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German Pages 178 [180] Year 2007
Volker Struckmeier Attribute im Deutschen
studia grammatica Herausgegeben von Manfred Bierwisch unter Mitwirkung von Hubert Haider, Stuttgart Paul Kiparsky, Stanford Angelika Kratzer, Amherst Jürgen Kunze, Berlin David Pesetsky, Cambridge (Massachusetts) Dieter Wunderlich, Düsseldorf
studia grammatica 65
Volker Struckmeier
AttflbutG
im Deutschen Zu ihren Eigenschaften und ihrer Position im grammatischen System
Akademie Verlag
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ISBN 978-3-05-004325-8 ISSN 0081-6469
© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2007 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck und Bindung: MB Medienhaus Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Einleitung 1. Gegenstand, Aufbau und Ziele der Arbeit 2. Theoretischer Rahmen der Arbeit 2.1. Strukturerzeugung: Merge 2.2. Bewegung: Auch Merge 2.3. Die Operation Agree 2.4. Lokalität: Phasen und PIC I. Analyse attributiver Ausdrücke
vii ix ix xviii xxi xxv xxxi xxxiv 1
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen 1 1.1. Gemeinsame Eigenschaften attributiver Ausdrücke 5 1.2. Besonderheiten unterschiedlicher attributiver Ausdrücke 7 1.2.1. Relativsätze 7 1.2.2. Adjektive 8 1.2.3. Partizipien 10 1.2.3.1. Zur Wortart des Partizips 1 13 1.2.3.2. Zur Wortart des Partizips 2 15 1.2.3.3. Attributive Partizipien 1 und 2 als Realisation verbalen Aspekts .... 19 1.2.3.4. Attributive Partizipien 1 und 2 als Realisation des Genus Verbi 20 1.3. Zusammenfassung und Tabelle 20 2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen 2.1. Ältere Analyseansätze für attributive Ausdrücke 2.1.1. Merkmalsneutralisation 2.1.2. Probleme des Neutralisationsansatzes 2.1.3. Merkmalserweiterung 2.1.4. Probleme der Merkmalserweiterung 2.1.5. Syntaktische Zusatzannahmen: Wortsyntax 2.1.6. Probleme der wortsyntaktischen Analyse 2.1.7. Morphologische Zusatzannahmen: Level Ordering Hypothesis 2.1.8. Probleme der Level Ordering Analyse 2.2. Analyse im Rahmen des Minimalistischen Programms 2.2.1. Desiderata 2.2.2. Morphologische Annahmen der Analyse 2.2.3. Projektionsstufen attributiver Partizipien 2.2.3.1. VP-Projektion 2.2.3.2. vP-Projektion
22 22 22 23 23 24 25 27 29 31 32 32 34 38 39 39
vi
Inhaltsverzeichnis 2.2.3.3. TP-Projektion 2.2.3.4. CP-Projektion 2.2.4. Projektionsstufen attributiver Adjektive 2.2.5. Projektionsstufen von Partizipien 1 + zu 2.2.6. Projektionsstufen von Relativsätzen 2.2.7. Analyse per Agree 2.2.8. Exkurs: Relativsätze mit resumptivem Subjekt 2.2.9. Zusammenfassung und Konsequenzen der Analyse
40 50 69 74 76 80 83 88
II. Stellung der attributiven Ausdrücke im grammatischen System
93
3. Referentielle Eigenschaften von Nomina und Verben im Deutschen 3.1. Referentielle Eigenschaften der Nomina 3.2. Referentielle Eigenschaften der Verben
93 94 95
4. R-Typen: Zur Stellung der Attribution im Deutschen 4.1. Attribution im grammatischen System des Deutschen 4.2. Eine Typologie von R-Köpfen und ihren Spezifikatoren 4.2.1. Realisationen von Rl: Selbstständige Referenz auf Indizes 4.2.2. Realisationen von R2: Restringierende Referenz auf Indizes 4.2.3. Realisationen von R3: Selbstständige Referenz auf Individuen 4.2.4. Realisationen von R4: Restringierende Referenz auf Individuen 4.3. Ausblick: Typologische und diachrone Ansätze auf Basis der R-Typen 4.4. Zusammenfassung und Bewertung der Analyse
96 96 102 105 108 113 123 131 134
Literaturverzeichnis
135
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation „R4: Attribute im Deutschen. Zu ihren Eigenschaften und ihrer Position im grammatischen System", die von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln am 2. Mai 2005 angenommen wurde. Gutachter der Arbeit waren Prof. Dr. Jürgen Lenerz und Prof. Dr. Horst Lohnstein. Die Disputation fand am 20. Juli 2005 unter Leitung von Prof. Dr. Maria Järventausta statt, Mitglieder der Jury waren neben Jürgen Lenerz und Horst Lohnstein auch Prof. Dr. Beatrice Primus, Prof. Dr. Claudia Riehl und Prof. Dr. Isolde Burr. Wie jede Arbeit dieses Umfangs hat auch diese nur mit der Hilfe von Freunden und Kollegen entstehen können. Zunächst gilt es, meinem Doktorvater Jürgen Lenerz zu danken, der nicht nur ganz unbestreitbar der bestmögliche Chef ist, sondern auch stets ein offenes Ohr für die neuen Ideen hatte, die ich ihm während der Entstehung der Arbeit vortrug. Seiner dosiert und punktgenau eingesetzten Skepsis ist zu danken, dass so manche weniger gute Idee ihren Weg nicht in diese Arbeit gefunden hat. Auch Horst Lohnstein hat dazu beigetragen, dem linguistischen Wildwuchs früherer Versionen entgegen zu treten. Beiden gebührt daher mein ganz besonderer Dank. Auch vielen anderen Kölner Kollegen, insbesondere Kay Gonzalez, Robert Kemp, Katharina Klein, Marco Garcia und Dennis Ott, bin ich immer wieder nachhaltig auf die Nerven gegangen. Sie haben mit bewundernswerter Geduld Fragen gestellt (danke, Robert), Fragen beantwortet, Grammatikalitätsurteile bestätigt (danke, Kay), und Literaturhinweise geliefert (danke, Dennis). Euren Fragen, die oft präzise genug waren, um als Antworten durchzugehen, ist zu verdanken, dass diese Arbeit ihr Thema gefunden hat. Den Diskussionen mit Euch ist zu verdanken, dass ich die Fragen klarer beantworten konnte, als es mir alleine möglich gewesen wäre. Vielen lieben Dank! Manfred Bierwisch hat sich viel Zeit genommen, die Arbeit mit mir zu diskutieren. Vieles konnte verbessert, manches geklärt und manches entschärft werden. Vielen herzlichen Dank! Kleanthes Grohmann hat zu den syntaktischen Dingen viele kluge Kommentare und Hinweise beigetragen - Danke, Alter! Auch Beatrice Primus hat hilfreiche Anmerkungen für die vorliegende Fassung dieser Arbeit beigesteuert. Danke! Dank bin ich auch meinen ehemaligen Kollegen aus dem Frankfurter Graduiertenkolleg „Satztypen: Variation und Interpretation" schuldig: Sie haben einer frühen und einer späten Fassung der Kernthese ihr Gehör geschenkt und durch ihre Kommentare wertvolle Anstöße geliefert. Ganz besonders gebührt Magda Schwager allergrößter Dank für ihre Hilfe, bestimmte Passagen in eine überhaupt erst allgemein verständliche Form zu bringen. Meinen Lehrern am Graduiertenkolleg, insbesondere Prof. Dr. Günther Grewendorf
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Vorwort
und Prof. Dr. Thomas-Ede Zimmermann muss ich fur das danken, was ich in Frankfurt gelernt habe. Unsere Hilfskräfte, allen voran Mira Mundorf und Anna-Julia Bock, haben sich viel Zeit genommen, die Rohfassung des Textes mit bemerkenswerter Akribie auf Fehler durchzugehen. Ein einfacher Dank kann diese Zeit wahrscheinlich gar nicht aufwiegen, dennoch: Vielen, vielen Dank! Viele andere Menschen haben in der einen oder anderen Weise Einfluss auf diese Arbeit genommen. Ich hoffe, niemanden zu vergessen und danke: Susanna Karlsson für das Schwedische, Jenny Audring für das Niederländische, Gisela Dischinger fur ihre Form von „Deutsch", Jeff Runner für Partizipien und für Syntax, Günther Grewendorf und Gereon Müller für noch mehr Syntax, Dagmar Jung für die indischen Sprachen, Angelika Wöllstein für die w/n-Sätze, Hans-Jürgen Sasse für die Grammatiktheorien, und den Mitgliedern meiner Disputationsjury für ihre Fragen und Anmerkungen. Außerdem Horst Lohmann - für seine Sorgfalt. Für das Private danke ich Edith, Heinz, Peter, Christian, Henning, Markus, Kay, Nina und Vera. Die Fehler, Irrtümer und Versäumnisse dieser Arbeit sind ebenfalls meine Schöpfung, die macht mir so schnell auch keiner nach. Köln, im Sommer 2006
Einleitung
1. Gegenstand, Aufbau und Ziele der Arbeit Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung attributiver Ausdrücke im Deutschen. Für die Analyse zentral sind hierbei die als ,komplexe Attribute' bezeichneten attributiven APen, Partizipialstrukturen sowie Relativsätze. Mindestens seit Fanselow ('86) wird gemutmaßt, dass nicht nur Relativsätze, sondern auch die pränominalen Attribute des Deutschen satzwertige Konstruktionen darstellen und demzufolge eine einfache Repräsentation als AP-Adjunkt unzureichend ist. Als Gegenstand einer detaillierten minimalistischen Analyse lassen sich folgende Fragestellungen ableiten: Lässt sich eine Struktur finden, die die gemeinsamen morphosyntaktischen Eigenschaften aller drei Attributionsausdrücke verbindet und so der gemeinsamen Funktion der Attribution auch eine gemeinsame Struktur gegenüber zu stellen in der Lage ist? Konstituiert die ,satzwertige' Attributionsstruktur eine vollständige CP mit allen einschlägigen Eigenschaften? Lassen sich also auch vP, TP etc. als Bestandteile dieser CP nachweisen? Fügt sich eine solche Repräsentation darüber hinaus in unser Bild der bisher bekannten und etablierten satzwertigen Ausdrücke? Wie diese Arbeit zeigt, sind alle diese Fragen eindeutig zu bejahen: Die semantische Funktion der Attribution wird morphosyntaktisch durch eine einzige satzwertige Struktur realisiert, die die Gemeinsamkeiten attributiver Ausdrücke empirisch überzeugend abbilden kann. Unterschiede zwischen den verschiedenen Untertypen der Attribution ergeben sich ohne weitere syntaktische Annahmen aus den jeweils vorliegenden lexikalischen Elementen und ihren bereits bekannten Eigenschaften. Andere Attributstypen wie Genitiv-DPen und Präpositionalattribute können im Rahmen der vorgeschlagenen Analyse ebenfalls repräsentiert werden, die Apposition wird hingegen nicht behandelt. Ausdrücklich anzumerken ist, dass es ausdrücklich nicht Absicht der Arbeit ist, die Stellung von attributiven Ausdrücken in der DP zu untersuchen: Die Art und Weise, in der ein Attribut in die funktionalen und lexikalischen Strukturen innerhalb der DP eingebunden wird, ist bereits Gegenstand anderer Analysen (vgl. ζ. B. Alexiadou & Wilder '98 und Literatur darin, Bianchi 2000a, 2000b, Borsley '97, Choe 2003, Kayne '94, Mallen '97a, '97b, 2002, Schmitt 2000, Svenonius '94, Zwart 2000). Die vorliegende Analyse liefert ergänzend einen Vorschlag zur Analyse der inneren Struktur von Attributen. Die Arbeit besteht aus zwei Teilen. Teil I der Arbeit widmet sich einer detaillierten Analyse attributiver Ausdrücke des Deutschen und geht dabei wie folgt vor: Im ersten Kapitel werden die empirischen Eigenschaften attributiver Ausdrücke zusammengetragen. Das Unterkapitel 1.1 ergibt gleichsam die raison d'etre der Arbeit, denn es zeigt sich, dass alle drei Ausdrücke tatsächlich nicht nur semantisch, sondern auch morphosyntaktisch vergleichbar sind: Eine morphologische Gemeinsamkeit findet sich in der Kon-
χ
Einleitung
gruenzflexion, die Adjektive und Partizipien sowie Relativpronomen an das modifizierte Kopfnomen bindet. Syntaktisch konstituieren alle drei Ausdrücke Bindungsdomänen, stellen Inseln für Bewegung dar und weisen weitere Eigenschaften auf, die sie als Phasen im Sinne des Minimalistischen Programms erscheinen lassen. In 1.2 wird zusammengefasst, wie sich die verschiedenen Realisationsformen der Attribution unterscheiden: So sind die pränominalen Attribute syntaktisch inert, sie lassen sich ζ. B. nicht wie postnominale Relativsätze extraponieren. Eine weitere syntaktische Beschränkung besteht darin, dass in pränominalen Ausdrücken offenbar nur bestimmte Argumente der enthaltenen Prädikate zum Schnitt mit dem Kopfnomen gebracht werden können. Relativsätze hingegen erlauben es prinzipiell, ein beliebiges Argument oder Adjunkt zu relativieren (insofern die Bewegung den allgemein gültigen syntaktischen Regeln folgt). Morphologisch liegen ebenfalls deutliche Unterschiede vor: Nur Relativsätze enthalten Verben, die nach Tempus, Person und Numerus flektieren (und damit eine vollständige φ-Merkmalsmenge aufweisen). Partizipien hingegen verfügen nur über ein einfaches Aspektsystem, Adjektive über keine dieser Kategorien. Weitere, offenbar wortartspezifische Derivations- und Flexionseigenschaften der jeweiligen Ausdrücke werden ebenfalls aufgezeigt. Für eine einheitliche Analyse der Attribution stellt dieses Unterkapitel mithin diejenigen Daten dar, die als potentielle Hindernisse betrachtet werden könnten: Lassen sich die verschiedenen Strukturen trotz der beobachtbaren Unterschiede mit vertretbarem Aufwand strukturell assimilieren? In Kapitel 2 wird eine Analyse vorgeschlagen, die in der Lage ist, allen attributiven Ausdrücken eine gemeinsame Struktur zuzuordnen und die Unterschiede zwischen den drei verschieden Formen der Attribution zu erklären. Ausgangspunkt der Untersuchung ist dabei die Frage nach der Natur der attributiven Kongruenzflexion. Diese wurde bisher zumeist, in Anlehnung an lateinisch geprägte Schulgrammatiken, als Kasus-, Genus- und Numeruskongruenz (KGN) des Adjektivs oder Partizips mit dem modifizierten Nomen aufgefasst. Gerade der Vergleich mit dem Lateinischen zeigt aber, dass diese Analyse nicht unproblematisch ist. Anders als im Lateinischen wird im Deutschen durch die attributive Kongruenzflexion gleichsam ein zweites Kasussystem eingeführt: Die attributiv vorzufindenden Formen entsprechen phonologisch nicht den nominalen Formen, sondern den pronominalen bzw. Artikelformen. Es bleibt bei dieser Beschreibung zudem semantisch ungeklärt, was ζ. B. mit der Kasusmarkierung eines Adjunktes ausgedrückt wird, wenn Kasus üblicherweise der Markierung eines Argumentstatus gleichkommt. Diachron verhalten sich diese Formen zudem völlig anders als die nominale Flexion: Die in einer zunehmenden Zahl von Registern fehlende Kasusmarkierung des Nomens, die als ,Kasusschwund' nachgewiesen ist (vgl. Gallmann '96), erstreckt sich nicht auf die vermeintlichen Kasusformen der Kongruenzflexion - das Ausbleiben der Kasusmarkierung eines Attributs fuhrt stets zu strenger Ungrammatikalität. Die syntaktischen Effekte dieser Kongruenzflexion sind zudem ungewöhnlich. So sind etwa die adnominal flektierten Adjektive des Deutschen syntaktisch unbeweglich, anders als die ihnen jeweils entsprechenden unflektierten Adverbien. Die Kongruenzflexion bewirkt damit im Falle der pränominalen Attribute das genaue Gegenteil dessen, was typologisch erwartbar wäre. Üblicherweise erlauben Sprachen mit adnominaler Kongruenzflexion nämlich gerade eine besonders große Stellungsfreiheit des Modifikators (so ζ. B. gerade auch das Lateinische).
1. Gegenstand, Auftau und Ziele der Arbeit
xi
Es ist daher der grundlegende Ansatz der Analyse in Kapitel 2, der attributiven KGNFlexion eine neue, nachvollziehbare Aufgabe zuzuweisen, die ihre tatsächlichen Eigenschaften nicht durch veraltete schulgrammatische Kategorien verschleiert, sondern in einer neuen Repräsentation erklärt. Kapitel 2.1 zeigt zunächst, dass einige Vorläufer der hier vorgestellten Analyse (z.B. Toman '86, '87, Wunderlich '87, Zimmermann '85, '88, 2000, 2003) in zweierlei Hinsicht unbefriedigend sind: Erstens erstrecken sich diese Analysen oft nur auf bestimmte attributive Ausdrücke oder behandeln die verschiedenen Formen der Attribution uneinheitlich. Diese Ansätze können daher die existierenden morphosyntaktischen Gemeinsamkeiten der Attribute des Deutschen nicht erfassen. Die verschiedenen Attributstypen müssen in diesen Analysen demnach als eine arbiträre Liste von Strukturen dargestellt werden, die einander morphosyntaktisch mehr oder minder unähnlich sind. Zweitens scheitern diese Analysen selbst in ihren vorgesehenen Gegenstandsbereichen daran, dass sie allesamt versuchen, die attributive Kongruenzflexion als Kasus-, Genus- und Numerusformen darzustellen: Diese Annahme zwingt dazu, attributive Ausdrücke als essentiell nominal (d. h. als [+N]-markiert) anzusehen. Während diese Annahme für Adjektive und Relativpronomen haltbar erscheint, fuhrt sie für die Partizipien zu den seit langer Zeit bekannten Beschreibungsschwierigkeiten: Partizipien weisen auch attributiv schlicht zu viele offensichtlich verbale Eigenschaften auf, als dass sie unterschiedslos den Adjektiven zugeschlagen werden könnten. Kapitel 2.2 liefert eine Analyse, die die empirischen Beobachtungen erklären kann und dabei die Probleme ihrer Vorgänger vermeidet. Die attributive KGN-Flexion wird als overte Realisierung von Sondenmerkmalen {probe) im Sinne der minimalistischen Syntax interpretiert. Sondenmerkmale eines syntaktischen Elements sind im Minimalistischen Programm (Chomsky 2000, 2001a, 2001b, 2005a) vermittels der Operation Agree in der Lage, in bestimmten syntaktischen Konfigurationen Kongruenzrelationen mit den Merkmalsmengen anderer syntaktischer Elemente (den goals) einzugehen. Ist zudem ein neben den Sondenmerkmalen auch ein fPP-Merkmal Bestandteil der Merkmalsmenge, so wird das Element, welches das goal enthält, in die Spezifikatorposition des Sondenkopfes angehoben. Die attributiven Sondenmerkmale nehmen die Kopfposition einer attributiven CPStruktur ein und implementieren vermittels eines EPP-Merkmals die Operation Move, die ein bestimmtes Argument aus der im Attribut enthaltenen Prädikation anhebt. Die KGN-Sondenmerkmale dienen demnach nicht dazu, Kasus, Genus und Numerus auszudrücken, sie identifizieren lediglich diejenige Phrase, die aus der attributiven Struktur angehoben wird - ganz ähnlich wird ζ. B. in einer TP stets ein nominativisches Argument mit bestimmten Personenmerkmalen nach SpecTP angehoben! Die angehobene Phrase gelangt damit in eine syntakto-semantische Konfiguration, die sie mit dem Kopfnomen semantisch zum Schnitt bringt, so ζ. B. in einem Relativsatz den Operator d-\
xii
Einleitung
den Gegner
besieg-
Die Analyse benötigt zu dieser Annahme keinen besonders zu spezifizierenden theoretischen Rahmen: Sie ist, wie gezeigt wird, sowohl unter Zuhilfenahme der Kongruenzoperation Agree (vgl. Chomsky 2000), als auch mit alternativen Werkzeugen, etwa im Rahmen einer building theory (vgl. Baker 2002) problemlos realisierbar. Des Weiteren sind sogar Relativsätze mit resumptivem Subjekt auf interessante Weise analog repräsentierbar, wie in einem entsprechenden Exkurs gezeigt wird. Auch Partizipialstrukturen, die nicht über einen vollständigen φ-Merkmalssatz verfugen, sowie APen, die weder Tempus noch verbale Kongruenz aufweisen, gehören zu den Prädikaten, die durch einen attributiven C-Kopf mit Sondenmerkmalen eingebunden werden können. Der Mechanismus der Relativierung entspricht vollständig dem postnominalen Relativsatz, ansehoben wird in nränominalen Strukturen iedoch ein nhono-
1. Gegenstand, Außau und Ziele der Arbeit
xiii
(ü)
(ein ...)
DP den Gegner Attributive APen erhalten eine parallele Struktur, der lediglich die verbalen Kongruenzmerkmale einer TP fehlen (oder aber zumindest nicht overt realisiert sind). Als oberste Strukturebene wird aber auch hier eine CP angesetzt, deren Kopf Sondeneigenschaften aufweist. Aus den unterschiedlichen Eigenschaften von finiten Verben, Partizipien und Adjektiven ergeben sich ohne weitere Stipulation alle eingangs beschriebenen Unterschiede zwischen den verschiedenen Attributstypen: Das Verb eines Relativsatzes kann alle seine Argumente ausprägen. Da der Relativsatz zudem über eine vollständige Menge von φ-Merkmalen verfugt, lassen sich die Kasus aller Argumente problemlos lizenzieren. Die Anhebung in die Spezifikatorposition der CP, die die Attribution implementiert, steht jedem Argument und auch Adjunktphrasen offen, insofern keine anderweitigen syntaktischen Faktoren intervenieren, vgl.:
xiv (iii)
Einleitung Der Garten, [in den] ich gehe
Pränominalen Attributen hingegen fehlt die finite Verbflexion. Es ergibt sich hieraus eine Situation, in der das höchste enthaltene Argument des Prädikats einen Kasus aufweist, der nicht in der attributiven Struktur selbst lizenziert werden kann. Aus dieser Ausgangslage erklären sich nahezu alle syntaktischen Unterschiede zwischen prä- und postnominalen Attributen: Die Analyse nimmt an, dass stets nur ein Argument des eingebetteten Prädikats als Operator in die edge der attributiven CP gelangen kann. In dieser SpecCP-Position steht strukturell derselbe Kasus zur Verfugung, der auch auf dem Kopfnomen lizenziert wird: (iv)
[Sonde mit kasuslizen. zierenden Merkmalen]
(Domäne der Sonde)
(Phasengrenze)
Es ergibt sich daher die Möglichkeit, einen Agree-Prozess anzunehmen, der den Kasus des merkmalsunvollständigen Operators defektiv lizenziert (wenn dieser mit dem Kasus des Kopfnomens identisch ist), ohne dass dieser Vorgang den Merkmalsabgleich des modifizierten Nomens beeinträchtigt. Pränominale Attribute verbleiben, einmal kasuslizenziert, in der Position, in der der defektive Kasusabgleich möglich ist, ihre Unbeweglichkeit folgt demnach aus der Natur des enthaltenen Operators. Auf gleiche Weise erklärt sich auch, dass pränominal stets nur ein bestimmtes Argument (aber kein beliebiges Argument oder gar ein Adjunkt) relativiert werden kann. Angehoben werden muss stets das höchste Argument, welches innerhalb der infiniten Attributionsstruktur seinen Kasus nicht lizenzieren kann.
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1. Gegenstand, Aufbau und Ziele der Arbeit
Andere Argumente oder Adjunkte zu relativieren ist demnach in φ-unvollständigen Attributen aus Kasusgründen unmöglich, vgl.: (v)
*der (in den) (ich) gehende Garten
Wird die SpecCP nicht vom höchsten Argument besetzt, bleibt dieses unterhalb der Phasengrenze in der Attributionsstruktur zurück, sein Kasus kann (aufgrund der phase impenetrability condition) nicht mehr lizenziert werden. Die vorgestellte Analyse benötigt über den in der Literatur bereits etablierten Relativoperator hinaus keinerlei syntaktische Zusatzannahmen. Sie stellt damit nicht nur die erste vollständige und einheitliche Analyse der Attribution im Deutschen dar, sondern vor allen Dingen auch eine formal sehr einfache. Teil II der Arbeit widmet sich den Konsequenzen der Analyse: Die in Teil I vorgeschlagene Erweiterung der Menge satzwertiger Strukturen führt dazu, dass ein vollständiges Referenzsystem für das Deutsche erkennbar wird, welches möglicherweise auch auf andere Sprachen übertragen werden, oder aber auf interessante Weise mit anderen Sprachen verglichen werden kann. Teil II stellt die Analyse aus Teil I demnach in einen universalgrammatischen Rahmen, der (in weiteren Veröffentlichungen) auch über diese Arbeit hinaus diachron und typologisch ausgewertet werden kann. Teil II ist dabei wie folgt aufgebaut: Kapitel 3 beschreibt, wie sich die attributive CP-Struktur in das grammatische System des Deutschen einfügt. Die satzwertigen Ausdrücke des Deutschen (Matrix-CP, Nebensatz-CP und DP) drücken eine je eigene Art von Referenz aus. So referieren Hauptsätze auf Mengen von Indizes, während DPen eine Individuenreferenz implementieren. Nebensätze sind anders zu repräsentieren als Hauptsätze, die im Nebensatz enthaltene Proposition wird nach Lohnstein (2000) nur im Kontext des einbettenden Satzes ausgewertet. Andersherum formuliert ,restringieren' Nebensätze also lediglich die Referenz des Hauptsatzes. Kapitel 3.1. zeigt, dass Attribute in offensichtlich paralleler Art und Weise die Referenz der modifizierten DP restringieren, in der sie eingebettet sind. Damit wird deutlich, dass eine homogene Analyse von Attributen als CP-wertigen Strukturen wünschenswert ist: diese Analyse schließt eine Lücke im System der satzwertigen referentiellen Ausdrücke des Deutschen. Alle vier Strukturen implementieren zusammengenommen ein System von vier Referenztypen, die syntaktisch als Referenzprojektionen RP dargestellt werden. Die unterschiedlichen Aufgaben dieser RPen folgen aus ihren jeweiligen Köpfen: (vi)
Referenz auf Mengen von Indizes
Referenz auf Mengen von Individuen
Selbstständig
Matrix-CP:
DP:
Restringierend
Nebensatz-CP: R° = Compl
R° = Vfin
R° = D
Attribution: R° = KGN-Sonde
xvi
Einleitung
Die syntaktische Analyse dieser vier Referenztypen zeigt die auffälligen strukturellen Parallelen: (vii) Mengen von Indizes 4 ·'
Spec
Mengen von Individuen
Selbstständige Referenz
•
R' Spec
Restringierende Referenz
. RP(KGN)... Ν
Spec
R'
R KGN
TP/0
V/A. Es ergibt sich daher mit der vorliegenden Analyse die interessante Möglichkeit, Sprachen als rekursive, fraktal anmutenden Strukturkonstellationen zu betrachten: Die größeren Strukturen, wie die Matrix-CP, betten gleichwertige, strukturell parallele Strukturen ein. Kapitel 3.2 stellt sich die Frage, welche formalen Realisationen dieser vier Referenztypen zu erwarten sind. Wie sich zeigt, sind mindestens vier Realisationen pro Referenztyp denkbar. Mit einer Ausnahme lassen sich alle sechzehn anzunehmenden Realisationen auch tatsächlich im Deutschen skizzenhaft nachweisen. Damit ist klar, dass die vorgeschlagene Analyse die Mächtigkeit der Grammatik keineswegs über die Maßen erweitert. Vielmehr ergibt sich eine neue Sichtweise auf viele, bis dato eher unverbunden nebeneinander existierende Strukturen: Attribute restringieren in homogener Weise nominale Referenz, unabhängig davon, ob sie dies vermittels φ-finiter, komplexer Verbalprojektionen oder mit Hilfe von APen (d. h. ohne finite Verbmerkmale) tun. Geht man davon aus, dass sich auch selbstständige Referenz auf Mengen von Indivi-
xvii
1. Gegenstand, Aufbau und Ziele der Arbeit
duen prinzipiell sowohl ohne als auch mit Hilfe einer verbalen, φ-vollständigen RP erzielen lässt, so sind freie Relativsätze und DPen offensichtliche Kandidaten für diese beiden Realisationen. Die syntaktisch ähnliche Distribution und Funktion der beiden Strukturen als Argumente im einbettenden Satz wird daher über ihren gemeinsamen Referenztyp beschreibbar, ohne dass hierzu zusätzliche Wortartenmerkmale oder ähnliche Vergleichskriterien nötig werden. Die Unterschiede in der An- bzw. Abwesenheit finiter Verbflexion weisen die Strukturen jedoch als unterschiedliche Realisationen des gleichen Referenztyps aus. Das - syntaktisch ohnehin nötige - Merkmal [±finite Selektion] wäre demnach eine Möglichkeit, die Unterschiede zwischen den beteiligten referentiellen Köpfen und ihren Merkmalsausstattungen formal zu fassen. Im gleichen Sinne lässt sich fragen, ob Köpfe referentieller Ausdrücke syntaktisch allesamt über ein EPf-Merkmal verfugen müssen, mit anderen Worten, ob diese Strukturen einen Spezifikator ausbilden müssen. In Sätzen ist dies bekanntlich nicht der Fall: Verberstsätze (ohne Spezifikator) und Verbzweitsätze (mit Spezifikator) implementieren unterschiedliche (Klassen von) Satztypen. Auch DPen können in ihrer Spezifikatorposition einen Possessor zulassen oder ohne Spezifikator gebildet werden. Daher scheint das Merkmal [EPP] eine wichtige Unterteilung der Realisationsmöglichkeiten von Referenztypen dazustellen. Beide Merkmale, [±finite Selektion] und [EPP], ergeben kreuzklassifiziert jeweils vier minimal anzusetzende Möglichkeiten, einen Referenztyp formal zu realisieren. Diese verschiedenen Realisationen können vielerorts zu interessanten Vergleichen zwischen Strukturen einer Sprache, aber auch zwischen Strukturen verschiedener Sprachen, herangezogen werden: Dem Englischen etwa fehlt nach dieser Analyse lediglich ein bestimmtes lexikalisches Element, um infinite komplexe Attribute zu bilden, vgl.: (viii) der dem treuen Fido von den Kindern an den Schwanz gebundene Knallkörper *the onto the tail of faithful Fido by the children attachedfire
cracker
Das Englische kann nur dann komplexe Attribute bilden, wenn diese cp-vollständige, also finite TPen enthalten (also the fire cracker [that has been attached...]), andernfalls scheitern die Strukturen aus Kasusgründen: Ein nicht kasuslizensiertes Argument aus einem φ-unvollständigen komplexen Attribut könnte ohne einen R-Kopf mit infiniter Schwesternselektion nicht in die erforderliche Konfiguration angehoben werden, die zur defektiven Kasuslizenz erforderlich ist. Die φ-unvollständigen pränominalen Attribute des Englischen bleiben demzufolge syntaktisch ,flach': Satzwertige infinite Attribute sind aus Gründen der phase impenetrability condition unmöglich. Eine interessante Fragestellung wäre demnach, inwieweit morphosyntaktisch vergleichbare Sprachen einen Zusammenhang zwischen overter attributiver Kongruenzflexion und der Möglichkeit komplexer infiniter Attribute aufweisen. Auch typologisch weiter gefasste Vergleiche sind möglich. Die Verwendung einer finiten TP zur Individuenreferenz scheint im Cayuga vorzuliegen: Individuenreferenz wird in dieser Sprache sogar ausschließlich durch satzartige Ausdrücke realisiert (Sasse '92: 14). Das System der Referenztypen bietet hier die Möglichkeit, die Individuenreferenz des Cayuga (losgelöst vom Wortartenproblem der vermeintlich ,nominalen'
xviii
Einleitung
Referenz) zu repräsentieren - eine Option, die im Übrigen auch im Englischen (und Deutschen) zumindest umgangssprachlich vorzuliegen scheint, zum Vergleich: (ix)
tekä.teh es hebt habituell ab ,Flugzeug'
(Beispiel Sasse '92: 18)
'So - so Black was a supporter ofYou-know-who?' Harry prompted apologetically. Die Arbeit liefert einen Überblick über denkbare morphosyntaktische Realisierungen von Referenztypen: die entsprechenden, skizzenhaft aufgezeigten Analysen zeigen, wie ein System von Referenztypen zum historischen und typologischen Sprachvergleich nutzbar gemacht werden kann. In der Zusammenfassung ist es demnach möglich, über das hinausweisen, was bereits in diesem Buch gezeigt werden kann: Der einzelsprachliche Nutzen des Systems von Referenztypen ist im Deutschen evident, da das System sich vollständig aus etablierten Merkmalen lexikalischer Elemente herleiten lässt und es dennoch ermöglicht, zu neuen und interessanten Vergleichen grammatischer Strukturen zu gelangen. Zusätzlich kann sich dieses System aber auch typologisch und diachron als interessantes Tertium comparationis von weiterem Nutzen erweisen.
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit Die vorliegende Arbeit liefert eine syntaktische Analyse der Attribution im Deutschen. Es ist daher nützlich, die theoretischen Vorannahmen zu nennen, die dieser Analyse zugrunde liegen. Diesem Zweck dient das Einleitungskapitel 2. Nach einigen generellen Vorbemerkungen werden in den folgenden Unterkapiteln die Strukturerzeugung, die Strukturveränderung (Bewegung), sowie Kongruenzphänomene und Lokalitätsbeschränkungen in der von mir verwendeten Theorieversion vorgestellt. Die Darstellung beschränkt sich auf diejenigen Aspekte, die für die Arbeit von besonderem Belang sind und stellt diese möglichst einfach und unkompliziert dar. Der Leser sei daher fur eine genauere und umfangreichere Darstellung auf die einschlägige Literatur verwiesen, insbesondere auf Chomsky '95a, b, 2000,2001a, 2001b, 2005a und 2006. Den generellen Rahmen der Arbeit bildet das Minimalistische Programm {MP) der generativen Prinzipien- und Parametertheorie. Das MP versteht sich nicht als eigenständige Theorie, da es die prinzipiellen Annahmen ihrer Vorgänger (insbesondere der Government and Binding Theory, dt. Rektions- und Bindung-Theorie) zunächst übernimmt: Angestrebt wird eine präzise Charakterisierung dessen, was das Wissen eines Sprechers umfasst, welches er in seiner Sprachproduktion, -rezeption und -beurteilung anwendet. Der allen Menschen angeborene Teil dieses Wissens bildet die Universalgrammatik UG, welche sich aus Prinzipien und Parametern zusammensetzt. Prinzipien beschreiben dabei abstrakte Eigenschaften, die allen menschlichen natürlichen Sprachen gemein
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
xix
sind, und sich daher in allen Sprachen nachweisen lassen. Parameter hingegen repräsentieren genau spezifizierte Wahlmöglichkeiten, in denen sich Sprachen unterscheiden können. Das Lexikon wird aufgefasst als ein der Grammatik angeschlossenes Inventar von lexikalischen Elementen (lexical items LI, also Wörtern, Morphemen u. ä), die prinzipiell sprachspezifisch gebildet werden und somit eine parametrisierte Variationsbreite ermöglichen (vgl. Chomsky 2005a: 2). Das Lexikon wurde in verschiedenen Theorieausformungen allerdings oft unterschiedlich konzipiert: Manchen Auffassungen zufolge führt es ausschließlich die idiosynkratischen Eigenschaften einer Sprache auf und ist damit der Lokus regelloser Variation zwischen verschiedenen Einzelsprachen. Anderen Überlegungen nach enthält auch das Lexikon regelhaft beschreibbare Systeme, etwa morphologischer Art, die aber potentiell anderen und andersartigen Gesetzmäßigkeiten unterliegen als der Rest der Syntax. Der derzeit aktuelle Ansatz des MP besteht nun darin, das Inventar syntaktischer Operationen konsequent auf das kleinstmögliche Maß zurückzufuhren. Hiermit verbunden sind nicht nur allgemeine Überlegungen zur Effizienz der Theorie, sondern auch ein neues Forschungsziel: In der Prinzipien- und Parameter-Theorie alten Zuschnitts war es das erklärte Ziel, die UG so zu definieren, dass der Spracherwerb erklärbar wurde: Wie kann ein Kind in kurzer Zeit und mit extremer Präzision die komplexen Eigenschaften seiner Muttersprache(n) erwerben? Prinzipien und Parameter wurden als Ansatz zur Erklärung dieser Fähigkeit angesehen: Sie repräsentieren das spezifische Vorwissen, dass ein Kind zum Spracherwerb mitbringt und welches ihm den Spracherwerb letztlich ermöglicht. Daher galt implizit, UG müsse „rieh, highly structured, and substantially unique" sein (Chomsky 2006: 1). In der weiteren Entwicklung der Theorie wurde die Frage nach dem Spracherwerb eines Individuums immer mehr durch die weitergehende evolutionäre Fragestellung erweitert, wie der Mensch als Spezies zur UG gekommen sein kann. War für die Beschreibung des Spracherwerbs eines Individuums eine möglichst umfangreiche, ausgefeilte und mächtige UG anzusetzen, so wird in neueren Theorien aus dem soeben genannten Grunde versucht, die menschliche Sprachfähigkeit auf möglichst wenige sprachspezifische Fähigkeiten zurückzuführen, um eine auch evolutionär glaubhafte Erklärung für das Phänomen Sprache zu erhalten, „since any property specific to language calls for an evolutionary explanation" (Chomsky 2006: 2). Die UG wird demnach mehr und mehr so konzipiert, dass sie, wie andere Organe auch, in glaubhafter Weise im Rahmen der Evolution als (zufalliges) Ergebnis von Mutationen entstanden sein könnte, denn „the less attributed to genetic information (in our case, the topic of UG) for determining the development of an organism, the more feasible the study of its evolution" (Chomsky 2006: 3, vgl. auch Chomsky 2005a: 3). Sprachspezifische Variationsmöglichkeiten sind demnach andernorts zu repräsentieren. Zum einen ließen sie sich ζ. B. als Eigenschaften einzelner lexikalische Elemente darstellen, die jeweils bestimmte Anforderungen an ihre syntaktische Umgebung stellen. Zum anderen ließen sich äußere Faktoren, die die menschliche Kognition im Ganzen beeinflussen, auch zur Erklärung sprachspezifischer Phänomene nutzen (vgl. Chomsky 2006).
XX
Einleitung
Die in dieser Arbeit verwendete Fassung der Theorie enthält nur noch zwei genuin syntaktische Operationen, Merge und Agree. Diese werden im Rahmen einer syntaktischen Derivation wiederholt angewendet. Die einzelnen Elemente des Lexikons können so zusammengesetzt und grammatisch miteinander abgeglichen werden, sodass ein komplexes syntaktisches Objekt entsteht, welches an den sogenannten Schnittstellen interpretiert wird: Eine Komponente bildet die syntaktische Struktur auf eine lineare Abfolge von Lauten (Phonologische Form PF) ab, die von den artikulatorischen bzw. rezeptiven Organen artikuliert bzw. identifiziert werden können. Die Logische Form LF hingegen verbindet die syntaktische Struktur mit den konzeptuellen und intentionalen kognitiven Systemen des Menschen, bildet also die Bedeutung eines Satzes ab. Auf diese Weise repräsentiert jede syntaktische Struktur ein Paar , welches die Verbindung der lautlichen und inhaltlichen Eigenschaften der Struktur, also ζ. B. eines Satzes, darstellt. Das Modell kann graphisch folgendermaßen dargestellt werden: (i) Lexikon
Spell-Out
PF
LF
(Neueren Auffassungen nach sollte auch LF als Repräsentationsebene aufgegeben werden, vgl. Kap. 2.4 der Einleitung.) Spell-Out kennzeichnet schlicht den Punkt, an dem bestimmte syntaktische Teilstrukturen (Phasen, s. u.) den jeweiligen Schnittstellen zugeführt werden. Die syntaktische Derivation verläuft dabei völlig homogen, d. h. die Ableitung vom Lexikon bis zu LF unterliegt immer gleichen Gesetzmäßigkeiten und besteht nur aus den rekursiv iterierten Anwendungen der Operationen Agree und Merge. In diesem Sinne ist dieser Teil der Ableitung allen Sprachen gemein (vgl. Chomsky 2006: 10). Die Ableitung zu PF hingegen enthält notwendig andersartige Operationen, die zudem in hohem Maße sprachspezifischer Natur sein können (vgl. ebd.). Einfach gesprochen: Man kann in den Sprachen der Welt zwar dasselbe ausdrücken, die konkreten Formen, die zum Ausdruck dieser Inhalte dienen, variieren jedoch bekanntlich sehr. Eine gegenüber den Vorgängern drastische Veränderung ergibt sich direkt aus der angestrebten Homogenität der Derivation: Die Beschreibungsebenen Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur fallen in diesem Modell weg - die dort jeweils spezifisch geltenden Bedingungen würde keine homogene Derivation erlauben! Die Aufgaben der Tiefenstruktur werden zum Teil in die LF ausgelagert (etwa die Überprüfung der thematischen Verhältnisse), z.T. im Rahmen der Neuformulierung der syntaktischen Operationen überflüssig (ζ. B. ersetzt die Operation Merge die tiefenstrukturelle Projektion von Xbar-Strukturen, s. Unterkapitel 2.1). Die Aufgaben der Oberflächenstruktur werden in ähnlicher Weise durch die neu definierten syntaktischen Operationen übernommen (ζ. B. Kasus- und Kongruenzphänomene durch die Operation Agree, s. Unterkapitel 2.3).
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
xxi
Eine sprachliche Struktur konvergiert, wenn sie die Anforderungen beider Schnittstellen, PF und LF, in vollem Umfange erfüllt (Chomsky 2000: 95). Strukturen dieser Art werden als grammatisch eingestuft und erhalten eine phonologische und semantische Interpretation. Erst an den Schnittstellen kann demnach letztgültig entschieden werden, in welchem Umfange eine sprachliche Struktur alle phonologischen und semantischen Erfordernisse erfüllt. Die Syntax ist in diesem Sinne teilweise ,blind' gegenüber phonologischen oder semantischen Erwägungen. In den folgenden Unterkapitel wird die syntaktische Derivation vom Lexikon bis zur LF, die für die vorliegende Arbeit besonders wichtig ist, genauer beschrieben.
2.1. Strukturerzeugung: Merge Die Operation Merge ist die zentrale Operation, die im hier gewählten Theorieansatz fur die Strukturerzeugung verantwortlich zeichnet. Die Operation übernimmt daher die Aufgaben, die früher der X-bar-Theorie zugefallen wären. Der X-bar-Theorie zufolge wurde auf der Tiefenstruktur zunächst eine skeletthafte Version des gesamten Satzes projiziert, dessen obere Bestandteile erst später, d.h. durch Bewegungsschritte gefüllt wurden. Merge hingegen implementiert eine dynamische Strukturerzeugung, die während der gesamten syntaktischen Derivation immer wieder iteriert angewendet werden kann, und demzufolge nicht auf einen bestimmten Bereich der Derivation beschränkt ist. Merge realisiert damit einen wesentlichen Schritt dahin, separate Beschreibungsebenen wie die Tiefenstruktur überflüssig zu machen, da die Operation den gesamten Verlauf der Derivation begleitet. Merge wird im MP als eine unabdingbare, konzeptuell notwendige Operation betrachtet: Die zugrunde liegende Annahme ist, dass syntaktische Objekte zusammengesetzt sind. Es ergibt sich die Notwendigkeit, eine Operation anzusetzen, die syntaktische Teilstrukturen zu größeren Strukturen verbinden kann (vgl. Chomsky 2005a: 4, 2006: 4). Diese Operation ist die Operation Merge (dt. Verkettung). Dabei kann Merge zunächst so einfach wie möglich definiert werden: (ii)
Sind Α und Β syntaktische Objekte, so verkettet Merge sie zu einem neuen syntaktischen Objekt.
Konzipiert man syntaktische Objekte als Mengen von syntaktischen Merkmalen, so kommt Merge einer Operation gleich, Mengen von Merkmalen (im einfachsten Fall: zwei Mengen) zu einer neuen Menge verbindet, die die ursprünglichen Objekte als Elemente enthält: (iii)
Merge (Α, Β) —» {Α, Β}
Die Derivation beginnt demnach damit, dass eine bestimmte Menge von lexikalischen Elementen bereitgestellt werden. Da lexikalische Elemente Mengen von Merkmalen sind, können sie als Eingabe der Operation Merge fungieren und durch die Operation binär verbunden werden (vgl. Chomsky 2005a: 5, 2006: 5). Angenommen, die lexikali-
Einleitung
xxii
sehen Elemente seien A, B, C und D, so könnte Merge durch iterierte Anwendung ein einzelnes syntaktisches Objekt generieren. Merge beginnt daher, Elemente zu verketten, zunächst, wie oben gesehen, die zwei Elemente Α und Β (wobei im Folgenden die Funktion Merge (...) selbst nicht mehr in den Formeln ausgeschrieben werden soll): (iv)
Α, Β —» {Α, Β}
graphisch: Α
Β
Das Ergebnis der Operation, {A, B}, ist der gegebenen Definition von Merge nach, ebenfalls ein syntaktisches Objekt. Daher kann {A, B} im nächsten Schritt weiterverkettet werden, die Operation Merge ist demnach rekursiv. (ν)
{A, B}, C —> {{A, B}, C}
Β Erneute Anwendung von Merge ergibt:
Die Operation Merge kann also alle bereitgestellten lexikalischen Elemente mit den bereits konstruierten Objekten iterativ zu immer komplexeren Objekten verketten. Da diese Elemente im gegebenen Bespiel aus dem Lexikon bereitgestellt werden, wird diese Strukturerzeugung auch als External Merge bezeichnet (zu Internal Merge vgl. Unterkapitel 2.2.). Die Derivation wird allerdings, trotz der oft anzutreffenden zeitlichen Metaphorik, die auch in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, nicht als tatsächlich zeitlich geordnet angesehen: „a generative system involves no temporal ordering" (Chomsky 2006: 4). Für die Strukturerzeugung gilt folgende Annahme: durch sie dürfen keinerlei Merkmale in die Derivation eingebracht werden dürfen, die nicht bereits in den lexikalischen Elementen enthalten waren, die den Ausgangspunkt für die Verkettungsoperation darstellen (Inclusiveness, vgl. Chomsky 2000: 112, 2006: 4). Merge unterliegt deshalb strengen Restriktionen, die als No Tampering zusammengefasst werden können: Kein Merkmal der syntaktischen Objekte Α und Β wird durch die Operation Merge verändert, und es können durch Merge weder neue Merkmale hinzukommen, noch enthaltene Merkmale verloren gehen. Zudem kann Merge die Merkmalsmengen, die die erstellte Struktur bilden, nicht aufbrechen (Chomsky 2005a: 5). Die Konsequenzen dieses Ansatzes zeigen sich im Vergleich mit älteren Theorieversionen: Dort wurde ζ. B. durch Kasuszuweisung ein Merkmal in die Derivation eingebracht, welches der damals gel-
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
xxiii
tenden Auffassung nach nicht dem Nomen inhärierte, welches das Kasusmerkmal empfing. Diese Form von Merkmalszuweisung ist nach der Maßgabe der Inclusiveness unzulässig. Alle Merkmale, also auch ζ. B. Kasusmerkmale, müssen durch die jeweiligen lexikalischen Elemente eingebracht werden, die in einer gegebenen Struktur verkettet werden. Die Operation Merge kann aufgrund der Anforderung No Tampering stets nur an der Wurzel des Strukturbaums applizieren: Der bereits erstellte Strukturbaum darf ja No Tampering folgend nicht mehr verändert werden, also auch nicht dadurch, dass ein weiteres Element in diese bereits erstellte Struktur eingefugt wird (vgl. Chomsky 2006: 8). Des Weiteren fallen durch die Annahme einer Bare Phrase Structure bestimmte Beschreibungselemente der älteren Theoriefassungen weg: Projektionsstufen, die mit bar levels indiziert werden konnten, sind nicht mehr möglich. Aus Gründen der Anschaulichkeit können diese vertrauten Elemente zwar noch in der Darstellung verwendet werden (Baumstrukturen müssen demzufolge nicht durch die oben gezeigte, unübersichtliche Mengennotation ersetzt werden), wichtig ist aber, dass diese reinen Darstellungselemente in der Theorie nicht mehr durch Operationen angesprochen werden können: Keine Operation der Theorie kann als Input X'-Elemente (Ν', A' usw.) oder ähnliches adressieren, da Projektionsstufen im eben genannten Sinne reine Darstellungskonventionen sind, keine bedeutungstragenden Werkzeuge der Theorie. Dadurch ergibt sich in der Konsequenz, dass der Kopf- oder Phrasenstatus eines Elementes nicht mehr absolut, sondern nur noch relativ zum Kontext festgelegt werden kann: Ein Element hat Kopfstatus, wenn es selbst nicht das Ergebnis einer Verkettungsoperation ist. Wird dieser Kopf mit einem anderen syntaktischen Objekt verkettet, so ist das neu entstehende Objekt zwangsläufig komplex, und daher kein Kopf mehr. Maximale Projektionen sind nur kontextuell zu definieren, da zu keinem Zeitpunkt klar ist, ob das entstandene Objekt nicht im nächsten Schritt weiter projiziert. Erst dann, wenn ein Element nicht weiter projiziert, gilt es als maximal. Wird also andererseits ein lexikalisches Element in die Struktur eingebracht, und projiziert bereits im ersten Verkettungsschritt nicht selbst weiter, so verfügt es gleichzeitig über Kopf- als auch über Phrasenstatus. Diese Besonderheit gegenüber der X-bar-Theorie wird für die Beschreibung von klitischen Elementen besonders nützlich, da diese oft die Eigenschaften von Köpfen und Phrasen vereinen. Projektion wird im Rahmen dieser Theorie durch Selektionsmerkmale definiert: Werden die Objekte Α und Β verkettet, so ist zu prüfen, ob Α oder Β Selektionsmerkmale für das jeweils andere Objekt aufweisen. Selegiert Α Β, so projiziert A. Selegiert Β A, so projiziert B. Wenn weder Α Β selegiert, noch umgekehrt Β Α, liegt keine Projektion, sondern ein Fall von Adjunktion vor. Für die vorliegende Analyse ist im Übrigen nicht relevant, ob die Überprüfung dieser Selektionskonstellationen im Rahmen des MergeProzesses selbst stattfindet (sodass unzulässige Verkettungen von vornherein ausgeschlossen sind) oder ob diese Überprüfung erst auf LF erfolgt (sodass unzulässige Verkettungen erst zu einem späteren Zeitpunkt entdeckt und zurückgewiesen werden, vgl. Chomsky 2006: 16). Merge implementiert nicht jeder Auffassung nach auch die Linearisierung der verketteten Elemente. Die Reihenfolge, die Kopf, Komplement und Spezifikator in der Xbar-Theorie einnehmen, wird neueren Auffassungen nach möglicherweise erst auf PF festgelegt, da sie fur die LF-Derivation irrelevant ist. LF wertet die hierarchischen Verhältnisse innerhalb der syntaktischen Konfigurationen aus, nicht ihre lineare Abfolge.
Einleitung
xxiv
Es lässt sich daher annehmen: „the simpler assumption can be sustained: that order does not enter into the generation of the [conceptual-intentional] interface, and that syntactic determinants of order fall within the phonological component" (Chomsky 2005a: 5). Eine kurze Beispielderivation veranschaulicht die Strukturerzeugung durch Merge. Dabei soll eine Derivation gewählt werden, die konvergiert, um das Prinzip zu verdeutlichen. Nicht-konvergierende Derivationen können im Grunde auf beliebige Weise erzeugt werden. Sie sind daher im Prinzip völlig uninteressant, da sie die geltenden Anforderungen an konvergierende Derivationen schlicht missachten. Angenommen, die zu verkettenden lexikalischen Elemente sind: {ν, T, C, Peter, sieht, die, Katze}. Die Derivation des Satzes Peter sieht die Katze würde in diesem Falle folgenden Anfang nehmen: Zunächst gilt es, den femininen Artikel die und das feminine Nomen Katze zu verketten, da alle anderen Verbindungen von die die Selektionsanforderungen dieses Artikels nicht erfüllen können und daher nicht zu einer konvergierenden Derivation fuhren. Die Operation Merge appliziert in einer konvergierenden Derivation demnach wie folgt:
(vii)
die, Katze —> {die, Katze}
die
Katze
Das entstandene syntaktische Objekt ist durch seine Akkusativmarkierung das einzige Objekt, welches als Schwester des transitiven Verbs sieht fungieren kann: sieht verfügt über eine Thetarolle, die die Katze tragen soll. Der Theorie nach muss die Katze demnach als Schwester von sieht verkettet werden, da diese Konfiguration auf LF die erwünschte Lesart ergibt. In einer konvergenten Derivation ergäbe sich daher: (viii) {die, Katze}, sieht
{{die, Katze}, sieht}
die
Katze
Im Rahmen der hier gewählten Theorie werden Akkusativkasus durch den funktionalen Kopf ν lizensiert, welcher eine verbale Projektion selegiert. Es ergibt sich daher: (ix)
v, {{die, Katze}, sieht} —> {v, {{die, Katze}, sieht}}
die
Katze
XXV
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
Die Spezifikatorposition einer v-Projektion wird durch das nominative Subjekt besetzt, daher: (x)
Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}
die
{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}
Katze
Der funktionale Kopf Τ bindet das referentielle Argument eines Verbs und selegiert eine verbale Projektion, daher: (xi)
T, {Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}
die
{{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, T}
Katze
Zu diesem Zeitpunkt steht nur noch ein einziges lexikalisches Element, C, fur die Verkettung aus dem Lexikon bereit. Dieses Element darf aber zu diesem Zeitpunkt nicht verkettet werden, da Τ über ein fPP-Merkmal verfugt, welches im Rahmen der Bewegungstheorie figuriert. Die Bewegungstheorie wird im Rahmen der gegebenen Theorie ebenfalls durch die Operation Merge implementiert, wie das folgende Unterkapitel zeigt.
2.2. Bewegung: Auch Merge Bewegungsoperationen wurden im Rahmen der Entwicklung der generativen Theoriebildung immer wieder anders repräsentiert und bewertet: Die generalisierte Bewegungstransformation Move-α etwa war ihrer Natur nach kaum restringiert, erfasste beliebige Phrasen oder Köpfe und durfte diese frei bewegen, sodass sich Restriktionen im Wesentlichen aus den Anforderungen unabhängiger Module der Theorie ergaben, etwa der Kasustheorie, der Bindungstheorie etc. Im frühen Minimalismus ändert sich diese Herangehensweise dahingehend, dass angenommen wird, dass Bewegung grundsätzlich nur dann erlaubt sein solle, wenn sie zwingend erforderlich ist, etwa aus morphologischen Gründen. Diese Auffassung teilt die neueste Ausformung des minimalistischen
xxvi
Einleitung
Programms nicht mehr: Bewegung wird aufgefasst als eine weitere Instanz der Verkettungsoperation Merge. Im Unterschied zum External Merge allerdings verkettet die Operation hier das erstellte Objekt mit einem syntaktischen Objekt, das bereits seinerseits im erstellten Objekt enthalten ist: Ziel der Verkettung ist also eine Konstituente, die bereits vor der Operation Bestandteil des syntaktischen Strukturbaums gewesen ist. Während also External Merge als Strukturerzeugung Elemente aus dem Lexikon in die syntaktische Struktur einfuhrt, erfasst Internal Merge, wie Bewegungen nun genannt werden, Konstituenten aus dem Strukturbaum und verkettet sie an anderer Stelle, nämlich der Wurzel der bisher gebildeten Struktur, erneut, also etwa das Objekt Α in: (xii)
{{A, B}, C} —» {A, {{A, B}, C}}
C Β Da die Operation Merge auch als Internal Merge die Maßgabe der Inclusiveness zu befolgen hat, ergibt sich an dieser Stelle nun eine Änderung gegenüber älteren Repräsentationen. Wurde in diesen die Ausgangsposition einer Bewegung durch eine Spur t markiert, ist dies nun nicht mehr möglich: t ist ja nicht als lexikalisches Element in die Derivation eingeführt worden, sondern müsste durch die Operation Merge erzeugt werden. Zusätzlich würde durch diese Operation der bereits erstellte Strukturbaum nachträglich verändert (die bewegte Konstituente würde durch t ersetzt). Beides zusammen verletzt ganz offensichtlich sowohl Inclusiveness (Chomsky 2000: 114) als auch die Anforderung No Tampering (vgl. Chomsky 2006: 7)! Es wird daher von einer Copy Theory of Movement ausgegangen, die besagt, dass ein bewegtes Element durch die Bewegung in mehreren Positionen auftritt: Jede Position, die durch Bewegungen für ein Objekt abgeleitet wird, enthält eine Kopie des Elements (vgl. Chomsky 2005a: 6). Im vorliegenden Beispiel wird also Α ein weiteres Mal verkettet und scheint nun zweimal in der Struktur aufzutreten. Diese Kopie ist aber ausdrücklich nicht als ein vom .Original' unabhängiges Element aufzufassen, vielmehr handelt es sich lediglich um eine weitere occurrence desselben Elements (Chomsky 2000: 114). Damit ist klar, dass fur die verschiedenen Kopien von Α nicht etwa verschiedene Eigenschaften gelten können. Alle Kopien werden vielmehr durch jede Operation gleichzeitig erfasst: Steht ζ. B. eine Kopie einer DP in einer Kasusposition, gelten alle Kopien der DP als kasuslizenziert (siehe Unterkapitel 2.3). Ein separater Mechanismus für den Abgleich der Merkmale verschiedener Kopien existiert also nicht - und braucht nicht zu existieren, da die Kopien nicht als voneinander unabhängige Objekte definiert sind (vgl. Chomsky 2000: 116). Den Varianten von Merge, Internal und External Merge, kommen möglicherweise recht unterschiedliche Aufgaben zu: Thetakonfigurationen werden durch External Merge erstellt, während Internal Merge andere semantische Effekte erzielt, die ζ. B. informationsstruktureller oder skopaler Natur sein können (vgl. Chomsky 2005a: 7).
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
XXVll
Bisher wurde die Beispielderivation aus Unterkapitel 2.1 bis zu dem Zeitpunkt verfolgt, an dem der funktionale Kopf Τ in die Struktur eingebracht worden war, das Ergebnis lautete: (xiii)
{{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, T}
Einigen Ansätzen nach wird die nun nötige Kopfbewegung des fmiten Verbs nach Τ nur im phonologischen Teil der Derivation vollzogen. Diese Auffasung teilt die vorliegende Arbeit nicht: Durch die Bewegung des finiten Verbs (insbesondere: nach C°) werden auch semantische Effekte erzielt. Eine rein phonologische Implementation von Bewegung kann diesen Umstand nicht abbilden und wird daher im Folgenden nicht verfolgt. Wird das finite Verb also syntaktisch nach Τ bewegt, muss sieht als Kopf der TProjektion durch die Operation Internal Merge neu verkettet werden: (xiv)
{{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, sieht-T}
Pete sieht die
Katze
Zur Besetzung der Spezifikatorposition der T-Projektion ist es im nächsten Schritt nötig, wiederum ein Element aus der bereits gebildeten Struktur anzuheben, nämlich das Subjekt Peter. Dies wird durch Internal Merge realisiert: Das syntaktische Objekt Peter wird identifiziert (zur Operation Agree siehe u. 2.3), und in der Spezifikatorposition von Τ erneut verkettet: (xv)
{{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, sieht-T} {Peter, {{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, sieht-T}}
sieht die
Katze
xxviii
Einleitung
Nun kann in bekannter Weise C per External Merge in die Derivation eingebracht werden: (xvi)
C, {Peter, {{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, sieht-T}} {C, {Peter, {{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, sieht-T}}}
die
Katze
Da das Deutsche in unabhängigen Aussagesätzen das Verb nach C bewegt, wird sieht in dieser Position ein drittes Mal verkettet: (xvii) {sieht-C, {Peter, {{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, sieht-T}}}
die
Katze
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
XXIX
Durch Internal Merge wird nun die Subjekts-NP in die Spezifikatorposition der CP verkettet, um den Aussagesatz abzuleiten, das Ergebnis ist: (xviii) {Peter, {sieht-C, {Peter, {{Peter, {v, {{die, Katze}, sieht}}}, sieht-T}}}
sieht die
Katze
Die Operation Merge appliziert grundsätzlich so oft, bis alle ausgewählten lexikalischen Elemente in einem einzigen Objekt verkettet sind, und die Elemente ihre Merkmalsabgleiche durchgeführt haben (siehe Unterkapitel 2.3). Die Darstellung von Bewegung als Internal Merge hat weitere Konsequenze. Zunächst wird die gesamte Strukturerzeugung vom Lexikon bis zu LF tatsächlich homogen beschreibbar: sie wird ja tatsächlich ausschließlich durch die wiederholte Anwendung der Operation Merge (mal intern, mal extern) implementiert! Die Annahme einer tiefenstrukturellen Strukturerzeugung und nachfolgender Strukturveränderung ist in diesem Modell nicht mehr formulierbar, die Strukturerzeugung ist also in dem Sinne dynamisch, dass alle Operationen bis zum Ende der Derivation Schritt fur Schritt applizieren und so das syntaktische Gesamtobjekt inkrementell aufgebaut wird (vgl. Chomsky 2006: 11). Appliziert Spell-Out auf den Strukturbaum, so wird phonologisch ausgewählt, welche der Kopien eines Elementes phonologisch realisiert werden - dies ist im Normalfall nur eine der Kopien, meist diejenige, die die höchste Position im Baum einnimmt (vgl. Chomsky 2006: 8f.). Hierdurch ergibt sich die hörbare Abfolge Peter sieht die Katze:
XXX
Einleitung
(xix) Syntaktischer Strukturbaum:
Einigen neueren Auffassungen nach wird, wie bereits gesagt, auch die Linearisierung des Strukturbaums erst in der Ableitung zu PF bestimmt: LF wertet lediglich hierarchische Verhältnisse des Enthaltenseins aus, die lineare Abfolge hingegen spielt auf LF keine Rolle (vgl. das o. a. Zitat aus Chomsky 2005a: 5). Erst senso-motorische Systeme, die auf PF zugreifen, haben demnach Verwendung für eine lineare Abfolge von Elementen. Zudem ist diese Aufgabenteilung insofern wünschenswert, als die lineare Abfolge als sprachspezifische Eigenschaft in der Ableitung zu PF erstellt wird: Diese Ableitung zu PF ist, wie gesagt, ohnehin ein Ort sprachspezifischer Variation! Die Implementierung der Linearität in diesem Bereich der Ableitung fugt sich dementsprechend vorteilhaft in den Aufbau der Gesamtgrammatik ein. Zur Erläuterung der Beispielderivation: Die Linearisierung wurde im vorliegenden Beispiel aus Gründen der Übersichtlichkeit stets zielsprachlich korrekt dargestellt, also den Verhältnissen des Deutschen entsprechend - dies ist aber keine genuin syntaktische Notwendigkeit, wenn der Strukturbaum erst in der Ableitung zu PF linearisiert werden muss. Durch die Implementierung einer Bewegung als weiterer Instanz der Operation Merge ergibt sich des Weiteren, dass Bewegung in dieser Theorieausformung nicht als kostspielige Operation aufgefasst werden kann: Bewegung per {Internal) Merge ist im Prinzip genauso frei verfügbar wie die Strukturerzeugung per (External) Merge auch (vgl. C 'Ii/m-vt t-L·λ • ΟΠΠΛ- 1 Τ ΠΠ s ί • H\ I.? f-ic t r-iL·1 w m/in ii Ki ir ί π t/!i-n/r I \1,>i' iTiTf^hi-in cir*ViflKpremc
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
xxxi
2.3. Die Operation Agree In der Rektions- und Bindungstheorie war es möglich, dass ein Element einem anderen Element ein Merkmal zuweisen konnte: Das transitive Verb wies der Objekts-DP den Akkusativ zu, sodass die Objekts-DP den Kasusfilter passieren konnte. Operationen dieser Art sind in der neueren Theorie, wie oben bereits gesagt, prinzipiell nicht zulässig, da sie die Maßgabe der Inclusiveness eklatant verletzen. Es wird daher nötig, alle verwendeten Elemente von vorneherein, also lexikalisch, mit all denen Merkmalen auszustatten, die sie in der syntaktischen Struktur aufweisen sollen. In einer frühen Fassung des Minimalismus wurden diese Merkmale syntaktisch durch die Checking Theory abgeprüft: Die strukturelle Relation eines Kopfes zu seinem Spezifikator galt als die Konfiguration, in der Merkmalsabgleiche stattfinden konnten. Ein finiter Kopf einer IP konnte auf diesem Wege den Nominativkasus der DP in seinem Spezifikator lizensieren. In neueren Versionen der Theorie wirkt diese Operation weniger plausibel: Es ist nötig, die Spec-head Relation als eine besondere Relationen auszuweisen - warum aber sollte ausgerechnet diese Relation allen anderen Relationen gegenüber privilegiert sein, wenn alle Verkettungen letztlich durch die immer gleiche Operation Merge implementiert sind? Fraglich wird durch den dynamischen Strukturaufbau auch zunehmend, was eine Spezifikatorposition überhaupt zu sein habe: Der Spezifikator gilt als die Position, die unmittelbar durch die maximale Projektion eines anderen Elements dominiert wird. Im Rahmen der Bare Phrase Structure ist es aber nun, wie oben gesehen, nur kontextuell zu ermitteln, was die maximale Projektion eines Element überhaupt sein soll. Wünschenswert ist es daher, die Spec-head Relation ihres besonderen Status' zu berauben. Prinzipiell werden keine Unterscheidungen mehr zwischen dem Spezifikator einer Phrase und in anderen Positionen verketteten Objekten gemacht, die Operation Merge generiert per definitionem gleichwertige, binäre Verkettungen. Es gilt daher, dass keine Merkmalsabgleiche zwischen Kopf und Spezifikator erfolgen können (vgl. Chomsky 2006: 6, 2005a: 12). Der Merkmalsabgleich zwischen zwei Elementen Α und Β wird in der hier verwendeten Theoriefassung durch die Operation Agree realisiert. Die fur den Merkmalsabgleich mithilfe der Operation Agree nötige Konfiguration ist die des Enthaltenseins: Da in der Bare Phrase Structure keine indizierten Projektionssstufen existieren, projiziert ein Kopf selbst - Inclusiveness verlangt ja, dass durch die Projektion per Merge keine Merkmale auftreten dürfen, die nicht lexikalisch eingeführt wurden, mithin also auch keine Projektionsstufen, bar levels etc.. Als einzige Relation ergibt sich nun die Relation des Enthaltenseins als Nebeneffekt der Projektion eines Elements: Selegiert Α das mit ihm verkettete Element B, so projiziert A selbst. Das resultierende Objekt ist daher wiederum mit den Eigenschaften von Α ausgestattet: (xx) A
A
Β
xxxii
Einleitung
In diesem Sinne enthält also eine Instanz von Α das syntaktische Objekt B. Da diese Relation sich gleichsam als Nebeneffekt aus der Definition des konzeptuell notwendigen Merge ergibt, wird Enthaltensein als die einzige konzeptuell notwendige Relation aufgefasst. Im einfachsten und elegantesten Fall sollte nun mit dieser Relation auch die für einen Merkmalsabgleich nötige Konfiguration bereits bezeichnet sein. Wie sich zeigt, ist genau dieser Ansatz möglich: Ein Merkmalsabgleich zwischen einem Element Α und einem Element kann genau dann stattfinden, wenn A in B, oder Β in Α enthalten ist. Ein Merkmalsabgleich zwischen Α und Β ist demnach möglich in: (xxi)
[A ... Α... Β ...]
bzw.
[B ... A... Β ...]
Α
Β
Β
A
B
Aber nicht ζ. Β. in: (xxü)
[c[c ··· A...] [D ... Β ...]] C
C
A
C
D
D
B
Sind die konfigurationeilen Bedingungen fur Agree allerdings gegeben, können AgreeProzesse stattfinden: Hierbei fungiert eine Merkmalsmenge eines lexikalischen Elements als probe (dt. Sonde), d. h. die Merkmalsmenge sondiert ihre Komplementdomäne nach goals (dt. Ziel). Goals sind Elemente, die über die gleichen Merkmalstypen wie die Sonde verfügen, für diese Merkmale aber keinen Merkmalswert aufweisen und daher uninterpretierbar sind. Wird ein solches Element gefunden, können die unmarkierten Merkmalswerte des Ziels ,mit den Merkmalswerten der Sonde belegt werden (und kongruieren demnach mit der Sonde). Im gleichen Zuge werden andere uninterpretierbare Merkmale des Ziels, wie ζ. B. Kasusmerkmale, mit Merkmalswerten ausgestattet. Der konkrete Merkmalswert wird dabei von der jeweiligen Art der Sonde bestimmt: v* und Τ verfügen als Sonden über kasusrelevante Merkmale. Τ wird dabei allerdings neueren Auffassungen nach nicht als Kopf aufgefasst, der diese kasusrelevanten Merkmale in die Struktur einbringt, da Τ nur als Komplement von C Subjektskasus zu lizenzieren scheint (vgl. Chomsky 2005a: 9). Es wird daher davon ausgegangen, dass Τ die
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
XXXlll
kasusrelevanten Merkmale von C übernimmt, sodass C und Τ einen Gesamtkomplex C-T darstellen (vgl. Chomsky 2005a: 9). Wie lizenzieren v* und C-T nun im einzelnen Subjekts- und Objektskasus? Der funktionale Kopf v* enthält Merkmale, die die Transitivität einer Struktur ausdrücken (Chomsky 2000: 102). Merkmale von v* können als probes fungieren: Innerhalb der Komplementdomäne von v* werden der Merkmalsmenge von v* entsprechende uninterpretierbare Merkmale gesucht, und in der Merkmalsmenge der DP gefunden, die Schwester von V ist. Die in v* enthaltenen Merkmale können nun im Rahmen der Operation Agree das uninterpretierbare , Kasusmerkmal der Objekts-DP mit dem Wert Akkusativ markieren (Chomsky 2006: 12, 15). Im gleichen Verfahren wird das Subjekt von C-T mit Nominativ markiert, da die Sondenmerkmale von C-T das Subjekt in ihrer Domäne vorfinden. Den Wert Akkusativ kann ein Subjekt nicht erhalten, da es in Specv*P außerhalb der Komplementdomäne von v* liegt (Chomsky 2006: 13, 15). Existiert allerdings kein Subjekt, ζ. B. in unakkusativen oder passiven Strukturen, so ist kein transitiver v*-Kopf in der Struktur enthalten, sodass die Schwester von V keinen Kasuswert erhalten hat. C-T findet zudem keine DP in der Spezifikatorposition der vP vor und überträgt daher dem nächsten enthaltenen Kasusmerkmal (nämlich der Schwester von V) das Kasusmerkmal Nominativ (Chomsky 2006: 15). Argumente von passiven oder unakkusativen Verben tragen daher den Nominativkasus. Ein besonderes uninterpretierbares Merkmal liegt mit dem £P/ 5 -Merkmal vor. Enthält ein Kopf ein üiV-Merkmal, so bedeutet dies, dass ein Spezifikator zur Projektion hinzugefügt werden muss, d.h. die Operation Merge wird einmal mehr angewendet, als dies durch die anderweitigen Selektionsmerkmale des Kopfes gefordert wird (Chomsky 2000: 102). Anders als in älteren Theoriefassungen bezeichnet das EPP damit keine Eigenschaft, die ausschließlich zur Ausbildung der Spezifikatorposition einer TP (d. h. IP in älterer Terminologie) fuhrt, und damit ein Satzsubjekt fordert. Vielmehr können beliebige Köpfe mit isPP-Merkmalen ausgestattet werden. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Implementierung von Bewegung: Liegt mit der Sonde eine Merkmalsmenge vor, die ein EPP-Merkmal enthält, so greift das Prinzip Maximize Matching Effects, welches besagt, dass Agree stets über die maximale Menge von Merkmalen operiert: Werden Kongruenzmerkmale von Τ mit dem Subjekt in Specv*P abgeglichen, so muss auch das EPP-Merkmal von Τ mit diesem Subjekt abgeglichen werden. Mit anderen Worten: Das Subjekt muss von Specv*P nach SpecTP angehoben werden. EPPMerkmale erzwingen demnach Bewegung nur dort, wo sie als Teil einer maximalen Übereinstimmung eine bestimmte Phrase für die Anhebung designieren (generalized pied-piping, Chomsky 2000: 101). Agree ist in diesem Sinne eine Vorbedingung für Bewegung. Dies stellt im Vergleich zu älteren Theoriefassungen eine Veränderung dar: In der Checking Theory musste jede Kongruenzerscheinung von (overter oder coverter) Bewegung begleitet sein, und jede Bewegung geschah umgekehrt ausschließlich aus Gründen der Merkmalsüberprüfung. Dieses Bikonditional wird durch Maximize Matching nicht repliziert, denn wiewohl Bewegung nur im Rahmen einer Merkmalsüberpüfung stattfinden kann, ist umgekehrt nicht für jede Merkmalsüberprüfung eine Bewegung nötig: Agree kann auch ,auf Distanz' mit einem Element in-situ stattfinden, wenn der Kopf, der die Sonde enthält, kein EPP-Merkmal aufweist!
xxxiv
Einleitung
Uninterpretierbare Merkmale dürfen LF nicht erreichen, da sie dort aufgrund ihrer Uninterpretierbarkeit zum Scheitern der Derivation fuhren würden. Hierdurch ergibt sich eine Anforderung an v* und C: Da v* und C-T fur die Valuierung uninterpretierbarer Merkmale zuständig sind, muss mit der Verkettung von v* bzw. C-T auch notwendig ein Einschnitt in der Derivation erfolgen: Die uninterpretierbaren Merkmale, die sie zu valuieren in der Lage sind, müssen aus der Derivation nach LF entfernt werden. Der Zeitpunkt von Spell-Out wird demnach folgendermaßen bestimmt: uninterpretierbare Merkmale müssen valuiert werden, weil manche von ihnen in bestimmten Sprachen (wie z.B. Kasus im Deutschen) eine phonologische Interpretation auf PF bekommen. Spell-Out kann daher nicht vor der Verkettung von v* bzw. C-T erfolgen. Werden v* bzw. C-T nun aber verkettet, so müssen die uninterpretierbaren Kasusmerkmale zeitgleich aus der Derivation entfernt werden, da zu einem späteren Zeitpunkt kein Zugriff auf die Merkmale im erstellten Strukturbaum mehr möglich ist (vgl. Chomsky 2006: 13, Richards 2006). Mit der Verkettung eines Phasenkopfes muss demnach Spell-Out erfolgen, und gleichzeitig müssen die uninterpretierbaren Merkmale aus der Derivation entfernt werden. Es folgt also, dass mit der Verkettung der Köpfe v* und C Teilausschnitte des syntaktischen Strukturbaums, so genannte Phasen, an die Schnittstellen übergeben werden müssen. Dieser Vorgang wird im nächsten Unterkapitel genauer beschrieben.
2.4. Lokalität: Phasen und PIC Anders als in älteren Versionen der generativen Theorie erstellt die Syntax im Rahmen des MP kein einzelnes Objekt, welches erst in seiner Gesamtheit den Schnittstellen zugeführt wird: Durch die Aufteilung der Derivation in Phasen wird vielmehr eine Architektur implementiert, die im Verlaufe der Ableitung eines einzelnen Satzes mehrere Instanzen von Spell-Out vorsieht (Chomsky 2006: 11). Durch diesen multiple spellout wird nun zumindest LF als Repräsentationsebene nicht mehr angenommen, vielmehr erstellt die Derivation Ausschnitte einer syntaktischen Struktur, die phasenweise auf die phonologisch-artikulatorischen und semantisch-konzeptuellen Schnittstellen abgebildet werden. Aus Gründen der terminologischen Vertrautheit wird in der vorliegenden Arbeit aber weiterhin von PF und LF gesprochen, auch wenn hiermit keine eigenständigen Repräsentationsebenen mit je eigenen Operationen bezeichnet werden sollen. Phasen übernehmen im MP zunehmend die Aufgaben, die in älteren Theorieversionen durch Inseln, bzw. später durch Barrieren repräsentiert wurden. Phasen werden, wie bereits gesagt, durch Spell-Out den Schnittstellen übergeben (Chomsky 2006: 11). Das Material innerhalb einer Phase ist, nachdem die Phase den Schnittstellen übergeben wurde, für die syntaktische Derivation unzugänglich: Kein Element innerhalb einer bereits übergebenen Phase kann mit einem Element aus einer späteren Phase Agree eingehen. Ausgenommen von dieser Beschränkung sind lediglich der Kopf der Phase (der für Selektion von außerhalb zur Verfügung stehen muss), sowie der (die) Spezifikator(en) des Phasenkopfes. Es ergeben sich damit strenge Lokalitätsanforderungen an die Operation Agree. Da Agree Vorbedingung für Bewegung ist, ergibt sich zudem eine strenge Restriktion über Internal Merge, Bewegungen sind daher, wie bereits in Vor-
2. Theoretischer Rahmen der Arbeit
XXXV
gängern der Theorie, syntaktisch lokal. Diese Überlegungen werden zusammengefasst in der Phase Impenetrability Condition {PIC, vgl. Chomsky 2000: 108, 2006: 1 If.), die die Lokalität aller syntaktischen Operationen garantiert. Zu den Phrasen, die Phaseneigenschaften aufweisen, gehören mindestens vP und CP, möglicherweise jedoch auch andere Phrasen. Um PIC zu implementieren, wird angenommen, dass die Derivation zu jedem Zeitpunkt über maximal eine einzige Phase operiert. Wird demnach der Kopf C in die Derivation eingebracht, so muss die Komplementdomäne des Kopfes v* durch Spell-Out aus der Derivation entfernt werden. Bewegungen des Objektes aus der VP heraus müssen demnach über einen Spezifikator der v*P erfolgen, weil erst diese Position auch nach Spell-Out noch syntaktisch verfügbar ist. Die Spezifikatoren von Phasenköpfen fungieren damit als escape hatch fur Bewegungsprozesse. Damit sind die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden theoretischen Vorannahmen benannt. Wie bereits in der Beschreibung jeweils angegeben fungieren ältere Darstellungsweisen, ζ. B. im X-bar-Schema, nach wie vor als Darstellungskonventionen. Für die vorliegende Arbeit wird diese Praxis zum Teil übernommen. Damit soll aber keine theoretische Rückbesinnung ausgedrückt werden, die Arbeit basiert vollständig auf den in dieser Einleitung genannten Annahmen.
I. Analyse attributiver Ausdrücke
Der erste Teil der Arbeit (I) befasst sich mit den Eigenschaften komplexer attributiver Ausdrücke (d. h. hauptsächlich mit Adjektiven, Partizipien und Relativsätzen) im Deutschen. Zunächst werden die verschiedenen attributiven Ausdrücke anhand ihrer empirischen Eigenschaften vorgestellt. Wie sich zeigt, sind es insbesondere die attributiven Partizipien, die aufgrund ihrer syntaktischen Vielseitigkeit einer einheitlichen Analyse adnominaler Attribution im Wege stehen. Einige ältere Analysen, die die Eigenschaften attributiver Partizipien in Teilen erklärten, werden vorgestellt. Keiner dieser älteren Analysen ist ohne empirische und konzeptuelle Probleme, sie zeigen aber auf, welche Desiderata fur eine einheitliche und bessere Analyse anzusetzen sind. Die Eigenschaften der komplexen attributiven Ausdrücke und die Desiderata gehen ein in eine neue theoretische Repräsentation im Rahmen des Minimalistischen Programms der generativen Syntax (Chomsky '95a, 2000, 2001a, 2001b, 2005a, 2005b). Andere Attributstypen wie Genitiv-DPen und Präpositionalattribute können im Rahmen der vorgeschlagenen Analyse ebenfalls repräsentiert werden, die Apposition wird hingegen nicht behandelt: diese scheint im Normalfall keine restriktive Lesart zu besitzen und deckt sich daher nicht mit der hier beschriebenen Vorstellung von Attribution.
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen In der pränominalen Position können im Deutschen verschiedene Kategorien als Attribute fungieren: Adjektive und Partizipien sind hochsprachlich uneingeschränkt möglich, zumindest umgangssprachlich darüber hinaus aber auch verschiedene andere Elemente: (1)
die zu-e Tür ein klasse-s Auto das schön-e Auto der laufend-e Hund der begossen-e Pudel
(Präposition) (Nomen) (Adjektiv) (Partizip 1) (Partizip 2)
Treten diese attributive Elemente prädikativ auf (was allerdings den Partizipien 1 oft nicht möglich ist), können sie mit dem Auxiliar sein verwendet werden: (2)
Die Tür ist zu. Das Auto ist klasse. Das Auto ist schön. ??Der Hund ist laufend. Das Kunstwerk ist bedeutend. Der Pudel ist begossen.
aber:
2
I. Analyse attributiver Ausdrücke
Interessant ist, dass in der attributiven Position fur ein Partizip 2 meist nur diejenige Zustandslesart erhältlich ist, die prädikativ gerade durch die Verwendung des Hilfsverbs sein ausgedrückt würde: So hat der begossene Pudel keine Vorgangslesart (wie in Der Pudel wird begossen), das attributive Partizip identifiziert das treue Tier vielmehr anhand des Nachzustands, in dem es sich nach Beendigung des Gießvorganges befindet. Das heißt demnach, dass das Hilfsverb sein und die attributive Kasus-, Genus- und Numerusflexion (im folgenden: KGN), zueinander in komplementärer Distribution stehen. Attributsausdrücke weisen stets KGN auf, können aber keine Hilfsverben zu sich nehmen: (3)
??/* der schön seiende Mann *der schöne seiende Mann *der schöne ist Mann *der besiegte seiende Feind
(Intendiert:, der schöne Mann') (Intendiert:, der schöne Mann') (Intendiert:,der besiegte Feind')
Dieselben Ausdrücke treten prädikativ mit sein als Hilfsverb auf, vermögen dann aber keine KGN mehr auszubilden: (4)
Die Frau ist schön. *Die Frau hat schön. *Die Frau ist schöne.
Ausdrücke, die in pränominaler Position auftreten, werden nur genau dann attributiv interpretiert, wenn sie KGN tragen: alle anderen Elemente müssen, auch in dieser Position, adverbial interpretiert werden. Trägt in der Nominalphrase keines der möglichen Attribute KGN, ist die Struktur ungrammatisch: (5)
der dicke Mann der dick angezogene Mann *der dick Mann
(dick fungiert als Attribut) (dick dient als Adverb, keine Attributslesart) (fehlende KGN resultiert in Ungrammatikalität)
Die sogenannte KGN-Flexion auf Adjektiven und Partizipien ähnelt phonologisch den nominalen Kasusendungen nicht sehr. Die starke Flexion gleicht vielmehr der pronominalen Flexion (vgl. z.B. Erben '80: 171), während die schwache Flexion offenbar eine „eigene wortartenspezifische Flexion" darstellt (Wiese 2000: 140). Tatsächlich stimmen nur wenige Zellen des Paradigmas der pränominalen Attribute mit dem der Nomina überein - und dies auch zumeist nur in den Endungen -e bzw. -en, die „in der Nominalflexion am unspezifischsten", gar „ubiquitär" sind (Eisenberg '94b: 237). Die Endungen treten auch in verbalen Flexionsparadigmen und im adjektivischen Superlativ und können daher nicht als prototypisch nominal aufgefasst werden. Die einzige weitere lautliche Übereinstimmung zwischen der Flexion der Nomina und der der Adjektive findet sich im Genitiv Plural (vgl. der Anblick schön-er Männ-er/ Bild-er). Die Endungen -e, -en und -er sind nun aber nach Eschenlohr die „am wenigsten wortartdeterminierten Endungen", die zudem „nicht nur als Flexionssuffixe, sondern auch als Derivationsund Pseudosuffixe fungieren" ('97: 32). In der Tabelle in (6) kann daher darauf verzichtet werden, sämtliche Flexionstypen der Nomina durchzudeklinieren, da der Ertrag kaum
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
3
interessant wäre (vgl. aber hierzu Duden '98: 223f.). Die Tabelle illustriert ausschnittsweise die Unähnlichkeit zwischen nominaler und adjektivischer Flexion: (6)
Kasus-, Genus- und Numeruskongruenz in DPen mit definitem Artikel
Singular: Maskulinum Nominativ der schön-e M a n n - 0 Genitiv des schön-en Mann-es Dativ dem schön-en M a n n - 0 dem schön-en Mann-e Akkusativ den schön-en M a n n - 0
Femininum Neutrum das hässlich-e K i n d - 0 die schön-e F r a u - 0 der schön-en F r a u - 0 des hässlich-en Kind-es der schön-en Frau-0 dem hässlich-en K i n d - 0 dem hässlich-en Kind-e das hässlich-e K i n d - 0 die schön-e F r a u - 0
Plural: Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ (6)
Maskulinum
Femininum
Neutrum
die schön-en Männ-er der schön-en Männ-er den schön-en Männ-ern die schön-en Männ-er
Frau-en Frau-en Frau-en Frau-en
Kind-er Kind-er Kind-em Kind-er
Kasus-, Genus- und Numerusflexion in DPen mit indefinitem Artikel
Singular:
eine schön-e Frau-0
Neutrum ein hässlich-es K i n d - 0 eines hässlich-en Kind-es einem hässlich-en Kind-e einem hässlich-en Kind-e ein hässliche-s K i n d - 0
Maskulinum
Femininum
Neutrum
0 0 0 0
Frau-en Frau-en Frau-en Frau-en
Kind-er Kind-er Kind-ern Kind-er
Maskulinum Nominativ ein schön-er M a n n - 0 Genitiv eines schön-en Mann-es Dativ einem schön-en Mann-0 einem schön-en Mann-e Akkusativ einen schön-en M a n n - 0
Femininum eine schön-e Frau-0 einer schön-en Frau-0 einer schön-en Frau-0
Plural: Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ
schön-e Männ-er schön-er Männ-er schön-en Männ-ern schön-e Männ-er
Die KGN-Morphologie der pränominalen Attribute unterliegt darüber hinaus der Alternation zwischen starken und schwachen Formen - eine Unterscheidung, die den Nomina gänzlich abgeht (vgl. z.B. Eisenberg '94b: 236, '98: 172). Nomina folgen lediglich verschiedenen Flexionsgesetzmäßigkeiten, die zwar ebenfalls als ,stark' und ,schwach' bezeichnet werden, den Nomina aber anders als den Adjektiven inhärieren - die schwache Flexion der maskulinen Nomina ist zudem selten geworden (Kopeke 2000: 157, 162). Indirekt geht hieraus noch ein weiteres problematisches Datum hervor: Die stark/ schwach-Altemation appliziert überhaupt nur für pränominale Attribute, aber eben nicht
4
I. Analyse attributiver Ausdrücke
für das Kopfnomen selbst - das heißt es gibt bei der KGN-Flexion eine Flexionsdimension, die für die Flexion der Nomina gar nicht existiert! Genauer gesagt: „Ein Nomen ist [...] einem einzigen Flexionsparadigma zugeordnet. Im Gegensatz dazu kann grundsätzlich jedes Adjektiv sowohl starke als auch schwache Suffixe haben" (Gallmann '96: 299). Die stark/schwach-Alternation als typologisch vernachlässigbaren Sonderfall der deutschen Grammatik abzutun erscheint unangemessen, da sowohl ältere germanische Sprachstufen (ζ. B. das Gotische), wie auch verwandte Sprachen (Niederländisch), darüber hinaus aber auch typologisch nicht eng verwandte Sprachen (Serbokroatisch) über ähnliche Systeme verfugen (vgl. Gallmann '96: 302, 310). Es fallt angesichts dieser Daten schwer, eine morphophonologische Gleichheit zwischen den Endungen der Nomina und denen der pränominalen Attribute anzunehmen. Auch in syntaktischer Hinsicht ähnelt die angebliche Kongruenzflexion den aus anderen Sprachen bekannten Kongruenzmechanismen nicht: Adjektive, die mit dem Kopfnomen kongruieren, zeichnen sich im Regelfall durch größere Positionsfreiheit im Satz aus (Bhat 2000: 762). Im Deutschen hingegen sind es gerade die KGN-markierten pränominalen Adjektive, die syntaktisch absolut unbeweglich sind. Relativsätze und adverbiale Ausdrücke, die keine Kongruenz mit dem Kopfnomen aufweisen, sind hingegen in gewissen Grenzen vom Nomen trennbar. Die KGN-Flexion hat also eine syntaktische Konsequenz, die typologisch nicht zu erwarten ist, da aus der vorgeblichen KGN-Kongruenz eher der umgekehrte Effekt resultieren sollte. Auch diachron verhalten sich die attributive KGN-Flexion und die nominale Flexion unterschiedlich: die nominale Kasus-, Genus- und Numerusmarkierung befindet sich offenbar diachron auf dem Rückzug, insofern als Nomina, die keine attributiven Ausdrücke in ihrer Projektion aufweisen, in steigendem Maße auch ohne overte Flexionsmorphologie auftreten können (vgl. Gallmann '96: 287ff.). Der Verfall von overter Morphologie spart nun aber ausgerechnet die attributiven Endungen aus (ebd.: 307) - und dies, obwohl diese zu den unbetonten Endungen gehören, die sich andernorts gerade als besonders anfallig für eine phonologische Erosion erwiesen haben (vgl. Primus '97: 134). Die Auffassung, dass durch die pränominalen KGN-Elemente Eigenschaften des Kopfnomens ausgedrückt werden können, die das Nomen nicht selbst anzeigen kann, ist fragwürdig: Zum einen wäre der Ausdruck des Genus morphologisch gar nicht nötig, da Genus jedem Nomen inhäriert. Zum anderen erscheint die Genusflexion verzichtbar, da sie nicht überall ausgeprägt werden muss: „Wenn wir ein Baum und ein Kind nicht unterscheiden, warum unterscheiden wir dann ein kleiner Baum und ein kleines Kind durch Adjektivendungen?" (Eisenberg '94b: 237, Hervorhebungen im Original.) Andernorts gilt insbesondere der Beitrag der schwachen Flexion der Adjektive als ein Rätsel, Eisenberg erscheint sie „überflüssig" ('98: 173). Esau hält es für „redundant", wenn mehr als ein Bestandteil der DP Kasus signalisiert ('73: 139). Es scheint angesichts dieser Einschätzungen mehr als verwunderlich, dass ausgerechnet die attributive KGN-Flexion in all ihrer vermeintlichen Nutzlosigkeit vom allgemeinen Schwund der Kasusendungen im nominalen Bereich verschont zu bleiben scheint.
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
5
1.1. Gemeinsame Eigenschaften attributiver Ausdrücke Attributive Ausdrücke haben weitreichende Gemeinsamkeiten. Sie erfüllen zunächst ganz offensichtlich einen ähnlichen Zweck - sie schreiben dem Kopfnomen diejenigen Eigenschaften zu, die jeweils durch die Adjektive, Partizipien oder Relativsätze ausgedrückt werden: (7)
die schlafende Frau die Frau, die schläft
(8)
die schon etwas ältere Frau die Frau, die schon etwas älter ist
(9)
der besiegte Feind der Feind, der besiegt ist
Die relativen Bedeutungsanteile von Kopfnomen und Attribut können hierbei semantisch durchaus variabel verteilt sein, oft kann also auch ζ. B. ein Adjektiv die wesentlichen oder spezifischeren Merkmale beisteuern (vgl. Erben '80: 171): (10)
deutsche Sprache sprachwissenschaftliche Studien
Syntaktisch sind alle attributiven Strukturen offenbar grundsätzlich Inseln für Bewegungsprozesse: Nach Ross' Complex NP Constraint können syntaktische Elemente nicht über die Grenzen eines Satzes hinaus bewegt werden, welcher innerhalb einer NP auftritt ('67: 70). Das gleiche gilt analog für Bewegungen, die aus einem pränominalen Attribut heraus erfolgen, wie die folgenden Beispielen zeigen: (11)
*Weni hast du den [Mann [der t, schlug]] gesehen? *[Den Hund], hat [der [tj überfahrende] Mann] nicht gesehen.
Komplexe attributive Ausdrücke konstituieren darüber hinaus auch Bindungsdomänen, d. h. anaphorische Argumente eines Adjektivs, Partizips oder eines Verbs im Relativsatz müssen grundsätzlich durch Antezedenten gebunden werden, die innerhalb der attributiven Struktur auftreten (vgl. Fanselow '86). Zusammenfassend muss also festgestellt werden, dass die Attributsausdrücke des Deutschen syntaktisch insgesamt satzwertig sind und damit komplexer, als es ihre oft unscheinbare Erscheinung vermuten lässt. Morphologisch lässt sich eine weitreichende Übereinstimmung zwischen den KGNFormen der pränominalen attributivischen Ausdrücke undeterminierter Nominalphrasen, wie sie etwa in Zeitungsschlagzeilen auftreten, und den Endlauten der Relativpronomen feststellen: Die Formen differieren lediglich in ihren Vokallauten. Dieser Umstand lässt sich leicht der Tatsache zuschreiben, dass die Vokallaute der unbetonten Suffixe der pränominalen Ausdrücke zum Schwa reduziert werden, Relativpronomen hingegen den Vollvokal realisieren, wo dieser die Wortbetonung trägt.
6
I. Analyse attributiver Ausdrücke
(12) Maskulinum Singular: Nominativ: Genitiv: Dativ: Akkusativ:
Schöner Mann verhaftet! Schönen Mannes gedacht! Schönew Mann verfallen! BILD sichtet schöne« Mann!
= = = =
ein ein ein ein
Mann, Mann, Mann, Mann,
der verhaftet wird dessen gedacht wurde dem die Frau verfiel den BILD sah
= = = =
Männer, die kommen Männer, derer gedacht wird Männern, denen zugeschaut wird Männer, die BILD sichtet
= = = =
Frau, die lacht Frau, der gedacht wird Frau, der zugeschaut wird Frau, die BILD sichtet
= = = =
Frauen, Frauen, Frauen, Frauen,
die lachen derer gedacht wird denen zugeschaut wird die BILD sichtet
= = = =
Model, Model, Model, Model,
das lacht dessen gedacht wird dem zugeschaut wird das BILD sichtet
= = = =
Models, Models, Models, Models,
Maskulinum Plural: Nominativ: Genitiv: Dativ: Akkusativ:
Schöne Männer kommen! Schöner Männer gedacht! Schönen Männern zugeschaut! BILD sichtet schöne Männer
Femininum Singular: Nominativ: Genitiv: Dativ: Akkusativ:
Schöne Frau lacht! Schöner Frau gedacht! Schöner Frau zugeschaut! BILD sichtet schöne Frau!
Femininum Plural: Nominativ: Genitiv: Dativ: Akkusativ:
Schöne Frauen lachen! Schöner Frauen gedacht! Schönen Frauen zugeschaut! BILD sichtet schöne Frauen!
Neutrum Singular: Nominativ: Genitiv: Dativ: Akkusativ:
Schönes Model lacht! Schönen Models gedacht! Schönem Model zugeschaut! BILD sichtet schönes Model!
Neutrum Plural: Nominativ: Genitiv: Dativ: Akkusativ:
Schöne Models lachen! Schöner Models gedacht! Schönen Models zugeschaut! BILD sichtet schöne Models!
die lachen derer gedacht wird denen zugeschaut wird dz'e BILD sichtet
(Die Form der Flexion der Relativpronomen lässt sich wiederum leicht dadurch erklären, dass diese sich diachron aus Demonstrativpronomen entwickelt haben (vgl. Pittner '95: 218)). Besonders erwähnenswert an den lautlichen Übereinstimmungen zwischen den Endungen der Adjektive und denen der Relativpronomina ist das Auftauchen des Flexionsmorphems -em (im Singular des Dativ Maskulinum und Neutrum): Diese lautliche Realisierung ist (anders als die Morpheme -e, -en und -er) ein hochgradig spezifi-
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
7
sches Element (Robert Kemp, p.c.): Es tritt (wenn man die Form am als Zusammenziehung von an+dem auffasst) als Flexionsmorphem ausschließlich in den Paradigmen der Personalpronomina, der Relativpronomina und der Artikel auf (was sich leicht dadurch erklären lässt, dass die Elemente historisch auseinander hervorgehen, vgl. Oubouzar '92: 72, Heinrichs '54: 10). Das Element -em findet sich aber nirgends in der Flexion der Nomina. Die morphologischen Übereinstimmungen zwischen Relativpronomen und Adjektiven sind mit anderen Worten nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ stärker ausgeprägt als die Übereinstimmungen zwischen Adjektiven und Nomen.
1.2. Besonderheiten unterschiedlicher attributiver Ausdrücke Die komplexen attributiven Ausdrücke zerfallen zunächst in zwei auf den ersten Blick unterschiedliche Klassen: Dies sind zum einen Relativsätze, die stets nach dem modifizierten Nomen (im Folgenden: dem Kopfhomen) auftreten. Zum anderen verfügt das Deutsche über pränominale Attribute (Adjektive, Partizipien, gegebenenfalls auch andere, s. o.). Über diese grobmaschige Positionierung der Attributsausdrücke hinaus lassen sich einige feinere Unterschiede beobachten, die im Folgenden einzeln angesprochen werden.
1.2.1. Relativsätze Relativsätze enthalten ein finites Verb, welches seine gesamte Argumentstruktur ausprägen kann. Diese Argumentstruktur kann insbesondere auch nominativische Subjekte sowie akkusativische Objekte umfassen. Sämtliche Thetarollen, die das verwendete Verb im Deklarativsatz realisieren kann, sind auch im Relativsatz auffindbar. Adjektive und Partizipien 1 und 2 hingegen unterliegen gewissen Beschränkungen, die ihre Argumentrealisation betreffen: So können nominativische Ausdrücke weder bei Adjektiven, noch bei Partizipien innerhalb der attributiven Struktur realisiert werden: (13)
*der [[der Feind] besiegte] König (intendiert: der vom Feind besiegte König) *der [[der Mann] den Kuchen essende] Mann (intendiert: der den Kuchen essende Mann)
Allerdings erlauben Partizipien 1 eine agentivische Lesart des Kopfnomens, während Adjektive und Partizipien 2 diese Lesart nicht aufweisen können. Auch akkusativische Argumente sind Partizipien 1 vorbehalten: (14)
*der [[den Hund] geschlagene] Mann (intendiert: der Mann, der den Hund geschlagen hat) der [[den Hund] schlagende] Mann
8
I. Analyse attributiver Ausdrücke
Relativsätze erlauben zudem, oblique Argumente des verwendeten Verbs zur Modifikation des Kopfnomens zu verwenden. Partizipien hingegen erlauben dies nicht: (15)
der Garten, [[in den] ich gehe] *der [(in den) (ich) gehende] Garten
(* in gleicher Lesart)
Relativsätze erlauben das pied-piping von präpositionalem Material (vgl. Ross '67) und lizenzieren zudem den sogenannten Rattenfängereffekt, durch den infinitive Satzanteile zusammen mit dem Relativpronomen in relativsatzinitiale Positionen gelangen. Diese z.T. sehr komplizierten syntaktischen Phänomene werden in der vorliegenden Arbeit nicht thematisiert (vgl. aber ζ. B. Grewendorf '86, Haider '85, van Riemsdijk '85). Relativsätze werden im Deutschen extraponiert, wenn sie nach dem ,Behaghelschen Gesetz' als .schwere' Satzglieder hinter den ,leichteren' anzuordnen sind (vgl. Behaghel '23-'32) und in vielen Fällen aufgrund ihrer ,Schwere' im Mittelfeld sogar völlig unakzeptabel sind. Adjektive, sowie Partizipien 1 und 2 hingegen können nicht extraponiert werden: (16)
Ich habe den Mann, der schlief, gesehen. Ich habe den Mann gesehen, der schlief.
(17)
Ich habe den schläfrigen Mann gesehen. *Ich habe den Mann gesehen schläfrigen.
(18)
Ich habe den schlafenden Mann gesehen. *Ich habe den Mann gesehen schlafenden.
(19)
Ich habe den betäubten Mann gesehen. *Ich habe den Mann gesehen betäubten.
1.2.2. Adjektive Ebenso wie die Partizipien kongruieren auch die attributiv verwendeten Adjektive mit dem Kopfnomen, die verwendeten Formen waren der Anlass vieler Analysen, die attributiven Partizipien den Adjektiven zuzuschlagen (ζ. B.: Duden '98: 193, Quintin '94: 93). Die Kongruenz der KGN-Formen findet aber in beiden Fällen nur dann statt, wenn das Adjektiv oder das Partizip vor dem Kopfnomen steht: (20)
blauer Karpfen *blau Karpfen Karpfen blau *Karpfen blauer zwei fortlaufende Meter *zwei fortlaufend Meter zwei Meter, fortlaufend *zwei Meter, fortlaufende
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
9
Dieses Datum lässt sich nicht mit dem Hinweis entkräften, Ausdrücke wie Karpfen blau und Henkell trocken seien ,nur Namen': Hierdurch verschöbe sich nämlich lediglich die Fragestellung - unklar wäre nämlich dann, warum es offenbar systematisch keine t a rnen' wie Henkell trockener gibt! Adjektive weisen im Deutschen keinen Akkusativ zu. Zwar können einige wenige Adjektive im Deutschen Akkusativ zuweisen (nämlich die sogenannten Maßadjektive hoch, breit, dick, usw., vgl. Bsp. (22) umgangsprachlich auch wenige andere, wie ζ. B. müde, überdrüssig). Adjektive dieser Art scheinen aber die klare Minderheit darzustellen: Abraham listet in seinem Überblick der Adjektivrektion 197 Adjektive auf, die nicht-akkusativische Kasus vergeben, bringt aber nur vierzehn Beispiele fur Adjektive bei, die den Akkusativ regieren ('95: 247). Von diesen wenigen Adjektiven verlieren zudem einige das Potential zur Akkusativrektion ausgerechnet in attributiver Position also der Position, in der das Partizip 1 stets auftritt (Bsp. Abraham '95: 263): (21)
*der seinen Angriff müde Soldat
Als strenge Generalisierung muss demnach für die Beschreibung des Deutschen gelten, dass Adjektive, mit Ausnahme einer eng umrissenen lexikalischen Klasse, keinen Akkusativ regieren (vgl. z.B. in diesem Sinne Abraham '95: 258, Heibig & Buscha '98: 311). Wie man demonstrieren kann, stellen diese angeblichen Akkusativargumente von Maßadjektiven kein echtes Problem dar: Die entsprechenden Ergänzungen zeigen nämlich oft syntaktisch insofern keine üblichen Argumenteigenschaften, als sie nicht normal erfragbar sind. Akkusativargumente werden im Wh-Fragesatz durch wen oder was erfragt - die vorgeblichen Akkusativargumente von Maßadjektiven hingegen nicht: (22)
Das Brett ist einen Meter dick/hoch/lang/... . Wie dick ist das Brett? *Wen dick ist das Brett? •Was dick ist das Brett?
Adjektiven wird in der Grammatikschreibung des Deutschen generell die Fähigkeit abgesprochen, produktiv Akkusative zu regieren (vgl. etwa von Stechow & Sternefeld '88: 146), fur manche Autoren ist ein solch „morphologisch ,zufälliger' Akkusativ" (Abraham '95: 265) sogar ein ,Akkusativ aus Irrtum" (vgl. Abraham '95: 241). Maßadjektive stellen in diesem Sinne äußerst markierte Konstruktionen dar, deren Ergänzungen offenbar nicht den systematischen Eigenschaften von Argument-DPen im Deutschen folgen. Da die Klasse zudem nicht produktiv ist, kann sie die Generalisierung, nach der Adjektive keinen Akkusativ zuweisen, nicht nachhaltig einschränken.
10
I. Analyse attributiver Ausdrücke
1.2.3. Partizipien Partizipien werden in der linguistischen Literatur als zusammengesetzte Elemente analysiert: Sie bestehen aus einem Verbstamm und entsprechenden Partizipialaffixen: Dies sind das Suffix -ewrfbeim Partizip 1 (im Folgenden: PI) und die Präfixe und Suffixe ge-/0- und -en/-t im Falle des Partizips 2 (im Folgenden: P2). Der besondere Status der Partizipien als ,Mittelwörter' erklärt sich daraus, dass Partizipien offensichtlich in verschiedenen syntaktischen Verwendungen möglich sind, die sie jeweils als Mitglieder unterschiedlicher Wortarten ausweisen. Partizipien treten in nominaler, adjektivischer und verbaler Funktion auf: (23)
der Angestellte der Leidende
(P2, nominal) (PI, nominal)
(24)
das blökende Schaf der angestellte Arbeitnehmer
(PI, adjektivisch) (P2, adjektivisch)
(25)
Der Arbeitnehmer war seit 32 Jahren in dieser Firma angestellt.
(P2, verbal)
Eine verbale, prädikative Verwendung des PI ist, wie bereits oben angegeben, nur eingeschränkt möglich (siehe aber unten, Kapitel 2.2.3.3). Die vorgeblich nominale Verwendung als Struktur wird verschiedentlich als attributive Verwendung interpretiert, lediglich das Kopfnomen der modifizierten NP wird nicht phonologisch realisiert (vgl. Bhatt '90: 172f., Heibig & Buscha '98: 300, Kester '96, Poitou '94: 110). Grund für diese Annahme ist die Tatsache, dass die vermeintlich nominale Verwendung ihr Genus frei wechseln kann (der/die/das Leidende), was Nomen nicht möglich ist, da ihnen der Genus lexikalisch inhäriert. Dies wird auch dort durch die Daten gedeckt, wo deadjektivische Nomen zur nominalen Flektion übergegangen sind (der Gläubiger): In diesen Fällen verlieren die nun klar nominalen Elemente die Fähigkeit, das Genus zu wechseln {*dieFEM/ das Gläubiger). In einigen wenigen Fällen liegt Homophonie zwischen Nomen und kopflosen Nominalphrasen vor: Der Invalide flektiert nominal, die/das Invalide hingegen adjektivisch. Es ergeben sich vorrangig zwei Verwendungsweisen der Partizipialformen, die adjektivische und die verbale. In der vorgeblich adjektivischen Verwendung erweisen sich die Partizipien aber erneut als Störenfriede, weil sie Eigenschaften aufweisen, durch die sie sich klar von den Adjektiven des Deutschen unterscheiden. So weisen Partizipien auch attributiv eine komplexe Argumentstruktur auf, die in dieser Form bei Adjektiven nicht zu beobachten ist: (26)
der [[dem treuen Fido] [von den Kindern] [an den Schwanz] gebundene] Knallfrosch
Adjektive im Deutschen weisen eine solch komplexe, mehrwertige Argumentstruktur nicht auf und erlauben üblicherweise weder Akkusativobjekte noch direktionale Ergän-
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
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zungen mithilfe von Präpositionalphrasen (vgl. ζ. B. Duden '98: 267, Heibig & Buscha '98: 309). Partizipien weisen darüber hinaus die Möglichkeit zu bestimmten adverbialen Modifikationen auf, die Adjektiven unmöglich sind: (27)
der [[hastig] den Kuchen essende] Mann der [[gestern morgen] [mit einiger Verspätung] [im Nebel] abgefahrene] Zug
Adjektive unterscheiden sich, wie sich hier zeigt, auch darin von Partizipien, dass die von ihnen kodierten Eigenschaften ,zeitstabiler' im Sinne von Givon ('79) und Lehmann ('92) erscheinen (vgl. auch Hamann '91: 658). Adverbiale Ausdrücke, die gerade die Zeitinstabilität einer Eigenschaft ausdrücken, eignen sich daher nicht oder nur mit deutlichen Markiertheitseffekten zur Modifikation vieler adjektivischer Ausdrücke, die zeitstabile Eigenschaften ausdrücken: (28)
??die augenblicklich schöne Frau ??der im Moment intellektuelle Schlachter
Die exakt gleichen adverbialen Modifikationen sind bei Partizipien oft möglich: (29)
der augenblicklich vergessene Kummer der im Moment ablaufende Prozess
Des Weiteren zeigen Partizipien eine strenge Abfolge vis-ä-vis ihrer Komplemente und Adjunkte, sie müssen allen syntaktischen Ergänzungen stets folgen: (30)
der [essende (*den Kuchen) (*hastig)] Mann der [abgefahrene (*gestern Morgen) (*mit einiger Verspätung)] Zug
Anders als finite Verben wiederum können Partizipien keine Verbalcluster eingehen, zumindest nicht dann, wenn alle beteiligten Partizipien KGN-Flexion aufweisen sollen: (31)
der geschriebene Brief der Vater werdende Mann ??der geschrieben werdende Brief *der geschriebene werdende Brief ??das geschlafen habende Kind *das geschlafene habende Kind
Nicht alle Sprecher des Deutschen akzeptieren die Formulierung der geschrieben werdende Brief, Belege fur diesen Konstruktionstyp sind generell selten: Suchen in den Corpora Cosmas II und Tiger ergaben jeweils nur klar adjektivische P2 in diesen Kombinationen: in sämtlichen Belegen waren die P2 (wie in die immer beliebter werdenden Riegel) komparativisch gesteigert! Offenbar wird, je nach dialektaler Färbung, hier mehr oder minder streng die Realisierung durch den Relativsatz vorgezogen: (32)
der Brief, der geschrieben wird
12
I. Analyse attributiver Ausdrücke
Akzeptieren Sprecher die Struktur der geschrieben werdende Brief, so erlauben sie die P2-P1 -Kombination nur in dieser Reihenfolge, die umgekehrte Reihenfolge ist streng ungrammatisch: (33)
der geschrieben werdende Brief *der werdend(e) geschrieben(e) Brief
Eine eher subtile Beobachtung ist darüber hinaus, dass die P2-P1-Kombinationen umso akzeptabler erscheinen, je ,generischer', ,zeitstabiler' oder vielleicht auch .überzeitlicher' die Aussage ist (Kleanthes Grohmann, p.c.)» w i e etwa in: (34)
(?) dieses schwungvoll geschrieben werdende Silbenzeichen des japanischen Alphabets
Eine eher verbale Argumentstruktur von P2 mit obliquen Argumenten, gepaart mit Nicht-Generizität/Punktualität der beschriebenen Situation, verschlimmert offenbar die Struktur: (35)
??/*der [gerade dem Großvater gegeben werdende] Einlauf
Nach meiner Intuition lizenzieren PI, wenngleich stilistisch ungelenk, attributiv Infinitive, P2 nicht: (36)
(?) der lesen müssende Schüler *der lesen gemusste Schüler
Auch hier gilt, dass das PI dem Infinitiv stets folgen muss. Partizipien sind daher zusammenfassend immer die letzten Glieder von Verbalclustera, insofern diese als grammatisch eingestuft werden. Partizipien 2 und Infinitive müssen hierbei den PI vorausgehen. Interessanterweise scheinen sich partizipiale Verbalcluster erst in neuerer Zeit auf dem Rückzug zu befinden: So weist Ehrhards Überblick über die Beschreibung partizipialer Formen in Schulgrammatiken des 19. Jahrhunderts auch explizit komplexe Partizipialketten auf ('94: 198): Nach Ehrhard beschreibt Heyse eine zusammengesetzte Form aus P2 + habend (das geschlafen habende Kind, ebd.). Erklärte Aufgabe dieser Konstruktion ist es, die „Konstruktionen zu ,erweitern'" (ebd.), so dass diese „die Beendigung des verbalen Prozesses anzeigen" (ebd.). Diese Form verschwindet nach Ehrhard seit 1840 in fortschreitendem Maße (vgl. ebd.), sie erscheint im heutigen Deutsch nur noch marginal möglich zu sein. Partizipialausdrücke sind komplementär verteilt mit Relativsätzen: Erstere stehen nur vor dem Kopfnomen, letztere dahinter. Morphologisch betrachtet finden sich also Ausdrücke, die finite Verben, aber keine KGN-Formen enthalten, hinter dem Kopfnomen - Ausdrücke, die keine finiten Verben, wohl aber KGN-Formen aufweisen, finden sich als Attribute immer vor dem Kopfnomen. Im Weiteren folgt eine Analyse des Wortartenstatus der verschiedenen attributiven Partizipien des Deutschen.
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
13
1.2.3.1. Zur Wortart des Partizips 1 Partizipien 1 werden von Verbstämmen durch die Suffigierung mit -end abgeleitet. Das Suffix -end scheint hierbei diachron nicht zusammengesetzt, d. h. lässt sich nicht ohne weiteres ζ. B. in das infinitive Suffix -en und ein weiteres Suffix -d zerlegen (vgl. Toman '86: 388). Partizipien 1 lassen sich von allen Vollverben produktiv ableiten, eine Restriktion über die Ableitungsbasis scheint nicht zu bestehen. Allerdings scheinen viele Hilfsverben wie z.B. haben oder sein keine PI auszubilden (vgl. Wunderlich '87: 350). Verschiedene Autoren haben vorgeschlagen, PI als Adjektive aufzufassen: Der Duden ('98: 193) und Quintin ('94: 93) gehen etwa davon aus, dass PI ohne weiteres als Adjektive zu behandeln sind, da sie ausschließlich in attributiver Position, nicht aber prädikativ vorkommen können (vgl. auch Zifonun et al. '97: 48, Eroms 2000: 275). Bei genauerem Hinsehen ist diese Kategorisierung allerdings äußerst problematisch, da PI weder in syntaktischer noch in semantischer oder morphologischer Hinsicht zentrale adjektivische Eigenschaften teilen. Syntaktisch auffällig ist etwa die Argumentrealisation von PI: Gegenüber ihrer Ableitungsbasis müssen PI die vollständige Argumentstruktur realisieren, die durch das zugrundeliegende Verb vorgegeben ist (vgl. Heibig & Buscha '98: 110, Lenz '93: 37). Diese strikte Subkategorisierung syntaktischer Argumente ist bereits ohne Ansehen der konkreten Argumente eine Eigenschaft, die von den beobachtbaren Eigenschaften deutscher Adjektive abweicht: Adjektive scheinen ihre Argumente nur in lexikalisch determinierten Ausnahmefallen (ζ. B. jmd. oder etw. leid sein) obligatorisch einfordern zu können. Die Argumente von Adjektiven bleiben also nahezu immer optional (Robert Kemp, p.c.). Dreiwertige Verben hingegen realisieren als PI drei Argumente, dreiwertige Adjektive existieren hingegen meines Wissens im Deutschen nicht. Die realisierbaren Argumente umfassen darüber hinaus solche, deren thematische Eigenschaften sich von Adjektivargumenten unterscheiden: So werden den durch PI modifizierten Kopfnomen oft Subjektsrollen zugesprochen, die das für Adjektive verfügbare Spektrum sprengen, wie etwa agentivische Rollen: (37)
der den Kuchen essende Mann
Die eindeutige und erzwungene Interpretation ist hier, dass der Mann die willentlich und kontrolliert handelnde Entität ist, die den Kuchen isst. Agentivische Rollen aber werden von Adjektiven des Deutschen offenbar nicht vergeben (vgl. oben). Auch Akkusativobjekte wie im Beispiel (37) werden von Adjektiven nicht produktiv lizenziert. Zudem verfugen Adjektive nicht über die Komplexität verbaler Argumentstruktur, dreistellige Adjektive etwa sind im Deutschen nicht attestiert (Abraham '95: 245). Dreistellige PI hingegen sind leicht zu finden, da die Argumentstruktur des zugrunde liegenden Verbs auch vom PI realisiert wird: (38)
der [dem Kind] [den Kuchen] gebende [Mann]
Aus diesen Gründen haben manche Autoren die PI den Verben zugeschlagen (vgl. z.B. Bickes '84, Lenz '93, Toman '86, '87).
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
Es erscheint meiner Ansicht nach tatsächlich willkürlich, PI nur deshalb als Adjektive zu kategorisieren, weil sie in attributiver Position auftreten: Hierzu sind, wie eingangs beschrieben, auch Mitglieder anderer Wortarten und auch syntaktisch komplexe Strukturen wie etwa Relativsätze in der Lage. Umgekehrt nehmen PI die prädikative Position, die Adjektiven (mit Ausnahme weniger Defektiva) offen steht, nur in bestimmten Sonderfällen ein: PI kommen prädikativ genau dann vor, wenn sie vollständig als Adjektive interpretierbar sind. Sobald sie aber, wie häufig in der attributiven Position, verbale Argumente zu sich nehmen, werden die entsprechenden prädikativen Strukturen ungrammatisch: (39)
Der Brief ist bedeutend^. *Der Brief ist [meine Entlassung] Thema AKK bedeutend. Die Ergebnisse waren enttäuschend^. *Die Ergebnisse waren michAKK enttäuschend^·. Das Medikament ist blutstillend^. *Der SanitäterAgens ist Blut-rhema stillend.
Dieser Umstand erscheint besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass die P l Ableitung eine Option ist, die allen Verben produktiv offen steht: Wie kann die Annahme, PI seien derivierte deverbale Adjektive, erklären, dass die vollproduktive Derivation ausgerechnet eine Ausnahmeerscheinung unter den Adjektiven ableiten soll? Bickes hat aus eben diesem Grunde die PI den Verben zugeschlagen, da auch Verben nicht als Prädikatsnomen fungieren können ('84: 122). Morphologisch ähneln PI den deutschen Adjektiven ebenfalls nicht sehr weitreichend: So nehmen PI an der adjektivischen Komparativ- und Superlativflexion grundsätzlich nicht teil. In den Fällen, wo scheinbare PI mit adjektivischer Steigerung auftreten, haben diese PI ihre verbale Argumentstruktur eingebüßt und müssen daher als adjektivisch lexikalisierte Formen gelten: (40)
die enttäuschenden Ergebnisse die ihn Th ema enttäuschendem Ergebnisse die enttäuschenderen Adj Ergebnisse *die ihn Th ema enttäuschenderen Adj Ergebnisse
Dieses Ergebnis lässt sich mithilfe anderer Testverfahren noch erhärten: So erlauben PI genau dann die Präfigierung mit dem adjektivischen Präfix un-, wenn sie keine verbalen syntaktischen Argumente bei sich fuhren (vgl. Lenz '93: 36, Poitou '94: 117): (41)
diese mich befriedigenden Ergebnisse diese unbefriedigenden Ergebnisse *diese mich unbefriedigenden Ergebnisse
Von den vier Kriterien, die Hamann zur Definition der Adjektive bzw. zur Abgrenzung derselben von den Verben heranzieht, erfüllen PI nicht ein einziges (vgl. '91: 662): Die produktiv gebildeten PI sind nicht gradierbar wie Adjektive, sie sind nicht vage, sie sind nicht (zwingend) stativ und zeigen nicht zwingend eine ergative Argumentstruktur.
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
15
Zusammenfassend gilt: Analysen, die PI ausschließlich den Adjektiven oder den Verben zurechnen, erklären die beobachtbare morphosyntaktische Varianz nicht. PI müssen attributiv als Mitglieder zweier unterschiedlicher Wortklassen beschrieben werden, da sie fast immer als Verben, selten aber auch als Adjektive fungieren. Eine weitere interessante Eigenschaft attributivischer PI scheint zu sein, dass sie marginal auch Phänomene zulassen, die dem Scrambling von Argumenten im deutschen Mittelfeld ähneln (vgl. ζ. B. Lenerz '77). Folgende Daten sind zu beobachten: (42)
der einer Frau immer treue Mann der immer einer Frau treue Mann die ihm immer treue Frau die immer IHM treue Frau ??die immer ihm treue Frau
Wie diese Daten zeigen, sind die grundlegenden semantischen und syntaktischen Eigenschaften attributiver Ausdrücke mit den Vorgängen im Mittelfeld des deutschen Satzes vergleichbar: Zum einen können DPen ohne Restriktionen über Adverben hinwegbewegt werden, indefinite DPen werden dabei aber vor dem Adverb generisch, nach dem Adverb hingegen spezifisch interpretiert (vgl. zu den Mittelfeldäquivalenten Diesing '92). Pronomina können auch attributiv nur dann in ihrer Basisposition verbleiben, wenn sie intonatorisch hervorgehoben, mithin fokussiert sind. Unbetonte Pronomina müssen über das Adverb hinweg angehoben werden (vgl. Lenerz '77). Scramblingvorgänge werden in der neueren generativen Literatur häufig unter Rekurs auf ein informationsstrukturelles Inventar funktionaler Kategorien erklärt (vgl. ζ. B. Meinunger 2000, Abraham & Molnarfi 2002). Die Analyse von PI muss also zusammenfassend erklären, in welcher syntaktischen Umgebung PI so lizenziert werden können, dass sie mal adjektivische, mal verbale Eigenschaften aufweisen und welches Inventar einbettender Projektionen hierfür nötig ist. Im Folgenden werden die empirischen Eigenschaften von Partizipien 2 zu einer Analyse des Wortartenstatus dieser Partizipien herangezogen.
1.2.3.2. Zur Wortart des Partizips 2 Die Formen des Partizips 2 bestehen aus dem Verbstamm, sowie dem Präfix ge- und den Suffixen -t oder -en. Beide Suffixe fuhren zu grammatisch gleich zu behandelnden P2-Formen, die Frage, ob der Unterschied zwischen -t und -en phonologisch herleitbar ist (vgl. Fabri & Wunderlich '95: 253ff.) oder nicht (vgl. Wiese '96: 89), ist daher fur die vorliegende Arbeit nicht von Belang. Das Präfix ge- ist, abhängig von der Lage der Wortbetonung, bei manchen Formen des Partizips 2 nicht möglich, vgl. ζ. B. *getelefoniert, *geverfeinert (vgl. hierzu genauer ζ. B. Wiese '96, Zifonun et al. '97, Fabri & Wunderlich '95). Dennoch sind Partizipien 2 von Verben wie telefonieren, verfeinern usw. in ihren grammatischen Eigenschaften völlig parallel zu den Partizipien 2 von Verben, die ge-Formen erlauben (vgl. Erben '80: 166 und Heibig & Buscha '98: 11 lf. für eine vollständige Formenübersicht). Welche Rolle das Präfix daher synchron zur Bedeutung und Grammatik des Partizips 2
16
I. Analyse attributiver Ausdrücke
beisteuert, ist unklar. Historisch trug das Präfix ge- zunächst offenbar eine Aspekt- oder Tempusbedeutung (Ebert '78: 58, vgl. auch Leiss 2000). Das Partizip 2 (im Folgenden: P2) im heutigen Deutsch weist aber eine Fülle weiterer Eigenheiten auf. P2 treten in zwei deutlich unterschiedenen Verwendungsformen auf: Zum einen fungieren sie als infinite Verbformen im Passiv und Perfekt, wobei die Finitheitsmerkmale hierzu periphrastisch von den Hilfsverben sein, haben oder werden beigesteuert werden. P2 treten aber auch attributiv auf, wobei in dieser Position typischerweise keine Hilfsverben zulässig sind. Einer gängigen Auffassung nach sind P2 daher in prädikativer Position Verben, attributiv hingegen treten Formen auf, die als deverbale, derivierte Adjektive zu analysieren sind (in diesem Sinne etwa Faucher '94: 16, Valentin '94: 41 f.). In der attributiven Position zeigen P2 eine deutliche Restriktion bezüglich ihrer Ableitungsbasis: Nur transitive Verben und intransitive Verben, welche sein in der Formation des Perfekt selegieren, sind als attributive Formen zulässig (vgl. Duden '98: 193): (43)
Der Hund ist erschöpft. Ich habe den Kuchen gegessen. Der Hauptmann hat getanzt.
der erschöpfte Hund der gegessene Kuchen *der getanzte Hauptmann
Intransitive imperfektive Verben können allerdings dann als attributive P2 verwendet werden, wenn sie zusammen mit einer Präpositionalphrase auftreten, die den Zielpunkt einer Handlung beschreibt (Eisenberg '94a: 82). In diesem Fall wechseln diese Verben aber wiederum gerade ins se/«-Perfekt (Lenz '93: 42): (44)
Sie hat getanzt. Sie ist ins Zimmer getanzt.
aber.
(45)
*Der getanzte Hauptmann Der in den Rittersaal getanzte Hauptmann
aber.
Interessant ist, dass diejenigen Formen, die attributiv auftreten, sich auch semantisch so verhalten, wie sie es in prädikativer Funktion bei Verwendung mit dem Hilfsverb sein täten (vgl. Eroms 2000: 271): Die attributiven P2 werden fast immer als Zustandspassive, nicht als Vorgangspassive interpretiert. Obwohl ζ. B. Verben wie impfen Vorgangs· und Zustandspassive erlauben, ist die attributive Interpretation hier stets die des Zustandspassivs (vgl. Toman '87: 416): (46)
Die Katzen sind geimpft. Die Katzen werden geimpft. die geimpften Katzen
„ die Katzen, die geimpft sind" *„die Katzen, die geimpft werden "
Ebenso wie PI und Adjektive flektieren auch P2 nach Kasus, Genus und Numerus, wobei die Flexion, wie bei den Adjektiven und PI, nur an wenigen Punkten mit der der Nomina übereinstimmt (vgl. oben).
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
17
Vergleichbar dem PI erlaubt das P2 eine adjektivische Steigerung genau dann, wenn keine verbalen Argumente vorliegen (vgl. Poitou '94: 116): (47)
der von uns gelesene Roman *der von uns gelesenste Roman der am meisten gelesene Roman der gelesenste Roman
Die Präfigierung mit un- ist ebenfalls nur dann uneingeschränkt akzeptabel, wenn verbale Argumente fehlen (vgl. Lenz '93: 39): (48)
das unbepflanzte Beet ?das von Maria unbepflanzte Beet *das auf den Tisch ungelegte Buch
Genau wie PI sind daher auch P2 attributiv wie prädikativ unterteilbar in verbale und adjektivische P2: erstere erlauben es, die komplexe Argumentstruktur des zugrunde liegenden Verbs auszubilden, letztere verhalten sich hinsichtlich ihrer Flexion und Derivation wie Adjektive (vgl. im gleichen Sinne auch Rapp '97: 219, 221). Die verbale attributive Variante des P2 ist typologisch insofern interessant, als synchron auch nahe verwandte Sprachen, wie z.B. das Englische, diese Verwendung offenbar nicht aufweisen: (49)
der dem treuen Fido von den Kindern an den Schwanz gebundene Knallkörper *the onto the tail of faithful Fido by the children attached fire cracker
P2 treten auch in prädikativer Position auf. In dieser prädikativen Position ist die Ableitungsbasis des P2 nicht eingeschränkt; so können nahezu sämtliche Verben produktiv im Perfekt verwendet werden. Auch in dieser Position können P2 w«-präfigiert werden: (50)
Dieses Buch ist unberührt.
In prädikativer Funktion zeigen P2 allerdings wiederum die gleiche Wortartenunterteilung wie in attributiver Position: Das eindeutig verbale Hilfsverb werden ist nur dann möglich, wenn das P2 keine adjektivische Morphologie trägt (vgl. Lenz '93: 39): (51)
* Das Beet wird unbepflanzt.
Auch eindeutig verbale Argumente vertragen sich nicht mit adjektivischer Morphologie (vgl. Lenz '93: 39): (52)
?Das Beet ist von Maja unbepflanzt.
Zusätzlich ergeben sich aber auch uneindeutige P2-Formen: P2, die weder eine verbale Argumentstruktur noch eindeutige morphologische Markierungen wie un- oder adjektivische Steigerungen aufweisen, sind prima facie bezüglich ihres Wortartenstatus uneindeutig (vgl. Lenz '95: 71):
18 (53)
I. Analyse attributiver Ausdrücke der unbesiegte König der vom Feind besiegte König der besiegte König
(P2 = A) (P2 = V) (P2 morphosyntaktisch
uneindeutig)
Semantisch allerdings muss eine gewisse Präferenz dafür eingeräumt werden, diese morphosyntaktisch uneindeutigen Formen als Verben zu betrachten: Die Ableitungsbasis der P2 besteht nämlich aus Verben, die transitiv oder unakkusativ-terminativ sind. Geht man mit Lehmann ('92) und Givon ('79) davon aus, dass Wortarten auch semantisch motiviert sind, ergibt sich der überraschende Befund, dass ausgerechnet die besonders zeitinstabilen Verben (im Sinne Lehmanns und Givons) sich zur Bildung des attributiven P2 eignen, wohingegen Adjektive in den Wortartensystemen beider Autoren vergleichsweise zeitstabile Eigenschaften ausdrücken. Die morphosyntaktisch uneindeutigen P2 wären in diesem Sinne semantisch keine prototypischen Adjektive, was man zumindest als Indiz dafür werten kann, dass sie den Verben zuzurechnen sind. Zusammenfassend zerfallen P2 sowohl prädikativ wie auch attributiv in verbale und adjektivische P2, die sich modulo ihrer offensichtlichen Unterschiede (nämlich hinsichtlich ihrer Position und der KGN-Flexion) in vielen Eigenschaften sehr ähneln. Die einfachste Repräsentation von P2 müsste also so beschaffen sein, dass, ausgehend von der verbalen Ableitungsbasis, jeweils entweder eine Adjektivform deriviert oder aber eine infinite Verbform per Flexion erzeugt werden kann. Angesichts der soeben beschriebenen Doppelfunktion von P2 ist die Annahme, dass die P2-Morphologie in diesem Sinne bifiinktional ist (bzw. dass im Lexikon je zwei homophone Partizipialendungen für P2 vorliegen), eine unabdingbare Minimalannahme. Darüber hinausgehende Vorschläge, die etwa für jede Funktion oder Position von Partizipien eine je eigene Ableitung vorschlagen (vgl. z.B. Zimmermann '85, '88), bedürfen hingegen zusätzlicher Evidenz für jede weitere Unterteilung. Die im vorliegenden Text vorgeschlagene Analyse der Wortarten der Partizipien beruht maßgeblich auf der Verwendung bestimmter syntakto-semantischer und morphologischer Kriterien für die Wortartenzugehörigkeit von Partizipien. Es sind dies die Argumentrealisation sowie die morphologischen Markierungen mit un- bzw. den Steigerungsformen des Adjektivs. Inwieweit aber eignen sich diese Kriterien überhaupt für die Bestimmung der Eigenschaften von Partizipien? Das Präfix un- ist meiner Ansicht nach ein geeignetes Indiz, weil es sich im Deutschen synchron tatsächlich vorrangig mit Adjektiven, auf jeden Fall aber nicht mit Verben verbinden lässt. Zwar existieren Adjektive, die sich nicht ww-derivieren lassen (*ungrün), andersherum gilt aber, dass jede Form, die sich wn-derivieren lässt, als Adjektiv klassifiziert werden muss, da dieses Präfix wortartenspezifisch auftritt (vgl. in diesem Sinne Lenz '93: 33). Gleichzeitig kann un- als gebundenes Präfix nie selbst Kopf eines Wortes im Sinne der Right Hand Head Rule sein (vgl. Williams '81: 248, Di Sciullo & Williams '87: 26), beeinflusst daher also nicht etwa selbst den kategoriellen Status eines Wortes. Ein linguistischer ,Beobachtereffekt' durch die testweise Bildung von ««-Derivaten lässt sich daher sicher ausschließen. Da die Komparation des Adjektivs gemeinhin als Flexion betrachtet wird, ist auch durch sie kein wortartändernder Effekt herbeizuführen. Die Argumentstruktur ist deshalb gut geeignet, als Kriterium zu fungieren, weil nur Verben das gesamte Argumentspektrum lizenzieren. So regieren nur Verben das vollständige Kasusparadigma (inkl. Nominativ und Akkusativ), während Adjektive (mit den
1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen
19
möglichen genannten Ausnahmen) dies, wie oben ausfuhrlich diskutiert, nicht vermögen (vgl. Abraham '95: 241, von Stechow & Sternefeld '88: 146).
1.2.3.3. Attributive Partizipien als Realisation verbalen Aspekts PI und P2 realisieren eine Opposition, die in alten Schulgrammatiken als Tempus aufgefasst wird: Das PI steht demnach für das Präsens, das P2 für das Präteritum. Das PI mit zu wird als Futurum, eine zusammengesetzte Form aus P2 und habend als Perfekt aufgefasst (vgl. Ehrhard '94: 197f.). Die zusammengesetzte Form aus P2 und habend ist aus dem heutigen Gebrauch weitgehend verschwunden, daher besteht nur noch eine binäre Opposition zwischen PI und P2 (wenn man die Form aus PI + zu als modale Variante betrachtet): (54)
der ankommende Zug der angekommene Zug
Diese Opposition wird heute nicht mehr in der Kategorie Tempus gefasst, da andere, genauer zutreffende Beschreibungen verfügbar sind. Oubouzar gilt das PI als durativ, das P2 als resultativ ('94: 184). Auch Faucher behandelt die Opposition als Realisation verbalen Aspekts ('94: 11). Marillier hält gerade diese Aspektinterpretation für unhaltbar ('94: 22f.), da P2 nicht generell perfektiv seien: P2 seien vielmehr Adjektive und drückten die Aktionsart Iterativ aus. Als Gegenargument für letztere Position mag gelten, dass Adjektive im Deutschen nicht systematisch Aktionsart kodieren, da Aktionsart eine verbale Kategorie ist. Die skeptische Haltung, Partizipien wiesen gar keine zeitlinguistisch relevanten Eigenschaften auf (vgl. Quintin '94: 101 f.), ist unglaubwürdig: Wie kommt die Interpretation zustande, nach der ein angekommener Zug sich zum temporal durch das finite Vollverb indizierten Zeitpunkt an seinem Haltepunkt befindet, während ein ankommender Zug denselben eben erst erreicht? Die vorliegende Arbeit liefert keine neuen Erkenntnisse zu den zeitlinguistischen Eigenschaften partizipialer Ausdrücke oder zu den Tempora des Deutschen, da diese für die vorliegende Analyse kaum relevant sind (vgl. aber hierzu ζ. B. Klein & Vater '98, Lenerz '86, Thieroff '92, Vater '93, Wunderlich '97). Wichtig erscheint nicht, welche, sondern lediglich, dass Partizipien eine zeitlinguistische Opposition kodieren - wie auch immer diese genau gefasst werden muss. Generell scheint mir aber die Analyse als Aspekt am unproblematischsten zu sein: Sie sagt nicht voraus, dass Partizipien Tempus kodieren und somit in der Lage sein müssten, zeitliche Verortungen auszudrücken. Dies können attributive Partizipien tatsächlich nicht: Sie bezeichnen einen gegenwärtigen oder abgeschlossenen Vorgang vis-ä-vis der zeitlichen Verortung durch das Verb des einbettenden Satzes (vgl. Duden '98: 190). Nimmt man für Partizipien eine Aspektopposition an, so brauchen sie keine Aktionsart auszudrücken - eine Kategorie, die in den grammatischen Beschreibungen des Deutschen von jeher als nur sehr eingeschränkt produktiv betrachtet wird (z.B. durch Derivationsmorphologie in Paaren wie trinken/ austrinken etc. ...). In einigen in ihrer Zielsetzung und theoretischen Rahmenbedingungen vergleichbaren Arbeiten (vgl. z.B. Brandt '93: 195, Wunderlich '87: 357) wird dieser Gegensatz zwischen PI und P2 ebenfalls in der Kategorie Aspekt geführt. Im Folgenden werde ich diese Opposition daher einheitlich als Aspekt bezeichnen - ohne
20
I. Analyse attributiver
Ausdrücke
dass mit dieser Bezeichnung eine weitergehende Behauptung zu ihrem zeitlinguistischen Status verbunden wäre. Festzuhalten ist auch an dieser Stelle, dass Wortartenklassifikationen, die die Ausprägung verbaler referentieller Argumente als Klassifikationskriterien heranziehen, die zeitlinguistischen Eigenschaften von Partizipien zum Anlass nehmen müssten, diese als Verben - und nicht als Adjektive - zu klassifizieren (vgl. ζ. B. Steinitz '97, Wunderlich '96). Auch die produktive Bildung adjektivischer P2 ist unproblematisch für diese Klassifikation, da den adjektivischen P2 weder attributiv noch prädikativ eine produktive Klasse adjektivischer PI paradigmatisch gegenübersteht.
1.2.3.4. Attributive Partizipien als Realisation des Genus Verbi Attributive PI und P2 werden in fast allen einschlägigen Beschreibungen über ihre zeitlinguistischen Eigenschaften hinaus als Realisationen des Genus Verbi aufgefasst: So bezeichnet der Duden das P2 als „,passives Gegenstück' zum ,aktiven' 1. Partizip" ('98: 192). Nach Eisenberg haben P2 eine „,passivische' Rektion" ('94a: 80). Eroms interpretiert Präsenspartizipien „aktivisch, die Passivpartizipien passivisch" (2000: 275). Für Mariliier sind PI sind „subjekt-/agensbezogen" ('94: 25), P2 hingegen werden als „objekt-/patiensbezogen und zweitrangig subjekt-/agensbezogen" ('94: 26) eingestuft (zur Kritik an der Diathesenanalyse vergleiche ζ. B. Abraham '98). Das Genus Verbi gilt gemeinhin nun ebenfalls als verbale Kategorie (vgl. z.B. Bybee '85: 23f.) - die adnominalen PI und P2 müssten demnach als Verben klassifiziert werden.
1.3. Zusammenfassung und Tabelle Partizipien lassen durch ihre komplexen Eigenschaften die einfache Gleichung, nach der attributive Vorkommen als Adjektive, prädikative hingegen als Verben zu behandeln wären, nicht zu. Die Kombination von morphologischem Wechsel zwischen den Wortarten Adjektiv und Verb und syntaktischem Wechsel zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit verbaler Argumentrealisationen lassen vielmehr darauf schließen, dass Partizipien attributiv wie prädikativ in je zwei Varianten vorliegen. Auch die weiteren Eigenschaften der Pl-P2-Opposition weisen auf das Vorkommen verbaler attributiver Partizipien hin: So sind die Kategorien Aspekt wie auch Genus Verbi typologisch zentrale verbale Kategorien (Bybee '85: 23f.). Für die Kategorie des Genus Verbi gilt dasselbe gerade auch speziell für das Deutsche (Eisenberg '98: 200). Die Vermutung, dass viele Partizipien auch attributiv als Verben zu klassifizieren sind, erhält also typologische wie einzelsprachliche Bestätigung. Die Problematik der Kategorienzugehörigkeit der Partizipien wird in Tabelle (A) im Überblick deutlich:
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1. Empirische Eigenschaften attributiver Ausdrücke im Deutschen Tabelle (A): Verben, Partizipien, Adjektiv
Adjektive Attributives P2
PI
P2, verbal, prädikativ
adjektivisch verbal
finites Verb
KGN
Ja
Ja
Ja
Ja
Nein
Nein
Steigerung ««-Derivation
Ja Ja
Ja Ja
Nein Nein
Nein Nein
Nein Nein
Nein Nein
Attributive Position
Ja
(Ja)
(Ja)
Ja
(Nein)
Nein
Verbale Argumente Tempus/Aspekt Genus Verbi
Nein
Nein
Ja
Ja
Ja
Ja
Nein Nein
Nein Nein
Ja Ja
Ja Ja
Ja Ja
Ja Ja
Wie man erkennt, sind attributive adjektivische P2 und Adjektive hinsichtlich ihrer Kategorienzugehörigkeit unproblematisch Adjektive. Ebenso spricht nichts gegen die Klassifikation prädikativer, verbaler P2 als Verben. Problematisch hingegen sind attributive verbale P2 und die produktiv gebildeten PI (mit Ausnahme der adjektivisch lexikalisierten Formen). Für diese gilt, dass sie die meisten Eigenschaften mit Verben teilen, aber hinsichtlich ihrer Position und ihrer KGN-Flexion verbuntypisch sind. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, als seien bezüglich einer Wortartenklassifikation grundsätzlich alle linguistischen Eigenschaften gleichermaßen relevant. Ebenso wenig müssen zwangsläufig alle linguistischen Eigenschaften bestimmter Wörter gleichzeitig auf eine eindeutige Klassifikation hindeuten - denkbar wären durchaus Zwischenkategorien, die Eigenschaften verschiedener Wortarten vereinen. Was die Partizipien des Deutschen aber von einer solchen Behandlung ausnimmt, ist gerade der Zusammenhang zwischen den verbalen und adjektivischen Eigenschaften: Nimmt man die attributive Position und die KGN-Flexion aus der Betrachtung heraus, so wechseln die anderen verbalen bzw. adjektivischen Eigenschaften tatsächlich immer en bloc, d. h. eine freie oder gemischte Eigenschaftszuweisung ist gerade nicht möglich. Partizipien daher ζ. B. als unterspezifizierte Kategorie aufzufassen erklärt diesen offensichtlichen Zusammenhang nicht und muss ihn zwangsläufig als Zufall darstellen. Gleichzeitig muss fur das Deutsche gelten, dass es (gegenwärtig) eine Sprache mit klaren Wortartentrennungen ist. Eine einheitliche Beschreibung der Grammatik des Deutschen hätte demnach großes Interesse daran, eine deutliche Trennung syntaktischer Kategorien auch für Partizipien annehmen zu können. Ließe sich die attributive Position und die KGN-Flexion sowohl Verben als auch Adjektiven zugänglich machen, stünden diese auch einer Analyse der kategoriell ambigen Partizipien nicht mehr im Wege. Eine solche Analyse müsste selbstverständlich dennoch die adjektivischen und verbalen Eigenschaften erklären. Außerdem gilt es, eine Begründung dafür zu finden, wieso attributive P2 in ihrer Ableitungsbasis beschränkt sind.
22
I. Analyse attributiver Ausdrücke
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen Die besondere Eigenschaft meiner Analyse ist die, dass in der attributivischen Position sowohl verbale wie auch adjektivische Partizipien scheinbar eine Kasus-, Genus-, und Numeruskongruenz mit dem Kopfnomen aufweisen. Dies ist unter der Annahme, dass Verben im Deutschen keine solche Flexion tragen können, problematisch. Ältere Analysen haben daher stets versucht, die Partizipien durch verschiedene Mechanismen den Adjektiven (oder einer eigenen Klasse) zuschlagen zu können. Kapitel 2.1 liefert einen Überblick über ältere Analyseansätze und zeigt auf, welche Schwächen diese älteren Versuche aufweisen. In Kapitel 2.2 wird eine Analyse vorgestellt, die die oben definierten Desiderata umsetzt. Ließe sich eine andere Charakterisierung der vorgeblichen KGN-Flexion finden, die mit einem verbalen wie adjektivischen Status attributiver Partizipien vereinbar wäre, so wäre eben diese klare Wortartendistinktion auf morphologischer Ebene auch für Partizipien repräsentierbar. Könnte zudem die Position der attributiven Partizipien in der NP geklärt werden, verlören die Partizipien ihren theoretisch problematischen Sonderstatus völlig.
2.1. Ältere Analyseansätze für attributive Ausdrücke Der je unterschiedliche theoretische Rahmen, in dem in der Vergangenheit attributive Partizipien analysiert wurden, legte jeweils bestimmte Werkzeuge bereit, die von diesen älteren Analysen verwendet wurden. Die Merkmalsanalyse ehemals monolithischer Wortarten legte ζ. B. nahe, in Anlehnung an die Verfahren der Phonologie, neutralisierbare Wortartenmerkmale (und damit auch potentiell natürliche Klassen von Wortarten) anzunehmen. Morphosyntaktische Modelle, die die modulare Trennung von Morphologie und Syntax überbrücken wollten (wie etwa die Wortsyntax), konnten bestimmte zusätzliche morphologisch-syntaktische Prozesse postulieren. Theoretische Innovationen der Morphologie, wie etwa die Level Ordering Hypothesis, wurden ebenfalls zur Analyse attributiver Ausdrücke genutzt (vgl. Allen '78). Im Folgenden wird gezeigt, mit welchen empirischen und konzeptuellen Problemen diese älteren Analysen konfrontiert sind.
2.1.1. Merkmalsneutralisation Die generative Grammatik hat, angeregt durch eine Mutmaßung in Chomsky ('70), versucht, Wortarten als Ausprägungen von basaleren Merkmalskombinationen aufzufassen und so ihren Status als Primitiva der Theorie aufzubrechen (vgl. ζ. B. die einflussreiche Klassifikation in Jackendoff '77). Verschiedene Ausformungen dieser Versuche sind in der Literatur hinreichend diskutiert worden (vgl. Abney '87, Bresnan '82, Chomsky '81, '95a, Jackendoff '77, Reuland '86, Steinitz '97, Stowell '81, Wunderlich '96, Zimmermann '85, '88, '91, 2003). Durch die Auffassung von Wortarten als Merkmalsbündeln ergibt sich die Möglichkeit, natürliche Klassen von Wortarten zu bilden: Das Merkmal [+N] vereint z.B. Nomina und Adjektive und stellt ihnen die
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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Kasuszuweiser Verb und Präposition als [-N] gegenüber. In der Merkmalssystematik von Chomsky ('81) werden Adjektive und Verben insofern zu einer natürlichen Klasse, als dass sie im Merkmal [+V] übereinstimmen. Hierdurch ergibt sich nun auch durch Unterspezifikation in Bezug auf das Merkmal [±N] die Möglichkeit, eine Oberklasse zu bilden, die gleichzeitig Eigenschaften von Adjektiven und Verben aufweist. In der Literatur ist nun verschiedentlich vorgeschlagen worden, Partizipien als Realisation eben dieser merkmalsneutralisierten Klasse aufzufassen (vgl. z. B. Toman '86, '87, Rapp '97).
2.1.2. Probleme des Neutralisationsansatzes Wie sich leicht zeigen lässt, weisen Neutralisationsansätze angesichts der genannten Eigenschaften von Partizipien prinzipielle Probleme auf: Partizipien müssten nämlich unter der Maßgabe der kategoriellen Nichtdistinktivität sowohl in Kontexten auftreten, die von Adjektiven akzeptiert werden, als auch in Kontexten, für die Verben geeignet sind. Diese Analyse führt nun aber in einer genauen Auslegung zu Widersprüchen: So müssten die Partizipialformen ζ. B. morphologisch als Adjektive fungieren können und demzufolge adjektivische Flexionsmorphologie akzeptieren. Da aber Flexionsmorphologie per definitionem wortarterhaltend ist, dürfte diese Operation an der Merkmalsspezifikation des Partizips, [+V], keine Änderungen vornehmen (vgl. etwa Stump '98). Ohne weitere Zusatzannahmen würde nun hieraus direkt folgen, dass auch adjektivisch flektierte Partizipien in der Syntax wiederum als Verben fungieren können müssten und genau dies ist empirisch, wie oben gezeigt, nicht der Fall: Partizipien weisen eben gerade nicht gleichzeitig Eigenschaften von Adjektiven und Verben auf, sondern fungieren entweder als Adjektive oder aber als Verben: Eine eindeutig adjektivische Flexion (wie Komparativ und Superlativ) macht eindeutig verbale Eigenschaften (d. h. die komplexe Argumentstruktur) unmöglich. Zusammenfassend muss also gelten, dass Partizipien keine Mischkategorie sind, sondern zwei Kategorien, die in deutlich unterscheidbaren Verwendungen auftreten. Das heißt auch, dass es eine klare Wortartengrenze gibt, die die Partizipien in zwei Kategorien zerfallen lässt. Festzuhalten ist, dass Analysen, die ausschließlich auf Merkmalsneutralisation beruhen, falsche Vorhersagen zu den empirischen Eigenschaften insbesondere der verbalen Partizipien machen. Andere Analysen haben daher versucht, verbale und adjektivische Partizipien in verschiedenen Wortarten anzusiedeln, um die wechselnden Eigenschaften zu erklären.
2.1.3. Merkmalserweiterung Zimmermann ('85, '88) schlägt vor, den einer Merkmalsneutralisation diametral entgegenstehenden Weg zur Analyse von Partizipien einzuschlagen: Sie setzt ein erweitertes Merkmalsinventar an, um die verschiedenen Unterklassen von Partizipien in ihren jeweiligen Eigenschaften genauer repräsentierbar zu machen. Dementsprechend sieht ihre Analyse vor, Wortarten nicht nur auf Basis der etablierten Merkmale [N] und [V] einzuteilen, sondern enthält darüber hinaus die Merkmale [A], [Adv], [Q] und [P] ('85: 163).
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
Später wird dieses System um die Merkmale [Q] und [P] gekürzt, Zimmermann ('88) nimmt damit die verbleibenden vier Wortartenmerkmale [Ν], [V], [A] und [Adv] an.
2.1.4. Probleme der Merkmalserweiterung Beide Analysen Zimmermanns erweisen sich aus konzeptuellen und empirischen Erwägungen als ungeeignet. Das Merkmalsinventar wird, meines Erachtens völlig ad hoc, über die Maßen erweitert, um die verschiedenen Verwendungsweisen von Partizipien zu erfassen. Jeder Verwendungsweise eines Partizips wird eine je eigene Wortart unterstellt, die die gerade benötigten Eigenschaften der Verwendung per Stipulation erklärt. Verloren geht hierbei allerdings die Möglichkeit, die empirischen Gemeinsamkeiten der verschiedenen Unterklassen zu erklären: In Zimmermanns Analyse muss es als Zufall gelten, dass die Partizipialklassen einen Großteil ihrer Mitglieder gemein haben - und damit also homonyme Formen stets in mehreren unterschiedlichen partizipialen Wortarten vertreten sind. Als noch problematischer erweist sich die Tatsache, dass die erweiterte Merkmalsspezifikation, die Zimmermann für die Analyse von Partizipien verwendet, ja nun auch prinzipiell in nicht-partizipialen Wortarten spezifiziert werden muss. Mag man einige der vorgeschlagenen Merkmale auch sinnvoll zur Beschreibung weiterer Wortarten verwenden können, ergibt sich dennoch die insgesamt problematische Vorhersage, dass ein Wortartensystem, welches vier Merkmale mit je zwei Merkmalswerten (zuzüglich der Möglichkeit der Merkmalsneutralisation) verwendet, erwarten lässt, dass in den Sprachen der Welt typischerweise etwa 4 3 , also 64 Wortarten existieren - nach Vorgabe von Zimmermann ('85) sogar 6 3 Wortarten! Rein empirisch dürfte es schwer fallen zu zeigen, dass die Sprachen der Welt typischerweise über 216 distinkte Wortarten verfugen. Ein weiteres Problem liegt nun auch darin, dass Partizipien, unter eine Analyse der Merkmalserweiterung, zwangsläufig Mitglieder in vielen verschiedenen Wortarten werden. Dies ist theoretisch unelegant, da unerklärlich wird, warum bestimmte Wörter (Partizipien), aber nicht andere (eben z.B. Nomina, Verben, Adjektive, Präpositionen, ...), stets Mitglieder mehrerer Wortarten sind. Man mag sich gar fragen, inwieweit das Problem der Mischeigenschaften von Partizipien durch eine Merkmalserweiterung nicht in einem zentralen Bereich der Grammatik, der Wortartentheorie, festgeschrieben wird: Partizipien sind auch und gerade unter diesem Analyseansatz radikal anders als Mitglieder der ,großen' Wortarten Nomen, Verb, Adjektiv, Präposition usw.! Von einer Lösung kann aber auch dann nicht die Rede sein, wenn zwischen den verschiedenen Wortarten einer merkmalserweiterten Repräsentation eine Ableitungsbeziehung postuliert wird: So nimmt Zimmermann in einer anderen Analyse an, dass einige P2 Verben sind (2003: 630). Um nun eine Ableitungsbeziehung zwischen verbalen und adjektivischen P2 zu etablieren, geht Zimmermann davon aus, dass hier eine Konversion vom Verb zum Adjektiv vorliegt (2000: 239, 2003: 634). Problematisch an dieser Analyse ist nicht nur die theoretisch nicht wünschenswerte Tatsache, dass hier Konversion zum massenhaft auftretenden Phänomen wird (da eine bedenklich große Zahl von P2 auch adjektivisch verwendet werden kann). Viel schwerwiegender ist, dass ausgerechnet die Konversion vom Verb zum Adjektiv im Deutschen andernorts gar nicht nachgewiesen werden kann! Es gilt: „Es gibt nur wenige deadjektivische
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Konversionsverben [...] und die umgekehrte Richtung vom Verb zum Adjektiv ist gar nicht möglich" (Eschenlohr '97: 33, vgl. gleichbedeutend Olsen '90: 187, Vogel '96: 240). Analysen mithilfe von Merkmalserweiterungen befinden sich also in dem Dilemma, den Sonderstatus der Partizipien entweder in der Wortartenklassifikation festzuschreiben (Vervielfältigung partizipialer Formen im Lexikon, gleichlautende und annähernd gleichbedeutende Elemente verteilen sich, je nach Verwendung, auf verschiedene Wortarten), oder aber in der Morphologie (Partizipien steht eine morphologische Operation offen, die keinem anderen Verb zugänglich ist). Ich halte aus den genannten empirischen und konzeptuellen Gründen Analysen, die auf erweiterten Merkmalssystemen basieren, generell für ungeeignet, die beobachtbaren Eigenschaften von Partizipien in nicht-stipulativer Weise zu repräsentieren. Analysen, die eine Vielzahl neuer Wortarten stipulieren, werden daher im Weiteren nicht thematisiert. Verschiedene Versuche wurden allerdings unternommen, um neue Analysevarianten zu entwickeln, die mithilfe der etablierten Wortartenmerkmale auskommen, ohne die Schwächen der alten Ansätze aufzuweisen. Im Folgenden werden drei einflussreiche Arbeiten vorgestellt: Toman ('86, '87) arbeitet mit einem Ansatz, der das Mittel der Merkmalsneutralisation aufweist, über eine zusätzliche syntaktische Beschreibung der Funktionsweise attributiver Ausdrücke aber neue Erkenntnisse auszudrücken vermag. Wunderlich ('87) hingegen unternimmt den Versuch, Partizipien einer nicht-neutralisierten Kategorie zuzuweisen und ihre Eigenschaften mithilfe der morphologischen Level Ordering Hypothesis zu erklären.
2.1.5. Syntaktische Zusatzannahmen: Wortsyntax Toman ('86, '87) schlägt eine Analyse attributiver Partizipien unter Zuhilfenahme der von ihm entwickelten Variante der Wortsyntax (vgl. Toman '83) vor. Dieser Analyse nach werden PI und P2 in der Grammatik sehr unterschiedlich repräsentiert: während P2 als neutralisierte Formen aufgefasst werden, betrachtet Toman PI als Instanzen phrasaler Affigierung. Toman geht im Anschluss an Haider ('84) davon aus, dass lediglich ein einziges P2 existiert ('86: 368). Die verschiedenen Argumentrealisationen von P2, die andere Autoren zur Annahme verschiedener, homophoner P2-Formen gefuhrt hat, erklärt Toman durch eine Zusatzannahme im Rahmen der Wortsyntax: Toman definiert den syntaktischen Verbund, den P2 und Auxiliar bilden, als Domäne der Argumentvererbung - ein Vorgang, der gemeinhin in der Morphologie angesiedelt wird. Da die Unterscheidung zwischen Morphologie und Syntax im Rahmen der Wortsyntax nun gerade aufgeweicht werden soll, nutzt Toman die Argumentrealisation von P2 (als Instanzen einer modulüberschreitenden .Kollaboration') als empirisches Indiz zur Stützung der Grundannahmen der Wortsyntax. Toman definiert eine Vererbungstheorie für Argumente, in der Auxiliare Argumentpositionen bereitstellen, die durch die Semantik des P2 mit „theta-content" gefüllt werden (vgl. '86: 372f.):
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
(55) +V.-N Δ internal... Δ θ-content
+V, —Ν + internal... Δ θ-content A k
-max, -min
sei-, +V, - N internal... zero θ-content
~angekommen +V, 0 Ν + internal... (some) θ-content
In der attributiven Position können P2 deshalb figurieren, weil sie im Wortartenmerkmal [N] neutralisiert sind ('86: 373). Da in der attributiven Position nun aber kein Auxiliar möglich ist, muss Toman auf anderem Wege erklären, warum P2 nur in passivischen Varianten auftreten können. Toman geht davon aus, dass Adjektive im unmarkierten Fall nur interne Argumente zulassen ('86: 381). Werden P2 nach der Maßgabe der kategoriellen Nicht-Distinktheit in eine adjektivische Position eingesetzt, können nach seiner Unakkusativitätshypothese nur interne Argumente in dieser Umgebung realisiert werden ('86: 381). PI sind fur Toman, anders als P2, verbale Formen: Toman geht davon aus, dass PI zunächst eine VP projizieren, innerhalb derer sie in der Lage sind, alle ihre Argumente obligatorisch zu realisieren (vgl. Toman '86: 387f.). Die Verwendung in der attributiven Position erklärt Toman nun wiederum durch wortsyntaktische Mittel: So ist das Partizipialsuffix -end für Toman kein Suffix, welches an den Verbstamm affigiert wird. Vielmehr ist -end ein ,phrasales Affix', welches an eine ganze VP angehängt wird ('86: 388). Dieses Affix trägt Merkmale der Kategorie INFL, ohne aber Finitheitsmerkmale aufzuweisen. PI sind für Toman mithin nicht-finite pränominale Satzstrukturen. Durch eine Neudefinition der Kategorie INFL erreicht Toman nun, dass die gesamte PI-IP unter der Maßgabe kategorieller Nicht-Distinktivität als AP verwendet werden kann und sich somit zum Attribut eignet ('86: 389):
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2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen (56)
end (Die Bezeichnung aller Projektionsstufen von Ν als „N" ist die Bezeichnung bei Toman '86: 389, angesichts der Konventionen der X-bar-Theorie möglicherweise ein Druckfehler.) Ähnliche Analysen liefert übrigens Drijkoningen für die präsentischen Partizipien des Holländischen und Französischen ('87), sowie Williams ('80) für weitere infinite Konstruktionen, so auch ζ. B. Attribute im Englischen. Probleme, die dieser Art von Analysen fur P2 und PI gemein sind, werden im folgenden Abschnitt thematisiert.
2.1.6. Probleme der wortsyntaktischen Analyse Toman muss für seine Analyse eine ganze Reihe von Zusatzannahmen machen. Erwähnt werden darf hier ζ. B. die Tatsache, dass mit der phrasalen Argumentvererbung und der phrasalen Affigierung Prozesse vorliegen, die nur in einer ganz bestimmten Theorieausformung überhaupt zur Verfügung stehen. Selbstverständlich steht es jeder Analyse frei, den theoretischen Rahmen, der ihre Vorbedingungen enthält, frei zu wählen. Jedoch muss daraufhingewiesen werden, dass Tomans Analyse von PI eben nur unter den Annahmen der Wortsyntax überhaupt zu formulieren ist - und in andersartigen Theorierahmen daher schlicht keine Entsprechung finden kann. Inwieweit daher durch diese konkrete Analyse ein substantielles Wissen über die Struktur erreicht werden kann, ist fraglich - möglicherweise repliziert sie nur ihre eigenen Axiome. Vorzuziehen wäre in jedem Falle eine Analyse, deren wichtige Generalisierungen in mehr als nur einem theoretischen Rahmen formulierbar sind. Ein wesentlich konkreterer Mangel ist die hohe Zahl von Zusatzannahmen, die innerhalb des theoretischen Rahmens von Toman angesetzt werden. Toman geht ζ. B. von einer Theorie der Argumentrealisation aus, die nicht der in der Government and
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
Binding Theory üblichen Thetaprojektion entspricht - unter anderem muss Toman eine Unterscheidung zwischen Thetarollen und Thetapositionen annehmen, die zudem separat von zwei verschiedenen Wörtern (nämlich Partizip und Auxiliar) kollaborativ beigesteuert werden. Außerdem umfasst seine Analyse eine Projektion eines INFLKopfes zur AP, ein klarer Verstoß gegen Regeln der X-bar Grammatik (vgl. in diesem Sinne auch Wunderlich '87: 350). Ließe Toman aber die Annahme dieser AP/IPProjektion fallen, würden einige Erklärungsansätze seiner Analyse ausgehebelt. Der in 1° realisierte verbale Aspekt auf PI würde nämlich ebenso unerklärlich wie die Frage nach der Argumentrealisation von PI: Diese beruht für Toman auf der Annahme, dass der PI-Verbstamm seine Argumente innerhalb der VP unrestringiert realisieren kann und die Ableitung zum Adjektiv eben erst durch die AP/IP eintritt! Einige weitere Fehler der Analyse wurden bereits von Wunderlich bemängelt: So kann PRO in Tomans Analyse nicht in der vorgeschlagenen Weise mit dem Kopfnomen koindiziert sein: Dies verstieße gegen den i-in-i-Filter (Wunderlich '87: 361). Zudem ist PRO in der von Toman vorgeschlagenen Position unzulässigerweise lexikalisch regiert (Wunderlich '87: 360). Empirische Kritik betrifft die möglichen Ableitungsbasen von PI: Diese können nicht von allen Verben abgeleitet werden: *habend, *seien, *könnend, *müssend (Wunderlich '87: 350). Geht man allerdings mit Toman von einer phrasalen Affigierung aus, so stellt sich die Frage, wie das phrasale Affix -end einen syntaktischen Prozess verhindern will, der eigentlich eben allen Mitglieder der Wortart Verb offen stehen müsste (Wunderlich '87: 350). Toman mutmaßt allerdings (aus rückblickender Sicht korrekt), dass Auxiliarverben selbst als I°-Elemente aufgefasst werden müssen, die sich aus bestimmten Selektionsgründen nicht mit dem I-Kopf -end verbinden lassen ('87: 413). Ein weiteres Problem der Analyse Tomans ist ihre Komplexität: Da Toman eine für Adjektive und P2 gleiche Repräsentation anstrebt, muss für einen kurzen Attributionsausdruck wie „die kluge Jungfrau" die gleiche Struktur angenommen werden, die Toman auch für die Realisation von komplexen Partizipialausdrücken annimmt. Die Repräsentation [die op, npj i, kluge Jungfrau] ist Wunderlich zu kompliziert ('87: 361f.), die postulierten leeren Elemente erscheinen ihm „dubios" (Wunderlich '87: 364). Toman schlägt vor, P2 als im Merkmal [N] neutralisierte Kategorie zu betrachten, die als [+V] unterspezifiziert sind. Dies ist aber gerade in dem von ihm gewählten Wortsyntaxansatz äußerst problematisch: Die Einsetzung von P2 in Positionen, die entweder adjektivische oder verbale Eigenschaften mit dem P2 realisieren, soll durch diese Unterspezifikation erlaubt sein. Nun handelt Toman aber im Rahmen der Wortsyntax eben auch morphologische Prozesse in der Syntax ab, so dass sich die Frage stellt, warum Partizipien als [+V] dann nicht auch solchen wortsyntaktischen Prozessen unterworfen werden können, die über Adjektive operieren. Mit anderen Worten erklärt Tomans Analyse nicht die Tatsache, dass die wortartenspezifischen Merkmale, die P2 aufweisen, stets en bloc auftreten, P2 (modulo ihrer Position und KGN-Flexion) also klar in verbale und adjektivische P2 zerfallen! Dies ist insbesondere dort augenfällig, wo Tomans Unakkusativitätshypothese bestimmte verbale Argumente nicht zuverlässig genug ausfiltern kann: So werden bei P2 ja auch PP-Argumente und Dativobjekte durch M«-Präfigierung unmöglich! Dieser Befund kann durch die Unakkusativitätshypothese nicht widerspruchsfrei erklärt werden: Sollten P2 tatsächlich nur eine einziges internes Argument pränominal mit sich führen dürfen, warum sind dann oblique Argumente
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möglich? Wenn P2 aber mehr als ein Argument bei sich fuhren dürfen, warum wird dann auch das zusätzliche Argument durch ««-Präfigierung unmöglich? Mit einem Wort: Wie erklärt Toman die Kontraste in (57)? Die Kasusverhältnisse scheinen keine mögliche Erklärung zu sein, da zumindest im Falle des PP-Arguments P° selbst die Kasusmarkierung der NP lizenzieren kann und auch Adjektive (ζ. B. stolz, neidisch,...) PP-Argumente bei sich fuhren können: (57)
Das [auf den Tisch gelegte] Buch Das [dem Großvater gegebene] Buch *Das [auf den Tisch ungelegte] Buch *Das [dem Großvater ungegebene] Buch
Die in der traditionellen Grammatik etablierte Auffassung, dass PI und P2 als paradigmatische Oppositionen in Aspekt und Genus Verbi aufgefasst werden können (vgl. oben), wird in Tomans Analyse nurmehr schwer ausdrückbar: PI und P2 sind fur Toman Mitglieder verschiedener Wortarten, die in sehr unterschiedlicher Weise zu repräsentieren sind.
2.1.7. Morphologische Zusatzannahmen: Level Ordering Hypothesis Wunderlich versucht, die relevanten Eigenschaften von Partizipialformen morphologisch herzuleiten. Er nimmt an, dass die Partizipialmorphologie lexikalisch auf den verschiedenen Stufen einer lexikalischen Morphologie (die nach der Level Ordering Hypothesis strukturiert ist, vgl. Allen '78) appliziert und jeweils bestimmte semantosyntaktische Konsequenzen hat. Wunderlich geht davon aus, dass -n und irreguläres -t auf Stufe I der Morphologie (irreguläre Flexion und Typ-I-Derivation) angesiedelt werden können, das reguläre -t hingegen ein Affix der Stufe III (reguläre Flexion und Phrasenkomposition) ist. Der Effekt der Partizipialmorphologie ist in jedem Fall, dass PI die Wortartenmerkmale [+V, +N] erhalten. PI sind für Wunderlich demnach Adjektive (Wunderlich '87: 351). P2 müssen als ambig dargestellt werden, daher nimmt Wunderlich an, dass diese zunächst als verbale Formen mit der Merkmaisspezifikation [+V, - N , +PART] erstellt werden (ebd.). Diese Klassifikation als Verb kann aber durch eine Konversionsregel aufgehoben werden, die partizipiale Verben in Adjektive umwandelt (ebd.): (58)
[+V,-N, +PART] -> [+V,+N]
Diese Konversionsregel appliziert nach Wunderlich optional (ebd.). Die resultierende Struktur auf Stufe III ist demnach für das (adjektivische) Partizip eingespartes die Folgende (Wunderlich '87: 352):
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
(59) A1
/ain/
A
/s/
V
/g/
V V
Ν
I /spar/ (Die Repräsentation von /spar/ in dieser Schreibung findet sich bei Wunderlich, vgl. ebd.) PI werden hingegen direkt lexikalisch als deverbale Adjektive deriviert: Die verbale Infinitivendung -n wird auf Stufe III dem Verbstamm angefugt (Schwa-Epenthese ergibt die Infinitivendung), das PI-Suffix -d fuhrt zur Ableitung zum Adjektiv (Wunderlich '87: 352). PI werden also durch -d zum Adjektiv deriviert, erben dabei aber die Argumentstruktur des zugrunde liegenden Verbs. Die Repräsentation eines PI mit dem Modalelement zu lässt sich an Wunderlichs Beispiel einzusparendes demonstrieren: (60) A1
/ain/
A
/tsu/
/s/
V V
/n/
I /spar/ Im Folgenden werden die Probleme der Partizipienanalysen Wunderlichs angesprochen.
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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2.1.8. Probleme der Level Ordering Analyse Wunderlich kann, unter Annahme der Level Ordering Hypothesis als theoretischem Bezugsrahmen, eine morphologische Feinanalyse vornehmen, die das PI-Suffix -end als komplexe Form betrachtet: -end zerfällt demnach in das verbale Infinitivsuffix -nund die partizipiale Endung -d- ('87: 352). Diese Analyse widerspricht nun aber nach Toman den diachronen Gegebenheiten, -end ist demnach eine Form, die sprachhistorisch als stabile simplexe Form nachzuweisen ist ('86: 388). Wunderlichs Analyse ist demzufolge zwar nicht synchron unhaltbar, sie fuhrt aber implizit zu einer Darstellung, die zwischen den älteren Sprachstufen und der synchron beobachtbaren Sprache einen Sprachwandelprozess postulieren muss. Der theoretische Aufwand, den Wunderlich anstrengen muss, ist demnach ungleich höher, als es seine auf den ersten Blick einfach erscheinende Analyse glauben machen könnte. Auch synchron postuliert Wunderlich einige Prozesse, die nach gängiger Auffassung nicht möglich sein sollten: So ist die Annahme der Konversion eines verbalen P2 zum adjektivischen P2 eine reine Stipulation, die ad hoc die angeblich ,adjektivischen' Eigenschaften von attributiven P2 zu klären versucht: Konversion vom Verb zum Adjektiv ist ja, wie oben bereits geschildert, insofern nicht wünschenswert, weil genau diese Konversion im Deutschen für nicht-partizipiale Verben gar nicht existiert (Eschenlohr '97: 33, Vogel '96: 240, Olsen '90: 187). Wunderlich kann nun aber gerade von dieser Annahme einer Konversionsregel gar nicht abrücken, da die Derivation auf den Stufen I und II seines morphologischen Modells angeordnet ist und damit auf Stufe III nicht mehr zur Verfugung steht. Tritt die P2-Morphologie auf Stufe III auf, kann die Wortartenänderung bei P2 nur noch durch einen Konversionsvorgang erreicht werden: Die Flexionsmorphologie, die auf Stufe III applizieren darf, ist ja per definitionem wortartenerhaltend (vgl. etwa Stump '98: 15)! Die Analyse Wunderlichs ist aus einem weiteren empirischen Grund problematisch: Adjektive regieren einer langstehenden Generalisierung nach im Deutschen eben nicht produktiv Akkusativ - bei Wunderlich tun sie es hingegen sehr wohl, wenn er PI als Adjektive charakterisiert. Wunderlich kann aber nun dieser Kategorisierung gar nicht ausweichen, da er die attributivische Position und die KGN-Flexion von PI durch die Zuordnung zu den Adjektiven zu erklären versucht. Damit missachtet Wunderlichs P l Analyse allerdings eine der stabilsten Eigenschaften der Wortart Adjektiv im Deutschen. Wunderlichs Theorie der Argumentvererbung in der Derivation von V nach PI (= Adjektiv) erklärt zwar vordergründig die beobachtbare Rektion, löst aber das eigentliche Problem der Analyse von Partizipien überhaupt nicht: Partizipien sind gerade deshalb problematische Mischkategorien, weil sie vorgeblich .adjektivische' Flexion und verbale Argumentstruktur (inklusive der Akkusativ-Rektion) vereinen. Toman hat deshalb völlig recht, wenn er Wunderlichs Analyse mit der Begründung ablehnt, man stünde mit Wunderlichs Vorschlag so klug als wie zuvor vor „dem klassischen Problem: ein Adjektiv ordnet Akkusativ zu" ('87: 414). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass auch die Selektion von Subjektsargumenten in Wunderlichs Analyse nur auf sehr problematische Art und Weise realisiert werden kann. Wunderlich fuhrt nämlich (ohne es selbst anzumerken oder explizit zu thematisieren) auch gleich noch eine bisher unbekannte Unterklasse der Adjektive ein: Wenn PI nämlich tatsächlich stets als Adjektive deriviert werden, so muss in der von Wun-
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
derlich selbst thematisierten Struktur mit PI-Formen des Verbs scheinen wohl von ,Raisingadjektiven' ausgegangen werden (Wunderlich '87: 363): (61)
die zu schlafen scheinende Frau
Wenn scheinende, wie Wunderlich selbst sagt ('87: 362), keine externe Rolle zu vergeben hat, muss offenbar die entsprechende Rolle des eingebetteten schlafen zur Unifikation mit dem Kopfnomen herangezogen werden - was ja auch exakt der Interpretation entspricht. Inwieweit allerdings Adjektive als Kern von Raisingkonstruktionen auftreten können, bespricht Wunderlich nicht. Seine Analyse postuliert mithin nicht nur im Deutschen nicht attestierte Rektionseigenschaften von adjektivischen Komplementen, sie setzt stillschweigend eine bisher nicht attestierte Klasse von (Raising-)Adjektiven an, die Argumente aus eingebetteten Strukturen heraus anzuheben vermögen.
2.2. Analyse im Rahmen des minimalistischen Programms Die in dieser Arbeit vorgeschlagene Analyse hat die empirischen und konzeptuellen Probleme ihrer Vorgänger zu vermeiden. Eingangs (in 2.2.1) werden daher die Desiderata definiert, die es in der Analyse zu respektieren gilt. Der morphologische Teil meiner Analyse findet sich in Kapitel 2.2.2, die syntaktische Analyse beginnt in Kapitel 2.2.3.
2.2.1. Desiderata Die vorliegende Analyse stellt folgende Anforderungen an eine Repräsentation attributiver Ausdrücke: I.
II.
III.
Die Analyse sollte die formgleichen KGN-Affixe attributiver Ausdrücke einheitlich erklären - wie es Analysen der finiten Endungen ja auch leisten (vgl. ζ. B. Bredel & Lohnstein 2001). Erklärungsbedürftig wäre aber auch, ob im Falle der Ähnlichkeit der Endungen von Relativpronomen und pränominalen Attributionsausdrücken eine zufällige Homophonie vorliegt: Interessanter wäre eine Analyse, die die Formgleicheit bei gleicher oder ähnlicher Funktion auch als Ausprägung einer gleichartigen grammatischen Kategorie zu charakterisieren vermag. Die vorliegende Analyse strebt daher eine einheitliche Repräsentation der KGN-Flexion von Adjektiven, Partizipien und Relativpronomen an. Inwieweit diese Analyse über die attributiven Ausdrücke hinaus erweitert werden kann, ist in weiteren Arbeiten zu prüfen. Die morphologische Analyse sollte keine diachron problematischen Segmentationen aufweisen. Daraus folgt direkt, dass die PI-Morphologie aus V+end+ KGN bestehen sollte. Jede Analyse muss die beobachtbaren Unterschiede zwischen Adjektiven, Partizipien und Relativsätzen abbilden: Sie muss etablierte adjektivische Eigenschaften, insbesondere das Fehlen einer produktiven Akkusativrektion und die
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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vergleichsweise stark eingeschränkte Argumentstruktur berücksichtigen. Gleichzeitig darf sie keine Ableitungsvorgänge stipulieren, die in ihrer Formulierung langstehenden Erkenntnissen der Grammatikschreibung widersprechen: So gilt es insbesondere zu berücksichtigen, dass Konversion zwischen Verben und Adjektiven im Deutschen bestenfalls marginal beobachtbar ist. IV. Die Analyse muss die Argumentrealisation von attributiven Partizipien erklären, mithin also insbesondere die unakkusative Argumentstruktur von attributiven verbalen P2 und die unrestringierte Argumentstruktur von PI. V. Eine interessante syntaktische Analyse sollte im optimalen Fall nicht von bestimmten Annahmen und Stipulationen hinsichtlich der Morphologie abhängen. Funktioniert eine syntaktische Analyse unter Annahme mehrerer morphologischer Modelle (anders als bei Toman und Wunderlich), so vermindert dies die Gefahr, Artefakten der Theoriebildung aufzusitzen, die ohne explanatorischen Wert sind. Wünschenswert ist daher, dass die Analyse weder eine syntaktische, noch eine lexikalistische Wortbildung und/oder Flexion zwingend voraussetzt. Im Rahmen des gewählten Grammatikmodells sollten zudem selbstredend möglichst keine ad hoc eingeführten Vorgänge nötig sein (wie ζ. B. nicht-standardgemäße Projektionen oder andere syntaktisch aufwändige Zusatzmaschinerie). VI. Die Subklasse von Verben, die als Ableitungsbasis fur attributive P2 fungieren können, sollte durch die Analyse beschrieben werden. VII. Angesichts der genannten empirischen Eigenschaften von Partizipien kann die Analyse sie nur als ambige, nicht als neutralisierte Formen darstellen. VIII. Die Tatsache, dass pränominale Attributionsstrukturen Bindungsdomänen darstellen, muss zu einer satzwertigen Repräsentation dieser Strukturen führen, wenn keine zusätzliche syntaktische Maschinerie erwünscht ist: Nur unter der Annahme der Satzwertigkeit folgen die Bindungseigenschaften aus den allgemeinen Bindungsprinzipien. Die Analyse muss hierzu einen Antezedenten fur Anaphern bereitstellen, der aber nicht (wie bei Toman) PRO, sein kann (vgl. die Kritik Wunderlichs). Der Antezedent muss aber der Tatsache Rechnung tragen, dass die koreferente Interpretation des jeweiligen eingebetteten Arguments und des Kopfnomens erzwungen ist. PROarb scheint hier also keine Option zu sein, wenn Standardannahmen die semantischen Eigenschaften der Struktur ohne weitere Stipulation erklären sollen. IX. Adjektivattribution sollte entprechend ihrer Gemeinsamkeiten zu den anderen Attributsausdrücken, aber nicht darüber, den komplexeren Attributionsausdrücken strukturell assimiliert werden.
Zusammenfassend zeichnet sich eine Analyse ab, die keine Merkmalsneutralisation aufweist, aber über eine elaborierte syntaktische Struktur verfugen muss. In gewisser Weise realisiert diese Analyse zum Teil Optionen, die auf ältere Analysen verteilt sind: Toman ('86, '87) und Fanselow ('86) bemühen eine aufwändige Syntax, Wunderlich bedient sich einer morphologischen Feinanalyse, um die syntaktische Vielseitigkeit, die Partizipien auszeichnet, erklären zu können. Andererseits können nun aber eine ganze Reihe von Werkzeugen und Annahmen der vorgängigen Analysen, wie gezeigt, nicht übernommen werden. Die von mir vorgeschlagene Analyse muss daher zwangsläufig zu neuen Mitteln greifen. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass eine Analyse, die die
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
genannten Desiderata realisiert, unter den rigiden Vorgaben des minimalistischen Programms möglich ist. Als Vorarbeit soll zunächst die Morphologie attributiver Ausdrücke analysiert werden, um die zu repräsentierenden morphosyntaktischen Kategorien bereitzustellen.
2.2.2. Morphologische Annahmen der Analyse Adjektive, Partizipien und Relativsätze haben eine gemeinsame Aufgabe, da sie allesamt dazu dienen können, Attribution auszudrücken. Sie unterscheiden sich allerdings hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, morphologisch variabel realisierte Zeitbezüge oder finite Kongruenz auszudrücken. Folgende Einteilung lässt sich treffen: (62) Attribution
morph. Zeitbezug
Finitheit
Relativsätze
Ja
Ja
Ja
Partizipien
Ja
Ja
Nein
Adjektive
Ja
Nein
Nein
Eine einheitliche Analyse attributiver Morphologie muss nun also versuchen, diese Kategorien (insofern sie morphologisch realisiert sind) bestimmten Segmenten zuzuordnen. Da alle Strukturen sich zur Attribution eignen, müsste eine morphologische Realisation dieser Fähigkeit allen drei Attributionsmöglichkeiten gemein sein. Die Schnittmenge an morphologischen Eigenschaften zwischen allen drei Strukturen besteht in der Kasus-, Genus- und Numerusflexion, die pränominal am Adjektiv bzw. Partizip, postnominal am Relativpronomen realisiert wird - auf diese Übereinstimmung wurde bereits in (12) hingewiesen. In der Tat verfügt jeder komplexe attributive Ausdruck über genau eine Instanz dieser KGN-Flexion: Wenn man z.B. Kookurrenzen von mehr als einem Partizip akzeptiert, verzichtet eines der Partizipien auf die KGN-Endung: (63)
(??) der geschrieben werdende Brief *der geschriebene werdende Brief (??) das geschlafen habende Kind *das geschlafene habende Kind
Mehrere KGN-Endungen führen also zur Ungrammatikalität. Tritt hingegen keine KGN-Endung auf, ist der Ausdruck ebenfalls nicht möglich: (64)
*der dick angezogen Mann
Es lassen sich also nicht mehr und nicht weniger als genau eine KGN-Endung in jedem komplexen attributiven Ausdruck realisieren. Diese KGN-Flexion wird daher als kriterial für die attributive Lesart aufgefasst.
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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Zeitbezug ist nicht allen attributiven Strukturen zugänglich: So weisen Partizipien verbalen Aspekt (im o. a. Verständnis der Bezeichnung) auf, Verben in Relativsätzen hingegen eine Tempusflexion, wie sie auch in nicht-attributivischen Ausdrücken auftritt. Adjektive ermöglichen aber offenbar keine paradigmatischen Oppositionen temporaler oder aspektueller Natur: Zwar können bestimmte Adjektive durchaus Zeitbezüge ausdrücken (vgl. z.B. zukünftig, ehemalig, damalig usw.), allerdings sind diese als Eigenschaften der Wortsemantik der jeweiligen Ausdrücke lexikalisiert und stehen zueinander nicht in einer morphologisch kodierten Opposition. Zu fragen wäre demnach, welche morphologischen Segmente Adjektiven fehlen, die Partizipien und den Verben in Relativsätzen erlauben, Zeitbezug zu kodieren. Im Falle der Relativsätze ist die Analyse trivial, da die finite Form des Verbs über morphologisches Tempus verfügt. Für die Partizipien ist nun eben die Partizipialmorphologie fur die aspektuellen Eigenschaften verantwortlich gemacht worden: Misst man den Affixen -end bzw. -t/en den imperfektiven bzw. perfektiven Aspekt zu, erklärt die Abwesenheit dieser Affixe bei Adjektiven deren fehlendes Potential zum (morphologisch realisierten) Zeitbezug. Die Form und Funktion der Partizipialmorphologie grenzt die Partizipien andererseits aber auch von den finiten Verben des Relativsatzes ab. Schlussendlich kann die aspektuelle Opposition zwischen PI und P2 auf den paradigmatischen Gegensatz von -end vs. -t/en zurückgeführt werden, -end kodiert damit Unabgeschlossenheit der verbalen Handlung, -t/-en die Abgeschlossenheit derselben. Die Identifikation der Pl/P2-Morphologie mit der Realisation des Aspekts ist auch deshalb angeraten, weil Partizipien auch adverbial diese Morphologie aufweisen und auch adverbial Aspekt kodieren können: (65)
Der deutsche Torwarttitan saß weinend am Torpfosten. Der Pfarrer stieg, eilends herbeigelaufen, die Treppe zur Kanzel empor.
Die Eigenschaft der aspektuellen Unabgeschlossenheit trifft überdies auch zu auf PI mit modalem zu, wobei hier durch die Anwesenheit des zu eine andere semantische Ausgangssituation vorliegt: Ausgedrückt wird die Unabgeschlossenheit der Obligation, etwas zu tun, etwa das Buch zu lesen in: (66)
das zu lesende Buch
Der modale, Obligation ausdrückende Charakter ist hierbei verbunden mit der Anwesenheit von zu, da auch die prädikative Verwendung (in Das Buch ist zu lesen) diese Interpretation herbeifuhrt. Wie lässt sich diese Charakterisierung von -end und -t/-en mit den empirischen Eigenschaften von PI und P2 übereinbringen? Ein interessanter Aspekt ist, dass die PlEndung -end sich im heutigen Deutsch nicht mit finiten Auxiliaren verträgt, es scheint also im Deutschen schlicht kein Auxiliar zu geben, welches PI-Ausdrücke als VPKomplemente selegiert. Bei diesem Faktum könnte es sich aber um einen lexikalischen Zufall handeln, da die Kombination von Auxiliar und -end offenbar ganz und gar nicht undenkbar ist - in der Tat findet sie sich marginal auch in älteren Sprachstufen des Deutschen (Bsp. Lessing '70ff.: II, 179): (67)
Er wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend.
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
Zwar erscheint diese lexikalisch begründete Analyse zunächst als Stipulation, vielleicht aber muss man angesichts von (67) tatsächlich bescheiden, dass hier möglicherweise eine Lücke im Inventar der Auxiliare vorliegt, die gerade nicht systematisch oder gar universalgrammatisch zu begründen ist, insofern als bereits andere Sprachstufen derselben Sprache diese Lücke eben nicht aufweisen. Dies als zufällige Lücke im Lexikon der Einzelsprache anzunehmen ist unter den vorliegenden Gesichtspunkten eine vergleichsweise harmlose Stipulation: Sie verortet die Unsystematizität der Lücke dort, wo die linguistische Theoriebildung Unsystematizität klassischerweise zulässt! Zudem ließe sich so präzisieren, was es heißt, dass PI genau dann prädikativ auftreten können, wenn sie ,adjektivisch' zu deuten sind: Adjektive werden prädikativ nicht vom Hilfsverb sein, sondern von der Kopula sein selegiert. Demzufolge dürften prädikativ verwendete Formen, die den attributiven PI ähneln, anders als diese keine verbale Argumentstruktur realisieren - was genau den beobachtbaren Eigenschaften entspricht. Des Weiteren müssten die prädikativ verwendeten Formen eine (nach Givon '79, Lehmann '92) zeitstabile Eigenschaft des Subjektes ausdrücken, was ebenfalls zutrifft. Die Interpretation einer PI-Form als imperfektiven Aspekt, der indirekt nun aber gerade die Vergänglichkeit und Zeitinstabilität der Prädikation ausdrücken würde, ist prädikativ ja in der Tat nicht zu erreichen: (68) (69)
Das Medikament ist blutstillend. *Der Sanitäter ist Blut stillend.
(zeitstabile Eigenschaft) (zeitlich instabile, aktuellprädizierte Eigenschaft)
Die Lesart, nach der hier über einen Sanitäter prädiziert wird, er stille lediglich zum Referenzzeitpunkt Blut, ist nicht verfugbar. Die einzige Lesart, unter der (69) doch grammatisch erscheint, ist diejenige konstruierte Lesart, die den Sanitäter analog zu (68) als ,generell blutstillend' ausweist - ζ. B. in der Form, dass kein echter Sanitäter, sondern etwa ein bestimmter Verband gemeint ist, der den Marken- oder Spitznamen „Sanitäter" trägt. Heibig & Buscha ('98) legen eine Liste von PI vor, die prädikativ verwendet werden können. Alle diese PI denotieren eine zeitstabile Eigenschaft: (70)
ansteckend anstrengend, auffallend, ausreichend, entscheidend, erfrischend, glänzend, überzeugend, verpflichtend (vgl. ebd.: 119)
Eine Abfrage der Corpora Cosmas II und Tiger erbrachte ebenfalls nur solche Belege, in denen eine zeitstabile Eigenschaft prädiziert wird (atemberaubendbeunruhigend, tiefgehend, demütigend, bestechend, steigend (Nachfrage), bindend (Votum)). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Charakterisierung von verbalem -end als imperfektiven Aspekt offenbar problemlos ist. Ganz entsprechend ordnet auch Bennis die PI des Niederländischen nur genau dann den Adjektiven zu wenn gilt: „V is Stative" (2004: 103). Die P2-Morphologie, das Suffix -t/en, drückt aspektuell Perfektivität aus (wenn man dem Präfix ge- eine rein prosodische Funktion zuspricht). Des Weiteren gilt für die attributive Variante des P2, dass die P2-Morphologie hier eine Vorgangslesart offenbar meistens blockiert. Darüber hinaus muss angenommen werden, dass die P2-Morphologie in zwei homonymen Varianten vorliegt: Die eine Variante leitet Adjektive aus Verbwurzeln ab, die andere stellt eine infinite Verbflexion dar. Die empirischen Fakten
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
37
zu den P2, die entweder als Verb oder als Adjektiv fungieren können (aber niemals gemischte Eigenschaften aufweisen), machen diese Annahme unabdingbar. Die Annahme einer (andernorts nicht attestierten) Konversion zwischen Verb und Adjektiv kann hierdurch vermieden werden, es findet - anstelle einer vollproduktiven morphologischen Nullableitung - lediglich eine Erweiterung des Lexikons um ein einziges Suffix statt. Ein weiterer wünschenswerter Effekt dieser Annahme ist, dass lediglich P2Formen produktiv in verbalen und adjektivischen Erscheinungsformen auftreten können: Erhält ein Verbstamm die adjektivische P2-Endung, stehen ihm im Folgenden nur noch diejenigen morphosyntaktischen Möglichkeiten offen, die anderen Adjektiven auch zukommen. Erhält der Verbstamm die verbale P2-Endung, figuriert er als infinites Verb. Finite Verben und PI sind durch diese Analyse nicht betroffen, da sie keine P2Endungen aufweisen. Eine einfachere Erklärung der Verwendung des P2 scheint auch deshalb nicht möglich, weil selbst rein beschreibende Analysen (wie ζ. B. Heibig & Buscha '98, Zifonun et al. '97) implizit ähnliche Annahmen machen müssen: P2 treten dort ja ebenfalls auf der einen Seite als infinit-verbaler Bestandteil des periphrastischen Perfekts auf, andererseits aber auch als Adjektive. Damit folgt aus der traditionellen Beobachtung der zwei Gebräuche von P2 und generell wünschenswerten Eigenschaften der Grammatik mehr oder minder direkt, dass die P2-Morphologie zweifach vorliegen muss: Nur so lässt sich eine massiv übergenerierende Konversionsanalyse vermeiden und an Stelle einer solchen Nullderivation ein overter, kompositionell beschreibbarer Vorgang ansetzen. Es ist aus meiner Sicht nicht einmal wünschenswert, der Partizipialmorphologie der P2 jegliche Form von Sonderstatus abzusprechen: Partizipien sind in der grammatischen Beschreibung aufgrund ihrer Mehrfachfunktion seit der Antike als Problemfälle angesehen worden (vgl. ζ. B. Law 2003). Es gilt also nicht, diese Auffälligkeit der Partizipien zu leugnen - vielmehr muss gelten, dass die Auffälligkeit zu repräsentieren ist, wenngleich so, dass sie die Funktion der Gesamtgrammatik nicht beeinträchtigt. Die Annahme homophoner Lexikoneinträge für die P2-Morphologie ist in diesem Sinne grammatisch problemlos und weist den polyfunktionalen Sonderstatus der P2 als lexikalisches Faktum (zweier Suffixe) aus. Mithilfe dieser Charakterisierung der Formen von PI und P2 lässt sich auch die voreilige Behauptung entkräften, deutsche Partizipien seien ein Beleg dafür, dass Flexionsmorphologie wortartändernd applizieren könne (vgl. Haspelmath '95: 44). Mit den adjektivischen Suffixen der P2 liegt Derivationsmorphologie vor, die PI-Morphologie und die verbalen P2-Suffixe hingegen flektieren Verbstämme, die gesamte Bildung aber ist und bleibt in diesem Fall ein Verb. Für die PI-Morphologie ist wahrscheinlich keine solche Doppelfunktion anzusetzen: PI verhalten sich morphosyntaktisch stets wie Verben und lassen adjektivische Steigerung, ««-Präfigierung etc. im Normalfall nicht zu. Die wenigen lexikalisierten Ausnahmen stellen offenbar keine produktive Ableitungsoption dar und bedürfen daher keiner entsprechenden morphologischen Repräsentation. Zur Feinunterteilung der Partizipialmorphologie gilt weiterhin, dass PI und P2 zum anderen auch unterschiedliche Argumentrealisationen kodieren: Die PI-Morphologie wird hierbei als .transitiv' verstanden (sie fuhrt mit anderen Worten nicht zu einer Reduktion der Argumentanzahl) und verändert offenbar auch die Menge der möglichen thematischen Rollen der jeweiligen Argumente nicht. Die P2-Morphologie selegiert entweder ,passive' Varianten von Verben, oder führt die entsprechenden argumentstrukturellen Änderungen selbst morphologisch durch (die
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
Unterscheidung ist fur die vorliegende Untersuchung irrelevant). Denkbar wäre auch, den Unterschied vollständig syntaktisch auszudrücken, da nach neueren theoretischen Annahmen Transitivität durch den abstrakten funktionalen Kopf ν ausgedrückt wird. Die in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagene syntaktische Analyse wird dieser Möglichkeit folgen, da hierdurch gleichzeitig die Ableitungsbasis von P2 erklärt werden kann: Ohne Projektion von ν sind genau diejenigen P2 zulässig, die lediglich über ein internes Argument verfügen, mithin also die passivischen oder unakkusativen Varianten. Die letzte morphologische Dimension, hinsichtlich derer sich attributive Ausdrücke unterteilen lassen, ist die der verbalen Finitheit. Unter den Attributsausdrücken enthalten nur Relativsätze ein Verb, welches hinsichtlich des morphologischen Merkmals [Person] und [Numerus] mit seinem Subjekt kongruiert. Finitheit dieser Art ist in vielen Arbeiten (vgl. als ein Beispiel unter vielen Chomsky '81: 170) als Bedingung der Möglichkeit eines nominativischen Subjektskasus angesehen worden. Obwohl diese Vermutung typologisch problematisch ist und sich auch im Deutschen (bei den so genannten Gleichsetzungsverben: sein, werden u. a., vgl. Glinz '52) Ausnahmen zu dieser Generalisierung finden lassen, liegt die vorläufige Vermutung nah, dass nominativische Subjektsrealisationen den Relativsätzen vorbehalten sein sollte. Diese Vermutung wird von den empirischen Daten bestätigt: Nominativische Argumente sind in partizipialen und adjektivischen Attributsausdrücken nicht (oder zumindest nicht overt) zu finden. Lässt man die unproblematische Analyse der finiten Verben im Relativsatz beiseite, so lassen sich als Desiderata fur die Analyse attributivischer Ausdrücke im Rahmen minimalistischer Syntax folgende Anforderungen herleiten: Die Syntax sollte fur -t/-en1 -end und die KGN je eigene, voneinander unterschiedene Realisationsmechanismen beinhalten.
2.2.3. Projektionsstufen attributiver Partizipien Tabelle (A) macht deutlich, dass Partizipien eine Vielzahl verbaler Eigenschaften haben. Tatsächlich scheinen die verbalen Eigenschaften nicht nur wesentlich zahlreicher zu sein als die adjektivischen, sie fuhren auch schwerwiegende grammatische Konsequenzen herbei, die die Partizipien zu ,Mittelwörtern' haben werden lassen. Die folgende Analyse stellt eine Möglichkeit vor, Partizipien auch attributiv als Verben zu behandeln. Diese Analyse steht nun wiederum vor der Aufgabe, die vorgeblich ,adjektivischen' Eigenschaften, nämlich die Kasus-, Genus- und Numerusflexion attributiver Partizipien und ihre Position als Adjunkt innerhalb der NP erklärbar zu machen. Dieser Ansatz scheint insofern ohnehin notwendig, als, wie oben gezeigt, auch Mitglieder anderer Wortarten, wenngleich vielleicht marginal, in attributiver Position verwendet werden können - von einer per definitionem ,adjektivischen' Position kann unter Berücksichtigung dieser Daten nämlich offenbar keine Rede sein.
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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2.2.3.1. VP-Projektion Geht man davon aus, dass die attributive Position im Deutschen nicht von vorneherein nur Adjektiven offen steht, so ergibt sich ohne weiteres die tentative Möglichkeit, attributive verbale Partizipien als Verben zu behandeln, die als Kopf einer VP fungieren. Ohne weiteres folgt aus dieser Hypothese, dass Partizipien auch attributiv in der Lage sein sollten, ihre (verbale) lexikalische Argumentstruktur voll auszuprägen: (71)
VP
DP
V I PI
Darüber hinaus sollten Partizipien die gleichen Objektskasus regieren wie die ihnen zugrunde liegenden Verben. In neueren Arbeiten des Minimalistischen Programms wird die Eigenschaft, transitive Strukturen zu projizieren, durch den abstrakten funktionalen Kopf ν ausgedrückt (vgl. Chomsky 2000). Da PI, wie o. a., ihre volle Argumentstruktur realisieren und demnach auch transitive Strukturen aufbauen können, muss geprüft werden, in wie weit PI in vPen eingebunden werden können.
2.2.3.2. vP-Projektion Wenn man PI mit einer vollständigen, transitiven Argumentrealisation ausstatten möchte, so ergibt sich eine weitere Anforderung an die Attributionsstruktur. Nach Burzio gilt nämlich, dass auch PI (wenn sie denn Verben sind) ein Subjekt realisieren müssen, da Burzios bekannte Generalisierung den folgenden Zusammenhang herstellt: „all and only the verbs that can assign theta-role [sic] to the subject can assign (accusative) Case to an object" ('86: 178). Da die Lizenzierung einer agentivischen Thetarolle in SpecvP erfolgt, muss fur die strukturelle Repräsentation von PI (möglicherweise aber nicht von P2, siehe unten) eine v-Projektion angenommen werden (vgl. auch Bennis 2004: 87).
I. Analyse attributiver Ausdriicke
40 (72) vP
DI
VP
ν
V
DP
PI vPen werden wiederum von T-Köpfen eingebettet, daher ist im Weiteren zu prüfen, welche Evidenz für die Annahme einer TP innerhalb der attributiven Partizipialstruktur zu finden ist.
2.2.3.3. TP-Projektion Um die Aspektopposition von Partizipien zu fassen, bietet es sich an, diese von einer TP einbetten zu lassen - ζ. B. PI wie in: T'
(73)
Τ
vP
[-perfektiv]
DP
VP
ν DP
PI P2 lassen sich völlig analog, allerdings ohne transitive vP, repräsentieren:
41
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen (74)
T'
τ
VP
Γ+perfektivl DP
V P2
Lässt sich Evidenz für eine Spezifikatorposition von Τ erbringen? Die Bindungsdaten aus Fanselow ('86) zeigen, dass Adjektive und Partizipien anaphorische Argumente erlauben, die nach der Bindungstheorie durch ein Antezedens gebunden werden müssen. Ein overtes Antezedens steht innerhalb der Attributionsstruktur nun allerdings nicht zur Verfugung: (75)
die [
sich treue] Frau
Der Versuch, die Bindungsdomäne auf den nominalen Kopf und seine Projektion auszuweiten, schlägt fehl: Zunächst scheint diese Repräsentation genau die gewünschten interpretatorischen Eigenschaften aufzuweisen: (76)
die [ sichj treue Frauj]
Wie allerdings schon Fanselow (ebd.) zeigt, widerspricht diese Struktur dem i-in-iFilter. Der Kopf der NP projiziert mitsamt seines Indexes zur NP, die demzufolge denselben Index aufweist. Es resultiert die i-in-i-Konfiguration: (77) (78)
Die [j... sichj treue FraUj] [ γ ... δ ... ], where γ and δ bear the same index.
(Chomsky '81: 212)
Es besteht im Deutschen nicht die Möglichkeit, den i-in-i-Filter auszusetzen, da dieser für eine Reihe von Phänomenen benötigt wird, etwa zur Erklärung der Ungrammatikalität der folgenden Strukturen (vgl. Fanselow '86: 344): (79)
*der Besitzen seinesj Bootes *die Freunde, voneinander.
Andere Lösungen könnten vorsehen, das Antezedens des Reflexivums ganz aus der attributiven Struktur hinauszubewegen - möglicherweise sogar in die Position des Kopfhomens. Lösungen dieser Art können aus Gründen der Thetatrollenvergabe nicht funktionieren: Bekäme das Kopfnomen in der attibutiven Struktur eine Thetarolle (um die attributive Interpretation zu gewährleisten), so müsste innerhalb der NP das Theta-
42
I. Analyse attributiver Ausdrücke
prinzip ausgesetzt werden, weil die gesamte NP im weiteren Verlauf der Derivation ja noch eine weitere Thetarolle erhalten muss, nämlich vom Verb des einbettenden Satzes. Da das Antezedens die attributive Struktur also offenkundig nicht verlassen kann, die Argumentstruktur des Adjektivs aber respektiert bleiben muss, muss ein kovertes Argument angesetzt werden, dass die anaphorischen Argumente bereits innerhalb der attributiven Struktur bindet. Mit anderen Worten ergibt sich aus den Bindungsdaten nach Fanselow ('86) Evidenz für ein kovertes ,Subjekt' (und die Möglichkeit subjektbezogener Adverbien mag hier als weiteres Indiz gelten). Dies ist auch deshalb semantisch plausibel, weil PI, wie oben gezeigt, agentivische Rollen an das Kopfnomen zu vergeben scheinen - ein Objekt aber kann niemals eine agentivische Rolle tragen (Abraham '95: 278). Ergibt sich also eine agentivische Interpretation (was bei PI der Fall ist) für eines der Argumente, muss diese Rolle auf einem Subjekt realisiert werden. Subjekte allerdings werden durch Τ lizenziert und im üblichen Fall nach SpecTP angehoben. Ein weiteres Argument für ein solches kovertes Argument ergibt sich aus theorieinternen Gründen, wenn man davon ausgeht, dass Τ möglicherweise universell ein EPP-Merkmal aufweist und daher eine Spezifikatorposition vorhanden sein muss (Chomsky 2000: 13). Die resultierende Struktur ist daher:
ν
VP
DP
V I PI
Welche leere Kategorie befindet sich nun aber in SpecTP? Ein nicht-arbiträres PROj scheidet aus den oben genannten Gründen aus, da PROj hier unzulässig regiert würde: PRO-Elemente sind nur in solchen Positionen zulässig, die von keinem lexikalischen Regens regiert werden (Chomsky '82: 56). Diese Bedingung lässt sich für diese, von Toman ja ganz ähnlich vorgeschlagene Struktur nicht sicherstellen, da ζ. B. der nominale Kopf der Matrix-NP ein solches Regens darstellen könnte.
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
43
Die Annahme eines pro in der SpecTP-Position ist aber ebenfalls nicht ohne weiteres möglich, da pro sogar in finiten TPen des Deutschen nicht lizenziert werden kann (vgl. ζ. B. Fanselow & Felix '93: 213). Da Partizipien keine (overte) Kongruenz mit ihren Subjekten aufweisen, ist daher mehr als fraglich, ob ein defektiver T-Kopf zu dieser Lizenzierung in der Lage wäre. Unter der Maßgabe des Desiderats, keine zusätzliche syntaktische Maschinerie einzuführen, wird diese prinzipielle Möglichkeit daher für die vorliegende Arbeit verworfen - sie trüge im Übrigen nichts zur Klärung der Interpretation der Struktur bei: pro als pronominales Element könnte zwar koreferent mit dem Kopfhomen aufgefasst werden, da es innerhalb seiner Bindungsdomäne frei wäre, nichts aber würde erzwingen, dass pro stets mit dem Nomen koreferent sein muss! Mit anderen Worten, eine Analyse der leeren Kategorie als pro würde die Vorhersage machen, dass das Argument des Partizips zwar koreferent mit dem Kopfhomen sein kann, aber auch eine Interpretation möglich ist, nach der dies nicht der Fall ist. Dies ist empirisch falsch, da Koreferenz im heutigen Deutsch obligatorisch ist. Da SpecTP keine Operatorposition ist, bleibt für seine Besetzung nur die leere Kategorie t. Dies heißt nun ohne weiteres, dass ein Element aus SpecTP heraus weiter angehoben worden sein muss. Allerdings treten hier wiederum Probleme mit dem i-in-iFilter auf: Aus der TP hinaus, ζ. B. nach N° darf ja keine Bewegung erfolgen, obwohl genau die resultierende Interpretation bei PI vorliegt! Der Grund besteht darin, dass der i-in-i-Filter wiederum verletzt würde, da die bewegte Kategorie in diesem Falle zwingend mit der zurückgelassenen Spur koindiziert sein müsste: Da in der Position in SpecTP keine Thetarektion vorliegen kann, müsste nach dem ECP für die Spur in SpecTP nämlich Antezedensrektion vorliegen (vgl. Chomsky '81: 250). Wird diese aber vom N° ausgeübt, liegt wiederum die i-in-i-Konfiguration vor: (81)
[D [Np.j [tf Partizip] NJ]
Es wird deutlich, dass innerhalb der attributiven Struktur eine weitere strukturelle Ebene eingeschoben werden muss, die den Antezedenten der Spur in SpecTP aufnehmen kann. Die Lösung dieses Problems wird im nächsten Unterkapitel vorgestellt. Zunächst aber gilt es zu zeigen, dass die Annahme einer TP innerhalb der attributiven Struktur tatsächlich nutzbar gemacht werden kann, um die Eigenschaften der Struktur zu erklären. Mit T° erhält die syntaktische Struktur eine Position für die Realisation verbalen Aspekts, der - wie Tempus im finiten Satz - in T° angesiedelt werden kann. Diese Annahme erklärt unter einer isomorphen Morphosyntax auch gleich die Stellung des Partizips, welches allen Argumenten und allen Adjunkten folgen muss: Die TP erzwingt als kopffinale Projektion diese Position für das per Kopfbewegung angehobene Verb. Mit der Annahme eines aspektuellen T-Kopfes stellt sich nun die Frage, welche Merkmalskonfiguration mit dem T°-Element genau vorliegt. Zu fragen wäre demnach auch, in welcher Beziehung die Merkmalsmengen stehen, die Partizipien attributiv und prädikativ jeweils aufweisen. Optimal wäre eine Analyse, die die attributiven Merkmalsmengen als echte Teilmengen der prädikativen Merkmalsmengen auswiese - auf diese Weise könnten die Anteile, die prädikativ durch die Auxiliare realisiert werden, dargestellt werden. Attributiv würden, da Auxiliare nicht attributiv auftreten, genau die auxiliaren Merkmalsmengen fehlen, ζ. B. verbale Finitheitsmerkmale {Phi-Merkmale). Wie sich zeigt, liegt unter bestimmten Vereinfachungen eine einfache und systematische Repräsentation für die prädikativen Verbformen vor: Die Vorannahme besteht
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
lediglich darin, dass nicht versucht werden soll, jeder Partizipialform eine je eigene Merkmalsspezifikation zu unterstellen. Dies scheint im Deutschen schwer möglich, denn prädikative P2 treten mal in perfektiver Lesart, mal in nicht-perfektiver Lesart auf: (82)
Der Mann hat geschlafen. Der Feind ist besiegt.
(Perfekt) (Perfektiv Passiv)
(83)
Der Pudel wird begossen.
(Vorgangspassiv, keine perfektive Lesart)
Gleichzeitig treten P2 mal mit, mal ohne Veränderung der Argumentrealisation des zugrunde liegenden Verbs auf: (84)
Der Feind ist besiegt. Der Pudel wird begossen.
(Passiv) (Passiv)
(85)
Der Mann hat geschlafen.
(Perfekt Aktiv)
Ältere Analysen haben nun ζ. B. versucht, diese Eigenschaften durch das Auftreten der Auxiliare zu erklären und diese als Filter für die Argumentstruktur anzusehen (Toman '86, '87, Haider '84). Die vorliegende Arbeit stellt sich auf den Standpunkt, dass es sinnlos erscheint, dem P2 eine Merkmalsmenge zuzuweisen, die später durch den (ja ohnehin unabdingbaren!) Kontext beliebig modifiziert und ,gefiltert' werden kann. Vielmehr wird in traditioneller Weise davon ausgegangen, dass die P2 mit ihren Auxiliaren eine gemeinsame Ausprägung einer einzigen Merkmalsmenge in T° sind. Unter diesem Ansatz ergeben sich keine Merkmalsoperationen, die in minimalistischen Analysen nicht wünschenswert sind (Filter, Merkmalszuweisungen etc.), sondern unterschiedliche P2-Formen, die als Realisierungen verschiedener T°-Merkmalsmengen auftreten. Eine Homophonie liegt hier im strengeren Sinne nicht vor, da durch die Hilfsverben sein, werden und haben bzw. die Abwesenheit derselben in der attributiven Position eine phonologische Unterscheidung der Realisationsformen gegeben ist. Sämtliche Verwendungen der Partizipien in den Tempus- und Aspektrealisationen des Deutschen darzustellen ist keine Aufgabe der vorliegenden Arbeit, da nur die attributiv verwendeten Varianten von primärem Interesse sind (vgl. aber für eine vollständigere Übersicht Klein & Vater '98, Lenerz '86, Thieroff '92, Vater '93, 2002, Wunderlich '97). Vorzufinden sind attributiv lediglich die PI, die P2, und möglicherweise P2 mit habend oder werdend. Betrachtet man nur die so eingegrenzten prädikativ möglichen Verbformen gemeinsam, ergibt sich ein einfaches und systematisches Bild: Die Partizipialformen sind, wie oben angebeben, Realisierungsformen, die einen perfektiven Aspekt oder eine Änderung der Argumentrealisation (oder beides) beisteuern. Interpretiert man diese Eigenschaften vorläufig als Merkmale [±Perfektiv] und [±Tilgung des externen Arguments] in einer Kreuzklassifikation, ergeben sich vier Kombinationen, die prädikativ so tatsächlich im Deutschen realisiert werden:
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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(86) [+Perfektiv]
[-Perfektiv]
[+Tilgung des externen Arguments]
sein + P2
werden + P2
[-Tilgung des externen Arguments]
haben + P2
finite Verbform
Das Merkmal [+perfektiv] repräsentiert die Eigenschaft eines Partizips, die Abgeschlossenheit der verbalen Handlung (in Perfekt bzw. Zustandspassiv) auszudrücken. Syntaktisch lässt sich auch die Eigenschaft, ein externes Argument nicht zuzulassen, nun im Rahmen des Minimalismus ohne weitere Maschinerie ausdrücken: So selegiert der T-Kopf, wie bereits gesagt, seine Schwester vP. Diese ist zuständig für die Realisation transitiver Strukturen (Chomsky '95a: 315f.). Würde nun T° anstatt einer vP eine VP selegieren, so wären nur Verben möglich, die kein externes Argument aufweisen, welches in SpecvP lizenziert werden müsste. Das tentativ angesetzte Merkmal [Tilgung des externen Arguments] lässt sich demnach ersetzen durch und zurückfuhren auf das Selektionsmerkmal des T-Kopfes für vP bzw. VP. Ganz ähnlich analysiert im Übrigen Bennis die Partizipien des Niederländischen (vgl. 2004: 84ff., 92). Durch diese Annahme wird auch die Auxiliarselektion im Perfekt verständlich: Unakkusative Verben, die nicht über ein externes Argument verfugen, können demnach auch aktivisch mit sein verwendet werden (nämlich als Perfekt Aktiv), weil sein die korrekten Eigenschaften aufweist: Die Interpretation trägt eine perfektive Komponente und die syntaktische Struktur ist wohlgeformt, da kein v-Kopf auftritt, der sein EPPMerkmal nicht tilgen kann. Die attributiven Merkmalsmengen sollten sich nun, wie oben angegeben, als Teilmengen der prädikativen T-Merkmalsmengen erweisen. Welche Merkmalsmengen sind also als Teilmengen der prädikativen Merkmalsmengen attributiv möglich? Klar erscheint, dass die Kategorie [Aspekt], wie oben angegeben, in dieser Position situiert werden muss. Neben dem verbalen Aspekt wäre auch [Modus] eine nicht unplausible Annahme, denn schließlich gilt, dass die Partizipialprädikate in derjenigen Welt als realis gelten müssen, die durch das finite Verb des einbettenden Satzes indiziert wird: so gelingt die Referenz der DP im folgenden Satz nur dann, wenn die Aussage, dass zum Sprechzeitpunkt ein Zug ankommt, wahr ist: (87)
[Der pünktlich einfahrende Zug] ist weiß mit einem roten Streifen.
Anders herum gilt: findet sich in der relevanten Diskursdomäne kein Individuum, welches die durch die DP ausgedrückten Eigenschaften real aufweist, entstehen die klassischen Präsuppositionsprobleme bei der Angabe des Wahrheitswertes der Gesamtaussage: (88)
[Der amtierende König von Frankreich] ist kahlköpfig.
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
Diese Strukturen scheinen auch indikativisch in dem Sinne interpretiert zu werden, als sie einem Relativsatz im Indikativ entsprechen: (89) (90)
[Der Zug, der pünktlich einfährt] ist weiß mit einem roten Streifen. [Der König von Frankreich, der (gerade) amtiert] ist kahlköpfig.
Eine irrealis-Lesart ist auch dort nicht möglich, wo sie nach allgemeinem Weltwissen semantisch plausibel wäre, der folgende Satz kann also auch in Deutschland nicht synonym mit (87) interpretiert werden: (91)
[Der Zug, der pünktlich eingefahren wäre] ist weiß mit einem roten Streifen.
Hier ist allerdings, wie auch fur die P2, darauf hinzuweisen, dass die Annahme des Verbmodus eine mögliche, aber nicht zwingend nötige Annahme ist: Partizipien differenzieren nämlich keine Oppositionen im Modus, d.h. ,konjunktivische Partizipien' sind nicht attestiert (vgl. *der ankommen würdende Zug, *der angekommen wären(d)e Zug). Es ließe sich daher auch eine Repräsentation denken, die den indikativischen Modus einfach als cfe/äw/f-Interpretation ausweist, die fur alle Ausdrücke gilt, die keine Modusflexion aufweisen (also ζ. B. auch für Adjektive). Da mir die Annahme eines Verbmodus aber keine problematischen Konsequenzen zu haben scheint, behalte ich sie im Folgenden als (optionale) Spezifikation bei. PI scheinen daher einen imperfektiven Aspekt, optional indikativischen Verbmodus und, wie oben angegeben, eine Selektion für Verbalprojektionen mit vollständiger Argumentstruktur (also potentiell auch eine starke Phase v*P im Sinne Grewendorfs 2002: 306) aufzuweisen. Selbstverständlich können auch intransitive und unakkusative Verben die PI-Flexion erhalten, auch vP/VP können also von -end selegiert werden. Die vollständige Charakterisierung des T°-Elements von PI ist daher: (92) -end
J |
(Modus = Indikativ) Aspekt = -perfektiv Selektion = v*P (bzw. vP/VP)
Die Merkmale [Person], [Tempus] und [Numerus] werden attributiv offenbar nicht in Τ realisiert, die Menge der attributiven T-Merkmale ist daher eine echte Teilmenge der Merkmalsmenge eines Phi-vollständigen, prädikativen T-Kopfes. P2 wiederum sind mit dem perfektiv unakkusativen/passivischen Auxiliar sein prädikativ kompatibel, wenn es sich um P2 ohne externes Argument handelt. Wie bei den PI kann, aus analogen Gründen, auch bei den P2 optional von indikativischem Modus ausgegangen werden. Sie induzieren eine perfektive Lesart und projizieren eine unvollständige vP (möglicherweise auch wie oben angegeben nur eine VP). Die Charakterisierung von P2-Endungen kann daher lauten:
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2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen (93)
-t/en
J
(Modus = Indikativ) Aspekt = +perfektiv Selektion = vP/VP
L
Damit ähneln die attributiven P2-Endungen in ihren Eigenschaften dem prädikativen Auxiliar sein: Treten P2 prädikativ mit sein auf, so steuern die P2 die perfektive Bedeutungskomponente bei, ihre vP/VP-Projektion kann durch sein selegiert werden. Durch diese Annahme vermeidet man, leere Elemente ansetzen zu müssen, wie etwa eine phonologisch nicht realisierte Form von sein (Zimmermann 2003: 635), oder ein Nullaffix (Zimmermann 2000: 250). Das overte Auxiliar sein steuert prädikativ zudem Tempuseigenschaften und die Merkmale [Person] und [Numerus] bei. Durch diese Annahmen bezüglich der Merkmalsausstattungen attributiver Partizipien wird auch eine Erklärung möglich, warum P2-Formen, nicht aber verbale P l Formen prädikativ auftreten: P2-Formen werden prädikativ als verbale Realisierungsformen für die oben angegebenen Merkmalskombinationen von den Hilfsverben sein, haben und werden selegiert und können attributiv, wenn auch ohne Phi-Merkmale, ebenfalls verwendet werden. Verbale PI-Formen können prädikativ nur marginal auftreten: Da sie nicht über Phi-Merkmale verfugen, sind sie nicht in der Lage, eigenständig einen Subjektskasus zu lizenzieren. Von der Kopula sein können nur solche PI selegiert werden, die vollständig als Adjektive interpretierbar sind, also nur Stative Formen. Diese adjektivische Gruppe der PI tritt tatsächlich auch prädikativ auf. Allen anderen PI steht die Selektion durch die Kopula nun aber nicht offen, da sie im Deutschen aufgrund ihrer semantischen Zeitinstabilität keine zulässigen Adjektive darstellen (vgl. Lehmann '92). Warum treten Pl-Formen, die sich durch affizierte Objekte oder PP-Zielpunkte als Verben ausweisen, nun aber nicht als periphrastische Verbformen prädikativ mit dem Hilfsverb sein auf? Mir scheint, dass sich hierdurch exakt die Merkmalsrealisation ergäbe, die eben auch durch finite Verbformen realisiert wird: Die P l Morphologie fuhrt keine Änderung der Argumentrealisation des zugrunde liegenden Verbs ein und steuert auch keinen perfektiven Aspekt bei. Damit erscheint die Verwendung des prädikativen PI mit einem Auxiliar blockiert, da eine einfachere Form, die finite Verbflexion, zur Verfügung steht. Dies scheint mir die Grammatikalitätsbewertungen prädikativer PI genau zu treffen: Prädikative PI-Strukturen sind dann (wenngleich stark markiert) möglich, wenn eine adjektivische Lesart des PI zumindest geduldet werden kann, sie sind ungrammatisch, wenn eine solche adjektivische Lesart aufgrund der angezeigten Aktionsart unmöglich ist: (94)
??/*Der Hund ist laufend. *Das Kind ist den Kuchen aufessend. *Der Hund ist in den Garten laufend.
Verbal blockiert. Adjektivisch marginal akzeptabel? Verbal blockiert. Adjektivisch unmöglich. Verbal blockiert. Adjektivisch unmöglich.
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I. Analyse attributiver
Ausdrücke
Auch die Tatsache, dass PI gegebenenfalls möglichen P2 oder Infinitiven folgen müssen, erinnert an finite Verben, die (in nicht-permutierten Abfolgen) oft den rechten Rand eines Verbalclusters einnehmen. PI sind attributiv mithin Formen, die genau deshalb auftreten können, weil die Kasuslizenzierung ihres Subjektes auf anderem Wege erfolgen können muss, als über die Lizenzierung durch T°. Die ist, wie unten gezeigt wird, in der Tat der Fall. PI realisieren also attributiv eine Teilmenge derjenigen Merkmalsmenge, die prädikativ durch die finite Verbflexion realisiert werden. Die oben angestrebte, unambige Charakterisierung von PI als Verben findet in der Merkmalsausstattung des seiegierenden Τ also eine entsprechende Ergänzung, da die PI den finiten Verben besonders nahe stehen. Die T-Merkmalsmenge attributiver P2 erklärt, welche Verben attributive P2 auszubilden vermögen: Transitive Strukturen können mit P2 attributiv nicht produktiv realisiert werden, da sie, wie unten gezeigt wird, aus unabhängigen syntaktischen Gründen, nämlich aufgrund der besonderen Kasusrealisation in attributiven Strukturen, ungrammatisch sind. Unergative Verben sind attributiv nicht möglich, weil sie eine v*P zu ihrer Realisation benötigten. Diese v*P kann aber nach dem oben gesagten in attributiven P2TPen nicht eingebettet werden, weil hierzu nicht das benötigte Selektionsmerkmal in T° vorliegt. Es erscheint allerdings sinnvoll, diese Lücke im System der Grammatik des Deutschen als lexikalischen Zufall darzustellen: Tatsächlich betrachtet nämlich noch Heyse die Form das geschlafen habende Kind als zulässig (1814: 347, nach Ehrhard '94: 198). Diejenigen Sprecher des heutigen Deutsch, die diese Form ablehnen, handeln demzufolge nicht auf der Grundlage eines UG-Prinzips: Ihnen scheint lediglich ein lexikalisches T°-Element mit der infiniten Merkmalsmenge abzugehen, die zur Realisation dieser Form nötig ist. Inwieweit diese Variante daher vielleicht auch von Sprechern aktueller Dialekte des Deutschen genutzt wird, ist eine interessante Fragestellung, die aber in der vorliegenden Arbeit nicht weiter verfolgt werden kann. Klar ist, warum Kookkurenzen von P2 mit sein attributiv nicht aufzufinden sind: ein begossen seiender Pudel ist eben unter dieser Merkmalsanalyse dasselbe Tier, welches durch die effizientere Form der begossene Pudel ebenfalls bezeichnet wird. Die Lesart des Vorgangspassiv ist attributiv ebenfalls in vielen Fällen nicht verfugbar, da die Merkmalsmenge im attributiven T° zumeist keine entsprechende Interpretation ermöglicht - es sei denn, man akzeptiert die Verwendung partizipialer Reihungen wie in der geschrieben werdende Brief. Genau dies scheinen nun aber, wie bereits gesagt, einige Sprecher zu tun (vgl. ζ. B. folgendes Beispiel bei Abraham '95: 268: „der geschlagen- (werdend)-e Hund")· Mithin scheint die Realisation eines attributiven Vorgangspassivs eine mögliche Option darzustellen. Anzumerken ist zudem, dass auch transitive Verben semantisch so gestaltet sein können, dass eine Interpretation ihres attributiven P2 als Zustandspassiv nicht möglich erscheint: Einige wenige Verben wie tragen, stützen, etc. sind attributiv erlaubt, wenn sie über eine passivierte Argumentstruktur verfugen, sind aber stativ in dem Sinne, dass ihr Objekt durch die Handlung nicht dergestalt affiziert wird, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt in einen Nachzustand übergeht. Die resultierenden Attribute (das von einer Welle getragene Segelboot, das von einem Pfeiler gestützte Schafott) haben demzufolge keine Lesart, die Abgeschlossenheit ausdrückt! Auch diese Attribute stellen daher möglicherweise eine Realisation der Merkmalskombination {[-perfektiv], [Selektion vP/VPJ} dar. Prädikative Verwendungen mit sein (lIDas Boot ist getragen von einer Welle, ??Das Schafott ist gestützt von einem Pfeiler) sind diesen Verben jedenfalls offenbar nicht zugänglich. Analysen,
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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die von einem leeren sein ausgehen (ζ. B. Zimmermann 2003: 635), müssten demzufolge für transitive Stative Verben auch noch ein leeres werden ansetzen, die vorliegende Analyse verweist lediglich auf die auch prädikativ anzutreffende Homophonie der beiden P2-Formen in Vorgangs- und Zustandspassiv. Die vorliegende Analyse stellt sich daher auf den Standpunkt, dass attributive Vorgangspassive eine generell dialektal lizenzierte Variante sind, deren Realisation davon abhängt, ob ein Dialekt über einen infiniten, imperfektivischen, VP-selegierenden TKopf verfugt oder nicht. Im Falle der Stativen transitiven Verben scheint eine Realisation aber generell möglich. In gleicher Weise kann und will die vorliegende Analyse nicht ausschließen, dass die altertümliche Variante mit P2 + habend eine grammatisch gültige Option ist - wie der oben angegebene Gebrauch im hochsprachlichen Deutsch des 19. Jahrhunderts nachweist. Es scheint aber, als ob sich im Deutschen eine historische Entwicklung abzeichnet, die bestimmte attributive Konstruktionen peu ä peu verdrängt: erlaubt ist in steigendem Maße nur noch das in der attributiven Position, was in seinem Erscheinungsbild ,adjektivisch' interpretiert werden kann. In wie weit diese Entwicklung besonders explizit verbale Konstruktionen erfasst (die Hilfsverbselektion der Adjektive erlaubt haben nicht, daher muss die Konstruktion aus P2 + habend verbal sein), besonders komplexe Verbalketten erfasst (daher der nurmehr dialektale Status von P2 und habend bzw. werdend), oder auf gänzlich andere Eigenschaften rekurriert, kann im Rahmen der vorliegenden (synchron ausgerichteten) Arbeit nicht geklärt werden. Eine Notwendigkeit, solche attributiven Konstruktionen mit dem schweren Geschütz einer universalgrammatischen Restriktion zu verhindern, sehe ich nicht. Die Analyse im Rahmen der vorliegenden Arbeit beschränkt sich daher darauf, das Vorkommen oder Fehlen dieser Konstruktion auf ein lexikalisches Faktum zu reduzieren: Erlaubt ein Dialekt (oder eine ältere Sprachstufe) die partizipialen Verbalcluster attributiv, verfugt er (oder sie) über einen T-Kopf mit den hierfür nötigen Eigenschaften, sprich: Das Deutsch des 19. Jahrhunderts verfügte offenbar über einen T-Kopf mit den Merkmalen [v*P-Selektion] und [+perfektiv] und konnte so die Form das geschlafen habende Kind problemlos realisieren. Im heutigen Deutsch mag der Gebrauch dieses TKopfes altmodisch und überkommen sein, völlig unmöglich erscheint er mir nicht. Die Struktur ist im Gegenteil perfekt interpretierbar und fur die muttersprachliche Intuition schlimmstenfalls ein Grenzfall der Grammatikalität. Genau so lässt sich behaupten, dass diejenigen Sprecher, die der geschrieben werdende Brief akzeptieren, sich nicht etwa einer anders parametrisierten Grammatik bedienen, sondern lediglich lexikalisch über einen infiniten T-Kopf mit den Merkmalen [vP/VP-Selektion] und [-perfektiv] verfugen. Einen drastischeren Sprachwandel vom 19. Jahrhundert in die Gegenwart zu postulieren, halte ich in Anbetracht der eher unklaren Grammatikalitätsurteile der partizipialen attributiven cluster für absolut unnütz - dies wäre zudem kein ,klarer Fall' im Sinne der zulässigen Evidenz in der generativen Grammatik: „In many intermediate cases we shall be prepared to let the grammar itself decide, when the grammar is set up in the simplest way so that it includes the clear cases and excludes the clear non-sentences" (Chomsky '57: 14, meine Hervorhebung). Die einfachste Analyse ist die hier vorgeschlagene, nach der keine nachträgliche grammatische Restriktion über mögliche lexikalische T-Köpfe angenommen werden muss: Verschiedene Sprachstufen und/oder Dialekte des Deutschen realisieren alle vier Zellen der oben aufgeführten Ordnung in finiter (Fin) wie in infiniter (Infin) Form:
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
(95) [+Perfektiv]
[-Perfektiv]
[Selektion vP/VP]
Infm: P2 Fin: sein + P2
Infin: P2 + werdend Fin: werden + P2
[Selektion v*P]
Infin: P2 + habend Fin: haben + P2
Infin: PI Fin: finite Verbform
Die Analyse platziert demnach die beobachtbare Variation an exakt der Position, für die diachrone und dialektale Variabilität eine erwartbare Eigenschaft ist: im Lexikon.
2.2.3.4. CP-Projektion Wenn, wie oben aufgezeigt, keine Koindizierung zwischen einer Spur in SpecTP und N° realisierbar ist, muss die obligatorisch koreferente Interpretation auf anderem Wege erzwungen werden. Eine offensichtliche Möglichkeit ist nun die, die auch im Relativsatz realisiert wird: Durch die Bewegung nach SpecCP wird dort ja ein Argument aus der eingebetteten TP semantisch erneut abstrahiert und steht somit für die Thetaunifikation mit dem referentiellen Arguments des Kopfhomens zur Verfügung. Geht man davon aus, dass eine solche Bewegung nach SpecCP auch in attributiven Partizipialausdrücken möglich ist, müsste das aus der attributiven TP hinausbewegte Argument demnach ebenfalls als koreferent mit dem Kopfnomen ausgewiesen werden. Diese Interpretation wurde so bereits von Fanselow gefordert ('86: 359f.), und Wunderlich befindet: „Die Modifikation besteht [...] genau darin, diese Argumente zu unifizieren, (bzw. zu identifizieren), dadurch werden die Prädikatsdenotate zum Schnitt gebracht bzw. die Prädikate konjunktiv verbunden." ('87: 362) Die leere Kategorie t in SpecTP wird nach dieser Analyse als Variable durch einen leeren Relativoperator op in SpecCP gebunden, welcher wiederum als Koreferent des Kopfhomens interpretiert wird. Die Annahme eines leeren Operators stellt eine geringere Stipulation dar, als zunächst anzunehmen, da dieses lexikalische Element (im Folgenden: LI fur lexical item) in vielen Analysen angenommen wird (vgl. ζ. B. Aoun & Clark '85, Browning '87, Chomsky '82, '86, Contreras '93). Gerade auch für Relativsätze und ähnliche Konstruktionen wird der leere Operator explizit als Relativoperator angesetzt (vgl. ζ. B. Chomsky '86, Chomsky & Lasnik '93, für das Schwedische Platzack 2000). Der Relativoperator op stellt daher lediglich ein kovertes Gegenstück zu den Relativpronomina dar (mit einigen noch zu thematisierenden Unterschieden). Diese Annahme ist auch deshalb nicht unplausibel, weil im Englischen und Bairischen leere Relativelemente in einigen Kontexten erlaubt sind. So lassen sich im
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2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
Englischen grundsätzlich alle Relativpronomen kovert realisieren, die das Objekt des Relativsatzes repräsentieren (96), im Bairischen ist die Weglassung ebenfalls unter gewissen Bedingungen möglich, wenn eine Relativpartikel die C-Position overt realisiert (wie in (97), vgl. Pittner '95: 215f.): (96)
The man [who [I saw]] The man [ [I saw]]
(97)
Der Mo, (der) wo uns g'hoifa hod I sog's dem Mo, (der) wo im Gartn arwat. Die Lampn, (die) wo i g'seng hob wor greißlich.
Das Englische erlaubt umgangssprachlich sogar ein ellidiertes Subjektsrelativpronomen: (98)
There is a man wants to see you.
(Bsp. Fabb '94: 3521)
Die Annahme leerer Elemente ist ein Mittel, welches nicht in allen theoretischen Rahmen zur Verfügung steht. In rein beschreibender Absicht ist es sicherlich vorzuziehen, davon auszugehen, dass einige Sprachen einen Relativsatztyp ausbilden, bei dem das relativierte Argument schlicht fehlt. In der hier verwendeten generativen Theorie darf das entsprechende Argument aber aus diversen theorieinternen Gründen nicht fehlen: Es muss ζ. B. eine Thetarolle des Verbs tragen, damit das Thetakriterium erfüllt wird. Die Thetazuweisung an das Subjektsargument ist für PI auch deshalb nötig, weil nach Burzios Generalisierung, wie gesagt, nur solche Verben ihren Objekten Akkusativ zuweisen können, die ihren Subjekten eine Thetarolle zuweisen ('86: 178). Damit ist der leere op nichts anderes, als die Repräsentation des fehlenden' Arguments in einer Theorie, die das .Fehlen' bestimmter Elemente nicht erlaubt, wohl aber eine nicht phonologisch realisierte Variante eines Elements! Die Annahme eines op verbindet demnach die zwei relevanten Beobachtungen bezüglich der Argumentstruktur attributiver Elemente: Zum einen wird ein Argument dieser Elemente nicht syntaktisch realisiert, zum anderen erscheint aber genau dieses Argument durch das modifizierte Nomen vertreten zu werden. Nota bene gilt ja: Dieser semantische Reflex einer Thetazuweisung ist in attributiven Strukturen unzweifelhaft gegeben: ein bestimmtes Argument eines Partizips, nämlich gerade das fehlende, wird als koreferent mit dem Kopfnomen interpretiert - nichts anderes aber drückt der op in seinen Vorkommen in der Basisposition und der abgeleiteten SpecCP-Position aus! Die Annahme, dass der Operator durch die vorgeschlagene Konfiguration in Koreferenz zum Kopfhomen tritt, ist im gewählten Theorierahmen ebenfalls unumgänglich. Wie bereits oben angedeutet kann eine Thetazuweisung an das Kopfhomen nämlich nicht erfolgen: Die vom Kopfhomen projizierte NP erhielte im Verlaufe der Derivation nämlich eine weitere Thetatrolle durch das Verb des Matrixsatzes, die NP trüge damit zwei Thetarollen - ein klarer Verstoß gegen das Thetakriterium. Damit steht die vorliegende Analyse in natürlicher und plausibler Weise in der Tradition des gewählten theoretischen Rahmens, indem sie ein leeres Element verwendet (welches bereits andernorts in der Literatur definiert wurde) und dieses in eine
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
interpretatorisch relevante Position bewegt. Andere (ζ. Β. monostratal) Repräsentationen sind natürlich leicht vorstellbar - stellen aber möglicherweise lediglich Notationsvarianten dar (vgl. in diesem Sinne etwa Chomsky 2005a: 7). Die Annahme des leeren Operators stellt damit kein neuartiges Postulat dar, vielmehr wird ein aus unabhängigen, theoretischen Gründen notwendiges Element hier nur an anderer Stelle erneut verwendet. Die resultierende Struktur sieht für PI demnach aus wie folgt:
opi
C'
TP
C
DP
V PI
Stellen Partizipialstrukturen nun aber CPen dar, ergeben sich sofort einige neue Fragen: a) Was ist der Kopf der CP? b) Wie bekommt op Kasus? c) Wie sind die in der Einleitung genannten Unterschiede zwischen den Partizipien und postnominalen Relativsätzen zu erklären, wenn doch beide CPen sind? Ad a): Zum Kopf der attributiven CP-Struktur Der Kopf einer Attributionsstruktur sollte, wie alle Köpfe, dasjenige Element sein, welches für die Realisation der Projektion unabdingbar ist. Dieses Element sine qua non ist fur die pränominale attributivische Struktur die KGN-Flexion des Partizips bzw. des Adjektivs: Die Referenzbedingungen, die für das modifizierte Nomen gelten, werden nur durch diejenigen Elemente restringiert, die in der pränominalen Position KGNFlexion aufweisen:
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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(100) der Mann (referiert auf einen (kontextuell salienten) Mann) der dicke Mann (Referenz nur möglich auf solche Männer, die auch dick sind) der dick angezogene Mann (keine solche Restriktion durch dick, aber analoge Restriktion durch (dick) angezogene,) Fehlt die KGN-Flexion in der pränominalen attributiven Struktur völlig, so resultiert streng Ungrammatikalität, vergleichbar der Tatsache, dass endozentrische Phrasen einen Kopf aufweisen müssen: (101) *der dick Mann *der laufend Mann Die Anhebung des Subjektargumentes, hier etwa von laufend(e), ist nun aber genau die Operation, die mithilfe der Koreferenz von Argument und Kopfiiomen die Attributionslesart erzwingt. Sieht man also die KGN-Flexion als Entsprechung zu einem CKopf an, der die Anhebung implementiert, erklärt man gleichzeitig die erzwungenen Lesarten und die Grammatikalitätsverteilungen. Die Linearisierung des C-Kopfes wird unten erläutert, sie stellt in neueren Theorieansätzen kein genuin syntaktisches Problem dar (vgl. Chomsky 2005a: 5). Wie wünschenswert ist es, die attributive KGN-Flexion in diesem Sinne aus der eigentlichen Kasusmorphologie auszugliedern? Tatsächlich ließe sich das einleitend beschriebene Dilemma des ,doppelten Kasussystems' des Deutschen hierdurch auflösen: Das Kasussystem des Deutschen wird auf solche Ausdrücke reduziert, die tatsächlich als Argumente fungieren können (nominale Ausdrücke), das ,zweite' Kasussystem der Nicht-Argumente (attributive Ausdrücke) wird einer anderen Aufgabe zugeführt. Das dies empirisch in der Tat unproblematisch ist, liegt insbesondere daran, dass das Deutsche eben nicht die Verhältnisse etwa des Lateinischen aufweist, dessen Adjektive und Nomina exakt gleiche KGN-Endungen aufweisen und sich daher formal so stark ähneln, dass die römischen Grammatiker Adjektive und Nomina als eine einzige Klasse auffassten (vgl. Law 2003: 59). Die Adjektive galten ihnen als Nomina, die auf Genus und Komparativ flektieren können (vgl. ebd.: 71). Im Deutschen hingegen stimmen, wie eingangs gezeigt, die Endungen attributiver und nominaler Ausdrücke nur an wenigen Stellen (und in Bezug auf einen Wortartstatus nicht aussagekräftigen Formen) überein. Auch funktional lässt sich eine plausible Begründung für die Existenz der KGNFlexion vorstellen: Die KGN-Endung identifiziert diejenigen Ausdrücke innerhalb der Nominalphrase, die attributiv zu interpretieren sind (genauer also: die eines ihrer Argumente zur Koreferenz mit dem Kopfnomen bringen). Dies mag angesichts der Tatsache, dass das Englische nicht über vergleichbare Affixe verfugt, nicht als nötige Vorkehrung erscheinen. Zu beachten ist allerdings, dass das Deutsche durch die größere Anzahl möglicher syntaktischer Ergänzungen in der attributiven Position ein gegenüber dem Englischen sehr viel größeres Bedürfnis hat, attributive Elemente markieren zu können: Gerade dadurch, dass Argumente und Adjunkte im Deutschen auch innerhalb der Attri-
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
butionsstruktur auftreten können, ergibt sich ein Nutzen für ein Element, welches die Interpretation der NP-internen Adjektive von anderen Ausdrücken (wie ζ. B. Adverbien) zu unterscheiden vermag. Die folgenden Sätze etwa unterscheiden sich nur in der Kombination attributiver und adverbialer Lesarten der beteiligten Adjektive bzw. Adverbien: (102) der dick angezogene spazieren gehende Mann der dicke angezogen spazieren gehende Mann der dick angezogen spazieren gehende Mann
Auch im Englischen lassen sich Adverbien und Adjektive overt durch die Adverbialendung -ly unterscheiden, die Unmöglichkeit obligatorischer Argumente innerhalb der attributiven Struktur sorgt darüber hinaus für klare interpretatorische Verhältnisse: (103) the warmly dressed walking man the fat, dressed, walking man
Wenngleich die generative Grammatik nach Chomsky sich üblicherweise keiner funktionalen Erklärungen bedient erscheint es mir attraktiv, dass die vorgeschlagene Analyse keine funktional unplausible Darstellung ist: Die Analyse des KGN-Elementes spiegelt vielmehr eine denkbare funktionale Erklärung des Phänomens, indem sie eine bestimmte zu bewegende Phrase syntaktisch identifiziert, was zu den soeben beschriebenen interpretatorischen Effekten fuhrt. Auch rein formal ist diese Annahme syntaktisch aus theorieinternen Gründen wünschenswert: Im Rahmen neuerer Ansätze muss jede genuin syntaktische Bewegung durch das EPP-Merkmal eines Kopfes ausgelöst werden (vgl. Chomsky 2000: 13, Grewendorf 2002: 188). Nimmt man nun also an, dass die KGN-Flexion in der attributiven Struktur als C-Kopf fungiert, so identifiziert man dasjenige Element, welches mit einem EPP-Merkmal ausgestattet werden muss. Durch diese Annahme kann eine formale, kompositioneil interpretierbare Struktur erzeugt werden, die als Erklärung dafür heran gezogen werden kann, dass die attributive KGN-Flexion eine (u. U. aspektuell spezifizierte) Prädikation (das prädikative Adjektiv oder Partizip mit seinem Argument/seinen Argumenten) in eine Funktion von Mengen von Individuen in Mengen von Individuen (das Attribut) umzuwandeln vermag (vgl. Hamann '91: 664). Diese Darstellung ist auch typologisch plausibel, da sich mit dem Chinesischen und dem Tagalog Sprachen aufzeigen lassen, die vergleichbare Mechanismen (natürlich in morphosyntaktisch abweichender Form) aufweisen (vgl. Rubin '97: 434f.). Darüber hinaus scheint die KGN-Flexion auch besonders geeignet zu sein, als attrahierendes Element zu fungieren, da ihr eine weitere Eignungsbedingung für solche Elemente gleichsam ins Gesicht geschrieben steht: Bedingung für die Bewegung ist nämlich, dass die attrahierende Kategorie über ihre Merkmalsmenge in der Lage ist, die attrahierte Kategorie zu identifizieren (Chomsky 2000: 37ff., Grewendorf 2002: 172ff.). Bereits auf den allerersten Blick scheinen nun aber gerade Kasus-, Genus- und Numerusmerkmale hervorragend geeignet, ein Argument aus der eingebetteten Struktur zu identifizieren! Die genauen Eigenschaften der Bewegung werden unten genauer erklärt.
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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Zunächst gilt es zu prüfen, welche Konsequenzen diese Annahme α priori für das System der Grammatik impliziert und welche Eigenschaften des C-Kopfes weiterhin festzustellen sind. Adjektive und Adverbien konstituieren im Deutschen keine streng geschiedenen Klassen (vgl. ζ. B. Duden '98: 262). So geht etwa Mötsch davon aus, dass Adjektive und Adverbien besser und einheitlicher als eine einzige lexikalische Klasse zu handhaben seien ('99: 159). Tatsächlich weisen beide Wortarten zahlreiche gemeinsame Mitglieder auf, d. h. die meisten Formen, die sich als Adjektive verwenden lassen, können auch als Adverbien auftreten und umgekehrt: „Mit Ausnahme der besonderen Fälle [...] verfugt jedes adjektivisch flektierende Wort über eine Kurzform und damit einen Kandidaten, der adverbialer wie prädikativer Verwendung morphologisch gerecht wird" (Eisenberg 2002: 74). Unter der hier vorgeschlagenen Analyse wird dieses Verhalten erwartbar: tatsächlich werden Adjektive und Adverbien in dieser Analyse als unterschiedliche syntaktische Verwendungen einer einheitlichen lexikalischen Klasse dargestellt: Stehen sie innerhalb der attributiven Position, so müssen sie in eine CProjektion eingebettet werden, deren Kopf, die KGN-Flexion, sie, der traditionellen Auffassung nach, als Adjektive erscheinen lässt. Lexikalisch aber ist keine Unterscheidung von Adjektiv und Adverb mehr nötig - und die Übereinstimmung der Wortartenmitglieder trivial dadurch erklärt, dass es sich lexikalisch um eine einzige Klasse handelt. Auszunehmen sind lediglich gänzlich andersartige Elemente, ζ. B. Satzadverbien, die andere syntaktische Eigenschaften aufweisen (vgl. ζ. B. Eisenberg '94b, Erben '80) und daher eine „Sondergruppe" darstellen (Erben '80: 178). Defektiva sind auch in diesem Ansatz von bestimmten Positionen auszunehmen - diese besondere Unterklasse müssen aber auch solche Analysen annehmen, die Adverbien und Adjektive als zwei verschiedene lexikalische Klassen behandeln. Nach Mötsch handelt es sich bei diesen Einschränkungen um lexikalisch zu repräsentierende Ausnahmen ('99: 159). Demnach ist festzuhalten, dass ein bekannter Fakt der Grammatik des Deutschen als Nebeneffekt der Analyse vorhergesagt wird. Die Analyse ist auch diachron insofern plausibel, als durch den Wegfall der althochdeutschen Adverbialflexion in der Entwicklung zum Mittelhochdeutschen die formale Unterscheidung zwischen Adverb und Adjektiv wegfallt (vgl. Vogel '97: 427f.). Eine Reanalyse der beiden Wortarten als unterschiedliche Verwendungen einer einzigen Wortart wurde damit begünstigt, denn der phonologische Verfall des overten Derivationssuffixes musste in einem Szenario enden, welches einer massenhaften Nullderivation zwischen Adverb und Adjektiv gleichkam. Genau dieser Zustand ist aber kaum je zu unterscheiden von einer Verwischung oder gar Aufhebung einer Wortartentrennung, wie zum Beispiel im Englischen, wo „durch die extrem produktive Null-Ableitung (Konversion) die Grenzen zwischen den lexikalischen Kategorien unscharf werden" (Sasse '92: 5). Sasse geht davon aus, dass die Unterscheidung zwischen produktiver Konversion und Aufweichung der lexikalischen Trennungen sprachübergreifend wohl prinzipiell nur durch methodologische Setzungen entschieden werden kann ('92: 10). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Möglichkeit, auch attributiv komplexe Argumentstrukturen realisieren zu können, historisch gleichzeitig mit einer weiteren Änderung der Grammatik auftritt: Nach Ebert können komplexe attributive Strukturen etwa zur gleichen Zeit nachgewiesen werden, in der sich auch die Klammerstruktur des deutschen Satzes entwickelt ('78: 46ff.). In der Kanzleisprache am Ende des 16. Jahrhunderts ist die Struktur bereits weit verbreitet (ebd.: 47). Zur gleichen Zeit entwickelt das Neuhochdeutsche die Notwendigkeit, die C-
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
Position des Satzes syntaktisch overt zu besetzen (C-visibility, vgl. Pittner '95). Es erscheint daher plausibel, die Vermutung aufzustellen, dass das KGN-C zu diesem Zeitpunkt als Reanalyse bereits etablierter Morphologie angesehen werden kann. Ein Ansatzpunkt für eben diese Vermutung wäre, dass Relativsätze zwischen dem Relativpronomen und der TP offenbar kein C-Element aufzuweisen scheinen. Wenn Cvisibility im Neuhochdeutschen (in anderen Satztypen) gilt, müsste (im Relativsatz) ein Element gefunden werden, welches diese Position besetzt. Ginge man nun aber davon aus, dass mit der KGN-Morphologie der Relativpronomina eine klitische Form von CKopf gefunden wäre, so bestünde kein Grund, die homophonen neuhochdeutschen Endungen der pränominalen Attribute nicht ebenfalls als Instanzen dieses C-Kopfes anzusetzen. Die syntaktischen Unterschiede würden hieraus mehr oder minder direkt folgen: Argumente könnten auch aus einer ,tiefen' pränominalen Struktur angehoben werden. Dieser Ansatz könnte die diachronen Vorgänge möglicherweise als reine Reanalysevorgänge beschreiben, ohne hierzu auf Parameterneusetzungen oder ähnliche Mechanismen zurückgreifen zu müssen (vgl. auch Lenerz '84). Es versteht sich von selbst, dass die vorliegende, synchron argumentierende Arbeit diese bloße Mutmaßung nicht systematisch überprüfen kann. Ob oder inwieweit die diachronen Verhältnisse tatsächlich auf diese Weise analysiert werden können, muss an anderer Stelle festgestellt werden. Folgt man der Annahme, stellt sich die Annahme eines KGN-C als durchaus plausibel und wünschenswert dar und soll daher im Folgenden verfolgt werden. Für das syncrhone Deutsch muss die Aufspaltung des Relativpronomens in Operator- und KGN-Anteil allein deshalb angenommen werden, weil sie die effizienteste Repräsentation der beiden Relativpronomen welch+KGN (ein Mann, welch-er geht) und d+KGN (ein Mann, d-er geht) darstellt. Welche weiteren formalen Eigenschaften lassen sich fur den neuen C-Kopf formulieren? Die Selektion dieses C-Kopfes ist offenbar relativ weit gefasst. Wie einleitend beschrieben können neben Adjektiv und Partizip verschiedenartige Ausdrücke als Attribute fungieren: (104) ein klasse-s Auto unter öfter-em Umrühren der ab-e Arm
(Nomen) (Adverb) (Präposition)
Die für die KGN-Flexion verwendeten Formen ähneln phonologisch den pronominalen Klitika des Deutschen (vgl. Wiese '96: 248 ff.). Wie diese scheinen sie in ihrer Selektion relativ unspezifisch zu sein. Mit Blick auf die klitischen Pronominalformen urteilt Wiese: „It is hard to see how a unified syntactic description of the clitic contexts can be construed" ('96: 251). Die gemeinsame Eigenschaft der möglichen Schwestern des CKopfes scheint die zu sein, dass die Ausdrücke eine Prädikation beinhalten, also Eigenschaften über ein Argument ausgedrückt werden. Diese Charakterisierung trifft sich nun gut mit der Annahme, dass das KGN-C vermittels seiner Merkmalsmenge genau ein Argument aus der eingebetteten Struktur identifiziert, welches zur Etablierung der Koreferenzkonfiguration angehoben werden kann. Damit verfügt das KGN-C auch über eine klare interpretatorische Eigenschaft: Die Struktur, die es einbettet, wird in dem Sinne als syntakto-semantisch unvollständig ausgezeichnet, dass ein Argument aus dieser Struktur als koreferent zu einem Nomen außerhalb der Struktur angesehen werden soll. Das KGN-C kann daher auch nach der Tilgung seiner EPP- und sonstiger
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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uninterpretierbarer Merkmale in den semantisch relevanten Teilen seiner Merkmalsmenge bis LF erhalten bleiben, um genau diese interpretatorische Aufgabe erfüllen zu können. Ein Zusammenbruch des label des Objekts, welches aus dem KGN-Kopf und der TP zusammengesetzt wird ist daher mit Sicherheit auszuschließen, da interpretatorisch relevante Merkmale für dieses label auf LF bereitstehen. Wie identifiziert das KGN-C nun das jeweilige abstrahierte Argument? Zunächst erscheint es sinnvoll, anzunehmen, dass das in C enthaltene Kasusmerkmal hier eine essentielle Rolle spielt, denn diese Identifikation liegt offensichtlich auch in finiten TKöpfen vor: Das höchste Argument lässt sich in einer Nominativ-Akkusativsprache dadurch identifizieren, dass es nominativisch flektiert in die Struktur eingeführt wird. Was den ,Kasus' des C-Kopfes anbetrifft, so ist es nun ersichtlich, dass der Kopf der attributiven CP nicht selbst Kasus trägt, sondern, dass er lediglich einen Kasus identifiziert, d. h. ein Argument aus der eingebetteten Struktur auswählt, welches zur Abstraktion angehoben werden soll. Die in der vorliegenden Arbeit verwendete Bezeichnung , K G N ' soll fur attributive Ausdrücke daher im Folgenden nur in diesem Sinne verstanden werden. Damit kann ohne weitere Stipulation erklärt werden, warum die attributive ,Kongruenzkasus'-Flexion nominalem Kasus nicht ähnelt: Es handelt sich nach dieser Analyse schlicht um ein gänzlich anderes grammatisches Subsystem, welches keinen Argumentstatus des flektierten Elementes kodiert. Es handelt sich damit bei den vermeintlichen Kasusmerkmalen gar nicht um das Merkmal [Kasus], sondern um ein uninterpretierbares Merkmal, welches mit dem Kasusmerkmal der angehobenen Kategorie zur Übereinstimmung gebracht wird. Die KGN-Füllung in C vollzieht damit also, wie bereits angedeutet, einen Vorgang, der Bestandteil der minimalistischen Bewegungstheorie ist (vgl. Grewendorf 2002: 172, Chomsky 2000: 14): Eine Sonde (d. h. eine nicht-interpretierbare Merkmalsmenge) identifiziert ein Ziel, welches über komplementäre Merkmalstypen verfügt (die allerdings interpretierbar sind). Ziel und Sonde kongruieren, wenn keine intervenierende Kategorie die gleichen Merkmalstypen wie die Sonde oder das Ziel aufweist und sich das Ziel in der Domäne der Sonde befindet. Die Phrase, die über die Zielmerkmale verfügt, kann in die Spezifikatorposition der Sonde angehoben werden, wenn die Sonde über ein EPP-Merkmal verfugt. Die KGN-Merkmale eines attributiven C-Kopfes sind in diesem Sinne eine overte Realisation von Sondenmerkmalen. Wie unten gezeigt wird, ist der C-Kopf komplexer attributiver Strukturen zudem tatsächlich mit einem EPP-Merkmal ausgestattet. Inwieweit sind die Genus- und Numerusmerkmale zur Identifikation des abstrahierten Arguments nötig? Zunächst gilt es festzuhalten, dass Genus und Numerus auf dem bewegten Argument nicht formal lizenziert werden müssen, da sie dem Argument inhärent sind und zudem interpretierbare Merkmale darstellen, die keine Verletzung von Full Interpretation an den Schnittstellen LF oder PF hervorrufen. Ein Merkmalsabgleich mit C-Null erscheint daher für diese Merkmale unnötig. Vorstellbar, wenngleich nicht zwingend erforderlich, wäre aber, dass die Merkmale, die in der Sonde den Genus- und Numerusmerkmalen des Ziels gegenüberstehen, uninterpretierbar sind, und daher mit den interpretierbaren Merkmalen des Arguments abgeglichen werden müssen. Würde ein in Genus und/oder Numerus nicht mit dem Kopfnomen kongruierendes Argument angehoben, würde dies allerdings auch ohne weitere syntaktische Annahmen schlicht dazu fuhren, dass aus Gründen der referentiellen Kohärenz keine Koreferenzrelation zwischen dem Kopfnomen und dem abstrahierten Argument etabliert werden könnte: Es scheint semantisch, wie unten gezeigt wird, im Normalfall nicht möglich zu
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
sein, koreferentielle Interpretationen zwischen Pronomen und Nomen mit jeweils unterschiedlichen Genus- und Numerusmerkmalen herzustellen. Hierzu einen speziellen Mechanismus in der syntaktischen Erzeugung der Struktur anzunehmen ist unnötig, da diese Restriktion auch zwischen selbstständigen Sätzen besteht, also außerhalb der engeren Domäne der generativen Syntaxtheorie: (105) [Der Mann]j ging die Straße entlang. Erj /*SieSgii /*Esj /*SieP|il schien(en) nervös zu sein. Im Rahmen einer minimalistischen Syntax muss daher gelten, dass die Übereinstimmung in Genus und Numerus zwischen Operator und Kopfhomen offenbar nicht durch die Operation Agree erzwungen wird - eine solche Operation anzunehmen ist daher aus Gründen der theoretischen Effizienz nicht wünschenswert. Nicht übereinstimmende Merkmalswerte werden in der Interpretation auf LF schlicht nicht akzeptiert, die entsprechenden Strukturen werden auf LF als uninterpretierbar zurückgewiesen. Während fur unabhängige Sätze alternative Lesarten zur Verfügung stehen (die o. a. Sätze also ohne intendierte Koreferenz der Pronomen grammatisch sind), muss bei einer Anbindung eines Attributsausdrucks an eine Nomen nun aber auf Koreferenz zwischen Operator und Kopfhomen bestanden werden, da die Konfiguration um den KGN-Kopf eben diese Lesart vorschreibt. Ist diese Lesart auf LF aus Gründen der Merkmalsinkonsistenz nicht herzustellen, scheitert die Struktur, da alternative Lesarten per definitionem nicht denkbar sind. LF weist also Strukturen zurück, die eine bestimmte, zwingend notwendige Interpretation nicht zulassen. Die entsprechenden Strukturen werden daher als ungrammatisch ausgewiesen. Auch ohne die zwingende Notwendigkeit, die Genus- und Numerusmerkmale in der Merkmalsmenge der Sonde tilgen zu lassen, erscheint es sinnvoll, diese als Identifikationsmerkmale im oben genannten Sinne zu verstehen: Sie ähneln darin, wie unten gezeigt wird, den finiten T-Merkmalen. Wenn nun aber, wie hier angenommen, der leere Operator op durch seinen Kasus identifizierbar gemacht wird, wie wird dieser Kasus wiederum formal lizenziert? Die Antwort auf Frage b) wird im folgenden Abschnitt erörtert. Ad b): Zum Kasus auf op Als Bestandteil einer thetamarkierten Kette muss der leere Operator op einen Kasus bekommen, um auf LF für die Thetalizenzierung sichtbar zu sein (Chomsky '95a: 116). Wie ist diese Kasuslizenz in der offenbar infiniten attributiven Umgebung zu erreichen? Chomsky (2000: 5) mutmaßt, dass zwischen attributiven Ausdrücken und ihren Kopfnomen eine defektive Merkmalsübereinstimmung stattfindet. Die scheinbare Kongruenz zwischen dem KGN-C und dem Kopfhomen kommt, folgt man den oben gemachten Annahmen, aber nur ,indirekt' zustande: Das KGN-C identifiziert einen Operator, welcher einen bestimmten Kasus als Teil seiner Merkmalsmenge trägt. Dieser Operator kann demnach als einziges Element in die SpecCP-Position angehoben werden. Die SpecCP-Position markiert nun die edge der durch die attributiven CP konstituierten Phase (Chomsky 2001a: 13). In dieser Position ist op sichtbar für die Operation Agree (Übereinstimmung), die Merkmale von Sonden und Zielen im syntaktischen Baum miteinander abzugleichen vermag (vgl. Chomsky 2000, Grewendorf 2002). Damit aber besteht fur op in SpecCP die Möglichkeit, per defektiver Merkmals-
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2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
Übereinstimmung Kasus zu erhalten - und zwar von demselben Kasuszuweiser, der auch den Kasus des Kopfhomens lizenziert. Trüge op einen anderen Kasus als das Kopfnomen, würde seine Lizenzierung auf diesem Wege unmöglich und die Struktur wäre aufgrund des nicht lizenzierten Kasus des Operators ausgeschlossen. Die Tatsache, dass attributive Ausdrücke mit ,kongruierender' KGN nur innerhalb der NP auftreten können, ist demnach der Tatsache geschuldet, dass sich der op in der edge der AttributsCP in unmittelbarer Nähe des Kopfhomens befinden muss, um seinen Kasus lizenziert zu bekommen: (106)
[Sonde mit kasuslizenzierenden Merkmalen]
NP
CP
Ν (Domäne der Sonde)
op
(Phasengrenze)
C'
C
Die Kongruenz zwischen dem KGN-C und dem Kopfnomen kommt also explizit nicht dadurch zustande, dass ersteres etwa dem Operator Kasus zuwiese, sondern dadurch, dass nur Numerationen, die den nichtigen' Kasus auf op vorweisen, überhaupt zu einer konvergierenden pränominalen Attributs-CP führen können. Da solche konvergenten Ausdrücke ganz offensichtlich existieren, folgt (im Rahmen der vorgeschlagenen Analyse), dass der C-Kopf der attributiven Phrase tatsächlich, wie bereits oben angedeutet, ein EPP-Merkmal aufweisen muss, so dass der op die edge der Phase erreichen kann. Die eingangs erwähnte komplementäre Verteilung von finiter Verbmorphologie und KGN-Morphologie ist also insofern systematisch, als finite Verbmorphologie und KGNMorphologie diejenigen Köpfe sind, die die reguläre bzw. die defektive Kasuslizenzierung implementieren. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei eine Eigenschaft des verwendeten theoretischen Rahmens noch einmal ausdrücklich genannt: Der Kasus eines Elementes wird letztlich immer durch die Konfiguration bestimmt, in der das Element kasuslizenziert wird. Es ist daher nicht nötig, lexikalisch verschiedene op anzunehmen, die die verschiedenen möglichen Kasus tragen, also etwa einen Nominativ-o/?, einen Akkusativ-op usw.: Entweder wird das Kasusmerkmal, wie eingangs beschrieben, durch lexikalische Mechanismen zugewiesen und durch die syntaktische Konfiguration lizenziert, oder
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I. Analyse attributiver Ausdrücke
aber der Kasus wird allein durch die syntaktische Konfiguration bestimmt, sodass op zunächst mit einem Kasusmerkmal, aber ohne einen entsprechenden Merkmalswert in die Derivation eingebracht wird. In keinem Falle unterscheidet sich diese Beschreibung ζ. B. von der Kasuslizenzierung von Eigennamen: Auch diese werden ohne Unterschiede in ihrer morphologischen Form durch die verschiedenen Kasus gefuhrt, ein Merhfacheintrag eines einzigen Eigennamens im Lexikon wird dadurch aber keinesfalls nötig. Die phonologisch koverte Form des op führt hier zu überhaupt keinen Unterschieden, ein einziges lexikalisches Element wird (ob lexikalisch oder syntaktisch) durch die verschiedenen Kasus geführt, eine Proliferation leerer Elemente entsteht hierdurch ausdrücklich nicht! In neueren Ausprägungen des Minimalistischen Programms wird die Möglichkeit erwogen, eine Phrase optional mit mehreren Spezifikatoren auszustatten (vgl. Chomsky '95b, 2000, 2001a, 2001b). Dies erscheint fur die CP des Deutschen allerdings keine sinnvolle Option darzustellen, da einige der stabilsten Eigenschaften des Neuhochdeutschen, wie die Verb-Zweit-Stellung in selbstständigen Aussagesätzen sowie Extraktionsmöglichkeiten aus eingebetteten Sätzen stets mit dem Verweis darauf erklärt wurden, dass die CP des Deutschen für die Besetzung des Vorfeldes, bzw. als Zwischenlandeposition sukzessiv-zyklischer Bewegungen, nur eine einzige Spezifikatorposition zur Verfügung stellt. Eine größere Anzahl von CP-Spezifikatoren ist daher theoretisch möglich - empirisch stellt sie eine schwer zu rechtfertigende Stipulation dar. Geht man davon aus, dass nur eine einzige SpecCP-Position zur Verfugung steht, können auch nur solche Ausdrücke attributiv verwendet werden, die maximal ein Element mit nicht-lizenziertem Kasus aufweisen. Minimal wird nun ebenfalls ein Argument zur Abstraktion benötigt, um die Verrechnung mit dem Kopfnomen etablieren zu können (vgl. Wunderlich '97: 16, 28). Infinite Attributsausdrücke verfugen daher über genau ein nicht kasuslizenziertes Argument, dies entspricht der beobachtbaren Klasse pränominaler Elemente: (107) Adjektive (ein externes Argument, weitere nur mit lexikalischem Kasus) PI (ein externes Argument, weitere strukturell in vP/VP lizenziert) P2 (ein internes Argument, weitere nur mit lexikalischem Kasus oder als PP) Als mögliches Indiz für die Existenz des defektiven Merkmalsabgleich ist ein weiteres Datum interessant: Gallmann weist mit seiner Suffixregel (Fassung B) darauf hin, dass die Nomina des Deutschen längst nicht mehr zwangsläufig und ausnahmslos morphologisch overten Kasus aufweisen müssen ('96: 290). Ohne attributiven Ausdruck kann das Nomen im heutigen Deutsch bereits eine default-Form annehmen, die morphologisch dem Nominativ entspricht, der syntaktische Kasus bleibt demnach kovert. Attributive Adjektive hingegen sind stets morphologisch overt für Kasus markiert (ebd.: 307). Treten aber nun attributive Adjektive zu einem Nomen hinzu, so muss dieses Nomen den Kasus nach Gallmanns Suffixregel (Fassung B) obligatorisch ausbilden. Eine tentative Analyse dieses Faktums der deutschen Grammatik könnte nun aber gerade andersherum darin bestehen, dass durch die defektive Übereinstimmung des attributiven Ausdrucks die morphologische Markierung des Kopfnomens erzwungen wird: Das Attribut kann nur dann seinen op defektiv kasuslizenzieren, wenn die Gesamt-NP kasusmarkiert wird. Die Kasusmarkierung der NP aber impliziert die
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Kasusmarkierung des Kopfnomens, und eine inhomogene Kasusrealisation auf op und N° wird offenbar nicht geduldet. Damit wird die vermeintlich nominale KGN-Endung auf Adjektiven, Partizipien usw. im Übrigen zu einer Form, die durchaus auch verbale Eigenschaften aufweist: Finite Verbindungen steuern, wie oben angedeutet, Informationen über ein bestimmtes Argument bei (nämlich das , Subjekt' in Nominativ-Akkusativ-Sprachen), welches nach SpecTP angehoben werden soll. Die KGN-Merkmale in C realisieren eine völlig analoge Funktion, wie in (108) und (109) grob skizziert: (108) Finite Endung in Der Mann läuft: „Das Argument mit den Eigenschaften 3. Person, Singular, Nominativ, aGenus wird in die Spezifikatorposition angehoben und dadurch zum , Subjekt'." (109) KGN-C in der laufende Mann: „Das Argument mit den Eigenschaften aPerson, Singular, Nominativ, Maskulinum wird in die Spezifikatorposition angehoben und dadurch abstrahiert." Unterschiede zwischen verbaler finiter Flexion und der KGN-Morphologie von Partizipien bestehen in drei Punkten: Zunächst ist das KGN-C in seiner Selektion wesentlich unspezifischer als T: Jeder Ausdruck, der ein abstrahierbares Argument enthält, kann als Schwester von KGN-C fungieren, also ζ. B. auch Adjektivphrasen (siehe unten). Zum anderen können die T-Merkmale eines finiten Verbs (anders als KGN-C) über das Merkmal [Person] auch Argumente identifizieren, die in der ersten oder zweiten Person auftreten, die Merkmalsmenge des KGN-Kopfes kann hingegen (anders als T) auch nicht-nominativische Argumente anheben. Ferner verfugt das verbale Kongruenzsystem im Deutschen im Unterschied zu anderen Sprachen (etwa des indischen Subkontinents, Dagmar Jung, p.c.) nicht über eine Identifizierung anhand des Genus. Diese steht fur die pränominale Flexion möglicherweise zur Verfugung (vgl. oben). Der dritte Unterschied besteht darin, dass die Merkmale von Τ selbst in der Lage sind, den Nominativ des Subjektes in SpecTP zu lizenzieren - die KGN-Merkmalsmenge hingegen lizenziert keinen Kasus, daher kann der op diesen in der Spezifikatorposition nur von einem DP-externen Element beziehen. Inwieweit können die Merkmalsmengen von Partizipien nun als defektiv beschrieben werden? Nötig ist eine Lösung, die es dem op ermöglicht, selbst über eine eingeschränkte Merkmalsmenge zu fungieren, die einer Kasuslizenzierung des Kopfnomens nicht im Wege steht: Hätte op nämlich eine vollständige Merkmalsmenge, würde er in einem (nun nicht-defektiven) Agree-Prozess die uninterpretierbaren Merkmale der Sonde tilgen. Das Kopfnomen könnte dann aber wiederum seinen Kasus nicht von dieser Sonde lizenziert bekommen, die Struktur könnte aufgrund der uninterpretierbaren Merkmale des N° dann aber nicht konvergieren. Die Defektivität des op müsste zudem in einem Merkmal zu suchen sein, welches in der Merkmalsmenge des Partizips nicht lizenziert zu werden braucht, dessen Abwesenheit im op also auch nicht zu ungetilgten uninterpretierbaren Merkmalen auf Seiten des Partizips führt. Dieses Merkmal scheint nun das Merkmal [Person] zu sein: Grewendorf (2002: 175) geht davon aus, dass Partizipien kein Merkmal [Person] aufweisen. Dies würde der vorliegenden Ana-
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I. Analyse attributiver
Ausdrücke
lyse insofern entsprechen, als die T-Merkmalsmenge von Partizipien um die verbalen Kongruenzmerkmale reduziert ist, die prädikativ durch Auxiliare realisiert wird. Es wäre insofern möglich, dass auch op kein solches Merkmal aufweist. Dies würde zudem erklären, warum op im Deutschen (anders als sein englisches Pendant) niemals als Argument finiter Verben fungieren kann, da op nicht in der Lage wäre, die Phi-Merkmale eines finiten Verbs vollständig zu tilgen. Ein weiteres Indiz dafür, dass op nicht in der Lage ist, als Ziel eines nicht-defektiven Übereinstimmungsprozesses zu fungieren, findet sich in einer bisher meines Wissens nicht beschriebenen Lücke in der Partizipbildung: Manche Verben im Deutschen sind in der Lage, ihren Subjekten oder Objekten lexikalische Kasus zuzuweisen. Wie sich herausstellt, sind genau die Partizipialbildungen attributiv nicht möglich, die einen lexikalischen Kasus auf op erfordern würden: So sind Verben mit lexikalischem Objektkasus nicht als P2 attribuierbar (vgl. Ich habe dem Mann aufgeholfen - *der aufgeholfene Mann). Im Rahmen der hier vorgeschlagenen Analyse ist dies erklärbar: da op sich nicht als Ziel einer vollständigen Merkmalsübereinstimmung eignet, kann der lexikalische Kasus nicht mit op abgeglichen werden. Das genau umgekehrte Bild ergebt sich bei attributiven PI: Hier sind lexikalische Subjektskasus nicht realisierbar (vgl. Dem Mann graut vor etwas — *der grauende Mann). Der leere Operator op eignet sich demnach in allen relevanten Konstruktionen nicht für einen vollständigen Merkmalsabgleich und muss daher als defektiv angesehen werden. Verfugt op nun aber über eine defektive Merkmalsmenge, so wäre er im Zuge einer defektiven Merkmalsübereinstimmung nicht in der Lage, die Kasuslizenz eines DPexternen Kasuslizenzierers zu blockieren, so dass das Kopfnomen keine Kasuslizenz erreichen könnte: Der op löst ohne das Merkmal [Person] keine Tilgung der Sondenmerkmale eines DP-externen Kasuszuweisers, etwa von T, im Verlaufe des AgreeProzesses aus - es sind ja gerade die interpretierbaren Phi-Merkmale des nominalen Ziels, welche die nicht-interpretierbaren Sondenmerkmale tilgen (Grewendorf 2002: 178). Wenn op keine vollständige Phi-Merkmalsmenge aufweist, bleiben die uninterpretierbaren Phi-Merkmale, etwa eines kasuslizenzierenden Τ erhalten, da es sich um eine Instanz defektiver Übereinstimmung handelt, die nur einseitig die Merkmalsmenge des Phi-unvollständigen Elementes tilgt. Anders ausgedrückt: op eignet sich nur dort als Ziel einer Übereinstimmungsrelation, wo ein weiteres, nicht-defektives Nomen in extrem lokaler Nähe zu op als Ziel derselben Sonde zur Vefugung steht. Exakt diese Distribution wird durch die Daten bestätigt. Die Reduktion der Merkmalsmenge von op um das Merkmal [Person] scheint daher alle gewünschten Eigenschaften für die Merkmalslizenzierung mitzubringen: Zum einen kann der leere Operator op im Deutschen nur als Argument infiniter Verben (ohne lexikalischen Kasus) fungieren. Andere Verwendungen, die zu problematischen empirischen Vorhersagen führen könnten, sind demzufolge ausgeschlossen. Zum anderen kann das Partizip alle seine Merkmale mit op abgleichen, weil es selbst ebenfalls nicht über das Merkmal [Person] verfügt. Zum dritten wird die Merkmalszuweisung an das Kopfnomen nicht blockiert, da der Übereinstimmungsprozess des op mit dem DPexternen Kasuszuweiser defektiv ist. Durch diese Repräsentation wird ein Problem gelöst, welches in verschiedenen älteren Analysen durch die dort geltenden Anforderungen der jeweiligen Kasustheorie gestellt wurden: Eine Anforderung an das nicht overt realisierte Argument eines Attribut war es, dass dieses Element den Kasusfilter passieren musste. Diese Anforde-
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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rung war weder in Checking- noch Kasuszuweisungsszenarien fur overte Elemente erfüllbar: Die infinite Umgebung der Attributionsstruktur stellte nicht die nötigen Finitheitsmerkmale bereit, die eine Lizenzierung eines overten Argument erlaubt hätten. Eine Kasuszuweisung, die von einem Element außerhalb der Attributionsstruktur hätte erfolgen können, wurde zumeist nicht angedacht. Damit blieb nur PRO als plausibles Subjektsargument innerhalb einer infiniten attributiven Struktur übrig (vgl. Drijkoningen '87, Toman '86, '87, Williams '80). Durch die veränderten Mechanismen der Kasuslizenzierung durch die Operation Agree steht für die vorliegende Analyse die soeben beschriebene defektive Kasuslizenz erstmalig zur Verfugung - und erweist sich als probates Mittel, die genannten Probleme, die mit dem PRO-Subjekt verbunden sind, zu umgehen. Es zeichnet sich für das Deutsche eine Merkmalstypologie ab, die die KGNMerkmale auf der einen Seite mit T-Merkmalen assoziiert (sie identifizieren ein Argument durch dessen Kasus), auf der anderen Seite aber auch ihre Ähnlichkeit mit Wh-Merkmalen aufzeigt (da sie keine Kasuslizenz für das identifizierte Argument aussprechen können). Es ist also festzuhalten, dass die KGN-Flexion nicht etwa ein zweites Finitheitssystem in die Sprache einführen soll, da sie eben nicht wie die finite Verbmorphologie in der Lage ist, Kasus zu lizenzieren. Dies wäre auch insofern unsinnig, als selbst die finite Verbmorphologie des Deutschen nicht in der Lage zu sein scheint, einen Merkmalsabgleich mit nicht-nominativischen Subjekten durchzuführen: (110) Mir, Ps./Dir2 Ps wird 3Ps . geholfen. Hier wirdsg zehntausenden FlüchtlingenPi geholfen. *Zehntausend Radfahrern werden geholfen Nur Subjekte im Nominativ kongruieren offenbar mit T° in Person und Numerus, die Passive von Verben mit lexikalischen Objektskasus realisieren hingegen auf dem Hilfsverb eine unveränderliche Form (3. Person Singular), die möglicherweise defaultCharakter hat. Die Annahme, die KGN-Flexion würde die nicht-nominativischen Kasus (in Genitiv-, Dativ- oder Akkusativ-NPen) lizenzieren, würde also neben der uneleganten Verdoppelung des verbalen Systems auch zu einer im Deutschen gar nicht attestierten Art von Kasuszuweisung führen. Vorstellbar wäre eine Kreuzklassifikation, die die Merkmalstypen des Deutschen dahingehend unterteilt, welche beobachtbaren Eigenschaften sie aufweisen: So identifiziert die finite Verbalflexion ein Argument des Verbs anhand seines Kasus und lizenziert im gleichen Zuge diesen Kasus. Die KGN-Flexion identifiziert ebenfalls ein Element anhand seines Kasus, ohne diesen aber selbst lizenzieren zu können. Die Wh-Merkmale in Fragesätzen wären ein Beispiel für eine Merkmalsmenge, die ein Element anhand von Wh-Merkmalen, also gerade nicht anhand eines Kasusmerkmals identifiziert: (111) Kasusidentifikation Kasuslizenzierung
Phi-Merkmale
Keine Kasuslizenzierung
KGN-Merkmale
Keine Kasusidentifikation *
Wh-Merkmale
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I. Analyse attributiver
Ausdrücke
Die vierte Kombination ([Keine Kasusidentifikation] und [Kasuslizenzierung]) erscheint unmöglich, gar paradox: Ein Element, welches einen bestimmten Kasus lizenziert, muss trivialerweise in der Lage sein, diesen bestimmten Kasus auf dem bestimmten Element zu lizenzieren, welches ihn morphologisch realisiert. Die vorgeschlagene Repräsentation erscheint auch im Licht neuerer und neuester theoretischer Ansätze attraktiv: Die enge Verbindung von Eigenschaften der Projektionen von Τ (bzw. I) und C fuhrt in steigendem Maße dazu, dass die beiden Projektionen syntaktisch immer enger miteinander verwoben werden: Die „well-known COMP-INFL relations" (Chomsky '81: 300) sind bereits in den frühesten Ausformungen des Prinzipien-und-Parameter-Ansatzes durch besondere Repräsentationen zu erfassen versucht worden. Die Einfuhrung der funktionalen Projektionen C und I etwa ermöglichte, die engen Verflechtungen von Verbflexion und nebensatzeinleitenden Konjunktionen als Reflexe einer Kopf-Kopf-Relation anzusehen (ebd.). Spätere Analysen stellten den Zusammenhang über Selektionseigenschaften dar (ζ. B. Chomsky '95a: 54f.) oder versuchten, bestimmte einschlägige Phänomene durch Bewegungsprozesse abzuleiten (z.B. Pesetsky & Torrego 2001: 381). In einer neuesten Ausformung des Minimalistischen Programms (Chomsky 2005a, b) geht diese Assoziation nun so weit, dass C und Τ nicht die bisher angenommenen Merkmalszusammensetzungen haben - Τ ,ererbt' Merkmale von C: „For Τ, Phi-features and Tense appear to be derivative from C. In the lexicon, Τ lacks these features. Τ manifests them if and only if it is selected by C (default agreement aside); if not, it is a raising (or ECM) infinitival, lacking Phi-features and tense [Kleinschreibung bei Chomsky, Anmerkung VS], So it makes sense to assume that Agree- and Tense-features are inherited from C, the phase head." (Chomsky 2005a: 9) Die oben erstellte Kreuzklassifikation ermöglicht es daher, wenngleich nur spekulativ, Mutmaßungen darüber anzustellen, welche möglichen Köpfe die Projektion C/T aufweisen kann. Weitere Differenzierungen sind selbstverständlich nötig, um die beobachtbaren Strukturtypen zu unterscheiden - die oben angedeuteten Merkmale scheinen mir aber eine Minimalausstattung darzustellen. Im zweiten Teil der Arbeit werden darüber hinaus weitere denkbare Merkmalskombinationen des C/T-Kopfes auf ihre Eigenschaften überprüft. Die hier vorgeschlagene Analyse vereinheitlicht durch die Analyse der KGNFlexion als C-Kopf bereits in diesem Stadium die komplexen attributiven Ausdrücke des Deutschen dahingehend, dass sie syntaktisch allesamt durch CP-Strukturen repräsentiert werden. Der einheitlichen semantischen Funktion kann also auch eine strukturell einheitliche syntaktische Repräsentation zugewiesen werden (die im zweiten Teil der Arbeit mit wenigen Änderungen auch auf attributive Genitiv-DPen und Präpositional-Attribute übertragen wird). Welche formalen Unterschiede aber fuhren zu den beobachtbaren Unterschieden zwischen Partizipien und Adjektiven auf der einen Seite (d. h. pränominalen Attributs-CPen im Sinne der Analyse) und Relativsätzen (d. h. postnominalen CPen)?
2. Analyse attributiver Ausdrücke im Deutschen
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Ad c): Unterschiede zwischen pränominalen und postnominalen CPen Einleitend wurden einige empirische Unterschiede aufgezeigt, die prä- und postnominale CPen (im Sinne der vorliegenden Analyse) aufweisen. Postnominale Relativsätze lassen, einfach gesagt, oft mehr grammatische Optionen zu als pränominale: Adjektive und Partizipien sind in ihrer Komplexität begrenzt, während Relativsätze dies nicht sind. Relativiert wird bei Adjektiven und Partizipien vorhersehbar das höchste Argument, bei Relativsätzen ein nahezu beliebiges Argument oder Adjunkt. Relativsätze sind extraponierbar, Adjektive und Partizipien nicht. Ebenso lässt sich an Relativsätze extraponieren: (112) Ich habe den Mann gekannt, [[der die Frau tj gesehen hat,] [i die Rad fuhr]]. Partizipien lassen diese Option nicht zu: (113) *der [[[die Frau] sehende] die Rad fuhr] Mann Im Folgenden wird gezeigt, dass diese Unterschiede als Reflexe der unterschiedlichen lexikalischen Mengen (lexical arrays oder Numerationen, NUM) zu analysieren sind, die jeweils als Eingabe in die syntaktische Maschinerie fungieren. Es werden, über den leeren Operators hinaus, keine weiteren Zusatzannahmen benötigt. Ein offensichtlicher Unterschied zwischen Partizipien und Adjektiven auf der einen Seite und Relativsätzen auf der anderen Seite ist die fehlende verbale Finitheit in der ersten Gruppe. Relativsätze hingegen enthalten im Deutschen stets ein finites Verb. Dieser Unterschied ist im Rahmen neuerer Theorien als Unterschied der Numerationen aufzufassen, da durch die Derivation keine Merkmale in die Struktur eingeführt werden können (Inclusiveness, vgl. Chomsky 2000: 27, Grewendorf 2002: 127). Mit anderen Worten nimmt ein klassischer Relativsatz Ausgang von einer Numeration, die die erforderliche Menge Phi-Merkmale bereits enthalten muss. Adjektivische oder partizipiale Attributionsstrukturen weisen eine solche vollständige Phi-Menge nicht auf. Dieser lexikalische Unterschied erklärt einen Großteil der syntaktischen Unterschiede zwischen prä- und postnominalen CPen, wie im Folgenden am Beispiel der jeweiligen Konstruktionen gezeigt wird. Die Infinitheit des Partizips bedingt die Unmöglichkeit der Kasuslizenzierung auf genau einem verbalen Argument in der Attributionsstruktur: So können PI beispielsweise bei möglichen agentivischen Argumenten keinen Nominativ lizenzieren. P2 können analog nur Kasus überprüfen, die dem zugrunde liegenden Verb lexikalisch inhärent sind. Es folgt, dass zusammenfassend jeweils genau ein Argument in einer Partizipialstruktur seinen Kasus nur auf dem Wege lizenziert, der in der erstellten Analyse bereits angenommen wurde: In der Folge der Bewegung nach SpecCP steht dieses Argument in der edge der CP-Phase, so dass eine defektive Merkmalsübereinstimmung mit demjenigen Kasuslizenzierer erfolgen kann, der auch den Kasus des Kopfnomens überprüft. Da, wie oben angegeben, nur genau eine solche et/ge-Position verfugbar ist, folgen einige Eigenschaften attributiver Partizipien ohne weitere Stipulation. PP-Argumente oder Adjunkte können ζ. B. nicht abstrahiert werden: Wird die