, Top-Management-Beraterin und Expertin für Leadership. Frau Holzwarth, Sie beraten Top-Manager in großen Konzernen zu Führung im komplexen globalen Umfeld. Was empfehlen Sie den Führungskräften jetzt in der Zeit der Corona-Krise? Ich empfehle Führungskräften, jetzt Präsenz zu zeigen und nicht abzutauchen in die Problemlösung. Das ist wichtig gegenüber allen Stakeholdern: den Kunden, den Zulieferern und vor allem gegenüber den Mitarbeitern. Jetzt gilt es, sichtbar zu sein und sich dabei nicht nur den geschäftsrelevanten Themen zu stellen, sondern auch den emotionalen Aspekten, den Sorgen und Nöten der Belegschaft. Wie schafft man hohe Präsenz, wenn man gleichzeitig auf Distanz führt? Präsenz ist in diesem Moment der Kontaktreduzierung besonders schwer. Gerade deshalb ist es so wichtig, sichtbar zu sein und den Kontakt zu halten. Alle Mitarbeiter müssen sehen können, dass die Unternehmensleitung da ist. Virtuell gibt es genauso Möglichkeiten, Präsenz zu zeigen, zum Beispiel über das Intranet oder Kommunikationsplattformen. Gilt das nur für die Unternehmensleitung? Es gilt für alle Führungsebenen, Präsenz zu zeigen. Wir können nicht die Menschen ins Home Office schicken und sie dort dann sich selbst überlassen. Wenn man nicht an einem Ort ist, sind regelmäßige Meetings noch wichtiger, um sich mit den Leuten zu besprechen, vom Team Meeting bis zum Einzelgespräch. Sie sprechen zu Beginn einen zweiten Punkt an: Die Gefahr, jetzt abzutauchen in die Problemlösung. Was meinen Sie damit? Führungskräfte dürfen jetzt nicht nur sachliche Probleme lösen und Dinge „managen“ – sei es, wie die Kurzarbeiterregelung aussieht oder die technische Ausstattung im Home Office. Sie brauchen jetzt gleichzeitig ein offenes Ohr für die Situation der Menschen. Die Einen sind im Home Office umzingelt von ihren zu betreuenden Kindern. Die anderen sind alleine und haben keinen Kontakt nach außen. Zusätzlich gibt es die Arbeitsplatzsorgen. Menschen fragen sich, wie es mit dem Unternehmen weitergeht. Das alles braucht gute Kommunikation. Wie geht gute Kommunikation? Schnell und regelmäßig! Wir erhalten gerade täglich neue Informationen in den Nachrichten. Es gibt Informationen vom Robert-Koch-Institut, die Politik informiert regelmäßig. Dass sich die Sachlage ständig verändert, hat Auswirkungen auf die Unternehmen. Sie müssen jetzt ebenso schnell und
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
oft kommunizieren: Lieber zu viel als zu wenig – und sei es, jeden Tag zu informieren, was die aktuellen Entwicklungen für das eigene Unternehmen bedeuten. Diese Kommunikation muss unbedingt über alle Hierarchiestufen hinweg laufen und nicht gefiltert über Führungsebenen. Alle benötigen zur selben Zeit dieselbe Information von der Unternehmensleitung. Es geht darum, alle Mitarbeiter zu erreichen und vor allem auch darum, in den Dialog zu treten und Möglichkeiten anzubieten, Themen zu diskutieren und Fragen zu beantworten. Vor allem die mittleren Führungskräfte, die nah an den Menschen sind, sind gerade hin und her gerissen zwischen rationalem Handeln und den Ängsten und Emotionen betroffener Mitarbeiter. Wie gelingt der Spagat? Bei vielen Unternehmen ist jetzt zu beobachten, dass die Führungskräfte überfordert sind mit dieser Situation. Im besten Fall unterstützen Unternehmen ihre Führungskräfte jetzt und vermitteln ihnen, dass sie die Situation nicht alleine lösen müssen. Aufgaben können beispielsweise auf Teams verteilt werden, die in engem Austausch miteinander stehen, ein Team kümmert sich um operative, ein anderes um die kommunikativen Themen. Es ist zudem wichtig, den Führungskräften eine Anlaufstelle zu bieten, z. B. regelmäßige Online-Meetings zum Austausch über den Umgang mit der schwierigen Situation. Das sind aber MaßnahmenEntscheidungen auf den oberen Ebenen des Unternehmens. Was kann die einzelne Führungskraft tun? Auf der Ebene der einzelnen Führungskraft ist jetzt Selbstmanagement gefragt, eine große Herausforderung, wenn ständig etwas von außen kommt. Es geht darum, sich die eigenen Ängste und Unsicherheiten bewusst zu machen. Wenn mir diese bewusst sind, tue ich mich leichter, auf die Mitarbeiter einzugehen. Führungskräfte müssen für sich selbst jetzt auch Grenzen ziehen. Notfalls mit der Argumentation: „ich brauche ein gewisses Zeitfenster, um mich selbst handlungsfähig zu halten“. Das ist das erste Spannungsfeld: Selbstschutz vs. Präsenz und Sichtbarkeit Aber ein extrem wichtiges: Erst, wenn ich selbst stabil bin, schaffe ich es, anderen zu helfen. Wenn ich diesen Schritt übergehe, habe ich ein Problem. Vor dieser Herausforderung stehen auch die helfenden Berufe – nehmen wir Pflegekräfte, Psychologen, Ärzte. Du bist jeden Tag mit dem Leid anderer konfrontiert. Du musst empathisch sein, aber dann musst du nach Hause gehen und dich um dich sorgen. Das ist die Aufgabe. Wer das nicht schafft, brennt nach kurzer Zeit aus. Und in einer Krisensituation wie jetzt? Bei einer extremen Belastung in kurzer Zeit ist diese Form von Selbstmanagement noch wichtiger. Zusätzlich müssen Führungskräfte auch auf dem Radar haben,
6.2 Interview 1: Constanze Holzwarth, Top-Management-Beraterin
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dass Stimmungen und Emotionen ansteckend sind. Das gilt vor allem Top-down, weil sich Menschen an den Führungskräften orientieren. In der Krise wird es deshalb elementar, als Führungskraft mit den eigenen Emotionen zurechtzukommen. Denn wenn ich mit negativen Emotionen oder mit Angst unterwegs bin, überträgt sich das auf meine Umgebung. Man kann auch sagen: Stimmungen und Emotionen sind virulent. Es geht nun nicht darum, die eigenen Emotionen zu unterdrücken – ich kann durchaus darüber sprechen, wie es mir geht. Aber gefährlich wird es, wenn diese Selbstreflexion fehlt und ich unwissend meine Emotionen transportiere. Auch oder gerade auch aus diesem Grund müssen wir uns in der Krise um uns selbst sorgen. Kommen wir zum zweiten Spannungsfeld: Wie findet man das richtige Maß zwischen der notwendigen Klarheit und hohem Einfühlungsvermögen – vor allem, wenn alles gleichzeitig kommt? Auf der einen Seite gilt es, Gesprächsangebote zu machen und dafür auch offen zu sein. Es empfiehlt sich dann aber, sich vorher genau zu überlegen, was man in der Extremsituation wirklich anbieten kann. Ich spreche aus meiner persönlichen ehrenamtlichen und therapeutischen Erfahrung. Ich habe in meinen Anfängen selbst erlebt, wie es ist, seine Hilfe anzubieten und sich dann plötzlich völlig überrollt und überfordert zu fühlen. Hier muss man aufpassen! Das haben Führungskräfte oft nicht gelernt. Wenn man anbietet „Sie können mich jederzeit anrufen“, dann läuft man Gefahr, dass mitten in der Nacht das Telefon klingelt. Bieten Sie also wirklich nur das an, was Sie auch ehrlich tun können. Trotz notwendiger Empathie gelten also dieselben Regeln wie im Flugzeug? Im Notfall sich zuerst die Sauerstoffmaske aufsetzen und dann den anderen helfen? Genau. Das ist ein passendes Bild. Denn wenn alle von der Notsituation betroffen sind, muss zuerst die eigene Handlungsfähigkeit sichergestellt werden, um anderen überhaupt helfen zu können. Die Balance zwischen dem rationalen Management und dem Emotionalen entsteht…? …in dem Sie wo möglich die beiden Aspekte separieren. Das kann man zum Beispiel durch klare Zeitfenster lösen: „Ich nehme mir um X Uhr eine Stunde Zeit und spreche mit den Mitarbeitern über die persönliche Situation.“ Das kann man auch erreichen, indem man ein Gespräch einleitet: „Ich habe jetzt viele Informationen, die möchte ich mit Ihnen durchsprechen. Ich weiß genau, das löst vieles bei Ihnen aus, aber die Bitte ist, dass wir zuerst die Faktenlage besprechen. Im Anschluss nehmen wir uns Zeit, Ihre Fragen, Einwände und Persönliches zu besprechen.“ Wenn alles gleichzeitig kommt, hilft es, strukturiert Räume für die
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
unterschiedlichen Anforderungen zu schaffen, die es einem als Führungskraft ermöglichen, bewusst umzuschalten von einem sachlichen in einen empathischen Modus. Führungskräfte haben in den vielen Standard-Trainings nicht gelernt, wie man in einer plötzlichen nicht planbaren Krisensituation agiert. Was hier passiert, kommt ad hoc… … und es kommt ja noch hinzu, dass viele selbst betroffen sind. Das ist eine Ausnahme-Situation. In einer akuten Situation ist z. B. wichtig, sich kurze Auszeiten zu nehmen und zu überlegen: Was sind jetzt meine Möglichkeiten? Jeder hat es schon erlebt, dass er plötzlich mit dem Rücken zur Wand stand. Was waren hier die Strategien, kurzzeitig wieder zu sich zu finden? Welche Strategien hatte ich in dieser Situation? Es geht darum, für ein paar Minuten aus der Situation auszusteigen, durchzuatmen und die eigenen Strategien anzuwenden. Eigentlich ist eine solche Krise etwas, worauf man Führungskräfte vorbereiten müsste. Jetzt wissen wir, dass der Umgang mit Krisen zukünftig Bestandteil der Ausbildung werden muss. Einerseits gibt es den Druck, klar zu handeln und zugleich gibt es die vielen Ängste und Sorgen… Ist das alles nicht sehr widersprüchlich? Die Krise erfordert im extremen Ausmaß beidhändiges Führen: Es ist einmal diese ganz rationale Handlungsweise, ein Vorgehen, das vollkommen verstandesmäßig geleitet ist. Und auf der anderen Seite trifft man auf irrationales Handeln und starke Emotionen. Und das sind zwei total unterschiedliche Dinge. Das ist gerade für Führungskräfte und Manager schwierig, sie sind ja nicht umsonst in diesen Positionen. Das sind ja häufig Menschen, die es gewohnt sind, zuzupacken, die, wenn sie hinfallen, sofort wieder aufstehen, die Lösungen zu suchen, proaktiv vorangehen. Das ist ihre Art mit Problemen und Krisen umzugehen. Und dann mit genau dem Gegenteil konfrontiert zu sein, mit Menschen, die Ängste haben, die sich auch diesen Ängsten hingeben, keine Perspektive sehen, das erfordert eine völlig andere Sichtweise. Was kann die einzelne Führungskraft jetzt tun? Zuhören. Das erfordert auch wieder extreme Beidhändigkeit. Zuhören ist genau konträr zu dem aktiven Krisenmanagement. Zuhören und einfach zu wissen, ich muss jetzt gar nichts tun. Es geht wirklich nur um das Zuhören. Extreme Emotionen klingen für den Zuhörer oft wie ein Appell. Aber man darf es eben gerade nicht als Aufforderung auffassen. Man muss keinen Vorschlag machen, man muss das Thema nicht lösen, es geht nur um das ehrliche Signal: „Es kommt bei mir an, was du sagst“.
6.2 Interview 1: Constanze Holzwarth, Top-Management-Beraterin
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Wie kann das Unternehmen unterstützen? Eine Krise ist eine massive Belastung für die Führungskräfte. Von Unternehmensseite wäre es gut, Anlaufstellen zu schaffen, Gesprächspartner für die Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen und Aufgaben so aufzuteilen, dass nicht alles vom proaktiv agierenden Management übernommen werden muss. Wenn wir jetzt in die Zukunft schauen auf die Zeit danach, haben wir noch ein drittes Spannungsfeld. Wir müssen ja einerseits jetzt die Gegenwart organisieren und gleichzeitig schon die Zeit danach im Blick haben… Da kann man viel erreichen, wenn man in der Krise den Kontakt hält. Wenn man die Unsicherheiten offen kommuniziert: „Wir müssen jetzt Dinge tun, die wir gar nicht tun wollen. Was wir aber eigentlich auf gar keinen Fall möchten, ist Euch zu verlieren.“ Jetzt schon vorzubauen für die Zeit danach ist wichtig. Hier kommt es stark auf den Erhalt menschlicher Beziehungen an. Ich ergänze noch ein viertes Spannungsfeld: Wir haben heute die belastende Situation der Corona Krise mit ihrer umfassenden Kontaktreduzierung. Von heute auf Morgen waren Unternehmen zum digitalen Arbeiten gezwungen. Nicht für alle Führungskräfte ist das leicht… Diese Zeit sagt auch viel über die Flexibilität der Führungskräfte eines Unternehmens aus, sprich über ihre Fähigkeit, Neues auszuprobieren und sich auf ungewohntem Terrain zu bewegen. Wie gehen Führungskräfte, die nicht in der digitalen Welt zuhause sind, jetzt mit dem abrupten Wandel um? Ich empfehle allen Führungskräften, sich schnell der Realität zu stellen und sich jemanden zu suchen, der sie unterstützt. Von Reverse Coaching bis hin zur Beratung durch die eigenen Mitarbeiter gibt es viele Möglichkeiten. Zahlreiche Vorstände lassen sich inzwischen von Trainees und jungen Mitarbeitern coachen. In vielen Fällen beherrschen Mitarbeiter das digitale Arbeiten viel besser als die Führungskräfte. Manch einer mag die Sorge haben, sein Ansehen zu verlieren, wenn er jetzt fragt… Genau hier brauchen wir einen Mindset Change! Ich muss mich hier als Führungskraft umstellen und den Wandel zulassen, dass wir „da oben“ nicht diejenigen sind, die immer alles wissen und deswegen alle Entscheidungen treffen können. Im Gegenteil, wir sind angewiesen auf den Input der anderen.
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
Wie sehen das denn die Mitarbeiter, wenn der Chef um Hilfe bittet? Die Mitarbeiter merken das auch schnell, wenn ein Chef etwas nicht weiß oder nicht kann. Der Chef verliert eher sein Gesicht, wenn er Neues ablehnt oder seine Unwissenheit nicht zugibt. Er gewinnt stattdessen, wenn er offen damit umgeht und sich Unterstützung holt. Es geht darum Unsicherheiten einzugestehen. Diese Zeiten sind dafür ideal, weil wir es überall sehen – auch in der Politik. Unsicherheiten werden eingestanden: „Wir fahren jetzt auf Sicht, weil wir es aktuell nicht besser wissen“. Auf Sicht fahren klingt noch souverän. Wenn ich aber vor meinen Mitarbeitern eingestehen soll, dass ich mit digitalen Tools nicht vertraut bin, bin ich viel eher peinlich berührt – ich kann die Mannschaft jetzt im schlimmsten Fall gar nicht führen…. Es ist ganz einfach – im Moment kann man wirklich sagen: „Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit.“ Wenn ich mir jetzt keine Hilfe hole, dann habe ich ein Thema! In so einer Krise komme ich nicht mehr mit. Es ist doch souverän, wenn ich sage: „Bisher ging es ohne, jetzt will ich es lernen – sehen Sie es mir bitte nach, dass ich da erst hineinkommen muss.“ Das macht doch menschlich. Und es unterstreicht doch den neuen Mindset: Sagen, was ich nicht kann und sich weiterbilden! Es gibt keine bessere Zeit als diesen Moment, um Neues auszuprobieren. Niemand hat mehr den Anspruch auf Perfektionismus. Vielen Dank Frau Dr. Holzwarth für das Gespräch!
Das Gespräch mit Constanze Holzwarth verdeutlicht, dass die Krise eine massive Belastung für die Führungskräfte in Unternehmen ist. Beschrieben werden zahlreiche Spannungsfelder, in denen sich Führungskräfte in der akuten Ausnahmesituation bewegen. In einem ersten Schritt hilft es, sich diese Spannungsfelder bewusst zu machen. Tab. 6.1 greift dafür acht ausgewählte Spannungsfelder aus dem Gespräch heraus. Die Erkenntnis: Die Fähigkeit zum Moduswechsel hilft Führungskräften robust durch die Krise zu navigieren. Es geht darum, die Spannungsfelder schnell zu erkennen, bewusst Räume oder Zeiten für die unterschiedlichen Anforderungen zu schaffen und beide Seiten auszubalancieren. Bewusster Moduswechsel Gerade in der Krise treten die bevorzugten, erlernten Routinen schnell in Kraft, während unter Druck die weniger geübten Verhaltensweisen zunächst vergessen werden. Um über einen längeren Zeitraum robust durch die Krise zu führen, ist die Balance jedoch
6.2 Interview 1: Constanze Holzwarth, Top-Management-Beraterin
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Tab. 6.1 Im Krisenmodus: Beidhändigkeit in der Führungsarbeit Modus 1
Modus 2
1
Eintauchen in die Problemlösung
Sichtbar sein, viel kommunizieren
2
Geschäftsrelevante Probleme managen Klares, verstandesmäßiges Vorgehen
Irrationale, emotionale Aspekte, Sorgen/Nöte in der Belegschaft berücksichtigen
3
Kontaktreduzierung organisieren
Kontakt halten, Beziehungen zu MA stärken
4
Führen auf Distanz, remote Arbeiten, nur virtuell kommunizieren können
Viel Kommunikation, Präsenz zeigen, von den Mitarbeitern „gesehen“ werden
5
Schnell und top-down entscheiden und kommunizieren
Zuhören, Raum für Dialog und Fragen schaffen
6
Gewohnte Führungsinstrumente nutzen
Sich auf ungewohntem, z. B. digitalem Terrain, bewegen, schnell auf Neues einstellen
7
Souverän handeln, Antworten geben
Unsicherheiten eingestehen, mit dem Team gemeinsam Neues ausprobieren
8
Empathisch sein, Gesprächsangebote Selbstschutz, Grenzen ziehen, eigene machen, Unterstützung leisten, auf Unsicher- Unsicherheiten bewusst machen, Zeit für heiten der Mitarbeiter eingehen Reflexion einräumen
zwingend notwendig. Ein Widerspruch im Krisenalltag ist zum Beispiel, den Kontakt zu halten und sichtbar zu sein bei gleichzeitiger Kontaktreduzierung im Lockdown. Ein weiteres Spannungsfeld liegt darin, Unsicherheiten als Führungskraft einzugestehen und trotzdem souverän auf Sicht zu fahren. Es geht um das bewusste vor Augen führen und Einsetzen zunächst konträrer Verhaltensweisen, die genau in ihrer Widersprüchlichkeit helfen durch die Krise zu navigieren. Umgang mit Krisen als Bestandteil der regulären Ausbildung Damit diejenigen, die nah an den Menschen arbeiten, gut durch die Krise navigieren, hilft es, wenn Unternehmen im Ernstfall ihre Führungskräfte auf allen Ebenen schützen, stärken und unterstützen. „Jetzt wissen wir, dass der Umgang mit Krisen zukünftig Bestandteil der Ausbildung werden muss“, so die Empfehlung der Führungsexpertin Holzwarth. Zugleich ist es für jeden Einzelnen wichtig, nicht nur auf Unterstützung des Unternehmens zu bauen. Die wichtigste Führungsentscheidung während einer Krise sei es, auch auf sich selbst gut zu achten, liest man im Harvard Business Review Ende April 2020 [9]. Die eigene Handlungsfähigkeit muss sichergestellt sein.
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
6.3 Interview 2: Wiltrud Pekarek, HALLESCHE Krankenversicherung In Woche 3 des Lockdowns, kurz vor Ostern 2020, berichtet Wiltrud Pekarek, Vorstandsmitglied eines Unternehmens, das in der Corona-Krise systemrelevant ist: Die Krise hat die digitale Transformation beschleunigt, Grenzen wurden in den vergangenen Tagen in kürzester Zeit überwunden. Die HALLESCHE Krankenversicherung ist ein deutscher Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit mit Hauptsitz in Stuttgart [10]. Vorständin Wiltrud Pekarek unterstreicht, wie entscheidend der Aufbau eines neuen Zukunftsbildes für die Organisation im Krisenmanagement ist. Nach der Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter und der Absicherung des laufenden Geschäftsbetriebes in der Ausnahmesituation geht es darum, schnell den Blick nach vorne in die Zeit nach der Krise zu richten und ein neues Zukunftsbild zu entwerfen. Wie sieht die Zukunft nach der Krise aus? Wo steht ein Unternehmen dann? Ein Zurück in die Zeit vor der Krise, in das Zusammenarbeiten und Führen davor, wird es aus Sicht von Wiltrud Pekarek nicht geben. „WIR BRAUCHEN JETZT DOPPELTE BEIDHÄNDIGKEIT“
Interview mit Wiltrud Pekarek, Diplom-Mathematikerin und Vorständin der HALLESCHE Krankenversicherung aG Frau Pekarek, Sie sind seit vielen Jahren Vorstandsmitglied eines privaten Krankenversicherers. Wie erleben Sie die aktuelle Krise? Der Ausgang der aktuellen Situation ist eine gesundheitliche Krise, die alle Menschen auf dieser Welt gleichermaßen und fast zeitgleich trifft. Niemand hat einen Schutz. Es gibt nur unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen – sei es durch Alter, Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe oder das Immunsystem. Aber es betrifft jeden Einzelnen im ureigenen Kern. Zugleich führen die Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung und zur Sicherung der Gesundheit zu einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Corona ist Ausdruck einer hochvernetzten Welt, und zwar sowohl in der Verbreitung wie auch in der Bekämpfung der Auswirkungen – anders als alle Krisen zuvor. Wie haben Sie und Ihre Kollegen das Unternehmen durch die Situation geführt? Im ersten Schritt ging es darum, für die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter im Unternehmen zu sorgen und schnellstmöglich Orientierung zu geben. Das war die Basis – die Fürsorgepflicht. Fast zeitgleich begann die Festlegung, welche Funktionen im Unternehmen essenziell für den Notbetrieb und damit für die Absicherung des Geschäftsbetriebs sind. So war für uns als Krankenversicherer
6.3 Interview 2: Wiltrud Pekarek, HALLESCHE Krankenversicherung
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beispielsweise sehr bedeutend, unseren Kundenservice abzusichern und für unsere Kunden da zu sein. Arbeiten von Zuhause wurde in kürzester Zeit einer immer größeren Zahl an Mitarbeitern ermöglicht, das Vertrauen in das Handeln der Unternehmensleitung wuchs entsprechend. Im dritten Schritt galt es, den Blick nach vorne in die Zeit nach Corona zu öffnen und unser Zukunftsbild und damit verbundene Ziele den Mitarbeitern zu vermitteln: Wie sieht unsere Zukunft nach der Krise aus? Wo stehen wir dann mit unserem Unternehmen? Welche Ziele verfolgen wir? … Was war in der Krise anders als sonst? Viele Mitarbeiter erhielten durch die neue Situation im Homeoffice zwangsläufig mehr Verantwortung. Die Führungskräfte mussten von einem Tag auf den anderen anders führen: auf Distanz, ohne die Nähe zu verlieren, online, über digitale Tools. Sie mussten zu Beginn der Krise „auf Sicht fahren“, mitunter situativ handeln. Und sie mussten ihre Mitarbeiter zur Eigenverantwortung befähigen, unterstützen und ermutigen. Mitunter war einfach auch vertrauen darauf angesagt, dass es funktioniert. Denn sie hatten nicht mehr täglich alles im Blick. Und das Ergebnis? Trotz aller Herausforderungen haben diese Eigenverantwortung und unser gemeinsames Ziel, gut durch Corona zu kommen, plötzlich so viel Energie und Kreativität freigesetzt und Neues geschaffen. Neue Ideen für die Zusammenarbeit sind entstanden, die in unserem Firmenchat geteilt und weiterentwickelt wurden. Die Solidarität im Miteinander ist gewachsen. Alle haben hochkonzentriert und effizient an ihren Themen weitergearbeitet, füreinander mitgedacht und eigeninitiativ Entscheidungen herbeigeführt. Hierfür war das Loslassen der Führungskräfte mit ausschlaggebend – das, was man im Umfeld der digitalen Transformation und neuer Geschäftsmodelle spürt und kennt, war jetzt überall gefragt. Können Sie das genauer erklären? Bislang haben wir uns damit beschäftigt, unser Kerngeschäft, das den bisherigen Erfolg gebracht hat, sukzessive zu überführen in das digitale Neue und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Beides über lange Zeit gut auszubalancieren, war und ist die Herausforderung. In der aktuellen Krise wird diese Beidhändigkeit plötzlich noch viel wichtiger und bewährt sich. Wir hatten bisher etwa 20 % der Mitarbeiter im Homeoffice, jetzt sind es 80 %. Die Diskussionen darüber, ob Arbeiten von Zuhause überhaupt gelingen kann, sind hinfällig. Führungskräfte müssen jetzt im Dialog mit ihren Mitarbeitern extrem klar und bestimmt Orientierung geben, einen klaren Rahmen setzen und ausreichend und zeitnah informieren. Zeitgleich ist loslassen, vertrauen und Freiheiten
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geben mehr denn je gefragt. Diesen Wandel hin zur Beidhändigkeit in der Führung habe ich in den letzten Jahren vor allem im Umfeld der digitalen Transformation beobachtet. Aufgrund der Eile musste so manches improvisiert werden, ein komplettes Zurück in das Zusammenarbeiten und Führen von vor der Krise wird es nicht geben und wird auch nicht möglich sein. Corona hat die Transformation beschleunigt. Hat sich Ihr eigener Führungsstil in den letzten Wochen verändert? Eine offene und wertschätzende, auf die unterschiedlichsten Situationen, Themen und Mitarbeiter ausgerichtete Kommunikation war für mich immer schon ein sehr wichtiges Führungsinstrument. Ich merke, dass ich in dieser Ausnahmesituation noch mehr in die Kommunikation mit Mitarbeitern investiere und versuche, sie zu begleiten. Zu viel Empathie und zu wenig Anlässe ins Gespräch zu gehen gibt es dabei nicht! Skypen ist aktuell das Medium der Wahl. Sei es um an Bereichsoder Gruppenrunden teilzunehmen oder mit Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen anstatt per Mail zu antworten. Ich frage dann immer, wie es ihnen im Homeoffice geht, wie sie sich mit der Situation arrangieren. Ich versuche bewusst, ein gutes Gefühl dafür zu entwickeln, wo die Menschen in unserer Organisation stehen. Das Inhaltliche steht im jeweiligen Moment meistens nicht im Vordergrund. Es geht mir vielmehr darum, emotionale Sicherheit zu vermitteln und den gedanklichen Raum zu schaffen, in dem Menschen jetzt gut arbeiten können. Wie genau schaffen Sie diesen Raum? Ich verwende für den Ausblick in die Zukunft gerade oft das Bild eines Tunnels, in dem wir uns aktuell bewegen. Es gibt auch Licht, wir erkennen den Weg, als Gesellschaft, als Unternehmen wie auch als Einzelne. Der Tunnel wird ein Ende haben. Und ich möchte, dass wir am Ende des Tunnels eine grüne Wiese vorfinden. Hier säen und ernten wir. Und genau darauf arbeiten wir hin. Ich weiß nicht, ob wir Frühlingsblumen ernten oder ob schon die Sommerblüte da ist – das Zeitliche kann niemand vorhersehen. Wir wissen, dass in unserer Gesellschaft gerade viele Menschen großes Leid erfahren, entweder weil sie Erkrankte oder Verstorbene im Umfeld haben oder sie in wirtschaftliche Notsituationen geraten sind. Aus diesem Bewusstsein heraus und der Thematisierung der Zukunft nach Corona erwächst das gemeinsame Ziel, gestärkt aus der Ausnahmesituation hervorzugehen und im positiven Sinne Chancen zu nutzen. Ist diese Zeit im Tunnel nicht Widersacher der Zukunftsgestaltung? In dieser Zeit ist besonders wichtig, dass die Arbeitsbedingungen sicher sind und für alle passen. Unsere Teams hatten sehr schnell die Möglichkeit, auch von Zuhause zu arbeiten und Verantwortung für unsere Kunden zu übernehmen. Diese Flexibilität wurde extrem wertgeschätzt. Hinzu kommt, dass die Aufgaben
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sinnstiftend sind. Ich habe hier und jetzt eine ganz konkrete Aufgabe als Mitarbeiter eines Krankenversicherers: ich will für meinen Kunden da sein, egal an welcher Stelle. Unsere Service-Werte „Verlässlich, Proaktiv, Transparent, Zuverlässig“ gewinnen mehr denn je an Bedeutung. Zusätzlich gibt es die strategische Komponente, unser Zukunftsbild, das Sinn stiftet: Wir wollen Gesundheitspartner für unsere Kunden sein. Wir wollen uns in unserer Kommunikation verbessern, empathischer sein in der Kundenansprache, uns mehr kümmern und über digitale Wege noch mehr Verbindung und Nutzen schaffen. So kann aus der Orientierung und dem Handeln in der Krise die Gestaltung der Zukunft erfolgen. Spielt Sinn jetzt eine besonders wichtige Rolle? Immer mehr Menschen stellen die Sinnfrage im Beruf und wollen sich in einer nachhaltigen Welt bewegen. Sinnstiftung finden in der täglichen Arbeit hilft in dieser schwierigen Situation, mutig nach vorne zu gehen. Die Mitarbeiter nehmen wahr, wie schnell wir uns in die Lage versetzt haben, weiter zu arbeiten und erst gar keine großen Ängste haben aufkommen lassen. Zusätzlich ernten wir jetzt, was wir durch die Kommunikation in den letzten Jahren gesät haben. Die Mitarbeiter gehen jetzt voran. Was wir als Vision und Mission formuliert haben, die Kundenorientierung, die Werte, die Zukunftssicherung des Unternehmens, ist allen bewusst geworden. Sie entwickeln die Haltung und den Ehrgeiz, das zu erreichen. Was empfehlen Sie Unternehmen, damit man in einer nächsten Krisensituation widerstandsfähig ist und ernten kann? Ich empfehle erstens, sehr stark an der Vision und Mission des Unternehmens zu arbeiten. Die Mitarbeiter müssen immer die Chance haben zu erkennen, welchen Wertbeitrag ihre Arbeit zur Erreichung von Vision und Mission leistet. Dadurch entsteht Sinnstiftung. Mitarbeiter müssen wissen, wofür das Unternehmen steht, welche Werte handlungsleitend sind, wohin sich das Unternehmen entwickeln möchte. Es hilft, wenn man zu jedem Zeitpunkt, in jeder Situation – sei sie positiv oder negativ – immer wieder darauf referenzieren kann. Der zweite Punkt ist Kommunikation. Permanent mit den Mitarbeitern in Kommunikation zu stehen und in Kommunikation zu investieren, ist elementar: Gerade wenn es um die Vision und Mission des Unternehmens geht, wo die kreativen und die neuen Dinge entstehen, ist es wichtig, sehr schwingungsfähig sein. Es geht darum, ein gutes Gefühl dafür zu entwickeln, wo die Organisation steht und was sie braucht. Zugleich muss in einer Krise wie jetzt Klarheit in der Umsetzung vermittelt werden. Denn diese Klarheit schafft Vertrauen und damit wiederum den Raum für Zukunftsgestaltung.
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Das klingt nach einer Zerreißprobe zwischen Krisenmanagement und der Ausrichtung auf die Zukunft… Das ist es. Wir brauchen jetzt sozusagen doppelte Beidhändigkeit in der Führung. Für Sicherheit in der Krise zu sorgen und das „Heute“ abzusichern ist die eine Seite. Im „Heute“ haben wir das operative Kerngeschäft und die neuen Entwicklungen der digitalen Transformation, die beidhändig geführt werden müssen. In der jetzigen Corona-Krise geht es darum, nicht nur die neuen Entwicklungen abzusichern, sondern den gesamten Geschäftsbetrieb bestehend aus „Bisher + Neu“. Die beiden Welten rücken in der Absicherung sogar eng zusammen. Was ist die zweite Seite? Die Unternehmen dürfen in der Absicherung nicht stecken bleiben – genauso wie die digitale Transformation nicht im Ausführen des Alten und Bewährten stecken bleiben darf. Es muss gleichzeitig eine neue Zukunft nach Corona vorgedacht und gestaltet werden. Wieder muss beides gleichzeitig gedacht und beidhändig geführt werden. Das ist eine doppelte Transformation. Ja, aus dem Bisherigen in das Neue und zeitgleich aus der Krise in die Zukunft! Und in dieser Krise zeigt sich, ob man zuvor erfolgreich war. Die Entwicklungsschritte der digitalen Transformation unterstützen Unternehmen jetzt auch in der Bewältigung der Corona-Krise. Die komplexen Auswirkungen der aktuellen Krise erfordern mehr denn je Führungsinstrumente von komplexen Systemen einschließlich des neuen Verständnisses von Führung und Zusammenarbeit. Gleichzeitig unterstützt der Krisenmodus unser Handeln: Wir werden flexibler, unbürokratischer, gehen in Verantwortung und agieren solidarisch. Die digitale Transformation wird beschleunigt, Grenzen werden überwunden. Welche Risiken sehen Sie für die Unternehmensführung? Das Risiko liegt auf der Hand. Unternehmen dürfen sich nicht zu sehr in Krisenszenarien verlieren, während andere die Zukunft gestalten. Szenarien müssen zügig festgelegt, die Auswirkungen beschrieben und Ableitungen getroffen werden. Ggf. muss neu priorisiert und finanzielle Mittel anders eingesetzt werden. Etwaige Umpriorisierungen dürfen nicht nur nach rein betriebswirtschaftlich bzw. nach harten finanziellen Kriterien erfolgen, sondern müssen vor allem die Zukunft mit einbeziehen. Beidhändigkeit auch an dieser Stelle! Welche Chancen sehen Sie? Eine große Chance liegt darin, parallel zu den Szenarien das neue Zukunftsbild des Unternehmens aufzubauen: Was erwarte ich als Unternehmen nach dieser Ausnahmesituation? Was bleibt? Was wird anders? Ich muss überprüfen, ob es die heute bekannten Treiber in der Zukunft überhaupt noch geben wird. Gibt es völlig neue
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Kundenerwartungen? Gibt es regulatorische Änderungen? Werden Megatrends verstärkt? Corona zwingt uns, die Zukunft noch einmal neu zu denken und unser bisheriges Bild ggf. zu korrigieren, Wertigkeiten neu zu definieren und möglicherweise in eine andere Richtung zu gehen. Im Moment steht die Welt still, alle sind ausgebremst. Das eröffnet die Chance, in bestimmten Themen an den Markt anzuschließen und in anderen weiter vorneweg zu laufen. Und genau hierfür brauchen wir eine Idee der Zukunft, um zu entscheiden, welche Chancen jetzt in dieser Zeit zu nutzen sind. Vielen Dank Frau Pekarek für das Gespräch!
Absicherung des Geschäftsbetriebes Die von Wiltrud Pekarek skizzierte „doppelte Beidhändigkeit“ ist in Tab. 6.2 dargestellt. Für Sicherheit in der Krise zu sorgen und das „Heute“ abzusichern ist die eine Seite und der erste wichtige Schritt des Krisenmanagements. Dabei besteht bereits das „Heute“ in den meisten Unternehmen neben dem operativen Tagesgeschäft aus zahlreichen Zukunftsaktivitäten der digitalen Transformation. Tab. 6.2 zeigt links die entsprechenden „Sofort-Maßnahmen“ des Feuerlöschens zur Absicherung des Geschäftsbetriebes. Aufbau eines neuen Zukunftsbildes Doch diesen Zukunftsweg einfach fortzuschreiben, ist aus Sicht von Pekarek nicht ausreichend. Wer jetzt im Feuerlöschen stecken bleibt, verpasst die neue Zukunft nach der Pandemie. Die Zukunft nach der Krise wird eine andere sein und diese gilt es – parallel zur Absicherung des Geschäftsbetriebes – aktiv auszugestalten und in ein neues Zielbild für die Organisation zu überführen. Das entsprechende Zielbild muss von Unternehmen, siehe rechte Spalte Tab. 6.2, neu gedacht und neu aufgebaut werden.
Tab. 6.2 Doppelte Beidhändigkeit in der Krise HEUTE (Exploitation)
NEUE ZUKUNFT (Exploration)
Absicherung des Geschäftsbetriebes und der bisherigen Entwicklungen in der Krise. Dazu zählen:
Aufbau des neuen Zukunftsbildes nach der Krise, Ableitung der neuen Ziele für das Unternehmen. Dazu zählen:
a) das operative Kern- b) die gestarteten geschäft, der laufende Zukunftsprojekte, die Betrieb (Exploitation) laufenden Aktivitäten der digitalen Transformation (Exploration)
b) Vorausdenken und a) Sichtbare Trends und Zukunftsszenarien Entwickeln eines auf Basis bestehender neuen Zukunftsbildes Erfahrungen beschreiben
Beidhändig im Absicherungsmodus führen
Beidhändigkeit beim Aufbau des Zukunftsbildes
Doppelte Beidhändigkeit: Beides gleichzeitig in der Krise angehen
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6.4 Interview 3: Thomas Fischer, MANN + HUMMEL Mitte April 2020 trifft Beidhändige Führung Thomas Fischer, den Aufsichtsratsvorsitzenden von MANN + HUMMEL, einem weltweit führenden Unternehmen für Filtrationstechnologie. Das Unternehmen mit Sitz in Ludwigsburg und über 80 Standorten weltweit bietet Filtrationslösungen in zwei Segmenten an: Transportation sowie Life Science & Environment. Zum Produktportfolio zählen Filtrationslösungen für Automobil- und Industrieanwendungen, saubere Innenraum- und Außenluft sowie die nachhaltige Nutzung von Wasser [11]. Thomas Fischer berichtet, warum es gerade jetzt auf die Werte des Familienunternehmens ankommt und wie wichtig eine den Menschen zugewandte, empathische Führung in der Krise ist. „ES GEHT UM EMPOWERMENT. FÜHREN IST MENSCHEN BEFÄHIGEN“
Interview mit Thomas Fischer, Vorsitzender des Aufsichtsrates MANN + HUMMEL, über die Rolle von Führung in und nach der Krise
von
Herr Fischer, wir erleben aktuell eine Gesundheits-, Wirtschafts- und Finanzkrise von nie dagewesenem Ausmaß. Wie gehen Sie im Innern Ihres Unternehmens damit um? Wir streben an, in dieser Ausnahmesituation wo möglich Normalität herzustellen, zielorientiert weiterzumachen und damit Vertrauen in der Belegschaft zu schaffen. Zwar kann ich mit dem Leadership-Team gerade nicht wie sonst von Angesicht zu Angesicht alle Themen besprechen. Aber ich nehme mir jeden Abend Zeit für meine Führungskräfte. Einzelne, die vor Ort arbeiten, kommen auf einen kurzen Austausch vorbei, wir stehen zusammen und erzählen, was für ein schwieriger Tag es war. Der schnelle, auch kontroverse Austausch, der entspannende Witz – wir versuchen, Normalität zu haben. Fällt das immer leicht? Ich kenne es von früher aus anderen Krisen. Wenn die Belastung zu groß wird, brauchen Menschen ein Ventil, um Druck abzubauen. Man muss einen Rahmen bieten, der ein Zusammenkommen und einen Austausch über Situation und Herausforderungen erlaubt. Streiten, unterschiedlicher Meinung sein, den Druck „ungefiltert“ rauslassen dürfen – wenn das möglich ist, geht es am nächsten Tag deutlich besser weiter, manches fällt leichter. Wie führen Sie Ihr Unternehmen durch die Krise? Unsere Führungsmannschaft ist weltweit präsent und kümmert sich vor Ort sehr um die Mitarbeiter. Unser CEO ist derzeit in den USA „gefangen“ und kann nicht reisen. Er steuert deshalb von Michigan unsere Welt. Eine andere unserer obersten
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Führungskräfte arbeitet in Singapur. Es ist eine glückliche Fügung, dass wir weltweit gut aufgestellt sind. In Asien, Europa und Amerika haben wir Führungskräfte, die nicht nur gefühlt näher dran sind am lokalen Geschehen. Was machen Sie hier in Deutschland? Ich habe in den letzten zwei Wochen jeden Standort besucht. Ich spreche mit der Führungsmannschaft und dem Betriebsrat. Laufe einfach durch, damit die Menschen vor Ort wahrnehmen, dass wir uns kümmern. Diejenigen, die weiterhin in die Firma kommen, waren anfangs sehr besorgt, voller Angst. Jedoch haben sie gemerkt, dass das Unternehmen auf geeignete Maßnahmen zu ihrem Schutz achtet. Gleichzeitig haben wir die interne Kommunikation auf allen Kanälen intensiviert. Die Führungskräfte gestalten Online-Konferenzen oder veröffentlichen Videobotschaften über die aktuellen Entwicklungen. Wie gravierend werden die Auswirkungen sein? Wir stellen uns auf hohe Umsatzeinbußen und Ergebnisbelastungen ein, die drastische Sparmaßnahmen mit sich bringen. Gleichwohl macht die Mannschaft toll mit, auch da wir viel und gut kommunizieren. Was derzeit in der Kommunikation hilft, ist etwas wie die Fußball-Hymne des FC Liverpool „You’ll Never Walk Alone“. Jeder Fußballfan kennt sie. Es geht um Solidarität und darum, dass Menschen in schwierigen Zeiten zusammenhalten. Genau dieses Zusammengehörigkeitsgefühl versuchen wir über unsere internen Kommunikationsplattformen wie MH Connect zu vermitteln. Wie meistern Sie den Spagat zwischen Krisenmanagement und Vorbereitung auf die Zukunft? Was die Menschen im Unternehmen derzeit belastet, ist das Hochfahren unserer Wertschöpfungsnetze trotz Kurzarbeit sicherzustellen. Die Lieferketten haben wir gut im Griff – im Moment, nicht wissend welche Situation morgen zu meistern sein wird. Da sind wir beim Thema Beweglichkeit. Dies schaffen Sie in einem kleinen Laden ganz gut, hier können Sie beweglich auf Zuruf agieren. Wenn es dagegen über mehrere Standorte und viele Menschen hinweg funktionieren soll, ist das herausfordernd. Dabei zukunftssichernde Projekte nicht aus den Augen zu verlieren, macht es anstrengend. Als Unternehmensleitung hier verfügbar zu sein und Hilfestellung zu geben, ist extrem wichtig. Wie erreichen Sie, dass die Mannschaft zusammenhält? Was motiviert die Menschen jetzt? Zum einen erreichen wir es durch hohe Konsequenz und Disziplin. Dies funktioniert, weil die oberen Führungskräfte wahnsinnig gut miteinander umgehen und einstimmig agieren: Ein Team, eine Stimme, eine Botschaft. Die Menschen
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im Unternehmen verstehen, weshalb wir welche Maßnahmen ergreifen, dass es um ihre Zukunft, die unserer Kunden und der Firma geht. Zudem können wir als Unternehmen gerade jetzt tolle Projekte vorweisen, so in der Medizintechnik. Wir produzieren neuartige Filter, die in Innenräumen vor Luftverschmutzung schützen – momentan in Stückzahlen, die wir noch nie erreicht haben. Gemeinsam mit Partnern arbeiten wir an Beatmungsgeräten mit Luftfiltereinheiten. Das alles sind zwar überschaubare Innovationen. Sie retten uns auch nicht in Hinblick auf Umsatz und Ergebnis. Doch die Menschen im Unternehmen sind stolz, dass sie einen Beitrag leisten können. Mit diesen sinnstiftenden Botschaften überstehen wir die drastischen Sparmaßnahmen besser, mit denen wir uns als Unternehmen auf eine lange Krise einstellen. Wir befinden wir uns hier in einer „Luxussituation“: Filtration, sauberes Wasser, saubere Luft, saubere Mobilität – diese Themen sind Menschen gegenwärtig besonders wichtig. Dazu haben wir ein weiteres, Zusammenhalt schaffendes Element: die Menschen nehmen noch mehr wahr, dass sie Mitglied einer Familie sind. Die Werte des Familienunternehmens sind mehr als sonst verbindend. Wir achten darauf, gerecht zu agieren und z. B. Mitarbeitern in der Kurzarbeit geringere finanzielle Einbußen abzuverlangen als oberen Führungskräften. Letztere müssen jetzt mitziehen, da sind wir konsequent. Was empfehlen Sie Ihren Führungskräften in der aktuellen Situation? Es ist wichtig, die Menschen im Unternehmen viel, auch individuell anzusprechen. Unsere Führungskräfte auf allen Ebenen wissen das und sind aufgefordert, viel mit ihren Teams zu kommunizieren. Nicht, um zu kontrollieren, ob im Home Office gearbeitet wird, mehr, um Unterstützung anzubieten und um zu helfen. Gelingt das immer? Wir haben Führung und Kommunikation trainiert, haben trotzdem nie ausreichendes Augenmerk darauf gelegt. In der jetzigen Ausnahmesituation geht es nicht mehr ohne. Es braucht jetzt unternehmerische Menschen, die kommunizieren und führen können. Was wir schon lange wissen, allerdings nie konsequent durchgesetzt haben: Wir müssen Fachkräfte aus Führungspositionen herausnehmen und entlasten. Sie sollen in ihrem Fachthema wirken können, hier brauchen wir sie im Unternehmen. Jedoch als Führungskräfte sind die besten Fachkräfte nicht zwingend geeignet. Was verstehen Sie unter Führen? Führen ist für uns zuallererst „Zuhören“, dem Mitarbeiter, dem Kunden, dem Markt. Es geht darum, wahrzunehmen, was ist und dann in der Lage zu sein, daraus aktiv einen greifbaren Prozess zu gestalten. Nicht jeder muss der große Stratege sein. Aber man muss den eigenen Verantwortungsbereich so klar und glaubhaft darstellen können, dass ein Weg und Ziel sichtbar werden und
6.4 Interview 3: Thomas Fischer, MANN + HUMMEL
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v erbindlich vereinbart und gelebt werden. Diese Verbindlichkeit ist für mich über viele Jahre immer wichtiger geworden. Verbindlichkeit braucht Courage, Ausdauer, Resilienz und die Fähigkeit zur Kommunikation. Das ist für mich führen. Nicht jeder Mitarbeiter muss begeistert sein, dennoch, er oder sie muss gerne mitlaufen, meistens jedenfalls. Und schließlich geht es um Empowerment. Führen ist Menschen befähigen. Leider behaupten viele von uns nur, zu wollen, dass Mitarbeiter eigenverantwortlich arbeiten. Entscheidungen zieht man dann doch an sich. Damit führen sie nicht bzw. nicht in dem Sinne, wie ich Führung verstehe. Auf welche Eigenschaften und Fähigkeiten kommt es derzeit an? Es geht darum, ehrlich, verbindlich und konsequent zu sein und nicht dem Konflikt auszuweichen. Sozial ist nicht die Konfliktvermeidung, sondern dessen gerechte und akzeptable Lösung. Wir brauchen Menschen, die in der Lage sind dies zu tun – ohne zu verletzen. Die transparent und glaubwürdig mit schwierigen Fragen umgehen können und dabei auch nein sagen können. Führungskräfte, die in der Lage sind zu sagen „ich weiß es nicht“ und die sich um die Menschen kümmern. Neben Ehrlichkeit und Konsequenz wird die empathische Seite stärker werden müssen. Dabei wird die Fähigkeit in und mit unterschiedlichen Situationen und Kulturen zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten essenziell. Führungskräfte sollen extrem klar und zugleich empathisch sein… Die Leitplanken müssen präzise und verbindlich sein. Es ist für eine Organisation viel hilfreicher, wenn man klar agiert und kommuniziert. Wir müssen zugleich beim Menschen sein, ihn einbinden, wahrnehmen, befähigen. Zwischen solchen Polen kann man Entscheidungen diskutieren und auch revidieren. Es muss möglich sein, schnell zu korrigieren, wenn eine Entscheidung nicht gut war. Wie erreichen Führungskräfte diese Beidhändigkeit? In dem sie einen Schritt zurücktreten und reflektieren – oder einfach mal aus dem Fenster schauen. Indem sie sich in neue Welten wagen. Es geht um die Chance nachdenken zu können, die sich nur wenige Menschen nehmen. Wir sind so durchgetaktet, unser Tagesablauf ist so gefüllt, dass dieses Element völlig verloren geht. Ich habe mir das für die Zeit nach der Krise vorgenommen. Ich möchte, dass sich meine Führungskräfte auf allen Ebenen Zeit für sich selbst und zum Nachdenken nehmen können. Wenn sie diese Zeit haben, kommen neue Ideen und Überzeugungen heraus. Dazu gehören Diskussionen, Austausch, Sparring mit anderen, um Wissen und Meinungen zu schärfen und weiterzuentwickeln. Geht das auch jetzt in einem so extremen Moment? Meine Führungskräfte genießen es gerade sogar, dass sie sich viel mehr Zeit nehmen zu kommunizieren, zu hören und zu sprechen. Und ich meine nicht die
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großen Runden, in denen irrsinnig lange diskutiert wird. Es ist eine präzisere, direktere und schnellere Kommunikation, verbunden mit der Chance, die Menschen im übertragenen Sinne in den Arm nehmen zu können. Wir lernen jeden Tag dazu, die Menschen im Home Office besser zu begleiten. Es ist für mich ermutigend zu sehen, wie gut der ein oder andere in dieser Zeit in diesen Kommunikationsprozessen wirkt. Was ist das Erfolgsrezept? Das muss wohl jeder für sich, seine Firma, sein Umfeld herausfinden. Wir waren in der jetzigen Krisensituation nie zu optimistisch. Wir haben von Anfang an gesagt: „Es wird lange dauern“, haben dies intensiv kommunikativ unterstützt. Wir sind an diesem Punkt wie in unserem Handeln ehrlich und glaubwürdig. Wir vermitteln Sicherheit und Zuversicht, auch weil wir viel mehr Informationen und Zukunft mit den Mitarbeitern teilen. Die Wege zu uns sind kurz und die Mitarbeiter und das mittlere Management trauen sich, die Unternehmensleitung anzusprechen. Das hat unser Leadership-Team schon vor der Krise geprägt. Nun profitieren wir davon und die Menschen gehen mit. Herr Fischer, vielen Dank für das Gespräch.
In mehreren Schritten beschreibt Thomas Fischer, wie seine Führungsmannschaft die Organisation in den ersten Tagen und Wochen durch die Krise navigiert. Zehn ausgewählte Empfehlungen sind in der Übersicht Tab. 6.3 dargestellt. Es sind Empathie und Zugewandtheit, die den roten Faden des Krisenmanagements bei M + H bilden. Im Krisenalltag geht es dem Unternehmen um die Menschen und um Zusammenhalt. Kommunikation wird zum wichtigsten Führungsinstrument. Führung bedeutet Entscheidungsfähigkeit, Disziplin und Konsequenz an den Tag zu legen, genauso, wie empathisch zu sein und eine sinnstiftende Vision für die Menschen zu entwickeln, für die es sich lohnt am Ball zu bleiben (vgl. auch „Shift your Organization from Panic to Purpose“ [12]). Aber auch Führungskräfte brauchen und bekommen bei M + H in Krisenzeiten Räume und Möglichkeiten, um Druck abzubauen und aufzutanken. So erreichen sie die Balance zwischen Krisenmanagement und dem Blick in die Zukunft: „Es geht um die Chance, nachdenken zu können, die sich nur wenige Menschen nehmen. Wenn Sie diese Zeit haben, kommen neue Ideen und Überzeugungen heraus“, so die Empfehlung des Aufsichtsratschefs.
6.5 Interview 4: Karin Pahl, Resilienz-Expertin
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Tab. 6.3 10 Tipps für das Krisenmanagement 1
Führungskräfte-Support
Als Unternehmensleitung Zeit nehmen für die Führungskräfte, Führungskräfte unterstützen
2
Stressabbau
Zusammenkommen, Menschen (auch den Führungskräften!) Zeiten für Austausch, Druck- und Stressabbau anbieten
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Präsenz
Sich in der Belegschaft zeigen, möglichst viel Kontakt und Nähe herstellen
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Kommunikation
Die Kommunikation auf allen Kanälen intensivieren, viel individuelle Kommunikation
5
Konsequenz
Konsequenz, Ehrlichkeit, Verbindlichkeit und Disziplin in den Entscheidungen
6
Empathie
Zuhören und wahrnehmen, wie es der Organisation geht
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Helfen
Als Unternehmensleitung/Führungsmannschaft verfügbar sein und wo möglich Hilfestellung geben
8
Sinnstiftung
„You’ll Never Walk Alone“! Zusammengehörigkeitsgefühl entfachen, Werte des (Familien-)Unternehmens vermitteln, sinnstiftende Aktivitäten initiieren
9
Empowerment
Menschen im Unternehmen aktiv unterstützen und zum eigenverantwortlichen Handeln befähigen
10
Reflexion
Kontinuierlich das eigene Tun reflektieren
6.5 Interview 4: Karin Pahl, Resilienz-Expertin Mit den immer neuen Einwirkungen von außen steigt in Krisenzeiten der Anspruch an Management und Führung exponentiell. Wie Führungskräfte stabil und zugleich flexibel durch stürmische Zeiten navigieren, erklärt die Bremer Resilienz-Expertin Karin Pahl, Inhaberin der PAHL Resilienz-Förderung [13] und Lehrbeauftragte an der Universität Hannover im Gespräch Ende April 2020. In Krisenzeiten, so die Expertin, können auch ungeahnte neue Möglichkeiten entstehen, wenn man bisherige Erfahrungen nutzt und die eigenen Stärken, Ressourcen und mentalen Strategien aktiviert. „RESILIENZ IST IN JEDEM VON UNS ANGELEGT“
Die Resilienz-Expertin Karin Pahl im Interview über Stabilität und Flexibilität im Führungsalltag Frau Pahl, Sie sind seit vielen Jahren in Unternehmen als Coach und Trainerin tätig und haben sich auf das Gebiet der Resilienz spezialisiert. Können Sie kurz den Begriff erklären?
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
Der Begriff der Resilienz stammt aus dem Lateinischen (resilire) und steht sinngemäß für „Innere Widerstandskraft“. Er ist auch aus der Physik und der Werkstoffkunde bekannt. Sprich: Eine Einwirkung von außen trifft auf ein Material, nehmen wir einen Gummiball oder vielleicht bildhafter ein Sofa im Wohnzimmer. Das Material ist nach jeglicher Einwirkung von außen in der Lage, wieder in den Ursprungszustand zurückzugehen. Je höher die Qualität des Materials, desto höher ist die resiliente Spannkraft. Heute wird der Begriff genutzt, um darzustellen wie Lebewesen, ökonomische und andere Systeme mit erheblichem Druck von außen umgehen, sich selbst behaupten und regulieren können. Und übertragen auf den Menschen…? …bedeutet Resilienz, dass jemand zahlreiche Qualitäten in sich trägt, sodass er über eine resiliente Spannkraft verfügt. Wer förderliche innere Stärken, Ressourcen und mentale Strategien in sich vereint, ist fähig, nach äußeren Einwirkungen oder Störungen wieder in seinen mentalen „Originalzustand“ zurückzufinden. Allerdings ist Resilienz etwas sehr Individuelles. So wie Materialien sich völlig unterschiedlich verhalten, so ist das beim Menschen auch. Jeder hat seinen eigenen Weg, um in seinen persönlichen Ursprungszustand zurück zu finden. Das heißt, ein wichtiger Schritt ist es, die individuelle Strategie herauszufinden. Für eine resiliente und gesunde Lebensqualität ist es wichtig, Möglichkeiten zu finden sich gekonnt „selbst zu führen“. Wer dabei seine innere Stabilität und Flexibilität trainiert, sorgt automatisch für hohe Resilienz. Was ist die Zielsetzung von Resilienz? Viele denken, bei Resilienz geht es darum, dass etwas an einem „abprallt“ und einen nichts umwerfen kann. Resilienz steht deshalb teilweise in der Kritik. Nach dem Motto: Unternehmen erwarten von ihren Mitarbeitern Resilienz, damit sie noch leistungsfähiger werden und möglichst alle Stresssituationen ausblenden. Genau das ist mit Resilienz nicht gemeint. Es geht nicht um „Resistenz“, sondern um die Fähigkeit, durch Krisen durchgehen zu können, und zwar mit einem ganzen Rucksack voller Ressourcen, mentaler Strategien und Erfahrungswerten. Souverän durch stürmische Zeiten – das ist zum Beispiel das Motto meiner Trainingsreihen. Wie genau gelingt Souveränität in stürmischen Zeiten? Jeder Mensch hat die Fähigkeiten bereits in sich, um durch Krisen gehen zu können. Wichtig ist es sich auch zu erlauben in Krisen sein zu dürfen und schließlich daraus zu lernen. All die Kompetenzen, die man in stürmischen Zeiten erworben hat, kann man bildlich gesprochen in einen Rucksack packen und zu gegebenen Zeiten herausholen und nutzen. Krisen passieren. Jeder kann dafür individuelle Strategien entwickeln. Wenn man dann auch noch weiß, wofür man steht, welchen Sinn, welche Vision oder auch Mission man in seinem Leben hat, dann hat man gute Chancen für sich Resilienz auf- bzw. auszubauen.
6.5 Interview 4: Karin Pahl, Resilienz-Expertin
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Gibt es nicht Menschen, denen das von Natur aus leichter fällt als anderen? Es stimmt, dass es Menschen gibt, die mit einem Resilienz-freundlicheren Gehirn ausgestattet sind. Wer das allerdings nicht nutzt, wird davon auch nicht profitieren. Es wurde sehr lange geglaubt, dass Resilienz ausschließlich angeboren ist und nicht jeder über diese Fähigkeit verfügt. Das stimmt nicht. Resilienz ist bereits in jedem von uns angelegt und trainierbar. Du hast als Kind auch das Laufen gelernt, bist immer wieder hingefallen und hast dann gemerkt, „tut weh, alles klar, ich mache es irgendwie anders“. Das ist schon der erste Schritt. Ich gehe also nicht nur durch die stürmische Zeit durch… …sondern ich lerne auch daraus und nehme etwas mit, was mich im zukünftigen Leben bereichert. Genau darum geht es in der Resilienz. So entstehen aus stürmischen Zeiten sogar ungeahnte neue Möglichkeiten, wenn man alles nutzt, was man kontinuierlich in seinen Rucksack packt. Ich würde gerne zur Resilienz im Unternehmen kommen. Das Thema ist in zahlreichen Unternehmen angekommen. Hier ist das Wort „Resilienz“ inzwischen fast schon Buzz-Word und der wirkliche Nutzen kommt häufig nicht ins Sichtfeld. Einige belassen es aber nicht dabei und sind auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Aufgrund der Digitalisierung haben viele Unternehmen zwar erkannt, dass ein Denken und Handeln in alten Mustern nicht mehr funktioniert, aber sie haben Schwierigkeiten mitzuhalten. In der heutigen VUCA Welt sind die Chancen, dass etwas ins Ungleichgewicht gerät, sehr groß. Zudem ist vieles immer weniger vorhersehbar und mehrdeutig. Die Not zu handeln ist groß. Und jetzt haben wir die aktuelle Ausnahmesituation… Die Bedeutung der Resilienz wird jetzt erst klar, denn hier passiert etwas, dass sich bisher niemand vorstellen konnte. Die globale Pandemie COVID-19 schwingt die Keule über die gesamte Wirtschaft, Politik, Gesundheits- und Sozial-Systeme. Es geht um die Resilienz all dieser Bereiche. Für Unternehmen hat es eine enorme Tragweite. Eine Liquiditäts- und Existenzkrise zwingt zum schlagartigen Handeln und beinhaltet unglaublich viele Anforderungen. Die größte Einsicht mag sein, dass der „Unternehmenswert“ Mensch und das Thema Digitalisierung gekonnt verknüpft werden müssen – in einer unvorhersehbaren Geschwindigkeit, die vorher durch theoretisches Denken, Diskutieren und dem Festhalten an Altbewährten behindert wurde. Alte Herangehensweisen funktionieren nicht mehr. Auch Denkweisen wie, „Wir entscheiden uns für das Eine oder das Andere“ kommen ins Wanken. In dieser neuen Arbeitswelt kommt zusätzlich die Individualität zum Tragen und das beinhaltet die Entscheidungsfähigkeit für „Sowohl das Eine als auch das Andere“ – eine wichtige Kompetenz der Resilienz.
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
Die Menschen in Unternehmen befinden sich in einem extremen Spannungsfeld… Unterschiedliche Wertesysteme prallen jetzt regelrecht aufeinander. Auf der einen Seite steht ein Hierarchiesystem, das einen klaren Rahmen vorgibt, in dem Entscheidungen auf den Führungsebenen getroffen werden und die Verantwortung auch dort übernommen wird. Klare Ansagen werden hier von den Mitarbeitern erwartet. Auf der anderen Seite steht das flexible Modell der agilen Arbeitswelt. Hier organisiert sich das Team selbst und übernimmt im gleichen Maße Verantwortung und trifft Entscheidungen. In der aktuellen Situation haben beide Seiten etwas gemeinsam: Für sie besteht der absolute Ausnahmezustand. Viele finden sich in der neuen Umgebung „Home Office“ wieder. Ein Umfeld das mehr Herausforderungen bringt als gedacht. Ad Hoc fehlen die „realen“ zwischenmenschlichen Kontakte. In einigen Unternehmen wird aktuell ausschließlich digital kommuniziert und gearbeitet, etwas das zum Beispiel für einen Außendienst undenkbar war, da für den Vertrieb Kundennähe und Emotionen eine wichtige Rolle spielen. Umdenken zu können und gleichzeitig handlungsfähig zu bleiben sind hier die resilienten Schlüsselkompetenzen. Ist Resilienz jetzt auch besonders wichtig für Führungskräfte? Ja! Denn viele Führungskräfte geraten jetzt in eine regelrechte Krise. Sie müssen einerseits für Klarheit sorgen und gleichzeitig sehr viel Verantwortung in die Teams im Home Office weitergeben. Sie sollen auf der einen Seite Orientierung und Sicherheit vermitteln als auch loslassen und vertrauen können. Führungskräfte sollen Vorbilder sein, nur wie soll das gehen, wenn eigene Ängste vor Kontrollverlust und einer digitalen Unsicherheit vorherrschen? Zudem ist die weitere Herausforderung, dass Teams nur auf Distanz geführt werden können. Mit der aktuellen Situation sind viele Führungskräfte überfordert. Es gibt Unternehmen, die sich darüber im Klaren sind und ihnen Coaches zur Seite stellen. Worum geht es nun bei der Resilienz in dieser Situation? Es geht darum, die innere Stabilität zu bewahren und gleichzeitig auch eine Flexibilität im Denken und Handeln aufzubauen, sprich die Fähigkeit, sich immer wieder auf etwas Neues einlassen zu können. Dazu gehört zum Beispiel auch zwischen komplett unterschiedlichen Führungsparadigmen springen zu können. Sie haben gerade zwei Schlüsselbegriffe der beidhändigen Führung erwähnt. Gleichzeitige Stabilität und Flexibilität im eigenen Denken und Handeln – widerspricht sich das nicht eigentlich? Nein. Das ist ja gerade das spannende bei Resilienz. Wenn Führungskräfte fähig sind, flexibel denken, handeln und reagieren zu können und dabei trotzdem eine
6.5 Interview 4: Karin Pahl, Resilienz-Expertin
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innere Stabilität bewahren, dann hat ein Unternehmen in Zeiten des Wandels bereits viel gewonnen. Was ist stabil und was ist flexibel – was ist damit gemeint? Ich nutze in meinen Trainings gerne eine kleine Stehaufmännchen-Figur, die auf einem kugeligen runden Bauch sitzt. Die Figur lässt sich nicht umwerfen, sie bewegt sich immer wieder zurück zur Ursprungshaltung. Ich will damit veranschaulichen: Wenn dieser Bauch gefüllt ist mit Ressourcen und mentalen Strategien, dann besitzt jemand die Fähigkeit eine Stabilität zu haben, und trotzdem auf äußere Einflüsse flexibel zu reagieren. Es gibt hierfür auch eine körperliche Übung: Eine Person agiert als Fels in der Brandung und bleibt mit seinem Körper starr. Die andere Person ist flexibel in der Körperbewegung, wie ein elastisches Material. Beide Trainingsteilnehmer erhalten einen Störeinfluss von außen, die die Personen zum Kippen bringen soll. Interessanterweise gerät der starre Fels schnell ins Wanken und kippt. Die Person, die sich mit dem Körper elastisch verhält, auf die äußeren Störeinflüssen flexibel reagiert, sie aufnimmt und versucht umzulenken, fällt dagegen nicht um. Im übertragenen Sinne: Durch eine innere Elastizität… …erreichen Menschen größtmögliche Stabilität. Das ist das Erstaunliche und zugleich der Kern meines Resilienzkonzepts. Stabilität entsteht erst durch die eigene Beweglichkeit. Sprich, man ist aufgrund dessen stabil, weil man beweglich bist! Frau Pahl, vielen Dank für das Gespräch!
Resilienz durch Beidhändigkeit Während beidhändige Organisationen häufig zwei entgegengesetzte Welten in sich tragen, die traditionell hierarchische Welt und die flexiblen Modelle der agilen Arbeitswelt, rücken in den Wochen der Corona-Krise beide Welten eng zusammen. In beiden Welten herrscht Ausnahmezustand. Elemente aus beiden Welten werden zu gleicher Zeit, in gleichem Umfang gebraucht. Top-down, formell und von zentraler Stelle Die Mitarbeiter im Unternehmen erwarten einerseits klare Ansagen von oben, eine schnelle, direkte von zentraler Stelle gesteuerte Kommunikation und Antworten auf ihre Fragen. Sie erwarten ein funktionierendes Hierarchie- und Entscheidungssystem (vgl. Abschn. 4.2.1). Die Prozesse und Zuständigkeiten sind von Beginn an klar zu definieren.
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Die Unternehmensleitung oder der eingesetzte Krisenstab besitzen Entscheidungshoheit und können Entscheidungen schnell treffen. Die Kommunikation ist hochgradig formell, durchgeplant und läuft nach dem linearen Sender-Empfänger-Prinzip: Informationen werden schnell und effizient von oben nach unten kontrolliert verteilt (vgl. Kap. 4.2.2). Dank Hierarchie und zentraler Instanz wird die Organisation in kürzester Zeit zum Handeln mobilisiert [14]. Loslassen, Verantwortung übertragen, Selbstorganisation ermöglichen Doch fast zeitgleich mit Beginn der Corona-Krise und innerhalb von wenigen Tagen verlagert sich der Geschäftsbetrieb zu fast 100 % in die neue Umgebung Home Office. Ein Umfeld das, so Pahl, mehr Herausforderungen bringt als gedacht. Ad Hoc fehlen die „realen“ zwischenmenschlichen Kontakte, bekannten Werkzeuge und Vorgehensweisen. Die Teams sind zur schnellen Reaktion und Selbstorganisation gezwungen und im Home Office mit einem deutlichen Verantwortungszuwachs konfrontiert. Die formale Autorität verschiebt sich schnell zur persönlichen Verantwortung des Einzelnen und es entstehen völlig neuen Strukturen [14]. Wer schon vor der Krise in das Wachstum von sich selbst organisierenden dynamischen Teams investiert hat, profitiert und beobachtet wie flexibel und widerstandsfähig solche Strukturen reagieren. Resilienz Die Fähigkeit eines Systems, Störungen zu absorbieren und dennoch die grundlegende Funktion, Struktur und Feedbacksysteme zu erhalten [14]. Ein resilientes System funktioniert weiter, unabhängig davon, wie schwer es durch äußere Einflüsse erschüttert wird. Idealerweise wird es dadurch sogar stärker. Julian Birkinshaw, London Business School Professor für Strategie und Entrepreneurship, unterscheidet drei Typen von Resilienz [14]: 1. Persönliche Resilienz: Fähigkeit von Mitarbeitern und Führungskräften, schwierigen Umständen über lange Zeiträume gewachsen zu sein. 2. Operative Resilienz: Fähigkeit einer Organisation, die Kernprozesse (z. B. die Supply Chain) zu erhalten. 3. Strategische Resilienz: Fähigkeit einer Organisation, Veränderungen im Umfeld wahrzunehmen, darauf zu reagieren und für Kunden von bleibender Relevanz zu sein. Resiliente Schlüsselkompetenzen Zwischen beiden Welten hin und her zu wechseln, ad hoc Umdenken zu können und gleichzeitig stabil und handlungsfähig zu bleiben, sprich beidhändig zu agieren, sind im Augenblick der Corona-Krise die persönlichen resilienten Schlüsselkompetenzen (1.) von Führungskräften, erklärt Resilienz-Expertin Karin Pahl. Das nächste Interview vertieft das Feld der operativen Resilienz auf Unternehmensebene (2.).
6.6 Interview 5: Frank Riemensperger, ACCENTURE
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6.6 Interview 5: Frank Riemensperger, ACCENTURE Weltweit kämpfen Unternehmen in den ersten Wochen von COVID-19 mit existenziellen Zukunftsfragen: Sind sie ausreichend resilient, um in der globalen Wirtschafts- und Gesundheitskrise zu überleben? Sind sie robust genug, um im weltweiten Wettbewerb zu bestehen? Und sind sie flexibel und innovativ genug für den radikalen Sprung in die digitale Welt nach der Pandemie? Während das in Abschn. 6.5 beschriebene Resilienzkonzept sich auf die Widerstandskraft des Einzelnen im Unternehmen bezieht und auf den individuellen mentalen Strategien von Menschen aufbaut, rückt das nächste Interview die operative Resilienz auf Unternehmensebene in den Fokus. Ein Unternehmen sei dann wirklich resilient [15], wenn die gesamte Lieferkette und das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk widerstandsfähig sind, erklärt der Informatiker Frank Riemensperger. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Unternehmens- und Strategieberatung Accenture für die Ländergruppe Deutschland, Österreich und Schweiz [16], sitzt im Senat der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech und im Senat des IT-Branchenverbandes Bitkom. „REBOOT IN DIE NEUE, VERÄNDERTE WELT“
Interview mit Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture Deutschland Herr Riemensperger, wir erleben gerade eine Krise, die sich auch gravierend auf die Abläufe innerhalb von Unternehmen auswirkt. Wie stellt sich Accenture darauf ein? Wir sind ein Unternehmen, das Service-Dienstleistungen erbringt. Nur ein kleiner Teil unserer tatsächlichen Produktion ist ja ortsgebunden. Deshalb war die Umstellung für uns auf Remote-Arbeit von zuhause relativ einfach. Die digitale Infrastruktur dafür haben wir bereits vor Jahren geschaffen. Wir arbeiten daher ohnehin schon sehr verteilt und kommunizieren virtuell. Das konnten wir dann innerhalb einer Woche für 98 % der Mitarbeiter durchziehen. Wie ergeht es Ihren Kunden? Hier gab es mehrere Phasen. In den ersten zwei Wochen zeigte sich auf Kundenseite ein schnelles Rekonfigurieren der neuen Arbeitsstätte und der neuen Arbeitsweisen. Für uns brachte diese Zeit erst einmal mehr Arbeit: Kollaboration, virtuelles Arbeiten, remote Arbeiten – das sind Dinge, die wir nicht nur bei uns selbst, sondern auch bei unseren Kunden umgesetzt haben. Nach dem Rekonfigurieren kam das Sortieren, das „Wir richten uns in der Krise ein.“ In dieser zweiten Phase haben wir über die Industrien hinweg völlig unterschiedliche Verhaltensmuster beobachtet. Die Automobilbranche stellt die Produktion
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ein, der Maschinenbau auch. Die Pharmakonzerne machen weiter. In der Energieversorgung merkt man ebenfalls nichts. Die Gesundheitsbranche läuft weiter. Foodretailing ebenso. Viele kleine und mittlere Betriebe, Gaststätten oder der Bereich Travel/Urlaub sind brutal betroffen. Dann zeigen sich große Katastrophen wie in der Luftfahrt, wo ganze Fluglinien am Boden bleiben. Viele andere hingegen ziehen gerade so durch. Es gibt kein „One size fits all“. Sehen Sie auch gemeinsame Verhaltensmuster? Für alle Unternehmen gilt: Sie müssen neue Formen der Zusammenarbeit erbringen. Was wir hier innerhalb von vier Wochen an Innovation erlebt haben, ist unglaublich. Was vorher nicht möglich war, etwa nach dem Motto „eine Bank muss in der Bank arbeiten“, das geht jetzt von zuhause in virtuellen Teams. Projektentscheidungen werden innerhalb von Tagen getroffen – vorher undenkbar. Wie sind Entscheidungswege? Wie werden Teams konfiguriert? Wie schnell werden Entscheidungen umgesetzt? Wieviel Vorlaufzeit braucht man? Neben den gravierenden materiellen Schäden für einige – wenn auch nicht alle – Industrien ist diese Krise zugleich einer der größten Auslöser und Treiber einer neuen Art und Weise, wie Arbeit organisiert wird. Hier hat man innerhalb von Tagen Innovationen geschaffen. Sie werden bleiben. Was genau wird bleiben? Die Agilität, die Entscheidungsgeschwindigkeit wird bleiben. Die verteilte Form des Arbeitens wird bleiben. Je „physischer“ es wird, z. B. in der Produktionslinie, umso mehr ist man natürlich auch lokationsgebunden. Aber auch da kann die Agilität, die Geschwindigkeit des Treffens und Umsetzens von Entscheidungen, positive Auswirkungen haben. Auf einmal hat man gemerkt: Deutschland kann an vielen Stellen schnell sein. Das war bislang ganz untypisch für unser Land! Bei vielen Unternehmen erschweren Home Office und Kurzarbeit den anstehenden Hochlauf. Was beobachten Sie hier? Speziell beim Wiederanfahren sehen wir, dass es sich auf die Netzwerkknoten in Unternehmen konzentriert. Es sind die Programm- und Schnittstellenmanager, die jetzt wahnsinnig viel leisten müssen. Wir erleben es gerade selbst. Wir haben 10.000 Menschen in der deutschsprachigen Region ins Home Office geschickt. Wie holen wir nun ab dem 4. Mai 10.000 Leute aus dem Home Office zurück? Es ist allein kommunikativ eine riesige Leistung, alle zu erreichen. Das läuft jetzt über ca. 50 bis 100 Personen, die die Netzwerkknoten bilden. Sie sind damit immens belastet – auch schon ohne die zusätzliche Herausforderung der Kurzarbeit.
6.6 Interview 5: Frank Riemensperger, ACCENTURE
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Was ist Ihnen bei Führung und Kommunikation jetzt wichtig? Mir ist wichtig, viel selbst zu kommunizieren. Ich bin dabei supertransparent, offen und spreche auch über „ungelegte Eier“. Nur Kommunikation, die klar, authentisch und ehrlich ist und auch Optionen zeigt, bevor sie eintreten, schafft Vertrauen. Wir sind ja in einer Krise, bei der keiner das Ende kennt, bei der wir vor drei Wochen noch nicht genau wussten, wie schlimm es wird. Ich habe mich entschlossen, diese Unsicherheit und auch unsere Überlegungen, wie wir reagieren können, offen mit dem Team zu teilen. Auch zu teilen, dass man mit dieser Situation per se nicht souverän umgehen kann: Wir wissen einfach nicht, wie sie sich entwickelt. Deswegen muss man anfangen agil zu navigieren und in Hypothesen und Szenarien arbeiten. Dieses Vorgehen hat positives Feedback bekommen. Die Leute wissen, was wir denken und werden nicht von Maßnahmen überrascht. Was kommt nach der Krise? Was wir vermeiden werden, ist ein „Back to normal“. Das wird es nicht geben. Wir haben zwei große Überschriften dazu: Erstens, „Emerge stronger“. Wir müssen als Unternehmen – und das gilt nicht nur für Accenture – die Krise als Aufgabe verstehen und uns fragen: „Wie kommen wir da stärker heraus?“ Die zweite Überschrift ist: „Reboot into the new“. Es ist wichtig, eine Vision für das Neue zu entwickeln und nach der Krise einen „Reboot“ zu machen, der nicht das Alte wieder aufgreift, sondern die neue Vision in sich trägt. Wie bei einem Betriebssystem. Aber wir „rebooten“ in die neue, veränderte Welt hinein. Was raten Sie Unternehmen jetzt? Was muss die neue Vision enthalten? Erstens, und das kommt u. a. aus dem Maschinenbau: „Wir wollen und müssen viel digitaler sein.“ Es ist nicht die Industrie 4.0, die Produktion, die gerade nicht funktioniert. Es sind Digital Sales. Hier haben die wenigsten investiert. Aber jetzt zeigt sich: Der Vertrieb ist das größere Problem. Viele haben die Produktion eingestellt, nicht weil die Produktion und die Teile gefehlt haben, sondern weil sie digital nichts mehr verkauft haben. Zweitens: „Wir müssen resilienter werden“. Es geht darum, große Schwankungen verarbeiten zu können. Und drittens: „Wir müssen unsere Entscheidungszyklen deutlich verkürzen. Wir haben in dieser Krise gar keine Zeit, langsame Entscheidungen zu treffen.“ Ich frage mich: Wenn Unternehmen unter Druck in der Krise schnell entscheiden können, warum können sie das denn im Tagesgeschäft nicht? Auch nach der Krise müssen wir viel agiler führen, anstatt zur institutionellen Langsamkeit zurückzukehren. Was wir gerade erleben, ist sehr extrem. Gibt es den Mittelweg? Natürlich gibt es etwas dazwischen. Aber Unternehmen können doch das Extrem. Aktuell haben viele von ihnen bewiesen, dass sie in der Lage sind, viel schneller
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gute Entscheidungen zu treffen. Wieso brauchten sie bisher so lange? Das ist kostbare Zeit, die ihnen der Wettbewerb bei der Marktdurchdringung und beim Wachstum abnimmt. Diese Diskussion um Beidhändigkeit muss man jetzt führen. Beidhändig heißt: „Das Alte haben wir gelernt und eingeübt, das Neue haben wir jetzt unter Druck erfahren. Wie können wir das verbinden?“ Es ist definitiv kein „Back to normal“. Viele Unternehmen befanden sich vor COVID-19 mitten in der digitalen Transformation. Sehen Sie bereits die nächste Stufe der Transformation? Es wird um die Frage gehen, wie Unternehmen widerstandsfähiger werden und wie sie lernen, mit großen Veränderungen umzugehen. Die erste Antwort hierauf ist klar: „Wir brauchen mehr digitale Lösungen“. Die zweite ist, mehr in Ökosystemen zu denken. Wer sind jetzt meine Bündnispartner? Viele Produktionsunternehmen gehen nun dazu über ihre Lieferantenstrukturen anzuschauen und nach Risiko zu bewerten. Fallen sie aus? Sind sie überhaupt erreichbar? Sind sie zuverlässig? Kommunizieren sie ordentlich? Resilienz in der gesamten Lieferkette wird für Unternehmen ein großes Thema werden. Resilienz-Experten sagen, Stabilität erreicht der Einzelne durch Flexibilität und Beweglichkeit. Lässt sich das auch auf Unternehmen übertragen? Ja! Aber Sie können nicht als einzelnes Unternehmen flexibel und beweglich sein. Resilienz bedeutet, das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk auf ein einheitliches digitales Niveau zu bringen – mit einheitlichen und vergleichbar schnellen Entscheidungswegen. Sie müssen als Ökosystem resilient sein. Es nützt Ihnen ja auch nichts, wenn Sie als Einzelne jetzt die Zuversicht haben und alle anderen um Sie herum den Kopf in den Sand stecken. Unternehmen müssen für ihr individuelles Ökosystem, also die eigenen Mitarbeitenden wie auch Partner außerhalb des Unternehmens, eine Arbeitskultur schaffen, ich nenne das Ecosysteme, die für verschiedene Teilnehmer dieses Systems ein ähnliches Leistungsniveau garantiert. Und das haben wir als Deutsche überhaupt nicht eingeübt. Wir gucken immer nur introvertiert auf unseren eigenen Laden, jedoch kaum über die Unternehmensgrenze hinaus. Partnerschaften gewinnen an Bedeutung? Ich glaube schon, vor allen Dingen bei Produkt-Service-Kombinationen. Wenn wir Produkte physisch verkaufen, digital betreiben und kontinuierlich mit Services bespielen wollen, macht man das nicht mehr alleine. Dafür brauchen Unternehmen Partner. Und diese Partner müssen ein ähnliches Leistungsniveau haben, erst dann ist das gesamte System resilient.
6.6 Interview 5: Frank Riemensperger, ACCENTURE
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Neue Formen der Zusammenarbeit, Resilienz, Arbeit in Partnerschaften: Auf welche Fähigkeiten kommt es bei Führungskräften in Zukunft an? Führungskräfte brauchen ihr individuelles Leistungsvermögen wie bisher. Aber zu versuchen, alleine erfolgreich zu sein, ist einfach nicht mehr en vogue. Die Systeme, die wir jetzt aufbauen, sind so komplex in der Abhängigkeit voneinander, dass sie nur noch mit Menschen funktionieren, die die Zusammenarbeit wirklich wollen, sie fördern und die auch bereit sind, den Erfolg zu teilen. Gerade jetzt in der Krise sieht man: Unternehmen, die auf „Collaboration and shared success“ setzen, schlagen sich deutlich besser als diejenigen, in denen jeder versucht sich selbst zu optimieren. Das geht vielleicht innerhalb eines statischen Systems. In einem sich schnell bewegenden dynamischen System führt es jedoch zu ganz schlechter Performance. Das ist wie beim Stau: Jeder hat seine Reaktionszeit, sie addiert sich so lange auf, bis schließlich alles steht. Ein Unternehmen mit der falschen Kultur kann nie resilient sein. Wir brauchen neues Denken zu Zusammenarbeit und gemeinsamem Erfolg. Vielen Dank, Herr Riemensperger, für das Gespräch!
Ambidextrie bedeutet auch: kein Zurück in alte Muster! Ambidextrie erfordere extrem große Anstrengungen in der Belegschaft und im Management und könne durchaus zur Überforderung der Organisation führen, erklärt der Experte von Accenture im Buch „Titelverteidiger“ [17]. Jetzt, in der aktuellen Ausnahmesituation bedeutet Beidhändigkeit auch, die Chancen, die sich aktuell bieten zu nutzen, die Gelegenheit zu ergreifen und die bewiesene Wandlungs- und Entscheidungsfähigkeit weiterzuentwickeln. „Das Alte haben wir gelernt und eingeübt, das Neue haben wir jetzt unter Druck erfahren. Wie können wir das verbinden?“ Es gibt aus Sicht von Riemensperger definitiv keinen Weg zurück zum Normalen (vgl. Tab. 6.4). Die Krise hat Unternehmen verändert und dieser neue Zustand wird bleiben. Es geht darum, durchgängig in allen Unternehmensbereichen zu digitalisieren, Entscheidungszyklen nicht nur in der Krise drastisch zu verkürzen, konsequent auf Zusammenarbeit und Partnerschaften zu setzen und für operative Resilienz im gesamten Ökosystem zu sorgen – nicht nur im eigenen Unternehmen (vgl. auch [18]). Nur wer sich jetzt diesen neuen Rahmenbedingungen stellt, eine neue Vision entwickelt und die in der Krise erprobte Agilität weiter verfolgt, kann seine Position in der Weltwirtschaft verteidigen.
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
Tab. 6.4 Ambidextrie: Den Sprung wagen – es gibt kein Zurück! Vor Corona
Nach Corona
Digitalisierung ausgewählter Unternehmensbereiche
Durchgängige Digitalisierung aller Unternehmensbereiche
Gewachsene Entscheidungsstrukturen
Drastisch verkürzte Entscheidungszyklen
Starker Fokus auf das eigene Unternehmen
Konsequent über die Unternehmensgrenzen hinaus denken, in Ökosystemen agieren, für operative Resilienz im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk sorgen
Einzelerfolge fördern
Auf gemeinsamen Erfolg setzen, Zusammenarbeit fördern und fordern
Bewährte Routinen und Methoden nutzen, bestehende Vision verfolgen
Kein back to normal! Neue Arbeitsweisen, neue Vision verfolgen!
6.7 Interview 6: Gregor Pillen, IBM Gregor Pillen ist seit Januar 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM Deutschland und Generaldirektor für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Der amerikanische IT-Konzern hat weltweit über 350.000 Mitarbeiter und einen Umsatz (2019) von über 77 Mrd. US$ [19]. Wenige Wochen nach Amtsantritt beginnt für Gregor Pillen in der DACH-Region das Krisenmanagement. Mitte Mai, als die Lockerungen beginnen, teilt der Wirtschaftsmathematiker seine Erfahrungen aus dem Lockdown mit Beidhändige Führung. „DAS IST EIN GLEICHKLANG, ES GEHÖRT ZUSAMMEN“
Interview mit Gregor Pillen, Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH + General Manager IBM DACH Herr Pillen, Sie sind seit Januar 2020 im Amt und starten mit einer globalen Gesundheits-, Wirtschafts- und Finanzkrise in Ihr erstes Jahr. Wie stellt sich Ihr Unternehmen auf die Situation ein? Eine Wirtschafts- und Finanzkrise ist ja nicht neu. Was jetzt hinzukommt, ist die Kombination mit den gesundheitlichen Ängsten und der Unklarheit, wie man mit der Pandemie umgehen kann und ob man sie bewältigt. Wir haben aufgrund unserer Philosophie und Technik die Souveränität und Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeitenden schon immer im Blick. Sie sind so ausgestattet, dass sie von jedem Ort aus arbeiten können. Insofern sind wir – wie viele ähnliche Unternehmen – in der Lage gewesen, sehr schnell umzuschalten. 95 % unserer gesamten Wertschöpfung erfolgt derzeit aus dem Home-Office. Dazu zählen nicht nur die
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Leute hier in Deutschland, sondern auch die Teams in den Centern in Rumänien, in Indien oder in China. Auch sie arbeiten alle von Zuhause aus. Welche Rolle spielt Kommunikation in der jetzigen Krise? Wenn Sie starke Veränderungen haben, bei denen Sie nicht vorhersagen können, was morgen oder übermorgen passiert, müssen Sie Ihre Rhythmen in der Kommunikation deutlich verkürzen. Mir war wichtig, die Mitarbeitenden gleich zu Beginn aufzufordern, gemeinsam zu überlegen, was die Krise für uns bedeutet und wie es für uns weitergeht. Ziele waren die Bewältigung der aktuellen Krise und die Zusammenarbeit daran, wie unsere Arbeitswelt danach aussehen kann. Der Blick nach vorne hilft, das Licht am Ende des Tunnels aufgehen zu lassen. Wir haben dafür mit Slackstorm und Jam-Methodiken gearbeitet. Das ist bei unseren Mitarbeitenden sehr gut angekommen und wird jetzt auf globaler Ebene ebenfalls gemacht. Sie haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter also direkt eingebunden in die Vorausschau? Ja! In der IBM haben wir das Mantra: Nur über engagierte Mitarbeitende erzielen wir die Kundenerfahrung, die am Ende einen Mehrwert für den Kunden und unsere Shareholder erzeugt. Und in diesen drei Dimensionen – unsere Mitarbeiter, unsere Kunden, die IBM – haben wir einen dreitägigen, moderierten Slackstorm aufgebaut, um gemeinsam zu überlegen: Was heißt das? Was verändert sich gerade jetzt mit dem stärkeren Home-Office? Wie verändern sich unsere Kundennotwendigkeiten? Wie wollen wir wahrgenommen werden als IBM in vier, fünf Jahren, wenn die Krise vorbei ist? Das hat dazu geführt, dass wir erstens eine Verbindung mit den IBMern aufbauen konnten. Wir haben Ideen direkt umgesetzt, beispielsweise die Aktion „Webex for Kids“. Diese Aktion bieten wir mit unserem Partner Cisco in Schulen an. Unsere Mitarbeitenden helfen als Coaches, die Technologie zu nutzen. Wir hatten auch sehr schnell ein Team zusammen, das mit IBM Watson Assistant einen Chatbot aufgebaut hat, der unter anderem eingesetzt wird, wenn Sie die Patientenhotline 116 117 wählen. Wir haben viel gemacht, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzuholen. Zum einen um herauszubekommen, wie sie sich fühlen und was wir tun müssen, um sie richtig zu adressieren. Zum anderen, um ihre Ideen aufzunehmen und umzusetzen. Zum Wohle der Kunden, des Unternehmens, aber auch, um den Mitarbeitenden zu zeigen, dass es für sie selbst einen Mehrwert hat. Das hat einen richtigen Schub gegeben. Können Sie noch ein Beispiel für die Kommunikation geben? Kurz nach Ostern, haben wir z. B. das Virtuelle ergänzt, in dem wir allen Mitarbeitenden per Post etwas Haptisches geschickt haben: ein klassisches IBM-Poster und ein Kärtchen mit Grüßen. Unterschrieben von meinem Leadership
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Team als kleines Dankeschön. Die Leute haben gemerkt, dass wir alle Welten verbinden. Und wir wollten ihnen ein Zeichen geben, dass wir es wertschätzen, dass sie aus dem Home-Office mit den Kunden in Verbindung bleiben. Man ist ja nicht darauf vorbereitet. Wenn unsere Kunden nun mit unseren Mitarbeitenden in Kontakt treten, dann haben alle ein IBM Poster im Hintergrund und man erkennt, „ah, das ist die IBM“. Wie genau lief der Slackstorm ab? Für den Slackstorm hatten wir gefragt: Wenn man die IBM als Unternehmen in Deutschland mit ihrer Wirkung auf die Mitarbeitenden, mit ihrem Mehrwert für die Kunden und ihrem Branding anschaut, wie kann man das in drei Worten beschreiben? Wie sehen wir im Jahr 2020 aus? Wie sehen wir im Jahr 2022 aus, wie im Jahr 2025? Dieses gedankliche Gerüst hat die Teilnehmer angeregt, darüber nachzudenken, wo wir eigentlich hinwollen und wie wir wahrgenommen werden wollen. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen. Aber ich merke, dass die Überlegung: „Wir kümmern uns um das Jetzt, um das Bald und um die Zukunft und wir laden dazu ein, in Iterationen mitzuwirken“ gerade jetzt etwas Wichtiges ist. In der Krise müssen sie kurzfristige Maßnahmen ergreifen, bei denen auch die Mitbestimmung unglaublich flexibel sein muss. Diese Balance und der Dialog haben uns weiter und enger zusammengebracht. Sie sind Vorsitzender einer Marktorganisation im Kontext eines globalen Konzerns. Wie verhalten sich die verschiedenen Ebenen – global, europäisch und DACH? Die IBM bemüht sich stark, für alle Herausforderungen ein Framework zu erstellen, das dann in den Märkten adaptiert wird. Im Moment, als der Lockdown begann, war es eher ein Bottom-Up-Prozess. Jedes Land hat in der Geschwindigkeit, in der es notwendig war, den entsprechenden Lockdown gebaut. Wenn Sie jetzt in die Lockerung gehen, wollen wir die Balance halten zwischen der Philosophie der IBM und dem, was die jeweilige Region vorschreibt. Das Framework dafür haben wir global erstellt. Die Erfahrungen, die wir im Krisenmanagement lokal gesammelt haben, wurden im Headquarter in einem Rahmenwerk zusammengeführt, das wir jetzt auch der Politik und unseren Kunden zukommen lassen. Nach diesem globalen Framework bewegen wir uns nach vorne. Die Entscheidung aber, welcher Standort zuerst von der sogenannten Phase 0 in eine nächste Phase gehen sollte, obliegt den lokalen Märkten. Hier gehen wir in der Schrittgeschwindigkeit, die unsere Kunden und der jeweilige Markt von uns fordern. Was war Ihnen in den letzten Wochen auch persönlich wichtig? Mir persönlich war wichtig, bei der Kommunikation sicherzustellen, Empathie zu zeigen. Die Angesprochenen dürfen merken, dass man genauso betroffen ist.
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Als ich im Januar in der aktuellen Position angefangen habe, habe ich klassische Roadshows gemacht, Niederlassungen besucht, war in der Schweiz, in Österreich. Durch den Lockdown entstand eine gewisse Asymmetrie. Einige Mitarbeitende hatten schon die Gelegenheit, Fragen an die Führung zu richten und andere nicht. Wir haben Ende März deshalb die Videoreihe „Ein Gespräch mit…“ eingeführt, die zweimal pro Woche erscheint. Ich führe darin immer ein Webex-Interview zu unterschiedlichen Themen mit Personen aus dem Unternehmen. Gleich am Anfang habe ich zum Beispiel unseren Betriebsarzt zu Corona befragt. Die Reihe hat erstaunlich hohe Klickzahlen und sehr gute Resonanz. Vor allem, weil ich mich bemühe, den Mitarbeitenden wirklich ganz persönlich anzusprechen. Sie machen das aus dem Home-Office? Ja, es ist bei mir im Home-Office. Das war anfangs auch spaßig. Einmal hatte jemand im Hintergrund eine Flasche Cognac erkannt. Danach habe ich das aufgegriffen, habe mal die Küche gezeigt oder auch mal gezeigt, wo ich mit meiner Familie lebe. Die Zuschauer entdecken immer auch etwas Privates. Man kommentiert es und macht das Ganze zu dem, was alle empfinden: Man kann das Private vom Beruflichen nicht mehr komplett trennen. Man muss hier einen Weg finden. Manchmal muss man auch auffordern, die Kamera einfach auszuschalten – ich mache das auch. Oder auch immer wieder sagen: „Denkt dran, Ihr braucht im Umfeld etwas, das Euch unterstützt.“ Bei mir sind es die Espresso-Maschine oder das Ergometer, das ich mir in die Wohnung gestellt habe, um mich auch mal zwischendurch zu betätigen. Solche Dinge bemerken die Mitarbeitenden und sie erkennen: „Eigentlich hat er dieselbe Challenge zu bewältigen wie wir auch.“ Was empfehlen Sie Ihren Führungskräften in der aktuellen Situation? Was ich stark empfehle, ist den Kontakt zu halten und aufzubauen. Wir nennen es „Stay connected“. Man muss öfter und kürzer mit den Menschen kommunizieren, dabei ruhig Emotionen zeigen und Gelegenheiten einplanen für das Zwischenmenschliche: z. B. auch mal eine Webex veranstalten, bei der es nicht um das Geschäftliche geht, sondern um den „Small Talk“, den man in der Cafeteria hätte. Diese Pausen empfehle ich, weil es das zurückgibt, was im Moment fehlt, wenn man immer nur von einer Telefonkonferenz in die andere hetzt. Und ganz wichtig ist, dass Führungskräfte sich die Vorbildfunktion klar machen. Also mehr über die Lösungen spricht, ein positives Denken behält und nicht ins Jammern verfällt. Kurz: dass man auf der einen Seite menschlich bleibt und Emotionen zeigt, aber sich zugleich überlegt, wie man im Gespräch eine gewisse Kraft und Motivation rüberbringt. Und schließlich, das gilt auch für mich: Wir sind alle keine Fernsehstars. Das heißt, man muss auch eine gewisse Bescheidenheit an den Tag legen, man kann nicht perfekt sein. Das macht es ja auch authentisch.
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Wie unterstützen Sie Ihre Kunden in der jetzigen Ausnahmesituation? Ein Beispiel: Die IBM war gezwungen, die große Jahrestagung THINK in San Francisco zu einem digitalen Event umzubauen – das größte Digitalevent unserer Geschichte. Es hat wunderbar geklappt. Hier in Deutschland, Österreich, Schweiz haben wir zusätzlich ein traditionelles Format, bei dem sich unsere Top Kunden zwei Mal im Jahr treffen, in ein Webex-Event überführt. Es gab Erfahrungsaustausch, Impulsvorträge und Umfragen, wir haben dafür die ganzen Möglichkeiten der Technologie genutzt. Interessant war die Sicht der Unternehmen zur aktuellen Situation: Der Switch auf Remote war für die Wenigsten ein Problem. Was die Unternehmen aber umtreibt, ist die Frage, wie sie jetzt die Kultur weiterentwickeln. Die schnelle Adaption der digitalen Tools hat gezeigt, dass wir technisch für die Zusammenarbeit ausgestattet sind. Aber was bedeutet es kulturell? Wenn wir diesen Dialog als IBM anfachen, können wir Anregungen geben und gemeinsam diskutieren. Dadurch gewinnen unsere Kunden und wir auch, denn wir wollen ja eine nachhaltige Basis für die Kultur und Zusammenarbeit finden. Das kann ein Hybridmodell sein – also nicht mehr komplett zurück ins Büro. Es könnte die Robustheit und die Flexibilität der Organisationen insgesamt deutlich nach oben schrauben und neue Ideen bringen. Auch unsere Kunden wollen daran weiterarbeiten. Denn wenn wieder eine Pandemie kommen sollte, müssen wir resilienter sein. Wie meistert die IBM den Spagat zwischen Krisenmanagement und der Vorbereitung des Unternehmens auf die Zeit nach der Krise? Spagat ist ja etwas, was Spannung bedeuten würde, oder ein „sich extrem Stretchen“. Das empfinde ich nicht. Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass gerade das Nebeneinander beider Punkte, oder auch das Nacheinander beider Punkte, unglaublich notwendig ist, um die Balance zu halten: Auf der einen Seite müssen wir in der stark reaktiven Situation auf Veränderungen im Markt reagieren, die man nicht vorhersehen kann. Wir überlegen jeden Tag „sind wir richtig“? Auf der anderen Seite richten wir uns strategisch nach vorne aus. Das braucht der Mensch doch. Wenn er das Gefühl hat, er ist nur noch am Reagieren, dann fehlt ihm das Gestalterische. Wenn er aber nur in der Ferne schwärmt, hat er im Hier und Jetzt gar nichts. Für mich gehört beides zusammen. Die IBM hat es aufgrund der Beschäftigung mit dem, was die Welt verändert und der Art, wie wir mit unserer Forschung und Entwicklung arbeiten, schon in den Genen, das Hier und Jetzt zu optimieren und gleichzeitig die Innovationen und Visionen nach vorne aufzubauen. Das ist ein Gleichklang, es gehört zusammen. Herr Pillen, vielen Dank für das Gespräch!
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Der Blick nach vorne hilft, das Licht am Ende des Tunnels aufgehen zu lassen – so lautet ein Kernelement der Führung in der Krise bei der IBM. Gregor Pillen und sein Führungsteam erreichen dies durch einen Gleichklang im Handeln: Sie reagieren auf das Hier und Jetzt und richten gleichzeitig und gemeinsam mit den Mitarbeitenden und Kunden den Blick auf die Zukunft nach der Krise. In dieser Balance und in diesem Dialog, wenn alle bereits am neuen Zukunftsbild arbeiten, sieht Pillen den Schlüssel, um das akute Krisenmanagement und schwierige Entscheidungen schneller und pragmatischer treffen zu können und zugleich eine neue Arbeitswelt entstehen zu lassen. Für diesen Gleichklang, das kontinuierliche Bespielen beider Welten, schöpft die IBM vielfältige kommunikative Möglichkeiten aus und zeigt, dass auch in einer fast vollständig virtuellen Zusammenarbeit mit 95 % Wertschöpfung aus dem Home Office, das Haptische eine Rolle spielt. So verschmelzen zunächst im Home Office die virtuelle und die physische Welt, unterstützt durch Poster im Hintergrund der Videokonferenz. Zugleich lösen sich die Grenzen zwischen beruflicher und privater Welt nach und nach auf. Es ist der bewusste Umgang mit diesen Umständen, der hilft, dennoch Grenzen zu ziehen. Es gilt, die Mitarbeiter darin zu unterstützen, einen gesunden Gleichklang herzustellen. Was die IBM und ihre Kunden schließlich umtreibt, ist die Frage, wie nach den Erfahrungen der Krise eine neue Unternehmenskultur aussehen kann, die mehr Widerstandskraft und Flexibilität in Organisationen bringt. Am besten den Gleichklang beibehalten! Gleichklang! Aufbau einer beidhändigen Kultur
1. Virtuelle und physische Arbeitswelt verschmelzen ➔ Bewusst in der Kommunikation mit virtuellen und physisch/haptischen Elementen arbeiten, beide Welten bespielen ✓ Dadurch die Verbindung zu Mitarbeitenden herstellen und halten und sie im Home Office in der virtuellen Kommunikation unterstützen 2. Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen ➔ Bewusstes Adressieren dieses Umstands, Unterstützen der Mitarbeitenden, die Balance zu finden und Räume für beides zu schaffen ✓ Dadurch die Robustheit aller erhöhen 3. Reagieren im Hier und jetzt und zugleich die Zukunft bauen ➔ Bewusstes Integrieren beider Aspekte in den Arbeitsalltag ✓ Durch die Vorausschau werden notwendige Maßnahmen im Hier und Jetzt besser akzeptiert, die Vorbereitungen auf die Zukunft nach der Krise beginnen sofort, die Robustheit für zukünftige Krisen wächst ◄
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6.8 Fazit: Robust durch die Krise, bereit für den Sprung Frisst Virus also wirklich Führung? Oder hilft gute Führung Unternehmen, gestärkt durch die Krise zu gehen? Kap. 6 dokumentierte in sechs Interviews mit Persönlichkeiten aus der deutschen Unternehmenslandschaft die Ausnahmesituation des knapp zweimonatigen Corona-Lockdowns in Deutschland im Jahr 2020. In den Gesprächen ist die Einsicht gereift: Wer auch in der Krise beidhändig führt, besitzt den Schlüssel zu einer resilienten und wandlungsfähigen Organisation, die flexibel immer neue Lösungen findet und damit stabil in Krisenzeiten steht (Abb. 6.2). In der Krise: Beidhändiges Arbeiten mit Spannungsfeldern Während der ersten Tage einer akuten Krise tun sich schnell Gräben für Führungskräfte auf: Tauche ich ein in die Problemlösung? Oder kümmere ich mich intensiv um die
Abb. 6.2 Beidhändig durch die Krise!
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Sorgen der Menschen? Kommuniziere ich klar und top-down die nächsten Schritte oder gehe ich ein auf die vielen Fragen der Teams? Wie entsteht Sinn und Zugehörigkeitsgefühl bei gleichzeitigen Sparmaßnahmen und Kurzarbeit? Wie halte ich den Betrieb am Laufen, wenn eigentlich völlig unklar ist, wie es weiter geht? Inmitten all dieser Spannungsfelder gerät Führung selbst schnell in die Krise. Es sei denn, so das Fazit aus den Interviews, man greift die Widersprüche auf und arbeitet bewusst beidhändig mit ihnen. Den Rucksack prall gefüllt mit Erfahrungen Zusätzlich bedeutet Beidhändigkeit, nach der akuten Krise konsequent die neuen Erkenntnisse und Erfahrungen zu nutzen. Jetzt heißt es, die Veränderungen bei Mitarbeitern, Kunden und Partnern aufzugreifen und darauf eine neue Zukunft aufzubauen. Die Ausrichtung ist jetzt klar nach vorne, der Rucksack ist mit neuen Erfahrungen prall gefüllt. Das eine Patentrezept für das neue Zukunftsbild von Unternehmen gibt es zwar nicht. Aber folgende Zutaten wurden wiederholt von den Interviewpartnern und von Experten aus Wissenschaft und Praxis im Umfeld der COVID-19-Krise empfohlen: SIEBEN IMPULSE FÜR DIE ZEIT NACH DER KRISE
1. MENSCH Empathie, Zusammenhalt, Sinnstiftung: In Krisenzeiten suchen Mitarbeiter bei Führungskräften Halt [12]. Zentrale Empfehlung aller Interviews ist es, im Ausnahmezustand die Verbindungen zu den Mitarbeitenden bewusst zu halten – und zwar im Umfeld digitaler Kanäle und Plattformen mehr als zuvor. Das Schaffen von Möglichkeiten zur Kommunikation und Interaktion wird zur zentralen Führungskompetenz im Alltag, kombiniert mit einer den Menschen zugewandten und sinnstiftenden Haltung. Während es in der akuten Krisensituation wichtig ist, die Menschen umzuleiten von Panik zu sinnstiftendem Handeln [12], z. B. durch den Fokus auf die Werte eines Familienunternehmens oder die Initiierung von Hilfs- oder Zukunftsprojekten, wird der Wandel von der Profit- zur Sinnorientierung auch langfristig als starker Treiber unternehmerischen Handelns gesehen. Laut Julian Birkenshaw [14] werden es „Purpose“ und gesellschaftliche Fragestellungen sein, die Organisationen zukünftig am Laufen halten. Eine darauf ausgerichtete Vision wird helfen, gestärkt durch erneute Krisenzeiten zu gehen. 2. DIGITALISIERUNG Durchgängige Digitalisierung und digitale Ökosysteme: Die Corona-Krise wirkte als Katalysator für die Digitalisierung aller Unternehmensprozesse. Sichtbar wurde dabei auch, welche Bereiche der Wertschöpfung in den Digitalisierungsbemühungen der letzten Monate und Jahre sträflich vernachlässigt wurden.
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Digitale Wertschöpfung und die Steuerung von Datenströmen werden im Angesicht einer globalen, vernetzten virtuellen Wirtschaftswelt dramatisch wichtiger als zuvor. Zusätzlich gewinnen durch die Krise digitale Ökosysteme sprunghaft an Bedeutung, erklärt London Business School Professor für Innovationsmanagement Michael Jacobides [20]. Unternehmen, die in ihrem Werteversprechen das Herstellen von Verbindungen und die Vernetzung fokussieren, werden deutlich gestärkt durch Krisen gehen: „These Firms who have created the web of relationships will have an even stronger hold“, erklärt Jacobides. Die Art und Weise, wie wir uns zukünftig verbinden – mit der Arbeit, mit Gesundheitsdiensten, mit der Verwaltung etc. wird von digitalen Plattformen bestimmt werden. Es gilt jetzt stärker als je, uns mit Plattformen, die die Welt verändern, auseinanderzusetzen. 3. ENTSCHEIDUNGEN Kurze Zyklen, hohe Agilität: Unternehmensleitungen und Entscheidungsträger haben während der Krise bewiesen, dass sie schnelle, pragmatische Entscheidungen treffen können und in kürzester Zeit die Organisation in Bewegung versetzen. Klarheit, Konsequenz, Schnelligkeit, Verbindlichkeit sind hier die gefragten Eigenschaften. Die drastisch verkürzten Entscheidungszyklen werden jedoch nicht nur in der Krise, sondern dringend auch danach im globalen und immer weiter verschärften Wettbewerb gebraucht. Agilität und Schnelligkeit müssen fester Bestandteil von Organisation, Führung und Prozessen bleiben (vgl. Abschn. 6.6). 4. DUALES BETRIEBSSYSTEM Balance zwischen Top-down und Bottom-Up-Strukturen: In der Zusammenarbeit von Organisationen haben sich während der Wochen des Lockdowns die Kräfteverhältnisse verschoben. Hierarchien und Top-down-Kommunikation waren Mittel der Wahl, um schnell sicherere Arbeitsbedingungen aufzubauen, die Arbeit ins Home Office zu verlagern, den Geschäftsbetrieb abzusichern und unternehmensweit tagesaktuell Informationen zu verteilen. Hierarchien spielen laut Julian Birkinshaw eine entscheidende Rolle, um eine Organisation in kürzester Zeit zu mobilisieren. Nur eine zentrale Instanz kann das im Ernstfall erforderliche Maß an gemeinsamem Handeln erzielen [14]. Zugleich waren die Teams von Anfang an Bottom-up zur schnellen Reaktion und Selbstorganisation gezwungen und im Home Office mit einem deutlichen Verantwortungszuwachs konfrontiert. Zu beobachten war hier eine Verschiebung von der formalen Autorität hin zur persönlichen Verantwortung des Einzelnen und das Entstehen von völlig neuen Strukturen.
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Birkinshaw unterstreicht: Krisenmanagement heißt, zwischen beidem die richtige Balance zu erzielen (vgl. auch Abschn. 6.5). Eine Organisation, die nur eine Seite verfolgt, wird Probleme bekommen [14]. Ein Nebeneinander der Betriebssysteme Hierarchie und Netzwerk (vgl. Abschn. 5.1) hat sich dagegen bewährt. 5. ZUSAMMENARBEIT Virtuell, selbstorganisiert und im Team: Schon nach wenigen Tagen der Kontaktsperre vermeldet der größte Internetknoten der Welt in Frankfurt einen neuen Rekorddatendurchsatz und ein Plus von 120 % im Video Conference Traffic [21]. Der Lockdown hat Tendenzen einer agilen Arbeitswelt befeuert. Digitale Tools, virtuelle Jam Sessions, moderierte Online Workshops über Unternehmensgrenzen – die technischen Voraussetzungen für die virtuelle Zusammenarbeit sind erfüllt und haben sich in kürzester Zeit im Arbeitsalltag etabliert. Sei es das Orchestrieren von Interaktionen, das Managen von Aufmerksamkeit oder der Umgang mit Technik: auch wenn digitale Werkzeuge bereits vor Corona genutzt wurden, verlangt die vollständig ins Internet verlagerte Zusammenarbeit auch von Führungskräften neue technische und soziale Skills [22]. Es bedeutet auch, Rollen und Verantwortungen neu zu definieren und die Teams in der Selbstorganisation zu unterstützen. Denn gerade der Verantwortungszuwachs in den Teams hat während des Lockdowns zu schnellen Fortschritten und vielerorts auch neuen Ideen für Projekte und Arbeitsweisen geführt. Zusammenarbeit und Teamarbeit sind dabei der Schlüssel: Erfolge verbucht, wer gemeinsam im Team und im Netzwerk agiert. Auch dieser Ansatz – die Zusammenarbeit wo möglich zu stärken und den gemeinsamen Erfolg zu verfolgen, kurz: „Ökosystem vor Egosystem“ – ist für den Vorsprung im Wettbewerb zukünftig relevant. 6. PARTNERING Unternehmensübergreifende Kooperation: Die verlässliche Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg hat sich in der Krise als Wettbewerbsvorteil herauskristallisiert. Wer in der Krise und in Zukunft nur auf das eigene Unternehmen schaut, wird in einer global vernetzten Welt der digitalen Plattformen oder spätestens in der nächsten Pandemie abgehängt. Wer jedoch die Stabilität des gesamten Wertschöpfungsnetzwerks im Blick behält und dafür sorgt, dass alle Akteure im Netz leistungsfähig bleiben, ist als einzelnes Unternehmen deutlich besser aufgestellt, um Herausforderungen im globalen Wettbewerb bis hin zu Krisensituationen stabil zu durchschreiten [23].
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7. VISION Neues Zukunftsbild/neue Werteversprechen: Werden wir also zurück zum Normalzustand kehren? Mit Sicherheit nicht. Organisationen müssen sich auf weitere, vielleicht häufigere und auch schwerwiegendere Störeinflüsse einstellen. Die von Julian Birkinshaw beschriebene strategische Resilienz [14] erreicht, wer die neuen Erfahrungen vorausschauend in das Bild einer widerstandsfähigen Organisation der Zukunft implementiert und damit auch langfristig für die Stakeholder von Bedeutung bleibt (vgl. Abschn. 5.3.3.1). Erst recht vor dem Hintergrund des zweimonatigen Lockdowns und dem Wissen, dass sich die Gewohnheiten von Menschen nach durchschnittlich 66 Tagen verändern [24], sollten wir uns die Frage nach den neuen Erwartungen der Stakeholder und einem geänderten Verhalten von Wettbewerbern stellen. Wie werden sie denken, handeln, konsumieren? Die Erfahrung der Interviews zeigt, dass es hierfür wichtig ist, als Unternehmensleitung im Dialog und in der Interaktion mit den Mitarbeitern, Kunden und Partnern zu stehen. Trotz der Härte, Einbußen und Verluste der globalen COVID-19-Pandemie werden durch das geänderte Verhalten der Stakeholder (auch der Wettbewerber!) neue Möglichkeiten (oder Notwendigkeiten) für Werteversprechen entstehen und vielleicht sogar neue Arten von Organisationen. Menschen werden offener sein, neue Dinge zu akzeptieren. Im besten Fall werden unsere Systeme durch die Erfahrung der Krise sogar stärker [14].
Fazit: Doppelt beidhändig durch die Krise Die sieben Impulse sind eine Handlungsempfehlung, um den Sprung in die Zukunft mit Entschlossenheit anzugehen. Was wir für den Moment der Ausnahmesituation ebenfalls gelernt haben, ist: Wir müssen zwei Spiele spielen. Das der Gegenwart und das der Zukunft. Genau wie die Interviewpartner dieses Kapitels zieht auch der Experte für Entrepreneurship Michael Jacobides zum Krisenmanagement in der COVID-19-Krise das Fazit: „What we have to do is balance – playing two games“. Es geht um „Survival“ und um „Rebirth“ [20]. Es geht es um das Licht im Tunnel und zugleich um das Aussäen der grünen Wiese nach dem Tunnel (vgl. Motiv der Interviews zur Krise Abschn. 6.3 und 6.7). Nehmen wir also mit doppelter Beidhändigkeit beide Aktivitäten in Angriff, um erfolgreich den Sprung in die neue Zukunft zu meistern und eine resiliente Zukunftsorganisation zu bauen (Tab. 6.5).
Literatur
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Tab. 6.5 „Playing two games“ 1. Beidhändig durch die Krise navigieren
2. Sprung in die Zukunft vorbereiten
Persönliche und operative Resilienz aufbauen
Strategische Resilienz aufbauen
= Licht im Tunnelaufgehen lassen • Sicherheit geben, Fürsorgepflicht wahrnehmen • Souverän durch Spannungsfelder führen • Geschäftsbetrieb und Zukunftsprojekte im Hier und Jetzt absichern • Schnelle Entscheidungen treffen • Transparent kommunizieren, Nähe herstellen • Zuhören, empathisch führen • Menschen im Home Office unterstützen • Sinnstiftendes + Zusammenhalt vermitteln • Gemeinsam die Zukunft diskutieren
= Grüne Wiese nach dem Tunnelaussäen • Neue Bedürfnisse/Verhaltensweisen bei Kunden, Partnern, Mitarbeitern, Wettbewerbern identifizieren • Zukunftsbild mit neuen Handlungsfeldern auf Erfahrungen der Krise und neuen Stakeholder-Bedürfnissen bauen (7 Impulse) • Einbetten des Zukunftsbildes in digitale Ökosysteme und Plattformen • Den neuen Weg in Vision, Mission, Strategie verankern (repositionieren und investieren) und kommunizieren
Resiliente Organisation durch doppelte Beidhändigkeit
Literatur 1. „Der Erreger, der die ganze Welt trifft“. Sonderseite von ZEIT Online zum Coronavirus SARS-COV-2. Online unter: https://www.zeit.de/thema/coronavirus [Zugegriffen am 10.05.2020]. 2. „Showdown zum Lockdown“. ZEIT Online vom 15. April 2020. Online unter https://www. zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/ausgangsbeschraenkungen-coronavirus-lockdown-schulenbetriebe-bildungseinrichtungen-oeffnung-deutschland [Zugegriffen am 10.05.2020]. 3. „Lockdown in Deutschland. Die Langzeitfolgen für die Wirtschaft“. ZDF Frontal 21 vom 14. April 2020. Online unter https://www.zdf.de/politik/frontal-21/lockdown-und-diewirtschaftlichen-langzeitfolgen-100.html [Zugegriffen am 10.05.2020]. 4. „Virus frisst Grundrechte“, Süddeutsche Zeitung vom 28.03.2020. Online unter https:// www.sueddeutsche.de/politik/eingriffe-virus-frisst-grundrechte-1.4859550 [Zugegriffen am 09.05.2020]. 5. „Grundrechte in Corona Zeiten“. ZDF heute vom 20.04.2020. Online unter https://www.zdf. de/nachrichten/politik/coronavirus-grundrechte-infektionsschutzgesetz-100.html [Zugegriffen am 17.05.2020]. 6. „Corona-Krisenmanagement von Unternehmen ist ausbaufähig“, Springer Professional vom 03.04.2020. Online unter https://www.springerprofessional.de/fuehrungsqualitaet/corona-krise/ corona-krisenmanagement-von-unternehmen-ist-ausbaufaehig/17859222 [Zugegriffen am 10.05.2020]. 7. Das Krisen-Management ist ausbaufähig. Reaktion auf Corona. FAZ vom 27.03.2020. Online unter https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/arbeitgeber-reaktion-auf-coronanur-bedingt-zufriedenstellend-16699506.html [Zugegriffen am 10.05.2020]. 8. Holzwarth, Constanze (2020): https://www.constanzeholzwarth.com und https://twitter.com/ drholzwarth [Zugegriffen am 16.05.2020]. 9. Knight, Rebecca (2020): „How to Handle the Pressure of Being a Manager Right Now“. Harvard Business Review vom 30.04.2020. Online unter https://hbr.org/2020/04/how-tohandle-the-pressure-of-being-a-manager-right-now? [Zugegriffen am 22.05.2020].
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6 Exkurs: Beidhändig durch die Krise
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Wie Sie morgen damit beginnen
Zusammenfassung
Wie können Führungskräfte die Digitalisierung vorantreiben? Wie führt man beidhändig durch eine Krise? Welche Mittel und Methoden sind am besten geeignet, um den Sprung in die digitale Zukunft zu schaffen? Im Umfeld der digitalen Transformation gibt es zahlreiche Studien und Projekte, die den Zeitraum des Wandels umfassend erforschen. Der in diesem Buch vorgestellte Lösungsansatz differenziert sich von bisherigen Veröffentlichungen, in dem er an einer zentralen Stelle ansetzt: der täglichen Kommunikation von Führungskräften. Kommunikation schafft Unternehmenskultur, sie ermöglicht Innovation und kann das Mindset eines ganzen Unternehmens verändern. Wie Führungskräfte mithilfe ihres kommunikativen Handelns inmitten des heutigen Kerngeschäftes Innovationssprünge ermöglichen können, wird in Kap. 7 zusammenfassend beantwortet. In diesem letzten Buchabschnitt werden die einzelnen Kapitel mit ihren jeweiligen Erkenntnissen zu einem Gesamtbild der beidhändigen Führung verknüpft.
7.1 Kommunikation ist wichtigstes Mittel Evolution oder Revolution? Beides wird in Zeiten der Digitalisierung von Organisationen verlangt. Sich gleichzeitig in entgegengesetzten Welten zu bewegen, ist ein Spagat, der von den Menschen in Organisationen in höchstem Maße Flexibilität und Anpassungsfähigkeit erfordert. Unternehmenserfolg setzt heute voraus, dass Sie als Führungskraft beides beherrschen: dass Sie die Evolution und die Revolution führen können. Im Zeitraum der digitalen Transformation bedeutet Führung, sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft zu orchestrieren und beide Welten gleichermaßen voranzutreiben.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0_7
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Der in diesem Buch vorgestellte Lösungsansatz differenziert sich von zahlreichen anderen Studien und Erkenntnissen, in dem er an einer zentralen Stelle von Unternehmen ansetzt: der täglichen Kommunikation ihrer Führungskräfte. Kommunikation schafft Unternehmenskultur. Sie ermöglicht Innovation und kann das Mindset eines ganzen Unternehmens verändern. Wenn Sie am Ende dieses Buches im Zwei-Weltenraum angekommen sind, dann bleiben Sie am besten gleich da. Ob künstliche Intelligenz, Cloud Computing, Blockchain-Technologie, Cloud Computing, Künstliche Intelligenz, Machine Learning as a Service oder API-Economy… in den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden sich die Technologiesprünge und die dadurch möglichen immer neuen digitalen Geschäftsmodelle ver-X-fachen. Zugleich werden sich das Verhalten der Nutzer sowie die Formen der Zusammenarbeit in Unternehmen – auch befeuert durch einschneidende Ereignisse wie die COVID-19-Krise – dramatisch verändern und weiterentwickeln. Die Reise geht also weiter in den X-Weltenraum… Customer Obsession „Massenpersonalisierung“, „Hyperpersonalisierung“ und „Business to User“ lauten die Schlagworte, mit denen Unternehmen heute und in Zukunft konfrontiert sind. Durch die Vernetzung und Digitalisierung rücken Firmen in der Wertschöpfung enger zusammen, mit dem Ziel, immer noch individuellere Kundenwünsche zu befriedigen [1]. Amazon-Chef Jeff Bezos sieht die „Customer Obsession“, die konsequente Ausrichtung allen unternehmerischen Handelns auf den Kunden und seine Bedürfnisse, als den einzigen Weg, damit auch große gewachsene Unternehmen auf lange Sicht erfolgreich bleiben [2]. Doch die Aufgabe, hochpersonalisierte Kundenerlebnisse anzubieten, wird die Art und Weise wie Unternehmen innovieren, grundlegend verändern: „Es sind keine reinen Technologieinnovationen, die dem Unternehmen den Wettbewerbsvorteil sichern, sondern vielmehr neue Wertangebote, die den individuell empfundenen Nutzen des Kunden in den Vordergrund stellen“ [1]. Um Kundennutzen zu erzielen, werden Geschäftsmodelle deshalb nicht mehr nur für ein einzelnes Unternehmen, sondern weiter über die Unternehmensgrenzen hinaus in Partnerschaften und Ökosystemen gedacht. Der Kollaborationsgedanke zwischen Unternehmen muss damit in den Fokus rücken, denn in der Welt der Business-Ökosystem e spielen Unternehmensgrenzen aus Nutzersicht eine untergeordnete Rolle. Um einheitliche Schnittstellen und Lösungsräume für den Kunden zu bieten, müssen Firmen auf Zusammenarbeit setzen und „gemeinsam einer Vision bzw. einem Ziel folgen, um einen Wert für den Kunden bereitzustellen. Dabei gibt ein … Keystone oder Shaper die Richtung vor und stellt die Plattformen sowie Tools und Hilfsmittel zur Verfügung, die für die Realisierung des Wertes notwendig sind“ [1]. Die COVID-19-Krise (vgl. Kap. 6) hat zudem gezeigt: Resilienz erreichen Unternehmen dann, wenn Sie Ihre Partnerschaften optimieren und verstärkt auf ein einheitliches Leistungsniveau in ihrem Ökosystem achten. Unser heutiges Verständnis von Führung und Zusammenarbeit wird sich für die digitale, datengetriebene Welt und für
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unvorhersehbare Ereignisse wie die globale Corona-Pandemie völlig neu aufstellen müssen. Auch im Umfeld von Krisen gilt es über die Unternehmensgrenzen hinaus zu denken und zu handeln. Als Schlüsselspieler im Markt werden Sie immer öfter Akteure führen und steuern, die außerhalb Ihres direkten Einflussbereiches liegen. Netzwerk- und Ökosystem-Management über die Unternehmensgrenzen hinaus werden in diesem Umfeld zur zentralen Führungskompetenz. Das Orchestrieren immer neuer Kundenwünsche, digitaler Technologien und Geschäftsmodelle sowie Formen der Zusammenarbeit im X-Weltenraum wird zu Ihrem ganz persönlichen Tagesgeschäft. Kommunikation ist wichtigstes Führungsinstrument Was Sie im Umfeld von digitalen Ökosystemen und Partnerschaften brauchen ist Experimentiergeist, Risikofreude und Mut, Dinge auszuprobieren. Was hilft, ist eine konsequent gelebte Kultur des Unternehmertums, wie das abschließende Interview in diesem Buch unterstreicht. Das wichtigste Mittel, um in diesem Umfeld zu führen und zu steuern, ist Kommunikation – so die Aussage von Ronald Gleich, Professor für Management Practice & Control an der Frankfurt School of Finance & Management in Frankfurt am Main. „KULTUR DES UNTERNEHMERTUMS WICHTIGER DENN JE“
Interview mit Prof. Dr. Ronald Gleich, Professor für Management Practice & Control an der Frankfurt School of Finance & Management in Frankfurt am Main. Was ist für Sie die Essenz der beidhändigen Führung? In Zeiten der digitalen Transformation ist in eine Kultur des Unternehmertums wichtiger denn je. Um Durchbruchinnovationen hervorzubringen, brauchen Organisationen visionäre Menschen, die trotz der Ausrichtung, kurz- und mittelfristig Gewinne zu erzielen, experimentier- und risikofreudig sind, die den Mut haben neue Wege zu gehen und immer wieder neu zu beginnen. Unternehmen sind heutzutage gezwungen, diesen Spagat zwischen ihrem Kerngeschäft und einem sich durch die Digitalisierung eröffnenden, rasant wachsenden neuen Lösungsraum zu bewältigen. Dies geht nur über einen Führungsstil, der in beide Richtungen agiert und denkt. Wie können wir in beide Richtungen agieren? Während die kontinuierliche Verbesserung einer bestehenden Produktwelt einen Ansatz der strategie-induzierten Top-down-Steuerung erfordert, sind im Umfeld von radikalen Innovationen völlig andere, viel stärker dezentral verteilte Bottom-up-Ansätze notwendig, die die Kreativitäts- und Lösungsfindungsprozesse vorantreiben. Beides gleichzeitig im Alltag zu integrieren, wird erst durch einen bewusst am Innovationskontext orientierten Führungs- und Kommunikationsstil möglich.
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Warum ist gerade Kommunikation dafür geeignet? Das wichtigste Mittel, um direkt im Alltag zu führen und zu steuern, ist doch die Kommunikation. Die Art und Weise, wie Manager untereinander oder mit Mitarbeitern kommunizieren, beeinflusst ganz entscheidend die Motivation, die Denkweisen, das Verhalten, das gegenseitige Verständnis, Vertrauen und damit auch den Erfolg und die Leistung von Teams im Innovationskontext. Wie hängt Kommunikation mit Innovation zusammen? Über die Art und Weise ihrer Kommunikation können Führungskräfte im Alltag maßgeblich das Innovationsumfeld und die jeweilige Kultur bestimmen. Sie können Teams durch eine moderierende, netzwerkorientierte Kommunikationsweise zur Ideenfindung führen oder aber durch klare unmissverständliche Anweisungen auf ein schnelles und effizientes Umsetzen von Aufgaben zusteuern. Je nach Innovationskontext kann Top-down-Führung ganz selbstverständlich neben dezentral organisierten Kommunikationsstrukturen koexistieren. Wie gelingt der Spagat? Nur wenn das obere Management für alle sichtbar die schützende Hand über beide Ausrichtungen hält, kann ein Unternehmen diese Spannung aushalten. Dazu muss eine starke Vision kommuniziert werden, in der sich Teams beider Welten wiederfinden. Es gilt aber auch, immer wieder den Fokus auf den Austausch zwischen Exploration und Exploitation und das Schaffen von Synergien zu lenken. Vor allem die Unternehmensspitze benötigt deshalb die Fähigkeit, beidhändig zu führen. Wollen Manager radikale und inkrementelle Innovationsvorhaben innerhalb einer Organisation zum Erfolg bringen, müssen Sie ganz klar die Notwendigkeit von beidem vermitteln und die Daseinsberechtigung für beide strategischen Handlungsfelder herausstellen. Vielen Dank Herr Professor Gleich für das Gespräch!
7.2 Die sechs Essenzen der beidhändigen Führung Um Ihnen ein umfassendes Bild der beidhändigen Führung zu vermitteln, wurde dieses Buch aus drei verschiedenen Blickwinkeln verfasst: Aus der Perspektive der Theorie, aus der Perspektive des Trainings und des Lernens und schließlich aus der Praxisperspektive. In der zweiten Auflage von Beidhändige Führung wurde die Praxissicht um ein Kapitel zu Führung und Krisenmanagement ergänzt. Die Inhalte des Buches basieren auf der wissenschaftlichen Forschung zur organisationalen Ambidextrie und geben einen umfassenden Einblick in die aktuellen Konzepte der zeitlichen, strukturellen und kontextuellen Ambidextrie. Der vor diesem
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Hintergrund vorgestellte, kommunikationszentrierte Lösungsansatz basiert auf einer Forschungsstudie zum Kommunikationsverhalten von oberen Führungskräften im Hochbis Spitzentechnologie-Sektor der deutschen Industrie im Umfeld von Digitalisierung und Industrie 4.0. Beidhändige Führung orientiert sich darüber hinaus an den Lerninhalten des zum Buch entstandenen Ambidextrie-Trainings. Für die umfassende Praxisperspektive wurden zusätzlich exklusiv für dieses Buch Experten-Interviews mit Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen und Organisationen geführt. Durch den Fokus auf das alltägliche Handeln von Führungskräften in Unternehmen bietet Beidhändige Führung Ihnen konkrete Ansatzpunkte, die Sie morgen umsetzen und direkt ausprobieren können. Die wesentlichen Botschaften der einzelnen Kapitel werden im Folgenden zusammengefasst. DIE ESSENZEN DER Kap. 1–6 IM ÜBERBLICK
1. In der digitalen Transformation ist Beidhändigkeit zentrale Führungskompetenz. 2. Führungskräfte erreichen Beidhändigkeit über ihre Kommunikation. Es gibt zwei Naturen von Kommunikation, eine vermittelnde und eine realitätsschaffende Natur. 3. Kommunikationsbasiertes Ökosystem-Management ermöglicht es Führungskräften, den blauen Ozean der neuen digitalen Lösungen zu erschließen (Exploration). 4. Formale, zentral gesteuerte Top-down-Kommunikation in der Organisationspyramide ermöglicht es Führungskräften, effizient durch das Umfeld der Exploitation zu navigieren. 5. Beidhändige Führung erfordert zusätzlich vier verbindende Handlungsschritte: Vermittlung einer beidhändigen Vision, Kommunikation der Strategie, System-Integration und Neu-Konfiguration. 6. In der Krise erhöht „doppelte Beidhändigkeit“ die Resilienz von Unternehmen.
Kap. 1: Die Zerreißprobe Wir haben in Kap. 1 die Spagat-Konzerne der Industrie aufgesucht, die sich genau in diesem Augenblick in zwei Welten bewegen. Wir haben Automobilhersteller betrachtet, die sich zum Anbieter digitaler Mobilitätsdienstleistungen entwickeln. Wir konnten Maschinenbauer beobachten, die zum Partner für vernetzte, intelligente Automatisierungslösungen der Industrie 4.0 werden. Wie schaffen diese Unternehmen den Sprung in die digitale Zukunft, obwohl das heutige Geschäft noch ihre gesamte Aufmerksamkeit erfordert? Harvard-Professor Clayton Christensen weist unter dem Titel „The Innovator’s Dilemma“ auf die Gefahr erfolgreicher Unternehmen hin, die, während sie mit dem heutigen Geschäft Gewinne einfahren, den Zeitpunkt für den Absprung in die Zukunft verpassen. Gerade in Zeiten schwarzer Zahlen und florierender Umsätze müssen Firmen in neue Technologien investieren – und gerade dann, wenn die neuen Lösungen die
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gegenwärtigen Erfolgsrezepte völlig infrage stellen [3]. Um in das Innovator’s Dilemma gerade nicht zu geraten, gilt es beide Welten gleichermaßen zu orchestrieren: die Gegenwart und die Zukunft. Diese Einsicht muss jedoch zu allererst in den Führungsetagen von Unternehmen beginnen. Ob Globalisierung, Kommoditisierung, Digitalisierung, immer kürzere Produktlebenszyklen, verschärfter Preiswettbewerb oder disruptive Technologien – in einem hochdynamischen Markt- und Technologieumfeld müssen Vorstände, Geschäftsführer und obere Führungskräfte für die unterschiedlichen Einwirkungen von außen die richtige Antwort parat haben. Sie müssen das bestehende Business effizient vorantreiben und das zukünftige Geschäft antizipieren. Doch der Druck auf Führungskräften lastet schwer: Sie könnten die Digitalisierung verschlafen oder sie gar gänzlich ausbremsen. Was also können wir tun, um dieser Gefahr entgegen zu wirken? Wenn Führungskräfte sich schnellstmöglich zu Software- und IT-Experten verwandeln, werden Unternehmen den Sprung in die digitale Zukunft dennoch nicht schaffen. Digitalisierungskompetenz wird auch dann nicht entstehen, wenn erfolgreiche Unternehmen ihre bekannten Strukturen und Prozesse über Bord werfen, auf Hierarchien verzichten und sich voll und ganz der Start-up-Kultur verschreiben. Firmen werden die digitale Transformation vielmehr dann erfolgreich meistern, wenn ihre Führungskräfte sich in der heutigen Welt genauso wie in der Welt der digitalen Zukunft bewegen können. Wenn sie die Menschen in der heutigen Organisation abholen und wertschätzen und sie zugleich zielstrebig und mutig in eine noch ungewisse Zukunft führen. Wenn sie die Gegenwart zelebrieren und zugleich die Zukunft willkommen heißen.
Essenz 1 In der digitalen Transformation mit ihrem hochdynamischen
Markt- und Technologieumfeld ist Beidhändigkeit (Ambidextrie) zentrale Führungskompetenz. Führungskräfte steuern die heutige Welt und ebnen gleichzeitig den Weg für die digitale Zukunft. Beidhändigkeit muss in den Führungsetagen beginnen. Kap. 2: Erfolg durch beidhändige Führung Kap. 2 hat vor diesem Hintergrund den zentralen kommunikationsbasierten Lösungsansatz vorgestellt. Wir haben zunächst betrachtet, was genau im Zeitraum der Digitalisierung in Unternehmen passiert. Dafür sind wir in das wissenschaftliche Konzept der organisationalen Ambidextrie eingetaucht und haben untersucht, warum Beidhändigkeit das einzig tragfähige Denk- und Handlungsmodell für den Zeitraum der digitalen Transformation darstellt. Denn diese Zeit ist in produzierenden Unternehmen bestimmt durch das gleichzeitige Optimieren des bestehenden Hardware-orientierten „Brot und Butter-Geschäftes“ und das Erschließen neuer digitaler Lösungsräume. Das Wesen der Transformation und der Zeitraum der Beidhändigkeit wurden in Abb. 2.1 als Überschneidung zweier den Reifegrad beschreibenden Technologie-S-Kurven erklärt. Es beruht auf der Ablösung einer bestehenden Technologie durch ihre Substitutionstechnologie – ein Wandel, der sich über Jahre ausdehnen kann. Die gegenwärtigen Lösungen
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müssen uns so lange in die Zukunft tragen, bis die zukünftigen, heute noch unrentablen Lösungen zur neuen Cash Cow eines Unternehmens werden. Aus diesem Grund ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Zeitraum des Übergangs notwendig. Den theoretischen Unterbau und zugleich praktische Handlungsoptionen für den Unternehmensalltag liefert das Konzept der organisationalen Ambidextrie, der Beidhändigkeit im Ausüben von widersprüchlichen Innovationsanforderungen. Das Konzept zeigt Lösungsansätze auf, die bei der Navigation durch den Exploration/Exploitation-Trade-Off helfen und vielmehr eine symbiotische Koexistenz von Exploration und Exploitation ermöglichen. Letzteres kann gelingen, wenn Führungskräfte eine kontextuelle Cross-OverKompetenz an den Tag legen und je nach Situation den beiden Ausrichtungen mit den passenden Handlungsstrategien begegnen. Für den Transformationszeitraum, die Phase der Beidhändigkeit, benötigen Führungskräfte spezifische Handlungsmuster, die eine Balance zwischen bestehenden und neuen Geschäftsfeldern schaffen. Ganz oben im Unternehmen muss eine umfassende Identität für die Organisation entwickelt werden, müssen die Spannungen ausgehalten und den Widersprüchen auf allen Ebenen – Technologie, Geschäftsmodell und Organisation und Kultur – aktiv begegnet werden. Im Umfeld der digitalen Transformation bedeutet Führung dabei nicht mehr allein, ein Amt funktional auszuüben. Führung wird immer häufiger unabhängig von einer spezifischen Funktion im Unternehmen sichtbar und entsteht flexibel und dynamisch sowie Aufgaben- und Kompetenz-bezogen in der Interaktion der Teammitglieder. Die Kommunikation zwischen Individuen und Teams rückt in das Zentrum von Entscheidungsfindungsprozessen. Führungskräfte können diese Entwicklung durch ihr kommunikatives Handeln herbeiführen und orchestrieren. In einem durchgängig kommunikationszentrierten Verständnis von Führung müssen sie sich jedoch in aller Konsequenz von einem vordefinierten Rollenverständnis der alles entscheidenden Führungskraft lösen. Denn Führung entfaltet sich immer öfter in der kommunikativen Interaktion im Team. Grundsätzlich können Führungskräfte dabei von zwei Naturen von Kommunikation ausgehen: Kommunikation dient einerseits der Übertragung von Informationen und andererseits der Konstruktion von Realität. Die erste Natur setzt voraus, dass die Information bezüglich einer Entscheidung bereits vorliegt und lediglich verteilt werden muss. Die zweite Natur von Kommunikation kommt dann zum Zug, wenn eine Lösung erst entsteht und durch Kommunikation verhandelt werden muss. Gerade im Umfeld von Innovation müssen beide Naturen aktiv genutzt werden, da Kommunikation über die Informationsübertragung hinaus einen innovationsschaffenden Charakter besitzt. Das Wissen um die zwei Naturen von Kommunikation können wir gezielt im Umfeld des bestehenden und neuen Business einsetzen – so lautet die Essenz des hier vorgestellten Modells. Je nach Innovationskontext – Exploitation oder Exploration – gilt es unterschiedlich zu agieren. Wir können, inmitten einer nach wie vor hierarchiegeprägten Top-down-Kultur bestehender Geschäftsfelder, interne Ökosysteme und dezentral
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organisierte Kommunikation im Netzwerk für neue Geschäftsfelder ermöglichen und institutionalisieren – ein Fall für die beidhändige Kommunikation. Beidhändigkeit geht dabei weit über die Kombination von Handlungsmustern für Exploration und Exploitation hinaus. Zusätzlich muss den Mitarbeitern einer Organisation durch ein spezifisches, balancierendes Handeln der umfassende Bedeutungskontext in Hinblick auf bestehende und neue Geschäftsfelder vermittelt werden.
Essenz 2 Führungskräfte erreichen Beidhändigkeit über ihre Kommunikation.
Es gibt zwei Naturen von Kommunikation, eine vermittelnde und eine realitätsschaffende Natur. Die zwei Naturen von Kommunikation können wir gezielt im Umfeld bestehender und neuer Geschäftsfelder einsetzen und beide Welten damit vorantreiben und balancieren. Kap. 3: Neuland erschließen Kap. 3 betrachtet die Welt der Exploration. Wenn es um das Erschließen neuer Geschäftsfelder, Technologien und Märkte geht, unterteilen die Wettbewerbsforscher Chan W. Kim und Reneé Mauborgne die weltweiten Märkte in „blaue und rote Ozeane“ [4]. Rote Ozeane sind geprägt von gesättigten Märkten, Kommoditisierung und erbitterten Preiskämpfen mit dem Wettbewerb. Unternehmen im blauen Ozean stellen nicht den Wettbewerber, sondern den Nutzer in den Mittelpunkt ihres Handelns. Im Gegensatz zum konventionellen Gedanken eines Trade-Offs zwischen möglichst geringen Kosten des Unternehmens und dem größtmöglichen Nutzen für den Kunden erschließen Unternehmen den blauen Ozean dann, wenn sie sowohl ihre Kostenstruktur verbessern als auch einen Mehrwert für den Kunden erzielen. Hier kommt die Digitalisierung wie gerufen, durch digitale Technologien können sich Kostenstruktur und Kundennutzen verbessern. Jedoch führt die Entscheidung für eine Blue Ocean-Strategie zu massiven Veränderungen innerhalb von Organisationen und deren Prozessen. Erst ein Paradigmenwechsel in den Kernprozessen und Routinen eröffnet Firmen die Chance, radikal neue Lösungsräume zu erschließen, die in einen blauen Ozean der digitalen Lösungen führen. Doch noch viel zu wenig werden die Mechanismen von Ökosystemen in Unternehmen ernst genommen. Noch sind die Prozesse von Firmen auf die heutige Welt ausgerichtet. Doch wie wollen Firmen in dynamischen Business-Ökosystem en eine Rolle spielen, wenn sie selbst nicht in solchen Strukturen denken und handeln? Statt in der klassischen Organisationspyramide Abteilungen oder Bereiche zu leiten, sind Sie als Führungskraft in einem solchen Umfeld gefordert, Bereichs- und Disziplinen-übergreifende Wertschöpfungsnetzwerke zu steuern. Jetzt geht es um den Aufbau von sich selbst organisierenden kooperativen Wertschöpfungssystemen, die unternehmensweit und über die Unternehmensgrenzen hinaus gewünschte Leistungen in Form von Produkten und Dienstleistungen erbringen. Ökosystem-Management als Führungsfähigkeit basiert auf dem Denken und Handeln in Kommunikations- und Netzwerkstrukturen. Der hier vorgestellte Führungsansatz wird in
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diesem Buch auch als Ecosystem Thinking bezeichnet. Er beschreibt ein kommunikationszentriertes Führungsverständnis, das den neuen Spielregeln der hochgradig vernetzten globalen Märkte, der digitalen daten- und serviceorientierten Geschäftsmodelle und des zunehmend personalisierten Kundennutzens Rechnung trägt. Damit durch Ökosysteme eine neue Innovationskultur entsteht, die die kollaborative Kommerzialisierung und Vermarktung digitaler Innovationen ermöglicht, ist es Aufgabe der Führung, für Verbindungen zu sorgen. Dies wird mithilfe von zielgerichteter Kommunikation und Initiierung von Kommunikation zwischen den Akteuren eines Ökosystems möglich. Ökosystem-Management ist Kommuni kationsmanagement. Kommunikationsbasierte Handlungsrahmen wie Design Thinking oder agiles Projektmanagement können Ihnen zusätzlich dabei helfen, ein Betriebssystem zu installieren, das den Menschen und die Teams in Unternehmen in den Fahrersitz der digitalen Transformation befördert. Verabschieden Sie sich vom Modell der allwissenden Führungskraft und nutzen Sie einen strukturierenden, moderierenden Ansatz. Zukünftig gilt es, Netzwerke aufzubauen, sodass innovative Lösungen und zugehörige Ökosysteme quer durch das Unternehmen und darüber hinaus entstehen und wachsen können.
Essenz 3 Konsequentes Ökosystem-Management und die Implementierung
eines agilen Betriebssystems hilft Führungskräften, den blauen Ozean der neuen digitalen Lösungen zu erschließen (Exploration). Ö kosystemManagement ist Kommunikationsmanagement. Es basiert auf dem Denken und Handeln in Kommunikations- und Netzwerkstrukturen. Kap. 4: Bestehendes Business vorantreiben Kap. 4 holt uns zurück in die Gegenwart und betrachtet die Welt der Exploitation. Wenn Unternehmen über den digitalen Wandel sprechen, wird in den meisten Fällen die Zukunft glorifiziert. Doch das Gestalten von Übergängen bedeutet auch, das Beste der bekannten Welt zu nutzen und die bestehende erfolgreiche Organisation zu stärken und voranzutreiben. Denn jenseits des Trubels um die digitale Transformation dreht sich die Welt weiterhin um Ihr Kerngeschäft. Es geht um Profitabilität, Preiswettbewerb, Effizienz und Kostenreduktion. Stanford Professor James March – Urheber des Exploration/Exploitation-Trade-Off – erklärt: Exploitation schöpft Wert aus den vorhandenen Ressourcen und steht für kontinuierliche Verbesserung, Effizienz und Geschwindigkeit [5]. In der formalen, hierarchisch aufgebauten, mechanistisch wirkenden Organisationsstruktur für Exploitation herrscht ein vergleichsweise autoritärer Führungsstil des Top-down. Marge und Produktivität greifen als Kennzahlen der strategie- und umsatzgetriebenen Unternehmenssteuerung. Straffes Planen, effiziente Entscheidungsprozesse, die zielgerichtete Umsetzung strategischer Maßnahmen und eine Politik der Stabilität und Kontinuität stehen im Mittelpunkt der Unternehmensführung bei Exploitation [6]. Hier greift ein klarer Führungsstil in der Organisationspyramide. Doch obwohl wir in der Welt des roten Ozeans Zuhause sind, nutzen wir die Chancen, die die Kommunikation in der Pyramide bietet, viel zu wenig. Kommunikation ist
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häufig ein Instrument, das im Führungsalltag nebenher laufen kann. Doch in Zeiten eines dynamischen Markt- und Technologieumfeldes sollte Kommunikation das erste Führungsinstrument sein, um Reaktionszeiten zu verkürzen und schnell am Markt zu sein. Ob Sie Artikel im Intranet, Filme, Podcasts oder ein Mitarbeiter-Event wählen – um eine Strategie in der Organisation auszurollen, ist in der hierarchisch organisierten Welt eine zentral von oben gesteuerte Kommunikation ein zielführendes Mittel. Kommunikation dient der Vermittlung strategischer Inhalte, erzeugt Klarheit und kann eine Mannschaft und alle wichtigen Stakeholder im Unternehmen zum Handeln bewegen. Es gilt, Kommunikationstools bewusst und wirkungsvoll einzusetzen, um die Organisation in kürzester Zeit auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Voraussetzung dafür, dass die zentral gesteuerte Kommunikation funktioniert, ist jedoch, dass Führungskräfte wissen, was sie tun. Dieser Weg setzt hohe Fachkompetenz bei den Führenden voraus, denn um klare Handlungsanweisungen zu erteilen, müssen sie den Lösungsweg kennen. Dies ist meist in einem stabilen Umfeld der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Fall, wenn auf bereits vorhandenes Wissen aufgebaut werden kann. Es ist dann am ehesten möglich, wenn die Antworten auf Probleme schon vorliegen und es nur um das Ausrollen detailliert beschriebener Maßnahmen geht. Sind die Voraussetzungen erfüllt, können Sie die Planung und Organisation der Kommunikation in Angriff nehmen. Kommunikation sollte erstens als Top-down ablaufende Informationsverteilung auftreten. Sie sollte zweitens formell und offiziell geplant sein und drittens von zentraler oberer Stelle gesteuert und koordiniert werden. Dann können Informationen über die Hierarchie-Ebenen nach dem linearen Sender-Empfänger-Modell schnell und effizient verteilt werden. Geeignete Kommunikationsmittel sind zum Beispiel Veranstaltungen, Intranet-Artikel oder Aushänge zur Verteilung offizieller Informationen, klassische Printmedien, Beiträge in Mitarbeiter-Magazinen, Podcasts, Posts oder Blogbeiträge in sozialen Medien bis hin zum offiziellen Reporting in Steuerkreis-Sitzungen mit Protokoll. Verstehen Sie Ihre Kommunikationsaktivitäten dabei immer als Kampagne. Wie in einem Wahlkampf gilt es über einen langen Zeitraum die Stimmung zu prägen und zu formen.
Essenz 4 Formale, zentral gesteuerte Top-down-Kommunikation in der Organisationspyramide hilft Führungskräften durch das Umfeld der Exploitation zu navigieren. Wenn klar ist, was zu tun ist und es um das schnelle, effiziente Umsetzen von Aufgaben geht, dann kommunizieren Sie die Strategie Top-down. Dadurch bringen Sie in kürzester Zeit Kraft und Geschwindigkeit in Ihr Team und erzielen Einstimmigkeit unter den Handelnden: One company, one voice.
Kap. 5: Im Zwei-Weltenraum Kap. 5 führt uns in die Welt der kontextuellen Ambidextrie, wenn es um das Ausbalancieren von Exploitation und Exploration geht. Wie wird aus dieser Zerreißprobe ein eleganter Spagat bis hin zu einem Gleichklang (vgl. Abschn. 6.7)? Wie können
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Führungskräfte neue Denk- und Verhaltensweisen in ein Unternehmen bringen und zu gleicher Zeit mit Priorität das bestehende Geschäft vorantreiben? Ob Inkubatoren oder Innovation Hubs – in großen Unternehmen sprießen in den letzten Jahren getrennte Organisationseinheiten für Innovation außerhalb vorhandener Strukturen und Prozesse aus dem Boden. Allein die Abspaltung befördert Firmen jedoch nicht in die Zukunft. Vermehrt steht inzwischen die Zusammenarbeit zwischen Konzernen und ihren Spezialeinheiten auf dem Prüfstand. Die vorhandenen Prozesse, die Kultur, die Geschwindigkeit sind für die neuen Betriebssysteme nicht gemacht. Zugleich sind die bestehenden Strukturen viel zu stark, als dass man sich wirklich traut an den Grundfesten zu rütteln. Doch gerade hier fängt die Arbeit von Führungskräften an. Die beiden Welten verbinden sich nicht von allein. Von ganz oben muss das klare Commitment zur Veränderung kommen. Die Realität des Unternehmensalltags zeigt zudem, dass sich vor allem Führungskräfte der oberen Ebenen in einem beidhändigen Kontext bewegen. Je weitreichender der Einfluss eines Managers ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass in seinem Bereich mehrere Innovationsansätze verfolgt werden. Selbst wenn Sie innerhalb Ihrer Organisation getrennte Welten, z. B. getrennte Business Units, für das bestehende und das zukünftige Geschäft etabliert haben, müssen Sie auf oberster Ebene beides orchestrieren. Ganz oben, an dem Ort, an dem Sie die Gegenwart und die Zukunft überschauen, ist Beidhändigkeit immer kontextueller Natur. Das heißt, Sie sind jeden einzelnen Tag mit Beidem konfrontiert. Beidhändige Führung fordert jetzt weitaus mehr von Ihnen, als die Fähigkeit, sich in dem einen und dem anderen Umfeld sicher bewegen zu können. Von oberen Führungskräften ist die Zusammenführung gefordert: Gebraucht wird ein verbindender und balancierender Ansatz für den Zwei-Weltenraum. Hier kann sich für Sie als Führungskraft stündlich der Handlungskontext verändern – ein anstrengendes Spannungsfeld, denn Sie agieren in wechselnden Rollen. Zugleich haben Sie gerade hier die einmalige Chance, den Handlungskontext für die Menschen in Ihrer Organisation gewinnbringend zu gestalten. Neben den Kommunikationstools für Exploration (Ökosystem-Management) und den Werkzeugen für Exploitation (Formale Top-down-Kommunikation) können vier Kernelemente im Verhalten von beidhändigen Führungskräften beobachtet werden: Visionsvermittlung, Strategievermittlung, Systemintegration und Neukonfiguration. Beidhändige Führungskräfte vermitteln eine umfassende Zukunftsvision. Sie kommunizieren kontinuierlich die Strategie für beide Welten. Sie führen beide Welten durch Kommunikation zusammen. Und sie schaffen gewinnbringende, neue organisationale Verbindungen durch Kommunikation. Die Übung des Schreibens mit beiden Händen vermittelte eine erste Ahnung davon, was es für Organisationen bedeutet, von der dominanten Hand auf die nicht dominante Hand zu wechseln. Es ging darum, besser zu verstehen, wie Menschen in Organisationen sich möglicherweise fühlen, wenn Sie diesen Transformationsprozess durchlaufen. Die Erfahrungen reichen von Frustration bis hin zu Neugier und Aufbruch-Stimmung.
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Und mit der gesamten Bandbreite haben Sie es als Führungskraft in einer beidhändigen Organisation zu tun.
Essenz 5 Beidhändigkeit ist mehr als die Fähigkeit des Navigierens durch
Exploitation und durch Exploration. Beidhändige Führung erfordert zusätzlich vier verbindende Handlungsschritte: die Vermittlung einer Zwei-Welten-Vision, die Kommunikation einer umfassenden Strategie, die Integration und Balance beider Welten durch Kommunikation und die Rekonfiguration durch vernetzende Kommunikation. Kap. 6: Beidhändig durch die Krise Die Corona-Pandemie hat die Robustheit und Widerstandsfähigkeit von Führungskräften und Unternehmen stärker als andere Krisen zuvor herausgefordert. Wie können Führungskräfte ihre Organisationen sicher durch Krisen navigieren? Was macht Unternehmen langfristig resilient? Wie entsteht eine neue veränderte Vision, die in der Krise Sinn stiftet und Organisationen in Bewegung hält? Die Interview-Studie in Kap. 6 führt mitten in die COVID-19-Krise. In sechs Gesprächen mit Persönlichkeiten aus der deutschen Unternehmenslandschaft dokumentiert das Kapitel die Ausnahmesituation der ersten Monate im Jahr 2020. Zwischen März und Mai teilen die Experten ihre Führungserfahrungen und Erkenntnisse über erfolgreiches Krisenmanagement. Sie erklären wie Beidhändigkeit dabei hilft, Resilienz zu entwickeln. Interview 1: Beidhändigkeit = Flexibles Navigieren durch extreme Spannungsfelder So beschreibt die Psychologin und Management-Beraterin Constanze Holzwarth in Interview 1 die Spannungsfelder, in denen sich Führungskräfte in der akuten Ausnahmesituation bewegen. Im Ernstfall, sprich in den ersten 72 h, gilt es, sich der Widersprüche schnell bewusst zu werden: Kontakt halten trotz Kontaktreduzierung, empathisch sein trotz rationaler Entscheidungen, Top-down-Ansagen machen und Räume für Fragen und Emotionen anbieten – allein das Vergegenwärtigen der Extreme hilft, um sich dynamisch zwischen den verschiedenen Modi bewegen zu können (vgl. Abschn. 6.2). Interview 2: Beidhändigkeit = Parallel zur Absicherung des Geschäfts das neue Zukunftsbild aufbauen Wiltrud Pekarek, Vorstandsmitglied der HALLESCHEN Krankenversicherung, erklärt in Interview 2 warum es wichtig ist, zügig nach Fürsorgepflicht und Absicherung des Geschäftsbetriebs (Kerngeschäft + laufende Zukunftsprojekte) an die Zeit nach der Krise zu denken. Wer es beim „Feuerlöschen“ belässt, verpasst den Zug in die Zukunft. Das entsprechende Zielbild muss von Unternehmen neu gedacht und neu aufgebaut werden (vgl. Abschn. 6.3).
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Interview 3: Beidhändigkeit = Konsequentes Handeln kombiniert mit Empathie und Sinnstiftung Thomas Fischer von MANN + HUMMEL rückt in Interview 3 die Wichtigkeit von Sinnstiftung und die Werte des Familienunternehmens in den Mittelpunkt der Krise. In der Zeit des Krisenmanagements und der konsequenten Umsetzung von Maßnahmen ist zudem eine den Menschen zugewandte, empathische Führung entscheidend. Denn Robustheit des Unternehmens entsteht durch Zusammenhalt: Zusammenhalt des Leadership-Teams, Zusammenhalt aller Mitarbeitenden. Damit die Beidhändigkeit aus schnellem, rationalem Handeln und der notwendigen Empathie in der Krise gelingt, hilft Führungskräften der Schritt zur Seite, der bewusste, kurze Moment zum Nachdenken (vgl. Abschn. 6.4). Interview 4: Beidhändigkeit = Rascher Wechsel zwischen den Welten. Stabilität durch innere Flexibilität. In Interview 4 mit der Resilienz-Expertin Karin Pahl wird die Belastungsprobe der Krise für die Führungskräfte vertieft. Wie selten zuvor treffen in der Krise zwei Unternehmenswelten aufeinander: die hierarchische Welt des Top-Down-Krisenmanagements und die Welt des agilen Arbeitens in virtuellen Räumen. In beiden Welten herrscht Ausnahmezustand. Beide Welten sind bis aufs Äußerste gefordert. Und Elemente aus beiden Welten werden zu gleicher Zeit gebraucht. Flexibel hin und her wechseln zu können und gleichzeitig stabil und handlungsfähig zu bleiben, sind im Augenblick der Corona-Krise die resilienten Schlüsselkompetenzen. Individuelle Resilienz erreichen Führungskräfte, in dem sie sich in der Krise schnell die inneren Stärken bewusst machen. Wer förderliche Ressourcen und mentale Strategien in sich aktiviert, ist fähig, nach extremen äußeren Einwirkungen immer wieder in seinen mentalen „Originalzustand“ zurückzufinden (Abschn. 6.5). Interview 5: Beidhändigkeit = Kein Zurück in alte Muster. Jetzt den Sprung wagen! Interview 5 mit Frank Riemensperger von Accenture hebt Resilienz auf die Ebene der Organisation. Unternehmen sind nur dann im operativen Tagesgeschäft resilient, wenn die gesamte Lieferkette und das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk widerstandsfähig sind. Ambidextrie bedeutet im Umfeld der Krise: Kein Zurück in alte Muster! Die Krise hat Unternehmen verändert und dieser neue, widerstandsfähigere Zustand soll bleiben. Nur wer sich jetzt den neuen Rahmenbedingungen stellt, eine neue Vision entwickelt, die in der Krise erprobte Agilität weiter verfolgt und die neuen Erfahrungen weiterhin nutzt, kann seine Position in der Weltwirtschaft verteidigen (Abschn. 6.6). Interview 6: Beidhändigkeit = Gleichklang: Beide Welten gehören zusammen Das Interview 6 mit Gregor Pillen, IBM, löst schließlich die Spannung der Beidhändigkeit auf und wandelt den Spagat in einen harmonischen Gleichklang: Pillen gestaltet eine beidhändige Kultur, in der Welten verschmelzen: Der bewusste Einsatz von virtuellen und haptischen Elementen der Kommunikation unterstützt den raschen Umzug in
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das Home Office. Zugleich ist in der Zusammenarbeit der Weg für ein Hybridmodell geebnet, in dem Teile des Erfahrenen bestehen bleiben können. In der beidhändigen Kultur geht es Pillen auch um einen bewussten Umgang mit verschwimmenden Grenzen: So fordert der nahtlose Übergang zwischen Beruflichem und Privatem im Home Office ebenfalls eine bewusste Ausgestaltung und Balance. Ein weiteres Element der beidhändigen Kultur ist der Gleichklang zwischen dem Management im Hier und Jetzt und dem Aufbau der Zukunft. Durch die gemeinsame iterative Vorausschau werden notwendige Maßnahmen in der Gegenwart besser akzeptiert, denn zugleich beginnen die Vorbereitungen auf die Zeit nach der Krise. So wächst die strategische Resilienz für zukünftige Krisen.
Essenz 6 In der Krise erhöht „doppelte Beidhändigkeit“ die Resilienz von Unternehmen. Um durch Führung eine robuste, widerstandsfähige Organisation stabil aufzubauen, benötigen Führungskräfte erstens ein hohes Maß an Flexibilität und Elastizität im Umgang mit Widersprüchen und Spannungsfeldern im Hier und Jetzt. Sie stärken die Widerstandskraft ihrer Organisation zweitens, in dem Sie frühzeitig in der Krise mit dem Aufbau einer neuen Vision des Unternehmens beginnen und die Organisation in dieses neue Zielbild führen. Im Umfeld von Krisen wird Beidhändigkeit zum Gleichklang.
Und nicht nur jetzt – inmitten der digitalen Transformation und in Krisenzeiten wie der COVID-19-Pandemie – benötigen Firmen ein beidhändiges Führungsverständnis. Auf Technologie-, Geschäftsmodell-, Kultur- und Nutzer-Seite wird es in den nächsten Monaten und Jahren evolutionäre Weiterentwicklungen sowie radikale Brüche geben. Zugleich müssen wir uns für weitere, noch unbekannte Gesundheits-, Finanz- und Wirtschaftskrisen wappnen, die von Unternehmen hohe Widerstandskraft abverlangen. Willkommen also im „X“-Weltenraum. Sie werden sich dauerhaft in einem Hybrid-Zustand befinden. Denn was kommt nach der Digitalisierung? Was folgt der aktuellen Krise? Die nächste Welle (oder S-Kurve), der nächste globale Ausnahmezustand warten bereits. Irgendwo da draußen. Sie werden ständig beide Hände benötigen und immer wieder zwischen bewährten Routinen und dem Geist des Anfängers wechseln…
7.3 Epilog: Schulen Sie den Anfänger-Geist In vielen erfolgreichen Organisationen gibt es diesen besonderen Geist: Den Gründerund Unternehmer-Geist der ersten Tage, mit dessen Vitalität und Begeisterung einmal alles begann. Über 20 Jahre nach der Gründung des Internetgiganten Amazon [7] stellt sich Firmenchef Jeff Bezos der Frage: „How do you keep the vitality of Day 1, even inside a large
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organization?“ [2]. Wie können sich große Unternehmen das Mindset des ersten Tages bewahren und dauerhaft den Geist und das Herz eines Start-ups an den Tag legen? Wie können Sie im Mindset des Neubeginns bleiben und sich nicht dazu verleiten lassen, den Tag 2 des „Stillstands“ und des „Niedergangs“ anbrechen zu lassen? Sich die Vitalität und Energie des ersten Tages zu erhalten, erfordere „geduldiges Experimentieren, das Akzeptieren von Rückschlägen, Saat zu setzen, junge Triebe zu schützen und etwas noch intensiver zu machen, wenn man Kundenglück feststellt“ [8], erklärt Bezos in einem seiner jährlichen Schreiben an die Aktionäre des Konzerns. Denn bricht der „Tag 2“ an, würden Firmen träge und langsam. Sie treffen dann exzellente Entscheidungen, jedoch zu spät, sie verhindern die Zukunft und folgen mit immer größerer Akribie ihren Prozessen statt dem Kundennutzen. Doch nur wahre K unden-Besessenheit („Customer Obsession“), der obsessive Fokus auf den Kundennutzen, ist das, was Unternehmen am ehesten davor schützen kann, dass Tag 2 anbricht [8]. Dass dagegen die Leichtigkeit des Neuanfangs zur größten Kreativität führen kann (und der Erfolg wachsender Unternehmen zur Bürde werden kann), berichtete auch Apple-Mitgründer Steve Jobs. In seiner Rede vor Absolventen der Stanford-Universität im Juni 2005 beschrieb er die Zeit nach seinem Weggang von Apple im Jahr 1985 als die kreativsten Jahre seines Lebens: „The heaviness of being successful was replaced by the lightness of being a beginner again, less sure about everything. It freed me to enter one of the most creative periods of my life“ [9]. Das Ziel muss also sein, sich den grenzenlosen Geist des Anfängers über Jahre zu bewahren. Sobald wir über etwas zu stark Bescheid wissen und die Antwort zu genau kennen, machen wir einen anderen Ausgang oder einen neuen Weg sogar unmöglich: „Im Anfänger-Geist gibt es viele Möglichkeiten, im Geist der Experten nur wenige“, erklärte der japanische Zen-Meister Shunryu Suzuki in seinen Unterweisungen über den Anfänger-Geist [10]. Vielleicht weht dieser Anfänger-Geist im Moment nur zaghaft durch die Gänge Ihres Unternehmens. Doch wenn Sie ihn als Führungskraft wieder aktivieren, wenn Sie sich – gerade auch in Krisenzeiten – dem Unternehmensalltag stets aufs Neue als Anfänger stellen, kann der Geist des ersten Tages in kürzester Zeit wieder durch Besprechungsräume, Cafeterien, Büros und Vorstandszimmer fegen. Er wird durch Produktionshallen und Entwicklungslabore wüten und dafür sorgen, dass neue Ideen auch in digitalen, virtuellen, weltumspannenden Calls und Meetups Raum finden. Überall dort, wo der Geist des ersten Tages erscheint, wirbelt er Staub auf – auch virtuellen – und bringt die Aufbruchsstimmung zurück, an etwas Zukunftsweisendem zu arbeiten. Er begleitet Führungskräfte und Teams durch die unberechenbare Gegenwart und zugleich mit Schwung hinein in eine neue veränderte Zukunft. „We can have the scope and capabilities of a large company and the spirit and heart of a small one. But we have to choose it“ [2], erklärt Jeff Bezos das Geheimnis des Erfolgs von Amazon. Holen wir also den Geist der ersten Stunde zurück und fangen wir an.
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7 Wie Sie morgen damit beginnen
Literatur 1. Bauer, Wilhelm; Leistner, Phlipp; Schenke-Layland, Katja; Oehr, Christian; Bauernhansel, Thomas; Morszeck, Thomas H. (2016): Mass Personalization. Mit personalisierten Produkten zum „Business to User“ (B2U). Stuttgart: Fraunhofer Gesellschaft. Online unter: https://www. stuttgart.fraunhofer.de/de/studie_b2u.html [Zugegriffen am 24.05.2020]. 2. Bezos, Jeff (2017): 2016 Letter to Shareholders. Online unter: https://www.amazon.com/p/ feature/z6o9g6sysxur57t [Zugegriffen am 24.05.2020]. 3. Christensen, C.M. (2011): The Innovator’s Dilemma: Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren. 2. korr. Aufl. München: Franz Vahlen. 4. Kim, W. Chan; Mauborgne, Renée (2016): Der Blaue Ozean als Strategie. Wie man neue Märkte schafft, wo es keine Konkurrenz gibt. 2. aktualisierte und erweiterte Aufl. München: Carl Hanser. Online unter: https://www.blueoceanstrategy.com/tools/red-ocean-vs-blue-oceanstrategy/ [Zugegriffen am 17.05.2020]. 5. March, J.G. (1991): Exploration and Exploitation in Organizational Learning. Organization Science, 2 (1), S. 71–87. 6. O’Reilly, Charles A.; Tushman, Michael L. (2004): The Ambidextrous Organization. In: Harvard Business Review 82 (4), S. 74–81. 7. Amazon (2020): Annual Reports, Proxies and Shareholder Letters. Online unter: https:// ir.aboutamazon.com/annual-reports-proxies-and-shareholder-letters/default.aspx [Zugegriffen am 23.05.2020]. 8. Bezos, Jeff (2017): „Tag 2 ist Stillstand. Gefolgt vom Tod.“ Jeff Bezos’ Management Tipps – übersetzt. In: Handelsblatt vom 13.04.2017. Online unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/jeff-bezos-management-tipps-uebersetzt-tag-2-iststillstand-gefolgt-vom-tod-/19669374.html [Zugegriffen am 24.05.2020]. 9. Jobs, Steve (2005): ‚You’ve got to find what you love,‘ Jobs says. Commencement Address delivered by Steve Jobs on June 12, 2005 at Stanford University. Online unter: http://news. stanford.edu/2005/06/14/jobs-061505/ [Zugegriffen am 24.05.2020]. 10. Suzuki, Shunryu (2012): Zen-Geist, Anfänger-Geist. Unterweisungen in Zen-Meditation. 3. Aufl. Freiburg, Basel, Wien: Herder.
Dank
Seit der Veröffentlichung der Dissertation Ambidextrie, Führung und Kommunikation im Jahr 2016 hat sich das Modell der Kommunikation für beidhändige Führungskräfte ständig weiterentwickelt. Ende 2016 war die Idee geboren, ein Praxis-orientiertes Buch über beidhändige Führung zu veröffentlichen. Zielsetzung war es, aufbauend auf einer soliden wissenschaftlichen Basis, die inzwischen praxiserprobten Instrumente für den beidhändigen Unternehmensalltag aufzuschreiben und die gewonnenen Erfahrungswerte mit anderen Führungskräften zu teilen. 2020 wurde das Buch um eine Interviewstudie über beidhändiges Führen im Umfeld der COVID-19-Krise erweitert. Beidhändige Führung ist ein Handbuch für Führungskräfte und ein Erfahrungsbericht aus dem Berufsalltag. In diesem Alltag konnte ich während der Entstehung des Buches und später der zweiten Auflage zahlreiche Menschen treffen und Situationen erleben, die man so ausschließlich in der digitalen Transformation oder in Krisenzeiten erfährt. Es sind Erfahrungswerte aus einem beruflichen Spagat-Alltag zwischen der heutigen Unternehmenswelt mit all ihren Spannungen und einer ständig neu entstehenden digitalen, datengetriebenen Zukunft. Allen direkt oder indirekt beteiligten Impulsgebern aus diesen zwei Welten gilt mein Dank, dass sie ihre Erfahrungen mit mir geteilt haben. Allen, die das Buch während der Entstehung gelesen haben, danke ich für die hilfreichen Ratschläge und Diskussionen. Insbesondere danke ich der Lektorin des Springer-Verlages Christine Sheppard für den umfassenden und überaus ermutigenden Support.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0
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Dank
In besonderer Weise bin ich dem Verfasser des Vorwortes, Dr. Eberhard Veit, den Interviewpartnern der ersten Auflage sowie den sechs neuen Interviewpartnern der zweiten Auflage dieses Buches verbunden: Im Laufe meines bisherigen Berufslebens hatte ich die Chance, ihnen an unterschiedlichen Orten im Umfeld von Industrie und Forschung zu begegnen. Sie sind mir aufgefallen als Menschen, die sich intensiv mit Veränderungsprozessen auseinandersetzen, die in ihrem Umfeld aktiv den Wandel vorantreiben und sich mit der Fragestellung beschäftigen, wie Menschen aus der heutigen VUCA-Welt mit ihren immer neuen Herausforderungen und auch Krisen in eine spannende, lebenswerte Zukunft geführt werden können. Aus diesem Grund wurden sie für dieses Projekt ausgewählt und die Interviews mit großer Begeisterung in das Buch Beidhändige Führung eingearbeitet. In alphabetischer Reihenfolge danke ich: Prof. Dr. Manfred Aigner, bis 2020 Direktor des Instituts für Verbrennungstechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart, Dennis van Beers, Geschäftsführer Cluster Benelux des Anbieters von Automatisierungslösungen FESTO in Delft, Prof. Dr. Wilhelm Bauer, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart und Technologie-Beauftragter des Landes Baden-Württemberg, Thomas Fischer, Vorsitzender des Aufsichtsrates von MANN+HUMMEL, Prof. Dr. Ronald Gleich, Professor für Management Practice & Control an der Frankfurt School of Finance & Management in Frankfurt am Main, Dr. Constanze Holzwarth, Psychologin und Top-Management-Beraterin, Anne Elisabeth Krüger, Innovationsforscherin und Expertin für User Driven Innovation und User Experience am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart, Andreas Leinfelder, Vice President Business Development bei Bosch Power Tools GmbH, Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen, Rektor der Technischen Universität Dresden von 2010–2020, Prof. Dr. Volker Nestle, Vorstandsvorsitzender der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung, Karin Pahl, Inhaberin der PAHL Resilienz-Förderung in Bremen, Wiltrud Pekarek, Vorstandsmitglied der HALLESCHE Krankenversicherung aG, Gregor Pillen, Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH, Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture Deutschland, Dr. Eberhard Veit, 4.0-veIT GmbH.
Stichwortverzeichnis
A Acatech, 4, 51 Accenture, 213, 243 Ambidextrie (Beidhändigkeit), 6–9, 22, 24, 31, 175, 236 intellektuelle, 28 kontextuelle, 28, 151–153, 240 sequentielle, 27, 28 strukturelle, 28 Anfänger-Geist, 160, 244, 245 Angst, 71, 100, 177, 190–192, 203, 210, 218 Arbeiten, agiles, 90, 95–97 Artefakt, 47, 98, 143 Aufmerksamkeit, 96, 137, 146, 147, 166, 174
B Beidhändigkeit, doppelte, 188, 196, 200, 201, 228, 229, 235, 244 Betriebssystem, 23, 90, 94, 97, 151, 153, 154, 157, 158, 227 BOSCH, 2, 109 Brezel, 138 Business Model Canvas, 20, 77 to User (B2U), 4, 232
C Commitment, 135, 157 Corona Pandemie, 233, 242 Virus, 186 COVID-19-Krise, 12, 15, 17, 232, 242, 244
Cross-Over-Kompetenz, 28, 29, 237 Customer Obsession, 232, 245
D Daily Stand-up, 95 DAIMLER, 23 Datenfabrik, 2 Datenverkehr, 2 Design Thinking, 12, 98, 99, 101, 103, 106, 109, 112 Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), 11 Digitalisierung, 1, 6, 34, 38, 67, 114, 231 Digitalisierungskompetenz, 7, 57, 236 Diskontinuität, technologische, 22, 121 Dynamic Capabilities View, 48
E Ecosystem Thinking, 77, 81, 239 Effizienz, 126, 127, 129, 135 Empathie, 191, 198, 206, 207, 220, 225, 243 Empowerment, 112, 202, 207 Evolution, 1, 3 Exploitation, 7, 26, 120, 125, 165, 201 Exploration, 7, 25, 27, 71, 164, 201 Exploration-Exploitation-Trade-Off, 25, 26, 31, 120, 237
F Familienunternehmen, 202, 204, 207 Fehlerkultur, 99
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Duwe, Beidhändige Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61572-0
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250 FESTO, 74 Forschungsprojekt Ambidextrie, Führung und Kommunikation, 10, 48, 58, 247 Fraunhofer-Gesellschaft, 4, 11, 12, 30, 37, 101, 178 Führung, 36, 75, 186, 187 beidhändige, 9, 48, 50, 165, 169, 235, 242 im Ökosystem, 77 transaktionale, 36 transformationale, 36
G Geschäftsmodell, 20, 34, 77, 93 datengetriebenes, VI, 20, 247 Gleichklang, 218, 223, 243
H HALLESCHE Krankenversicherung, 196, 242 Heterogenität, 44, 51, 76, 134 Hierarchie, 36, 38, 71, 90, 126, 127, 130, 211, 226, 227 Homo Ludens, 106 Homogenität, 53, 134 Hyperpersonalisierung, 4, 232
I IBM, 218, 219, 243 Watson, 219 Industrie 4.0, 2, 9, 74 Informationsübertragung (Transmission), 43, 46, 47, 129, 136 Innovation inkrementelle, 25, 52 radikale, 25, 52 Innovationskommunikation, 143 Innovationskontext, 37, 51, 58, 60, 161, 237 Innovator’s Dilemma, 2, 236 Intelligenz, künstliche, 1, 2, 10, 219, 232 Interaktion, 36–38, 98 Internet der Dinge, 1 Interpretationssystem, 45 Interviewstudie, 187 Intranet, 139 Iteration, 99, 107
Stichwortverzeichnis K Kampagne, 142 Keystone Player (Schlüsselakteur), 70, 79, 82, 88, 232 Kommoditisierung, 5, 120 Kommunikation beidhändige, 16, 19, 54, 151, 163, 165, 167 in der Krise, 189, 195, 198, 199, 203, 206, 207, 215, 219, 220 interne, 42, 74 visuelle, 100, 112 Kommunikationsmodell, 10, 43, 47, 49, 51, 130 Kreativität, 98, 245 Kreativitätsprozess, 98 Krise, 1, 5, 9, 12, 15, 17, 133, 137, 186–189, 191–202, 204–206, 210–215, 217, 223–225, 242, 243 Krisenmanagement, 12, 15, 136, 186, 188, 192, 196, 200, 203, 206, 207, 218, 220, 222, 223, 227, 228 Kurzarbeit, 186, 203, 204, 214, 225 Kybernetik, 77
L Legitimation, 134, 145 Lehmschicht, 150 Lockdown, 188, 195, 218
M Machtvakuum, 39 Manifest, agiles, 95, 96 MANN + HUMMEL, 202, 243 Marktkommunikation, 42 Mass Personalization, 4, 232 Medium, soziales, 141 Methode, agile, 94, 97 Mindset, 99, 101, 109, 110, 150, 151 Mitarbeiter-Magazin, 139 Monetarisierung, 94 Mut, 75, 153, 181
N Nenner, gemeinsamer, 133 Netzkommunikation, 75
Stichwortverzeichnis Neuland, 16, 65, 238 Not-invented-here-Syndrom, 87 Nutzer-Zentriertheit, 5, 99, 103
O Ökosystem, 65, 69, 78, 113 Business-Ökosystem, 68–70, 72, 75, 77–79, 93, 113, 232, 238 digitales, 225, 229 Innovationsökosystem, 77, 78, 92 Management, 77, 79, 82, 83, 87, 92, 94, 164, 239 Organisation datengetriebene, V, XIX, 9 resiliente, 229 Organisationskommunikation, 47 Organisationspyramide, 73, 239 Organisationstheorie, 46 Ozean blauer, 66, 238 roter, 66, 120, 121
P Pandemie, 15, 196, 201, 209 Partnerschaft, 216, 217, 227 Plattform digitale, 226, 227 Industrie 4.0, 74 PORSCHE, 8, 68 Präsenz, 189, 190, 195, 207 Protokoll, 142 Public Relations, 42
R Referenzarchitektur, 74, 76 Reinventing Organizations, 121 Rekonfiguration, 55, 168, 169, 179, 183, 242 Resilienz, 12, 15, 94, 188, 205, 207–212, 216, 217, 232, 235, 242 Operative, 212, 213, 217, 229 Persönliche, 207, 212, 229 Strategische, 212, 228, 229 Revolution, 1, 3 Rollenverständnis, 38
251 S Scrum, 95 Selbstorganisation, 212, 226, 227 Selbstvertrauen, kreatives, 99, 101 Sender-Empfänger-Modell, 43, 129, 138 Sinnstiftung, 12, 199, 207, 225, 243 Smart Factory, 2 Spagat-Konzern, 3, 30, 150 Spannungsfeld, 186, 187, 189, 194, 242 Spiel, 106, 108 Sprache, 98, 100 Sprint, 95, 96 Starter-Paket, 108 Start-up, 7, 21, 150 Stillstand, 21, 26, 245 Strategie, 81, 86, 134, 168, 174 Blue Ocean, 66 Implementierung, 41, 67, 134, 136
T Technologie, 34 Substitutionstechnologie, 23, 31, 236 Technologie-S-Kurve, 21 Theorie der Strukturierung, 38 Top-down-Kommunikation, 129–131, 134, 211, 226, 240 Tradition, 8, 123, 152 Transformation, digitale, 20–22, 34, 69, 75, 235
U Unternehmenskommunikation, 41, 52, 130, 131, 140, 145, 174 Unternehmenskultur, 24, 34, 35, 51, 71, 176, 232 Unternehmertum, 233
V Veranstaltung, 136, 139 Vertrieb, 154 Vision, 54, 83, 85, 167, 168, 170, 171
W Welt, hybride, 32, 244 Wirklichkeitskonstruktion, 43, 45, 47 Wissenslücke, 7
252 Z Zerreißprobe, 16, 22, 25, 200, 235 Zukunftsbild, neues, 188, 196, 197, 199–201, 223, 225, 228, 229, 242 Zusammenarbeit, 196, 197, 200, 214, 217, 218, 222, 226, 227
Stichwortverzeichnis Zwei-Hände-Übung, 159 Zwei-Weltenraum, 17, 150, 152, 153, 240 Zwischenzustand, 121, 122, 125