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German Pages XVIII, 368 [379] Year 2020
Brigitte Biermann · Rainer Erne
Nachhaltiges Produktmanagement Wie Sie Nachhaltigkeitsaspekte ins Produktmanagement integrieren können
Nachhaltiges Produktmanagement
Brigitte Biermann · Rainer Erne
Nachhaltiges Produktmanagement Wie Sie Nachhaltigkeitsaspekte ins Produktmanagement integrieren können
Brigitte Biermann Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen Geislingen, Deutschland
Rainer Erne Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen Geislingen, Deutschland
ISBN 978-3-658-31129-2 ISBN 978-3-658-31130-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Ann-Kristin Wiegmann Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhaltsverzeichnis
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Zweck, Beitrag und Struktur dieser Publikation. . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Der Stand der Diskussion zum „Nachhaltigen Produktmanagement“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Beitrag und Ziele des vorliegenden Buchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Struktur des vorliegenden Buchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.4 Leistungen und Grenzen des vorliegenden Buchs. . . . . . . . . . . . . 6 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Teil I Produktmanagement aus betriebswirtschaftlicher Sicht 2
Was ist Produktmanagement?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1 Zweck des Produktmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.2 Aufgaben des Produktmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3 Rolle der Produktmanagerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.4 Anforderungen an Produktmanagerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.5 Organisation des Produktmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
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Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.1 Der Begriff des Produktes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.2 Handlungsfelder des Erfolgs von Produkten. . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
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Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht erfolgreich gemacht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte. . . . 102 4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte. . . . . . 115 4.3 Entdeckung von Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.4 Definition von Produkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.5 Realisierung von Produkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4.6 Markteinführung von Produkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.7 Eliminierung von Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
Teil II Produktmanagement aus Nachhaltigkeitssicht 5
Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.1 Nachhaltige Produkte erwünscht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.2 Nachhaltigkeit als Antwort auf globale Probleme. . . . . . . . . . . . . 198 5.3 Ebenen und Handlungsfelder der Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . 201 5.4 Handlungsfelder der Nachhaltigkeit für Produkte. . . . . . . . . . . . . 205 5.5 Zielwerte und Messgrößen für nachhaltige Produkte . . . . . . . . . . 208 5.6 Nachhaltigkeit von Produkten managen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
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Was motiviert Unternehmen zu nachhaltigem Produktmanagement? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 6.1 Impulse aus der Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.2 Impulse durch Regulierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6.3 Impulse aus Risiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6.4 Gestaltungsperspektiven und Stakeholder-Orientierung. . . . . . . . 238 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
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Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette von Produkten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 7.1 Bearbeitung von Wertschöpfungsketten auf sechs Stufen. . . . . . . 245 7.1.1 Rohstoff-Anbau und -Abbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 7.1.2 Vor-Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 7.1.3 Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 7.1.4 Handel und Service . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
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7.1.5 Nutzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 7.1.6 End of Life. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.2 Negative und positive Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 7.3 Wertschöpfungsstufen übergreifende Auswirkungen . . . . . . . . . . 258 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 8
Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig verbessert werden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 8.1 Umwelt-Methoden des Produktmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . 264 8.1.1 Ökologischer Rucksack. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 8.1.2 Ökologischer Fußabdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 8.1.3 Kreislaufführung von Rohstoffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 8.1.4 Virtuelles Wasser und Wasser-Fußabdruck . . . . . . . . . . . 270 8.1.5 Ökobilanz/LCA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 8.1.6 Produktbezogene Biodiversitätsanalyse. . . . . . . . . . . . . . 273 8.1.7 Carbon Footprint/Klimabilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements. . . . . . 279 8.2.1 Monitoring und Garantie der Menschenrechte, menschenwürdiger Arbeitspraktiken, von Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit sowie von fairen Geschäftspraktiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 8.2.2 Social Life Cycle Analysis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 8.2.3 Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 8.2.4 Produktgestaltung und Transparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 8.3 Von Methoden zu Modellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
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Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 9.1 Risikobegrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 9.2 Nachhaltige Effizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 9.3 Nachhaltige Produkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 9.4 Veränderungs-Netzwerke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
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Teil III Themen im Nachhaltigen Produktmanagement 10 Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen der betriebswirtschaftlichen und der Nachhaltigkeitsperspektive? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 11.1 Von der Motivation zu den Modellen des nachhaltigen Produktmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 11.2 Von den Modellen zu den Aufgaben des nachhaltigen Produktmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 11.3 Offene Fragen zum „Nachhaltigen Produktmanagement“. . . . . . . 360 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1.1 Abb. 2.1 Abb. 2.2 Abb. 2.3 Abb. 2.4 Abb. 2.5 Abb. 2.6 Abb. 2.7 Abb. 2.8 Abb. 2.9 Abb. 2.10 Abb. 2.11 Abb. 2.12
Die Wechselwirkungen von Leitprinzipien, Methoden und Modellen im „Nachhaltigen Produktmanagement“ . . . . . . 3 Erfolgsquote von Neuprodukten am Markt (vgl. Edgett 2010). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Der idealtypische Produkt-Lebenszyklus aus Unternehmenssicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Mögliche Produktlebenszyklen in der Praxis (vgl. Matys 2018, S. 122) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Aufgaben des Produktmanagements entlang des betriebswirtschaftlichen Produkt-Lebenszyklus . . . . . . . . . . . . 18 Das Produktportfolio von Procter & Gamble. . . . . . . . . . . . . . . 21 Primäre Strategien von Unternehmen zur Erreichung von organischem Wachstum (vgl. Ahuja et al. 2017). . . . . . . . . 22 Schnittstellenfunktion der Produktmanagerin. . . . . . . . . . . . . . 25 Integration des Produktmanagements als Einflussorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Integrationsmöglichkeiten des Produktmanagements in eine Brauerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Integration des Produktmanagements als Matrixorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Integration des Produktmanagements in einen Technologiekonzern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Integration des Produktmanagements als Linienorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
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Abb. 2.13 Abb. 2.14 Abb. 2.15 Abb. 2.16 Abb. 3.1 Abb. 3.2 Abb. 3.3 Abb. 3.4 Abb. 3.5 Abb. 3.6
Abb. 3.7 Abb. 3.8 Abb. 3.9 Abb. 3.10 Abb. 3.11 Abb. 3.12 Abb. 3.13 Abb. 3.14 Abb. 3.15
Abb. 3.16
Abb. 3.17 Abb. 3.18 Abb. 3.19
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Integration des Produktmanagements in einen diversifizierten Konsumgüterkonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Das Produktteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Selbstwahrnehmung der Produktmanager in der Praxis (vgl. Matys 2018, S. 86 f.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Spezielle Herausforderungen im Produktmanagement in der Praxis (vgl. Matys 2018, S. 90 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Differenzierung der Produktbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Nutzenebenen bei einem Smartphone. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Nutzebenen bei einem lokalen Bier. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Wirtschaftliche Versorgungssysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Klassifikation von Produkten nach Materialitätsgrad und Kaufentscheidungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Möglichkeiten der Produktorganisation. (Vgl. Geracie und Eppinger 2013, S. 35 f.; Haines 2014, S. 6–15; Matys 2018, S. 222–227) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Rekonstruierte Produktorganisation bei Apple Inc . . . . . . . . . . 60 Rekonstruierte Produktorganisation einer Brauerei. . . . . . . . . . 61 Handlungsfelder erfolgreicher Produkte.. . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Inhalte eines Geschäftsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Der Controlling-Begriff. (Vgl. Jung 2016, S. 1176 f.). . . . . . . . 65 Aufgaben des Produkt-Controllings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Marktanteile der führenden Hersteller von Smartphones weltweit von 2009 bis 2019 (IDC 2020). . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Bekannte Fehler bei Smartphones nach Betriebssystemen im 1. Quartal 2017. (Vgl. Vaidos 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Weltweiter Anteil des Gewinns am Umsatz bei unterschiedlichen Smartphone-Herstellern 2016–2018. (Vgl. Chauhan 2018). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Inlandsabsatz der führenden Brauereigruppen in Deutschland 2016–2018 (in Mio. hl) (Lebensmittel-Zeitung 2019). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Typische Gefahrenpotenziale bei der Bierherstellung. . . . . . . . 73 Kostenstrukturen von Fass- und Flaschenbier (Eke et al. 2014, S. 12; Statistisches Bundesamt 2019). . . . . . . 74 Indikatoren erfolgreicher Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
Abbildungsverzeichnis
Abb. 3.20
Abb. 3.21
Abb. 3.22
Abb. 3.23 Abb. 3.24 Abb. 3.25 Abb. 3.26
Abb. 3.27 Abb. 3.28 Abb. 3.29 Abb. 3.30 Abb. 3.31 Abb. 4.1 Abb. 4.2 Abb. 4.3 Abb. 4.4 Abb. 4.5
XI
Messgrößen für das Handlungsfeld Marktfähigkeit. (Vgl. Herrmann und Huber 2013, S. 277–314; Kühnapfel 2014, S. 9–12; Kotler 2016, S. 836–866; Krause 2016; Aumayer 2019, S. 193–228) . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Messgrößen für das Handlungsfeld Lieferbarkeit. (Vgl. Lennertz 2006, S. 143–150; Kühnapfel 2014, S. 44–49; Wannenwetsch 2014, S. 690–698; Schmitt 2015; Krause 2016). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Messgrößen für das Handlungsfeld Profitabilität. (Vgl. Joos und Koslid 2012, S. 178–212; Kotler 2016, S. 836–866; Krause 2016; Aumayer 2019, S. 225–228). . . . . . 79 Beispiel für ein Performance Measurement System „Fairphone 3“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Beispiel für ein Performance Measurement System für ein Bio-Pilsener. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Das ATAR-Modell des Produkt-Controllings. (Vgl. Crawford und Di Benedetto 2014, S. 205–209). . . . . . . . 82 Erhebungsmethoden für den Produkterfolg. (Vgl. Bühner 2004, S. 17–60; Peng und Finn 2008; Grunwald und Hempelmann 2012, S. 46–53; 2013, S. 545–564; Herrmann und Huber 2013, S. 36–48; Koch 2016, S. 40–76; Magerhans 2016, S. 115–133; Hague 2016, S. 3–16; Kuß 2018, S. 49–224; Horváth et al. 2020, S. 187–345; Weber und Schäfer 2020, S. 85–114; Bland und Osterwalder 2020, S. 27–312) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Aktualität und Kontinuität der Controlling-Informationen. . . . 87 Darstellungsformen des Produkterfolgs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Exemplarisches Controlling-Konzept für das „Fairphone 3“. . . 89 Exemplarisches Controlling-Konzept für ein Bio-Pilsener. . . . 89 Segmentierung der Entscheidungen im Produkt-Controlling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Klassifizierung von Produktstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Der Adoptionsprozess von Produktinnovationen. . . . . . . . . . . . 105 Kategorisierung von Adoptern von Innovationen. (vgl. Rogers 1983, S. 242–251). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die Überbrückung der Kluft in den Massenmarkt. . . . . . . . . . . 108 Die Diffusion von Innovationen. (vgl. Tarde 1962; Rogers 1983, S. 242–245; Lehmann 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
XII
Abb. 4.6
Abb. 4.7 Abb. 4.8
Abb. 4.9 Abb. 4.10 Abb. 4.11 Abb. 4.12 Abb. 4.13 Abb. 4.14 Abb. 4.15 Abb. 4.16 Abb. 4.17 Abb. 4.18 Abb. 4.19 Abb. 4.20 Abb. 4.21 Abb. 4.22 Abb. 4.23
Abb. 4.24 Abb. 4.25 Abb. 4.26
Abbildungsverzeichnis
Diffusion von Smartphones, Tablets und Wearables weltweit 2010–2019. (vgl. Cook und Jardim 2017, S. 7; Business Wire 2020; IDC 2020a; IDC 2020b). . . . . . . . . . . . . . 110 Anzahl der Kleinbrauereien in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2019. (vgl. Statistisches Bundesamt 2020a). . . . . . . . 111 Bierausstoß von Kleinbrauereien in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2019. (vgl. Statistisches Bundesamt 2020b). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Erfolgsfaktoren von Innovationen. (vgl. Hauschildt und Salomo 2010, S. 69–72; Vahs und Brem 2015, S. 70–87). . . . . 113 Die Rolle der Prozesse im Innovationsmanagement. . . . . . . . . 116 Das (lineare) Stage-Gate-Prozessmodell (vgl. Cooper 1990, Cooper 2017, S. 99–146). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Der Produktentwicklungsprozess bei Procter & Gamble (vgl. Cooper und Mills 2005). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Der Innovationsprozess bei IBM (vgl. Easton 2010). . . . . . . . . 119 Das (zyklische) “Lean Startup” – Prozessmodell. (vgl. Ries 2017). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Die zyklische Entstehung von „AirBnB“. . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Die zyklische Entstehung von „Dropbox“. . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Modell eines „hybriden“ Produktmanagement-Prozesses. . . . . 126 Design und New Product Process bei Apple Inc. . . . . . . . . . . . 129 Neuproduktentwicklung bei Brauereien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Methoden der Ideenfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Ko-Innovation bei Samsung Electronics. (vgl. Jang et al. 2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Der Prozess der Ideenselektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Elemente einer Marktpositionierung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 337 f.; Kotler et al. 2016, S. 297–320; Matys 2018, S. 184–192) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Zweidimensionale Marktpositionierung einzelner Biermarken. (vgl. Walsh 2020, S. 449) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Mögliche Value Proposition Analyse eines neuen Fairphone-Modells. (vgl. Osterwalder et al. 2014) . . . . . . . . . . 142 Wertschöpfungsmodell bzw. Prozesslandkarte produzierender Unternehmen. (vgl. Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 65–74; Erne 2019b, S. 64–73) . . . . . 146
Abbildungsverzeichnis
Abb. 4.27
Abb. 4.28 Abb. 4.29
Abb. 4.30 Abb. 4.31 Abb. 4.32 Abb. 4.33 Abb. 4.34 Abb. 4.35 Abb. 4.36
Abb. 4.37 Abb. 4.38 Abb. 4.39
Abb. 4.40 Abb. 4.41
Abb. 4.42
Abb. 4.43 Abb. 4.44
XIII
Einflussmatrix zur Identifikation der Kernprozesse bei einer lokalen Biermarke. (vgl. Stöger 2018, S. 53–88; Erne 2019a, b, S. 106–110). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Mögliches Wertschöpfungsmodell einer neuen lokalen Biermarke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Einflussmatrix zur Identifikation der Kernprozesse bei einem neuen „Fairphone “. (vgl. Stöger 2018, S. 53–88; Erne 2019a, b, S. 106–110). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Mögliches Wertschöpfungsmodell eines neuen „Fairphone“. . . 149 Positionen für die Profitabilitätsabschätzung. . . . . . . . . . . . . . . 150 Mögliche qualitative Nutzenaspekte von Neuproduktentwicklungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Aufgaben in der Produktrealisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Das V-Modell der technischen Systementwicklung. . . . . . . . . . 155 Lasten- und Pflichtenhefte auf System und Komponentenebene bei der Smartphone-Entwicklung. . . . . . . 156 Die Rolle des Produktmanagers in Scrum. (vgl. Schwaber 2004, S. 53–66; Schwaber und Sutherland 2012, S. 57–74; Sutherland 2014, S. 41–70; Pichler 2014, S. 7–25). . . . . . . . . . 157 Mögliche Inhalte eines Marketingkonzepts für Neuprodukte. . 159 Elemente der Produktgestaltung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 418) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Elemente der Preisgestaltung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 443–506; Simon und Fassnacht 2016, S. 97–160; Matys 2018, S. 234–246). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Möglichkeiten der Vertriebsgestaltung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 512–554; Kotler et al. 2016, S. 529 f.). . . . . . . . . . . . . 163 Elemente der Kommunikationsgestaltung entlang des Kaufprozesses. (vgl. Kotler et al. 2016, S. 586; Strong 1925, S. 9; Lavidge und Steiner 1961, S. 61; Rogers 1983, S. 79–86). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Elemente der Kommunikationsgestaltung entlang des Produkt-Lebenszyklus. (vgl. Guiltinan 1999; Crawford und Di Benedetto 2014, S. 447–449; Kotler et al. 2016, S. 578–605) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Formen von Marketingtests. (vgl. Crawford und Di Benedetto 2014, S. 470 f.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Szenarien und Aufgaben der Prozessgestaltung. . . . . . . . . . . . . 170
XIV
Abb. 4.45
Abb. 4.46 Abb. 4.47 Abb. 4.48 Abb. 4.49 Abb. 4.50 Abb. 4.51 Abb. 4.52 Abb. 4.53 Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 6.1 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 8.1 Abb. 9.1 Abb. 10.1 Abb. 10.2 Abb. 11.1 Abb. 11.2 Abb. 11.3
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Elemente einer Prozessdefinition. (vgl. Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 35; Fischermanns 2013, S. 12; Stöger 2018, S. 4–13, Erne 2019a, b, S. 52–60) . . . . . . . . . . . . 171 Entwurf eines Serviceprozesses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Analyse des Bierlogistikprozesses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Beispiel für eine dynamische Investitionsrechnung für ein neues, lokales Bierprodukt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Einflussgrößen auf den Cashflow eines neuen, lokalen Bierprodukts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Generische Checkliste für die Markteinführung eines Neuprodukts. (vgl. Haines 2014, S. 484–505). . . . . . . . . . . . . . 179 Exemplarisches Review-Ergebnis aus einem Markteinführungsprojekt. (vgl. Haines 2014, S. 511–523). . . . 180 Entscheidungsprozess über Produkteliminationen. . . . . . . . . . . 181 Mögliche Kundenreaktionen auf Eliminationsentscheidungen. (vgl. Homburg 2010, S. 532–534). . . . . . . . . . . . 183 Dimensionen und Reichweiten von Nachhaltigkeit. . . . . . . . . . 199 Die Erde als Bezugsgröße für nachhaltige Entwicklung. . . . . . 204 Impulsgebende Bereiche und Gestaltungsoptionen für das nachhaltige Produktmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Stufen der Wertschöpfungskette. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Ausgewählte Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette von Smartphones. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Ausgewählte Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette von Bier. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Prinzipien umweltfreundlichen Produktmanagements . . . . . . . 268 Modelle im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Die betriebswirtschaftliche Perspektive auf das Produktmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Die Nachhaltigkeitsperspektive auf das Produktmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Von der Motivation zum Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Wesentlichkeitsanalyse im nachhaltigen Produktmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 Bearbeitungsformen von Nachhaltigkeitsthemen im Produktmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
Abbildungsverzeichnis
Abb. 11.4 Abb. 11.5 Abb. 11.6 Abb. 11.7 Abb. 11.8
XV
Primäre und sekundäre Integrationspunkte von Nachhaltigkeitsaspekten im Produktmanagement-Prozess. . . . 353 Entscheidungsfelder der Marktpositionierung im nachhaltigen Produktmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Entwicklung des Konzepts „Design for Sustainability“ (vgl. Ceschin und Gaziulusoy 2016, S. 143 f.) . . . . . . . . . . . . . 356 Erweiterung des Prozessfokus im Nachhaltigen Produktmanagement entlang des SCOR-Modells. . . . . . . . . . . 358 Traditionelle und innovativere Preisgestaltungsmodelle. . . . . . 359
Tabellenverzeichnis
Tab. 2.1 Tab. 2.3 Tab. 2.4 Tab. 2.5 Tab. 3.1 Tab. 4.1 Tab. 4.2 Tab. 4.3 Tab. 4.4 Tab. 5.1 Tab. 5.2 Tab. 6.1 Tab. 7.1 Tab. 7.2 Tab. 7.3 Tab. 8.1 Tab. 8.2
Management-Schwerpunkte in den jeweiligen Produkt-Lebenszyklusphasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Aufgabenschwerpunkte des Produktmanagements.. . . . . . . . . . 27 Internationale Produktmanagement-Verbände und -Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Organisatorische Integrationsmöglichkeiten des Produktmanagements.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Performance Measurement System nach dem ATAR-Modell. . . 83 Managementerfordernisse im Produktmanagement-Prozess . . . 132 Selektionskriterien für Produktideen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Kommunikationsmittel zwischen Produktmanagement und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Genauigkeitsanforderungen an einzelne Schätzphasen in einem Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Beispiele von Handlungsfeldern in den drei Nachhaltigkeitsdimensionen und auf verschiedenen Handlungsebenen. . . . . . . 203 Handlungsfelder für Produkte – Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Relevanzeinschätzung aktueller Themen der Regulierung. . . . . 234 Wertschöpfungsstufen eines Smartphones im Überblick. . . . . . 253 Wertschöpfungsstufen von Bier im Überblick . . . . . . . . . . . . . . 253 Auswirkungen auf der ersten Wertschöpfungsstufe von Smartphones. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Umweltbezogene Nachhaltigkeitsprobleme und Methoden zur Lösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Methoden umweltbezogenen Produktmanagements im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
XVII
XVIII
Tab. 8.3 Tab. 8.4 Tab. 10.1
Tab. 11.1
Tabellenverzeichnis
Sozial-ökonomische Nachhaltigkeitsprobleme und Methoden des Produktmanagements zu ihrer Lösung. . . . . 280 Methoden sozial-ökonomischen Produktmanagements im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der betriebswirtschaftlichen und der Nachhaltigkeitsperspektive auf das Produktmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Inhaltliche Entscheidungen, getrieben von Impulsen, bearbeitet anhand von Modellen und Methoden (beispielhafte Darstellung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
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Zweck, Beitrag und Struktur dieser Publikation
Zusammenfassung
Obwohl die Zahl an Publikationen zum „Nachhaltigen Produktmanagement“ überschaubar ist, bieten sie doch einen reichen Fundus an Leitprinzipien, Methoden und Vorgehensmodellen. Dieser soll zunächst überblickshaft rekapituliert werden (Abschn. 1.1). Im Lichte des Stands der Diskussion zum „Nachhaltigen Produktmanagement“ stellt sich die Frage, worin der Beitrag und die Ziele des vorliegenden Buches bestehen (Abschn. 1.2). Abgleitet davon ergibt sich die dreiteilige Struktur des vorliegenden Buchbeitrags (Abschn. 1.3). Abschließend wird nochmals explizit herausgestellt, worin die Leistungen, aber auch die Grenzen des vorliegenden Beitrags bestehen (Abschn. 1.4).
1.1 Der Stand der Diskussion zum „Nachhaltigen Produktmanagement“ Während die Zahl an Publikationen zum nachhaltigen unternehmerischen Handeln in den letzten zehn Jahren stetig wächst, bleibt die Zahl von Publikationen und Diskussionen zum Produktmanagement und zum „Nachhaltigen Produktmanagement“ überschaubar (vgl. beispielsweise Zimmerer 2014; Weber 2015; Scholz et al. 2018). Das ist insofern nachvollziehbar, als zahlreiche sozial-ökonomische Themen, die im Kontext der Nachhaltigkeit diskutiert werden, bisher vor allem auf gesamtunternehmerischer Ebene bearbeitet werden. Dies liegt auf der Hand, da z. B. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_1
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1 Zweck, Beitrag und Struktur dieser Publikation
das Einkommen und die Arbeitsbedingungen von Menschen in globalen Lieferketten eher vom allgemeinen Einkaufsverhalten von Unternehmen und weniger für einzelne Produkte bestimmt werden. Auf der anderen Seite stellt der Ansatzpunkt, ein Produkt nachhaltiger zu gestalten, eine Möglichkeit dar, „nachhaltige Entwicklung“ nicht nur als zusätzliche Anforderung an unternehmerisches Handeln zu formulieren, sondern sie in die operativen Prozesse zu integrieren. Dadurch, dass der Hauptzweck von Unternehmen darin besteht, Produkte und Dienstleistungen für Kunden zu erstellen und zu vermarkten, berührt „Nachhaltiges Produktmanagement“ direkt das Kerngeschäft eines Unternehmens. Auf der anderen Seite haben Produkte eine sehr hohe Relevanz für die Nachhaltigkeitsdiskussion, weil ihre Auswirkungen die umweltbezogenen und/oder sozial-ökonomischen Lebensgrundlagen direkt berühren. Die Beiträge, die sich dem Thema „Nachhaltiges Produktmanagement“ bislang gewidmet haben, lassen sich wie folgt kategorisieren: • Einerseits existieren Leitprinzipien für die Minimierung schädlicher Auswirkungen von Produkten auf Menschen und Umwelt. Gängig ist die Kategorisierung in Suffizienz, Konsistenz und Effizienz (vgl. Schneidewind und Palzkill 2012; Schneidewind 2018). Effizienz ist – bezogen auf die Umwelt – das dominierende Leitprinzip unter den drei genannten. Die anderen zwei Leitprinzipien sind herausfordernd für das konventionelle Produktmanagement sowie für bestehende Modelle des Wirtschaftens. • Den genannten Leitprinzipien können Methoden zugeordnet werden, die der Erfassung und Minimierung schädlicher Auswirkungen von Produkten auf die Umwelt und auf gesellschaftliche Lebensgrundlagen dienen. Umweltauswirkungen können z. B. mit Ökobilanzen (vgl. Frischknecht 2020) oder Carbon Footprints (vgl. ISO 2018) bearbeitet werden; ausbeuterische Arbeitsbedingungen und Gesundheitsgefahren sollen z. B. durch ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement (vgl. Gurzawska 2019) oder durch Produktzertifizierungen des fairen Handels (vgl. Sartor et al. 2016) ausgeschlossen werden. • Um die oben genannten Methoden für die unternehmerische Praxis umsetzbar zu machen, wurden Modelle entworfen. Prominent behandelt wird hier die Phase des Produktdesigns, die umweltschonende Produktfunktionen von Modularität bis zur Wiederverwertung von Materialien für neue Produkte ermöglichen kann (vgl. Tischner und Diez 2000; Vezzoli 2018; Ceschin und Gaziulusoy 2020). Ebenfalls relevant sind Ansätze zur Gestaltung von Dienstleistungen statt von Produkten, womit nicht nur der Ressourceneinsatz vermindert, sondern auch Gemeinschaft unter den Nutzenden gestiftet werden kann (vgl. Ceschin 2014).
1.2 Beitrag und Ziele des vorliegenden Buchs
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Abb. 1.1 Die Wechselwirkungen von Leitprinzipien, Methoden und Modellen im „Nachhaltigen Produktmanagement“
Leitprinzipien, Methoden und Modelle verstärken ihre Bedeutung in der Diskussion zum „Nachhaltigen Produktmanagement“ wechselseitig: Ein Leitprinzip, das als relevant für Nachhaltigkeit erachtet wird, fordert die Konkretisierung in Methoden. Methoden wiederum müssen im unternehmerischen Kontext durch Modelle verortet werden. Modelle wiederum bringen neue Ideen und Methoden zutage. So entsteht ein sich selbst verstärkender Diskussionszyklus (vgl. Abb. 1.1). Die Frage, inwiefern sich dieser Diskussionszirkel in den Realitäten der unternehmerischen Praxis wiederfindet, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Die Frage bildet einen Ausgangspunkt für den hier vorliegenden Buchbeitrag.
1.2 Beitrag und Ziele des vorliegenden Buchs Der hier vorliegende Buchbeitrag beabsichtigt weder, ein neues Leitprinzip, noch eine Methode, noch ein neues Vorgehensmodell für das „Nachhaltige Produktmanagement“ vorzuschlagen. Die Autorin und der Autor vertreten die Position, dass das betriebswirtschaftliche und das Nachhaltigkeitshandeln von Unternehmen jeweils unterschiedlichen Handlungslogiken folgen. Betriebswirtschaftliches Handeln verfolgt den
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1 Zweck, Beitrag und Struktur dieser Publikation
Zweck, Produkte wirksam und wirtschaftlich zu erstellen und zu vermarkten. Entsprechend folgt es der Handlungslogik, die Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität dieser Produkte sicherzustellen. Das Nachhaltigkeitshandeln berücksichtigt nicht nur die Unternehmensperspektive, sondern auch die Perspektiven unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und verfolgt den Zweck, die umweltbezogenen und sozial-ökonomischen Lebensgrundlagen der Gesellschaft für die Zukunft sicherzustellen. Die Relevanz für das Produktmanagement ist darin begründet, dass diese Lebensgrundlagen auch die Basis für das eigene Wirtschaften darstellen und somit ihre Zerstörung langfristig auch das eigene Handeln verunmöglicht. Kurzfristige betriebswirtschaftliche Relevanz erlangen Nachhaltigkeitsthemen jedoch nur dann, wenn sie für die betriebswirtschaftliche Logik anschlussfähig sind. Das heißt, wenn die Verbesserung der Nachhaltigkeitsauswirkungen ihrer Produkte zugleich die Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und/oder Profitabilität ihrer Produkte innerhalb von Monaten oder Jahren verbessert. Insofern bestehen die drei Aufgaben des „Nachhaltigen Produktmanagements“ darin… 1. …die Sichtweise des betriebswirtschaftlichen Handelns und die Sichtweise des nachhaltigen Handelns in ihrer je eigenen Logik transparent zu machen; 2. …Punkte aufzuzeigen, an denen Entscheidungen für oder gegen betriebswirtschaftlich optimierte oder nachhaltigere Produkte getroffen werden können oder müssen; 3. …die jeweiligen Konsequenzen dieser Entscheidungen für das betriebswirtschaftlich orientierte Produktmanagement einerseits und für das nachhaltigkeitsorientierte Produktmanagement andererseits aufzuzeigen. Diese drei Ziele verfolgt der vorliegende Buchbeitrag. Diese Ziele können nicht aus einer einzigen Sichtweise erreicht werden. Die Analyse und Interpretation von betriebswirtschaftlichen und nachhaltigkeitsbezogenen Ansätzen des Produktmanagements benötigt unterschiedliche Perspektiven, die sich wechselseitig ergänzen. Der Autor der Kap. 2–4 (Produktmanagement aus betriebswirtschaftlicher Sicht) ist im betriebswirtschaftlichen Produkt-, Projekt- und Prozessmanagement verwurzelt. Diese Themen hat er in der Vergangenheit in unterschiedlichen Großunternehmen aus der IT- und Automotive-Branche vertreten und vertritt sie heute noch in Forschung, Lehre und Beratung. Dabei ist er insbesondere durch angloamerikanische und „Lean Management“-Ansätze zur Konzeptionierung dieser Themenbereiche geprägt, auch im Bereich des Produktmanagements.
1.3 Struktur des vorliegenden Buchs
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Die Autorin der Kap. 5–9 (Produktmanagement aus Nachhaltigkeitssicht) ist geprägt durch ihre Praxis der Beratung von großen und Mittelstandsunternehmen bei Nachhaltigkeitsmanagement und -berichterstattung unter Nutzung internationaler Standards und bei der nachhaltigen Produktentwicklung, untermauert durch den Transfer von aktuellem Wissen aus Forschungsinstituten. Ihre Themen in Forschung und Lehre beinhalten Governance-, Gender- sowie inter- und transdisziplinäre Perspektiven auf nachhaltige Entwicklung.
1.3 Struktur des vorliegenden Buchs Im ersten Teil wird Produktmanagement aus der Perspektive und Logik betriebswirtschaftlichen Handelns behandelt. Dies geschieht durch den Autor, der in diesem Denken verwurzelt ist. In diesem Zusammenhang wird zuerst auf den Zweck, die Aufgaben, die Rolle und die Organisation des Produktmanagements eingegangen und damit die Frage beantwortet: „Was ist Produktmanagement?“ (Kap. 2). Danach werden der Begriff des Produkts, Erfolgskriterien für ein Produkt sowie Möglichkeiten der Steuerung des Produkterfolgs durch P rodukt-Controlling behandelt und damit die Frage beantwortet: „Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?“ (Kap. 3). Im dritten Schritt wird dann auf den Prozess des Produktmanagements mit den Phasen Produktentdeckung, Produktdefinition, Produktrealisierung, Markteinführung und Produktelimination eingegangen. Damit wird eine Antwort auf die Frage gegeben: „Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht erfolgreich gemacht?“ (Kap. 4). Im zweiten Teil wird Produktmanagement aus Nachhaltigkeitssicht betrachtet. Diese Sichtweise vertritt die Autorin, die im Feld der nachhaltigen Entwicklung von Unternehmen und Produkten verankert ist. Dazu werden zuerst die Handlungsfelder und die Ziele nachhaltigen Produktmanagements aus dem globalen Nachhaltigkeitsdiskurs und aus den Bedrohungen der Menschheit abgeleitet. Damit wird die Frage beantwortet, „Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?“ (Kap. 5). Anschließend werden die Motivationen analysiert, aufgrund derer Unternehmen Nachhaltigkeit im Produktmanagement umsetzen, wobei Impulse, Regulierung und Risiken beschrieben werden. Damit ist die Frage beantwortet: „Was motiviert Unternehmen zu nachhaltigem Produktmanagement?“ (Kap. 6). Welche Bedeutung die verschiedenen Stufen der (aus betriebswirtschaftlicher Sicht: erweiterten) Wertschöpfungskette für das nachhaltige Produktmanagement
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1 Zweck, Beitrag und Struktur dieser Publikation
haben, ist zur Beantwortung der Frage: „Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette von Produkten?“ Thema von Kap. 7. Um Produktauswirkungen umfassend analysieren zu können, werden bekannte und weniger stark verbreitete umweltbezogene und sozial-ökonomische Methoden vorgestellt. Damit wird die Frage: „Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig verbessert werden?“ (Kap. 8) beantwortet. Anschließend werden vier Modelle entwickelt, die unterschiedliche Reichweiten von Produktverbesserungen ermöglichen. Damit wird die Frage beantwortet: „Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?“ (Kap. 9). Im dritten Teil werden die beiden Sichtweisen auf das nachhaltige Produktmanagement zusammengebracht. Dazu werden zunächst Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der betriebswirtschaftlichen und der Nachhaltigkeitsperspektive auf den Punkt gebracht (Kap. 10). Anschließend wird die Frage bearbeitet, wie Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement kommen. Die Antwort wird in zwei Schritte gegliedert. Im ersten Schritt werden die handlungsauslösenden Impulse wiederaufgegriffen und anhand von Beispielen mit den Modellen kombiniert, um so unterschiedliche inhaltliche Themensetzungen und unterschiedliche Reichweiten nachhaltigen Produktmanagements erläutern zu können (Abschn. 11.1). Im zweiten Schritt wird ausgeführt, welche Aufgaben sich daraus für das Produktmanagement ergeben. Diese Ausführungen orientieren sich an den Phasen und Aufgaben des Produktmanagement-Prozesses und werden ebenfalls durch Beispiele erläutert (Abschn. 11.2). Dabei werden nicht alle Fragen beantwortet, sondern es bleiben Fragen zu Strategien, zur Organisation und zur Kommunikation im nachhaltigen Produktmanagement offen, die als Forschungsdesiderate und als praktische Gestaltungsaufgaben ausformuliert werden und mit denen das Buch endet (Abschn. 11.3).
1.4 Leistungen und Grenzen des vorliegenden Buchs Die Leistungen des vorliegenden Beitrags liegen erstens darin, dass die betriebswirtschaftliche und die Nachhaltigkeitssicht auf unternehmerisches Handeln in ihrer je eigenen Logik zum Tragen kommen, bevor vorschnell nach Integrationsmöglichkeiten gesucht wird. Durch diese Vorgehensweise kommen zweitens auch Konflikte zum Vorschein, die sich nicht auf dieser Ebene lösen lassen, sondern Lösungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene benötigen. Drittens werden die betriebswirtschaftlichen und die Nachhaltigkeitskonzepte nicht nur
1.4 Leistungen und Grenzen des vorliegenden Buchs
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konzeptionell dargestellt, sondern anhand von zwei durchgängigen Produktkategorien veranschaulicht: Smartphone und Bier. Anhand dieser bewusst gewählten, sehr unterschiedlichen, Produktbeispiele soll illustriert werden, welche Stellschrauben zu nachhaltigeren Produkten führen können. Die Grenzen des vorliegenden Beitrags bestehen darin, dass einige Aspekte außen vorgelassen werden: Ausgeblendet werden unternehmensweite Projekte, die auf die nachhaltige Entwicklung des gesamten Unternehmens abzielen. Diese Projekte werden jedoch bisher nur selten in das institutionalisierte Produktmanagement integriert. Noch seltener wird das Produktmanagement systematisch für die Nachhaltigkeitsthemen geöffnet. Ausgeklammert aus der Betrachtung bleiben ferner gesellschaftlich relevante Themen, wie beispielsweise die politische und rechtliche Rahmung des Zusammenwirkens von Unternehmen und Kundinnen durch internationale Handels- und Finanzinstitutionen, nicht-monetarisierbare Produkte und Dienstleistungen, die nicht-bezahlte Care- und Versorgungsarbeit, sowie die Gründe für die herrschenden Wirtschaftsordnungen und Lebensstile. Dies führt zu einer Fokussierung: Es werden derzeit dominante Geschäftsmodelle, bestehende Unternehmen und aktuell in Unternehmen umsetzbare schrittweise Verbesserungen in Richtung Nachhaltigkeit betrachtet. Daher der Titel „Produktmanagement“. Gemanagt wird in Unternehmen das Aktuelle. Dem Autor und der Autorin ist bewusst, dass sie damit alternativen Geschäftsmodellen, Strukturfragen der Ausrichtung des Wirtschaftens (z. B. Degrowth-, Regionalisierungs-, Demokratisierungs- und globalisierungskritischen Ansätzen) und der Rolle von Unternehmen als politische Akteure und Lobbyorganisationen im Rahmen einer breiteren Nachhaltigkeitstransformation nur wenig Raum einräumen. Würden diese Ansätze realisiert werden, würden weit größere Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit bewirkt werden. Ziel des Buches ist es, Prozesse innerhalb konventioneller Unternehmen zu analysieren, ihre Logiken und Grenzen transparent zu machen und nur die in diesem begrenzten Rahmen bestehenden Ansätze und Instrumente für eine schrittweise nachhaltigere Gestaltung von Produkten darzustellen. Es wird zudem abstrahiert von der rechtlichen Unternehmensform: Es gibt eine ausführliche Diskussion darüber, dass familiengeführte und genossenschaftlich organisierte Unternehmen aufgeschlossener für nachhaltige Entwicklung sind als Aktiengesellschaften und diesbezügliche Aktivitäten allein aufgrund anderer zeitlicher Planungshorizonte ernsthafter betreiben (vgl. Schneidewind 2018, S. 379–392). Das Buch hat in erster Linie den Anspruch der Praxisrelevanz: Die Schritte gelingenden betriebswirtschaftlichen Produktmanagements und die Lösungsansätze
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1 Zweck, Beitrag und Struktur dieser Publikation
für umweltbezogene und sozial-ökonomische Probleme sollen für Unternehmensmitglieder im Produktmanagement jeder Unternehmensform Inspiration und Information sein. Für Studierende aus betriebswirtschaftlichen Studiengängen soll der vorliegende Beitrag einen Überblick über das Produktmanagement und Nachhaltigkeitsansätze darin bieten.
Literatur Ceschin F (2014) Sustainable product-service systems: between strategic design and transition studies. Springer, Cham Ceschin F, Gaziulusoy I (2020) Design for Sustainability: a multi-level framework from products to socio-technical systems. Routledge, New York Frischknecht R (2020) Lehrbuch der Ökobilanzierung. Springer, Berlin Gurzawska A (2019) Towards responsible and sustainable supply chains – innovation, multi-stakeholder approach and governance. Philos Manag. https://doi.org/10.1007/ s40926-019-00114-z ISO (2018) Treibhausgase -Carbon Footprint von Produkten -Anforderungen an und Leitlinien für Quantifizierung. DIN EN ISO 14067. Deutsche und Englische Fassung EN ISO 14067:2018. DIN Deutsches Institut für Normung e. V. Beuth Verlag, Berlin Sartor M et al (2016) The SA8000 social certification standard: literature review and theory-based research agenda. Int J Prod Econ 175:164–181 Schneidewind U (2018) Die große Transformation: Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. Fischer, Frankfurt Schneidewind U, Palzkill A (2012) Suffizienz als Business Case Nachhaltiges Ressourcenmanagement als Gegenstand einer transdisziplinären Betriebswirtschaftslehre. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal Scholz U et al (2018) Praxishandbuch Nachhaltige Produktentwicklung: Ein Leitfaden mit Tipps zur Entwicklung und Vermarktung nachhaltiger Produkte. Springer, Berlin Tischner U, Dietz B (2000) Der EcoDesign Prozess. In: Tischner U et al (Hrsg) Was ist EcoDesign? Ein Handbuch für ökologische und ökonomische Gestaltung. Form, Frankfurt, S 39–63 Vezzoli CA (2018) Design for environmental sustainability. Life cycle design of products, 2. Aufl. Springer, London Weber T (2015) Das Spannungsfeld von CSR und Produktmanagement. In: Weber T (Hrsg) CSR und Produktmanagement: Langfristige Wettbewerbsvorteile durch nachhaltige Produkte. Springer Gabler, Wiesbaden, S 1–25 Zimmerer C (2014) Nachhaltige Produktentwicklung: Integration der Nachhaltigkeit in den Produktentstehungsprozess. Disserta, Hamburg
Teil I Produktmanagement aus betriebswirtschaftlicher Sicht
2
Was ist Produktmanagement?
Zusammenfassung
Es kann (noch) nicht vorausgesetzt werden, dass allgemein bekannt ist, was Produktmanagement aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist. Deshalb soll im Folgenden der Begriff des Produktmanagements anhand von fünf grundlegenden Aspekten eingeführt werden: Zunächst macht die Erfolgs- bzw. Misserfolgsquote von Neuprodukten deutlich, wozu Produktmanagement benötigt wird (Abschn. 2.1). In einem zweiten Schritt werden anhand des betriebswirtschaftlichen Produkt-Lebenszyklus die Aufgaben des Produktmanagements skizziert (Abschn. 2.2). Diese Aufgaben können entweder von der Unternehmensleitung oder von der Rolle der Produktmanagerin wahrgenommen werden. Letztere hat sich im Laufe der vergangenen 90 Jahre in bestimmten Situationen aus der Rolle der Unternehmensführung ausdifferenziert und professionalisiert (Abschn. 2.3). Mit der Existenz einer eigenständigen Rolle einer Produktmanagerin stellen sich die Fragen, was diese Rolle können muss und wie sie diese Kompetenzen erlernt (Abschn. 2.4). Weiterhin muss geklärt werden, wie eine eigenständige Rolle „Produktmanagerin“ in die Organisationsstruktur eines Unternehmens integriert wird (Abschn. 2.5). Mit diesen fünf Aspekten, welche die Verantwortung, Aufgaben, Kompetenzen und Organisation des Produktmanagements definieren, soll das in diesem Buch zugrunde gelegte Verständnis des Produktmanagements dargelegt werden.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_2
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2 Was ist Produktmanagement?
2.1 Zweck des Produktmanagements Die Fragestellung, wozu Produktmanagement benötigt wird und worin dessen spezifischer Beitrag liegt, lässt sich durch einen Blick auf die Erfolgsquote von Neuprodukten am Markt beantworten. Bei der Frage nach der Misserfolgsquote von Neuprodukten am Markt wird in Diskussionen vielfach die Zahl 80–90 % angeführt. Diese hohe Zahl, die aus Veröffentlichungen aus den frühen 60er Jahren stammt (vgl. O’Meara 1961; Schorr 1961), lässt sich jedoch durch empirische Studien nicht belegen (vgl. Castellion und Markham 2012). Zunächst darf die Erfolgsrate von Produkten nicht mit der Erfolgsrate von Produktideen in den frühen Phasen des Innovationsprozesses verwechselt werden. So wird oft die Studie Stevens und Burley (1997) zitiert, dass von 3000 Produktideen gerade einmal zwei Ideen (0,07 %) zu marktfähigen Produkten führen. Ähnlich kommt die Studie von IDEO zum Ergebnis, dass für 12 verkaufbare Spielzeuge in einem Designstudio insgesamt 4000 Produktideen (0,3 %) erforderlich waren (Sutton 2007, S. 10). Die deutsche Kienbaum-Studie zu derselben Fragestellung, wie viele Ideen für vermarktbare Produkte erforderlich sind, resümiert eine Erfolgsrate von 52 Produkten aus 1919 Produktideen (2,7 %) (vgl. Berth 1993; Horton 2012). Die genannten Studien belegen jedoch weniger eine hohe Misserfolgsrate von Produkten als vielmehr einen erfolgreichen Ideenselektionsprozess vor der Markteinführung. Von einem Misserfolg von Neuprodukten soll hier folglich nur gesprochen werden, wenn das Produkt innerhalb eines Zeitraums von maximal drei Jahren nach Markteinführung die anvisierten Umsatz- und Profitabilitätsziele nicht erreicht hat. Diese Definition macht „Produkt-Misserfolg“ unabhängig von der unternehmerischen Entscheidung, ob diese Produkte in der Folge eliminiert oder aus bestimmten Gründen im Portfolio belassen werden. Ferner lässt dieses Verständnis unberücksichtigt, wie realitätsnah die jeweiligen Umsatz- und Profitabilitätsziele zeitlich und quantitativ gesetzt wurden. Im Hinblick auf die oben zitierten Studien ist also nicht die Anzahl der Ideen maßgebend, sondern der Markterfolg der Produkte. Gemessen an dieser Definition liegt die Erfolgsquote von Neuprodukten am Markt in der Studie des „Industrial Research Institutes“ bei 50 %1 (vgl. Stevens und Burley 1997), in der IDEO-Studie bei 16,7 %2 (vgl. Sutton 2007) und bei
1ein 210
von zwei auf dem Markt eingeführten Produkte erreichten ihre definierten Ziele nicht. von 12 auf dem Markt eingeführten Produkte erreichten ihre definierten Ziele nicht.
2.1 Zweck des Produktmanagements
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der Kienbaum-Studie bei 15,9 %3 (vgl. Berth 1993; Horton 2012). In anderen empirischen Studien zu Misserfolgsquoten von Neuprodukten am Markt liegt diese im Mittelwert zwischen 35 % und 45 %. Das bedeutet, dass 4 von 10 im Markt eingeführte Neuprodukte (40 %) ihre Umsatz- und Profitabilitätserwartungen nicht erfüllen. Invers betrachtet erreichen also im Durchschnitt 6 von 10 auf dem Markt befindliche Neuprodukte (60 %) ihre Umsatz- und Profitabilitätsziele (vgl. Booz Allen Hamilton 1968, 1982; Crawford 1977, 1987; Page 1993; Griffin 1997; Cooper et al. 2004a, b, c; Edgett 2010; Edgett und Cooper 2012; Crawford und Benedetto 2014; Lee und Markham 2016; Cooper 2017). Exemplarisch für diese Forschungsergebnisse sollen hier die Studien von Robert G. Cooper und Scott J. Edgett bei über 200 US-amerikanischen Unternehmen genauer betrachtet werden (vgl. Edgett 2010; Edgett und Cooper 2012; Cooper 2017). Bei den untersuchten Unternehmen haben im arithmetischen Mittelwert etwa 45 % der Neuprodukte die an sie gestellten Umsatz- und Profitabilitätsziele nicht erreicht. Interessant ist jedoch an diesen Studien nicht allein der Durchschnittswert, sondern die Verteilung der Werte. Es lassen sich nämlich wiederholt die besten 25 % der Unternehmen klar unterscheiden von „dem Rest“. Diese Segmentierung wird auch durch die oben erwähnten PDMA-Studien bei anderen Unternehmen bestätigt (vgl. Lee und Markham 2016). Die Differenzierbarkeit von „guten“, „mittelmäßigen“ und „schlechten“ Unternehmen bei der Markteinführung von Neuprodukten weist darauf hin, dass Produkterfolg weniger dem Zufall als vielmehr unternehmerischen Praktiken zugeschrieben werden kann (vgl. Abb. 2.1). In anderen Worten kann ein gutes und richtiges Management von Produkten die Wahrscheinlichkeit des Markterfolgs deutlich erhöhen. Dieses Management von Produkten beginnt idealerweise vor der Markteinführung mit der Findung und Selektion der Produktideen. Es kann jedoch – mit begrenzterem Gestaltungsspielraum – auch nach der Markteinführung den Produkterfolg beeinflussen. Mit diesen Feststellungen ist bereits der Zweck des Produktmanagements beschrieben: Zusammenfassung. Der Zweck des Produktmanagements
Der Zweck des Produktmanagements besteht darin, Produkte über ihren Lebenszyklus hinweg am Markt erfolgreich zu machen und erfolgreich zu halten. Dies ist nicht selbstverständlich, sondern eine unternehmerische Aufgabe, da durchschnittlich 4 von 10 Produkten am Markt ihre Umsatz- und/
328
von 176 auf dem Markt eingeführten Produkte.
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2 Was ist Produktmanagement?
Abb. 2.1 Erfolgsquote von Neuprodukten am Markt (vgl. Edgett 2010)
oder Profitabilitätsziele nicht erreichen. In anderen Worten hat eine Produktmanagerin die Aufgabe der Unternehmensführung auf der Ebene eines Produkts, einer Produktlinie oder eines Produktportfolios (vgl. Lennertz 2006; Albers und Herrmann 2007; Geracie und Eppinger 2013; Gaubinger et al. 2015; Haines 2014; Hofbauer und Sangl 2017; Haines 2019; Matys 2018).4 ◄
2.2 Aufgaben des Produktmanagements Die Aufgaben, die erforderlich sind, um diesen Zweck wirksam zu erfüllen, lassen sich am besten anhand des betriebswirtschaftlichen Produkt-Lebenszyklus darstellen, der in unterschiedlichen Monographien unterschiedlich detailliert und segmentiert wird (vgl. Gorchels 2011; Geracie und Eppinger 2013; Crawford und Benedetto 2014; Haines 2014; Cooper 2017; Matys 2018; Haines 2019).
4Andere
Autoren definieren Produktmanagement enger als Marktanalyse und die Gestaltung des Marketings für ein Produkt oder eine Produktlinie (vgl. Lehmann und Winer 2004; Großklaus 2009; Herrmann und Huber 2013; Pepels 2017; Steinhardt 2017; Aumayer 2019). Dies wird hier lediglich als eine – wenn auch zentrale – Aufgabe des Produktmanagements verstanden.
2.2 Aufgaben des Produktmanagements
15
Der betriebswirtschaftliche Produkt-Lebenszyklus ist ein Modell, um den Prozess eines Produkts von der Produktentstehung bis hin zur Marktelimination (oder dem Relaunch) anhand von finanzwirtschaftlichen Kenngrößen zu beschreiben (Vernon 1966; Rink und Swan 1979; Day 1981; Höft 1992; Cao und Folan 2011). In idealtypischer Form wird er meist wie folgt beschrieben (vgl. Abb. 2.2). Der Produkt-Lebenszyklus beginnt mit der Produktentstehungsphase, in der Produktideen gesammelt und selektiert, das Produkt definiert, entwickelt und für den Markt vorbereitet wird. In dieser Phase werden Kosten und Cash-Outflows durch keine Umsätze gedeckt, weshalb sowohl die Liquidität als auch der Gewinn stark negativ ist. In den nachfolgenden Phasen der Markteinführung und des (vermuteten) Wachstums steigen die Umsätze langsam an, erfordern jedoch weiterhin hohe Auszahlungen für die Markteinführung. In der Reifephase, wenn das Produkt auf dem Markt etabliert ist, können diese reduziert werden, wodurch sich Gewinn und Liquidität – etwas zeitverschoben – sehr positiv entwickeln. Bedingt durch veränderte Kundenbedürfnisse, Technologiewandel und/oder neue Wettbewerber setzt schließlich eine Rückgangsphase ein, in der noch immer positive, aber rückläufige Umsätze, Gewinne und Cashflows zu verzeichnen sind. Dies führt schließlich zur Marktelimination oder zu einem Produkt-Relaunch.
Abb. 2.2 Der idealtypische Produkt-Lebenszyklus aus Unternehmenssicht. (In Anlehnung an: Rink und Swan 1979; Day 1981; Höft 1992; Sattler 2003; Cao und Folan 2011)
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2 Was ist Produktmanagement?
Abb. 2.3 Mögliche Produktlebenszyklen in der Praxis (vgl. Matys 2018, S. 122)
Dieser idealtypische Produkt-Lebenszyklus kann in der Praxis sehr unterschiedliche Verläufe nehmen. Diese Verläufe können auf der Basis wiederholter empirischer Bestätigungen unterschiedlich beschrieben werden (vgl. Matys 2018; Rink und Swan 1979; Cao und Folan 2011) (Abb. 2.3). Aus diesem Grund erfordert jede Produkt-Lebenszyklusphase unterschiedliche Management-Schwerpunkte (Tab. 2.1). Das Konzept des Produkt-Lebenszyklus markiert somit die grundlegenden Aufgaben der Produktmanagerin. Diese Aufgaben können wie folgt zusammengefasst werden (Abb. 2.4). In Abb. 2.4 markieren die Aufgaben „Produktideen finden und selektieren“, „Produktkonzept(e) und Geschäftsmodell(e) entwerfen“, „Produktkonzept(e) und Geschäftsmodell(e) realisieren“ und „Markteinführung vorbereiten und durchführen“ die Aufgabenpakete, die Linda Gorchels (2011, S. 145–248) als „Upstream Product Management“ bezeichnet: Die Phasen nach der „Markteinführung“ konstituieren dagegen das „Downstream Product Management“ (vgl. Gorchels 2011, S. 249–325). Beginnt man in der ersten Phase des Produkt-Lebenszyklus, der Produktentstehung, wird deutlich, dass diese Aufgaben mit denjenigen identisch sind, die unter dem Begriff „Innovationsmanagement“ firmieren (vgl. Thom 1980, S. 26–32; Hauschildt und Salomo 2010, S. 67–69; Vahs und Brem 2013,
Eine Zu definieren Zu definieren Zu definieren
Anzahl Produktvarianten
Zahl an Vertriebskanälen
Kommunikationsaktivitäten
Zielgruppen, Leistungen, Differenzierung bestimmen
MarketingSchwerpunkte
Preisstrategie
Schnelle Markteinführung
Finanz-wirtschaftliche Schwerpunkte
Hoch
Sehr hoch Keine bis wenige
Stückkosten
Wettbewerberzahl
Informieren, beraten
Limitiert
Niedrig? Abschöpfend?
Überzeugen
Steigend
Differenziert
Mehrere
Kunden Gewinnen
Aufmerksamkeit wecken
Eine
Umsatz steigern
Steigend
Sinkend
Steigend
Steigend
Stark steigend
Wachstum
Absatz steigern
Keine bis wenige
Stark negativ Negativ
Stark negativ Stark negativ
Liquidität
Gewinn
Gering
Null
Einführung
Umsatz
Entstehung
Erinnern, überzeugen
stagnierend
Differenziert
Viele
Kunden halten Marktanteile verteidigen
Umsatz halten Kosten reduzieren
Stark steigend
Stark sinkend
Steigend
Stark steigend
Stagnierend
Reife
Umorientieren
Sinkend
Kostenorientiert
Reduziert
Kunden Umorientieren
Kosten reduzieren
Sinkend
Steigend
Sinkend
Stark sinkend
Sinkend
Rückgang
Tab. 2.1 Management-Schwerpunkte in den jeweiligen Produkt-Lebenszyklusphasen. (In Anlehnung an Meffert und Burmann 2000, S. 430–433; Kotler 2016, S. 370–380; Steinhardt 2017, S. 79–86; Aumayr 2019, S. 276–280)
2.2 Aufgaben des Produktmanagements 17
18
2 Was ist Produktmanagement?
Abb. 2.4 Aufgaben des Produktmanagements entlang des betriebswirtschaftlichen Produkt-Lebenszyklus. (In Anlehnung an Geracie and Eppinger 2013, S. 113–121; Crawford und Di Benedetto 2014, S. 29–36; Haines 2014, S. 21–25; Gaubinger 2015, S. 35–38; Steinhardt 2017, S. 83 f.; Matys 2018, S. 148–162; Aumayr 2019, S. 262–280)
S. 27–31): Es geht zunächst darum, marktfähige Innovationsideen zu finden und zu selektieren. Ideen reichen jedoch nicht aus, um eine (Er-)Findung als „Innovation“ zu klassifizieren; sie müssen dazu auch wirtschaftlich verwertet werden (vgl. Vahs und Brem 2013, S. 20–24). Deshalb müssen in dieser Phase marktfähige Produktideen zu lieferbaren und profitablen Produktkonzepten und Geschäftsmodellen weiterentwickelt werden. Dies beinhaltet ein Produktkonzept und Produktdesign, eine Marktpositionierung und ein Marketingkonzept, ein Wertschöpfungsmodell und funktionierende Geschäftsprozesse sowie eine Profitabilitätsabschätzung und einen attraktiven Business Case.(vgl. Holzbaur 2007; Eigner und Stelzer 2009; Osterwalder und Pigneur 2010; Mascitelli 2011; Ulrich und Eppinger 2012; Gassmann et al. 2017; Trott 2017; Matys 2018; Jantzer 2019). Diese, teilweise parallel ablaufenden, Aktivitäten kulminieren dann in der Markteinführung. In der Phase der Markteinführung muss sichergestellt werden, dass ein marktfähiges, lieferbares und potenziell profitables Produkt für den Markt bereitsteht und dass alle Interessensgruppen, insbesondere Vertriebskanäle und Kunden, darüber hinreichend informiert sind (vgl. Kuhn 2007; Pepels 2012; LeBlanc 2018). In den Phasen des Wachstums und der Reife liegen die Schwerpunkte des Produktmanagements dann auf dem Produkt-Controlling. Darunter werden die
2.2 Aufgaben des Produktmanagements
19
Aufgaben verstanden, erstens datenbasierte Soll-Ist-Vergleiche der Entwicklung des Produkts auf dem Markt zu erheben, zu analysieren und zu beurteilen und zweitens, sofern notwendig, Entscheidungen zur Verbesserung des Produkts und/ oder des Geschäftsmodells zu initiieren (vgl. Hofbaur und Sangl 2017, S. 510– 530; Jacobs 2019). Wesentlich ist hierbei nicht die Definition von Kennzahlen und die Erhebung von Daten, was meist als klassische Aufgabe des Controllings angesehen wird, sondern die Ursachenanalyse sowie die Konzeption von wirksamen und umsetzbaren Maßnahmen, die Abweichungsursachen adressieren. Erst dadurch wird „Produktkontrolle“ zur „Produktsteuerung“ und damit eine Managementaufgabe (vgl. Reichmann et al. 2017; Horváth et al. 2020; Weber und Schäfer 2020). Die Phase des Rückgangs eines Produkts kann unterschiedliche Entscheidungen erfordern: Ein „Abschöpfen“ verbleibender Umsatzpotenziale, einen „Relaunch“ des Produkts oder dessen Elimination aus dem Markt. Während die ersten beiden Strategien zu den Aufgaben des Produkt-Controllings gerechnet werden können, stellt die Produktelimination eine Entscheidung eigener Art dar. Dieses Thema wird im Produktmanagement relativ wenig diskutiert, was deshalb verwundert, weil das Modell des Produkt-Lebenszyklus diese Phase notwendigerweise einschließt (vgl. Meffert et al. 2015, S. 425–428). Diese Aufgaben skizzieren die Spannweite möglicher Schwerpunkte im Produktmanagement. Es ist leicht einsichtig, dass diese Spannweite sowohl quantitativ als auch qualitativ in der Regel zu breit ist, um von einer Person wahrgenommen werden zu können. Deshalb soll im Folgenden auf die Rolle der Produktmanagerin eingegangen werden. Zusammenfassung: Die Aufgaben des Produktmanagements
Die Aufgaben des Produktmanagements erstrecken sich grundsätzlich über alle Phasen des Produkt-Lebenszyklus. Innerhalb der jeweiligen Phasen kann das Produktmanagement folgende Aufgabenschwerpunkte wahrnehmen: • In der Phase der Produktentstehung die Erzeugung und Selektion von Produktideen, die Definition sowie die Realisierung von Produktkonzepten und Geschäftsmodellen; • in der Phase der Einführung die Vorbereitung und Durchführung der Markteinführung; • in den Phasen des Wachstums und der Reife die Überwachung und Steuerung des Produkterfolgs am Markt; • in der Phase des Rückgangs die Produktelimination. ◄
20
2 Was ist Produktmanagement?
2.3 Rolle der Produktmanagerin Legt man die in Abschn. 2.1 und 2.2 formulierten Definitionen des Zwecks und der Aufgaben des Produktmanagements zugrunde, so liegt die Verantwortung für diese Aufgabe grundsätzlich bei der Unternehmensleitung. Genau dort ist diese Funktion, insbesondere in kleinen Unternehmen mit einem überschaubaren Produktportfolio, bis heute angesiedelt. Die Rolle des Produkt-, Produktlinienbzw. Portfoliomanagers wird dort – abhängig von der Rechtsform des Unternehmens – von einem Einzelunternehmer, einem Gesellschafter, Geschäftsführer oder Vorstand wahrgenommen. Die Ausdifferenzierung der spezifischen Rolle einer „Produktmanagerin“ wird dann erforderlich, wenn das Produktportfolio zu unübersichtlich und zu diversifiziert wird, als dass die Aufgabe noch von einer Verantwortlichkeit wahrgenommen werden kann. Dies geschah erstmals 1931 in den USA bei dem Mehrmarkenkonzern Procter & Gamble. Die Geburt der Produktmanagerin „Der Geburtstag des modernen Produktmanagements ist nach Ansicht von Wirtschaftshistorikern der 13. Mai 1931. Kurz zuvor war Neil McElroy, damaliger Leiter der Werbeabteilung des US-Konzerns Procter & Gamble (P&G), gebeten worden, sich um die Markteinführung des neuen Seifenprodukts „Camay“ zu kümmern. Dadurch sollte jedoch der Erfolg der im Markt schon etablierten P&G-Seife „Ivory“ so wenig wie möglich gefährdet werden. McElroy schlug daher in einem Memorandum mit dem obigen Datum vor, dass er nicht nur für die Werbung der neuen Seife, sondern – als Chef eines Ein-ProduktUnternehmens und organisatorisch herausgelöst aus der Marketinggruppe „Seifen“ – auch für alle übrigen Produktaufgaben und damit insgesamt für den Markterfolg des Produktes „Camay“ die Verantwortung übernehmen sollte. Richard Depreu, der damalige Präsident von P&G, war von dem neuen Managementkonzept bald so überzeugt, dass es nach bestandener Prüfung im Markt für alle neuen Produkte des Unternehmens übernommen wurde. Dahinter stand die Erkenntnis, dass durch die maßgeschneiderte Betreuung der einzelnen, häufig sogar konkurrierenden Produkte einer Firma der Markterfolg jedes einzelnen Produktes und damit der Unternehmenserfolg gesteigert werden kann.“ (Lennertz 2006, S. 10).
Procter & Gamble ist heute mit weit über 100 Marken und 67 Mrd. US$ Umsatz der weltweit größte Hersteller von „Fast Moving Consumer Goods“ (FMCG) in den Produktsparten Babypflege, Textilpflege, Damenhygiene, Haarpflege, Haushaltspflege, Rasur, Gesundheit, Mundpflege und Hautpflege (Procter und Gamble 2019). Es ist leicht einsichtig, dass diese unterschiedlichen Produkt- und Marktgruppen eine eigenständige Betreuung durch Produktmanager benötigen (vgl. Abb. 2.5). Die Entstehung der eigenständigen Rolle der Produktmanagerin ist somit ein Ergebnis der Verlängerung und/oder Verbreiterung von Produktportfolios.
2.3 Rolle der Produktmanagerin
21
Abb. 2.5 Das Produktportfolio von Procter & Gamble. (In Anlehnung an: Procter und Gamble 2019)
Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren branchenübergreifend zugenommen. So zeigen Studien von McKinsey (Ahuja et al. 2017) und Gartner (Raskino 2019), dass Unternehmensverantwortliche zur Erzielung von organischem Wachstum zunehmend die Strategie der Investition in neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle präferieren. Da sich Produkt-Lebenszyklen in vielen Branchen aufgrund von veränderten Kundenwünschen, Wettbewerberaktivitäten und Technologiewandel verkürzen,5 reichen Investitionen in bislang erfolgreiche Produkte oder Leistungsverbesserungen im Kerngeschäft allein nicht mehr aus. Die Markteinführung neuer Produkte – und damit die Diversifikation und Variantenvielfalt von Produktportfolios – wird zunehmend bedeutsamer (vgl. Abb. 2.6).
5Zur
Diskussion um die Verkürzungen von Produktlebenszyklen, deren Existenz und Ursachen nicht unumstritten sind, vgl. Kinkel (2005); Cao und Folan (2011); Kadam und Apte (2015); Prakash et al. (2016)
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2 Was ist Produktmanagement?
Abb. 2.6 Primäre Strategien von Unternehmen zur Erreichung von organischem Wachstum (vgl. Ahuja et al. 2017)
Zusammenfassung: Die Verantwortung für das Produktmanagement
Die Verantwortung für den Erfolg eines Produkts, einer Produktlinie oder eines Produktportfolios sowie die Aufgaben des Managements von Produkten liegt grundsätzlich beim Unternehmer. Mit der Verbreiterung und Verlängerung des Produktportfolios in diversifizierten Unternehmen ist die Wahrnehmung dieser Verantwortung durch den Unternehmer allein aufgrund quantitativer und/oder qualitativer Überlastung nicht mehr möglich. In dieser Situation entsteht die spezialisierte Rolle des Produktmanagers. Da diese Entwicklung in den letzten Jahren zugenommen hat, lässt sich vermuten, dass proportional dazu auch der Bedarf an spezialisierten Produktmanagerinnen ansteigt. ◄ Die Entwicklung des Produktmanagements als eigenständige Rolle und Funktion im Unternehmen zieht zwei Fragestellungen nach sich: 1. Was muss eine Produktmanagerin können und wie lernt sie das? 2. Wie kann Produktmanagement organisiert werden, d. h. erstens in die Organisationsstruktur integriert und zweitens als Team strukturiert werden? Diese beiden Fragen sind Gegenstand der folgenden Kapitel.
2.4 Anforderungen an Produktmanagerinnen
23
2.4 Anforderungen an Produktmanagerinnen Die Anforderungen an Produktmanagement als Beruf wird in den einschlägigen Monographien ausführlich beschrieben (vgl. Lehmann und Winer 2004, S. 13–15; Lennertz 2006, S. 25–36, Großklaus 2009, S. 31–66; Gorchels 2011, S. 3–57; Herrmann und Huber 2013, S. 1–4; Geracie und Eppinger 2013, S. 43–50; Mugge und Markham 2013; Pichler 2014, S. 7–15; Haines 2014, S. 16–19; Gaubinger et al. 2015, S. 29–31; Bruhn und Hadwich 2017, S. 301–302; Steinhardt 2017, S. 17–27; Matys 2018, S. 25–137; Aumayr 2019, S. 28–43; Haines 2019; Wagenblatt 2019, S. 22–41). Fasst man diese Entwürfe zusammen, so lässt sich das Stellen- oder Rollenprofil einer Produktmanagerin wie folgt zusammenfassen:
Typisches Stellenprofil einer Produktmanagerin Stellenbezeichnung: Produktmanager/in Übergeordnet: Leiter Geschäftsbereich Untergeordnet: Stellvertretung: Leiter Geschäftsbereich Tarifgruppe: AT2 Verantwortung: • Sicherstellung des Markterfolgs der Produktgruppe xy von der Ideenphase bis zur Abkündigung Aufgaben: • Findung und Bewertung von Ideen für marktfähige Produkte und Lösungen • Entwicklung der Marktpositionierung und der Marketingmaßnahmen • Definition und Abstimmung der Produkteigenschaften mit den Stakeholdern • Begleitung der Produktentwicklung und der Produkttests • Sicherstellung der Geschäftsprozesse zur Kommerzialisierung der Produkte • Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Produkte • Vorbereitung und Durchführung der Markteinführung
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2 Was ist Produktmanagement?
• Monitoring der Marktentwicklung der Produkte • Initiierung von Maßnahmen zur Sicherung des Markterfolgs Befugnisse: • Fachliche Weisungsbefugnis bzgl. der Mitarbeiterinnen in der Produktgruppe Kompetenzanforderungen: Produkt- und marktbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten: • Kennt das Produkt und die Produktfamilie/Produktgruppe in den wesentlichen Elementen • Kennt die Märkte (Kunden, Wettbewerber, Lieferanten) der zugeordneten Produktgruppe • Kann wettbewerbsdifferenzierende Lösungen für Kundenbedürfnisse entwickeln und bewerten • Kann Produktanforderungen klar, verständlich und überprüfbar definieren und kommunizieren Methodische Kenntnisse und Fähigkeiten: • Kann Projekte organisieren, planen und überwachen • Kann eigene und fremde Arbeit strukturiert planen, initiieren und überwachen • Kennt Methoden der Marktanalyse und kann diese wirksam und wirtschaftlich umsetzen • Kennt wirksame Marketinginstrumente und kann diese wirtschaftlich einsetzen • Kennt die Prozesse und Methoden der Produktentwicklung • Kennt die Geschäftsprozesse für sein Produkt • Kann Business Cases für sein Produkt erstellen und überzeugend kommunizieren • Kann Produkte im Markt wirksam überwachen • Kennt Ansatzpunkte zur Optimierung der Marktfähigkeit von Produkten und kann diese umsetzen
2.4 Anforderungen an Produktmanagerinnen
25
Persönlich-soziale Kenntnisse und Fähigkeiten: • Kann sich auf Wesentliches fokussieren und diese Priorisierung über die Zeit durchhalten • Kann Aufgaben zu Ende bringen • Kann die Bedürfnisse anderer erkennen und auf dieser Basis überzeugen • Kann Entscheidungen treffen und diese konsequent umsetzen • Kann die Umsetzung von Entscheidungen wirksam delegieren und überwachen
Das skizzierte Stellen- oder Rollenprofil einer Produktmanagerin stimmt mit den Beschreibungen überein, die die Produktmanagerin als „Unternehmerin für ihr Produkt“ (vgl. Haines 2014, S. 20; Herrmann und Huber 2013, S. 1), als „Verantwortliche für den Produkterfolg“ (vgl. Matys 2018, S. 31), als „Scharnierfunktion zwischen Markt und Organisation“ (vgl. Geracie und Eppinger 2013, S. 43–45) oder als „Mädchen für alles“ (vgl. Matys 2018, S. 86; Aumayr 2019, S. 5–23) charakterisieren (vgl. Abb. 2.7).
Abb. 2.7 Schnittstellenfunktion der Produktmanagerin. (In Anlehnung an Geracie und Eppinger 2013, S. 44; Kotler et al. 2016, S. 800)
26
2 Was ist Produktmanagement?
Andererseits ist diese unternehmerische Generalistenfunktion in der Rolle der Produktmanagerin kaum adäquat wahrnehmbar, da diese in der Regel über keine disziplinarische Weisungsbefugnis über die Funktionsbereiche verfügen, die ihr zuarbeiten müssen. Der Terminus „fachliche Weisungsbefugnis“ verdeckt eher die Tatsache, dass Produktmanagerinnen zur Durchsetzung von Produktinteressen gegenüber den internen Funktionsbereichen weder über Sanktions- und Legitimationsmacht, noch über Ressourcen- oder Informationsmacht verfügen, sondern lediglich auf der Basis ihrer Persönlichkeit und ihrer Beziehungen operieren können (vgl. Steinhardt 2017, S. 17–20).6 Dasselbe gilt natürlich auch für die externen Stakeholder. Aus diesem Grund hat es sich eingebürgert, die Verantwortlichkeiten und Aufgaben der Produktmanagerin in der Praxis zu segmentieren, um die Anforderungen begrenzter und deshalb besser erfüllbar zu machen. Eine Auswahl möglicher Aufgabenschwerpunkte des Produktmanagements ist in Tab. 2.3 dargestellt. Aufgrund der Disparität des Arbeitsfeldes ist es nicht weiter erklärungsbedürftig, dass ein Großteil von Produktmanagerinnen aus dem Marketing, dem Vertrieb oder technischen Funktionen in diese Rolle hineinwächst und die erforderlichen Kompetenzen – mehr oder weniger begleitet – „on the job“ erlernt (vgl. Steinhardt 2017, S. 117–119; Matys 2018, S. 55–95; Haines 2019, S. 15–42; Aumayr 2019, S. 8–23).7 Begleitend zum Erfahrungslernen existieren mittlerweile eine Reihe formaler akademischer Ausbildungsgänge auf Bachelor- und Masterniveau (vgl. StudyCheck 2019; ProductCraft 2019) sowie zahlreiche Weiterbildungskurse (vgl. Kursfinder 2020; UserLane 2020). Darüber hinaus haben sich bereits seit Ende der 70ger Jahre, insbesondere in den USA, Verbände zum Produktmanagement etabliert, die ebenfalls Zertifizierungen und Publikationen zum Produktmanagement herausgeben, welche – abhängig von der jeweiligen Definition der Schwerpunkte des
6Zu
den Quellen organisatorischer Macht vgl. French und Raven (1959); Crozier und Friedberg (1979); Mintzberg (1983); Breyer-Mayländer (2020) 7Beim Hinweis auf „on the job training“ ist im Kontext kognitionspsychologischer Erkenntnisse der Hinweis wichtig, dass Expertise in den Feldern des Produktmanagements weniger durch bloße kontinuierliche Aufgabenerfüllung erworben wird, sondern durch „deliberate practice“ (vgl. Ericsson und Crutcher 1990; Ericsson et al. 1993), also durch eine längerfristige, 8–10 Jahre dauernde, kritisch reflektierte und im Idealfall begleitete Übung in den jeweiligen Domänen.
2.4 Anforderungen an Produktmanagerinnen
27
Tab. 2.3 Aufgabenschwerpunkte des Produktmanagements. (In Anlehnung an: Gorchels 2011, S. 145–326; Geracie und Eppinger 2013, S. 38–49) Aufgabenschwerpunkte Produktmanagement bei Nach Branchen schnelllebigen Konsumgüter (FMCG) • Ideenfindung • Markenmanagement • Kundengewinnung • Operatives Marketing • Markteinführungen • Rationalisierungsmaßnahmen
Produktmanagement bei technologischen Produkten • Anforderungserhebung • Lastenhefterstellung •B egleitung der Produktentwicklung •K undenintegration in die Produktentwicklung •M itarbeit in der Beschaffungs- und Produktionsplanung
Aufgabenschwerpunkte Nach Kompetenzen
„Inbound“ Produktmanagement • Technologieentwicklung • Technologienutzung • Lastenheftdefinition • Abnahmetests
„Outbound“ Produktmanagement • Kundenanalysen • Wettbewerberanalysen • Trendanalysen • Produktgestaltung • Operatives Marketing
Aufgabenschwerpunkte Nach Produkt-Lebenszyklusphasen
„Upstream“ Produktmanagement • Marktanalysen • Ideenfindung und –bewertung • Produkt- und Marktstrategien • Begleitung der Produktentwicklung • Markteinführung
„Downstream“ Produktmanagement • Marktbeobachtung • Vertriebsunterstützung • Operative Marketingmaßnahmen
Produktmanagements – den „Body of Knowledge“ definieren, den eine Produktmanagerin beherrschen muss. Eine Übersicht über die wesentlichen international agierenden Verbände und Vereinigungen zum Produktmanagement findet sich in Tab. 2.4. Zusammenfassung: Die Anforderungen an Produktmanagerinnen
Die Anforderungen an die Rolle der Produktmanagerin sind relativ umfassend: Neben fachlichen produkt- und marktbezogenen Kenntnissen sind vor allem methodische Kompetenzen im Projektmanagement, Marketing, Geschäftsprozessmanagement, in der Wirtschaftlichkeitsanalyse sowie im Produktcontrolling sowie persönlich-soziale Fähigkeiten in der Führung cross-funktionaler Teams und der Abstimmung mit Schnittstellen erforderlich.
Ca. 1200
Unbekannt Certified Product Manager (CPM), Certified Product Marketing Manager (CPMM), Certified Brand Manager (CBM), Certified Innovation Leader (CIL), Agile Certified Product Manager Product Owner (ACPMPO)
1986
1998
San Antonio, Texas, USA
Reno, Nevada, USA
Strategic and Competitive Intelligence Professionals (SCIP) (https://www.scip.org)
Association of International Product Marketing & Management (AIPMM) (https://aipmm.com/)
–
New Product Development Professional (NPDP)
Ca. 2000
1976 St. Paul Minnesota, USA
Zertifizierungen
Product Development and Management Association (PDMA) (https://www.pdma. org/)
Gründungs- Mitglieder jahr
Sitz
Organisation
Tab. 2.4 Internationale Produktmanagement-Verbände und -Vereinigungen Publikationen
(Fortsetzung)
Geracie und Eppinger (2013), The guide to the Product Management and Marketing Body of Knowledge (ProdBOK) …
Competitive Intelligence Magazine (CIM) …
Kahn KB ed (2013) PDMA Handbook of New Product Development Journal of Product Innovation Management (JPIM) https://www.pdma.org/ …
28 2 Was ist Produktmanagement?
Blackblot Product Management Professional
2004
2009
New York, USA & Caesarea, Israel
Blackblot Product Management Expertise (https://www.blackblot. com/)
International Software Stuttgart/ Product Management Germany Association (ISPMA) (https://ispma.org)
ISPMA Certified Software Product Manager: Foundation Level ISPMA Certified Software Product Manager: Excellence in Strategic Management ISPMA Certified Software Product Manager: Excellence in Product Strategy ISPMA Certified Software Product Manager: Excellence in Product Planning ISPMA Certified Software Product Manager: Excellence in Orchestration
Zertifizierungen
Gründungs- Mitglieder jahr
Sitz
Organisation
Tab. 2.4 (Fortsetzung) Publikationen
(Fortsetzung)
SPM Body of Knowledge (SPMBOK) (https://ispma.org/bodyof-knowledge/syllabi/)
Steinhardt (2017) The Product Manager’s Toolkit: Methodologies, Processes, and Tasks in Technology Product Management Steinhardt (2019) Market-Value Pricing: definitions, concepts, and processes for Market-Value Centric pricing
2.4 Anforderungen an Produktmanagerinnen 29
Sitz
Ca. 200.000 –
Ca. 15.000 –
2014 San Products that Francisco, count (https:// productsthatcount.com) California, USA
2016 San Francisco, California, USA
–
Ca. 6000
The Product Coalition Melbourne, 2014 Australia (https://platform. productcoalition.com)
Woman in Product (https://www. womenpm.org)
Publikationen –
–
–
Blogs und Artikel auf https:// platform.productcoalition.com
Product Management Certificate – (PMC) Full Stack Product Management Certificate (FPMC) Product Leadership Certificate (PLC)
Ca. 150.000 –
Zertifizierungen
–
2010/2011
Gründungs- Mitglieder jahr
2014 Product School (https:// San Francisco, www.productschool. California, com) USA
London, Mind the Product/ Product Tank (https:// UK www.mindtheproduct. com)
Organisation
Tab. 2.4 (Fortsetzung)
30 2 Was ist Produktmanagement?
2.5 Organisation des Produktmanagements
31
Da diese Anforderungen nur schwer von einer Person adäquat erfüllt werden können, hat es sich etabliert, den Aufgabenbereich der Produktmanagerin nach Branchen, Kompetenzen oder Produktlebenszyklusphasen zu segmentieren. Die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten werden in der Praxis häufig „on the job“ erworben, können jedoch auch durch formale akademische Studiengänge und Weiterbildungskurse ergänzt werden. ◄ Die skizzierten Entwicklungen machen erstens deutlich, dass sich Produktmanagement als eigenständige Rolle noch im Prozess der Professionalisierung und Standardisierung befindet.8 Zweitens wird anschaulich, dass sich diese Entwicklungen der Professionalisierung und Standardisierung vor allem in den anglo-amerikanischen Regionen vollziehen. In den deutschsprachigen Bereichen werden diese Entwicklungen etwas zögerlicher rezipiert, jedoch aktuell mich deutlich wachsender Tendenz. Eine Rolle „Produktmanagerin“ kann jedoch nicht isoliert existieren, sondern nur eingebunden in einen Organisationskontext. Dieses Thema stellt den Gegenstand des folgenden Kapitels dar.
2.5 Organisation des Produktmanagements Die Frage, wie Produktmanagement organisiert werden kann, beinhaltet zwei Aspekte: Erstens die Frage nach der organisatorischen Integration in die Unternehmensstruktur und zweitens die Frage nach der Organisation des „Produktmanagement-Teams“. Beide Fragen sollen im Folgenden kurz behandelt werden. Ad 1: Die organisatorische Integration des Produktmanagements Die Existenz einer Rolle „Produktmanagerin“ stellt eine Organisation vor die Herausforderung, diese Rolle angemessen zu integrieren. Dabei sind grundsätzlich drei Formen denkbar, die sich durch den jeweiligen Einfluss einer Produktmanagerin unterscheiden (vgl. Tab. 2.5).
8Unter
„Professionalisierung“ wird hier – im Anschluss an die Berufs- und Professionssoziologie – die Ausdifferenzierung spezialisierter Berufe mit einem eigenen Kompetenzprofil und „Body of Knowledge“ sowie eigenen Zertifizierungen und Karrierepfaden verstanden, die sich dadurch eine gewisse Autonomie in der Berufsausübung sichern (vgl. Millerson 1964; Hodson and Sullivan 1990; Mieg 2003).
32
2 Was ist Produktmanagement?
Tab. 2.5 Organisatorische Integrationsmöglichkeiten des Produktmanagements. (In Anlehnung an Project Management Institute 2017, S. 47) Einflussorganisation
Matrixorganisation
Linienorganisation
Einfluss des Produktmanagers
Gering bis Mittel
Mittel
Hoch
Kapazität des Produktmanagers
Teil- oder Vollzeit
Teil- oder Vollzeit
Vollzeit
Mittel
Hoch
Ressourcenverfügbarkeit Gering
Ein erster Typus für die organisatorische Integration des Produktmanagements stellt die Einflussorganisation dar (vgl. Abb. 2.8). Damit ist gemeint, dass die Rolle der Produktmanagerin als Stabsstelle oder untergeordnete Linienstelle verankert ist. Aus dieser Position heraus muss sie ein Projektteam oder eine Arbeitsgruppe aus den anderen Funktionsbereichen organisieren und sicherstellen, dass sich die Projekt- oder Arbeitsgruppe den Belangen des jeweiligen Produktes widmet. Der Einfluss der Produktmanagerin in dieser organisatorischen Integrationsform ist stark abhängig von ihrer Persönlichkeit und/oder ihrem Beziehungsnetzwerk zu den Managementfunktionen sowie der ihr zugeordneten Kapazitäten. Über zugeordnete Stellen verfügt sie nicht (vgl. Lehmann und Winder 2004, S. 10 f.; Großklaus 2009, S. 18; Bruhn und Hadwich 2017, S. 301–310; Aumayr 2019, S. 81–90).
Abb. 2.8 Integration des Produktmanagements als Einflussorganisation
2.5 Organisation des Produktmanagements
33
Die organisatorische Integration des Produktmanagements in einer Brauerei
Brauereien sind klassischerweise funktional strukturiert, oftmals auf der zweiten hierarchischen Organisationsebene unterteilt nach kaufmännischen und technischen Bereichen. In Anlehnung an das veröffentlichte Organigramm der Malzfabrik Weyermann GmbH & Co KG in Bamberg (Weyermann 2020) ist in Abb. 2.9 die Brauerei bereits auf Geschäftsleitungsebene in einen Vertriebsbereich und einen technisch-kaufmännischen Bereich gegliedert. Die Stelle einer Produktmanagerin ist hier denkbar als Stabstelle bei einer der beiden Geschäftsleitungen oder als Linienstelle in der Abteilung „Qualitätsmanagement & Produktentwicklung“. In beiden Fällen ist das Produktmanagement als Einflussorganisation in das Unternehmen integriert (Abb. 2.9). ◄ In einem zweiten Organisationstypus wird der Produktmanagerin fachliche Weisungsbefugnis in Form einer Matrixorganisation zugeordnet. Unter „fachlicher Weisungsbefugnis“ wird verstanden, dass die Produktmanagerin innerhalb eines Kapazitätsbudgets, das ihr von den jeweiligen disziplinarischen Weisungsbefugten zugewiesen wird, die inhaltliche Ausgestaltung dieser Kapazität bestimmen kann (vgl. Abb. 2.10). Damit steigt der Einfluss und die Ressourcenverfügbarkeit der Produktmanagerin auf die ihr zugeordneten Teammitglieder, jedoch auch das Konfliktpotenzial. Einerseits das Konfliktpotenzial mit den jeweiligen Linienverantwortlichen, die
Abb. 2.9 Integrationsmöglichkeiten des Produktmanagements in eine Brauerei. (In Anlehnung an: Weyermann 2020)
34
2 Was ist Produktmanagement?
Abb. 2.10 Integration des Produktmanagements als Matrixorganisation
die Kapazitäten ihrer Mitarbeiter auf unterschiedliche Aufgaben verteilen müssen; andererseits aber auch mit den funktionalen Mitarbeitern, die mit mehreren Weisungsbefugten zusammenarbeiten müssen (vgl. Großklaus 2009, S. 19–21; Bruhn und Hadwich 2017, S. 301–310; Aumayr 2019, S. 81–90). Die organisatorische Integration des Produktmanagements in einem Technologiekonzern
Technologiekonzerne sind klassischerweise stark entwicklungsorientiert ausgerichtet und deshalb häufig nach technologischen Produktkomponenten strukturiert. Ein Beispiel dafür ist die Organisation des US-amerikanischen Hard- und Softwareherstellers Apple Inc., der seinen Umsatz mit stationären und mobilen Hard- und Softwarelösungen erwirtschaftet. In Anlehnung an dessen Geschäftsverteilungsplan kann die Organisationsstruktur von Apple Inc. ungefähr wie in Abb. 2.11 dargestellt rekonstruiert werden (vgl. PenMyPaper no year; Elmer-DeWitt 2019; Apple 2020). Die Organisationsstruktur ist einerseits nach technologischen Hard- und Softwarekomponenten und andererseits nach kaufmännischen Funktionen strukturiert. Darüber hinaus existiert eine Business Unit „Produktmarketing“,
2.5 Organisation des Produktmanagements
35
Abb. 2.11 Integration des Produktmanagements in einen Technologiekonzern. (In Anlehnung an PenMyPaper no year; Elmer-DeWitt 2019; Apple 2020)
in welcher – quer zu den technologischen und kaufmännischen Business Units – das Produktmarketing für die zentralen Produktlinien Mac (PC), iOS (Betriebssysteme), iPhone (Smartphone) und iPad (Tablet) angesiedelt ist. Hier ist also das Produktmarketing bzw. Produktmanagement in Form einer Matrixstruktur integriert (Abb. 2.11). ◄ Der dritte Typus der Integration des Produktmanagements besteht in einer disziplinarischen Linienfunktion. Diese ist in divisionalen Organisationsstrukturen möglich, wenn eine Organisation auf der zweiten Organisationsebene nach Produktgruppen strukturiert ist (vgl. Abb. 2.12).
36
2 Was ist Produktmanagement?
Abb. 2.12 Integration des Produktmanagements als Linienorganisation
In dieser Organisationsform hat die Produktmanagerin die volle disziplinarische Weisungsbefugnis sowie Ressourcenverfügbarkeit über die ihr zugeordneten Mitarbeiter – etwa aus dem Marketing, der Entwicklung und dem Service (vgl. Lehmann und Winder 2004, S. 3–7 f.; Großklaus 2009, S. 21 f.; Bruhn und Hadwich 2017, S. 301–310; Aumayr 2019, S. 81–90). Die organisatorische Integration des Produktmanagements in einem diversifizierten Konsumgüterkonzern
Konsumgüterkonzerne mit einem stark diversifizierten Produktportfolio sind häufig nach Produktfamilien strukturiert. In Rekonstruktion der Organisationsstruktur von Procter & Gamble bestehen diese Produktfamilien aus „Babypflege und Damenhygiene“, „Haar- und Hautpflege“, „Gesundheit und Mundpflege“, „Rasur“, „Textil und Haushaltspflege“ sowie „Produktinnovation“ (vgl. Procter und Gamble 2019; Procter und Gamble 2020). Innerhalb dieser Produktfamilien existieren einzelne Produktgruppen (z. B. „Oral B“ in der Produktfamilie „Mundpflege“), die wiederum in Produktlinien unterteilt sind (z. B. Produktlinie „Zahnbürsten“ innerhalb der Produktfamilie „Oral B“). Produktmanagement-Funktionen sind also in Form von „Sector Business Units“ in die Linie integriert. Daneben existieren noch kaufmännische Zentralfunktionen („Global Business Services“) wie Beschaffung, Personalwesen und IT sowie eine Strukturierung nach globalen Märkten („Global Market Operation“), die den Vertrieb der Produkte in den einzelnen regionalen Märkten verantworten (vgl. Abb. 2.13). ◄
2.5 Organisation des Produktmanagements
37
Abb. 2.13 Integration des Produktmanagements in einen diversifizierten Konsumgüterkonzern. (In Anlehnung an: Procter und Gamble 2019; Procter und Gamble 2020)
Die drei typologischen Integrationsmöglichkeiten des Produktmanagements zeigen, dass Produktmanagement einerseits als Sekundärorganisation etabliert werden kann, welche als temporäre Organisation, Stabsorganisation oder Matrixorganisation die Primärorganisation überlagert. Dies ist dann der Fall, wenn eine Organisation auf der zweiten Hierarchieebene nach Funktionen, Kunden oder Regionen strukturiert ist und im Hinblick auf einen durchgängigen Produktfokus „weiße Flecken“ oder „Schnittstellenprobleme“ existieren. Produktmanager haben in dieser Situation die Aufgabe, die primäre Logik einer Organisation im Hinblick auf den Produktfokus zu durchbrechen. Je nach Einfluss der Produktmanagerin (gering bei Projekt-/Arbeitsgruppen und bei Stabsstellen, höher bei einer Matrixstruktur) gelingt diese Aufgabe dann besser oder schlechter (vgl. Kieser und Walgenbach 2010, S. 128–147; 2013, S. 306–336; Vahs 2019, S. 177–180).9 Andererseits ist aber auch die organisatorische Verankerung des Produktmanagements als Primärorganisation denkbar. Dies ist vor allem in stark diversi-
9Das
Phänomen der Sekundärorganisation ist bereits aus den Feldern des „Projektmanagements“, „Prozessmanagements“ oder „Key Account Managements“ bekannt.
38
2 Was ist Produktmanagement?
fizierten Organisationen mit eigenständigen Produkt-/Markt-Kombinationen der Fall. In diesem Fall ist die Funktion des Produktmanagements auf der Ebene der Geschäftsleitung, der Geschäftsbereiche oder Strategischen Geschäftsfelder mit einer relativ starken Positionsmacht und Ressourcenverfügbarkeit angesiedelt. Der Vorteil einer hohen Produkt-/Marktwirksamkeit wird hier jedoch um den Preis einer geringeren Ressourceneffizienz erkauft, da die einzelnen Funktionsbereiche in jeder Division redundant vorhanden sind (vgl. Kieser und Walgenbach 2010, S. 128–147; 2013, S. 263–276; Vahs 2019, S. 141–163). Unabhängig davon, ob Produktmanagement als Einfluss-, Matrix- oder Linienorganisation in eine Unternehmensorganisation integriert ist, haben alle drei Integrationstypen eine Gemeinsamkeit: Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit des Produktmanagements mit anderen internen Funktionsbereichen und externen Stellen. Das betrifft die Organisation des Produktmanagement-Teams. Ad 2: Die Organisation des Produktmanagement-Teams Es gehört zum Kern der Stelle oder Rolle der Produktmanagerin, dass diese mit den betrieblichen Funktionen im Interesse eines erfolgreichen Produkts zusammenarbeitet. Denn der Erfolg eines Produkts wird – in unterschiedlichen Gewichtungen – von der Entwicklung, der Beschaffung, der Produktion, dem Vertrieb und dem Marketing, sowie von Führungs- und Personalthemen bestimmt. Produktmanagement ist deshalb eine Querschnittsaufgabe, die diese unternehmerischen Funktionsbereiche im Hinblick auf ein Produkt, eine Produktlinie oder ein Produktportfolio koordiniert und führt. Im Integrationstypus der Einfluss- und der Matrixorganisation findet dies in der Form von Projekt- oder Arbeitsgruppen, im Integrationstypus der Linienorganisation in Form von Abteilungen statt. Welche betrieblichen Funktionsbereiche dabei jeweils betroffen sind, hängt jeweils stark von der jeweiligen Branche und dem Produkt ab (vgl. Lehmann und Winer 2004; Lennertz 2006; Albers und Herrmann 2007; Großklaus 2009, S. 67–71; Gorchels 2011, S. 19–30; Geracie und Eppinger 2013; Haines 2014, S. 569–581; Gaubinger et al. 2015; Kotler et al. 2016, S. S. 800; Steinhardt 2017, S. 17–27; Bruhn und Hadwich 2017 S. 330–342; Hofbauer und Sangl 2017; Matys 2018; Haines 2019; Aumayr 2019, S. 3–27). Ebenfalls in typologischer Form lassen sich folgende betrieblichen Funktionsbereiche denken (vgl. Abb. 2.14).
2.5 Organisation des Produktmanagements
39
Abb. 2.14 Das Produktteam
In Abb. 2.14 ist das engere Produktteam grau markiert, während das erweiterte Team weiß gekennzeichnet ist. Zum engeren Team gehört als zentrale Scharnierfunktion die Produktmanagerin, die, wie bereits in Abschn. 2.3 ausgeführt wurde, für den Erfolg des Produkts am Markt verantwortlich ist. Zur Wahrnehmung dieser Verantwortung benötigt sie… • …Marketingfunktionen, welche den Erfolg der Marketinganalysen und Marketingmaßnahmen verantworten. Deren Resultat besteht in einem datenbasierten Marketingkonzept, das die Marktpositionierung des Produkts (Produktleistungen, Zielgruppen, Wettbewerbsdifferenzierung) sowie entsprechende Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationsmaßnahmen enthält. • …Entwicklungsbereiche, welche für die funktionierende Umsetzung der Produktanforderungen (Lastenheft, Leistungskonzept, Use Cases, User Stories oder ähnliches) im gegebenen Zeit- und Budgetrahmen verantwortlich sind. Deren Zulieferungen bestehen – je nach Produkt – in einem Pflichtenheft, in Stücklisten, Layouts, Zeichnungen, Quellcodes, Rezepturen oder ähnlichem. • …Beschaffungsfunktionen, die – abhängig von der jeweiligen Wertschöpfungstiefe der Branche und des Unternehmens – für die Qualität, Kosten und Zuverlässigkeit der zugelieferten Materialien, Komponenten und Dienstleistungen zuständig sind. Ihre zentralen Leistungen bestehen in Lastenheften, Lieferverträgen und Lieferantenbeurteilungen. • …Produktionsfunktionen, welche die Qualität, Durchlaufzeit und Kosten der Fertigung verantworten, insofern das Wertschöpfungsmodell der Organisation eine Eigenproduktion vorsieht. Die zentralen Ergebnisse ihrer Mitarbeit bestehen aus Produktionsplänen sowie produzierten Stückzahlen. Damit verknüpft sind auch die entsprechenden Logistikaufgaben in der Eingangs-, Produktions- und Ausgangs-Logistik.
40
2 Was ist Produktmanagement?
• …Vertriebsmitarbeiter, welche für die Realisierung des Produktumsatzes zu einem bestimmten Produkt-Deckungsbeitrag bei einer (regional, funktional oder wertmäßig) definierten Kundengruppe und/oder einem Vertriebskanal sorgen. Sie benötigen für ihr Vertriebssegment passende Verkaufsargumente und liefern den entsprechenden Umsatz und Deckungsbeitrag. • …Servicefunktionen, welche die Qualität und Dauer der Problemlösungen für Kunden, die im Zusammenhang mit dem Produkt auftreten, verantworten. Ihr Beitrag besteht in erster Linie in vollständig und zeitnah gelösten „Incidents“ sowie, in zweiter Linie, in Produkt-Verbesserungsvorschlägen auf Basis der Kundenrückmeldungen. Neben diesem engeren Produktteam bedarf die Produktmanagerin des direkten Kontakts zu einem organisationsinternen Sponsor, der für die Beschaffung und Sicherstellung der organisatorischen Ressourcen sorgt und – im Gegenzug dafür – organisatorische Anforderungen an die Produktmanagerin stellt (vgl. Hauschildt und Salomo 2010, S. 183–210). Der organisationsinterne Sponsor hat innerhalb des Produktteams nur temporäre Rollen und kann daher zum erweiterten Produktteam gerechnet werden. Weiterhin sind noch weitere externe und interne Schnittstellen zu erwähnen, die gegebenenfalls ebenfalls zeitlich begrenzte Beiträge innerhalb des Produktteams erbringen müssen. In erster Linie gehören dazu die Kunden und/oder Nutzer des Produkts, die im Zuge der Kundenintegration in die Produktentwicklung Feedback und Vorschläge liefern. In zweiter Linie sind auch interne und externe Support-Funktionen wie das Rechnungswesen und Controlling, die Informations- und Kommunikationstechnologie, externe Partner und Lieferanten oder öffentliche Körperschaften zu nennen, die vorwiegend entlastende und beratende Funktionen wahrnehmen. Anhand dieser Skizzierung der wesentlichen Schnittstellen der Produktmanagerin wird deutlich, weshalb Produktmanagerinnen ihre Rollen in der Praxis vorwiegend als „Koordinatorin“ oder „Mädchen für alles“ (Matys 2018, S. 86 f.) bzw. als „Jack of all roles, master of none“ (Steinhardt 2017, S. 18) bezeichnen und „Zeitmanagement“, „Priorisierung der Anforderungen“, „zu wenig Entscheidungsbefugnis“ sowie „interne Konflikte“ als ihre besonderen Herausforderungen thematisieren (vgl. Matys 2018 S. 90 f.). Selbstwahrnehmung und Herausforderungen für Produktmanager in der Praxis In einer Befragung von 116 erfahrenen Produktmanagern aus unterschiedlichen Branchen und Unternehmensgrößen in Deutschland und Österreich aus dem Jahr 2007
2.5 Organisation des Produktmanagements
41
Abb. 2.15 Selbstwahrnehmung der Produktmanager in der Praxis (vgl. Matys 2018, S. 86 f.)
Abb. 2.16 Spezielle Herausforderungen im Produktmanagement in der Praxis (vgl. Matys 2018, S. 90 f.)
42
2 Was ist Produktmanagement?
beschreiben die Produktmanagerinnen ihr Arbeitsgebiet in der Praxis wie folgt (Abb. 2.15 und 2.16).
Ansätze zur Lösung dieser Schnittstellenherausforderungen können in zwei Maßnahmen gesehen werden (vgl. Ulrich und Fluri 1995, S. 161–164): Einerseits in organisatorischen Maßnahmen, indem an das Produktteam und innerhalb des Produktteams klare, möglichst überschneidungsfreie und kongruente Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Befugnisse übertragen werden, damit der „Job“ jedes Beteiligten inhaltlich gut definiert und mit minimalem Abstimmungsaufwand erfüllbar ist (vgl. Reiß 1982; Malik 2006, S. 298–303). Andererseits in interaktiven Maßnahmen, die in der Literatur meist unter dem Begriff der „Führung“ und im oben skizzierten Kompetenzprofil einer Produktmanagerin als „methodische“ und „sozial-methodische“ Kompetenzanforderungen zusammengefasst sind: • Kann Projekte organisieren, planen und überwachen • Kann eigene und fremde Arbeit fokussiert und strukturiert planen, initiieren und überwachen • Kann sich auf Wesentliches fokussieren und diese Priorisierung über die Zeit durchhalten • Kann Aufgaben zu Ende bringen • Kann die Bedürfnisse anderer erkennen und auf dieser Basis überzeugen • Kann Entscheidungen treffen und diese konsequent umsetzen • Kann die Umsetzung von Entscheidungen wirksam delegieren und überwachen Die Ausführungen in Monographien zur Schnittstellenproblematik der Produktmanagerinnen zeigen jedoch an, dass in den meisten Organisationen noch ein gutes Stück Weg zu gehen ist, bis diese Probleme minimiert sind (vgl. Gorchels 2011; Steinhardt 2017; Matys 2018; Aumayr 2019; Haines 2019). Zusammenfassung: Die Organisation des Produktmanagements
Die Frage, wie Produktmanagement organisiert werden kann, lässt sich in zwei unterschiedliche Themen untergliedern: Erstens in das Thema der organisatorischen Integration in die Unternehmensstruktur und zweitens in das Thema der Organisation des „Produktmanagement-Teams“. Im Hinblick auf das Thema der Integration des Produktmanagements in die Unternehmensstruktur existieren drei Typen von Integrationsmöglichkeiten: Als
Literatur
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Einfluss-, Matrix- oder Linienorganisation. Im ersten Fall ist Produktmanagement als Stabsstelle oder untergeordnete Linienstelle in einer funktionalen Linienorganisation verankert. In einer Matrixorganisation ist dem Produktmanagement fachliche Weisungsbefugnis zugeordnet, sodass die Steuerung der Organisation nach Produktaspekten die funktionale Linienorganisation als sekundäres Strukturierungsprinzip überlagert. In der Linienorganisation ist die Organisation schließlich auf der zweiten Hierarchieebene nach Produkten gegliedert, was der Produktorganisation weitreichende fachliche und disziplinarische Weisungsbefugnisse verleiht. Die Einflussmöglichkeiten, Kapazitäten und Ressourcenverfügbarkeiten des Produktmanagements steigen also von der Einfluss-, über die Matrix- bis hin zur Linienorganisation an. Gleichzeitig bedeutet die Strukturierung nach Produktaspekten eine Vernachlässigung der Strukturierung nach alternativen Aspekten (z. B. Ressourceneffizienz, Kunden usw.). Mit Blick auf das zweite Thema der Organisation des Produktmanagement-Teams gehört zum Berufsbild der Produktmanagerin, dass diese mit anderen betrieblichen Funktionen im Interesse eines erfolgreichen Produkts zusammenarbeitet. Dies betrifft in erster Linie die betrieblichen Funktionsbereiche der Entwicklung, der Beschaffung, der Produktion, des Vertriebs, des Kundenservice und des Marketings. Neben diesem engeren Produktteam bedarf die Produktmanagerin des direkten Kontakts zu einem organisationsinternen Sponsor, der für die Beschaffung und Sicherstellung der organisatorischen Ressourcen sorgt und – im Gegenzug dafür – organisatorische Anforderungen an die Produktmanagerin stellt. Weiterhin sind noch weitere externe und interne Schnittstellen zu erwähnen, die zeitlich begrenzte Beiträge innerhalb des Produktteams erbringen müssen. Diese zahlreichen organisatorischen Schnittstellen verdeutlichen die Querschnitts- und Koordinationsfunktion der Produktmanagerin. ◄
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2 Was ist Produktmanagement?
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3
Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Zusammenfassung
Wenn Produktmanagement die Verantwortung für den Erfolg eines Produkts, einer Produktlinie oder eines Portfolios „von der Wiege bis zur Bahre“ innehat, muss zunächst geklärt werden, was unter einem ‚Produkt‘ genau zu verstehen ist (Abschn. 3.1). Auf dieser Basis können dann Handlungsfelder festgelegt werden, die den Erfolg eines Produkts aus betriebswirtschaftlicher Sicht definieren (Abschn. 3.2). Damit ist wiederum die Grundlage geschaffen für die Messung und zur Steuerung des Produkterfolgs am Markt. Diese umfassen die Definition von Indikatoren, Messgrößen und Zielwerten, die Festlegung der Datenerhebung und -aufbereitung sowie der Entscheidung und Initiierung von Steuerungsmaßnahmen (Abschn. 3.3). Diese Elemente konstituieren zusammen ein Controlling-System für den Erfolg von Produkten am Markt, was das zentrale Anliegen des Produktmanagements darstellt.
3.1 Der Begriff des Produktes Bei der in Kap. 2 skizzierten Definition des Produktmanagements wurde zunächst die Frage offengelassen, was genau unter einem „Produkt“ zu verstehen ist. Dies ist jedoch insofern wichtig, als ein Produkt den „Erfahrungsgegenstand“1 des Produktmanagements konstituiert.
1zur
Unterscheidung zwischen dem Erfahrungsgegenstand und dem Erkenntnisgegenstand in der Betriebswirtschaftslehre vgl. Wöhe und Döring 2013, S. 3.
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Das Verständnis dessen, was ein „Produkt“ ist, hat sich seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts stark verändert. Ursprünglich wurde unter einem „Produkt“ das Ergebnis eines Produktionsprozesses verstanden, in welchem Produktionsfaktoren (menschliche Arbeit, Betriebsmittel, Materialien) in unterschiedlichen Kombinationen zu höherwertigen physischen Gütern transformiert werden, was durch die Messgröße der Wertschöpfung erfassbar ist (vgl. Gutenberg 1951, S. 1–13). Daraus resultiert ein anbieterbezogener und technischer Produktbegriff, der ein Produkt als ein physisches Gut mit bestimmten Eigenschaften, bestehend aus klar definierbaren Komponenten und Materialien, versteht (vgl. Herrmann und Huber 2013, S. 4–12; Geracie and Eppinger 2013, S. 31–35; Haines 2014, S. 6–14; Kotler 2016, S. 389–392; Bruhn und Hadwich 2017, S. 9 f.). Mittlerweile bestehen – aus Gründen der Nutzensteigerung und Wettbewerbsdifferenzierung – Leistungsangebote für Kunden oftmals aus einem Verbund aus physischen Gütern, Dienstleistungen und/oder Rechten, die zuweilen auch als „Lösungen“ („Solutions“) bezeichnet werden (vgl. Kotler und Levy 1969). Dies gilt insbesondere für Leistungen, die im Geschäftsmodell einer Nutzung statt eines Eigentumsübergangs vertrieben werden. wie beispielsweise Medien-Streaming, Raum- und Car-Sharing oder Verleihmodelle für Bekleidung oder Maschinen.2 Aus diesen Gründen scheint heute die Verwendung eines nutzenorientierten Produktbegriffs zielführender zu sein, der vor allem im Marketing verwendet wird und ein Produkt in erster Linie als einen Nutzen und Wert für einen Kunden definiert (vgl. Brockoff 1999, S. 13; Herrmann und Huber 2013, S. 4–12; Geracie und Eppinger 2013, S. 31–35; Haines 2014, S. 6–14; Meffert et al. 2015, S. 361– 363; Bruhn und Hadwich 2017, S. 9 f.; Wagenblatt 2019, S. 12–14). Diese Begriffsbedeutung soll auch hier zugrunde gelegt und der nutzenorientierte Produktbegriff von einem technischen Produktbegriff unterschieden werden (vgl. Abb. 3.1).3
2Diese
Geschäftsmodelle werden meist als „Sharing Economy“ (vgl. Eckhardt und Bardhi 2015; Grinevich et al. 2017; Beutin 2018) oder als „Collaborative Consumption“ (vgl. Botsman und Rogers 2010; Hamari et al. 2016) etikettiert. 3diese definitorische Unterscheidung grenzt sich von breit rezipierten Produkt-Ebenen bei Kotler et al. 2016, S. 389–391 ab, in denen Nutzenaspekte mit technischen Aspekten vermischt werden.
3.1 Der Begriff des Produktes
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Abb. 3.1 Differenzierung der Produktbegriffe. (In Anlehnung an: Kano 1984; Geracie und Eppinger 2013, S. 31–35; Meffert et al. 2015, S. 361–363; Kotler et al. 2016, S. 520 f.; Matys 2018, S. 211–232)
Unter einer nutzenorientierten Perspektive lässt sich ein Produkt zunächst in einen Basisnutzen und einen differenzierenden Nutzen unterteilen. Der Basisnutzen bezeichnet die Leistungen, die von jedermann erwartet werden. Der Zusatznutzen differenziert ein bestimmtes Produkt von Wettbewerberangeboten, beispielsweise durch bestimmte Vereinfachungen, Integrationen von Zusatzfunktionen, ästhetische Eigenschaften oder soziale Wirkungen (vgl. Kano et al. 1984; Meffert et al. 2015, S. 361–363). Darüber hinaus kann ein Produkt auch so ausgelegt werden, dass es auch für zukünftige, potenzielle Einsatzszenarien nutzbar ist. Dies ist eine Frage der technischen Produktgestaltung und kann in einer „Product Roadmap“ festgehalten werden (vgl. Specht und Behrens 2008; Pichler 2014, S. 46–50; Cagan 2018, S. 108–120; Münch et al. 2019). Davon unterschieden werden muss diess Realisierung dieser Nutzenkomponenten in der technischen Produktarchitektur. Ein Produkt lässt sich zunächst über seine Komponenten oder Funktionen beschreiben. Diese sind spezifisch für das Produkt und beantworten die Frage, was das Produkt konkret leistet. Über diese Funktionen hinaus existieren nichtfunktionale Qualitätseigenschaften, wie beispielsweise Lebensdauer, Benutzbarkeit, Wartbarkeit, Reparierbarkeit, Geschmack oder ähnliches. Diese beschreiben, wie das Produkt
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
seine Funktionen erfüllt.4 Davon unterscheiden lässt sich die Erscheinungsform des Produkts, die sich in der Verpackung, in der Marke und/oder im Design artikuliert. Schließlich lassen sich in bestimmte Produktkategorien auch Komplementärangebote des Herstellers oder von Drittanbietern, wie beispielsweise Zubehör, Garantien, Dienstleistungen und Verbundprodukte, integrieren. Die Unterscheidung zwischen dem nutzen- und dem technischen Produktbegriff ist aus zwei Gründen sinnvoll: Erstens, weil viele Produktneuerungen über neue Produktfeatures und neue Designs vorwiegend technisch motiviert sind und weniger vom Nutzen für die Kunden und Verwender ausgehen. Ein nutzenorientierter Produktbegriff kann das Nachdenken über Neuprodukte stärker auf Kundenbedürfnisse ausrichten. Zweitens, weil viele Anbieter versuchen, den differenzierenden Nutzen eines Neuprodukts nur über die Ebene technischer Zusatzfunktionen zu realisieren, statt alle technischen Ebenen in Betracht zu ziehen. Ein differenzierender Zusatznutzen lässt sich in vielen Fällen jedoch auch über die Qualitätseigenschaften, die Erscheinungsform oder über Komplementärangebote realisieren. Nutzenorientierte und technische Betrachtung bei einem (nachhaltigeren) Smartphone
Gemäß einer Befragung der Bitkom bei 786 Smartphone-Nutzern in Deutschland im Jahr 2020 sind die wichtigsten kaufentscheidenden Kriterien beim Kauf des nächsten Smartphones die Robustheit von Display und Verarbeitung, die Akkulaufzeit und -ladezeit, die Displayqualität und -größe, sowie der Speicherplatz (vgl. Bitkom 2020; POSpulse 2019). Das lässt sich dadurch erklären, dass der Basisnutzen eines Smartphones seit der Markteinführung bis auf ein Sättigungsniveau optimiert wurde. Dieser liegt in der schnellen und tragbaren Nutzung von integrierten Informations-, Kommunikations- und Datenspeicherungsmöglichkeiten.5
4Diese
Unterscheidung folgt der Differenzierung zwischen funktionalen und nichtfunktionalen Anforderungen in der Lastenheftstrukturierung von softwarebasierten Systemen (vgl. Balzert 2009, S. 455–474; International Organization for Standardization 2014, S. 7–13). 5Die am häufigsten genutzten S martphone-Funktionen sind gemäß Befragungen in Deutschland Kurznachrichten (z. B. WhatsApp), Telefonfunktionen, Suchmaschinen, Nachrichten, Kamera- und Videofunktionen sowie Musikfunktionen (vgl. Statista 2017; Bitkom 2017).
3.1 Der Begriff des Produktes
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Seit der Markteinführung des ersten Smartphones, das meist mit der Einführung des „IBM Simon Personal Communicator“ 1994 festgesetzt wird (vgl. Sager 2012), hat sich der Basisnutzen des Smartphones wie folgt entwickelt (vgl. StartMobile 2012; Bhagat 2015; Hall 2019; Michaels 2020; Handyflash 2020): • Die Akkulaufzeit bei kontinuierlicher Nutzung wurde von „IBM Simon“ von 1 h auf über 11 h erhöht, was die „Mobilität“ des Produkts deutlich erhöht. • Die Festspeicherkapazität stieg von 1 MB auf meist 64 GB an (teilweise über externe Speicherkarten erweiterbar), wodurch Foto-, Video- und Audiodaten in größerer Menge speicher- und transportierbar werden. • Die Prozessorgeschwindigkeit entwickelte sich von 16 MHz Taktrate zu heute üblichen Quad-Core-Prozessoren mit vier Rechenkernen mit jeweils 1,5 Ghz Taktrate, was den Transfer großer Datenmengen und Multitasking ohne störende Latenzzeiten möglich macht. • Die Abmessungen verkleinerten sich bei deutlich höheren Leistungen (und Verlustleistungen durch Prozessorabwärme) von 200 × 64 × 38 mm auf etwa 123 × 58 × 7 mm, wodurch sich ebenfalls die leichte Portabilität des Produkts steigert. Das stellt Hersteller heute vor die Herausforderung, welchen differenzierenden Nutzen sie noch offerieren können, um neue Modellreihen marktfähig zu machen. Diese differenzierenden Nutzenmerkmale werden häufig immer noch in den Funktionalitäten gesucht: Augmented-Reality Funktionen zum Abruf von Hintergrundinformationen für das Kameraobjektiv; flexible, faltbare OLED-Displays, die das kleine Display des Smartphones kompensieren; eingebaute DLP-Projekttoren, welche eine andere Kompensationslösung für die kleinen Displays darstellen; 3-D-Bildschirme und holografische Darstellung von Informationen; farblich individuell änderbare Backcovers; und nicht zuletzt 5G Mobilfunkstandards und Kameraauflösungen bis 100 Megapixel (vgl. Poh 2017; Forbes Technology Council 2020). Vergleicht man diese Entwicklungen mit den oben genannten Nutzeranforderungen, so scheinen sich die angebotenen Funktionen immer mehr von den Bedürfnissen der Verwender zu entfernen. Die Orientierung an einem nutzenorientierten Produktbegriff würde eine andere „Product Roadmap“ nahelegen: Die Verlängerung der Akkulaufzeiten, evtl. mit Over-the-air-charging-Technologien (vgl. Dolcourt 2019)
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
oder zumindest die leichte Austauschbarkeit von Akkus; die Erhöhung der Speicherkapazitäten evtl. über Mobile Cloud Services (vgl. Huang und Wu 2018); sowie die Erhöhung der Robustheit und Lebensdauer der Geräte, da der Erwerb eines neuen Modells mit zunehmendem Sättigungsgrad an Funktionen immer weniger attraktiv wird (vgl. Ng 2019). Darüber hinaus liegt der potenzielle Nutzen nahe, dass nicht das Smartphone als Gerät, bestehend aus einem Gehäuse, einem Display und einer Leiterplatte, Nutzen stiftet, sondern die schnellen, mobilen und integrierten Informations-, Kommunikations- und Speichermöglichkeiten. Das eröffnet Überlegungen in Richtung „Software-as-a-Service“, d. h. inwiefern Geräte so in eine multimodale IT-Umgebung integriert werden können, dass nicht das Gerät, sondern die Dienste im Vordergrund stehen (vgl. Nayyar 2019). Nutzenorientiert stellt sich somit das Smartphone wie folgt dar (Abb. 3.2). Die Fokussierung auf neue Differenzierungsmöglichkeiten bei einem ausgereiften Produkt könnte einerseits den Weg freigeben für potenzielle
Abb. 3.2 Nutzenebenen bei einem Smartphone
3.1 Der Begriff des Produktes
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Innovationen in den Bereichen mobiler Energieversorgung, Robustheit, Displaytechnik und „Software-as-a-Service“-Lösungen, die die Abhängigkeit von der Hardware zunehmend geringer macht. Scheut man die Risiken und Investitionen dieser Innovationen, bietet sich ein zweiter Weg über die leichte Austauschbarkeit von Akkus und fehleranfälligen Komponenten an. Diesen Weg gehen „nachhaltigere“ Anbieter von Smartphones wie beispielsweise Fairphone (vgl. Fairphone 2020) oder Shiftphone (vgl. Shiftphone 2020). Diese Anbieter sind motiviert, den Lebenszyklus von Smartphones durch die Steigerung der „Repairability“ zu verlängern (vgl. Zajonz 2018; Deutsche Umwelthilfe 2018; Kraaijenbrink 2019). Im gleichen Zug haben sich Serviceanbieter wie iFixit entwickelt, die kostenfreie Reparaturanleitungen für alle gängigen Smartphone-Modelle auf ihrer Homepage anbieten und ihren Umsatz mit dem Verkauf der dafür erforderlichen Werkzeuge erwirtschaften (vgl. iFixit 2020). ◄ Nutzenorientierte und technische Betrachtung bei lokalen Biermarken
Der Basisnutzen von Bier liegt im Genuss, wobei dieser Genuss, wie die Kulturgeschichte des Bieres zeigt, unterschiedlich interpretiert werden kann: als Erfrischung, Geschmack oder Rausch (vgl. Meußdoerffer und Zarnkow 2016; Hirschfelder und Trummer 2016, S. 9–30; Raupach 2017). Über diesen sehr grundlegenden Basisnutzen hinaus ist das Informationsinteresse an Bier in Deutschland gemäß Umfragen relativ gering (vgl. VuMA 2019a). Das mag daran liegen, dass Bier ein Mitnahmeprodukt im Niedrigpreissegment darstellt und/oder dass die Inhaltsstoffe gemäß dem deutschen Reinheitsgebot normiert sind. In jedem Fall sind die Produktkomponenten und Qualitätseigenschaften weniger entscheidend als die Marke und der Preis (VuMA 2019b). Das belegen wiederholte Studien, die aus Konsumentensicht zwar Geschmack, Aroma und Natürlichkeit als wesentliche Differenzierungsmerkmale präferierter Biermarken ausweisen, aber diese Merkmale in Blindverkostungen kaum wiedererkannt und zugeordnet werden können (vgl. Quack 2016; Römmelt 2019; Splendid Research 2020). Aus Marketingsicht kann daher Bier technisch als „Einheitsprodukt“ klassifiziert werden, dessen differenzierender Nutzen sich über die Markenpositionierung und/oder den Preis artikulieren muss. In Reaktion auf diese Situation sowie auf den in den letzten 25 Jahren kontinuierlich sinkenden Bierkonsum in Deutschland (vgl. DeStatis 2019) lassen sich vier grundsätzliche Strategien zur Vermarktung von Bier und zur Vermittlung eines differenzierenden Nutzens feststellen (vgl. Splendid
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Research 2020): Erstens die Steigerung der Markenbekanntheit durch Investition in Kommunikationsaktivitäten; zweitens die Entwicklung einer differenzierenden Marktpositionierung (wie z. B. Bio, Regional, „Cool“, „Retro“ usw.); drittens die Abfüllung in kleinere und individualisierte Gebindeformen; und viertens die Entwicklung neuer Sorten (z. B. Bio-Biere, Solar-Biere, Craft-Biere usw.). In anderen Worten sind Qualitätseigenschaften und Erscheinungsform die wesentlichen Aktionsfelder des Produktmanagements von Bier. Für mittelständige, lokale Brauereien mit einem Ausstoß zwischen 60.000 und 500.000 hl pro Jahr, die in der Regel ihre Rohmaterialien von regionalen Erzeugern beziehen und sich auf ein Vertriebsgebiet von etwa 50 km Radius um die Produktionsstätte konzentrieren, sind einige dieser Strategien nicht möglich (vgl. Maack et al. 2011; Dörrenhaus et al. 2018). Diese Brauereien verfügen meist weder über ein ausreichend großes Marketingbudget noch über hinreichend Produktionsvolumina zur Realisierung von „economy-of-scale“-Vorteilen und einer günstigen Preisposition im Markt. Sie stehen damit vor der Herausforderung, ihre Differenzierungsmerkmale auf andere Art und Weise zu transportieren. Im Lichte eines nutzenorientierten Produktbegriffs kann der differenzierende Nutzen hier in einem lokalen bzw. schichtspezifischen Zugehörigkeits- und Identitätsausdruck liegen (vgl. Lebok 2018). Beispiele für solche Positionierungen bieten beispielsweise Astra (Schreier 2013, 2015), Störtebecker (GetränkeNews 2019) oder Wulle (Bogen 2019). Diesen dsifferenzierenden Nutzen können nur lokal ausgerichtete Brauereien bieten. Darüber hinaus kann auch darüber nachgedacht werden, inwiefern sich in der Zukunft lokale Biermarken stärker mit regionalen und schichtspezifischen Events verknüpfen lassen können. Dies könnte in der Gebindeform und der Etikettierung bereits Berücksichtigung finden und als „potenzieller Nutzen“ klassifiziert werden. Insgesamt lässt sich die Produktkategorie „Bier“ aus nutzenorientierter Sicht also wie folgt beschreiben (Abb. 3.3). ◄ Das entscheidende Abgrenzungscharakteristikum, das in der hier zugrunde gelegten Definition Produkte und Nicht-Produkten unterscheidet, ist das wirtschaftliche Versorgungssystem: Als Produkte werden nur diejenigen Nutzenangebote verstanden, die in marktwirtschaftlichen Versorgungssystemen Kunden gegen eine Gegenleistung (in der Regel Entgelt) angeboten werden. Denn erst dann sind die Aufgaben des Produktmanagements, wie beispielsweise Marktforschung, Marketingplanung, Prozessgestaltung, Investitionsabschätzungen
3.1 Der Begriff des Produktes
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Abb. 3.3 Nutzebenen bei einem lokalen Bier
usw. erforderlich. Bei anderen wirtschaftlichen Versorgungssystemen, wie beispielsweise der Selbstversorgung, der Zuwendung oder der Zuteilung (vgl. Meyer 1972; Schiffel 1994, S. 15–31), sind Produktmanagement-Aktivitäten dagegen nicht erforderlich (vgl. Abb. 3.4). Versteht man Produkte als Nutzen stiftende Leistungsangebote in marktwirtschaftlichen Versorgungssystemen, lassen sich Produkte nach weiteren Kriterien klassifizieren und präzisieren. Diese Klassifikationen sind insofern hilfreich, als mit ihrer Unterstützung deutlicher bezeichnet werden kann, was jeweils unter dem Begriff „Produkt“ verstanden wird. Klassifikation von Produkten nach dem Materialitätsgrad Unter Produkten werden klassischerweise, wie oben erwähnt wurde, physische Waren verstanden. Nutzen stiftende Leistungsangebote können jedoch auch in Form von Dienstleistungen, Rechten oder Kombinationen aus den genannten „Aggregatszuständen“ auftreten.
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Abb. 3.4 Wirtschaftliche Versorgungssysteme. (In Anlehnung an: Mayer 1972; Schiffel 1994, S. 15–31)
Klassifikation von Produkten nach dem Kaufentscheidungsprozess Produkte lassen sich außerdem nach dem Ablauf des Kaufprozesses in Konsum-, Investitions-sowie kundenindividuelle Güter unterteilen (vgl. Copeland 1932; Riemenschneider 2006, S. 38; Hutt und Speh 2016, S. 63–90; Kotler et al. 2016, S. 522–524; Bruhn und Hadwich 2017, S. 9–20; Matys 2018, S. 220–222). In dieser Reihenfolge nehmen die finanzielle Mittelbindung, die Neuartigkeit der Kaufentscheidung sowie der damit einhergehende Informationsbedarf des Kunden zu. In diesem Zusammenhang werden insbesondere Konsumgüter („Business-toConsumer“, B2C) und Investitionsgüter („Business-to-Business“, B2B) unterschieden, da sich der Kaufprozess sowie die Zahl der involvierten Personen in beiden Formen deutlich unterscheiden (vgl. Hutt und Speh 2016, S. 63–90; Kotler et al. 2016, S. 522–524; Bruhn und Hadwich 2017, S. 9–20). Die Klassifikationskriterien nach Materialitätsgrad und Kaufentscheidungsprozess lassen sich wie folgt zusammenfassend darstellen (Abb. 3.5). Klassifikation von Produkten nach der Produktorganisation Hinsichtlich der organisatorischen Verwaltung von Produkten innerhalb eines Unternehmens werden Produkte üblicherweise innerhalb einer branchen- und unternehmensspezifischen Organisationsarchitektur klassifiziert. So können Produkte nach Marktsegmenten zu Produktlinien bzw. Produktgruppen, Produktfamilien und Produktportfolios aggregiert werden. Dies bildet die Produkt- bzw.
3.1 Der Begriff des Produktes
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Abb. 3.5 Klassifikation von Produkten nach Materialitätsgrad und Kaufentscheidungsprozess
Sortimentsorganisation eines Unternehmens ab und markiert zugleich mögliche Zuständigkeitsgebiete für Produktmanagerinnen. Zugleich soll damit deutlich gemacht werden, dass, wenn hier von „Produkten“ die Rede ist, im Einzelfall auch Produktlinien, Produktgruppen oder Produktfamilien bzw. Marken gemeint sein können (vgl. Abb. 3.6).
Abb. 3.6 Möglichkeiten der Produktorganisation. (Vgl. Geracie und Eppinger 2013, S. 35 f.; Haines 2014, S. 6–15; Matys 2018, S. 222–227)
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Produktorganisationen in unterschiedlichen Branchen
Entlang dieser Systematik lässt sich die Produktorganisation eines Smartphone-Herstellers, wie Apple Inc., wie folgt rekonstruieren (Abb. 3.7).
Abb. 3.7 Rekonstruierte Produktorganisation bei Apple Inc. (In Anlehnung an NumericCitizen 2019; Apple 2020)
3.1 Der Begriff des Produktes
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Abb. 3.8 Rekonstruierte Produktorganisation einer Brauerei. (In Anlehnung an Raupach 2017, S. 198 f.; Kaiser-Brauerei 2020)
Eine Brauerei hingegen mag folgende exemplarische Produktorganisation aufweisen (Abb. 3.8). ◄ Mit diesen grundsätzlichen Überlegungen und Klassifikationen ist der Produktbegriff und damit der „Erfahrungsgegenstand“ des Produktmanagements bzw. das mögliche Zuständigkeitsfeld der Produktmanagerin hinreichend definiert. Zusammenfassung: Was ist ein Produkt?
Unter „Produkten“ werden im Kontext des Produktmanagements Nutzen stiftende Leistungen für Kunden verstanden, die in marktwirtschaftlichen Versorgungssystemen auf der Basis von Gegenleistungen (i. d. R. Entgelt) angeboten werden. Produkte können nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert werden: • nach dem Materialitätsgrad in physischen Waren, Dienstleistungen, Rechte oder Kombinationen aus diesen „Aggregatszuständen“; • nach der Intensität des Kaufentscheidungsprozesses in Verbrauchs- oder Konsumgüter, Gebrauchs- oder Investitionsgüter und kundenindividuelle Güter. Eng damit verknüpft ist die Unterscheidung zwischen „Business-toConsumer“ (B2C) und „Business-to-Business“ (B2B) Produkten. • nach der Produktorganisation in Portfolios, Produktfamilien, Produktgruppen und/oder Produktlinien sowie Einzel- und Teilprodukte.
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Diese Klassifikationen ermöglichen es, den Gegenstand des Produktmanagements und die Zuständigkeit von Produktmanagerinnen präziser zu beschreiben. ◄
3.2 Handlungsfelder des Erfolgs von Produkten Wenn unter Produkten Nutzen stiftende Leistungen am Markt verstanden werden, ist evident, dass ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Produkte die „Marktfähigkeit“ darstellt. Dieser Begriff bedeutet, dass die anvisierte Kundengruppe ein Produkt als erstrebenswert und erschwinglich erkennt und erfährt. In diesem Sinne ist die Begriffsbedeutung von „Marketability“ umfassender als diejenige der „Desireability“, wie sie im „Design Thinking“-Ansatz verwendet wird (vgl. Brown 2009, S. 9–18). Erstens integriert der Begriff die Erkennbarkeit des Nutzens durch den Kunden und Anwender, was durch Marketingmaßnahmen gefördert wird (vgl. McCarthy 1960). Zweitens wird nicht nur die absolute Attraktivität des Produkts durch den Kunden fokussiert, sondern diese in Relation zu dem zu entrichtenden Preis gesetzt, also das Preis-Leistungs-Verhältnis als entscheidend thematisiert. Das Erfolgskriterium der Marktfähigkeit ist aus der Perspektive des Nachfragers relevant. In marktwirtschaftlichen Versorgungssystemen muss darüber hinaus aber auch die Perspektive des Anbieters angemessen berücksichtigt werden. Deshalb stellt ein zweitens Kriterium für erfolgreiche Produkte die „Profitabilität“ dar. Darunter wird verstanden, dass ein Produkt mindestens finanzierbar und auf mittelfristige Sicht auch wirtschaftlich selbsttragend sein muss. Das gilt für erwerbs- und gemeinwirtschaftliche Organisationen gleichermaßen. Darüber hinaus sollte es in irgendwelche Hinsichten unternehmerisch sinnvoll sein. Dieser unternehmerische Nutzen kann in individuell definierten Cashflow-, Gewinn- und Rentabilitätserwartungen, aber auch in Lernerfahrungen mit bestimmten Technologien und/oder Märkten bestehen. Damit ist der hier verwendete Profitabilitätsbegriff breiter gefasst als in den finanzwirtschaftlichen Disziplinen (vgl. Ballings et al. 2018; Seissian et al. 2018). Der Begriff unterscheidet sich ferner von dem Ziel der „Viability“ im „Design Thinking“, der eher auf die minimalen ökonomischen Existenzbedingungen als den unternehmerischen Nutzen abhebt (vgl. Brown 2009, S. 9–18).
3.2 Handlungsfelder des Erfolgs von Produkten
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Das vermittelnde Element zwischen „Marktfähigkeit“ und „Profitabilität“ stellt die „Lieferbarkeit“ dar. Damit ist gemeint, dass ein Produkt in der geforderten Qualität und Quantität entwickel-, produzier-, distribuier- und wartbar sein muss, damit Leistungsversprechen zugesichert und auch erfüllt werden können. Die Umsetzung der Lieferbarkeit erfolgt über Geschäftsprozesse, die wirksam und wirtschaftlich funktionieren müssen, um Nutzen stiftende Leistungen vom Unternehmen zum Kunden zu transportieren und „Marktfähigkeit“ und „Profitabilität“ sicherzustellen. Auch hier ist der Begriff breiter gefasst als derjenige der „Feasibility“ im „Design Thinking“ (vgl. Brown 2009, S. 9–18). Denn es geht nicht nur um die technische Umsetzbarkeit in Entwicklungsprozessen, sondern auch um Beschaffungs-, Produktions-, Vertriebs- und Serviceprozesse, d. h. die gesamten Leistungs- und Unterstützungsprozesse eines Unternehmens. Diese drei Kriterien für Produkterfolg werden hier Handlungsfelder genannt. Denn sie markieren zugleich die zentralen Ziele und Aufgabenbereiche des Produktmanagements (vgl. Abb. 3.9).
Abb. 3.9 Handlungsfelder erfolgreicher Produkte. (In Anlehnung an Brown 2009, S. 9–18; Vahs und Brem 2013, S. 38–51)
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Abb. 3.10 Inhalte eines Geschäftsmodells. (In Anlehnung an Osterwalder und Pigneur 2010; Gassmann et al. 2017)
Die hier zugrunde gelegten Handlungsfelder des Erfolgs von Produkten entsprechen relativ genau dem, was als grundlegende Inhalte eines Geschäftsmodells (Business Model) verstanden wird (vgl. Abb. 3.10). • Marktfähigkeit: Erstens wird in einem Geschäftsmodell definiert, welcher Nutzen (Value Proposition) welchen Kunden(gruppen) angeboten wird. Dies kann noch durch die Definition der Vertriebskanäle, Kommunikationsbeziehungen und Preisgestaltungen detailliert werden. • Lieferbarkeit: Zweitens muss in einem Geschäftsmodell abgebildet werden, wie dieses Nutzenversprechen realisiert wird. Dies geschieht durch Kernprozesse, die wiederum bestimmter Ressourcen und gegebenenfalls externer Partner bedürfen. • Profitabilität: Drittens enthält ein Geschäftsmodell Aussagen über die Kostenstrukturen und Umsatzquellen eines Geschäfts. Das erste Modell ist aus den Geschäftsprozessen und den dafür erforderlichen Ressourcen, das zweite Element aus den Kundenbeziehungen ableitbar. Das hier vorgeschlagene Modell zur Definition des Erfolgs eines Produktes dient somit als Leitlinie für die Aufgaben des Produktmanagements, das auch entlang des „Business Model Canvas“ – Gedankens strukturiert werden kann.
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Zusammenfassung: Wie kann Produkterfolg definiert werden?
Produkterfolg lässt sich durch drei Handlungsfelder abbilden. Ein erfolgreiches Produkt muss • erstens marktfähig, d. h. für definierte Kundensegmente erkennbar, erstrebenswert und erschwinglich, sein; • zweitens lieferbar, d. h. entwickel-, produzier-, distribuier- und wartbar sein, damit Leistungsversprechen gemacht und zuverlässig eingehalten werden können; • drittens profitabel, d. h. mindestens finanzierbar und mittelfristig wirtschaftlich selbsttragend, sowie darüber hinaus von unternehmerischem Nutzen, sein. Diese drei Handlungsfelder konstituieren auch die Kernelemente eines Geschäftsmodells, das als Leitfaden für die genannten Handlungsfelder dienen kann. ◄
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten Wenn die Kriterien für Produkterfolg definiert sind, ist damit zugleich die Basis gelegt für dessen Controlling. Ein weit verbreitetes Missverständnis in Bezug auf Controlling beruht auf der Fehlübersetzung des englischen Begriffs „Controlling“ als „Kontrolle“. Dieses Missverständnis ist akademisch weit weniger schwerwiegend als in der Praxis des Controllings, in der große Mengen an Kennzahlen produziert werden – weil sie oft produziert werden können –, ohne dass jemand diese Zahlen zur Steuerung nutzt. Denn das ist die korrekte Übersetzung des Begriffs: Controlling = Steuerung. Darunter fallen folgende Aufgaben (Abb. 3.11).
Abb. 3.11 Der Controlling-Begriff. (Vgl. Jung 2016, S. 1176 f.)
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Abb. 3.12 Aufgaben des Produkt-Controllings. (In Anlehnung an: Reichmann et al. 2017, S. 1–33; Horváth et al. 2020, S. 1–34; Weber und Schäfer 2020, S. 3–62)
u Definition Controlling hat die Funktionen • Soll-Ist-Vergleiche in einem definierten Kontrollfeld zu ermitteln, • Ursachen für Soll-Ist-Abweichungen zu identifizieren, • Vorschläge für Korrekturmaßnahmen zu machen und zu initiieren. Zur Erfüllung dieser Funktionen müssen erstens Zielwerte definiert, zweitens IstWerte erfasst, analysiert und beurteilt und, drittens, Maßnahmen vorgeschlagen und initiiert werden, um gegebenenfalls auftretende Soll-Ist-Abweichungen zu minimieren. Zur Wahrnehmung dieser Controlling-Aufgaben bedarf es des Aufbaus eines Informationssystems, was neben den „operativen Regelkreisaufgaben“ ebenfalls zu den Aufgaben des Controllings zählt, da es dessen Arbeitsgrundlage bildet (vgl. Reichmann et al. 2017, S. 1–33; Horváth et al. 2020, S. 1–34; Weber und Schäfer 2020, S. 3–62). Diese grundsätzlichen Aufgaben des Controllings treffen auch für das Controlling von Produkten zu.6 Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Kontrollfeld nicht ein Unternehmen oder eine Organisationseinheit, sondern ein Produkt ist, wie es in Abschn. 3.1 definiert worden ist (vgl. Abb. 3.12). 6Ein
etwas komplizierteres Modell des Produktcontrollings schlagen Tomczak et al. 2007, S. 481–488 sowie Bruhn und Hadwich 2017, S. 331–372 vor.
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Diese Aufgaben des Produkt-Controllings sollen im Folgenden erläutert werden. Definition von Zielwerten Die Grundlage für den Aufbau eines Controlling-Systems sind klare, messbare und terminierte Ziele, die definieren, was man konkret unter „Produkterfolg“ versteht. Ziele unterscheiden sich von Visionen und Vorhaben dadurch, dass sie mindestens eine spezifische Aussage enthalten („specific“), einen Messindikator benennen, anhand dessen der Grad der Zielerreichung festgestellt werden kann („measurable“) und einen Termin für die Zielerreichung angeben („time-related“). Erst dadurch werden Ziele operativ wirksam, d. h. steuerbar bzw. „controllable“. Daneben sollten sie auch noch einer spezifischen Funktion oder Person zuordenbar sein („assignable“), die das Ziel auch als attraktiv oder zumindest annehmbar befinden. Darüber hinaus wird die Forderung erhoben, dass Ziele realistisch („realistic“) mit den vorhandenen Ressourcen und unter den gegebenen Bedingungen erreichbar sein sollten. Diese fünf Anforderungen hat erstmals George Doran (1981) in dem Akronym „SMART“ zusammengefasst – ein Akronym, das seither mit vielfältigen alternativen Bedeutungen belegt wurde.7 Die erste Herausforderung für ein Produkt-Controlling besteht folglich darin, festzulegen, worin jeweils klare, messbare, terminierte und realistische Zielwerte für ein Produkt bestehen. Zielwerte für ein nachhaltigeres Smartphone
Die Marktfähigkeit der Smartphone-Produktfamilie eines bestimmten Herstellers wird üblicherweise anhand des Absatzes (in Stück) oder Umsatzes (in Geldwerten) festgestellt. Setzt man diese beiden Kriterien ins Verhältnis zum Absatz- oder Umsatzvolumen des Gesamtmarktes oder des stärksten
7Vgl. dazu Locke und Latham (1990, S. 27 ff.), die ca. 400 psychologische Studien über den Zusammenhang von Zielen und Arbeitsleistung zu einer Theorie integrierten. Dabei heben sie insbesondere die positiven Effekte von Zielen, die die Attribute „clarity“, “challenge“, „commitment“, „feedback“ und „task complexity“ aufweisen, auf die Arbeitsleistung hervor. Das entspricht in weiten Teilen der Anforderung, Ziele sollen SMART sein.
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Abb. 3.13 Marktanteile der führenden Hersteller von Smartphones weltweit von 2009 bis 2019 (IDC 2020)
Wettbewerbers erhält man den (absoluten oder relativen) Marktanteil. Dieser fällt für die größten Smartphone-Hersteller, gemessen am Absatz weltweit, über den Zeitraum der letzten 10 Jahre wie folgt aus (vgl. Abb. 3.13). Die Grafik macht deutlich, dass der Markt in den letzten 10 Jahren vor allem durch zwei Hersteller, Apple und Samsung, dominiert wurde. In den letzten fünf Jahren kamen Huawei als dritter großer Anbieter, sowie Xiaomi und Oppo, jeweils mit kleineren Marktanteilen, hinzu. Diese fünf Anbieter setzen heute etwa 70 % des Marktvolumens an Smartphones ab. Die restlichen 30 % des Absatzes werden zwischen vielen kleinen Anbieter aufgeteilt. Neue Anbieter auf dem Markt, wie Fairphone oder Shiftphone, dürften mit Absatzzahlen von ca. 10.000–150.000 Stück pro Jahr rechnen (vgl. Zajonz 2018). Diese Absatzzahlen liegen, gemessen am weltweiten Marktanteil, im niedrigen Promillebereich. So verkauft Apple pro Tag mehr Smartphones als einer dieser kleinen Anbieter in sechs Jahren. In dieser Situation besteht das Ziel für Nischenanbieter mit Nachhaltigkeitsanspruch darin, den eigenen Absatz oder Umsatz pro Jahr um 10 %–30 % gegenüber dem Vorjahr zu steigern. Dazu bedarf es Strategien, die über die Verkaufsargumente „konfliktfreie Metalle“
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Abb. 3.14 Bekannte Fehler bei Smartphones nach Betriebssystemen im 1. Quartal 2017. (Vgl. Vaidos 2017)
und „Verlängerung des Lebenszyklus“ hinausgehen. Denn diese adressieren vor allem Nutzerbedürfnisse wie „gutes Gewissen“ und „nachhaltiges Image“ (vgl. Hauck 2014; Horn 2019). Es müssen darüber hinaus grundlegendere Bedürfnisse einer größeren Zielgruppe adressiert werden, wie beispielsweise Robustheit, Zuverlässigkeit oder Reparierbarkeit. Das wird im Handlungsfeld „Lieferfähigkeit“ adressiert. Das Handlungsfeld der Lieferbarkeit bezeichnet in erster Linie die Definition und Einhaltung von Leistungsversprechen. Zur Beurteilung der Ist-Situation hilft zunächst ein Blick auf die bekannten Fehler ausgelieferter Smartphones (Abb. 3.14). Der Indikator Fehlerrate, der in der hier referenzierten Studie berichtet wird, misst auffällige Leistungsprobleme bei Smartphones im Markt, die nicht gelöst werden konnten. Die Studie der Blancco Technology Group basiert auf den Daten von Millionen von Smartphones weltweit, die aufgrund dieser Fehler zur Diagnose gebracht wurden. Folgt man diesen Messwerten, müssten sich die zwei wesentlichen Ziele für die Lieferfähigkeit bei Android-basierten Fairphoneund Shiftphone-Geräten erstens auf die Robustheit gegenüber App-Abstürzen und zweitens auf die Kontinuität der Prozessor- und Speicherleistung beziehen. Beide Ziele sind über Validierungs- bzw. Abnahmetests der Geräte vor der Markteinführung prüfbar. Im Hinblick auf die Robustheit gegen App-Abstürze können sich diese Ziele auch auf die Apps in Google Play und anderen AppStores beziehen, die jeweils einen Zertifizierungsprozess durchlaufen. In zweiter Linie kann sich die Lieferbarkeit auch auf die Lieferfähigkeit beziehen, d. h. auf das Vermögen, nachgefragte Geräte in den einzelnen Vertriebskanälen auch auszuliefern. Auch in diesem Punkt gab es in der
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Vergangenheit mehrfach Probleme, insbesondere aufgrund von Ausfällen in den weit verzweigten, personalintensiven Lieferketten. So wird aktuell beispielsweise in Folge der globalen CoVID-19 Krise ein Rückgang der Smartphone-Produktion für 2020 von bis zu 12 % im Vergleich zum Vorjahr aufgrund von Lieferengpässen von passiven Komponenten und Kameras in China erwartet. Entsprechend korrigieren die Hersteller ihre Umsatzprognosen nach unten (vgl. TrendForce 2020; Hübner 2020). Ein Zielwert für Hersteller nachhaltigerer Smartphones könnte angesichts dieser Situation ein Lieferbereitschaftsgrad (= Anzahl an ausgelieferten Bestellungen/Anzahl an Bestellungen * 100) von wenigstens 70 % durch Multiple-Sourcing-Strategien und erhöhte Sicherheitsbestände sein. Diese Strategien für eine erhöhte Lieferfähigkeit erfordern wiederum erhöhte Kosten, die entweder die Marge der Hersteller schmälern oder in Form von erhöhten Preisen an Kunden weitergegeben werden. Im Hinblick auf die Profitabilität unterscheiden sich die einzelnen Smartphone-Hersteller nach Expertenschätzungen signifikant, wie der Überblick über die Umsatzrenditen (Anteil des operativen Gewinns am Umsatz) zeigt (vgl. Abb. 3.15).
Abb. 3.15 Weltweiter Anteil des Gewinns am Umsatz bei unterschiedlichen SmartphoneHerstellern 2016–2018. (Vgl. Chauhan 2018)
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Folgt man dieser Schätzung, ist es als Nischenanbieter in dem engen Markt relativ schwierig, profitabel zu arbeiten. Die höchsten Umsatzrenditen erwirtschaftet seit Jahren Apple durch die Möglichkeit, aufgrund der Premiumpositionierung am Markt Margen von bis zu 75 % auf die Geräte-Selbstkosten aufschlagen zu können. Hersteller, die diese Markenpositionierung nicht innehaben, wie beispielsweise Xiaomi, verkaufen dagegen ihre Smartphones eher auf dem Niveau der Selbstkosten und versuchen, durch Umsatzbeteiligungen an kostenpflichtigen Apps, Services und Zubehörverkäufe profitabel zu werden (vgl. Haller 2015). Diese Lage legt für die Zieldefinition von Anbietern wie Fairphone oder Shiftphone nahe, maximal niedrige einstellige Umsatzrenditeziele zu verfolgen. ◄ Zielwerte für nachhaltigere Bierprodukte
Die Marktfähigkeit von Bierprodukten wird in der Regel anhand des Absatzes in Hektolitern (hl) gemessen. Anhand dieses Indikators sieht die Marktstruktur für Bier in Deutschland wie folgt aus (vgl. Abb. 3.16).
Abb. 3.16 Inlandsabsatz der führenden Brauereigruppen in Deutschland 2016–2018 (in Mio. hl) (Lebensmittel-Zeitung 2019)
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Die Grafik zeigt, dass der deutsche Biermarkt durch die großen Brauereigruppen Radeberger, Anheuser-Busch InBev, Bitburger, Krombacher und Oettinger mit einem Inlands-Jahresabsatz von über 5 Mio. hl beherrscht wird. Es ist evident, dass in dieser Größenklasse andere Kategorien an Marketing- und Preissetzungsspielräumen herrschen als bei mittelständischen Brauereien mit einem Absatz zwischen 60.000 hl und 500.000 hl pro Jahr. Daher kann ein sinnvolles Ziel mittelständischer Brauereien nur darin bestehen, den bisherigen Umsatz möglichst auf konstantem Niveau zu halten. Dieses Ziel stellt aus zwei Gründen eine Herausforderung dar: Erstens aufgrund des bereits erwähnten kontinuierlichen Rückgangs des Bierkonsums in Deutschland, der konstante oder gar steigende Absatzziele schwierig zu erreichen macht. Umsatzziele lassen sich dann evtl. durch Preissteigerungen bzw. kleinere Gebinde realisieren. Zweitens, weil lokalen Brauereien angestammte Zielgruppen aus Altersgründen zunehmend wegbrechen. Daher bedarf es einer Verjüngung der Zielgruppen lokaler Brauereien, was nur durch eine Veränderung der Marktpositionierung möglich ist (vgl. Möbius 2009; VuMa 2018). Lieferfähigkeit im Sinne der Einhaltung von Leistungsversprechen ist beim Produkt Bier eher indirekt zu interpretieren, als Erfüllung erwarteter bzw. implizit vorausgesetzter Eigenschaften (vgl. Kano et al. 1984; DIN 2015, S. 10). Diese Eigenschaften werden in Deutschland u. a. durch den Test der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) definiert: Schaumstabilität, sortentypische Klarheit, sortentypischer Geruch, Geschmack beim Antrunk, Nachtrunk und hinsichtlich der Rezenz (Frische) (vgl. DLG 2020). Diese Eigenschaften werden durch einen stark standardisierten und zunehmend automatisierten Bierherstellungsprozess sichergestellt, in dem die typischen Gefahren und kritischen Lenkungspunkte („Hazard Analysis and Critical Control Points“) systematisch adressiert werden. Zu diesen typischen Gefahrenpotenzialen im Lebensmittelbereich zählen die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Technologien, mikrobiologische und oxidative Prozesse, Lagerbedingungen, Transport und Ausschank (vgl. Narziss 2017; Farber und Barth 2019, S. 369–476). Soweit diese Gefahrenpotenziale im Gestaltungsbereich des Herstellers liegen, können diese mittlerweile sehr gut durch konstruktive Qualitätssicherungsmaßnahmen minimiert werden (vgl. Abb. 3.17).
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Abb. 3.17 Typische Gefahrenpotenziale bei der Bierherstellung
Zielwerte für mittelständische Brauereien sind in jedem Falle eine 0-Fehlerrate in Bezug auf die oben definierten Qualitätskriterien durch standardisierte und kontrollierte Herstellungsprozesse. Denn derartige Qualitätsprobleme, auch wenn sie nur in einer Charge auftreten, wären insbesondere für lokal orientierte, kleine und mittelständige Brauereien ein Fehler mit schwerwiegenden Konsequenzen. Die schnell erworbene Reputation „schlechtes Bier“ verflüchtigt sich insbesondere im lokalen Raum in der Regel erst nach fünf oder mehr Jahren wieder. Lieferfähigkeit im Sinne einer ungebrochenen Lieferbereitschaft ist im Fall von Bier schwerer zu erreichen als eine gleichbleibende Qualität, da Bier primär ein saisonales Getränk ist, das die höchsten Absätze im Sommer und zu Events (v. a. Feste, Sportereignisse) verzeichnet. So werden in heißen Sommermonaten wiederholt Lieferengpässe wegen der hohen Nachfrage und/ oder unzureichender Getränkelogistik (Pfandflaschenrücklauf, Verfügbarkeiten von Euro-Flaschen) gemeldet (vgl. Vick und Brenner 2017; Gravert 2018).
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Da Bier ein Frischeprodukt darstellt, das einerseits sortentypische Reifezeiten benötigt und, andererseits, nach der Reifezeit nicht endlos gelagert werden kann, stellt die Bedarfs- und Kapazitätsplanung eine eigenständige Herausforderung dar. Diese kann eventuell durch neuere „Advanced Planning“- und „Predictive Analytics“-Modelle und- Technologien in Zukunft etwas besser bewältigt werden (vgl. Tempelmeier 2008; Wannenwetsch 2014; Siegel 2016). Im Hinblick auf die Profitabilität ist festzustellen, dass die Kapital- und Umsatzrentabilitäten kleiner und mittelständischer Brauereien in der Regel im unteren einstelligen Prozentbereich liegen (vgl. Maack et al. 2011, S. 77 f.). Das ist auf Faktoren wie die bereits erwähnte rückgängige Nachfrage nach Bier im Handel und in der Gastronomie, dem damit eingehenden Preiskampf sowie steigenden Energie- und Logistikpreise zurückzuführen (vgl. Eke et al. 2014; Unex 2017; Stracke und Homann 2017, S. 40–50). So entwickelten sich die Preise für Bier in den letzten 10 Jahren im Vergleich zur Verbraucherpreisentwicklung lediglich unterdurchschnittlich (vgl. Statistisches Bundesamt 2020). Gleichzeitig steigen die Preise für Energie und Logistik, die einen Großteil der Kostenstruktur für die Bierherstellung ausmachen (vgl. Abb. 3.18).
Abb. 3.18 Kostenstrukturen von Fass- und Flaschenbier (Eke et al. 2014, S. 12; Statistisches Bundesamt 2019)
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Die Kostenstruktur macht überdies deutlich, dass der Vertriebskanal Gastronomie (Fass) deutlich höhere Margen ermöglicht als der Vertriebskanal Groß- und Einzelhandel (Flasche). Der erstgenannte Vertriebskanal verliert jedoch in den letzten 10 Jahren zunehmend mehr Anteile am gesamten Bierabsatz (vgl. Brewers of Europe 2019). Aus diesen Gründen sind die Möglichkeiten zur Gestaltung einer profitablen Produktstrategie begrenzt. Kleine und mittelständische Brauereien können in dieser Situation die Ziele verfolgen, einerseits die Kostenstruktur durch Energieeffizienzmaßnahmen oder Interessensgemeinschaften weitgehend konstant zu halten. Andererseits sollten auch die Umsätze bei sinkenden Absatzzahlen wenigstens auf demselben Niveau gehalten werden, etwa durch Neupositionierungen am Markt, durch die Entwicklung lokaler Bierspezialitäten und/oder durch den vermehrten Absatz über Events und Feste. Diese Maßnahmen erlauben in der Regel einen größeren Preissetzungsspielraum. ◄ Die Zielwerte, die in den beiden Beispielen angeführt wurden, machen deutlich, dass durch diese zwar der Produkterfolg definiert und gemessen werden kann, jedoch kaum steuerbar ist. Denn die herangezogenen Indikatoren, wie Umsatz, Absatz, Marktanteile, Fehlerraten, Lieferbereitschaftsgrade oder Rentabilitäten stellen vergangenheitsorientierte Output-Indikatoren dar. Ihre Unterstützungsfunktion für die Steuerung von Produkten im unternehmerischen Alltag ist, wie Robert Kaplan es ausdrückt, ähnlich, wie wenn man „ein Auto mit Hilfe des Rückspiegels steuern“ wollte (vgl. Kaplan 1996). In der Vergangenheitsorientierung und unzureichenden Steuerungsfunktion liegt die Hauptkritik an den „klassischen“ Kennzahlen im Controlling (vgl. Kaplan und Norton 1992, S. 71 f.; Kaplan und Norton 1996, S. 1–21). Denn dies bedeutet, dass… • …Soll-Ist-Abweichungen zu spät erkannt werden: Wünschenswert wären „Frühwarnindikatoren“ die zeitnah anzeigen, wenn die ProduktmanagementMaßnahmen nicht die gewünschten Wirkungen erzielen. • …Abweichungsursachen nur schwer identifiziert werden können: Wünschenswert wären Indikatoren, die Ursachen für Abweichungen der Soll-Prozessleistung anzeigen. • …Korrekturmaßnahmen unsicher und kostenintensiv sind: Wünschenswert wären Indikatoren, die die Identifikation und Initiierung von Korrekturmaßnahmen vereinfachen. In der Terminologie des Controllings sind genau das die Leistungen eines „Performance Measurement Systems“ (vgl. Grüning 2002, S. 3–20; Gleich 2011, S. 9–66; Kleindienst 2017, S. 33–84):
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
u Definition Unter einem „Performance Measurement System“ wird ein System von miteinander verknüpften, mehrdimensionalen Indikatoren verstanden, die den Erfolg eines Produkts im Zeitablauf abbilden. Dieses System von Indikatoren erfasst nicht nur Endergebnisse, sondern auch Zwischenergebnisse und Input-Größen. Auf diese Weise können dadurch erstens frühzeitig Abweichungen identifiziert, zweitens leichter Abweichungsursachen festgestellt und drittens zielgerichtete Korrekturmaßnahmen initiiert werden. Beispiele für „Performance Measurement Systeme“ auf gesamtunternehmerischer Ebene sind die Balanced Scorecard (Kaplan und Norton 1992, 1996) sowie das EFQM-Modell für Exzellenz (European Foundation for Quality Management 2013). Geleitet von der Idee eines „Performance-Measurements“ sollen die Indikatoren für den Produkterfolg in Output-, Prozess- und Input-Indikatoren kategorisiert werden. Output-Indikatoren operationalisieren die Ergebnisse von Produkten am Markt, Prozess-Indikatoren „Frühwarnsignale“ für die Erzielung dieser Ergebnisse und Input-Indikatoren „Möglichkeitsbedingungen“ (Foucault 1991, S. 35), die existieren müssen, damit ein Produkt überhaupt erfolgreich werden kann. Diese Indikatoren, die jeweils produktspezifisch auszuwählen, zu präzisieren und zu einem System zu verknüpfen sind, finden sich in Abb. 3.19.
Abb. 3.19 Indikatoren erfolgreicher Produkte
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Abb. 3.20 Messgrößen für das Handlungsfeld Marktfähigkeit. (Vgl. Herrmann und Huber 2013, S. 277–314; Kühnapfel 2014, S. 9–12; Kotler 2016, S. 836–866; Krause 2016; Aumayer 2019, S. 193–228)
Die Indikatoren bilden die Grundlage für die Entwicklung von Messgrößen, anhand denen der Produkterfolg mess- und steuerbar wird.8 Diese sollten möglichst wenige in der Anzahl, valide in ihrer Aussagekraft, verständlich und pragmatisch für die Aufgabe der Steuerung, wirtschaftlich erheb- und analysierbar sowie über den Zeitablauf vergleichbar sein (vgl. Kühnapfel 2014, S. 5–8). Beispiele für Messgrößen für die drei genannten Handlungsfelder sind folgende (vgl. Abb. 3.20, 3.21 und 3.22). 8An dieser Stelle wird bewusst der Begriff der Messgröße und nicht derjenige der Kennzahl oder des „Key Performance Indicators“ (KPI) verwendet, da diese so definiert sind, dass eine Messgröße durch einen Operator zu einer Bezugsgröße in Relation gesetzt wird (z. B. Nettoumsatzrendite = Gewinn vor Steuern/Umsatz) (vgl. Kühnapfel 2014, S. 40 f.). Diese Bezugsgröße fehlt zuweilen bei den produktbezogenen Messgrößen. Bis auf diesen Unterschied haben Messgrößen jedoch dieselben Funktionen wie Kennzahlen oder „Key Performance Indicators“.
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Abb. 3.21 Messgrößen für das Handlungsfeld Lieferbarkeit. (Vgl. Lennertz 2006, S. 143– 150; Kühnapfel 2014, S. 44–49; Wannenwetsch 2014, S. 690–698; Schmitt 2015; Krause 2016)
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Abb. 3.22 Messgrößen für das Handlungsfeld Profitabilität. (Vgl. Joos und Koslid 2012, S. 178–212; Kotler 2016, S. 836–866; Krause 2016; Aumayer 2019, S. 225–228)
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Abb. 3.23 Beispiel für ein Performance Measurement System „Fairphone 3“
Die vorgeschlagenen Messgrößen repräsentieren unabgeschlossene Listen von Ideen, aus denen produktspezifisch wenige, valide, pragmatische, verständliche, wirtschaftlich erheb- und vergleichbare Kenngrößen auszuwählen sind. Die jeweiligen „Performance Measurement Systeme“ für die hier verwendeten Beispiele eines nachhaltigen Smartphones, dargestellt am Beispiel „Fairphone“ sowie eines Bio-Pilsners einer mittelständigen Brauerei könnten wie in Abb. 3.23 und 3.24 aussehen.
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
Abb. 3.24 Beispiel für ein Performance Measurement System für ein Bio-Pilsener
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Abb. 3.25 Das ATAR-Modell des Produkt-Controllings. (Vgl. Crawford und Di Benedetto 2014, S. 205–209)
Eine andere Form eines „Performance Measurement Systems“ im Konsumgüterbereich stellt das ATAR-Modell dar (vgl. Crawford und Di Benedetto 2014, S. 205–209). Danach werden – entlang des Diffusionsprozesses von Konsumprodukten im Markt – vier Indikatoren und Messgrößen definiert (vgl. Abb. 3.25). Ausgehend vom Marktpotenzial wird in einem ersten Schritt abgeschätzt und als Zielwert definiert, welcher Anteil an potenziellen Käufer in einem bestimmten Gebiet auf das Produkt aufmerksam wird („Awareness“). Das lässt sich beispielsweise über die Messgröße des (gestützten oder ungestützten) Bekanntheitsgrads ermitteln (= Anzahl von Kunden, die das Produkt kennen/Gesamtanzahl potenzieller Kunden im Zielmarkt). Ein gewisser prozentualer Anteil derjenigen, die das Produkt kennen, probiert dann das Produkt aus („Trial“). Das lässt sich über die Messgröße des Erstkäuferanteils ermitteln (= Anzahl von Erstkäufern/Gesamtanzahl von Kunden, die das Produkt kennen). Um schließlich von den Erstkäufern zu einer wirtschaftlichen Gesamtzahl an Käufern zu gelangen, muss das Produkt in dem definierten Marktgebiet erhältlich sein („Availability“). Die Erhältlichkeit ist über die Distributionsrate ermittelbar (= Anzahl der Vertriebskanäle, die das Produkt anbieten/Gesamtzahl der Vertriebskanäle im Zielmarkt).
3.3 Steuerung des Erfolgs von Produkten
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Ist „Availability“ vorausgesetzt, besteht das letzte Ziel darin, einen hohen Anteil an Wiederkäufern zu erreichen („Repeat“). Dies lässt sich beispielsweise über die Wiederkäuferrate ermitteln (= Anzahl von Wiederholungskäufern/Anzahl der Erstkäufer). Ein „Performance Measurement System“ nach dem ATAR-Modell könnte somit wie folgt aussehen (Tab. 3.1). Tab. 3.1 Performance Measurement System nach dem ATAR-Modell Position
Anteil
Zielmarktgröße (Anzahl potenzieller Käufer)
Ergebnis 3.000.000
Aware (potenzielle Käufer, die aufmerksam werden)
40 %
1.200.000
Trial (potenzielle Käufer, die das Produkt ausprobieren)
20 %
240.000
Availability (potenzielle Käufer, die das Produkt erwerben können)
40 %
96.000
Repeat (potenzielle Käufer, die Wiederholkäufer werden)
50 %
48.000
Der Vorteil dieses Zielsystems wird damit unmittelbar klar: Wenn definierte Absatz- oder Umsatzziele für ein neues Bierprodukt oder ein neues Smartphone nicht erreicht werden und die Ist-Werte des ATAR-Modells bekannt sind, ist leicht identifizierbar, an welchen Stellen Controlling-Maßnahmen ansetzen müssen: Die Zielmarktgröße ändern; den Bekanntheitsgrad des Produkts durch klassische Kommunikationsmaßnahmen steigern („Awareness“); Kunden durch Verkaufsförderungsmaßnahmen zum Test bewegen („Trial“); die Erhältlichkeit des Produkts durch die Erhöhung der Distributionsquote verbessern; die genauen Gründe für die unzureichende Wiederkaufsquote ermitteln und diese durch entsprechende Produktentwicklungs-, Preis-, Vertriebs- oder Kommunikationsaßnahmen adressieren. Zusammenfassung: Definition von Zielwerten
Für die Konzeption eines Produkt-Controllings ist es unabdingbar, für die Handlungsfelder Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität klare und spezifische, messbare sowie terminierte Indikatoren, Messgrößen und Zielwerte zu definieren. Diese beziehen sich im ersten Schritt auf Ergebnisse am Markt. Ein rein ergebnisorientiertes Produktcontrolling hat jedoch den Nachteil, dass dieses kein „Frühwarnsystem“ darstellt, durch welches SollIst-Abweichungen frühzeitig identifiziert werden können. Aus diesem Grund sollte Produkt-Controlling zu einem Controlling-System oder „Performance Measurement-System“ ausgebaut werden. Dieses umfasst für die drei definierten Ziel- und Handlungsfelder Input-, Prozess- und OutputIndikatoren mit den entsprechenden Messgrößen.
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3 Was zeichnet ein erfolgreiches Produkt aus betriebswirtschaftlicher Sicht aus?
Ein solches Controlling-System hat die Vorteile, dass frühzeitig Probleme erkannt, Ursachen besser analysiert und Steuerungsmaßnahmen zielgerichteter getroffen werden können. Es birgt aber auch das Risiko in sich, zu einem unübersichtlichen und aufwendigen „Zahlenfriedhof“ zu werden. Deshalb ist es auch hier wichtig, sich auf möglichst wenige Indikatoren und Messgrößen zu beschränken. ◄ Erhebung und Beurteilung des Produkterfolgs Ein wesentliches Auswahlkriterium für Indikatoren und Messgrößen zur Feststellung des Produkterfolgs stellt deren wirtschaftliche Erhebbarkeit und deren Eignung für Steuerungsmaßnahmen dar (vgl. Kühnapfel 2014, S. 47). Dazu müssen die Methoden der Erhebung und Beurteilung der Produktleistung bekannt und wirtschaftlich umsetzbar sein. Die Erhebungsmethoden sind dabei weitgehend dieselben, die schon seit langem aus der Marketingforschung, der Organisationslehre und dem klassischen Controlling bekannt sind (Abb. 3.26).
Abb. 3.26 Erhebungsmethoden für den Produkterfolg. (Vgl. Bühner 2004, S. 17–60; Peng und Finn 2008; Grunwald und Hempelmann 2012, S. 46–53; 2013, S. 545–564; Herrmann und Huber 2013, S. 36–48; Koch 2016, S. 40–76; Magerhans 2016, S. 115–133; Hague 2016, S. 3–16; Kuß 2018, S. 49–224; Horváth et al. 2020, S. 187–345; Weber und Schäfer 2020, S. 85–114; Bland und Osterwalder 2020, S. 27–312)
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Die grundsätzlichen Methoden der Datenerhebung zur Erhebung der Produktleistung sind: • Sekundärdatenerhebung: Darunter fällt jegliche Recherche, Analyse und Aufbereitung von Dokumenten und Datenbanken zu Marktthemen, finanzwirtschaftlichen Daten oder Prozessthemen. Diese können organisationsinterner oder -externer Herkunft sein. Diese Methode ist vergleichsmäßig unaufwendig und daher als Einstieg zu wählen. Die Nachteile der Methode bestehen in der häufig unzureichenden Relevanz und/oder Aktualität der Informationen sowie im Aufwand zur Datenaufbereitung und -analyse. Diese Nachteile können im Controlling durch die Integration betrieblicher Anwendungssysteme zur automatisierten Datenintegration („Enterprise Application Integration (EAI)“ bzw. „Service Oriented Architectures (SOA)“) und durch die Aufbereitung mittels „Business Intelligence“-Systemen kompensiert werden (vgl. Sherman 2015; Schön 2018, S. 303–480). • Befragung: Befragungen können grundsätzlich mündlich (Interview) oder schriftlich (Fragebogen) zu nahezu jedem Thema der Messung des Produkterfolgs durchgeführt werden. Verglichen zu anderen Methoden der Primärdatenerhebung gehört die Befragung zu den eher unaufwendigen Methoden und wird aus diesem Grund auch relativ oft gewählt. Ihr Vorteil besteht in der Thematisierung von subjektiven Sichtweisen zu einem Thema, was vor allem bei der Validierung von Produktideen, -konzepten und -prototypen in Form von Einzelbefragungen oder Fokusgruppen zum Tragen kommt (vgl. Ries 2017, S. 92–148; Bland und Osterwalder 2020, S. 27–312; Hague et al. 2016, S. 67–92). Objektive Daten, wie beispielsweise Aufwände, Zeiten oder Qualitätsmerkmale, werden dagegen bei der Anwendung dieser Methode häufig stark verzerrt. Dies kann bewusst (politisch motivierte Antworten) oder unbewusst (unzureichende Abschätzungskompetenz) geschehen. • Beobachtung: Beobachtungen können als Labor- oder als Feldbeobachtungen durchgeführt werden und beziehen sich auf das Verhalten von Mitarbeitern, Kunden oder Händlern. Im ersten Fall werden die Umgebungsbedingungen stark kontrolliert (z. B. Reaktion von Konsumenten auf ein neues Produktdesign), im zweiten Fall findet die Beobachtung unter „natürlichen“ Umgebungsbedingungen statt (z. B. Beobachtung der Nutzung eines Gebrauchsprodukts im Alltag). In beiden Fällen ist die Beobachtung relativ zeitaufwendig, bringt aber Erkenntnisse zutage, die nicht über Beobachtungen
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objektiv erhebbar sind, z. B. das tatsächliche Verhalten von Nutzern mit einem Produkt. Dies kann auch über einen längeren Zeitraum in Form einer teilnehmenden Beobachtung erfolgen, wie es z. B. bei der ethnografischen Feldforschung der Fall ist (vgl. Carson et al. 2001, S. 132–157; Roller und Lavrakas 2015, S. 168–229; Hague et al. 2016, S. 93–102). • Experiment/Test: In einem Experiment oder Test – was hier gleichbedeutend verwendet werden soll – werden Eigenschaften eines Produkts oder Prozesses entweder unter natürlichen (Feldtest) oder kontrollierten Bedingungen (Labortest) nach definierten Testkriterien geprüft. Es bedarf also zur Durchführung eines Tests klarer Hypothesen und Prüfkriterien, Prüfmethoden und Prüffälle sowie Abnahmekriterien, die anzeigen, wann ein Test als „bestanden“ oder „nicht bestanden“ beurteilt werden kann. Diese Tests können sich auf Produktfunktionen, Marktakzeptanz oder Prozessfunktionen beziehen. Tests von Produktideen und -konzepten erfahren derzeit vor allem in agilen Vorgehensweisen zum Innovationsmanagement eine Renaissance (vgl. Ries 2017, S. 92–148; Bland und Osterwalder 2020, S. 27–312). • Selbstaufschreibung: Die Selbstaufschreibung ist vor allem als Methode der Organisationserhebung bekannt. Zur Identifikation von Mengen, Zeiten, Aufgaben und/oder Aufgabenträger werden Mitarbeiter angehalten, Notizen über ihre Aktivitäten zu verfassen. Dies kann auch als Multimomentstudie konzipiert werden, in welcher Mitarbeiter zu Zufallszeiten ein Signal bekommen, zu dokumentieren, was sie gerade in welchem Umfang machen. Über die Menge an Daten kann dann auf die Grundgesamtheit extrapoliert werden. Eine alternative Form der Selbstaufschreibung ist das Laufzettelverfahren, in dem ein physischer oder digitaler „Laufzettel“ an ein physisches oder digitales Objekt geheftet wird und dann die Bearbeitungs-, Warteund Liegezeiten des Objekts in den einzelnen Stellen ermittelt werden, was für eine „Wertstromanalyse“ hilfreich ist (vgl. Bühner 2004, S. 39 f.; Schulte-Zurhausen 2013, S. 556–562). • Panelstudie: Bei Panelstudien werden die gleichen Personen oder Untersuchungseinheiten (Haushalte, Händler, Unternehmen) zu denselben Fragestellungen über einen längeren Zeitraum wiederholt untersucht. Daher handelt es sich bei Panelstudien um Längsschnittstudien (Longitudinalstudien) und nicht um Querschnittsstudien wie bei den anderen oben erwähnten Methoden. Bei Panelstudien können ebenfalls Befragung, Beobachtung oder Tests zum
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Abb. 3.27 Aktualität und Kontinuität der Controlling-Informationen. (In Anlehnung an Fischermanns 2013, S. 381)
Einsatz kommen, weshalb Panelstudien quer zu den oben genannten Methoden liegen. Panelstudien ermöglichen, Veränderungen in den Einstellungen und/ oder Verhaltensweisen zu einem bestimmten Thema oder Produkt zu erfassen. Der Aufwand für die Datenerhebung sowie deren Nutzbarkeit für die Steuerung des Produkts im Markt sind dabei die entscheidenden Auswahlkriterien, die auch die Verwendung der Indikatoren und Messgrößen beeinflussen. Für ControllingZwecke ist es insbesondere von Bedeutung, wie aktuell und kontinuierlich Daten zur Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität von Produkten am Markt zur Verfügung stehen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die dargestellten Methoden erheblich (vgl. Abb. 3.27). Ferner ist für das Produkt-Controlling noch zu durchdenken, wie die erhobenen Daten aufbereitet werden, damit eine angemessene Beurteilung von Abweichungsursachen sowie eine zielgerichtete Entscheidung über Steuerungsmaßnahmen möglich ist. Hier haben sich folgende typische Berichtsformen für den Produkterfolg am Markt etabliert (vgl. Abb. 3.28):
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Abb. 3.28 Darstellungsformen des Produkterfolgs
• Statusberichte: In diesen wird der aktuelle Stand des Produkterfolgs am Markt dargestellt, beispielsweise in Form von Ampelstati • Fortschrittsberichte: Fortschrittsberichte beschreiben, darüber hinaus, den aktuellen Stand des Produkterfolgs vor dem Hintergrund der Ziele, typischerweise in Form von tabellarischen oder grafischen Soll-/Ist-Vergleichen. Dadurch wird das Ausmaß von Abweichungen repräsentiert • Trendberichte: Trendberichte repräsentieren neben der Soll-/Ist-Abweichung auch eine Vorhersage der prognostizierten zukünftigen Entwicklung, meist unter ceteris paribus Annahmen („es bleibt in der Zukunft, wie es in der Vergangenheit war“). Typische Darstellungsformen für diesen Berichtstypus sind Soll-/Ist-/Plan-Vergleiche in Form von grafischen Charts Die Gegenüberstellung der Darstellungsformen macht deutlich, dass mit zunehmendem Informationsgehalt der einerseits der Aufwand für die Datenerhebung und -aufbereitung wächst, andererseits aber auch die Möglichkeit zur Analyse und Adressierung von zielgerichteten Steuerungsmaßnahmen einfacher wird. Deshalb ist es für die Konzipierung eines Produkt-Controlling-Systems hilfreich, auch die Darstellungsformen miteinzubeziehen. In jedem Fall ist es hilfreich, beim Entwurf von Indikatoren und Messgrößen auch die Erhebungsmethoden, Erhebungszyklen, Darstellungsformen sowie den dadurch bedingten ungefähren Aufwand für das Produkt-Controlling zu planen (vgl. Abb. 3.29 und 3.30). Das soll sicherstellen, dass das Produkt-Controlling in einem angemessenen Nutzen-/Aufwand-Verhältnis konzipiert wird und nicht teure „Zahlenfriedhöfe“ entstehen.
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Abb. 3.29 Exemplarisches Controlling-Konzept für das „Fairphone 3“
Abb. 3.30 Exemplarisches Controlling-Konzept für ein Bio-Pilsener
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Zusammenfassung: Erhebung und Beurteilung der Produktleistung
Die Entwicklung von Indikatoren, Messgrößen und Zielwerten für die Definition und Messung von Produkterfolg erfordert weiterhin die Festlegung von Methoden zur Erhebung und Beurteilung der aktuellen Produktleistung am Markt. Für die Erhebung der Produktleistung stehen grundsätzlich dieselben Methoden zur Verfügung, die aus der Marketingforschung, der Organisationslehre und dem klassischen Controlling bekannt sind: Befragung, Beobachtung, Experiment/Test, Selbstaufschreibung sowie Panel-Studie. Diese Methoden liefern für das Produkt-Controlling kontinuierliche oder punktuelle Daten in unterschiedlicher Aufwandsintensität und Aussagekraft. Diese Daten müssen in einem weiteren Schritt aufbereitet werden, damit eine valide Beurteilung und Maßnahmenentscheidung möglich wird. Dafür werden in der Regel automatisiert generierte oder manuell aufbereitete Status-, Fortschritts- oder Trendberichte verwendet, die sich ebenfalls durch den Aufwand sowie die Aussagekraft unterscheiden. Die Gestaltung eines wirtschaftlichen und aussagekräftigen Controlling-Systems für den Produkterfolg ist also primär eine Entscheidung zwischen den gegenläufigen Zielen Wirtschaftlichkeit und Aussagekraft. Aus diesem Grund ist es empfehlenswert, das Controlling-Konzept für Produkte für den ganzen Prozess zu entwerfen, angefangen von den Indikatoren und Messgrößen, über die Methoden der Datenerhebung bis hin zu den Methoden der Datenaufbereitung sowie den damit einhergehenden Aufwänden. ◄
Entscheidung und Initiierung von Steuerungsmaßnahmen
Damit Prozess-Controlling nicht nur Kontrolle, sondern Steuerung ist, bedarf es als letzten Schritt auch des Entwurfs, der Entscheidung und Einleitung von Korrekturmaßnahmen, falls Ist-Werte von Soll-Werten signifikant und kontinuierlich abweichen. Auch in diesem Punkt ist ein Ausgleich zwischen der Wirtschaftlichkeit und der Qualität des Entscheidungsprozesses anzustreben. Hält man an dem klassischen Grundsatz fest, dass Controlling nur eine Vorschlags-, aber keine Entscheidungskompetenz besitzen darf, wäre für jede kleine Korrektur eine Entscheidung mittels Maßnahmenempfehlung vorzubereiten, ein Entscheidungsgremium einzuberufen, der Sachverhalt zu
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klären, die Entscheidungen zu dokumentieren und schließlich zu initiieren. Da aber wahrscheinlich die Pareto-Heuristik gilt, dass etwa 20 % aller Korrekturmaßnahmen ca. 80 % des gesamten Korrekturaufwands verursachen (vgl. Juran 1999, S. 5.20–5.24), bzw. anders formuliert, die meisten Korrekturentscheidungen kleinere Maßnahmen darstellen, wäre diese Vorgehensweise für den Entscheidungsprozess zu aufwendig. Es muss also ein ebenso risikosensibles wie praktikables Verfahren im Produkt-Controlling gefunden werden, um Verbesserungsmaßnahmen zu entscheiden und zu initiieren. Ein solches Verfahren wurde bereits 1966 im sogenannten „Harzburger Modell“ vorgeschlagen (vgl. Höhn 1977, S. 6 ff.). Danach enthält jeder Aufgabenträger einen fest abgegrenzten Verantwortungs-, Aufgaben- und Kompetenzbereich, in den grundsätzlich nicht eingegriffen werden darf. Dieser Kompetenzbereich lässt sich in einem Entscheidungsprozess durch Schwellenwerte abgrenzen, bis zu denen ein Aufgabenträger entscheiden darf. Somit ließe sich für das Produkt-Controlling folgende Entscheidungssystematik etablieren (vgl. Abb. 3.31).
Abb. 3.31 Segmentierung der Entscheidungen im Produkt-Controlling
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Ein Ergebnis der Analyse des Produkterfolgs im Markt ist die Beschreibung der Ist-Situation sowie der (vermuteten oder abgesicherten) Ursache(n). Dies zieht einen Änderungsbedarf nach sich, der nach zwei Kriterien klassifiziert werden kann: Risiken der Entscheidung und Aufwand der Maßnahmen. Sind beide Kriterien im „grünen Bereich“, d. h. involvieren sie geringe Risiken und einen Aufwand nicht höher als 3 Personentage, können die Maßnahmen durch den Produktmanager entschieden und initiiert werden. Ist mindestens eines der beiden Kriterien gelb – was entweder ein mittleres Risiko oder einen Aufwand zwischen vier und zehn Personentage oder beides bedeuten kann – muss der Abteilungsleiter entscheiden. Ist mindestens eines der Kriterien rot markiert – entweder, weil ein hohes Risiko vorliegt, oder ein Aufwand von über 4 Personentage erforderlich ist – entscheidet die nächst höhere Managementebene. Entscheidungsverfahren im Produkt-Controlling sollten also einer Kriterien basierten Segmentierung von Entscheidungstatbeständen folgen, die produktund unternehmensindividuell definiert werden können. Durch solche Verfahren kann die Idee der Delegation, welches ein Kernstück des Harzburger Führungsmodells darstellt, relativ einfach in ein Entscheidungsverfahren für Steuerungsmaßnahmen eingebaut werden. Natürlich kann es noch zu Missverständnissen darüber kommen, wie ein spezifisches Risiko oder ein spezifischer Aufwand einzuschätzen ist. Aber es ist zu erwarten, dass sich die wechselseitigen Einschätzungen mit der Zeit angleichen. So wäre dann eine Balance zwischen Risikominimierung und Effizienz im Entscheidungsverfahren erreichbar. ◄
Zusammenfassung: Entscheidung und Initiierung von Steuerungsmaßnahmen
Die zentrale Herausforderung bei der Entscheidung und Initiierung von Steuerungsmaßnahmen im Produkt-Controlling besteht in der Entwicklung eines risikosensiblen und effizienten Entscheidungsverfahrens. Da Steuerungsmaßnahmen einerseits Risiken beinhalten können und andererseits Ressourcen beanspruchen, müssen einerseits Managementvertreter Priorisierungsentscheidungen treffen. Andererseits ist zu erwarten, dass ein Großteil an Entscheidungen kleine Risiken mit sich bringen und geringen Aufwand beanspruchen. Deshalb kann nach diesen beiden Kriterien ein Entscheidungsverfahren etabliert werden, das je nach Grenzwerten andere Entscheidungsträger in die Verantwortung nimmt. ◄
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Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht erfolgreich gemacht?
Zusammenfassung
Der Erfolg von Produkten auf dem Markt ist nicht primär eine Frage der Definition und Messung, sondern der Gestaltung. Aus forschungsorientierter Perspektive lassen sich Hinweise für die Gestaltung erfolgreicher Produkte aus der Adoptions-, Diffusions- und Erfolgsfaktorenforschung ableiten (Abschn. 4.1). Aus anwendungsorientierter Sicht sind Prozessmodelle für die Sicherstellung des Erfolgs von Produkten am Markt dominierend. Deshalb werden in diesem Zusammenhang bestehende Prozessmodelle rekapituliert und zu einem Produktmanagement-Prozess aggregiert (Abschn. 4.2). In den weiteren Schritten werden dann die Phasen des hier vorgeschlagenen Produktmanagement-Prozesses entlang ihrer zentralen Fragestellungen und Lösungsvorschläge erläutert: Im ersten Schritt die Phase der Produktentdeckung, in der es um das Finden und Selektieren von Ideen zur Entwicklung oder Optimierung von Produkten geht (Abschn. 4.3). Danach wird die Phase der Produktdefinition behandelt, in welcher die Definition der Marktpositionierung, der Produktanforderungen, des Wertschöpfungsmodells sowie die Abschätzung der Profitabilität im Zentrum steht (Abschn. 4.4). Diese Elemente sind in der Produktrealisierung zu einem Produktdesign, einem Marketingkonzept, funktionierenden Geschäftsprozessen sowie einem Business Case weiterzuentwickeln (Abschn. 4.5). In der Phase der Markteinführung, müssen schließlich die Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität des Produkts final sichergestellt und entsprechende Kommunikationsmaßnahmen initiiert werden (Abschn. 4.6). Die Phase des Produkt-Controllings wurde bereits in Abschn. 3.2 und Abschn. 3.3 behandelt.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_4
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Die Beschreibung der letzten Phase enthält schließlich einen Überblick über die Entscheidungen und deren Konsequenzen, die mit einer Eliminationsentscheidung eines Produkts verbunden sind (Abschn. 4.7).
4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte Produktmanagement hat die Aufgabe, Produkte am Markt über ihren Lebenszyklus hinweg erfolgreich zu machen und erfolgreich zu halten. Ist der Produkterfolg sowie das Controlling-System klar, messbar und terminiert definiert, müssen daraus Gestaltungsmaßnahmen resultieren. Diese Gestaltungsmaßnahmen lassen sich – in Anlehnung an die Diskussion im Marketing, Produktmanagement und Innovationsmanagement (vgl. Booz-Allen und Hamilton 1982; Kleinschmidt und Cooper 1991, S. 242; Kleinknecht 1993, S. 44 f.; Brockhoff 2007; Büschken und von Thaden 2007; Hauschildt und Salomo 2010, S. 3–26; Hermann und Huber 2013, S. 317–408; Meffert et al. 2015, S. 393–477; Vahs und Brem 2015, S. 52–69; Kotler 2016, S. 389–481; Bruhn und Hadwich 2017, S. 181–247) – nach dem Neuigkeitsgrad für das agierende Unternehmen einerseits und dem neuigkeitsgrad für den Markt andererseits wie folgt klassifizieren (Abb. 4.1):
Abb. 4.1 Klassifizierung von Produktstrategien. (In Anlehnung an: Booz-Allen und Hamilton 1982; Bruhn und Hadwich, S. 181–247; Vahs und Brem 2015, S. 52–69)
4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte
103
• Fehlerbehebung: Die minimale Aktivität im Produktmanagement besteht in der Produktpflege oder Fehlerbehebung. Diese Aufgabe folgt im Wesentlichen den Prozessen und Methoden, die aus dem Servicemanagement, wie beispielsweise ITIL, bekannt sind (vgl. Axelos und TSO 2019; Van Bon 2019). • Verbesserung der Profitabilität: Eine Hauptaktivität im Produktmanagement besteht in der Verbesserung der Profitabilität. Dies kann durch Kostensenkungsmaßnahmen bei den direkten und indirekten Kosten eines Produktes und/oder durch Umsatzsteigerungsmaßnahmen vermittels Verkaufsförderungsaktionen geschehen. • Verbesserung der Nutzenstiftung: Darunter werden Maßnahmen der Produktmodifikation, d. h. der Veränderung wesentlicher Produkt- oder Prozesseigenschaften, und der Produkt- und Prozessdifferenzierung, d. h. der Erweiterung der bestehenden Produktlinie durch Produktvarianten, verstanden. Im Sprachgebrauch des Innovationsmanagements stellt dies „inkrementelle“, „evolutionäre“ oder „Verbesserungsinnovationen“ dar. • Entwicklung neuartiger Nutzenstiftung: Darunter werden „echte Innovationen“ im Sinne der diskontinuierlichen „Durchsetzung neuer Kombinationen“ (Schumpeter 1926, S. 100 f.) verstanden, indem durch Produkte und/oder Prozesse eine neuartige Nutzenstiftung für Märkte und/ oder Unternehmen erfolgt. Die hier vorgeschlagene Klassifikation von Strategien des Produktmanagements knüpft an den nutzenorientierten Produktbegriff an und klassifiziert P roduktmanagement-Strategien nach der Art und Weise Nutzenstiftung für Kunden und Unternehmen statt nach produktpolitischen oder technologischen Kategorien (vgl. Abschn. 3.1). An ihr wird überdies deutlich, dass sich die Aufgaben des Produktmanagements, ausgehend vom Produkt-Controlling (vgl. Abschn. 3.3) in vier Komplexitätsgrade unterteilen lassen. Bei den höheren Komplexitätsgraden, Verbesserung der Nutzenstiftung und Entwicklung neuartiger Nutzenstiftung, überlappen sich Produktmanagement und Innovationsmanagement. Im Kontext des Innovationsmanagements werden Innovationen in der Regel nach ihrem Neuigkeitsgrad in evolutionäre bzw. inkrementelle und revolutionäre bzw. disruptive Neuerungen kategorisiert (vgl. Thom 1980, S. 26–32; Booz Allen Hamilton 1982; Hauschildt und Salomo 2010, S. 11–17; Vahs und Brem 2015, S. 64–68). Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese Kategorisierung erstens subjektiv getroffen ist und zweitens fundamentale Neuerungen und geringfügige Verbesserungen eher Pole eines Kontinuums als klar definierte Kategorien darstellen (vgl. Henderson und Clark 1990). Deshalb ist es ratsam, die disziplinäre Grenze zwischen beiden Disziplinen
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nicht zu stark zu ziehen, sondern Innovationsmanagement als eine Strategie der Umsetzung des Produktmanagements zu beschreiben (vgl. Gaubinger 2015, S. 27–37; Fuchs und Golenhofen 2019). Im Folgenden sollen deshalb Produktmanagement-Aufgaben anhand komplexer Innovationsvorhaben erläutert werden.1 Zu diesem Zweck werden hier Erkenntnisse zur Adaption und Diffusion von Innovation sowie zur Erfolgsfaktorenforschung im Innovationsmanagement aufgearbeitet. Unter Adoption von Innovationen wird hier der Prozess der Übernahme einer Innovation durch den einzelnen Kunden und/oder Nutzer verstanden. Dies geschieht bei Gebrauchsgütern durch einmaligen, bei Verbrauchsgütern durch wiederholten Kauf (vgl. Rogers 1983, S. 163 f.; Bähr-Seppelfricke 1999, S. 7). Der Adoptionsprozess entspricht also den Kaufprozessen des privaten oder institutionellen Kunden insofern er nicht impulsiver oder habitualisierter Natur ist. Dies ist auch Gegenstand der Marketingforschung und wird dort etwas unterschiedlich modelliert (vgl. Meffert et al. 2015, S. 89–155; Kotler et al. 2016, S. 194–209; Kuß und Kleinaltenkampp 2016, S. 55–85). Somit wird in der adoptionstheoretischen Perspektive der Produktmanagement-Prozess aus Kundensicht untersucht. In der Version von Everett M Rogers gestaltet sich der Adoptions- oder Kaufentscheidungsprozess wie folgt (vgl. Abb. 4.2): In der Aufmerksamkeitsphase („Knowledge“) bemerkt ein Kunde und/oder Nutzer das Vorhandensein eines neuen oder stark veränderten Produkts erstmalig. Das geschieht entweder zufällig oder geplant, als Ergebnis einer gezielten Suche. Im Zuge der Phase der Meinungsbildung („Persuasion“) versucht der Käufer und/oder Nutzer, weitere Informationen über das Produkt einzuholen und – im Falle einer positiven Beurteilung – zu testen. Abhängig vom Verlauf der Meinungsbildungsphase entscheidet er sich für oder gegen den Kauf bzw. die Inanspruchnahme des Angebots („Decision“). Die Ablehnung kann dauerhaft oder temporär sein. Letzteres führt zu einem erneuten Durchlaufen des Adoptionsprozesses zu einem späteren Zeitpunkt, was als „Leapfrogging“ bezeichnet wird. Der Kunde überspringt dabei das Angebot und vertagt die Kaufentscheidung auf die nächste Produktversion (vgl. Weiber und Pohl 1996; Kaulfuß 2007). In der Nutzungsphase („Implementation“) wird das Produkt schließlich tatsächlich genutzt. Die Erfahrungen, die der Nutzer mit dem Produkt
1Weniger
komplexe Aufgaben, wie Profitabilitätsoptimierung, folgen demselben Produktmanagement-Prozess mit vereinfachten Aufgaben.
4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte
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Abb. 4.2 Der Adoptionsprozess von Produktinnovationen. (In Anlehnung an Rogers 1983, S. 162–209)
macht, können positiv ausfallen, was zu einer Bestätigung („Confirmation“) der Kaufentscheidung führt. Hieraus kann ein Wiederkauf des (Verbrauchs-) Guts oder eine positive Weiterempfehlungen folgen. Bei negativen Nutzungserfahrungen unterbleiben dagegen diese Aktivitäten. Dieser Kaufprozess wird durch zahlreiche Variablen beeinflusst, wobei vor allem zwei Sets von Variablen besonderen Einfluss haben: Produktspezifische und kundenspezifische Faktoren. Beide sind zugleich Entscheidungskriterien in den Phasen des Kaufprozesses, welche die Aufmerksamkeit, die Informationssuche, die Kauf- und Nutzungsentscheidung sowie die Evaluierung in der Nachkaufphase beeinflussen. Zu den produktspezifischen Faktoren zählen (vgl. Rogers 1983, S. 210–240): • Die relative Vorteilshaftigkeit des Produkts („relative advantage“), welches das Ausmaß der Nutzenstiftung durch das neue Produkt im Verhältnis zur Nutzenstiftung durch bisher verwendete Produkte aus Sicht des Kunden und/oder Nutzers beschreibt. Dieser Nutzen kann in den Produktfunktionalitäten ebenso liegen wie in Langlebigkeit, Identitäts- oder Zugehörigkeitsausdruck. • Die Komplexität des Produkts („complexity“), welche sich auf den wahrgenommenen Schwierigkeitsgrad und Lernaufwand zur Nutzung des Produkts
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
bezieht. Auch diese Wahrnehmung hängt stark von den Erfahrungen mit vergangenen Produkten ab. • Die Kompatibilität des Produkts („compatibility“), welche auf die Anschlussfähigkeit des Produkts mit den individuellen Bedürfnissen, Erfahrungen und sozialen Werten des Kunden und/oder Nutzers abzielt. • Die Testbarkeit des Produkts („trialability“) durch Kennenlern-Angebote, Probeabonnements oder physische Erprobungsmöglichkeiten in den Vertriebskanälen. Diese ist bei innovativen Neuprodukten vor allem aufgrund der Reduktion des Kaufrisikos relevant. Dabei ist auch entscheidend, wie einfach die Testinanspruchnahme (z. B. Probeabonnements) wieder beendet werden können • Die Wahrnehmbarkeit des Produktnutzens („observability“), welche entweder visuell oder textuell erfolgen kann. Die visuelle Wahrnehmbarkeit des Produkts ist bei Produkten mit hohen immateriellen Anteilen deutlich erschwert. Jedoch kann der differenzierende Produktnutzen auch textuell klar oder weniger klar kommuniziert werden. Zu den kunden- und/oder nutzerspezifische Faktoren gehören (vgl. Rogers 1983, S. 261–253; Freter 2008; Meffert et al. 2015, S. 221–240): • Sozio-geografische Faktoren wie Land, Region und Wohngebiet, welche sowohl über die Möglichkeit zur Aufmerksamkeit auf Neuprodukte wie auch auf Entscheidungskriterien einen Einfluss haben • Sozio-demografische Faktoren wie Geschlecht, Alter, Einkommen, Bildungsstand und Beruf, auf deren Basis typische Kaufverhaltens- und Kaufentscheidungsmuster entstehen • Psychografische Faktoren wie Einstellungen, Interessen und Aktivitäten, welche eine zweite Einflussdimension für typische Kaufverhaltens- und Kaufentscheidungsmuster, wie beispielsweise Nutzenvorstellungen, Offenheit, Risikobereitschaft oder soziale Vernetztheit, darstellen. Insbesondere Faktoren der Offenheit und Kontaktfreude sind für die Übernahme von Neuprodukten entscheidende variablen. • Kaufverhaltensspezifische Faktoren, wie beispielsweise Preisverhalten, Mediennutzung, Vertriebskanal- sowie qualitatives und quantitatives Produktverhalten, welche sich im Gegensatz zu den ersten beiden Faktoren stärker auf spezifische Produktkategorien beziehen • Kauf- und Nutzungserfahrungen mit ähnlichen Angeboten, die durch oben genannte Faktoren beeinflusst worden sind und zukünftige Kauf- und Nutzungsentscheidungen wieder beeinflussen.
4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte
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Abb. 4.3 Kategorisierung von Adoptern von Innovationen. (vgl. Rogers 1983, S. 242– 251)
Beeinflusst durch diese Faktoren lassen sich Adoptergruppen in folgende idealtypischen Kategorien einteilen (vgl. Abb. 4.3): • „Innovatoren“ oder „Enthusiasten“ sind Typen von Personengruppen, die sich durch grundsätzliche Offenheit, Neugier und Risikobereitschaft in Bezug auf Neuprodukte auszeichnen. Deren Grundgesamtheit ist allerdings relativ gering (2,5 %). • „Frühe Anwender“ oder „Visionäre“ zeigen ein ähnliches Verhalten wie Innovatoren in Bezug auf Neuprodukte, reagieren jedoch zeitlich verzögert. Ihr Anteil an der Grundgesamtheit ist jedoch deutlich höher (13,5 %), weshalb sie als Rollenmodell für die Mehrheit fungieren. • Die Gruppe der „frühen Mehrheit“ oder „Pragmatiker“ orientiert sich an der Meinung und am Verhalten der „frühen Anwender“ und wartet, bis sich ein Neuprodukt in ausgereifterer und preislich attraktiverer Form zeigt. • Die Gruppe der „späten Mehrheit“ oder „Konservativen“ hält relative lange am Bewährten fest und wechselt zu neuen Produkten erst dann, wenn es sich als Standard etabliert hat.
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Abb. 4.4 Die Überbrückung der Kluft in den Massenmarkt. (In Anlehnung an Moore 2006)
• „Nachzügler“ oder „Skeptiker“ schließlich kaufen das Neuprodukt erst dann, wenn alte Lösungen nicht mehr verfügbar sind. Diese Segmentierung macht deutlich, dass eine zentrale Herausforderung des Produktmanagements darin besteht, den „Graben“ von den Innovatoren und frühen Anwendern hin zur Mehrheit zu überbrücken, wie Geoffrey A. Moore für High-Tech Produkte gezeigt hat (vgl. Abb. 4.4). Als Pendant zur Adoptionstheorie untersuchen diffusionstheoretische Ansätze die zeitliche Ausbreitung eines Neuprodukts in einem Markt aus Makro- und Anbieterperspektive. Gegenstand der Diffusionsforschung ist somit die aggregierte Übernahme der Innovation in einem Markt. Wird die Anzahl der Adoptern über die Zeit kumuliert, so ergibt sich ein S-förmiger Verlauf der Diffusionskurve (vgl. Abb. 4.5).
4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte
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Abb. 4.5 Die Diffusion von Innovationen. (vgl. Tarde 1962; Rogers 1983, S. 242–245; Lehmann 2001)
Dieser S-Verlauf der Diffusionskurve ist eine idealtypische Darstellung ähnlich dem Produkt-Lebenszyklus (vgl. Abschn. 2.2), der in der empirischen Forschung sehr unterschiedliche Verläufe annimmt und von unterschiedlichen Variablen beeinflusst wird. Diffusion vom Smartphones, Tablets und Wearables weltweit
Bei der Verbreitung von mobilen Endgeräten wird deutlich, dass die Diffusion der Produktkategorie „Smartphone“, die – nach ersten Versuchen in den 1990er Jahren – mit der Einführung des iPhone 2007 angesetzt werden kann, seitdem einen nahezu idealtypischen Produktlebenszyklus durchlaufen hat. Hingegen blieb die Produktkategorie „Tablet“ weit hinter diesen Absatzzahlen zurück. Auch die Dauer der Wachstums- und Reifephase von
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Abb. 4.6 Diffusion von Smartphones, Tablets und Wearables weltweit 2010–2019. (vgl. Cook und Jardim 2017, S. 7; Business Wire 2020; IDC 2020a; IDC 2020b)
Tablets ist deutlich kürzer als die des Smartphones. Bei der Produktkategorie „Wearables“, d. h. am Körper tragbare Informationsverarbeitungssysteme wie beispielsweise Smartwatches oder Datenbrillen, ist bisher eine relativ verhaltene Einführungsphase zu beobachten, die erst in jüngerer Zeit in eine echte Wachstumsphase übergeht (vgl. Abb. 4.6). Erklärungen für diese Phänomene können im differenzierenden Nutzen der Produktkategorien gesehen werden: Während das iPhone dank der umfangreichen Funktionalität und der leichten Bedienbarkeit über Touch-Screens einen klaren Zusatznutzen verkörperte, bietet das Tablet, darüber hinaus, lediglich ein größeres Display bei geringerer Mobilität. Der differenzierende Nutzen einer Smartwatch schließlich ist aufgrund des kleinen Displays ebenfalls fraglich. Erst dann, wenn der differenzierende Nutzen von Smartwatches auf die Messung von Körperfunktionen hin ausgerichtet wird, wie es momentan der Fall ist, zeigt sich eine überzeugende Marktpositionierung dieser Produktkategorie. ◄
4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte
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Diffusion lokaler Biermarken in Deutschland
Die Diffusion lokaler Bierspezialitäten lässt sich einerseits anhand der Entwicklung der Anzahl sehr kleiner und kleiner Brauereien feststellen (vgl. Abb. 4.7). Die Anzahl an Mikrobrauereien bis 10.000 hl Jahresausstoß ist dabei im Zeitraum zwischen 2005 und 2019 um knapp 36 % angestiegen, die Anzahl kleiner Brauereien in demselben Zeitraum um knapp 28 %. Im Hinblick auf die Anzahl an Braustätten ist also eine sehr langsame Wachstumskurve festzustellen. Nimmt man hingegen einen anderen Indikator für die Diffusion von Neuprodukten, den Bierausstoß in Hektolitern, der in der Regel für Diffusionsverläufe herangezogen wird, zeigt sich bei beiden Brauereiformen eine insgesamt leicht rückläufige Diffusionskurve (−6 % bei den kleinen und −3,6 % bei den Mikrobrauereien) (vgl. Abb. 4.8). Dies lässt sich mit dem sinkenden Absatz der Produktkategorie „Bier“ insgesamt erklären, der in demselben Zeitraum um knapp 20 % zurückgegangen ist (vgl. DeStatis 2019). Vor diesem Hintergrund haben sich lokale Bierspezialitäten gegen den sinkenden Bierabsatz erfolgreich behauptet. Dies zeigt, dass sich Diffusionsverläufe nur vor dem Hintergrund der Entwicklung der jeweiligen Branche richtig interpretieren lassen. ◄
Abb. 4.7 Anzahl der Kleinbrauereien in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2019. (vgl. Statistisches Bundesamt 2020a)
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.8 Bierausstoß von Kleinbrauereien in Deutschland in den Jahren 2005 bis 2019. (vgl. Statistisches Bundesamt 2020b)
Die unterschiedlichen Adoptions- und Diffusionsprozesse von Neuprodukten werfen die Frage nach den Erfolgsfaktoren von Innovationen auf. Die Erfolgsfaktorenforschung versucht, unabhängige Variablen zu identifizieren, die Einfluss auf die abhängige variable „Innovationserfolg“ bzw. „Neuprodukterfolg“ haben. Ungeachtet der methodologischen Kritik, der diese Forschungsrichtung ausgesetzt ist (vgl. Ernst 2001; Hauschildt und Salomo 2010, S. 69–722), werden als Erfolgsfaktoren für Innovationen in der Regel leicht nachvollziehbare Variablen identifiziert (vgl. Abb. 4.9):
2So
wird in vielen Untersuchungen den Untersuchungsteilnehmern überlassen, „Innovationserfolg“ zu definieren, was wiederum auf deren „Theoriearmut“ zurückzuführen ist und dazu führt, dass die identifizierten Erfolgsfaktoren kaum vergleichbar sind.
4.1 Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte
113
Abb. 4.9 Erfolgsfaktoren von Innovationen. (vgl. Hauschildt und Salomo 2010, S. 69–72; Vahs und Brem 2015, S. 70–87)
• Unternehmensexterne Einflussgrößen: Die Marktgröße, die einen hinreichend großen Absatzmarkt für ein Neuprodukt markiert; die Marktdynamik, die zeitliche Marktentwicklungen wie Produktlebensdauern sowie den Ein- und Austritt von Wettbewerbern und anderen Marktteilnehmern anzeigt; die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Unternehmen und Kunden, Lieferanten, Absatzmittlern und Forschungseinrichtungen, welche den intellektuellen, materiellen und finanziellen Ressourcenpool über das einzelne Unternehmen hinaus beschreiben; staatliche Einflussnahmen durch wirtschafts- und bildungspolitische Auflagen und Fördermaßnahmen, welche Möglichkeiten und Grenzen von Unternehmen für Innovationsaktivitäten konstituieren. • Unternehmensinterne Einflussgrößen: Alter und Größe des Unternehmens, welche Möglichkeiten zu „disruptiven Innvationen“ von Integrationsbarrieren in etablierte Geschäftsmodelle begrenzen (vgl. Christensen 2016); die Innovationshistorie, welche – im positiven Fall – kollektive Lernerfahrungen im Innovationsmanagement abbildet; finanzielle Ressourcen, insbesondere die Eigenkapitalausstattung sowie die Möglichkeiten zur Selbstfinanzierung von Innovationen; Strategie, Kultur und Organisation, welche innovationsfördernde und/oder innovationshemmende Elemente innerhalb einer Organisation darstellen können.
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
• Innovationsspezifische Einflussgrößen: Dazu zählen die oben genannten von Rogers (1983, S. 210–240) identifizierten produktspezifischen Einflussfaktoren sowie der Reifegrad von Innovationen, der Aufschluss über die Zuverlässigkeit und Fehlerfreiheit eines Produkts gibt sowie die finanziellen und anderen Risiken, die der Erwerb eines Neuproduktes mit sich bringt. Es ist evident, dass Innovationen in einem großen „Blue Ocean“-Markt mit wenigen Anbietern und großzügigen staatlichen Fördermaßnahmen leichter gedeihen, als wenn diese externen Variablen nicht gegeben sind. Es ist weiterhin leicht einsichtig, dass Unternehmen mit einer klaren Innovationsstrategie und einem gut kalibrierten „Suchfilter“, soliden individuellen und kollektiven Erfahrungen in den Technologien und den Märkten, offener Kultur, Top-Management-Unterstützung und ausreichend Finanzierungsmöglichkeiten klare Wettbewerbsvorteile vor Unternehmen besitzen, die diese Gegebenheiten nicht vorweisen können. Drittens wurde schon oben deutlich, dass Neuprodukte einen klar erkennbaren, testbaren, einfach zu handhabenden Nutzen und Differenzierungsvorteil besitzen müssen, der auf die Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Zielgruppen passt, um im Markt angenommen zu werden. Es bleibt jedoch die Frage offen, wie dies organisiert werden kann. Dies ist die Frage nach einem Innovations- oder Produktmanagementprozess, der in den anwendungsorientierten Perspektiven zur Sprache kommt. Zusammenfassung: Forschungsergebnisse zur Gestaltung erfolgreicher Produkte
Aus forschungsorientierter Perspektive können für die Gestaltung erfolgreicher Produkte Erkenntnisse aus der Adoptions-, Diffusions- und Erfolgsfaktorenforschung des Innovationsmanagements herangezogen werden: • Kunden bzw. Nutzer durchlaufen bei innovativen Produkten einen limitierten bzw. extensiven Kaufprozess in Phasen der Aufmerksamkeit, Meinungsbildung, Entscheidung, Nutzung und Evaluierung. In dieser typologisierten „Customer Journey“ kommen einerseits produktspezifische und andererseits kunden- bzw. nutzerspezifische Entscheidungskriterien zum Tragen. Zu den produktspezifischen Faktoren gehören die relative Vorteilhaftigkeit, Komplexität, Kompatibilität, Testbarkeit und vorteilsbezogene Wahrnehmbarkeit des Neuprodukts. Zu den kunden- bzw. nutzerspezifischen Faktoren zählen sozio-geografische, sozio-demografische,
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
115
psychografische, kaufverhaltensspezifische Faktoren sowie Kauf- und Nutzungserfahrungen mit bisherigen Produkten. Dies gibt Hinweise auf die Anforderungen an ein marktfähiges Neuprodukt. • Die kundenspezifischen Faktoren lassen sich zu typologischen Adoptergruppen kombinieren, die das Verhalten von einzelnen Kundensegmenten in Bezug auf Neuprodukte beschreiben: Innovatoren, frühe Anwender, frühe Mehrheit, späte Mehrheit und Nachzügler. Die Reaktion dieser Kundensegmente auf Neuprodukte konstituiert in aggregierter und kumulierter Form die Diffusionsfunktion von Innovationen auf dem Markt, die typischerweise als S-Kurve verläuft. In der empirischen Realität finden sich jedoch sehr unterschiedliche Verläufe, die von oben genannten Einflussvariablen abhängen. Diese Erkenntnisse geben Hinweise auf den Verlauf der Marktakzeptanz und damit von Absatz und Umsatzzahlen von Neuprodukten. • Eine wesentliche Herausforderung für die Vermarktung von Neuprodukten stellt der Übergang von Innovatoren und frühen Anwendern zum Massenmarkt dar. Die Überbrückung dieser „Kluft“ stellt eine spezifische Herausforderung für das Produktmanagement dar. • Neben diesen produktspezifischen Faktoren existieren noch äußere und organisatorische Einflussgrößen, auf die insbesondere die Erfolgsfaktorenforschung hingewiesen hat. ◄
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte Nimmt man die anwendungsorientierte Perspektive ein, so stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis. Ordnet man die Ergebnisse der Erfolgsfaktorenforschung nach beeinflussbaren und nicht-beeinflussbaren Variablen, so lässt sich feststellen, dass die beeinflussbaren Variablen im Wesentlichen durch einen Hebel adressierbar sind: Prozesse (vgl. Abb. 4.10). Denn sowohl die Marktfähigkeit und Lieferbarkeit von Neuprodukten, hier operationalisiert über die Indikatoren relative Vorteilhaftigkeit, Wahrnehmbarkeit, Kompatibilität, Komplexität sowie Reifegrad, als auch organisatorische Variablen wie eine Produkt- bzw. Innovationsstrategie und organisatorische Verantwortlichkeiten werden über Prozesse sichergestellt. Unter Prozessen werden
116
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.10 Die Rolle der Prozesse im Innovationsmanagement. (In Anlehnung an: Chrissis 2011; Hauschildt und Salomo 2010, S. 69–72; Vahs und Brem 2015, S. 70–87)
dabei definierte Soll-Aktivitäten verstanden, die festgelegte Inputs in festgelegte Outputs transformieren und von definierten Aufgabenträgern mit entsprechenden Werkzeugen wahrgenommen werden (vgl. Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 35; Fischermanns 2013, S. 12). Aus diesem Grund ist es nicht weiter erklärungsbedürftig, dass Innovationsund Produktmanagement sehr stark an Prozessmodellen orientiert ist. Grundsätzlich lassen sich zwei unterschiedliche Vorgehensmodelle identifizieren: Lineare und zyklische Modelle. Lineare Modelle zeichnen sich durch einen sequenziellen Verlauf von Phasen aus, die durch Prüftore voneinander abgegrenzt werden. Der erfolgreiche Output einer Phase und der Abschluss eines Prüftors bildet die Voraussetzung und den Input für den Start der nächsten Phase. Rekursionen sind in diesem Modell nicht vorgesehen (vgl. Verworn und Herstatt 2000, S. 3–6). Das bekannteste lineare Modell im Bereich des Produktmanagements, das hier exemplarisch als „Blaupause“ für lineare Vorgehensmodelle im Produktmanagement erläutert werden soll, ist das „Stage-Gate-Modell“ von Robert G. Cooper (Abb. 4.11).
Abb. 4.11 Das (lineare) Stage-Gate-Prozessmodell (vgl. Cooper 1990, Cooper 2017, S. 99–146)
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte 117
118
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Das Stage-Gate-Modell besteht, wie der Name schon beinhaltet, aus Phasen von Aktivitäten („Stages), die definierte Ergebnisse („Deliverables“) hervorbringen, welche in den einzelnen Prüftoren („Gates“) nach definierten Kriterien bewertet werden. Die Phasen und Prüftore markieren dabei den Weg der Neuproduktentwicklung von der Ideenfindung („Discovery“) über erste Konkretisierungen („Scoping“) und Business Cases („Business Case“) bis hin zur Realisierung („Development“), zu den Tests („Tests and Validation“) und zur Markteinführung („Launch“). Letztere sollte auch evaluiert werden („Post Launch Review“), was den Einstieg in das Produkt-Controlling bildet. Die Phasen und Gates bilden dabei zusammen eine Trichterfunktion, insofern sie die Funktion haben, eine Vielzahl von Produktideen am Anfang auf wenige marktfähige, lieferbare und profitable Produkte zu konzentrieren. Wesentliche Faktoren für diese Funktion sind die cross-funktionale Zusammenarbeit im Produktteam sowie klare und valide Entscheidungskriterien und -methoden an den Prüftoren für eine „Go“oder „Kill“-Entscheidung. Die vorgeschlagenen Prüfkriterien an den einzelnen „Gates“ prüfen dabei die Marktfähigkeit („Product and Competitive Advantage“, „Market Attractiveness“), die Lieferbarkeit („Core Competencies Leverage“, „Technical Feasibility“) und die Profitabilität („Financial Reward versus Risk“) sowie, darüber hinaus, die Passung zum Geschäftsmodell und den Strategien der Organisation („Strategic Fit and Importance“). Bei Bedarf können diese Phasen auch zusammengelegt und/oder übersprungen werden (vgl. Cooper 2009; Cooper 2017, S. 147–183). Die Aufgabe von Unternehmen besteht darin, dieses Prozessmodell angemessen zu adaptieren. Der Produktentwicklungsprozess bei Procter & Gamble
So besteht beispielsweise der Produktentwicklungsprozess bei Procter & Gamble, genannt SIMPL („Successful Initiative Management and Product Launch“), aus fünf Phasen, die jeweils durch ein Prüftor abgeschlossen werden (vgl. Abb. 4.12).
Abb. 4.12 Der Produktentwicklungsprozess bei Procter & Gamble (vgl. Cooper und Mills 2005)
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
119
In diesem adaptierten Stage-Gate-Prozess bestehen die Kernaufgaben in der frühen Erarbeitung und Prüfung der Marktfähigkeit von Ideen und Konzepten sowie in der Vorbereitung der Markteinführung. Diese Schwerpunkte können als typisch für das Management von „Fast-Moving-Consumer-Goods“ (FMCG) angesehen werden (vgl. Abschn. 2.4). ◄
Der Innovationsprozess bei IBM
Bei IBM verfolgen „Value Creation Center“ (VCC), bestehend aus IBM Mitarbeitern, Kunden und Partnern, das Ziel, „Business Cases“ für „Value Creation Initiatives“ zu generieren, die sowohl standardisierten als auch kundenindividuellen Produktcharakter haben können. Dieser Innovationsprozess durchläuft fünf Phasen und Prüftore (vgl. Abb. 4.13). Zunächst werden Ideen generiert und diskutiert, die dann in einem zweiten Schritt evaluiert und selektiert werden. Die ausgewählten Themen werden anschließend zu Themenbereichen geclustert, in „Business Cases“ spezifiziert und schließlich projektiert. Auch dieser Prozess folgt dem Stage-Gate-Modell, diesmal für den Fall von softwarebasierten „Solutions“. ◄
Abb. 4.13 Der Innovationsprozess bei IBM (vgl. Easton 2010)
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Die Vorteile linearer Modelle, wie dem Stage-Gate-Modell, liegen in der klaren und dauerhaften Strukturierung der Innovations- und Produktmanagementaktivitäten in Organisationen. Dadurch wird der oft chaotische Prozess der Neuproduktentwicklung übersichtlich und transparent. Durch den frühzeitigen Einbezug cross-funktionaler Funktionsbereiche in den Prozess werden ferner Lieferbarkeitsprobleme früh sicht- und bearbeitbar. Weiterhin werden Produktideen und -konzepte kontinuierlich im Prozess auf strategische Passung, Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität geprüft, was die Wahrscheinlichkeit von Misserfolgen am Markt deutlich reduziert. Diesen Vorteilen stehen die Nachteile gegenüber, dass in linearen Modellen die Phasen relativ strikt abgegrenzt sind. Das erschwert die Arbeit in frühen Phasen, in denen viele parallele und rekursive Denk- und Handlungsprozesse stattfinden, was auch durch die Erkenntnisse der Kognitionspsychologie bestätigt wird.3 Dadurch bedingt präsentieren sich lineare Modelle auch relativ unflexibel gegenüber Lernerfahrungen und Änderungen, die in späteren Phasen des Prozesses gemacht werden. Darüber hinaus werden relativ spät testbare Ergebnisse erzeugt, die diese Lernerfahrungen am Markt ermöglichen könnten (vgl. Verworn und Herstatt 2000, S. 3–6; Sethi und Iqbal 2008, Sommer 2015). Die Nachteile linearer Prozessmodelle, zusammen mit dem Siegeszug „agiler“ Vorgehensweisen in der Softwareentwicklung, haben zu Vorschlägen für zyklische Innovations- bzw. Produktmanagementmodelle motiviert. Im Duktus der Forderungen des „Manifests für agile Softwareentwicklung“ (vgl. Beck et al. 2001) gehen zyklische Modelle davon aus, dass der langfristigen Planbarkeit von Neuproduktentwicklungen in der Praxis enge Grenzen gesetzt sind. Dieser Typus von Arbeit sollte adäquater als (rekursiver und zyklischer) Lernprozess denn als linearer Planungsprozess beschreiben werden. Entsprechend lautet die Forderung, dass er auch so modelliert und organisiert werden solle. Zusammengefasst lassen sich zyklische Vorgehensweisen auf folgende Prinzipien zusammenfassen (vgl. Erne 2019a, S. 40–43):
3So
zeigen Untersuchungen zu kognitionspsychologischen Prozessen im Maschinenbau, in der Architektur und in der Softwareentwicklung, dass Entwicklungs- und Konstruktionsprozesse in den frühen Phasen in der Regel nicht sequentiell-hierarchisch ablaufen, sondern Vor- und Rücksprünge, iterative und assoziative Problem- und Zielklärungen aufweisen, die aus Gründen der kognitiven Ökonomie in dieser Phase zielführender sind als die Befolgung sequentiell-hierarchischer Modelle (vgl. Hacker 1999; Bender 2004).
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
121
• Frühe und kontinuierliche Auslieferung prüfbarer (Teil-)Ergebnisse (statt Fokussierung auf die Erstellung von Dokumenten) • Frühe und kontinuierliche Integration des Kunden und/oder Nutzers (statt vertragsorientierter Auftraggeber-/Auftragnehmer-Beziehungen) • Offenheit für Lernprozesse und Änderungen durch kurzzyklische Iterationen (statt Befolgung sequentieller Phasen) • Enge, direkte und konzentrierte Zusammenarbeit im Team (statt Zusammenarbeit in einer formalisierten Organisation) Die Umsetzung dieser Prinzipien findet sich in Prozessmodellen wie Scrum (Schwaber und Beedle 2002; Schwaber 2004; Schwaber und Sutherand 2012; Pichler 2014), Design Thinking (Brown 2009; Kelley und Littman 2001) sowie Lean Startup (Blank 2013; Ries 2017). Auch für die zyklischen Modellen soll ein Vorgehensmodell als „Blaupause“ exemplarisch erläutert werden: Das „Lean Startup“-Modell (vgl. Abb. 4.14).
Abb. 4.14 Das (zyklische) “Lean Startup” – Prozessmodell. (vgl. Ries 2017)
122
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Das „Lean Startup“ – Prozessmodell besteht im Kern aus einer kontinuierlichen Feedbackschleife: Innerhalb dieser werden Produktideen zunächst erzeugt („Ideas“) und dann schnell in einem Prototyp („Product“) materialisiert. Dieser Prototyp wird anschließend in einem experimentellen Setting mit Kunden und/ oder Nutzer getestet, was wiederum Lernergebnisse („Data“) erzeugt, auf deren Basis ein neuer Zyklus aus „Build“ – “Measure“ – „Learn“ entstehen kann. Wesentlich für die Funktionsfähigkeit des Lernzyklus ist ein Prototyp, der die wesentlichen Eigenschaften der Produktidee repräsentiert, sodass mit dessen Hilfe in der „Measure“-Phase ein Maximum an fundierten Lernerfahrungen erzeugt werden kann. Die Empfehlung ist, ein „Minimum Viable Product“ (MVP) zu generieren, welches das Produkt auf die wesentlichen Nutzenelemente reduziert („Minimum“) und so ausgestaltet ist, dass zukünftige Kunden bzw. Nutzer eine Vorstellung vom Nutzen erhalten („Viable“). Für die „Measure“-Phase bedarf es klare Hypothesen über die Reaktion der Kunden bzw. Nutzer auf den Prototyp, die dann experimentell abgeprüft werden. Dies stellt die Basis für die „Learn“-Phase dar, in der dann Schlussfolgerungen für die Fortführung, Erweiterung, Verkleinerung, Neupositionierung oder das Verwerfen des erstellten „MVP“ gezogen werden. Die zyklische Entstehung von „AirBnB“
Das Produkt „Room Sharing“, das den Kernnutzen von AirBnB darstellt, war kein Ergebnis eines linearen Stage Gate Prozesses. Die Idee entstand vielmehr 2007, als die zwei späteren Airbnb-Gründer, Brian Chesky und Joe Gebbia, von New York nach San Francisco zogen und dort zunächst nach Arbeit suchen mussten. Zu der Zeit fand in San Francisco die Konferenz der „Industrial Design Society of America“ (IDSA) statt und alle Hotels waren ausgebucht. Daher kamen die beiden auf die Idee, Luftmatratzen in ihrem Wohnzimmer auszulegen und potenziellen Gästen ein Frühstück anzubieten, um ihr mageres Einkommen aufzubessern. Dieses Produkt wurde unter der schnell zusammengebauten Webseite „AirBedandBreakfast.com“ angeboten. Sehr schnell fanden sich über diese Webseite drei zahlende Gäste, einen 30jährigen Inder, eine 35jährige Frau aus Boston sowie einen 45jährigen Vater von vier Kinder, die für 80 US$ pro Person das private „Bed and Breakfast“-Angebot annahmen. Die validierte Lernerfahrung, dass „Room Sharing“ via Web ein ausbaubares Produkt sein könnte, brachte die Gründer auf die Idee, einen dritten ehemaligen WG-Mitbewohner, Nathan Blecharczyk, mit ins Boot zu nehmen, um eine professionellere Webseite aufzubauen und „Room Sharing“ als Produkt
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
123
Abb. 4.15 Die zyklische Entstehung von „AirBnB“. (In Anlehnung an: Salter 2012; Merrick 2016; Aydin 2019)
auszubauen. Damit starteten die drei 2008 als „AirBnB“. Durch zahlreiche Rückschläge und neue Lernerfahrungen, sowie durch die Gewinnung von Investoren für ihr Vorhaben, wuchs die Produktidee von drei Übernachtungen 2007 auf 500 Mio. Übernachtungen in mehr als 220 Ländern. (vgl. AirBnB 2020). Hieran zeigt sich, wie sich Produkte über den Weg einer Idee, die in ein „Minimal Viable Product“ umgesetzt und dann am Markt getestet wird, entwickeln können. Das Testergebnis „zahlende Kunden“ ist in diesem Fall wesentlich valider als das Testergebnis „Kunden, die diese Idee als gut bewerten“ (Abb. 4.15). ◄
Beispiel: Die zyklische Entstehung von „Dropbox“
Die Idee für Dropbox kam Drew Houston, dem heutigen CEO, auf einer Busfahrt von Boston nach New York im Jahr 2007. Houston wollte die Busfahrt zur Arbeit nutzen, doch er realisierte, dass er seinen USB-Stick vergessen hatte, auf dem Daten gespeichert waren. Also wollte er eine Lösung finden, um Daten über unterschiedliche Plattformen und Betriebssysteme hinweg zu teilen. Diese Aufgabe erforderte profundes Know-how, wodurch es unmöglich wurde, schnell einen präsentierbaren Prototyp zu erstellen.
124
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Deshalb testete Houston seine Idee auf andere Weise: Er erstellte ein 3 min Video der ersten rudimentären Version und publizierte diese auf „Digg“, einer Technologie-Webseite, um zu erfahren, ob plattformübergreifendes Teilen von Dateien ein Problem war, das Anwender hatten. Die Zahl der Besteller der Beta-Version stieg über Nacht von 5.000 auf 75.000 Personen an. Damit war die Hypothese validiert, dass Dropbox ein Problem löste, das Nutzer hatten. Diese Lernerfahrung motivierte Houston, die Beta-Version zu entwickeln und, in der Folge, die Marktfähigkeit des Produkts auszubauen (Abb. 4.16). Innerhalb von 7 Monaten fand das Produkt 1 Million Nutzer und wurde dann mit weiteren Funktionen, wie Zusammenarbeitsunterstützung, Integration in Microsoft Office, automatischem Hochladen von SmartphoneFotos usw., ausgestattet. ◄
Abb. 4.16 Die zyklische Entstehung von „Dropbox“. (In Anlehnung an: Contributor 2011; Barrett 2011; Merrick 2016; Bernard 2018)
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
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Die Vorteile zyklischer Modelle kompensieren somit die meisten Nachteile linearer Modelle: Es werden früh präsentierbare Ergebnisse erzeugt, die als „Testvehikel“ am Markt verwendet werden können, um Kunden- bzw. Nutzerfeedback zu erhalten. Die Feedbackzyklen können genutzt werden, um die Produktidee in Richtung Marktfähigkeit weiterzuentwickeln. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass das Ergebnis zyklischer Modelle in Prototypen besteht, deren Marktfähigkeit validiert ist. Meist besteht von dort aus noch ein längerer Weg, um zu einem lieferbaren und profitablen Produkt zu kommen, das auf dem Markt eingeführt werden kann. Diese Erkenntnis führt zur Idee von kombinierten oder „hybriden“ Vorgehensmodellen im Produktmanagement, in denen die Vorteile linearer Modelle mit denen zyklischer Modelle kombiniert werden. Dies wurde in der Zwischenzweit auch für das Stage-Gate-Modell umgesetzt (Cooper 2014; Cooper 2017, S. 184–224; Özcan und Drescher 2016; Conforto und Amaral 2016; Garzaniti et al. 2020): Entlang dieser Idee kann ein Modell für einen „hybriden“ Produktmanagement-Prozess wie folgt aussehen (vgl. Abb. 4.17). Beginnt man in dem Produktmanagement-Prozess mit der ersten Phase der Produktentdeckung, so macht bereits die Bezeichnung deutlich, dass es beim Produktmanagement nicht darum geht, Produkte zu „erfinden“ und sie dann mit hohem Marketing- und Vertriebsdruck gewissermaßen in den Markt zu „pressen“. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, Bedürfnisse zu entdecken und diese mit einer geeigneten Preis-/Leistungs-Kombination zu erfüllen (vgl. Cagan 2018, S. 26–30). Dazu müssen erstens Ideen für die Erfüllung von Kundenbedürfnissen generiert und zweitens bewertet und selektiert werden. Diese Phase wird im Innovationsmanagement als „fuzzy front end of innovation“ diskutiert. Sie ist deshalb der geeignete Ort für zyklische oder agile Vorgehensweisen, die auf schnelle Lernerfahrungen im Hinblick auf Marktfähigkeit abzielen (vgl. Chang et al. 2008; Kohn 2012; Gassmann und Schweitzer 2014; Vollmann 2018). Die Phase der Produktentdeckung endet mit einem Prüftor, in dem nach Maßgabe des Stage-Gate-Modells nicht markttaugliche, unrealisierbare und/oder unprofitable Ideen selektiert werden, damit sich der Spezifikationsaufwand in der nächsten Phase auf wenige Produktideen konzentrieren kann.
Abb. 4.17 Modell eines „hybriden“ Produktmanagement-Prozesses. (In Anlehnung an Geracie and Eppinger 2013, S. 113–121; Crawford und Di Benedetto 2014, S. 29–36; Haines 2014, S. 21–25; Gaubinger et al. 2015, S. 35–38; Steinhardt 2017, S. 83 f.; Matys 2018, S. 148–162; Aumayr 2019, S. 262–280)
126 4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
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Die Phase der Produktdefinition hat den Zweck, Produktideen, die in der ersten Phase primär nach dem Handlungsfeld Marktfähigkeit entwickelt und geprüft wurden, im Hinblick auf die anderen Handlungsfelder Lieferfähigkeit und Profitabilität zu spezifizieren (vgl. Abschn. 3.2). Wenn der Selektionsprozess der Produktideen im ersten Gate wirksam ist, stehen hier nur noch wenige konkurrierende Produktideen zur Auswahl. Diese Situation erlaubt es, zunächst die Marktpositionierung zu definieren, welche die „Leitplanken“ für die weiteren Spezifikationen bildet. Auf dieser Basis können die Produktanforderungen an das Produkt für die Entwicklung näher spezifiziert werden. Ferner kann ein Wertschöpfungsmodell entworfen werden, durch das die Leistungsversprechen, die in der Marktpositionierung definiert wurden, umgesetzt werden können. Aus Unternehmenssicht lässt sich nun auch die Profitabilität des Produkts abschätzen. Diese vier Spezifikationen definieren gemeinsam das Produkt. Da diese vier Definitionselemente eng zusammenhängen, ist diese Phase auf koordinierte klassische Projektarbeit mit Unterstützung von Promotoren aus dem oberen Management angewiesen (vgl. Hauschildt und Salomo 2010, S. 119–150). Die Phase der Produktrealisierung verfolgt den Zweck, die vier Elemente, die in der Produktdefinition formuliert worden sind, umzusetzen. Dazu ist zunächst ein Projekt zu definieren und zu initiieren, welches die vier Entwicklungsstränge plant, koordiniert und zu einem synchronisierten Ergebnis führt (vgl. Haines 2014, S. 447–480; Trott 2017, S. 342–377). Diese vier Entwicklungsstränge sind: • die technische Produktentwicklung, innerhalb derer die Produktanforderungen in ein Produktdesign umzusetzen sind; • die Marketingplanung, in welcher die Marktpositionierung in ein Marketingkonzept transformiert wird; • die Prozessentwicklung, in der das Wertschöpfungsmodell in funktionierende Geschäftsprozesse implementiert wird; • die Geschäftsplanung, welche den Weg von der Profitabilitätsabschätzung zu einem validen Business Case zu gehen hat. Auch diese Phase erfordert einen stringenten, linearen Projektmodus mit einer Konzentration der definierten Ressourcen auf das Entwicklungsprojekt und einer Koordination der arbeitsteiligen Aktivitäten im Projekt auf die Markteinführung.
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Die Phase der Markteinführung verfolgt den Zweck, das Produkt möglichst reibungsfrei in den Markt einzuführen, damit die Investitionsausgaben zügig durch Umsatzrückflüsse gedeckt werden können. Dafür muss sichergestellt sein, dass ein marktfähiges, lieferbares und potenziell profitables Produkt für den Markt bereitsteht. Dies zeigt sich an den erfolgreich abgeschlossenen Produktund Markttests, dem umgesetzten Marketing-Konzept, den funktionierenden Geschäftsprozessen sowie dem aktualisierten Business Case. Diese Aufgaben zeigen an, dass auch für diese Phase ein klassisches Projektmanagement mit Fokus auf kommunikative Aktivitäten sowie situative Problemlösungsarbeit angeraten ist (vgl. Kuhn 2007, S. 11–23: Haines 2014, S. 482–484; LeBlanc 2018, S. 1–5). Ist das Produkt im Markt eingeführt, beginnt die Phase des Produkt-Controllings. In dieser Phase bestehen die Schwerpunkte der Aktivitäten in der Erhebung von Informationen über die Entwicklung des Produktes am Markt, die Identifikation und Analyse von Soll-Ist-Abweichungen und die Adressierung von Abweichungsursachen durch zielgerichtete Steuerungsmaßnahmen (vgl. Hofbaur und Sangl 2017, S. 510–530; Jacobs 2019, S. 102–126). Diese Aufgaben wurden bereits detailliert in Abschn. 3.3 ausgeführt. Während die Erhebung und Analyse von Produktinformationen idealerweise linear-prozessorientiert und mit hohem Automatisierungsgrad ablaufen, kann die Identifikation und Umsetzung von Steuerungsmaßnahmen in klassischen oder agilen Vorgehensweisen erfolgen. Ein bislang wenig beleuchtetes Thema ist dasjenige der Produktelimination. Die geringe Beachtung der Thematik lässt sich einerseits dadurch erklären, dass die Beschäftigung mit der Gestaltung von Rückgang und Abkündigung auf keine Tradition und Motivation in den Wirtschaftswissenschaften trifft. Andererseits ist auch in der unternehmerischen Praxis die Tendenz beobachtbar, dass die Abkündigung von Produkten auf Widerstände stößt. Beide Beobachtungen stellen Gründe dar, den Prozess der Produktelimination zu thematisieren und zu rationalisieren. Hierzu sind Eliminationsimpulse aus dem Produkt-Controlling zunächst zu analysieren, auf dieser Basis ist dann eine Eliminationsentscheidung zu treffen und diese, im positiven Fall, durch eine Eliminations- und Kommunikationsstrategie umzusetzen. Der letzte Aspekt betont die Notwendigkeit, die Sichtweise des Kunden auf Eliminationsentscheidungen nicht zu vernachlässigen. Für diese Phase wird in der Regel ebenfalls eine klassische, projektorientierte Vorgehensweisen empfohlen (vgl. Meffert et al. 2015, S. 425–428; Cowley 2017).
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
129
Design und New Product Process bei Apple
Soweit der Design- und Produktentwicklungs-Prozess bei Apple Inc. rekonstruiert werden kann (vgl. Abb. 4.18), startet die Neuproduktentwicklung bei Apple mit einer Produktentdeckungsphase, in der Senior Manager ihre Anforderungen an ein Neuprodukt in Form eines „Creative Briefs“ formulieren und erste Produktideen mit einem Design-Team diskutiert werden. In der daran anschließenden Phase wird ein streng separiertes „Product Start-Up“-Team gebildet, das die Aufgabe hat, Prototypen zu bauen. Der Bau und die Selektion der Prototypen folgt dem Schema 10–3-1: Zehn Prototypen werden entwickelt, davon drei in die engere Auswahl genommen, wovon ein Prototyp in die Weiterentwicklung kommt. Dieser Prozessabschnitt funktioniert naturgemäß iterativ in längeren zyklischen Suchphasen. Ist der Prototyp ausgewählt, startet die Realisierungsphase nach dem „Apple New Product Process (ANPP)“, der durch die beiden Rollen „Engineering Product Manager“ (EPM) und „Global Supply Manager“ (GSM) gesteuert wird. Die Verantwortung der ersten Rolle liegt in der Steuerung der
Abb. 4.18 Design und New Product Process bei Apple Inc. (In Anlehnung an: Lashinsky 2012; Chen und Richtel 2014; Elmansky 2014)
130
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Entwicklungsarbeit, während die zweite Rolle für die Produktionsplanung in den Partnerunternehmen in China zuständig ist. Beide Elemente, die Produktund die Produktionsprozessentwicklung, werden periodisch durch Reviews und Tests überprüft. Ferner wird auch noch die Produktverpackung entworfen, getestet und produziert. Der gesamte Prozess der Produktrealisierung wird abschließend einem Review unterzogen, bewertet und „Lessons Learned“ für das Folgeprodukt festgehalten. In dem dargestellten Prozess wurden nur Entwicklungs- und Produktionsprozessaspekte berücksichtigt und Themen der Profitabilitätssicherung sowie weiterer Prozessentwicklungen (Logistik-, Distributions- und Serviceprozess) außer Acht gelassen. Ebenso bleibt die Phase der Markteinführung sowie des Produkt-Controllings unberücksichtigt. ◄
Neuproduktentwicklung bei Brauereien
Der Prozess der Neuproduktentwicklung startet in Brauereien, wie beispielsweise bei Carlsberg oder Bass, mit der Initiierung der Neuproduktentdeckung durch ein eigens zusammengestelltes cross-funktionales Team oder eine eigenständige Neuproduktabteilung. In dieser Phase sollen zunächst möglichst viele Produktideen erzeugt und dann streng auf ihre Passung zum Produktportfolio, ihre Differenzierung von Wettbewerberaktivitäten, ihre Adressierung von Konsumtrends sowie auf ihre Realisierbarkeit durch das Unternehmen überprüft und selektiert werden. In diesem zyklischen, iterativen Prozess kommen klassische Marketingforschungsmethoden ebenso zum Einsatz wie Fokusgruppen. In der „Konzeptphase“ werden dann durch die Neuproduktabteilung oder eine Agentur die selektierten Produktideen in Produktkonzepte transformiert. Das Produktkonzept beinhaltet die Qualitätseigenschaften, den Produktnamen sowie die Aufmachung. Parallel dazu wird die Machbarkeit des Produktkonzepts überprüft sowie ein grober Business Case für die Entwicklung und das Marketing des Produkts entwickelt. Im nächsten Schritt wird das Produkt in Versuchsbraustätten entwickelt und die Entwicklungsergebnisse in Fokus-Teams getestet. Dies ist ein iterativer Lernprozess, in dessen Verlauf sich das Endprodukt zunehmend mehr herauskristallisiert. Ist das Endprodukt klarer, wird eine Marketingstrategie durch
4.2 Prozessmodelle für die Gestaltung erfolgreicher Produkte
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Abb. 4.19 Neuproduktentwicklung bei Brauereien. (In Anlehnung an: Nwabueze und Clair Law 2001; Crabtree und Ostrem 2018)
das Marketing-Team entwickelt und das Produkt in Testmärkten getestet. Auf der Basis der Testmarktergebnisse kann dann der Business Case fundierter abgeschätzt werden. Damit ist die Basis gelegt für die Markteinführung. Dort wird auch das Produkt-Controlling für das spezifische Produkt definiert, wenn nicht die existierenden Marken- und Distributions-Monitoring-Instrumente des Unternehmens genutzt werden. Steuerungsmaßnahmen werden relativ flexibel entworfen und umgesetzt, lediglich beschränkt durch die definierte Markenstrategie (vgl. Abb. 4.19). ◄ Damit wird deutlich, dass sowohl zyklische als auch lineare Vorgehensmodelle ihre Anwendung im Produktmanagement-Prozess finden können. Etwas feiner differenziert, stellen die unterschiedlichen Phasen im Produktmanagement-Prozess unterschiedliche Erfordernisse an das Management der einzelnen Phasen (vgl. Tab. 4.1).
132
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Tab. 4.1 Managementerfordernisse im Produktmanagement-Prozess. (In Anlehnung an Geschka 1989, S. 65–67; Vahs und Brem 2015, S. 180–192) Phasen
Managementerfordernisse
Organisatorische Gestaltungsform
Produktentdeckung
Offenheit Kreativität Lernfähigkeit
Agile Vorgehensweisen Teamarbeit Einbindung von externen Stakeholdern
Produktdefinition Produktrealisierung
Konzentration auf Projektziele Durchsetzungsfähigkeit Schnelligkeit und Effizienz
Klassische Projektarbeit Machtpromotor
Markteinführung
Kommunikation mit Stakeholdern Auseinandersetzung mit aktuellen Situationen Schnelle Aktionsfähigkeit
Klassische Projektarbeit Task Force Arbeit
Produkt-Controlling
Prozessarbeit Prozessabläufe Analyse- und Beurteilungsfähig- Klassische oder agile Projektarbeit keit Umsetzungsorientierung
Produktelimination
Entscheidungsfähigkeit Kommunikation mit Stakeholdern Durchsetzungsfähigkeit
Klassische Projektarbeit
Der hier vorgeschlagene Produktmanagement-Prozess soll als typologische „Blaupause“ bzw. als „Modell“ verstanden werden, der die grundsätzlichen Produktmanagement-Aufgaben verortet. Er kann entweder als Projektablauf oder – für innovationsintensive Unternehmen – als institutionalisierter Prozess in Unternehmen verankert werden. Zumindest in den Phasen bis zur Markteinführung kann dieses Prozessmodell auch als „Innovationsprozess“ klassifiziert werden. Auf die Methoden zur Realisierung der Aufgaben der einzelnen Phasen soll in den folgenden Kapiteln eingegangen werden. Zusammenfassung: Erkenntnisse aus anwendungsorientierter Perspektive
Aus anwendungsorientierter Perspektive wird der zentrale Ansatzpunkt zur Umsetzung der Erfolgsfaktoren für Neuprodukte in Prozessen bzw. Prozessmodellen gesehen. Hier existieren zwei Grundtypen von Vorgehensmodellen: Lineare und zyklische Modelle.
4.3 Entdeckung von Produkten
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Lineare Prozessmodelle, wie beispielsweise der „Stage-Gate“-Prozess, teilen den Prozess zur Neuproduktentwicklung und -vermarktung in klare, sequentielle Phasen („Stages“) ein, die durch Prüftore („Gates“) voneinander getrennt sind. Das jeweilige Prüftor muss erfolgreich durchlaufen sein, um in die nächste Phase zu gelangen. So entsteht ein Trichterprozess, durch den aus vielen Produktideen in übersichtlicher und transparenter Form wenige, marktfähige, lieferfähige und profitable Produkten entstehen sollen. Zyklische Prozessmodelle, wie beispielsweise das „Lean-Startup“-Modell, setzen dagegen den Schwerpunkt auf zyklische und iterative Feedbackschleifen und Lernerfahrungen beim Prozess der Neuproduktentwicklung: Produktideen werden relativ schnell in Prototypen materialisiert und zusammen mit potenziellen Nutzen und/oder Kunden getestet, was zu einem weiteren Lernzyklus führt. Beide Vorgehensmodelle haben im Produktmanagement-Prozess ihre Berechtigung. So lässt sich der Produktmanagement-Prozess in die Phasen Produktentdeckung, Produktdefinition, Produktrealisierung, Markteinführung, Produkt-Controlling und Produktelimination einteilen. Zyklische Vorgehensmodelle entfalten ihre volle Wirkung in der Phase der Produktentdeckung, in der unter großer Unsicherheit zunächst ein marktfähiges Produkt gefunden werden muss. In den weiteren Phasen der Produktdefinition und Produktrealisierung, in der vor allem die Lieferbarkeit und Profitabilität sichergestellt werden muss, sind eher lineare, stringente Vorgehensmodelle geeignet. Markteinführung und Produkt-Controlling kann und muss, je nach Situation, beide Modelle zum Einsatz bringen. Die Produktelimination schließlich erfordert eher wieder lineare Entscheidungen und Umsetzungen. ◄
4.3 Entdeckung von Produkten Die Entdeckung von Produkten lässt sich in zwei zentrale Fragestellungen differenzieren, die sich sowohl in linearen als auch in zyklischen Ansätzen des Produktmanagements stellen: 1. Wie können Produktideen gewonnen werden? 2. Wie können Produktideen selektiert werden?
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Diese beiden Fragen sollen im Folgenden erläutert und Lösungsansätze aufgezeigt werden. Gewinnung von Produktideen Im Hinblick auf die Gewinnung von Produktideen wird in Monografien zum Innovations- und Produktmanagement häufig auf Kreativitätsmethoden hingewiesen (vgl. Pepels 2012; Disselkamp 2012, S. 99–119; Hauschildt und Salomo 2010, S. 279–294; Vahs und Brem 2015, S. 283–303). Diese mögen geeignet sein, eine Vielzahl von Ideen zu erzeugen. Jedoch sollte bereits bei der Erzeugung von Ideen eine Vorselektion in Richtung Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und/oder Profitabilität eingebaut sein, damit die Anzahl an erzeugten Produktideen in einem vorgefilterten und bearbeitbaren Rahmen gehalten wird. Dies kann dadurch geschehen, dass Produktideen entweder direkt in Zusammenarbeit mit anderen Marktteilnehmern (Kunden bzw. Nutzern, Wettbewerbern, Partnern) oder indirekt in Zusammenarbeit mit produkt- und marktnahen internen Funktionsbereichen erzeugt werden. Vor allem die direkte Variante hat in den letzten Jahren unter den Begriffen „Voice of the Customer“ (Shillito 2001; Campos und Balland 2012) und „Open Innovation“ (Chesbrough 2003,2006a, b) starke Beachtung und Verbreitung gefunden. „Voice of the Customer-Methoden, die im Rahmen des Quality Function Deployments (QFD) entstanden sind, zielen darauf ab, die Bedürfnisse des Kunden zu ermitteln und in Produktanforderungen zu transformieren. Die „Open Innovation“-Idee geht darüber hinaus und verfolgt das Ziel, die Außenwelt des Unternehmens für die Erzeugung, Verbreitung und Weiterentwicklung von Innovationsideen zu nutzen. In diesem Zuge sind zahlreiche Methoden zur Erzeugung von Neuproduktideen unter Einbezug von Kunden und anderen Marktteilnehmern entstanden. In Abb. 4.20 sind diese Methoden nach den zwei wesentlichen Entscheidungskriterien klassifiziert: Nach der voraussichtlichen Güte der Ideen im Hinblick auf Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität sowie nach der Schwierigkeit der Umsetzung im Hinblick auf Aufwand und Teilnehmergewinnung.
4.3 Entdeckung von Produkten
135
Abb. 4.20 Methoden der Ideenfindung. (In Anlehnung an: Cooper und Edgett 2007; Cooper und Edgett 2008; Pepels 2012; Großklaus 2014, S. 95–165; Vahs und Brem 2015, S. 254–283; Votteler 2015)
An dieser Stelle wird nicht auf die einzelnen Methoden eingegangen, sondern auf die oben referenzierte Literatur verwiesen, die die einzelnen Methoden ausführlich beschreibt. Das Ziel dieser Phase ist die Generierung eines Pools oder Portfolios von Produktideen (vgl. Brem et al. 2011), aus denen die Erfolg versprechenden selektiert und weiterentwickelt werden können. Dazu bedarf es Kriterien und Methoden zur Selektion von Produktideen. Findung von Produktideen bei Heineken
Zur Findung von Ideen für neue Produkte und Geschäftsmodelle setzt Heineken auf den Inhouse Accelerator „iLABs“ sowie die Open-Innovation Plattform „The Brewhouse“. Für den Inhouse Accelerator bewerben sich interne Mitarbeiter-Teams aus allen Heineken-Standorten mit Innovationsideen, die dort geprüft, definiert und im positiven Fall zu Prototypen und Produkten weiterentwickelt werden (vgl. Heineken 2020).
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Die Open-Innovation Plattform „The Brewhouse“ ist offen für Konsumenten, StartUps, Forschungszentren und Zulieferer weltweit, die dort im Wettbewerb Innovationsideen einbringen und mithilfe des Unternehmens weiterentwickeln können (vgl. Bread 2018; Oughton 2018; Heineken 2020). Dieses Modell kann daher als eine Form des Crowdsourcing angesehen werden. ◄
Findung von Produktideen bei Samsung Electronics
Zur Findung von Ideen für neue Produkte und Prozesse hat Samsung Electronics zwei interagierende Zentren geschaffen (vgl. Abb. 4.21): Einerseits das „Samsung Advanced Institute of Technology (SAIT)“, das mit der Entwicklung neuer Technologien in Zusammenarbeit mit Forschungszentren, Technologieunternehmen und Samsung Geschäftspartnern im Sinne eines „Open Innovation“-Ansatzes betraut ist. Andererseits das seit 1998 bestehende „Value Innovation Program (VIP) Center“, dessen Zweck in der Umsetzung von Technologien in neue Produktideen und -konzepte in Zusammenarbeit mit den Funktionsbereichen bei Samsung besteht. Die beiden Zentren repräsentieren damit die Prozesse der Generierung und Nutzung von Technologien in Form innerbetrieblicher Zusammenarbeit. ◄
Abb. 4.21 Ko-Innovation bei Samsung Electronics. (vgl. Jang et al. 2019)
4.3 Entdeckung von Produkten
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Selektion von Produktideen Die Selektion von Produktideen erfordert in erster Linie Entscheidungskriterien, anhand derer nicht weiter zu verfolgenden Ideen selektiert werden können. Auch dieser Prozessschritt ist sowohl in linearen als auch in zyklischen Vorgehensmodellen erforderlich. Im „Stage-Gate“-Modell ist der Prozessschritt in den Prüftoren („Gates“) inkorporiert, in zyklischen Modellen wie dem „Lean Startup“ – oder dem „Design Thinking“ – Ansatz ist die Selektionsentscheidung bei der Erzeugung und dem Test von Prototypen erforderlich (vgl. Abschn. 4.2). Die Selektionskriterien sind dabei im Kern dieselben, die bereits beim Produkt-Controlling als Handlungsfelder und Indikatoren für erfolgreiche Produkte definiert wurden (vgl. Tab. 4.2). Tab. 4.2 Selektionskriterien für Produktideen. (In Anlehnung an: Cooper und Edgett 2006; Cooper 2008; Hoffmann 2012; Haines 2014, S. 291–295; Vahs und Brem 2015, S. 321–328) Marktfähigkeit
Lieferbarkeit
Hat die Idee einen deutlichen Ist die Produktidee in der erforderlichen Qualität entdifferenzierenden Nutzen für Kunden im Gegensatz zu wickelbar? Wettbewerberangeboten? Ist der differenzierende Nutzen der Idee für den Kunden klar erkennbar und kommunizierbar?
Ist die Produktidee in der erforderlichen Qualität produzierbar?
Profitabilität Wie hoch sind die voraussichtlichen Investitions- und laufenden Kosten für diese Investition über einen Zeitraum von x Jahren? Wie hoch ist der voraussichtliche Umsatz mit der Produktidee über einen Zeitraum von x Jahren?
Wie können die InvestitionsKann die Idee zu einem Preis Ist die Produktidee in der am Markt angeboten werden, erforderlichen Quantität dis- und die laufenden Kosten finanziert werden? tribuierbar? der den differenzierenden Nutzen rechtfertigt? Ist das Marktpotenzial für die Idee heute und in Zukunft groß genug, damit das Produkt wirtschaftlich angeboten werden kann?
Wie hoch ist in etwa Ist die Produktidee in der erforderlichen Quantität und die Rentabilität dieser Investition für das UnterQualität wartbar? nehmen?
Ist die Wettbewerbslage auf dem Markt so, dass das Produkt eine realistische Chance im Wettbewerb hat?
Können Quantitäts- und Qualitätszusagen für die Produktidee vom Unternehmen zuverlässig eingehalten werden?
Welche nichtfinanziellen Vorteile hat das Unternehmen aus dem Engagement mit dem Produkt?
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Unterschiedlich ist dabei, wie diese Selektionskriterien im roduktmanagement-Prozess gestützt werden: Durch Experten-Einschätzungen P in frühen Phasen oder durch die Erhebung und Validierung von systematisch erhobenen und ausgewerteten Daten, was in späten Phasen, vor dem Start der Produktrealisierung, der Fall sein sollte. Die Anforderungen an den Detaillierungsgrad von Produktideen folgen somit ebenfalls dem Trichterkonzept, in dem mit zunehmender Selektion der Detaillierungsgrad zunimmt. Dies ist wichtig, um erstens den Aufwand für die Generierung und Evaluierung von Produktideen in einem jeweils vertretbaren Aufwand zu halten und zweitens die Barrieren für die Erzeugung von Produktideen bei Mitarbeitern und externen Partnern möglichst niedrig zu dimensionieren (vgl. Abb. 4.22).
Abb. 4.22 Der Prozess der Ideenselektion. (In Anlehnung an: Hauschildt und Salomo 2010, S. 391–430; Vahs und Brem 2015, S. 321–355)
4.4 Definition von Produkten
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Zusammenfassung: Entdeckung von Produkten
Produkte werden entdeckt, indem Ideen generiert und dann nach systematischen Kriterien und Methoden selektiert werden. Dies gilt für lineare Modelle gleichermaßen wie für zyklische Vorgehensweisen. Im Hinblick auf die Ideenerzeugung sollten möglichst frühzeitig marktfähige, lieferbare und profitable Produktideen gefunden werden. Dies kann gelingen, indem in den Prozessschritt der Ideenerzeugung die Validierung direkt oder indirekt eingebaut wird. Die direkte Form erfordert den Einbezug von externen Marktpartnern wie Kunden, Partnern oder Wettbewerber über Methoden von Lead User Workshops, Marktanalysen oder Wettbewerberanalysen. Die indirekte Form erfordert die Diskussion mit markt- und/ oder produktnahen Funktionen, wie beispielsweise Entwicklung, Vertrieb oder Servicefunktionen. Dies führt zu einem Portfolio von Ideenfindungsmethoden, welches nach den Kriterien der Ideengüte und der Schwierigkeit der Umsetzung strukturiert werden kann. Die erzeugten Ideen müssen schließlich nach klaren Kriterien und Methoden bewertet und selektiert werden. Die Kriterien lassen sich aus den Handlungsfeldern für erfolgreiche Produkte, Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität, ableiten. Die Methoden, durch die diese Kriterien auf Produktideen Anwendung finden, folgen dem Trichterprozess der Innovation: Grobe Skizzierungen von Produktideen am Anfang werden grob bewertet, Feinkonzepte erfordern eine fundierte und datenbasierte Bewertungsmethode. ◄
4.4 Definition von Produkten Sind Produktideen auf eine bearbeitbare Anzahl selektiert, muss die Produktidee, die den Selektionsprozess erfolgreich durchlaufen hat, definiert werden. Die Produktdefinition bezieht sich dabei auf die Definition einer Marktpositionierung, die Festlegung der Anforderungen an das Produkt, den Entwurf eines Wertschöpfungsmodells sowie die Abschätzung der Profitabilität.4 Diese vier Ergebnisse der Phase sollen im Folgenden erläutert werden.
4Vgl.
dazu die jeweils etwas unterschiedlichen Konzeptionen der Produktdefinition bei Gorchels 2011, S. 175–191; Geracie und Eppinger 2013, S. 185–204; Crawford und Di Benedetto 2014, S. 291–301; Haines 2014, S. 319–352; Steinhardt 2017. S. 29–36.
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Definition einer Marktpositionierung Entsprechend der in Abschn. 3.2 dargelegten Elemente eines Geschäftsmodells ist das zentrale Element die Marktpositionierung des Produkts, die eine Antwort auf die Frage gibt: „Welche differenzierenden Nutzen stiftet das Produkt für welche Zielgruppe?“ In anderen Worten besteht die Marktpositionierung aus drei Elementen: Einem wahrnehmbaren Kundennutzen für definierte Kunden(segmente), der sich deutlich von Wettbewerbsangeboten abhebt (vgl. Abb. 4.23). Die Positionierung eines Produkts, einer Produktgruppe oder Produktlinie am Markt erfolgt auf der Grundlage von aktuellen und möglichst validen Informationen über Kunden und Wettbewerber sowie einer begründeten Marktsegmentierung. Diese Aufgaben und Methoden sind im Produktmanagement gut dokumentiert, sodass an dieser Stelle darauf nicht weiter eingegangen wird (vgl. Trommsdorff 2007; Großklaus 2009, S. 79–138; Gorchels 2011, S. 59–104; Geracie und Eppinger 2013, S. 135–141; Herrmann und Huber 2013, S. 35–84; Haines 2014, S. 135–214; Bruhn und Hadwich 2017, S. 85–146; Hofbauer und Sangl 2017, S. 375–383).
Abb. 4.23 Elemente einer Marktpositionierung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 337 f.; Kotler et al. 2016, S. 297–320; Matys 2018, S. 184–192)
4.4 Definition von Produkten
141
Die Marktpositionierung ist gewissermaßen der Hebel für die Produktdefinition, da sie die „Leitplanken“ alle weiteren Entscheidungen legt: für das Produktkonzept, das Wertschöpfungsmodell und die Profitabilitätsabschätzung. Grobpositionierung einer neuen lokalen Biermarke
Wenn es nur zwei wesentliche kaufentscheidende Kriterien für den Kauf eines Produktes geben würde, könnte die Positionierung einer neuen Marke anhand einer zweidimensionalen Positionierungsanalyse vorgenommen werden: Dazu werden die zwei kaufentscheidenden Kriterien als Extrema auf den Polen eines Positionierungskreuzes eingetragen. Dann werden die Wettbewerbermarken – idealerweise datenbasiert – auf diesem Positionierungskreuz platziert (vgl. Kotler et al. 2016, S. 297–320). Hierdurch wird sichtbar, in welchen Präferenzsegmenten sich bereits viele Anbieter positioniert haben, wo Nischen bestehen und in welchen Punkten sich eine neue Markenpositionierung von den nächsten Wettbewerbern abheben müsste. Angenommen, für eine neue lokale Biermarke gäbe es nur zwei kaufentscheidende Kriterien: Einerseits „Regionalität oder Internationalität“ und andererseits „Bürgerlichkeit oder Individualität“. Dann würde eine Positionierungsanalyse wie folgt aussehen (vgl. Abb. 4.24).
Abb. 4.24 Zweidimensionale Marktpositionierung einzelner Biermarken. (vgl. Walsh 2020, S. 449)
142
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
An diesem Beispiel zeigt sich, dass sich eine neue lokale Biermarke eventuell im Feld „Regionalität“ und „Individualismus gut platzieren ließe. ◄
Detaillierte Positionierung eines neuen Fairphone-Modells
Für dies Positionierung eines neuen Fairphone-Modells ließe sich die detailliertere Positionierung mithilfe einer „Value Proposition Analysis“ vornehmen (vgl. Osterwalder 2014). Dazu sind zunächst einmal die wesentlichen Kundenaufgaben („Customer Jobs“) in der Nutzung eines Smartphones und dann die damit verbundenen Vorteile („Gains“) und Nachteile („Pains“) zu identifizieren. Auf dieser Basis können die Funktionen und Eigenschaften des Neuprodukts in Vorteilsstifter („Gain Creator“) und Problemlöser („Pain Reliever“) kategorisiert und diese zu einem differenzierenden Nutzenversprechen oder einer Marktpositionierung zusammengefasst werden (vgl. Abb. 4.25). In diesem Fall würde das differenzierende Nutzenversprechen auf das Kaufrisiko und den Personalisierungsaufwand bei einem Modellwechsel sowie die Akkulaufzeit und die Lebensdauer abheben. Dies wäre dann ein differenzierendes Nutzenversprechen, wenn diese Nutzenargumente erstens die Bedürfnisse der Smartphone-Kunden adressieren und zweitens sich von bisherigen Wettbewerbern unterscheiden. Beide Bedingungen würden eine Marktanalyse erfordern. ◄
Abb. 4.25 Mögliche Value Proposition Analyse eines neuen Fairphone-Modells. (vgl. Osterwalder et al. 2014)
4.4 Definition von Produkten
143
Spezifizierung von Produktanforderungen In den Produktanforderungen treffen Marktanforderungen und technische Realisierung zusammen. Die meisten Entwürfe zur Produktentwicklung empfehlen, die Marktseite und die technische Seite der Produktanforderungen konzeptionell und organisatorisch auseinanderzuhalten: Die Verantwortung der Produktmanagerin liegt darin, die Anforderungen aus Marktsicht zu erheben und strukturiert für den Entwicklungsbereich aufzubereiten. Die Verantwortung der Entwicklung besteht im Verstehen dieser Marktanforderungen und in der Umsetzung in ein technisches Konzept. Dieser Kommunikationsprozess zwischen der Markt- und der technischen Perspektive hat in unterschiedlichen Branchen und Vorgehensmodellen unterschiedliche Bezeichnungen (vgl. Tab. 4.3). Tab. 4.3 Kommunikationsmittel zwischen Produktmanagement und Entwicklung. (In Anlehnung an: Rupp und die SOPHISTen 2014, S. 215–298; Ebert 2019, S. 105–132) Anforderungen aus Marktsicht
Umsetzung aus technischer Sicht
Beschreibung aus Kundensicht
Beschreibung aus Entwicklungssicht
Fokus auf Kundenproblemen
Fokus auf Implementierungsproblemen
Lastenheft
Pflichtenheft
Use Cases/User Stories
Entwurf/Architektur
Produkteigenschaften
Rezeptur
Anforderungen
Blueprint
…
…
Dabei empfiehlt es sich, nach Maßgabe des V-Modells, zusammen mit den Marktanforderungen auch die Abnahme- bzw. Validierungstests mit zu definieren (vgl. Friedrich et al. 2009, S. 129–158, Informationstechnikzentrum Bund 2019, S. 27–54). Denn eine Anforderung ist dann eindeutig, vollständig und widerspruchsfrei definiert, wenn man dazu Testfälle angeben kann, durch die die Erfüllung dieser Anforderung abgeprüft werden kann. Damit ist die Zuständigkeit der Produktmanagerin in der technischen Produktentwicklung abgegrenzt: Sie ist zuständig für die Erhebung und Formulierung der Marktanforderungen sowie der Abnahmetests.
144
4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Formulierung von eindeutigen und vollständigen Produktanforderungen für ein Smartphone
Eine mögliche Anforderung des Marktes an ein Smartphone könnte lauten: „Als Nutzer möchte ich mein Profil im Smartphone einmal speichern können, damit ich meine Daten nicht bei jeder einzelnen App wieder neu eingeben muss.“ Um aus dieser Rohanforderung eine eindeutige und vollständige Lastenheft-Anforderung zu machen, die für die Entwicklung verständlich und umsetzbar ist, müssen dafür folgende Fragen beantwortet werden (vgl. Becker 2011): • Schlüsselverb „Speichern“ – Wer muss ? (Nur der Nutzer; es soll kein automatisches Speichern geben) – Wann soll stattfinden? (Nur dann, wenn alle Pflichtfelder ausgefüllt sind) – Wann ist komplett abgeschlossen? (Wenn eine Speicherbestätigung erscheint) – Wie kann geprüft werden, ob durchgeführt wurde? (Die gespeicherten Daten müssen in der Datenbank vorhanden sein) – Was könnte verhindern und was wird dann erwartet? (Keine Verbindung zum Server; Pflichtfelder nicht ausgefüllt; falsch eingebende E-Mail-Adresse. Dann wird eine Fehlermeldung mit der Ursache für das Nicht-Speichern angezeigt) • Schlüsselsubstantiv „Profil“ – Welche Inhalte kommen in vor? (Als Inhalt im Profil kommen Namen, Adresse, Mobilnummer und E-Mail-Adresse vor) – Welche optionalen und verpflichtenden Inhalte gelten für ? (Optional ist die Telefonnummer; alle anderen Felder sind Pflichtfelder) – Welche Inhalte von sollen automatisch überprüft werden? (Die E-Mail-Adresse wird nach einem regulären Ausdruck überprüft) – Wie sieht das Layout für aus? (Die Bereiche Namen, Adressdaten und Kontaktdaten (Mobilnummer und E-Mail-Adresse) sind jeweils gruppiert. In jeder Zeile steht links die Bezeichnung für das Feld und rechts der Feldwert)
4.4 Definition von Produkten
145
• Akzeptanzkriterien – Die Profildaten müssen aus den Feldern Vorname, Familienname, Straßenname, Hausnummer, Wohnort, Postleitzahl, Mobilnummer und E-Mail-Adresse bestehen – Das Feld Mobilnummer ist optional auszufüllen – Der Nutzer kann sein Profil speichern, wenn alle Pflichtfelder ausgefüllt wurden und das Feld E-Mail nach dem regulären Ausdruck [a-zA-Z0-9_-\.] + @[a-zA-Z0-9\.] + [a-zA-Z]{2,4} geprüft wurde – Wenn die Funktion „Speichern“ nicht durchgeführt werden kann, muss dem Nutzer eine entsprechende Fehlermeldung mit Ursachenbezeichnung angezeigt werden – Die Profildaten müssen, nachdem der Nutzer gespeichert hat, in der Datenbank komplett vorhanden sein • Testfall „Ungültige E-Mail-Adresse prüfen“ – Vorbedingung: Der Nutzer hat sich registriert, eingeloggt und die Eingabeseite der Profildaten aufgerufen – Auszuführende Testschritte 1. Werte in Pflichtfelder eingeben 2. Ungültiger Wert für E-Mail-Adresse eingeben 3. Speichern-Button anklicken – Erwartetes Ergebnis Der Speichervorgang wird nicht durchgeführt; die Datenbank ist leer. Es wird eine Fehlermeldung mit Hinweis auf eine falsch eingegebene E-Mail-Adresse angezeigt – Verwendete Testdaten Erwin Müller, …… [email protected] ◄ Entwurf eines Wertschöpfungsmodells Die beiden zentralen Fragen des Wertschöpfungsmodells bestehen darin, welche Geschäftsprozesse zur Realisierung der impliziten und expliziten Leistungsversprechen des Produkts relevant sind und welche Anforderungen diese Geschäftsprozesse erfüllen müssen. Die Basis für die expliziten Leistungsversprechen stellt die Marktpositionierung, die Basis für die impliziten Leistungsversprechen die Produktspezifikation dar.
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.26 Wertschöpfungsmodell bzw. Prozesslandkarte produzierender Unternehmen. (vgl. Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 65–74; Erne 2019b, S. 64–73)
Zur Identifikation der wesentlichen Geschäftsprozesse ist zunächst ein Überblick über das Wertschöpfungsmodell bzw. die Prozesslandkarte der Branche und/oder des Unternehmens erforderlich. Dieses sieht bei produzierenden Unternehmen in etwa wie folgt aus (vgl. Abb. 4.26). Im zweiten Schritt kann dann ermittelt werden, welche Geschäftsprozesse zur Realisierung der Leistungsversprechen relevant sind. Dies kann beispielsweise mithilfe einer Einflussmatrix geschehen (vgl. Stöger 2018, S. 53–88). Auf dieser Grundlage kann im dritten Schritt überlegt werden, welche Anforderungen an die primären Prozesse und die sekundären Prozesse gestellt werden müssen, um die expliziten und impliziten Leistungsversprechen zu realisieren. Dies repräsentiert dann das Wertschöpfungsmodell für das Produkt.
4.4 Definition von Produkten
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Erarbeitung eines Wertschöpfungsmodells für ein neues lokales Bier
Geht man von der vereinfachten Annahme aus, das die kaufentscheidenden Kriterien bei einem lokalen Bier entweder die Marke oder der Preis sind (vgl. VuMa 2019b) und steht a priori fest, dass eine lokale Biermarke aufgrund der Marktstruktur und Kostenposition keinen Preiswettbewerb anstreben kann, ist nur eine Differenzierungsstrategie möglich (vgl. Porter 1985). Die entsprechende Marktpositionierung könnte lauten: „Regionales Bier mit Coolheitsfaktor“. Diese Positionierung muss dann in entsprechende Leistungsversprechen differenziert werden. Dann kann identifiziert werden, welche Geschäftsprozesse diese Leistungsversprechen realisieren können (vgl. Abb. 4.27). Auf Basis der Identifikation der Kernprozesse zur Realisierung des neuen Produkts kann dann das Wertschöpfungsmodell für eine neue Biermarke modelliert werden (vgl. Abb. 4.28). ◄
Abb. 4.27 Einflussmatrix zur Identifikation der Kernprozesse bei einer lokalen Biermarke. (vgl. Stöger 2018, S. 53–88; Erne 2019a, b, S. 106–110)
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.28 Mögliches Wertschöpfungsmodell einer neuen lokalen Biermarke
Erarbeitung eines Wertschöpfungsmodells für ein neues Smartphone
Legt man die detaillierte Marktpositionierung zugrunde, die für ein neues Fairphone-Modell oben entworfen wurde, würde die Identifikation der Kernprozesse über eine Einflussmatrix in etwa wie folgt aussehen (vgl. Abb. 4.29).
Abb. 4.29 Einflussmatrix zur Identifikation der Kernprozesse bei einem neuen „Fairphone “. (vgl. Stöger 2018, S. 53–88; Erne 2019a, b, S. 106–110)
4.4 Definition von Produkten
149
Abb. 4.30 Mögliches Wertschöpfungsmodell eines neuen „Fairphone“
Das daraus resultierende Wertschöpfungsmodell würde dann wie folgt aussehen (vgl. Abb. 4.30). ◄ Auf der Basis der Identifikation und Modellierung der Kernprozesse für ein Neuprodukt können Wertschöpfungsmodelle mit innovativem Charakter entworfen werden, wie beispielsweise Individualisierungsmodelle für Biergebinde, Leasingund Pfandmodelle für Smartphones und ähnliche Innovationen. Diese werden häufig mit dem Begriff „Geschäftsmodellinnovationen“ überschrieben (vgl. Müller-Stewens und Lechner 2016, S. 356–407). Abschätzung der Profitabilität Eine grobe Profitabilitätsabschätzung ist erst dann möglich, wenn erstens die Marktpositionierung definiert, zweitens die Produktanforderungen festgelegt und drittens die Geschäftsprozesse identifiziert sind. Diese Definitionen bilden die Basis für die Abschätzung des prognostizierten Umsatzvolumens einerseits und der vermuteten Kostenpositionen andererseits. Beide Rechnungspositionen sind in dieser Phase noch von hoher Unsicherheit gekennzeichnet (vgl. Abb. 4.31).
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.31 Positionen für die Profitabilitätsabschätzung. (In Anlehnung an: Schmidt 2009, S. 8–23; Brugger 2009, S. 63–138; Taschner 2017, S. 53–72)
Aus dem Grund, dass am Anfang einer Produktdefinition große Unsicherheiten im Hinblick auf die abgeschätzten Kosten- und Umsatzpositionen herrschen, können in dieser Phase grobe statische Gewinnvergleichs-, Rentabilitätsvergleichs- und/oder Amortisationsvergleichsrechnungen ausreichen, um die Profitabilität einer Produktinvestition abschätzen zu können (vgl. Brugger 2009, S. 179–194; Taschner 2017, S. 81–88). Diese Überlegung folgt den Genauigkeitsanforderungen, die an die Projektabschätzung in unterschiedlichen Phasen eines Projekts gestellt werden (vgl. Tab. 4.4):
Tab. 4.4 Genauigkeitsanforderungen an einzelne Schätzphasen in einem Projekt. (In Anlehnung an Project Management Institute 2017, S. 168) Genauigkeit
Einsatzbereich
Methode
Grobschätzung
−25 %–+75 %
Initiierung, Projektfreigabe, Vorstudien
Top-down-Schätzung, Analogieschätzung
Budgetschätzung
−10 %–+25 %
Finanzierung, Budgetfreigabe
Vergleichsschätzung, Expertenurteil, Parameterschätzung
Planungsschätzung
−5 %–+10 %
Planung, Angebotserstellung
Bottom-up-Schätzung
4.4 Definition von Produkten
151
Abb. 4.32 Mögliche qualitative Nutzenaspekte von Neuproduktentwicklungen. (In Anlehnung an Osterwalder und Pigneur 2010; Gassmann et al. 2017)
Daneben sollten in die Profitabilitätsabschätzung auch qualitative Nutzenelemente für das Unternehmen mit aufgenommen werden. Entlang der Elemente eines Geschäftsmodells können aus einer Investition in eine Neuproduktentwicklung eventuell auch folgende Nutzenelemente extrahieren, die im Einzelfall zumindest kurzfristig höher gewichtet werden als die finanzwirtschaftliche Profitabilität. Dazu zählen die Technologiebeherrschung aufgrund des Einsatzes neuer Technologien in ein Produkt, die Prozesskompetenz in der Vermarktung, Entwicklung, Produktion, im Vertrieb und im Service neuer Leistungen sowie im Zuwachs an Marktkenntnis, sofern mit einem neuen Produkt auch neue Märkte betreten werden (vgl. Abb. 4.32). Diese Nutzenaspekte lassen sich nicht unmittelbar quantifizieren. Sie sollten sich aber zumindest indirekt und langfristig bemerkbar machen in der Senkung der durchschnittlichen Stückkosten, die gemäß der ökonomischen Lernkurve mit jeder Verdoppelung des Produktions- und Absatzvolumens auftreten kann (vgl. Henderson 1974; Yelle 1979). Andernfalls wäre die Lernerfahrung, dass bestimmte Produkte derzeit in dem definierten Markt nicht funktionieren.
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Zusammenfassung: Definition von Produkten
Die Produktdefinition beinhaltet vier wesentliche Arbeitspakete: Die Definition einer Marktpositionierung, die Entwicklung einer Produktspezifikation, den Entwurf eines Wertschöpfungsmodells sowie die Abschätzung der Profitabilität. Die Marktpositionierung stellt gewissermaßen das „Herz“ der Produktdefinition dar, da durch sie definiert wird, welcher Kundennutzen für welche Kundensegmente durch ein Produkt geleistet wird und wie es sich von Wettbewerbsangeboten differenziert. Dies stellt die strategische Richtung für die Produktspezifikation, das Wertschöpfungsmodell sowie die Profitabilitätsabschätzung dar. Die Produktanforderungen bilden den Ausgangspunkt für einen Kommunikationsprozess zwischen der Markt- und der technischen Sicht, indem zunächst die Anforderungen an das Produkt aus Marktperspektive formuliert werden („Was soll das Produkt leisten?“), die dann in eine technische Produktspezifikation („Wie werden die Marktanforderungen technisch umgesetzt?“) transformiert wird. Im Wertschöpfungsmodell wird identifiziert, durch welche wesentlichen Geschäftsprozesse der Produktnutzen aus Kundensicht, der in der Marktpositionierung definiert wurde, realisiert wird. Diese Kernprozesse konstituieren das Wertschöpfungsmodell für das Produkt. Die Profitabilitätsabschätzung besteht im Kern aus einer Cashflow- bzw. Investitionsrechnung der prognostizierten zahlungswirksamen Kosten und Umsätze der Produktinvestition über einen definierten Zeitraum von üblicherweise drei bis fünf Jahren. Neben dieser finanzwirtschaftlich-quantitativen Abschätzung sollten auch qualitative Nutzenaspekte in die Profitabilitätsschätzung einfließen. ◄
4.5 Realisierung von Produkten Die Phase der Produktrealisierung ist durch vier parallele Entwicklungsprozesse gekennzeichnet, welche eine koordinierte Planung und Überwachung erfordern. Dies kann, bei einmaligen Produktentwicklungsvorhaben, durch die Aufgaben und Werkzeuge des Projektmanagements und/oder, bei kontinuierlichen Produktentwicklungsprozessen, durch die Aufgaben und Werkzeuge des Prozessmanagements erfolgen (vgl. Haines 2014, S. 447–480; Trott 2017, S. 342–377).
4.5 Realisierung von Produkten
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Abb. 4.33 Aufgaben in der Produktrealisierung
Die vier parallelen Entwicklungsprozesse betreffen (vgl. Abb. 4.33): • die technische Produktentwicklung: Von Produktanforderungen zum Produktdesign; • die Marketing-Planung: Von der Marktpositionierung zum Marketingkonzept; • die Prozessentwicklung: Vom Wertschöpfungsmodell zu den Geschäftsprozessen; • die Geschäftsplanung: Von der Profitabilitätsabschätzung zum Business Case. Diese vier Prozesse sollen im Folgenden skizziert werden. Von den Produktanforderungen zum Produktdesign Die Entwicklung von den Produktanforderungen zum Produktdesign folgt branchen- und unternehmensspezifisch individuellen Prozessmodellen. Dies wird schon an den Begrifflichkeiten deutlich: So können die Produktanforderungen aus Marktsicht als Lastenheft, Use Cases, User Stories oder schlicht als Anforderungen auftreten. Das Ergebnis des Entwicklungsprozesses materialisiert sich in Zeichnungen, Stücklisten, Produktionsplänen, Quellcodes, Layouts, Blueprints oder Rezepturen (vgl. Holzbaur 2007, S. 57–80; Ulrich und Eppinger 2016, S. 73–116; Jantzer 2019, S. 49–68).
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Dazwischen liegen Entwicklungsprozesse, die linear, wasserfallartig, V-förmig, W-förmig, spiralförmig, und/oder iterativ-inkrementell sein können. Dies macht deutlich, dass die Aufgaben des Produktmanagements im Hinblick auf die konkrete Begleitung von technischen Entwicklungsprozessen nur sehr spezifisch diskutiert werden können. An dieser Stelle soll an zwei Beispielen exemplarisch aufgezeigt werden, worin die Rolle der Produktmanagerin in der Begleitung der technischen Produktentwicklung bestehen kann: Am Beispiel des V-Modells und am Beispiel des Scrum-Ansatzes. Im V-Modell, sei es in der (klassischen) Version von 1992, von 1997 oder in der aktuellen XT-Version, stellt ein Entwicklungsmodell für technische Systeme dar, das aus unterschiedlichen Komponenten besteht. Somit bestehen die Herausforderungen darin, zunächst die Anforderungen an das technische System (Produkt) aus Marktsicht in einem Lastenheft zu definieren. Dieses wird dann in einen Gesamtsystementwurf aus technischer Sicht (Pflichtenheft) transformiert. Das System-Pflichtenheft stellt wieder Anforderungen an die Komponenten, die wiederum in Komponentenentwürfe transformiert werden, bis das Gesamtsystem spezifiziert ist. Dann werden zuerst die Komponenten implementiert und getestet, diese in weiteren Schritten integriert und geprüft (Integrationstest), bis am Ende das Gesamtsystem zunächst in technischer Hinsicht (Verifikationstest) und danach in der Nutzungsumgebung des Kunden integriert und getestet (Validierungstest) wird (vgl. Friedrich et al. 2009, S. 129–158, Informationstechnikzentrum Bund 2019, S. 27–54). Das Spezifikum des V-Modells, das im Kern ein lineares Wasserfallmodell darstellt, besteht darin, dass zusammen mit den Anforderungen auch die Testkriterien und Testfälle mit definiert werden. Denn eine Anforderung ist erst dann eindeutig und vollständig, wenn angegeben kann, wie diese geprüft wird. Deshalb wird das lineare Wasserfallmodell an der Testseite gewissermaßen zu einem V „hochgeklappt“ (vgl. Abb. 4.34).
4.5 Realisierung von Produkten
155
Abb. 4.34 Das V-Modell der technischen Systementwicklung. (In Anlehnung an: Friedrich et al. 2009; Informationstechnikzentrum Bund 2019, S. 38)
Systemspezifikation eines Smartphones nach dem V-Modell
Nach dem V-Modell würden die Anforderungen an ein neues Smartphone aus Marktsicht durch die Produktmanagerin in einem Lastenheft für das Gesamtsystem „Smartphone“ definiert und mit der Entwicklung abgestimmt werden. Die systemverantwortliche Organisationseinheit hätte dann die Aufgabe, auf dieser Basis ein Systempflichtenheft für das Smartphone zu erstellen. Zusammen mit den Komponentenverantwortlichen für das Gehäuse, die Leiterplatte und die Softwareschichten muss dann die Systemarchitektur festgelegt werden. Innerhalb dieser werden die Fragen beantwortet, welche Funktionen und Eigenschaften in Hardware und in den jeweiligen Softwareebenen realisiert werden müssen und wie das Gehäuse dimensioniert werden sollte, um beispielsweise die daraus entstehende Verlustleistung (Abwärme) abzuleiten. Das
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.35 Lasten- und Pflichtenhefte auf System und Komponentenebene bei der Smartphone-Entwicklung
Systempflichtenheft übernimmt also in der nächsten Spezifikationsstufe wieder die Funktion von Komponentenlastenheften, welche ihren Komponentenentwurf in Komponentenpflichtenheften dokumentieren (vgl. Abb. 4.35). ◄ Die Funktion einer Produktmanagerin in diesem System bestünde darin, erstens das Lastenheft und zweitens die Abnahme- oder Validierungstests zu verantworten, die im Zuge der Lastenhefterstellung mit definiert und am Ende des Prozesses durchgeführt werden. Diese Aufgabe erfordert deshalb „Begleitung“, weil im Entwicklungsverlauf permanent interne und externe Änderungsanforderungen entstehen, die Einfluss auf die Lastenheftanforderungen haben und deshalb von der Produktmanagerin mitentschieden werden müssen. Das wäre die Kernaufgabe einer „Inbound Produktmanagerin“ (vgl. Abschn. 2.4). In einem anderen Entwicklungsmodell, dem Scrum-Ansatz, findet sich die Produktmanagerin in der Rolle des „Product Owners“ wieder. Das zyklische Scrum-Modell geht von der Annahme aus, dass sich Software-Produkte idealerweise inkrementell, in kurzen Entwicklungszyklen, begleitet von kontinuierlichem Feedback des Nutzers oder Kunden, entwickeln lässt (vgl. Schwaber und Beedle 2002; Schwaber 2004; Schwaber und Sutherland 2012; Sutherland 2014). Diesem Gedanken folgend, muss am Anfang eine grobe „Vision“ des Produkts entwickelt werden. Diese werden in Anforderungen oder „User Stories“ aus
4.5 Realisierung von Produkten
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Kundensicht differenziert und konstituieren gemeinsam den „Product Backlog“. Für eine Entwicklungsiteration, einen „Sprint“, werden dann aus dem „Product Backlog“ diejenigen Anforderungen selektiert, die sich in einem „Sprint“ von etwa zwei bis vier Wochen Dauer realisieren lassen. Die selektierten Anforderungen konstituieren den „Sprint Backlog“. Die Aufgabe des „ Scrum-Teams“, das idealerweise in einem Raum zusammenarbeitet, besteht darin, innerhalb eines „Sprints“ die selektierten Anforderungen zu implementieren. Das Team wird dabei durch einen „Scrum-Master“ unterstützt, der auf die Einhaltung der „Scrum“-Regeln achtet, die täglichen „Standup-Meetings“ („Daily Scrum“) moderiert und Barrieren für das Team beseitigt. Am Ende jedes „Sprints“ entsteht ein präsentierbares „Product Increment“. Dieses kann eine Nutzeroberfläche oder eine realisierte Funktion sein. Das „Product Increment“ wird durch den Kunden oder Nutzer geprüft, was wiederum in neuen Anforderungen und neuen Sprints resultiert. Während des Sprints sind keine Änderungen zugelassen. Erst wenn das Ergebnis, das „Product Increment“, vorliegt und getestet wurde, können weitere Änderungen in zukünftigen „Sprints“ vorgenommen werden (vgl. Abb. 4.36).
Abb. 4.36 Die Rolle des Produktmanagers in Scrum. (vgl. Schwaber 2004, S. 53–66; Schwaber und Sutherland 2012, S. 57–74; Sutherland 2014, S. 41–70; Pichler 2014, S. 7–25)
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Die Rolle der Produktmanagerin deckt sich im Scrum-Ansatz mit derjenigen des „Product Owners“. In dieser Rolle ist sie für die Produktvision, die „Product Roadmap“ sowie das „Product Backlog“ verantwortlich und damit die „Hüterin des Produkts“. Ferner fungiert sie als Budgetmanagerin für die Entwicklungsarbeit und als Schnittstelle zu den Nutzern bzw. Kunden und anderen Stakeholdern. Weiterhin bereitet sie die Markteinführung oder Inbetriebnahme vor. Idealerweise ist sie in dieser Rolle weitgehend getrennt vom Entwicklungsteam, zumindest während den „Sprint“-Zeiten (vgl. Pichler 2014, S. 7–25). Zusammenfassung: Die Rolle des Produktmanagements in der technischen Produktentwicklung
Anhand der dargestellten Beispiele „V-Modell“ und „Scrum“ wird deutlich, dass die Rolle der Produktmanagerin in der technischen Produktentwicklung in Abhängigkeit vom jeweiligen Vorgehensmodell sehr verschieden ausfallen kann. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Entwicklungsmodellen jedoch, dass es Bedarf an einer Rolle gibt, die die Produktdefinition aus Marktsicht an die Entwicklung kommuniziert (Scharnierfunktion zwischen Markt und Technik), diese Marktsicht kontinuierlich in die Entwicklung bei allen Änderungen einbringt (Anwaltsfunktion für den Markt in die Entwicklung) und die Erfüllung der Anforderungen durch die Definition von Tests auch überwacht (Kontrollfunktion für den Markt in der Entwicklung). ◄ Von der Marktpositionierung zum Marketingkonzept Die Marketingplanung bezeichnet den Weg von der Marktpositionierung zum Marketingkonzept. Dabei wird unterschiedlich interpretiert, was genau Inhalte eines Marketingkonzepts für Neuprodukte sind (vgl. Haines 2014, S. 385–412; Hofbauer und Sangl 2017, S. 365–387; Bruhn und Hadwich 2017, S. 251–294; Pepels 2017; Matys 2018, S. 193–299) Hier wird folgender Vorschlag gemacht (vgl. Abb. 4.37).
4.5 Realisierung von Produkten
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Abb. 4.37 Mögliche Inhalte eines Marketingkonzepts für Neuprodukte
In einem Marketingkonzept sind zunächst grundsätzliche Entscheidungen zu treffen, was gemeinhin als „strategisches Marketing“ bezeichnet wird. Dazu gehört die Marktpositionierung, die bereits in Abschn. 4.4 als Bestandteil der Produktdefinition behandelt wurde, die Festlegung der anvisierten Märkte und des Rollout-Konzepts sowie Entscheidungen zum Markteintrittszeitpunkt, der auch den Markteinführungstermin bestimmt. Bei der Festlegung der anvisierten Märkte sind für einen regionalen Markt andere Marketingmaßnahmen wichtig als für eine nationale, internationale oder Weltmarktstrategie. Aus diesem Grund stellt die Entscheidung für die Märkte eine Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. Herrmann und Huber 2013, S. 241–262; Berndt 2016, S. 3–18). In diesem Zuge ist auch zu überlegen, wie das Produkt in die Märkte eingeführt werden sollte, wenn es sich um mehrere, unterschiedliche Märkte handelt. Grundsätzlich wird für den Markteintritt eine Sprinklerstrategie von einer Treppenstrategie unterschieden (vgl. Hermann und Huber 2013, S. 255–257; Vahs und Brem 2015, S. 427–429). Bei der Sprinklerstrategie wird das Produkt gleichzeitig in allen Märkten eingeführt, während bei der Treppenstrategie die Markteintritte sequentiell nacheinander erfolgen. Während also die Sprinklerstrategie eine steile Lernkurve sowie eine Bündelung der Marketingaktivitäten ermöglicht, bietet die Treppenstrategie eine Minimierung von Risiken sowie den Vorteil der vollen Konzentration auf einen Markt.
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Ähnlich grundlegend ist der Zeitpunkt der Markteinführung. Eine Pionierstrategie, die das Ziel verfolgt, ein Neuprodukt als erster in den oder die Märkte zu bringen, hat die Vorteile einer temporären Monopolstellung mit der Möglichkeit der Definition von Standards sowie eine frühe Lernkurve. Diesen Vorteilen stehen hohe Einführungskosten und -risiken gegenüber. Die Nachteile der Pionierstrategie können es auch angeraten sein lassen, einen Wettbewerber mit dem Produkt den Vorrang zu lassen, von dessen Erfahrungen und Vorbereitungsarbeiten zu profitieren und eine frühe oder späte Folger-Strategie zu wählen (vgl. Hermann und Huber 2013, S. 246–254; Vahs und Brem 2015, S. 429–430). Markteintrittsstrategien für Smartphones mit der Positionierung „Langlebigkeit“/“Reparierbarkeit“
Die strategischen Fragen für Smartphones mit der Positionierung „Langlebigkeit“ bzw. „Reparierbarkeit“ lauten: In welche Märkte soll ich wann eintreten? In Bezug auf die erste Frage sind Märkte zu fokussieren, in denen neue Modelle etablierter Anbieter keine Funktionen oder Eigenschaften mehr aufweisen, die aus Sicht von Nutzern einen relativen Vorteil zum alten Modell darstellen. Zugleich sollten dies Märkte sein, in denen sich nicht schon Wettbewerber mit derselben Positionierung und eventuell einem dominanten Design für Langlebigkeit etabliert haben. Das wären die Märkte und Markteintrittszeitpunkte, die für die Positionierung „Langlebigkeit geeignet wären. ◄
Markteintrittsstrategien für lokale Spezialitätenbiere
Lokale Spezialitätenbiere, wie beispielsweise ein Bio-Pilsener, fokussieren einen Markt, der in der Regel nicht die Region in 50 km Radius um die Produktionsstätte ist, sondern eher „Szene-Bars“ mit Publikum, das für neue Spezialitäten aufgeschlossen ist. Für einen solchen Markteintritt ist eine Pionier- oder F rüheFolger-Strategie erfolgsentscheidend, bevor die großen Brauereien diesen Markt besetzt haben. Zudem würde sich dafür eine Treppen- oder RolloutStrategie anbieten, um die Marktfähigkeit in einem klar begrenzten Stadtgebiet zu testen, bevor eventuell auf weiter liegende Städte expandiert wird. ◄ Basierend auf diesen und evtl. weiteren strategischen Entscheidungen ist dann das Produktmarketing operativ zu gestalten. Entlang der klassischen Konzeption des operativen Marketings nach dem 4-P-Modell (vgl. McCarthy 1960; Borden 1964) können hier Überlegungen zur Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationsgestaltung des Produkts angestellt und festgesetzt werden:
4.5 Realisierung von Produkten
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Abb. 4.38 Elemente der Produktgestaltung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 418)
Da das Produktdesign schon weitgehend bei der Produktspezifikation definiert wurde, beziehen sich die Überlegungen zur Produktgestaltung aus Marketingsicht auf Aspekte der Markenführung, Verpackung, der produktbegleitenden Dienstleistungen wie Beratungs- und Serviceleistungen, Garantie- und Kulanzleistungen sowie Zusatzprodukte und Produktzubehör. Diese Maßnahmen dienen zur Ausgestaltung der ästhetischen, funktionalen und symbolischen Eigenschaften des Produkts sowie zur Anreicherung des Produktnutzens (vgl. Abb. 4.38). Da in der Markteinführung nicht zwingend alle Funktionen und Eigenschaften des Produkts bereits umgesetzt sein müssen, ist die Produktgestaltung darüber hinaus dynamisch zu planen. Das dafür existierende Instrument ist die Product Roadmap, die auf einer abstrakten Ebene Produktversionen über die Zeitachse plant (vgl. Specht und Behrens 2008; Pichler 2016, S. 46–50; Cagan 2018, S. 108–120; Münch et al. 2019). Eng mit der Produktgestaltung verbunden ist die Preisfindung und Preisgestaltung. Im Hinblick auf die Preisfindung muss eine grundsätzliche Preisuntergrenze, eine Preisobergrenze sowie der Preissetzungsspielraum gefunden
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Abb. 4.39 Elemente der Preisgestaltung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 443–506; Simon und Fassnacht 2016, S. 97–160; Matys 2018, S. 234–246)
werden. Die Preisuntergrenze wird in der Regel durch die Kostenträgerrechnung bzw. Zuschlagskalkulation berechnet. Die Preisobergrenze wird durch die Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit der Zielgruppe begrenzt, die theoretisch über die Preiselastizität der Nachfrage abgebildet (aber selten ermittelt) werden kann. Dazwischen befindet sich der Preissetzungsspielraum, der mit Blick auf Wettbewerberangebote und die Preiswahrnehmung der Kunden am Markt ausgestaltet werden kann (vgl. Abb. 4.39). Innerhalb des Preissetzungsspielraums stellt sich dann die Frage nach Möglichkeiten der Preisdifferenzierung, Rabattierung sowie der verkaufsfördernden Preisgestaltung. Auch Fragen der Gestaltung von Liefer- und Zahlungskonditionen sowie der Absatzfinanzierung gehören in diesen Bereich. Analog zur dynamischen Betrachtung der Produktgestaltung stellt sich auch bei der Preisgestaltung die Frage nach der dynamischen Preisstrategie (vgl. Crawford und Di Benedetto 2014, S. 451–458, Simon und Fassnacht 2016, S. 285–326): Soll das Produkt mit einem relativ hohen Preis in den Markt eingeführt werden, um die Zahlungsbereitschaft von Innovatoren und frühen Anwendern abzuschöpfen, welcher dann in der Wachstumsphase für den Massenmarkt gesenkt wird
4.5 Realisierung von Produkten
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(Abschöpfungsstrategie)? Oder soll mit einem relativ niedrigen Preis der Markt betreten werden, um Kaufbarrieren der frühen Masse zu senken und damit schnell eine breite Verwendung zu finden, welcher in der Wachstumsphase dann erhöht wird (Penetrationsstrategie)? Ein drittes Entscheidungsfeld für das Produktmarketing bildet die Vertriebsgestaltung, d. h. die Auswahl und Gestaltung der Vertriebskanäle für das Produkt. Hierbei lassen sich zwei grundsätzliche Formen des Vertriebs unterscheiden: den direkten Vertrieb über eigenes Verkaufspersonal oder eigene Shops sowie den indirekten Vertrieb über dritte Handelsunternehmen oder Absatzhelfer (d. h. Handelsvertreter, Kommissionäre, Makler). Daneben existieren noch Zwischenformen wie Franchise-Systeme oder andere Vertragshandelsformen (vgl. Meffert et al. 2015, S. 512–554; Kotler et al. 2016, S. 516–540). Da die Vertriebskanäle das Gesicht des Produkts zum Kunden darstellen, sind für deren Auswahl zwei Fragen entscheidend: Die Qualität der Beratung bzw. Begleitung im Kaufprozess sowie die Kosten pro Transaktion. Entsprechend diesen beiden Entscheidungsparametern lassen sich dann unterschiedliche direkte und indirekte Vertriebskanäle wie folgt kategorisieren (vgl. Abb. 4.40).
Abb. 4.40 Möglichkeiten der Vertriebsgestaltung. (vgl. Meffert et al. 2015, S. 512–554; Kotler et al. 2016, S. 529 f.)
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Dabei ist auch zu überlegen, welche Vertriebskanäle für das Produkt nicht nur aktuell bedeutend und bereits von vielen Anbietern erschlossen sind, sondern in welchen Vertriebskanälen zukünftig ein hohes Potenzial bestehen könnte und die evtl. noch nicht von vielen Anbietern genutzt werden (vgl. Dickson 1983; Schlögel et al. 2004). Entlang diesen Kriterien ist dann die Entscheidung für das Multi-Channel oder Omni-Channel-Marketing zu treffen. Aufgrund der Kosten für die Vorbereitung und Steuerung paralleler Vertriebskanäle kann auch hier eine „Vertriebs-Roadmap“ den Aufbau und Ausbau der Vertriebskanäle entlang des Produkt-Lebenszyklus getroffen werden. Ein weiteres Handlungsfeld für das Marketing-Konzept stellt die Kommunikationsgestaltung dar. Diese kann an zwei Modellen ausgerichtet werden: Erstens am individuellen Kaufprozess des Kunden bzw. der „Customer Journey“ und andererseits an der Position des Produkts im Lebenszyklus. Im Hinblick auf den individuellen Kaufprozess des Kunden existieren unterschiedliche Modelle, wie beispielsweise das AIDA-Modell (Strong 1925), das Hierarchy-of-Effects-Modell (Lavidge und Steiner 1961) oder das in Abschn. 4.1 behandelte Modell der Diffusion von Innovationen von Rogers (1983). Gemeinsam ist diesen Ansätzen die Modellierung eines dreistufigen Kaufprozesses: Zunächst entsteht Aufmerksamkeit für das Angebot; aus dieser kann sich dann eventuell Interesse und ein Kaufwunsch entwickeln; dieser Kaufwunsch könnte dann in der dritten Phase realisiert werden. Dieser Kaufentscheidungsprozess kann durch entsprechende Kommunikationsmaßnahmen unterstützt werden (vgl. Abb. 4.41). Dabei wird hier davon ausgegangen, dass Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Verkaufsförderung, Eventmarketing, Direktmarketing und persönlicher Verkauf sowohl Online als auch Offline stattfinden kann. Aus dieser Sicht stellt ein separates „Online-Marketing“ oder „Mobile Marketing“ kein eigenständiges Kommunikationsinstrument dar, sondern kann als eine Plattform für den Einsatz grundständiger Kommunikationselemente betrachtet werden. Der Wahl der Medien und der Ausgestaltung der Kommunikationsinstrumente sind wenige Grenzen gesetzt, wie Ansätze zum sogenannten „Guerilla Marketing“ zeigen (vgl. Levinson 2007).
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Abb. 4.41 Elemente der Kommunikationsgestaltung entlang des Kaufprozesses. (vgl. Kotler et al. 2016, S. 586; Strong 1925, S. 9; Lavidge und Steiner 1961, S. 61; Rogers 1983, S. 79–86)
Wird dagegen der Lebenszyklus des Produkts als Leitlinie für den Einsatz von Kommunikationsinstrumenten herangezogen, ist in der Einführungsphase die Aufmerksamkeit auf das und die Information über das Produkt im Zentrum der Kommunikationspolitik. Die Wachstumsphase erfordert dagegen schwerpunktmäßig die Animation zum Wiederholungskauf und zur Weiterempfehlung, um die „Kluft“ in den Massenmarkt zu überbrücken (vgl. Abschn. 4.1). In der Reifephase schließlich sollte der Fokus auf Produkterinnerungen sowie auf der Betonung des Produkt-Mehrwerts liegen. Auch für diese Kommunikationsschwerpunkte entlang des Produkt-Lebenszyklus eignen sich spezifische Kommunikationsinstrumente, die in einer lebenszyklusorientierten Kommunikationsstrategie geplant werden können (vgl. Abb. 4.42).
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Abb. 4.42 Elemente der Kommunikationsgestaltung entlang des Produkt-Lebenszyklus. (vgl. Guiltinan 1999; Crawford und Di Benedetto 2014, S. 447–449; Kotler et al. 2016, S. 578–605)
Marketingkonzept für ein langlebiges und reparierbares Smartphone
Ein langlebiges und leicht reparierbares Smartphone kann auf zwei Arten vermarktet werden: Als robustes pragmatisches Outdoor-Werkzeug oder als Elektronikartikel mit Nachhaltigkeitsanspruch. Das muss in der Marktpositionierung auf der Basis des Marktpotenzials für die beiden alternativen Positionierungen festgelegt werden. Fällt die Entscheidung auf die Vermarktungsstrategie als „robustes Outdoorgerät“, kann diese Positionierung erstens im robusten Gehäusedesign mit integrierter Schutzhülle, in den leicht austauschbaren Komponenten Display und Akku sowie in der werkzeugartigen Verpackung markiert gemacht werden. Der Preisgestaltungsspielraum orientiert sich an Wettbewerbergeräten mit ähnlicher Positionierung (z. B. Cyrus, Blackview, Cat, Archos, Simvalley), die meist unterhalb der psychologischen Preisgrenze von 400,- EUR Verkaufspreis pro Gerät liegen (vgl. Handwerk-Magazin 2019). Hinsichtlich der Vertriebskanäle ist zu erwägen, ob das Gerät eher in Baumärkten als im Elektronikhandel platziert werden soll. Die Positionierung kann dann zusätzlich durch die Kommunikation als „Handwerkergerät“ mit Demos an den „Points of Sale“ untermauert werden. Bei der Kommunikation ist insbesondere zu beachten, dass die Information „robust und reparierbar“ detailliert und belegt werden muss, etwa über Staub-, Wasser und Sturztestergebnisse sowie die Präzisierung, welche Komponenten wie austauschbar sind.
4.5 Realisierung von Produkten
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Wird dagegen eine Vermarktungsstrategie als „Smartphone mit Nachhaltigkeitsanspruch“ verfolgt, kann diese Positionierung in einem minimalistischen Produktdesign und einer Verpackung in Holzoptik unterstrichen werden. Der Preisgestaltungsspielraum orientiert sich an Wettbewerberprodukten mit ähnlichem Anspruch (z. B. Fairphone oder Shiftphone), die leicht oder deutlich über der Preisgrenze von 400,- EUR Verkaufspreis liegen (vgl. Zajonz 2018). Primäre Vertriebskanäle könnten für die Markteinführung ökologisch orientierte stationäre und Online-Handelsunternehmen wie beispielsweise „Avocadostore.de“ sein. Dabei muss die Kommunikation auch hier möglichst übersichtlich, informativ und belegbar ausweisen, inwiefern das Smartphone „nachhaltig“ ist und inwiefern nicht. Die adressatengerechte Aufbereitung und der Transport dieser Information über Online und Offline-Kanäle stellt eine Herausforderung eigener Art dar. ◄
Marketingkonzept für ein lokales Spezialitätenbier
Ein lokales Spezialitätenbier, wie beispielsweise ein Bio-Pilsener, differenziert sich, neben der regionalen Herkunft, durch einen Gesundheits- und einen ökologischen Anspruch. Dieser wird durch das Bio-Siegel belegt (Verzicht auf Pestizide, Kunstdünger und Extrakte bei den Rohstoffen sowie Schnellgär-, Schnellreife- und schwefelbasierten Konservierungsverfahren). Es adressiert deshalb eine Zielgruppe, die Bier bewusst als Genuss- und Kulturgetränk konsumiert und einen Fokus auf das Thema Gesundheit und/oder ökologisch orientierte Lebensführung legt. Für die Produktgestaltung bietet sich daher ein 0,33 l Gebinde mit Bügelverschluss an, das insgesamt dem Trend zu kleineren Gebinden folgt. Die Etikettierung sollte die regionale Bio-Positionierung klar kennzeichnen, etwa mithilfe eines Retro-Designs. Der Preissetzungsspielraum ist hier höher als bei einem konventionellen Pilsener (zwischen 35,- bis 40,- EUR pro hl), da dieser den Bio-Anspruch zusätzlich stützt. Als Vertriebskanäle kommen, neben den etablierten, durchaus auch Naturkostläden sowie Szene-Bars mit einem Craft-Bier-Sortiment in Betracht. Auch hier besteht die Herausforderung darin, dem Konsumenten übersichtlich, verständlich und belegbar deutlich zu machen, worin das „Bio“ in diesem Produkt genau besteht. ◄ Schließlich sollte im Marketing-Konzept auch definiert werden, wie die Erreichung der Marktfähigkeitsziele, die in Abschn. 3.3 erörtert wurden, abgeprüft werden kann. Marketingtests können grundsätzlich in drei Formen ausgeführt werden (vgl. Crawford und Di Benedetto 2014, S. 464–491):
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• Als virtueller Verkauf vor der Fertigstellung eines marktreifen Produkts, indem entweder die Kaufabsicht von Kunden auf der Basis einer Produktbeschreibung (spekulativer Verkauf) oder auf Basis eines Prototyps (simulierter Verkauf) getestet wird; • als kontrollierter Verkauf, indem das marktreife Produkt einem eng begrenzten Testmarkt unter kontrollierten Bedingungen entweder über informelle Verkaufsgespräche (informeller Verkauf), Direktmarketing-Medien (Direktmarketing) oder begrenzte Vertriebskanäle (Mini-Marketing) angeboten wird; • als limitierter Verkauf, indem die Markteinführung schrittweise zunächst über Testmärkte in einem lokal eng begrenzten Feld (Testmarkt) und dann über ein Rollout-Konzept nach Anwendungsfeld (z. B. zunächst Konsum- und dann Geschäftsanwendungen), nach geografischen Regionen oder nach Absatzkanälen (z. B. zunächst nur Online, dann über den stationären Handel) ausgerollt wird (vgl. Abb. 4.43). Werden diese Tests mittels klarer und valider Testkriterien und -methoden durchgeführt, kann so das Risiko eines Marktversagens eines Neuprodukts deutlich minimiert werden.
Abb. 4.43 Formen von Marketingtests. (vgl. Crawford und Di Benedetto 2014, S. 470 f.)
4.5 Realisierung von Produkten
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Zusammenfassung: Die Entwicklung eines Marketingkonzepts für ein Neuprodukt
Ein Konzept zur Vermarktung eines Neuprodukts enthält grundsätzliche strategische Entscheidungen, Festlegungen zur Gestaltung der operativen Marketinginstrumente sowie die Planung von Marketingtests.5 Zu den grundsätzlichen Entscheidungen zählen die Marktpositionierung, die Wahl der anvisierten Märkte und der Rollout-Strategie, sowie die Entscheidung über den Markteintrittszeitpunkt. Die klassischen operativen Marketinginstrumente beziehen sich auf die Gestaltung des Produkts, des Preises, der Vertriebskanäle sowie der Kommunikation, die jeweils sowohl grundsätzlich festgelegt als auch im Zeitablauf in Form einer „Roadmap“ geplant werden können. Unter Marketingtests werden hier Maßnahmen des virtuellen, limitierten und kontrollierten Verkaufs zur Reduzierung der Marktrisiken verstanden. ◄ Vom Wertschöpfungsmodell zu den Geschäftsprozessen Ist das produktspezifische Wertschöpfungsmodell definiert, besteht die Aufgabe in der Phase der Projektrealisierung darin, die Kernprozesse zur Realisierung des Leistungsversprechens zu gestalten. Was der Begriff der „Gestaltung“ genau bedeutet, hängt von der Situation in der jeweiligen Organisation ab: Wenn die identifizierten Kernprozesse in der Organisation bereits funktionsfähig existieren, können diese entweder in unveränderter Form für das Neuprodukt genutzt oder müssen zur Realisierung des Leistungsversprechens optimiert werden. Ist das Neuprodukt nahe am Kerngeschäft und dem existierenden Portfolio einer Organisation positioniert, kann in der Regel von
5Neben
diesen klassischen Handlungsfeldern des Marketings sind noch weitere denkbar. Beispielsweise wird bei der Vermarktung von Dienstleistungen oftmals auf die Bedeutung der Gestaltung der physischen Qualitäts- und Kompetenzsymbole, der Qualifizierung des Personals und der Geschäftsprozesse hingewiesen. Dies liegt daran, dass das Marketing und die Qualitätssicherung von Dienstleistungen aufgrund ihrer Immaterialität, der Integration eines externen Faktors und des Zusammenfalls von Produktion und Absatz andere Herausforderungen stellt als bei physischen Gütern (Magrath 1986; Bullinger und Schreiner 2006; Haller 2015). Ähnliche Besonderheiten können beim Investitionsgütermarketing und bei anderen Anwendungsfeldern des Produktmarketings festgestellt werden. Auf diese Spezifika soll hier nicht weiter eingegangen werden.
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.44 Szenarien und Aufgaben der Prozessgestaltung
diesem Fall ausgegangen werden. Im anderen Fall, wenn die erforderlichen Kernprozesse noch nicht existieren, besteht die Aufgabe in der Produktrealisierung darin, diese neu zu konzipieren und umzusetzen (vgl. Abb. 4.44). Um im ersten Schritt einen Überblick über die Handlungsnotwendigkeiten zu bekommen, bedarf es der Definition der Prozessziele und einer Bewertung der Prozesslandschaft im Hinblick auf die Erfüllung dieser Ziele. Auf dieser Basis kann entschieden werden, welche Prozesse unverändert genutzt werden können, welche zu optimieren und welche neu zu konzipieren sind. Die Methoden und Werkzeuge zur Analyse und zur Optimierung oder zur Neukonzeption von Geschäftsprozessen sind in der Literatur zum Geschäftsprozessmanagement gut dokumentiert und sollen deshalb an dieser Stelle nicht wiederholt werden (vgl. Schmelzer und Sesselmann 2013; Fischermanns 2013; Stöger 2018; Erne 2019a, b).
4.5 Realisierung von Produkten
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Abb. 4.45 Elemente einer Prozessdefinition. (vgl. Schmelzer und Sesselmann 2013, S. 35; Fischermanns 2013, S. 12; Stöger 2018, S. 4–13, Erne 2019a, b, S. 52–60)
Wesentlich ist vielmehr, welche Elemente bei einer Geschäftsprozessoptimierung oder -neukonzeption zu gestalten sind. Folgt man der Definition eines Soll-Geschäftsprozesses als eine Reihenfolge von Aktivitäten, die einen definierten Nutzen für interne oder externe Kunden erbringen, so startet der Prozess beim Bedarf des Kunden und endet bei der Leistung, die diesen Bedarf deckt. Daher beschreibt ein Soll-Geschäftsprozess, durch welche Aufgaben(folgen) Inputs von Stellen mit Hilfe von Werkzeugunterstützung in Outputs transformiert werden (vgl. Abb. 4.45). Damit wird deutlich, dass zu einer vollständigen Prozessdefinition auch die erforderlichen Ressourcen (Menschen, Materialien und Betriebsmittel) sowie eventuell die Schlüsselpartner gehören, die notwendige Bestandteile eines „Business Model Canvas“ (vgl. Osterwalder und Pigneur 2010; Gassmann et al. 2017) sind, da sie zu gleich Kostenpositionen darstellen, die in den Business Case einfließen. Dieser Prozess wird im Folgenden behandelt. Serviceprozess für ein langlebiges/reparierbares Smartphone
Wenn ein Smartphone als langlebiges und reparierbares Smartphone im Premiumbereich positioniert wird, ist ein schneller und kompetenter Serviceprozess bei Problemen kaufentscheidend. Wurde dies beim Entwurf des Wertschöpfungsmodells identifiziert, muss dieser Prozess in der Realisierungsphase auf diese Attribute hin entweder entworfen oder optimiert werden. Ein Serviceprozess könnte, in Anlehnung an das ITIL-Modell (vgl. Axelos und TSO 2019) wie folgt aussehen (vgl. Abb. 4.46):
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Abb. 4.46 Entwurf eines Serviceprozesses. (In Anlehnung an: Axelos und TSO 2019)
Jede Nutzeranfrage geht als Ereignis („Incident“) beim Service-Desk ein, welches diese Nutzeranfrage zunächst in der „Incident-Datenbank“ aufnimmt und dann gleich, bei Bedarf unter Zuhilfenahme der „Problem & Error Datenbank“ analysiert und klassifiziert. Stellt die Nutzeranfrage kein Problem dar, das gelöst werden muss, wird sie als „Service Request klassifiziert und sofort bearbeitet. Kann das Service Desk das Problem nicht lösen, wird der „Incident“ weitergeleitet an den 2nd Level Support, der das Problem zu lösen versucht. Kommt auch dieser nicht weiter, existiert ein 3rd-Level-Support in Form von Spezialisten in der Entwicklung. Über dieses dreistufige Verfahren soll sichergestellt werden, dass erstens jede Nutzeranfrage kompetent beantwortet werden kann. Zweitens soll durch die Segmentierung der Nutzeranfragen nach Schwierigkeitsgrad („Triage“) erreicht werden, dass Anliegen so schnell wie möglich bearbeitet werden, damit der Nutzer wieder handlungsfähig ist. Drittens existiert eine Verknüpfung zu einem „Change Management“-Prozess, damit Nutzerprobleme sich nicht wiederholen. ◄
Auftragsabwicklungsprozess für lokale Spezialitätenbiere
Wenn für ein neues lokales Bio-Pilsener ein wesentliches Kriterium die ununterbrochene Verfügbarkeit des Produkts in den Einzelhandelsfilialen darstellt, sollte der Logistikprozess im Wertschöpfungsmodell als Kernprozess identifiziert worden sein. Dann kann sich die lokale Brauerei darüber Gedanken machen, wie das Ziel „Never out of stock“ erreicht werden kann. Dazu bietet sich eine Prozessanalyse an (vgl. Abb. 4.47).
4.5 Realisierung von Produkten
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Abb. 4.47 Analyse des Bierlogistikprozesses
Die Analyse zeigt einige Problempunkte auf, die durch die Prozessgestaltung minimiert werden sollen: Zunächst muss der Vertrieb periodisch den Bedarf aus den Einzelhandelsfilialen per Mail abrufen. Dann wird wahrscheinlich Zeit vergehen, bis sich die Filialen melden, wenn es überhaupt geschieht. Der Vertrieb muss dann Bedarf und Vorrat abgleichen und, abhängig vom Ergebnis dieses Abgleichs, entweder eine Nachlieferung in der Logistik oder eine Nachproduktion initiieren. Schwachpunkte bei diesem Prozess sind die manuellen Kommunikationsprozesse per E-Mail, die langen Durchlaufzeiten bei der Bedarfsmeldung sowie die Unsicherheit über die Zuverlässigkeit der Bedarfsdaten. Diese Schwachpunkte des Prozesses könnte die Brauerei durch automatisierten Zugriff auf Lagerbestandsdaten sowie automatisierte Produktions- und Lieferaufträge deutlich minimieren. ◄ Zusammenfassung: Die Gestaltung von Prozessen für ein Neuprodukt
Die Gestaltung der Kernprozesse für ein Neuprodukt kann unterschiedliche Bedeutung haben: Erstens die unveränderte Nutzung bereits existierender Geschäftsprozesse, zweitens deren Optimierung oder, drittens, deren Neukonzeption. Diese Entscheidung kann erst auf der Basis einer kriterienbasierten Bewertung der Geschäftsprozesse erfolgen. Ist die erfolgt, kann die Optimierung und Neukonzeption nach Maßgabe der Aufgaben und Werkzeuge des Prozessmanagements erfolgen.
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Dabei muss eine vollständige Prozessdefinition die Inputs, Outputs, Aufgaben(folgen), Aufgabenträger und Werkzeuge enthalten, was Hinweise auf den Ressourcenbedarf oder Partnerbedarf zur Erstellung der Leistung liefert. ◄ Von der Profitabilitätsabschätzung zum Business Case Der Weg von einer grob abgeschätzten, durchschnittlichen, Gewinn- und Verlustrechnung oder einer statischen Gewinnvergleichsrechnung zu einem detaillierteren Business Case erfolgt über genauere Prognosen der Umsätze und Kostenpositionen. Diese werden erst im Lauf der Entstehung des Produktdesigns, des Marketingkonzepts und der Geschäftsprozessgestaltung möglich (vgl. Geracie und Eppinger 2013, S. 200–202; Haines 2014, S. 105–132 und S. 353–384; Crawford und Di Benedetto 2014, S. 262–290; Hofbauer und Sangl 2017, S. 387–399). Liegen diese Informationen vor, können die Cash-Inflow- und C ash-OutflowPositionen und auf dieser Basis Kenngrößen für die Profitabilität der Produktinvestition detaillierter ermittelt werden. Die Aufgaben und Werkzeuge dazu sind in der Literatur zur Business Case-Erstellung hinreichend dokumentiert und werden hier nicht mehr detailliert erläutert (vgl. Brugger 2009; Schmidt 2009; Taschner 2017). Fallbeispiel: Business Case für ein neues lokales Bierprodukt
Eine dynamische Investitionsrechnung für ein neues lokales Bierprodukt könnte – für einen Zeitraum von vier Jahren inklusive Entwicklung – wie folgt aussehen (vgl. Abb. 4.48). ◄
Abb. 4.48 Beispiel für eine dynamische Investitionsrechnung für ein neues, lokales Bierprodukt
4.5 Realisierung von Produkten
175
Wenn es zusätzlich möglich ist, die wesentlichen Einflussgrößen auf die Umsatzund Kostenpositionen zu modellieren, lassen sich Szenarien bilden, die mit Hilfe von Monte Carlo-Simulationen unterschiedliche Cashflow-Prognosen (Best Case, Probable Case, Worst Case) sowie Sensitivitätsanalysen zulassen. Auf der Basis von Sensitivitätsanalysen können die entscheidenden Hebel zur Optimierung des Cashflows identifiziert werden. Fallbeispiel: Cashflow-Szenarien für ein neues lokales Bierprodukt
Die Einflussgrößen auf den Business Case für das neue lokale Bierprodukt lassen sich ungefähr wie folgt modellieren (vgl. Abb. 4.49). Auf Basis dieser Modellierung können für die den Investitionsfall „Neuprodukt einführen“ unterschiedliche „Worst Case“-, „Probable Case“- und „Best Case“-Werte für die Input-Größen angenommen werden. Die abhängigen Variablen lassen sich dann durch ein Monte-Carlo-Simulationswerkzeug (z. B. „SRIM-TRIM“, „Crystal Ball“) für die drei Szenarien kalkulieren. Dies resultiert einerseits in einer Wahrscheinlichkeitsverteilung für die zukünftigen Cashflows des Neuprodukts. Andererseits bieten diese Werkzeuge die Option einer Sensitivitätsanalyse, welche zeigt, dass beispielsweise der durchschnittliche Verkaufspreis pro Liter sowie die Absatzmenge pro Jahr die entscheidenden Hebel zur Verbesserung des Cashflows darstellen. Auf diese Ziele könnte dann das Marketingkonzept in der Wachstumsphase des Produkts ausgerichtet werden. ◄
Abb. 4.49 Einflussgrößen auf den Cashflow eines neuen, lokalen Bierprodukts. (In Anlehnung an Schmidt 2009, S. 25–28)
176 4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
4.6 Markteinführung von Produkten
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Zusammenfassung: Die Geschäftsplanung für ein Neuprodukt
Für die Geschäftsplanung für ein Neuprodukt wird üblicherweise eine Cashflow-Rechnung bzw. dynamische Investitionsrechnung empfohlen. Diese basiert auf den Daten des prognostizierten Absatzvolumens und Stückpreises auf der einen sowie auf den zahlungswirksamen Kostenpositionen für Entwicklung und Betrieb andererseits. Die Werte lassen sich daher erst dann bestimmen, wenn die Entwicklung des Marketingkonzepts, des Produktdesigns sowie der Kernprozesse weiter fortgeschritten sind. Zur Berücksichtigung der Unsicherheit wird überdies empfohlen, Business Cases in Szenarien zu kalkulieren, die auf der Basis eines Einflussgrößenmodells erstellt werden können. ◄
4.6 Markteinführung von Produkten Die Aktivitäten der Produktdefinition und Produktrealisierung kulminieren in der Markteinführung, die sowohl einen Meilenstein als auch eine Phase darstellt. Ein Meilenstein stellt die Markteinführung insofern dar, als das Produkt zu einem definierten Zeitpunkt – oft im Kontext eines Events oder einer Messe – im Markt vorgestellt wird. Gleichzeitig stellt die Markteinführung einer Phase im Produktmanagement-Prozess dar, da dieser Meilenstein vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet werden muss. An dieser Stelle soll die Markteinführung als Phase in den Fokus genommen werden. Welche Aktivitäten für eine erfolgreiche Markteinführung erforderlich sind, wird deutlich, wenn typische Probleme bei der Markteinführung betrachtet werden, die als „Lessons Learned“ oder Risiken für neue „Launches“ verwendet werden können. Diese Risiken lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Haines 2014, S. 482–484; Crawford und Di Benedetto 2014, S. 494–498): 1. Es werden keine klaren Zeitfenster für die Markteinführung definiert. Dadurch wird erstens das geeignete Zeitfenster aus Marktsicht (Kundenbedürfnisse, Wettbewerberaktivitäten) verpasst; zweitens resultieren daraus Koordinationsprobleme zwischen Produktentwicklung, Marketingkonzept, Prozessentwicklung und Geschäftsplanung. 2. Es werden keine oder unklare Verantwortlichkeiten für die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Markteinführung definiert. Dadurch wird die Verantwortung auf unterschiedliche Stellen verteilt, was zu Koordinationsproblemen führt.
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
3. Das Produkt ist noch nicht reif für die Markteinführung. Dies resultiert in zahlreichen Produktproblemen bei der Einführung, welche die Marktakzeptanz erschweren. 4. Marketingmaterialien sind nicht rechtzeitig verfügbar und/oder Markteinführungsveranstaltungen ungünstig gelegen. Dadurch werden potenzielle Produktverkäufe und Umsätze erschwert und verzögert. 5. Die Vertriebskanäle sind quantitativ und/oder qualitativ nicht auf die Markteinführung vorbereitet. Das kann die Kapazitäten, die Kompetenzen und/oder die Anreizsysteme betreffen. Dadurch ergeben sich, trotz einer relativen Vorteilhaftigkeit des Neuprodukts, Umsatzeinbußen. 6. Die Geschäftsprozesse sind nicht fertig, um die Markteinführung zu unterstützen. Dadurch ergeben sich, trotz eines attraktiven Produkts, Umsatzeinbußen aufgrund von nicht bestell- oder nicht verfügbaren Produkten. 7. Das Produkt-Controlling ist nicht bereit. Dadurch kann der Erfolg der Markteinführung und der Marktentwicklung nicht festgestellt und das Produkt auf dem Markt nicht fundiert gesteuert werden. Die „Lessons Learned“-Liste weist vor allem Koordinations- und Synchronisierungsrisiken auf. Die Kernursachen dafür sind erstens in der Zuweisung einer klaren Zuständigkeit für die Markteinführung und zweitens in der Anwendung einer klaren und strukturierten Projektmanagement-Methodik zu lokalisieren. Insofern können die Risiken in eine generische Checkliste für die Markteinführung integriert werden, die situationsübergreifende Gültigkeit beanspruchen kann (vgl. Abb. 4.50).
4.6 Markteinführung von Produkten
179
Abb. 4.50 Generische Checkliste für die Markteinführung eines Neuprodukts. (vgl. Haines 2014, S. 484–505)
Dabei wird deutlich, dass die Vorbereitung der Markteinführung sich mit der Produktrealisierungsphase überlappt, was im Produktmanagement-Prozess (vgl. Abb. 4.17) aus didaktischen Gründen nicht dargestellt wurde. Zur Sicherstellung von Lernerfahrungen aus Markteinführungsprojekten wird außerdem empfohlen, ein möglichst unabhängiges Review der Markteinführung 30–90 Tage nach dem „Launch“-Termin durchzuführen, um für zukünftige Markteinführungen „Lessons Learned“ abzuleiten. Ein solches Review-Ergebnis könnte wie folgt aussehen (vgl. Abb. 4.51).
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Abb. 4.51 Exemplarisches Review-Ergebnis aus einem Markteinführungsprojekt. (vgl. Haines 2014, S. 511–523)
Zusammenfassung: Die Einführung eines Neuprodukts am Markt
Erfahrungen mit der Einführung eines Neuprodukts am Markt zeigen zahlreiche Synchronisations- und Koordinationsprobleme, die mit klaren Verantwortlichkeiten und stringenten Projektmanagement-Methoden minimiert werden können. Die Vorbereitung der Markteinführung startet während der Realisierungsphase und schließt mit einem Review der Stärken und Schwächen des Markteinführungsprojekts ab. Damit ist auch der Übergang von der Markteinführungsphase zur Phase des Produkt-Controllings in der Praxis fließend. ◄
4.7 Eliminierung von Produkten
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4.7 Eliminierung von Produkten Die Eliminationsentscheidung ist ein mögliches Ergebnis aus dem Produkt-Controlling, das aus zwei Perspektiven betrachtet werden kann: Aus der Perspektive des Unternehmens, das eine Eliminationsentscheidung trifft oder nicht trifft, sowie aus der Perspektive des Kunden, für den eine Eliminationsentscheidung Konsequenzen haben kann. Beide Perspektiven sollen hier skizziert werden. Aus der Perspektive des Unternehmens stellt eine Produktelimination in erster Linie eine Entscheidung dar. Denn die Fortführung nicht marktfähiger, schwer lieferbarer und/oder wenig profitabler Produkte beansprucht einerseits Ressourcen in Form von Mitarbeitern, Budgets und Lagerplätzen, die für vielversprechendere Unternehmungen verwendet werden könnten. Andererseits existieren Verbundeffekte mit anderen Produkten des Unternehmens und überdies sind Kunden, insbesondere Geschäftskunden bei Investitionsgütern, auf die Produkte angewiesen. Aus diesem Grund wird die Unternehmenssicht auf die Produktelimination als Entscheidungsproblem thematisiert (vgl. Reiß 1999; Argouslidis und Baltas 2007; Meffert et al. 2015; S. 425–428; Cowley 2017). Dieser Sichtweise folgend, kann ein rationaler Entscheidungsprozess für oder gegen eine Produktelimination wie folgt dargestellt werden (vgl. Abb. 4.52):
Abb. 4.52 Entscheidungsprozess über Produkteliminationen. (In Anlehnung an: Meffert et al. 2015, S. 426)
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Das Produkt-Controlling, dessen Aufgabe in der Überwachung der Istund Soll-Werte des Produkts besteht (vgl. Abschn. 3.3), hat die Aufgabe, eine Eliminationsentscheidung zu initiieren. Soll dieser Steuerungsimpuls fortgesetzt werden, ist zunächst Klarheit über die Eliminationskriterien sowie die kritischen Werte zu erlangen. Dazu zählen, wie in Abschn. 3.3 dargestellt wurde, Indikatoren, Messgrößen und Zielwerte zur Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität des Produkts. Die entsprechenden Ist-Werte müssen mit diesen kritischen Eliminationswerten verglichen werden. Zusätzlich sind auch noch qualitative Überlegungen zu Verbundeffekten mit anderen Produkten sowie Kundenreaktionen auf eine Eliminationsentscheidung anzustellen. Darüber hinaus kann es noch weitere Kriterien wie Technologiewechsel, veränderte Kundenbedürfnisse, Wettbewerberaktivitäten oder gesetzliche Regelungen geben. Diese quantitativen und qualitativen Analyseschritte münden in eine Eliminationsempfehlung, denen die verantwortlichen Managementvertreter folgen oder sich dagegen entscheiden. Wird eine Eliminationsentscheidung getroffen, muss diese in einer Eliminationsund Kommunikationsstrategie umgesetzt werden. Denn es stellen sich die Fragen, ob die Herausnahme des Produkts sofort oder in Form eines längerfristigen Desinvestitionsprozesses erfolgen soll, wie dies den Kunden kommuniziert werden kann und welche Alternativen Kunden angeboten werden können und sollen. Aus der Perspektive des Kunden, insbesondere des Geschäftskunden mit Investitionsprodukten, stellt sich die Eliminationsentscheidung über ein Produkt anders dar (vgl. Abb. 4.53).
4.7 Eliminierung von Produkten
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Abb. 4.53 Mögliche Kundenreaktionen auf Eliminationsentscheidungen. (vgl. Homburg 2010, S. 532–534)
Aus der Sichtweise der Austauschtheorie, die das soziale Verhalten von Menschen auf der Basis von Belohnungen und Kosten deutet, kann eine Eliminationsentscheidung für Kunden einerseits psychologische und andererseits ökonomische Kosten mit sich bringen. Psychologische Kosten beziehen sich auf die Unsicherheit über die Zuverlässigkeit und die Vertrauenswürdigkeit des Unternehmens. Unter ökonomische Kosten fallen die direkten und indirekten geldwerten Verluste, die eine Eliminationsentscheidung für den Kunden mit sich bringt. Diese Kosten können Einfluss auf die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung haben. Deren Wahrnehmung wird andererseits beeinflusst durch das Verhalten des Unternehmens im Eliminationsprozess sowie durch das Angebot an alternativen Lösungen. Diese Prozesse werden moderiert und kontrolliert durch die Relevanz des Produkts für den Kunden, dessen produktspezifische Investitionen sowie eventuelle Verbundeffekte für den Kunden. Sie werden weiterhin kontrolliert durch die generelle Kundenzufriedenheit mit dem Produkt und dem Unternehmen sowie der Verfügbarkeit von Alternativen (vgl. Homburg et al. 2010).
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4 Wie werden Produkte aus betriebswirtschaftlicher Sicht ...
Diese Erkenntnisse legen nahe, bei Eliminationsentscheidungen auf die Kommunikationsstrategie gegenüber Kunden, den Eliminationsprozess sowie auf das Angebot von Alternativen („Switching Management“) einen besonderen Fokus zu legen. Mit dem Angebot an Alternativen startet dann ein neuer Produktmanagement-Zyklus. Zusammenfassung: Die Elimination von Produkten aus dem Markt
Eliminationsentscheidungen können und sollten aus der Perspektive des Unternehmens und aus der Perspektive des Kunden betrachtet werden. Aus der Perspektive des Unternehmens kommen Anstöße für Eliminationsüberlegungen aus dem Produkt-Controlling, wenn Ist-Daten zur Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität signifikant und dauerhaft von den Soll-Werten abweichen. Dann sollten die Ursachen für diese Abweichungen genauer untersucht und auch weitergehende Überlegungen, beispielsweise zu Verbundeffekten und Kundenreaktionen, mit einbezogen werden. Das kann in einer Eliminationsentscheidung münden, die dann geplant und kommuniziert werden muss. Aus der Perspektive von Kunden bringen Eliminationsentscheidungen psychologische und ökonomische Kosten mit sich, die sich auf die Kundenzufriedenheit und die Kundenbindung auswirken können. Die Auswirkung hängt unter anderem von dem Kommunikationsverhalten des Unternehmens, dem Angebot von Alternativen, der Zufriedenheit des Kunden mit dem Unternehmen sowie der Bedeutung des Produkts für den Kunden ab. Auf die ersten drei Aspekte kann eine Produktmanagerin aktiv Einfluss nehmen. ◄
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Teil II Produktmanagement aus Nachhaltigkeitssicht
5
Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
Zusammenfassung
Im Folgenden wird analysiert, was Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement bedeutet. Zu Beginn wird die Bedeutung von Nachhaltigkeit aus zwei Perspektiven beleuchtet: erstens als Wunsch von Konsumenten, zu nachhaltigeren Produktionsweisen beizutragen (Abschn. 5.1) und zweitens als Lösungsansatz für globale Probleme (Abschn. 5.2). Der breite Diskurs um globale nachhaltige Entwicklung wird in Ebenen und Handlungsfelder untergegliedert (Abschn. 5.3) und anschließend auf Produkte heruntergebrochen (Abschn. 5.4). Der mögliche Beitrag einzelner Produkte zu globaler Nachhaltigkeit wird mit Blick auf Zielwerte und Messgrößen problematisiert (Abschn. 5.5), um als Schlussfolgerung grundlegende Ansatzpunkte des nachhaltigen Produktmanagements zu skizzieren (Abschn. 5.6). Betriebswirtschaftliches Produktmanagement hat zum Ziel, (neue) Produkte in bestehenden Märkten erfolgreich zu machen. Nachhaltiges Produktmanagement stellt dagegen die Anforderung, Produkte hinsichtlich Nachhaltigkeitskriterien zu verbessern. Dieses Buch stellt unter anderem die Frage, wie und welche Nachhaltigkeitsanforderungen in die bestehende Praxis des betriebswirtschaftlichen Produktmanagements effektiv integriert werden können. Es gibt einige Anleitungen dazu1, und es gibt nachhaltige Produkte, die als solche erfolgreich entwickelt und vermarktet werden. Doch ist die Mehrzahl der verkauften Produkte weiterhin wenig nachhaltig – das ist ein Indiz dafür, dass Nachhaltigkeit und Produktmanagement aktuell kaum verknüpft sind und stärker verknüpft werden sollten. 1vgl.
z. B. Scholz et al. 2018, Zimmerer 2014.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_5
195
196
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
5.1 Nachhaltige Produkte erwünscht Produktmanagement kann eine wichtige Rolle dabei spielen, mehr nachhaltige Produkte in den Markt zu bringen. Es würde damit zur Schließung der Lücke zwischen dem Wunsch von Verbrauchern nach nachhaltigeren Produkten und ihrem realen Konsum beitragen. Zwei Drittel der Deutschen behaupten von sich, bewusster und nachhaltiger zu konsumieren, um Nachhaltigkeit zu fördern (Statista 2019, S. 18). Knapp die Hälfte der Deutschen hält die Veränderung des eigenen Lebensstils angesichts des Klimawandels für sinnvoll (vgl. acatech und Körber-Stiftung 2020, S. 25) und auch auf globaler Ebene sind Nachhaltigkeitsorientierungen nachweisbar (vgl. WBGU 2011, S. 8), doch bleibt der Anteil explizit nachhaltiger Produkte an den konsumierten Produkten weiterhin gering. Z. B. betrug 2018 der Anteil der Bioprodukte an den privat konsumierten Lebensmitteln nur 5,3 % (BMEL 2019), bei Fairtrade-Produkten liegt er noch darunter2. 20 % der 2019 neu zugelassenen Pkw in Deutschland waren besonders viel Kraftstoff verbrauchende SUVs (Sport Utility Vehicles), die als Fahrzeugklasse den höchsten Zuwachs verzeichneten (vgl. KBA 2020). Das bedeutet, dass die nicht nachhaltigkeitsbezogenen Kriterien die Nachfrage überwiegend bestimmen. Dass diese geringe Nachfrage nach nachhaltigen Produkten nicht entsprechend dem geäußerten Wunsch nach nachhaltigeren Produkten steigt, wird durch Forschungsergebnisse zur Lücke zwischen Einstellung, Absicht und Verhalten erklärt: Personen, die nachhaltig konsumieren möchten, d. h. deren Einstellung zu nachhaltigeren Produkten prinzipiell positiv ist, setzen dies häufig nicht in eine konkrete Absicht bei der Produktauswahl und in ihrem generellen Konsumstil um. Ein Grund dafür ist, dass sie die Mühe scheuen, sich genauer zu informieren, um die nachhaltigeren Produktvarianten ausfindig zu machen. Studien zur Nachhaltigkeit von Smartphones Es liegen umfangreiche Studien zur Nachhaltigkeitsbewertung von Smartphones sowie Vergleiche der Nachhaltigkeitsleistungen von Herstellerunternehmen vor. Jedoch sind sie teils auf umweltbezogene und teils auf sozial-ökonomische Themen ausgerichtet, teilweise auf einzelne Nachhaltigkeitsthemen spezialisiert. Einzelne Modelle werden nur von wenigen
2In
Deutschland wurden 2019 Fairtrade-gesiegelte Produkte im Wert von 2,04 Mrd. Euro konsumiert (vgl. TransFair e. V. 2020, S. 8). Zum Vergleich: Der Umsatz mit Biolebensmitteln lag in Deutschland 2019 bei 11,97 Mrd. Euro und damit beinahe sechs Mal so hoch (vgl. BÖLW 2020, S. 25).
5.1 Nachhaltige Produkte erwünscht
197
bewertet. (Vgl. Evermann 2018; Germanwatch 2018; Greenpeace 2017; Proske et al. 2016; Reinwald 2019, Schipper 2015; Zufall et al. 2020; Zwiers et al. 2017). Der Aufwand, um nachhaltigkeitsbezogene Produktinformationen zu einem konkreten Gerät und den damit verbundenen Services sowie Vergleichsinformationen zu anderen Smartphones zu bekommen, ist hoch – trotz frei im Internet verfügbarer Informationen.
Zudem glauben viele, mit ihrem individuellen Verhalten zu wenig verändern zu können. Ein weiterer Grund ist, dass mit nachhaltigeren Produkten geringere Wertigkeit und schlechtere Optik assoziiert werden. Und selbst Personen, deren Einstellung und Konsumabsicht auf nachhaltigere Produkte abzielt, greifen nicht generell zu nachhaltigeren Produkten. Häufig überwiegen andere Produkteigenschaften wie Ausstattung oder Farbe gegenüber den Nachhaltigkeitskriterien eines Produkts; teils besteht, selbst wenn genug Mittel vorhanden sind, keine Zahlungsbereitschaft für die häufig teureren nachhaltigeren Produkte; teils ist das Risiko zu hoch ein unbekanntes alternatives Produkt zu wählen, wenn das konventionelle Produkt gewohnt und bekannt ist und zudem auch vom sozialen Umfeld präferiert wird. Oft spielen alltagspraktische Hürden wie begrenzte Verfügbarkeit in konventionellen Einzelhandelsunternehmen und beschränkte Öffnungszeiten und Erreichbarkeit von Alternativhändlern und Märkten eine Rolle. Bei manchen Konsumentscheidungen fehlt eine eigene Handlungskontrolle, wenn z. B. die Kantine nur eine bestimmte Auswahl an Mittagessen anbietet oder eine andere Person im eigenen Haushalt den Einkauf übernimmt (vgl. Clement et al. 2014, S. 96). Zudem werden unklare Produktkennzeichnungen und die Vielzahl von Nachhaltigkeitslabeln mit unterschiedlichen Bedeutungen kritisiert. Potenzielle Käuferinnen von nachhaltigeren Produkten fordern daher von Unternehmen mehr Transparenz und von der Politik klarere Vorgaben (vgl. GlobeScan 2019, S. 7). Diese würden ihnen ersparen, sich in ihrer ohnehin knappen Zeit im Alltag mit den unklaren Kennzeichnungen und Labeln auseinandersetzen zu müssen. Die begrenzten Möglichkeiten, durch individuelle Konsumentscheidungen Nachhaltigkeit substantiell voranzubringen, sind damit skizziert. Forschungsergebnisse in diesem Feld belegen, dass Frauen stärker als Männer für nachhaltigen Konsum verantwortlich sind bzw. gemacht werden; diese Erkenntnis wurde schon früh mit dem Begriff der „Feminisierung der Umweltverantwortung“ (Schultz und Weiland 1991) beschrieben, der sich auf die Arbeits- und Verantwortungsteilung im Privaten bezieht. Es wird argumentiert, dass Konsumentscheidungen nur mit Blick auf das „Ganze“ der Ökonomie (vgl. Biesecker und Hofmeister 2006) verstanden werden können, die auch die Nutzungsphase von Produkten (Abschn. 7.1) mit ihren nicht betriebswirtschaftlich abbildbaren
198
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
Prozessen einschließt. Die Verlagerung der Verantwortung für nachhaltige Produkte auf die Konsumenten ist vielfach kritisiert worden (vgl. Empacher 2002; Grunwald 2010; Weller 2013). Aus Sicht der Betriebswirtschaft ausgedrückt: Profitabilität und Marktfähigkeit von nachhaltigen Produkten sind nicht gegeben, solange diese mit nicht nachhaltigen Produkten konkurrieren müssen und zudem mehr Aufwand für die Konsumenten bedeuten. Damit wäre der Abgleich von Profitabilität und Marktfähigkeit mit Nachhaltigkeitskriterien eine relevante Aufgabe für Produktmanagerinnen. Folglich liegt es in der Hand von Unternehmen, das Produktmanagement darauf auszurichten, die erwünschten nachhaltigen Produkte zu realisieren. Vorgeschlagen wird zudem, dass Unternehmen aktiv am Entwurf von zukunftsfähigen Konzepten mitwirken, die in der Gesellschaft Empathie und positive Bilder für nachhaltige Entwicklung hervorrufen. Es soll eine Abkehr davon stattfinden, ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt als Messgröße für menschlichen Fortschritt zu interpretieren, heutige Gewinne über zukünftige Gesundheits- und Umweltschäden zu stellen und die Stärke der Auswirkungen des Wirtschaftens auf Arme und Menschen in Entwicklungsländern zu unterschätzen. (Vgl. Rockefeller Foundation 2015, S. 1973) Unternehmen verfügen über Wissen, Einfluss und Möglichkeiten, um nachhaltige Produkte zu entwickeln. Jedoch setzen viele Unternehmen ihre Prioritäten anders. Einige Unternehmen arbeiten an politischen Rahmensetzungen, die Investitionen in nachhaltige Produkte unrentabel machen. Z. B. haben, nach Recherchen von Umwelt-NGOs, die fünf größten Öl- und Gasunternehmen BP, Chevron, ExxonMobile, Shell und Total von 2010 bis 2019 mehr als 250 Mio. Euro für Lobbytätigkeiten in der EU aufgewendet (vgl. Corporate Europe Observatory 2019) – um die politischen Entscheiderinnen positiv für die Nutzung von Kohle, Öl und Gas und damit gegen Klimaschutz zu beeinflussen.
5.2 Nachhaltigkeit als Antwort auf globale Probleme Im Rahmen von nachhaltigem Produktmanagement geht es auch um die Frage, was Nachhaltigkeitskriterien sind, also woran sich festmachen lässt, dass Produkte besser werden. Dies ist hier im Sinne von nachhaltiger Entwicklung zu verstehen, wie sie seit dem Brundtland-Bericht 1987 (Hauf 1987), in der Agenda 21 (Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992) und nicht zuletzt 2015 in der Agenda 2030 mit ihren 17 Sustainable Development Goals (SDGs) (Vereinte Nationen 2015b) formuliert wurde. Nachhaltige Entwicklung
5.2 Nachhaltigkeit als Antwort auf globale Probleme
199
ist ein gesellschaftliches Projekt, in dem sich übergeordnete Erwartungen der gesamten Gesellschaft an Gerechtigkeit ausdrücken und das Wohlstand (wirtschaftliche Dimension), Gesundheit und Lebensqualität (soziale oder gesellschaftliche Dimension) für alle Menschen schaffen soll. Auch zukünftige Generationen sollen gut leben können. Dabei soll die Fähigkeit der Erde, Vielfalt aufrechtzuerhalten, unterstützt werden. (Vgl. ISO 2010, S. 18) Denn nur funktionierende natürliche Ökosysteme (Umwelt-Dimension) garantieren die Bedürfnisbefriedigung der heute und in Zukunft lebenden Menschen. Der Nachhaltigkeitsdiskurs entstammt einer globalen Problemanalyse, wonach Umweltschutz und sozial-ökonomische Entwicklung nicht voneinander zu trennen sind: Ein gutes Leben für die lebenden und zukünftigen Menschen kann sich aus der Weiterverbreitung und Fortsetzung der aktuell dominanten Wirtschafts-, Handels-, Regierungs- und Lebensstile nicht entwickeln, denn diese erzeugen immense Umwelt-, gesellschaftliche und wirtschaftliche Schäden. Dies bestätigen lokale bis globale Analysen. Nachhaltige Entwicklung umfasst daher die drei Dimensionen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft und ihre Reichweite erstreckt sich über alle Länder der Welt gleichermaßen und auch auf zukünftige Generationen (vgl. Abb. 5.1).
Abb. 5.1 Dimensionen und Reichweiten von Nachhaltigkeit
200
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
Der Ansatz nachhaltiger Entwicklung ist auf Basis von Problemanalysen sowie von als erfolgreich evaluierten Ansätzen der Problemlösung (Vereinte Nationen 2015a) entwickelt worden. Zu den wichtigsten durch eine nachhaltige Entwicklung zu lösenden Problemen zählen: • Milliarden Menschen leben in Armut und ohne Würde • Zunehmende Ungleichheiten innerhalb von und zwischen Ländern • Enorme Unterschiede der Chancen, des Reichtums und der Macht • Geschlechterungleichheit als eine der größten Herausforderungen • Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit • Gesundheitsgefahren • Häufiger auftretende und an Intensität zunehmende Naturkatastrophen • Eskalierende Konflikte, gewalttätiger Extremismus, Terrorismus, damit zusammenhängend humanitäre Krisen und Vertreibung von Menschen • Erschöpfung natürlicher Ressourcen • Nachteilige Auswirkungen der Umweltzerstörung, darunter Wüstenbildung, Dürre, Landverödung und Süßwasserknappheit • Verlust der biologischen Vielfalt • Nachteilige Auswirkungen des Klimawandels: globaler Temperaturanstieg, Anstieg des Meeresspiegels, Versauerung der Ozeane; schwerwiegende Folgen für Küstengebiete und tiefliegende Küstenstaaten, für viele der am wenigsten entwickelten Länder, für viele Gesellschaften und die biologischen Unterstützungssysteme der Erde (vgl. Vereinte Nationen 2015b, S. 5)3. Anhand der hier genannten Probleme wird unten die Darstellung von Methoden des Produktmanagements strukturiert (vgl. Kap. 8). Nachhaltigkeit verwirklicht sich damit in einem Prozess in Richtung Gerechtigkeit für alle aktuell und zukünftig lebenden Menschen, der ihnen eine intakte Umwelt, eine Wohlstand schaffende Wirtschaft und ein gutes Leben ermöglichen soll. Im Folgenden werden die Begriffe nachhaltige Entwicklung und Nachhaltigkeit inhaltlich gleichgesetzt. Während der Corona-Krise im Frühling 2020 wurde häufig das Ziel der Agenda 2030 zitiert, bei der nachhaltigen Entwicklung „niemanden zurückzulassen“ (vgl. Vereinte Nationen 2015b, S. 1). Dabei bezog sich der Satz auf
3Aus
Umweltsicht müssten einzelne Aspekte hier eine noch breitere Betrachtung finden, z. B. die Degradation von Böden und die gestörten globalen Stickstoff- und Phosphor-Verteilungen (vgl. z. B. UNEP 2014; Rockefeller Foundation 2015, S. 1979). Darauf muss aus Platzgründen verzichtet werden.
5.3 Ebenen und Handlungsfelder der Nachhaltigkeit
201
Geflüchtete, Obdachlose und andere Menschen, für die z. B. Abstands- und Quarantäne-Maßnahmen nicht durchführbar waren und die darum ein höheres Erkrankungsrisiko hatten, also zurückgelassen wurden. Keinen Menschen zurücklassen ist eine Kurzformel für nachhaltige Entwicklung: Gesellschaftliche, wirtschaftliche und umweltbezogene Errungenschaften sollen allen zuteilwerden; niemand soll davon ausgeschlossen sein.
5.3 Ebenen und Handlungsfelder der Nachhaltigkeit Die hier herangezogene Nachhaltigkeitsdefinition bezieht sich auf die globale Perspektive, insbesondere auf die globale Problemanalyse seitens der Organisationen der Vereinten Nationen (UNO) und auf ihre Aktionspläne. Die Umsetzung dieser Aktionspläne erfordert die Mitwirkung der Staaten, die vor allem in ihren Rechtssystemen Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit schaffen können. Die UNO-Aktivitäten ziehen ein Governance-System nach sich, also Koordinierungsmechanismen, mit denen die Problemlösungen mit Leben gefüllt und erfolgreich umgesetzt werden sollen. Dazu gehört z. B., dass die Staaten regelmäßig Berichte veröffentlichen, um ihre Aktivitäten zu dokumentieren, und sich bei Konferenzen treffen, um die Ergebnisse zu diskutieren und das weitere Vorgehen zu vereinbaren. Auch Wissenschaft und Bildung verdanken ihren Auftrag, Nachhaltigkeit zu entwickeln und zu verbessern, häufig staatlichen Institutionen. Dieses Governance-System lässt sich auch in regionalen Zusammenschlüsse von Ländern bis hinunter auf die lokale Ebene nachweisen, z. B. Nachhaltigkeitsinitiativen in Städten und Gemeinden, die sich als „Lokale Agenda 21“ bezeichnen und vor Ort das ihnen Mögliche tun, um zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele beizutragen. Ohne die Mitwirkung von Unternehmen, Verbänden und Vereinen geht es ebenfalls nicht: Auch ihr Wissen, ihre Kompetenzen und ihre Lösungsideen sollen Nachhaltigkeit voranbringen. Hier sind nicht profitorientierte Organisationen wie Umwelt-, Sozial- und Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften sowie Verbände und Organisationen der Wirtschaft zu nennen. Zudem sind Individuen als Bürgerinnen und Konsumenten wichtige Player: Sie können ihr Verhalten auf Nachhaltigkeit ausrichten indem sie politisch mitwirken und indem sie ihren Lebensstil und ihre Konsumentscheidungen nachhaltiger gestalten. Damit sind vier Ebenen identifiziert, die die globalen Nachhaltigkeitsziele umsetzen sowie eigene Impulse geben: • • • •
Individuen und Haushalte Unternehmen, Vereine, Verbände Staaten, Regionen, Städte und Gemeinden Globale Ebene
202
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
Auf diesen Ebenen werden Problemanalysen ebenso wie Lösungsansätze entwickelt. Diese sind entweder auf einzelne oder alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit bezogen; viele von ihnen bearbeiten Teilaspekte, z. B. Klimawandel, biologische Vielfalt oder Menschenrechte. Übergreifende Problemanalysen schlagen ein Vorgehen vor, das gerade auf die Zusammenhänge zwischen den drei Nachhaltigkeitsdimensionen sowie auf die Komplexität der aktuellen Herausforderungen abstellt. Genannt seien hier die beiden Konzepte 1) „Zukunftskunst“ (Schneidewind 2018) als Ansatz der Befähigung zu Transformationen in Richtung nachhaltiger Entwicklung und 2) „Sustainable Livelihood“ (Braidotti 1994), wonach es statt Entwicklung vor allem um die Stärkung der Kapazitäten von Menschen und die Schaffung von Möglichkeiten geht, um regional demokratisch und partizipatorisch über das eigene Leben zu bestimmen. Um eine inhaltliche Basis für die weiteren Ausführungen zu schaffen, werden im Folgenden Handlungsfelder der Nachhaltigkeit in den drei Dimensionen dargestellt. Ein Handlungsfeld ist hier definiert als ein inhaltlicher Themenbereich, zu dem Aktivitäten stattfinden können, die z. B. von Einzelpersonen, Haushalten, Vereinen, Verbänden, Unternehmen, Gemeinden, Regionen, Staaten oder internationalen Organisationen durchgeführt werden. Handlungsfelder bezeichnen damit einen inhaltlichen Bereich, der von anderen abgegrenzt werden kann. Ein Handlungsfeld ist allgemeiner als ein Projekt, ein Ziel oder eine Maßnahme, die jeweils zeitlich, örtlich und bezogen auf bestimmte Ebenen und Akteure definiert sind. Viele Handlungsfelder lassen sich genau einer Nachhaltigkeitsdimension zuordnen; es gibt jedoch auch Nachhaltigkeitsdimensionen übergreifende Handlungsfelder. Um die Breite der von den Dimensionen abgedeckten inhaltlichen Bereiche aufzuzeigen, sind im Folgenden beispielhafte Handlungsfelder getrennt nach Dimensionen aufgelistet. Sie werden den oben genannten vier Handlungsebenen zugeordnet und in Tab. 5.1 dargestellt. Mit Blick auf diese Handlungsfelder wird deutlich, dass Nachhaltigkeit auf die Zukunftsperspektiven aller Menschen ausgerichtet ist. Es geht bei nachhaltiger Entwicklung also nicht um den Erfolg von Produkten oder um das Bestehen von Unternehmen. Produkte und Unternehmen werden in dieser Perspektive lediglich danach beurteilt, ob sie einen möglichst hohen Beitrag zur – globalen – nachhaltigen Entwicklung leisten, d. h. das Ziel der „Maximierung ihres Beitrags zur nachhaltigen Entwicklung“ (ISO 2010, S. 12, 28) verfolgen. Durch diese Maximierung sollen aktuelle und zukünftige Generationen insgesamt gewinnen.
Umweltökonomische Rahmen- Soziale Gerechtigkeit, sozialer setzung, Umweltgesetzgebung, Ausgleich, Chancenverteilung, Einhaltung von Umweltvorgaben Bildungssystem, Gesundheit, Frieden Klimaschutz, internationale Umwelt-Abkommen
Staat(en), Regionen, Städte und Wohlstand, Verteilung von Gemeinden Ressourcen, Gütern und Chancen, Forschungs- und Technologieförderung
Globale Ebene
Eigene Darstellung; für die Handlungsfelder auf Ebene der Unternehmen, Vereine, Verbände mit Bezug auf ISO 2010 und BMUB 2017
Internationale Abkommen zu Menschenrechten, Arbeit, Gesundheit, Bildung, Kultur und zu gesellschaftlicher Mitwirkung
Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Vereinigungsfreiheit, (Aus- und Weiter-)Bildung, Chancengleichheit, Diskriminierung, Menschenrechte, politische Mitwirkung
Umweltbelastungen und Gefahrstoffe, Klimaschutz, Ressourcenverwendung, Bodennutzung, Schutz biologischer Vielfalt und von Wasser
Unternehmen, Vereine, Verbände Bezahlte und unbezahlte Arbeit, Wertschöpfung in der Lieferkette, Preise und Löhne, Wettbewerb, Korruptionsbekämpfung
Internationale Abkommen zu Handel, Transparenz, Frieden und Entwicklung
Gesundheit, Bildung, Lebensqualität, gesellschaftliche Mitwirkung, ethischer und fairer Konsum
Ressourcen- und EnergieverChancen auf Armut und Reichtum, auf Besitz, Vermögen bräuche, Abfall und Emissionen bezogen auf Konsum, Wohnen und Einkommen und Mobilität
Gesellschaft
Individuen und Haushalte
Umwelt
Wirtschaft
Ebenen
Tab. 5.1 Beispiele von Handlungsfeldern in den drei Nachhaltigkeitsdimensionen und auf verschiedenen Handlungsebenen
5.3 Ebenen und Handlungsfelder der Nachhaltigkeit 203
204
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
Abb. 5.2 Die Erde als Bezugsgröße für nachhaltige Entwicklung
Die Grundgesamtheit, auf die sich nachhaltige Entwicklung bezieht, ist der Planet Erde und seine Gestaltung durch Menschen und deren Institutionen4. Unternehmen und andere Organisationen sind unter anderen Bestandteile dieser Gesamtheit (vgl. Abb. 5.2). Mit dem Begriff der „Triple Bottom Line“ (vgl. z. B. Sailer 2017, S. 23) wird der Ansatz beschrieben, die Dimensionen Umwelt und Gesellschaft mit dem wirtschaftlichen Erfolg eines einzelnen Unternehmens in Übereinstimmung zu bringen. Hierbei ist nachhaltige Entwicklung abhängig vom wirtschaftlichen Erfolg dieses Unternehmens bzw. können umweltbezogene und gesellschaftliche Aspekte nur in Einklang mit dem Unternehmenserfolg definiert werden. Damit ist die Perspektive zeitlich begrenzt; zukünftige Generationen werden nur nach Maßstab des Unternehmens einbezogen; zudem lässt die Perspektive wenig Spielraum für Weichenstellungen Richtung Nachhaltigkeit, die das Geschäftsmodell des Unternehmens grundlegend verändern würden – also für tief greifende Nachhaltigkeitsinnovationen, die z. B. den Umbau eines ganzen Sektors benötigen.
4Der
Begriff „Anthropozän“ wurde als Bezeichnung für das aktuelle Erdzeitalter geprägt um auszudrücken, dass sich nicht mehr die Menschen an die Natur anpassen, sondern dass die Menschen die globalen Umweltbedingungen stärker prägen als umgekehrt (vgl. Crutzen und Schwägerl 2011).
5.4 Handlungsfelder der Nachhaltigkeit für Produkte
205
Am Beispiel der im Rahmen des Klimaschutzes notwendigen Dekarbonisierung der Wirtschaft, also der Reduzierung ihrer Klimaemissionen bis auf null, wird deutlich, dass nicht alle bestehenden Unternehmen daran gewinnen können. In der Logik nachhaltiger Entwicklung müssen bestehende Märkte oder das wirtschaftliche Potenzial bzw. Bestehen einzelner Organisationen nicht notwendigerweise erhalten bleiben. Ein nachhaltiges Produkt kann eines sein, das z. B. gemeinsam genutzt oder gar durch eine Dienstleistung obsolet wird. Hier zeigt sich eine andere Interessenslage des Nachhaltigkeitsbeitrags von Produkten als die des betriebswirtschaftlich ausgerichteten Produktmanagements. Ein Produkt wird als nachhaltig definiert, wenn es bezüglich der drei Nachhaltigkeitsdimensionen entlang seines gesamten Lebenszyklus möglichst geringe negative und möglichst starke positive Auswirkungen erzeugt. Es gibt kaum ein Produkt, das keine negativen Umweltauswirkungen erzeugt, z. B. Emissionen durch Energieaufwand bei Herstellung oder Transport. Es macht aber einen Unterschied, wie die Umweltauswirkungen bewältigt werden können: Sicher nicht nachhaltig ist ein Produkt, das nicht rückholbare oder unkontrollierbare Umweltauswirkungen hat, wie z. B. erbgutschädigende oder giftige Rückstände. Bezüglich der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen sieht es anders aus: Welches Produkt würde nicht zumindest seinem Hersteller positiven wirtschaftlichen Nutzen bringen oder ein Bedürfnis seiner Nutzer erfüllen? Im Sinne von Nachhaltigkeit ist die Kombination dieser beiden Dimensionen relevant: Als nachhaltig definiert wird ein Produkt, dessen Auswirkungen hinausgehen über rein betriebswirtschaftlichen Nutzen für eine einzelne Organisation sowie über individuellen Nutzen für einzelne Gesellschaftsmitglieder oder -gruppen. Zudem wird jedes Produkt entlang seines gesamten Lebenszyklus betrachtet. Es werden auch solche Auswirkungen berücksichtigt, die nicht bei der Produktion des Produkts und seiner Verwendung offenbar sind, sondern die am Beginn der Wertschöpfungskette, eventuell in verschiedenen Regionen der Welt, und die erst bei der Entsorgung oder bei der Wiederverwendung eines Produkts nach Ablauf seines Nutzens zutage treten (in Anlehnung an Stark et al. 2017, S. 1).
5.4 Handlungsfelder der Nachhaltigkeit für Produkte Die Handelnden im Produktmanagement sind insbesondere Herstellerinnen und Dienstleister sowie die Nutzer der Produkte. Die Handlungsfelder in den drei Nachhaltigkeitsdimensionen können bezüglich Produkten anders formuliert
206
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
werden als die oben angegebenen Handlungsfelder (vgl. Tab. 5.1); insbesondere müssen sie mögliche Interaktionen zwischen der zweiten Ebene (hier: Unternehmen) und der ersten Ebene (Individuen und Privathaushalte) mit abbilden. Umwelt-Handlungsfelder sind entlang der Umweltmedien angesiedelt: Nutzung und negative oder positive Auswirkungen auf Wasser, Luft, Ökosysteme, Boden und die Atmosphäre. Beispiele sind Klimaemissionen aus Herstellungsenergie und Transport des Produkts oder Artensterben durch die Beeinträchtigung von biodiversen Ökosystemen bei der Entnahme von Rohstoffen. In der ökonomischen Dimension beziehen sich produktbezogene Handlungsfelder insbesondere auf den Wohlstand im Rahmen der Wertschöpfung, der sich aus der Nutzung von Ressourcen und Arbeit zur Herstellung, Bereitstellung bis zur Entsorgung von Produkten ergibt, also zum Beispiel Infrastrukturentwicklung in Regionen des Rohstoffabbaus – als eine eher positive Auswirkung – oder Niedriglöhne in der Weiterverarbeitung von Produktbestandteilen – als eine negative Auswirkung. Gesellschaftliche Handlungsfelder betreffen wiederum den Wertschöpfungsprozess aber auch das Produkt selbst, also z. B. die Handlungsfelder Lebensqualität und Gesundheit in bestimmten Produktionsschritten und das Thema Gesundheit und Sicherheit durch die Produktnutzung. Die ökonomischen und die gesellschaftlichen Handlungsfelder betreffen hier insbesondere globale Lieferketten, in denen Produkte hergestellt werden, ohne dass dies für Herstellerunternehmen und Kunden transparent wäre. Für viele Produkte sind die Liefer- oder Wertschöpfungsketten lang und komplex (Abschn. 7.1); und werden die Produktionsbedingungen betrachtet, so sind die gesellschaftliche und die wirtschaftliche Dimension an vielen Stellen interdependent, weil 1. die wirtschaftliche Situation an vielen Stellen die Basis für gesellschaftliches Wohlergehen ist, wenn Unternehmen und staatliche Institutionen z. B. ein reichhaltiges Bildungs- und Gesundheits-Angebot für Beschäftigte finanzieren, und weil 2. die gesellschaftliche Situation maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Prosperität hat, wenn z. B. Menschen auf Basis ihrer guten Bildung und Gesundheitsversorgung Innovationen und Arbeitsplätze hervorbringen, sich aktiv in die Gesellschaft einbringen und sich für Andere engagieren. Es bestehen selbstverständlich in beiden Dimensionen unterschiedliche Dynamiken und auch die Umweltdimension ist wechselseitig mit ihnen verquickt. Die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Produkten sind jedoch so deutlich, dass in der folgenden Bearbeitung die drei Nachhaltigkeitsdimensionen in umweltbezogene Auswirkungen und sozial-ökonomische Auswirkungen gruppiert werden. Nebenbei
5.4 Handlungsfelder der Nachhaltigkeit für Produkte
207
Tab. 5.2 Handlungsfelder für Produkte – Beispiele Umwelt
Wirtschaft und Gesellschaft
Klimaemissionen beim Transport
Menschenrechtsverletzungen durch Vertreibung von Bevölkerung für den Rohstoffabbau
Verringerung der Artenvielfalt in Ökosystemen beim Rohstoffabbau
Gesundheitsschutz durch innovative Produkte
Gefährdung der Ozeane durch Kunststoffabfälle
Niedriglohn in Fertigungsbetrieben
Eigene Darstellung
hat dies den Effekt, die Komplexität der Darstellung der Produktbeispiele zu reduzieren. Tab. 5.2 strukturiert beispielhaft Handlungsfelder für Produkte entlang der in „Umwelt“ und „Wirtschaft und Gesellschaft“ gruppierten Dimensionen. Auf eine umfassende Darstellung von Handlungsfeldern für Produkte wird hier verzichtet, da diese entweder so allgemein bliebe, dass sie sich kaum von den Handlungsfeldern auf Unternehmensebene (vgl. Abschn. 5.3) unterscheiden würde, oder separat für Produktgruppen zu erstellen wäre, wodurch sie sehr detailliert würde. Da es viele produktbezogene Handlungsfelder gibt, stellt sich an dieser Stelle die Frage, ab wann ein Produkt als nachhaltig bezeichnet werden kann: Reicht es aus, dass seine negativen Auswirkungen geringer sein müssen als die von Vergleichs-Produkten? Reicht es für ein nachhaltiges Produkt aus, wenn es weniger negative Auswirkungen in nur einer Nachhaltigkeitsdimension hat – oder braucht es einen Nachweis darüber in zwei oder in allen drei Dimensionen? Zudem: Es bestehen teils Zielkonflikte zwischen Aspekten aus verschiedenen Dimensionen, z. B. bei Lebensmitteln Frische versus Regionalität (außerhalb der Saison eines Produktes), z. B. bei Kunststoff-Produkten Materialeffizienz durch dünnere Kunststofffolien aus gemischten Materialien versus bessere Recyclingfähigkeit durch den Einsatz von stärkeren Monomaterialien. Die Auswirkungen von Produkten zeigen sich häufig erst bei ihrer Nutzung und sie lassen sich erst mit Blick auf ihren gesamten Lebenszyklus beurteilen. So kann es nachhaltiger sein, ein wenig energieeffizientes Produkt nicht durch ein effizienteres zu ersetzen, wenn es nur sehr selten verwendet wird – da ja auch der Energie- und Rohstoffaufwand bei der Herstellung des neuen und bei der Entsorgung des alten Produkts berücksichtigt werden muss. Oder es könnte sich
208
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
herausstellen, dass ein energiesparendes Produkt an seinem End of Life gesundheitsgefährdende Stoffe emittiert. Damit sind Handlungsebenen und Themen sowie mögliche Konfliktkonstellationen skizziert und sind die drei Nachhaltigkeitsdimensionen mit Inhalten gefüllt und pragmatisch auf zwei Bearbeitungsfelder für Produkte zugespitzt. Dies dient der Analyse und Illustration von Herausforderungen und als Ansporn für nachhaltiges Produktmanagement.
5.5 Zielwerte und Messgrößen für nachhaltige Produkte Nachhaltiges Produktmanagement zielt darauf, negative Auswirkungen eines Produkts auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft zu minimieren und gleichzeitig seine positiven Auswirkungen zu stärken. Diese Auswirkungen können innerhalb und außerhalb der Reichweite bzw. Kontrolle durch das produzierende oder dienstleistende Unternehmen und durch seine Kunden liegen. Die Gründe, warum Unternehmen negative Auswirkungen haben, also nicht nur Wertschöpfung sondern „immer auch Schadschöpfung“ (Beckmann und Schaltegger 2014, S. 325) betreiben, sind vielfältig. Die folgenden drei sind sehr relevant: Erstens lassen die bestehenden Rahmenordnungen negative externe Effekte zu, ohne dass die Unternehmen dafür zahlen oder auf eine andere Weise Verantwortung übernehmen müssen. Dementsprechend bieten sie nicht nachhaltige Produkte nicht teurer an. Zwei Beispiele zur Illustration: 1. Der ökonomische Verlust in einer Region, in der Kinder bei der Kakaoernte oder beim Erzabbau arbeiten müssen und daher weniger Bildung bekommen, zeigt sich am geringeren Wohlstand auch noch der nächsten Generation in der Region. Unternehmen, die diese Rohstoffe aktuell zu niedrigen Preisen einkaufen, betreiben Schadschöpfung ohne davon Nachteile zu haben. Könnten sie für die Menschenrechtsverletzungen in der Region rechtlich oder finanziell haftbar gemacht werden, würden sich die negativen Auswirkungen nicht mehr für sie lohnen. 2. Die Verwendung von viel stickstoffhaltigem Dünger bringt landwirtschaftlichen Betrieben schnelles Pflanzenwachstum, schädigt aber das Grund- und Oberflächenwasser. Die Allgemeinheit zahlt höhere Wasserpreise, weil mehr Schritte in den Kläranlagen notwendig sind (vgl. Umweltbundesamt 2018).
5.5 Zielwerte und Messgrößen für nachhaltige Produkte
209
Nur schrittweise erfolgt eine Regulierung, mit der die Mehrkosten dem Düngeverhalten der landwirtschaftlichen Betriebe angelastet werden.5 Zweitens sind die mittelbar von Produkten Betroffenen nicht deckungsgleich mit den unmittelbar Betroffenen. Es sind also mehr Personen von einem Produkt betroffen als die Personen, die das Produkt entwickeln, herstellen und nutzen. Dieser Zusammenhang wird unten bei der Bearbeitung der Wertschöpfungsstufen (Abschn. 7.1) verdeutlicht. Zudem gibt es Gemeingüter oder „Global Commons“ wie die Atmosphäre, die Weltmeere oder die Wälder der Erde, die wichtige Funktionen für Klima und Wetter haben. Diese können von allen genutzt werden, ohne dafür zu zahlen.6 Die Perspektive des Unternehmens fokussiert häufig nur auf die unmittelbar von den Produkten Betroffenen. Drittens spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Viele negative sozial-ökonomische und Umwelt-Effekte zeigen sich erst langfristig, manchmal erst in der nächsten oder übernächsten Menschen-Generation. Diese Problematik zeigt sich beim Klimawandel, bei der schrittweisen Anreicherung von toxischen Substanzen in Tieren, Pflanzen und Menschen, beim kontinuierlichen Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt, etc. Unternehmen können langfristig agieren; Entscheidungen über Standorte und Investitionen haben häufig eine jahrelange Bedeutung. Viele Unternehmen setzen sich jedoch ausschließlich Ziele über wenige Monate oder Jahre und haben somit kaum Anlass, externe Kosten zu übernehmen oder solche langfristigen Nachteile aktiv abzuwehren, die irgendwann in der Zukunft auch sie selbst betreffen könnten. In Risikoabwägungen fließen solche Verantwortungsthemen ein (vgl. Abschn. 6.3). Warum Unternehmen nicht nur Wertschöpfung sondern auch Schadschöpfung betreiben, lässt sich also folgendermaßen erklären: 1. Sie müssen für viele externe Effekte keine Verantwortung übernehmen. 2. Viele mittelbar von ihrer Wertschöpfung Betroffene sind außerhalb ihrer Perspektive. 3. Sie berücksichtigen langfristige Auswirkungen weniger.
5Die
Gründe für die so funktionierenden Gesellschaften sind vielfältig und können an dieser Stelle nicht bearbeitet werden. 6Die Bedeutung der Global Commons kann an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.
210
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
Wenn negative Auswirkungen von Produkten verringert werden sollen, heißt das nicht, dass Unternehmen hier und da ein wenig tun können, z. B. einmal ein grünes Produkt oder eine soziale Aktion platzieren. Sondern es gibt durchaus objektive Maßstäbe für Nachhaltigkeitsaktivitäten. Die Zielwerte ergeben sich aus der begrenzten Tagfähigkeit der Erde und der sozial-ökonomischen Strukturen, also der Ökosysteme, der Atmosphäre, des gesellschaftlichen Wohlergehens, der volkswirtschaftlichen Stabilität etc. Die Mechanismen der Prozesse, die umweltbezogene und sozial-ökonomische Zerstörungsprozesse hervorrufen, sind gut erforscht (vgl. z. B. Rockefeller Foundation 2015). Bezogen auf ausgewählte Handlungsfelder werden einzelne Problematiken bei der Bearbeitung der Methoden des Produktmanagements unten wieder aufgegriffen (vgl. Kap. 8). Die während der Corona-Krise diskutierte Kurvenabflachung – also die Limitierung der Neuinfektionen von Menschen mit dem Virus, um die Tragfähigkeit der Gesundheitssysteme sicherzustellen – ist genau ein solcher Zielwert, hier bezogen auf das sozial-ökonomische Gesundheitssystem. Eines der Grundlagenwerke des Nachhaltigkeitsdiskurses, die Studie zu den „Grenzen des Wachstums“ von Donella Meadows u. a. aus 1972 warnte vor der Überschreitung der ökologischen Tragfähigkeit der Erde („carrying capacity“), wenn mehr Menschen mehr Umwelt verbrauchen und zerstören. Ziel beider Ansätze ist, dass die Auswirkungen des Problems händelbar bleiben, damit das zugrunde liegende System nicht kollabiert. Diese Parallele diskutieren Baue und Thurm (2020). Umgekehrt könnten die positiven Auswirkungen von Produkten hinsichtlich ihrer Zielwerte im Sinne einer „Gewinnmaximierung“ für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft definiert werden. Berichterstattungsstandards für Unternehmen, z. B. der der Global Reporting Initiative (GRI), sehen Messgrößen vor, die auch die positiven Nachhaltigkeitsbeiträge von Unternehmen erfassen. Beispiele sind z. B. die Aufschlüsselung von Investitionen auf kommunaler Ebene (vgl. GRI 2016a, GRI 201: Wirtschaftliche Leistung 2016, GRI 201–1) oder der prozentuale Anteil an Führungskräften, die aus der lokalen Gemeinschaft am Standort rekrutiert werden (vgl. GRI 2016c, GRI 202: Marktpräsenz 2016, GRI 202–2), die dem Standort insgesamt zugutekommen sollten. Auch die Einnahmen von Unternehmen, die sie durch neue Produkte oder Dienstleistungen zur Verringerung von Klimaemissionen erzielen (vgl. GRI 2016b, GRI 201: Wirtschaftliche Leistung 2016, GRI 201–2), zeigen einen positiven Beitrag von Unternehmen auf. Ebensolche Messgrößen enthält der von Felber entworfene Ansatz der „Gemeinwohlökonomie“, der auch quantitativ positive Beiträge von Unternehmen mittels einer „Gemeinwohlbilanz“ erhebt, z. B. den Umsatzanteil von „unethischen“ Produkten und die Transparenz bezüglich der Produktinhaltsstoffe (vgl. Gemeinwohl-Bilanz o. J).
5.5 Zielwerte und Messgrößen für nachhaltige Produkte
211
Messgrößen für Unternehmens-Nachhaltigkeit werden an drei unterschiedlichen Stellen im unternehmerischen Wertschöpfungsprozess verortet. Erstens kann der „Input“ ins Unternehmen betrachtet werden, also z. B. der Anteil recycelter oder fair produzierter Rohmaterialien an allen eingekauften Rohmaterialien, der Anteil erneuerbarer Energieträger am gesamten Energieaufwand des Unternehmens oder der Anteil nach sozialen Standards zertifizierter Lieferanten an allen Lieferanten. Zweitens können „Leistungstreiber“ in der Wertschöpfung als Messgrößen erfasst werden, die insbesondere Prozessveränderungen abbilden, z. B. eine gesteigerte Energieeffizienz in der Produktion oder eine erhöhte Weiterbildungsbereitschaft von Mitarbeitenden. Drittens kann der „Output“ erfasst werden, z. B. die absolute Menge der jährlichen Klima-Emissionen oder die Arbeitsunfallquote (vgl. Sailer 2017, S. 161–162). Die letztgenannten Messgrößen zahlen unmittelbar auf Zielwerte der Nachhaltigkeit von Unternehmen ein und können anteilsmäßig z. B. in die Berechnung der Klimaziele des Sektors oder eines Staates einfließen. Um die genannten Messgrößen für Produkte zu verwenden, müssen sie produktspezifisch erfasst oder anteilsmäßig auf Produktgruppen umgerechnet werden; beides ist mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Zielwerte nachhaltiger Produktentwicklung sind damit definierbar und in einigen Handlungsfeldern bereits definiert; Messgrößen sind teilweise vorhanden und werden angewandt. Der Aufwand, um die entsprechenden Beiträge zur Überschreitung der Tragfähigkeit und die „Gewinne“ je Produkt zu beziffern, ist jedoch hoch. Beim Thema Klimawandel schließen sich aktuell die meisten Unternehmen an das politische Ziel an, den globalen Temperaturanstiegs auf maximal 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Dies kann in fossile Energieträger und deren Kohlendioxidäquivalente umgerechnet werden, die nicht mehr emittiert werden sollen. In Emissionshandelssystemen ist dies formal bereits umgesetzt: Diese legen die maximalen Emissionen als Messwerte fest und liefern ökonomische Anreize, sodass die Emissionsreduktion an der jeweils wirtschaftlichsten Stelle geschehen soll. Dies bedeutet für jedes Unternehmen – und in der Folge auch für jedes einzelne Produkt – dass sein Beitrag zur Begrenzung des Temperaturanstiegs bezifferbar ist.7 Jedoch ist die Umrechnung
7Das
Carbon Disclosure Project, dessen Ursprungsidee in der Bezifferung des Beitrags einzelner Unternehmen zur globalen Emissionsreduktion liegt, ist in der Industrie mittlerweile eine akzeptierte Instanz und führt zu einem erheblichen Aktivitätsniveau bei großen Unternehmen und ihren Lieferanten genau in dieser Richtung (vgl. CDP 2019).
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5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
der Klimaemissionen in Zielwerte für einzelne Produkte selbst trotz der hohen Durchdringung des Themas durch Unternehmen noch aufwendig (vgl. Abschn. 8.1 zum „Carbon Footprint“). Die Berechnung weiterer Umweltkosten erfolgt durch Unternehmen meist nur beispielhaft; umfassende Bearbeitungen mit klar definierten Messgrößen werden nur selten veröffentlicht. PUMA veröffentlicht die Umweltkosten seiner Produktion
Das Unternehmen PUMA publiziert die Umweltkosten, die es angeblich im Jahr 2018 verursacht hat: Es seien 585 Mio. Euro. Einbezogen wird der monetäre Wert u. a. der Luft- und Wasserverschmutzung, der CO2-Emissionen, des Landverbrauchs, der Abfallerzeugung und Wassernutzung an den eigenen Standorten und in der Lieferkette. Veröffentlicht wird eine grobe anteilsmäßige Zuordnung zu diesen Umweltfeldern und den Wertschöpfungsstufen. (Vgl. PUMA o. J.). Mit weiterem Aufwand könnte PUMA den Kostenanteil einzelner Produkte ausweisen. ◄ Bei anderen Nachhaltigkeitskriterien von Produkten, z. B. bei ihren Auswirkungen auf die Bildungschancen von Kindern in einer Region oder auf das Artensterben, ist die genaue Zurechnung komplizierter und voraussetzungsvoll. Auf globaler Ebene gibt es für viele der Nachhaltigkeitshandlungsfelder bereits Berechnungen; auch viele Staaten verfügen hier über Detailwissen und Pläne oder bereiten die stärkere Formalisierung von absoluten Messgrößen vor.8 Auch die auf globaler bis lokaler Ebene laufende Operationalisierung der 169 Unterziele der 17 Sustainable Development Goals kann hier genannt werden (vgl. z. B. eurostat 2019). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Zielwerte und passende Messgrößen zu Handlungsfeldern der Nachhaltigkeit definierbar und teilweise bereits definiert sind; ihre Operationalisierung ist jedoch nur unzureichend umgesetzt. Klar definierte Zielwerte auf Produktebene gibt es kaum.
8Z.B.
werden Bildungs-, Armuts-, Ungleichheits-, Biodiversitäts-, Klimaemissions- und Ressourcen-Daten im Rahmen des UNO-Systems erhoben; sie können Staaten und Unternehmen als Orientierungsgrößen dienen. Eine Umrechnung in monetäre Messwerte erfolgt nicht systematisch bzw. nur zu einzelnen Themen (vgl. u. a. Stern 2007; UNEP CBD 2011).
5.6 Nachhaltigkeit von Produkten managen
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Die aktuell von Unternehmen eingesetzten Methoden, mit denen der Beitrag ihrer Produkte zu den Nachhaltigkeitszielen erfasst werden soll, werden in Kap. 8 bearbeitet. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird in vielen Zusammenhängen verwendet; teils wird er nicht auf den oben dargestellten globalen Diskurs, sondern nur auf die Wortbedeutung des langfristigen Bestehens oder auf betriebswirtschaftlichen Erfolg bezogen. Dieser Text dagegen stellt auf die genannten Auswirkungen und ihre Interpretation im Rahmen des globalen Nachhaltigkeits-Diskurses ab. Demnach sind vollständig nachhaltige Produkte nur solche, die zu den verschiedenen globalen Nachhaltigkeitszielen beitragen; folglich sollten als nachhaltige Produkte nur solche bezeichnet werden, für die eine Einordnung oder ein Vergleich erfolgt, dass sie hinsichtlich ihrer Auswirkungen verbessert wurden oder weniger negativ als vergleichbare Produkte sind. Genau genommen handelt es sich in der Regel dabei um relativ nachhaltigere Produkte. Jedoch kann ihr Beitrag zur Verbesserung von Produktauswirkungen genau beschrieben und teils auch beziffert werden. Das Ziel nachhaltiger Produktentwicklung sollte die Verbesserung der Produktauswirkungen hinsichtlich ihres maximalen, d. h. bezogen auf ihr Zerstörungspotenzial adäquaten, Beitrags zur Lösung genau bezifferter Nachhaltigkeitsprobleme sein. u
Die Grundidee des nachhaltigen Produktmanagements An dieser Stelle kann als Grundidee des nachhaltigen Produktmanagements zusammengefasst werden, dass es die Auswirkungen von Produkten auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft analysiert und negative Auswirkungen zu minimieren anstrebt. Es werden nicht nur negative Auswirkungen betrachtet: Es ist ebenso ein wichtiger Aufgabenbereich des Produktmanagements, nachhaltigkeitsfördernde Auswirkungen zu stärken. Die Rahmengrößen dafür sind die Tragfähigkeiten von Öko-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystemen.
5.6 Nachhaltigkeit von Produkten managen Worauf bezieht sich nachhaltiges Produktmanagement? Nachhaltiges Produktmanagement soll sich hier auf den „Produktkern“ (Weber 2015, S. 2–3) beziehen, also auf das Gesamtprodukt mit seinen Funktionalitäten und Eigenschaften. Dazu gehören auch mit dem Produkt verbundene Services wie z. B. die Komplementärangebote Garantien und Reparaturen.
214
5 Was bedeutet Nachhaltigkeit im Rahmen von Produktmanagement?
Auch die Verpackung wird häufig als ein relevanter Aspekt des Produkts betrachtet. Eine Verpackungsoptimierung erfolgt in der Regel in Kooperation mit dem oder durch den Verpackungshersteller, der hier die größere Kompetenz hat. Und ein wenig nachhaltiges Produkt in einer nachhaltigeren Verpackung zu transportieren, würde bedeuten, dass der Produktmanager wichtige Auswirkungen der eigenen Produkte nicht berücksichtigen würde. Gleichwohl sind einige Produkte eng mit ihrer Verpackung verbunden (wie z. B. Flaschenbier bzw. gezapftes Bier). Zudem erfährt das Thema Verpackung große öffentliche Aufmerksamkeit und es besitzt einen hohen Symbolwert. Nicht direkt mit dem Produktkern assoziierbare produktfremde Komplementärangebote, wie soziale oder umweltbezogene Aktivitäten des Herstellerunternehmens, sollen hier aus der Betrachtung ausgeschlossen werden. Es gibt nicht wenige Unternehmen, die sich über nachhaltigkeitsbezogene aber produktfremde Angebote profilieren. Z. B. spendet das Unternehmen „Share“ beim Kauf eines seiner Produkte ein weiteres Produkt an Bedürftige; und mit dem Kauf eines Kastens „Krombacher“-Bier wird eine Spende zum Regenwaldschutz ausgelöst. Damit sollen die positiven Auswirkungen von engagierten Projekten nicht infrage gestellt werden. Das Produktmanagement hat jedoch in der Regel die größte Kompetenz und damit deutliche Ansatzpunkte für mehr Nachhaltigkeit bezogen auf das Produkt selbst. Hier ist anzumerken, dass ein Unternehmen, das ein nachhaltiges Produkt herstellt, nicht automatisch als nachhaltig bezeichnet werden kann. Ggf. hat das Produkt wenig negative Auswirkungen, aber andere Produkte desselben Herstellers dagegen viele. Zudem, von einer anderen Perspektive betrachtet, müssen Produkte von nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen nicht nachhaltig sein, wenn sie z. B. während ihrer Nutzungsphase oder bei der Entsorgung Menschen oder die Umwelt schädigen. Wo setzt nachhaltiges Produktmanagement an? Die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsauswirkungen folgt üblichen Management-Vorgehensweisen. Auch nachhaltiges Produktmanagement soll also systematisch und kontinuierlich erfolgen. Die Analyse der negativen und positiven sozial-ökonomischen und umweltbezogenen Auswirkungen betrifft dabei einzelne Produkte oder Produktgruppen bzw. Produktportfolios. Bezogen auf die Verbesserung der Auswirkungen sollen Programme erarbeitet werden. Hier sind bestehende Managementstrukturen zu verändern und zu ergänzen: Es sollen Verfahren etabliert werden, um die Auswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erfassen. Dies entspricht dem Vorgehensansatz der Gebührenden Sorgfalt (Englisch: due diligence, vgl. ISO 2010, S. 100–101). Es sollten ggf. Zielwerte formuliert und (zumindest intern) veröffentlicht werden,
Literatur
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vor allem aber sind Maßnahmen zu definieren und umzusetzen sowie ihre Wirksamkeit mittels Messgrößen zu evaluieren. Die Methoden des nachhaltigen Produktmanagements, um die Beiträge von Produkten zur nachhaltigen Entwicklung zu maximieren, werden in Kap. 8 beschrieben. u
Drei wichtige Ansatzpunkte nachhaltigen Produktmanagements
Ziel: Negative Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft minimieren, positive Auswirkungen stärken, d. h. Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette der Produkte. Fokus: Das Produkt (ohne produktfremde Komplementärangebote) und seine Auswirkungen auch außerhalb des Unternehmens. Form: Systematisch und kontinuierlich hinsichtlich der Auswirkungen und ihrer Verbesserung.
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Was motiviert Unternehmen zu nachhaltigem Produktmanagement?
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, welche Motivationen Unternehmen zur Aufnahme von Nachhaltigkeitsthemen in ihr Produktmanagement haben. Die Antwort lautet, dass Unternehmen Impulse aus verschiedenen Bereichen bekommen. Von der Gesellschaft, insbesondere von ihren Kundinnen und von Nichtregierungsorganisationen gehen Impulse aus, um Nachhaltigkeitsprobleme ihrer Produkte anzugehen und nachhaltigere Produkte anzubieten (Abschn. 6.1). Wichtig sind Impulse aus Gesetzesvorhaben, die erst zukünftig rechtlich bindend sein werden, und auf die sich viele Unternehmen frühzeitig einstellen. In Abschn. 6.2 wird eine Auswahl von aktuellen Themen, die sektorübergreifend von Relevanz sein können, bezüglich ihres Regulierungsstands analysiert. Dazu gehören Gesundheit, Klima und Energie, Konfliktrohstoffe und Nachhaltige Finanzen. Anschließend werden Impulse aus Risiken (Abschn. 6.3) analysiert, die Unternehmen in ihren Risikomanagementaktivitäten bearbeiten oder die als „ESG-Risiken“ aus aktuellen Nachhaltigkeitsentwicklungen gespeist sind. Zum Abschluss des Kapitels wird unter der Überschrift Gestaltungsperspektiven und StakeholderOrientierung bearbeitet, wie Impulse aus unterschiedlichen Zusammenhängen aufgenommen werden können, um nicht nur Risiken abzufedern, sondern darüber hinaus proaktiv nachhaltigere Produkte vorzubereiten. Mit Blick auf die Corona-Krise wird diskutiert, warum zur Eindämmung der Pandemie harte ordnungsrechtliche Maßnahmen angeordnet und durchgesetzt werden konnten, die das individuelle Verhalten aller Mitglieder der Gesellschaft rigoros einschränken, wie Kontaktverbote und Unternehmensschließungen. Und
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_6
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wieso gleichzeitig zur Eindämmung des Klimawandels, dessen Folgen weitaus mehr Menschen das Leben kosten werden, nur zögerlich Gesetze erlassen und staatliche Maßnahmen umgesetzt werden. Im Rahmen der Corona-Krise werden öffentliche Gelder zur Verfügung gestellt; doch ob die Gelegenheit zum gleichzeitigen Klimaschutz genutzt wird, ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Texts noch offen: „Der zwingend gebotene Einsatz öffentlicher Gelder, der alles Dagewesene in den Schatten stellen wird, bietet dafür eine einzigartige Gelegenheit: Die Zahlung von Fördermitteln und staatlichen Investitionen sollte davon abhängig gemacht werden, ob sie mit Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel vereinbar sind.“ (Descamps und Lebel 2020, S. 8) In diesem Sinne werden im Mai 2020 Stimmen aus fast allen politischen Parteien laut. Beim Klimawandel versucht zudem nicht nur die Wissenschaft Druck auf die Politik auszuüben, damit sie wirkungsvolle Maßnahmen durchsetzt; beim Klimawandel stehen die globale Fridays for Future-Bewegung und Umwelt- und Entwicklungsorganisationen Seite an Seite mit der Wissenschaft. Es gibt Nachhaltigkeitsthemen, die, ausgehend von einzelnen oder auch sich wiederholenden Skandalen, über verschiedene Medien verbreitet werden. Neben den oben genannten sind dies z. B. die Verschmutzung der Meere durch Kunststoffe und desaströse Arbeitsbedingungen im Textilsektor. Nachhaltiges Produktmanagement kann nicht losgelöst von solchen Themensetzungen in der Öffentlichkeit betrachtet werden: Unternehmensmitglieder sind Personen, die selbst und deren Familien und Freundeskreise von der Kommunikation über diese Skandale berührt werden. Nicht selten sind es persönliche Impulse von einzelnen Personen, häufig auf höheren Hierarchiestufen arbeitend, die im Ergebnis zu auch langfristigen Nachhaltigkeitsbestrebungen in Unternehmen führen. Dies ist eine persönliche Beobachtung der Autorin, die sie nicht mit breiterer Forschung belegen kann. Das Produktmanagement kann Impulse aus verschiedenen Richtungen wahrnehmen (vgl. Abb. 6.1): Erstens (Abschn. 6.1) ist es ein Anspruch von Unternehmen, solche Themen aufzunehmen, die von aktuellen und potenziellen Kunden transportiert werden. Unternehmen sind jedoch nicht allein getrieben von der Nachfrage. Ebenfalls Relevanz für Unternehmen kann das gesellschaftliche Umfeld entwickeln. Impulse gehen hier von zivilgesellschaftlichen oder politischen Akteuren aus. Durch sie werden bestimmte Anliegen und Perspektiven verstärkt, sodass ihre Relevanz ggf. mittelfristig für das Produktmanagement steigt. Zweitens (Abschn. 6.2) gehen Impulse von Regulierungsinstitutionen auf Europäischer sowie Bundes- und Landesebenen aus, die Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsakte etc. erlassen, was sich z. B. in Steuern,
6.1 Impulse aus der Gesellschaft
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Abb. 6.1 Impulsgebende Bereiche und Gestaltungsoptionen für das nachhaltige Produktmanagement
Investitionshilfen oder Verboten für Unternehmen auswirkt. Hier werden ausgewählte nachhaltigkeitsbezogene Regulierungsvorhaben bezüglich ihrer aktuellen Relevanz analysiert. Drittens (Abschn. 6.3) schätzen Unternehmen Risiken ihres Geschäfts und des Marktes auch mit Blick auf andere Wirtschaftsakteure ab; auch aus Risikoanalysen können Impulse für das Produktmanagement entstehen. Diese impulsgebenden Bereiche werden nun einzeln dargestellt und anschließend, viertens (Abschn. 6.4), werden Gestaltungsoptionen aufgezeigt, die das Produktmanagement aus dieser Multiperspektivität bzw. S takeholder-Orientierung ziehen kann.
6.1 Impulse aus der Gesellschaft Schäden, die durch die Produktion und die Nutzung von Produkten entstehen, können gemäß des Umfangs der Schäden und der Anzahl der Geschädigten beschrieben werden. Schäden können unwiderruflich sein, wie z. B. eine ausgerottete Spezies, es kann langfristige Gesundheitsschäden oder gar Tote geben, oder Sachverhalte bleiben unklar und benötigen eine nähere Betrachtung zur
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Bestimmung des Schadens. Theoretisch könnten mögliche Schäden aus Unternehmenssicht als Risiken definiert werden, die mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit und einer Schadenshöhe zu versehen sind. Impulse von Kunden sind jedoch häufig über Medien oder einzelne gesellschaftliche Gruppen vermittelt und daher kann von ihnen nicht direkt auf die Schadenshöhe oder Eintrittswahrscheinlichkeit der angesprochenen Risiken geschlossen werden. Eine systematische Bearbeitung von Risiken bildet aus Sicht von Unternehmen daher die Impulse aus der Gesellschaft nicht immer adäquat ab. Boykotte und Boykott-Aufrufe zeigen, dass manche Bürgerinnen bzw. Konsumenten Unternehmen ihre Meinung spüren lassen wollen. Als Beispiele seien erstens der Boykott von Nestlé-Produkten in den 1970er und 1980er Jahren und die #DeleteUber-Aktion in 2017 genannt (vgl. COSO und WBCSD 2018). Nestlé hatte in Schwellenländern aggressives Marketing für Babynahrung betrieben, die ungesunder und teurer als das Stillen war. Uber hatte sich an einem einstündigen Streik von Taxiunternehmen in New York gegen den Rassismus der Trump-Regierung nicht beteiligt und stattdessen noch günstigere Tarife als zu anderen Zeiten angeboten (vgl. Sokolov 2017). Während nicht systematisch nachweisbar ist, wie stark Unternehmen auf den direkten Druck durch Boykottund Kaufverhalten reagieren, sind gleichzeitig wachsende Wünsche von Verbrauchern und von Unternehmensmitarbeiterinnen nach besserem Gewissen und weniger negativen Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft nachweisbar (vgl. Statista 2019). Werden die passenden Kundenforderungen adressiert, kann möglicherweise der Absatz der eigenen Produkte steigen, und damit verknüpft wird beobachtet, dass „zusätzliche Kaufanreize in Form eines ‚Feel-Good‘-Faktors gegeben werden“ (Weber 2019, S. 483). Damit wird die Perspektive der Unternehmen auf ihre Kundinnen erweitert um die Sicht auf weitere Teile der Gesellschaft, insbesondere Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und vermittelnde Institutionen wie Bildung, Forschung und Medien. Bezogen auf NGOs ist hinzuzufügen, dass diese in der Regel den Anspruch haben, das Gemeinwohl zu vertreten: Die Umwelt, die Lebensgrundlagen aller Menschen, Beschäftige in verschiedenen Wirtschaftszweigen, Tierund Pflanzenarten und/oder besonders verletzliche Personengruppen, etc. Dies drückt eine moralische Überlegenheit aus, der gegenüber die Interessen des rein betriebswirtschaftlich ausgerichteten Produktmanagements begrenzt aussehen. Auch wenn das Produktmanagement, aufbauend auf Themen, die einzelne gesellschaftliche Gruppen einbringen, auf einige der Risiken reagiert, hat sich der Wunsch nach Nachhaltigkeit (noch) nicht in einen Transformationsprozess umgewandelt, in dem alle Unternehmen proaktiv handeln und ihre Produkte entsprechend gestalten würden.
6.2 Impulse durch Regulierung
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An dieser Stelle können die Auswirkungen der gesellschaftlichen Impulse auf das Produktmanagement nur skizziert, nicht aber systematisch abgebildet werden. Deutlicher als Impulsgeber für das Produktmanagement zu erfassen sind staatliche Regulierung sowie Risikobewertungen von und innerhalb von Unternehmen; sie werden im Folgenden beschrieben.
6.2 Impulse durch Regulierung Produktmanagement unterliegt vielen gesetzlichen und behördlichen Vorgaben, die im Zusammenhang mit Handlungsfeldern der Nachhaltigkeit stehen. So gehören Aspekte der Produktsicherheit und von Garantie und Gewährleistung, des Umweltschutzes (z. B. Obergrenzen für Luftschadstoffe und für Lärm), Deklarationspflichten bezüglich Inhaltsstoffen und Herstellern zum normalen Repertoire des Produktmanagements. Dass Unternehmen sie einhalten, also ihre rechtlichen Pflichten erfüllen und darüber Rechenschaft ablegen, gehört zur „Compliance“ und trägt zudem zur „Licence to operate“ (ISO 2010, S. 38) von Unternehmen bei, also zur allgemeinen gesellschaftlichen Anerkennung von Unternehmensleistungen. Darüber hinaus bestehen sektorspezifische Regulierungen, z. B. zur Produktsicherheit gegenüber möglichen Verunreinigungen bei Lebensmitteln oder zur Entflammbarkeit von Textilien. Regulierung gibt allen Unternehmen in ihrem Geltungsbereich bzw. Territorium gleiche Bedingungen vor. Regulierung im Sinne von Nachhaltigkeit setzt häufig an der Veränderung oder Verschärfung bestehender Vorgaben an. Unternehmen sind ebenfalls politische Akteure und in Verbänden organisiert, die durch Mitwirkung und Lobbyaktivitäten ihre Standpunkte zur Regulierung vertreten. Teils wehren sie sich vehement dagegen. Als Beispiel sei ein Statement der Anleger-Vereinigung EFAMA (European Fund and Asset Management Association) angesichts des Aktionsplans der Europäischen Kommission zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums genannt. EFAMA wehrt sich gegen Regulierung, da diese Bürokratisierung mit sich bringe, während der Markt die Probleme effizienter lösen könne (vgl. EFAMA 2018); ähnlich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der sich bezogen auf den o.g. Aktionsplan z. B. dagegen ausspricht, bestimmte Wirtschaftstätigkeiten grundsätzlich aus der Liste nachhaltiger Anlagen auszuschließen und dies u. a. damit begründet, dass die Wirtschaft in Europa insgesamt umweltfreundlicher sei als anderswo (vgl. BDI o. J.). Andere Unternehmen fordern dagegen eine stärkere Regulierung, da diese die Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen gleichermaßen
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anhebe. Ein Beispiel dafür ist die Aufforderung von 68 Unternehmen, z. B. Allianz, Aurubis und Viessmann, vom 27. April 2020 an die Politik, mit einem „Klima-Konjunkturprogramm unsere Wirtschaft krisenfester“ (Stiftung 2˚ 2020) zu machen. Im Folgenden werden derzeit relevante sektorübergreifende Regulierungsdynamiken kurz beschrieben, die das Produktmanagement bereits jetzt oder in naher Zukunft betreffen. Die hier getroffene Auswahl erfolgte hinsichtlich von sich aktuell abzeichnenden Dynamiken, die eine breite Palette von Produkten betreffen und öffentlich diskutiert werden. Die Auswahl wird zukünftig sicherlich ergänzt werden müssen. Die erfassten Themen werden hinsichtlich ihrer voraussichtlichen Auswirkungen auf Produkte untersucht. Auswahl der hier untersuchten sektorübergreifenden Themen der Regulierung: 1. Biologische Vielfalt 2. Gesundheit 3. Klima und Energie 4. Konfliktrohstoffe 5. Menschenrechte 6. Nachhaltige Finanzen 7. Regionalität 8. Ressourcenschonung 9. Transparenz Biologische Vielfalt Die internationale Biodiversitätskonvention enthält Vorgaben zur Übernahme von Kosten durch die Nutzer von Organismen wie Pflanzen und Tieren aus anderen Regionen: Das „Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing“, das im Rahmen der Konvention erarbeitet wurde, sieht Ausgleichszahlungen an biodiverse Regionen vor, die anderen Zugang zu ihren Ressourcen gewähren. Dies betrifft laut der Konvention auch Unternehmen, die vor Ort in Regionen mit hoher Vielfalt aktiv sind, dort Organismen entnehmen bzw. von deren Ressourcen profitieren. Die aktuellen internationalen Aktivitäten im Rahmen der Konvention betreffen den Kapazitätsaufbau, um das Ausgleichssystem zwischen Ländern, Regionen und Unternehmen umsetzen zu können. Zudem werden Transparenzanforderungen an Unternehmen formuliert und diskutiert, um nach und nach die Grundlagen dafür zu schaffen, dass Kosten transparent gemacht und in Zukunft systematisch übernommen werden können (Vgl. UNEP CBD 2011; vgl. CBD 2020).
6.2 Impulse durch Regulierung
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Gesundheit Im Bereich Gesundheit gibt es vielfältige Vorgaben, die Unternehmen erfüllen müssen; Smartphones müssen z. B. unter einer bestimmten Strahlungsintensität beim Telefonieren bleiben, alkoholische Getränke dürfen an Jugendliche erst ab einem bestimmten Alter verkauft werden und Inhaltsstoffe von Lebensmitteln sind zu deklarieren. Zu den rechtlich geregelten und für alle Unternehmen verbindlichen Vorgaben kommen in einigen Sektoren freiwillige Vereinbarungen zwischen Unternehmen und staatlichen Organen, die Unternehmen aus anderen Gründen umsetzen. Der „Nutri-Score“, der die gesundheitlichen Auswirkungen verarbeiteter Lebensmittel anzeigt, ist derzeit ein freiwilliges Informationsinstrument auf in Deutschland produzierten Lebensmitteln. Er wird auch in anderen EU-Ländern angewendet; ob er in Zukunft auf allen in der EU produzierten Lebensmitteln angegeben werden muss, ist derzeit offen. Klima und Energie Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die internationale Staatengemeinschaft verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu senken. Die Klimaschutzziele der EU sowie Deutschlands sehen eine Reduktion der Klimaemissionen bis zum Jahr 2050 um 80 % bis 95 % gegenüber dem Basisjahr 1990 bzw. Klimaneutralität vor (vgl. Umweltbundesamt 2019b; European Commission 2020a, S. 4; Bundesgesetzblatt 2019 Teil I, S. 2513). Eine Verpflichtung, ihre Klimaemissionen zu erfassen, besteht bisher in Europa nur für Unternehmen der Energiewirtschaft, der „energieintensiven“ Industrie sowie des innereuropäischen Luftverkehrs. Diese Unternehmen sind Teil des europäischen Emissionshandelssystems und müssen ab einer bestimmten Menge an Emissionen Zertifikate für ihre Emissionen kaufen, können diese aber unter den am Emissionshandel teilnehmenden Unternehmen frei handeln. Alle anderen Unternehmen und Produkte sind insofern von Klimaschutzpflichten betroffen, als dass die Vorgaben der EU, Deutschlands und der Bundesländer Emissionsreduktionen vorsehen, zu denen sie beitragen sollen: Das deutsche Klimaschutzgesetz (KSG) aus 2019 sieht Emissionsreduktionen für verschiedene Sektoren, z. B. für Industrie und Landwirtschaft, vor, sodass pro Jahr eine bestimmte Emissionsmenge von den Unternehmen nicht überschritten werden darf (vgl. Bundesgesetzblatt 2019 Teil I, S. 2520). Wie diese Mengen aber konkret auf die einzelnen Unternehmen und ihre Produkte aufgeteilt werden, ist derzeit noch Inhalt politischer Verhandlungen. Bei Produkten ist die Kennzeichnung ihres Energieverbrauchs nur für ausgewählte Produktgruppen gesetzlich vorgeschrieben. Das „EU-Energielabel“
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bzw. die „EU-Energieverbrauchskennzeichnung“ muss auf Produkten wie Kühlund Gefriergeräten, Bildschirmen, Heizgeräten etc. angebracht sein und zeigt auf einer Farbskala und mit der Bezeichnung A bis G an, wie energieeffizient ein Produkt während seiner Nutzung ist. (Die aktuell noch verwendeten Kennzeichnungen A + + + bis A + werden aus Gründen der Übersichtlichkeit ab 2021 schrittweise abgeschafft.) Die anderen Wertschöpfungsstufen des Produkts spielen hier keine Rolle. Erreicht ein Produkt die schlechteste Klasse nicht, darf es in der EU nicht mehr als Neugerät verkauft werden. Der Absatz von energiesparenden Elektrogeräten wird somit durch klare Kennzeichnung gefördert. Im Ergebnis sinkt deren Energieverbrauch in Privathaushalten (vgl. Umweltbundesamt 2019a)1. Für Produktgruppen, die von der Kennzeichnung (noch) nicht erfasst sind, gibt es keine verpflichtende Kennzeichnung. Weitere teils weit verbreitete Labels, wie zum Beispiel der „Energy Star“ auf Bürogeräten, können von Unternehmen freiwillig verwendet werden. Klima- und Energieeffizienz von Smartphones
Bei Smartphones fallen, nicht zuletzt wegen ihrer kurzen durchschnittlichen Nutzungsdauer von unter zwei Jahren, ca. 80 % der Klimaemissionen in der Herstellungsphase an, nur ca. 16 % entstehen durch die während der Nutzung aufgewendete Energie (vgl. Greenpeace 2017, S. 6). Für die Klimaemissionen in der Herstellungsphase sind die Herstellerunternehmen verantwortlich; diese schneiden hinsichtlich Energieeffizienz und Nutzung erneuerbarer Energiequellen sehr unterschiedlich ab (vgl. ebenda S. 10–13). Eine Kennzeichnung mit dem EU-Energielabel ist bisher nicht vorgegeben. ◄ Konfliktrohstoffe Werden Rohstoffe illegal abgebaut oder steht ihr Abbau in Verbindung mit bewaffneten oder politischen Konflikten, so gelten sie als sogenannte Konfliktrohstoffe. Bei Abbau, Veredelung oder Transport der Rohstoffe können Zahlungen an bewaffnete Gruppen oder Kriminelle fließen. Sie sind häufig eine Einkommensquelle für bewaffnete Konfliktparteien – und ermöglichen damit in instabilen Ländern und Regionen die Fortsetzung von Anwendung von (Waffen-)Gewalt und von Menschenrechtsverletzungen.
1Der absolute Energieverbrauch in Privathaushalten sinkt jedoch nicht, weil z. B. die Wohnfläche pro Kopf wächst (vgl. Umweltbundesamt 2019a).
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Ab dem 1. Januar 2021 müssen Unternehmen, die eine gewisse Menge der Rohstoffe Zinn, Wolfram, Tantal oder Gold in die EU einführen, sicherstellen, dass sie „verantwortungsvolle internationale Beschaffungsstandards einhalten, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) festgelegt wurden“ (EU-Kommission 2018). Im Ergebnis sollen damit bewaffneten und kriminellen Gruppen die Einkünfte aus dem Verkauf von Konfliktmineralien entzogen werden. „,Erfüllung der Sorgfaltspflicht‘ bedeutet, mit angemessener Sorgfalt zu handeln und sich vor einer Entscheidung sachkundig zu machen. Anders ausgedrückt handelt es sich um einen laufenden proaktiven Prozess, mit dem Unternehmen Systeme und Verfahren einführen, um sicherzustellen, dass sie Risiken in ihrer Lieferkette feststellen, darauf reagieren und diese melden können“ (EU-Kommission 2018). Ziel ist, dass die Unternehmen mit ihrem Rohstoffeinkauf Konflikte oder andere illegale Aktivitäten nicht unterstützen, um damit die Lebensbedingungen der Bergarbeiterinnen und ihrer lokalen Gemeinschaften zu verbessern. Die Verordnung richtet sich nur an die importierenden Unternehmen, nicht an die Unternehmen, die die Mineralien anschließend weiterverarbeiten. Zudem sehen die EU-Verordnung und der Entwurf des entsprechenden deutschen Durchführungsgesetzes lediglich eine Berichtspflicht über die Sorgfaltsprüfung vor. Die Detailregelungen werden von Industrie und Menschenrechtsorganisationen mit je unterschiedlicher Stoßrichtung kritisiert (vgl. BMWI 2019). Börsennotierte US-Unternehmen sind bereits seit 2014 (gemäß dem Dodd-Frank Act) zu Auskunft über die Herkunft des Wolframs, Zinns, Coltans und Golds verpflichtet, das in ihren Produkten enthalten ist. Diese Konfliktrohstoffe könnten aus der DR Kongo oder ihren Nachbarländern stammen und somit konfliktrelevant sein. Die US-Unternehmen müssen nachweisen, dass ihr Erlös dort nicht zur Finanzierung bewaffneter Gruppen beigetragen hat. Viele Unternehmen schließen sich in Initiativen zusammen, da sie gemeinsame Wertschöpfungsketten haben und es somit effizienter für sie ist, das Thema Konfliktrohstoffe gemeinsam zu bearbeiten. Eine Studie aus 2013 listet bereits 14 verschiedene internationale Initiativen zu Konfliktrohstoffen auf (Manhart und Schleicher 2013). Die “Responsible Minerals Initiative (RMI)” hat nach eigenen Angaben aktuell mehr als 380 Mitgliedsunternehmen2: Sie stellt Unternehmen Tools bereit, mit denen sie die Vorgaben aus den genannten
2Vgl.
https://www.responsiblemineralsinitiative.org/. Zugegriffen: 10.05.2020.
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Gesetzen erfüllen können; die RMI kann im Auftrag von Unternehmen Audits bei den Rohstofflieferanten organisieren; das Vorgehen vieler zu Transparenz verpflichteter Unternehmen ist somit ähnlich (vgl. Evermann 2018). Fairphone als Transparenz-Vorreiter
Auch das Unternehmen Fairphone ist Mitglied in verschiedenen Initiativen, auch der RMI. Fairphone geht jedoch einen Schritt weiter und „ist bisher der einzige IT-Hersteller, der Informationen über seine Minen auf der „Responsible Mining Map“-Website der Initiative Responsible Mining Assurance (IRMA) hochlädt.“ [….] „Fairphone will bewusst nicht nur bis zu den Schmelzen und Raffinerien gehen, sondern sucht bewusst die direkte Zusammenarbeit mit den Minen. Fairphone kontaktiert aktiv Minen-Initiativen und versucht, diese in ihre Lieferkette einzubinden“ (Evermann 2018, S. 35).
◄
Menschenrechte Menschenrechte sind in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 (Vereinte Nationen 1948) definiert und in vielfältiger Weise in andere Rechtsdokumente eingeflossen. Auf Ebene der Vereinten Nationen wird seit den 1990er Jahren die steigende globale Aktivität von transnationalen Unternehmen mit Auswirkungen auf Menschenrechte beobachtet; Staaten, Zivilgesellschaft und Unternehmen diskutieren den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen (vgl. Human Rights Council 2011, S. 3). Es reicht nicht aus, Menschenrechte formal zu respektieren, sondern es ist darüber hinaus notwendig, ihren aktiven Schutz und zudem Abhilfe und Ausgleich für von Menschenrechtsverletzungen Betroffene umzusetzen. Die Prinzipien „Protect“, „Respect“ und „Remedy“ wurden 2011 in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ausformuliert. Staaten sind darin aufgefordert, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Wirtschaft in die Pflicht nehmen. Unternehmen sollen demnach durch ihr Management auch menschenrechtliche Risiken abbilden – je nach ihren Möglichkeiten (vgl. Human Rights Council 2011). Die Leitprinzipien fußen auf der Idee von Menschenrechten als Basis für ein selbstbestimmtes Leben, in dem Fähigkeiten entwickelt werden können und Gestaltung möglich ist (vgl. Nussbaum 1998, S. 200–203). Die Einhaltung von Menschenrechten bedeutet, wie schon in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung formuliert, weit mehr als das einfache Überleben sondern erfordert eine von allen ihren Mitgliedern gestaltbare Gesellschaft (vgl. Artikel 28 und 29, Vereinte Nationen 1948).
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Die Rolle von Unternehmen wird in diesem Zusammenhang unterschiedlich diskutiert. Beispielsweise kritisieren Entwicklungsorganisationen, dass in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit den Unternehmen und ihren Verbänden derzeit sehr viel Einfluss zugebilligt werde, um sie stärker in den Menschenrechtsschutz einzubeziehen. Bezüglich Landwirtschaft und Lebensmitteln wird kritisiert, dass eine „Finanzialisierung“ der Entwicklungszusammenarbeit entstehe, die Landwirtschaftsformen fördere, die größeren Unternehmen, weniger aber den Regionen mit knappen Nahrungsmitteln zugutekomme; dabei würde eine inputintensive Landwirtschaft statt regional bestimmbarer, kreislauffähiger Ansätze unterstützt (vgl. FIAN Deutschland e. V. und INKOTA-netzwerk e.V 2019). Europaweit zeigt sich eine deutliche Regulierungstendenz. In Großbritannien wurden die UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte 2015 in Form des „Modern Slavery Act“ umgesetzt. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, die einen bestimmten Umsatz erzielen und die auf britischem Territorium arbeiten, in einer öffentlichen Erklärung darzulegen, was sie gegen Sklaverei, Menschenhandel und Zwangsarbeit in ihren Lieferketten tun (vgl. Elizabeth II 2015). Weitere Länder folgten (vgl. Simpson 2020, S. 5). In Deutschland hat die Bundesregierung 2016 den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) aufgestellt; dieser soll Unternehmen aktivieren, ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten (vgl. Abschn. 8.2) nachzukommen. Aktionsplan bedeutet, dass auf Freiwilligkeit gesetzt wird. Die Bundesregierung ermittelt lediglich, ob die Unternehmen ihre entsprechenden Aktivitäten im Feld Menschenrechte offenlegen. Es besteht die „Zielvorgabe, dass bis 2020 mindestens die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Beschäftigten nachweislich die Kernelemente menschenrechtlicher Sorgfalt angemessen in ihre Unternehmensprozesse integriert hat“ (Auswärtiges Amt 2020). Zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern im Zusammenschluss „Initiative Lieferkettengesetz“ dagegen eine wirksame rechtliche Regelung, damit Unternehmen für „skrupellose Geschäftspraktiken“ (Initiative Lieferkettengesetz o. J.) haften sollen. Auch Unternehmen unterstützen mittlerweile rechtliche Regelungen, da sie sich mehr Rechtssicherheit wünschen, z. B. bei Haftungsfragen bezogen auf Menschenrechte. Einen Entwurf für ein deutsches „Nachhaltige Wertschöpfungskettengesetz“ gibt es bereits. Darin wird gefordert, dass Großunternehmen mit Lieferketten in Gebieten, in denen Menschenrechtsverletzungen vorkommen, diese Lieferketten hinsichtlich potenzieller Menschenrechtsverletzungen regelmäßig analysieren, dabei systematisch vorgehen und offenlegen, wo sie Risiken sehen
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und wie sie sie bearbeiten; zudem sollen die Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre Rechte einzufordern. (Vgl. Simpson 2020, S. 6) Die deutsche gesetzliche Regelung ist also derzeit noch in der Diskussion, aber da andere europäische Länder hier vorangegangen sind und die Zivilgesellschaft Druck ausübt, kann mit einer gesetzlichen Regelung in absehbarer Zeit gerechnet werden; und nicht zuletzt dann, wenn die Auswertung des NAP unzureichende Aktivitäten bei deutschen Unternehmen ergeben sollte, gerät die Politik in die Pflicht. Nachhaltige Finanzen Um die Nachhaltigkeitspläne umzusetzen, die sich aus den SDGs und den globalen Klimaschutzzielen ergeben, wird aktuell zu wenig Kapital zur Verfügung gestellt. Für Europa hat die EU-Kommission aus diesem Grund 2018 einen „Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ aufgestellt. „Der Aktionsplan zielt insbesondere darauf ab, 1. die Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umzulenken, um ein nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen; 2. finanzielle Risiken, die sich aus dem Klimawandel, der Ressourcenknappheit, der Umweltzerstörung und sozialen Problemen ergeben, zu bewältigen; 3. Transparenz und Langfristigkeit in der Finanz- und Wirtschaftstätigkeit zu fördern.“ (Europäische Kommission 2018, S. 2–3) Im Vordergrund steht hier, ein „einheitliches Klassifikationssystem bzw. eine einheitliche Taxonomie innerhalb der EU“ zu schaffen, die klärt, „welche Tätigkeiten als ‚nachhaltig‘ angesehen werden können. Dies ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt die wichtigste und dringlichste Maßnahme dieses Aktionsplans.“ (Europäische Kommission 2018, S. 6). Eine solche Klassifizierung speziell für Finanzprodukte zu schaffen wird als wichtig erachtet, damit Klein- und Großanlegerinnen Investitionsströme nach Nachhaltigkeitsaspekten lenken können. Die Taxonomie wird sich voraussichtlich auf viele Bereiche auswirken, u. a. auch auf die unten dargestellte Transparenzpflicht bezüglich der Offenlegung von CSR-Themen. Als erster Themenkomplex steht bei der Erarbeitung der Taxonomie das Thema Klima auf der Agenda, erstens, da es in diesem Feld großen Handlungsdruck gibt, und zweitens, da hier Messgrößen und Berichterstattungsvorgehensweisen bereits recht stark vereinheitlicht sind. Ziel der EU-Kommission ist es, schrittweise eine umfassende Nachhaltigkeitsdefinition zu entwickeln, nach der die EU-Finanzierung auszurichten ist.
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Regionalität Der Begriff der Regionalität ist nicht geschützt und gesetzlich nicht definiert. In der EU gibt es Label für Produkte, deren Herkunft klar ist: „geschützte Ursprungsbezeichnung (g. U.)“, „geschützte geografische Angabe (g. g. A.)“ und „garantiert traditionelle Spezialität (g. t. S.)“ mit einem je eigenen Bildsymbol zeigen Regionalitätskriterien für landwirtschaftliche Erzeugnisse, Lebensmittel und Weine an (vgl. EU-Kommission o. J.). In Deutschland gibt es für regionale Produkte die Möglichkeit, sie einem „Regionalfenster“ zuzuordnen; dann muss die genannte Region kleiner als Deutschland und klar abgrenzbar sein; zudem müssen mehr als 50 % der Bestandteile aus der Region stammen (vgl. Regionalfenster Service GmbH o. J.). Das „Regionalfenster“ wird deutschlandweit von einem Verein kontrolliert; es hat keine gesetzliche Basis. Das Deutsche Reinheitsgebot für Bier
Das Deutsche Reinheitsgebot für Bier ist eine gesetzlich verankerte Regelung, die die Zutaten von Bier regelt. Zuwiderhandlungen sind Ordnungswidrigkeiten (vgl. Bundesgesetzblatt 1993 Teil I Seite 1401). Es darf Bier nach Deutschland importiert werden, das dem Reinheitsgebot nicht entspricht. ◄ Ressourcenschonung Die aktuelle EU-Strategie mit der Überschrift „Circular Economy“ betrifft alle Wertschöpfungsstufen von Produkten. Das Konzept der Circular Economy sieht den Übergang vom linearen Modell des Rohstoffabbaus für die Produktion und der Entsorgung eines Produkts am End of Life als Abfall hin zu einem Kreislaufmodell vor: „A circular economy is an approach that entails gradually decoupling economic activity from the consumption of finite resources, and designing waste out of the system“ (Ellen MacArthur Foundation 2018, S. 4). 2050 soll das Jahr sein, in dem in der EU nicht nur Klimaneutralität, sondern auch die Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch umgesetzt sein soll. Alle Produktionsprozesse sollen dann dem Kreislaufprinzip entsprechen. In als zentral benannten Produktwertschöpfungsketten ist die Konkretisierung und Ausweitung von EU-Vorgaben vorgesehen; dazu gehören die Elektronik und die Informations- und Kommunikationstechnik, Batterien und Fahrzeuge, Verpackungen, Kunststoffe, Textilien, Bauen und Gebäude sowie Lebensmittel, Wasser und Nährstoffe (vgl. European Commission 2020a). Im
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Folgenden werden Beispielziele für die Bereiche Elektronik, Nahrungsmittel und Kunststoff skizziert. Für Elektronikprodukte sollen die folgenden Grundprinzipien des Öko-Designs nach EU-Definition mittels Detailvorschriften umgesetzt werden: 1. Energieeffizienz 2. Haltbarkeit 3. Reparierbarkeit 4. Upgrade-Fähigkeit 5. Instandhaltung 6. Wiederverwendung 7. Recycling Ein „Recht auf Reparatur“ soll implementiert werden; inklusive des Rechts auf Aktualisierung abgelaufener Software. Ladegeräte sollen vereinheitlicht und ein EU-weites Sammelsystem für Altgeräte aufgebaut werden (vgl. European Commission 2020a, S. 10). Für Nahrungsmittel sind Initiativen u. a. zur Verringerung von Nahrungsmittelabfällen und für den Einsatz von wiederverwendbaren Lebensmittelverpackungen für Lieferdienste vorgesehen (vgl. European Commission 2020a, S. 15). Die Kunststoffstrategie der EU geht weniger von einer Senkung des absoluten Kunststoffeinsatzes aus, als vielmehr ebenfalls von der Schließung von Rohstoffkreisläufen und stellt stark auf die Leistungsfähigkeit der Recyclingindustrie ab (vgl. European Commission 2018). Beispiel Elektro- und Elektronikprodukte
Seit 2012 gilt die Richtlinie zu „Waste of Electrical and Electronic Equipment“ (WEEE) bzw. Elektro- und Elektronikgeräte-Abfall. Danach müssen die EU-Staaten bis 2019 65 % der Geräte an ihrem End of Life sammeln. In Deutschland wurde die Richtlinie ins ElektroG (Elektro- und Elektronikgerätegesetz) umgesetzt, und so sind Händler und lokale Wertstoffhöfe verpflichtet, gebrauchte Smartphones kostenlos zurückzunehmen, um sie dem Recycling zuzuführen (vgl. Stiftung ear 2020). Nichtregierungsorganisationen erheben die Forderung, das Gesetz zu verändern, damit weniger Ressourcen auf dem Müll landen: Recyclierbare Produktteile sollten gekennzeichnet werden. Hersteller sollten mit finanziellen Anreizen für die Nutzung von Recyclaten belohnt und mit je nach
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Wiederverwertbarkeit gestaffelten Entsorgungsentgelten belegt werden. (Vgl. Runder Tisch Reparatur 2020) ◄ Da die Vorgaben stetig weiterentwickelt, für immer mehr Produkte diskutiert und strengere Vorgaben vorbereitet werden, sind viele Unternehmen aktiv: Sie bereiten sich vor bzw. arbeiten innerhalb ihrer Verbände an Modellprojekten und Studien mit, um machbare und gleichzeitig innovative Lösungen zu ermöglichen. Transparenz Seit 2017 sind bestimmte große Unternehmen verpflichtet, nicht finanzielle CSR-Themen und -Risiken für ihr Unternehmen und ihre Lieferketten offenzulegen. Zu dieser Transparenz verpflichtet sind insbesondere große Unternehmen ab 500 Mitarbeiterinnen, die kapitalmarktorientiert bzw. als besonders „von öffentlichem Interesse“ definiert werden, z. B. Banken und Versicherungen. Die Vorgabe wird häufig als „CSR-Berichtspflicht“ tituliert und ist eine der wenigen gesetzlichen Vorgaben, die sektorübergreifend Nachhaltigkeitsthemen betrifft. Die Umsetzung der EU-Richtlinie (EU) in deutsches Recht ist 2017 erfolgt (vgl. Bundesgesetzblatt 2017 Teil 1 S. 801–814). Die Vorgabe sieht Transparenz seitens der Unternehmen über die eigenen Konzepte, Ergebnisse und Risiken bezüglich fünf Themen vor: 1. Umweltbelange 2. Sozial- und Arbeitnehmerbelange 3. Achtung der Menschenrechte 4. Bekämpfung von Korruption und Bestechung 5. Diversität im Zusammenhang mit den Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorganen Auch bezogen auf die Produkte und Dienstleistungen sieht das Gesetz die Offenlegung von Risiken vor (vgl. Bundesgesetzblatt 2017 Teil 1, S. 804). Gemäß der „Comply or Explain“-Idee kann sich jedes Unternehmen entscheiden, ob es seine Aktivitäten und Leistungen sowie die wahrgenommenen Risiken im Lagebericht oder in einem anderen Medium veröffentlicht – oder ob es öffentlich erklärt, warum ein Thema nicht relevant sei und daher nicht transparent gemacht werde. Die Vorgaben erscheinen auf den ersten Blick recht weich, jedoch entfaltet das Regelwerk nicht nur bei den zu Transparenz verpflichteten Unternehmen, sondern auch bei ihren Lieferanten und teils Vor-Lieferanten Dynamiken. „So sprechen viele Unternehmen nicht mehr von ‚Non Financials‘, sondern von ‚Pre Financials‘.[…] Finanzvorstände erkennen, dass die Themen wichtig sind. Sie
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lassen sich auch monetarisieren, aber nicht kurzfristig, sondern zum Teil mittelund langfristig“ (Umweltdialog 2017). Insbesondere die zur Verpflichtung gehörende Risikoabschätzung ist für viele Unternehmen eine Herausforderung. Die Europäische Kommission arbeitet an der Weiterentwicklung der Transparenzanforderungen. Mit dem Ziel, die Inhalte insbesondere für Investoren noch relevanter zu machen und die Reichweite und Bedeutung der Themen auszuweiten, wird mittels Konsultationen aller interessierten Gruppen und der Öffentlichkeit die Weiterentwicklung vorbereitet (vgl. z. B. European Commission 2020b). In den dargestellten sektorübergreifenden Themen sind unterschiedliche Stufen von Verbindlichkeit der vorbereiteten bzw. bereits für Unternehmen geltenden Regelungen zu erkennen. Deren jeweilige Relevanz wird in Tab. 6.1 skizziert.
Tab. 6.1 Relevanzeinschätzung aktueller Themen der Regulierung Sektorübergreifendes Thema
Relevanz
Biologische Vielfalt
Ausgleichszahlungen an Regionen, deren Arten von Unternehmen genutzt werden, in Zukunft erwartbar
Gesundheit
Bestehende hohe Regelungsdichte; freiwilliger „NutriScore“ für verarbeitete Lebensmittel
Klima und Energie
Bestehender Emissionshandel und verpflichtende Energieverbrauchskennzeichnung; Pflichten zu Emissionsreduktionen für Unternehmen/Produkte in naher Zukunft erwartbar
Konfliktrohstoffe
Ab 2021 verpflichtende Sorgfaltsprüfung für Unternehmen, die Konfliktrohstoffe in die EU einführen
Menschenrechte
Bestehende Sorgfaltspflicht für große Unternehmen; Lieferkettengesetz erwartbar
Nachhaltige Finanzen
Taxonomie für Finanzprodukte gemäß Klimaemissionen in Erarbeitung; Taxonomie für weitere Nachhaltigkeitsthemen erwartbar
Regionalität
Freiwillige Kennzeichnungen für Produkte
Ressourcenschonung
Regulierung mit dem Ziel einer „Circular Economy“ teils in Kraft und für viele Produkte in Vorbereitung
Transparenz
Bestehende Offenlegungspflicht für nicht-finanzielle CSR-Themen für Unternehmen „von öffentlichem Interesse“; Weiterentwicklung bzw. Ausweitung erwartbar
Eigene Darstellung; Relevanzeinschätzung der Autorin
6.3 Impulse aus Risiken
235
Das Produktmanagement kann freiwillig Nachhaltigkeitskriterien integrieren, die noch nicht verpflichtend sind. Welche Motivationen es darüber hinaus in Bereichen gibt, die noch nicht reguliert sind, wird nun dargelegt.
6.3 Impulse aus Risiken Unternehmensrisiken können definiert werden als Möglichkeit, dass Tatsachen eintreten, die das Erreichen von strategischen und operativen Zielen beeinflussen. Dies kann sich negativ oder positiv auf ein Unternehmen auswirken (vgl. COSO und WBCSD 2018, S. 1). Nicht finanzielle Risiken werden häufig als ESG-bezogene Risiken beschrieben, wobei sich E auf Environment (Umwelt), S auf Social (Gesellschaft) und G auf Governance (Unternehmenskoordination und -steuerung) bezieht. In den letzten 10 Jahren hat sich die Verbreitung von E SG-Risiken stark beschleunigt. Was früher ein seltenes Ereignis, ein sogenannter „Schwarzer Schwan“ war, triff nun häufiger auf und kann sich schneller und mit stärkeren Folgen zeigen. Die steigende Relevanz von ESGRisiken wird darauf zurückgeführt, dass sie 1. häufiger direkt mit dem Kerngeschäft oder mit Produkten in Verbindung stehen 2. potenziell dem Unternehmen einen bedeutsamen Schaden zufügen können, sei es dem Unternehmenswert, seiner Reputation oder seiner Funktionsfähigkeit 3. durch dauerhaftes Medieninteresse, gut organisierte Stakeholder und begleitende öffentliche Debatten verstärkt werden, was potenziell jede Veränderung in der risikobehafteten Unternehmenspraxis zu einer Risikoverstärkung oder zu einer größeren Chance werden lässt (vgl. COSO und WBCSD 2018, S. 2). Gleichzeitig werden ESG-Risiken nicht hinreichend mit den finanzbezogenen Risiken in Unternehmen abgeglichen. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass in Nachhaltigkeitsberichten und in der allgemeinen Risikokommunikation unterschiedliche Risikothemen bearbeitet werden. Hier zeigt sich, dass ESG-Risiken nicht nur schwieriger monetär zu bewerten sind, sondern dass insbesondere ihre teils erst langfristige Eintrittswahrscheinlichkeit sowie ihre teils schwer zu beziffernden potenziellen Schadwirkungen die Bearbeitung in Unternehmen erschwert. Es bleibt für die meisten Unternehmen eine Herausforderung, eine
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6 Was motiviert Unternehmen zu nachhaltigem Produktmanagement?
Prioritätensetzung für ESG-Risiken vorzunehmen und für ihre Bearbeitung Ressourcen bereitzustellen (vgl. COSO und WBCSD 2018, S. 3). Hinsichtlich einiger Produktgruppen ist bereits erkennbar, dass z. B. Konflikte, Bodenverschlechterung und der Klimawandel mehr und mehr zu auch monetär bewertbaren Risiken werden. Für viele Unternehmen bestehen Risiken bezogen auf Rohstoffe, die aus umkämpften Regionen, degradierten Ökosystemen oder Wetterextremen ausgesetzten Gebieten stammen. Prekäre Lebensverhältnisse z. B. im Kakaoanbau führen dazu, dass die Qualität dieses landwirtschaftlichen Rohstoffs sinkt und somit die Lieferfähigkeit in angemessener Qualität nicht mehr garantiert ist. Das Engagement großer Lebensmittelkonzerne für die Lebensbedingungen von bäuerlichen Familien in Kakaoanbau-Ländern, das sich in Produkt-Labeln wie Rainforest Alliance und utz certified ausdrückt, ist ein Nachweis dafür, dass einige ESG-Risiken ähnlich wie finanzielle Risiken aktiv bearbeitet werden. So ist es nicht verwunderlich, dass Anbieter von Marktanalysen und Ratingagenturen mehr und mehr ESG-Risiken einbeziehen und somit auch die Fähigkeit der Unternehmen im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken bewerten. Ratings, die ein wichtiges Element in Finanzmärkten darstellen, sollen Anlegern die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen ermöglichen; wie weit die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsfaktoren in Ratings bereits erfolgt, wird unterschiedlich eingeschätzt (vgl. Europäische Kommission 2018, S. 10). Es handelt sich hier um ein aktuell sehr dynamisches Feld. Im Folgenden werden Impulse für das Produktmanagement skizziert. Diese betreffen vier verschiedene Ansätze zum Umgang mit Risiken: 1. Risiken für die eigenen Produkte frühzeitig wahrnehmen 2. Auf Regulierung vorbereiten, um Compliance-Risiken zu vermeiden 3. Risiken der Nicht-Mitgestaltung von Regulierung vermeiden 4. Reputationsrisiken vorbeugen. Risiken für die eigenen Produkte frühzeitig wahrnehmen Die Handlungsfelder für nachhaltigere Produkte (vgl. Abschn. 5.4) deuten auf eine große Bandbreite an möglichen Risikothemen für jedes Produkst hin. Um Risiken für die eigenen Produkte frühzeitig wahrzunehmen, sind sektorspezifische Initiativen und wissenschaftliche Forschungsergebnisse wichtige Hinweisgeber; aber auch Impulse aus der Gesellschaft müssen berücksichtigt werden. Als Beispiel seien hier Risiken aus Aktivitäten zum Klimaschutz genannt. Eine Erhebung bei Unternehmen, die ihre Klima-Governance und -Emissionen bereits
6.3 Impulse aus Risiken
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auf der Plattform des CDP3 teilen, ergab, dass knapp die Hälfte von ihnen bereits klimabezogene Risiken und Chancen mit Wirkung auf ihre Unternehmensstrategie identifiziert hatten (vgl. CDP 2019, S. 9). Diese sollten hinsichtlich besonders klimarelevanter Produkte analysiert werden. Insbesondere eine späte Reaktion auf Risiken in der Lieferkette kann ein Risiko für Unternehmen darstellen, z. B. wenn Handelswege durch die Folgen des Klimawandels oder durch regionale Konflikte um Land oder Wasser abgeschnitten werden oder, wie während der Corona-Krise, wenn in Krisenzeiten Handelspraxen durch politische Vorgaben eingeschränkt werden. Auf Regulierung vorbereiten, um Compliance-Risiken zu vermeiden Die oben genannten aktuellen Regulierungsansätze haben die Bandbreite der Themen verdeutlicht, die auf die meisten Unternehmen zukommen. Daher steigt die Notwendigkeit, Regulierungsrisiken zu erkennen und vorausschauend zu bearbeiten (vgl. UNGC 2010, S. 14). Es gehört damit zu den Aufgaben des Produktmanagements, Regulierungsvorbereitungen zu verfolgen, um auch produktspezifisch frühzeitig zusätzliche Anforderungen erfüllen zu können. Zudem könnten sich aus neuen Transparenzanforderungen auch neue Produktideen ergeben, wenn z. B. eine stärkere Kooperation mit Lieferanten oder Kunden erfolgt (vgl. Abschn. 9.3). Risiken der Nicht-Mitgestaltung von Regulierung vermeiden Es bestehen zudem Risiken der Nicht-Mitgestaltung von Regulierung und Vorteile, sich früh in die Erarbeitung von neuen Gesetzen und Vorgaben einzubringen (vgl. UNGC 2010). Regulierung ist auf Fach-Input angewiesen und es gehört zum Tagesgeschäft von großen Unternehmen und von Verbänden, ihre Interessen und ihre Sachkenntnisse in Regulierungsprozesse durch Konsultation und Lobbyarbeit einzubringen. Dies muss nicht bremsend bezogen auf stärkere Nachhaltigkeitsvorgaben sein. Unternehmen mit Innovationsvorsprung können der Politik verdeutlichen, dass ambitionierte Regulierungsvorgaben praktisch umsetzbar sind.
3Das
„CDP“, ursprünglich: „Carbon Disclosure Project“ ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, Investoren und Städten, dessen Ziel es ist, die eigenen Umweltauswirkungen zu erfassen und zu messen, um damit zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beizutragen (vgl. CDP o. J.).
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6 Was motiviert Unternehmen zu nachhaltigem Produktmanagement?
Lobbying eines Unternehmens für striktere Recyclingvorgaben
Der Teppichbodenhersteller Interface berichtet, einen Fachverband der Teppichindustrie verlassen zu haben, weil dieser gegen ambitionierte Recyclingquoten für gebrauchte Bodenbeläge anging. Interface hat sich, nach eigenen Angaben, gemeinsam mit anderen Interessengruppen aktiv für stärkere Recyclingvorgaben eingesetzt (vgl. Interface® o. J., S. 19). Interface arbeitet seit Jahren daran, die Kreislaufführung der eigenen Rohstoffe zu verwirklichen. ◄ Reputationsrisiken vorbeugen In diesem Kontext wird deutlich, dass Reputationsrisiken bestehen, wenn Unternehmen als Bremser von Nachhaltigkeit gelten oder sie mit Risiken nicht sorgfältig umgehen. Mehr und mehr nehmen (potenzielle) Investoren Nachhaltigkeitsthemen zusätzlich in ihre Bewertungskriterien auf und werden Ratings um Nachhaltigkeitsthemen erweitert. D. h. dass Risiken des Ausschlusses und der schlechteren Bewertung durch proaktives Arbeiten an Nachhaltigkeitsthemen reduziert werden können. Sie können das Unternehmen und seine Produkte in unterschiedlichen Hinsichten attraktiver machen.
6.4 Gestaltungsperspektiven und StakeholderOrientierung Risiken betreffen mögliche Schäden und ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten, dabei geht es um die Vermeidung von und die Reaktion auf definierte Probleme. Gestaltungsperspektiven sind das Gegenteil von Risiken. Gestaltung ermöglicht, eigene Themen zu bearbeiten, und bietet die Chance, weiteren Perspektiven Geltung zu verschaffen. Längst nicht jedes Risiko kann in eine gestaltbare Lösung umgemünzt werden. Und Nachhaltigkeitsperspektiven sind wegen ihrer Komplexität und Langzeitausrichtung nur manchmal der Schlüssel für schnell umsetzbare oder einfache Lösungen. Gestaltungsperspektiven sollen hier als eine Ergänzung der Risikoperspektiven thematisiert werden. Das Produktmanagement kann durch konkrete und greifbare Perspektiven von Unternehmen, Kunden, Markt, Staat und Gesellschaft bereichert werden. Im Feld der Nachhaltigkeit wird der Begriff „Stakeholder“ häufig herangezogen, um die unterschiedlichen Perspektiven zu benennen, die auch für
6.4 Gestaltungsperspektiven und Stakeholder-Orientierung
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Unternehmen und Produkte relevant sind. Neben den Shareholdern und Eigentümern des Unternehmens werden als Stakeholder mögliche Gruppen berücksichtigt, die mehr oder weniger eng mit dem Unternehmen verbunden sind. Die Stakeholder eines Unternehmens Als Stakeholder eines Unternehmens werden alle Individuen oder Gruppen definiert, die einen materiellen oder immateriellen Anspruch („stake“) haben (vgl. Freeman 1984). Der Begriff Stakeholder kann mit Anspruchsgruppen oder Anwaltgruppen übersetzt werden und umfasst Individuen und Organisationen, die freiwillig oder unfreiwillig Einfluss auf ein Unternehmen nehmen und/oder durch Unternehmensaktivitäten beeinflusst werden. Ihr Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens kann positiv oder negativ sein. Stakeholder eines Unternehmens sind die Shareholder, Eigentümerinnen und das Management, die Beschäftigten und Dienstleister, die Kunden und die Anwohnenden an den eigenen Standorten, die Wettbewerber und die zuständigen Behörden, der regulierende Staat, die Lieferanten, die Medien und andere z. B. Nichtregierungsorganisationen, die für das Gemeinwohl, die Umwelt, für gerechte Entwicklung oder Tierwohl eintreten. Es kann in interne und externe Stakeholder unterschieden werden, wobei interne Stakeholder dem Unternehmen angehören. Zudem wird in direkte und indirekte Stakeholder unterschieden, wobei die direkten über vertragliche Marktbeziehungen oder andere direkte Austauschformen am unternehmerischen Wertschöpfungsprozess beteiligt sind (vgl. Beckmann und Schaltegger 2014, S. 334–335).
Stakeholder üben Einfluss auf ein Unternehmen aus oder werden vom Unternehmen beeinflusst. Stakeholder-Ansprüche zu berücksichtigen oder Stakeholder einzubeziehen ermöglicht Unternehmen, Informationen, Wissen und Kritik zu erfahren und ggf. Zustimmung, Austausch und Kooperation einzuholen. Unternehmen werden von kritischen Stakeholdergruppen herausgefordert, z. B. wenn diese Missstände in Unternehmen oder in ihren Lieferketten öffentlich anprangern oder über negative Produktauswirkungen in den Medien berichten. Darüber hinaus sind proaktive Ansätze möglich, wenn Stakeholder eingebunden werden, um ihre Perspektiven berücksichtigen zu können. Dann sind Unternehmen selbst dafür verantwortlich, welche Stakeholder-Ansprüche sie berücksichtigen, wie sie diese erfassen und auch, was sie mit den gewonnenen Erkenntnissen tun. Diese strategische Entscheidungskompetenz liegt immer beim Unternehmen und damit kann es aus eigener Motivation über Abschirmung gegenüber oder Kooperation mit selbst ausgewählten Stakeholdern entscheiden. Zur Risikoerkenntnis ist das Zuhören und Konsultieren von Stakeholdern häufig, ist Kooperation manchmal sinnvoll. Für Produktmanager besteht zudem die Möglichkeit, sich mit Stakeholdern zusammenzuschließen. Es gibt viele Initiativen der Industrie, in denen Unternehmen miteinander und mit anderen Stakeholdern zur Verbesserung der Nachhaltigkeit ihrer Produkte kooperieren.
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6 Was motiviert Unternehmen zu nachhaltigem Produktmanagement?
Als Beispiel seien der „Cocoa Plan“ von Nestlé und die „International Cocoa Initiative“ ein Zusammenschluss der großen Schokoladenhersteller zu erwähnen (vgl. ICI 2020). Auch die deutsche Bundesregierung ist ein Stakeholder von Süßwarenherstellern und vernetzt sich regelmäßig mit ihnen im „Forum Nachhaltiger Kakao“ (vgl. Kakaoforum o. J.). Im Sektor der Informationstechnologie haben sich Unternehmen zur Responsible Minerals Initiative (RMI) zusammengeschlossen; hier sind weitere Stakeholder aus verschiedenen Branchen und verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette Mitglied (vgl. Evermann 2018, S. 10). Einzelne Unternehmen nehmen Gestaltungsimpulse von Nichtregierungsorganisationen systematisch auf, um Produkte zu verbessern. Z. B. gestaltet das Handelsunternehmen EDEKA gemeinsam mit der Naturschutzorganisation WWF Produktlieferketten umweltfreundlicher (vgl. EDEKA o. J.); das Handelsunternehmen REWE kooperiert zur Vergabe des PRO PLANET Labels mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (vgl. REWE Group 2015, S. 12). Die Aufnahme von Stakeholder-Perspektiven kann zur Umgestaltung von Unternehmen und ihrer Produktportfolios führen. Geschäftsmodelle, die sich auf Nachhaltigkeit ausrichten, „supplement a firm-centric view with a multi-stakeholder perspective that integrates social, econonomic and environ mental issues […]. The focus of conventional business models on creating value for customers thus needs to be extended towards value for stakeholders and the natural environment […]. Subsequently, companies are challenged to design value-creating activities […] considering the dynamics and operating conditions of social and ecological systems they operate in […].” (Zufall et al. 2020, S. 3–4) Noch fehlt es an Forschung, welche Formen von nachhaltigeren Geschäftsmodellen wettbewerbsfähiger sind als andere; dies trifft auch auf Geschäftsmodelle bezogen auf Smartphones zu – und das obwohl entlang der Wertschöpfungskette von Smartphones „widespread sustainability issues“ erzeugt werden (vgl. Zufall et al. 2020, S. 4). In einer optimistischen Interpretation bietet die Kooperation mit unterschiedlichen Stakeholdergruppen die Möglichkeit, gemeinsam nicht nur Werte, sondern auch Märkte in Richtung Nachhaltigkeit zu gestalten – und somit Impulse für das eigene Unternehmen und die eigenen Produkte bzw. Innovationen zu schaffen (vgl. UNGC 2010, S. 14; vgl. BMUB 2017, S. 7; vgl. GRI et al. 2015). Darüber hinaus werden freiwillige Initiativen nicht selten in staatlichen Regulierungsvorhaben aufgegriffen oder weiterentwickelt. Auch deswegen sind aus Unternehmenssicht staatliche Akteure der Regulierung wichtige Stakeholder.
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Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette von Produkten?
Zusammenfassung
Dieses Kapitel bearbeitet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette von Produkten. Wertschöpfungskette wird hier als erweiterter Begriff des betriebswirtschaftlichen Produktlebenszyklus (Abschn. 2.2) aufgefasst, der neben ökonomischer auch gesellschaftliche und umweltbezogene Wertschöpfung und Schadschöpfung berücksichtigt. Wertschöpfungsketten werden hier entlang der sechs Stufen Rohstoff-Anbau und -Abbau, Vor-Produktion, Produktion, Handel und Service, Nutzung und End of Life hinsichtlich wichtiger Stellschrauben für Nachhaltigkeit analysiert (Abschn. 7.1). Anschließend werden negative und positive Auswirkungen entlang von Wertschöpfungsketten beispielhaft beschrieben (Abschn. 7.2). Das Kapitel schließt mit der Betrachtung stufenübergreifender Auswirkungen (Abschn. 7.3). Als nachhaltige(re) Produkte werden Produkte definiert, die entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette möglichst geringe negative und möglichst starke positive Auswirkungen erzeugen. Im Folgenden wird die Wertschöpfungskette von Produkten aus Nachhaltigkeitssicht analysiert.
7.1 Bearbeitung von Wertschöpfungsketten auf sechs Stufen In der Perspektive von Nachhaltigkeit wird jedes Produkt entlang seines Lebenszyklus bzw. seiner Wertschöpfungskette betrachtet. Während die Betriebswirtschaft den Produktlebenszyklus von der Produktidee bis zur Elimination aus dem Markt, also aus Unternehmenssicht entlang von Umsatz, Liquidität und Gewinn © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_7
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definiert (vgl. Abschn. 2.2), beschreibt er aus Nachhaltigkeitssicht Produkte stofflich, d. h. er zeichnet den Weg von Produktbestandteilen durch geografische Regionen nach, z. B. vom im Boden lagernden Erzmineral bis zur Schlacke, die vom Produkt nach der Nutzung und der Müllverbrennung übrigbleibt. Auch der Begriff der Wertschöpfungskette kann aus Sicht eines einzelnen Unternehmens definiert werden. Aus Nachhaltigkeitssicht umfasst er die Wertschöpfungsstufen, die ein Produkt und seine Bestandteile stofflich durchlaufen und die umweltbezogenen und sozial-ökonomischen Zusammenhänge, die dabei wirksam und betroffen sind. Der im Folgenden verwendete Begriff der Wertschöpfungskette ist dieser umfassendere Begriff, bezogen auf den oben verwendeten Begriff von Wertschöpfung (vgl. Abschn. 2.2) ist es ein erweiterter Begriff. Unternehmen sind auch für Schadschöpfung verantwortlich (vgl. Abschn. 5.5), also für negative Auswirkungen auf Umwelt und Menschen, die Unternehmen wegen ihres engeren Verständnisses des Produktlebenszyklus und der gegebenen Rahmenbedingungen (vgl. Abschn. 5.5) nicht berücksichtigen müssen. Wertschöpfung in einem weiteren Sinne bezieht ebenfalls monetäre Größen ein, die für Unternehmen und ihre Produkte relevant sind, versteht darunter aber auch z. B. Wertschöpfung in Form des Lohns der Minenarbeiter, die die Erze fördern, egal auf welchem Kontinent sie stattfindet. Wertschöpfung bezieht zudem auch „Nichtwarenförmige, nicht-bezahlte Leistungen sowohl der ökologischen Natur als auch sozial-weiblicher Tätigkeiten im Rahmen der Versorgungsökonomie sowie freiwilliger Tätigkeiten in der sozialen Ökonomie“ (Biesecker 2005, S. 66) mit ein. Solche Leistungen sind indirekt mit ökonomischer Wertschöpfung verbunden, wie z. B. kultureller Austausch oder Versorgungs-Arbeit zeigen. Der Betrachtungswinkel ist damit so breit, dass auch Personen und Gruppen, die nicht unmittelbar mit Produktion und Nutzen verbunden sind, berücksichtigt werden. Anstelle von Wertschöpfungsketten werden teils komplexere „Wertschöpfungsnetze“ (Liedtke et al. 2019, S. 233) erkannt, die aus Nachhaltigkeitssicht Produkte und ihre nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Gleichzeitig wird auch Schadschöpfung so breit betrachtet, dass kaum in Geldwerten erfassbare Veränderungen wie z. B. ein weniger attraktives Wohnumfeld oder das Aussterben einer Amphibienart mitberücksichtigt werden. Eine erweiterte Sicht auf Wertschöpfung ermöglicht in der Umweltdimension, den gesamten Stoffkreislauf zu betrachten; bezogen auf sozialökonomische Themen ist Wertschöpfung ebenfalls global, langfristig und auch aus Sicht nur mittelbar tangierter Personen zu betrachten, wenn die Nachhaltigkeitsauswirkungen von Produkten adäquat erfasst werden sollen. Die hier eingenommene Perspektive ist also breiter als die eines produzierenden Unternehmens, und kann anschaulich entlang der Reise der stofflichen Bestandteile eines Produktes über seine Produktion, den Handel, seine Nutzung und darüber hinaus betrachtet werden.
7.1 Bearbeitung von Wertschöpfungsketten auf sechs Stufen
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Abb. 7.1 Stufen der Wertschöpfungskette
Die wesentlichen sechs Stufen sind in Abb. 7.1 dargestellt. Sie werden im Folgenden einzeln hinsichtlich wichtiger Stellschrauben von Nachhaltigkeit erläutert.
7.1.1 Rohstoff-Anbau und -Abbau Bei landwirtschaftlichen Produkten werden deren Rohstoffe angebaut; insbesondere Lebensmittel benötigen Beete, Felder, Plantagen für die pflanzlichen Bestandteile der Produkte. Auch tierische Lebensmittel, z. B. Kuhmilch, fußen auf dem Anbau von Pflanzen als Futtermittel für die Tiere. Anbau findet ebenfalls statt für die Ernte von Holz und für sogenannte „Energiepflanzen“, Pflanzen wie Mais oder Palmöl also, aus denen z. B. Treibstoffe gewonnen werden. Pflanzliche und tierische Rohstoffe sind biotische, also nachwachsende Rohstoffe. Die Ausgangsstoffe vieler Produkte sind nicht pflanzlich oder tierisch und damit nicht nachwachsend; sie werden in der Regel aus natürlich vorhandenen Lagern abgebaut. Erdöl und Erdgas werden gefördert, Erze und Mineralien durch Minen oder aus Oberflächen erschlossen. Rohstoffe in Smartphones In einem Smartphone sind ca. 30 verschiedene Metalle und zudem „Seltene Erden“ verbaut (vgl. LANUV 2012, S. 40–41); hinzu kommen in der Regel Glas, Keramik und verschiedene Kunststoffsorten. Sie bestehen insgesamt aus ca. 60 verschiedenen Stoffen (vgl. Wuppertal Institut 2013, S. 69, 80). Die Rohstoffe werden an verschiedenen Stellen der Welt gewonnen; für einzelne Smartphones werden Rohstoffe aus über 20 Ländern bezogen (vgl. Umwelt im Unterricht 2020, S. 4).
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7 Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette ...
7.1.2 Vor-Produktion Die Vor-Produktion oder Vorverarbeitung bereitet Rohstoffe so auf, dass für Produkte nutzbare Materialien entstehen, z. B. Eisen aus Erz; Stahl aus Eisen und anderen Stoffen; Kunststoffgranulate über mehrere Schritte aus Erdöl; Milchpulver aus Milch. Die Vor-Produktion umfasst zudem Prozesse, bei denen aus mehreren Materialien Komponenten bis hin zu komplexen Bauteilen hergestellt werden, z. B. Akkus zur Verwendung in Elektrogeräten, Kameras für Smartphones oder Schokosplits, die das Eis oder den Joghurt zum Stracciatella-Produkt machen. Die Stufe der Vor-Produktion kann, je nach Produkt, wenige oder viele Prozessschritte umfassen. Die Stufe Vor-Produktion am Beispiel Smartphone
Die Herstellung von Vorprodukten für Smartphones ist vielschrittig und erfolgt bei den meisten Produkten an unterschiedlichen Standorten. Ein großer Teil findet in Asien, insbesondere in China, statt. Weitere Produktionsländer von Bauteilen sind z. B. Japan, Malaysia, Südkorea, Taiwan und Vietnam. Auch Mexiko und Ungarn werden genannt. (Vgl. Reinwald 2019; Greenpeace 2017) Die Unternehmen, die Elektronikkomponenten herstellen, beliefern in der Regel mehrere Markenunternehmen, d. h. dass Wettbewerber in denselben Stätten fertigen lassen. ◄
7.1.3 Produktion Diese Stufe beschreibt die Produktherstellung, z. B. die Herstellung eines Liters Milch, einer Flasche Bier, einer Tafel Vollmilchschokolade, eines Smartphones, eines Autos. Sie ist dadurch charakterisiert, dass ein Unternehmen für das Produkt verantwortlich ist bzw. mit seinem Namen oder einer Marke dafür steht. Auch diese Stufe ist unterschiedlich komplex, abhängig von der Fertigungstiefe beim produzierenden Unternehmen. Smartphone-Produktion Smartphone-Hersteller haben ihre Hauptfirmensitze häufig in Industrieländern (z. B. Apple in USA, Huawei in China, Lenovo in Hong Kong, Samsung in Südkorea, Fairphone in den Niederlanden und Shiftphone in Deutschland), lassen jedoch ihre Produkte an anderen Stellen der Welt zusammensetzen und verpacken. Zudem werden Softwareausstattung und Zubehör wie Ladegeräte an regionale Märkte angepasst.
7.1 Bearbeitung von Wertschöpfungsketten auf sechs Stufen
249
Das modulare Produktdesign von Fairphone und Shiftphone
In der Produktionsphase werden die Funktionalitäten bzw. das Design eines Smartphones festgelegt. Hier werden die relevanten Weichen gestellt, die insbesondere die Langlebigkeit bestimmen. Die Nachhaltigkeitspioniere Fairphone und Shiftphone haben erfolgreich ein modulares Design für ihre Geräte entwickelt: Der Wert für die Nutzer liegt vor allem in der Funktionalität, dass wichtige (aber nicht alle) Komponenten austauschbar sind und somit die Lebensdauer der Geräte signifikant erhöht werden kann. Dies ist für umweltorientierte Nutzer ein klarer Vorteil. Weitere Vorteile dieser beiden Modelle können den beiden vorhergehenden Stufen zugeordnet werden, wobei es insbesondere um bessere Arbeits-und Lebensbedingungen an den Standorten des Rohstoff-Abbaus und der Vor-Produktion geht; für die Nutzungsphase relevant sind die angebotenen online-Communities für den Austausch bezogen auf Technik und Nachhaltigkeit (vgl. Zufall et al. 2020, S. 10). ◄
7.1.4 Handel und Service Diese Stufe umfasst die Schritte zwischen Produktion und Nutzung: in der Regel Logistik, Handel sowie Services, die zu einem Produkt gehören. Mit Logistik ist vor allem der Weg von der Produktion zum Groß- und dann zum Einzelhandel gemeint. Transportentfernungen und -themen sind auch in den vorherigen Phasen relevant, werden zur Reduzierung von Komplexität hier aber nicht einzeln betrachtet. Auch auf den Transport zu den Endkonsumentinnen wird insbesondere aus Umweltsicht häufig Wert gelegt. Hier soll auf die Bedeutung des Handels als Gatekeeper für Nachhaltigkeitskriterien hingewiesen werden; NGOs machen schon lange darauf aufmerksam, dass die Konzentration im Handel die Verhandlungsposition von einzelnen Herstellern schwächt; andererseits bestünde aus NGO-Sicht bei den großen Handelsunternehmen Potenzial, um Nachhaltigkeitskriterien bei allen ihren Produzenten stärker einzufordern (vgl. Humbert 2014). Die hier gewählte Formulierung Handel und Service für diese Stufe soll betonen, dass der Übergang von Produkten zu Dienstleistungen fließend ist und dass die Aufgabe des Handels nicht mehr nur darin besteht, Produkte bereitzustellen. Vielmehr sind verschiedene Vertriebsoptionen, Pakete aus Produkten
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7 Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette ...
und Dienstleistungen, interaktives Marketing, Standard- und wählbare Services für viele Produkte mittlerweile selbstverständlich. Teils werden Services durch den Handel wahrgenommen, häufig jedoch auch von den Herstellerunternehmen, die eigene (online-)Vertriebswege aufbauen oder Dienstleistungen anstelle von Produkten anbieten. Internetgestützte Social Media ermöglichen Auto- und IT-Konzernen Carsharing anzubieten und Musik- und Filmkonsumenten, bei Anbietern flexible Service-Pakete zu buchen. Diese Angebote ersetzen teils materielle Produkte, wenn z. B. zum Konsum von Filmen keine DVDs mehr gekauft werden müssen. Ohne die vorherigen Stufen kommen solche Services jedoch nicht aus, da auch Carsharing-Autos, Musikaufnahmen und Filme produziert, Serverkapazitäten zur Datenspeicherung bereitgestellt und die Services zur Nutzung angeboten werden müssen; die Stufen Vor-Produktion und Produktion sind hier jedoch etwas weniger sichtbar. Smartphones im Service-Paket Smartphones werden über den Elektronikeinzelhandel und über die Hersteller vertrieben; auch Netzanbieter bieten Smartphones im Paket mit Telefon- und Internetdienstleistungen an. Smartphones sind ein Beispiel für ein Produkt, das häufig durch die zusätzlich zum Gerät angebotenen Services geprägt ist. Ausdruck davon sind Verträge, die unabhängig vom konkreten Gerät laufen und u. a. beinhalten, das Smartphone nach einer vorgegebenen Zeit gegen ein neueres Modell auszutauschen. Dabei bleibt das ältere Smartphone-Modell in der Regel im Besitz der Kundinnen. Versuche, ein Produkt-Service-System anzubieten, in dem also das Smartphone-Gerät in Besitz des Service-Anbieters bleibt und gegen ein neues Gerät ausgetauscht werden muss, werden auch aufgrund der Sorge um Datenspuren auf den Geräten und Datensicherheit im privaten Bereich noch wenig umgesetzt (vgl. Zufall et al. 2020, S. 10).
7.1.5 Nutzung Die Nutzungsphase beschreibt die Nutzung von Produkten durch Privatpersonen, Unternehmen oder öffentliche Organisationen. Hier sind individuelle Präferenzen, Konsumstile und Verbrauchsgewohnheiten entscheidend für Auswahl von und Umgang mit den Produkten. Nutzung kann einmalig bis dauerhaft sein; ein Produkt kann individuelles oder geteiltes Eigentum oder Eigentum des Herstellers sein. Nachhaltigkeitsauswirkungen können durch unterschiedliche Nutzungsweisen stark variieren: z. B. ist ein energieverbrauchendes Produkt bei seltener Nutzung nicht unbedingt stark umweltschädlich und kann die gute Pflege eines Produkts seine Nutzungsdauer erheblich verlängern.
7.1 Bearbeitung von Wertschöpfungsketten auf sechs Stufen
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Viele Produkte lösen sich während ihrer Nutzung auf oder werden stark reduziert: Wasch- und Reinigungsmittel und auch Lebensmittel sind nach ihrer Nutzung nicht mehr in Produktform erhalten. Dieser Vorgang wird Dissipation (Reller und Dießenbacher 2014, S. 98) genannt, das Verteilen in die Umwelt. Bei vielen weiteren Produkten muss von einer teilweisen Dissipation ausgegangen werden, z. B. die Abnutzung von Fahrrad- und Autoreifen oder der Abrieb von Textilien durch Tragen und Waschen. Smartphone-Nutzung Schon 2010 besaßen fast alle Jugendlichen in Deutschland ein Mobiltelefon (vgl. Wuppertal Institut 2013, S. 11); auch in Schwellen- und Entwicklungsländern steigt der Anteil der Smartphonebesitzer insbesondere bei den unter 35Jährigen rapide (Poushter 2016, S. 6). Viele Menschen besitzen mehrere elektronische Kommunikationsgeräte, z. B. hatte schon 2015 ein Drittel der US-Amerikanerinnen ein Smartphone, ein Tablet sowie einen Computer (vgl. Baldé et al. 2017, S. 19). Smartphones werden in Industrieländern im Durchschnitt weniger als zwei Jahre lang genutzt (vgl. Baldé et al. 2017, S. 21). Studien zeigen, dass viele Menschen den ganzen Tag über ihr Smartphone nutzen, dass es nachts neben ihrem Bett liegt und sie morgens als erste Aktivität auf ihr Smartphone schauen – nicht nur wegen der Weckerfunktion ihres Smartphones. Somit sind Smartphones kontinuierlich genutzte Geräte. Smartphones enthalten eine zweistellige Anzahl an Sensoren (vgl. Biermann 2014), die u. a. eine Ortsermittlung zulassen. Die von Smartphones ermittelten Daten werden in der Regel von den Mobilfunkbetreibern registriert; ihre personenbezogene Speicherung und Nutzung ist ein politisch diskutiertes Thema.
7.1.6 End of Life Die End of Life-Stufe umfasst alles, was nach der Nutzungsphase mit einem Produkt geschieht. So kann ein Produkt weitergenutzt werden, in dem es als „Second Hand“-Produkt einer neuen Nutzung zugeführt wird. Teils werden Produkte für die Weiternutzung wiederaufbereitet; manchmal werden dafür einzelne Teile ersetzt, repariert oder erneuert. Ein Produkt kann stofflich verwertet werden, d. h. dass die Materialien, aus denen es besteht, für andere Produkte verwendet werden. Stoffliche Verwertung kann sich auf Werkstoffe beziehen, z. B. auf Metalle, Textilien, Kunststoffe, die recycelt werden. So können Metalle und Glas eingeschmolzen, Textilien, Papier und Kunststoffe in Kleinstteile zerlegt und in neue Produkte verarbeitet werden. Sie werden recycelt.
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7 Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette ...
Häufig bedeutet Recycling aber „Downcycling“, wenn die Materialqualität der neuen Produkte geringer ist als in den alten Produkten: Wenn aus durchsichtigem oder biegsamem Kunststoff, der beim Recycling mit anderen Kunststoffen vermischt wird, Schallschutzwände oder Parkbänke fabriziert werden oder aus feinen Textilien Dämmmaterialien. Möglich ist jedoch auch „Upcycling“, wobei gebrauchte Materialien durch die Nutzung für neue Produkte aufgewertet werden; Beispiele sind Taschen aus alten LKW-Planen oder Möbel aus Palettenholzresten. Verwertung kann zu dem rohstofflich erfolgen. Dabei werden Materialien bis in ihre chemischen Bausteine zerlegt. Ein Beispiel ist die Kompostierung, bei der Nährstoffe aus Lebensmittelresten in Düngemittel umgewandelt werden. Zudem gibt es die „Energetische Verwertung“, wobei Materialreste verbrannt werden, um daraus Energie zu gewinnen. Die Verbrennung von Materialresten, um sie zu beseitigen, wird dagegen als „Thermische Behandlung“ bezeichnet. Nicht mehr genutztes Material kann deponiert werden; das bedeutet, dass die Reste auf unbestimmte Zeit gelagert werden. Während in der EU die Tendenz zur Minimierung von Deponierung geht, wird in vielen Teilen der Welt Müll weiterhin deponiert. End of Life von Smartphones Viele Deutsche behalten ihre gebrauchten Smartphones; über 100 Mio. Handys sollen in deutschen Schubladen lagern. Würden sie dem Recycling zugeführt, könnten tonnenweise Kupfer, Silber und Gold zurückgewonnen werden (vgl. Wuppertal Institut 2013, S. 12–13). Global gesehen wird nur ein Fünftel des Elektroschrotts sachgemäß gesammelt und recycelt (vgl. Baldé et al. 2017, S. 11). Viele Smartphone-Hersteller bieten ihren Kunden die freiwillige Rückgabe an (vgl. Greenpeace 2017); zudem gibt es gemeinnützige Organisationen, die gebrauchte Smartphones sammeln. Das Unternehmen Shiftphone verkauft seine Smartphones mit einem Gerätepfand, der nach Rückgabe erstattet wird (vgl. SHIFT GmbH o. J.).
Die sechs Wertschöpfungsstufen als Überblick werden tabellarisch am Beispiel eines Smartphones (Tab. 7.1) und einer Flasche Bier (Tab. 7.2) dargestellt.
7.2 Negative und positive Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette Die hier dargestellten Stufen der Wertschöpfung können als Strukturvorgabe für eine Analyse der Produktauswirkungen verwendet werden: Auf welcher Stufe hat ein Produkt welche Auswirkungen und wie können diese verbessert werden?
7.2 Negative und positive Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette
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Tab. 7.1 Wertschöpfungsstufen eines Smartphones im Überblick Wertschöpfungsstufen
Beispiel Smartphone
Rohstoff-Anbau und -Abbau
Gewinnung von Erzen, Erdöl und Mineralien
Vor-Produktion
Rohstoff-Verarbeitung, z. B. Erz zu Metall, Erdöl zu Kunststoff Herstellung der Bauteile aus z. B. Metallen, Kunststoffen, Keramik und Glas für u. a. Gehäuse, Platine, Kabel, Leiterplatte, Lautsprecher, Leuchtmittel, Akku
Produktion
Smartphone-Produktion
Handel und Service
Verkauf durch Handelsunternehmen, direkt von Herstellern oder von Mobilfunkanbietern Software-Ausstattung, Netzdienste, weitere Service-Leistungen wie Updates, Upgrades und erweiterte Garantien
Nutzung
Smartphone-Nutzung und -Pflege, ggf. Servicenutzung
End of Life
Entsorgung des Smartphones und von Verkaufs- bzw. Versandverpackung, Optionen: Rückgabe an den Hersteller oder an Sammelstationen, die Weiterverwendung, Wiederaufbereitung oder Recycling ermöglichen; Entsorgung als Elektroschrott oder im Hausmüll; verschiedene Optionen der Verwendung von Komponenten, Bauteilen und Rohstoffen, bis hin zur energetischen Verwertung und Deponierung
Wertschöpfungsstufen eines Smartphones im Überblick (eigene Darstellung)
Tab. 7.2 Wertschöpfungsstufen von Bier im Überblick Wertschöpfungsstufen
Beispiel Bier in einer Pfandflasche
Rohstoff-Anbau und -Abbau
Anbau von Getreide und Hopfen Gewinnung von Sand, Natrium- und Kaliumverbindungen Nutzung von Wasserressourcen
Vor-Produktion
Herstellung des Braumalzes Herstellung von Glas plus Etikett und Verschluss Waschen des Pfandguts
Produktion
Brauprozesse und Abfüllung
Handel und Service
Vertrieb über Gaststätten oder Getränkeeinzelhandel, Lieferdienste
Nutzung
Lagerung und Kühlung sowie Konsum in Gaststätten oder privat
End of Life
Rückgabe von Flaschen zur Wiederbefüllung oder Sammlung und Verwertung der Flaschen
Wertschöpfungsstufen von Bier im Überblick (in Anlehnung an European Commission 2018)
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7 Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette ...
Auch Problemlösungen durch Unternehmen bzw. Produktmanager sollten differenziert nach Phasen erfolgen, um gezielt zu wirken. Im Folgenden werden am Beispiel Smartphone ausgewählte Auswirkungen dargestellt. Anschließend folgt ein kurzer Abriss der Auswirkungen am Beispiel Bier. Beispiel Smartphone Für Elektronikprodukte wird viel Fläche in der ersten Wertschöpfungsphase für den Rohstoffabbau verwendet (vgl. Jungmichel et al. 2017, S. 21). Der Rohstoffabbau von Erzen schädigt die Umwelt massiv durch Aushub und Umgestaltung; häufig verlieren Menschen ihre Wohnorte. Zudem wird durch Minen häufig Wasser verschmutzt und gesundheitsgefährdende Stoffe und Stäube werden freigesetzt. Dies kann zu einer Gesundheitsbelastung der lokalen Bevölkerung führen (vgl. AK Rohstoffe o. J.; vgl. Reinwald 2019, S. 1–2). Negative Auswirkungen der Rohstoffgewinnung auf Menschen und ihre Gemeinschaften sind in vielen Ländern dokumentiert. Die Tab. 7.3 enthält regionale Beispiele für negative Auswirkungen. Die Vor-Produktion und Produktion finden vor allem in Asien statt, teilweise in Südamerika und Osteuropa. Als Arbeitsverhältnisse dominieren häufig Leiharbeit und andere nicht-regelhafte Beschäftigungen; Subunternehmen und Auslagerungen der Herstellung von Teilkomponenten führen dazu, dass Kosten- und Zeitdruck an schwächere Glieder auf früheren Wertschöpfungsstufen weitergegeben werden. Ein Grund für den Zeitdruck in der Vor-Produktion ist die „Just-in-Time“-Anforderung vieler Produktionsfirmen. Die meisten Beschäftigten werden niedrig entlohnt und leisten überlange Arbeitszeiten, die allein schon zu Gesundheitsbelastungen führen. Es sind Schikanen und Behinderungen gewerkschaftlicher Arbeit bekannt geworden, Tab. 7.3 Auswirkungen auf der ersten Wertschöpfungsstufe von Smartphones Ausgewählte regionale Auswirkungen Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Kupferschmelze, z. B. in Sambia Kinderarbeit im Goldabbau, z. B. auf den Philippinen Beeinträchtigung von Lebensbedingungen indigener Gemeinschaften durch Grundwasserspiegelsenkung bei der Lithiumgewinnung in Argentinien Zerklüftete Kraterlandschaften auf den indonesischen Inseln Bangka und Belitung sowie in ihrer Existenz gefährdete Fischer durch Zinnabbau Eigene Darstellung, in Anlehnung an Reinwald 2019, S. 2
7.2 Negative und positive Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette
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auch Suizide von Beschäftigten wurden darauf zurückgeführt. Zudem fehlt es häufig an Arbeits- und Gesundheitsschutz vor giftigen Emissionen beim Erhitzen, Begasen mit Metallbeschichtungen, Lackieren und (Laser)Schneiden. (Vgl. Reinwald 2019, S. 2) Vergiftungen und Unfälle in der Vorproduktion und Produktion sind nachgewiesen; nur wenige Hersteller haben sich ungiftigen Materialien verpflichtet (vgl. Greenpeace 2017, S. 18–19). Entlang der Wertschöpfungsketten sind Klimaemissionen auch für Elektronik-Produkte relevant; insbesondere die Produktionsprozesse erfolgen in aller Regel auf Basis fossiler Energieträger, was die hohen Klimaauswirkungen in der (Vor-)Produktion von Smartphones erklärt (vgl. Greenpeace 2017, S. 2–3). In der Phase von Handel und Service findet ein starker Wettbewerb zwischen Anbietern statt; viele von ihnen bieten Telefon- und Datennetz-Services in Kombination mit den Endgeräten an. Insofern verschmilzt hier die Stufe Handel und Service mit der Stufe der Nutzung. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern bieten sich Smartphones als kabellose Kommunikationsmittel an, um auch in Gegenden mit wenig ausgebauter Infrastruktur an global verfügbaren Informationen und einfacherer Kommunikation zu partizipieren. Negativ dagegen können mögliche psychische Abhängigkeiten durch die kontinuierliche Nutzung von Smartphones und Datensicherheitslücken wirken. Die Nutzungsphase ist entscheidend für die Menge an Ressourcen, die für Smartphones aufgewendet werden: Wegen ihrer kurzen Nutzungsdauer ist die Anzahl der produzierten Geräte und sind damit die genannten negativen Auswirkungen immens. Hinzu kommt ein Rebound-Effekt beim Energie- und Ressourcenverbrauch: Weil Smartphones häufig neben oder in Kombination mit anderen elektronischen Geräten verwendet werden, werden die Einsparungen durch energiesparende Technologien und z. B. leichtere Akkus bei den einzelnen Geräten in der Summe der genutzten Geräte wieder aufgehoben (vgl. AK Rohstoffe o. J.). Auf der End of Life-Stufe werden viele Smartphones aufbewahrt statt dem Recycling zugeführt; zudem sind Recycling-Wege häufig intransparent. Die Hersteller haben dafür überwiegend noch keine hinreichenden Lösungsansätze entwickelt: „It’s challenging to determine how effective take-back efforts are across the sector as no companies provide data on the amount of products that are being sent back compared to previous sales figures, or how collected products are actually processed when sent for recycling. Basel Action Network has repeatedly demonstrated that e-waste collected for recycling is often ending up in informal disassembly operations that threaten the health of workers and local communities.“ (Greenpeace 2017, S. 15).
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7 Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette ...
Abb. 7.2 Ausgewählte Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette von Smartphones
Abb. 7.2 zeigt ausgewählte Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette eines Smartphones. Beispiel Bier Für das Beispiel Bier werden relevante Nachhaltigkeitsauswirkungen auf den Wertschöpfungsstufen kurz skizziert. Abb. 7.3 veranschaulicht ausgewählte Auswirkungen auf der jeweiligen Stufe. Negative Auswirkungen von Bier entstehen auf der ersten Wertschöpfungsstufe bei der landwirtschaftlichen Produktion der Ausgangsstoffe Getreide und Hopfen; hier kann es zu Biodiversitätsverlust, zu hohem Ressourcenverbrauch und zu relevanten Mengen an Klimaemissionen durch Intensivlandwirtschaft kommen, bei der synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Dies kann durch naturnähere und ökologische Landwirtschaft vermindert werden. Saisonarbeit, Überstunden und geringe Vergütungen prägen in vielen Fällen die Arbeit in der Landwirtschaft. Die Brauprozesse haben einen hohen Energieaufwand; je nach gewählter Primärenergiequelle können bei der Energiebereitstellung in Kraftwerken oder im Unternehmen hohe Mengen an Klimaemissionen und weitere Luftschadstoffe freigesetzt werden. Durch die Verwendung erneuerbarer Energiequellen verringern sich diese Auswirkungen. Wasser wird in Brauereien nicht nur für
7.2 Negative und positive Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette
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Abb. 7.3 Ausgewählte Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette von Bier
die Produktion, sondern auch zu Reinigungszwecken in relevanten Mengen eingesetzt. Die regionale Wertschöpfung kann durch lokale Brauereien unterstützt werden. Das Produkt Bier ist relativ schwer; je nach Transportentfernung und -mittel werden große Mengen an Treibstoffen verwendet und entsprechend Klimaemissionen ausgestoßen. Bei lokaler bis regionaler Nutzung sind diese geringer. In der Nutzenphase müssen die möglichen negativen Folgen des Alkoholkonsums beachtet werden (in Anlehnung an Bienge et al. 2010; Neumarkter Lammsbräu 2019, S. 78–87). Die Darstellung der Auswirkungen eines Produkts entlang der Wertschöpfungskette ermöglicht nicht, die Relevanz der unterschiedlichen Auswirkungen untereinander abzuwägen. Dafür sind die Auswirkungen zu unterschiedlich hinsichtlich Schwere und Reichweite. Zudem müssten sie für jedes konkrete Produkt genau beziffert werden. Jedoch ist es anhand der Betrachtung des Lebenszyklus möglich aufzuzeigen, auf welcher Stufe bzw. auf welchen Stufen relevante Auswirkungen ermittelt werden konnten. Dort sind Problemlösungen anzusetzen. Die unten dargestellten Methoden zur Analyse und Verbesserung der Auswirkungen (vgl. Kap. 8) sind teils auf allen Stufen anwendbar und teils sind sie explizit auf Auswirkungen in der Lieferkette, bei Konsumentinnen oder am End of Life ausgerichtet.
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7 Was bedeutet Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette ...
7.3 Wertschöpfungsstufen übergreifende Auswirkungen Die Einteilung in Wertschöpfungsstufen ist analytisch sinnvoll. Sie ist jedoch auch problematisch, da bestimmte Auswirkungen von Produkten nur übergreifend über die gesamte Wertschöpfung bzw. über den gesamten Lebenszyklus sichtbar werden. Die Umwelt-Auswirkungen von Smartphones werden durch das Nutzungsverhalten potenziert, da die Nutzungsdauer kurz ist und zudem die gleichzeitige Nutzung anderer elektronischer Geräte zu weiterem Ressourcenverbrauch beiträgt. Hier ist die Rolle von Handel und Service zu betrachten, teils bedingt durch Entscheidungen, die die Hersteller in der Produktionsphase fällen: Hersteller, Handel und Service-Anbieter versuchen Smartphone-Nutzerinnen an sich zu binden, in dem sie Geräte mit Services verbinden; im Ergebnis werden dadurch Geräte schneller ausgetauscht und mehr Geräte produziert. Die Vor-Produktion und Produktion von Smartphones tragen zudem dazu bei, dass die Rohstoffrückgewinnung auf der End of Life-Stufe erschwert ist: Die meisten Smartphones sind nicht dafür ausgelegt, repariert, aufgearbeitet oder auch nur zerlegt und stofflich wiederverwertet zu werden. Modulare Systeme, mit denen Nutzende sich ihre präferierten Bestandteile selbst auswählen und individuell kombinieren könnten, sind bei Smartphones kaum zu finden. Negative Auswirkungen am End of Life, z. B. schädliche Einträge in Landschaft oder Wasser, können zudem entstehen, weil separate Sammlungs-, Aufbereitungs- oder Entsorgungskapazitäten für Elektronikabfälle regional fehlen. D. h. selbst wenn die Produkte so hergestellt würden, dass sie gut zerlegt werden könnten, würde erst die entsprechende Entsorgungsinfrastruktur die Auswirkungen verbessern. Bei anderen Produkten werden mögliche positive Auswirkungen wegen der Nutzungsphase nicht ausgeschöpft. Das ist der Fall, wenn Produkte aufgrund von Infrastruktur(mangel) wenig nutzbar sind, weil z. B. Elektroladestationen für E-Autos oder sichere Fahrradwege für die Nutzung des Fahrrads fehlen. Hersteller, Handel und Service-Anbieter können „Nudges“ für die Nutzungsphase ihrer Angebote schaffen, also freundliche Anstöße zur Verhaltensänderung. So können Energieversorger ihren Neukundinnen automatisch den Strommix mit dem höchsten Anteil erneuerbarer Energien anbieten anstatt nur als eine Zusatzauswahloption (vgl. Clement et al. 2014, S. 100). Nudging kann auch z. B. durch eine App auf dem neuen Smartphone erfolgen, die energiesparendes Verhalten oder einen gesunden Umgang damit belohnt.
7.3 Wertschöpfungsstufen übergreifende Auswirkungen
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Um wertschöpfungsstufenübergreifende Lösungen bereitzustellen, gibt es wirksame Ansätze für individuell und von Unternehmen genutzte Produkte (vgl. Gsell 2015, S. 15). Zu nennen sind Sharing-Angebote, bei denen das Produkt der Service-Anbieterin und nicht dem Nutzer gehört – letzterer profitiert dann von gut gewarteten Produkten und ist von allen Aufgaben des End of Life entlastet. Z. B. kümmert sich beim Carsharing die Service-Anbieterin um den Ölwechsel der Fahrzeuge. Sogenannte Product-Service-Systems fokussieren ebenfalls auf die Nutzungsphase und befriedigen Bedarfe der Nutzenden, ohne ihnen ein konkretes Produkt zu versprechen: Wenn z. B. ein Café oder Restaurant den Service einer immer funktionierenden Kaffeemaschine (statt der Kaffeemaschine selbst) kauft, dann kann ein Anbieter professionell kombinieren, welche Kaffeemaschine mit welchen Serviceleistungen er bereitstellt – und die eigenen Produkte und Serviceleistungen unter verschiedenen Kunden effizient verteilen. Auch am End of Life können negative Auswirkungen abgemildert werden: Einige Unternehmen bieten Reparatur-Anleitungen, Ersatzteile oder Reparaturdienstleistungen an, um die längere Nutzung von Produkten zu ermöglichen. Hier gibt es zudem viele ehrenamtliche Initiativen des Selbermachens und Reparierens. Und auch open source-Gemeinschaften, die Wissen und Kompetenzen offen teilen, ermöglichen häufig eine lange Produktnutzungsdauer, wenn z. B. Software weiterentwickelt und Erfahrungen weitergegeben werden. Dies kann sich auf die ersten Wertschöpfungsstufen auswirken. Nachhaltige Geschäftsmodelle von Smartphones betreffen mehr als eine Wertschöpfungsstufe
Eine Studie über Nachhaltigkeits-Pioniere im Sektor Smartphones hat als zentrales Ergebnis, dass erst die Ausweitung des eigenen Angebots über eine einzelne Wertschöpfungsstufe hinaus ermöglicht, wertschöpfend für die Nutzer und die Anbieter zu agieren. Für die Herstellerfirmen heißt es, dass sie durch Garantien, Reparaturservices oder/und Ersatzteilvorhaltung sicherstellen, dass ihre Smartphones langlebig sind; für Recyclinganbieter heißt das z. B., dass sie Geräte nicht nur sammeln und aufbereiten, sondern, wie z. B. im Fall der AfB gGmbH, aufbereitete Geräte wieder an ihre Unternehmenskunden vermarkten (vgl. Zufall et al. 2020, S. 8). ◄
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Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig verbessert werden?
Zusammenfassung
Dieses Kapitel beantwortet die Frage, mit welchen Methoden Produkte nachhaltig verbessert werden können, und blickt dabei auf die globalen Probleme aus Abschn. 5.2 zurück: Sie gilt es zu lösen. Sie werden in umweltbezogene und sozial-ökonomische Probleme gruppiert und ihnen werden Methoden zur Erfassung von Produktauswirkungen zugeordnet. Es werden sieben Umwelt-Methoden, z. B. der Ökologische Fußabdruck und der Carbon Footprint, hinsichtlich ihrer Ausrichtung, des Vorgehens und ihrer Verbreitung beschrieben. Ergänzend werden die drei großen Prinzipien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz erläutert (Abschn. 8.1). Anschließend werden Wirkungsbereiche, Vorgehen und Verbreitung von sieben sozial-ökonomischen Methoden dargestellt. Sie richten sich auf Themen wie Menschenrechtsschutz, faire Geschäftspraktiken und Förderung nachhaltiger Lebensstile. Dabei wird in Methoden des Monitorings und solche unterschieden, die die Verminderung negativer Auswirkungen garantieren sollen (Abschn. 8.2). Abschließend wird eine erweiterte Perspektive entwickelt, die von Methoden zu Modellen führt (Abschn. 8.3). In diesem Kapitel werden Methoden des Produktmanagements in Unternehmen beschrieben, mit denen Auswirkungen von Produkten erfasst und verbessert werden können. Die Darstellung greift die in Abschn. 5.2 beschriebenen globalen Probleme wieder auf. Die Auswahl der Methoden erfolgte unter der Maßgabe, globale Probleme und Handlungsfelder der Nachhaltigkeit möglichst breit abzudecken und gleichzeitig vor allem solche Methoden zu beschreiben, die in der Praxis des unternehmerischen Produktmanagements angewendet werden können. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_8
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8 Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig …
Methoden und Ansätze, die auf Organisationen und nicht explizit auf Produkte anwendbar sind, bleiben außerhalb der Betrachtung, z. B. Umwelt- und Energiemanagementsysteme. Ebenso wenig wird der Ansatz des „Handabdrucks“ (vgl. Norris 2015; Kühnen et al. 2017) bearbeitet, der positive Auswirkungen von Produkten fokussiert. Im Folgenden werden nacheinander Methoden zur Bearbeitung umweltbezogener und sozial-ökonomischer Auswirkungen vorgestellt.
8.1 Umwelt-Methoden des Produktmanagements Umweltbezogenen Nachhaltigkeitsproblemen können sieben Methoden zu ihrer Lösung auf Produktebene zugeordnet werden (Tab. 8.1). Tab. 8.1 Umweltbezogene Nachhaltigkeitsprobleme und Methoden zur Lösung Probleme (aus Abschn. 5.2)
Methoden des Produktmanagements
Erschöpfung natürlicher Ressourcen
Ökologischer Rucksack Ökologischer Fußabdruck Kreislaufführung von Rohstoffen
Nachteilige Auswirkungen der Umweltzerstörung, darunter Wüstenbildung, Dürre, Landverödung und Süßwasserknappheit
Virtuelles Wasser/Wasser-Fußabdruck Ökobilanz/LCA
Verlust der biologischen Vielfalt
Produktbezogene Biodiversitätsanalyse
Nachteilige Auswirkungen des Klimawandels
Produkt-Carbon Footprint/Klimabilanz
Eigene Darstellung, Probleme vgl. Vereinte Nationen 2015, S. 5
Zuerst werden drei Methoden bearbeitet, die das Problem der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen durch Produkte bearbeiten. Die Nutzung von Ressourcen für Produkte steigt weltweit an und zieht vielschichtige Probleme entlang ihrer Wertschöpfungskette nach sich. Anschließend werden zwei Methoden vorgestellt, die nachteilige Auswirkungen auf Wasser- und Ökosysteme erfassen. Der Verlust biologischer Vielfalt und nachteilige Klimaemissionen sind die Probleme, die mit den beiden zuletzt dargestellten Methoden bearbeitet werden.
8.1 Umwelt-Methoden des Produktmanagements
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8.1.1 Ökologischer Rucksack Der ökologische Rucksack drückt die Materialmenge aus, die während des Lebenszyklus für ein Produkt aufgewendet wird. Das Konzept wurde in den 1990er Jahren von Schmidt-Bleek beschrieben. Heute wird zur Rucksackmessung die Methode „MIPS“ verwendet, kurz für Materialinput pro Service-Einheit. MIPS erfasst die Menge von Ressourcen, die aufgewendet wird, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zur Verfügung zu stellen (vgl. Liedtke et al. 2019, S. 230), z. B. ein Smartphone, eine Flasche Bier, eine 100 km-Autofahrt oder 8kg Wäschereinigung. Der Materialinput umfasst z. B. das abgetragene Gestein, aus dem Erze und anschließend Metalle für das Produkt gewonnen werden, aber auch Produktionsabfälle und Reststoffe am End of Life des Produkts. Bei vielen Produkten beträgt der Materialinput ein großes Vielfaches der im Produkt enthaltenen Materialmenge: Der Begriff „Rucksack“ soll dies veranschaulichen. Hoher Förderaufwand zur Mineraliengewinnung
Es müssen große Mengen an Gestein gefördert werden, um daraus die Mineralien zu gewinnen. Um ca. 100 g Erze zu erhalten, die in einem Smartphone enthalten sind, werden mehr als 30 kg Gestein gefördert (vgl. Greenpeace 2017, S. 6). ◄
8.1.2 Ökologischer Fußabdruck Der Begriff „ökologischer Fußabdruck“ oder „Umweltfußabdruck“ wird häufig als Überbegriff für die Umweltauswirkungen von Produkten verwendet. Der „ökologische Fußabdruck“ im Wortsinne beschreibt den pro Produkt verwendeten Umweltraum, d. h. die Fläche, die durch Herstellung und Nutzung „verbraucht“ wird. Erfasst werden dabei die verbrauchte Biomasse und ausgewählte Emissionen, insbes. CO2. Die Idee dabei ist, dass biotische Rohstoffe Fläche benötigen, um nachzuwachsen, und dass Kohlenstoff durch natürliche Prozesse gebunden werden kann. Der Umweltraum wird durch die Entnahme von Biomasse in einem bestimmten Zeitraum übernutzt, wenn auf der verfügbaren Fläche im selben Zeitraum die aufgewendete Biomasse nicht nachwachsen und emittierter Kohlenstoff nicht gebunden werden kann. Im Unternehmenskontext ist der flächenbezogene Fußabdruck nicht verbreitet. Fast jährlich in der Presse zitiert wird jedoch der „Erdüberlastungstag“, auf Englisch: „Earth Overshoot
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Day“. Das Global Footprint Network misst anhand der genannten Parameter1 für Regionen und Länder, ob sie mit ihrer eigenen Fläche auskommen oder ob ihr Fußabdruck größer ist als ihr eigenes Territorium. 2019 verbrauchte der deutsche Lebensstil hochgerechnet auf die ganze Welt ungefähr drei Erden, der US-amerikanische sogar fünf. Der Erdüberlastungstag ist der Tag, an dem der Umweltraum, der im ganzen Jahr zur Verfügung steht, rechnerisch aufgebraucht ist: In den 1990er Jahren lag der Tag noch im Oktober; in 2019 überlastete die Welt ihre Ressourcen nach diesen Berechnungen bereits am 29. Juli. Der Begriff des ökologischen oder Umweltfußabdrucks hat noch eine weitere Bedeutung: Derzeit wird in der europäischen Union aktiv daran gearbeitet, eine breit nutzbare Vorgehensweise und Berechnungsmethode für einen produkt- und dienstleistungsbezogenen „Umweltfußabdruck“ (Product Environmental Footprint, PEF) zu entwickeln (vgl. EU-Kommission 2013). Dieser Umweltfußabdruck soll neben dem Flächen- und Ressourcenverbrauch weitere Umweltkriterien berücksichtigen, z. B. schädliche Emissionen. Gleichzeitig soll er gerade für Unternehmen leichter kommunizierbar sein als Flächen- oder Ökobilanzergebnisse (Ökobilanz/LCA siehe unten). Zudem soll er Produkte vergleichbar machen. Weil eine allgemeine Methode nicht adäquat erschien, hat die EU Regeln für verschiedene Produktkategorien entwickelt, wie bei der Erfassung der Umweltauswirkungen vorgegangen werden soll; diese wurden auf Basis von umfangreichen Produktstudien unter Beteiligung von Unternehmen, Wissenschaft, NGOs und Politik entwickelt. Bis 2021 soll diese Methode weiterentwickelt werden. Das Problem der relativen Bedeutung der verschiedenen Umweltwirkungen untereinander ist jedoch noch nicht gelöst: Wiegen Klimaemissionen schwerer als Ressourcenverschwendung oder Artenverlust? Und ist das für jedes Produkt gleich zu bewerten? Weitere Fragen sind noch offen. Insofern ist aktuell noch unklar, ob durch den PEF eine Vereinheitlichung von Umweltanalysen machbar ist, die klare Vorteile gegenüber bestehenden Methoden bieten kann (vgl. Umweltbundesamt 2019). Die EU erarbeitet parallel ein Instrument zur Ermittlung und Kommunikation des Umweltfußabdrucks von Organisationen bzw. Unternehmen (vgl. EU-Kommission 2013).
1Berechnet
wird die jährliche Entnahme von Pflanzen, Futter- und Nahrungsmitteln sowie von Holz und Fisch im Vergleich zur Menge, die in Weide- und Ackerflächen sowie in Wald und Gewässern jährlich generiert werden kann, zudem die Menge von CO2Emissionen, die über die Menge hinausgeht, die in natürlichen Prozessen aufgenommen werden kann (vgl. Germanwatch o. J.).
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8.1.3 Kreislaufführung von Rohstoffen Eine weitere Methode des umweltbezogenen Produktmanagements, die ebenfalls auf Ressourcen fokussiert, ist die Kreislaufführung von Rohstoffen. Im globalen Trend verringert sich der Anteil der in Kreisläufen gehaltenen Rohstoffe; die „‘take-make-waste’ tradition of the linear economy“ (PACE 2020, S. 8) ist somit weiter vorherrschend. Folgende Dynamiken sind auch aktuell bestimmend: die hohen Abbauraten von Rohstoffen, das kontinuierliche Wachstum des Rohstoffbestands sowie, am Ende ihrer Nutzung, der niedrige Umsetzungsgrad von Weiterverarbeitung und Kreislaufführung der Rohstoffe (vgl. PACE 2020). In vielen Unternehmen ist es gängige Praxis, Rohstoffe in Kreisläufen zu führen. So werden bei der Produktion anfallende Abfälle rückgeführt und Abfälle vermieden; dies spart Rohstoffe und vermeidet Entsorgungskosten. Anders sieht es mit Rohstoffen aus, die in der Lieferkette oder am Ende der Nutzung zu Abfällen werden: In der Regel gibt es dafür keine Kreislaufführung. Auf den bestehenden Veränderungsdruck weist die oben erläuterte Circular Economy-Strategie der EU hin (vgl. Abschn. 6.2). Diskutiert wird die Methode „Cradle to Cradle“, die Braungart und McDonough (2002) entwickelt haben. Diese sieht vor, schon die gesamte Rohstoffauswahl und die Produktentwicklung daran auszurichten, dass alle Rohstoffe vollständig und ständig im Kreislauf gehalten werden können. Biotische Rohstoffe sollen nach ihrer Nutzung biologisch abgebaut werden und somit als Nährstoffe für neue Produkte zur Verfügung stehen; nicht nachwachsende Rohstoffe sollen vollständig und ohne Qualitätsverlust für neue Produkte verwendet werden. Das Konzept definiert weitere Grundbedingungen, z. B. den Ausschluss der Verwendung toxischer Stoffe und die ausschließliche Nutzung erneuerbarer Energiequellen. Es wird eine „Cradle to Cradle“-Zertifizierung angeboten, sodass Produkte, die den Ansatz verfolgen, entsprechend überprüft und ausgelobt werden können. Zum Beispiel ist die Kunststofffolie entsprechend zertifiziert, in die 100 g-Schokoladentafeln des Unternehmens Ritter Sport verpackt sind (vgl. Alfred Ritter GmbH & Co. KG o. J.). Die Folie besteht aus einem recycelbaren Kunststoff und erfüllt weitere Anforderungen. Natürlich kann ein einzelner Hersteller nicht sicherstellen, dass jeder einzelne Konsument das gebrauchte Produkt (oder beim Beispiel Ritter Sport die Produktverpackung) dem passenden Recycling zuführt und das anschließend gewonnene Material für ein gleichwertiges Produkt verwendet wird. Also sind verschiedene Zertifizierungsstufen vorgesehen. Z. B. ist die nur theoretische Möglichkeit der Materialwiedernutzung die Grundstufe der Auszeichnung (und wird als „Basic“ bewertet), während die nachgewiesene 100 %ige Rückführung mit der höchsten der fünf Bewertungsstufen („Platinum“) ausgezeichnet wird (vgl. McDonough Braungart Design Chemistry 2012, S. 20).
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Abb. 8.1 Prinzipien umweltfreundlichen Produktmanagements. (In Anlehnung an Winterfeld 2007, S. 53)
Die drei großen Prinzipien umweltfreundlichen Produktmanagements: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz In den dargestellten Methoden werden unterschiedliche Prinzipien sichtbar (vgl. Abb. 8.1): Der ökologische Rucksack und der ökologische Fußabdruck stellen in erster Linie auf Effizienz ab: Werden weniger Rohstoffe entlang des Produktlebenszyklus verwendet, so hat das in der Regel geringere negative Umweltauswirkungen. Effizienz heißt, dass mit weniger Material, Aufwand oder/und Energie ein gleiches Ergebnis erzielt wird. Dieses Prinzip ist derzeit in vielen Nachhaltigkeitsprogrammen dominant. Es wird u. a. realisiert, indem mit weniger oder besserem Material ein leichteres Produkt hergestellt wird, das die gleichen Funktionen erfüllt, z. B. eine kleinere Festplatte oder ein dünnerer Chip. Häufig tragen leichtere Produkte auch zur Energieeffizienz bei, indem sie während ihrer Nutzung weniger Strom brauchen als größere Geräte. Effizienz liegt auch dann vor, wenn ein langlebigeres Smartphone auch länger verwendet wird, weswegen ein neues Smartphone weniger produziert werden muss, wobei negative Umweltauswirkungen entstehen würden. Ein wichtiger Weg zu Effizienz sind technologische Fortschritte: z. B. spart LED-Beleuchtung gegenüber alten Glühbirnen für die gleiche Helligkeit Strom. Effizient wäre eine „ressourcenleichte[.] Kreislaufwirtschaft“ (Schneidewind 2018, S. 209), die Rohstoffe immer wiederverwendet und gleichzeitig möglichst wenig Rohstoffe benötigt. Effizienz bedeutet, Ressourcen besser zu nutzen. Dagegen verfolgt der Ansatz der Konsistenz das Ziel, andere Ressourcen zu nutzen, stellt also die Auswahl der genutzten Ressourcen in den Vordergrund. Diese Auswahl soll konsistent sein bezüglich ihres umweltschonenden Zwecks: Es sollen nur unschädliche Rohstoffe genutzt werden, die im Kreislauf gehalten werden können. Gifte und Mischungen von Stoffen, die nachteilige Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben könnten, sind tabu. Konsistent ist zudem nur die Nutzung von 100 % erneuerbaren Energien. Auf dieser Basis können große Mengen von Produkten erzeugt und wiederverwertet werden, entsteht kein Müll, kein Verlust und kein Schaden. Wenn nur die richtigen Ressourcen genutzt werden, dann kommt es nicht darauf an, wie viele Ressourcen im Umlauf sind und wie groß die Menge des genutzten Stroms ist. Von den dargestellten Ansätzen fokussiert nur die Cradle to Cradle-Methode auf dieses Prinzip. Der vielleicht schwierigste Ansatz für das Produktmanagement ist das Prinzip der Suffizienz. Bei Suffizienz geht es nicht um besser oder anders, es geht um weniger. Suffizienz ist Genügsamkeit, Reduzierung, Verzicht. Um die absolute Menge der genutzten
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Ressourcen zu verringern, wird der Zweck der Ressourcennutzung infrage gestellt: Ist das Produkt überhaupt notwendig? Suffizienz wird viel im Zusammenhang mit Lebensstilen bearbeitet, wenn Menschen sich – aus unterschiedlichen Beweggründen – entscheiden, auf Konsum oder Besitz zu verzichten (vgl. Abschn. 8.2). Regionale oder gemeinschaftliche Lösungen können den absoluten Ressourcenverbrauch verringern, teils sogar ohne Komfortverlust für die Nutzenden (vgl. Linz 2015). Oder es kann Individuen von sozialem und Konsumdruck entlasten, wenn sie nicht „immer mehr haben wollen müssen“ (Winterfeld 2007, S. 53). Für das Produktmanagement liegen zwei mögliche Vorteile von Suffizienz auf der Hand: Mit der „Entrümpelung“ der Angebote an Produkten und Services kann eine Vorauswahl im Sinne der Kunden getroffen werden, die Beschaffungs- und Produktionsprozesse vereinfacht. Mit der „Entflechtung“ von Lieferketten, d. h. einer fokussierten Lieferantenauswahl und der Bevorzugung regionaler Anbieter, kann die Beziehung zu den wenigeren Lieferanten gestärkt, können Wege verkürzt und kann die Kommunikation verbessert werden. Weitere zwei Vorteile sind in einigen Fällen umsetzbar: „Entschleunigung“ kann für Unternehmen sinnvoll sein, wenn Logistikprozesse entzerrt und verlangsamt, dafür aber zuverlässiger werden – was zusätzlich Lieferanten von Zeitdruck entlasten kann. Möglich ist für Unternehmen zudem die „Entkommerzialisierung“ von bestimmten Prozessen, wenn z. B. Reparaturanleitungen kostenlos bereitgestellt werden oder eine offene Community an der Softwareoptimierung mitwirkt (vgl. Schneidewind und Palzkill 2012; Palzkill und Schneidewind 2015; Sachs 1993).
Für die meisten Unternehmen bleibt es eine große Herausforderung, den absoluten Ressourcenverbrauch zu verringern bzw. ihre Tätigkeiten von absolutem Ressourcenverbrauch zu entkoppeln (vgl. Laumann Kjaer et al. 2018, S. 2). Ansätze davon werden im Rahmen der EU-Strategie zur Circular Economy diskutiert. Hierzu sei auf die Kontroverse darüber verwiesen, ob nachhaltiges Wirtschaften bedeutet, Wachstum zu begrenzen, zu verringern und „nachhaltig“ zu gestalten (vgl. Sustainable Development Goal Nr. 8 in Vereinte Nationen 2015, S. 21) oder Wachstum als Ziel infrage zu stellen und „Degrowth“ bzw. „Postwachstum“ als eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung zu definieren (für eine Übersicht von Ansätzen aus Theorie und Praxis vgl. Schmelzer und Vetter 2019). Diskutiert wird ebenso das Thema „Exnovation“ als Gegenstück zur kreativen und positiv konnotierten Innovation: Exnovation meint die Abschaffung nicht nachhaltiger Produkte und den Ausstieg aus nicht nachhaltigen Infrastrukturen, Technologien und Lebensstilen (vgl. Heyen 2016; vgl. Schneidewind 2018), ohne die ein Wandel in Richtung Nachhaltigkeit scheitern müsse. Beides kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. Die Kreislaufführung von Rohstoffen betrifft alle entlang der Wertschöpfungskette verwendeten Rohstoffe. Um die Lebensdauer eines Produkts zu verlängern, müssen einzelne Komponenten ausgetauscht werden können. Dies nicht nur, um nicht mehr funktionsfähige Teile zu ersetzen, sondern auch um solche Nutzerinnen zufriedenzustellen, die einzelne Komponenten in der aktuellsten Version möchten. Eine Studie zur Lebensdauer von Smartphones konstatiert, dass insbesondere wegen der in Smartphones vorhandenen Metalle – die in die
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Produktion zurückgeführt werden könnten – konzeptionell der Austausch selbst von mehreren Komponenten zur Lebensdauerverlängerung als umweltfreundlicher zu bewerten sei als der Austausch des gesamten Produkts (vgl. Hirose und Mishima 2019). Effizienz, Konsistenz und Suffizienz am Beispiel Smartphone
Bezüglich Effizienz werden Smartphones in vielen Hinsichten optimiert: Leistungsfähigere Akkus und Prozessoren verringern den Energie- und Ressourcenbedarf. An der Konsistenz fehlt es bei den meisten Angeboten noch, da höchstens für einzelne Teile Kreislauffähigkeit und Unschädlichkeit sichergestellt werden. Greenpeace konstatiert den Herstellern, dass sie geplanten Verschleiß („Planned Obsolescence“) betreiben würden, um die Lebenszyklen kurz zu halten und möglichst viele Smartphones zu verkaufen („Driving Consumption“) – und somit entsprechend große Mengen an Elektroschrott erzeugen würden (vgl. Greenpeace 2017, S. 7). Dies steht „Mäßigung“ entgegen; das Suffizienzprinzip erfährt bezogen auf Smartphones aktuell nur wenig Aufmerksamkeit. ◄
8.1.4 Virtuelles Wasser und Wasser-Fußabdruck Von Unternehmen nicht sehr häufig nach außen kommuniziert werden Angaben zum in Produkten enthaltenen „Virtuellen Wasser“. Diese Methode zeigt in Litern an, wie viel Wasser zur Produktherstellung entlang der gesamten Wertschöpfungskette bewegt wurde. So wird z. B. für die Produktion von Fleisch einbezogen, wie viel Wasser nötig war, um das Tierfutter zu erzeugen, wie viel Wasser das Tier getrunken hat und mit wie viel Wasser sein Stall gereinigt wurde – und dies wird anschließend umgerechnet auf eine bestimmte Menge an Fleisch. Verschiedene Institute bieten kostenlos Berechnungsergebnisse für eine Vielzahl von Produkten an. Die Anzahl an Litern lässt jedoch keine Schlüsse darüber zu, wie negativ oder positiv die Umweltauswirkungen des Produkts sind. Häufig wird bei der Berechnung des Virtuellen Wassers die verbrauchte Frischwassermenge aus Oberflächen- und Grundwasser zur Menge des verschmutzten Abwassers addiert. Da stärker verschmutztes Wasser schädlicher sein kann als gering verschmutztes, wird dabei die Menge an Abwasser eingerechnet, die durch Verdünnung mit Frischwasser eine wenig bedenkliche Mischung darstellt. Die eigentlich kritische Größe beim Thema Wasser ist jedoch eine regionale bzw. lokale: Ist das hydrologische Einzugsgebiet verletzlich, d. h. ab welcher
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Menge für die Produktherstellung entzogenen Wassers und ab welchem Verschmutzungseintrag sind die lokalen Wasserressourcen aufgezehrt, leiden Menschen unter Wassermangel oder verschmutztem Wasser, werden Ökosysteme negativ beeinträchtigt? In vielen Regionen der Welt sind zudem jahreszeitliche Schwankungen der Frischwasserverfügbarkeit ein wichtiger Faktor (vgl. Berger 2013). Dies erfasst der sogenannte „Wasser-Fußabdruck“. Wasserverschmutzung und Wasserentnahmen in Gebieten mit Wasserknappheit und verletzlichen Ökosystemen zeigen einen schädigenden Wasserfußabdruck an. Im Umkehrschluss könnte eine lokale Bevölkerung von Export-Produkten profitieren, die während der Regenzeiten Wasser aufnehmen. Die Methode sollte also klar auf die regionale Verletzlichkeit („Vulnerabilität“) hin angewandt und mit dieser Differenzierung kommuniziert werden.
8.1.5 Ökobilanz/LCA Die Ökobilanz, auf Englisch LCA, kurz für Life Cycle Assessment, ist eine der verbreitetsten und anerkanntesten Methoden der umweltbezogenen Produktbewertung. Zielsetzung und Vorgehen sind in den Umweltmanagement-ISO-Normen ISO 14044 (Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen) und 14040 (Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen) geregelt (vgl. ISO 2018c, 2009). Ziel einer Ökobilanz ist, „Möglichkeiten zur Verbesserung der Umwelteigenschaften von Produkten in den verschiedenen Phasen ihres Lebensweges“ (ISO 2009, S. 4) aufzuzeigen; Ressourcennutzung und Emissionen sind wichtige dieser Umwelteigenschaften. Ökobilanzen definieren eine Referenzeinheit, eine sogenannte „funktionelle Einheit“. Damit wird das zu bewertende Produkt in seiner konkreten Anwendung definiert. Das Produktmanagement kann also neben den Umweltauswirkungen der Herstellung auch die der Produktservices, wie z. B. Wartung und Entsorgung, in die Ökobilanz einbeziehen. Mit Ökobilanzen lassen sich insbesondere ähnliche Produkte hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen vergleichen. In Ökobilanzen werden Daten zu den Produkten empirisch erhoben; zudem werden Daten aus Datenbanken und vorhandenen Studien einbezogen, um die Auswirkungen auf die Umwelt, teils auch in die Zukunft prognostiziert, abbilden zu können. Grundsätzlich können Ökobilanzen Auswirkungen auf alle Umweltmedien berücksichtigen, auf Boden, Wasser, Luft, Atmosphäre und biologische Vielfalt und zwar global, regional und/oder lokal. Dabei werden Messgrößen genutzt, die überwiegend auf aggregierten Informationen beruhen; gemessen werden z. B. Ressourcenverbrauch, Landverbrauch, Treibhauseffekt, Ozonabbau,
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Human- und Ökotoxizität, Sommersmog, Boden- und Wasserversauerung und -eutrophierung. Es muss ein Untersuchungsrahmen festgelegt werden, der eine Fokussierung auf wesentliche Bestandteile und Prozesse ermöglicht, da nicht für jeden Produktbestandteil, jede Wertschöpfungsstufe und jede geografische Reichweite alle der genannten Umweltauswirkungen erfasst und gemessen werden können und sollen. Z. B. können Rohstoffe, die nur minimal in Produkten vorhanden sind, aus der Bewertung ausgeschlossen werden, wenn absehbar ist, dass sie die Gesamtbewertung des Produktes nicht maßgeblich beeinflussen werden. Die Vorgehensweise einer Ökobilanz erstreckt sich über mehrere Phasen, die in den ISO-Normen definiert werden. In jeder Phase sind Entscheidungen über die Grenzen und Tiefe der Bearbeitung zu begründen und zu dokumentieren. Um eine übergreifende Bewertung der Produkte vornehmen zu können, werden vom Produkt ausgehende Gefährdungen bzw. Schäden in der Phase der Wirkungsabschätzung in einen größeren Rahmen eingeordnet. Dabei wird entweder Bezug auf gesetzliche und politische Vorgaben und Ziele genommen oder es werden wissenschaftliche Studien einbezogen, mittels derer ein Gesamtbild über die einbezogenen Umweltauswirkungen erstellt werden kann. Zum Beispiel wurde bei der Ökobilanz zweier regional produzierter Fleischsorten ermittelt, inwieweit der Fleischverzehr die normalerweise entstehenden Auswirkungen von Ernährung auf die Region beeinflusste; das bilanzierte Fleisch wurde bezogen auf durchschnittliche „Einwohnertageswerte“ von Treibhauseffekt, Bodenversauerung und Sommersmogeffekten etc. eingeordnet (vgl. Müller-Lindenlauf et al. 2013); so konnte das Ergebnis trotz Berücksichtigung unterschiedlicher Umweltauswirkungen deutlich machen, wie unterschiedlich groß die Umweltbeeinträchtigungen durch die Vergleichsprodukte in einer Region waren. Für die Umweltbewertung von Produkten haben Ökobilanzen große Vorteile: Das Verfahren ist in den Normen standardisiert; gleichzeitig ermöglicht es eine produktspezifische Definition des Untersuchungsrahmens und der analysierten Umweltauswirkungen. Eine vollständige Ökobilanz muss von einer unabhängigen Organisation überprüft werden (vgl. ISO 2018c, S. 44–45), um u. a. sicherzustellen, dass alle wahrscheinlich relevanten Aspekte für das konkrete Produkt hinreichend berücksichtigt werden. Jedoch ist durch die Vielfalt der einbezogenen Umweltauswirkungen die Kommunikation der Ergebnisse schwierig; für Laien sind Ökobilanzergebnisse in der Regel nur bedingt aussagekräftig. Dass die berücksichtigten Umweltfolgen im Rahmen einer Wirkungsabschätzung ausgewertet werden müssen, macht die Ökobilanz zu einer kontextualisierten und aussagekräftigen Methode.
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8.1.6 Produktbezogene Biodiversitätsanalyse Der stetig steigende Biodiversitätsverlust wird durch Übernutzung von Ökosystemen und Landverbrauch hervorgerufen, insbesondere durch Rohstoffabbau, Land- und Forstwirtschaft, Siedlungsbau und Zerschneidung von Landschaften durch Verkehrswege. Der Klimawandel verschärft das Phänomen weiter, wenn z. B. Wetterextreme die Lebensräume von Pflanzen und Tieren zerstören. Auf Unternehmensebene liegen Methoden zur Erfassung von Biodiversitätsauswirkungen vor allem bei der Identifizierung und dem Schutz von eigenen und angrenzenden Flächen, die eine hohe Artenvielfalt aufweisen und die wegen besonders schützenswerter oder bedrohter Arten bereits von Naturschutzregelungen als solche identifiziert sind (vgl. z. B. Indikatoren für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß der Global Reporting Initiative: GRI 304: Biodiversität 2016, vgl. GRI 2016). Instrumente für einzelne Produkte, die den Einfluss auf Arten beschreibund messbar machen würden, werden kaum angewendet. Vorgehensweisen zur Bestimmung der Produktauswirkungen auf Biodiversität erfassen die gesamte Wertschöpfungskette des Produktes und identifizieren Art, Menge und Herkunft der eingesetzten Ressourcen (vgl. Schaltegger und Beständig 2010). Für die wichtigsten Produktrohstoffe wird analysiert, ob sie negative Auswirkungen auf Schutzgebiete und gefährdete Arten haben und zudem, welche Schadstoffeinträge von ihnen ausgehen (vgl. Biodiversity in Good Company 2015, 2017). Ist die Übernutzung bezüglich relevanter Flächen oder Arten wahrscheinlich, kann konkretes Handeln des Produktmanagements einsetzen. Aufgabe von Produktmanagern ist nicht, Exemplare von bestimmten Tier- und Pflanzenarten zu zählen oder Ökosysteme zu beobachten; dies ist den jeweiligen Expertinnen zu überlassen. Vielmehr wird anhand von bei regionalen bis internationalen Organisationen und Behörden vorhandenen Daten der Einfluss des Produkts auf Schutzgebiete und gefährdete Arten abgeschätzt, wobei häufig externe Expertise zu Biodiversität und bezüglich der identifizierten Gebiete eingeholt werden muss (vgl. Boßmeyer 2015). Die Instrumente des Produktmanagements sind dann einerseits die Auswahl von Beschaffungsregionen und Lieferanten sowie andererseits die Kooperation mit Organisationen vor Ort, die den Schutz von Ökosystemen mit ihrer Expertise unterstützen, um somit die Auswirkungen des Produkts zu verbessern. Zwei Beispiele für auf Basis dieser Methode entwickelte Maßnahmen sind die folgenden: Damit sie den Schutz der von ihnen genutzten Ökosysteme – von denen ihre Lieferfähigkeit abhängt – langfristig sicherstellen
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können, werden die Lebensbedingungen von Lieferanten insgesamt verbessert und es wird ihnen Weiterbildung zur Erhaltung der Ökosysteme angeboten (vgl. Weleda 2016, S. 44). Lieferanten, die Gebiete mit hoher Artenvielfalt bewirtschaften und diese dabei schützen, wird eine Versicherung gegen Ernteausfälle finanziert, sodass sie die Bewirtschaftung fortführen (vgl. Weleda 2019, S. 20). Das „Bio“-Label, das die Herstellungsmethoden von Lebensmitteln und anderen Produkten auszeichnet, hat als Zielsetzung, Vielfalt von Arten und Produkten zu erhalten (vgl. EU Verordnung (EG), ABl. Nr. L 189 vom 20.07.2007). Bio-Produkte anzubieten kann somit als eine Maßnahme zum Schutz von Artenvielfalt gelten. Das Thema biologische Vielfalt hat mit der Corona-Pandemie neue Bedeutung erlangt, da die Übertragung von Krankheitserregern von Wildtieren auf Menschen u. a. auf die Vernichtung von Naturräumen zurückgeführt wird (vgl. WWF 2020).
8.1.7 Carbon Footprint/Klimabilanz Die Klimabilanz bzw. der „Carbon Footprint“ (oder auch der „CO2Fußabdruck“) misst den Beitrag von Produkten zum menschengemachten Klimawandel. Gemäß der ISO-Norm 14067 sollen Produkt-Carbon Footprints „in Übereinstimmung mit Internationalen Normen zur Ökobilanz (LCA)“ (ISO 2018b), also gemäß den o.g. ISO-Normen angewendet werden. Die Methode entstand aus der Einsicht heraus, dass viele Unternehmen nicht nur für die Klimaemissionen der eigenen Produktion sondern auch für die Klimaemissionen ihrer Wertschöpfungsketten und Produktportfolios verantwortlich sind (vgl. WRI und WBCSD 2011, S. 3). Um die klimarelevanten Emissionen eines Produktes berechnen zu können, werden der Energieeinsatz und die Energieträger sowie Material, für das Energie aufgewendet wurde, in seinen verschiedenen Wertschöpfungsstufen erfasst. Dabei werden direkt vom Unternehmen verantworteter sowie indirekter Energieverbrauch bei Kraftwerken, Lieferanten und Dienstleistern, Verarbeitern, Logistikunternehmen, Kunden, Entsorgern etc. berücksichtigt. Die bei der Verbrennung fossiler Energieträger zur Energiebereitstellung freigesetzten Klimaemissionen werden berechnet; dies sind insbesondere Kohlendioxid (CO2), Methan, Lachgas und klimawirksame gasförmige Fluorverbindungen. Um ihre je unterschiedliche Wirkung auf das Klima (Global Warming Potential) beziffern zu können, werden
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die verschiedenen Prozesse der Gasentstehung in Masse CO2-Äquivalente (CO2e) umgerechnet, die ihre Wirkung in der Atmosphäre über (in der Regel) 100 Jahre darstellen (vgl. GHG Protocol 2004, S. 45, 97). Zahlreiche Modell- und Praxisprojekte wurden und werden durchgeführt (vgl. PCF Pilotprojekt Deutschland 2009; vgl. WWF et al. 2016); selten jedoch werden die Ergebnisse in kg oder Tonnen CO2-Äquivalenten auf Produkten kommuniziert. Grund dafür ist, dass trotz zunehmender Standardisierung und Professionalisierung die Grenzen der einbezogenen Prozesse und die Berechnungsvorgänge individuell pro Produkt bestimmt werden müssen. Auch hier ist eine sinnvolle „funktionelle Einheit“ zu definieren. Z. B. kann die Herstellung zweier Kühlschränke ähnlich hohe Klimaemissionen nach sich ziehen; ist jedoch einer der beiden während der mehrjährigen Nutzung viel effizienter, so hat die Klimabilanz, die die Nutzenphase mitumfasst, für die absoluten Emissionen eine höhere Aussagekraft. Somit ist ein Vergleich von Produkten auf Basis von absoluten CO2e-Mengen nur bei sehr ähnlich ausgerichteten Carbon Footprints sinnvoll. Klimabilanz von Bier-Pfandflaschen
Eine Auswertung von Öko- und Klimabilanzen durch den Umweltverband Deutsche Umwelthilfe (2017) kommt zu dem Ergebnis, dass die Glas-Mehrwegflasche im Vergleich zu anderen Verpackungsarten wie Einwegflaschen und Dosen für Bier im Durchschnitt die geringsten Klimaemissionen erzeuge. Für die Bereitstellung von 1000 l Füllgut im Handel entstehen durch Glas-Mehrwegflaschen 150 kg CO2-Äquivalente; bei Bereitstellung derselben Menge in Dosen und Einwegflaschen kann es zu doppelt so hohen Emissionen kommen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Bier-Pfandflaschen in der Regel mindestens 25 Mal wiederbefüllt würden. Zudem wird erläutert, dass Pfandflaschen gerade auch von „kleinen und mittelständischen Brauereien in kleinen Distributionsradien mit sehr hohen Umlaufzahlen vertrieben“ (Deutsche Umwelthilfe 2017, S. 4) würden, dass die Reinigungsprozesse der Mehrwegflaschen deutlich energieeffizienter geworden wären und dass auch bei Pfandflaschen Gewichtsreduzierungen erzielt worden seien. ◄ Zielsetzung von Produkt-Klimabilanzen ist es u. a., die emissionsstärksten Wertschöpfungsstufen oder Prozesse anzuzeigen, bei denen also das größte Reduktionspotenzial liegt. Kommunikationsstark wird aktuell die „Klimaneutralität“ von Produkten beworben. Diese kommt in der Regel dadurch zustande, dass ausgewählte Prozesse auf einer oder mehreren Wertschöpfungsstufen
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definiert werden und dann der dafür nötige Energieeinsatz erfasst und der dem einzelnen Produkt entsprechende Emissionsanteil errechnet wird. Dieser wird anschließend „kompensiert“, d. h. es werden Zertifikate erworben, mit denen Projekte finanziert werden, die Klimaemissionen reduzieren. Da Klimaemissionen global wirken, können diese Projekte auch im globalen Süden oder an Orten stattfinden, an denen die Reduktion kostengünstig durchgeführt werden kann. Kompensations-Standards sollen gewährleisten, dass die Projekte wirklich aufgrund der Zahlungen für die Kompensationen zustande kommen und sich nicht unterschiedliche Akteure dieselben Zertifikate zurechnen (vgl. Umweltbundesamt 2018, S. 32–41). Zur „Klimaneutralität“ von Produkten gehört aus Unternehmenssicht, dass die Produktemissionen durch Effizienzmaßnahmen reduziert werden, um anschließend möglichst wenig Kosten für Zertifikate aufbringen zu müssen. Klimaneutrale Produkte werden häufig auf dem Produkt als solche ausgezeichnet; Beispiele dafür sind Versanddienstleistungen und Druckerzeugnisse. Ein Beispiel für ein „klimaneutrales“ Druckprodukt
Das Unternehmen CEWE, Hersteller für Druckprodukte, u. a. mit dem Produkt CEWE FOTOBUCH, das online und z. B. über Drogeriemärkte vertrieben wird, verkauft seine Markenprodukte als „klimaneutral“. Das Unternehmen setzt Energieeffizienzmaßnahmen um und kompensiert verbleibende Klimaemissionen, d. h. unterstützt finanziell Projekte, mit denen andernorts Klimaemissionen in der Höhe der durch die CEWE Markenprodukte erzeugten Emissionen verringert werden. Zur Berechnung der Emissionen und zur Auswahl der Kompensationsprojekte arbeitet CEWE mit einem Dienstleistungsunternehmen zusammen (vgl. CEWE 2016). ◄ Die Kommunikation auf Produkten, die z. B. eine Reduzierung von Klimaemissionen um einen bestimmten Prozentanteil angibt, sollte die zusätzliche Information bereitstellen, durch welche Maßnahmen die Reduktion konkret erwirkt wurde, um hier zwischen Kompensation, Einsatz erneuerbarer Energien und Effizienzmaßnahmen unterscheiden zu können. Der Carbon Footprint ist eine handhabbare Methode und kann für Unternehmen intern ein strategierelevantes Instrument darstellen, um Klimaemissionen an den relevanten Stellen im Wertschöpfungsprozess und bezogen auf die klimaschädlichsten Rohstoffe und Produkte zu reduzieren (für eine vertiefte Darstellung aus Unternehmenssicht vgl. Biermann 2017). Allerdings erfasst diese
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Methode keine weiteren Umweltwirkungen, sodass ggf. negative Wirkungen auf die anderen Umweltmedien durch Anwendung von oben genannten Methoden ausgeschlossen werden sollten. Reduzierte Klimaemissionen eines regionalen Bieres
Bierbrauen verbraucht Energie, u. a. um Getreide zu rösten und Flüssigkeiten zu erhitzen und zu kühlen. Klimaemissionen entstehen zudem beim landwirtschaftlichen Anbau und beim Transport der Zutaten. Die Kaiser Brauerei in Geislingen an der Steige ist eine regional ausgerichtete Brauerei. Es wird kein Carbon Footprint der Produkte kommuniziert, doch lassen die unten genannten Angaben der Brauerei zur Regionalität und zur Spezialität der genutzten Zutaten auf diesbezüglich relativ geringere Klimaemissionen schließen. Das Bier besteht laut Angaben der Brauerei auf der eigenen Website aus regionalen Zutaten: • Braugetreide: von 28 Landwirten von der schwäbischen Alb und dem schwäbischen Wald • Hopfen: aus der Hallertau und aus Tettnang • Brauwasser: aus eigenen Brunnen (vgl. Kaiser Brauerei GmbH o. J.) Zudem wird als besonderes Produkt ein bio-zertifiziertes „NaturPils“ beworben, das ausschließlich mit Bio-Hopfen gebraut und zudem mit 100 % regenerativer Energie hergestellt und abgefüllt werde (vgl. Kaiser Brauerei GmbH o. J.). ◄ Klimaemissionen von Smartphones
Der Carbon Footprint eines Smartphones wird bis zu 80 % durch den Energieverbrauch in den Phasen Rohstoffabbau und Produktion bestimmt (vgl. Greenpeace 2017, S. 10). Um die Klimaemissionen zu erfassen, müssen Hersteller Informationen über die Energiequellen ihrer Zulieferbetriebe einholen; dies tut nur ein Teil von ihnen (vgl. Greenpeace 2017, S. 11–13). Zudem ist der Energieverbrauch der Datenbereitstellung aus dem Internet und für das Telefonnetz relevant; dies wird vom Netzanbieter bestimmt (vgl. Zufall et al. 2020, S. 3). Sowohl die großen Marken (vgl. Greenpeace
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2017, S. 11–13) als auch kleine Serviceanbieter bieten hier teilweise bereits hohe Anteile an erneuerbaren Energien an. Und die Ladevorgänge erfolgen in Privathaushalten: Hier kann individuell der Energiemix und damit die Menge der Klimaemissionen bestimmt werden. ◄ Tab. 8.2 skizziert zu den bearbeiteten Methoden umweltbezogenen Produktmanagements die jeweils berücksichtigten Umweltmedien, das Vorgehen und die Verbreitung. Tab. 8.2 Methoden umweltbezogenen Produktmanagements im Überblick Methoden
Umweltmedien bzw.wirkungen
Vorgehen
Ökologischer Rucksack Materialmenge, die über Erfassung der Menge des entlang der Wertalle Wertschöpfungsschöpfungsstufen stufen verwendet wird genutzten Materials
Verbreitung mittel
Ökologischer Fußabdruck
Atmosphäre Boden, Luft, Ressourcen, Wasser
gering Produktgruppenspezifische Regeln zur Erfassung von Emissionen und Umweltauswirkungen; Vereinheitlichung durch EU in Planung
Kreislaufführung von Rohstoffen
Ressourcen
mittel Analyse der verwendeten Rohstoffe bezüglich ihrer Nutzbarkeit für mehrere Produktzyklen und ihrer Unschädlichkeit im Kreislauf; „Cradle to Cradle“-Zertifizierung
Virtuelles Wasser/ Wasser-Fußabdruck
Wasserverbrauch und -verschmutzung; Auswirkungen auf vulnerable Gemeinschaften und Ökosysteme
Berechnung der genutzten und verschmutzten Wassermengen; qualitative Bewertung bezüglich lokaler Vulnerabilität
mittel
(Fortsetzung)
8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements
279
Tab. 8.2 (Fortsetzung) Methoden
Umweltmedien bzw.wirkungen
Vorgehen
Verbreitung
Ökobilanz/LCA
Emissionen und Ökosysteme bezogen auf Boden, Luft und Wasser, Atmosphäre, Ressourcen
Definition von funktioneller Einheit, Wertschöpfungsstufen und Grenzziehungen; mehrstufige Analyse zu mehreren Umweltwirkungen; Wirkungsabschätzung; gemäß ISO-Normen
stark
Produktbezogene Biodiversitätsanalyse
Auswirkungen auf geschützte Gebiete und gefährdete Tier- und Pflanzenarten
Analyse der Rohstoffe und der Auswirkungen entlang der Wertschöpfungsstufen auf geschützte Gebiete und Ökosysteme; Einbeziehung spezifischer Expertise
gering
Klimabilanz/Carbon Fooprint
Atmosphäre: nur Klima- Definition von emissionen funktioneller Einheit, Wertschöpfungsstufen und Grenzziehungen; Berechnung von kg/t CO2e; gemäß GHGProtocol und ISONormen
stark
Eigene Darstellung, Einschätzung der Verbreitung durch die Autorin
8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements Im Folgenden werden sieben sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements vorgestellt. Im Umweltbereich sind Belastungsgrenzen von Ökosystemen und der Atmosphäre definiert, zu deren Einhaltung die Methoden beitragen sollen. Auch im sozial-ökonomischen Bereich werden Ziele auf globaler sowie auf nationalen bis lokalen Ebenen definiert. Als global vereinbart kann insbesondere die Verwirklichung von Menschenrechten und von menschenwürdigen Arbeits- und
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Gesundheitsstandards hervorgehoben werden. Auf den anderen Ebenen können regionalspezifische Zielformulierungen bestehen. Die sozial-ökonomischen Anforderungen sind, wie die U mweltAnforderungen, von Problemanalysen abgeleitet und in verschiedenen globalen Vereinbarungen, z. B. in den SDGs, konkretisiert. Ähnlich wie bei den Umweltmethoden, von denen mit Ausnahme des Carbon Footprints Auswirkungen auch in lokalen Ökosystemen erfasst werden, müssen Unternehmen auch die sozial-ökonomischen Methoden auf regionale Gegebenheiten beziehen, um die dortigen Auswirkungen ihrer Aktivitäten und ihrer Produkte erfassen und verbessern zu können. Die im Folgenden dargestellten Methoden sollen also den unterschiedlichen geografischen Ausgangssituationen Rechnung tragen. Dabei soll auch verdeutlicht werden, dass, im Unterschied zu den Umweltmethoden, die Übergänge zwischen der Minimierung negativer Auswirkungen und der Verbesserung positiver Auswirkungen bei vielen sozial-ökonomischen Methoden fließend sind. Zuerst wird in der Übersicht den globalen Problemen die jeweilige Methode zugeordnet (Tab. 8.3). Anschließend werden die Methoden beschrieben. Tab. 8.3 Sozial-ökonomische Nachhaltigkeitsprobleme und Methoden des Produktmanagements zu ihrer Lösung Probleme (Abschn. 5.2)
Methoden des Produktmanagements
Milliarden Menschen leben in Armut und ohne Würde Zunehmende Ungleichheiten innerhalb von und zwischen Ländern Enorme Unterschiede der Chancen, des Reichtums und der Macht
Monitoring und Garantie der Menschenrechte (insbesondere in der Lieferkette) Monitoring und Garantie menschenwürdiger Arbeitspraktiken Social Life Cycle Analysis Produktgestaltung und Produkttransparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile
Geschlechterungleichheit als eine der größten Herausforderungen Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit Gesundheitsgefahren
Monitoring und Garantie von Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit
Häufiger auftretende und an Intensität zunehmende Naturkatastrophen Eskalierende Konflikte, gewalttätiger Extremismus, Terrorismus, damit zusammenhängend humanitäre Krisen und Vertreibung von Menschen
Monitoring und Garantie der Menschenrechte (insbesondere in der Lieferkette) Monitoring und Garantie fairer Geschäftspraktiken
Eigene Darstellung, Probleme vgl. Vereinte Nationen 2015, S. 5
8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements
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Monitoring und Garantie Die Herausforderung des nachhaltigen Produktmanagements besteht zu großen Teilen darin, dass Dinge gemanagt werden, die außerhalb der Kontrolle und des direkten Einflusses des Unternehmens – und in ganz besonderer Weise der Position von Produktmanagern, ihres Teams, ihres Bereichs liegen. Noch stärker als bei den umweltbezogenen Methoden müssen hier Produkte und Produktbestandteile mehrere Schritte entlang der Wertschöpfungskette zurückverfolgt werden, um relevante Auswirkungen zu erfassen. Wegen der außerhalb der Organisation liegenden Stellschrauben ist die Bearbeitung der Auswirkungen in vielen Unternehmen nicht vorgesehen oder zumindest ein Novum. Allein die Analyse der Auswirkungen soll daher als eigene Leistung gewürdigt, in ihrer Bedeutung aufgewertet und operationalisierbar gemacht werden. Sie wird mit dem Konzept des „Monitorings“ bearbeitet. Die Leistung der Veränderung der Produkte durch Umsetzung von Maßnahmen und die stetige Weiterentwicklung wird in Abgrenzung dazu „Garantie“ genannt. Die Konzepte Monitoring und Garantie Das Monitoring von sozial-ökonomischen Auswirkungen erfasst: • wo die Auswirkungen auftreten, z. B. an welchen Standorten, in welchen Arbeitsbereichen, bei welcher Gruppe von Beschäftigten, etc. • wie die Organisation, die für die Produkte verantwortlich ist, an den Auswirkungen beteiligt ist. Hier ist z. B. zu analysieren, welche Geschäftsbeziehung in die Vorstufe der Wertschöpfungskette besteht, wo die Auswirkungen auftreten, ob daher die Auswirkung direkt verursacht wird oder ob nur dazu beigetragen wird. Zudem ist die Auswirkung konkret zu definieren (vgl. GRI 103: Managementansatz 2016, Angabe 103-1 GRI 2016, S. 6). • wie die Organisation, die für die Produkte verantwortlich ist, die sozial-ökonomischen Themen grundsätzlich managt, d. h. ob es eine formale Verpflichtungserklärung, eine Vision oder eine Richtlinie zum Thema gibt, ob eine verantwortliche Person dafür bestellt ist, ob Verpflichtungen bezüglich der Themen eingegangen wurden (z. B. gegenüber Regulierungsbehörden, im Rahmen von Brancheninitiativen oder gegenüber Kunden) und welche Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Zudem ist Teil des Monitorings, ob das Thema von formalen Beschwerdeverfahren erfasst wird. • welche Projekte, Programme und Initiativen zum jeweiligen Thema bestehen oder geplant sind (vgl. GRI 103: Managementansatz 2016, Angabe 103-2 GRI 2016, S. 8). Erst auf Basis von Monitoring-Ergebnissen kann negativen Auswirkungen entgegengewirkt werden, können positive Auswirkungen entwickelt bzw. einzelne sozial-ökonomische Handlungsfelder gestärkt werden. Da die Auswirkungen überwiegend positiv formuliert sind, wie Ansprüche auf Menschenwürde, auf angemessene Bezahlung, sichere Arbeitsbedingungen, etc., werden die Methoden zur Verbesserung der Auswirkungen im Sinne einer „Garantie“ konzipiert. Auch hier geht es um eine genauere Definition und um die
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Operationalisierbarkeit. Denn der Begriff der Garantie soll verdeutlichen, dass es kein Zufall ist, wenn positive sozial-ökonomische Auswirkungen Realität werden – sondern Ergebnis eines zielgerichteten Vorgehens des Unternehmens mithilfe des Produktmanagements.2 Die Garantie von sozial-ökonomischen Auswirkungen umfasst insbesondere: • die Planung und Initiierung von Projekten zu relevanten sozial-ökonomischen Auswirkungen, ggf. die Festlegung von Zielwerten • die Umsetzung konkreter Aktivitäten und Projekte • die Erfassung und Beschreibung der Projektergebnisse und, falls möglich, ihre Messung mittels klar definierter Größen. Zur Garantie gehört zudem ein vertieftes Ergebnismanagement, dieses umfasst: • ein Evaluationsverfahren, das systematisch und regelmäßig auf die Projekte im Bereich angewendet wird • die Durchführung der Evaluation der Projekte und ihre Dokumentation • die Ergebnisauswertung der Evaluation, d. h. die Erfassung, ob Projektrahmung und -organisation, insbesondere ob die Verantwortlichkeiten, die Ressourcenausstattung, die Durchführungswege etc. zur Erreichung der Projektergebnisse beigetragen haben • Veränderungen der Projektrahmung und -organisation der nachfolgenden Projekte, die sie, abgeleitet von den Evaluationsergebnissen, erfolgreicher machen sollen (vgl. GRI 103: Managementansatz 2016, Angabe 103-3 GRI 2016, S. 11). Garantie bedeutet also im guten Fall, dass die sozial-ökonomischen Auswirkungen nachweislich verbessert wurden; im schlechteren Fall ist zumindest transparent, ob Projekte und Einzelmaßnahmen in die richtige Richtung wirken – und welche Rahmenbedingungen, die vom Produktmanagement definiert wurden, ggf. dazu beigetragen haben. Hier geht es also um die Realisierung.
8.2.1 Monitoring und Garantie der Menschenrechte, menschenwürdiger Arbeitspraktiken, von Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit sowie von fairen Geschäftspraktiken Die vier Methoden: • Monitoring und Garantie der Menschenrechte (insbesondere in der Lieferkette) • Monitoring und Garantie menschenwürdiger Arbeitspraktiken 2Häufig
wird unterschieden zwischen der Policy eines Unternehmens und dem „Outcome“ der Unternehmensaktivitäten (vgl. z. B. Alliance for Corporate Transparency 2020, S. 4). Die Formulierung “Garantie” soll die Zielgerichtetheit des Outcomes unterstreichen.
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• Monitoring und Garantie von Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit • Monitoring und Garantie von fairen Geschäftspraktiken werden im Folgenden einzeln inhaltlich vorgestellt. Da alle vier Methoden überwiegend für den Umgang mit Lieferanten angewendet werden, werden in einem zweiten Schritt die lieferantenbezogenen Instrumente Monitoring-Plattformen, Selbstauskünfte und Selbstbewertungen, Audits und Zertifizierungen für alle vier Methoden gemeinsam behandelt. Menschenrechte Die Basis für das Management sozial-ökonomischer Aspekte bildet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Vereinte Nationen 1948), deren Bedeutung durch weitere Abkommen ergänzt und vertieft wird. Menschenrechte betreffen nicht nur Grundbedürfnisse, die das pure Überleben sichern, sondern verbriefen darüber hinaus ein selbstständiges und individuell gestaltbares Leben jeder einzelnen Person, das mit funktionierenden sozialen Institutionen und Rechtssystemen sowie einer intakten Umwelt verbunden ist (vgl. Brocchi 2013, S. 57; vgl. Nussbaum 1998). Bei sozial-ökonomischen Methoden werden häufig Management- und Auditsysteme genutzt; viele von ihnen enthalten Negativlisten, anhand derer die schlimmsten Missstände ausgeschlossen werden sollen. Aus Sicht von Unternehmen in Industrieländern liegen die gravierendsten sozial-ökonomischen Probleme überwiegend am Anfang ihrer Wertschöpfungsketten, d. h. im Ressourcen-Abbau und -Anbau für die Produkte und in der Vorverarbeitung. Gravierende Probleme sind solche, die Leib und Leben von Menschen gefährden oder dauerhaft schädigen und die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen grundsätzlich und dauerhaft einschränken. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass die folgenden fünf die bisher am wenigsten erfolgreich bearbeiteten Handlungsfelder für Unternehmen in ihren Wertschöpfungsketten darstellen: Kinderarbeit, Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen, angemessene Lebensstandards, Biodiversitätsverlust und unfaire Preis-Levels (vgl. Opijnen und Oldenziel 2011, S. 35–59). Als Menschenrechtsverletzungen können davon Kinderarbeit und unmenschliche Lebensstandards bezeichnet werden; auch der Biodiversitätsverlust kann menschenrechtsrelevant werden, wenn z. B. die Nahrungsgrundlagen von Menschen verloren gehen (Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen werden den Arbeitspraktiken zugerechnet und unfaire Preislevels der Methode zu den Geschäftspraktiken, siehe unten).
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Wesentliche Bestandteile des sozial-ökonomischen Produktmanagements müssen daher erstens das Monitoring und zweitens die Garantie von Menschenrechten sein, die entlang der Wertschöpfungskette zu gewährleisten sind. Das Monitoring, also die Erfassung von möglichen Menschenrechtsverletzungen im direkten oder indirekten Einflussbereich eines Unternehmens, dient dazu, gravierende von weniger gravierenden Auswirkungen zu unterscheiden und den eigenen Einflussgrad zu bestimmen. Die inhaltliche Problematik von Menschenrechten liegt darin, dass sie theoretisch anerkannt sind und in den meisten Ländern in Verfassungen und Gesetzen verbrieft sind – aber vielerorts faktisch nicht respektiert werden. Dies und die eigenen Einflussmöglichkeiten gilt es im Monitoring zu erfassen. Anschließend geht es um ihre Garantie: Menschenrechte müssen auch mit Hilfe von Unternehmen und weiteren Organisationen implementiert und im Ergebnis garantiert werden. Und Stärke sowie Grenzen der Verantwortungsübernahme entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu definieren, ist eine proaktive Aufgabe für Unternehmen (vgl. Opijnen und Oldenziel 2011, S. 69). Damit Menschenrechte nicht nur auf dem Papier existieren, sondern gemäß ihrer grundsätzlichen Bedeutung von Unternehmen respektiert und garantiert werden, soll der Grundsatz der „gebührenden Sorgfalt“ („Due Diligence“) auf Menschenrechte angewendet werden. Die Einhaltung der Menschenrechte ist damit eine aktive Aufgabe und kann nicht durch rein formale Institutionalisierung in Form von Unterschriften auf Papier oder Abarbeiten auf Checklisten erledigt werden. Gebührende Sorgfalt bedeutet ein systematisches und kontinuierliches Befassen mit der Materie, sowohl im eigenen Unternehmen an den eigenen Standorten als auch darüber hinaus: entlang der gesamten Wertschöpfungskette und mit allen Kooperationspartnern und Dienstleistern. Die Systematik ist für jedes Unternehmen spezifisch zu entwickeln, d. h. Regeln und Vorgaben müssen für das Unternehmen und seine Partner aussagekräftig formuliert sein. Da bisher nicht zur Praxis des Produktmanagements im Unternehmen zählt zu analysieren, welcher Produktbestandteil und welcher Lieferant zu Menschenrechtsverletzungen beitragen könnte, muss das Unternehmen Instrumente implementieren, mit denen die eigenen Aktivitäten und Ziele aller relevanten Unternehmensbereiche systematisch überprüft werden. Umgesetzte Maßnahmen sind laufend zu evaluieren. Auch indirekte Verflechtungen mit möglicherweise Menschenrechte missachtenden Organisationen sind zu erfassen. Zudem ist, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen in der Organisation oder ihrem Umfeld gekommen ist, ein klarer Fahrplan für die Wiedergutmachung für die betroffenen Menschen und für die Prävention der Probleme in der Zukunft aufzustellen und mit Ressourcen auszustatten (in Anlehnung an ISO 2010, S. 43).
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ISO 26000 – „Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung“ Die ISO-Norm DIN ISO 26000 wurde 2010 von der International Standardization Organization veröffentlicht (ISO 2010). Sie bearbeitet das Thema Unternehmensverantwortung im Sinne von nachhaltiger Entwicklung übergreifend. Dabei ist sie kein zertifizierbarer Standard, dessen Anwendung von Dritten bestätigt werden könnte. Sie ist vielmehr eine Leitlinie, die Anleitungen zur freiwilligen Umsetzung von Nachhaltigkeitsthemen enthält. Sie gibt Prinzipien vor und definiert Begriffe, sodass Unternehmen systematisch ihre Nachhaltigkeitsverantwortung entwickeln können. Gemäß der ISO 26000 sind Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen anzusetzen und durchzuführen. Zudem ist Dokumentation ein wichtiger Bestandteil, um intern und nach außen Entwicklungen abzubilden und sich selbst zu weiteren Schritten zu verpflichten. Vor allem aber definiert die ISO 26000 die Handlungsfelder für Unternehmen umfassend und konkret; sie liefert konkrete Anhaltspunkte zur Umsetzung. Die Leitlinie kann Unternehmen als Nachschlagewerk und Sammlung von Wissen und Hinweisen zu allen wichtigen Nachhaltigkeitsthemen dienen.
Zudem müssen Unternehmen dafür gewappnet sein, dass in „kritischen Situationen“ wie nach Naturkatastrophen, politischen Umstürzen und größeren Krisen (wie z. B. in der Corona-Krise in 2020) der Menschenrechtsschutz besonders schwierig umzusetzen ist; zudem sind sensible Monitoring-Ansätze und Garantien für ggf. besonders von Menschenrechtseinschränkungen betroffene Gruppen, z. B. ethnische Minderheiten, vorzusehen. Unternehmen werden zudem häufig in die Verantwortung genommen, auch wenn sie nur „Mittäter“ sind, z. B. wenn einer ihrer Lieferanten in einer einsturzgefährdeten Fabrik hat produzieren lassen oder wenn einer ihrer Kunden menschenverachtende Regime beliefert: Dies entlässt sie weder ihrer Verantwortung, Menschenrechte zu garantieren, noch der Verantwortung, die verursachten Schäden auszugleichen. Die ISO 26000 benennt auch über die Beeinträchtigung von Leib, Leben und Versorgung hinausgehende Menschenrechte, für die Unternehmen Sorgfalt walten lassen sollen: Auch politische und bürgerliche Rechte wie demokratische Mitwirkung und Meinungsfreiheit sowie kulturelle, wirtschaftliche und soziale Rechte wie freie Arbeitssuche und die eigene Sprache sprechen dürfen, sind zu gewährleisten (vgl. ISO 2010, S. 44–51). Eng mit dem Menschenrechtsschutz verknüpft sind die allgemeinen Arbeitspraktiken, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie korruptionsfreie Geschäftspraktiken; in diesen Feldern wird deutlich, dass die Menschenrechtsidee weit über die Garantie einer grundsätzlichen Menschenwürde und grundlegender Freiheitsrechte hinausgeht, sondern dass Menschenrechte auch die Gewährleistung von menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen durch eine gesellschaftliche Ordnung einschließen (vgl. Vereinte Nationen 1948, S. 6, Artikel 28 und 29; vgl. Herrmann 2008). Zur Gewährleistung müssen alle gesellschaftlichen Akteure, also auch Unternehmen, aktiv mitwirken.
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Arbeitspraktiken Arbeitspraktiken umfassen die allgemeinen Arbeitsbedingungen, unter denen Menschen berufstätig sind, z. B. Arbeitsverträge, Bezahlung, Kollektivvereinbarungen, Arbeitsstunden, Überstunden und Bildung. 1998 hat die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (IAO, Englisch: International Labour Organization, ILO) sogenannte „Kernarbeitsnormen“ formuliert; diese schließen eng an die Menschenrechte an. Als Grundsätze, für deren Monitoring und Garantien Unternehmen entlang ihrer Wertschöpfungsketten zuständig sind, werden hier besonders hervorgehoben: • „die Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen; • die Beseitigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit; • die effektive Abschaffung der Kinderarbeit; • die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.“ (IAO 1998, S. 5) Diese Auswahl von Themen ist als eine Antwort „auf die Herausforderungen der Globalisierung der Wirtschaft“ (IAO 1998, S. 2) formuliert worden. Fast alle Standards und Vereinbarungen im Bereich Arbeitspraktiken berufen sich auf die ILO-Kernarbeitsnormen (vgl. z. B. unten SEDEX, Ecovadis, SA8000); es ist üblich für Unternehmen, in ihren eigenen Menschenrechts- und Arbeitspraktiken-Vorgaben explizit darauf Bezug zu nehmen (vgl. Daimler 2015, S. 37; vgl. IKEA Group o. J., S. 61). Zum Thema Arbeitspraktiken gehört auch der Bereich der Bildung und Weiterbildung. Betriebe, die ihre eigenen Mitarbeitenden ausbilden, insbesondere aber auch ihren Beschäftigten Weiterbildung ermöglichen und finanzieren, verbessern die Arbeitspraktiken. Weiterbildung kann hier fachlicher Art sein, um im eigenen Arbeitsbereich sicher und fachgerecht zu agieren, kann sich auf Innovationen beziehen und die Beschäftigten befähigen, bei Neuerungen mitzuhalten und sie aktiv zu gestalten, und um Nachhaltigkeitsinnovationen anzuregen, einzubringen und zu verwirklichen. Weiterbildung kann sich ebenso auf Bereiche beziehen, die unabhängig von Einsatzbereich und fachlicher Expertise sind, also persönliche Weiterentwicklung und Resilienz beim Arbeiten stärken, was wiederum dem Unternehmen zugutekommen kann. Während die oben genannten ILO-Kernarbeitsnormen die grundlegenden Prinzipien der Arbeitspraktiken darstellen, deren Missachtung häufig zu menschenunwürdiger Arbeit führt, sind die Themen Bezahlung, Arbeits- und Überstunden sowie Bildung Themen, bei denen die positiven Auswirkungen auf
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der Hand liegen. Am Beispiel des Themas Bezahlung wird nun erläutert, was es bedeutet, nicht nur das Monitoring, sondern auch die Garantie von nachhaltigen Arbeitspraktiken umzusetzen. Existenzlohn Gesetzlich garantierte Mindestlöhne liegen in vielen Ländern unter dem, was Menschen zum Leben brauchen. Als die Existenz sichernder Lohn wird von der ILO und von Nichtregierungsorganisationen erst ein Lohn definiert, der „ausreichen sollte, um folgende Dinge zu finanzieren: ausreichende Ernährung, sauberes Wasser, Unterkunft, Ausbildung, Gesundheitsdienstleistungen, Transport, Bekleidung und andere Notwendigkeiten einschließlich der Möglichkeit für unerwartete Ausgaben sparen zu können“ (Hütz-Adams 2017, S. 2). Zudem wird ein existenzsichernder Lohn als Familieneinkommen definiert: Häufig besteht eine Familie aus Menschen aus drei Generationen, von denen nur eine oder zwei Personen erwerbstätig sind. Insofern muss die Höhe des Lohns angemessen sein, um die Familie zu versorgen und zudem mögliche Krankheiten und Unfälle abzufedern (vgl. Hütz-Adams 2017, S. 2). Nur ein so definierter Existenzlohn ist angemessen, um Menschen in Ländern mit gering ausgeprägten Sozialsystemen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Selbst in Ländern, in denen nicht zu geringe Mindestlöhne gesetzlich verankert sind, können Unternehmen sich nicht darauf verlassen, dass diese von ihren Lieferanten auch gezahlt werden. Denn häufig fehlen Kontrollen und Unternehmen unterbieten sich gegenseitig im Wettbewerb um geringe Produktionskosten. Neben einer angemessenen Höhe des Existenzlohns müssen Unternehmen daher darauf einwirken, dass der Existenzlohn tatsächlich ausbezahlt wird; dafür brauchen sie in der Regel die Unterstützung von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen oder anderen Fachleuten vor Ort. Auch Projekte zur Umsetzung an einzelnen Arbeitsstätten und deren Weiterverbreitung haben sich als erfolgreich erwiesen. Entwicklungsorganisationen stellen zudem klar, dass das Monitoring von Existenzlohn-Höhe und -Auszahlung allein auf die Dauer nicht wirksam ist. Zusätzlich sind die Arbeiterinnen vor Ort zu stärken, damit sie selbst für ihre Rechte einstehen. Auch müssen Richtwerte zwischen Lieferanten und ihren Abnehmern festgelegt werden, damit die Einkaufspreise die Zahlung eines Existenzlohns ermöglichen. Dies ist nach Erfahrungen in der Textilindustrie nur möglich in Zusammenarbeit mit den Unternehmen vor Ort und weiteren Stakeholdern. Es braucht langfristige Strategien für Löhne, die zum Leben reichen (vgl. CCC 2014, S. 16–18).
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz ist ein Themenfeld, das insbesondere produzierenden Unternehmen als interne Aufgabe bekannt und in europäischen Unternehmen bereits stark institutionalisiert ist; als Grundlage wird hier häufig die ISO-Norm 45001 zum Arbeitsschutzmanagement (ISO 2018a als Nachfolge der OHSAS-Normen) herangezogen. Entlang der Wertschöpfungskette die Minimierung von Arbeitsunfällen und die Verwirklichung eines hohen Gesundheitsschutzes zu gewährleisten, ist eine herausfordernde Aufgabe für viele Unter-
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nehmen. Allein schon das Monitoring im Sinne der Erfassung von Unfall- und Krankheitsfällen und deren Ursachen bei Lieferanten ist mit erheblichem Aufwand und mit Kommunikationshürden verbunden; so ist z. B. die Klassifizierung von Unfällen nach ihrer Schwere in verschiedenen Regionen unterschiedlich geregelt. Zu ihrer Garantie werden häufig die unten dargestellten Monitoring-Plattformen eingesetzt. Geschäftspraktiken Geschäftspraktiken werden bezogen auf Lieferanten und auf Entwicklungspartnerschaften bearbeitet. In der ISO 26000 ist zum Kernthema „Faire Betriebsund Geschäftspraktiken“ ein Handlungsfeld überschrieben mit: „Gesellschaftliche Verantwortung in der Wertschöpfungskette fördern“ (ISO 2010, S. 75). Aufgabe von Unternehmen ist es demnach, durch die eigenen Kaufentscheidungen nachhaltigere Produkte zu fördern, faire Preise zu zahlen, angemessene Lieferzeiten auszuhandeln und die Lieferanten durch dauerhafte Verträge abzusichern. Zudem soll das Unternehmen ein Partner für andere Akteure in der Wertschöpfungskette sein, ihnen in Sachen gesellschaftlicher Verantwortung Vorbild sein und sie praktisch anleiten; beispielhaft dafür wird genannt, den Kompetenzaufbau kleinerer Unternehmen zu fördern sowie nur mit Organisationen zusammenzuarbeiten, die ebenfalls gebührende Sorgfalt anwenden (vgl. ISO 2010, S. 75). Das Monitoring bestehender Geschäftspraktiken ist in vielen Unternehmen der erste Schritt, um negative Auswirkungen auf Lieferanten überhaupt zu erfassen; für diesen ersten Schritt braucht es bereits einen Informationsaustausch zwischen mehreren Unternehmensbereichen, z. B. Einkauf, Lieferantenmanagement und Logistik. Unternehmen, deren Kunden Unternehmen sind („B2B-Unternehmen“), übernehmen Geschäftspraktiken, z. B. Lieferzeitvorgaben, häufig von ihren Kunden und geben sie an ihre Lieferanten weiter. Wollen B2B-Unternehmen die Praxis verändern, müssen sie die Hürde überwinden, mit dem eigenen Kunden andere Lieferzeiten auszuhandeln. Die Garantie einer nachhaltigeren Geschäftspraktik bedeutet also unter Umständen politisch schwierige, langwierige und wettbewerbsrelevante Verhandlungen, die mit Kosten und Aufwand verbunden sind; gleichzeitig jedoch zeigen sich hier für Unternehmen, die in der Schusslinie kritischer Öffentlichkeit bezüglich sozial-ökonomischer Themen stehen oder deren Konsumentinnen mehr Nachhaltigkeit einfordern, Gestaltungsräume mit langfristigem Potenzial. Weitere Handlungsfelder bezüglich Geschäftspraktiken, ähnlich relevant auch für die anderen Teile der Wertschöpfungskette, betreffen die Vermeidung von Korruption, verantwortungsbewusste politische Mitwirkung z. B. als Lobby- und Verbandsarbeit, faires Wettbewerbsverhalten sowie die Achtung von materiellem
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wie geistigem Eigentum anderer, z. B. ihrer Patente und Urheberrechte, ihres Wissens und ihrer Daten (vgl. ISO 2010, S. 72–76). Die ISO 26000 definiert als weitere sozial-ökonomische Nachhaltigkeitsthemen die Bedeutung von lokalen Zusammenhängen und die Verantwortung gegenüber Konsumenten. Diese beiden Themen werden unten im Rahmen der Methoden Social Life Cycle Analysis, Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit und Produktgestaltung und Transparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile einbezogen. Monitoring-Plattformen Für das Monitoring der sozial-ökonomischen Themen Menschenrechte, Arbeitsund Geschäftspraktiken gibt es eine Reihe von privatwirtschaftlichen Regelwerken, die insbesondere darauf ausgerichtet sind, Unternehmen Hilfestellungen beim Monitoring der sozial-ökonomischen Auswirkungen ihrer Lieferanten zu geben. In der Regel werden sie mit Dienstleistungen kombiniert, indem mit vorgefertigten Fragebögen für Lieferanten die Datenerhebung unterstützt wird; zudem können Risikobewertungen über Regionen zur Verfügung gestellt, Audits und Zertifizierungen beauftragt werden, etc. Als Beispiele für international weit verbreitete Monitoring-Plattformen mit jeweils mehreren tausend Mitgliedsunternehmen und zehntausenden erfassten Lieferanten sollen hier z. B. Ecovadis, amfori BSCI, SA8000 und Sedex genannt werden. Zudem gibt es auf einzelne Branchen spezialisierte Dienstleistungen, z. B. NQC für Automobilzulieferer. Allen ist gemeinsam, dass sie das Monitoring unterstützen und somit die Selbstund Fremdbewertung von Unternehmen hinsichtlich ihrer sozial-ökonomischen Leistungen ermöglichen. Die im Monitoring verwendeten Kriterien sind aus den o.g. Rahmenwerken der UNO abgeleitet, teils werden sie regional- und branchenspezifisch ausdifferenziert und für besonders relevante Themen vertieft. Grundlegende Elemente des produktbezogenen Lieferantenmanagements mit Nachhaltigkeitskriterien sind • Selbstauskünfte und Selbstbewertungen • Audits • Zertifizierungen Selbstauskünfte und Selbstbewertungen Selbstauskünfte dienen häufig einer formalen Absicherung, indem z. B. ein Lieferant bestätigt, bestimmte Kriterien zu erfüllen, übernimmt er formal die Verantwortung dafür. Viele Unternehmen veröffentlichen einen Verhaltenskodex („Code of Conduct“), um u. a. ihre Lieferanten über ihre sozial-ökonomischen
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Regeln zu informieren. Viele Unternehmen stellen Teile davon oder das ganze Dokument ihren Geschäftspartnern zur Verfügung; viele lassen sich von ihnen die Einhaltung schriftlich bestätigen. Ebenfalls üblich ist, Verhaltenskodizes und Auskünfte zu sozial-ökonomischen Themen in die formalen Vertragsunterlagen, in Lieferantenverträge oder Anhänge, zu integrieren. Ihre formalrechtliche Verbindlichkeit ist damit hoch.3. Zudem können Selbstauskünfte mit Selbstbewertungen verknüpft werden, sodass ein Lieferant selbst anhand der vorgegebenen Inhalte erkennt, wo Themen nicht oder unzureichend bearbeitet werden. Häufig werden hierzu Fragebögen und Online-Tools zur Verfügung gestellt. Audits werden im Folgenden ausführlich behandelt, weil sie eine verbreitete Praxis zu den sozial-ökonomischen Anforderungen darstellen. Zertifizierungen werden im Anschluss beschrieben. Audits Audits sind Prüfverfahren, die aus Selbstauskünften, Unterlagensichtungen und aus Begehungen von Standorten der Lieferanten bestehen, wobei in der Regel mit Führungskräften und Beschäftigten persönlich gesprochen wird. Der Begriff „Audit“ meint in seiner Wortbedeutung Zuhören: Ein Audit dient also in erster Linie dazu, den Beteiligten vor Ort zuzuhören und zu prüfen, ob ausgewählte sozial-ökonomische Standards eingehalten werden. Insbesondere werden Arbeitssicherheits- und Hygienevorrichtungen sowie physische Arbeitsbedingungen überprüft; zudem werden Beschäftigungsverhältnisse, Arbeitszeiten und Bezahlung in ihrer formalen Dokumentation und durch Augenschein und Gespräche meist stichprobenartig überprüft. (Auch Umweltaspekte werden häufig in Audits bearbeitet.) Audits werden in der Regel durch spezialisierte (privatrechtliche oder von Behörden beauftragte) Organisationen durchgeführt, die insbesondere die lokalen Gesetzesvorgaben kennen und der lokalen Sprache mächtig sein sollten.
3Wie
oben bezüglich der Menschenrechtsverwirklichung beschrieben, reicht es nicht immer aus, wenn Rechte auf dem Papier verbrieft sind. In vielen Fällen verpflichten sich Unternehmen, Verhaltenskodizes und Gesetze zu erfüllen. Wenn aber, wie im Falle von Arbeitsschutz- oder Arbeitszeitverstößen die Betroffenen keine Möglichkeiten haben, formale Rechtsmittel einzulegen, wenn ihnen keine Beschwerdemechanismen zur Verfügung stehen, wenn auch die betriebliche oder gewerkschaftliche Interessenvertretung nicht vorhanden ist oder nicht funktioniert, dann können Lieferanten zwar formal zur Einhaltung von Rechten verpflichtet werden; sie werden diese Rechte aber nicht unbedingt garantieren können (vgl. Humbert 2014).
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In einem Audit, das regelmäßig zu wiederholen ist, wird überprüft, ob bestimmte Standards und Vorkehrungen institutionalisiert und dokumentiert sind, ob es z. B. zuständige Personen, Maßnahmendefinitionen und -evaluationen gibt. Jedes nachfolgende Audit kann erheben, ob bei vorhergehenden Audits dokumentierte Mängel behoben wurden. Audits werden häufig von Unternehmen bei ihren Lieferanten beauftragt, damit die Lieferanten bestimmte Kriterien nachweislich erfüllen. Der oben beschriebene Dienstleistungsmarkt mit Organisationen, die Monitoring in Form von Audits durchführen, zeigt, dass die Professionalisierung dieser Arbeit fortgeschritten ist und damit auch eine stärkere Vereinheitlichung erfolgt. Aktuell werden viele Lieferanten und B2B-Unternehmen mit je unterschiedlich formulierten Auditinhalten von ihren Unternehmenskunden konfrontiert; werden an einem Standort mehrere Audits nacheinander durchgeführt, werden also teils deckungsgleiche Kriterien mehrfach bearbeitet. Hier zeichnen sich jedoch effizientere Lösungen ab. Die Monitoring-Plattform SEDEX
Als ein Ansatz zur Vermeidung von mehrfachen Audits kann die Plattform SEDEX beschrieben werden: SEDEX steht für Supplier Ethical Data Exchange und hat als Kernidee eine Datenbank in Form einer Online-Plattform, in der Unternehmen durchgeführte Audits und die zugehörigen Prüfberichte veröffentlichen. Mitgliedsorganisationen müssen ein Audit bei sich durchführen lassen und haben dann Zugriff auf die Berichte anderer Unternehmen, können also ggf. einsehen, welche Kriterien von einem Lieferanten oder Vor-Lieferanten bereits erfüllt oder in Bearbeitung sind. Unternehmen können so ihren Lieferanten und ihren Kunden ohne Aufwand die Prüfberichte offenlegen. Es gibt von SEDEX vorgegebene Audit-Inhalte namens SMETA, was für Sedex Members Ethical Trade Audit steht. Die Inhalte beruhen auf einem Ethik-Kodex und können aus einem Baukastensystem aus Arbeits-, Sicherheits-, Gesundheits-, Umwelt- und Ethik-Vorgaben nach Bedarf zusammengestellt werden (vgl. SEDEX 2017, S. 6). ◄ Audits als Baustein von Managementsystemen Managementsysteme dienen der standardisierten Bearbeitung von Themen wie Arbeitssicherheit, Gesundheits- oder Umweltschutz in einem Unternehmen. Viele Managementsysteme sehen Audits als einen wichtigen Baustein vor. Managementsysteme umfassen in der Regel die folgenden Elemente:
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• Festlegung eines groben Rahmens der zu bearbeitenden Themen: genannt „Politik“ • Verpflichtung: Einhaltung der relevanten rechtlichen Vorschriften • Oberste Führungsebene verpflichtet sich zur ständigen Verbesserung des Managementsystems: mit operativer und strategischer Bedeutung • Planung: Für jede relevante Funktion und Ebene konkrete messbare Ziele, Programme, Verantwortlichkeiten, Mittel und Zeitrahmen • Verwirklichung und Betrieb: Organisationsstruktur, Schulung und Kompetenz, Kommunikation, Dokumentation und Dokumentenlenkung • Überprüfung: Überwachungsaufgaben, Messungen, interne Überprüfung (insbesondere in Form von Audits) • Bewertung: Eignung, Angemessenheit und Wirksamkeit des Managementsystems werden in festgelegten Abständen bewertet (vgl. Müller et al. 2013, S. 83–85) Managementsysteme legen in der Regel keine absoluten Anforderungen fest, z. B. eine maximale Ausfallrate aufgrund von Arbeitsunfällen an einem bestimmten Standort. Es sind häufig Kern-Messgrößen vorgesehen, die genutzt werden sollen, um die Erfüllung von Vorgaben erfassen und managen zu können. Audits zu Managementsystemen prüfen in der Regel, ob die Prozesse gemäß Planung umgesetzt sind und ob z. B. selbst gesetzte Ziele erreicht wurden.
Unangekündigte Audits können Missstände aufdecken; angekündigte Audits ermöglichen Gespräche mit den jeweils verantwortlichen Personen und Einsicht in Dokumentationen, sodass beide Auditarten von hoher Relevanz sind. Werden bei einem Lieferanten durch ein Audit Missstände oder Unklarheiten aufgedeckt, wird in der Regel eine Frist zu Behebung gesetzt. Unternehmen können den Lieferanten auslisten – falls sie schnell genug auf einen alternativen Lieferanten zugreifen können, der im Audit besser abschneidet. Audits sind ein stark verbreitetes Instrumentarium zur Bearbeitung von sozial-ökonomischen Kriterien an Standorten von Unternehmen und denen ihrer Lieferanten. Sie unterstützen die Vermeidung und Verminderung von Risiken und das Einhalten von Verpflichtungen. Ihre Wirkung, um negative Auswirkungen abzumildern, wird aus Perspektive der betroffenen Menschen in den auditierten Unternehmen jedoch unterschiedlich eingeschätzt. Eine kritische Perspektive bietet das folgende Statement zu Audits in Unternehmen der Textilverarbeitung: „[…] Audits bringen keine Veränderung. Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass die Realität des Fabrikalltags in Asien oder Osteuropa mithilfe der klassischen kommerziellen Audit-Programme nicht adäquat erfasst wird und dass damit kein systematischer Wandel der Industrie herbeigeführt werden kann. Bei kommerziellen Audits wird die Verantwortung für die Einhaltung sozialer Richtlinien größtenteils auf die Zulieferer übertragen und es wird nicht berücksichtigt, welche Rolle die Einkaufspraktiken der Unternehmen spielen – obwohl die von den Unternehmen verlangten niedrigen Einkaufspreise oder kurze Lieferfristen oft direkt zu tiefen Löhnen und maßlosen Überstunden in den Fabriken führen. […]“ (CCC 2014, S. 10)
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Anders ausgedrückt: Audits können Missstände aufdecken. Wie jedoch Abhilfe geschaffen wird, ist eine davon unabhängige Frage. In globalisierten und stark verzweigten Lieferketten wird ein „Verantwortungs-Vakuum“ (vgl. Gurzawska 2019, S. 15) konstatiert, da eine Vielzahl von Akteuren an der Verbesserung der sozial-ökonomischen Bedingungen mitwirken müsste. Dieses Vakuum kann durch Audits nicht strukturell behoben werden. Zertifizierungen Mit einer Zertifizierung bestätigt eine Instanz, die ihre Eignung dafür nachzuweisen hat und vom Auftraggeber unabhängig sein muss, dass bestimmte festgelegte Anforderungen erfüllt sind. Ein Beispiel: Nach den Vorgaben des Standards SA8000 dürfen bestimmte wöchentliche Arbeitszeiten und eine festgelegte Anzahl von Überstunden nicht überschritten werden (vgl. SAI o. J.); diese Angaben werden nicht nur in Audits überprüft, sondern ihre Einhaltung muss von Dritten formal bestätigt werden, damit ein Unternehmen die SA8000-Zertifizierung bekommen kann. Das nachhaltige Produktmanagement könnte als Instrument definieren, dass Produkte und ihre Bestandteile nur von Lieferanten bezogen werden, die nach bestimmten Standards zertifiziert sind, also z. B. Existenzlöhne oder die Einhaltung menschenwürdiger Arbeitszeitregelungen garantieren. Die Tatsache, dass der Anteil an Produkten, die hohe Standards garantieren, sehr gering ist, lässt darauf schließen, dass es hier Entwicklungsbedarf bzw. einer Ergänzung durch weitere Methoden bedarf. Ein Beispiel: Nach SA8000 sind laut eigener Darstellung knapp 4500 Standorte zertifiziert; SEDEX dagegen gibt an, 60.000 Mitglieder zu haben4. Die dargestellten Methoden zur Verbesserung von Auswirkungen hinsichtlich Menschenrechten, Arbeitspraktiken, Sicherheits- und Gesundheitsschutz und Geschäftspraktiken haben einen nur indirekten Produktbezug; die Auswirkungen beziehen sich auf Prozesse, die in der Regel mehrere Produkte oder Produktgruppen betreffen und daher mit den allgemeinen Unternehmensaktivitäten verknüpft sind. Dies liegt in der Natur der Themen, da sie in Form von Prozessen erfasst und Verbesserungen durch die Veränderung von Abläufen erzielt werden können. Auch bei den umweltbezogenen Auswirkungen, bei denen physisch greifbare Rohstoffe und Materialien betrachtet werden, wird häufig von einem
4Vgl. https://sa-intl.org/programs/sa8000/ und https://www.sedex.com/about-us/. Zugegriffen: 31.05.2020.
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8 Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig …
breiteren Prozess auf das einzelne Produkt zurückgeschlossen. Im Folgenden werden drei Methoden dargestellt, die direkter am Produkt ansetzen; hier geht es neben den lokalen Auswirkungen von Produkten um die Gesundheit der Konsumenten, um Produktqualität und um eine Produktgestaltung, die nachhaltige Lebensstile ermöglichen und unterstützen kann. Im Überblick: • Social Life Cycle Analysis • Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit • Produktgestaltung und Transparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile
8.2.2 Social Life Cycle Analysis Die Social Life Cycle Analysis (Social LCA oder SLCA) gilt als komplementär zur LCA/Ökobilanz (Abschn. 8.1) und hat den Anspruch, die sozial-ökonomischen Auswirkungen eines Produkts entlang der Wertschöpfungskette zu erfassen. Neben den hier bereits dargestellten Themen Menschenrechte, Arbeitspraktiken, Geschäftspraktiken sowie Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten führt die Social LCA u. a. die Themen Kulturelles Erbe und Lokale Gemeinschaften ein. Die Social LCA startet bei der genauen Definition des zu analysierenden Produkts, das in Form einer funktionellen Einheit definiert wird. Auch das Vorgehen ist angelehnt an die Methodik der LCA, der gemäß Betrachtungsgrenzen und die relevantesten Prozesse festgelegt werden müssen. Bestandteil der Social LCA ist dabei Transparenz darüber, welche Prozesse aus dem pragmatischen Grund ausgeklammert werden, dass sie den Umfang der Analyse sprengen würden (vgl. UNEP-SETAC 2009, S. 55). Die theoretisch erfassbaren Prozesse sind vielfältig, weswegen die Social LCA auf ausgewählte Aspekte begrenzt werden muss. Bestandsaufnahme und Auswahl der berücksichtigten Kriterien für die Analyse des Produkts bezogen auf die genannten Themen sind auf Basis von vorliegenden Bewertungen und Einschätzungen vorzunehmen. Das Besondere an der Social LCA ist, dass sie so konzipiert ist, dass keine umfassende Sichtweise hergestellt werden kann, sondern dass eine Produktbewertung nur dann realitätsgerecht ist, wenn sie die Sichtweisen unterschiedlicher Stakeholdergruppen (Abschn. 6.4) einbezieht. Für die Umsetzung der Social LCA ist vorgesehen, dass die Produktauswirkungen zu den genannten Themen erfasst werden und dass zudem für jeden erfassten Schritt in der Wertschöpfungskette die relevanten geografischen Standorte ermittelt und die Auffassungen der dort relevanten Stakeholder einbezogen werden. An jedem Standort können folgende Stakeholdergruppen relevant sein:
8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements
295
• „Workers/employees; • Local community; • Society (national and global); • Consumers (covering end-consumers as well as the consumers who are part of each step of the supply chain) and • Value chain actors5 • […] Additional categories of stakeholders (e.g. NGOs, public authorities/state, future generations) or further differentiations or subgroups (e.g. management, shareholders, suppliers, business partners) can be added“ (UNEP-SETAC 2009, S. 46). Die Perspektiven von ausgewählten Stakeholdergruppen werden in die Produktbewertung einbezogen; damit ist die Social LCA multi-perspektivisch ausgerichtet (vgl. UNEP-SETAC 2009; vgl. Ciroth et al. 2009). Je nach Umfang der Analyse werden Stakeholder-Perspektiven indirekt, z. B. aus veröffentlichten Stellungnahmen ausgewählter Repräsentantinnen, oder direkt durch Studien, Konsultation oder Beteiligung einbezogen. Die Social LCA hat den Anspruch, produktbezogene Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette zu analysieren, wobei die geografischen Orte und die involvierten Personen so weit wie möglich konkretisiert werden sollen. Dies ermöglicht, den Perspektiven von direkt Betroffenen, von Profiteurinnen, Verlierern und von Gestaltern Raum zu geben. Der multiperspektivische Social LCA-Ansatz erfasst als sozial-ökonomische Auswirkungen z. B. die Zerstörung von religiösen Praxen lokaler Gemeinschaften oder Wohlstandsgewinne aus Infrastrukturmaßnahmen; dabei werden unterschiedliche Sichtweisen und ggf. auch Konflikte vor Ort deutlich. Diese sollen durch transparente Darstellung der Vorgehensschritte und Entscheidungspunkte während der Analyse und der einbezogenen Perspektiven einem Produkt als Auswirkungen zugeschrieben werden. Das Ergebnis einer Social LCA beinhaltet also Produktauswirkungen in ausgewählten Themenfeldern und aus ausgewählten Perspektiven. Die Social LCA ist daher methodisch noch anspruchsvoller als eine Ökobilanz/LCA. Die Social LCA kann durch die Multiperspektivität jedoch nicht nur als realitätsnah verstanden, sondern auch als Grundlage für die Gestaltung von Wertschöpfungsketten herangezogen werden, da aus Stakeholderperspektiven Veränderungspotenziale entstehen können.
5Mit
den Akteuren der Wertschöpfungskette sind alle Beteiligten am Wertschöpfungsprozess außer den Konsumentinnen gemeint, also z. B. (Vor-)Lieferanten, Wettbewerber und Kunden.
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8 Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig …
8.2.3 Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit Die Methode zur Produktsicherheit und -gesundheit legt den Fokus auf die Nutzungsphase eines Produkts und auf die Perspektiven von Nutzern. In der EU gelten rechtlich verbriefte Gesundheits- und Sicherheitsstandards für viele Produkte; Produkte unterliegen Zulassungs- und Rückverfolgbarkeits-Vorgaben, die ihre Sicherheit garantieren sollen. Doch damit a) sind nicht alle möglichen Gefährdungen für alle Nutzenden gleichermaßen transparent und b) gibt es unter den Nutzenden Personen mit besonderen Sensibilitäten bezüglich der Produktauswirkungen, die aus Nachhaltigkeitssicht eine verstärkte Beachtung verdienen. Zu a) Im Fall von möglichen Gesundheitsgefährdungen, die vom Produkt ausgehen, und von Grenzen der Produktsicherheit, die aus dem Umgang mit dem Produkt entstehen können, gehören die deutliche platzierte Warnung und eine klare Beschreibung – verständlich für unterschiedliche Nutzergruppen – zum Produkt. Zudem kann freiwillig Transparenz darüber hergestellt werden, welche Kontrollmechanismen zur Garantie von Gesundheit und Sicherheit des Produkts durchgeführt werden. Weil gesundheitliche Bedenken bestehen, wird z. B. gefordert, die Inhaltsstoffe von Lebensmittelverpackungen genauer offenzulegen als dies derzeit in der EU geregelt ist6; Unternehmen, die die Inhaltsstoffe ihrer Produkte kennen, könnten hier proaktiv Transparenz schaffen. Zu b) Für Personen, die besonders sensibel auf bestimmte Inhaltsstoffe von Produkten oder auf Geräusch- oder Strahlungsintensitäten reagieren, kann eine erweiterte Transparenz über Daten oder durchgeführte Produkttests eine Erleichterung darstellen. Die Angabe, dass bestimmte Allergene in einem Lebensmittelprodukt oder Kleidungsstück enthalten sein könnten, entlastet Unternehmen z. B. von möglichen Rechtsansprüchen; Allergiker schließt sie ggf. von der Nutzung des Produkts aus. Hier könnte ein Hersteller abwägen, wie aufwendig die genaue Analyse ausgewählter Produktchargen und die entsprechend genauere Kennzeichnung wäre, um diese Personengruppen zu erreichen. Ähnliches gilt für die Nährwertangaben von Lebensmittel-Inhaltsstoffen oder Angaben über die genauen Herstellungsmethoden von Lebensmitteln oder Textilien, die für sensible Personen ausführlicher sein sollten als die Rechtslage vorsieht.
6Beispielhaft
ist hier die Initiative Food Packaging Forum zu nennen, die auf wissenschaftlichen Forschungs- und politischen Regulierungsbedarf aufmerksam macht (vgl. https:// www.foodpackagingforum.org/food-packaging-health. Zugegriffen: 05.05.2020).
8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements
297
Diese Methode ist eine, die gut zur Verbesserung von Auswirkungen genutzt werden kann, auch wenn für ein Produkt bereits Regelungen bestehen. Garantie der Produktqualität zu übernehmen bedeutet, dass Kunden und Konsumentinnen die Möglichkeit bekommen bzw. durch Transparenz befähigt werden, erweiterte Entscheidungen zur Produktauswahl und -verwendung zu fällen. Auch hier zeigt sich eine deutliche Stakeholder-Orientierung, hier bezogen auf die Nutzenden in ihrer Vielfalt. Stärkere Verbreitung von nicht alkoholhaltigen Getränken durch Bierhersteller
Als Unterstützungsaktion für die globale Strategie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), den Alkoholmissbrauch von 2010 bis 2025 um mindestens 10 % zu senken, haben Großunternehmen im Sektor Bier, Wein und Spirituosen eine Selbstverpflichtung veröffentlicht. Sie verpflichteten sich von 2013–2017 aktiv zu werden, um insbesondere folgende Probleme zu verringern: Alkoholkonsum von Minderjährigen und alkoholisiertes Autofahren. Zudem sollten neue Produkte verantwortungsvoll hergestellt werden, verantwortliches Marketing und Konsumenteninformation vorangebracht werden und solche Handelsunternehmen von ihnen aktiv unterstützt werden, die an diesen Bestrebungen aktiv partizipieren (vgl. UNGC und KPMG 2016, S. 16). Der Brauereikonzern Anheuser-Busch InBev kommuniziert, eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung von Alkoholmissbrauch spielen und positiv zu verantwortungsvollem und überlegtem Konsum beitragen zu wollen. Ein selbstgesetztes Ziel dafür ist, den Anteil der verkauften alkoholfreien bzw. alkoholreduzierten Produkte im eigenen Sortiment bis Ende 2025 auf ca. 20 % zu erhöhen (vgl. Anheuser-Busch InBev o. J.). ◄
8.2.4 Produktgestaltung und Transparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile Das Thema nachhaltige Lebensstile geht über die Themen Produktsicherheit und -gesundheit hinaus, setzt aber bei derselben Grundfrage an: Welche Leistungen, über rechtlich geforderte Garantien und Standards hinaus, können Unternehmen bieten, um Produkte nachhaltiger zu machen? Im Bereich Gesundheit gibt es die folgenden Ansätze: Verbrauchergesundheit bedeutet mehr als die Abwesenheit von gesundheitsgefährdenden Stoffen und ein möglichst geringes Unfallrisiko bei der Nutzung von Produkten.
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Verbrauchergesundheit wird durch gesunde Produkte, ausgewogene Ernährungsund Lebensstile und ein gesundes Lebensumfeld unterstützt. Die möglichen Produktleistungen hinsichtlich nachhaltiger Lebensstile sind vielfältig und werden hier zuerst aus der Perspektive der Nutzungsphase dargestellt. Hinsichtlich folgender Motivationen für nachhaltigere Produkte kann unterschieden werden: • Umweltverträgliche Produkte • Sozial „anständige“ Produkte – mit Betonung auf die sozial-ökonomischen Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette • Ethisch „anständige“ Produkte – die bestimmte Haltungen respektieren oder verstärken, z. B. vegane Produkte bezogen auf Tierwohl, Produkte ohne bestimmte tierische Herkünfte oder ohne Alkohol in verschiedenen Religionen, Ablehnung von Gentechnik in der Produktion zur Achtung der „Natur“ • Einfacher Lebensstil – wofür Produkte mit überschaubaren Funktionen bzw. Bestandteilen relevant sind • Teilen statt Besitzen – mit Betonung auf die Nützlichkeit von Produkten, wobei das Ausleihen eines Produkts dem Kauf vorgezogen wird, z. B. Carsharing eines Autos oder Bikesharing eines Pedelecs • Gesundheit – wobei meist davon ausgegangen wird, dass der Konsum und die Nutzung gesunder und gesundheitsfördernder Produkte positive Auswirkungen auch auf das Wohlbefinden Anderer in der Gesellschaft hat (eigene Darstellung in Anlehnung an imug 2016, S. 10). Auf den ersten Blick sind die aus den genannten Motivationen entstehenden Produktanforderungen vielfältig; kaum ein Produkt kann allen Motivationen entsprechen. Die Motivationen verdeutlichen unterschiedliche mögliche Zielgruppen für nachhaltigere Produkte. Zudem zeigen sie, warum einige an Nachhaltigkeit interessierte Konsumentengruppen bestimmte Produkte nicht nutzen, obwohl diese bereits hinsichtlich einzelner nachhaltiger Auswirkungen optimiert wurden. Aus Unternehmenssicht liegen die von den oben genannten Motivationen abgeleiteten Gestaltungsansätze für Produkte insbesondere in den folgenden Feldern (vgl. Biermann et al. 2010, S. 5): Die Produktnutzung im Alltag lässt sich nachhaltiger gestalten. Dazu gehören in erster Linie Langlebigkeit und Reparierbarkeit von Produkten. Aber auch die unterschiedlichen Nutzungsmuster durch unterschiedliche Gruppen sind hier relevant. Fahrzeug- und Mobilitätsangebote sollten berücksichtigen, dass
8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements
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Frauen aufgrund ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Aufgaben in der Regel kürzere Wege zurücklegen, dabei häufiger komplexere Wegeketten absolvieren, während Männer häufiger weiter und länger an einem Stück fahren (vgl. Weller et al. 2016, S. 19). Angebote für ältere Menschen bedienen häufig nur deren Funktionsbedarfe. Doch die Motivationen für nachhaltiges Handeln sind in verschiedenen Altersgruppen und zwischen den Geschlechtern (vgl. ebenda, S. 14) tendenziell unterschiedlich. Aus diesen Motivationen könnten Gestaltungskriterien im Rahmen des Produktmanagements genutzt werden. Bei Lebensmitteln spielt die angebotene Menge eine große Rolle: Unterschiedliche Mengengrößen für unterschiedliche Haushaltsgrößen anzubieten, kann Nahrungsmittelverluste im Haushalt vermeiden helfen. Es muss anhand von Produktdaten entschieden werden, ob es nachhaltiger ist, eine kleine Menge verpacktes Lebensmittel anzubieten, das länger hält und im Haushalt nicht verdirbt, oder größere Mengen an Lebensmitteln zu verkaufen, die unverpackt sind oder in Relation zum Inhalt weniger Verpackungsmaterial benötigen. Ein häufig leicht umzusetzender Ansatz ist, Dosierungs-, Verwendungs- und Lagerungshinweise zu Lebensmitteln und andere Verbrauchsprodukten zu geben, die Produktverluste vermeiden helfen. Damit ist das nächste breite Feld beschrieben: Durch verlässliche Informationen zu Produkten, die freiwillig und zur Befriedigung unterschiedlicher Nutzungsgruppen bereitgestellt werden, kann eine erhöhte Transparenz zu nachhaltigkeitsrelevanten Fragen geschaffen werden. Vollständige Informationen und auch ein Hinweis auf noch nicht vorliegende Daten und wann diese verfügbar sein werden, macht Transparenz aus. Auch praktische Erfahrungen mit Produkten, die in Social Media ausgetauscht werden, unterstützen nachhaltige Lebensstile – und könnten daher für eine Produktweiterentwicklung genutzt werden. Personen mit Interesse an nachhaltigen Lebensstilen sind häufig offen dafür, die Nutzungsphase für die Reduzierung negativer Auswirkungen und die Verbesserung von Auswirkungen aktiv zu gestalten. Daher unterstützt es nachhaltige Lebensstile, wenn Informationen zu wichtigen Auswirkungen in den jeweiligen Handlungsfeldern bereitgestellt werden. So könnte relevant sein einzuordnen, welchen Beitrag ein Lebensmittel zur Nachhaltigkeit von Ernährung insgesamt hat: Aus einer gesunden, umwelt- und sozialverträglichen Ernährung für alle weltweit heute und in Zukunft lebenden Menschen, wie sie unter Berücksichtigung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen als „Globales Ernährungskonzept“ entworfen wird (vgl. Rockefeller Foundation 2015, S. 2000–2002), lassen sich konkrete Nachhaltigkeitskriterien für den Ernährungsstil auch bei uns ableiten.
300
8 Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig …
Umgesetzt werden kann diese Methode mithilfe einer professionellen Marktund Konsumforschung, die explizit und gezielt Sichtweisen, Ansprüche und Fragen zu Nachhaltigkeitsthemen erhebt. Damit werden die Interessen der Nachhaltigkeitsinteressierten nicht nur transparent sondern darüber hinaus in Produkten und in der Nutzungsphase realisierbar, sodass positive Produktauswirkungen effektiv verbessert werden können. Der Beitrag des Unternehmens Fairphone zur Unterstützung nachhaltiger Lebensstile
Das Fairphone bietet durch die vorhandenen zwei Sim-Karten-Steckplätze den Nutzern die Möglichkeit, für zwei verschiedene Zwecke, z. B. Beruf und Privatleben, nur ein Smartphone zu nutzen. Damit kann die absolute Zahl der genutzten Smartphones reduziert werden. Zudem zeichnet sich Fairphone durch den durchgehend gelebten Ansatz aus, eine Alternative zum bestehenden Markt zu schaffen. Diese Idee zu unterstützen, kann eine Motivation von Käuferinnen sein. Die folgende Reflexion zum Unternehmen Fairphone unterstreicht dies: „Aus einer Aufmerksamkeits-Kampagne heraus entstanden, um auf den soziopolitischen Zusammenhang beim Abbau von metallischen Mineralien und seinen sozioökologischen Auswirkungen kritisch hinzuweisen, war die Gründung eines Unternehmens, das selbst Smartphones herstellt und vertreibt, eine sehr bewusste Entscheidung, um eine wirtschaftliche Wirkmächtigkeit zu erzielen und so als Sozialunternehmen neue politische Spielräume als Wirtschaftsakteur selbst zu bespielen. Transparenz stellt letztlich das oberste Prinzip der Unternehmenspolitik dar. Alle Zahlen und Prozesse werden daher nicht unternehmensimmanent kontrolliert, sondern aufgrund ihrer öffentlichen Zugänglichkeit zur Debatte gestellt. Auf der Produktebene lässt sich eine Entwicklung von Fairphone 1 hin zu Fairphone 2 konstatieren, in dessen modularem Design sich ein erweiterter Nachhaltigkeitsbegriff manifestiert. Das Unternehmen verändert sich mit der Gestaltung seines Produktes, was auch seine politische Idee erweitert.“ (Zwiers et al. 2017, S. 25) ◄ Tab. 8.4 bietet einen Überblick über die sieben Methoden des sozial-ökonomischen Produktmanagements bezogen auf ihre Wirkungsbereiche und das jeweilige Vorgehen; zudem wird ihre Verbreitung eingeschätzt.
Wirkungsbereiche
Vorgehen
Korruptionsbekämpfung, fairer Wettbewerb, verantwortungsvolles Lobbying, Achtung von Eigentum, Förderung von Verantwortung in der Wertschöpfungskette Stakeholderperspektiven entlang der Wertschöpfungskette auf Menschenrechte, Arbeitspraktiken, Kulturelles Erbe, etc.
Monitoring und Garantie fairer Geschäftspraktiken
Social Life Cycle Analysis
Menschenrechte entlang der WertMonitoring und Garantie der Menschenrechte (insbesondere in der schöpfungskette, auch in Mittäterschaft und in kritischen Situationen Lieferkette)
Garantie: gering
Monitoring: mittel
Garantie: stark
Monitoring: stark
Garantie: mittel
Monitoring: stark
Garantie: mittel
Monitoring: stark
Verbreitung
(Fortsetzung)
gering Festlegung einer funktionellen Einheit, von Untersuchungsgrenzen und relevanten Prozessen (analog LCA); zudem multi-perspektivische Bewertung von Auswirkungen
Gebührende Sorgfalt, Monitoring in Form von Selbstauskünften, Selbstbewertung, Verhaltenskodizes, Monitoring und Garantie menschen- Arbeitspraktiken, insbesondere Ver- Audits, Managementsystemen, … Garantie durch: Wiedergutmachung würdiger Arbeitspraktiken einigungsfreiheit, Beseitigung von Zwangsarbeit und Kinderarbeit sowie und Prävention, Projekte und Maßnahmen, Evaluation, ZertiDiskriminierung, Existenzlohn fizierung, Arbeitssicherheit, Unfallprävention, … Monitoring und Garantie von Gesundheitsschutz und Arbeitssicher- Gesundheit am Arbeitsplatz heit
Methoden
Tab. 8.4 Methoden sozial-ökonomischen Produktmanagements im Überblick
8.2 Sozial-ökonomische Methoden des Produktmanagements 301
Ermöglichung nachhaltigerer Lebensstile durch Produkte und Information
Eigene Darstellung, Einschätzung der Verbreitung durch die Autorin
Produktgestaltung und Transparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile
mittel
stark
Verbreitung
mittel Um Nachhaltigkeitsaspekte erweiterte und vertiefte Marktforschung und Produktentwicklung, Kommunikation zur Förderung nachhaltiger Verhaltensoptionen
Monitoring von Nutzungsarten Perspektiven verschiedener Nutzer auf die Sicherheit und Gesundheit der Garantie durch Transparenz Produkte in der Nutzungsphase
Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit
Vorgehen
Wirkungsbereiche
Methoden
Tab. 8.4 (Fortsetzung)
302 8 Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig …
8.3 Von Methoden zu Modellen
303
8.3 Von Methoden zu Modellen Die hier dargestellten Methoden zur Verbesserung der Auswirkungen von Produkten beziehen sich stark auf das Monitoring, also auf die Erfassung der Auswirkungen. Die vorherrschende Perspektive ist hierbei die eines produzierenden Unternehmens auf seine Lieferanten und Vorlieferanten, insbesondere in Regionen, in denen es um Menschenrechte, Arbeits- und Geschäftspraktiken oder Umweltschutz nicht gut bestellt ist. Das Monitoring kann dazu führen, dass Missstände erkannt und eventuell auch behoben werden; abhängig von den Methoden, mit denen die Nachhaltigkeitsthemen bezüglich der Lieferanten analysiert werden, und abhängig von den Kapazitäten, die bereitgestellt werden, um die Missstände zu beheben. Das Monitoring kann auch bestehende Lösungsansätze umfassen; bezogen auf Themen wie Gesundheit, Produktqualität und nachhaltige Lebensstile kann ein Monitoring positive Auswirkungen sowie Hürden und Potenziale in Wirtschaft und Gesellschaft erfassen und deren Passfähigkeit für ein konkretes Produkt beleuchten. Sollen solche positiven Auswirkungen garantiert werden, müssen Umsetzungsschritte evaluiert und funktionierende Konzepte etabliert werden. Für Garantien reicht es nicht aus, Maßnahmen im Produktmanagement umzusetzen. Ihre Wirksamkeit für die angestrebte Verbesserung ist ebenfalls nachzuweisen: dass ein Produkt z. B. die Gesundheit befördert, länger genutzt wird, von sonst benachteiligten Gruppen genutzt werden kann oder negative Auswirkungen eines Lebensstils absolut reduziert. Um zu garantieren, dass nachhaltigere Praktiken umgesetzt und dauerhaft institutionalisiert werden, sind also weitere Schritte nötig. Die im Folgenden (Kap. 9) dargestellten Modelle streben an, Garantie stärker in den Vordergrund zu rücken als Monitoring. Sie bereiten damit insbesondere den Weg zu einem veränderten Verhältnis zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten, im Sinne eines innovativen nachhaltigeren Produkt- und Lieferantenmanagements. Das Thema Lieferantenmanagement wird hier nicht als allgemeine Unternehmensaufgabe bearbeitet, sondern mit einem Fokus auf Produkte und ihre Auswirkungen. An vielen Stellen kann nicht spezifiziert werden, ob zum Beispiel die Abschaffung erzwungener Überstunden allen Beschäftigten an einem Standort oder nur einem speziellen Produkt zugutekommt, dessen Bestandteile dort produziert werden. Ziel ist, Modelle nachhaltigen Lieferantenmanagements zu erarbeiten, die für die Anwendung auf Produkte passend sind. Zudem gehen die Modelle über Lieferantenmanagement hinaus, da auch andere Stakeholder und vor allem die Nutzenden mit betrachtet werden.
304
8 Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig …
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8 Mit welchen Methoden können Produkte nachhaltig …
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9
Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden vier Modelle nachhaltigen Produktmanagements vorgestellt. Mit ihnen können Produkte hinsichtlich umweltbezogener und sozial-ökonomischer Nachhaltigkeitskriterien verbessert werden. Die Modelle gehen von der Erfahrung aus, dass Produktmanagement häufig auf die Kooperation mit Lieferanten angewiesen ist, um Probleme entlang der Wertschöpfungskette zu lösen. Die Modelle unterscheiden sich hinsichtlich der Intensität der Kooperation und der Anzahl der kooperierenden Organisationen sowie hinsichtlich der möglichen Reichweiten der Problembewältigung. Das Modell der Risikobegrenzung ist eher reaktiv ausgerichtet (Abschn. 9.1), baut jedoch, ähnlich wie das Modell der Nachhaltigen Effizienz (Abschn. 9.2), auf die Kooperation mit Lieferanten. Die effiziente Aktivierung der Kompetenzen aller beteiligten Organisationen wird im Modell Nachhaltige Produkte zur innovativen Weiterentwicklung von Produkten genutzt (Abschn. 9.3). Das Modell Veränderungs-Netzwerke schafft nicht nur nachhaltigere Produkte, sondern durch bereichsübergreifende Kooperationen können auch die Rahmenbedingungen des Produktmanagements verbessert werden (Abschn. 9.4). Die Methoden im nachhaltigen Produktmanagement lassen sich hinsichtlich der vier folgend genannten Modelle anwenden: 1. Risikobegrenzung 2. Nachhaltige Effizienz 3. Nachhaltige Produkte 4. Veränderungs-Netzwerke © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_9
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9 Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?
Diese Modelle können gleichermaßen auf sozial-ökonomische wie auf umweltbezogene Methoden angewendet werden.
9.1 Risikobegrenzung Ein wichtiger Bestandteil des Modells Risikobegrenzung ist das Monitoring von Auswirkungen hinsichtlich Menschenrechten, Arbeits- und Geschäftspraktiken; damit erfassen Unternehmen wichtige sozial-ökonomische Risiken entlang der Wertschöpfungskette ihrer Produkte. Zum Instrumentarium gehört hier, bestimmte Standorte als Risikoregionen bzw. Risikoländer, im Einzelfall sogar als Risikostandorte, zu klassifizieren. Dafür nutzen die meisten Unternehmen Risikoländerlisten, die von Bundesbehörden, Nichtregierungsorganisationen oder internationalen zwischenstaatlichen oder Branchen-Organisationen veröffentlicht werden. Lieferanten und Produkte aus diesen Regionen werden gegebenenfalls grundsätzlich ausgeschlossen. Risikobegrenzung kann ebenfalls dadurch erfolgen, dass für alle wesentlichen Produkte neben den überwiegenden Sourcing-Regionen „Ersatz-Regionen“ und/oder mögliche Ersatz-Lieferanten oder -Produkt(bestandteil)e identifiziert werden. Sobald das Monitoring eine gesteigerte Risikowahrscheinlichkeit aufdeckt, kann dann kurzfristig auf Waren oder Alternativen anderer Herkunft zurückgegriffen werden. Risikobegrenzung kann ebenso durch die oben bearbeiteten grundlegenden Elemente des Lieferantenmanagements mit Nachhaltigkeitskriterien erfolgen, insbesondere durch Selbstauskünfte und Selbstbewertungen der Lieferanten und durch Audits. Diese geben weit konkretere Hinweise auf Risiken an den vorgelagerten Standorten und können inhaltlich spezifiziert, gesondert für die Lieferanten ausgewählter Produkt(bestandteil)e angefordert und nach eigenem Ermessen aktualisiert werden. Zertifizierungen bieten einen noch verlässlicheren Nachweis: Für einige sogenannte „kritische“ Rohstoffe bei denen sozial-ökonomische Probleme auf der ersten Wertschöpfungsstufe eher die Regel als die Ausnahme sind, gibt es Produkt-Zertifizierungen. In der Regel müssen die Lieferanten dieser Produkte ebenfalls ein Verfahren durchlaufen haben, um zertifizierte Produkte anbieten zu können. Beispiele sind RSPO-zertifiziertes Palmöl (in mehreren Stufen der Rückverfolgbarkeit), Rainforest-Alliance- bzw. utz-certified Kakao und FSC-zertifizierte Holz- und Papierprodukte. Auch die Nachweispflicht der Herkunft von Konfliktrohstoffen (vgl. Abschn. 6.2) kann hier genannt werden. Der Bezug von zertifizierten Rohstoffen oder Produkten im Sinne von Risikobegrenzung erfolgt durch Unternehmen häufig auf Basis von Kundenanforderungen: Die Unternehmen erweitern ihre Produktmanagementprozesse
9.2 Nachhaltige Effizienz
311
um die Zertifizierungsanforderungen ihrer Kunden oder reagieren auf Kundenwünsche und -anfragen, um die Kunden an sich zu binden. Damit vermeiden sie gleichzeitig Risiken in der Lieferkette. Als Instrumente im Feld Risikobegrenzung sind damit die folgenden skizziert: • • • •
Meidung von Risikoregionen Selbstauskünfte und Selbstbewertungen Audits und Zertifizierungen von Standorten und Unternehmen Rohstoff- und Produktzertifizierungen gemäß Kundenanforderungen
Diese Instrumente lassen sich durch Lieferantenauswahl und Vorgaben an Lieferanten realisieren. Zusätzliche Schnittstellen für die Arbeit des Produktmanagements Risikobegrenzung zieht neue Aufgaben für das Produktmanagement nach sich. Dazu müssen in diesen Funktionen neues Wissen, erweiterte Kompetenzen und adäquate Ressourcen vorhanden sein. Die Koordination oder Führung von Teams über die verschiedenen Funktionen und auch die Abstimmung bezüglich der Schnittstellen zwischen den Funktionen (vgl. Abschn. 2.4) können eine Herausforderung darstellen. Zu den Aufgaben des Produktmanagements gehören hier z. B.: • • • • • •
Bereichsübergreifende Abstimmungen oder entsprechende Funktionen einrichten Interne Schulungen bezogen auf die relevanten Nachhaltigkeitsthemen organisieren Fragebogen für neue Lieferanten anpassen Lieferanten-Bewertung erstellen und auswerten Kommunikation mit den Kunden, die Produktzertifizierungen als Anforderung stellen Dokumentation und ggf. neue Dokumentationsformate erarbeiten
Die im Folgenden bearbeiteten Bausteine des nachhaltigen Produktmanagements lassen sich dagegen nur in Kooperation mit Lieferanten umsetzen, d. h. dass weitere Aufgaben im Lieferantenmanagement und Produktmanagement hinzukommen, wenn nachhaltige Effizienz, nachhaltigere Produkte oder Veränderungs-Netzwerke verwirklicht werden sollen.
9.2 Nachhaltige Effizienz Der Begriff der Effizienz meint hier nicht eine gesteigerte betriebswirtschaftliche Effizienz. Gemeint ist hier die Verbesserung umweltbezogener und sozial-ökonomischer Auswirkungen durch wechselseitig gewinnbringende und damit effiziente Kooperation der Beteiligten. Effizienz ist dann verwirklicht,
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9 Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?
wenn der Aufwand für die Kontrolle von Vorgaben und für externe Prüfungen entfällt und die nachhaltigkeitsbezogenen Wirkungen gleichzeitig positiv ausfallen. Zur Erreichung nachhaltiger Effizienz werden ausgewählte Produkte bearbeitet, die Probleme oder Risiken mit sich bringen. Häufig sind diese aus Monitoringprozessen bekannt. Ein typisches Beispiel ist ein Rohstoff in einem Produkt, in dessen ersten Wertschöpfungsstufen problematische Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverstöße an der Tagesordnung sind. Im Gegensatz zur Risikovermeidung bekommen die Lieferanten hier nicht einfach eine Vorgabe, die sie zu erfüllen und wofür sie einen Nachweis zu liefern haben, z. B. also die Auflage, eine bestimmte Zertifizierung vorzulegen. Der Ansatz hier ist, die Leistungsfähigkeit der Lieferanten so zu stärken, dass sie das Problem inhaltlich bearbeiten und die Problemlösung selbstständig umsetzen können. Z.B. werden den Lieferanten Informationen zur Problematik und zu den eigenen Produktionsanforderungen vorgelegt, verbunden mit der Aufforderung, Lösungen anzubieten. Eventuell wird ein Workshop gemeinsam mit unterschiedlichen Lieferanten durchgeführt, sodass ein Lernnetzwerk entstehen kann. Es wird auf die Kompetenzen der Lieferanten und auf ihre Entwicklungsfähigkeit gesetzt. In welcher Form ein Lieferant den geforderten Nachweis erbringt, ob durch transparente Dokumentation oder durch eine externe Zertifizierung, wird bestenfalls seiner Entscheidung überlassen. Der Lieferant wird in dem Prozess befähigt, schrittweise weitere verbesserte Rohstoffe anzubieten. Er kann dabei z. B. mit anderen Lieferanten kooperieren und die verbesserten Rohstoffe anschließend auch anderen Kunden anbieten. Es findet zudem zwischen einigen Unternehmen ein Austausch darüber statt, welche Möglichkeiten sie ihren Lieferanten anbieten, um deren Fähigkeiten zu stärken. Die Kooperation zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten, aber auch die von Lieferanten untereinander, ist hier intensiver als im Rahmen von Risikobegrenzung. Beispiele von Handelsketten, die Effizienz aus vertiefter Kooperation mit ihren Lieferanten erzielen
Zum Beispiel hat C&A eine Informationsplattform für seine Lieferanten online gestellt, auf der sich diese über die diversen C&A-Nachhaltigkeitsvorgaben informieren und gleichzeitig ihre Kompetenzen einspeisen können (vgl. C&A 2012). Aldi Süd kommuniziert, dass mit den Herstellern der Aldi-EigenmarkenProdukte gemeinsam an der Entwicklung von Produkten und Prozessen zu Nachhaltigkeitsthemen gearbeitet werde (vgl. Aldi Süd 2016). ◄
9.3 Nachhaltige Produkte
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9.3 Nachhaltige Produkte Will ein Unternehmen aktiv zu Nachhaltigkeit beitragen und also nachhaltige Produkte anbieten und Produkte hinsichtlich ihrer Auswirkungen deutlich verbessern, muss es über Effizienz hinausgehen. Jedoch können Risikovermeidung und Effizienz erste Schritte auf dem Weg zu nachhaltigen Produkten darstellen. Hat ein Unternehmen bereits zertifizierte nachhaltige Produkte im Angebot, kann es von sich aus den Zertifizierungsanteil steigern, d. h. mehr zertifizierte Produkte anbieten und somit auch mehr zertifizierte Rohstoffe beziehen. Bei vielen Zertifizierungen lässt sich auch der Zertifizierungsgrad erhöhen, indem z. B. strengere Herkunftsnachweise angefordert werden. Bei nachhaltigen Produkten geht es also um Weiterentwicklung, Innovation und Initiativen, die sichtbar werden. Möglichkeiten von Unternehmen dabei sind: • Nachhaltigkeitsziele in Partnerschaften zu setzen, d. h. die Kompetenz von Lieferanten ins Boot zu holen, um gemeinsam nachhaltigere Ideen zu verwirklichen oder Ansprüche aus der Gesellschaft und von Kundinnen aktiv aufzugreifen • Konkrete Anreize für Lieferanten zu schaffen, indem nachhaltigkeitsaffine Lieferanten bevorzugt, ihr Status aufgewertet, ihr Liefervolumen erhöht wird; und indem sie z. B. in strategische Gespräche mit Kunden eingebunden werden (vgl. UNGC 2010) • Einen Teil der Kosten von Nachhaltigkeitsinnovationen, die bei den Lieferanten anfallen, zu übernehmen oder sie beim Kapazitätsaufbau operativ zu unterstützen (vgl. ebenda) • Zeitliche und organisatorische Lieferbedingungen so anpassen, dass sich die sozial-ökonomischen Bedingungen bei den Lieferanten verbessern • Zugängliche und wirksame Beschwerdemechanismen schaffen, die Selbstbestimmung der Beschäftigten der Lieferanten stärken und nachweisbar bessere Arbeitsbedingungen in der Lieferkette entwickeln • Beschäftigte auf verschiedenen Ebenen des Unternehmens aktivieren, um Nachhaltigkeitsideen für die Produkte zu generieren Zur Entwicklung nachhaltiger Produkte braucht es intensivere Beziehungen entlang der Wertschöpfungskette; zur Weiterentwicklung von Lösungen sind schrittweises gemeinsames Vorgehen und damit langfristigere Kooperationen notwendig. Das Thema Monitoring ist hier jedoch nicht in den Hintergrund
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9 Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?
gerückt: Um Möglichkeiten, Effekte und Nebeneffekte nachhaltigerer Produkte zu erfassen, braucht es gute Fähigkeiten zur Steuerung und Bearbeitung von Monitoringprozessen und für die Kooperation unter Beteiligten. Als möglich wird erachtet, dass der Einsatz neuer Kommunikations- und Block Chain-Technologien zu Effektivität und Transparenz beim Monitoring beitragen wird (vgl. Gurzawska 2019, S. 8–13). In konstruktiven Kooperationen für nachhaltige Produkte werden außer den Akteurinnen entlang der Wertschöpfungskette häufig weitere Kooperationspartnerinnen benötigt, z. B. aus Wissenschaft, Investoren- oder zivilgesellschaftlichen Gruppen. Gesundere und umweltfreundlichere IKEA-Produkte durch Kooperation und Investition
IKEA gibt an, dass Bleichprozesse für die eigenen Textilien teils auch in Regionen stattfinden, in denen Wasserknappheit herrscht, was die Versorgung und die Gesundheit der Bevölkerung gefährden könne. IKEA entwickelte gemeinsam mit ausgewählten Lieferanten synthetischer Textilfasern eine Bleichtechnik, die den Wasserverbrauch um 80 % reduzieren soll. Anschließend sei diese Technik auch weiteren IKEA-Lieferanten zur Verfügung gestellt worden (vgl. IKEA Group o. J., S. 39). IKEA hat somit umweltbezogene und sozial-ökonomische Auswirkungen der Textil-Produkte verbessert. Zudem hat IKEA sogenannte „Water Guidelines for Textiles Suppliers“ aufgestellt, mit denen sie weiteren Herstellern Hinweise zum Wassersparen geben möchten (vgl. ebenda). Auch bei einem weiteren Produkt, bei IKEA-Grünpflanzen, wurde durch Kooperation ein nachhaltigeres Produkt geschaffen. IKEA-Lieferanten und IKEA-Kundinnen, die Grünpflanzen des Unternehmens erworben haben, sollen nun weniger Pestiziden ausgesetzt sein. IKEA berichtet, sich als Investor an einem Unternehmen beteiligt zu haben, das einen Pflanzenschutz entwickelt habe, der ohne chemisch-synthetische Pestizide auskomme (vgl. ebenda). ◄
Transparente Lieferketten als Basis für nachhaltige Produkte bei Fairphone
In einer Studie der EU-Kommission zum Thema menschenrechtliche Sorgfaltspflicht wird das Unternehmen Fairphone dafür lobend hervorgehoben, dass es einen aktiven Beitrag zur Nachhaltigkeit seiner Produkte erbringe.
9.3 Nachhaltige Produkte
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Fairphone sei Vorreiter darin, konkrete Standorte seiner Lieferkette transparent zu machen und lege z. B. sogar die Produktionskosten seiner Endgeräte offen, sodass auch Wettbewerber diese einsehen könnten. Es wird hervorgehoben, dass das Unternehmen trotz seiner geringen Größe damit Einfluss auf seine Wettbewerber ausübe. Der Ansatz des „leverage“, also aktiven Vorpreschens mit konkreten Resultaten, wird in der Studie bei vielen anderen Unternehmen als unzureichend umgesetzt bewertet (vgl. European Commission 2020, S. 77–78). ◄ Bio-Baumwoll-Produkte bei C&A auch durch Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe
Ein Beispiel für ein nachhaltigeres Produkt ist die Nutzung von bio-zertifizierter Baumwolle durch das Unternehmen C&A. Seit Jahren bietet das Unternehmen Produkte aus Bio-Baumwolle nicht teurer an als Produkte aus konventionell angebauter Baumwolle. Es erklärt als sein Unternehmensziel, bis 2020 zu 100 % Baumwolle anzubieten, die entweder biologisch angebaut oder durch andere Maßnahmen nachhaltiger erzeugt wurde. Eine Stiftung des Unternehmens gibt an, landwirtschaftliche Betriebe dabei zu unterstützen, den Umstieg auf Bio-Baumwolle zu bewältigen. Damit will C&A den im Vergleich zum konventionellen stabileren Bio-Baumwoll-Markt stärken und zudem eigene Nachhaltigkeitsziele erreichen (vgl. C & A o. J.). ◄ Labels auf Produkten sollen „Unsichtbares sichtbar machen“ (Schulz und Kreeb 2002, S. 159). Ihr Informationswert für Konsumentscheidungen hinsichtlich Nachhaltigkeit kann daher hoch sein. Unternehmen, die zertifizierte Produkte anbieten, müssen häufig nicht nur die Verwendung zertifizierter Rohstoffe, sondern auch den Zertifizierungsvorgaben gemäße Verarbeitungs- und Dokumentationspflichten nachweisen. Der Aufwand, um nachhaltigere Produkte durch Zertifizierungen und Labels sicherzustellen, kann also für Unternehmen hoch sein. Zudem müssen Produktmanagerinnen sich die notwendigen spezifischen inhaltlichen Kompetenzen aneignen. Haben die Labels jedoch eine klare Nachhaltigkeitsbotschaft und sind sie glaubwürdig, weil die Kriterien umweltbezogen und/oder sozial-ökonomisch wirksam, die Vergabe transparent und passende Kontrollsysteme vorhanden sind, ist der Aufwand gerechtfertigt.
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9 Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?
Exkurs: Welche Kriterien bestimmen, dass ein Label glaubwürdig ist? Die Verbraucherinitiative bringt wichtige Glaubwürdigkeitskriterien aus der Perspektive von Konsumenten knapp auf den Punkt. Diese werden hier aufgelistet: „Anspruch Die Vergabekriterien gehen deutlich über das gesetzlich Vorgeschriebene hinaus. Die Kriterien des Labels werden anhand neuerer Erkenntnisse und Standards überarbeitet. Die Kriterien des Labels sind geeignet, relevante Verbesserungen im Bereich des Labels zu ermöglichen (ökologische, gesundheitliche, soziale, technische, kulturelle Ansprüche etc.). Unabhängigkeit Die Kriterienentwicklung erfolgt unter Hinzuziehung vom Zeichennehmer weitgehend unabhängiger und kompetenter Stellen. Zeichengeber, Zeichennehmer und Prüfer sind jeweils rechtlich und wirtschaftlich weitgehend voneinander unabhängig. Die Einhaltung der Vergabekriterien wird von unabhängiger und eindeutig identifizierbarer Stelle kontrolliert. Kontrolle Eindeutige, nachprüfbare Vergabekriterien mit klarem Bezug sind vorhanden. Die Einhaltung der Vergabekriterien wird umfassend kontrolliert. Wenn die Labelvergabe befristet ist, werden Fristverlängerungen nur nach einer erneuten Kontrolle der Einhaltung der Vergabekriterien erteilt. Bei Verstößen gegen die Vergabekriterien wird eine Nachbesserung innerhalb einer angemessenen, überschaubaren Frist eingefordert, gegebenenfalls erfolgen weitere Sanktionen bis zum Entzug des Labels. Transparenz Zielsetzung und Trägerschaft sind in öffentlich zugänglichem Informationsmaterial erläutert. Vergabekriterien, Vergabeverfahren und Kontrollverfahren sind für Verbraucher verständlich und nachvollziehbar dokumentiert, veröffentlicht und kostenlos zugänglich. Das Bildzeichen des Labels ist so gestaltet, dass es nicht mit einem anderen Zeichen verwechselt werden kann.“ (Die Verbraucherinitiative o. J.) Die Verbraucherinitiative kennzeichnet Labels mit einem „n“, wenn sie Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Diese Bewertung wird nur knapp skizziert: Nachhaltigkeitslabels „[…] berücksichtigen ökologische und soziale Aspekte und die ökonomische Tragfähigkeit für zukünftige Generationen“ (ebenda).
Das PRO PLANET-Label der REWE Group
Das PRO PLANET-Label wird von der REWE Group an E igenmarkenProdukte vergeben, die hinsichtlich deklarierter Nachhaltigkeitsaspekte
9.4 Veränderungs-Netzwerke
317
gegenüber Vergleichsprodukten verbessert wurden. Das Label deklariert ein Produkt z. B. mit „unterstützt ressourcenschonenden Anbau“ oder „Tierhaltung verbessert“ (REWE Group o. J.). Für jede Produktgruppe wird eine Analyse der umweltbezogenen und sozial-ökonomischen Auswirkungen beauftragt, dann werden die relevantesten negativen Auswirkungen hinsichtlich Veränderbarkeit überprüft. Sofern aus Sicht der REWE Group möglich, werden Verbesserungen in Kooperation mit der Produktherstellerin und entlang der Wertschöpfungskette eingeleitet. Das Label wird mit der jeweiligen inhaltlichen Spezifizierung nur vergeben, wenn ein externer Beirat zustimmt (vgl. REWE Group 2015, S. 6). Das PRO PLANET-Label zeichnet nur einzelne Nachhaltigkeitsaspekte aus und legt offen, dass lediglich schrittweise Verbesserungen an den Produkten bzw. in ihrer Wertschöpfungskette vorgenommen werden. Die Einbindung verschiedener Organisationen im Verbesserungs- und Zertifizierungsprozess verdeutlicht den Kooperationsaufwand, der zur Realisierung nachhaltigerer Produkte notwendig ist. ◄
9.4 Veränderungs-Netzwerke Die Modelle Risikobegrenzung, nachhaltige Effizienz und nachhaltige Produkte fokussierten auf ein einzelnes Unternehmen, das in Kooperation mit ausgewählten Lieferanten und ggf. weiteren Organisationen und unter Bereitstellung und Aktivierung interner Kompetenzen und Ressourcen gezielt einzelne seiner Auswirkungen nachhaltiger gestaltet. Diese Modelle werden angewandt, doch sie stoßen insbesondere in der Wahrnehmung von Unternehmen an Grenzen, die teils hohen Aufwand betreiben, um einzelne Produkte nachhaltiger zu gestalten, ohne dass dies zu einem Selbstläufer oder zu einer Selbstverständlichkeit würde. In der Darstellung der drei Modelle ist deutlich geworden, dass Kooperation eine notwendige Grundbedingung für nachhaltigere Produkte ist. Das vierte Modell wird hier „Veränderungs-Netzwerke“ genannt, womit begrifflich klargestellt ist: Es geht um Prozesse der Veränderung – hinsichtlich nachhaltigerer Produkte – und es geht um Netzwerke, also um eine „grenzüberschreitende Kooperation, um die Verknüpfung mit etwas Andersartigem“ (Weyer 2000, S. 27). Veränderungs-Netzwerke zeichnen sich also dadurch aus, dass nur durch die Vernetzung zwischen Beteiligten aus verschiedenen Bezugssystemen die angestrebte Veränderung möglich ist. In Forschung und Praxis werden Netzwerke dieser Art „Multi-StakeholderInitiativen“ (MSI) oder „cross-sector social partnerships (CSSPs)“ (Gurzawska 2019,
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9 Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?
S. 13) genannt. Häufig werden in diesen Netzwerken zur Lösung von Problemen gemeinsame Programme oder Standards entwickelt. Standards werden durch die Arbeit der Netzwerke teils garantiert, geprüft und teils kontinuierlich weiterentwickelt. Es wird auf eine Einigung hingearbeitet, die nur die Kooperation von Beteiligten aus verschiedenen Bezugssystemen oder Sektoren ermöglichen kann. Dabei fließt aus verschiedenen Organisationen Wissen und Know-how zusammen und erzeugt damit einen Mehrwert, der nur durch das Netzwerk möglich wird. In diesen Netzwerken arbeiten z. B. Regierungen, Lieferanten, NGOs und Gemeinden zusammen (vgl. Opijnen und Oldenziel 2011). Die Teilnahme ist freiwillig, also können sich Organisationen auch aus freien Stücken wieder zurückziehen. Der Koordinations- und Abstimmungsaufwand kann enorm sein. Es kann zu Konflikten und Kommunikationsproblemen kommen; aufgrund der freiwilligen Mitwirkung können Entscheidungen inhaltlicher Art und über die Darstellung des Netzwerks nach außen nur im Konsens aller Beteiligten erfolgen. Das Textilbündnis als ein Beispiel für ein Veränderungs-Netzwerk
Das Textilbündnis wurde 2014 als eine Multi-Stakeholder-Initiative gegründet. Bundesentwicklungsminister Müller ergriff die Initiative das Bündnis zu koordinieren, als klar wurde, dass trotz der tödlichen Unfälle in asiatischen Textilfabriken die Textilunternehmen keine hinreichenden Gegenmaßnahmen ergriffen. Mitglieder sind neben der Bundesregierung Unternehmen und Verbände, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften und Standardorganisationen. Sie arbeiten gemeinsam daran, die Bedingungen der Textilproduktion über alle Wertschöpfungsstufen zu verbessern, wobei jedes Mitglied seine eigene, spezifische Verantwortung übernehmen soll. Im folgenden Statement beschreibt der Sekretariatsleiter der Initiative den Stand der Dinge nach drei Jahren gemeinsamer Arbeit: „Ich würde mir auch eine Alles-wird-gut-Taste wünschen, mit der ad hoc alle Probleme im Textilsektor gelöst sind. Aber die gibt es leider nicht. Ein Multistakeholder-Ansatz ist sicher nicht der schnellste Weg, aber in meinen Augen der effektivste und vor allem nachhaltigste. Klar ist aller Anfang schwer: Gemeinsame Ziele aushandeln, Kriterien festzurren, hinter denen sich niemand verstecken muss, die zugleich jeder mittragen kann, einen Mechanismus für die Zielformulierung und -überprüfung entwickeln, der ambitioniert und zugleich machbar ist – und das für alle Mitglieder und Unternehmenstypen – das sind Mammutaufgaben.“ (Bündnis für nachhaltige Textilien 2017)
9.4 Veränderungs-Netzwerke
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Aus dem Textilbündnis ist 2019 mit dem „Grünen Knopf“ ein staatlich verantwortetes Label für Textilien hervorgegangen. Es deckt bisher nur ausgewählte Wertschöpfungsstufen ab, gibt aber umweltbezogene und sozial-ökonomische Kriterien für die zertifizierten Produkte sowie für die Hersteller vor (vgl. BMZ o. J.). ◄ Veränderungsnetzwerke zur Verbesserung von Nachhaltigkeitsauswirkungen von Produkten bestehen in der Regel aus mehreren Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, und häufig zudem aus mehreren Lieferanten, die auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette arbeiten. Damit ist eine ungewöhnliche Konstellation gegeben: Sie führt zu einer „equal distribution of power among actors in the chains“ (Gurzawska 2019, S. 14), wodurch sich das Verhältnis von Organisationen verändert und ggf. egalisiert: Das Netzwerk braucht die Akteure in ihrer Unterschiedlichkeit. Die Motivation von Unternehmen zur Kooperation in VeränderungsNetzwerken beruht auf der Einsicht, dass gemeinsame Lernprozesse auch ihnen nutzen. Einige erkennen die Bedeutung von haltbaren Beziehungen in einem Stakeholdernetzwerk für die eigenen Unternehmenserfolge. Unternehmen sind wegen ihrer Finanzen und ihrer Expertise in einer starken Verhandlungsposition; zudem haben sie teils Bedenken, Geschäftsgeheimnisse an Wettbewerber preiszugeben (vgl. Gurzawska 2019, S. 17). Auf der anderen Seite kennen sich z. B. Nichtregierungsorganisationen oft vor Ort aus, sind mit Konsumenten und lokalen Gemeinden in Kontakt. Z.B. liefern sie häufig realistische Einschätzungen davon, ob lokal geltende Vorschriften eingehalten werden. Und sie erfahren als unabhängige Dritte die Gründe, warum dies ggf. nicht so ist. Netzwerken heißt hier Lernen auf allen Seiten: „This learning process is not unilateral“ (Gurzawska 2019, S. 14). Konnten Unternehmen teils vehementen Druck auf Lieferanten ausüben, stellten Handelsunternehmen teils harte Bedingungen an Hersteller, so wird es als eine Chance angesehen, durch Netzwerke Machtmissbrauch von Unternehmen in der Wertschöpfungskette zu verringern oder zu eliminieren (vgl. Gurzawska 2019, S. 14). Eine wichtige Funktion von Multi-Stakeholder-Netzwerken ist n icht-staatliche Regulierung, d. h. Erarbeitung von Normen und Standards über Länder- und Branchengrenzen hinweg. ISO-Normen, die Fairtrade-Kriterien und der Nachhaltigkeitsberichterstattungs-Standard der Global Reporting Initiative (GRI) werden in transnationalen Netzwerken erarbeitet; staatliche Akteure wirken hier in der Regel mit, sind aber nicht dominant.
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9 Was sind wirksame Modelle nachhaltigen Produktmanagements?
Die Netzwerke ersetzen keine staatliche Regulierung, können aber zur Verbreitung und Verbesserung von Standards und zu nachhaltigeren Produkten beitragen. Beispiel IKEA
IKEA Schweden arbeitet nach eigenen Angaben mit einer schwedischen Multi-Stakeholder-Netzwerk zusammen, der Sweden Textiles Water Initiative (vgl. IKEA Group o. J.). Diese bringt wissenschaftliche Expertise zum Thema Wasser und verschiedene Textilhandelsunternehmen an einen Tisch, die von denselben Lieferanten Ware beziehen. Lieferanten auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen und in verschiedenen Ländern bekommen als Ergebnis aus dieser Initiative gleiche Vorgaben für ihr Wassermanagement, werden teils dafür geschult und stärken somit ihre Position gegenüber den Handelsunternehmen. Im Ergebnis soll die Umwelt entlastet werden. ◄ Die dargestellten vier Modelle lassen sich hinsichtlich der Anzahl der beteiligten Organisationen und der Intensität der Kooperation sowie hinsichtlich der Auswirkungen und Reichweiten der Problembewältigung einordnen. Dabei zeigt das Modell Risikobegrenzung die geringste und das Modell Veränderungs-Netzwerke die stärkste Ausprägung in beiden Hinsichten (Abb. 9.1).
Abb. 9.1 Modelle im Überblick
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Teil III Themen im Nachhaltigen Produktmanagement
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen der betriebswirtschaftlichen und der Nachhaltigkeitsperspektive?
10
Zusammenfassung
Nachdem die betriebswirtschaftliche Perspektive und die Nachhaltigkeitsperspektive auf Produktmanagement getrennt voneinander bearbeitet wurden, stellt sich nun die Frage, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Sichtweisen liegen. Diese Frage soll im Folgenden beantwortet werden. Aus den Ausführungen zur betriebswirtschaftlichen Perspektive und zur Nachhaltigkeitsperspektive auf Produktmanagement können Gemeinsamkeiten und Unterschiede abgeleitet werden (vgl. Tab. 10.1). Beide Perspektiven teilen den Produktbegriff sowie die grundsätzlichen Vorgehensweisen zur Identifikation, Beurteilung, Zieldefinition und Optimierung ihres Erfahrungsgegenstands.1 Die Unterschiede bestehen in ihrem jeweiligen Erfahrungsgegenstand und ihrem Erkenntnisinteresse. Das Erkenntnisinteresse der betriebswirtschaftlichen Sichtweise besteht, bezogen auf die Handlungsmotivation, in der Sicherung und Optimierung der wesentlichen Erfolgsparameter eines Unternehmens, die Aloys Gälweiler (vgl. Gälweiler und Schwaninger 2005; Sattler 2003) in den drei finanzwirtschaftlichen Größen Liquidität, Gewinn und Erfolgspotenziale verortet hat. Um diese Ziele zu erreichen, muss Produktmanagement aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität von Produkten sicherstellen. Wie in Abschn. 3.2 und 3.3 dargestellt wurde, können diese drei Aufgaben in Indikatoren, Messwerte und Zielgrößen operationalisiert werden, durch die die Arbeit des
1Zum
Erfahrungs- und Erkenntnisgegenstand vgl. Wöhe und Döring (2013, S. 3).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_10
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10 Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede …
Tab. 10.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der betriebswirtschaftlichen und der Nachhaltigkeitsperspektive auf das Produktmanagement Betriebswirtschaftliche Perspektive auf das Produktmanagement
Nachhaltigkeitsperspektive auf das Produktmanagement
Produktbegriff
Produkte sind materielle und/oder immaterielle Leistungsangebote, die in marktwirtschaftlichen Systemen angeboten und ausgetauscht werden
Managementmethoden
Analyse der Ausgangssituation, Definition von Zielen, Initiierung und Umsetzung von Maßnahmen, Kontrolle der Zielerreichung
Motivation
Sicherung der kurzfristigen Liquidität, des mittelfristigen Gewinns und der langfristigen Erfolgspotenziale eines Unternehmens
Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Nutzens und/oder Minimierung des gesamtgesellschaftlichen Schadens von Produkten für die aktuelle und für zukünftige Generationen
Zielgrößen
Sicherstellung und Optimierung der Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität von Produkten
Erreichung umweltbezogener und sozial-ökonomischer Ziele (z. B. Klimaschutz, Biologische Vielfalt, Gesundheit, Existenzlöhne)
Zeithorizont
Kurz- und mittelfristig (Wochen-, Monats-, Jahres-, Mehrjahresziele)
Mittel- bis langfristig (Monatsbis Jahrzehnteziele)
Handlungsfeld
Betriebswirtschaftlicher Produkt-Lebenszyklus aus Unternehmenssicht innerhalb der organisatorisch-rechtlichen Unternehmensgrenzen und der direkten Schnittstellen zur Umwelt
Vollständige Wertschöpfungsketten/umfassende Produkt-Lebenszyklus aus gesamtgesellschaftlicher Sicht im Zusammenspiel mit unterschiedlichen Stakeholdern
Produktmanagements „manageable“ wird. Ein wesentliches differenzierendes Spezifikum des Produktmanagements besteht weiterhin darin, dass die zeitlichen Horizonte betriebswirtschaftlichen Handelns, verglichen mit den Zeithorizonten der Nachhaltigkeitsperspektive, deutlich kürzer sind: die Zielgröße Liquidität wird auf Wochen- und Monatsbasis, die Zielgröße Gewinn auf Quartals- bzw. Jahresbasis und die Zielgröße Erfolgspotenziale auf einen strategischen Zeithorizont von etwa drei bis fünf Jahren hin verfolgt. Dazu passend ist das definierte Interessen- und Handlungsfeld der betriebswirtschaftlichen Perspektive auf das
10 Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede …
327
Abb. 10.1 Die betriebswirtschaftliche Perspektive auf das Produktmanagement
Produktmanagement: Entlang des betriebswirtschaftlichen Produktlebenszyklus, der in Abschn. 2.2 dargestellt wurde, startet es mit der Entstehungs- und endet es mit der Eliminationsphase des Produkts aus Unternehmenssicht. Wertschöpfungsstufen außerhalb der rechtlich-organisatorischen Grenzen des Unternehmens sind nur insofern von direkter operativer Relevanz, als sie entweder als Input-Größen (Arbeits-, Güter- und Finanzmärkte) oder als Output-Größen (Absatzmärkte) die Wertschöpfung innerhalb eines Unternehmens beeinflussen (vgl. Abb. 10.1).2 Aus dieser Perspektive werden die Grenzen von „Wertschöpfungsnetzwerken“ zwischen Unternehmen, die mittlerweile für viele unternehmerische Funktionsbereiche in vielen Branchen existieren, relativ eng bei den direkten Tier 1-Lieferanten und direkten Partnern gezogen (vgl. Bach et al. 2003; Becker et al. 2008). Das Erkenntnisinteresse der Nachhaltigkeitsperspektive bezieht sich dagegen auf die Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Nutzens und/oder die Minimierung des gesamtgesellschaftlichen Schadens von Produkten für die aktuelle
2Andere
Einflussgrößen, wie beispielsweise staatliche Ordnungsrahmen (in Form von Auflagen und Abgaben) oder nichtstaatliche Organisationen (in Form von Ansprüchen an das Verhalten und die Ergebnisse von Unternehmen) werden hier bewusst nicht erwähnt, da sie von indirekter operativer Relevanz für ein Unternehmen sind.
328
10 Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede …
und für zukünftige Generationen. Die Nutzens- und Schadensaspekte wurden in Abschn. 5.4 in umweltbezogene und sozial-ökonomische Handlungsfelder kategorisiert und können, bezogen auf spezifische Produkte, ebenfalls mit Indikatoren, Messgrößen und Zielwerten versehen werden. Diese Zielgrößen beziehen sich, hinsichtlich der Umwelt auf Themen wie z. B. Klimaemissionen, Biodiversität und Abfall, in sozial-ökonomischer Hinsicht auf Aspekte wie Menschenrechtswahrung, Gesundheit und Existenzlöhne. Auch hier werden Ziele und Maßnahmen „manageable“. Aufgrund der langfristigen und multikausalen Wirkungsketten ist der Zeithorizont der Nachhaltigkeitsperspektive jedoch deutlich langfristiger als derjenige der betriebswirtschaftlichen Sicht. „Impacts“ von Maßnahmen zeigen sich erst in einem Zeitraum von mehreren Monaten, Jahren und Jahrzehnten, was den strategischen Zeithorizont eines Unternehmens teilweise überschreitet. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal der Nachhaltigkeitsperspektive betrifft das Handlungsfeld: Dieses organisiert sich entlang der vollständigen Wertschöpfungsketten bzw. umfassenden Produktlebenszyklen, die beim Rohstoff-Abbau oder -Anbau beginnen, einen Schwerpunkt in der Nutzungsphase sehen und bei der Gestaltung des End of Life des Produkts enden. Entsprechend ist auch die Anzahl und Verflechtung der involvierten Stakeholder(netzwerke) deutlich komplexer und erfordert andere Vorgehensweisen als in der Unternehmensperspektive, die den Komplexitätsgrad ihrer Umfeldbeziehungen in der Regel stark reduziert (vgl. Abb. 10.2).
Abb. 10.2 Die Nachhaltigkeitsperspektive auf das Produktmanagement
Literatur
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Um die Unterschiede im Interessens- und Handlungsfeld zwischen der betriebswirtschaftlichen und der Nachhaltigkeitsperspektive auf das Produktmanagement zu bearbeiten, sollen im Folgenden „Übersetzungsleistungen“ bzw. „Anschlussstellen“ zwischen beiden Perspektiven3 aufgezeigt werden. In Kap. 6 wurden Motivationen von Unternehmen zu nachhaltigem Produktmanagement thematisiert, die teilweise anschlussfähig an die betriebswirtschaftliche Perspektive sind. Die Motivationen können mit den Modellen nachhaltigen Produktmanagements (vgl. Kap. 9) verknüpft werden. Dieser Zusammenhang soll als eine erste Anschlussstelle aufgearbeitet werden; anschließend soll danach gefragt werden, wie die Modelle in die operativen Bearbeitungsformen und Aufgaben des nachhaltigen Produktmanagements einfließen.
Literatur Bach N et al (2003) Geschäftsmodelle für Wertschöpfungsnetzwerke: Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen. In: Bach N et al (Hrsg) Geschäftsmodelle für Wertschöpfungsnetzwerke. Gabler, Wiesbaden, S 1–20 Becker J et al (2008) Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern als Option zur Organisation der Erstellung hybrider Leistungsbündel. In: Becker J et al (Hrsg) Wertschöpfungsnetzwerke Konzepte für das Netzwerkmanagement und Potenziale aktueller Informationstechnologien. Physica, Heidelberg, S 3–31 Gälweiler A, Schwaninger M (2005) Strategische Unternehmensführung, 3. Aufl. Campus, Frankfurt Kneer G, Nassehi A (2000) Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme: Eine Einführung, 4. Aufl. Fink, Paderborn Luhmann N (1987) Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp, Frankfurt Sattler R (2003) Unternehmerisch denken lernen: Das Denken in Strategie, Liquidität, Erfolg und Risiko, 2. Aufl. DTV, München Wöhe G, Döring U (2013) Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Aufl. Vahlen, München
3Die
„Übersetzungsleistungen“ bzw. „Anschlussstellen“ lassen sich auch mithilfe des Interpretationsmodells sozialer Systeme von Niklas Luhmann (vgl. Luhmann 1987, S. 30–285; Kneer und Nassehi 2000, S. 57–94) erklären: Beide Sichtweise stellen „operativ geschlossene, autopoietische Systeme“ dar, die jeweils nach einer spezifischen „Leitdifferenz“ oder „dominanten Logik“ operieren. Kommunikation zwischen sozialen Systemen ist nur möglich über „strukturelle Koppelungen“, d. h. Übersetzungsleistungen, welche die Logik des einen Systems kompatibel macht mit den Logiken des jeweils anderen Systems.
Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
11
Zusammenfassung
Im Folgenden wird aufgezeigt und an Beispielen illustriert, wie Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement kommen. Diese Darstellung erfolgt in zwei Schritten: Im ersten Schritt werden die Motivationen von Unternehmen, Produkte nachhaltiger zu gestalten, auf konkrete Themen bezogen. Anschließend wird verdeutlicht, dass sich Unternehmen in der Regel für ein Modell und für passende Methoden des nachhaltigen Produktmanagements entscheiden; dies wird sodann anhand von Beispielen erläutert (Abschn. 11.1). Im zweiten Schritt wird ausgeführt, welche Aufgaben sich daraus für das Produktmanagement ergeben. Diese Ausführungen orientieren sich an den Phasen und Aufgaben des Produktmanagement-Prozesses (Abschn. 11.2). Dabei werden nicht alle Fragen beantwortet, sondern einige bleiben offen. Diese offenen Fragen und Aufgaben zum nachhaltigen Produktmanagement bilden den Schluss der Ausführungen (Abschn. 11.3).
11.1 Von der Motivation zu den Modellen des nachhaltigen Produktmanagements Nachhaltige Produkte werden manchmal entwickelt und auf den Markt gebracht, weil ein Unternehmen unmittelbare Vorteile daraus ziehen kann (dazu Beispiele in Abschn. 11.2). In der Regel liegt der nachhaltigen (Weiter-)Entwicklung eines Produkts eine Motivation (Kap. 6) zugrunde, die den Prozess des Produktmanagements inhaltlich beeinflusst. Gleichzeitig entscheiden Unternehmen auf © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 B. Biermann und R. Erne, Nachhaltiges Produktmanagement, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31130-8_11
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
strategischer Ebene, in welcher Tiefe und wie langfristig sie die motivierten inhaltlichen Themen bearbeiten. Die möglichen Bearbeitungsmodi können als Modelle zur Lösung von Nachhaltigkeitsherausforderungen (Kap. 9) dargestellt werden. Je nach Inhalt und Modell übernimmt das Produktmanagement dann die Aufgabe, passende Methoden im Produktmanagement anzuwenden. Diese können aus den sieben umweltbezogenen und sieben sozial-ökonomischen Methoden (Kap. 8) ausgewählt und, je nach Thema und Modell, kombiniert werden (vgl. Abb. 11.1). Die Methoden können durch ihre je produktspezifische Anwendung einen Beitrag zur Lösung der großen globalen Probleme leisten. Im Folgenden wird eine pragmatische Vorgehensweise vorgeschlagen, die – ausgehend von aktuellen Motivationsfaktoren – inhaltliche Entscheidungen begründet. Es wird also gezeigt, aus welcher Motivation einzelne produktbezogene Nachhaltigkeitsthemen von Unternehmen ausgewählt werden, die sie im Rahmen ihres Produktmanagements bearbeiten. Dafür werden Modelle und Methoden vorgeschlagen. Anstelle dieses pragmatischen Vorgehens könnte alternativ eine produktbezogene „Wesentlichkeitsanalyse“ vorgeschlagen werden, analog zur Wesentlichkeitsbestimmung für ein Unternehmen (vgl. GRI 2016). Diese böte eine weit höhere Gewissheit, an den wirklich relevanten Produktauswirkungen anzusetzen.
Abb. 11.1 Von der Motivation zum Modell
11.1 Von der Motivation zu den Modellen des nachhaltigen …
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Sie ist jedoch weniger anschlussfähig an die Produktmanagementprozesse, die dieses Buch in den Vordergrund der Betrachtung rückt. Die Wesentlichkeitsanalyse als Methodik im nachhaltigen Produktmanagement Anspruch einer Wesentlichkeitsanalyse ist, die wichtigsten Auswirkungen eines Produktes zu erfassen und somit herauszustellen, welches Thema bearbeitet werden müsste und an welcher Stelle der Wertschöpfungskette es zu bearbeiten wäre, um genau diese Auswirkungen zu verbessern. Ziel der Wesentlichkeitsanalyse ist es, zwischen weniger relevanten und stark relevanten Produktauswirkungen zu unterscheiden. Relevanz bezieht sich dabei auf Beiträge zu umweltbezogenen und sozial-ökonomischen Nachhaltigkeitszielen. Die Herausforderung dieses Vorgehens ist, dass sie rein problembezogen ist. Sie ist unabhängig von der Kontroll- oder Einflussmöglichkeit des Unternehmens. Vorgehensschritte sind Analysen 1. von Wertschöpfungsketten, 2. des weiteren Kontexts, der systematisch auch Zukunftsprognosen für technische, rechtliche, wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen umfasst, sowie 3. von Ansprüchen relevanter Stakeholdergruppen. Die Analyseergebnisse werden zusammengetragen und aus Sicht des Unternehmens untereinander priorisiert; die Priorisierung erfolgt explizit nicht aus der Perspektive auf die Möglichkeiten des Unternehmens, die identifizierten Themen bearbeiten oder kontrollieren zu können. Das Ergebnis der Wesentlichkeitsanalyse ist eine Liste mit prioritären und mit, gemessen an diesen, relativ weniger wichtigen Themen. Werden relevante Auswirkungen eines Produkts auf einer frühen Wertschöpfungsstufe als prioritär identifiziert, z. B. bei der Erzgewinnung in Minen, so sollen diese in den Fokus der weiteren Bearbeitung rücken. Die Tatsache, dass weder das Produktmanagement noch der Einkauf und höchstwahrscheinlich nicht einmal die direkten Lieferanten über diese Auswirkungen Bescheid wissen, geschweige denn Zugriffmöglichkeiten auf die Minenbetreiber haben, wird in der Wesentlichkeitsanalyse nicht berücksichtigt. Ebenso kann eine Auswirkung als relevant betrachtet werden, auf die kein einzelnes Unternehmen Zugriff hat oder für die es noch keine technische oder ökonomische Lösung gibt; wenn z. B. eine Verpackungslösung negative Auswirkungen hat, für die es keinen adäquaten Ersatz gibt, ohne das Produkt selbst zu gefährden. Die Aufgabe der Wesentlichkeitsanalyse ist es, schonungslos auf negative Auswirkungen hinzuweisen (vgl. Abb. 11.2). Es kann aber durchaus auch vorkommen, dass die Mehrzahl der durch die Wesentlichkeitsanalyse priorisierten relevanten Produktauswirkungen bereits im Unternehmen als solche bekannt und adäquat mit Maßnahmen und Zielen versehen ist. Gemäß der Wesentlichkeitsanalyse ist es kein Weg, ein als relevant identifiziertes Problem nicht zu bearbeiten. Ziel ist vielmehr zu priorisieren, welches Problem von seinen Auswirkungen her und zeitlich vordringlich ist. Es geht also um die Transparenz bezüglich der übergreifenden Nachhaltigkeitsrelevanz; nicht um die Relevanz, die für das Unternehmen selbst besteht. Erst im Schritt nach der Priorisierung der wesentlichen Themen kommt die Aufgabe auf das Produktmanagement zu, mit den Analyseergebnissen umzugehen. Das Unternehmen bzw. das Produktmanagement entscheidet, mit welchem personellen, finanziellen und sonstigen Aufwand jedes einzelne Problem zu bearbeiten ist. Häufig kann für als prioritär identifizierte Themen nicht direkt eine Maßnahme umgesetzt werden; manchmal sind Studien oder Kooperationsanfragen notwendig, um überhaupt Problemlösungsansätze zu
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
Abb. 11.2 Wesentlichkeitsanalyse im nachhaltigen Produktmanagement identifizieren. Oder die Problemlösung erweist sich als so teuer und aufwendig, dass sie nicht geleistet werden kann oder soll. Im günstigen Falle kommt es zu einer Ressourcenbündelung, um die als wesentlich identifizierten Themen prioritär zu bearbeiten. Im weniger günstigen Fall sind negative Nachhaltigkeitsauswirkungen bekannt geworden, für die erst Schritt für Schritt Lösungsansätze gesucht werden müssen. Das Verdienst einer Wesentlichkeitsanalyse liegt also darin, Auswirkungen gemäß ihrer Wichtigkeit für relevante Stakeholder und für die Zukunft zu ordnen; dabei erkennen die Produktverantwortlichen drohende Risiken und neue Gestaltungsräume. Die Nutzung der Analyseergebnisse im Unternehmen folgt anschließend vertrauten Managementvorgehensweisen. Jedoch ist bis dahin deutlich geworden, welche Nachhaltigkeitsthemen entlang der Wertschöpfungskette der eigenen Produkte vom Unternehmen mitzuverantworten und daher früher oder später zu bearbeiten sind.
Die Darstellung im folgenden Text erfolgt entlang der vier Modelle nachhaltiger Produktentwicklung (Kap. 9), um zu illustrieren, dass als relevant erachtete Themen mit unterschiedlicher Veränderungstiefe sowie mit geringeren oder mit größeren Kooperationsanstrengungen im nachhaltigen Produktmanagement bearbeitet werden können. Es werden Beispiele für Motivationen bzw. Impulse und damit verbundene inhaltliche Entscheidungen für Themen gezeigt, sowie das jeweils angewandte Modell und eine dazu passende Methode. Modell Risikobegrenzung Risikoabwägungen sind ein in Unternehmen bekanntes Vorgehen. Bezogen auf die nachhaltige Entwicklung von Produkten können erstens schadstoffbelastete
11.1 Von der Motivation zu den Modellen des nachhaltigen …
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Produkte und zweitens Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen von Arbeitsschutz- und Sicherheitsstandards in der Lieferkette als beispielhafte Risiken benannt werden. In der Regel sind Schadstoffgehalte stark reguliert; Risiken bestehen darin, Grenzwerte nicht einzuhalten oder in Erklärungszwang zu geraten, wenn es Impulse aus der Gesellschaft gibt, dass die bestehenden Grenzwerte nicht hinreichend für den allgemeinen Gesundheitsschutz seien. Risikobegrenzung wird dann vorgenommen, wenn auf das angesprochene Risiko reagiert wird. Als Methode wird Monitoring bezogen auf die als risikohaft benannten Schadstoffe vorgenommen; zusätzliche Themen werden in der Regel nicht bearbeitet. Kooperationen werden nur aktiviert, wenn außer dem Produkthersteller weitere Organisationen einbezogen werden müssen, um das Risiko zu mindern. Eine mögliche Konstellation für das Modell: Motivation/Impulse: Gesundheit/nachhaltiger Konsum aus Zivilgesellschaft Entscheidung für Themen: Schadstofffreie Lebensmittel Modell: Risikobegrenzung Methoden: Monitoring (und Garantie) von Produktsicherheit und -gesundheit Modell Risikobegrenzung am Beispiel schadstofffreie Lebensmittel: Reaktionen von Brauereien auf Glyphosat-Rückstände im Bier „29.02.2016: Das Umweltinstitut München veröffentlichte Testergebnisse, die das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat in den 14 absatzstärksten Bieren der beliebtesten deutschen Biermarken nachweisen. Diese Veröffentlichung hat zu vielfältigen Reaktionen geführt, unter anderem vonseiten des Deutschen Brauer-Bundes […]. […] Das Umweltinstitut hat entgegen anderslautender Vorwürfe des Deutschen Brauer-Bundes kein "Ranking" der getesteten Biersorten vorgenommen. Es ist nicht das Ziel der Veröffentlichung, Bier bestimmter Marken oder aus bestimmten Regionen auf- oder abzuwerten. In der Veröffentlichung sind die Biere bewusst nicht nach den gemessenen Glyphosatwerten, sondern nach den Verkaufszahlen der Biermarken sortiert. […] Erfreulich seien laut Bär [Referent für Agrarpolitik beim Umweltinstitut, Anm. d. Autoren] die ersten Reaktionen von Brauereien, die nach der Veröffentlichung ihre eigenen Biere genauer testen lassen und beim Kauf von Rohstoffen in Zukunft noch genauer hinsehen wollen. Das gemeinsame Ziel von Verbraucherschützern und Brauereien sollten saubere, gut und fair produzierte Lebensmittel sein.“ (Vgl. Umweltinstitut München 2016) ◄
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
Zum Thema Menschenrechtsverletzungen sind für große Unternehmen Monitoring-Verpflichtungen rechtsverbindlich. Menschenrechte und Arbeitsund Gesundheitsschutz können zudem wegen der Schwere der Verletzungen Reputationsschäden verursachen, insbesondere, wenn sie von der Zivilgesellschaft medial aufgegriffen werden. Ggf. ist sogar die Funktionsfähigkeit des Unternehmens in Gefahr, wenn durch den Risikoeintritt, wie z. B. durch den Tod von Beschäftigten in einem eingestürzten Fabrikgebäude, Lieferungen ausbleiben und das Unternehmen schlechte Ratings erhält. Als Methode steht das Monitoring und die Garantie der Menschenrechte und von Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit zur Verfügung; hier ist ein abgestuftes Vorgehen, startend mit dem Monitoring gemäß gebührender Sorgfalt, dann weiterführend mit Garantien durch ausgewählte Programme oder Zertifizierungen vorzusehen. Risikobegrenzung bleibt häufig dabei stehen, Dienstleistungsunternehmen mit dem Monitoring zu beauftragen und somit eine formale Absicherung zu schaffen. Eine mögliche Konstellation für das Modell: Motivation/Impulse: Regulierung Menschenrechte: Lieferkettengesetz in Vorbereitung; Transparenzanforderungen der „CSR-Berichtspflicht“ Entscheidung für Thema: Menschenrechtsverletzungen im Erzabbau Modell: Risikobegrenzung Methoden: Monitoring (und Garantie) von Menschenrechten Modell Risikobegrenzung am Beispiel Menschenrechtsverletzungen im Erzabbau: Monitoring-Praktiken von Beratungsfirmen und Bergbaukonzernen „Das Zertifizierungsunternehmen TÜV Süd Brasilien, eine Tochterfirma der deutschen TÜV-Süd-Gruppe, zertifizierte für den brasilianischen Bergbaukonzern Vale im September 2018 die Sicherheit des Damms eines Rückhaltebeckens für Minenschlämme in der Gemeinde Brumadinho. Damit gingen die brasilianischen Behörden davon aus, dass der Damm sicher ist, und unternahmen keine eigenen Kontrollen. Ende Januar 2019 brach der Damm und riss mindestens 272 Menschen in den Tod. Der schwermetallhaltige Schlamm hat ein Flussbett verseucht, bis heute sind Tausende Menschen von dem Dammbruch betroffen.[…] Dabei war die kritische Situation des Damms laut Staatsanwaltschaft in Minas Gerais von Vertreter*innen der Betreiberfirma Vale und ‚besonders des Unternehmens TÜV
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Süd‘ schon mehr als ein Jahr vor dem Einsturz diskutiert worden. Doch weil TÜV Süd Brasilien das Sicherheitszertifikat für den Damm ausstellte, veranlassten die brasilianischen Behörden keine weitere Überprüfung. Laut Staatsanwaltschaft bot die Betreiberfirma Vale dem TSB [TÜV Süd Brasilien, Anm. d. Autorin] nach Zertifizierung des Katastrophen-Damms weitere lukrative Verträge an.“ (Initiative Lieferkettengesetz o. J.) ◄
Modell Nachhaltige Effizienz Themen, mit denen Effizienzgewinne im Nachhaltigkeitsfeld leicht erzielt werden können, sind die Sicherheit von Produkten aus Kundensicht, die Klimaemissionen eines Produkts sowie eine effiziente und konsistente Rohstoffverwendung. Produktsicherheit, die migrierende gesundheitsgefährdende Inhaltsstoffe oder sonstige Beeinträchtigungen von Konsumentinnen ausschließt, wird als Grundvoraussetzung für die gesellschaftliche Anerkennung gesehen; somit ist ihre geringste Beeinträchtigung mit rechtlichen und reputationsbezogenen Risiken für Unternehmen verknüpft. Um die Produktsicherheit zu monitoren und zu garantieren, ist die Kooperation mindestens mit Lieferanten, ggf. auch mit den Nutzenden notwendig. Die beiden Umweltthemen sind in der breiten öffentlichen Diskussion zu finden und werden voraussichtlich schrittweise in Kürze durch rechtliche Vorgaben konkretisiert werden: Rohstoffe bedürfen zu ihrer Kreislaufführung der Kooperation mit den Lieferanten, den Nutzenden und mit End of Life-Akteuren. Mit der Methode des Carbon Footprint kann das Klimathema in Kooperation mit Lieferanten bearbeitet werden, damit nicht nur die Produktion, sondern die gesamte Wertschöpfungskette emissionsärmer wird. Das Thema Klima wird hier als Beispielthema zur Anwendung des Modells gewählt. Eine mögliche Konstellation für das Modell: Motivation/Impulse: Regulierung Klimaemissionen in naher Zukunft, gesellschaftliche Impulse, z. B. durch Fridays for Future, Transparenzanforderungen der „CSR-Berichtspflicht“ Entscheidung für Themen: Klimaemissionen Modell: Nachhaltige Effizienz Methode: Carbon Footprint Der öffentliche Druck auf Unternehmen, das Thema Klima auch offensiv zu bearbeiten, steigt sichtlich. Um „klimaneutrale“ Produkte herstellen zu können, müssen entstehende Emissionen kompensiert, d. h. an anderer Stelle verringert werden. Für Kompensationsprojekte können unterschiedliche Standards heran-
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gezogen werden, die z. B. garantieren, dass die reduzierten Emissionen nicht mehreren Produkten gleichzeitig gutgeschrieben werden und dass es keine negativen Auswirkungen an den Orten gibt, an denen die Emissionen reduziert werden (vgl. Umweltbundesamt 2018). Um die Menge der anfallenden und damit der zu kompensierenden Klimaemissionen zu bestimmen, können Unternehmen einen Carbon Footprint erstellen (Abschn. 8.1). Inwieweit einzelne „klimaneutrale“ Produkte Markterfolge erzielen, ist schwierig zu belegen. Als relevanter Faktor kann jedoch gelten, dass die Reduzierung der Klimaemissionen z. B. durch die Beauftragung „klimaneutraler“ Versand- und Logistikdienstleistungen positiv auf den Klimafußabdruck von Unternehmen und damit auch auf die Klimabilanz ihrer eigenen Produkte wirkt; dies kann als ein Beispiel für nachhaltige Effizienz im Sinne dieses Modells verstanden werden. Modell Nachhaltige Effizienz am Beispiel „klimaneutraler Versandleistungen“: Klimaemissionen entlang der Wertschöpfungskette vermeiden
Die memo AG, ein Versandhandel von Büromaterialien und weiteren Produkten, bezeichnet Nachhaltigkeit als ihr Kerngeschäft (vgl. memo AG 2019, S. 2). „Klimaneutraler Warenversand“ ist für das Unternehmen schon seit Jahren ein wichtiger Nachhaltigkeitsbaustein. memo nutzt u. a. die Deutsche Post DHL Group und die DPD Deutschland GmbH als Versender und bucht bei beiden Anbietern regelmäßig die „klimaneutralen“ Versandangebote (vgl. memo AG 2019, S. 52). ◄ Modell Nachhaltige Produkte Um gesellschaftliche Impulse aufzugreifen oder früher als die politische Regulierung es vorschreibt, Nachhaltigkeitsthemen zu bearbeiten, entscheiden sich einige Unternehmen dafür, die negativen Umweltauswirkungen eines Produkts generell, über das bisher mögliche Maß hinaus zu vermindern oder Kunden ein Produkt anzubieten, das fair entlang der Wertschöpfungskette ist oder ihren nachhaltigeren Konsum- und Lebensstil aktiv unterstützt. Beispiele dafür sind schadstofffrei hergestellte, vegane, fair gehandelte, besonders langlebige oder von mehreren Personen gemeinsam nutzbare Produkte. Um dies zu leisten, müssen in der Regel Unternehmen und andere Organisationen miteinander kooperieren. Häufig gelingt es erst durch längerfristige Zusammenarbeit, in der die Beteiligten ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen und weiterentwickeln, Inhaltsstoffe und Herstellungsprozesse sowie Nutzungsoptionen umfassend zu
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analysieren und entsprechend notwendiger Anpassungen zu variieren. Methoden wie Ökobilanzen und der Wasserfußabdruck, Garantie menschenrechtlicher und geschäftspraktischer Fairness sowie die Schaffung von Produkten, die ihren Nachhaltigkeitsnutzen in der Nutzenphase weiter entfalten, werden dann unter Nutzung von Knowhow und Informationen aus mehreren Unternehmen angewendet, wobei weit über das Übliche hinausgehende Transparenz über die Produktions- und Lieferprozesse hergestellt wird. Eine mögliche Konstellation für das Modell: Motivation/Impulse: Gesundheit/nachhaltiger Konsum aus Zivilgesellschaft Entscheidung für Themen: Schadstofffreie Lebensmittel Modell: Nachhaltige Produkte Methoden: Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit Modell Nachhaltige Produkte am Beispiel biologisch erzeugter Lebensmittel: Natur und Gesundheit schonende landwirtschaftliche Erzeugungsmethoden
Beispiele für diese Produkte sind das „Naturpils mit Bio-Hopfen“ der Kaiser Brauerei und alle bio-zertifizierten Produkte, die in ihrem Herstellungsprozess deutlichen Regeln unterliegen, die z. B. den Einsatz von Pflanzenschutzund Düngemitteln weitgehend ausschließen, wenn diese nicht in eigenen regionalen Prozessen auf organischer Basis gewonnen wurden (vgl. EU Verordnung (EG), ABl. Nr. L 189 vom 20.07.2007), und damit zur Gesundheit von Menschen und Natur beitragen. ◄ Fairtrade zertifizierte Produkte bestehen zu 100 %, bzw. Fairtrade-Mischprodukte zu mindestens 20 %, aus fair gehandelten Zutaten. Zudem gibt es z. B. das Fairtrade Cocoa-Program, bei dem nur der im Produkt enthaltene Kakao aus zertifiziert fairem Handel stammt. Der Fairtrade-Standard garantiert den Schutz von Menschenrechten und durch die Zahlung von garantierten, über dem Weltmarktpreis liegenden, Preisen und zusätzlichen Prämien, die die Entwicklung der Erzeugergemeinschaften fördern sollen, ein relativ hohes Einkommen bei den landwirtschaftlichen Betrieben auf der ersten Wertschöpfungsstufe. Zudem werden Umweltstandards und langfristige Partnerschaften entlang der Lieferkette garantiert (vgl. Fairtrade Deutschland 2016; Fairtrade Deutschland 2015). Eine Fairtrade-Zertifizierung wendet damit systematisch die oben bearbeiteten Methoden Monitoring und Garantie der Menschenrechte, menschenwürdiger Arbeitspraktiken, von Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit sowie von fairen
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Geschäftspraktiken an (vgl. Abschn. 8.2). Im Vergleich zu anderen Produktlabels wie z. B. utz certified bzw. Rainforest Alliance schafft das Fairtrade-Label eine sicherere ökonomische Basis für die Erzeugerfamilien. Eine mögliche Konstellation für das Modell: Motivation/Impulse: Gesellschaftliche Sensibilisierung und Regulierung zu Menschenrechten Entscheidung für Themen: Kinderarbeit und sonstige Menschenrechtsverletzungen auf der ersten Wertschöpfungsstufe Modell: Nachhaltige Produkte Methoden: Monitoring und Garantie von Menschenrechten, menschenwürdigen Arbeitspraktiken sowie fairen Geschäftspraktiken Modell Nachhaltige Produkte am Beispiel Fairtrade-Zertifizierung: Verbreitung von Fairtrade-Produkten als Eigenmarken-Produkte
Fairtrade-zertifizierte Lebensmittel haben mittlerweile einen festen Platz im europäischen Einzelhandel; selbst Lebensmitteldiscounter bieten eine breite Palette von zertifizierten Produkten an. Z.B. nutzt das Unternehmen Aldi Süd die Fairtrade-Zertifizierung als Grundlage für die Eigenmarken-Produkte mit dem Label ONE WORLD (vgl. Aldi Süd o. J.). Fairtrade-Produkte gibt es auch als Textilien bzw. Baumwolle, Sportbälle und Gold (vgl. Fairtrade Deutschland o. J.). ◄ Modell Nachhaltige Produkte am Beispiel Fairtrade-Zertifizierung: Fairtrade-zertifiziertes Gold im Fairphone
Im Fairphone 2 wurde das erste Fairtrade-zertifizierte Gold in einem Elektroprodukt überhaupt verbaut. Fairphone war damit Pionier in der Nutzung des Fairtrade-Standards für den Rohstoff Gold (vgl. Schaar 2016). Gold wird zu den Konfliktmineralien (Kap. 6) gezählt. Zudem werden bei der Goldgewinnung in Minen die Beschäftigten häufig gesundheitsgefährdenden Stoffen ausgesetzt und es wurde Kinderarbeit (vgl. Reinwald 2019, S. 2) nachgewiesen. ◄ Nachhaltiges Produktmanagement schließt auch die Nutzenphase von Produkten ein. Hier können auch nicht materialbezogene Themen, wie z. B. Softwareentscheidungen, Relevanz bekommen. Ein Gestaltungsansatz in Richtung Nachhaltigkeit ist, wenn die technischen Konzepte eine Vielfalt von Nutzungsmustern
11.1 Von der Motivation zu den Modellen des nachhaltigen …
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ermöglichen. Zudem können Konsumentinnen so aktiv auf nachhaltigkeitsbezogene Verhaltensweisen aufmerksam gemacht werden. Eine mögliche Konstellation für das Modell: Motivation/Impulse: Gesellschaftliche Sensibilisierung zu Suffizienz und Datensicherheit Entscheidung für Themen: Effiziente Ressourcennutzung in der Nutzungsphase; Open Source-Alternativen zu stark konzentrierten Märkten Modell: Nachhaltige Produkte Methoden: Produktgestaltung und Transparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile Modell Nachhaltige Produkte am Beispiel einer Produktgestaltung, die nachhaltige Lebensstile unterstützt: Kundenfreundliche Produkteigenschaften des Fairphones
Das Fairphone bietet wegen seiner Ausstattung mit zwei Steckplätzen für SIM-Karten, die die Nutzung eines Geräts für zwei unterschiedliche Zwecke ermöglichen, einen besonderen Nutzen. Zudem besteht die Möglichkeit, das Gerät mit Alternativen zum verbreiteten Betriebssystem Android zu nutzen (vgl. Fairphone 2020b). Somit kann das Smartphone unabhängig von Anwendungen genutzt werden, die das Unternehmen Google bereitstellt. Die Nutzenden sind somit nicht auf ein Betriebssystem festgelegt und haben die Möglichkeit, Anwendungen und Datensicherheit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und in Open Source-Gemeinschaften mitzuwirken. ◄ Modell Veränderungs-Netzwerke Sind Risiken in Wertschöpfungsketten schwierig bearbeitbar oder ist die Glaubwürdigkeit der Unternehmen hinsichtlich der nachhaltigeren Produktgestaltung in der Zivilgesellschaft, in den Medien und bei Investoren angegriffen, sind innovative Lösungen und öffentliches Commitment notwendig. Inhaltlich geht es dann z. B. um die Garantie, dass wirklich keine Menschenrechte oder Lebensgrundlagen wie Regenwälder verletzt werden, dass Existenzlöhne bezahlt und verursachte Umweltschäden ausgeglichen werden. Als Methoden sind hier Monitoring und insbesondere Garantie für Menschenrechte und faire Geschäftspraktiken, aber auch Transparenz über verlässliche Prozesse hin zu nachhaltigeren Lösungen notwendig. Entscheidungen für die Nutzenphase, wenn z. B. zur Sicherstellung der Reparierbarkeit eines Produkts frei verfügbare Informationen bereitgestellt
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
werden oder eine Kooperation mit spezialisierten Anbietern (vgl. Abschn. 3.1) erfolgt, sind ebenfalls in Prozessen zu verankern. Die komplexen Aufgaben, die z. B. für die Zusammenarbeit in Multi-Stakeholder-Netzwerken erledigt werden müssen, sind mit internen Produkt- und Nachhaltigkeitsstrategien abzustimmen; und sofern diese (noch) nicht vorhanden sind, werden aufwendige Abstimmungsprozesse notwendig. Die Erarbeitung eines Code of Conduct oder von internen Compliance-Richtlinien, die z. B. Umweltprinzipien für Einkauf und Produktdesign festlegen, ist in der Regel ein aufwendiger und für die Verantwortlichen ein aufreibender Prozess. Doch die Umsetzung kann sinnvoll sein, um innovative Regeln aus gemeinsam erarbeiteten Anforderungen an Produkte und Prozesse zu erproben und weiterzuentwickeln. Die oben genannte Multistakeholder-Initiative (Abschn. 9.4) Textilbündnis kann auf öffentlich gewordene Menschenrechtsverletzungen zurückgeführt werden, für die kein einzelnes Unternehmen Verantwortung übernehmen wollte oder konnte. Hier wird ein anderer Fokus gewählt: Veränderungs-Netzwerke dienen auch dazu, umweltbezogene und sozial-ökonomische Errungenschaften abzusichern. Damit kann drohenden Glaubwürdigkeitsverlusten entgegengewirkt und eine Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitsleistungen gefördert werden. Dazu schließen sich Unternehmen und andere Organisationen zusammen, die ihre Expertise zu teilen und weiterzuentwickeln bereit sind. Eine mögliche Konstellation für das Modell: Motivation/Impulse: Gesellschaftliche Sensibilisierung Gesundheit und Regionalität Entscheidung für Themen: Schutz von Wasser und Boden, Glaubwürdigkeitsverlusten entgegenwirken Modell: Veränderungs-Netzwerke Methoden: Ökobilanz/LCA, produktbezogene Biodiversitätsanalyse Modell Veränderungs-Netzwerke am Beispiel Entwicklung einer Mineralwasser-Zertifizierung: Vom regionalen Wasserschützer zum Zertifizierungs-Pionier
Die Produkte des Unternehmens Neumarkter Lammsbräu sind bio-zertifiziert. Es produziert zudem Mineralwasser und wirbt damit folgendermaßen: „Erstes zertifiziertes Bio-Mineralwasser der Welt erfüllt strengste Kriterien.“ (Neumarkter Lammsbräu o. J.) Das Mineralwasser wird nach den Richtlinien eines privaten Vereins, der Qualitätsgemeinschaft Bio-Mineralwasser e. V., geprüft; zudem kontrolliert eine Bio-Kontrollstelle die Einhaltung der Kriterien für
11.2 Von den Modellen zu den Aufgaben des nachhaltigen …
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biologisch erzeugte Lebensmittel, die EU-weit verbindlich geregelt sind. Die zertifizierten Kriterien gehen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus, die Leitungswasser und Mineralbrunnen erfüllen müssen; sie garantieren z. B. zusätzlich einen sehr niedrigen Urangehalt und soziale Kriterien (vgl. Qualitätsgemeinschaft Bio-Mineralwasser e. V. 2018; vgl. Neumarkter Lammsbräu 2018). Um diese Zertifizierung zu erarbeiten, hat das Unternehmen einen hohen Aufwand betrieben. Der damalige Unternehmensleiter, Franz Ehrnsperger, hat die Gründung des Vereins zu Biozertifizierung des Mineralwassers angestoßen; Mitglieder der Familie Ehrnsperger sind auch aktuell Vereinsmitglieder. Zudem wird öffentlich gemacht: „Die Familie Ehrnsperger hat über mehrere Jahre hinweg die Entwicklungskosten für das Vorhaben getragen.“ (Qualitätsgemeinschaft Bio-Mineralwasser e. V. o. J.) Der Aufwand für eine Zertifizierung, die nun von verschiedenen Mineralwasserherstellern genutzt wird, ist über Jahre geleistet worden. Dabei hat das Unternehmen Neumarkter Lammsbräu mit verschiedenen Bio-Verbänden und Zertifizierungsorganisationen sowie Wissenschaft kooperiert. Dabei wurde neben Fachkompetenzen und Netzwerken sicherlich auch sein Bekanntheitsgrad größer. ◄ Diese Darstellung diente zur Verdeutlichung des Umgangs mit verschiedenen Nachhaltigkeitsproblemen von Produkten. Ausgehend von Impulsen verschiedener Herkunft und Intensität werden Themen vom Unternehmen gesetzt oder in den Handlungsbereich des Produktmanagements aufgenommen. Wie die Themen dann bearbeitet werden, folgt in der Regel Modellen, die mithilfe von Methoden implementiert werden. Impulse, Themen, Modelle und Methoden können je einzeln betrachtet werden, wurden hier jedoch in praktisch beobachtete Zusammenhänge gebracht, um die Vielfalt des Vorgehens nachhaltigen Produktmanagements zu erklären. Tab. 11.1 illustriert Zusammenhänge zwischen Impulsen, Themen, Modellen und Methoden an Beispielen.
11.2 Von den Modellen zu den Aufgaben des nachhaltigen Produktmanagements Wenn Nachhaltigkeitsthemen in Form von vier alternativen motivationsbedingten Modellen aus der strategischen Ebene in das Produktmanagement kommen, wie es in Abschn. 11.1 dargestellt wurde, stellen sich auf der operativen Ebene des Produktmanagements zwei zentrale Fragen:
Monitoring und Garantie von Menschenrechten und von Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit Carbon Footprint, Kreislaufführung von Rohstoffen, Monitoring und Garantie von Produktsicherheit und -gesundheit Ökobilanz/LCA, WasserFußabdruck, Produktgestaltung und Transparenz zur Förderung nachhaltiger Lebensstile Produktbezogene Biodiversitätsanalyse, Ökobilanz/LCA
Nachhaltige Effizienz
Nachhaltige Produkte
Veränderungs-Netzwerke
Klimafreundliches Produkt, umweltfreundliche Rohstoffverwendung, Produktsicherheit
Neue nachhaltige, z. B. schadstofffrei hergestellte, vegane, fair gehandelte, langlebige oder gemeinsam nutzbare Produkte Schutz von Wasser und Boden, Zertifizierung als Garantie-Verstärkung
Seit kurzem bestehende Regulierung, Reputationsrisiko, Risiko für Funktionsfähigkeit des Unternehmens
Öffentliche Diskussion, bevorstehende Regulierung, Reputations-Risiken
Aufgreifen gesellschaftlicher Impulse, Themen bereits vor anstehender Regulierung bearbeiten
Glaubwürdigkeitsverlust in Zivilgesellschaft und Medien; gesellschaftliche Impulse zu Gesundheit
Eigene Darstellung
Methoden
Modell Risikobegrenzung
Entscheidung für Themen Verletzung von Menschenrechten und Arbeits-und Gesundheitsschutz in der Lieferkette
Motivation/Impulse
Tab. 11.1 Inhaltliche Entscheidungen, getrieben von Impulsen, bearbeitet anhand von Modellen und Methoden (beispielhafte Darstellung)
344 11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
11.2 Von den Modellen zu den Aufgaben des nachhaltigen …
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1. Wie, d. h. mit welchem Aufwand und Intensitätsgrad, soll und kann das jeweilige Nachhaltigkeitsthema bearbeitet werden? 2. Welche konkreten operativen Aufgaben stellen sich für das Produktmanagement? Auf diese beiden Fragen soll im Folgenden eingegangen werden. Ad 1: Bearbeitungsformen von Nachhaltigkeitsthemen im Produktmanage ment Im Produktmanagement-Team muss Klarheit darüber herrschen, mit welchem Aufwand und Intensitätsgrad ein Nachhaltigkeitsthema bearbeitet werden soll. Dies wird an dieser Stelle deshalb erwähnt, weil im Hinblick auf Nachhaltigkeit – wie auf alle ethikaffinen Themen in Unternehmen – meist eine auffällige Diskrepanz zwischen der „Vorder- und der Hinterbühne“ organisatorischer Kommunikation beobachtbar ist (vgl. Goffman 1990; Cho et al. 2018): Auf der „Vorderbühne“ wird regelmäßig die Wichtigkeit des Themas betont, während auf der Hinterbühne Begriffe wie „kostenoptimale Realisierung“ und „Pragmatismus“ dominieren. Diese Klarheit erfordert eine Entscheidung des Unternehmens bzgl. der Relevanz eines bestimmten Nachhaltigkeitsthemas sowie eine mit dieser Entscheidung kongruente Budgetierung des Themas. Grundsätzliche Bearbeitungsformen von Nachhaltigkeitsthemen im Produktmanagement werden durch zwei wesentliche Parameter bestimmt: Gestaltungswillen und Gestaltungsmöglichkeiten. Unter dem Gestaltungswillen werden motivationale Aspekte vor allem auf Seiten des Sponsors und der Produktmanagerin, unter Gestaltungsmöglichkeiten die konkreten Optionen zur Gestaltung eines aktuellen Produkts in Abhängigkeit von seinem Reifegrad im Entwicklungsprozess verstanden. Entlang dieser zwei Parameter lassen sich vier Typen von Bearbeitungsformen wie folgt unterscheiden (vgl. Abb. 11.3):1 • Nachhaltigkeitsaspekte als „Kollateralnutzen“: Nachhaltigkeitsaspekte werden als „Kollateralnutzen“ gewissermaßen „en passant“ oder auf Druck einzelner gesellschaftlicher Gruppen entdeckt, ohne dass dies eine explizite
1Einige
der verwendeten Begriffe sind den von Klaus Fichter identifizierten „Entwicklungspfaden für Nachhaltigkeitsinnovationen“ (Fichter und Arnold 2003; Fichter et al. 2007) entnommen, haben hier jedoch die Bedeutung von Bearbeitungsstrategien und nicht von Auslösern.
346
11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
Abb. 11.3 Bearbeitungsformen von Nachhaltigkeitsthemen im Produktmanagement
Produktstrategie oder auch nur ein Kriterium bei der Produktgestaltung gewesen wäre. Wenn beispielsweise eine Minimierung des Produktionsfaktoreinsatzes aus Kostenminimierungsgründen, die Verwendung alternativer Werkstoffe aus Qualitätsmotiven oder ein neues Geschäftsmodell zur Realisierung von Umsatzpotenzialen zusätzlich und zufällig auch umweltbezogene und/oder sozial-ökonomische Schadensauswirkungen minimiert, kann dies posthum als „nachhaltigeres Produkt“ kategorisiert und eventuell auch etikettiert werden. In diesem Bearbeitungsmodus ist eine Integration von Nachhaltigkeitsthemen in das Produktdesign und/oder die Wertschöpfungsprozesse aus Sicht des Unternehmens weder erforderlich noch angestrebt. Es steht lediglich die Entscheidung an, ob und wie prominent ein Nachhaltigkeitsanspruch für das Produkt kommuniziert werden soll oder nicht. Das Geschäftsmodell „Refurbished“ Smartphones
Ein Geschäftsmodell, durch das Kunden relativ aktuelle, aber deutlich preisgünstigere Smartphones erwerben können, ist das „ Refurbished“-Geschäftsmodell. Hier werden Rückläufer, Vorführgeräte oder auch Smartphones mit mittlerer Nutzungsdauer entweder von Herstellern (z. B. Apple 2020) oder spezialisierten Unternehmen (z. B. Refurbed 2020) zurückgenommen oder aufgekauft, general-
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überholt und deutlich unter dem Neuverkaufspreis am Markt angeboten. Dieses Geschäftsmodell spricht in erster Linie Markenkäufer mit hoher Preissensibilität an und dient primär zur Umsatzgenerierung mit gebrauchten Markenprodukten. Es kann aber auch als Geschäftsmodell zur Verlängerung von Produktlebenszyklen etikettiert werden. ◄ Deutsches Bier als nachhaltiges Produkt
Bier, das in Deutschland in kleinen und mittleren Brauereien hergestellt wurde, kann in vielen Hinsichten als „nachhaltigeres Produkt“ gesehen werden: Die zulässigen Inhaltsstoffe sind im „vorläufigen Biergesetz“ von 1993 festgelegt (Bundesgesetzblatt 1993 Teil I Seite 1400), Braurückstände wie Treber werden für Futtermittel und Nahrungsmittel verwendet, die Lieferketten sind in der Regel regional und gut überschaubar und das klassische Vertriebsgebiet befindet sich üblicherweise in einem Radium von 50 km um die Produktionsstätte. Dennoch werden diese Produkte im öffentlichen Bewusstsein nicht als „nachhaltigere Produkte“ etikettiert, obwohl dies als „Kollateralnutzen“ vermarktbar wäre. ◄ • Nachhaltigkeitsaspekte als Korrektiv: Nachhaltigkeitsthemen können alternativ im Modus des Korrektivs im Produktmanagement bearbeitet werden. Diese Bearbeitungsform wird gewählt, wenn entweder die Möglichkeiten zur Gestaltung des Produktdesigns oder der Geschäftsprozesse bei einem weit entwickelten oder sich bereits auf dem Markt befindlichen Produkt stark eingeschränkt sind oder wenn die Motivation zur konzeptionellen Nachhaltigkeitsgestaltung – trotz eventuell bestehender Möglichkeiten – relativ gering ist. Diese Bearbeitungsform korrespondiert daher mit dem in Abschn. 11.1 beschriebenen Risikomodell. Die Realisierung der Bearbeitungsform des Korrektivs umfasst beispielsweise inkrementelle Verbesserungen im Produktdesign im Hinblick auf Gesundheitsschutz, Materialintensität oder Entsorgbarkeit, in den Geschäftsprozessen im Hinblick auf das Monitoring von Lieferanten und Partnern und/oder produktbezogene Investitionen in definierte Nachhaltigkeitsthemen. Die Frage, inwiefern diese Aktivitäten in der Marktpositionierung betont werden, ist getrennt davon zu beantworten. TCO-Zertifizierung des Samsung Galaxy S4
In demselben Zeitfenster, in dem das erste Fairphone-Modell 2013 an den Markt gebracht wurde, ließ der südkoreanische Elektronikkonzern Samsung
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
als erster großer Smartphone-Hersteller sein damaliges Smartphone„Flagschiff“ „Galaxy S. 4“ nach den Kriterien des TCO-Nachhaltigkeitssiegels (vgl. TCO Certified 2020) zertifizieren. Wahrscheinlich war ein Ziel des Unternehmens auf den zunehmenden Druck zu reagieren, der durch das öffentliche Bewusstsein über die Rohstoff- und Energieintensität sowie die Arbeitsbedingungen bei der Smartphone-Produktion auf die Hersteller entstand. Die Zertifizierung des Samsung-Smartphones wurde damals von zivilgesellschaftlichen Organisationen als ‚green washing of the worst kind‘ kritisiert, da auch grundlegende Arbeits- und Gesundheitsstandards für Beschäftigte in Samsungs Produktionsbetrieben missachtet würden (vgl. Schipper 2015, S. 14). ◄ Glyphosat-Rückstände im deutschen Bier
2016 wurden vom Umweltinstitut München e. V. in allen 14 meistgetrunkenen Biermarken Deutschlands Rückstände des Herbizids Glyphosat gefunden, das von der WHO als erbgutschädigend und „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft wird (vgl. Umweltinstitut München 2016). Die Werte vieler Proben lagen dabei deutlich über dem gesetzlichen Grenzwert für Trinkwasser. Daraufhin folgten sowohl der Verband der mittelständischen privaten Brauereien in Deutschland als auch der österreichische Brauereiverband der Forderung des Umweltinstituts nach einem europaweiten Verbot von Glyphosat. Eine Korrektivmaßnahme einer einzelnen Brauerei wäre hier gewesen, für ihre Bierprodukte statistisch fundierte Rückstandskontrollen einzuführen und aus diesen Ergebnissen Konsequenzen für ihre Malz- und Hopfenbeschaffung zu ziehen. ◄ • Nachhaltigkeitsaspekte als Gestaltungskriterien: Die Minimierung von Umwelt- und/oder sozial-ökonomischen Schäden durch Produkte kann auch zu bewussten Gestaltungskriterien für Produkte werden. In diesem Bearbeitungsmodus bleiben Marktfähigkeit, Lieferbarkeit und Profitabilität weiterhin die Hauptkriterien für den Erfolg des Produkts am Markt, jedoch werden Nachhaltigkeitsthemen umfassend und konzeptionell integriert. Diese Bearbeitungsform setzt voraus, dass erstens das Produkt am Anfang des Produktmanagement-Prozesses steht und zweitens ein aktiver Gestaltungswille zur umfassenden Gestaltung eines Produkts nach definierten Nachhaltigkeitskriterien besteht. Der Bearbeitungsmodus umfasst die systematische Identifikation von „Hot Spots“ der jeweiligen Branche und Produktkategorie sowie deren gezielte Bearbeitung. Diese können einerseits bestimmte Umweltaspekte,
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wie beispielsweise Robustheit, Reparierbarkeit, Ressourceneinsatz, End of Life-Lösungen und/oder sozial-ökonomische Aspekte wie die Beeinflussung der Entlohnung und der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in Lieferketten betreffen. Insofern entspricht diese Bearbeitung – je nach Intensitätsgrad – entweder dem Modell der nachhaltigen Effizienz oder demjenigen nachhaltiger Produkte (vgl. Abschn. 11.1). Wie prominent diese Gestaltungsbemühungen um nachhaltigere Produkte auch für die Positionierung im Markt genutzt werden, stellt ebenfalls eine davon getrennte Entscheidung dar. Gestaltungskriterien von Apple IPhones
Im „Guide to Greener Electronics“ der Non-Profit-Organisation Greenpeace aus dem Jahre 2017 (vgl. Greenpeace 2017), in dem 17 Technologieunternehmen in Bezug auf eine breite Palette von Umweltkriterien bewertet wurden, schnitt das Unternehmen Apple Inc. mit seinem iPhone in Bezug auf die zwei Kriterien Reduzierung des Energieeinsatzes in der umfassenden Lieferkette und Verwendung von umwelt- und gesundheitsschädlichen Chemikalien gut ab und belegte Platz 2 hinter Fairphone. Diese zwei Kriterien dienen offensichtlich als Gestaltungskriterien für Apple-Produkte, ohne dass das Unternehmen seine Produkte als „nachhaltige Produkte“ positioniert. Im Hinblick auf die Reparierbarkeit der Geräte wurde das Unternehmen in der Greenpeace-Studie im unteren Drittel der Vergleichsliste platziert. ◄ Gestaltungskriterien bei Solarbieren
Eine Reihe von v. a. kleinen und mittelständischen Brauereien hat auf ihren Produkten mittlerweile die „Solarbier“-Zertifizierung ausgewiesen (Solarbier Innovations- und Marketing-Gesellschaft 2020). Dieses EUweit geschützte Produkt-Label garantiert, dass damit ausgewiesene Biere ausschließlich mit erneuerbaren Energien hergestellt sind, was durch die TU München-Weihenstephan überprüft wird. Damit wird die kostenintensivste Position bei der Bierproduktion durch eine regenerative Energiequelle bereitgestellt. Meist wird dies jedoch nicht markant kommuniziert, da dies für die meisten Bierkonsumentinnen kein kaufentscheidendes Kriterium darstellt, sondern lediglich durch die dezente Markierung auf dem Bauch- oder Rückenetikett ausgewiesen. ◄ • Nachhaltigkeitsaspekte als Marktpositionierung: Schließlich können Produktideen auch erst auf der Basis der Identifikation von Umweltund/oder sozial-ökonomischen Problemlagen entlang der vollständigen
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
Wertschöpfungsketten (vgl. Abschn. 7.1) entdeckt werden. In diesem Fall werden Nachhaltigkeitsaspekte zur dominanten und differenzierenden Marktpositionierung von Produkten. Dafür ist erstens ein Neuproduktprojekt am Anfang des Produktmanagement-Prozesses und zweitens eine klare Entscheidung für ein „nachhaltigeres“ Produkt, auch um den Preis des Zielkonflikts mit bestimmten finanzwirtschaftlichen Profitabilitätserwartungen, erforderlich. Das trifft vor allem für Unternehmen zu, deren Geschäftsziele mit Nachhaltigkeitszielen eng verknüpft sind oder die mit dem Ziel der Entwicklung nachhaltigerer Produktalternativen gegründet wurden. Diese Form der Bearbeitung umfasst die Adressierung von Umwelt- und/oder sozial-ökonomischen Problempunkten als primärem Produktzweck und die Ausrichtung der Marktpositionierung, des Produktdesigns, der Geschäftsprozesse und des Business Case auf diesen Zweck. Dieser Bearbeitungsmodus entspricht daher den oben genannten Modellen nachhaltiger Produkte oder Veränderungs-Netzwerke (vgl. Abschn. 11.1). Die nachhaltige Marktpositionierung von Fairphone
Das Fairphone First Edition (FP1 und FP1U) wurde 2013 mit dem expliziten Ziel auf den Markt gebracht, auf die sozial-ökonomischen und umweltbezogenen Probleme bei der Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Smartphones aufmerksam zu machen (vgl. Fairphone 2020a). Die Ziele bestehen in der Verwendung konfliktfreier Rohstoffe aus geprüften Minen (insbesondere Tantal, Zinn, Gold und Wolfram), besseren Produktionsbedingungen in den chinesischen Fabriken, Langlebigkeit und Reparierbarkeit der Geräte sowie Rücknahme und Wiederaufbereitung von Altgeräten. Das Produkt positioniert sich damit eindeutig als „nachhaltigeres Produkt“ und soll als Beispiel für eine echte Leistung nachhaltiger Entwicklung von Smartphones dienen. ◄ Die nachhaltige Marktpositionierung von Neumarkter Lammsbräu
Die fränkische Brauerei Neumarkter Lammsbräu positioniert sich mit ihrem Produktsortiment sehr deutlich in Richtung Verwendung biologischer Rohstoffe, Verzicht auf Zusatzstoffe im Brauprozess, Rückführung von Reststoffen in den ökologischen Kreislauf sowie regionale Lieferketten (vgl. Neumarkter Lammsbräu 2020). Die Produkte differenzieren sich also von Wettbewerberprodukten explizit durch Nachhaltigkeitsaspekte. ◄ Nicht erwähnt wurde hier die Strategie der „Nullvariante“, also das bewusste Nicht-Bearbeiten von Nachhaltigkeitsthemen. Auch diese Strategie erfordert eine
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klare Kommunikation und Begründung vonseiten des organisatorischen Sponsors, um dem Produktmanagement-Team Orientierung zu geben (vgl. Abschn. 2.5). Ebenfalls hat die „Greenwashing“-Variante, also eine kommunikative Bearbeitung des Themas, während andere Aktivitäten des Unternehmens in die Gegenrichtung laufen, keine Erwähnung gefunden, da diese das Gegenteil von Klarheit und Konsistenz im Umgang mit dem Thema bezeichnet. Die skizzierten vier Bearbeitungstypen haben den Zweck, einen Beitrag zur Klarheit und Konsistenz von Bearbeitungsstrategien von Nachhaltigkeitsthemen im Produktmanagement zu leisten. Dies wird hier als eine der vordringlichsten Prioritäten gesehen, die zeitlich und logisch vor der Frage der konkreten Aufgaben zu beantworten ist. Letztere sollen nun Gegenstand der Behandlung sein. Ad 2: Aufgaben bei der Integration von Nachhaltigkeitsthemen in das Produktmanagement Legt man den in Abschn. 4.2 dargestellten Produktmanagement-Prozess zugrunde, wird deutlich, dass Aufgaben zur Integration von Nachhaltigkeitsthemen grundsätzlich in folgenden Phasen des Prozesses anfallen können: • In der Phase der Produktentdeckung, wenn Nachhaltigkeitsaspekte als Kundenbedürfnisse und Potenzial zur Differenzierung des Produkts am Markt entdeckt werden. • In der Phase der Produktdefinition, insofern hier die richtungsweisenden produktstrategischen Entscheidungen zur Marktpositionierung des Produkts, zu den Anforderungen an das Produktdesign und die Wertschöpfungsketten sowie die Profitabilitätserwartungen getroffen werden. • In der Phase der Produktrealisierung, da in dieser Phase die Anforderungen an das Produktdesign, die Marktpositionierung, das Wertschöpfungsmodell sowie die Profitabilitätserwartungen, die in der Phase der Produktdefinition festgelegt werden, umgesetzt werden. Die Umsetzungsentscheidungen können dabei mit mehr oder weniger Rücksicht auf Nachhaltigkeitskriterien getroffen werden. • In der Phase des Produkt-Controllings, da in dieser Phase mediale Rückmeldungen von Kunden und anderen gesellschaftlichen Gruppen zu Entscheidungen im Hinblick auf die Verbesserung von Nachhaltigkeitsaspekten führen können. Der größte Gestaltungsspielraum für die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten ergibt sich dabei in der Phase der Produktdefinition. Für diese Position sprechen drei Argumente:
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
1. Grundsätzliche Gestaltungsspielräume: Im „fuzzy front end“ des Produktentstehungsprozesses sind die Gestaltungsspielräume sehr hoch und die Ressourcenbindung noch relativ gering. Da Entscheidungen zur nachhaltigeren Gestaltung von Produkten auf viele Handlungsebenen in der Definition und Realisierung von Produkten (vgl. Abschn. 4.4 und Abschn. 4.5) Einfluss haben, müssen dort die entscheidenden Festlegungen getroffen werden. Entscheidungsimpulse, die aus der Phase des Produkt-Controllings kommen, beziehen sich dagegen auf ein bereits im Markt eingeführtes Produkt mit relativ geringen Gestaltungsspielräumen oder – bei tief greifenden Änderungen – mit relativ hohem Ressourcenaufwand. 2. Konkretheit der Entscheidungen: In der Phase der Produktdefinition werden die Marktpositionierung, die Produktspezifikation, das Wertschöpfungsmodell und die Profitabilitätsabschätzung in Form von Anforderungen konkret. Das ermöglicht, Anforderungen an Nachhaltigkeitsauswirkungen in diesem Kontext mit zu definieren. Impulse zur nachhaltigeren Gestaltung von Produkten, die dagegen aus der Phase der Produktentdeckung kommen, sind meist entweder sehr abstrakt oder aber relativ losgelöst von der konkreten Gestaltung des Produkts (z. B. „das Produkt muss klimaneutral sein“). Diese Impulse können frühestens in der Phase der Produktdefinition spezifiziert, bewertet und entschieden werden. 3. Offenheit für Gestaltungsoptionen: In der Phase der Produktdefinition werden die wesentlichen Anforderungen an das Produkt, das Marketing, die Geschäftsprozesse und die Profitabilität fixiert, ohne jedoch das „Wie?“ der Umsetzung genau festzulegen. Die Festlegungen haben somit den Charakter von „Leitplanken“ oder einer „Produktstrategie“. Dies eröffnet unterschiedliche Optionen für deren Umsetzung, mit entsprechend schädlicheren oder weniger schädlichen Auswirkungen für Umwelt und Gesellschaft. Nachhaltigkeitsimpulse dagegen, die in der Phase der Produktrealisierung entstehen, sind meistens schon mit relativ detaillierten Festlegungen konfrontiert. Aus diesen drei Gründen soll im Folgenden anhand der Phase der Produktdefinition dargestellt werden, welche Entscheidungen und Aufgaben zum nachhaltigen Produktmanagement getroffen werden können (vgl. Abb. 11.4). Aufgaben bei der Definition der Marktpositionierung: Bei der Definition der Marktpositionierung ist zu entscheiden, ob und wie prominent Nachhaltigkeitsaspekte als differenzierendes Nutzenkriterium des Produkts herausgestellt werden – oder eben nicht (vgl. Belz und Peattie 2012, S. 85–196; Meffert und Rauch 2014, S. 163–167).
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Abb. 11.4 Primäre und sekundäre Integrationspunkte von Nachhaltigkeitsaspekten im Produktmanagement-Prozess
Eine Positionierung als „nachhaltiges“ Produkt bringt eine zentrale Chance und ein zentrales Risiko mit sich: Sie erzeugt Zugzwang. Dies stellt dann eine Chance dar, wenn ansonsten Nachhaltigkeitsbestrebungen in Unternehmen eher schwach ausgeprägt sind und dadurch ein Auslöser in diese Richtung entstehen kann. Das Risiko, das eine solche Marktpositionierung mit sich bringt, besteht darin, dass dieses Leistungsversprechen auch transparent und nachweisbar eingelöst werden muss. Ansonsten resultiert die Positionierung im Vorwurf des „Greenwashing“ – mit entsprechendem Rechtfertigungsaufwand und eventuellen Imagebeschädigungen. Ein weiteres Entscheidungskriterium für oder gegen eine nachhaltige Marktpositionierung besteht in der Frage, inwiefern ein Nachhaltigkeitsthema wie „Klimaemissionen“ oder „Mikroplastik“ für ein bestimmtes Produkt und eine definierte Zielgruppe in einem spezifischen Markt tatsächlich ein kaufentscheidendes Kriterium darstellt. Ist dies der Fall, kann eine Nachhaltigkeitspositionierung
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tatsächlich als differenzierender Nutzenaspekt für ansonsten schwer zu differenzierende Produkte ins Feld geführt werden. Ist dies nicht der Fall, trifft ein explizites Leistungsversprechen bestenfalls ins Leere. Im schlechtesten Fall werden Produkteigenschaften herausgestellt, die als selbstverständlich gelten, was die Glaubwürdigkeit eines Produkts und eines Unternehmens ebenfalls beschädigen kann. Eine Definition der Marktpositionierung als „nachhaltige(re)s Produkt“ ist also stark von zwei Parametern abhängig: Einerseits von der Nachhaltigkeitswirkung des Produkts und andererseits von der Relevanz des Themas für die Stakeholder (vgl. Abb. 11.5). Aufgaben bei der Spezifizierung der Produktanforderungen: Anforderungen an das Produkt können einerseits eine entsprechende Marktpositionierung umsetzen und haben andererseits Einfluss auf das Wertschöpfungsmodell und die Profitabilitätsabschätzung (vgl. Bhamra und Lofthouse 2016, S. 37–64; Ceschin und Gaziulusoy 2016).
Abb. 11.5 Entscheidungsfelder der Marktpositionierung im nachhaltigen Produktmanagement. (In Anlehnung an Meffert und Rauch 2014, S. 165–167)
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Die wesentliche betriebswirtschaftliche Chance der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in den Produktanforderungen liegt in der Reduktion von Life-Cycle-Risiken. Diese können in Form von direkten Gewährleistungs-, Produkthaftungs-, Garantie- und Servicekosten entstehen, wenn erwartete oder zugesicherte Qualitätsmerkmale wie Robustheit, Zuverlässigkeit und Gesundheitsschutz nicht ausreichend abgesichert werden. Sie können jedoch auch in Form von steigenden Einstandspreisen oder Ausfällen von Lieferanten entstehen, wenn der Lieferantenauswahl, der Gestaltung der Lieferbeziehungen und dem Lieferantenschutz zu wenig Beachtung geschenkt werden. Die wesentlichen Risiken bei der Beachtung von Nachhaltigkeitsaspekten liegen einerseits in der steigenden Komplexität der Produktanforderungen und des Produktdesigns. Aufgrund von Nachhaltigkeitsanforderungen kann es in der Entwicklung, der Produktion und eventuell auch in der Logistik zunehmend schwieriger werden, die steigenden Anforderungen zu erfüllen. Gegebenenfalls wird ein Wechsel von Lieferanten für diese Geschäftsprozesse erforderlich, was erhöhte Risiken mit sich bringt. Ein zweites, damit verknüpftes, Risiko besteht in steigenden Selbstkosten aufgrund erhöhter Material- und Verarbeitungsanforderungen an das Produkt. Diese können dann entweder über eine veränderte Preisfestsetzung an Kunden weitergegeben werden oder – falls am Markt starke psychologische Preisgrenzen für bestimmte Produktpositionierungen existieren – durch die Minimierung von Profitabilitätsmargen kompensiert werden. Die Argumentation zeigt, dass die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Produktanforderungen und das Produktdesign positive und negative Konsequenzen haben kann, die in der Phase Produktdefinition erkannt und entschieden werden müssen. Dies gilt umso mehr, als der Begriff des „Nachhaltigen Produktdesigns“ seit den 1990er Jahren seinen Umfang deutlich erweitert hat: Er wird heute nicht nur auf physische Güter, sondern auch auf Produkt-ServiceSysteme (z. B. Sharing-Lösungen), Sozialraum-Systeme (z. B. Sozialinnovationen, kommunale Wiederverwendungslösungen) sowie die Veränderung ganzer soziotechnischen Systeme (z. B. neue Mobilitätslösungen, neue Wohnraumlösungen) angewendet, wie die Rekonstruktion der Entwicklung des Konzepts „Design for Sustainability“ von Fabrizio Ceschin et al. (2016) zeigt (vgl. Abb. 11.6). Aufgaben beim Entwurf des Wertschöpfungsmodells: Werden beim Entwurf des Wertschöpfungsmodells die relevanten Kernprozesse identifiziert und Prozessanforderungen an diese formuliert, hat diese Festlegung Auswirkungen auf die Kernprozesse und die sekundären Prozesse sowohl innerhalb des Unternehmens als auch in der erweiterten Wertschöpfungskette außerhalb des Unternehmens (vgl. Fearne, 2012; D’heur 2015).
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11 Wie kommen Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement?
Abb. 11.6 Entwicklung des Konzepts „Design for Sustainability“ (vgl. Ceschin und Gaziulusoy 2016, S. 143 f.)
Im Regelfall wird ein besonderer Fokus auf die Gestaltung der Kernprozesse nach Effektivitäts- und Qualitätskriterien gelegt (z. B. Entwicklung, Vertrieb) und sekundäre Prozesse nach Effizienzkriterien gestaltet. Dies stellt eine Ursache für die in Abschn. 5.5 angesprochene „Schadschöpfung“ in den Lieferketten dar. Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Produktmanagement erfordert, die umweltbezogenen und sozial-ökonomischen Nutzen- und Schadensaspekte, die durch das verfolgte Wertschöpfungsmodell entstehen, erstens zu identifizieren. Zweitens sollten die Schadenswirkungen, zumindest in den identifizierten „Hot Spots“, so weit wie möglich minimiert werden. Diese zusätzlichen Anforderungen an die Gestaltung des Wertschöpfungsmodells erfordern zunächst eine Identifizierung der Lieferketten, die in der Regel nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Zweitens müssen die „Hot Spots“ in Erfahrung gebracht werden, was eine zweite Herausforderung darstellt. Drittens stellt sich die Frage nach Möglichkeiten der Einflussnahme auf diese rechtlich und organisatorisch selbständigen Unternehmen, insbesondere bei geringer Marktmacht des auftraggebenden Unternehmens. Der Fokus des nachhaltigen Produktmanagements erweitert sich also unter Nachhaltigkeitsaspekten
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beträchtlich auf die gesamte „Supply Chain“ mit ihren Planungs-, Beschaffungs-, Herstellungs-, Lieferungs- und Rückgabeprozessen, wie sie im Referenzmodell SCOR („Supply-Chain-Operations-Reference-Modell“; vgl. Polhua 2014, S. 81–148; D’heur 2015, S. 20–53) modelliert sind (vgl. Abb. 11.7). Diese Aufgabenliste skizziert zumindest die Herausforderungen und den Aufwand zur Realisierung von Nachhaltigkeitsanforderungen in den Lieferketten. Dabei sind die betriebswirtschaftlich abbildbaren Vorteile in der Form der Reduzierung von Liefer- und Reputationsrisiken überschaubar. Hingegen sind die Potenziale zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsauswirkungen beträchtlich, was auch in Kap. 5 deutlich wurde. Damit ist ein Handlungsfeld im nachhaltigen Produktmanagement mit sehr klaren Zielkonflikten lokalisiert, das klare Entscheidungen erfordert. Aufgaben bei der Abschätzung der Profitabilitätserwartungen: Die oben genannten Aufwände in produkt- und prozessbezogener Hinsicht konstituieren Kosten im Sinne von betriebsbedingtem, in Geldeinheiten bewertbarem, Ressourcenverbrauch (vgl. Coenenberg, 2016). Zugleich adressieren Produkte, die sich über Nachhaltigkeitsaspekte am Markt positionieren, in der Regel ein relativ kleines Zielgruppensegment mit überschaubaren Absatz- und Umsatzzahlen. Dies wirft bei der Formulierung von Profitabilitätserwartungen die Frage nach der Deckung der Kosten auf (vgl. Belz und Peattie 2012, S. 231–254; Ingenbleek 2015). Eine Möglichkeit besteht in der Positionierung nachhaltiger Produkte im oberen Preissegment (vgl. Simon und Fassnacht 2016, S. 52–92 und 234–262). Damit adressieren diese Produkte jedoch ein Marktsegment, das sich – etwas pointiert formuliert – mit folgender Persona skizzieren lässt: Luka, 35 Jahre, wohnhaft im Prenzlauer Berg, in Beziehung lebend, ein Kind, Physikstudium, konsumkritische und linksliberale Einstellung, Bruttojahresverdienst ca. 68.000,- EUR.“ Aus der Perspektive der Umsatzlogik von Unternehmen als auch aus der Perspektive der gesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit betrachtet wäre es jedoch erstrebenswert, möglichst vielen, insbesondere einkommensschwächeren, Bevölkerungsgruppen Zugang zu nachhaltigeren Produkten zu verschaffen. Setzt man das Durchschnitts-Bruttoeinkommen in Deutschland bei ca. 48.000,- EUR an (vgl. DeStatis 2020), könnte ein preispolitisches Ziel nachhaltiger Produkte auch darin bestehen, Einkommensgruppen, die deutlich darunter liegen, den Erwerb nachhaltigerer Produkte zu ermöglichen. Dafür müssten dann alternative Finanzierungsquellen
Abb. 11.7 Erweiterung des Prozessfokus im Nachhaltigen Produktmanagement entlang des SCOR-Modells. (In Anlehnung an: Polhua 2014, S. 81–148; D’heur 2015, S. 20–53)
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gesucht werden, wie beispielsweise die Querfinanzierung nachhaltiger Produkte durch „Cash-Cows“ im Portfolio des Unternehmens oder durch private oder öffentliche Projektfinanzierungen. Hier stellt sich allerdings die Frage, wie dauerhaft eine Fremdfinanzierung von Produkten ist und welcher Weg eingeschlagen werden soll, um zumindest mittelfristig die Selbstfinanzierung nachhaltiger Produkte zu erreichen. Damit sind Themen im Business Case nachhaltiger Produkte angesprochen, die in den meisten Fällen noch nicht gelöst sind. Gesucht wären hier insbesondere innovativere Preisgestaltungsmodelle, die über die traditionellen kosten-, wettbewerbs- und zahlungsbereitschaftsorientierten Preisfindungsansätze hinausgehen – und zum Teil bereits in Gebrauch sind (vgl. Abb. 11.8). Die skizzierten Aufgaben nachhaltigen Produktmanagements, die hier auf die Phase der Produktdefinition bezogen wurden, brachten eine Reihe von Fragen zutage, die noch unbeantwortet sind. Die offenen Fragen zum „Nachhaltigen Produktmanagement“ sollen im folgenden Kapitel nochmals systematisch aufgeführt werden.
Abb. 11.8 Traditionelle und innovativere Preisgestaltungsmodelle. (In Anlehnung an: Hinterhuber und Liozu 2014; Simon und Fassnacht 2016, S. 571–596; Monti 2017, S. 123– 126)
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11.3 Offene Fragen zum „Nachhaltigen Produktmanagement“ In Kapitel Abschn. 11.1 wurde aus strategischer, in Abschn. 11.2 aus operativer Sicht skizziert, wie Nachhaltigkeitsaspekte in das Produktmanagement integriert werden können. Die Autorinnen verstehen diese Ausführungen explizit als „Skizzierung“ und nicht als abschließendes Konzept, da eine Reihe von Fragen offenbleiben, die im Folgenden formuliert werden sollen. Diese beziehen sich auf offene Fragen zum Stellenwert von Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie, zu dazu korrespondierenden Organisationsstrukturen und -prozessen sowie zur externen und internen Nachhaltigkeitskommunikation. Diese offenen Fragen können in der akademischen Praxis als „Forschungsdesiderate“ und in der unternehmerischen Praxis als „Gestaltungsaufgaben“ interpretiert werden. Offene Fragen zu Strategien Die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und Entscheidungen zugunsten nachhaltiger Produkte folgen diversen Risikoabwägungen und Impulsen (vgl. Kap. 6). Gleichzeitig verfolgen Unternehmen allgemeine Geschäfts- und Produktstrategien, die das eigene Vorgehen rahmen. Wachstums- und Expansionsstrategien in bestimmte Regionen oder die Eröffnung eines Standorts bedeuten z. B. auch eine Festlegung auf Nachhaltigkeitsthemen, die in diesen Regionen relevant sind. Nachhaltigkeitsstrategien für Produkte sollten daher Teil der allgemeinen Strategien sein und aktiv zu ihrer Verwirklichung beitragen. Für Nachhaltigkeitsthemen wie den Klimaschutz gibt es in vielen Unternehmen mittlerweile strategische Ziele. In einem Großteil der Unternehmen wird die Klimastrategie von der obersten Führungsebene verantwortet (vgl. CDP 2017). Bezogen auf andere Nachhaltigkeitsthemen fehlen solche Strategien häufig. Egal welche Impulse und Motivationen zur nachhaltigen Gestaltung von Produkten im Unternehmen zur Geltung kommen, sie werden überwiegend strategisch vom Unternehmen verantwortet und produktübergreifend gemanagt. Die Arbeit in Netzwerken, mit standardsetzenden Organisationen, die komplexen Aufgaben, um transparentere Lieferketten mit geringeren Risiken zu schaffen, können nicht bezogen auf einzelne nachhaltigere Produkte geleistet werden. Z.B. ist die Mehrzahl der Smartphone-Hersteller in der Responsible Minerals Initiative (RMI) organisiert (vgl. Evermann 2018, S. 20), um die Überprüfung von Minen zu managen, aus denen Rohstoffe für ihre gesamte Produktpalette bezogen werden. Zudem gibt es öffentlich oder privat finanzierte Projekte, in denen
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Unternehmen und ihre Verbände mitarbeiten, um die Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten zu vereinheitlichen; ein Beispiel dafür ist der europäische Product Environmental Footprint (Abschn. 8.1). Und auch Forschungs- und Lobbyaktivitäten sind strategische Aufgaben. Es liegt also der größere Entscheidungsspielraum für nachhaltigere Produkte bei strategischen Nachhaltigkeitsentscheidungen und nicht in der organisatorischen Funktion des Produktmanagements. Die Disjunktion zwischen der Unternehmensebene einerseits und der Ebene des Produktmanagements andererseits kann dazu führen, dass die oben erwähnten Unternehmensinitiativen keinen Niederschlag im Produktportfolio des Unternehmens finden und umgekehrt Produktinitiativen in Richtung Nachhaltigkeit gestartet werden, die in Unternehmensaktivitäten, die in dieselbe Richtung gehen, nicht integriert werden. Eine andere Konsequenz aus dieser Trennung kann darin bestehen, dass wirksame und/oder leicht umsetzbare Nachhaltigkeitsimpulse, die von der strategischen oder der operativen Ebene kommen, in den „Kapillaren der Organisation versanden“ (vgl. Burgelman 1991; Noda und Bower 1996). Ein wichtiges Forschungsdesiderat lautet deshalb, ob und inwiefern Nachhaltigkeitsaktivitäten in Unternehmen „loosely coupled systems“ (Orton und Weick 1990) darstellen und welche Effizienz- und Effektivitätsverluste sich daraus ergeben. Eine wesentliche Praxisfrage, die daraus resultiert, bezieht sich auf die Identifikation und Nutzung der bestehenden Schnittstellen zur effizienteren und effektiveren Gestaltung nachhaltiger Produkte. Offene Fragen zur Organisation Wenn Unternehmen ihr Produktmanagement „nachhaltiger“ gestalten wollen, werden häufig neue Rollen, Stellen und Organisationseinheiten in Form von „Beauftragungen“ oder „Stabsstellen“ geschaffen. Es scheint also zuweilen, als ob die Organisationsstruktur eines Unternehmens zumindest teilweise durch „Themen“ gebildet würde, die von politischer, rechtlicher oder zivilgesellschaftlicher Seite in die Organisation „diffundieren“ und dort irgendwie „adressiert“ werden müssen. Aus dieser Vorgehensweise resultieren dann zahlreiche Schnittstellenprobleme in der Organisation, die aufwendig über Abstimmungsrunden oder Instrumente der Rollenklärung gelöst werden müssen. Diese sind jedoch nicht selten auf selbst geschaffene Redundanzen und unklare Aufgabenzuweisungen zurückzuführen. Diese wiederum haben ihre Ursache häufig darin, dass beispielsweise „Nachhaltigkeit“, „betriebliches Umweltmanagement“ und
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„Supply Chain Management“ als drei getrennte Themenbereiche wahrgenommen und in der Organisationsstruktur als solche verankert werden. Nach den Praxiserfahrungen der Autorin und des Autors ist es zielführender, rückwirkend zu analysieren, nach welchen Kriterien bisher Nachhaltigkeitsthemen Eingang in die Organisation fanden und dort verarbeitet wurden. Dabei fällt häufig auf, dass ausgewählte Kriterien bereits pragmatisch und erfolgreich bearbeitet werden, die nicht dem weiten Feld Nachhaltigkeit zugerechnet werden Derartige Themen sind organisatorisch z. B. im Qualitäts-, Compliance-, Umwelt- oder Personalmanagement angesiedelt. Von dieser Analyse ausgehend könnte dann nach Optionen gesucht werden, wie aktuelle und zukünftige Nachhaltigkeitsthemen besser in der Organisation verankert werden können. Ein möglicher Ansatz liegt in den Geschäftsprozessen, die es ermöglichen, unterschiedliche „Governance“-, „Compliance“- und „Risk“-Themen – wie beispielsweise die Idee eines „integrierten GRC Managements“ nahelegt (vgl. Racz et al.2010) – in der Organisation über Prozessvorgaben zu verankern. Mit diesem Ansatz sind weniger separate Zuständigkeiten erforderlich, sondern Nachhaltigkeitsmaßnahmen in die operativen Arbeitsweisen des Produktmanagements integriert. In dieser Organisationsform wäre das Modell der Risikominimierung leichter erweiterbar zu einem Modell der nachhaltigen Effizienz. Für die Modelle nachhaltige Produkte und Veränderungs-Netzwerke wären jedoch andere organisatorische Strukturen erforderlich. Eine Aufgabe für die Praxis der Forschung bestünde in dieser Hinsicht darin, die entstehenden Ineffektivitäten und Ineffizienzen bei der organisatorischen Bearbeitung von Nachhaltigkeitsthemen zu identifizieren, zu quantifizieren und zu erklären. Die zentrale Aufgabe für die Praxis wäre in der Schaffung einer organisatorischen Struktur zu sehen, in der „Nachhaltigkeitsthemen“ wirksam, unaufwendig und schnell adressiert und bearbeitet werden können. Offene Fragen zur internen und externen Kommunikation Externe Kommunikation zu nachhaltigen Produkten ist häufig reduziert. Zumeist fehlen zwei Perspektiven: Erstens die Perspektive auf die Wirksamkeit, also auf die Frage, welchen Beitrag ein Mehr an Nachhaltigkeit zur faktischen Verbesserung der Produktauswirkungen leistet. Die Wirksamkeit ist, wie in Abschn. 5.5 dargelegt, nur mit recht hohem Aufwand zu messen. Zweitens fehlt die Perspektive auf die Bedeutung für das Unternehmen und für seine Produktpalette. Viele Unternehmen nutzen Labels und veröffentlichen in Nachhaltigkeitsberichten, auf ihren Internetseiten und über soziale Medien
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Nachhaltigkeitsvorteile ihrer Produkte. Eine Einordnung jedoch, wie wichtig dieser Nachhaltigkeitsaspekt für das Unternehmen ist und welche Auswirkungen im Rahmen der gesamten Produktpalette entstehen, wird selten vorgenommen. Begrenzte Aussagekraft externer Kommunikation zu Produkten: Das Beispiel recyceltes Zinn in Apple-Produkten
Das Unternehmen Apple Inc. kommuniziert, dass in 2019 29.000 t Zinnerze nicht aus natürlichen Vorkommen extrahiert werden mussten, weil diese Menge in Form recycelten Zinns für ausgewählte Produkte genutzt wurde. Apple benennt diese Produkte und beschreibt weitere Aktivitäten im Feld Zinn (vgl. Apple 2019, S. 29). Es ist für Außenstehende jedoch nicht erkennbar, welchen Anteil die genannte Zinnmenge an der Gesamtmenge des von Apple 2019 genutzten Zinns darstellt und welchen Aufwand das Unternehmen betreiben musste, um diese Nachhaltigkeitsleistung zu erbringen. ◄ Eine transparente Kommunikation, welche Nachhaltigkeitsaspekte auf welchen Wertschöpfungsstufen umgesetzt sind und wie sie garantiert werden, findet nur in Ausnahmefällen statt. Nachhaltigkeitskommunikation sollte über die übliche Kommunikation von Unternehmen insbesondere durch Vollständigkeit und Ausgewogenheit hinausgehen: Das Prinzip der Vollständigkeit soll verhindern, dass einzelne Aspekte herausgestellt und nicht entsprechend ihrer Bedeutung für das Produkt bzw. das Unternehmen insgesamt eingeordnet werden. Das Prinzip der Ausgewogenheit sieht vor, positive und negative Entwicklungen offenzulegen und somit zu ermöglichen, Herausforderungen und offene Fragen klar zu benennen. Auch hier geht es vor allem darum, öffentlich solche Informationen bereitzustellen, auf deren Basis die Gesamtleistung des Produkts bzw. des Unternehmens eingeschätzt werden kann (Vgl. GRI 2016: GRI 101: Grundlagen 2016, S. 12–13; vgl. auch ISO 2010). Fairphone-Produkte als positive Beispiele zu vollständiger Nachhaltigkeitskommunikation
Fairphone veröffentlicht Informationen und Studien über die eigene Wertschöpfungskette und legt offen, dass es zehn der 38 im Smartphone enthaltenen Mineralien bis zurück in die erste Phase verfolgen will (vgl. Evermann 2018, S. 33–35). Nur wenige der zehn Mineralien werden bereits garantiert nachhaltig bezogen. Damit stellt Fairphone auch Transparenz darüber her, dass es vor der Herausforderung steht, in Zukunft weitere Rohstoffe nachhaltiger gestalten zu wollen. ◄
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Eine vollständige und ausgewogene Nachhaltigkeitskommunikation bezogen auf Produkte könnte durch Transparenz über Geleistetes und über noch offene Nachhaltigkeitsprobleme zu einem fundierten Verständnis über die Nachhaltigkeit von Produkten bei Unternehmen und in der Öffentlichkeit beitragen. Ähnliche Anforderungen, die für die externe Unternehmenskommunikation aufgestellt werden können, können auch für die interne Kommunikation gelten: Im Hinblick auf Auswirkungen ist auch bei der internen Kommunikation häufig eine ausschließliche „Inputperspektive“ auf Nachhaltigkeitsthemen zu beobachten: „Nachhaltig“ ist ein Produkt oder ein Unternehmen dann, wenn etwas getan und dieses Tun mit dem Etikett „nachhaltig“ versehen wird. Was aber sowohl unter Nachhaltigkeits- als auch unter betriebswirtschaftlichen Kriterien zählt, sind die Auswirkungen bzw. der „Output“ (vgl. Malik 2006, S. 85): Was bewirkt ein Produkt oder ein Handeln tatsächlich – unabhängig davon, ob es unter der „Nachhaltigkeitsflagge“ segelt oder nicht. Bereits in Abschn. 11.2 wurde auf die zuweilen chronische Unklarheit der Kommunikation im Hinblick auf die Relevanz und die Bearbeitung eines Nachhaltigkeitsthemas im operativen Geschäft hingewiesen. Deshalb ist in Bezug auf die interne Kommunikation vor allem Klarheit und Konsistenz im Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen zu betonen: Klarheit ist insofern erforderlich, als dass die Bedeutung eines Nachhaltigkeitsthemas den im Produktmanagement Tätigen für ihre Arbeit Orientierung geben muss. Konsistenz ist insofern notwendig, als die Bedeutung eines Themas auch mit entsprechenden Ressourcenbudgets im Hinblick auf Durchlaufzeiten, Aufwände und Kapazitäten hinterlegt werden muss. Die Forderungen nach Auswirkungs- bzw. Output-Orientierung, nach Klarheit und nach Konsistenz in der unternehmensinternen Kommunikation wirken, wenn sie umgesetzt werden, verhaltensbeeinflussend für den Umgang mit Nachhaltigkeitsthemen im Unternehmen. Eine Aufgabe für die Forschung in dieser Hinsicht würde darin bestehen, externe und interne Kommunikationsmuster zu Nachhaltigkeit nach den angesprochenen Kriterien wie beispielsweise Auswirkungsorientierung, Vollständigkeit, Ausgewogenheit, Klarheit und/oder Konsistenz zu analysieren und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die korrespondierende Aufgabe für die Unternehmenspraxis wäre in erster Linie im Mut zu sehen, diese Empfehlungen für ihre eigene Kommunikation auch umzusetzen.
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