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German Pages 322 Year 2014
Schriften zum Völkerrecht Band 206
Autonome unbemannte bewaffnete Luftsysteme im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts Anforderungen an das Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen
Von
Robin Borrmann
Duncker & Humblot · Berlin
ROBIN BORRMANN
Autonome unbemannte bewaffnete Luftsysteme im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts
Schriften zum Völkerrecht Band 206
Autonome unbemannte bewaffnete Luftsysteme im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts Anforderungen an das Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen
Von
Robin Borrmann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.
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© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-14350-4 (Print) ISBN 978-3-428-54350-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84350-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Unbemannte bewaffnete Luftsysteme – wie zum Beispiel die amerikanischen Predator MQ-1 oder die Reaper MQ-9 – gehören nunmehr zum festen Bestandteil des Arsenals einer Vielzahl technologisch führender Nationen. Allen bisher in den Dienst gestellten Systemen ist gemein, dass sie ferngelenkt werden. Die Entscheidung über den Einsatz tödlicher Gewalt trifft mithin derzeit allein der Mensch. Allerdings wird der Mensch zunehmend als potentielle Fehlerquelle, unnötiger Kostenfaktor und Performance-Killer begriffen. Denn anders als computergestützte Systeme kann der Mensch emotionsbedingte Fehlentscheidungen treffen. Darüber hinaus leiden ferngelenkte Systeme unter den technischen Grenzen satellitengestützter Signalübertragung. Daher setzt sich in Militärkreisen zunehmend die Überzeugung durch, dass das volle Potential unbemannter bewaffneter Luftsysteme nur dann vollständig ausgeschöpft werden kann, wenn der Mensch so weit wie möglich aus dem Prozess der Zielauswahl und Angriffsentscheidung herausgenommen wird. Entsprechend prüfen derzeit einige Staaten die Entwicklung autonomer unbemannter bewaffneter Luftsysteme. Die geplante zunehmende Herausnahme des Menschen aus dem Prozess der Zielauswahl und Angriffsentscheidung wirft die Fragen auf, ob derartige Systeme in rechtmäßiger Art und Weise in internationalen bewaffneten Konflikten eingesetzt werden dürfen und welche Anforderungen sich aus dem in diesem Kontext anwendbaren Völkerrecht für das Konstruktionsdesign derartiger Systeme ergeben. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013 von der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt all denen, welche die Entstehung dieses Buches begleitet haben. Besonders danken möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Wolff Heintschel von Heinegg für sein großes Interesse an dem Thema, seine wertvollen Anregungen und die sehr rasche Erstellung des Erstgutachtens. Bereits als Student und insbesondere während meiner Lehrstuhltätigkeit hat er mich für das Völkerrecht im Allgemeinen und für das Recht des bewaffneten Konflikts im Besonderen begeistert und damit den Grundstein für die vorliegende Arbeit gelegt. Frau Prof. Dr. Carmen Thiele danke ich für die sehr zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Bedanken möchte ich mich überdies bei dem Auswärtigen Amt für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses, ohne den die Veröffentlichung dieser Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre.
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Vorwort
Bei meiner Familie möchte ich mich dafür bedanken, dass sie mich in meinem Promotionsvorhaben in jeder erdenklichen Art und Weise unterstützt haben. Großer Dank gebührt schließlich meiner Lebensgefährtin Canan Demirci, die mich stets vorbehaltslos und geduldig unterstützt und an der Arbeit großen Anteil genommen hat. Ohne ihren Rückhalt wäre mir die Erstellung dieser Arbeit parallel zu meinen promotionsbegleitenden Nebentätigkeiten und dem Referendariat nicht möglich gewesen. Die vorliegende Arbeit widme ich meinem Großvater Prof. Dr. Rolf Borrmann (* 23.07.1928, y 19.12.2007). Berlin, im Februar 2014
Robin Borrmann
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1
A. B. C. D.
Einleitung
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Trend zur Einführung von Autonomie in unbemannte bewaffnete Luftsysteme Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 23 23 25
Kapitel 2 Einordnung des Untersuchungsgegenstandes in die Begrifflichkeiten des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts A. Einordnung von autonomen UACVs in die allgemeine Terminologie des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mittel der Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 35 (2) ZPI als Definitionsnorm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außervertragliche Definition des Mittels der Kriegführung . . . . . . . . . II. Mittel zur Schädigung des Feindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Waffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition des Waffenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subsumtion autonomer UACVs unter den Waffenbegriff . . . . . . . . . . . 3. Autonome UACVs als Marschflugkörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Waffensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Plattform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mittel der Kampfführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Angriffsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Methode der Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einhegung autonomer UACVs in die spezifische Terminologie des völkergewohnheitsrechtlichen Luftkriegsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Luftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Militärisches Luftfahrzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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26 27 27 29 30 31 31 33 34 35 36 37 39 40 41 41 42 43 47
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Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Rechtsrahmen der Untersuchung
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§ 1 Verbot der unbeschränkten Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 § 2 Unterscheidungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Personenbezogene Plicht zur Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzung zwischen Zivilpersonen, Kombattanten und Teilnehmern einer Levée en masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schadenskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schäden militärischer Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schädigung geschützter Personen und Objekte . . . . . . . . . . . . . . b) Kausalitätskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Belligerent Nexus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitliche Modalitäten der Schutzsuspendierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfolgen der Schutzsuspendierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zweifelsfallregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Objektbezogene Pflicht zur Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition ziviler Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Objektbezogene Definition des militärischen Zieles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirksamer Beitrag des Objektes zu militärischen Handlungen des Gegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kriterium der Beschaffenheit des Objekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kriterium des Standorts des Objekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kriterium der Zweckbestimmung des Objekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kriterium der Verwendung des Objekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unzulässigkeit des Kriteriums der war-sustaining capability des Objekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aus dem Angriff resultierender eindeutiger militärischer Vorteil . . . . . C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Verbot unterschiedsloser Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Angriffe, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden . B. Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder Kampfmittel angewendet werden, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können . . . C. Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder Kampfmittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften des Protokolls begrenzt werden können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Unterschiedslose Bombardierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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§ 4 Exzessverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Anwendungsbereich und grundsätzliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Faktoren der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einzubeziehender Kollateralschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Problematik der Einbeziehung indirekter ziviler Kollateralschäden . III. Konkreter und unmittelbarer militärischer Vorteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verhältnissetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung des Begriffes „excessive“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ermittlung des exzessiven Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 5 Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vorsichtsmaßnahmen im Rahmen militärischer Operationen . . . . . . . . . . . . . . . B. Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorsichtsmaßnahmen in der Planungs- und Beschlussphase . . . . . . . . . . . . 1. Personeller Anwendungsbereich: „Those who plan or decide upon an attack“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des Zentralbegriffes „feasible“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorsichtsmaßnahmen zur Zielverifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorsichtsmaßnahmen betreffend die Wahl der Angriffsmittel und -methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahl der Angriffsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahl der Angriffsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflicht zum Abstandnehmen von einer Angriffsentscheidung . . . . . . . II. Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffseinstellung . . . . . . . . . . III. Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl zwischen mehreren legitimen Angriffszielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergleichbarkeit des militärischen Vorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geringere Gefährdung von Zivilpersonen und zivilen Objekten . . . . . IV. Vorsichtsmaßnahmen bei Kriegshandlungen auf See oder in der Luft . . .
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§ 6 Martens’sche Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Historischer Ursprung und Evolution der Martens’schen Klausel . . . . . . . . . . . . B. Rechtliche Bedeutung der Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsvoraussetzung: Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Luft-Luft Einsatzszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Luft-Boden Einsatzszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materieller Regelungsgehalt der Martens’schen Klausel . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klausel kein eigenständiger direkter Prüfungsmaßstab für Mittel und Methoden der Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis b) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als unmittelbarer Prüfungsmaßstab für Mittel und Methoden der Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Die Martens’sche Klausel in der Anwendung nationaler und internationaler Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Klinge, Supreme Court of Norway, 27. Februar 1946 . . . . . . . . . . . . 144 b) Krupp et al., United States Military Tribunal Nuremberg, 31. Juli 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Rauter, Dutch Special Court of Cassation, 12. Januar 1949 . . . . . . . 145 d) K. W. Case, Conseil de guerre de Bruxelles, 8. Februar 1950 . . . . . 146 e) Martic´, ICYT Trial Chamber, 8. März 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 f) Furundzˇija, ICTY Trial Chamber, 10. Dezember 1998 . . . . . . . . . . . 147 g) Kupreškic´ et al., ICTY Trial Chamber, 14. Januar 2000 . . . . . . . . . . 148 h) Corfu Channel Case, 9. April 1949, Nicaragua Case, 27. Juni 1986, Internationaler Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 i) Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Internationaler Gerichtshof, Advisory Opinion, 8. Juli 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 j) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Martens’sche Klausel in der Anwendung der Staatengemeinschaft . . . 153 a) Militärhandbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Resolution der Generalversammlung 1653 (XVI) . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Redundanz der Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Erinnerung an die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 cc) Klausel als Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 dd) Klausel als rechtlich verbindlicher Prüfungsmaßstab für Mittel der Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (1) Grundsätze der Menschlichkeit als Prüfungsmaßstab . . . . . 156 (2) Forderungen des öffentlichen Gewissens als Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . 158 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Klausel als Prüfungsmaßstab für Mittel der Kriegführung . . . . . . . . 158 aa) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als eigenständige Rechtsquellen des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Inhaltsverzeichnis bb) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als konstitutive Merkmale der Grundsätze des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Martens’sche Klausel als Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als Elemente des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . d) Erinnerungsfunktion der Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Klausel als Umkehrschlussverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung, Verbot der Perfidie und Grundsatz der Ritterlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verbot der Perfidie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Prinzip der Ritterlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 8 Verbot der Terrorisierung der Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 § 9 Recht auf Leben in seiner IPBPR- und EMRK-Ausprägung . . . . . . . . . . . . A. Grundsätzliche Anwendbarkeit von Menschenrechten im internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Separationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Komplementaritätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . I. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition des Tatbestandsmerkmals „jurisdiction“ . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bankovic´ et al. 12. Dezember 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öcalan 12. März 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ilas¸cu et al. 8 Juli 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Issa et al. 16. November 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Medvedyev et al. 29. März 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kritik an der restriktiven Auslegung des EGMR . . . . . . . . . . . . bb) Befürwortung der restriktiven Auslegung des EGMR . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Folgen der grundsätzlichen Fortgeltung des Rechts auf Leben in internationalen bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 176 176 179 181 181 181 187 195 195 195 195 198 199 200 202 202 203 203 205 206 210
12
Inhaltsverzeichnis
I. Das Recht des internationalen bewaffneten Konflikt als lex specialis . . . . II. Bedeutung der Lex-Specialis-Maxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis des Rechts auf Leben aus Art. 6 IPBPR zum Recht des internationalen bewaffneten Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verhältnis des Rechts auf Leben aus Art. 2 EMRK zum Recht des internationalen bewaffneten Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211 211 213 215 216
Kapitel 4 Pflicht zur Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel und Methoden der Kriegführung A. Aufhebung des Art. 36 ZPI infolge der geringen Umsetzung durch die Vertragsparteien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufhebung im Rahmen des Regelungsregimes der WVK? . . . . . . . . . . . . . II. Aufhebung im Wege der Desuetudo Doktrin? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis: Fortgeltung der Verpflichtungen aus Art. 36 ZPI . . . . B. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neueigenschaft des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Autonome UACVs als Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Prüfungszeitpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „To determine whether its employment would, in some or all circumstances be prohibited“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „By the protocol or by any other rule of international law applicable to the High Contracting Party“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Zusatzprotokoll I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Cardinal Principles, das Verbot unterschiedsloser Angriffe und das Verbot der Umweltschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontextabhängige Angriffsregelungen des ZPI . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Exzessverbot aus Art. 51 (5) lit. b ZPI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorsichtsnahmen beim Angriff gemäß Art. 57 ZPI . . . . . . . . . . c) Martens’sche Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Any other rule of international law applicable tot he High Contracting Party“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragliche und völkergewohnheitsrechtliche im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbare Verbote und Beschränkungen . . b) Recht auf Leben aus Art. 6 IPBPR und Art. 2 EMRK . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218
219 219 220 222 223 223 226 227 227 229 229 231 231 231 232 232 234 234 234 234 235 236 237
Inhaltsverzeichnis E. Verfahren und Transparenz der Vorabrechtmäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . F. Zur Frage einer Pflicht zur Vorabkontrolle für Nichtvertragsparteien . . . . . . . . I. Zur Frage einer völkergewohnheitsrechtlichen Pflicht zur Vorabkontrolle II. Zur Frage einer Pflicht zur Vorabkontrolle aus dem Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 237 239 239 241 241
Kapitel 5 Technische Limitierungen autonomer Systeme nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand A. Arkins Konzept eines Ethical Governors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Fähigkeit autonomer Systeme zur Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fähigkeit zur personenbezogenen Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fähigkeit zur objektbezogenen Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fähigkeit autonomer Systeme zur Umsetzung des Exzessverbots . . . . . . . . . . . D. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243 243 244 244 248 251 252
Kapitel 6 Anforderungen an das Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts 254 A. Autonomiebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Vollautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff der Halbautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Vorteile eines hohen Autonomiegrades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Technische Fähigkeiten derzeitiger autonomer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Meinungsstand hinsichtlich der Zulässigkeit vollautonomer Systeme . . . 1. Unzulässigkeit vollautonomer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit vollautonomer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Verbot des Einsatzes vollautonomer UACVs per se im Rechtssinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einsatzbeschränkungen: Kein Verbot des Einsatzes vollautonomer UACVs per se im faktischen Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik an den Argumenten der Vertreter der Zulässigkeit eines Einsatzes vollautonomer UACVs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) An dem intendierten Einsatzzweck orientierter Ansatz . . . . . . . . . .
254 254 255 255 257 257 257 257 258 260 261 264 265 269
14
Inhaltsverzeichnis aa) Rechtmäßigkeit des Einsatzes vollautonomer UACVs im Kontext des „Deliberate Targeting“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes und des Verbots unterschiedsloser Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Objektbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Personenbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ausschluss einer Änderung der Zieleigenschaft . . . . . . (d) Umsetzung der Zweifelsfallregelungen . . . . . . . . . . . . . (2) Umsetzung des Exzessverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Umsetzung der gebotenen aktiven Vorsichtsmaßnahmen bei Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorsichtsmaßnahmen in der Planungs- und Beschlussphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffsunterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Pflicht zur Warnung der Zivilbevölkerung vor Angriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl des Angriffszieles (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtmäßigkeit des Einsatzes vollautonomer UACVs im Kontext des „Dynamic Targeting“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes und des Verbots unterschiedsloser Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Objektbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Personenbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Umsetzung der Zweifelsfallregelungen . . . . . . . . . . . . . (2) Umsetzung des Exzessverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Identifizierbarkeit der Abwägungsfaktoren . . . . . . . . . . (b) Verhältnissetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Umsetzung der gebotenen aktiven Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorsichtsmaßnahmen in der Planungs- und Beschlussphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffsunterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Pflicht zur Warnung der Zivilbevölkerung vor Angriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl des Angriffszieles (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
270 270 271 271 272 273 273 274 274 276 277 277 278 278 279 279 280 280 280 281 283 283 283 284 284 285 285
Inhaltsverzeichnis 3. Zwischenfazit: Zulässigkeit vollautonomer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . E. Zulässigkeit halbautonomer UACVs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systeme mit automatischer Angriffsautorisationsabfrage . . . . . . . . . . . . . . II. Systeme mit einer bloßen Interventionsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 286 286 287 287
Kapitel 7 Fazit Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entscheidungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
289 290 290 308 312
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Abkürzungsverzeichnis ACMR AMRK Art. CCW
d. h. EGMR EMRK et al. etc. GA I GA II
GA III GA IV gem. HLKO
h. M. HPCR HPCR Manual ICRC ICTY
ICTY Statuts IGH IGH Statut
Arabische Charter der Menschenrechte vom 22. Mai 2004 Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. November 1969 Artikel Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können das heißt Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention et alii et cetera Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten gemäß Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907, Anlage zum IV. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs herrschende Meinung Program on Humanitarian Policy and Conflict Research Program on Humanitarian Policy and Conflict Research Manual on International Law Applicable to Air and Missile Warfare International Committee of the Red Cross Internationales Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien vom 25. Mai 1993, verabschiedet durch Resolution 827 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Statut des Internationalen Straftribunals für das ehemalige Jugoslawien Internationaler Gerichtshof Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945, Anlage zur Charter der Vereinten Nationen
Abkürzungsverzeichnis INF Vertrag
IPBPR i. S. d. Lieber Code
NATO Para. St. Petersburger Erklärung u. a. UACV(s) UAV(s) UN-Charter U.S. vgl. WVK ZPI
ZPII
17
Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite vom 08. Dezember 1987 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 im Sinne der/des General Orders No. 100 by President Lincoln, Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field, Prepared by Francis Lieber vom 24. April 1863 North Atlantic Treaty Organization Paragraph Erklärung betreffend Nichtanwendung der Sprenggeschosse im Krieg mit einem Gewicht von unter 400 Gramm vom 29. November/11. Dezember 1868 unter anderem Unmanned Aerial Combat Vehicle(s) Unmanned Aerial Vehicle(s) Charter der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 United States of America vergleiche Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 Zusatzprotokoll vom 08. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte Zusatzprotokoll vom 08. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte
Kapitel 1
Einleitung Der Einsatz unbemannter Flugsysteme – Unmanned Aerial Vehicle (UAV) – in militärischen Operationen lässt sich bis auf das Jahr 1973 zurückverfolgen. Zu dieser Zeit setzte Israel im Bekaa Valley im Libanon erstmals unbemannte ferngelenkte Flugsysteme ein.1 Die Anzahl der Einsätze hat im Zuge der rapide fortschreitenden technologischen Entwicklung in den letzten Jahren signifikant zugenommen. Zunächst nur zu Aufklärungszwecken eingesetzt werden ferngelenkte Drohnen spätestens seit dem Afghanistankonflikt zunehmend bewaffnet und verstärkt im Rahmen militärischer Präzisionsschläge verwendet. Bewaffnete ferngelenkte Drohnen – Unmanned Aerial Combat Vehicle (UACV) – wie etwa die amerikanischen Predator MQ-1 oder Reaper MQ-9 gehören nunmehr zum festen Bestandteil des Arsenals einer Vielzahl technologisch führender Nationen.2 In den USA führte der verstärkte Einsatz dieser Systeme geradezu zu einem Paradigmenwechsel. Dies verdeutlicht der Umstand, dass die Streitkräfte der USA derzeit mehr Operationspersonal für ferngelenkte Drohnen als Kampfpiloten für konventionelle Kampfjets ausbildet.3 Im Jahr 2010 waren bereits 36 Prozent des Bestandes militärisch genutzter Luftfahrzeuge des US-Militärs unbemannt.4 Überdies übertreffen aktuell die Einsätze unbemannter Systeme die Anzahl bemannter Bombenangriffe um ein Vielfaches.5 Die US-Streitkräfte allein sind mit ferngelenkten Drohnen seit 2002 insgesamt 7.000 Einsätze geflogen.6 Derzeit belaufen sich die Flugstunden unbemannter Systeme auf jährlich ca. 295.000.7 Der Einsatz unbemannter Systeme bietet aus militärischer Sicht eine Vielzahl von Vorteilen. Insbesondere sind Sie in Herstellung und Betrieb weitaus kostengünstiger als bemannte Systeme.8 Zudem nimmt die Ausbildung des Operationspersonals weit weniger Zeit in Anspruch als das langjährige Training von Piloten für traditionelle Kampfjets, so dass sich die Zeitspanne zwischen Produktions-
1 2 3 4 5 6 7 8
Sanders, S. 115. Gillespie/West, S. 2. Kerr/Szilagyi, S. 4. Gillespie/West, S. 12. Singer, S. 71. Wagner (2012), S. 7. Wagner (2011), S. 158. Guetelein, S. 2.
20
Kap. 1: Einleitung
ende und Einsatz im Vergleich wesentlich verkürzt.9 Auch können sie in gefährlichen Einsätzen verwendet werden, ohne dass das Leben des Piloten gefährdet wird. Dies führt dazu, dass sie effektiver im Rahmen robuster Aufklärungsmissionen oder zur Unterstützung von Bodentruppen eingesetzt werden können als bemannte Systeme. Insgesamt kann durch den Einsatz unbemannter Systeme ein verbesserter Schutz der eigenen und verbündeten Streitkräfte gewährleistet werden. Unbemannte Systeme tragen zudem erheblich zu der Umsetzung der Vision eines „Zero-Casualty-Warfare“ bei.10 Die vorgenannten Vorteile wirken sich auch positiv auf die sogenannte Heimatfront aus. Die aus dem Einsatz unbemannter Systeme resultierende Minimierung eigener menschlicher Verluste reduziert zugleich das Risiko einer öffentlichen Debatte in der eigenen Bevölkerung11 und mithin der Rechtfertigungsbedürftigkeit des Kriegsgeschehens. Der Trend zu einem verstärkten Rückgriff auf unbemannte Flugsysteme manifestiert sich auch in der Investitionsbereitschaft der Staaten. Die USA allein investieren in den nächsten 25 Jahren trotz der aktuell vorherrschenden generellen Kürzung des Militärbudgets 200 Billionen US-Dollar in unbemannte militärisch nutzbare Flugsysteme.12 Im Lichte der vorgenannten Umstände konstatieren Sauer und Schörning zutreffend: „Unmanned aerial vehicles (UAVs), commonly known as drones, (. . .) represent perhaps the most important development in conventional military armaments.“ 13
A. Trend zur Einführung von Autonomie in unbemannte bewaffnete Luftsysteme Die derzeit eingesetzten unbemannten Flugsysteme sind ferngelenkt. Das bedeutet, dass nach wie vor allein der Mensch über die Zielauswahl und den Angriff entscheidet. Es handelt sich mithin um so genannte „man-in-the-loop“-Systeme.14 Der Einsatz ferngelenkter Drohnen bringt jedoch in der Praxis einige Probleme mit sich, die aus der ständigen Rückkopplung an das menschliche Bedienpersonal resultieren. Eines dieser Probleme ist das sogenannte two-to-five-second-time-delay15. Durch diesen Begriff wird der Umstand beschrieben, dass die Reaktionsge9
Sauer/Schörning, S. 363. Guetelein, S. 15. 11 Singer, S. 78; McDaniel, S. 4. 12 Guetelein, S. 5. 13 Sauer/Schörning, S. 363. 14 Sharkey (2011), S. 1. 15 Abé, S. 1. 10
A. Einführung von Autonomie in unbemannte bewaffnete Luftsysteme
21
schwindigkeit auf Ereignisse im Kampfgebiet auf bis zu fünf Sekunden verzögert wird. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Übertragung der Life-Feed-Videosignale der Drohne via Satellit an das Bedienungspersonal übertragen werden müssen und deren Steuerungssignale wiederum zurück an die Drohne übermittelt werden müssen. Dadurch verringert sich nicht nur die Geschwindigkeit der Vornahme der Kampfhandlungen. Vielmehr kann die Verzögerung im Einzelfall dazu führen, dass eine Veränderung der Zieleigenschaften nicht schnell genug erkannt wird beziehungsweise darauf nicht schnell genug reagiert werden kann. Ein weiteres Problem stellt die unzureichende Satellitenkapazität dar. Die beschriebene dauerhafte Signalübertragung – insbesondere des Live-Video-Feeds – erfordert eine sehr hohe Bandbreite und mithin erhebliche Satellitenkapazitäten. Nach Schätzungen führender Militäranalysten wird der Bedarf an Satellitenkommunikation die bestehenden Kapazitäten in naher Zukunft bei weitem überschreiten.16 Fernerhin birgt die ständige Rückkopplung des Systems an einen menschlichen Operateur das Risiko feindlicher Störversuche in sich. So gelang es im Jahre 2009 paramilitärischen Milizen sich mithilfe einer auf dem freien Markt erhältlichen und nur 26 US-Dollar teuren Software in das Videosignal einer amerikanischen Drohne im Irak einzuklinken.17 Zudem warnte im Jahre 2012 ein amerikanischer Luft- und Raumfahrt Ingenieur das US Homeland Security Committee vor der Störanfälligkeit ferngelenkter Systeme. Er berichtete, dass es ihm durch den Einsatz relativ einfacher Ausrüstung möglich sei, sich in das Steuerungssystem einer Drohne einzuhacken und die Kontrolle zu übernehmen.18 Zudem gerät das Problem der Reizüberflutung immer mehr in dem Fokus der Diskussion um den Einsatz ferngelenkter Systeme. Die Vielzahl an Informationen, welche die ferngelenkten Drohnen in hoher Geschwindigkeit übermitteln, birgt die Gefahr einer Überforderung des Bedienungspersonals in sich, die zu Fehlentscheidungen, jedenfalls aber zu einer Verzögerung der Operationsgeschwindigkeit führen kann.19 Laut Guetelein könnte die zunehmende Informationsflut dazu führen, dass der „man-in-the-loop will be the weakest part of the weapon system“.20 Die vorgenannten Probleme ferngelenkter Systeme sowie das Bestreben nach einer weiteren Kostenreduktion und die fortschreitende technologische Entwicklung führten dazu, dass derzeit über 40 Staaten intensiv die Entwicklung autonomer unbemannter Systeme prüfen.21 Laut dem US-Verteidigungsministerium
16 17 18 19 20 21
Erwin, S. 1; Sparrow, in: Wolfendale/Tripodi, S. 124. Foust, S. 1. Foust, S. 1. McDaniel, S. 64. Guetelein, S. 15. Kerr/Szilagyi, S. 7.
22
Kap. 1: Einleitung
stellt die Implementierung von Autonomie in unbemannte Systeme ein wichtiges Ziel in der zukünftigen strategischen Ausrichtung der US-Streitkräfte dar: „Dramatic progress in supporting technologies suggests that unprecedented levels of autonomy can be introduced into current and future unmanned systems. This advancement could presage dramatic changes in military capability and force composition (. . .). DoD must understand and prepare to take maximum practical advantage of advances in this area.“ 22
Auch in der einschlägigen Fachliteratur besteht Einigkeit darüber, dass die Entwicklung auf eine zunehmende Ablösung ferngelenkter durch autonome Systeme zusteuert.23 Guetelein prognostiziert: „It’s not a matter of will we employ AW (Autonomous Weapons); it’s a matter of when we employ them.“ 24 Das erklärte ultimative Fernziel liegt in der Schaffung unbemannter Systeme welche in Hinblick auf die Zielauswahl und die Angriffsentscheidung autonom operieren.25 Nach verbreiteter Auffassung ermöglicht erst die Einführung von Autonomie und damit die zunehmende Herausnahme des Menschen aus der Entscheidungskette die Ausschöpfung des vollen Potentials unbemannter Luftfahrzeuge.26 Krishnan konstatiert gar: „Leaving a man in the loop would be ,a performance and cost killer‘ when considering the employment of large numbers of unmanned systems.“ 27
Zumindest in der Theorie bieten autonome Systeme gegenüber ferngelenkten Systemen aus militärischer Sicht eine Vielzahl von Vorteilen. So verringern sich die Anzahl des zum Betrieb notwendigen Personals sowie die Einsatzkosten und die Anfälligkeit für feindliche Störversuche bei gleichzeitiger Erhöhung des Tempos militärischer Operationen was ultimativ zu der Erlangung der aus militärischer Sicht so wichtigen „initiative on the battlefield“ führt.28 Überdies könnten die vorgenannten Probleme ferngelenkter UACVs – two-to-five-second-timedelay, mangelnde Satellitenkapazitäten, Störanfälligkeit und drohende Reizüberflutung des Bedienpersonals – abgeschwächt beziehungsweise je nach Autonomiegrad gar vollkommen gelöst werden. Fernerhin wird vertreten, dass durch den Einsatz von Computersystemen menschliche Fehlerquellen eliminiert werden könnten, da diese weder Angst noch Wut, Rachegelüste oder Frustration verspüren und nicht unter dem psychologischen Problem des so genannten Scenario-
22
DoD FY2011-2036, S. 43, Hervorhebung durch den Autor. Altmann, in: Capurro/Nagenborg, S. 69; Sauer/Schörning, S. 374; Sharkey (2011), S. 1; McDaniel, S. 20; Thurnher, S. 78. 24 Guetelein, S. 18. 25 Sharkey (2011), S. 1. 26 Arkin (2010), S. 334; Guetelein, S. 4. 27 Krishnan, S. 106. 28 Arkin (2010), S. 334; Schmitt/Thurnher, S. 236 ff.; Kerr/Szilagyi, S. 7; Larkin, S. 2. 23
C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
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Fulfillment29 leiden.30 Laut Parks erhöht sich die Fehlerwahrscheinlichkeit bei der Durchführung von Luftangriffen um 200 Prozent sobald ein von Menschen gesteuertes militärisches Luftfahrzeug unter Beschuss gerät.31 Da Computersysteme zum einen über eine wesentlich höhere Reaktionsgeschwindigkeit verfügen als Menschen und zum anderen keinen Stress oder sonstige Emotionen empfinden, dürfte sich die Präzision von Luftschlägen bei einem Einsatz autonomer UACVs wesentlich erhöhen. Dadurch könnte der Einsatz autonomer Systeme zumindest in der Theorie zu einem erhöhten Schutz der Zivilbevölkerung im Kontext militärischer Operationen führen. Kurz und prägnant fasst Arkin die potentiellen Vorteile autonomer Systeme wie folgt zusammen: „Faster, cheaper, better mission accomplishment.“ 32
B. Ziel der Untersuchung Die geplante sukzessive Herausnahme des Menschen aus dem Prozess der Zielerfassung und Angriffsentscheidung unbemannter bewaffneter Luftfahrzeuge wirft eine Vielzahl juristischer Fragen im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts auf, die in der rechtswissenschaftlich Literatur zunehmend kontrovers diskutiert werden.33 Die vorliegende Untersuchung soll einen Beitrag zu dieser Debatte leisten. Es soll herausgearbeitet werden, welche Anforderungen an das Konstruktionsdesign und welche Einsatzbeschränkungen sich aus dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts für zukünftige autonome UACVs ableiten lassen.
C. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Die vorliegende Arbeit wird sich dabei an den derzeit bekannt gegebenen Bestrebungen der Staatengemeinschaft orientieren. Diese sind zwar darauf gerichtet eine zunehmende Autonomisierung zu erreichen, nicht jedoch darauf, den Menschen vollkommen aus der Entscheidungskette über den Einsatz bewaffneter Ge-
29 Laut Arkin umschreibt der Begriff das psychologische Phänomen, dass Soldaten sich unter dem Stress des Einsatzes unbewusst weigern auf tatsächliche Abweichungen von der Einsatzplanung und trainierten Situationen zu reagieren, Arkin (2010), S. 334. 30 Kerr/Szilagyi, S. 7; Arkin (2010), S. 333; Larkin, S. 29; Guetelein, S. 11. 31 Parks (1990), S. 53. 32 Arkin (2010), S. 334. 33 s. statt vieler: Schmitt/Thurnher, S. 231 ff.; Larkin, S. 1 ff.; Arkin (2010), S. 332 ff.; Kerr/Szilagyi, S. 1 ff.; Gillespie/West, S. 1 ff.; McDaniel, S. 1 ff.; Guetelein, S. 1 ff.; Thurnher, S. 77 ff.; Klein, S. 1 ff.; Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity S. 1 ff.; Kastan, S. 45 ff.; Wagner (2011), S. 155 ff.; Sharkey (2011), S. 1 ff.; eine gute Einführung in die Thematik bietet der Tagungsband, Frau (Hrsg.), Drohnen und das Recht.
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Kap. 1: Einleitung
walt herauszunehmen.34 Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auf die Bekenntnisse der USA und Großbritanniens verwiesen. So heißt es in Punkt 4 a. der Direktive 3000.09 zur Autonomie in Waffensystemen des U.S. Verteidigungsministeriums vom 21. November 2012: „Autonomous an semi-autonomous weapon systems shall be designed to allow commanders and operators to exercise appropriate levels of human judgment over the use of force.“ 35
Gleichsam formuliert das Verteidigungsministerium Großbritanniens in Para. 508 der Joint Doctrine Note 2/11 vom 30. November 2011: „(. . .) apart from some niche tasks, human intervention will continue to be required at key stages of an unmanned aircraft’s mission if it involves weapon-delivery.“ 36
Eine Vollautonomie im Sinne einer echten künstlichen Intelligenz – die völlig losgelöst von menschlichen Vorgaben operiert – wird mithin derzeit nicht angestrebt. Dies wäre erkennbar auch nicht im Interesse der Befehlshaber militärischer Operationen. Denn der Einsatz von Systemen die zur Vornahme echter von menschlichen Vorgaben vollständig unabhängiger eigener Entscheidungen fähig sind „is highly likely to introduce unpredictability (in military operations)“.37 Zur Vermeidung eines spekulativen Charakters und zum Zwecke der Gewährleistung der gebotenen Praxisnähe und Praxisrelevanz der Arbeit soll der Untersuchungsgegenstand daher entsprechend der aktuellen staatlichen Bestrebungen eingeschränkt werden. Dazu wird der der Arbeit zugrunde gelegte Autonomiebegriff der Definition des U.S. Verteidigungsministeriums entlehnt werden. Demgemäß bedeutet Vollautonomie die Fähigkeit eines UACVs nach erfolgter Aktivierung ohne weiteres menschliches Einschreiten Ziele selbsttätig auszuwählen und anzugreifen.38 Das Definitionselement der Entscheidungsfähigkeit erst nach erfolgter Aktivierung verdeutlicht, dass selbst vollautonome Systeme in den Planspielen der Staaten niemals vollkommen ohne vorab einprogrammierte Vorgaben des Menschen operieren sollen.39 Halbautonome Systeme unterscheiden sich lediglich dadurch von vollautonomen Systemen, dass sie derart konstruiert sind, dass der Mensch sie überwachen und ihren Funktionsablauf auch nach erfolgter Systemaktivierung beeinflussen kann.40
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Thurnher, S. 80; Gillespie/West, S. 4. DoD Directive 3000.09, Para. 4a. 36 U.K. JDN 2/11, Para. 508. 37 Larkin, S. 48. 38 s. DoD Directive 3000.09, Glossary, Part II, Definitions, Autonomous Weapon Systems: „A weapon system that, once activated, can select and engage targets without further intervention by a human operator.“. 39 Schmitt/Thurnher, S. 235. 40 s. DoD Directive 3000.09, Glossary, Part II, Definitions, Autonomous Weapon Systems: „This includes human-supervised autonomous weapon systems that are designed 35
D. Gang der Untersuchung
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Das Definitionselement der Fähigkeit zur selbsttätigen Zielauswahl und Angriffsentscheidung begründet das Hauptcharakteristikum41 autonomer Systeme, welches sie zugleich von automatischen Systemen abgrenzt. Denn automatische Systeme sind zu einer eigenen Entscheidungsfindung nicht in der Lage und befolgen daher lediglich eine vorab streng festgelegte Abfolge von Arbeitsschritten die keinen Entscheidungsspielraum zulassen.42
D. Gang der Untersuchung Der Gang der Untersuchung ist wie folgt: Zunächst wird der Untersuchungsgegenstand in die Begrifflichkeiten des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts eingehegt. Nachfolgend wird der Rechtsrahmen der Untersuchung herausgearbeitet und die Anforderungen der Pflicht zur Vorabkontrolle neuer Mittel und Methoden der Kriegführung dargelegt. In einem nächsten Schritt werden die technischen Limitierungen autonomer Systeme nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand erörtert. Auf Grundlage der Ergebnisse der vorgenannten Kapitel soll abschließend herausgearbeitet werden, welche Anforderungen an das Konstruktionsdesign und welche Einsatzbeschränkungen sich aus dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts für zukünftige autonome UACVs ergeben. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Frage gelegt werden, ob vollautonome UACVs eingesetzt werden dürfen, oder ob in das Konstruktionsdesign stets die Möglichkeit einer menschlichen Einflussnahme auf den Funktionsablauf implementiert werden muss. Bei der Auslegung von Vorschriften wird im Rahmen dieser Arbeit stets auf den englischen Wortlaut zurückgegriffen werden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der deutschen Sprachfassung der relevanten Verträge nicht um eine authentische Vertragssprache handelt.43 Wenngleich neben der englischen Sprache auch weitere Sprachen zu den authentischen Vertragssprachen gehören, kommt der englischen Vertragssprache deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil sie diejenige ist, die im NATO-Kontext und auf Fachkonferenzen44 zugrunde gelegt wird. Überdies unterscheiden sich die Bedeutungen der in dieser Arbeit herangezogenen Begriffe in den authentischen Vertragssprachen nicht voneinander.
to allow human operators to override operation of the weapon system, but can select and engage targets without further human input after activation.“. 41 Schmitt/Thurnher, S. 235. 42 Gillespie/West, S. 2. 43 s. etwa: Art. 55 GAI; Art. 54 GAII; Art. 133 GA III; Art. 150 GAIV; Art. 102 ZPI; Art. 53 IPBPR; Art. 59 EMRK. 44 s. der jährlich stattfindende San Remo Round Table oder die Expertentreffen im Kontext des HPCR Manuals on Air and Missile Warfare.
Kapitel 2
Einordnung des Untersuchungsgegenstandes in die Begrifflichkeiten des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts Bevor den Fragen nachgegangen werden soll, welche Anforderungen das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts an den Einsatz von autonomen UACVs stellt und, ob und inwieweit sie diesen gerecht werden können, muss der Untersuchungsgegenstand zunächst in die dem Rechtsregime eigene Terminologie eingehegt werden. Dazu soll im Folgenden zunächst eine Einordnung in die Begrifflichkeiten des allgemeinen Kriegführungsrechts des internationalen bewaffneten Konflikts erfolgen, um sodann in einem weiteren Schritt den Untersuchungsgegenstand in die spezielle Terminologie des völkergewohnheitsrechtlichen Luftkriegsrechts einzuhegen.
A. Einordnung von autonomen UACVs in die allgemeine Terminologie des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts Das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts unterscheidet sowohl im Bereich des Vertragsrechts als auch des Völkergewohnheitsrechts in Bezug auf den Einsatz von Gegenständen zwischen den Begriffen des Mittels der Kriegführung1, des Mittels zur Schädigung des Feindes2, des Mittels der Kampffüh1 s. Art. 35 (1) ZPI: „In any armed conflict, the right of the Parties to the conflict to choose methods or means of warfare is not unlimited.“; Art. 35 (3) ZPI: „It is prohibited to employ methods or means of warfare which are intended, or may be expected, to cause widespread, long-term and severe damage to the natural environment.“; Art. 55 (1) ZPI: „Care shall be taken in warfare to protect the natural environment against widespread, long-term and severe damage. This protection includes a prohibition of the use of methods or means of warfare which are intended or may be expected to cause such damage to the natural environment and thereby to prejudice the health or survival of the population.“; Art. 36 ZPI: „In the study, development, acquisition or adoption of a new weapon, means or method of warfare, a High Contracting Party is under an obligation to determine whether its employment would, in some or all circumstances, be prohibited by this Protocol or by any other rule of international law applicable to the High Contracting Party.“ 2 s. Art. 22 HLKO: „The right of belligerents to adopt means of injuring the enemy is not unlimited.“
A. Einordnung von autonomen UACVs
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rung3, des Angriffsmittels4, sowie der Waffe5. Die genannten Begriffe sind sauber zu trennen und randscharf voneinander abzugrenzen. Im Folgenden sollen die Begriffe daher definiert und voneinander abgegrenzt werden, um sodann zu überprüfen, ob sich autonome UAVCs unter die Begrifflichkeiten subsumieren lassen. I. Mittel der Kriegführung Nach ganz herrschender Auffassung unterliegt der Begriff des Mittels der Kriegführung keiner ausdrücklichen vertraglichen Definition.6 1. Art. 35 (2) ZPI als Definitionsnorm?
Einen Ansatzpunkt für eine dahingehende Überlegung, dass dem Vertragsrecht eine Definition jedoch zumindest mittelbar zu entnehmen ist, liefert die Kodifikation des bereits auf die St. Petersburger Erklärung von 1868 zurückgehenden7 und vom IGH als „cardinal principle“ 8 bezeichneten Verbots der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen aus Art. 35 (2) ZPI. Dem genannten Artikel liegt folgender Wortlaut zugrunde: „It is prohibited to employ weapons, projectiles and material and methods of warfare of a nature to cause superfluous injury or unnecessary suffering.“
Aus der systematischen Verortung des Art. 35 ZPI in dem ersten Abschnitt des dritten Teils des Zusatzprotokolls und dem Umstand, dass Art. 35 ZPI entsprechend seiner authentischen Überschrift die für den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung geltenden Grundregeln kodifiziert und, dass die in den beiden übrigen Absätzen enthaltenen Regelungen auf Mittel der Kriegführung im 3 s. Art. 51 (4) ZPI: „Indiscriminate attacks are prohibited. Indiscriminate attacks are:(b) those which employ a method or means of combat which cannot be directed at a specific military objective; or(c) those which employ a method or means of combat the effects of which cannot be limited as required by this Protocol.“ 4 s. Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI: „those who plan or decide upon an attack shall shall: take all feasible precautions in the choice of means and methods of attack with a view to avoiding, and in any event minimizing, incidental loss of civilian life, injury to civilians and damage to civilian objects“. 5 s. Art. 35 (2) ZPI: „It is prohibited to employ weapons, projectiles and material and methods of warfare of a nature to cause superfluous injury or unnecessary suffering.“; Art. 36 ZPI: „In the study, development, acquisition or adoption of a new weapon, means or method of warfare, a High Contracting Party is under an obligation to determine whether its employment would, in some or all circumstances, be prohibited by this Protocol or by any other rule of international law applicable to the High Contracting Party.“ 6 McClelland, S. 404; HPCR Commentary, S. 41; Weber, in: Fischer/Forissart/Heintschel von Heinegg/Raap, S. 697. 7 Carnahan/Robertson, S. 484. 8 IGH, Nuclear Weapons, S. 257.
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
Zusammenhang mit Methoden der Kriegführung rekurrieren, folgt, dass die in der Aufzählung des zweiten Absatzes genannten Termini Waffen, Geschosse und Material als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren sind. Ob in der Aufzählung zugleich eine vollumfängliche Definition des Begriffs des Mittels der Kriegführung zu erblicken ist, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Laut Jacobson enthält Art. 35 (2) ZPI lediglich „a clear-cut prohibition on certain types of means of warfare (weapons, projectiles and material)“ 9. Demnach wäre Art. 35 (2) ZPI gerade keine vollumfängliche Definition, sondern lediglich eine ausschnitthafte Aufzählung bestimmter von dem Verbot erfasster Mittel der Kriegführung zu entnehmen. Gegen eine solche Lesart ließe sich anführen, dass einige Autoren10 sowie das ICRC in seiner Gewohnheitsrechtsstudie11 das Verbot der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen ohne erkennbare Einschränkung auf alle Mittel der Kriegführung erstrecken. Folglich ließe sich argumentieren, dass die Aufzählung in Art. 35 (2) ZPI den Begriff des Mittels der Kriegführung vollumfänglich definiert. Gegen eine solche Auslegung und damit für die Auffassung Jacobsons spricht jedoch, dass Art. 35 (2) ZPI nicht als Definitionsnorm gekennzeichnet oder als solche erkennbar ist. Denn die in dem ZPI enthaltenen Definitionsnormen sind stets auch als solche gekennzeichnet12 oder zumindest bereits dem Wortlaut nach deutlich als Begriffsdefinitionen erkennbar.13 Demgemäß wäre eine Begriffsdefinition in Gestalt einer Regel, die seine Funktion als Definitionsnorm nicht ausdrücklich erkennen lässt systemwidrig. Vor allem die Zielsetzung der Norm spricht jedoch gegen die Annahme, dass Art. 35 (2) ZPI eine vollumfängliche Definition von Mitteln der Kriegführung zu entnehmen ist. Denn Sinn und Zweck der Norm ist das Verbot der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen. Die von der Norm in Bezug genommenen Verletzungen und Leiden werden jedoch gerade nicht durch Mittel der Kriegführung im Allgemeinen, sondern ausschließlich durch Waffen bzw. deren Munition als deren spezieller Unterfall verursacht.14 Entsprechend haben sich aus dem Grundgedanken der Verbotsnorm ausschließlich Waffenverbote oder Verbote von bestimmten Munitionstypen wie etwa das Verbot von Dum-Dum-Geschossen, von Geschossen mit unter Röntgenstrahlung nicht erkennbaren Plastik- oder Glassplittern oder von vergifteten Munitionen entwickelt.15 Auch die Entstehungsgeschichte der Norm 9
Jacobson, S. 184. Greenwood (1998), S. 194. 11 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. 1, S. 240. 12 s. Artikelüberschrift von Art. 2 ZPI. 13 s. Angriffsdefinition aus Art. 49 (1) ZPI; Definition des unterschiedslosen Angriffes aus Art. 51 (4) ZPI. 14 Oeter, in: Fleck, S. 130; HPCR Commentary, S. 56. 15 Boothby (2009), S. 60; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 404. 10
A. Einordnung von autonomen UACVs
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spricht gegen die These, dass Art. 35 (2) ZPI eine Definition des Mittels der Kriegführung enthält. Wie eingangs bereits erwähnt, geht das Verbot der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen auf die St. Petersburger Erklärung von 1868 zurück. Durch diese Erklärung „verpflichten sich die kontrahierenden Parteien gegenseitig, im Falle eines Krieges untereinander, dem Gebrauch von Geschossen aller Art von weniger als 400 Gramm, welche explodierende Kraft besitzen oder mit Spreng- oder Zündstoffen gefüllt sind, sowohl für die Landtruppen als auch für die Flotte zu entsagen.“ Gegenstand der Erklärung war mithin ebenfalls lediglich eine bestimmte Munitionsart. Überdies ist auch den travaux préparatoires kein Hinweis zu entnehmen, der den Schluss zuließe, dass durch Art. 35 (2) ZPI eine Definitionsnorm für den Begriff des Mittels der Kriegführung geschaffen werden sollte. Folglich ist zu konstatieren, dass Art. 35 (2) ZPI keine vollumfängliche Definition des Begriffes des Mittels der Kriegführung zu entnehmen ist. 2. Außervertragliche Definition des Mittels der Kriegführung
In Ermangelung einer vertraglichen Definition des Begriffes des Mittels der Kriegführung wurden von der Literatur verschiedene Definitionen erarbeitet. Zum Teil wird vertreten der Begriff umfasse Waffen im weitesten Sinne.16 Diese Begriffsbestimmung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn sie ermöglicht nicht die von Art. 35 (2) und Art. 36 ZPI vorgegebene randscharfe Abgrenzung der Begriffe der Waffe und des Mittels der Kriegführung. Weitaus hilfreicher ist ein Rückgriff auf die Definition des HPCR Manual on International Law Applicable to Air and Missile Warfare. Wenngleich es derzeit noch fraglich ist, ob allen Black Letter Rules des Handbuches bereits die von seinem Vorwort17 beanspruchte Geltung als autoritative Zusammenfassung völkergewohnheitsrechtlicher Regelungen zukommt18, sind die darin enthaltenen Regelungen und Definitionen in jedem Fall von dem Konsens19 der am Entstehungsprozess beteiligten Experten getragen und ist mithin jedenfalls als herrschende Literaturmeinung einzuordnen. Überdies kann das Manual in weiten Teilen und insbesondere in Bezug auf die Definition des Begriffes des Mittels der Kriegführung für sich beanspruchen, das aktuell geltende Völkergewohnheitsrecht widerzuspiegeln.20 Nach der Definition des HPCR Manuals umfasst der Begriff des Mittels der Kriegführung „weapons, weapon systems or platforms employed for the purposes of attack“.21 16 17 18 19 20 21
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 398. Bruderlein, S. iii. Ablehnend: Blake/Imburgia, S. 172. HPCR Commentary, Introduction, C. (i). Frau (2011), S. 62. HPCR Manual, S. 4.
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
Präzisierend stellt der zu dem Handbuch herausgegebene Kommentar klar, dass der Begriff darüber hinausgehend alle Gegenstände umfasst, die zur Durchführung von Angriffen im Kontext internationaler bewaffneter Konflikte verwendet werden.22 Entsprechend umfasst der Begriff auch alle Ausrüstungsgegenstände, welche einen Angriff erst ermöglichen, ohne ihn selbst unmittelbar auszuführen.23 Als Beispiel nennt der Kommentar AWACS Flugzeuge, welche keine Bewaffnung bei sich tragen, aber durch ihre Aufklärung und Zieldatenermittlung einen Angriff erst ermöglichen.24 In Abgrenzung zu den sonstigen im Kontext eines bewaffneten Konflikts verwendeten Gegenständen setzt die Qualifizierung eines Gegenstands als Mittel der Kriegführung voraus, dass er zu Angriffszwecken eingesetzt wird oder zu diesem Zwecke geschaffen wurde.25 Entsprechend sind Tankfahrzeuge nicht als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren, obwohl sie direkt zur Durchführung militärischer Operationen beitragen.26 Liest man die Definition im Zusammenhang mit der Angriffsdefinition des Art. 49 (1) ZPI wird fernerhin deutlich, dass der Begriff des Mittels der Kriegführung alle genannten Gegenstände erfasst, unabhängig davon, ob sie zu Offensiv- oder Defensivzwecken eingesetzt werden.27 Weil autonome UACVs dazu bestimmt sind, zu Angriffszwecken genutzt zu werden, sind sie ausgehend von der genannten Definition ebenso wie bemannte Kampflugzeuge28 unzweifelhaft als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren. II. Mittel zur Schädigung des Feindes Wenngleich der Begriff des Mittels zur Schädigung des Feindes („means of injuring the enemy“) einzig in Art. 22 HLKO verwandt wird, hat der Begriff zumindest für diejenigen Staaten, die nicht zugleich Vertragspartei des ZPI sind, seine völkerrechtliche Geltung nicht verloren und bedarf mithin einer Klärung im Kontext der hier untersuchten autonomen UACVs. Wie auch bereits der Begriff des Mittels der Kriegführung unterliegt der Begriff des Mittels zur Schädigung des Feindes keiner vertraglichen Definition. Allerdings lässt sich die Definition des Begriffs des Mittels der Kriegführung auf den Begriff des Mittels zur Schädigung des Feindes übertragen. Dies folgt aus dem Umstand, dass Art. 35 (1) ZPI das Verbot der unbeschränkten Kriegführung aus Art. 22 HLKO inhaltlich identisch reproduziert.29 Die begriffliche Abweichung ist mithin ledig22
HPCR Commentary, S. 41. HPCR Commentary, S. 41. 24 HPCR Commentary, S. 41. 25 HPCR Commentary, S. 41. 26 HPCR Commentary, S. 41. 27 s. Wortlaut Art. 49 (1) ZPI: „attacks means acts of violence against the adversary, whether in offence or defence“. 28 HPCR Commentary, S. 41. 29 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 390; Bothe/Partsch/Solf, S. 194. 23
A. Einordnung von autonomen UACVs
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lich auf den abgewandelten Sprachgebrauch zurückzuführen.30 Weil autonome UACVs als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren sind, fallen sie mithin zugleich unter den Begriff des Mittels zur Schädigung des Feindes. III. Waffe Die Frage, ob und inwieweit autonom über den Einsatz von Waffengewalt entscheidende UACVs als Waffe zu qualifizieren sind, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. 1. Definition des Waffenbegriffs
Wie schon der Begriff des Mittels der Kriegführung unterliegt auch der Waffenbegriff keiner vertraglichen Definition. Insbesondere kann den existierenden speziellen vertraglichen Waffenverboten keine Definition entnommen werden. Denn die in den Verträgen enthaltenen Definitionen definieren den Begriff der Waffe nicht abstrakt. Die Definitionen knüpfen vielmehr stets konkret an die Wirkungsweisen der durch den jeweiligen Vertrag geächteten Waffe an.31 Soweit ersichtlich, hat sich die Rechtsprechung nationaler oder internationaler Gerichte des Definitionsproblems bisher nicht angenommen. Auch der Staatenpraxis ist keine einheitliche Definition zu entnehmen.32 Selbst den Regularien der Teilstreitkräfte der USA – Army33, Navy34 und Air Force35 – liegen jeweils verschiedene Waffendefinitionen zugrunde. Wenngleich deren Definitionen lediglich im Hinblick auf die vornehmlich im Rahmen des Cyber Warfare bedeutsame Frage variieren, ob und inwieweit auch nicht physisch-destruktiv wirkende Mittel als Waffen zu qualifizieren sind, ist dennoch zu konstatieren, dass es an einer in allen Einzelheiten allgemein anerkannten Definition des im Recht des internationalen bewaffneten Konflikts geltenden Waffenbegriffes fehlt.36 Auch in der Literatur besteht Uneinigkeit über die Definition des Waffenbegriffs. Vereinzelt wird vertreten, „the term connotes an offensive capability that 30
Bothe/Partsch/Solf, S. 194. s. Verbot von vergifteten Waffen unter Art. 23 (a) 1907 Hague Regulation: „weapons whose prime, or even exclusive, effect is to poison or asphyxiate“. 32 Todd, S. 79; Blake/Imburgia, S. 169. 33 AR 27-53, Para. 3a.: „Chemical Weapons and all conventional arms, munitions, materiel, instruments, mechanisms, or devices which have an intended effect of injuring, destroying, or disabling enemy personnel, materiel, or property.“ 34 DoD Directive 5000.2C, Para. 2.6.2.: „All arms, munitions, materiel, instruments, mechanisms, devices, and those components required for their operation, that are intended to have an effect of injuring, damaging, destroying, or disabling personnel or property, to include non-lethal weapons.“ 35 AFI 51-402, Para. 1.: „Devices designed to kill, injure, or disable people, or to damage or destroy property.“ 36 Blake/Imburgia, S. 169; Todd, S. 79. 31
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
can be applied to a military object or enemy combatant“.37 Diese Definition überzeugt jedoch aufgrund ihrer Unschärfe nicht. Denn sie enthält keine Kriterien anhand derer die gebotene trennscharfe Abgrenzung zwischen dem Waffenbegriff und dem Begriff des Mittels der Kriegführung vorgenommen werden kann. Ebenfalls abzulehnen ist die Ansicht, die Begriffe der Waffe und des Mittels der Kriegführung seien deckungsgleich.38 Die Gebotenheit der begrifflichen Unterscheidung folgt bereits aus der getrennten Nennung39 beider Rechtsbegriffe in Art. 36 ZPI. Überdies jedoch auch aus der dargelegten Begriffsdefinition des Mittels der Kriegführung. Denn daraus geht hervor, dass Waffen als Unterfall des Mittels der Kriegführung zu qualifizieren sind. Mithin ist dem Waffenbegriff ein engeres Verständnis als dessen Oberbegriff zugrunde zu legen.40 Anders ausgedrückt: Wenngleich jede Waffe als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren ist, ist jedoch nicht jedes Mittel der Kriegführung als Waffe zu qualifizieren. Zwar ist beiden Begriffen gemein, dass sie Gegenstände umfassen, welche zu Angriffszwecken verwendet werden. Der Unterschied liegt aber konkret darin, dass die funktional-kausale Nähe zur schädigenden Wirkung bei der Waffe ungleich größer ist als bei Mitteln der Kriegführung. Denn die, der Person oder dem Objekt, beigebrachte Schädigung wird unmittelbar durch die Munition der Waffe oder, wenn eine Trennung zwischen Munition und Waffe nicht möglich ist, durch die Waffe selbst verursacht.41 Demgegenüber umfasst der Begriff des Mittels der Kriegführung selbst solche Gegenstände, die den Angriff erst ermöglichen, ohne selbst unmittelbar an der Schädigungshandlung mitzuwirken.42 Folglich ist die Ansicht, welche eine Unterscheidbarkeit von Waffen und Mitteln der Kriegführung infrage stellt, als unzutreffend abzulehnen. Ungleich hilfreicher als die genannten Definitionsversuche ist erneut ein Rückgriff auf das HPRC Manual. Obschon angesichts der Uneinheitlichkeit der staatlichen Definitionen des Waffenbegriffes die autoritative Geltung der HPCR Definition in all seinen Einzelheiten zumindest hinterfragt werden muss, vermag die Arbeit des HPCR dennoch ganz erheblich zur Klärung des Waffenbegriffes beizutragen. Denn das Manual korrespondiert, bis auf die vom ihm bejahte43, von der Staatenpraxis aber uneinheitlich behandelte Frage der Inkludierung nicht
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McClelland, S. 404; Blake/Imburgia, S. 172. So aber McClelland, S. 405; Parks (2005), S. 118. 39 s. Wortlaut Art. 36 ZPI: „In the study, development, acquisition or adoption of a new weapon, means or method of warfare, a High Contracting Party is under an obligation to determine whether its employment would, in some or all circumstances, be prohibited by this Protocol or by any other rule of international law applicable to the High Contracting Party.“ 40 HPCR Commentary, S. 55. 41 HPCR Commentary, S. 55. 42 HPCR Commentary, S. 55. 43 HPCR Commentary, S. 55. 38
A. Einordnung von autonomen UACVs
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physisch-kinetisch wirkender Mittel, mit der Staatenpraxis. Insoweit kann sie für sich beanspruchen, das aktuell geltende Völkergewohnheitsrecht widerzuspiegeln. Das Manual definiert Waffen als „a means of warfare used in combat operations, including a gun, missile, bomb or other munitions, that is capable of causing either (i) injury to, or death of, persons; or (ii) damage to, or destruction of, objects.“ 44 Aus der Verwendung des Begriffes „including“ folgt, dass die in der Definition enthaltene Aufzählung nicht abschließender Natur ist. Um eine uferlosen Ausweitung des Waffenbegriffes zu verhindern, ergänzt der Kommentar des Manuals, dass nur solche Gegenstände als Waffen zu qualifizieren sind, „which are designed to be used as means of attack“.45 Diese Einschränkung findet seine Berechtigung darin, dass andernfalls beinahe jeder Gegenstand in Abhängigkeit von der konkreten Art und Weise der Verwendung unter den Waffenbegriff subsumiert werden könnte. 2. Subsumtion autonomer UACVs unter den Waffenbegriff
Einige Autoren subsumieren UACVs vorschnell unter den Waffenbegriff.46 Diese Qualifizierung ist jedoch mit dem dargelegten Waffenbegriff nicht vereinbar. Denn für die Waffeneigenschaft kommt es maßgeblich darauf an, ob der fragliche Gegenstand die schädigende Wirkung selbst unmittelbar herbeiführt. Dies ist bei UACVs jedoch gerade nicht der Fall. Denn die Schädigung wird durch deren Wirkmittel (Raketen etc.) nicht jedoch durch die UACVs selbst unmittelbar verursacht. Das UACV dient lediglich als Waffen vermittelndes Vehikel. Vereinzelt wird vertreten, eine Ansicht, welche eine Subsumtion unter den Waffenbegriff ablehne, verkenne die „spezifischen Neuerungen“ zukünftiger autonomer UACVs.47 Diese lägen insbesondere darin, dass das UACV und die beigeführten Wirkmittel eine besondere „symbiotische Verbindung“ eingingen.48 Als weiteres Argument wird angeführt, die Funktion autonomer UACVs erschöpfe sich nicht darin, als bloßes Instrument zum Wirkmitteleinsatz zu dienen. Vielmehr würden sie ein „erhöhtes Potential für den Waffeneinsatz“ bergen.49 Darüber hinaus trügen sie noch mehr zum erfolgreichen Waffeneinsatz bei, da sie sich dem Gegner bis auf kurze Distanz nähern und die Wirkmittel mithin genauer einsetzen könnten.50
44 45 46 47 48 49 50
HPCR Manual, S. 55. HPCR Commentary, S. 56. Guetlein, S. 2; Meng/Zhu/Li/Tu, S. 861. Frau (2011), S. 64. Frau (2011), S. 64. Frau (2011), S. 64. Frau (2011), S. 64.
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
Diese Ansicht verkennt jedoch die Definitionselemente des Waffenbegriffes. Denn sie führt zu ihrer Substantiierung ausschließlich sachfremde Erwägungen an. Die spezifische Neuerung autonomer UACVs gegenüber ferngelenkten UACVs liegt einzig in dem Verlust der unmittelbaren menschlichen Steuerungsfähigkeit über den Wirkmitteleinsatz. Die menschliche Steuerungsfähigkeit ist jedoch für die Definition des Waffenbegriffes ebenso wenig von Bedeutung wie das angeführte vermeintlich erhöhte Potential für den Waffeneinsatz oder die durch das UACV ermöglichte Annäherung an das Ziel. Die angeführte besondere Symbiose zwischen UACV und Wirkmittel bleibt angesichts der Tatsache, dass die mitgeführten Waffen klar von den sie transportierenden und kontrollierenden UACVs funktional abgegrenzt werden können51, ebenfalls ohne Bedeutung. Folglich sind autonome UACVs – ebenso wie ferngelenkte UAVCs52 – nicht als Waffen zu qualifizieren.53 3. Autonome UACVs als Marschflugkörper
Angesichts des Wortlauts der Definition aus Art. II (2) 1 des INF Vertrags wird in der völkerrechtlichen Literatur vereinzelt gleichwohl die Frage aufgeworfen, ob autonome UACVs als Marschflugkörper zu qualifizieren sind.54 Art. II (2) 1 liegt folgender Wortlaut zugrunde: „The term ,cruise missile‘ means an unmanned, self-propelled vehicle that sustains flight through the use of aerodynamic lift over most of its flight path.“
Eine Ansicht, welche aus dieser Definition folgert, dass UACVs als Marschflugkörper zu qualifizieren sind, steht jedoch bereits im Widerspruch zu der soeben dargelegten Erkenntnis, dass autonome UACVs nicht als Waffen zu qualifizieren sind. Denn trotz ihrer funktionellen Ähnlichkeit zu aerodynamischen Luftfahrzeugen, sind Marschflugkörper als Waffen zu qualifizieren.55 Zudem übersieht eine solche Ansicht, dass die Marschflugkörperdefinition aus Art. II (2) 1 des INF Vertrages deren Waffeneigenschaft voraussetzt, so dass UACVs mithin auch am Maßstab des INF Vertrages nicht als Marschflugkörper zu qualifizieren sind. Denn ausweislich des klaren Wortlauts von Art. II beansprucht die Definition nur für „the purposes of this Treaty“ Geltung. Folglich muss die Definition im Lichte der Zielsetzung des Vertrages gelesen werden. Der INF Vertrag ist ein auf bestimmte Raketentypen bezogener bilateraler Abrüstungsvertrag. Sämtliche Raketen56 und damit auch die in Rede stehenden Marschflugkörper sind unstreitig als Waffen zu qualifizieren. Die Waffeneigen51 52 53 54 55 56
Boothby (2011), S. 82. HPCR Manual, S. 6. Liu, S. 635. Altmann (2011), S. 118. HPCR Commentary, S. 54. HPCR Commentary, S. 50.
A. Einordnung von autonomen UACVs
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schaft wird folglich von der Definition des Marschflugkörpers aus Art. II (2) 1 des INF Vertrages vorausgesetzt und muss mithin hinzugedacht werden. Vor diesem Hintergrund erklärt es sich auch, dass sich die ausdrücklich in den Vertragstext aufgenommen Definitionselemente der vom Vertrag umfassten ballistischen Raketen, Lang- Mittel- und Kurzstreckenraketen und Marschflugkörper darin erschöpfen, die jeweiligen technisch-funktionalen Alleinstellungsmerkmale des jeweiligen Raketentyps herauszustellen. Denn sie dienen lediglich der Abgrenzung der vom Vertrag umfassten Raketentypen zu solchen die nicht vom Vertrag umfasst sind. Daraus folgt, dass wenngleich UACVs am Maßstab des bloßen Wortlautes der Definition prima facie als Marschflugkörper zu qualifizieren sind, eine Subsumtion unter die Marschflugkörperdefinition an der fehlenden, von Art. II (2) 1 INF Vertrag jedoch vorausgesetzten, Waffeneigenschaft von UACVs scheitert. Eine andere Lesart der Definition würde zu einem, dem Sinn und Zweck des Vertrages zuwiderlaufenden Ergebnis führen, dass sämtliche aerodynamische Luftfahrzeuge unter die Marschflugkörperdefinition fielen. Die hier vertretene Auslegung findet seine Bestätigung fernerhin darin, dass das US Verteidigungsministerium Marschflugkörper ausdrücklich aus der Definition von unbemannten Luftfahrzeugen ausgenommen hat.57 Folglich fallen autonome UACVs nicht unter die Definition des Marschflugkörpers aus Art. II (2) 1 des INF Vertrages. Überdies unterscheiden sich UACVs und Cruise Missiles auch faktisch voneinander. Der wesentliche faktische Unterschied liegt darin, dass UACVs im Gegensatz zu Cruise Missiles nicht nur für eine einmalige Verwendung geschaffen wurden, sondern dazu konzipiert sind, nach jedem Einsatz zurückzukehren, um erneut eingesetzt zu werden.58 IV. Waffensystem Der Begriff des Waffensystems ist dem Vertragsrecht fremd. Gleichwohl erlangt der Begriff des Waffensystems seine rechtliche Bedeutung dadurch, dass er Definitionselement des Begriffs des Mittels der Kriegführung ist. Soweit ersichtlich ist eine Präzisierung des Waffensystembegriffes einzig dem Kommentar zum HPCR Manual zu entnehmen. Der Kommentar definiert den Begriff des Waffensystems wie folgt: „A weapon system consists of one or more weapons with all related equipment, materials, services, and means of delivery and deployment (if applicable) required for self-sufficiency.“ 59
Das Erfordernis „required for self-sufficiency“ verdeutlicht, dass ein Gegenstand nur dann unter den Begriff des Waffensystems zu subsumieren ist, wenn er 57 58 59
DoD FY2007-2023, Ch. 1, Para. 1.2. Gulam/Lee, S. 129. HPCR Commentary, S. 55.
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
integraler Bestandteil des dem Waffeneinsatz zugrunde liegenden Ablaufes ist. Als Unterfall des Mittels der Kriegführung liegt dem Begriff des Waffensystems eine engere Konzeption zugrunde. Denn Gegenstände, welche nicht unmittelbar an der Schädigungshandlung beteiligt sind, diese aber erst durch Lieferung von Zielinformationen oder Aufklärungsdaten ermöglichen, sind zwar als Mittel der Kriegführung, nicht jedoch als Waffensysteme zu qualifizieren. Beispielhaft qualifiziert der Kommentar bewaffnete militärische Flugzeuge inklusive ihrer Bewaffnung und aller Systeme, welche die Flugzeuge befehligen, sie kontrollieren oder sie mit Daten versorgen, in ihrer Gesamtheit als Waffensysteme.60 Folgerichtig subsumiert der Kommentar ebenfalls UACVs unter den Begriff des Waffensystems.61 Diese Einschätzung verdient in Bezug auf autonome UACVs aufgrund der Herausnahme des Menschen aus dem Prozess der unmittelbaren Zielauswahl und Angriffsentscheidung erst recht Zustimmung. Folglich ist zu konstatieren, dass autonome UACVs als waffenvermittelnde Vehikel dem Begriff des Waffensystems unterfallen.62 V. Plattform Obschon der Plattformenbegriff ebenfalls Definitionselement des Begriffes des Mittels der Kriegführung ist, fehlt es – soweit ersichtlich – an einer abstrakten Definition des Plattformenbegriffes. Eine solche ist selbst dem HPCR Manual und auch nicht der übrigen völkerrechtlichen Literatur oder Rechtsprechung oder Staatenpraxis zu entnehmen. In der einschlägigen Literatur wird häufig vertreten, es handele sich bei UACVs um Plattformen, welche Waffen lediglich als optionalen Zusatz bei sich führen.63 Dieser Argumentation liegt offenbar die Überlegung zugrunde, es handele sich bei Plattformen um solche Gebilde, die als Träger von Waffen im weitesten Sinne fungieren.64 Insoweit überschneidet sich der Plattformenbegriff mit dem des Waffensystems. Trotz gemeinsamer Schnittmengen sind beide Begriffe keinesfalls deckungsgleich. Denn im Gegensatz zum Begriff des Waffensystems setzt der Plattformenbegriff nicht voraus, dass der fragliche Gegenstand integraler Bestandteil des dem Waffengebrauch zugrunde liegenden Ablaufes ist. Folglich liegt dem Begriff des Waffensystems eine engere Konzeption zugrunde als dem Plattformenbegriff. Aber als Unterfall des Mittels der Kriegführung muss auch für den Plattformenbegriff die Einschränkung gelten, dass der in Rede stehende Gegenstand zu Angriffszwecken eingesetzt wird, oder zu diesem Zwecke geschaffen 60
HPCR Commentary, S. 55. HPCR Commentary, S. 41. 62 So im Ergebnis auch McDaniel, S. 45; Boor, S. 98; Baggesen/Gofer/Kress, S. 3; Lewis, S. 40; Lazarski, S. 77; Steward, S. 272. 63 Gulam/Lee, S. 129; Finn/Scheding, S. 156; Richter, S. 105. 64 Boothby (2011), S. 82. 61
A. Einordnung von autonomen UACVs
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wurde.65 Entsprechend dürfte ein Waffentransporter ebenso wenig als Plattform zu qualifizieren sein, wie ein Treibstofftransporter als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren ist66. Autonom über den Einsatz der beigeführten Waffen entscheidende UACVs fallen in den Schnittmengenbereich zwischen den Begriffen des Waffensystems und der Plattform, und sind mithin sowohl als Waffensystem als auch als Plattform zu qualifizieren. VI. Mittel der Kampfführung Der Begriff des Mittels der Kampfführung unterliegt ebenfalls keiner vertraglichen Definition. Soweit ersichtlich hat sich weder die Rechtsprechung noch die Staatenpraxis des Definitionsproblems angenommen. Innerhalb der Literatur besteht lediglich weitgehende Einigkeit darüber, dass der Begriff des Mittels der Kampfführung als Unterfall des Mittels der Kriegführung zu qualifizieren ist und ihm mithin ein engeres Verständnis zugrunde zu legen ist.67 Darüber hinaus ist anerkannt, dass der Kampfmittelbegriff, wie der Begriff des Mittels der Kriegführung, Waffen mitumfasst.68 Nur vereinzelt wird in der völkerrechtlichen Literatur69 der Begriff des Kampfmittels als Synonym für den Begriff des Mittels der Kriegführung verwandt. Dies stellt jedoch eine unzulässige Vermischung beider Begrifflichkeiten dar. Die Gebotenheit der begrifflichen Differenzierung folgt bereits aus der getrennten Verwendung beider Begriffe in dem ZPI. Während die allgemeinen Vorschriften aus Art. 35 ZPI und Art. 36 ZPI den Begriff des Mittels der Kriegführung verwenden, fallen in den materiellen Anwendungsbereich des Verbotes unterschiedsloser Angriffe aus Art. 51 (4) (b), (c) ZPI70 allein Mittel der Kampfführung, nicht jedoch Mittel der Kriegführung. Überdies verdeutlicht die unterschiedliche übliche Wortbedeutung der Begriffselemente warfare und combat die Notwendigkeit einer Differenzierung beider Begriffe. Denn laut dem Oxford Dictionary bedeutet combat „fighting between armed forces“.71 Demgegenüber bedeutet warfare „engagement in or the activities involved in war or conflict“.72 Aus den dargelegten unterschiedlichen Wortbedeutungen folgt, dass dem Begriff 65
HPCR Commentary, S. 41. HPCR Commentary, S. 41. 67 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 398; Parks (2005), S. 118. 68 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 650. 69 Frau (2011), S. 63; Marauhn, in: Schmidt-Radefeldt/Meissler, S. 61. 70 s. Art. 51 (4) ZPI: „Indiscriminate attacks are prohibited. Indiscriminate attacks are: (b) those which employ a method or means of combat which cannot be directed at a specific military objective; or (c) those which employ a method or means of combat the effects of which cannot be limited as required by this Protocol.“ 71 http://oxforddictionaries.com/definition/english/combat. 72 http://oxforddictionaries.com/definition/english/warfare?q=warfare. 66
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
des Kampfmittels mit der herrschenden Literaturmeinung ein engeres Verständnis als dem Begriff des Mittels der Kriegführung zugrunde zu legen ist. Mithin erweist sich die These einer Identität beider Begriffe im Lichte der nach Art. 31 (1) WVK bei einer Auslegung maßgeblichen üblichen Wortbedeutung beider Begrifflichkeiten als unzutreffend. Auch die travaux préparatoires zu Art. 35 ZPI und Art. 36 ZPI belegen, dass beide Begriffe nicht synonym verwendet werden können. Denn bei der Formulierung beider Vorschriften sprachen sich die Staatenvertreter auf der Genfer Diplomatischen Konferenz ausdrücklich gegen die Verwendung des Begriffes Mittel der Kampfführung („means of combat“) aus und entschieden sich stattdessen für die Aufnahme des weitergehenden Begriffes des Mittels der Kriegführung („means of warfare“).73 Folglich ist die synonyme Verwendung beider Begrifflichkeiten nicht nur als sprachliche Ungenauigkeit, sondern vielmehr als sachlich falsch zu qualifizieren und mithin abzulehnen. Beide Begriffe sind vielmehr randscharf voneinander abzugrenzen. In Ermangelung einer verfügbaren allgemein anerkannten Definition soll im Folgenden ein an der Vorschrift aus Art. 51 (4) (b) und (c) ZPI orientierter Definitionsversuch unternommen werden. Das Ergebnis der Auslegung soll dabei die vom Wortlaut des ZPI vorgegebene Unterscheidung des Begriffes des Kampfmittels sowohl von dem Begriff des Mittels der Kriegführung als auch dem Waffenbegriff ermöglichen. Gemäß Art. 31 (1) WVK ist ein Begriff nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der ihm in seinem Kontext zukommenden üblichen Bedeutung und im Lichte des Normentelos auszulegen. Wie bereits dargelegt, bedeutet combat laut dem Oxford Dictionary „fighting between armed forces“ 74. Aus der systematischen Stellung des Kampfmittelbegriffs innerhalb des Verbots nichtdiskriminierender Angriffe aus Art. 51 (4) ZPI ergibt sich in Verbindung mit der Legaldefinition des Angriffsbegriffes aus Art. 49 (1) ZPI, dass der Begriff des Mittels der Kampfführung alle Gegenstände erfasst, welche zur Vornahme von Kampfhandlungen eingesetzt werden können und zwar unabhängig davon, ob jene Kampfhandlungen offensiven oder defensiven Zwecken dienen.75 Eine wesentliche Einschränkung des Begriffsverständnisses ergibt sich jedoch aus dem Normentelos. Art. 51 (4) (b) ZPI statuiert ein Verbot des Einsatzes von solchen Angriffsmitteln, die nicht gegen ein bestimmtes Ziel gerichtet werden können, weil der Angriff dann seiner Natur nach militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos treffen kann.76 Daraus folgt, dass nur 73
Weber, in: Fischer/Forissart/Heintschel von Heinegg/Raap, S. 697. http://oxforddictionaries.com/definition/english/combat. 75 s. Wortlaut Art. 49 (1) ZPI: „attacks means acts of violence against the adversary, whether in offence or defence“. 76 s. letzter Halbsatz von Art. 51 (4): „and consequently, in each of such case, are of a nature to strike military objectives and civilians or civilian objects without distinction“. 74
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der Einsatz solcher Mittel erfasst sein kann, welche eine hinreichende funktionalkausale Nähe zu der von dem Verbot nichtdiskriminierender Angriffe in den Blick genommenen Schädigung von Zivilpersonen oder zivilen Objekten aufweisen. Mithin erweist sich die Auffassung der Literatur der zufolge der Kampfmittelbegriff enger als der Begriff des Mittels der Kriegführung ist als zutreffend. Denn der Begriff des Mittels der Kriegführung umfasst wie dargelegt auch solche Mittel, welche – wie AWACS-Flugzeuge – einen Angriff durch Sammlung von Zieldaten erst ermöglichen aber an der Schädigungshandlung selbst nicht unmittelbar beteiligt sind. Das Definitionselement der hinreichenden funktional-kausalen Nähe zur Schädigung bestätigt auch die herrschende Literaturansicht, der zufolge „the term ,means of combat‘ generally refers to the weapons being used“ 77. Die Inkludierung des Waffenbegriffes folgt daraus, dass Waffen diejenigen Mittel sind, welche der unmittelbar dem Ziel beigebrachten Schädigung funktional-kausal am nächsten stehen, da jene unmittelbar durch die Munition der Waffe oder, wenn eine Trennung zwischen Munition und Waffe nicht möglich ist, durch die Waffe selbst verursacht wird.78 Weil Waffensystemen – wie aufgezeigt – eine ähnlich enge funktional-kausale Nähe zur Schädigungswirkung zukommt und um eine Unterscheidbarkeit zum Waffenbegriff zu gewährleisten unterfallen auch sie dem Kampfmittelbegriff. Von dem Begriff des Mittels der Kampfführung ausgeschlossen sind mithin alle Gegenstände, denen die vom Telos des Verbots nichtdiskriminierender Angriffe vorausgesetzte funktional-kausale Nähe zur verbotenen nichtdiskriminierenden Schädigung fehlt. Weil autonome UACVs als Waffensysteme zu qualifizieren und die durch sie eingesetzten Wirkmittel eng mit dem gesamten autonomen Steuerungssystem verknüpft sind, sind sie unter den Kampfmittelbegriff zu subsumieren. VII. Angriffsmittel Auch der Begriff des Angriffsmittels aus Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI ist vertraglich nicht definiert. Aus der Legaldefinition des Angriffsbegriffes79 aus Art. 49 ZPI folgt jedoch zunächst, dass Angriffsmittel solche Gegenstände umfassen, welche die Anwendung bewaffneter Gewalt gegen den Gegner – sei es zu Offensiv- oder zu Defensivzwecken – ermöglichen. Gleichwohl ergibt sich einschränkend aus der systematischen Verortung des Begriffes des Angriffsmittels in Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI, dass nur solche Gegenstände dem Begriff unterfallen, welche eine hinreichende funktional-kausale Nähe zu der von der Vorschrift in den Blick genommenen Verursachung ziviler Kollateralschäden aufweisen. 77
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 650. HPCR Commentary, S. 55. 79 s. Wortlaut Art. 49 ZPI: „,Attacks‘ means acts of violence against the adversary, whether in offence or in defence.“ 78
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Daraus folgt, dass nur Waffen und Waffensysteme dem Begriff des Angriffsmittels unterfallen. Mithin ist dem Begriff des Angriffsmittels ein engeres Verständnis als dem Begriff des Mittels der Kriegführung zugrunde zu legen, der auch solche Gegenstände umfasst, die den Eintritt des Schädigungserfolges nicht direkt verursachen, sondern – zum Beispiel durch Beschaffung von Zieldaten – lediglich mittelbar ermöglichen. Die aus der getrennten Verwendung der Begriffe in dem ZPI folgende gebotene Unterscheidbarkeit des Begriffes des Angriffsmittels zum Begriff des Mittels der Kampfführung liegt darin, dass dem Begriff des Angriffsmittels ein engeres Verständnis zugrunde zu legen ist. Denn der Begriff des Mittels der Kampfführung erfasst nicht nur solche Mittel, welche eine hinreichende funktional-kausale Nähre zur Verursachung von zivilen Kollateralschäden aufweisen, sondern vielmehr auch solche, die eine hinreichende funktional-kausale Nähre zur Verursachung von Schädigungen ziviler Objekte oder Zivilpersonen allgemein aufweisen. So unterfällt zum Beispiel eine Gewehrkugel oder ein Pfeil einschließlich des jeweiligen Abschusssystems dem Begriff des Mittels der Kampfführung nicht jedoch dem Begriff des Angriffsmittels. Denn eine Gewehrkugel kann die von Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI in den Blick genommenen zivilen Kollateralschäden anders als Munitionstypen mit einem großen Sprengradius – wie zum Beispiel Granaten oder Bomben – evident nicht verursachen. Weil autonome UACVs, wie dargelegt, als Waffensysteme zu qualifizieren sind, unterfallen sie auch dem Begriff des Angriffsmittels. VIII. Methode der Kriegführung Vereinzelt wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass autonome UACVs zugleich als Plattform und als eine Methode der Kriegführung zu qualifizieren sind.80 Zur Substantiierung dieser These wird von Marauhn angeführt, autonome UACVs könnten „das Kampfgeschehen im Vergleich zum Einsatz bemannter Systeme verändern“.81 Diese Ansicht basiert jedoch auf einem falschen Verständnis sowohl des Begriffes der Methode der Kriegführung als auch dessen Verhältnis zu dem Begriff des Mittels der Kriegführung, welches den Oberbegriff der in Bezug genommenen Plattformen bildet. Wenngleich der Begriff der Methode der Kriegführung keiner Legaldefinition unterliegt, besteht Einigkeit darüber, dass er die Art und Weise der Verwendung von Mitteln der Kriegführung beschreibt.82 Mithin ist dem Begriff ein handlungsund kein objektbezogenes Verständnis zugrunde zu legen. Die von der Definition
80
Marauhn, in: Schmidt-Radefeldt/Meissler, S. 62. Marauhn, in: Schmidt-Radefeldt/Meissler, S. 62. 82 Daoust/Coupland/Ishoey, S. 352; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 398; Parks (2005), S. 118; McClelland, S. 404. 81
B. Einhegung autonomer UACVs in die Terminologie des Luftkriegsrechts
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in Bezug genommene Art und Weise der Verwendung von Mitteln der Kriegführung bezieht sich mithin nicht auf waffenvermittelnde Vehikel selbst. Folglich sind autonome UACVs gerade nicht als Methode der Kriegführung, sondern vielmehr, wie aufgezeigt, als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren. Das von Marauhn angeführte Argument, autonome UACVs seien deshalb unter den Begriff der Methode der Kriegführung zu subsumieren, weil sie „das Kampfgeschehen im Vergleich zum Einsatz bemannter Systeme verändern“ 83 geht mithin als sachfremde Erwägung in das Leere. Aus der genannten Definition folgt überdies, dass die Begriffe des Mittels und der Methoden der Kriegführung nicht synonym zu verwenden, sondern voneinander abzugrenzen sind.84 Dies folgt auch bereits aus der getrennten Nennung beider Begriffe in den einschlägigen Vorschriften des ZPI. Zutreffend stellt McClelland daher fest: „It is important to distinguish, however, between equipment and its use and the tactics, techniques and procedures adopted by armed forces.“ 85 Daraus folgt, dass eine Mittel der Kriegführung nicht zugleich als Methode der Kriegführung qualifiziert werden kann. Mithin erweist sich die These Marauhns in doppelter Hinsicht als unzutreffend und ist mithin abzulehnen. IX. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass autonome UACVs unter die Begriffe des Mittels der Kriegführung bzw. des Mittels zur Schädigung des Feindes, des Kampf- und Angriffsmittels, des Waffensystems und der Plattform zu subsumieren sind.
B. Einhegung autonomer UACVs in die spezifische Terminologie des völkergewohnheitsrechtlichen Luftkriegsrechts Im Folgenden soll nunmehr eine Einhegung in die spezifische Terminologie des Luftkriegsrechts vorgenommen werden. Zwar wurde bereits 1923 mit der Verabschiedung des Entwurfes der Haager Luftkriegsregeln der Versuch unternommen den Luftkrieg vertraglich zu reglementieren und das geltende Recht weiterzuentwickeln.86 Dieser Versuch scheiterte jedoch an der mangelnden Bereitschaft der Staatengemeinschaft, die von der 1922 auf Grundlage einer Resolution der Washingtoner Abrüstungskonferenz errichteten Haager Juristenkommission erarbeiteten Regelungen anzuerkennen, da sie zu einem Gutteil juristisches 83 84 85 86
Marauhn, in: Schmidt-Radefeldt/Meissler, S. 62. Parks (2005), S. 118; McClelland, S. 404. McClelland, S. 404. Riesch, S. 57.
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
Neuland betraten.87 Das Chicagoer Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt findet ausweislich seines Art. 3 nur Anwendung auf zivile Luftfahrzeuge, nicht jedoch auf als Staatsluftfahrzeuge zu qualifizierende militärische Luftfahrzeuge. Überdies beschränkt das Abkommen gem. Art. 87 S. 1 im Kriegsfall in keiner Weise „the freedom of action of any of the contracting States affected, whether as belligerents or as neutrals“. Folglich ist das Abkommen für die luftkriegsrechtliche Begriffsbestimmung von UACVs ohne Bedeutung. In Ermangelung einer vertraglichen Kodifikation des Luftkriegsrechts ist mithin auf die Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts zurückzugreifen. Erneut erweist sich ein Rückgriff auf das HPCR Manual als äußerst hilfreich. Denn, insbesondere im Hinblick auf die Besonderheiten des Luftkriegsrechts, stellt es eine Zusammenfassung des geltenden Völkergewohnheitsrechts dar.88 I. Luftfahrzeug Nach der Definition des Manuals, welche in weiten Teilen der innerhalb der Zivilluftfahrt geltenden Definition entspricht89, fällt unter den Begriff des Luftfahrzeugs „any vehicle – whether manned or unmanned – that can derive support in the atmosphere from the reactions of the air (other than the reactions of the air against the earth’s surface), including vehicles with either fixed or rotary wings“ 90. Die Definition ist weit zu verstehen. Für die Luftfahrzeugeigenschaft ist die dem Vehikel zugedachte Funktion, dessen Größe, Status (militärisch oder zivil) oder Bewaffnung ebenso wenig von Bedeutung91 wie die Art des Antriebs92. Fernerhin sind sowohl aerostatische als auch aerodynamische Vehikel von dem Luftfahrzeugbegriff umfasst.93 Maßgebliches Definitionselement ist mithin einzig die Fähigkeit sich durch die Reaktionen der Luft in der Luft halten und sich fortbewegen zu können. Insoweit unterscheiden sich Luftfahrzeuge, mit Ausnahme von Marschflugkörpern, von Raketen, die ihre Fähigkeit sich in der Luft fortzubewegen nicht aus Reaktionen der Luft gewinnen.94 Ausgehend von der genannten Definition sind mit dem Kommentar des Manuals95 autonome UACVs als aerodynamische Luftfahrzeuge zu qualifizieren.96 87
Ronzitti, in: Ronzitti/Venturini, S. 9. Frau (2011), S. 62. 89 EASA NPA 2008-17B, Definitions: „Aeroplane“. 90 HPCR Manual, S. 1. 91 HPCR Commentary, S. 27. 92 HPCR Commentary, S. 27. 93 HPCR Commentary, S. 27. 94 HPCR Commentary, S. 27. 95 HPCR Commentary, S. 27. Der Kommentar subsumiert ausdrücklich auch autonome UACVs unter den Begriff des Luftfahrzeugs. 96 Boothby (2011), S. 82. 88
B. Einhegung autonomer UACVs in die Terminologie des Luftkriegsrechts
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II. Militärisches Luftfahrzeug Eine Qualifikation als militärisches Luftfahrzeug zieht weitreichende rechtliche Konsequenzen nach sich. So sind ausschließlich militärische Luftfahrzeuge im bewaffneten Konflikt zur Ausübung der Rechte der Kriegführenden, wie etwa die Vornahme bewaffneter Schädigungshandlungen oder das Abfangen gegnerischer Luftfahrzeuge, berechtigt.97 Zudem genießen militärische Luftfahrzeuge, wie auch Kriegsschiffe98, Immunität vor fremder Durchsuchung und Inspektion. Eine Qualifizierung als militärisches Luftfahrzeug hat zudem Auswirkungen auf die Überflugrechte. Im Kontext eines bewaffneten Konflikts verbietet das völkergewohnheitsrechtliche Neutralitätsrecht den kriegführenden Parteien das Territorium neutraler Staaten mit militärischen Luftfahrzeugen zu überfliegen.99 Weil militärische Luftfahrzeuge gemäß Art. 3 (b) des Chicagoer Abkommens von 1944 über die zivile Luftfahrt als Staatsluftfahrzeuge zu qualifizieren sind, ergeben sich auch in Friedenszeiten Einschränkungen der Überflugrechte. Denn gemäß Art. 3 (c) ist es Staatsluftfahrzeugen verboten, das Territorium eines anderen Staates ohne dessen vorherige Genehmigung zu überfliegen. Folglich kommt der Frage, ob und inwieweit autonome UACVs als militärische Luftfahrzeuge zu qualifizieren sind, ganz erhebliche Bedeutung zu. Die Definition des militärischen Luftfahrzeugs war lediglich zu Beginn der Militarisierung der Luftfahrt zu Beginn des 20. Jahrhunderts umstritten. Weitgehende Einigkeit bestand unter den Rechtsgelehrten bereits vor Ausbruch des ersten Weltkriegs darüber, dass militärische Luftfahrzeuge zum Zwecke der Erkennbarkeit ihrer Staatszugehörigkeit und ihres militärischen Charakters äußere Kennzeichen führen müssen, dass sie im Dienst der Streitkräfte stehen müssen und, dass deren Besatzung vollständig aus Angehörigen der Streitkräfte bestehen muss und, dass das Luftfahrzeug unter dem Befehl eines Offiziers zu stehen hat.100 Unverkennbar diente den Autoren dabei die völkergewohnheitsrechtliche Definition des Kriegsschiffes als Vorlage.101 Umstritten war allerdings insbesondere, ob und inwieweit die Qualifizierung als militärisches Luftfahrzeug von der Eigentümerstellung der Streitkräfte ab97 HPCR Commentary, S. 48; s. auch bereits Art. XIII Haager Luftkriegsregeln von 1923. 98 Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations, Ch. 2, Status of Warships, 2.2.2., 73 ILS 1999, S. 114. 99 HPCR Manual, S. 52. 100 s. Darstellung des zu jener Zeit vorherrschenden Meinungstandes: Riesch, S. 57. 101 s. Definition des Kriegsschiffes in: San Remo Manual, S. 9: „Warship means a ship belonging to the armed forces of a State, bearing the external marks distinguishing the character and nationality of such ship, under the command of an officer duly commissioned by the government of that State and whose name appears in the appropriate service list or its equivalent, and manned by a crew which is under regular armed forces discipline.“
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hängt. Während die erstgenannten Erfordernisse im Verlauf des ersten Weltkrieges durch eine entsprechende Praxis sämtlicher teilnehmender Staaten zu völkergewohnheitsrechtlichen Definitionselementen erstarkten, fand die Eigentümerstellung als Definitionselement keine Bestätigung in der Praxis der kriegführenden Parteien.102 Hinsichtlich der Kennzeichnungspflicht verfestigte sich die Staatenpraxis zusätzlich dahingehend, dass die Konfliktparteien bei der Kennzeichnung einer Wahrheitspflicht unterliegen, so dass der Gebrauch einer Falschbezeichnung mithin als verboten erachtet wurde.103 Dieselben Definitionsmerkmale fanden zudem in Art. 3104 und 14105 der unverbindlich gebliebenen Haager Luftkriegsregelungen von 1923 als Ausdruck des geltenden Völkergewohnheitsrechts106 ihren Niederschlag. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, dass eine Unterscheidung in militärische und nichtmilitärische Luftfahrzeuge nicht ausreiche. So wurde gefordert, man müsse klar zwischen militärischen Luftfahrzeugen einerseits und Kriegsluftfahrzeugen und kriegsverwendungsfähigen Luftfahrzeugen anderseits unterscheiden.107 In Abgrenzung zum militärischen Luftfahrzeug sollte die Konzeption des Kriegsluftfahrzeuges enger gefasst sein. So sollten nur diejenigen Luftfahrzeuge unter den Begriff des Kriegsluftfahrzeuges fallen, die „entweder gebaut sind, um im Falle eines Krieges gegen eine auswärtige Macht von den staatlichen Streitkräften als Kampfmittel verwandt zu werden, oder aber im Kriegsfalle tatsächlich im Kampfe eingesetzt werden“. 108 Demgegenüber sollten kriegsverwendungsfähige Luftfahrzeuge alle diejenigen Luftfahrzeuge umfassen, „deren Teilnahme an einem Krieg gegen einen fremden Staat im Bereich des Möglichen liegt“.109 Diese, bereits im Zeitpunkt ihrer Entstehung, umstrittene Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Weder die herrschende Literaturmeinung noch die Staatenpraxis griffen die vorgeschlagene weitergehende Differenzierung nach der dem Vehikel zugedachten oder möglichen Funktion im Kriegsfalle auf. Die in Art. 2 der Haager Luftkriegsregeln enthaltene Definition öffentlicher Luftfahrzeuge erschöpft sich demgemäß in der Nennung von militärischen Luftfahrzeugen und nichtmilitärischen ausschließlich für einen öffentlichen Dienst eingesetzten Luftfahrzeugen. Entsprechend ist die Ausübung der Rechte der Kriegführenden gemäß Art. 13 102
Riesch, S. 38. Riesch, S. 38, 60. 104 s. Normenwortlaut: „A military aircraft shall bear an external mark indicating its nation; and military character.“ 105 s. Normenwortlaut: „A military aircraft shall be under the command of a person duly commissioned or enlisted in the military service of the State; the crew must be exclusively military.“ 106 HPCR Commentary, S. 46. 107 Riesch, S. 91. 108 Riesch, S. 91. 109 Riesch, S. 91. 103
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ausschließlich militärischen Luftfahrzeugen vorbehalten. Fernerhin sieht Art. 9 der Haager Luftkriegsregeln ausdrücklich die Möglichkeit der Konvertierung eines nicht-militärischen Luftfahrzeugs in ein militärisches Luftfahrzeug vor. Die in dem HPCR Manual aufgenommene heute geltende völkergewohnheitsrechtliche Definition des militärischen Luftfahrzeugs entspricht in weiten Teilen der – dargelegten – bereits im Zuge des ersten Weltkriegs hervorgegangenen Staatenpraxis, welche bereits in Art. 3 und Art. 14 der Haager Luftkriegsregeln eine, wenn auch unverbindliche Kodifikation erfahren hatte. Das Manual definiert militärische Luftfahrzeuge als „any aircraft (i) operated by the armed forces of a State; (ii) bearing the military markings of that State; (iii) commanded by a member of the armed forces; and (iv) controlled, manned or preprogrammed by a crew subject to regular armed forces discipline“. 110 Die Frage der Bewaffnung ist indes für die Qualifikation eines Vehikels als militärisches Luftfahrzeug ebenso wenig von Bedeutung wie die dem Vehikel zugedachte Funktion111. Die völkergewohnheitsrechtliche Geltung der genannten Definition des HPCR Manuals folg daraus, dass sie die Definitionen von Militärhandbüchern112 im Wesentlichen reproduziert. Denn Militärhandbücher sind als Erkenntnisquellen für völkergewohnheitsrechtliche Regelungen anerkannt.113 Die vier Definitionselemente müssen kumulativ vorliegen. Erfüllt ein Luftfahrzeug auch nur eines der genannten Merkmale nicht, kann es mithin nicht als militärisches Luftfahrzeug qualifiziert werden.114 Dem Erfordernis „operated by the armed forces“ liegt eine weite Konzeption zugrunde. Es ist bereits dann erfüllt, wenn das fragliche Luftfahrzeug von den Streitkräften betrieben wird. Daraus folgt, dass Luftfahrzeuge, welche durch nichtstaatliche Akteure betrieben werden, per definitionem nicht unter den Begriff des militärischen Luftfahrzeugs fallen.115 Der Streitkräftebegriff ist weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur die Luftwaffe, sondern erstreckt sich auch auf die 110
HPCR Manual, S. 46. s. zum Beispiel ZDv 15/2 der Bundeswehr, Para. 1007: „,Military aircraft‘ are all aircraft belonging to the armed forces of a state and bearing external marks distinguishing such aircraft of their nationality. The commanding soldier must be a member of the armed forces, and the crew must be subject to military discipline. Military aircraft need not be armed.“ 112 s. etwa: UK Manual JSP 383, Para. 12.10: „,Military aircraft‘ means an aircraft operated by commissioned units of the armed forces of a state having the military marks of that state, commanded by a member of the armed forces, and manned by a crew subject to regular armed forces discipline.“; NWIP 10-2, Para. 500 d.: „Military aircraft include all aircraft operated by commissioned units of the armed forces of a nation bearing the military markings of that nation, commanded by a member of the armed forces, and manned by a crew subject to regular armed forces discipline, as well as unmanned aerial vehicles.“ 113 ICTY, Tadic (1997), Para. 99. 114 HPCR Commentary, S. 46. 115 HPCR Commentary, S. 47. 111
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Kap. 2: Untersuchungsgegenstand des Rechts des int. bewaffneten Konflikts
Land- und Seestreitkräfte.116 Darüber hinaus ist die Eigentümerstellung für die Definition eines Vehikels als militärisches Luftfahrzeug irrelevant.117 Die bereits seit dem ersten Weltkrieg gewohnheitsrechtlich anerkannte und in Art. 3 der Haager Luftkriegsregeln niedergelegte doppelte Kennzeichnungspflicht verlangt das Anbringen von Kennzeichen aus denen sowohl die Nationalität als auch der militärische Charakter des Luftfahrzeugs hervorgeht.118 Die Kennzeichnungspflicht verlangt indes nicht das Anbringen von zwei separaten Markierungen. Lässt nur ein Kennzeichen Nationalität und militärischen Charakter des Luftfahrzeugs erkennen, so ist der Kennzeichnungspflicht genüge getan. Auch die bereits seit 1914 geltende Wahrheitspflicht hinsichtlich der Kennzeichnung militärischer Luftfahrzeuge gilt unter dem heute geltenden Völkergewohnheitsrecht fort.119 Das Vortäuschen des Status als ziviles Luftfahrzeug durch Falschkennzeichnung kann zudem unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der Gegner dadurch getötet, verletzt oder gefangen genommen wird, einen Verstoß gegen das auf Art. 37 (1) (c) ZPI basierende im Luftkriegsrecht gewohnheitsrechtlich geltende Verbot der Perfidie begründen.120 Das Unterlassen der geforderten Kennzeichnung führt durch den damit einhergehenden Verlust der Eigenschaft als militärisches Luftfahrzeug zugleich zu einem Verlust des Rechtes zur Ausübung der Rechte der Kriegführenden.121 Allerdings hat die völkergewohnheitsrechtliche Kennzeichnungspflicht in den letzten Jahren eine nicht unerhebliche Abschwächung dadurch erfahren, dass die geforderte Deutlichkeit der Erkennbarkeit der Kennzeichnung erheblich abgeschwächt wurde. So verwenden eine Vielzahl von Staaten aus Tarnungsgründen sogenannte low-visibility markings, welche dadurch gekennzeichnet sind, dass sie die Nationalfarben durch schwarze oder graue Schattierungen ersetzen, welche die Nationalität zwar gerade noch erkennen lassen, diese Erkennbarkeit aber nicht unerheblich erschweren.122 Da dieser weitverbreiteten Praxis kein erkennbarer Widerspruch im Sinne eines Vorwurfes der Rechtsverletzung durch die übrigen Staaten entgegengesetzt wurde123, ist die in Rede stehende Praxis wohl völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Ob und inwieweit der Sinn und Zweck der Kennzeichnungspflicht damit in Frage gestellt wird, ist vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Recht des bewaffneten Konflikts um staatengeschaffenes Recht handelt, nicht von Bedeutung. So lange sich die Staaten der Kennzeichnungspflicht nicht durch eine entspre116 117 118 119 120 121 122 123
HPCR Commentary, S. HPCR Commentary, S. HPCR Commentary, S. HPCR Commentary, S. HPCR Commentary, S. HPCR Commentary, S. HPCR Commentary, S. HPCR Commentary, S.
46. 46. 46. 46. 251. 251. 251. 251.
C. Zwischenergebnis
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chende Praxis in Gänze selbst entledigen, ist die Kennzeichnungspflicht in der dargelegten abgeschwächten Form rechtlich nicht in Frage zu stellen. Das Definitionsmerkmal, welches verlangt, dass militärische Luftfahrzeuge unter dem Kommando eines Mitglieds der Streitkräfte stehen müssen, ist – wie dargelegt – bereits seit dem ersten Weltkrieg völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und überdies bereits in Art. 14 der Haager Luftkriegsregeln niedergelegt worden. Der Kommandobegriff ist eng zu verstehen. Er bezieht sich auf das Individuum an Bord des Luftfahrzeugs, oder im Falle von unbemannten Luftfahrzeugen auf das Bedienpersonal.124 Bezüglich der hier untersuchten autonomen UACVs stellt sich die Frage, ob sie dem Kommandoerfordernis genügen. Denn ein unmittelbares Kommando, wie es über bemannte oder ferngesteuerte Luftfahrzeuge ausgeübt werden kann, ist über autonome UACVs, wegen des Verlustes der Möglichkeit einer unmittelbaren menschlichen Einflussnahme auf deren Aktionen, gerade nicht ausübbar. Daher ist das Merkmal telelogisch derart zu reduzieren, dass es im Falle autonomer UACVs genügt, dass eine Angehöriger der Streitkräfte über das „Ob“ und das „Wie“ eines Einsatzes vorab entscheidet. Wegen des verstärkten Rückgriffes auf unbemannte Luftfahrzeuge in den bewaffneten Konflikten der jüngeren Vergangenheit hat die ursprüngliche völkergewohnheitsrechtliche Definition des militärischen Luftfahrzeugs aus Art. 14 der Haager Luftkriegsregeln, welche eine sich ausschließlich aus Militärangehörigen zusammensetzende Besatzung verlangte, eine Modifikation erfahren. Entsprechend lässt es das aktuell geltende Völkergewohnheitsrecht im Rahmen der Definition des militärischen Luftfahrzeugs genügen, wenn diese von Individuen ferngelenkt oder vorab programmiert werden, die einem militärischen Disziplinarsystem unterliegen.125 Demgemäß können auch autonom über den Einsatz bewaffneter Gewalt entscheidende UACVs als militärisches Luftfahrzeuge qualifiziert werden. Aus den vorangegangenen Ausführungen folgt, dass autonome UACVs sämtliche völkergewohnheitsrechtliche Definitionselemente des militärischen Luftfahrzeugs erfüllen. Entsprechend sind autonome UACVs als militärische Luftfahrzeuge zu qualifizieren.
C. Zwischenergebnis Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass autonome UACVs den Begriffen des Mittels der Kriegführung, des Mittels zur Schädigung des Feindes, des Kampfmittels, des Angriffsmittels, des Waffensystems, der Plattform und des militärischen Luftfahrzeuges, nicht jedoch der Waffe und der Methode der Kriegführung unterfallen. 124 125
HPCR Commentary, S. 46. HPCR Commentary, S. 46.
Kapitel 3
Rechtsrahmen der Untersuchung In dem nachfolgenden Kapitel soll nunmehr der Rechtsrahmen der Untersuchung dargelegt werden. Da der Einsatz autonomer UACVs keiner speziellen Regelung unterliegt, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes am Maßstab der allgemeinen Regelungen. Welche dieser Regelungen einschlägig sind soll im Folgenden herausgearbeitet werden.
§ 1 Verbot der unbeschränkten Kriegführung Das Verbot der unbeschränkten Kriegführung gehört zu den ältesten Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Es fand bereits Einzug in Art. 12 der Brüsseler Erklärung von 18741 sowie in Art. 4 des wenig später erschienenen Oxford Manuals von 18802. Seine erstmalige verbindliche Kodifikation erfuhr das Verbot in Art. 22 des IV. Haager Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges.3 Die aktuellste Fassung des auch völkergewohnheitsrechtlich4 geltenden Verbots der unbeschränkten Kriegführung findet sich heute in Art. 35 (1) ZPI, dem folgender Wortlaut zugrunde liegt: „In any armed conflict, the right of the Parties to the conflict to choose methods or means of warfare is not unlimited.“
Wie bereits aus der Artikelüberschrift von Art. 35 ZPI folgt, handelt es sich bei dem Verbot um eine Grundregel für den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung.5 Ausweislich des zitierten Normenwortlauts sind Adressaten der Norm die Konfliktparteien und dabei konkret alle diejenigen, welche sich für die Auswahl von Mitteln und Methoden der Kriegführung verantwortlich zeichnen.6
1 s. Wortlaut von Art. 12: „The laws of war do not recognize in belligerents an unlimited power in the adoption of means of injuring the enemy.“ 2 s. Wortlaut von Art. 4: „The laws of war do not recognize in belligerents an unlimited liberty as to the means of injuring the enemy.“ 3 Art. 22 liegt folgender Wortlaut zugrunde: „The right of the belligerents to adopt means of injuring the enemy is not unlimited.“ 4 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 389; Bothe/Partsch/Solf, S. 193. 5 s. auch Kalshoven/Zegveld, S. 41. 6 Bothe/Partsch/Solf, S. 194.
§ 1 Verbot der unbeschränkten Kriegführung
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Wenngleich autonome UACVs – wie dargelegt7 – als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren sind und mithin dem Anwendungsbereich der Norm unterfallen, stellt sich ausgehend von dem abstrakt und weit formulierten Normenwortlaut die Frage, ob und inwieweit dem Verbot der unbeschränkten Kriegführung konkrete Einsatzbeschränkungen zu entnehmen sind. Einigkeit besteht darüber, dass die in Rede stehende Norm jedenfalls kein generelles Verbot bestimmter Mittel und Methoden der Kriegführung statuiert.8 Laut Ipsen folgt aus dem Grundsatz jedoch, „dass nicht nur die einzelnen Verbotsnormen Schranken für bewaffnete Schädigungshandlungen bilden, sondern dass sich aus den allgemeinen im Konfliktrecht zum Ausdruck kommenden Normenzweck – dem Prinzip der Humanität, dem Schutz der Zivilbevölkerung usw. – Einschränkungen ergeben“ 9. Diese Ansicht vermag jedoch in Ermangelung konkreter Leitlinien für die genannten Limitierungen und der daraus resultierenden fehlenden Handhabbarkeit nicht zu überzeugen. Überdies liefert auch der Normenwortlaut keinen Ansatz für eine derartige Überlegung. Denn er beschränkt sich auf die bloße abstrakte Feststellung, dass den kriegführenden Parteien keine freie Wahl der Mittel und Methoden der Kriegführung zukommt. Dieser Feststellung kann daher lediglich das Bekenntnis des modernen Rechts des bewaffneten Konflikts zum Leitbild des limited warfare entnommen werden. Jenes Leitbild stellt den Gegenentwurf zur insbesondere vor Inkrafttreten des IV. Haager Abkommens geltenden, aber auch noch im Verlaufe des zweiten Weltkrieges praktizierten, Doktrin Kriegsraison geht vor Kriegsmanier10 dar. Der Grundsatz des limited warfare basiert auf dem Prinzip militärischer Notwendigkeit11, demgemäß nur diejenigen Handlungen zulässig sind, die notwendig sind, um militärische Ziele zu erreichen und die im Einklang mit den Regelungen des Rechts des bewaffneten Konflikts stehen12. Es handelt sich bei dem Verbot der unbeschränkten Kriegführung folglich um einen Programmsatz, der lediglich die absolute Bindung der Konfliktparteien an die nachfolgenden speziellen Regelungen des Rechts des bewaffneten Konflikts bekräftigt.13 Aus diesen Regelungen, wie etwa dem Verbot der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen aus Art. 35 (2) ZPI oder dem Verbot unterschiedsloser Angriffe aus 7
s. Kapitel 2. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 397. 9 Ipsen, in: Ipsen, S. 1240. 10 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 391. 11 Oeter, in: Fleck, S. 127. 12 Forrest, S. 187; s. auch Definition des Nürnberger Militärgerichtshofes des Begriffes militärischer Notwendigkeit: IMT, List et al., S. 1253: „Military necessity permits a belligerent, subject to the laws of war, to apply any amount and kind of force to compel the complete submission of the enemy with the least possible expenditure of time, life and money.“ 13 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 397. 8
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Art. 51 (4) und (5) ZPI, folgen die den kriegführenden Parteien aufzuerlegenden konkreten Beschränkungen. Das Verbot begründet jedoch keine eigenen konkreten Handlungsbeschränkungen für die kriegführenden Parteien.14 Oeter qualifiziert das Verbot der unbeschränkten Kriegführung als ein „principle of international law derived from established custom, from the principles of humanity, and from the dictates of public conscience“ im Sinne der Martens’schen Klausel.15 Diese Einschätzung erweist sich jedoch – unabhängig von der später diskutierten Frage16, ob und inwieweit der Klausel Beschränkungen für den Einsatz von Mitteln der Kriegführung zu entnehmen sind – bereits im Lichte des Anwendungsbereichs der Klausel als unzutreffend. Denn ausweislich des insoweit klaren Wortlauts der Klausel kommt diese nur „in cases not covered by this Protocol or by other international agreements“ zur Anwendung. Weil das Verbot der unbeschränkten Kriegführung jedoch selbst in dem Protokoll und in dem IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges geregelt ist, kann es nicht zugleich zu den Regelungen gehören, die sich nach Maßgabe der Klausel aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und den Diktaten des öffentlichen Gewissens ergeben. Folglich ist zu konstatieren, dass dem Verbot der unbeschränkten Kriegführung für die Rechtmäßigkeitsprüfung autonomer UACVs keine eigenständige Bedeutung zukommt.
§ 2 Unterscheidungsgrundsatz Der Unterscheidungsgrundsatz gehört laut IGH neben dem Verbot der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen zu den „cardinal principles (. . .) constituting the fabric of humanitarian law“.17 Die herausragende Bedeutung die dem Unterscheidungsgrundsatz im Kontext des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts zukommt wird durch die Feststellung Dormans: „In fact, in combat situations, the entire body of international humanitarian law can be reduced to the obligation to observe the principle of distinction.“ 18 deutlich. Wenngleich der Unterscheidungsgrundsatz bereits erstmals durch den Lieber Code von 186319 und später durch die St. Petersburger Erklärung von 186820, das 14 s. auch Schwarzenberger (1968), S. 109; Oeter, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 85; IGH, Nuclear Weapons, S. 257. 15 Oeter, Means and Methods of Combat, in: Fleck, The Handbook of International Humanitarian Law, S. 115 (126). 16 s. Kapitel 3 § 6. 17 IGH, Nuclear Weapons, S. 257. 18 Dorman, S. 84. 19 s. Lieber Code, Art. 22: „Nevertheless, as civilization has advanced during the last centuries, so has likewise steadily advanced, especially in war on land, the distinction between the private individual belonging to a hostile country and the hostile
§ 2 Unterscheidungsgrundsatz
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Abschlussprotokoll der Brüsseler Konferenz von 187421, das Oxford Manual von 188022 und das IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges von 190723 implizit anerkannt wurde, erfuhr er erstmals in Art. 48 ZPI eine ausdrückliche und präzise formulierte verbindliche Kodifikation.24 Art. 48 ZPI liegt folgender Wortlaut zugrunde: „In order to ensure respect for and protection of the civilian population and civilian objects, the Parties to the conflict shall at all times distinguish between the civilian population and combatants and between civilian objects and military objectives and accordingly shall direct their operations only against military objectives.“
Ausgehend vom Normenwortlaut unterliegen die Konfliktparteien mithin zum Schutze der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte der absoluten Verpflichtung ihre bewaffneten Schädigungshandlungen auf militärische Ziele zu beschränken. Die Ratio dieser Beschränkung liegt in dem – bereits auf die Präambel der St. Petersburger Erklärung von 1868 zurückgehenden – Prinzip, demzufolge das einzig legitime Ziel bewaffneter Konflikte in der Überwindung der militärischen Kräfte des Gegners liegt.25 Daraus folgt jedoch nicht, dass Angriffe keinerlei Auswirkungen auf Zivilpersonen oder zivile Objekte haben dürfen.26 Unbeabsichtigte zu erwartende Schädigungen von zivilen Objekten und Zivilpersonen, die aus einem Angriff auf ein legitimes militärisches Ziel resultieren, sind vielmehr Gegenstand des Exzessverbotes aus Art. 51 (5) (b) ZPI. Aus der vom Unterscheidungsgrundsatz geforderten Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Kombattanten einerseits und zivilen Objekten und militärischen Zielen anderseits folgt lediglich, dass sowohl die Zivilbevölkerung als auch zivile Objekte grundsätzlich Immunität vor direk-
country itself, with its men in arms. The principle has been more and more acknowledged that the unarmed citizen is to be spared in person, property, and honor as much as the exigencies of war will admit.“ 20 s. Präambel der St. Petersburg Declaration: „The only legitimate object which States should endeavor to accomplish during war is to weaken the military forces of the enemy.“ 21 s. Brussels Declaration, Art. 15: „Fortified places are alone liable to be besieged. Open towns, agglomerations of dwellings, or villages which are not defended can neither be attacked nor bombarded.“ 22 s. Oxford Manual, Art. 1: „The state of war does not admit of acts of violence, save between the armed forces of belligerent States. Persons not forming part of a belligerent armed force should abstain from such acts.“ 23 s. HLKO, Art. 25: „The attack or bombardment, by whatever means, of towns, villages, dwellings, or buildings which are undefended is prohibited.“ 24 s. auch Robertson, S. 35; Swiney, S. 737; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 598; Dorman, S. 85; Olasolo, S. 15; Maxwell/Meyer, S. 1. 25 Sassòli (2003), S. 3. 26 Rogers (1996), S. 27; Interpretationserklärung Italiens zum ZPI v. 27.02.1986, Para. 8.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
ten Angriffen genießen, während Kombattanten und objektbezogene militärische Ziele grundsätzlich jederzeit und überall angegriffen werden dürfen.27 Weil der Normenwortlaut bereits anordnet, dass Angriffe auf militärische Ziele zu beschränken sind, sind die Verbote direkter Angriffe auf zivile Objekte gem. Art. 52 (1) S. 2 ZPI und auf Zivilpersonen gem. Art. 51 (2) S. 1 ZPI lediglich deklaratorischer Natur.28 Nicht unter das Verbot direkter Angriffe auf zivile Ziele fallen solche Situationen, in denen zivile Ziele aufgrund einer technischen Fehlfunktion oder menschlichen Versagens getroffen werden, solange nur der Angriff ursprünglich gegen militärische Ziele gerichtet wurde.29 Als Ausfluss des Unterscheidungsgrundsatzes unterliegen die zur Angriffsentscheidung berufenen Personen überdies der vertraglichen30 und völkergewohnheitsrechtlichen31 Verpflichtung, alles praktisch Mögliche zu tun, um sicherzustellen, dass das anzugreifende Ziel militärischer Natur ist und Angriffe zu unterbrechen oder abzubrechen, wenn sich herausstellt, dass das Ziel nicht militärischer Natur ist. Aus dem Unterscheidungsgrundsatz folgt32 überdies, das in Art. 51 (4) ZPI kodifizierte und auch völkergewohnheitsrechtlich anerkannte33 Verbot nichtdiskriminierender Angriffe, dem in dieser Arbeit ein separates Kapitel gewidmet wird34. Der Unterscheidungsgrundsatz ist ein Ausfluss des durch Art. 35 (1) ZPI in Vertragsform gegossenen völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatzes des limited warfare35, demzufolge im Geiste der St. Petersburger Erklärung von 1868 der einzige legitime Zweck militärischer Schädigungshandlungen darin liegt, den Gegner militärisch zu unterwerfen36. In Bezug auf den Einsatz von Mitteln der Kriegführung und mithin von autonomen UACVs ist dem Unterscheidungsgrundsatz das Erfordernis zu entnehmen, dass diese in der Lage sein müssen, zwischen den genannten Kategorien zu unterscheiden. Die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Unterscheidungsgrundsatzes ist sowohl durch den IGH37, das 27
Dinstein (2008), S. 184. s. auch Watkin (2004), S. 15; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 619. 29 HPCR Commentary, S. 89. 30 s. Art. 57 (2) (a) (i) ZPI: „Those who plan or decide upon an attack shall: do everything feasible to verify that the objectives to be attacked are neither civilians nor civilian objects and are not subject to special protection but are military objectives within the meaning of paragraph 2 of Article 52 and that it is not prohibited by the provisions of this Protocol to attack them.“; Art. 57 (2) (b) ZPI: „An attack shall be cancelled or suspended if it becomes apparent that the objective is not a military one or is subject to special protection (. . .).“ 31 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 55; HPCR Manual, S. 125, 130. 32 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 701. 33 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 37–45. 34 Kapitel 3, § 3. 35 Oeter, in: Fleck, S. 127. 36 Sassòli (2003), S. 3. 37 IGH, Nuclear Weapons, S. 257. 28
§ 2, A. Personenbezogene Plicht zur Unterscheidung
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ICRC 38, die einschlägige Literatur39 als auch durch Nichtvertragsparteien, wie etwa den USA40, anerkannt. Die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Unterscheidungsgrundsatzes erstreckt sich dabei auch auf den Bereich des völkergewohnheitsrechtlichen Luftkriegsrechts.41 Ausweislich des insoweit klaren Normenwortlauts liegt der absoluten Unterscheidungspflicht der Konfliktparteien eine personen- und objektbezogene Dimension zugrunde. Zum einen gilt es auf personaler Ebene zwischen Zivilpersonen und Kombattanten und zum anderen objektbezogen zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen zu unterscheiden. Die Operabilität des Grundsatzes hängt im entscheidenden Maße von der Bestimmbarkeit der genannten Kategorien ab. Laut Sassòli ist der Unterscheidungsgrundsatz gar „practically worthless without a definition of at least one of the categories between which the attacker has to distinguish“ 42. Wenngleich die Begriffe der Zivilbevölkerung, des Kombattanten und des zivilen Objekts sowie des militärisches Ziels zu den wenigen Begrifflichkeiten gehören, die innerhalb des ZPI einer Legaldefinition zugeführt wurden und mithin Leitlinien für die geforderte Unterscheidung existieren, bereitet die Anwendbarkeit des Unterscheidungsgrundsatzes in der Praxis zum Teil erhebliche Schwierigkeiten, die daraus resultieren, dass Uneinigkeit über die Auslegung der Legaldefinitionen besteht. Im Folgenden sollen daher die verschiedenen Kategorien unter Berücksichtigung der vertretenen Auslegungen einer Definition zugeführt werden.
A. Personenbezogene Plicht zur Unterscheidung Wie bereits aufgezeigt, verlangt der Unterscheidungsgrundsatz auf personaler Ebene, dass die Konfliktparteien ihre militärischen Schädigungshandlungen nur gegen solche Personen richten, die ein legitimes militärisches Ziel darstellen. Diese Beschränkung erfordert eine randscharfe Abgrenzung von Kombattanten einerseits und der Zivilbevölkerung bzw. Zivilpersonen anderseits. I. Abgrenzung zwischen Zivilpersonen, Kombattanten und Teilnehmern einer Levée en masse Der Begriff der Zivilbevölkerung ist in Art. 50 (2) ZPI definiert. Demgemäß umfasst die Zivilbevölkerung alle Zivilpersonen. Darüber hinaus stellt Art. 50 38
Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 3. s. Dinstein (2008), S. 183; Schmitt (1999), S. 148; Sassòli (2003), S. 1; Robertson, S. 35; Rogers (1996), S. 7; Quéguiner, in: Hensel, S. 164. 40 Schmitt (1999), S. 148. 41 HPCR Manual, Rule 5, 10, S. 7, 10. 42 Sassòli (2003), S. 2. 39
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
(3) ZPI klar, dass die Zivilbevölkerung ihren Status nicht dadurch verliert, dass sich Personen, die nicht als Zivilperson zu qualifizieren sind, unter ihr befinden. Der Status der Zivilperson ist „of great functional importance on the battlefield, for without it, individuals are generally subject to attack at any time and place“.43 Dem Begriff der Zivilperson liegt gem. Art. 50 (1) 1 ZPI i.V. m. Art. 43 ZPI und Art. 4 A (1), (2), (3), (6) GA III eine gewohnheitsrechtlich anerkannte44 Negativdefinition zugrunde. Demgemäß ist jeder Akteur, der weder Mitglied der bewaffneten Streitkräfte einer Konfliktpartei noch Teilnehmer einer Levée en masse ist, als Zivilperson zu qualifizieren. Mithin stehen die genannten Kategorien in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander.45 Weil Art. 50 (1) 1 ZPI in Verbindung mit Art. 4 A (6) GA III auf Teilnehmer einer Levée en masse als eine von Zivilpersonen abzugrenzende Kategorie verweist, erweist sich die von Kalshoven vertretene Auffassung, der zufolge es sich bei der Levée en masse um „a special case warranting attacks on civilians“ 46 handele bereits im Lichte des Normenwortlauts als unzutreffend. Aus der Negativdefinition folgt, dass die Definition der Zivilbevölkerung und mithin von Zivilpersonen untrennbar mit den Definitionen von Mitgliedern der bewaffneten Streitkräfte und Teilnehmern einer Levée en masse verknüpft ist. Gemäß der völkergewohnheitsrechtlich anerkannten47 und Art. 1 HLKO entlehnten Definition aus Art. 43 (1) ZPI bestehen die Streitkräfte der Konfliktparteien „of all organized armed forces, groups and units which are under a command responsible to that Party for the conduct of its subordinates“. Laut Art. 43 (2) ZPI sind, mit Ausnahme des Sanitäts- und Seelsorgepersonals im Sinne von Art. 33 GA III, die Angehörigen der Streitkräfte als Kombattanten zu qualifizieren. Die individuelle Zugehörigkeit zu den bewaffneten Streitkräften eines Staates bestimmt sich dabei allein nach dessen innerstaatlichem Recht.48 Infolge ihrer grundsätzlichen49 Berechtigung zur Teilnahme an den Feindseligkeiten aus Art. 43 (2) ZPI dürfen Kombattanten im Gegensatz zu Zivilpersonen grundsätzlich als legitimes militärisches Ziel allein aufgrund ihres Status jeder Zeit und überall direkt angegriffen werden.50 Immunität vor direkten Angriffen genießen Kombattanten nur dann, wenn sie entweder freiwillig durch
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Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 704. Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 17. 45 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 21. 46 Kalshoven (1991), S. 312. 47 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 14. 48 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 25. 49 Eine Ausnahme zu diesem Recht findet sich in Art. 67 (1) (e) ZPI in Bezug auf Angehörige der Streitkräfte, die den Zivilschutzorganisationen zugeteilt sind, vgl. Sandoz et al., Commentary on the Additional Protocols, S. 797, Para. 2726: „The object of this paragraph was to neutralize that right, or to provide that it could not be exercised.“ 50 Rogers (1996), S. 8; Dinstein (2008), S. 184; Hampson (2011), S. 198; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 704. 44
§ 2, A. Personenbezogene Plicht zur Unterscheidung
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Aufgabe51 oder infolge von Verwundung oder Krankheit52 oder Schiffbruch53 kampfunfähig sind.54 Um die Operabilität des Unterscheidungsgrundsatzes zu gewährleisten, sind Kombattanten gem. Art. 44 (3) ZPI grundsätzlich dazu verpflichtet, sich für den Zeitraum, in dem sie an der Vornahme von Angriffen oder Kriegshandlungen zur Vorbereitung eines Angriffes beteiligt sind, von der Zivilbevölkerung durch das offene Tragen ihrer Waffen zu unterscheiden. Gemäß Art. 4 A (6) GA III, welcher die Definition aus Art. 2 HLKO inhaltlich reproduziert, sind Teilnehmer einer Levée en masse solche Personen, die zur Bevölkerung eines unbesetzten Gebiets gehören und die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antrieb zu den Waffen greifen, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen ohne zur Bildung regulärer Streitkräfte Zeit gehabt zu haben, sofern sie die Waffen offen tragen und die Gesetze und Gebräuche des Krieges einhalten. Das Konzept der Levée en masse war bereits im Lieber Code und der Brüsseler Erklärung anerkannt und gilt überdies auch völkergewohnheitsrechtlich.55 Wenngleich Teilnehmer einer Levée en masse nicht als Kombattanten zu qualifizieren sind, sondern vielmehr in Durchbrechung der dem Unterscheidungsgrundsatz zugrunde liegenden Dichotomie zwischen Zivilpersonen und Kombattanten eine dritte eigne Kategorie bilden56, kommt ihnen gleichwohl das Kombattantenprivileg zu, demgemäß sie für die Teilnahme an den Feindseligkeiten strafrechtlich nicht belangt werden dürfen. Überdies sind sie im Falle einer Gefangennahme gem. Art. 4 A (6) GA III als Kriegsgefangene zu qualifizieren.57 Als Kehrseite der Privilegierung sind sie ebenso wie Kombattanten als legitimes militärisches Ziel zu qualifizieren und genießen mithin anders als Zivilpersonen keinen Schutz vor direkten Angriffen, es sei denn sie sind hors de combat.58 Um den Schutz der Zivilbevölkerung zu verstärken gilt gem. Art. 50 (1) 2 ZPI eine Zweifelsfallregel, wonach im Zweifel die betreffende Person als Zivilperson zu qualifizieren ist. Rechtsfolge der Zweifelsfallreglung ist, dass die fragliche Person solange als Zivilperson zu erachten ist und mithin Immunität vor direkten Angriffen genießt, bis die Vermutung ihres zivilen Status widerlegt wurde.59
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Vgl. Art. 23 c) HLKO. Vgl. Art. 12 (1) GA I. 53 Vgl. Art. 12 (2) GA II. 54 Vgl. Grundregel aus Art. 41 (1) ZPI: „A Person who is recognized or who, in the circumstances should be recognized to be horse de combat shall not be made the object of attack.“ 55 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 18. 56 Boothby (2010), S. 754; Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 18. 57 Hingorani, S. 285. 58 Kalshoven (1991), S. 312. 59 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 612. 52
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
II. Direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten Obschon – wie aufgezeigt – nach Maßgabe des Unterscheidungsgrundsatzes die Konfliktparteien auf personaler Ebene stets zur Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Kombattanten verpflichtet sind und infolge dessen die Zivilbevölkerung als Kollektiv sowie einzelne Zivilpersonen gem. Art. 51 (2) ZPI Immunität vor direkten Angriffen genießen, gilt dieser Schutz nicht absolut. Vielmehr genießen Zivilpersonen gem. Art. 51 (3) ZPI den Schutz nur „unless and for such time as they take a direct part in hostilities“. Jene Ausnahme von der Immunität vor direkten Angriffen gilt auch völkergewohnheitsrechtlich.60 Obgleich das Luftkriegsrecht grundsätzlich objektbezogen ist61, erstreckt sich die völkergewohnheitsrechtliche Geltung auch auf diesen Bereich des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts.62 In kaum einer anderen Vorschrift kommt der Telos des Rechts des bewaffneten Konflikts, der darin liegt, einen Ausgleich zwischen humanitären Erwägungen und militärischer Notwendigkeit zu finden63, so deutlich zum Tragen.64 Wie sich bereits aus dem Normenwortlaut ergibt, hat die direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten jedoch nicht – wie von Dinstein65 vertreten – einen Statuswechsel, sondern lediglich eine temporäre Suspendierung der Immunität vor direkten Angriffen zur Folge.66 Davon unberührt bleibt der Schutz vor direkten Angriffen von an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen, die hors de combat sind.67 Weil die Norm die Voraussetzungen aufstellt unter denen Zivilpersonen ausnahmsweise direkt angegriffen werden können, ist die Auslegung der Tatbestandsmerkmale von fundamentaler Bedeutung. Überdies auch deshalb, weil direkt an den Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen im Rahmen des Exzessverbotes und den gebotenen Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff unberücksichtigt bleiben und überdies anders als Kombattanten für die Teilnahme an den Feindseligkeiten strafrechtlich verfolgt werden können und keinen Kriegsgefangenenstatus, sondern nur den Schutz des Minimumstandards aus Art. 75 ZPI für sich beanspruchen können.68 Trotz oder vielleicht gerade wegen der Tragweite 60
ICTY, Blaškic´, Para. 157; lHCJ, Public Committee against Torture, Para. 30, 46. Frau (2012), S. 87. 62 HPCR Manual, Rule 28–29, S. 14 ff. 63 ZDv 15/2, Para. 103; Schmitt, 42 (3) N.Y.U. J. INT’L L. & POL. 2010, S. 697 (713). 64 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 713. 65 Dinstein (2008), S. 188: „For my part, I believe that by directly participating in hostilities a person turns into a combatant – indeed, more often than not, an unlawful combatant.“ 66 s. auch ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 70; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 698; Boothby (2010), S. 754. 67 NWP 1-14 M, Ch. 8.2.2. 68 Schmitt (2004), S. 6; Heintschel von Heinegg (2011), S. 468; Borrmann, in: KunBuczko/Przybysza, S. 230; ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 13. 61
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der Regelung existiert bis heute keine allgemein anerkannte Definition des Begriffs der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten. Die bestätigte auch der Israelische High Court of Justice: „It is fair to conclude (. . .) that a clear and uniform definition of direct participation in hostilities has not been developed in state practice.“ 69
In Ermangelung einer abstrakten, allgemein anerkannten Definition folgt die bisherige Staatenpraxis70 und Rechtsprechung71 daher einem einzelfallbezogenen Ansatz. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass eine abstrakt-generelle Definition des Begriffes der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten dringend nötig ist, um die erforderliche Rechtssicherheit auf diesem in der Praxis äußert relevantem Gebiet zu gewährleisten.72 Bis heute ist es jedoch nicht gelungen, eine allgemein anerkannte Definition zu erarbeiten.73 Illustrativ für die bestehenden Uneinigkeiten ist der Interpretative Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law des ICRC von 2009. Der ursprünglich als Konsenspapier angelegte Leitfaden spiegelt, aufgrund unüberbrückbarer Differenzen über die Definition des Begriffes der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten und der daraus resultierenden Auflösung der ursprünglich 50 Mitglieder zählenden Expertengruppe74, in seiner endgültigen Fassung nur noch die Auffassung des ICRC wider. Das Endprodukt sieht sich seit seiner Erscheinung teils harscher Kritik von ehemaligen Mitgliedern der – bis zu ihrer Auflösung – am Entstehungsprozess beteiligten Expertengruppe ausgesetzt. So wurde kritisiert, der Leitfaden sei „under-inclusive“ 75, „legally incorrect“ 76, kreiere „a bias against State armed forces“ 77 und sei zu restriktiv „to make sense on the modern battlefield“ 78. In Ermangelung einer universell akzeptierten Interpretation soll im Folgenden unter Berücksichtigung der vertretenen Auffassungen der Begriff der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten einer Auslegung zugeführt werden. In Ermangelung einer vertraglich fixierten Definition ist auf die in Art. 31 und 32 WVK kodifizierten völkergewohnheitsrechtlichen79 Grundsätze der Vertragsauslegung zurückzugreifen. Demgemäß ist der Begriff nach Treu und Glau69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79
IHCJ, Public Committee Against Torture, Para. 34. NWP 1-14 M, Ch. 8.2.2.; UK Manual JSP 383, Ch. 5.3.3.; ADDP 06.4, Ch. 5.36. ICTY, Strugar, Para. 176–179; ICTY, Tadic´ (1997), Para. 616. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 711. s. auch Heintschel von Heinegg (2011), S. 468. Melzer (2010), S. 834. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 714. Parks (2010), S. 769. Watkin (2010), S. 694. Boothby (2010), S. 768. IGH, Oil Platforms, S. 803.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
ben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen ihm in seinem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Aus der Telos-Auslegungsmethode80 folgt, dass Art. 51 (3) ZPI als einzige Ausnahme zum Schutz von Zivilpersonen vor direkten Angriffen im Rahmen des Unterscheidungsgrundsatzes – der ein Fundamentalprinzip des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts darstellt – eng auszulegen ist.81 1. Voraussetzungen
Der Begriff der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten besteht aus zwei Elementen, nämlich den Feindseligkeiten und der direkten Teilnahme daran.82 Wenngleich die Einzelheiten heftig umstritten sind, besteht Einigkeit darüber, dass die fragliche Handlung, um als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten qualifiziert werden zu können, drei kumulativ-konstitutive Voraussetzungen erfüllen muss. Erstens muss der in Rede stehende Akt aller Voraussicht nach in einem bestimmten Schaden resultieren, zweitens muss er in einem bestimmten Kausalzusammenhang zu der zu erwartenden Schädigung stehen und drittens muss er in einem bestimmten Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt stehen.83 a) Schadenskriterium Bezüglich des Schadenskriteriums verfolgt das ICRC einen Alternativansatz. Demgemäß kann die erforderliche Schadenschwelle dadurch überschritten werden, dass sich der spezifische infrage stehende Akt voraussichtlich entweder auf die militärischen Operationen oder die militärische Fähigkeiten einer Konfliktpartei nachteilig auswirkt, oder, alternativ, dass er solche Personen oder Objekte schädigt, die gegen direkte Angriffe geschützt sind.84 Aus der Verwendung des Begriffs „voraussichtlich“ folgt, dass sich der Schaden nicht materialisieren muss, um die erforderliche Schwelle zu überschreiten, sondern dass es genügen soll, wenn eine objektive Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Handlung den erforderlichen Schaden hervorruft.85 Dieser Alternativansatz des ICRC wird dem Grunde nach auch von der in Einzelheiten abweichenden Literaturmeinung geteilt.86 80 Allgemein zur Geltung der Maxime, der zufolge Ausnahmeregelungen eng auszulegen sind, siehe: Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 145. 81 So im Ergebnis auch: Van Engeland, S. 42; Borrmann, in: Kun-Buczko/Przybysza, S. 232. 82 ICRC, Summary Report, 3rd Expert Meeting on DPH, S. 17. 83 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 46; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 712; Melzer (2010), S. 857; Garraway, S. 181; Hampson (2011), S. 199. 84 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 47. 85 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 47. 86 s. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 712.
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aa) Schäden militärischer Natur Laut ICRC soll es bezüglich der ersten Alternative bereits genügen, wenn sich die infrage stehende Handlung in irgendeiner Weise auf die militärischen Operationen oder militärische Fähigkeit einer Konfliktpartei schädigend auswirkt.87 Auf eine Tötung oder Verletzung militärischen Personals, oder auf eine physische oder funktionale Schädigung militärischer Objekte soll es ausdrücklich nicht ankommen.88 Exemplarisch nennt die Studie dabei unbewaffnete Handlungen, welche die Einsätze, Logistik oder Kommunikation einer Konfliktpartei stören.89 Einziges aber zugleich auch unabdingbares Begriffsmerkmal des militärischen Schadens ist, laut ICRC, folglich die nachteilige Auswirkung der Handlung auf die militärischen Operationen oder Fähigkeiten einer Konfliktpartei. Genau in dieser Limitierung sieht Schmitt stellvertretend für einige Experten eine Schwäche des Leitfadens, die dazu führe, dass das Schadenselement nach der Konzeption des ICRC „under-inclusive“ 90 sei. So plädiert er dafür, das Schadenskriterium auch auf begünstigende d. h. auf solche Handlungen auszudehnen, welche voraussichtlich die militärischen Operationen oder Fähigkeiten einer Konfliktpartei erhöhen.91 Als Argument führt er an, dass sich eine Stärkung des Gegners als genauso problematisch darstellen kann wie eine Schwächung der eigenen militärischen Operationen oder Fähigkeiten.92 Dass das Schadenselement auch bereits dann erfüllt ist, wenn sich die in Rede stehende Handlung negativ auf die militärischen Operationen oder Fähigkeiten auswirkt und mithin nicht die Anwendung von Waffengewalt voraussetzt, verdient Zustimmung. Dies folgt daraus, dass in Sektion II der HLKO – welche der Regulierung von Feindseligkeiten gewidmet ist – auch Vorschriften über unbewaffnete Spionagetätigkeiten enthalten sind. Denn daraus folgt, dass der Begriff der Feindseligkeiten weitergehen muss als der Angriffsbegriff, welcher als Definitionsmerkmal gemäß der Legaldefinition aus Art. 49 (1) ZPI eine Gewaltanwendung gegen den Gegner verlangt.93 Zutreffend verengt das ICRC das in Rede stehende Schadenselement auf Handlungen, die in einer Schädigung der militärischen Fähigkeiten und Operationen einer Konfliktpartei resultieren. Denn die von Schmitt vorgeschlagene Ausweitung auf Handlungen, die eine Konfliktpartei nicht direkt schädigen, sondern die andere Konfliktpartei nur einseitig stärken, ist als systemwidrig abzulehnen.94 Die Suspendierung des Schutzes vor direkten An87 88 89 90 91 92 93 94
ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 47. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 48. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 48. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 714. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 719, 720, 736. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 719. s. auch Melzer (2005), S. 3. s. auch Melzer (2010), S. 859.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
griffen von grundsätzlich geschützten Kategorien wird im Gefüge des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts stets konditional an Handlungen geknüpft welche den Gegner unmittelbar schädigen. So endet der Schutz ziviler Sanitätseinheiten gem. Art. 13 ZPI sobald sie zu Handlungen außerhalb ihrer humanitären Bestimmung verwendet werden, die den Feind schädigen.95 Selbiges trifft auf den Verlust des Schutzes von Zivilschutzorganisationen96 und den ihnen zugeteilten Angehörigen der Streitkräfte und militärischen Einheiten97 sowie auf den Schutzverlust von Lazarettschiffen und Schiffslazaretten98 zu. Überdies ist die Ausdehnung vor dem Hintergrund der bereits dargelegten gebotenen restriktiven Auslegung zu ausufernd. bb) Schädigung geschützter Personen und Objekte Nach Ansicht des ICRC ist das Schadenskriterium alternativ auch dann erfüllt, wenn die fragliche Handlung voraussichtlich zu einer Schädigung d. h. in der Tötung oder Verletzung, beziehungsweise in einer Beschädigung oder Zerstörung, von durch das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts vor direkten Angriffen geschützten Personen oder Objekten führt.99 Zur Begründung wird angeführt, dass „attacks do not cease to constitute part of hostilities simply because they are directed specifically against persons and objects protected against direct attack“. 100 Beispielhaft für derartige nichtmilitärische Schäden nennt der Leitfaden101 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des ICTY Scharfschützenangriffe auf Zivilpersonen102 und die Bombardierung oder den Beschuss von zivilen Objekten103. Anders als bei der ersten Alternative, welche die Behinderung der militärischen Fähigkeiten oder Operationen einer Konfliktpartei zum Gegenstand hat, muss im Rahmen der Schädigung geschützter Personen oder Objekte 95 s. Wortlaut Art. 13 ZPI: „The protection to which civilian medical units are entitled shall not cease unless they are used to commit, outside their humanitarian function, acts harmful to the enemy.“ 96 s. Wortlaut Art. 65 (1) ZPI: „The protection to which civilian civil defence organizations, their personnel, buildings, shelters and materiel are entitled shall not cease unless they commit or are used to commit, outside their proper tasks, acts harmful to the enemy.“ 97 s. Wortlaut Art. 67 (1) ZPI: „Members of the armed forces and military units assigned to civil defence organizations shall be respected and protected, provided that (. . .) (e) (. . .) are not used to commit, outside their civil defence tasks, acts harmful to the adverse Party.“ 98 s. Wortlaut Art. 34 GA II: „The protection to which hospital ships and sick-bays are entitled shall not cease unless they are used to commit, outside their humanitarian duties, acts harmful to the enemy.“ 99 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 49. 100 ICRC Draft Interpretative Guidance on DPH, S. 28. 101 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 49. 102 ICTY, Galic ´ , Para. 27, 52. 103 ICTY, Strugar, Para. 282, 289.
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nach Ansicht des ICRC mithin eine qualifizierte Schadensschwelle (Tod, Verwundung oder Beschädigung, Zerstörung) überschritten werden. Handlungen unterhalb dieser Schadensschwelle ließen sich nicht unter den Begriff der Feindseligkeiten subsumieren, weil sie nicht mit dem Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung oder einer Schädigung des Feindes gleichzusetzen seien.104 Gegen das vom ICRC postulierte Erfordernis des Überschreitens einer qualifizierten Schadensschwelle spricht sich ein Teil der Literatur aus. Um eine Kohärenz zu der ersten Schadensalternative herzustellen, welche gerade keinen direkten Angriff voraussetzt, und um einen erhöhten Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten, soll das Schadenskriterium bereits dann erfüllt sein, wenn sich die fragliche gegen geschützte Personen und Objekte gerichtete Handlung im Ergebnis für eine Konfliktpartei schädigend auswirkt, vorausgesetzt, dass sie Teil der Kriegsstrategie ist oder in einer evidenten Beziehung zu den andauernden Feindseligkeiten steht.105 So sollen nach dieser Ansicht zum Beispiel auch Geiselnahmen vom Begriff der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten umfasst sein.106 Die Inkludierung von Geiselnahmen sei insbesondere deshalb geboten, weil unter Umständen die Verbindung von Geiselnahmen zu dem bewaffneten Konflikt größer sei als das Töten von Zivilpersonen. Denn Geiseln würden häufig als Druckmittel eingesetzt, um einen Truppenrückzug oder eine Gefangenenfreilassung zu erwirken.107 Die einhellige Inkludierung nicht militärischer Schäden in das Schadenskriterium verdient im Lichte der Weite des Feindseligkeitenbegriffes Zustimmung. Denn der Begriff umschreibt „the ensemble of hostile acts or all acts harmful to the adversary“ 108. Zentrales Element des Feindseligkeitenbegriffs ist mithin einzig die Schädigung des Feindes.109 Vorgaben in Bezug auf die Art der Schädigung (militärisch oder nicht militärisch) ist der Begriffsdefinition mithin nicht zu entnehmen. Das vom ICRC angeführte Erfordernis des Überschreitens einer bestimmten Schädigungsschwelle entbehrt jedoch einer hinreichenden rechtlichen Grundlage 104
ICRC, DPH Interpretive Guidance S. 50. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 724. 106 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 724. 107 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 724. 108 ICRC, Summary Report, 3rd Expert Meeting on DPH, S. 22. 109 Das Erfordernis einer schädigenden Auswirkung spiegelt sich auch in den folgenden im Rahmen der Expertentreffen zum ICRC Leitfaden vorgeschlagenen Begriffsdefinitionen wieder: „Hostilities“ are acts that directly cause harmful consequences to the adversary; „Hostilities“ are hostile activities directed at injuring or neutralizing the personnel or equipment of the adversary in the context of an armed conflict; „Hostilities“ mean the application of force or otherwise disadvantaging the opponent militarily, including intelligence activities; ICRC, Background Document DPH, S. 5, s. auch: Verri, S. 57: „(. . .) acts of violence by a belligerent against an enemy in order to put an end to his resistance and impose obedience.“ 105
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und ist mithin abzulehnen. Insbesondere die Definition des Zentralbegriffes der Feindseligkeiten bietet keinen Anhaltspunkt für die vom ICRC vorgenommene Einschränkung. Wie dargelegt, ist zentrales Definitionselement allein die Schädigung der gegnerischen Konfliktpartei. Qualitative Anforderungen an die Schädigung sind der Definition gerade nicht zu entnehmen. Mithin lassen sich Handlungen, die nicht voraussichtlich in einer Tötung, Verletzung, Beschädigung oder Zerstörung geschützter Personen oder Objekte resultieren, sehr wohl unter den Begriff der Feindseligkeiten subsumieren, solange sie sich nur im Ergebnis schädigend auswirken. Zu derartigen Handlungen können auch die von der kritischen Literaturansicht in Bezug genommenen Geiselnahmen gehören. Denn wenngleich Geiselnahmen zwar nicht unmittelbar mit dem Einsatz von Mitteln der Kriegführung gleichsetzen sind, können sie jedoch gleichwohl in Abhängigkeit des konkreten Kontextes eine Methode der Kriegführung darstellen. Ausgehend von der Definition des Feindseligkeitenbegriffes sind von dem Schadenskriterium einzig solche Handlungen herauszufiltern, die unter keiner Betrachtungsweise in einer Schädigung des Feindes resultieren können. Gegen das Erfordernis der Schadensschwelle sprechen überdies systematische Erwägungen. Wie ebenfalls bereits dargelegt, folgt aus der Inkludierung von Vorschriften über die Behandlung von unbewaffneten Spionagetätigkeiten in das Kapitel betreffend die Regulierung von Feindseligkeiten innerhalb der HLKO, dass der Begriff der Feindseligkeiten nicht auf Angriffshandlungen und mithin nicht auf die Tötung, Verletzung, Zerstörung oder Beschädigung geschützter Personen oder Objekte beschränkt ist. Folglich ist zu konstatieren, dass Handlungen, die nicht voraussichtlich zu einem militärischen Schaden führen, gleichwohl das Schadenskriterium erfüllen, wenn und soweit sie sich im Ergebnis aller Voraussicht nach in irgendeiner Art schädigend auswirken. Die vom ICRC vorgenommene Einschränkung in Gestalt einer bestimmten zu überschreitenden Schadensschwelle ist in Ermangelung einer rechtlichen Grundlage abzulehnen. b) Kausalitätskriterium Es besteht Einigkeit darüber, dass zwischen der fraglichen Handlung der Zivilperson und dem zu erwartenden Schaden eine Kausalitätsbeziehung bestehen muss, um jene Handlung als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten qualifizieren zu können.110 Das Kriterium dient dabei der Abgrenzung von indirekten Kausalbeiträgen, die im Rahmen des Immunitätsverlustes von Zivilpersonen vor direkten Angriffen infolge einer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten unberücksichtigt bleiben sollen. Die Frage, welche Anforderungen an die kausale 110 s. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 46; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 725; Melzer (2010), S. 865; Garraway, S. 181; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 516.
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Nähe zwischen der fraglichen Handlung und dem zu erwartenden Schaden zu stellen sind ist jedoch umstritten. Laut ICRC betrifft das Kriterium der direkten Kausalität allein die erforderliche kausale, nicht jedoch die zeitliche oder geographische Nähe der Handlung zum Schadenseintritt.111 Die erforderliche kausale Nähe liegt, nach Auffassung des ICRC, nur dann vor, wenn die zu erwartende Schädigung in nur einem kausalen Schritt hervorgerufen wird.112 Daher erfüllen bloße war sustaining activities oder Handlungen, die lediglich den general war effort einer Partei fördern, nicht die Anforderungen einer direkten Kausalität.113 Das Erfordernis der direkten Kausalität in Gestalt einer one-step-causality kommt dabei sowohl bei individuellen isolierten Akten als auch bei koordinierten militärischen Operationen zur Anwendung.114 Im letztgenannten Fall muss laut ICRC jedoch nicht die einzelne Handlung innerhalb der Operation in einem kausalen Schritt die erforderliche Schadensart herbeiführen, sondern lediglich die koordinierte Operation als solches, deren integraler Bestandteil die infrage stehende spezifische Handlung sein muss.115 Daher ist das Kausalitätserfordernis nach dem Ansatz des ICRC auch in Bezug auf Zielidentifizierungs- und Zielerfassungshandlungen sowie bei der Übermittlung von taktischen Aufklärungsdaten an die angreifenden Streitkräfte erfüllt.116 Nach der Konzeption des Leitfadens ist bei der Involvierung von Zivilpersonen in koordinierten militärischen Operationen das Kausalitätserfordernis mithin an zwei kumulative Voraussetzungen geknüpft. Erstens muss die fragliche individuelle Handlung integraler Bestandteil der koordinierten militärischen Operation sein und zweitens muss diese Operation in ihrer Gesamtheit die zu erwartende Schädigung in nur einem kausalen Schritt herbeiführen. Die Leitfadenkonzeption des Kausalitätskriteriums hat in der Literatur neben grundsätzlicher Zustimmung117 auch Kritik118 erfahren. Nach Auffassung der kritischen Literaturstimmen ist das Kriterium des einen kausalen Schritts zu eng und das Erfordernis der direkten Kausalität mithin auszudehnen. Laut Schmitt soll das Kausalitätskriterium daher bereits stets dann erfüllt sein, wenn die infrage stehende Handlung integraler Bestandteil der Schädigungshandlung ist und zwar auch dann, wenn es um die Bestimmung des erforderlichen Kausalitätsgrades von isolierten Handlungen einzelner Zivilpersonen geht.119 Ziel dieser Erwei111 112 113 114 115 116 117 118 119
ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 55. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 53. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 51. Melzer (2010), S. 866. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 54, 55. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 55. Melzer (2010), S. 864 ff.; Garraway, S. 181; Hampson (2011), S. 199. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 725 ff. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 729.
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terung ist es „(to) extend participation as far up and downstream as there is a casual link“ 120. Zur Begründung verweist Schmitt insbesondere auf eine bessere praktische Handhabbarkeit, die sich daraus ergebe, dass „those involved in armed conflict are likely to have a much better grasp of which acts are integral to a ,military‘ operation than of those which meet a juridical test of direct causation“.121 Die von Schmitt vertretene Ausweitung des Kausalitätserfordernisses ist jedoch im Lichte der gebotenen restriktiven Auslegung des Begriffes der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten und dem Normenwortlaut als zu weitgehend abzulehnen.122 Denn andernfalls müsste vorbehaltlich der übrigen zwei Elemente jede irgendwie in einem Kausalzusammenhang mit der letztendlichen Schädigungshandlung stehende Handlung unweigerlich als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten zu qualifizieren sein. Damit fiele selbst das Akquirieren von Bauteilen für noch anzufertigende improvisierte Sprengsätze bereits unter den Begriff der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten und würde die Konfliktparteien zur Tötung bereits des Käufers berechtigen. Eine solch extensive Dehnung des Kausalitätsbegriffes steht jedoch nicht nur im Widerspruch zur gebotenen restriktiven Auslegung der Ausnahmevorschrift, sondern auch zum vom Wortlaut vorgegebenen Erfordernis der Direktheit der Teilnahme an den Feindseligkeiten. Denn laut dem Merriam-Webster Dictionary, welches die gem. Art. 31 (1) VWK bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge maßgebliche übliche Wortbedeutung widerspiegelt, bedeutet direct: „done without something else coming in between“ 123, oder laut dem Oxford Dictionary: „without intervening factors or intermediaries“ 124. Mithin korrespondiert das Kriterium des einen kausalen Schritts mit der üblichen Wortbedeutung des Begriffes direct, während eine Ausdehnung des Begriffes der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten auf alle Handlungen, die überhaupt nur in irgendeinem Kausalzusammenhang zum Schaden stehen, mit dem Wortlaut unvereinbar ist. Zutreffend verlangt der Leitfaden des ICRC daher, dass entweder eine isolierte Handlung oder eine militärische koordinierte Operation in ihrer Gesamtheit die zu erwartende Schädigung in einem kausalen Schritt herbeiführen muss, um als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten qualifiziert werden zu können. Im Lichte des Normenwortlauts und der gebotenen restriktiven Auslegung ebenfalls zutreffend ist der Ausschluss von war sustaining activities und Handlungen, die lediglich den general war effort 120
Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 739. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 729. 122 s. auch Melzer (2010), S. 868. 123 http://www.merriam-webster.com/thesaurus/direct. 124 http://oxforddictionaries.com/definition/american_english/direct?region=us&q= direct. 121
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einer Partei fördern.125 Überdies überzeugt das von Schmitt zur Substantiierung seiner These vorgetragene Argument, dem Kriterium des integralen Bestandteils käme eine bessere praktische Anwendbarkeit als dem Kriterium des einen kausalen Schrittes zu, nicht. Denn die Feststellung, ob eine Handlung oder eine militärische koordinierte Operation in nur einem kausalen Schritt zu einer Schädigung führt, erfordert nicht, wie von Schmitt impliziert, eine komplizierte das militärische Personal möglicherweise überfordernde juristische Analyse, sondern ist vielmehr sogar einfacher zu treffen, als die Feststellung, ob und inwieweit die fragliche Handlung integraler Bestandteil einer Schädigungshandlung ist. Denn während das Erfordernis des einen kausalen Schritts sich aus einer natürlichen Betrachtungsweise von Bedingungszusammenhängen aus sich selbst heraus erklärt, verlagert das Kriterium des integralen Bestandteils die Problematik der Abgrenzung von direkter und indirekter Kausalität lediglich auf die Problematik der Abgrenzung von integralen und nicht integralen Bestandteilen. Denn die Feststellung, ob eine Handlung integraler Bestandteil einer Schädigungshandlung ist, setzt anders als die one step causality Feststellung die Heranziehung weiterer Kriterien voraus. Mithin setzt das von Schmitt vorgeschlagene Kriterium anders als das Kausalitätskriterium des ICRC eine Bewertung voraus und stellt somit höhere Anforderungen an die Normadressaten. Aus dem daraus resultierenden Beurteilungsspielraum folgt überdies ein im Vergleich zum Kriterium des einen kausalen Schrittes höheres Maß an Rechtsunsicherheit. Folglich ist zu konstatieren, dass die Ersetzung des Kriteriums der one-stepcausality durch das vom Schmitt vorgeschlagene Integritätskriterium abzulehnen ist. c) Belligerent Nexus Das dritte Element des sogenannten belligerent nexus – demzufolge die fragliche Handlung in einem bestimmten Zusammenhang zum bewaffneten Konflikts zu stehen hat – „is the least controversial“ 126 der drei konstitutiven Elemente. Das Konnexitätserfordernis dient nach einhelliger Auffassung der Abgrenzung von Teilnahmeakten zu solchen schädigenden Handlungen die sich lediglich am Rande der Feindseligkeiten ereignen.127 Einigkeit besteht zudem darüber, dass das Konnexitätserfordernis allein objektiv zu bestimmen ist.128 Es kommt demnach nicht auf die subjektive Intention des Schädigers, sondern allein auf die 125 So im Ergebnis auch Dinstein (2008), S. 190; Kalshoven/Zegveld, S. 98; Sandoz/ Swinarski/Zimmermann, S. 618. 126 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 735. 127 ICRC, Summary Report, 3rd Expert Meeting on DPH, S. 27; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 735; Borrmann, in: Kun-Buczko/Przybysza, S. 230. 128 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 59; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 735.
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objektive Natur der Schädigungshandlung an. Folglich kann eine direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten und der damit verbundene Verlust des Schutzes vor direkten Angriffen selbst dann angenommen werden kann, wenn eine Zivilperson zur Vornahme der Schädigungshandlung gezwungen wird. Uneinigkeit besteht jedoch hinsichtlich der Frage, welche konkreten Anforderungen an das Kriterium des belligerent nexus zu stellen sind. Nach Ansicht des ICRC ist der erforderliche Nexus nur dann gegeben, wenn der aus der spezifischen Schädigungshandlung erwartungsgemäß resultierende Schaden eine Konfliktpartei zum Vorteil der gegnerischen Konfliktpartei schädigt.129 Dieser kumulative Ansatz geriet in den Fokus der Kritik einiger Stimmen aus der Literatur. So wird dafür plädiert, die kumulativen Voraussetzungen der Schädigung der einen Konfliktpartei zu Gunsten einer anderen Konfliktpartei in zwei alternative Voraussetzungen umzuschreiben.130 Demgemäß soll es bereits ausreichen, wenn die Handlung entweder eine Konfliktpartei schädigt oder einer anderen Konfliktpartei nutzt.131 Zur Begründung wird von Schmitt angeführt, dass das mit dem kumulativen Ansatz einhergehende Nullsummenspiel nicht notwendig den Gegebenheiten heutiger bewaffneter Konflikte entspreche, da es nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liege, dass ein Individuum beiden Seiten des Konflikts feindselig gegenübertrete.132 Der alternative Ansatz ist jedoch mit dem Feindseligkeitenbegriff unvereinbar und daher abzulehnen. Denn, wie bereits im Rahmen des Schadenskriteriums dargelegt, ist dieser untrennbar mit der Schädigung des Feindes verknüpft. Mithin setzt eine direkte Teilnahme von Zivilpersonen an den Feindseligkeiten die Schädigung einer Konfliktpartei bereits begriffsnotwendig voraus, so dass Handlungen, die für eine Konfliktpartei lediglich vorteilhaft sind ohne zugleich irgendeiner Konfliktpartei zu schaden, von dem Begriff der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten auszuschließen sind. Überdies ist die Inkludierung von Handlungen, die ohne schädigende Auswirkungen auf eine der Konfliktparteien bleiben, als systemwidrig abzulehnen. Denn, wie bereits dargelegt, ist der Verlust des Schutzes vor direkten Angriffen in der Systematik des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts stets an Handlungen zur Schädigung des Feindes geknüpft.133 Überdies ergibt sich die Notwendigkeit einer schädigenden Auswirkung auf die Konfliktparteien aus der Legaldefinition des objektbezogenen militärischen Zieles aus Art. 52 (2) ZPI.134 129
ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 58. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 736. 131 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 736. 132 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 736. 133 s. Art. 13 ZPI, Art. 65 (1) ZPI I, Art. 67 (1) ZPI, Art. 34 GA II. 134 Darüber, dass die Definition des militärischen Zieles für die Auslegung des Begriffes der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten herzuziehen ist besteht weitgehende Einigkeit: s. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 717. 130
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Denn die Definition setzt voraus, dass Objekte, um als militärische Ziele zu gelten, alternativ entweder aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts oder ihrer Zweckbestimmung wirksam zu militärischen Handlungen und mithin zumindest mittelbar zur Schädigung einer Konfliktpartei beitragen müssen. Überdies liegt dem Begriff der Feindseligkeiten ein antagonistisches Verhältniszwischen den Konfliktparteien zugrunde135, so dass eine Handlung, um als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten qualifiziert werden zu können, zugleich die eine Konfliktpartei stärken und die andere schwächen muss. Dieses antagonistische Verständnis des Feindseligkeitenbegriffes – und damit das Erfordernis, dass mit der Schädigung der einen Konfliktpartei zugleich eine vorteilhafte Auswirkung auf die andere Konfliktpartei einher zugehen hat – spiegelt sich in der Definition des objektbezogenen militärischen Zieles wider. Denn nach Maßgabe von Art. 51 (2) 2 ZPI ist ein Objekt nur dann als militärisches Ziel zu qualifizieren, wenn dessen Zerstörung in einem eindeutigen militärischen Vorteil resultiert. Zutreffend resümiert Melzer daher: „In order to be ,part of‘ or, from the perspective of the individual, ,participation in‘ hostilities, armed violence would have to be carried out both in support of one belligerent party and to the detriment of another.“ 136 Mithin fällt die von Schmitt in den Blick genommene Situation, in der Zivilpersonen gegen beide Konfliktparteien schädigend vorgehen ohne die jeweils andere im konkreten Fall zu unterstützen gerade nicht in den Bereich der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Konfliktparteien in derartigen Situationen nicht gegen den Schädiger vorgehen können. Denn es bleibt ihnen unbenommen gegen Zivilpersonen, welche durch ihre Handlungen nur eine Konfliktpartei schädigen ohne damit zugleich eine andere zu stärken, am Maßstab des individuellen Selbstverteidigungs- oder Nothilferechts und den Reglungen des law enforcements mit Gewalt vorzugehen. d) Zwischenergebnis Aus den vorangegangenen Ausführungen folgt, dass die Handlung einer Zivilperson, um als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten qualifiziert werden zu können, erstens voraussichtlich zu einer Schädigung der militärischen Fähigkeiten und Operationen oder zu einem sonstigen Schaden einer Konfliktpartei führen muss, zweitens, dass die fragliche Handlung oder die militärische koordinierte Operation, deren integraler Bestandteil die Handlung ist, die Schädigung in nur einem kausalen Schritt herbeiführen muss und drittens, dass die schädi135 Vgl. bereits die übliche Wortbedeutung des Begriffes Hostilities nach dem Oxford Dictionary: „hostile behavior; unfriendliness or opposition“: http://oxforddictiona ries.com/definition/american_english/hostility?region=us&q=Hostilities#hostility__2. 136 So im Ergebnis auch Melzer (2010), S. 873.
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gende Handlung gleichzeitig einer Konfliktpartei schaden und einer anderen Konfliktpartei nutzen muss. 2. Zeitliche Modalitäten der Schutzsuspendierung
Ausweislich des insoweit klaren und das Völkergewohnheitsrecht137 widerspiegelnden Normenwortlauts gilt die zeitliche Suspendierung der Immunität von Zivilpersonen vor direkten Angriffen „for such time as they take a direct part in hostilities“. Wenngleich im Wesentlichen Einigkeit darüber besteht, dass sowohl vorbereitende Maßnahmen als auch der sich unmittelbar anschließende Rückzug von dem Begriff der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten mitumfasst sind138, besteht Uneinigkeit insbesondere darüber, was aus der Formulierung in Bezug auf den Zeitraum zwischen wiederholten Teilnahmehandlungen folgt. Im Kern dieser Auseinandersetzungen liegt die Frage, ob Zivilpersonen, die wiederholt direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, von einer sogenannten revolving door of protection – demzufolge die Immunität vor direkten Angriffen stets synchron mit dem Beginn und dem Ende der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten suspendiert wird, beziehungsweise wieder auflebt – profitieren, oder ob sich die Dauer der Schutzsuspendierung von Zivilpersonen und damit deren Qualifikation als legitimes militärisches Ziel auch auf den Zeitraum zwischen den einzelnen Akten erstreckt. Nach Ansicht des ICRC folgt aus der Formulierung „for such time“, dass die Suspendierung des Schutzes nur genau so lange andauert wie die spezifische als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten zu qualifizierende Handlung.139 Axiomatische Folge dieses Ansatzes ist das umstrittene revolving door of protection Phänomen, demzufolge Zivilpersonen ihren Schutz vor direkten Angriffen synchron mit der Teilnahmehandlung automatisch in Intervallen verlieren und wiedergewinnen.140 Wenngleich das ICRC einräumt, dass dieser Mechanismus es den Konfliktparteien im Einzelfall erschweren könnte, effektiv gegen direkte Teilnahmen an den Feindseligkeiten vorzugehen, sei die Wiedergewinnung der Immunität in den Intervallen zwischen den Teilnahmehandlungen, so lange diese lediglich spontan, unorganisiert oder sporadisch erfolgen, zwingend notwendig, um Zivilpersonen vor willkürlichen oder fehlerhaften Angriffen zu schützen und 137 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 19; HPCR Commentary, Rule 28, Para. 2, S. 118; Melzer (2010), S. 884 ff.; ZDv 15/2, Para. 517; andere Auffassung: Israel, A/ HRC/12/48, S. 132, Para. 290, Dinstein (2010), S. 148. 138 Kalshoven/Zegveld, S. 99; Dinstein (2008), S. 189, 190; Melzer (2010), S. 879; ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 65 ff.; im Ergebnis nur geringfügig abweichende Auffassung: Boothby (2010), S. 746 ff. 139 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 70. 140 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 70.
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mithin von den Konfliktparteien zu akzeptieren.141 Der Mechanismus findet laut ICRC seine Berechtigung überdies darin, dass die fraglichen Zivilpersonen in diesen Zeiträumen keine Bedrohung für eine Konfliktpartei darstellen.142 Insbesondere begründe der bloße Umstand, dass Zivilpersonen in der Vergangenheit wiederholt an den Feindseligkeiten teilgenommen haben, keine hinreichende Basis für eine entsprechende Zukunftsprognose.143 Mithin handele es sich bei der sogenannten revolving door of protection nicht um eine Fehlfunktion, sondern vielmehr um einen integralen Bestandteil des Rechts des bewaffneten Konflikts.144 Der Auffassung des ICRC hat sich ein Teil der Literatur angeschlossen.145 Die revolving door of protection stieß allerdings auch auf Kritik namhafter Experten, welche vor dem Hintergrund militärischer Notwendigkeit dafür plädieren, die zeitliche Dauer der Schutzsuspendierung zu verlängern. Die kritische Literaturansicht plädiert dafür, dass Zivilpersonen jederzeit zwischen verschiedenen Teilnahmeakten angegriffen werden können, wenn und soweit verlässliche Informationen zur Verfügung stehen, die darauf schließen lassen, dass die infrage stehende Person beabsichtigt erneut an den Feindseligkeiten teilzunehmen.146 Zur Begründung wird angeführt der wiederkehrende Immunitätsgewinn zwischen einzelnen Teilnahmeakten kreiere „a legal inequality between the opposing parties, thus eroding the international law assumption that the law applies equally to each party to the conflict“.147 Überdies sei die revolving door of protection deswegen abzulehnen, weil wiederholt an den Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen auch in den Intervallphasen nicht mit Zivilpersonen gleichzusetzen seien, welche sich gänzlich aus den Feindseligkeiten heraushalten.148 Laut Boothby ergibt sich die zeitliche Erstreckung des Immunitätsverlust auf den gesamten Zeitraum der wiederholten Teilnahmehandlungen und damit auch die dazwischen liegenden Intervallphasen aus der üblichen Wortbedeutung des Begriffes participate. Denn diese beziehe sich nicht nur auf die Dauer einzelner Akte, sondern auch auf eine Reihe von Akten innerhalb eines bestimmten Zeitraums.149 Das mit der Ablehnung des Immunitätsrückgewinns verbundene Risiko einer Fehleinschätzung müsse wegen der Erstbegehung zu Lasten der infrage ste141
ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 71. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 70. 143 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 71. 144 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 70. 145 Kretzmer, S. 193; Melzer (2010), S. 883 ff.; Borrmann, in: Kun-Buczko/Przybysza, S. 241 ff. 146 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 16, 17; Dinstein (2010), S. 148. 147 Boothby (2010), S. 757. 148 Boothby (2010), S. 765. 149 Boothby (2010), S. 765. 142
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henden Zivilpersonen und nicht der Kombattanten gehen, welche entweder bereits zuvor angegriffen wurden oder potentielles Opfer einer erneuten direkten Teilnahme sind.150 Nach dieser Ansicht bedarf die Wiederbelebung des Schutzes vor direkten Angriffen eines eindeutigen Rückzugs aus den Feindseligkeiten in Gestalt eines unmissverständlichen Ausstiegsaktes oder einer andauernden Nichtteilnahme.151 Dabei obliege es den fraglichen Zivilpersonen sicherzustellen, dass ihr Rückzug aus den Feindseligkeiten von den Konfliktparteien erkannt wird.152 Die dargelegte Kritik an der revolving door of protection entbehrt jedoch einer hinreichend substantiierten rechtlichen Basis und ist mithin abzulehnen. Zutreffend verweist das ICRC zur Begründung der temporären Immunitätswiedergewinnung von Zivilpersonen zwischen den Teilnahmeakten auf den Normenwortlaut „unless and for such time“. Denn daraus folgt, dass die Schutzsuspendierung nur solange andauert wie die direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten. Im Rahmen einer wiederholten Teilnahme an den Feindseligkeiten fehlt es jedoch in den Übergangsphasen zwischen den Einzelakten an einer den Schutzverlust begründenden Teilnahme. Mithin ist die temporäre Schutzwiedergewinnung zwischen den einzelnen Teilnahmeakten bereits unabdingbare Folge des Normenwortlauts. Selbst wenn, wie von Boothby angeführt, der Begriff der Teilnahme als Bezugsobjekt der in Rede stehenden Formulierung grundsätzlich nach allgemeinem Sprachgebrauch auch auf eine Serie von Einzelakten bezogen werden könnte, ändert dies nichts daran, dass zwischen den Teilnahmeakten ein Angriff unzulässig ist. Denn die Schwäche dieser Argumentation liegt darin, dass die Übergangsphase, die durch eine extensive Auslegung des Teilnahmebegriffes von der Schutzsuspendierung mitumfasst werden soll, zwangsnotwendig eine Periode beschreibt, in der es ungewiss ist, ob es einen nachfolgenden Teilnahmeakt und mithin die von Boothby in Bezug genommene Serie von Teilnahmeakten überhaupt geben wird. Diese Ungewissheit kann auch nicht durch Informationen, gleich welcher Herkunft, ausgeglichen werden. Denn diese Informationen basieren notwendigerweise auf einer Faktenlage, die sich im Zuge der finalen Entscheidungsfindung eines Menschen jederzeit ändern kann. Mithin kann von einer Serie von Einzelakten als Bezugspunkt des von Boothby postulierten extensiven Teilnahmeverständnisses gesichert nur aus einer ex-post Perspektive gesprochen werden. Überdies steht die in Rede stehende Ausdehnung der Schutzsuspendierung im Widerspruch zum Normentelos. Denn Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung liegt, wie bereits dargelegt, nicht darin, eine bereits abgeschlossene direkte Teilnahme zu sanktionieren, sondern die Konfliktparteien in die Lage zu versetzen, militärisch gegen alle diejenigen Personen vorzugehen, welche derart in den Konflikt eingreifen, dass sie für die Konfliktparteien eine Bedrohung darstellen. An 150 151 152
Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 16. Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 16; Boothby (2010), S. 760. Boothby (2010), S. 760.
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einer von einer Zivilperson ausgehenden Bedrohung für eine Konfliktpartei fehlt es jedoch in dem zwischen den einzelnen Teilnahmeakten liegenden Zeitraum. Insbesondere auch deshalb, weil, wie bereits dargelegt, nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, ob die fragliche Zivilperson sich tatsächlich dazu entschließen wird, erneut an den Feindseligkeiten teilzunehmen. Folglich ist dem ICRC auch insoweit zuzustimmen, dass die revolving door of protection unerlässlich ist, um fehlerhafte oder willkürliche folgenschwere Angriffsentscheidungen der Konfliktparteien zu verhindern. Zudem folgt aus dem Erfordernis, dass von der direkt teilnehmenden Zivilperson eine Gefährdung für eine Konfliktpartei ausgehen muss, dass den Konfliktparteien durch die Schutzsuspendierung lediglich ein reaktives nicht jedoch bereits ein präventives Mittel an die Hand gegeben werden soll. Die Annahme ein Angriff auf Zivilpersonen sei allein aufgrund eines auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen verdichteten Verdachtsgrades zulässig, stellt den Unterscheidungsgrundsatz als solches in Frage.153 Mithin muss Bezugsobjekt der zeitlichen Komponente der Regelung betreffend der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten der jeweils einzelne Teilnahmeakt der Gegenwart und nicht der Vergangenheit oder Zukunft sein. Fernerhin folgt die Geltung des revolving door Mechanismus aus einem ErstRecht-Schluss aus dem Wiederaufleben der Angriffsimmunität ziviler Objekte nach Abschluss der militärischen Nutzung. Gemäß Art. 52 (2) ZPI wird ein ziviles Objekt qua seiner militärischen Nutzung durch eine Konfliktpartei zu einem zulässigen militärischen Ziel. Sobald die militärische Nutzung endet, gewinnt das Objekt seinen zivilen Status und mithin seine Immunität vor Angriffen zurück.154 Daraus folgt, dass wenn ein ziviles Objekt mit Unterbrechungen wiederholt militärisch genutzt wird, dessen Angriffsimmunität ebenfalls synchron mit dem Beginn und Ende der militärischen Nutzung durch eine Konfliktpartei suspendiert wird und in den Zwischenphasen wieder auflebt. Weil ausweislich der Präambel des ZPI das Ziel der Schutz von Personen vor den Auswirkungen des Krieges ist und Objekte diesen Schutz nur mittelbar gewähren, muss die revolving door of protection erst recht für Zivilpersonen in den Phasen zwischen einzelnen Teilnahmeakten gelten. Das von der Gegenansicht angeführte Argument das Wiederaufleben der Angriffsimmunität in den Zeiträumen zwischen einen abgeschlossenen und einem sich (vermeintlich) anschließenden Teilnahmeakt hebele das Grundprinzip des Rechts des bewaffneten Konflikts betreffend die rechtliche Gleichstellung der Konfliktparteien aus, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn wenn überhaupt155 gilt dieser Grundsatz nur zwischen den Konfliktparteien, welche im in153
s. auch Cassese (2001), S. 421. HPCR Commentary, Rule 22 (d), Para. 4, S. 108. 155 Gegen eine absolute rechtliche Gleichstellung der Konfliktparteien sprechen die Vorschriften über die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff, aus denen im Ein154
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ternationalen bewaffneten Konflikt durch Staaten verkörpert werden, nicht jedoch im Verhältnis zwischen einer Konfliktpartei und Zivilpersonen, welche direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen. Wenn und soweit das Argument darauf abzielt, dass die Ungleichbehandlung einer Konfliktpartei daraus resultiert, dass sie sich im Rahmen der Feindseligkeiten Zivilpersonen bedient, geht das Argument gleichsam fehl. Denn dann gilt die Regelung betreffend die Behandlung direkter Teilnahmen von Zivilpersonen an den Feindseligkeiten für alle Konfliktparteien gleichermaßen. Die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Angriffsimmunität von Zivilpersonen und Kombattanten ist zwangsnotwendige Folge der unterschiedlichen konzeptionellen Anknüpfungspunkte für die Angriffslegalität beider Kategorien und ist daher gerechtfertigt. Während Kombattanten allein aufgrund ihres Status grundsätzlich und überall angegriffen werden dürfen, ist die Rechtmäßigkeit eines Angriffes auf Zivilpersonen allein handlungsbezogen. Mithin verwässert eine Ansicht, welche direkte Angriffe auf Zivilpersonen in dem Zeitraum zwischen zwei Teilnahmehandlungen für zulässig erachtet, diese zwingende Unterscheidung zwischen status- und handlungsbezogener Immunitätsaufhebung.156 Aus dieser systembedingten Unterscheidung resultiert zwingend, dass der Schutzverlust von Zivilpersonen nur infolge einzelner Teilnahmehandlungen begründet wird und nicht auf eine Serie von Handlungen und damit auf den dazwischen liegenden Zeitraum ausgedehnt werden kann. Wenngleich der mit den einzelnen Teilnahmehandlungen synchron verlaufende Verlust beziehungsweise die Wiedergewinnung der Immunität vor direkten Angriffen in der Tat das Vorgehen gegen solche Zivilpersonen erschwert, die wiederholt direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, gilt es zu beachten, dass die Konfliktparteien trotz fehlender Berechtigung zu direkten Angriffen in den dazwischen liegenden Zeiträumen nicht handlungsunfähig sind, sondern dass ihnen vielmehr ein Instrumentarium an die Hand gegeben ist, um gegen ehemalige und mithin nach der Logik der kritischen Literaturauffassung potentiell zukünftige direkte Teilnehmer vorzugehen. So dürfen die Zivilpersonen in Ermangelung des Kombattantenprivilegs wegen der direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten strafrechtlich verfolgt werden und zu diesem Zwecke auch zwischen den Teilnahmeakten festgenommen werden. 3. Rechtfolgen der Schutzsuspendierung
Der umstrittenste Aspekt der Problematik der direkten Teilnahme von Zivilpersonen an den Feindseligkeiten ist die aus der Schutzsuspendierung resultierende Rechtsfolge.157 zelfall für technologisch fortgeschrittene Konfliktparteien höhere Anforderungen zu entnehmen sind als für rückständigere Konfliktparteien. Vgl. dazu eingehend: Quéguiner (2006), S. 793 ff. 156 So auch ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 45.
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In Kapitel IX des Leitfadens vertritt das ICRC die Ansicht, dass der Anwendung von Gewalt gegen direkt an den Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen enge Grenzen zu setzen sind. Die Schutzaufhebung vor direkten Angriffen sei nicht mit der generellen Befugnis der Konfliktparteien zur Tötung gleichzusetzen.158 Vielmehr dürfe die Art und Intensität der Gewaltanwendung „not exceed what is actually necessary to accomplish a legitimate military purpose in the prevailing circumstances“.159 Wenngleich sich diese Beschränkung nicht direkt aus dem Vertragstext ergebe, folge sie insbesondere aus einer Auslegung der Vorschrift im Lichte des Grundsatzes militärischer Notwendigkeit und dem ihn komplementierenden Grundsatz humanitärer Erwägungen.160 Art und Umfang der im Lichte militärischer Notwendigkeit zulässigen Gewaltanwendung sei dabei eine Frage des Einzelfalls. Die entsprechende ex-ante vorzunehmende Einschätzung hängt laut ICRC maßgeblich von den vorliegenden operationellen und kontextualen Umständen ab.161 Zur Veranschaulichung führt der Leitfaden das Beispiel der direkt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilperson an, welche in einem Café sitzt und Zielinformationen per Telefon an angreifende Luftstreitkräfte weitergibt.162 In derartigen Situationen soll es unter Umständen erforderlich sein, auf nicht-letale Maßnahmen, wie etwa eine Gefangennahme, zurückzugreifen, da es grundlegenden Prinzipien der Menschlichkeit zuwiderlaufe, einen Gegner zu töten ohne ihm die Chance zu geben, sich zu ergeben, wenn und soweit keine Notwendigkeit zu einer Tötung besteht.163 Als weiteres Argument zur Substantiierung seiner These verweist das ICRC164 auf eine Passage des Targeted Killing Urteils des obersten israelischen Gerichts, in der es feststellte: „a civilian taking a direct part in hostilities cannot be attacked at such times as he is doing so, if a less harmful means can be employed.“ 165
Das IX. Kapitel des ICRC Leitfadens zog die größte Kritik einer Vielzahl von an dem Entstehungsprozess beteiligten Experten auf sich. Die Uneinigkeiten waren derart tiefgreifend, dass sie zur der Auflösung der Expertengruppe führte, in deren Folge der Leitfaden nicht, wie ursprünglich angedacht, als Konsenspapier, sondern als alleiniges Positionspapier des ICRC erschien.166 Nach Ansicht der 157 s. Diskussion der am Entstehungsprozess des ICRC Leitfaden teilnehmenden Experten: ICRC, 5th Informal Expert Meeting on DPH, S. 39 ff. 158 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 78. 159 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 77. 160 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 78. 161 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 80. 162 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 81. 163 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 81, 82. 164 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 81. 165 lHCJ, Public Committee against Torture, Para. 40. 166 Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 39; Parks (2010), S. 783 ff.
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kritischen Literaturstimmen entbehrt der Ansatz des ICRC jeglicher rechtlichen Grundlage.167 So wird kritisiert, dass ICRC hätte das Prinzip militärischer Notwendigkeit falsch angewendet. Denn das Prinzip begründe keinen eigenständigen Prüfungsmaßstab und könne demgemäß keine über das positive Vertragsrecht hinausgehende Hürde für die Anwendbarkeit von Gewalt gegen direkt an den Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen begründen.168 Ein eigenständiger Anwendungsbereich komme dem Grundsatz militärischer Notwendigkeit nur qua ausdrücklicher Verweisung in einer Norm, wie etwa in Art. 53 GA IV169, zu.170 Selbiges gelte auch für das Prinzip der Humanität.171 Das Recht zur Tötung von Personen die direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen sei vielmehr seit jeher im Recht des internationalen bewaffneten Konflikts anerkannt.172 Überdies tauge das vom ICRC angeführte Urteil des Israelischen High Court nicht als Argument zur Substantiierung seiner These. Denn die rechtliche Grundlage für die zitierte Passage läge nicht im Völkerrecht, sondern vielmehr im nationalen israelischen Recht.173 Laut Schmitt stellt der Ansatz des ICRC daher den unzulässigen Versuch dar „to squeeze a plainly human rights norm into a restraint on attacks against direct participants under the guise of IHL“. 174 Die kritische Literaturansicht verdient im Ergebnis Zustimmung. Zutreffend weist sie darauf hin, dass das vom ICRC aufgestellte Erfordernis der Verhältnismäßigkeit einer Anwendung von Gewalt gegen direkt an den Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen sowohl dem Vertrags- als auch dem Völkergewohnheitsrecht fremd ist. Der Ansatz des ICRC, die Zulässigkeit der Anwendung von Waffengewalt gegen Zivilpersonen mittels des Vehikels militärischer Notwendigkeit unter den Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit zu stellen, steht bereits im Widerspruch zum Normenwortlaut im Lichte des Normentelos und der Systematik des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Dem insoweit eindeutigen Wortlaut von Art. 51 (3) ZPI175 zufolge ist Rechtfolge der direkten Teilnahme an 167 s. Stellungnahme einiger am Entstehungsprozess des Leitfadens beteiligten Experten: ICRC, 5th Informal Expert Meeting on DPH, S. 39, 40; Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 41; Parks (2010), S. 829. 168 Parks (2010), S. 804; Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 41. 169 s. Wortlaut Art. 53 GA IV: „any destruction by the Occupying Power of real or personal property belonging to private persons, or to the State, or to other public authorities, or to social or cooperative organizations, is prohibited, except where such destruction is rendered absolutely necessary by military operations“. 170 Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 41. 171 Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 42. 172 Parks (2010), S. 830. 173 s. Auffassung eines am Entstehungsprozess des Leitfadens beteiligten Experten, ICRC, 5th Informal Expert Meeting on DPH, S. 40. 174 Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 43. 175 s. Wortlaut: „Civilians shall enjoy the protection afforded by this Section, unless and for such time as they take a direct part in hostilities.“
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den Feindseligkeiten die Suspendierung des „durch diesen Abschnitt gewährten Schutz(es)“. Zu diesem Schutz gehört das Verbot direkter Angriffe aus Art. 51 (2) 1 ZPI. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass infolge einer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten der Schutz vor direkten Angriffen für die Dauer dieser Teilnahme suspendiert wird und sie mithin vorbehaltlich des Verbotes der Verursachung exzessiver Kollateralschäden aus Art. 51 (5) (b) ZPI angegriffen und auch getötet werden können. Die Ansicht des ICRC führt im Ergebnis zu der These, dass direkt an den Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen für die Dauer ihrer Teilnahmehandlungen nicht in derselben Art und Weise wie Kombattanten zu behandeln sind, sondern dass sie vielmehr einem gewissen Restschutz unterliegen. Für eine derartige Annahme bietet der gesamte Abschnitt, in dem die Regelung bezüglich der rechtlichen Behandlung direkt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen verortet ist, jedoch keinen Ansatzpunkt. Daran vermag auch die grundsätzlich gebotene restriktive Auslegung des Art. 51 (3) ZPI nichts zu ändern. Vielmehr folgt aus der Ratio der Teilnahmereglung, die darin liegt, es den Konfliktparteien zu ermöglichen gegen jeden mit Gewalt vorzugehen, der sich schädigend gegen sie erhebt, dass Zivilpersonen für die Dauer ihrer Teilnahme in gleicher Weise angegriffen werden können wie Kombattanten. Die der unterschiedlichen Konzeption von Zivilpersonen und Kombattanten geschuldeten Ungleichbehandlung, die, wie dargelegt, dazu führt, dass Zivilpersonen anders als Kombattanten in den Zeiträumen zwischen zwei Teilnahmehandlungen nicht angegriffen werden dürfen, endet ab dem Moment, in dem die Zivilperson infolge einer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten zum legitimen militärischen Ziel wird. Die rechtliche Gleichstellung von Kombattanten und Zivilpersonen die infolge einer direkten Teilnahme den Feindseligkeiten gleichsam als legitimes militärisches Ziel zu qualifizieren sind folgt überdies aus Art. 41 (1) ZPI. Denn dem insoweit eindeutigen Wortlaut zufolge sind allgemein „Person(s)“ und mithin nicht nur Kombattanten, sondern auch Zivilpersonen, die direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, dann nicht anzugreifen, wenn sie als außer Gefecht befindlich erkannt werden oder als solches erkannt werden sollten. Diese Vorschrift ist Ausdruck eines Fundamentalprinzips des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts, demzufolge diejenigen „who do not participate in hostilities shall not be attacked“.176 Im Umkehrschluss sind alle diejenigen, die direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, zulässige Ziele direkter Angriffe. Wenngleich das ICRC zugesteht, dass die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf nicht-letale Maßnahmen stets eine Frage des Einzelfalls nach Maßgabe der zur Zeit der Handlungsentscheidung herrschenden Umstände ist, ist der Ansatz des ICRC auch deswegen abzulehnen, weil die Tötung von direkt an den Feindselig-
176
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 482.
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keiten teilnehmenden Zivilpersonen, anders als vom ICRC vertreten, stets militärisch notwendig ist. Denn eine Festnahme oder eine nicht-letale Außergefechtsetzung von direkt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen setzt Kombattanten oder die Konfliktpartei als solches unter jeder denkbaren Betrachtungsweise im Kontext eines internationalen bewaffneten Konflikts einem höheren Risiko aus als ein direkter Angriff. Dies verdeutlicht gerade das vom ICRC zur Veranschaulichung seiner These angeführte Beispiel einer Zivilperson, die in einem Café sitzend Zielinformationen per Telefon an angreifende Luftstreitkräfte weitergibt. Erstens, weil es niemals auszuschließen ist, dass die fragliche Zivilperson bewaffnet ist und sich somit einer Festnahme gewaltsam erwehren wird und zweitens, weil nicht-letale Schüsse weder dazu geeignet sind, die Zivilperson davon abzuhalten, zurückzuschießen noch sie daran zu hindern vermag, weitere Daten bis zur endgültigen Außergefechtsetzung weiterzugeben.177 Denn anerkannten Studien von Gerichtsmedizinern und Chirurgen zufolge ist die einzige verlässliche und eine sofortige Wirkung entfaltende Möglichkeit einen Menschen handlungsunfähig zu machen „a shot that disrupts the brain or upper spinal cord“ 178. Selbst ein direkter Herzschuss lässt dem Getroffenen wegen der Sauerstoffreserve im Hirn noch 10–15 Sekunden Zeit zu willensgesteuertem Handeln.179 Anders als bei der Frage der Zulässigkeit von Maßnahmen gegen Zivilpersonen in den Phasen zwischen zwei Teilnahmeakten ist dieses Risiko gerade wegen der in diesem Moment stattfindenden Teilnahme und der daraus resultierenden Gefährdung der Konfliktpartei nicht gerechtfertigt. Zu Recht charakterisiert Schmitt überdies den Ansatz des ICRC als unzulässige Vermischung der Rechtsregime des internationalen bewaffneten Konflikts und der Menschenrechte. Denn das vom ICRC postulierte Verhältnismäßigkeitserfordernis entstammt dem Menschenrechtsregime unter dem eine Tötung nur dann rechtmäßig ist, wenn sie notwendig ist, um Leben zu schützen und keine anderen nicht-letalen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Gefahr für das Leben anderer abzuwenden.180 Diesen Maßstab auf das Recht des internationalen bewaffneten Konflikt zu übertragen, stellt in der Tat eine unzulässige Vermischung beider Rechtsgebiete dar und steht überdies im Widerspruch zu dem Charakter des Rechts des bewaffneten Konflikts als Notordnung, welches jedenfalls in Bezug auf das Recht auf Leben das speziellere Recht181 ist. Das Verhältnis beider Rechtsregime, jedenfalls in Bezug auf das Recht auf Leben, würde unter-
177 178 179 180 181
So im Ergebnis auch: Parks (2010), S. 810 ff. FBI, Handgun Wounding Factors and Effectiveness, S. 8. FBI, Handgun Wounding Factors and Effectiveness, S. 8. Alston, Para. 32. s. Kapitel 3 § 9.
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laufen, wenn man denselben Rechtmäßigkeitsmaßstab an die Tötung von direkt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen anlegen würde. Fernerhin stellt der Ansatz des ICRC die traditionelle, sowohl vertraglich als auch gewohnheitsrechtlich verankerte, fein ausbalancierte drei-stufige Angriffsrechtmäßigkeitsdogmatik des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts in Frage, der zufolge ein Angriff stets dann zulässig ist, wenn er gegen ein zulässiges militärisches Ziel gerichtet ist, keine exzessiven Kollateralschäden zu erwarten sind und die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden.182 Überdies steht die These des ICRC im Widerspruch zur Wertung des bereits angeführten Art. 41 (1) ZPI, demzufolge „A Person who is recognized or who, in the circumstances should be recognized to be horse de combat shall not be made the object of attack“. Denn dieser Vorschrift liegt die Wertung zugrunde, dass ein Angriff auf andernfalls zulässige militärische Ziele personeller Art nur dann nach Maßgabe der Grundsätze militärischer Notwendigkeit und Humanität verboten ist, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, an den Feindseligkeiten teilzunehmen und somit von ihnen keine Gefahr für die Konfliktparteien ausgehen können. Die vom ICRC vorgenommene Ausweitung des Schutzes vor direkten Angriffen auf Situationen, in denen die fragliche Person direkt an den Feindseligkeiten teilnimmt und mithin für die Dauer dieser Teilnahme eine Gefahr für die Konfliktparteien verkörpert, ist folglich mit der Wertung des Art. 41 (1) ZPI unvereinbar. Vielmehr hat das positiv formulierte Recht des bewaffneten Konflikts bereits erschöpfend die Situationen geregelt, in denen ein Angriff auf grundsätzlich als militärische Ziele einzustufende Personen nicht zu erfolgen hat, so dass für die Ausweitung des ICRC kein Raum mehr bleibt.183 Ob und inwieweit das vom ICRC angeführte Urteil des Israelischen High Court die These des Verhältnismäßigkeitsvorbehaltes unterstützt, ist angesichts des – im Hinblick auf die umstrittene Frage, ob das Gericht nationales oder internationales Recht anwendete – nicht konklusiven Wortlauts der zitierten Passage184 zumindest fraglich, im Ergebnis jedoch auch ohne Bedeutung. Denn selbst wenn das Gericht seine Feststellung tatsächlich nicht auf nationales, sondern auf das Recht des bewaffneten Konflikts stützte, ist sein Urteil jedenfalls als isolierte Einzelmeinung zu qualifizieren und daher ohne Bedeutung. Denn weder in der nationalen noch in der internationalen Jurisprudenz finden sich weitere Urteile, 182
So auch Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 737. So auch Schmitt, The Interpretive Guidance, S. 42. 184 s. vollständige Urteilspassage: „Second, a civilian taking a direct part in hostilities cannot be attacked at such time as he is doing so, if a less harmful means can be employed. In our domestic law, that rule is called for by the principle of proportionality. Indeed, among the military means, one must choose the means whose harm to the human rights of the harmed person is smallest. Thus, if a terrorist taking a direct part in hostilities can be arrested, interrogated, and tried, those are the means which should be employed.“, lHCJ, Public Committee against Torture, Para. 40. 183
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welche den Einsatz von Waffengewalt am Maßstab des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts unter den Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit stellen. Folglich ist zu konstatieren, dass die in Kapitel IX. des Leitfadens formulierte These des ICRC, der Einsatz von Waffengewalt sei unter den Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit zu stellen, als contra legem abzulehnen ist. Vielmehr unterliegen Angriffe auf Zivilpersonen für die Dauer der Teilnahme an den Feindseligkeiten lediglich denselben Beschränkungen wie Angriffe auf Kombattanten. 4. Zweifelsfallregelung
Ebenfalls umstritten ist die Frage, ob und mit welchem Inhalt dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts eine Zweifelsfallregelung hinsichtlich der Qualifikation einer Handlung als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten zu entnehmen ist. Nach Ansicht des ICRC ist eine Handlung im Zweifelsfall nicht als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten zu qualifizieren. Wenngleich diese Regelung nicht dem Vertragstext selbst zu entnehmen ist, stelle sie lediglich eine konsequente und aus Gründen des gebotenen Schutzes von Zivilpersonen vor fehlerhaften Angriffsentscheidungen zugleich auch notwendige Fortführung der Zweifelsfallregelung aus Art. 50 (1) 2 ZPI dar, der zufolge eine Person im Zweifelsfall als Zivilperson gilt.185 Diese vom ICRC aufgestellte vertraglich nicht fixierte Zweifelsfallregel zu Gunsten der Ablehnung einer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten geriet in das Visier der Kritik einiger Literaturstimmen. 186 So wird dem ICRC vorgeworfen, es versäumt zu haben, für die postulierte Zweifelsfallregel eine hinreichende rechtliche Basis darzulegen.187 Ferner müsse vor dem Hintergrund einer effektiven praktischen Unterscheidbarkeit stattdessen die Zweifelsfallregel umgekehrt werden, mit der Folge, dass in Grauzonen die Entscheidung zu Gunsten der Annahme einer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten ausfallen müsse.188 Die Stoßrichtung des ICRC führe dazu, dass Angehörige der Staatsstreitkräfte sich in der ständigen Gefahr wiederfänden, das Recht des bewaffneten Konflikts zu verletzen, weil sie im Falle einer komplizierten Verwicklung der Zivilperson in den Konflikt irrig von einer direkten Teilnahme ausgehen könnten.189 Die daraus möglicherweise resultierende zögerliche Herangehensweise der betroffenen Kombattanten könne häufig dazu führen, dass die Zweifelsfallregel das Leben 185
ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 75. Boothby (2010), S. 766; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 737. 187 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 737. 188 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 737. 189 Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 737. 186
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dieser Kombattanten gefährde.190 Darüber hinaus wäre es auch interessengerecht, Zivilpersonen das Risiko aufzubürden, aus einer ex-post Perspektive ungerechtfertigt angegriffen worden zu sein, weil es gerade ihr willentliches Verhalten war, dass dazu führte, dass die infrage stehende Beteiligung direkt genug war, um Zweifel zu erregen.191 Zudem diene das ZPI, in dem die Vorschrift betreffend die direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten verortet ist, ausweislich seiner Präambel, dem Ziel des Schutzes der Opfer bewaffneter Konflikte. Weil direkt an den Feindseligkeiten teilnehmende Zivilpersonen nicht mit den von der Präambel in Bezug genommenen Opfern bewaffneter Konflikte gleichzusetzen seien, verbiete sich eine Zweifelsfallregelung in der durch das ICRC vorgenommenen Ausformung.192 Zunächst ist festzuhalten, dass der bloße Umstand, dass der Vertragstext keine ausdrückliche Zweifelsfallregelung enthält, für sich genommen nicht dazu führt, dass eine solche nicht im Wege der Auslegung hergeleitet werden kann. Die Notwendigkeit überhaupt einer Zweifelsfallregelung ist evident. Wenn und soweit ernstliche Zweifel über die Qualifikation einer Handlung als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten bestehen, muss der zur Entscheidung berufene Kombattant wissen, ob er zum Angriff berechtigt ist oder nicht. Eine non-liquid-Situation ist in Bezug auf die Frage, ob ein Angriff zulässig ist nicht tragbar. Die rechtliche Basis einer Zweifelsfallregelung findet sich in dem Unterscheidungsgrundsatz. Denn dessen Operabilität setzt, wie dargelegt, eine klare Unterscheidbarkeit zulässiger und unzulässiger Ziele voraus. Die erforderliche klare Unterscheidbarkeit setzt jedoch gerade auch eine Zweifelsfallregelung voraus. Überdies wäre die Ableitung einer Zweifelsfallregelung im hier diskutierten Kontext trotz fehlender ausdrücklicher vertraglicher Fixierung im Wege der Auslegung keinesfalls ein Novum. So plädiert ein Teil der Literatur auch im Rahmen der gebotenen Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff, trotz fehlender ausdrücklicher Normierung, für die Geltung einer Zweifelsfallregelung, der zufolge Waffen, deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit ernsthaft umstritten und mithin nicht hinreichend geklärt sind, im Zweifel nicht in Situationen einzusetzen sind, in denen gegnerische Kombattanten und oder Zivilpersonen den Wirkungsweisen ausgesetzt würden, soweit alternative Waffen mit vergleichbaren militärischen Eigenschaften in der konkreten Situation für den Angreifer verfügbar sind.193 Mithin gilt es lediglich zu klären, welcher Inhalt der notwendigen Zweifelsfallreglung im Wege der Auslegung zuzusprechen ist. Gegen die von der kritischen Literaturmeinung vorgenommene negative Ausgestaltung der Zweifelsfallregelung bestehen erhebliche systematische Bedenken. 190 191 192 193
Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 737. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 737. Boothby (2010), S. 767. Borrmann (2010), S. 276.
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Denn wann immer eine Zweifelsfallregel ihren Niederschlag in das einschlägige Vertragsrecht gefunden hat, fällt sie zu Gunsten des Schutzes der fraglichen Person oder des Objektes aus. So gilt eine Person gem. Art. 50 (1) 2 ZPI194 im Zweifel als Zivilperson und genießt mithin grundsätzlich Immunität vor direkten Angriffen. Auch festgenommenen Personen, die an den Feindseligkeiten teilgenommen haben, ist gem. Art. 45 (1) 2 ZPI195 und Art. 5 GA III196 solange der Kriegsgefangenen- und mithin der Kombattantenstatus zu gewähren, bis ein zuständiges Gericht über ihren tatsächlichen Status entschieden hat. Art. 52 (3) ZPI197 stellt klar, dass im Zweifelsfall in der Regel zivil genutzte Objekte nicht dazu verwendet werden, um wirksam zu militärischen Handlungen beizutragen, so dass sie als vor direkten Angriffen geschützte zivile Objekte zu qualifizieren sind. Die genannten Zweifelsfallregelungen sind ausweislich ihrer Artikelüberschriften jeweils dem Schutz der fraglichen Person oder des fraglichen Objekts zu dienen bestimmt.198 Mithin liegt dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts die Wertung zugrunde, dass in Zweifelsfällen die Schutzwürdigkeit der betroffenen Personen beziehungsweise Objekte die zweifelsohne ebenfalls dem Grunde nach bestehende Schutzwürdigkeit der Konfliktparteien beziehungsweise der Kombattanten vorgeht. Folglich ist die von Schmitt postulierte Zweifelsfallregelung zugunsten einer Teilnahme an den Feindseligkeiten als systemwidrig abzulehnen. Die von Schmitt zur Substantiierung seiner Ansicht angeführten Gefahren, die aus einer Zweifelsfallregelung zugunsten der Annahme einer Nichtteilnahme an den Feindseligkeiten resultieren, bestehen auch in den Anwendungsbereichen der übrigen Zweifelsfallregelungen und überdies infolge des sogenannten Nebels des Krieges199 auch grundsätzlich im Kontext bewaffneter Konflikte und vermögen daher 194
s. Normenwortlaut Art. 50 (1) S. 2 ZPI: „In case of doubt whether a person is a civilian, that person shall be considered to be a civilian.“ 195 s. Normenwortlaut Art. 45 (1) 2 ZPI: „Should any doubt arise as to whether any such person is entitled to the status of prisoner of war, he shall continue to have such status and, therefore, to be protected by the Third Convention and this Protocol until such time as his status has been determined by a competent tribunal.“ 196 s. Normenwortlaut Art. 5 S. 2 des III. Genfer Abkommens: „Should any doubt arise as to whether persons, having committed a belligerent act and having fallen into the hands of the enemy, belong to any of the categories enumerated in Article 4, such persons shall enjoy the protection of the present Convention until such time as their status has been determined by a competent tribunal.“ 197 s. Normenwortlaut Art. 52 (3) ZPI: „In case of doubt whether an object which is normally dedicated to civilian purposes, such as a place of worship, a house or other dwelling or a school, is being used to make an effective contribution to military action, it shall be presumed not to be so used.“ 198 s. Artikelüberschriften der Vorschriften in denen die in Rede stehenden Zweifelsfallregelungen verortet sind: Art. 45 ZPI: „Protection of persons who have taken part in hostilities“; Art. 51 ZPI: „Protection of the civilian population“; Art. 52 ZPI: „General Protection of civilian objects“. 199 s. zu der Problematik: Dinstein (2008), S. 187.
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eine Umkehrung der Zweifelsfallregelung nicht zu rechtfertigen. Zudem bleibt eine Verletzung des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts infolge einer irrigen Fehleinschätzung für die betroffenen Kombattanten zumindest rechtlich auch folgenlos, da diese Handlungen in Ermangelung des erforderlichen voluntativen Elements dann nicht als strafbare Kriegsverbrechen zu qualifizieren sind.200 Die Gebotenheit der vom ICRC formulierten Zweifelsfallregelung folgt fernerhin aus einem Erst-Recht-Schluss aus den inhaltsgleichen Zweifelsfallregelungen aus Art. 45 (1) 2 ZPI und Art. 5 GA III. Denn jene Zweifelsfallregelungen betreffen gleichsam den Komplex der Teilnahme an den Feindseligkeiten.201 Sie kommt stets dann zur Anwendung, wenn Zweifel darüber bestehen, ob eine Person die direkt an den Feindseligkeiten teilgenommen hat und in die Hände der gegnerischen Konfliktpartei gefallen ist, hinsichtlich ihrer darauf folgenden Behandlung als Kombattant oder als Zivilperson zu qualifizieren ist.202 Die Zweifelsfallregelung führt im Ergebnis zugunsten des Schutzes der betroffenen Person zu einer Umkehrung der grundsätzlich geltenden Zweifelsfallregelung aus Art. 50 (1) 2 ZPI, der zufolge eine Person im Zweifel als Zivilperson gilt. Denn würde die Zweifelsfallregelung zu Gunsten eines Status als Zivilperson auch im Falle der Gefangennahme fortgelten, stünde der fraglichen Person nicht der aus dem Kombattantenprivileg resultierende Kriegsgefangenenstatus und die damit verbundene privilegierte Behandlung, sondern nur der Mindestschutzstandard aus Art. 75 ZPI zu. Da im Zweifelsfall einer Person, die an den Feindseligkeiten teilgenommen hat, im Falle einer Gefangennahme zum Zwecke der Gewährleistung eines höheren Schutzstandards in Umkehrung der grundsätzlichen Zweifelsfallregelung betreffend des Status einer Person als Zivilperson zunächst bis zur gerichtlichen Klärung der Statusfrage der Kriegsgefangenenstatus zu gewähren ist, ist im Wege eines Erst-Recht-Schlusses zum Schutze von Zivilpersonen vor direkten Angriffen im Zweifelsfall auch anzunehmen, dass die fragliche Handlung nicht als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten zu qualifizieren ist. Denn vor dem Hintergrund, dass die positiv-rechtlich ausformulierten Zweifelsfallregelungen, wie dargelegt, stets dem Schutz der betreffenden Personen zu dienen bestimmt sind, ist der Schutz vor direkten Angriffen im Vergleich zu einer aus Art. 45 (1) ZPI resultierenden privilegierten Behandlung im Falle einer Gefangennahme erst recht geboten.
200 s. Art. 30 (1) des ICC Statuts: „Unless otherwise provided, a person shall be criminally responsible only and liable for punishment for a crime within the jurisdiction of the Court only if the material elements are committed with intent and knowledge.“ 201 s. bereits die Artikelüberschrift von Art. 45 ZPI: „Protection of persons who have taken part in hostilities.“ 202 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 544.
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Das von Schmitt angeführte Argument, es sei interessengerecht Zivilpersonen das Risiko aufzubürden, aus einer ex-post Perspektive ungerechtfertigt angegriffen zu werden, weil es gerade ihr willentliches Verhalten war, das dazu führte, dass die infrage stehende Beteiligung direkt genug war, um Zweifel zu erregen, überzeugt im Lichte der Systematik der im Recht des internationalen bewaffneten Konflikts verankerten Zweifelsfallregelungen ebenfalls nicht. Denn die Beweislast für die Feststellung des nicht geschützten oder weniger privilegierten Status trägt stets die Konfliktpartei und gerade nicht das betroffene Individuum.203 Die von Schmitt formulierte These steht auch im Widerspruch zur Wertung der Zweifelfallregelung zu Gunsten eines Status als Zivilperson aus Art. 50 (1) 2 ZPI. Wenngleich das willentliche Verhalten der fraglichen Person ebenfalls dazu beigetragen haben mag, dass der Zweifel über ihren Status überhaupt zur Entstehung gelangte, führt dies nicht dazu, dass die Person im Zweifel als Kombattant und mithin als zulässiges militärisches Ziel zu qualifizieren ist. Daher ist es systemwidrig und mithin gerade nicht interessengerecht, das Risiko einer Fehleinschätzung der Handlung als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten der betroffenen Zivilperson aufzubürden. Auch das von Boothby angeführte Argument, die Zweifelsfallregelung des ICRC verbiete sich vor dem Hintergrund, dass es mit dem Sinn und Zweck des ZPI unvereinbar sei, Zivilpersonen die direkt an den Feindseligkeiten teilgenommen haben zu schützen, weil diese nicht mit den schützenswerten Opfern bewaffneter Konflikte gleichzusetzen seien, überzeugt nicht. Denn Sinn und Zweck der Immunitätssuspendierung liegt, wie dargelegt, gerade nicht darin, vergangene Teilnahmen zu sanktionieren. Insbesondere das Wiederaufleben des Schutzes vor direkten Angriffen in den Phasen zwischen zwei Teilnahmeakten verdeutlicht die Schutzwürdigkeit auch von wiederholt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen. Darüber hinaus verlangt die aufgezeigte notwendige restriktive Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 51 (3) ZPI, dass eine Zweifelsfallregelung nicht zu Ungunsten, sondern vielmehr zu Gunsten des durch den Unterscheidungsgrundsatz erstrebten Schutzes der Zivilbevölkerung zu konzipieren ist. Mithin formuliert das ICRC zutreffend die Zweifelsfallregelung in der Art, als dass eine Handlung im Zweifel nicht als direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten zu bewerten ist.
B. Objektbezogene Pflicht zur Unterscheidung Nach Maßgabe des Unterscheidungsgrundsatzes haben die Konfliktparteien objektbezogen zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen zu differenzieren und Angriffe auf letztere zu beschränken. Die Immunität ziviler Objekte 203
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 544.
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vor direkten Angriffen bestätigt Art. 52 (1) ZPI daher lediglich deklaratorisch. Erneut erfordert eine Operabilität des Unterscheidungsgrundsatzes eine randscharfe Abgrenzung beider Kategorien, da er auf der Prämisse der kategorialen Unterscheidbarkeit zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten beruht.204 I. Definition ziviler Objekte Wie schon der Begriff der Zivilperson unterliegt auch der Begriff des zivilen Objektes in Art. 50 (1) 2 ZPI einer völkergewohnheitsrechtlich205 anerkannten auch im Luftkriegsrecht206 geltenden Negativdefinition. Laut Art. 50 (1) 2 ZPI sind zivile Objekte, alle diejenigen Objekte, die nicht als militärische Ziele zu qualifizieren sind. Folglich ist die Definition ziviler Objekte untrennbar mit der Definition von Objekten als militärisches Ziel verknüpft. II. Objektbezogene Definition des militärischen Zieles Der Begriff des militärischen Zieles im Rahmen einer Angriffsregel fand erstmals in Art. 24 (1) der Haager Luftkriegsregeln von 1923 eine ausdrückliche Erwähnung. Der Vorschrift liegt folgender Wortlaut zugrunde: „Aerial bombardment is legitimate only when directed at a military objective, that is to say, an object of which the destruction or injury would constitute a distinct military advantage to the belligerent.“
Wenngleich die Haager Luftkriegsregeln niemals in Rechtkraft erwuchsen, beeinflusste die Definition des militärischen Zieles maßgeblich die heute in Art. 51 (2) 2 ZPI kodifizierte Definition, wie dessen Wortlaut offenbart: „In so far as objects are concerned, military objectives are limited to those objects which by their nature, location, purpose or use make an effective contribution to military action and whose total or partial destruction, capture or neutralization, in the circumstances ruling at the time, offers a definite military advantage.“
Mithin ist die Qualifikation eines Objektes als zulässiges militärisches Ziel an zwei kumulative Voraussetzungen geknüpft.207 Erstens muss das fragliche Objekt wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und zweitens muss dessen vollständige oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung nach dem zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung existierenden Kenntnisstand in einem eindeutigen militärischen Vorteil für die angreifende Konfliktpartei resultieren. Die in Art. 51 (2) 2 ZPI niedergelegte Definition gilt auch völker-
204 205 206 207
Oeter, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 89. Byron, S. 180. HPCR Commentary, S. 32. Bring, S. 41.
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gewohnheitsrechtlich sowohl im Landkriegs- als auch im Luftkriegsrecht und bindet mithin auch Nichtvertragsparteien.208 1. Wirksamer Beitrag des Objektes zu militärischen Handlungen des Gegners
Ausgehend vom Normenwortlaut „or“ ist der wirksame Beitrag des fraglichen Objekts zu militärischen Handlungen alternativ anhand der Kriterien der Beschaffenheit, des Standorts, der Zweckbestimmung und der Verwendung zu bestimmen. Der Begriff der militärischen Handlungen umfasst „the general prosecution of war“ und ist mithin weit auszulegen.209 Auch an die Wirksamkeit des Beitrags sind keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Das Merkmal ist bereits dann erfüllt, wenn das fragliche Objekt überhaupt in irgendeiner Weise zu den militärischen Handlungen des Gegners beiträgt.210 Eine qualifizierte Signifikanz oder Direktheit des Beitrages zu militärischen Handlungen ist mithin nicht erforderlich.211 In Ermangelung einer Legaldefinition der genannten Definitionselemente sollen im Folgenden die aus Literatur und Staatenpraxis hervorgegangenen Begriffsbestimmungen dargelegt werden. a) Kriterium der Beschaffenheit des Objekts Das Beschaffenheitstatbestandsmerkmal setzt voraus, dass das fragliche Objekt inhärente Charakteristika aufweist, aufgrund derer das Objekt wirksam zu militärischen Handlungen beiträgt.212 Weil diese Merkmale eine untrennbare Verbindung des Objekts mit einem Beitrag zu militärischen Handlungen begründen, stellen solche Objekte automatisch und unter allen Umständen unabhängig von ihrer aktueller Verwendung oder Verortung ein zulässiges militärisches Ziel dar.213 Darunter fallen nach allgemeiner Auffassung insbesondere Waffen, Ausrüstung, militärisches Gerät, wie etwa militärische Luftfahrzeuge und Panzer, sowie Befestigungsanlagen, Waffen- und Treibstoffdepots und Kommandozentralen oder Verteidigungsministerien.214
208 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 29; Sassòli (2003), S. 2; Robertson, S. 43; Dinstein (2008), S. 185; Haines, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 128; HPCR Manual, S. 5; andere Auffassung: Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 91. 209 Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 89. 210 HPCR Commentary, S. 49. 211 Bothe/Partsch/Solf, S. 324. 212 Dinstein (2002), S. 146. 213 Roberston, S. 49. 214 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 636; HPCR Commentary, S. 107.
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b) Kriterium des Standorts des Objekts Das Standortmerkmal bezieht sich auf bestimmte Bereiche, die einer Nutzung durch den Gegner deshalb vorenthalten werden müssen, weil ihnen eine besondere Bedeutung für die Vornahme militärischer Operationen zukommt.215 Aus dem Merkmal folgt, dass auch ein bestimmter Teil der Erdoberfläche als solches als militärisches Ziel zu qualifizieren sein kann.216 Ein anerkanntes Beispiel bilden etwa Bergpässe.217 Nicht jedoch Handelsschiffe in Militärhäfen.218 Wenngleich es sich bei Militärhäfen unzweifelhaft um legitime militärische Ziele handelt, werden zivile Handelsschiffe nicht allein aufgrund ihrer Verortung in einem Militärhafen selbst zum zulässigen militärischen Ziel. Vielmehr sind sie, wie zivile Flugzeuge auf einem gemischt genutzten Flughafen219, Gegenstand des Verbotes der Verursachung exzessiver Kollateralschäden. Folglich bleibt der Militärhafen zwar ein zulässiges militärisches Ziel. Gleichwohl verbleibt die Angriffslegalität unter den Vorbehalt des Exzessverbotes. Würden zivile Objekte innerhalb militärischer Ziele allein aufgrund ihres Standortes automatisch selbst zum legitimen militärischen Ziel, würde das Exzessverbot in Bezug auf Objekte vollständig seines Anwendungsbereiches beraubt und mithin der dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts zugrunde liegende dreistufige Test betreffend die Zulässigkeit eines Angriffes in Frage gestellt, der es erfordert, nur legitime militärische Ziele anzugreifen ohne dabei voraussichtlich exzessive Kollateralschäden zu verursachen und die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff zu treffen220. Überdies fehlt es bei dem hier diskutierten Beispiel ziviler Handelsschiffe bereits an dem erforderlichen aus ihrer Verortung in einem Militärhafen resultierenden Beitrag zu militärischen Handlungen. Mithin führt der Standort eines Objektes nur dann dazu, dass es selbst zum militärischen Ziel wird, wenn und soweit aus dieser Verortung ein wirksamer Beitrag zu militärischen Handlungen des Gegners resultiert. Anerkannte Beispiele für derartige Objekte bilden Brücken221 oder Gebäude, welche zwar nicht direkt zu militärischen Zwecken genutzt werden, die aber qua ihres Standortes deswegen wirksam zu militärischen Handlungen des Gegners beitragen, weil deren Zerstörung notwendig ist, um eine klare Schusslinie auf zulässige militärische Ziele zu erhalten.222
215
Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 88. Rogers (1996), S. 34; Interpretationserklärung Großbritanniens zum ZPI, Para. (j). 217 HPCR Commentary, Rule 22 (a), Para. 1, S. 107; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 636. 218 So aber Dinstein (2002), S. 150. 219 Solis, S. 525. 220 s. Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 737. 221 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 636. 222 Henderson, S. 57. 216
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c) Kriterium der Zweckbestimmung des Objekts Nach ganz herrschender Literaturauffassung223 – die mit der Staatenpraxis korrespondiert224 – beschreibt das Merkmal der Zweckbestimmung eines Objekts die in die Zukunft gerichtete Verwendungsabsicht einer Konfliktpartei. Obschon diese Definition im Lichte des im Präsens gehaltenen Normenwortlauts von Art. 52 (2) ZPI „make an effective contribution“ Kritik erfahren hat225, ist sie unumgänglich, um dem Merkmal der Zweckbestimmung einen eigenen Anwendungsbereich zusprechen zu können.226 Zudem verhindert das ebenfalls im Präsens gehaltene Erfordernis des aus dem Angriff resultierenden militärischen Vorteils („offers a definite military advantage“) eine ausufernde Auslegung des Begriffes des militärischen Zieles. Aus dem Bezugspunkt der zukünftigen Verwendung folgt, dass jedes Objekt, mit Ausnahme derjenigen Objekte, die einem gesonderten Schutz unterliegen227, zu einem zulässigen militärischen Ziel werden kann.228 Sandoz et al. zitieren in diesem Zusammenhang zutreffend die Beispiele eines Hotels und einer Schule, die zwar aufgrund ihrer Beschaffenheit als zivile Objekte einzuordnen wären, aber dadurch, dass sie zukünftig als Truppenunterkunft genutzt werden sollen, zu militärischen Zielen werden.229 Liegt eine durch die gegnerische Konfliktpartei intendierte militärische Nutzung vor, gilt das fragliche Objekt unabhängig von seiner derzeitigen Nutzung als militärisches Ziel.230 Weil die Absichten der gegnerischen Konfliktpartei häufig nur schwerlich und insbesondere nur bedingt verlässlich vorhergesehen werden können, normiert Art. 52 (3) ZPI eine Zweifelsfallregel, der zufolge im Zweifel anzunehmen ist, dass ein in der Regel für zivile Zwecke bestimmtes Objekt nicht dazu verwendet wird, um wirksam zu militärischen Handlungen beizutragen. Wenngleich der Wortlaut der Zweifelsfallregel „being used“ nahelegt, dass sie nur in Bezug auf Zweifel über die derzeitige Verwendung zur Anwendung gelangt, ist sie gleichwohl im Zuge eines Erst-Recht-Schlusses auch bei Zweifeln über die geplante und mithin naturgemäß weniger gesicherte zukünftige Verwendung anzuwenden.231 Die Anwendung der Zweifelsfallregelung ist fernerhin konsequente Folge der zu223 Rogers (1996), S. 35; Sandoz/Swinarski/Zimmernann, S. 636; Dinstein (2002), S. 148. 224 HPCR Commentary, S. 107; Solis, S. 520. 225 Bring, S. 41. 226 So auch Dinstein (2002), S. 148. 227 s. Art. 56 ZPI hinsichtlich des Schutzes von Anlagen und Einrichtungen die gefährliche Kräfte enthalten. 228 Sassòli (2003), S. 3. 229 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 636. 230 HPCR Commentary, S. 107. 231 s. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 636: „it is clear from paragraph 3 that in case of doubt (regarding the future use), such places must be presumed to serve civilian purposes“.
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kunftsorientierten Auslegung des Begriffes der Zweckbestimmung, die, wie dargelegt, trotz des im Präsens gehaltenen Normenwortlauts von Art. 52 (2) ZPI geboten ist. Überdies ist die prognostizierte Verwendungsabsicht auf eine hinreichend gesicherte Basis und nicht auf bloße Spekulation oder Worst-Case-Scenarios zu stützen.232 Daraus folgt, dass den Informationen hinsichtlich der geplanten zukünftigen Verwendung eines Objekts zu militärischen Zwecken durch die gegnerische Konfliktpartei ein hinreichender Grad an Verlässlichkeit in der Art zukommen muss, dass der zur Angriffsentscheidung Berufene vernünftiger Weise zu dem Schluss gelangen kann, dass die ihm zum Zeitpunkt der Angriffsentscheidung vorliegenden Informationen zutreffend sind.233 Folglich sind zum Beispiel Brücken nicht automatisch als militärisches Ziel zu qualifizieren, weil sie hypothetisch von einer Konfliktpartei genutzt werden könnten, sondern unter dem Merkmal der Zweckbestimmung nur dann, wenn und soweit Informationen mit dem erforderlichen Grad an Verlässlichkeit zur Verfügung stehen, auf welche die Prognose einer bevorstehenden militärischen Nutzung vernünftiger Weise gestützt werden kann.234 d) Kriterium der Verwendung des Objekts In Abgrenzung zur Zweckbestimmung eines Objektes erfasst das Tatbestandsmerkmal der Objektsverwendung nicht die zukünftig geplante sondern die derzeitige Verwendung.235 Durch das Verwendungsmerkmal wird, wie auch schon bei dem Merkmal der Zweckbestimmung, offenbar, dass grundsätzlich jedes Objekt zum zulässigen militärischen Ziel werden kann. Weil die Qualifikation als militärisches Ziel unter der in Rede stehenden Alternative konditional an die militärische Verwendung geknüpft ist, gewinnt das Objekt seinen zivilen Status und damit seine Angriffsimmunität wieder, sobald die militärische Verwendung endet.236 Überdies gilt die Zweifelsfallregelung aus Art. 52 (3) ZPI, der zufolge im Zweifel anzunehmen ist, dass ein in der Regel für zivile Zwecke bestimmtes Objekt nicht dazu verwendet wird, wirksam zu militärischen Handlungen beizutragen. Über den für die Anwendbarkeit der Regelung erforderlichen Grad des Zweifels bestehen keine gesicherten Erkenntnisse.237 Einigkeit besteht einzig darüber, dass aus der Definition des militärischen Ziels aus Art. 52 (2) ZPI folgt, dass der Zweifel des Angreifers auf den „circumstances ruling at the time“ basieren muss.238 Maßgeblich ist folglich insoweit nicht eine ex-post, sondern vielmehr eine ex-ante Betrachtung. 232 233 234 235 236 237 238
Dinstein (2002), S. 150. HPCR Commentary, S. 108. Sassòli (2003), S. 8. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 636. HPCR Commentary, S. 108. Dinstein (2002), S. 150. Dinstein (2002), S. 150.
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Nach Auffassung von Schmitt versagt die Zweifelsfallregelung jedoch dann, wenn die gegnerische Konfliktpartei im Verlaufe des Konfliktes normalerweise zivil genutzte Objekte systematisch militärisch nutzt.239 Laut Schmitt führen derartige andauernde Missbräuche dazu, dass das Normally-Dedicated-Kriterium der Zweifelsfallregelung von den betroffenen Objekten nicht mehr erfüllt ist.240 Diese Auslegung von Art. 52 (3) ZPI ist jedoch aus teleologischen Erwägungen abzulehnen. Sinn und Zweck der Zweifelsfallregelung liegt ausweislich der Artikelüberschrift – „general protection of civilian objects“ – nämlich darin, zivile Objekte vor direkten Angriffen zu schützten. Daraus folgt, dass der Bezugspunkt des Normally-Dedicated-Kriteriums gerade nicht durch missbräuchliche militärische Nutzungen berührt wird. Bezugspunkt des Kriteriums ist mithin die grundsätzliche zivile Nutzung. Die Zielsetzung der Norm würde durch eine Aufhebung der Zweifelsfallregelung, im Falle eines systematischen Missbrauchs in Ermangelung randscharfer Kriterien zur Bestimmung ab wann ein solcher Missbrauch vorliegt, jedoch erheblich gefährdet. Ein regelmäßiger systematischer Missbrauch ändert überdies nichts daran, dass eine Vielzahl von Objekten tatsächlich nicht missbraucht werden. Mithin würde der von der Zweifelsfallregelung intendierte Schutzzweck nach der Auslegung von Schmitt in einer Vielzahl von Fällen unterlaufen. Vereinzelt wird in der Literatur vertreten, dass die Behandlung sogenannter Dual-Use-Objekte, die dadurch charakterisiert sind, dass sie, wie etwa Elektrizitätsversorgungsanlagen, Transportsysteme, Radio- bzw. TV-Stationen oder Brücken241, zugleich militärischen als auch zivilen Zwecken dienen, erhebliche Schwierigkeiten bereite, weil sie die dem Unterscheidungsgrundsatz zugrunde liegende Prämisse der strikten Unterscheidbarkeit von zivilen und militärischen Objekten in Frage stelle und überdies den Angreifer vor das Problem stelle, darüber zu entscheiden, welche Verwendungsart überwiege und mithin für die Zwecke des Unterscheidungsgrundsatzes maßgeblich sei.242 Diese Problematisierung von gemischt genutzten Objekten erweist sich jedoch im Lichte des insoweit klaren Normenwortlauts als unnötig und unzutreffend. Wenn und soweit ein Objekt durch seine Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beiträgt und dessen Zerstörung, Neutralisierung oder Inbesitznahme unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt, ist es als militärisches Ziel zu qualifizieren. Der Umstand, dass ein Objekt auch zu zivilen Zwecken genutzt wird, ist mithin für die Qualifikation eines Objektes irrelevant, solange es gleichzeitig in einer Art und Weise genutzt wird, die wirksam zu militärischen Handlungen bei239 240 241 242
Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 304. Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 304. Bring, S. 42. Swiney, S. 750.
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trägt. Der Begriff des Dual-Use-Objekts ist mithin irreführend, weil es ein Scheinproblem impliziert, welches angesichts der Definition aus Art. 52 (2) ZPI nicht existiert. Zutreffend stellt Greenwood daher fest: „There is no intermediate category of dual use objects: either something is a military object or it is not.“ 243 Daher stellte auch die 1999 durch NATO Luftverbände angegriffene staatliche serbische RTS Radio- und TV-Station trotz seiner auch zivilen Nutzung aufgrund seiner Einbindung in das militärisch-strategische C3 (Command, Control and Communication) Netzwerk des Miloševic´ Regimes ein zulässiges militärisches Ziel dar.244 Insbesondere die Staatenpraxis im Verlaufe des Jugoslawienkonflikts bestätigt die Zulässigkeit von Angriffen auf gemischt genutzte Objekte.245 Der Umstand, dass ein Angriff auf gemischt genutzte Objekte auch Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung oder zivile Objekte zu entfalten vermag, führt gegebenenfalls allenfalls dazu, dass der Angriff im Lichte des Verbotes der Verursachung exzessiver Kollateralschäden insgesamt als unzulässig zu qualifizieren ist.246 Derartige Auswirkungen ändern jedoch nichts an der Qualifizierung von gemischt genutzten Objekten als legitime militärische Ziele. e) Unzulässigkeit des Kriteriums der war-sustaining capability des Objekts Das US Commander’s Handbook on the Law of Naval Operations ersetzt in Para. 8.1.1. das Definitionselement des Beitrages zu militärischen Handlungen durch das Erfordernis eines effektiven Beitrages zur „war-fighting or war-sustaining capability“ und qualifiziert infolgedessen Objekte die „indirectly but effectively support and sustain the enemy’s war-fighting capability“ als zulässige militärische Ziele. Während der Begriff der war-fighting capability mit dem in Art. 52 (2) ZPI verwendeten Begriff der militärischen Handlung inhaltlich identisch ist247, begründet das Merkmal der war-sustaining capability eine Ausdehnung der Definition des militärischen Zieles. Über die Zulässigkeit des Kriteriums der war-sustaining capability besteht Streit. Der überwiegende Teil der Literatur lehnt das in Rede stehende Kriterium als zu weitgehend ab.248 Laut Sassòli bedeute die Inkludierung der war-sustaining capability in die Definition des militärischen Zieles „to abandon the limitation to military objectives“.249 Nach Bartolini führt das Kriterium gar zu einer Auf243
Greenwood, in: Rowe, S. 73. ICTY Final Report NATO Bombing Campaign, Para. 75. 245 Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 103. 246 Sassòli, in: Wippman/Evangelista, S. 197. 247 Robertson, S. 50; Dinstein (2002), S. 145. 248 Heintschel von Heinegg (2002), S. 204; Sassòli (2003), S. 6; Dinstein (2002), S. 145; Bartolini, in: Ronzitti/Venturini, S. 236; Kalshoven/Zegveld, S. 101; DoswaldBeck (1995), S. 199; Solis, S. 522. 249 Sassòli (2003), S. 6. 244
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
gabe des Unterscheidungsgrundsatzes.250 Zur Begründung wird von der kritischen Literatur auf den Umstand verwiesen, dass andernfalls buchstäblich jedes Objekt, wie etwa die Objekte der zivilen Exportindustrie, als Mittel zur Finanzierung militärischer Operationen, als zulässiges militärisches Ziel qualifiziert werden könnte.251 Das Kriterium der Fähigkeit eines Objektes zur Verlängerung des bewaffneten Konflikts beizutragen, könne in Ermangelung einer hinreichend engen Verbindung auch nicht unter das Merkmal, eines wirksamen Beitrages zu militärischen Handlungen, subsumiert werden.252 Ein Teil der vornehmlich amerikanischen Literatur erachtet das in Rede stehende Kriterium jedoch als zulässig und mit Art. 52 (2) ZPI vereinbar.253 Laut Meyer orientiere sich die Auslegung der herrschenden Literaturansicht zu sehr an dem nach seiner Auffassung zu eng gefassten Wortlaut der Legaldefinition aus dem ZPI und ignoriere zudem die Realitäten bewaffneter Konflikte und stünde überdies in einem Widerspruch zur einschlägigen Staatenpraxis.254 Zur Begründung beruft sich Meyer auf den Sinn und Zweck bewaffneter Konflikte, der nicht darin liege, die militärischen Kräfte des Gegners zu besiegen, sondern vielmehr darin, den Gegner insgesamt zu unterwerfen, um ihm seinen politischen Willen aufzuzwingen.255 Das Ausschalten der militärischen Fähigkeiten des Gegners sei, wie der Konflikt selbst, mithin lediglich das Mittel zur Erreichung übergeordneter politischer Ziele.256 Die Erreichung dieser Ziele erfordere es jedoch, auch die Fähigkeit oder den Willen der gegnerischen Konfliktpartei zur Verlängerung des Krieges auszuschalten.257 Mithin seien auch Objekte, welche zur Aufrechterhaltung der Kriegsmoral des Gegners und mithin zur Fähigkeit zur Kriegsverlängerung beitragen zulässige militärische Ziele.258 Zur Substantiierung seiner These verweist Meyer auf ein Zitat von Clausewitz demzufolge „The political object is the goal, war is the means of reaching it, and means can never be considered in isolation from their purpose.“ 259 Laut Parks ermöglicht eine weite Auslegung des Begriffs des Beitrags zu militärischen Handlungen im Lichte des mit bewaffneten Konflikten verfolgten Ziels die Rechtmäßigkeit von Angriffen auf solche Objekte, welche dazu beitragen, den Kriegsverlauf zu verlängern.260 Denn das 250
Bartolini, in: Ronzitti/Venturini, S. 236. Dinstein (2002), S. 146. 252 Dinstein (2002), S. 146. 253 Dunlap, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 118; Burger, S. 132; Meyer, S. 164; Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 97. 254 Meyer, S. 164, 166. 255 Meyer, S. 166. 256 Meyer, S. 167, 171. 257 Meyer, S. 166, 178. 258 Meyer, S. 176. 259 Meyer, S. 166. 260 Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 97. 251
§ 2, B. Objektbezogene Pflicht zur Unterscheidung
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Ziel bewaffneter Konflikte liege nicht allein darin, die militärischen Kräfte des Gegners zu bekämpfen, sondern vielmehr darin, den Willen der gegnerischen Konfliktpartei zum Widerstand auszuschalten.261 Die Ansicht, welche für die Zulässigkeit des Kriteriums der war-sustaining capability von Objekten plädiert, überzeugt nicht. Wenngleich der Ansicht insoweit zuzustimmen ist, dass das Ziel bewaffneter Konflikte in der Tat darin liegt, übergeordnete politische Ziele zu erreichen, steht die nachfolgende Argumentation im Widerspruch zu einem Fundamentalprinzip des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts, demzufolge „dass einzige rechtmäßige Ziel, welches sich ein Staat in Kriegszeiten stellen kann, die Schwächung der Streitkräfte des Feindes ist“ 262.263 Mithin trägt das von Meyer aufgegriffene Argument von Clausewitz, demzufolge die Mittel nicht losgelöst von dem durch ihren Einsatz zu erreichenden Ziel betrachtet werden können, im Kontext des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts nicht. Zutreffend verneint die kritische Literaturansicht überdies eine hinreichende Verbindung zwischen der Fähigkeit zur Kriegsverlängerung eines Objekts und zur nach Art. 52 (2) ZPI maßgeblichen Fähigkeit wirksam zu den militärischen Handlungen des Gegners beizutragen, so dass das Kriterium der war-sustaining capability nicht im Wege einer Auslegung in die Definition militärischer Ziele inkludiert werden kann. Denn das in Rede stehende Kriterium umfasst alle diejenigen Objekte, „which indirectly but effectively support the enemy’s overall war effort“ 264. Angesichts der Weite des Begriffes könnte in der Tat nahezu jedes Objekt zum zulässigen militärischen Ziel erklärt werden. Dies birgt jedoch die Gefahr in sich, dass der Begriff der warsustaining capability im Wege einer extensiven Auslegung dazu instrumentalisiert werden könnte, um die Art nichtdiskriminierender Angriffe zu rechtfertigen „that annihilated entire cities during that (Second World) war“ 265 und ist daher als zu weitgehend abzulehnen. Die Unzulässigkeit einer Inkludierung der war-sustaining capability eines Objektes in die Definition des militärischen Zieles folgt überdies aus einem Umkehrschluss aus der Regelung zur direkten Teilnahme von Zivilpersonen an den Feinseligkeiten, der zufolge war-sustaining activities nicht zur einer Suspendierung der Angriffsimmunität führen.266 Der Umkehrschluss ist zulässig und erforderlich, um eine Kohärenz zwischen der Qualifizierung von Personen und Objekten als zulässige militärische Ziele zu gewährleisten. Schließlich steht das Kriterium, anders als von der Gegenansicht vertreten, im Widerspruch zur Staa261 262 263 264 265 266
Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 97. s. Präambel der St. Petersburger Erklärung. Robertson, S. 36. HPCR Commentary, S. 110. Doswald-Beck (1995), S. 199. ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 51.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
tenpraxis und ist mithin auch auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechtes unzulässig.267 Folglich ist zu konstatieren, dass die Inkludierung des Kriteriums der war-sustaining capability eines Objektes in die Definition des militärischen Zieles in Ermangelung einer völkerrechtlichen Grundlage abzulehnen ist. 2. Aus dem Angriff resultierender eindeutiger militärischer Vorteil
Ausgehend von dem insoweit klaren Normenwortlaut muss ein Objekt, um als legitimes militärisches Ziel qualifiziert werden zu können, nicht nur einen wirksamen Beitrag zu militärischen Handlungen leisten, sondern darüber hinaus muss aus seiner Zerstörung oder Neutralisierung auf Grundlage der zur fraglichen Zeit gegebenen Umstände ein eindeutiger militärischer Vorteil resultieren. In diesem Definitionselement spiegelt sich der Einfluss der Definition des militärischen Ziels aus Art. 25 (1) der unverbindlich gebliebenen Haager Luftkriegsregeln von 1923 wider, dessen Wortlaut268 insoweit nahezu unverändert übernommen wurde. Aus der Definition folgt, dass der Vorteil militärischer und nicht bloß politischer Natur sein muss.269 Mithin ist ein Objekt nur dann als legitimes militärisches Ziel zu qualifizieren, wenn der darauf gerichtete Angriff auf Grundlage der zur fraglichen Zeit gegebenen Umstände zu einer Schwächung der militärischen Fähigkeiten des Gegners führt und nicht bereits dann, wenn die Zerstörung des Objektes dazu beiträgt, die politischen oder strategischen Ziele eines bewaffneten Konfliktes zu verwirklichen.270 Wie aus den zahlreichen Staatenerklärungen zu Art. 52 (2) 2 ZPI folgt, bezieht sich der militärische Vorteil auf Angriffe in ihrer Gesamtheit und nicht auf einzelne isolierte Bestandteile eines Angriffs.271 Daraus folgt zunächst, dass der erzielte militärische Vorteil nicht direkt aus der Beschädigung oder Zerstörung des fraglichen Objektes resultieren muss272, so dass die beiden Definitionselemente des militärischen Ziels zwar kumulativ, nicht jedoch zeitgleich, vorliegen müssen273. Auch eine geographische Nähe der Realisierung des militärischen Vorteils zum Angriff ist nicht erforderlich.274 Daher ist ein Angriff auf elektrische 267 s. Heintschel von Heinegg (2002), S. 204, 205: „(. . .) the concept of war-sustaining capability is much too wide, and more importantly has no foundation in international law.“ 268 s. Wortlaut von Art. 25 (1): „Aerial bombardment is legitimate only when directed at a military objective, that is to say, an object of which the destruction or injury would constitute a distinct military advantage to the belligerent.“ 269 So auch Solis, S. 521. 270 Henderson, S. 43. 271 s. Interpretationserklärungen zum ZPI: Frankreich, Para. 12; Großbritannien, Para. (i); Australien, Para. 5; Belgien, Para. 5; Deutschland, Para. 5; Italien, Para. 6; Kanada, S. 2; Neuseeland, Para. 3; Niederlande, Para. 5; Spanien, Para. 7. 272 Bothe/Partsch/Solf, S. 325. 273 Henderson, S. 52, 53.
§ 2, C. Zwischenergebnis
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Leitungen selbst dann zulässig, wenn sich der daraus resultierende militärische Vorteil, der in der Unterbrechung der Energieversorgung des Gegners liegt, erst in einer entfernten Militärbasis manifestiert. Fernerhin folgt aus der Interpretation des militärischen Vorteils, dass sich im Rahmen von Angriffen verbündeter Streitkräfte, etwa im Rahmen von NATO Operationen, der Vorteil mithin nicht zwingend für die angreifende Partei selbst ergeben muss. Vielmehr ist es ausreichend aber auch zugleich erforderlich, dass der militärische Vorteil einer der Koalitionskräfte oder der Koalition in ihrer Gesamtheit zugute kommt.275 Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass der Angriff in seiner Gesamtheit ein begrenzbares Ereignis darzustellen hat und der militärische Vorteil mithin nicht auf den gesamten Konfliktverlauf zu beziehen ist.276 Die Ausdehnung des Bezugspunktes militärischer Vorteile auf Angriffe in ihrer Gesamtheit umfasst jedoch zum Beispiel größere militärische Operationen, die aus einer Serie von Angriffen bestehen.277 Der Begriff des militärischen Vorteils ist überdies nicht auf taktische Vorteile begrenzt, sondern er umfasst auch die Sicherheit der eigenen Streitkräfte.278 Das vorangestellte Merkmal der Eindeutigkeit verdeutlicht allerdings, dass der militärische Vorteil nicht bloß hypothetischer oder spekulativer Natur sein darf, sondern dass er vielmehr konkret erkennbar sein muss.279 Die von Art. 52 (2) ZPI vorgenommene Einschränkung, dass die Zerstörung, Neutralisierung oder Inbesitznahme eines Objektes nur unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellen muss, verdeutlicht, dass die Frage der Existenz eines militärischen Vorteils aus einer ex-ante Perspektive zu beurteilen ist.280
C. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aus dem Unterscheidungsgrundsatz unmittelbar die Pflicht der Konfliktparteien folgt, jeder Zeit personen- und objektbezogen zwischen zivilen und militärischen Zielen zu unterscheiden und Angriffe auf die letztgenannte Kategorie zu beschränken. Auf personaler Ebene folgt aus dem Unterscheidungsgrundsatz, dass als zulässige militärische Ziele grundsätzlich allein Kombattanten, Teilnehmer einer Levée en masse und Zivilpersonen während der Dauer ihrer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten als zulässige militärische Ziele direkt angegriffen werden können, es sei denn, sie sind hors de combat. 274 275 276 277 278 279 280
Haines, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 133. Dinstein (2002), S. 144. Hampson, in: Rowe, S. 94; Sassòli, in: Wippman/Evangelista, S. 186. HPCR Commentary, S. 93. Schmitt (2005), S. 462; Borrmann (2010), S. 276. Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 90. Haines, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 133.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Die Voraussetzungen und Modalitäten der Schutzsuspendierung infolge einer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten sind auch nach der Veröffentlichung des Leitfadens des ICRC heftig umstritten, so dass gesicherte Erkenntnisse nicht existieren. Nach hier vertretener Auffassung verdient die im Leitfaden zum Ausdruck gebrachte Ansicht des ICRC, bis aus das Erfordernis des Überschreitens einer bestimmten Schädigungsschwelle im Rahmen des Schadenskriteriums bezüglich nicht-militärischer Schäden und insbesondere die in Kapitel IX niedergelegten Beschränkungen hinsichtlich des zulässigen Intensitätsgrades der Gewaltanwendung gegen Zivilpersonen, die infolge einer direkten Teilnahme an den Feindseligkeiten ihre Immunität vor direkten Angriffen verloren haben, Zustimmung. In Bezug auf Objekte richtet sich die Qualifikation als militärisches Ziel gem. Art. 52 (2) ZPI nach einem zweistufigen Test. Erstens muss das Objekt wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und zweitens muss ein darauf gerichteter Angriff nach den im betreffenden Zeitpunkt existierenden Umständen kumulativ in einem eindeutigen militärischen Vorteil resultieren. Wie dargelegt, gibt es Objekte, die aufgrund ihrer Beschaffenheit stets und unter allen Umständen wirksam zu militärischen Handlungen beitragen. Darüber hinaus kann jedoch grundsätzlich jedes Objekt aufgrund seiner Verwendung, Zweckbestimmung oder des Standortes wirksam zu militärischen Handlungen beitragen. Sogenannte gemischt genutzte Objekte stellen mit Blick auf den von ihnen ausgehenden wirksamen Beitrag zu militärischen Handlungen nur ein Scheinproblem dar. Wenn und soweit ein Objekt neben seiner zivilen Nutzung zumindest auch zu militärischen Zwecken genutzt wird und dadurch wirksam zu militärischen Handlungen der gegnerischen Konfliktpartei beiträgt, gilt das gemischt genutzte Objekt vorbehaltlich eines aus seiner Zerstörung oder Beschädigung resultierenden eindeutigen militärischen Vorteils als legitimes militärisches Ziel. Das von den USA und Teilen der Literatur vertretene Kriterium der war-sustaining capability findet in Ermangelung einer völkerrechtlichen Grundlage im Rahmen der Definition des militärischen Zieles keine Anwendung.
§ 3 Verbot unterschiedsloser Angriffe Als direkter Ausfluss281 des Unterscheidungsgrundsatzes verbietet Art. 51 (4) und (5) ZPI unterschiedslose Angriffe. Das Verbot unterschiedsloser Angriffe wurde erstmals in Art. 24 (3) der Haager Luftkriegsregelungen von 1923282 auf281
Dinstein (2010), S. 127. s. Normenwortlaut: „The bombardment of cities, towns, villages, dwellings, or buildings not in the immediate neighborhood of the operations of land forces is prohibited. In cases where the objectives specified in paragraph 2 are so situated, that they cannot be bombarded without the indiscriminate bombardment of the civilian population, the aircraft must abstain from bombardment.“ 282
§ 3 Verbot unterschiedsloser Angriffe
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genommen. Weil die Haager Luftkriegsregelungen jedoch niemals in Kraft getreten sind, stellt die Regelung des ersten Zusatzprotokolls die erste verbindliche Kodifikation des Verbotes unterschiedsloser Angriffe dar. Als Ausfluss des Unterscheidungsgrundsatzes stellt das Verbot unterschiedsloser Angriffe laut Oeter die wichtigste Ausprägung des Grundsatzes des limited warfare dar.283 Das Verbot unterschiedsloser Angriffe bindet in Gestalt seiner völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechung284 auch Nichtvertragsparteien. Gemäß Art. 51 (4) 2 ZPI sind unterschiedslose Angriffe: „(a) those which are not directed at a specific military objective; (b) those which employ a method or means of combat which cannot be directed at a specific military objective; or (c) those which employ a method or means of combat the effects of which cannot be limited as required by this Protocol; and consequently, in each such case, are of a nature to strike military objectives and civilians or civilian objects without distinction.“
Wesensmerkmal der in Art. 51 (4) ZPI aufgezählten unterschiedslosen Angriffe ist ausweislich des Normenwortlauts, dass sie ihrer Natur nach militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos treffen können.285 Im Lichte der Legaldefinition des Angriffsbegriffes aus Art. 49 (1) ZPI umfasst das Verbot unterschiedsloser Angriffe sowohl offensive als auch defensive Gewaltanwendungen gegen den Gegner. Ob ein Angriff als unterschiedslos und mithin als verboten zu qualifizieren ist, richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls.286 Laut Rogers kommt das Verbot unterschiedsloser Angriffe dann nicht zur Anwendung, wenn sich die unterschiedslose Natur eines Angriffes im Ergebnis nicht realisiert hat, da es als „absurd“ einzustufen sei, wenn ein Angriff zwar „technically“ unterschiedslos ist, aber im Ergebnis keine zivilen Ziele betroffen sind.287 Jene Ansicht erweist sich jedoch im Lichte des Normenwortlauts als nicht haltbar. Denn ausweislich des Normenwortlauts – „are of a nature“ – kommt es gerade nicht darauf an, ob durch den Angriff im Ergebnis auch zivile Ziele in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dies folgt auch aus der offenen Formulierung der in Art. 51 (4) aufgeführten Alternativen. So ist ein Angriff nach Art. 51 (4) (b) ZPI bereits dann als unterschiedslos zu qualifizieren, wenn die verwendeten Kampfmittel oder Kampfmethoden nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können und nach Art. 51 (4) (c) dann, wenn die Auswirkungen nicht entsprechend den Vorschriften des ZPI begrenzt werden 283
Oeter, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 85. Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 37 ff.; Solis, S. 537; zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung speziell im Luftkriegsrecht: HPCR Commentary, S. 88 ff. 285 So auch Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 620. 286 HPCR Commentary, S. 89. 287 Rogers (1996), S. 21, 23: „After all, who is concerned about the attack’s technically being indiscriminate if no civilian is killed as a result?“ 284
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
können. Zudem trägt das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts der Ergebnisunabhängigkeit der Norm dadurch Rechnung, dass ein Verstoß gegen das Verbot unterschiedsloser Angriffe gem. Art. 85 (3) (b) ZPI nur dann als schwere Verletzungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts und mithin als Kriegsverbrechen zu qualifizieren ist, wenn im Ergebnis durch den Angriff die Zivilbevölkerung oder zivile Objekte in Mitleidenschaft gezogen wurden und der Angriff überdies auch vorsätzlich durchgeführt wurde. Im Folgenden soll nunmehr herausgearbeitet werden welche Ausformungen des Verbots unterschiedsloser Angriffe für den Einsatz autonomer UACVs von Bedeutung sind.
A. Angriffe, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden Gemäß Art. 51 (4) (a) ZPI sind Angriffe dann unterschiedsloser Natur, wenn sie nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden. Weil sich die Norm ausdrücklich auf die willentliche288 Zielrichtung eines Angriffes als solches bezieht, hat sie keine speziellen Implikationen auf die zur Durchführung des Angriffes eingesetzten Mittel und ist daher nicht dem Waffenrecht zuzuordnen.289 Es kommt im Kontext des Art. 51 (4) (a) ZPI gerade nicht darauf an, ob das eingesetzte Mittel konstruktionsbedingt überhaupt in der Lage ist zwischen zivilen und militärischen Zielen zu unterscheiden. Diese Problematik ist vielmehr Gegenstand der nachfolgenden Regelung aus Art. 51 (4) (b) ZPI. Gegenstand des Verbots aus Art. 51 (4) (a) ZPI ist vielmehr allein der unterschiedslose Einsatz von Kampfmitteln im Einzelfall.290 Folglich verbietet die Norm lediglich eine bestimmte Methode der Kampfführung. In diesem Zusammenhang gilt es herauszustellen, dass von dem Verbot solche Situationen nicht umfasst sind, in denen zivile und militärische Ziele aufgrund einer technischen Fehlfunktion, menschlichen Versagens oder durch Gegenmaßnahmen des Gegners unterschiedslos getroffen werden, vorausgesetzt der Angriff wurde ursprünglich gegen ein bestimmtes legitimes militärisches Ziel gerichtet.291
B. Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder Kampfmittel angewendet werden, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können Art. 51 (4) (b) ZPI verbietet Angriffe, die deshalb unterschiedsloser Natur sind, weil bei ihnen Kampfmethoden oder Kampfmittel eingesetzt werden, die 288 289 290 291
Dinstein (2010), S. 127; Rogers (1996), S. 20. Boothby (2009), S. 78. Schmitt (2005), S. 445. HPCR Commentary, S. 89.
§ 3, C. Angriffe, deren Wirkungen nicht begrenzt werden können
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nicht gegen eine bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können. Der Begriff der Kampfmethode umschreibt die Art und Weise der Verwendung von Kampfmitteln.292 Der Begriff des Kampfmittels wurde bereits in dem Kapitel, betreffend die Einordnung des Untersuchungsgegenstandes in die Begrifflichkeiten des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts, definiert und die Subsumierbarkeit autonomer UACVs unter diesen Begriff dargelegt, so dass insoweit auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. Anders als Art. 51 (4) (a) ZPI stellt Art. 51(4) (b) ZPI konkrete Anforderungen an die Natur des eingesetzten Angriffsmittels. Denn letztgenannte Vorschrift erfasst den Einsatz solcher Kampfmitteln, die bereits konstruktionsbedingt nicht gegen ein konkretes militärisches Ziel gerichtet werden können.293 Ein in der einschlägigen Literatur häufig genanntes Beispiel eines solchen unterschiedslosen Angriffsmittels ist die im zweiten Weltkrieg durch die deutsche Wehrmacht eingesetzte V2 Rakete.294 Denn diese verfügten über kein adäquates Zielsuchsystem und waren daher bereits konstruktionsbedingt nicht in der Lage gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet zu werden. Darüber hinaus unterfallen auch bestimmte blinde Minentypen dem Begriff nichtdiskriminierender Kampfmittel.295 Mithin hängt die nichtdiskriminierende Natur des Kampfmittels wesentlich von seinen technischen Fähigkeiten zur Zielerfassung und Zielführung ab. Die unterschiedslose Natur des Angriffes ergibt sich im Rahmen des Art. 51 (4) (b) ZPI aus einer Gesamtbewertung sowohl des eingesetzten Kampfmittels als auch der Kampfmethode. Selbst wenn das eingesetzte Kampfmittel seiner Natur nach als unterschiedslos zu qualifizieren ist, folgt daraus noch nicht zwingend die unterschiedslose Natur des Angriffes als solches, wenn und soweit es diskriminierend eingesetzt wird. Ebenso kann sich die unterschiedslose Natur eines Angriffes aus der unterschiedslosen Art und Weise der Verwendung eines an sich hoch diskriminierenden Kampfmittels ergeben. Die Norm ist daher für den Einsatz autonomer UACVs nur dann von Bedeutung, wenn sie unter keinem denkbaren Szenario diskriminierend eingesetzt werden können.296
C. Angriffe, bei denen Kampfmethoden oder Kampfmittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften des Protokolls begrenzt werden können Gemäß Art. 51 (4) (c) ZPI ist ein Angriff dann unterschiedslos, wenn dabei Kampfmethoden oder Kampfmittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht 292
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 621. Boothby (2009), S. 78. 294 Borrmann (2010), S. 272; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 621; Oeter, in: Fleck, S. 200. 295 Bothe/Partsch/Solf, S. 305. 296 So auch: Schmitt/Thurnher, S. 246. 293
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
entsprechend den Vorschriften des Protokolls begrenzt werden können. Aufgrund der vagen Formulierung stellt diese Alternative die problematischste Form nichtdiskriminierender Angriffe dar.297 Laut Rogers ist der Prüfungsmaßstab von Art. 51 (4) (c) ZPI deshalb nur schwer zu ermitteln, weil es keine Vorschrift innerhalb des Zusatzprotokolls gebe, welche explizit die Wirkungen von Mitteln und Methoden der Kampfführung begrenze.298 Nach Auffassung Rogers ist die Vorschrift mithin zu unbestimmt um praktisch handhabbar zu sein.299 Diese Ansicht überzeugt jedoch nicht. Denn das ZPI enthält sehr wohl Vorschriften welche bestimmte Wirkungsweisen von Kampfmitteln und Kampfmethoden verbieten. Dazu gehören die Regelungen über den Schutz der Umwelt aus Art. 35 (3) ZPI und Art. 55 ZPI sowie das Verbot der Verursachung überflüssiger Leiden und unnötiger Verletzungen aus Art. 35 (2) ZPI.300 Mithin erweist sich die von Rogers geäußerte Kritik bezüglich der vermeindlichen Unbestimmbarkeit des Prüfungsmaßstabes als unzutreffend. Aus dem soeben aufgezeigten Prüfungsmaßstab folgt, dass die Qualifikation eines Angriffes als unterschiedslos im Sinne des Art. 51 (4) (c) ZPI stets eine Frage des Einzelfalles ist.301 Gleichwohl gibt es einige Kampfmittel und Kampfmethoden deren Einsatz regelmäßig dazu führen dürfte, dass ein Angriff als unterschiedslos im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist. Zu derartigen Kampfmitteln gehören insbesondere bakteriologische und chemische sowie biologische Waffen.302 Zu derartigen Kampfmethoden gehören zum Beispiel Flächenbombardements.303 Die Norm ist jedoch für den Einsatz autonomer UACVs ohne besondere Bedeutung, weil die von der Verbotsnorm erfassten Auswirkungen nur durch Waffen beziehungsweise durch deren Munition, nicht jedoch durch deren Trägersystem unmittelbar verursacht werden können.
D. Unterschiedslose Bombardierungen In Art. 51 (5) ZPI nennt das Zusatzprotokoll zwei Angriffsarten, die unter anderem als unterschiedslos im Sinne von Art. 51 (4) ZPI anzusehen sind. Die erste in Art. 51 (5) (a) ZPI niedergelegte Angriffsart betrifft unterschiedslose Bombardements. Der genannten Vorschrift liegt folgender Wortlaut zugrunde: „Among others the following types of attacks are to be considered as indiscriminate: an attack by bombardment by any methods or means which treats as a single military 297 298 299 300 301 302 303
Rogers (1996), S. 22; Bothe/Partsch/Solf, S. 305. Rogers (1996), S. 22. Rogers (1996), S. 22. Solis, S. 536; Bothe/Partsch/Solf, S. 305; Oeter, in: Fleck, S. 201. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 623. Green (1993), S. 152; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 623. Oeter, in: Fleck, S. 202.
§ 3, D. Unterschiedslose Bombardierungen
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objective a number of clearly separated and distinct military objectives located in a city, town, village or other area containing a similar concentration of civilians or civilian objects.“
Ausweislich des insoweit eindeutigen Normenwortlauts bezieht sich die in Rede stehende Norm ausschließlich auf Bombardierungen, allerdings unabhängig davon mit welchen Mitteln oder Methoden diese durchgeführt werden. Daher sind von Art. 51 (5) (a) ZPI sowohl Bombardierungen aus der Luft als auch durch Artillerie umfasst.304 Weil es nach Maßgabe des Normenwortlauts nicht darauf ankommt, welches Mittel zur Durchführung eines Bombenangriffes eingesetzt wird, findet die Vorschrift auch auf autonome UACVs Anwendung. Zentrale Voraussetzung dafür, dass Bombardierungen als unterschiedslos zu qualifizieren sind, ist die Behandlung mehrerer deutlich voneinander abgrenzbarer militärischer Ziele als ein einziges militärisches Ziel. Innerhalb der Staatengemeinschaft besteht Einigkeit darüber, dass die Regelung eine Distanz zwischen den militärischen Zielen voraussetzt, die groß genug ist, „to permit the individual military objectives to be attacked separately“.305 Daraus folgt, dass das Verbot der Behandlung mehrerer militärischer Ziele als ein einziges militärisches Ziel nicht absoluter Natur ist, sondern vielmehr unter dem Vorbehalt steht, dass die einzelnen militärischen Ziele in einem hinreichenden Abstand zu einander stehen.306 Gleichwohl steht die Rechtmäßigkeit eines derartigen Angriffes dann insbesondere unter dem Vorbehalt des Exzessverbotes.307 Selbst wenn eine hinreichend klare räumliche Abgrenzbarkeit einzelner militärischer Ziele gegebenen ist, steht das Verbot der Behandlung dieser Ziele als einziges militärisches Ziel unter der zusätzlichen Einschränkung, dass sich die militärischen Ziele innerhalb einer Stadt, einem Dorf oder einem sonstigen Gebiet, in dem Zivilpersonen oder zivile Objekte ähnlich stark konzentriert sind, befinden. Eine vergleichbare Konzentration wird zum Beispiel in Flüchtlingslagern anerkannt.308 Sowohl die Frage der erforderlichen Distanz der einzelnen militärischen Ziele als auch die erforderliche Anzahl unmittelbar benachbarter potentiell gefährdeter Zivilpersonen und ziviler Objekte lässt sich nicht abstrakt generell bestimmen. Ob ein Angriff im Sinne von Art. 51 (5) (a) ZPI als unterschiedslos zu qualifizieren ist, ist mithin stets eine Frage des Einzelfalls, die sich nur in Abhängigkeit von den einzusetzen Angriffsmitteln und den Eigenschaften der einzelnen militärischen Ziele beantworten lässt. Für die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes autonomer UACVs bedeutet dies, dass die vorab einprogrammierten Ziele den Vorgaben des Art. 51 (5) (a) ZPI entspre304 305 306 307 308
Aldrich, S. 780; Rogers (1996), S. 23. Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 45. HPCR Commentary, S. 90. Green (1993), S. 152. Kalshoven/Zegveld, S. 103.
100
Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
chen müssen oder dass sie technisch in der Lage sind diese Vorgaben autonom umzusetzen. Als weiteres Beispiel eines unterschiedslosen Angriffes nennt Art. 51 (5) (b) ZPI solche Angriffe, die voraussichtlich zu zivilen Kollateralschäden führen, die in einem exzessiven Verhältnis zu dem aus dem Angriff erwartungsgemäß resultierenden konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteils stehen. Wegen der Komplexität dieser speziellen Ausformung des Verbotes nichtdiskriminierender Angriffe ist der Norm nachfolgend ein eigenständiges Kapitel gewidmet.
§ 4 Exzessverbot Das oftmals missverständlich als Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bezeichnete sowohl im Land- als auch im Luftkriegsrecht völkergewohnheitsrechtlich309 geltende Prinzip, welches erstmals310 in Art. 51 (5) lit. b ZPI eine konkrete vertragliche Kodifikation erfahren hat, betreffend die Zulässigkeit zivilen Kollateralschadens, gehört zu den wichtigsten aber auch zu den am schwersten zu handhabbaren Prinzipien311 des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Die Bezeichnung des Verbots als Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist deshalb misslungen, weil sie impliziert, dass es der Grundsatz erfordere, den zu erwartenden Kollateralschaden, etwa im Wege einer praktischen Konkordanz, in einen Ausgleich mit dem zu erwartenden militärischen Vorteil zu bringen. Dies ist jedoch ausweislich des Normenwortlauts der gem. Art. 102 ZPI authentischen312 englischen Vertragssprache gerade nicht der Fall: „Among others, the following types of attacks are to be considered as indiscriminate: b) an attack which may be expected to cause incidental loss of civilian life, injury to civilians, damage to civilian objects, or a combination thereof, which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated.“
Ausgehend vom insoweit klaren Normenwortlaut ist lediglich die Verursachung exzessiver313 Kollateralschäden erfasst. Weil sich die Delegierten auf den 309 Hampson (1992), S. 46; Zimmermann, S. 129; Stein, in: Heintschel von Heinegg/ Epping, S. 158; Barnidge, in: Banks, S. 179; Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 46; Bothe/Partsch/Solf, S. 677; Dorman, S. 93; speziell zur Geltung im Luftkriegsrecht: HPCR Commentary, S. 91. 310 Bothe/Partsch/Solf, S. 309. 311 Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 293. 312 Wenngleich gem. Art. 102 ZPI neben der englischen Sprache auch weitere Sprachen zu den authentischen Vertragssprachen gehören, kommt der englischen Vertragssprache deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil sie diejenige ist, die im NATO-Kontext verwendet wird. 313 So auch der Wortlaut der nach Art. 102 ZPI ebenfalls authentischen französischen Vertragssprache: „Seront, entre autres, considérés comme effectués sans discrimination les types d’attaques suivants: b) les attaques dont on peut attendre qu’elles causent incidemment des pertes en vies humaines dans la population civile, des blessures aux
§ 4, A. Anwendungsbereich und grundsätzliche Bedeutung
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Genfer Konferenzen überdies aufgrund grundlegender konzeptioneller Einwände bewusst gegen die Verwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzbegriffes entschieden haben314, soll im Folgenden aus Klarstellungsgründen in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt in dem Einstellungsbeschluss zum Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein315 der Begriff Exzessverbot für die in Rede stehende Angriffsbeschränkung verwendet werden. Die Schwierigkeiten die sich in der Anwendung des Exzessverbotes ergeben, liegen in der Unbestimmtheit der darin enthaltenen Rechtsbegriffe.316 Laut Parks wiegt diese Unbestimmtheit gar derart schwer, dass das Exzessverbot am Maßstab nationalen Verfassungsrechts „void for vagueness“ wäre.317 Daher besteht Einigkeit darüber, dass der Grundsatz „is more easily stated than applied in practice“. 318 Im Folgenden sollen Inhalt und Umfang der aus dem Exzessverbot resultierenden Verpflichtungen aufgezeigt werden.
A. Anwendungsbereich und grundsätzliche Bedeutung Ausgehend vom Normenwortlaut – „an attack which may be expected to cause incidental loss“ – kommt das Exzessverbot nur dann zur Anwendung, wenn zivile Kollateralschäden zwar vorhersehbare gleichwohl jedoch nicht intendierte Folge eines Angriffes auf ein legitimes militärisches Ziel sind.319 Aufgrund seines Charakters als Verbotsnorm begründet das Exzessverbot einen zusätzlichen Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit militärischer Angriffe und zugleich einen zusätzlichen über das Verbot direkter Angriffe hinausgehenden Schutz von Zivilpersonen und zivilen Objekten vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte.320 Gleichwohl folgt aus dem Exzessverbot zugleich das Bekenntnis321 des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts zu der Tatsache, dass unter Umständen zivile, wenngleich nicht intendierte, Begleitschäden unvermeidbar sind und daher zulässig sein müssen, soll es den Konfliktparteien nicht vollends verwehrt bleipersonnes civiles, des dommages aux biens de caractère civil, ou une combinaison de ces pertes et dommages, qui seraient e x c e s s i f s par rapport à l’avantage militaire concret et direct attendu.“, gesperrte Hervorhebung durch den Autor. 314 Kalshoven (1978), S. 117. 315 Einstellungsbeschluss der Generalbundesanwaltschaft, 3 BJs 6/10-4, S. 63. 316 So auch Fenrick (2009), S. 272. 317 Parks (1990) S. 173. 318 Rogers (2000), S. 183; Barnidge, in: Banks, S. 181. 319 Schmitt (1999), S. 150. 320 Wedgwood, S. 221; Dinstein (2010), S. 128. 321 Die Ansicht der rumänischen Delegation, der zufolge zivile Verluste infolge eines Angriffes auf militärische Ziele unter keinen Umständen zu rechtfertigen seien, konnte sich auf der Genfer Konferenz nicht durchsetzen, s. Bothe/Partsch/Solf, S. 310.
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ben, Mittel der Kriegführung militärisch wirksam einzusetzen.322 Dies gilt wegen der Spezifika militärischer Luftoperationen insbesondere im Luftkrieg.323 Insoweit schlägt sich in dem Exzessverbot die primäre Zielsetzung des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts – die darin liegt einen Ausgleich zwischen militärischer Notwendigkeit und humanitären Erwägungen zu suchen324 – in besonderen Maße nieder.325 Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, das Exzessverbot begründe „an additional limitation on the discretion of combatants in deciding whether an object is a military objective under para. 2 of Art. 52“.326 Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Die Definitionselemente eines militärischen Zieles sind abschließend in Art. 52 (2) ZPI niedergelegt.327 Die Gebotenheit einer strikten Trennung zwischen der Qualifikation eines Zieles als legitimes militärisches Ziel und der nachgeschalteten Frage der Unzulässigkeit eines Angriffes infolge zu erwartender exzessiver ziviler Kollateralschäden bestätigt auch die Interpretationserklärung Australiens zu Art. 52 (2) ZPI, der folgender Wortlaut zugrunde liegt: „It is the understanding of Australia that the first sentence of paragraph 2 of Article 52 is not intended to, nor does it, deal with the question of incidental or collateral damage resulting from an attack directed against a military objective.“ 328
Weil das Exzessverbot eine zusätzliche Angriffsrestriktion darstellt, bleiben die zu erwartenden Auswirkungen auf Zivilpersonen und zivile Objekte ohne Auswirkungen auf die Qualifikation des Angriffszieles als legitimes militärisches Ziel.329
B. Faktoren der Abwägung Wenngleich es sich bei dem Prinzip nicht um einen mit dem nationalrechtlichen Übermaßverbot gleichzusetzenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne handelt330, verlangt das Exzessverbot gleichwohl zur Ermittlung, ob der zu erwartende Kollateralschaden in einem exzessiven Verhältnis zu dem aus dem fraglichen Angriff erwartungsgemäß resultierenden konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht, eine Gegenüberstellung und Wertung beider Faktoren. Im Folgenden soll daher zunächst dargelegt werden was unter den einzubeziehenden Abwägungsfaktoren zu verstehen ist. 322 323 324 325 326 327 328 329 330
Oeter, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 91. HPCR Commentary, S. 91. ZDv 15/2, Para. 103. So auch Rogers (1996), S. 14. Human Rights Watch, S. 17. Henderson, S. 198. Interpretationserklärung zum ZPI Australiens, Para. 6. Dinstein, in: Wippmann/Evangelista, S. 213; Dinstein (2010), S. 129. Einstellungsbeschluss der Generalbundesanwaltschaft, 3 BJs 6/10-4, S. 64.
§ 4, B. Faktoren der Abwägung
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I. Einzubeziehender Kollateralschaden Ausgehend vom Normenwortlaut umfasst der im Rahmen des Exzessverbotes einzubeziehende Kollateralschaden allein die Schädigung von Zivilpersonen und zivilen Objekten. Maßgeblich sind insoweit die einschlägigen Negativdefinitionen aus Art. 52 (1) 2 ZPI und Art. 50 (1) 1 ZPI.331 Daraus folgt, dass Kollateralschädigungen von Kombattanten und Teilnehmern einer Levée en masse im Kontext des Exzessverbotes unbeachtlich sind. Laut Bothe gilt dies jedoch nicht für Kombattanten, die infolge ihrer Kampfunfähigkeit Immunität vor direkten Angriffen genießen. Diese seien trotz des unveränderten Kombattantenstatus in die Berechnung des zu erwartenden Kollateralschadens einzubeziehen. 332 Diese Ansicht erweist sich jedoch im Lichte des insoweit eindeutigen nur auf Zivilpersonen bezogenen Normenwortlauts als unzutreffend.333 Wenngleich die Kampfunfähigkeit zwar dazu führt, dass Kombattanten gem. Art. 41 (1) ZPI Immunität vor direkten Angriffen genießen, geht damit gleichwohl kein Statuswechsel einher. Der Schutz vor direkten Angriffen ist ausweislich des Normenwortlauts kein relevantes Kriterium für die Qualifikation als Kollateralschaden i. S. d. Exzessverbotes. Aus demselben Grund unterliegen weder das militärische Seelsorgepersonal noch militärische Sanitätseinheiten trotz des ihnen gewährten Schutzes vor direkten Angriffen dem Schutz des Exzessverbotes.334 Für die Qualifikation als Kollateralschaden ist allein der Status als Zivilperson oder als ziviles Objekt maßgeblich. Eine Ausnahme besteht allerdings für Zivilpersonen die direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen.335 Wenngleich eine direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten nicht zu einem Statuswechsel führt336, resultiert der Ausschluss von direkt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen aus der Berechnung des zu erwartenden Kollateralschadens unmittelbar aus dem Normenwortlaut von Art. 51 (3) ZPI. Denn gemäß Art. 51 (3) ZPI genießen Zivilpersonen „the protection afforded by this section, unless and for such time as they take a direct part in hostilities“. Weil das Exzessverbot in dem in Bezug genommenen Abschnitt I des IV. Teils des ZPI betreffend den allgemeinen Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen von Feindseligkeiten verortet ist, sind Zivilpersonen für die Dauer ihrer Teilnahmehandlung trotz ihres unveränderten Status als Zivilperson nicht in die Berechnung des Kollateralschadens einzubeziehen. Diese 331
Henderson, S. 206. Bothe et al., New Rules for Victims of Armed Conflicts, S. 220. 333 So auch Henderson, S. 206. 334 So auch Henderson, S. 206. 335 Schmitt (2004), S. 6; Heintschel von Heinegg (2011), S. 468; ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 13. 336 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 70; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 698; Boothby (2010), S. 754. 332
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vertraglich angeordnete Herausnahme aus der Berechnung des Kollateralschadens von direkt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen korrespondiert mit der Systematik des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts, der zufolge die Kategorien des legitimen militärischen Zieles und des Kollateralschadens in einem Ausschließlichkeitsverhältnis337 zueinander stehen. Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass Zivilpersonen, die sich innerhalb zulässiger militärischer Ziele aufhalten, nicht in die Kollateralschadensberechnung einzubeziehen seien, weil sie sich freiwillig dem Risiko ausgesetzt hätten, durch einen Angriff in Mitleidenschaft gezogen zu werden.338 Diese Ansicht steht jedoch bereits im Widerspruch zum Normenwortlaut und ist mithin abzulehnen. Überdies bietet das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts, anders als bei direkt an den Feindseligkeiten teilnehmenden Zivilpersonen, keinen rechtlichen Anhaltspunkt für eine Schutzsuspendierung, die allein daraus resultiert, dass sich die fragliche Zivilperson physisch innerhalb eines legitimen militärischen Zieles befindet. Die Art des Schadens ist durch den Normenwortlaut auf Tötungen, Verletzungen beziehungsweise auf Beschädigungen oder derartige Folgen zusammen beschränkt. Mithin sind etwa Stress, Angst, Irritationen, Unannehmlichkeiten oder sonstige derartige immaterielle Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung nicht umfasst.339 Ausgehend vom Normenwortlaut „which may be expected to cause“ ist der Berechnung des Kollateralschadens überdies eine ex-ante Perspektive zugrunde zu legen.340 Mithin ist der tatsächlich aus einem Angriff resultierende Kollateralschaden, der über das erwartete Maß hinaus geht, für die vom Exzessverbot geforderte Verhältnissetzung ohne Bedeutung, wenn und soweit das Erwartungsdefizit unter den gegebenen Umständen auf vertretbare Ursachen zurückzuführen ist.341 Das Abstellen auf die ex-ante Perspektive ist Ausdruck des Bekenntnisses des Exzessverbotes zu der als Nebel des Krieges umschriebenen Tatsache, dass es im Rahmen militärischer Operationen naturgemäß keine hundertprozentige Informationssicherheit und Vorhersehbarkeit in Bezug auf die Auswirkungen der eingesetzten Mittel und Methoden der Kriegführung geben kann.342 Laut Schmitt resultiert Kollateralschaden in der Regel insbesondere aus dem Zusammenspiel von drei Faktoren: „Uncertainty as to what is being hit, inability to precisely meter the amount of force applied, and the lack of absolute certainty 337
Henderson, S. 207. s. Darstellung dieser Auffassung in dem in dieser Frage neutralen HPCR Commentary, S. 93. 339 HPCR Commentary, S. 34; Dinstein (2010), S. 135. 340 ICTY, Galic, Para. 58. 341 Gasser, S. 75; HPCR Commentary, S. 33; Hampson (1992), S. 47. 342 Oeter, in: Hasse/Müller/Schneider S. 92. 338
§ 4, B. Faktoren der Abwägung
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that the target can be hit.“ 343 Aus der Maßgeblichkeit der ex-ante Perspektive folgt überdies, dass vernünftigerweise nicht zu erwartende technische Fehlfunktionen der eingesetzten Wirkmittel keine Verletzung des Exzessverbotes begründen.344 Allerdings können technische Fehlfunktionen im Kontext des Art. 57 (2) (a) ZPI zu berücksichtigen sein, wenn sie in einer hinreichenden Anzahl von Fällen bereits in Erscheinung getreten sind und daher von einer charakteristischen Ausfallquote gesprochen werden kann, die dem Normadressaten zum Zeitpunkt der Angriffsplanung oder Angriffsentscheidung bekannt ist. Erreicht die Fehlerquote einen bestimmten Schwellenwert kann dies dazu führen, dass das betroffene Wirkmittel nicht eingesetzt werden darf.345 Zudem unterliegen militärische Befehlshaber gem. Art. 57 (2) (a) (iii) ZPI der Verpflichtung alles praktisch Mögliche zu tun, um eine möglichst genaue Informationsgrundlage zur Vermeidung exzessiver Kollateralschäden zu beschaffen.346 Die Pflicht zur Beachtung des Exessverbotes gilt absolut. Insbesondere befreien Verstöße der gegnerischen Konfliktpartei gegen die auch völkergewohnheitsrechtlich geltende Pflicht347 aus Art. 58 ZPI alles praktisch Mögliche zu tun, um Zivilpersonen und zivile Objekte, die ihrer Herrschaft unterstehen, aus der Umgebung militärischer Ziele zu entfernen und es überdies zu vermeiden, innerhalb oder in der Nähe dicht besiedelter Gebiete militärische Ziele anzulegen, die Angreifer nicht von ihren aus dem Exzessverbot resultierenden Pflichten.348 II. Zur Problematik der Einbeziehung indirekter ziviler Kollateralschäden In Ermangelung konklusiver Staatenpraxis349 ist umstritten, ob nur direkte oder auch indirekte schädigende Auswirkungen auf Zivilpersonen oder zivile Objekte bei der Berechnung des zu erwartenden Kollateralschadens zu berücksichtigen sind.350 Während ein Teil der Literatur351 die Inkludierung von Schäden, die nicht unmittelbar aus einem Angriff resultieren, ablehnt, plädiert die Gegenansicht352 da343
Schmitt (1999), S. 167. Solis, S. 276; Hampson (1992), S. 48. 345 Henderson, S. 170. 346 Oeter, in: Fleck, S. 210, 211. 347 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 68 ff.; HPCR Commentary, S. 140 ff. 348 Schmitt (1999), S. 169. 349 HPCR Commentary, S. 91. 350 Canestaro, S. 464: „As yet no consensus has been reached on how far removed from the initial attack harm should be before being included.“ 351 Kalshoven (1992), S. 45; Hampson (1992), S. 51. 352 Schmitt (1999), S. 168; Canestaro, S. 464. 344
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für, auch indirekte Folgeschäden in die Ermittlung des zu erwartenden Kollateralschadens miteinzubeziehen. Der Normenwortlaut ist insoweit nicht ergiebig. Aus der verwendeten Formulierung – „an attack which may be expected to cause“ – folgt lediglich, dass die vernünftiger Weise zu erwartenden Schädigungen überhaupt aus einem Angriff resultieren müssen.353 Wie weit der zu erwartende Schadenseintritt zeitlich oder kausal von dem Angriff entfernt sein darf, um noch von dem Exzessverbot erfasst zu sein, ist dem Normenwortlaut mithin gerade nicht zu entnehmen. Laut Henderson spricht gegen die Inkludierung indirekter Kollateralschäden der Umstand, dass im Rahmen des anderen Abwägungsfaktors auch nur direkte und unmittelbare militärische Vorteile zu berücksichtigen sind.354 Dieses Argument überzeugt jedoch aufgrund des Normenwortlauts – dem eine derartige Beschränkung zwar im Hinblick auf den Abwägungsfaktor des militärischen Vorteils jedoch gerade nicht in Bezug auf den Abwägungsfaktor des Kollateralschadens zu entnehmen ist – nicht. Einen Anhaltspunkt für die Lösung der Streitfrage bietet jedoch das Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Kollateralschadens. Demgemäß sind derartige Schäden aus der Kollateralschadensberechnung herauszunehmen, die von dem zur Angriffsentscheidung berufenen Befehlshaber vernünftiger Weise nicht vorhersehbar sind. Ein Beispiel für derartige nicht zu berücksichtigende Kollateralschäden dürfte etwa der Tod eines Menschen sein, der aus einem Verkehrsunfall resultierte, der sich deswegen ereignete, weil die Stromversorgung einer Ampelanlage infolge eines Angriffes auf ein Kraftwerk unterbrochen wurde. Demgegenüber dürfte die Schädigung von Zivilpersonen durch nicht explodierte Bomblets von Clusterbomben – die eine bekannt hohen Ausfallquote aufweisen – bei der Berechnung des zu erwartenden Kollateralschadens zu berücksichtigen sein. Wenngleich sich aus dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit mithin gewisse Leitlinien entnehmen lassen, erscheint eine randscharfe abstraktgenerelle Abgrenzung zwischen berücksichtigungsfähigen und nicht berücksichtigungsfähigen Kollateralschaden nicht möglich. Mithin kann die Frage der Inkludierung indirekter ziviler Kollateralschäden nur im Wege einer Einzelfallbetrachtung am Maßstab der Pflicht zur Auslegung der Vorschrift im guten Glauben aus Art. 31 (1) WVK einer Klärung zugeführt werden. III. Konkreter und unmittelbarer militärischer Vorteil Das Gegengewicht zu der von dem Exzessverbot geforderten Abwägung bildet der voraussichtlich aus dem fraglichen Angriff resultierende unmittelbare und direkte militärische Vorteil. Aus der Verwendung des vorangestellten Begriffes 353 Vgl. Bedeutung des Wortes „cause“: „something that brings about an effect or a result“, http://www.merriam-webster.com/dictionary/cause. 354 Henderson, S. 209.
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„anticipated“ folgt zunächst, dass, wie schon bei der Ermittlung des Kollateralschadens, für die Bemessung des militärischen Vorteils allein die ex-ante Perspektive maßgeblich ist.355 Daraus folgt, dass es im Rahmen des Exzessverbotes unerheblich ist, wenn der tatsächlich aus einem Angriff resultierende militärische Vorteil hinter den Erwartungen zurückbleibt, wenn und soweit dies nicht vernünftigerweise vorhersehbar war.356 Dem Begriff des militärischen Vorteils ist grundsätzlich dieselbe Bedeutung zuzusprechen, die ihm im Rahmen der Begriffsdefinition des objektbezogenen militärischen Ziels aus Art. 52 (2) 2 ZPI zukommt357, so dass insoweit auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.358 Dies folgt insbesondere aus den Interpretationserklärungen einer Vielzahl von Vertragsparteien.359 Mithin bezieht sich auch im Kontext des Exzessverbotes der Begriff des militärischen Vorteils auf Angriffe in ihrer Gesamtheit und nicht auf einzelne isolierte Bestandteile eines Angriffs. Dies gilt insbesondere in Bezug auf militärische Luftoperationen, da diese in der Regel durch eine Vielzahl militärischer Luftfahrzeuge durchgeführt werden.360 Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass der Angriff in seiner Gesamtheit ein begrenzbares Ereignis darzustellen hat und der militärische Vorteil mithin nicht auf den gesamten Konfliktverlauf zu beziehen ist.361 Die Ausdehnung des Bezugspunktes militärischer Vorteile auf Angriffe in ihrer Gesamtheit umfasst jedoch zum Beispiel größere militärische Operationen die aus einer Serie von Angriffen bestehen.362 Allerdings erfährt die Berücksichtigungsfähigkeit des militärischen Vorteils durch die vorangestellten Merkmale der Direktheit und Unmittelbarkeit eine gewisse Einschränkung. Denn beide Merkmale dienen der Verdeutlichung, dass nur solche militärische Vorteile zu berücksichtigen sind, die eine hinreichend enge kausale und zeitliche Nähe zum Angriff und eine gewisse Signifikanz aufweisen, so dass solche militärischen Vorteile, die unbedeutend sind und sich erst langfristig realisieren, unberücksichtigt bleiben.363 Daraus folgt, dass dem Begriff des militärischen Vorteils im Rahmen des Exzessverbotes eine engere Bedeutung zuzusprechen ist, als im Kontext der Legaldefinition des objektbezogenen militärischen Zieles.364 Das dort vorangestellte Merkmal der Eindeutigkeit verdeutlicht 355
ICTY, Galic, Para. 58. HPCR Commentary, S. 91, 92. 357 Henderson, S. 204. 358 s. Kapitel 3 § 2. 359 s. Interpretationserklärungen zum ZPI: Frankreich, Para. 12; Großbritannien, Para. (i); Australien, Para. 5; Belgien, Para. 5; Deutschland, Para. 5; Italien, Para. 6; Kanada, S. 2; Neuseeland, Para. 3; Niederlande, Para. 5; Spanien, Para. 7. 360 HPCR Commentary, S. 93. 361 Hampson, in: Rowe, S. 94; Sassoli, in: Wippman/Evangelista, S. 186. 362 HPCR Commentary, S. 93. 363 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 683; ICTY, Galic, Para. 58; HPCR Commentary, S. 92; Rogers (1996), S. 60; Henderson, S. 200; Bothe/Partsch/Solf, S. 365. 364 So auch Boivin, S. 43; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 685. 356
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lediglich, dass der militärische Vorteil nicht bloß hypothetischer oder spekulativer Natur sein darf, sondern dass er vielmehr konkret erkennbar sein muss.365 Gleichwohl ist dem Begriff des militärischen Vorteils auch im Kontext des Exzessverbotes kein allzu enges Verständnis zugrunde zu legen.366 Insbesondere folgt aus der soeben dargelegten Restriktion – vor allem im Bereich des Luftkriegsrechts – nicht, dass der militärische Vorteil nur in der Schwächung der gegnerischen Streitkräfte oder in einem Gewinn territorialer Kontrolle über ein umkämpftes Gebiet liegen kann.367 Vielmehr umfasst der Begriff eine Vielzahl militärischer Erwägungen. Dazu gehören beispielsweise die Sicherheit der angreifenden Streitkräfte368 oder die Unterbrechung der Kommunikationsstruktur des Gegners369. Dem Faktor der Sicherheit der angreifenden Streitkräfte kommt insbesondere in militärischen Luftoperationen eine besondere Bedeutung zu. Dies verdeutlicht das Beispiel der Wahl der Flughöhe im Rahmen eines geplanten Bombenangriffes. Wenngleich eine hohe Abwurfhöhe regelmäßig zu einer hohen Gefährdung der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte führt, kann es im Einzelfall gleichwohl zulässig sein, keine niedrige Abwurfhöhe zu wählen, weil eine höhere Abwurfhöhe die angreifenden Streitkräfte einem geringen Risiko aussetzt von der Luftabwehr des Gegners abgeschossen zu werden.370
C. Verhältnissetzung Ausgehend vom Normenwortlaut darf der zu erwartende zivile Kollateralschaden in keinem exzessiven371 Verhältnis zum erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden militärischen Vorteil stehen. Daraus folgt, dass nicht jede zu erwartende Verursachung ziviler Kollateralschäden eine Verletzung des Exzessverbotes begründet.372 I. Bedeutung des Begriffes „excessive“ Dem Begriff „excessive“ kommt als Maßstab der anzustellenden Verhältnisprüfung eine zentrale Bedeutung zu. In Ermangelung einer Legaldefinition ist die Bedeutung des Begriffes im Wege der Auslegung zu ermitteln. Laut dem 365
Parks, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 90. HPCR Commentary, S. 92, 93; EECC, Western Front, S. 397. 367 So auch Fenrick (2009), S. 280; HPCR Commentary, S. 92, 93; andere Auffassung: Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 683; ICTY, Galic, Para. 58. 368 s. Interpretationserklärungen zum ZPI: Australien, Para. 5; Neuseeland, Para. 3. 369 HPCR Commentary, S. 92, 93. 370 Byron, S. 193. 371 s. Wortlaut der gem. Art. 102 ZPI authentischen englischen und französischen Vertragssprachen: „excessive“ bzw. „excessifs“. 372 Heintschel von Heinegg, in: Heintschel von Heinegg, S. 341. 366
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Macmillan Dictionary bedeutet excessive: „much more than is reasonable or necessary“.373 Im Lichte der üblichen Wortbedeutung ist eine Verletzung des Exzessverbotes daher nur dann anzunehmen wenn die Unverhältnismäßigkeit offensichtlich ist und mithin unzweifelhaft feststeht.374 Folglich wird die deutsche Übersetzung „außer Verhältnis“ der Bedeutung des Begriffes nicht gerecht.375 Denn diese Formulierung ist dem deutschen Verfassungsrecht und dabei konkret dem Angemessenheitsgrundsatz im Kontext der Rechtfertigung von Grundrechteingriffen entlehnt376. Der Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen liegt jedoch ein völlig anderer Abwägungsmaßstab zugrunde. Überdies ist der Begriff der Exzessivität nicht mit dem Begriff der Extensivität zu vermischen.377 Dies verdeutlicht die Definition des letztgenannten Begriffes. Laut dem Oxford Dictionary bedeutet das Adjektiv extensive: „large in amount or scale.“ 378. Weil sich die Bedeutung des Begriffes mithin in der Umschreibung einer Quantifizierung erschöpft, kann er nicht zur Ermittlung des vom Exzessverbot geforderten qualitativen Verhältnisses zwischen Kollateralschäden und militärischem Vorteil herangezogen werden. Denn die Ermittlung eines Verhältnisses zwischen mehreren Faktoren verlangt naturgemäß eine qualitative Abwägung, so dass eine absolute Grenzziehung zwischen zulässigem und unzulässigem Kollateralschaden nicht möglich ist.379 Insoweit erweist sich die Feststellung von Sandoz et al. „The Protocol does not provide any justification for attacks which cause extensive civilian losses and damages. Incidental losses and damages should never be extensive.“ 380 im Lichte der Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „excessive“ als unzutreffend. Weil im Rahmen des Exzessverbotes allein das Verhältnis zwischen den zu erwartenden zivilen Kollateralschäden und dem erwartungsgemäß aus dem fraglichen Angriff resultierenden militärischen Vorteil maßgeblich ist, können selbst extensive Kollateralschäden in Abhängigkeit von der Signifikanz des zu erwartenden militärischen Vorteils gerechtfertigt sein.381
373 374 375
http://www.macmillandictionary.com/dictionary/british/excessive. So auch: Dinstein (2010), S. 131. So auch: Einstellungsbeschluss der Generalbundesanwaltschaft, 3 BJs 6/10-4,
S. 64. 376 Vgl. BVerfG (2011), S. 2115: „Über die Erfordernisse der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus ist Voraussetzung für die Rechtfertigungsfähigkeit einer Zwangsbehandlung, dass sie für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen.“ 377 Dinstein (2010), S. 131; Henderson, S. 224; Bring, S. 44; Barnidge, in: Banks, S. 287. 378 http://oxforddictionaries.com/definition/english/extensive. 379 Oeter, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 78. 380 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 626. 381 Dinstein (2010), S. 131; Henderson, S. 224; Bring, S. 44; Barnidge, in: Banks, S. 287.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
II. Ermittlung des exzessiven Verhältnisses Im Rahmen der Prüfung, ob der zu erwartende zivile Kollateralschaden in einem exzessiven Verhältnis zu dem erwarteten aus dem fraglichen Angriff resultierenden militärischen Vorteil steht, sind eine Vielzahl von Faktoren einzubeziehen. Besonderes Gewicht kommt dabei regelmäßig der militärischen Relevanz des Angriffszieles, der Präsenz von Zivilpersonen oder zivilen Objekten in dem Angriffsbereich, der Wahl des verfügbaren Angriffsmittels und dabei insbesondere dessen Genauigkeit, der Angriffszeit, den Wetterbedingungen sowie der Wahl des Angriffswinkels zu.382 Die Gewichtung der in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehenden Faktoren ist dabei stets eine Frage des Einzelfalls.383 Dabei erweist sich die Ermittlung, ob der zu erwartende zivile Kollateralschaden in einem exzessiven Verhältnis zum erwartungsgemäß aus dem fraglichen Angriff resultierenden unmittelbaren und direkten militärischen Vorteil steht oftmals aus einer Vielzahl von Gründen problematisch. Insbesondere deshalb, weil sie eine heterogene Vergleichsanstellung von an sich nicht unmittelbar vergleichbaren Faktoren – ziviler Kollateralschaden vs. militärischer Vorteil – erfordert384, weil aus der Abwägung von Menschenleben grundsätzliche moralische und ethische Schwierigkeiten resultieren385 und weil sich die Verhältnisbestimmung nicht mathematisch berechnen lässt, sondern vielmehr einer menschlichen und oftmals komplexen Wertung bedarf 386. Zugespitzt formuliert stehen militärische Befehlshaber vor der schwierigen Aufgabe in der Hitze des Gefechtes darüber zu entscheiden, wie viele Menschenleben unbeteiligter Zivilpersonen ein Angriff – etwa auf eine Brücke oder einen Panzer – im Lichte des Exzessverbotes zu rechtfertigen vermag. Erschwerend kommt hinzu, dass die Gewichtung der Faktoren durch den individuellen sozio-kulturellen Hintergrund des Rechtsanwenders geprägt ist und mithin einem einheitlichen rein objektiven Maßstab von Anfang an nicht zugänglich sein kann.387 Wenngleich die Ermittlung des verbotenen exzessiven Verhältnisses zwischen dem zu erwartenden zivilen Kollateralschaden und dem aus dem Angriff voraussichtlich resultierenden militärischen Vorteil einer menschlichen und mithin einer zu einem gewissen Maß subjektiv geprägten Wertung bedarf, führt dies jedoch gleichwohl nicht dazu, dass die Verhältnisbestimmung allein der subjektiven Einschätzung des zur Angriffsentscheidung Berufenen überlassen ist. Vielmehr be382
Byron, S. 193; Rogers (1996), S. 19. Schmitt (1999), S. 151. 384 Henderson, S. 223; Schmitt (1999), S. 151. 385 IHCJ, Public Committee Against Torture, S. 46. 386 Solis, S. 277; Borrmann (2010), S. 272; Fenrick (2009), S. 278; Dinstein, in: Wippmann/Evangelista, S. 215; Barber, R., S. 467. 387 Schmitt (1999) S. 151. 383
§ 4, C. Verhältnissetzung
111
steht Einigkeit darüber, dass der Maßstab der vom Exzessverbot geforderten Abwägung die Einschätzung eines objektivierten verantwortungsvoll handelnden und gut informierten militärischen Befehlshabers ist.388 Wie aus den staatlichen Interpretationserklärungen hervorgeht, ist das Verhältnismäßigkeitsurteil dabei auf die Grundlage aller vernünftigerweise zum Zeitpunkt der Angriffsentscheidung zur Verfügung stehenden Informationen zu stützen.389 In Ermangelung präziser Richtlinien über die Wertungsmaßstäbe eines objektivierten verantwortungsvoll handelnden und gut informierten militärischen Befehlshabers führt die dem Exzessverbot dennoch inhärente Wertungskomponente unausweichlich dazu, dass dem Rechtsanwender ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.390 Daher hängt die Effektivität des mit dem Exzessverbot bezweckten Schutzes von zivilen Objekten und Zivilpersonen in besonderem Maße davon ab, dass der zur Angriffsentscheidung Berufene gemäß der Verpflichtung aus Art. 31 (1) WVK die Vorschrift im guten Glauben anwendet.391 Laut Kalshoven begründet das Exzessverbot wegen der genannten Anwendungsschwierigkeiten ein „agonizing dilemma in which the law cannot provide a clear-cut answer“.392 Entsprechend ist durch Literatur393 und Rechtsprechung394 anerkannt, dass es rechtliche Grauzonen gibt, in denen nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden kann, ob der aus einem Angriff voraussichtlich resultierende Kollateralschaden eine Verletzung des Exzessverbotes begründet oder nicht. Dieses Problem schlägt sich insbesondere in militärischen Operationen koalierter Streitkräfte nieder. Denn insbesondere dort kann es zu bedeutungsschweren Meinungsverschiedenheiten über die Bestimmung der Exzessivität des zu erwartenden Kollateralschadens kommen. Dieser Problematik trägt das ICC Statut dadurch Rechnung, dass es in Art. 8 Sektion 2b iv) eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Begehung eines Kriegsverbrechens infolge einer Verletzung des Exzessverbotes an die zusätzliche Voraussetzung knüpft, dass der zu erwartende Kollateralschaden nicht nur exzessiv, sondern „clearly excessive“ im Verhältnis zum erwartungsgemäß aus einem Angriff resultierenden militärischen Vorteil sein muss.395
388
Henderson, S. 223; ICTY, Galic, Para.58. s. Interpretationserklärungen zum ZPI: Irland, Para. 9; Großbritannien, Para. c); Australien, Para. 4; Belgien, Para. 6; Deutschland, Para. 4; Italien, Para. 5; Kanada, Para. 6; Neuseeland, Para. 2; Niederlande, Para.6; Spanien, Para.7. 390 Barnidge, in: Banks, S. 280; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 588; Henderson, S. 208. 391 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 588. 392 Kalshoven (1992), S. 44. 393 Zimmermann, S. 136. 394 ICTY, Kupreskic et al., Para. 254. 395 So auch Stein, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 161. 389
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Nach Ansicht des ICTY kann sich eine Verletzung des Exzessverbotes bei einer Serie von Angriffen, die sich isoliert betrachtet jeweils in einer rechtlichen Grauzone bewegen, gleichwohl daraus ergeben, dass die aus den Angriffen resultierenden Kollateralschäden einer kumulativen Gesamtwertung unterzogen werden.396 Die Gebotenheit dieser kumulativen Betrachtungsweise folgt nach Auffassung des Gerichtshofs aus einer Auslegung des Exzessverbotes im Lichte der in der Martens’schen Klausel in Bezug genommenen Grundsätze der Menschlichkeit, die es erforderten eine Vorschrift zu Gunsten eines größtmöglichen Schutzes der Zivilbevölkerung auszulegen.397 Die Auffassung des Gerichtshofs erweist sich jedoch bereits im Lichte des Normenwortlauts als unzutreffend. Denn der Prüfungsgegenstand des Exzessverbotes ist ausweislich des im Singular gehaltenen Normenwortlauts – „an attack which may be expected to cause“ – stets ein einzelner Angriff und gerade nicht eine Serie von Angriffen. Eine kumulative Betrachtung der aus einer Serie von Angriffen resultierenden zivilen Kollateralschäden ist mithin mit dem Normenwortlaut unvereinbar. Fernerhin ist die zur Begründung der kumulativen Betrachtungsweise herangezogene Martens’sche Klausel – unabhängig davon, ob ihr die von dem ICTY zugesprochene Auslegungsfunktion zukommt398 – bereits nicht anwendbar. Denn die Anwendbarkeit der Klausel ist konditional an das Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke geknüpft.399 Eine Reglungslücke existiert jedoch gerade nicht. Denn die Zulässigkeit der voraussichtlichen Verursachung von Kollateralschäden hat durch das Exzessverbot eine ausdrückliche vertragliche Regelung erfahren. Folglich ist Gegenstand einer Prüfung des Exzessverbotes stets allein der jeweilige einzelne Angriff.
D. Zwischenergebnis Zutreffend resümiert der Israelische High Court of Justice in seinem vielbeachteten Targeted Killings Urteil in Bezug auf das Exzessverbot: „Despite the difficulties (. . .) there is no choice but to perform it.“ 400 Wenngleich sich die Ermittlung des exzessiven Verhältnisses in der Tat aus den dargelegten Gründen häufig als problematisch erweisen wird, gibt es gleichwohl eine Vielzahl denkbarer Szenarien in denen sich die Exzessivität des Verhältnisses unzweifelhaft feststellen lassen wird. So dürfte kein Zweifel darüber bestehen, dass der Angriff auf einen Panzerverband am Maßstab des Exzessverbotes zulässig ist wenn sich der 396
ICTY, Kupreskic et al., Para. 526. ICTY, Kupreskic et al., Para. 526. 398 s. dazu ausführlich Kapitel 3 § 6. 399 s. Wortlaut der Martens’schen Klausel: „In cases not covered by this Protocol or by other international agreements, civilians and combatants remain under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from principles of humanity and from dictates of public conscience.“ 400 IHCJ, Public Committee Against Torture, S. 46. 397
§ 5 Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff
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zu erwartende zivile Kollateralschaden in der Beschädigung eines zum Zeitpunkt des Angriffes unbewohnten Wohnhauses erschöpft. Genauso wenig dürfte es regelmäßig zweifelhaft sein, dass der zu erwartende Tod von 500 Zivilpersonen in einem exzessiven Verhältnis zum erwartungsgemäß aus der Tötung eines einzelnen gegnerischen Kombattanten resultierenden militärischen Vorteils steht. In jedem Fall verbieten sich in der Anwendung des Verbotes schematische Lösungen. Die Frage, ob der voraussichtlich aus einem Angriff resultierende Kollateralschaden im Lichte des Exzessverbotes zulässig ist kann vielmehr stets nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände im Einzelfall beantwortet werden.
§ 5 Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff Der Umstand, dass das Ziel eines Angriffes ein legitimes militärisches Ziel darstellt und, dass keine exzessiven Kollateralschäden zu erwarten sind, führt noch nicht automatisch dazu, dass der fragliche Angriff rechtmäßig ist. Vielmehr begründet Art. 57 ZPI, dessen Vorschriften qua ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechungen auch Nichtvertragsparteien binden401, zusätzliche Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Kriegshandlungen und Angriffen in Gestalt zu ergreifender aktiver Vorsichtsmaßnahmen.402 Die in Art. 57 ZPI enthaltenen, zum ersten Mal403 in verbindliche Vertragsform gegossenen, Vorsichtsmaßnahmen dienen einem zweifachen Zweck. Zum einen dienen sie der Absicherung des Unterscheidungsgrundsatzes, des Verbotes der Durchführung nichtdiskriminierender Angriffe und dabei insbesondere des Exzessverbotes und zum anderen enthalten sie zusätzliche autonome Verpflichtungen, die darauf abzielen, das Risiko schädigender Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, auf Zivilpersonen und auf zivile Objekte zu minimieren.404 Die Bedeutung dieser Vorsichtsmaßnahmen kann im Lichte aktueller Statistiken zur Verteilung der Opferzahlen in den bewaffneten Konflikten der Gegenwart, welche aussagen, dass 90 Prozent der Opfer Zivilpersonen sind, nicht hoch genug eingeschätzt werden.405 Die Pflicht zur Vornahme von Vorsichtsmaßnahmen kommt grundsätzlich auch beim Einsatz von UACVs uneingeschränkt zur Anwendung.406 Insbesondere hat 401 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 51 ff.; Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 302; Jensen, S. 193; Dinstein (2010), S. 138; Boothby (2009), S. 232; ICTY, Tadic (1997), Para. 111–112; speziell zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung im Luftkrieg: HPCR Commentary, S. 124 ff. 402 Quéguiner (2006), S. 794; Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 301. 403 Boivin, S. 35. 404 Borrmann (2010), S. 274; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 679. 405 s. mit statistischen Nachweisen: Henderson, S. 158. 406 HPCR Commentary, S. 135.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
der zur Vornahme der entsprechenden Vorsichtsmaßnahme Verpflichtete sicherzustellen, dass die technischen Fähigkeiten, die Ausrüstung und die intendierte Einsatzart eines autonomen UACVs eine Vornahme der einschlägigen Vorsichtsmaßnahmen ermöglicht.407 Daher sollen im Folgenden die für den Einsatz von autonomen UACVs relevanten Vorsichtsmaßnahmen dargelegt werden. In den folgenden Ausführungen soll, in Ermangelung spezieller Implikationen für den Einsatz von Mitteln der Kriegführung, die kontextsensitive Pflicht zur vorherigen wirksamen Warnung der Zivilbevölkerung aus Art. 57 (2) (c) ZPI allerdings unberücksichtigt bleiben.
A. Vorsichtsmaßnahmen im Rahmen militärischer Operationen Generalklauselartig enthält Art. 57 (1) ZPI als Ausfluss des Unterscheidungsgrundsatzes408 folgende Verpflichtung: „In the conduct of military operations, constant care shall be taken to spare the civilian population, civilians and civilian objects.“
Aufgrund des allgemein gehaltenen Wortlauts vermag Art. 57 (1) ZPI nach zum Teil vertretener Auffassung aus sich heraus keine materielle Wirkung zu entfalten. Rechtliches Gewicht komme der Vorschrift nach dieser Ansicht vielmehr nur in Verbindung mit den spezielleren in den nachfolgenden Absätzen enthaltenen Verpflichtungen zu.409 Wenngleich die nachfolgenden Absätze in der Tat der Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes aus Art. 57 (1) ZPI zu dienen bestimmt sind410, erweist sich die genannte Ansicht, welche der in Rede stehenden Vorschrift eine eigenständige rechtliche Bedeutung abspricht, im Lichte des Normenwortlautes als unzutreffend. Denn der Wortlaut von Art. 57 (1) ZPI offenbart, dass der Vorschrift nicht nur ein von den Folgevorschriften abweichender Anwendungsbereich zukommt, sondern dass die Vorschrift darüber hinaus auch einen anderen Normadressatenkreis verpflichtet und teilweise dem Schutz anderer Rechtsgüter dient. Während die in Art. 52 (2) und (3) ZPI kodifizierten Vorsichtsmaßnahmen ausschließlich im Zusammenhang mit Angriffen411 zur Anwendung gelangen, erstreckt sich der Anwendungsbereich von Art. 57 (1) ZPI auf militärische Operationen („military operations“). Das Merkmal „military operations“ umfasst da407
Boothby (2009), S. 231. Quéguiner (2006), S. 796. 409 Vgl. zur Darstellung dieser Ansicht: Quéguiner (2006), S. 796. 410 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 680. 411 Vgl. Wortlaut der Eröffnungsklausel von Art. 57 (2) ZPI „With respect to attacks, the following precautions shall be taken:“; aus dem Kontext der Vorsichtsmaßnahme aus Art. 57 (3) ZPI folgt ebenfalls eine Beschränkung des Anwendungsbereiches auf Situationen die in einem Zusammenhang mit Angriffen stehen. 408
§ 5, A. Vorsichtsmaßnahmen im Rahmen militärischer Operationen
115
bei jede Handlung militärischer Streitkräfte, die „with a view to combat“ durchgeführt werden.412 Mithin ist dem Merkmal ein weiteres Verständnis als dem Angriffsbegriff zugrunde zu legen, der laut der Legaldefinition aus Art. 49 (1) ZPI lediglich offensive und defensive Gewaltanwendungen gegen den Gegner erfasst.413 Weil der Anwendungsbereich von Art. 57 (1) ZPI mithin im Vergleich zu den nachfolgenden spezielleren Vorschriften weitergefasst ist, vermag die Ansicht, welche Art. 57 (1) ZPI eine eigenständige Rechtskraft abspricht, nicht zu überzeugen.414 Überdies ist ausweislich des insoweit klaren Normenwortlauts von Art. 57 (2) ZPI der Kreis der Normadressaten auf diejenigen Personen beschränkt, die einen Angriff planen oder beschließen. Aufgrund der allgemein gehaltenen Formulierung kann der Vorschrift eine mit Art. 57 (2) ZPI vergleichbare Verengung des Normadressatenkreises nicht entnommen werden. Vielmehr sind Adressaten der Norm alle diejenigen, die am Targeting-Process beteiligt sind, beginnend bei dem Planungsstab des Verteidigungsministeriums über den Kommandanten im Felde bis hin zum einzelnen Panzerkommandeur.415 Hinsichtlich der Verpflichtungsadressaten ist jedoch folgende teleologische Reduktion vorzunehmen. Verpflichtungsadressat der Norm kann nur derjenige sein, der über ein hinreichendes Maß an Informationen verfügt, so dass ihm die Beachtung der durch Art. 51 (1) ZPI statuierten Achtungspflicht auferlegt werden kann.416 Fernerhin dient Art. 57 (1) ZPI anders als etwa Art. 57 (2) (a) (i) und (b) ZPI ausschließlich dem Schutz der Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivilen Objekte. Aufgrund der soeben aufgeführten Alleinstellungsmerkmale ist zu konstatieren, dass Art. 57 (1) ZPI eine eigenständige von den Folgevorschriften losgelöste rechtliche Verpflichtung enthält und die nachfolgenden Vorschriften sie zwar konkretisieren, nicht jedoch inhaltlich abschließend determinieren. Inhalt dieser Pflicht ist es, wie dargelegt, bei militärischen Operationen stets darauf zu achten („constant care shall be taken“), dass die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte verschont bleiben. Der Constant-Care-Standard verdeutlicht, dass die in Art. 57 (1) ZPI niedergelegte Pflicht einen absoluten Charakter aufweist und daher ausnahmslos gilt.417 In Ermangelung einer vertraglichen Legaldefinition erweist sich eine exakte Bestimmung der Bedeutung der Achtungspflicht als problematisch. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass der Constant-Care-Standard zumindest dazu verpflichtet, die Effekte militärischer Operationen auf die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte nicht zu ignorieren.418 412 413 414 415 416 417 418
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 680. So auch Jensen, S. 194. So auch Quéguiner (2006) S. 797. Rogers (1996), S. 69; Boivin, S. 35. Oeter, in: Fleck, S. 208. HPCR Commentary, S. 125. Jensen, S. 194.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
B. Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff Art. 57 (2) und (3) ZPI normieren weitere die allgemeine Achtungspflicht aus Art. 57 (1) ZPI konkretisierende und komplementierende Vorsichtsmaßnahmen. I. Vorsichtsmaßnahmen in der Planungs- und Beschlussphase Art. 57 (2) (a) ZPI normiert verschiedene Pflichten zur Vornahme von Vorsichtsmaßnahmen in der Angriffsplanungs- und Beschlussphase. Bevor auf die einzelnen Vorschriften im Detail eingegangen werden soll, sollen zunächst der gemeinsame Anwendungsbereich und der für Art. 57 (2) (a) (i) und (ii) ZPI zentrale Begriff der „Feasibility“ beleuchtet werden. 1. Personeller Anwendungsbereich: „Those who plan or decide upon an attack“
Wie dargelegt, ist der personale Anwendungsbereich der in Art. 57 (2) (a) ZPI niedergelegten Verpflichtungen ungleich enger gefasst als in Art. 57 (1) ZPI. Denn ausweislich des Normenwortlauts verpflichten die Vorschriften aus Art. 57 (2) ZPI ausschließlich „those who plan or decide upon an attack“. Dazu gehören insbesondere Kommandostäbe.419 Insoweit ist die Interpretationserklärung der Schweiz, der zufolge Art. 57 (2) ZPI ausschließlich „commanding officers at the battalion or group level and above“ 420 verpflichtet, deklaratorisch für die geltende Rechtslage. Denn nur relativ hochrangige Befehlshaber verfügen über die notwenigen Informationen, die sie überhaupt erst in die Lage versetzen, die Gebotenheit der Vornahme alternativer Handlungen im Rahmen des Art. 57 (2) ZPI einschätzen zu können. Obschon die konkrete Angriffsentscheidung durch das autonome UACV selbst und mithin nicht durch einen Menschen getroffen wird, führt dies gleichwohl nicht dazu, dass Art. 57 (a) (i) und (ii) ZPI in Bezug auf durch autonome UACVs durchgeführte Angriffe nicht zur Anwendung gelangen.421 Denn die konkrete autonome Angriffsentscheidung wird vorab durch das Einprogrammieren der dafür maßgeblichen Parameter durch Menschen maßgeblich mitgeprägt und mithin überhaupt erst ermöglicht.422 Überdies ist der Begriff des Angriffs nicht auf die tatsächliche Angriffsdurchführung zu beschränken, sondern er umfasst auch alle vorab getroffenen Maßnahmen, welche Zivilpersonen und zivile Objekte bereits konkret gefährden. Dies verdeutlicht das Beispiel der Legung von Minen,
419 420 421 422
Oeter, in: Fleck, S. 208. Interpretationserklärung der Schweiz zum ZPI. So auch Boothby, in: Heintschel von Heinegg/Beruto, S. 123. Boothby, in: Heintschel von Heinegg/Beruto, S. 123.
§ 5, B. Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff
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welches auch als Angriff im Sinne der Begriffsdefinition zu qualifizieren ist.423 Mithin werden auch durch autonome UACVs durchgeführte Angriffe stets durch einen Menschen im Sinne der Art. 57 (1) (a) (i) und (ii) ZPI geplant und beschlossen. Aus dem Wortlaut folgt, dass der in Rede stehende Absatz nur in Bezug auf Angriffsentscheidungen oder Angriffsplanungen zur Anwendung gelangt. Maßgeblich ist insoweit die Legaldefinition aus Art. 49 (1) ZPI 424, der zufolge der Begriff des Angriffes sowohl die offensive als auch die defensive Gewaltanwendung gegen den Gegner umfasst. 2. Bedeutung des Zentralbegriffes „feasible“
Zentrales Element der Pflichten aus Art. 57 (2) (i), (ii) ZPI ist der Begriff „feasible“.425 Nach einhelliger Literaturansicht426 sowie nach der durch eine Vielzahl von Interpretationserklärungen zum Ausdruck gebrachter Auffassung der Vertragsparteien427 und nach Völkergewohnheitsrecht428 bedeutet feasible: „that which is practicable or practically possible, taking into account all circumstances prevailing at the time, including humanitarian and military considerations“.429 Aus der genannten Definition folgt zunächst, dass die in Art. 57 (2) (a) (i), (ii) ZPI niedergelegten Pflichten, anders als die allgemeine Achtungspflicht aus Art. 57 (1) ZPI, nicht absoluter, sondern lediglich relativer Natur ist.430 Denn was praktikabel oder praktisch möglich ist, richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach den verfügbaren Mitteln des Angreifers.431 Fernerhin setzt die Pflicht zur Vornahme von Vorsichtsmaßnahmen die Existenz alternativer Handlungsmöglichkeiten des Angreifers voraus.432 Das Definitionselement „taking into account all circumstances 423
Sandoz/Swinarski/Zimmerman, S. 603. s. Wortlaut Art. 49 (1) ZPI: „Attacks means acts of violence against the adversary, whether in offense or in defence.“ 425 Vgl. Wortlaut Art. 57 (2) (a) (i) ZPI: „do everything feasible“; Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI: „take all feasible precautions“. 426 Sandoz/Swinarski/Zimmerman, S. 680; Henderson, S. 161; Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 303; Dinstein (2010), S. 138; Borrmann (2010), S. 274; Rogers (1996), S. 58; Boivin, S. 37; Jensen, S. 201; Rogers (2000), S. 170. 427 Interpretationserklärungen zum ZPI: Irland, Para. 6; Großbritannien, Para. (b); Belgien, Para. 3; Deutschland, Para. 2; Italien, Para. 2; Kanada, Para. 4; Niederlande, Para. 2; Spanien, Para. 2. 428 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 54; HPCR Commentary, S. 38. 429 s. auch identischen Wortlaut von Art. 3 (4) Protokoll II von 1980 zur CCW. 430 Der im Zuge der Vertragsverhandlungen diskutierte Vorschlag auch im Rahmen des Art. 57 (2) ZPI einen absoluten Standard einzuführen wurde als „unreasonable“ mehrheitlich abgelehnt, vgl. Rogers (1996), S. 58. 431 Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 306. 432 Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 303. 424
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
prevailing at the time“ verdeutlicht, dass für die Ermittlung der im Einzelfall zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen nach Art. 57 (2) (a) (i), (ii) ZPI der Informations- und Kenntnisstand des Normadressaten zur Zeit der Angriffsentscheidung maßgeblich ist, so dass der Umfang der Pflichten des militärischen Befehlshabers durch seinen Kenntnisstand begrenzt ist.433 Daraus folgt, dass es unbeachtlich ist, wenn sich auf Grundlage erst später verfügbarer Informationen herausstellt, dass die Vornahme einer bestimmten Vorsichtsmaßnahme geboten gewesen wäre.434 Die Maßgeblichkeit des ex-ante Maßstabes trägt dem Umstand Rechnung, dass im Nebel des Krieges eine absolute Sicherheit im Hinblick auf die Vollständigkeit oder Richtigkeit der verfügbaren Informationen, auf denen die Pflichten zur Vornahme von Vorsichtsmaßnahmen basieren, schlicht nicht existiert.435 Welche Maßnahme im konkreten Einzelfall geboten ist, bemisst sich ausweislich der dargelegten Definition insbesondere am Maßstab militärischer und humanitärer Erwägungen. Mithin gilt es stets im Lichte humanitärer und militärischer Erwägungen zu ermitteln, welche der verfügbaren Handlungsalternativen zu wählen ist. Der bloße Umstand, dass eine verfügbare Handlungsalternative voraussichtlich in einem stärkeren Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler oder geschützter militärischer Ziele resultieren würde, verpflichtet mithin für sich genommen nicht dazu, auf diese zurück zu greifen. Zutreffend stellt Rogers heraus, dass der Feasibility Test mithin eine fein nuancierte Abwägung des Angreifers erfordert.436 Insoweit verdient die Feststellung Barbers „It is not possible to determine exactly what ,everything feasible‘ incorporates“ in der Tat Zustimmung.437 Weil die genannte allgemein anerkannte Definition kein Rangverhältnis beider Erwägungsgründe erkennen lässt, ist dem zur Entscheidung berufenen militärischen Befehlshaber hinsichtlich ihrer Gewichtung ein Ermessensspielraum zuzusprechen, der allerdings durch die Pflicht zur Auslegung völkerrechtlicher Normen im guten Glauben beschränkt und mithin nicht grenzenlos ist.438 3. Vorsichtsmaßnahmen zur Zielverifizierung
Art. 57 (2) (a) (i) ZPI verpflichtet diejenigen, die einen Angriff planen oder beschließen, „(to) do everything feasible to verify that the objectives to be attacked are neither civilians nor civilian objects and are not subject to special protection 433 s. Interpretationserklärung Österreichs zum ZPI: „Article 57, paragraph 2, of Protocol I will be applied on the understanding that, with respect to any decision taken by the military commander, the information actually available at the time of the decision is determinative.“ 434 HPCR Commentary, S. 39. 435 Dinstein (2010), S. 139. 436 Rogers (1996), S. 58. 437 Barber, P., S. 689. 438 So im Ergebnis auch Dinstein (2010), S. 139.
§ 5, B. Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff
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but are military objectives within the meaning of paragraph 2 of Article 52 and that it is not prohibited by the provisions of this Protocol to attack them“. In der Regel unterfallen nur relativ hochrangige Angehörige der Streitkräfte der Zielverifizierungspflicht, weil im Normalfall nur sie über die notwenigen Informationen verfügen um festzustellen, ob das anzugreifende Ziel militärischer Natur ist.439 Zentrales Element der Zielverifizierungspflicht ist der Begriff „feasible“. Wie bereits dargelegt, bedeutet feasible: „that which is practicable or practically possible, taking into account all circumstances prevailing at the time, including humanitarian and military considerations“. Die Fähigkeit zur Zielverifikation hängt im entscheidenden Maße von der Sammlung und Auswertung sowie der schnellen Zirkulation der verfügbaren Zielinformationen ab.440 Welche Vorsichtsmaßnahmen zur Zielverifikation im Einzelfall zu treffen sind, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach den verfügbaren technischen und personalen Ressourcen der jeweiligen Konfliktpartei zum Zeitpunkt der Angriffsplanung und -entscheidung.441 In jedem Fall setzt Art. 57 (2) (a) (i) ZPI voraus, dass überhaupt ein effektives System zur Sammlung und Auswertung von Zielinformationen besteht.442 In Bezug auf die Verifizierung des militärischen Charakters von nicht identifizierten Flugzeugen enthält das HPCR Manual einen umfangreichen Katalog von in der Staatenpraxis anerkannten Maßnahmen. Demgemäß kann die Zielverifikation in Abhängigkeit von den aktuell vorherrschenden Umständen und den von den fraglichen Luftfahrzeugen ausgehenden potentiellen Gefahren durch visuelle Identifikation, durch Identifikationsaufforderung per Funk, durch Auslesen ihrer Infrarot-, Radar- oder Elektrosignatur, durch Auswertung der Anzahl und Formation der Flugzeuge, sowie durch die Flughöhe, Geschwindigkeit und anderer Flugcharakteristika und unter Berücksichtigung der verfügbaren Informationen betreffend des zivilen Luftverkehrs vorgenommen werden.443 Problematisch ist die Frage der Auswirkung von Zweifeln auf die Pflicht militärischer Befehlshaber alles praktisch Mögliche zu tun, um sicherzugehen, dass die Angriffsziele militärischer Natur sind. Ein Teil der Literatur plädiert dafür, dass Art. 57 (2) (a) (i) ZPI den Angreifer selbst bei Vorliegen nur geringer Zweifel an der Natur des Angriffsziels dazu verpflichtet, zusätzliche Zielinformationen anzufordern und gegebenenfalls weitere Aufklärungsmaßnahmen zu befehligen.444 Zutreffend lehnt der überwiegende Teil der einschlägigen Literatur und 439
Dinstein, in: Wippman/Evangelista, S. 220. Quéguiner (2006), S. 797. 441 Henderson, S. 162; Quéguiner (2006), S. 797; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 680. 442 ICTY Final Report NATO Bombing Campaign, Para. 29. 443 HPCR Commentary, S. 136 ff. 444 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 680; Quéguiner (2006), S. 798. 440
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
der ICTY445 eine Pflicht zur absoluten Zweifelsbeseitigung als zu weitgehend ab.446 Den die Annahme der Existenz einer vollständigen Zweifelbeseitigungspflicht kommt einem absoluten Standard gleich, der im Rahmen des Art. 57 (2) (a) (i) ZPI gerade nicht eingeführt werden sollte. Dies belegt der Umstand, dass sich die Delegierten der Genfer Konferenz, ausdrücklich gegen die Aufnahme des Wortes „ensure“ zugunsten des Merkmals der Feasibility entschieden.447 Die insbesondere vom ICRC propagierte extensive Auslegung der in Rede stehenden Vorschrift ist mit der Feasibility-Definition und mithin mit dem Normenwortlaut unvereinbar. Denn ausgehend von der Definition des Begriffes der Feasibility sind bei der Auslegung der Vorschrift nicht nur humanitäre sondern gleichrangig auch militärische Erwägungen zu berücksichtigen. Folglich bemisst sich die Grenze des zulässigen Zweifelsgrades nicht nur an dem Ausmaß des für die Zivilbevölkerung drohenden Schadens, sondern auch an dem Ausmaß der Gefahr die sich für die eigenen Streitkräfte bei der Beschaffung weiterer Zielinformationen ergeben würde.448 Überdies gilt es dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die verfügbaren Aufklärungsressourcen der Konfliktparteien nicht unbegrenzt sind. Zutreffend hat der ICTY daher anerkannt, dass dem militärischen Befehlshaber ein Ermessenspielraum im Hinblick auf die Verwendung der verfügbaren Ressourcen zukommen muss.449 Fernerhin ist die Auslöschung jeglichen Zweifels an der Natur des Angriffszieles aufgrund des jeden bewaffneten Konflikts inhärenten Nebels des Krieges schlicht nicht möglich und kann daher im Rahmen des Feasbility-Standards auch nicht verlangt werden.450 Insbesondere auch deshalb nicht, weil es oftmals Teil der Strategie des Gegners ist, die Zielverifizierungsbemühungen durch Kriegslisten zu behindern und das Feuer auf falsche Ziele zu lenken.451 Insoweit ist die Feststellung Fenricks „There are no such things as error free wars.“ 452 herauszustellen. Gleichwohl kann der hier diskutierten Vorschrift im Einzelfall zumindest die Pflicht entnommen werden, sicherzustellen, dass die Zielinformationen nicht zu veraltet sind, um zu vermeiden, dass sich die Natur des Angriffszieles seit dem Zeitpunkt der Sammlung der Zielinformationen verändert hat.453 Wenngleich eine Pflicht zur Vornahme von Vorsichtsmaßnahmen zur endgültigen Zweifelsbeseitigung mithin nicht besteht, gilt es gleichwohl zu beachten, dass ein Ziel 445
ICTY Final Report NATO Bombing Campaign, Para. 29. Henderson, S. 163; Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 304. 447 Vgl. Darstellung der einschlägigen travaux préparatoires: Henderson, S. 163. 448 Henderson, S. 165. 449 ICTY Final Report NATO Bombing Campaign, Para. 29. 450 So im Ergebnis auch Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 304; Bothe/Partsch/ Solf, S. 279; Henderson, S. 164. 451 Quéguiner (2006), S. 799. 452 Fenrick (2001), S. 489. 453 Dinstein (2010), S. 140. 446
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aufgrund der Zweifelsfallregelungen aus Art. 52 (3) ZPI und Art. 50 (1) ZPI so lange nicht angegriffen werden darf bis sein Status geklärt ist. Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass sich die Antwort auf die Frage, welche Maßnahmen unter Art. 57 (2) (a) (i) ZPI beziehungsweise seiner völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechung zur Zielverifizierung zu treffen sind, stets nur im Einzelfall in Abhängigkeit zu den jeweils gegebenen Umständen ermitteln lässt. 4. Vorsichtsmaßnahmen betreffend die Wahl der Angriffsmittel und -methoden
Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI betrifft die Wahl der Angriffsmittel und -methoden. Der Vorschrift kommt daher für den Einsatz autonomer UACVs – die, wie dargelegt, als Angriffsmittel zu qualifizieren sind454 – besondere Bedeutung zu. Ihr liegt folgender Wortlaut zugrunde: „Those who plan or decide upon an attack shall: take all feasible precautions in the choice of means and methods of attack with a view to avoiding, and in any event to minimizing, incidental loss of civilian life, injury to civilians and damage to civilian objects.“
Die Regelung leitet sich aus dem Exzessverbot ab und dient mithin auch dessen Durchsetzung.455 Ausweislich des Normenwortlauts erschöpft sich die der Norm zu entnehmende Verpflichtung gleichwohl nicht darin, der Verursachung exzessiver Kollateralschäden vorzubeugen. Vielmehr verpflichtet sie darüber hinaus dazu, zivile Kollateralschäden durch die Vornahme aktiver Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und Angriffsmethoden zu vermeiden und in jedem Fall auf ein Minimum zu begrenzen. Die Verhinderung exzessiver Kollateralschäden im Sinne des Exzessverbotes in der Angriffsplanungs- und Angriffsentscheidungsphase ist Gegenstand der nachfolgenden Pflicht aus Art. 57 (2) (a) (iii) ZPI, der zufolge von Angriffen Abstand zu nehmen ist, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie exzessive Kollateralschäden verursachen. Folglich enthält Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI eine grundsätzliche von der Pflicht zur Vermeidung exzessiven Kollateralschadens unabhängige und vorgelagerte allgemeine Kollateralschadensminimierungspflicht.456 Weil die Kollateralschadensminimierungspflicht systematisch innerhalb von Art. 57 (2) (a) ZPI verortet ist, verpflichtet sie diejenigen, die einen Angriff planen oder beschließen. Mithin kommt sie nicht nur bei individuellen Angriffen, sondern insbesondere auch bereits in der gesamten Operations- und Kampagnenplanung zur Anwendung.457
454 455 456 457
Vgl. Kapitel 2. HPCR Commentary, S. 126. So auch Henderson, S. 168. Henderson, S. 168.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Da die Verpflichtung unter dem Vorbehalt der Feasibility steht, ist sie nicht absoluter, sondern lediglich relativer Natur. Daraus folgt zunächst, dass die konkret zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und Angriffsmethoden stets eine Frage des Einzelfalls am Maßstab der zur Zeit der Angriffsplanungs- beziehungsweise Angriffsentscheidungsphase vorherrschenden Umstände ist. Ausgehend vom Normenwortlaut („choice of means and methods of attack“) setzt Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI dabei zunächst voraus, dass dem militärischen Befehlshaber überhaupt mehrere Optionen real zur Verfügung stehen.458 Ist dies nicht der Fall, geht die Pflicht zur Vornahme aller praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zur Minimierung ziviler Kollateralschäden in das Leere. Allerdings hat der Angreifer nach Art. 57 (2) (a) (iii) ZPI dann von dem Einsatz dieses Mittels abzusehen, wenn damit zu rechnen ist, dass der Angriff zu exzessiven zivilen Kollateralschäden führt. Verfügt der Normadressaten jedoch über Handlungsalternativen, unterfällt er der Pflicht alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um zivilen Kollateralschaden auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Pflicht besteht ausweislich des Normenwortlauts sowohl hinsichtlich der Wahl der Angriffsmittel als auch der Angriffsmethoden. Angriffsmittel umfassen Waffen, Munition und Waffensysteme, der Begriff der Angriffsmethoden hingegen die Art und Weise ihrer Verwendung.459 In dem Kontext der Wahl der Angriffsmittel und Angriffsmethoden kommt die Relativität der Pflicht zur Vornahme praktisch möglicher Vorsichtsmaßnahmen im besonderen Maße zum Tragen. Denn die Anzahl der verfügbaren Alternativen variiert in Abhängigkeit zu dem technologischen Entwicklungstand der jeweiligen Konfliktpartei.460 Was praktikabel oder praktisch möglich ist, variiert mithin nicht nur von Angriff zu Angriff, sondern auch von Konfliktpartei zu Konfliktpartei.461 Überdies beeinflusst insbesondere auch die Art des Angriffsziels die unter Art. 57 (2) (a) (ii) zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen. Angriffsziele lassen sich laut Schmitt grob in zwei Kategorien einteilen.462 Die erste Kategorie bilden die sogenannten Planned Targets. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Angreifern bereits in der Angriffsplanungsphase bekannt sind und daher nach einem vorab ausgewählten Schema angegriffen werden können. Die zweite Kategorie besteht aus den sogenannten Immediate Targets. In Abgrenzung zur erstgenannten Kategorie sind diese den Angreifern nicht früh genug bekannt um sie dem normalen Targeting Process unterwerfen zu können. Mithin kann am Maßstab des Feasibility-Standards im Einzelfall die Auswahl an 458 459 460 461 462
Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 303. s. Kapitel 2. Rogers (1996), S. 69. Henderson, S. 173; Schmitt (2005) S. 460. Schmitt (2005) S. 450 ff.
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Vorsichtsmaßnahmen durch den Zeitdruck, der gegebenenfalls aus dem Gefahrenpotential eines Immediate Targets resultiert, geringer ausfallen als bei Angriffszielen, die der Kategorie der Planned Targets unterfallen. Folglich sind die zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel und Angriffsmethoden stark kontextabhängig.463 a) Wahl der Angriffsmittel Bei den anzustellenden Erwägungen des militärischen Befehlshabers hinsichtlich der Wahl der verfügbaren Angriffsmittel kommt deren Eigenschaften sowie der Verortung und den Charakteristika des Angriffszieles besondere Bedeutung zu.464 Zu den zu beachtenden Eigenschaften des Angriffsmittels gehören insbesondere deren Sprengradius, Fehlerquote und Präzision.465 Auch die Reichweite der eingesetzten Wirkmittel gilt es bei den Erwägungen im Rahmen des Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI zu berücksichtigen.466 Zudem ist die Fähigkeit des waffenvermittelnden Vehikels, die mitgeführten Wirkmittel entsprechend einzusetzen, von Bedeutung.467 Die genannten Eigenschaften des Angriffsmittels beeinflussen das drohende Ausmaß des aus einem Angriff resultierenden zivilen Kollateralschadens. Insbesondere der Einsatz aktueller ferngesteuerter UACVs kann in einer Vielzahl von Fällen dazu beitragen, zivilen Kollateralschaden zu begrenzen. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass sie aufgrund ihrer technischen Ausstattung (Video- sowie Infrarotkameras und Synthetic Aperture Radar) über herausragende Überwachungs-, Aufklärungs- und Zielauswahlfähigkeiten in Echtzeit verfügen.468 Der Standort des Angriffszieles ist deswegen für die Wahl des Angriffsmittels von Bedeutung, weil sich die Relevanz der Eigenschaften des eingesetzten Angriffsmittels für die Verursachung zivilen Kollateralschadens nur in diesem Kontext ermitteln lässt. So mag der Einsatz von präzisionsgesteuerter Munition im Einzelfall bei einem Angriff auf einen einzelnen Panzer in dicht besiedelten Gebieten im Lichte des Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI geboten sein. Befindet sich der einzelne Panzer jedoch in einer verlassenen Militärbasis, mag der Einsatz einer 10-Tonnen-Bombe mit großem Explosionsradius zwar aus wirtschaftlicher Sicht unvernünftig sein, aus rechtlicher Sicht wäre dies jedoch unbedenklich. Die Staatenpraxis in den jüngeren Konflikten der Gegenwart belegt, dass in einer Vielzahl von Fällen, insbesondere bei Angriffen in dicht bevölkerten Gebieten, der Einsatz präzisionsgesteuerter Munition als Vorsichtsmaßnahme unter 463 464 465 466 467 468
Schmitt, (2005) S. 461. Oeter, in: Fleck, S. 210. Borrmann (2010), S. 274; Henderson, S. 169, 170; Dinstein, S. 142. Schmitt (2005), S. 449. Schmitt (2005), S. 447. Schmitt, (2005), S. 448.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI geboten sein kann. So haben die USA in der Operation Enduring Freedom 2003 in 68 Prozent ihrer Angriffe auf präzisionsgelenkte Angriffsmittel zurückgegriffen.469 Die vereinzelt in der Literatur470 geäußerte Auffassung es habe sich eine Regel des Völkergewohnheitsrecht mit dem Inhalt herausgebildet, dass in dicht besiedelten Gebieten stets auf präzisionsgesteuerte Munition zurückzugreifen ist, erweist sich in Ermangelung einer entsprechenden von Rechtsüberzeugung getragenen Staatenpraxis der erforderlichen Einheitlichkeit, Dauer und Verbreitung jedoch als unzutreffend.471 Eine derartige vorbehaltslose Verpflichtung zum Einsatz präzisionsgelenkter Angriffsmittel besteht aufgrund des Feasibility-Standards auch auf der Ebene des Vertragsrechts nicht. Auch die Fehleranfälligkeit des eingesetzten Angriffsmittels ist nur begrenzt zu berücksichtigen. Sie sind nämlich nur dann zu berücksichtigen, wenn sie in einer hinreichenden Anzahl von Fällen bereits in Erscheinung getreten sind und daher von einer charakteristischen Ausfallquote gesprochen werden kann, die dem Normadressaten zum Zeitpunkt der Angriffsplanung oder Angriffsentscheidung bekannt ist.472 Neben den Eigenschaften des Angriffsmittels beeinflussen auch die Eigenschaften des Angriffszieles die Pflicht zur Vornahme von Vorsichtsmaßnahmen unter Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI. Zutreffend stellen Sandoz et al. fest: „When a wellplaced 500 kg projectile is sufficient to render a military objective useless, there is no reason to use a 10 ton bomb or a series of projectiles aimed without sufficient precision.“ 473 Im Umkehrschluss folgt daraus jedoch auch, dass der Einsatz von Angriffsmitteln die über eine hohe Durchschlagskraft und einen großen Sprengradius verfügen selbst dann zulässig ist, wenn er zu einem im Vergleich zu alternativen Angriffsmitteln höheren Risiko der Verursachung zivilen Kollateralschadens führt, solange dies für die Neutralisierung des Angriffszieles notwendig ist und der zu erwartende höhere Kollateralschaden in keinem exzessiven Verhältnis zum erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht. In jedem Fall ist die Wahl der Angriffsmittel im Lichte der militärischen Operation als Ganzes zu treffen. Daraus folgt, dass der bloße Umstand, dass ein Mittel, deren Einsatz einen geringeren Kollateralschaden erwarten lässt, real verfügbar ist, nicht zwingend dazu führt, dass dieses auch eingesetzt werden muss, wenn und soweit es für einem späteren Angriff reserviert ist.474 Insoweit kommt dem militärischen Befehlshaber ein Beurteilungsspielraum zu. Im Rahmen des 469 470 471 472 473 474
Huiss, S. 6. Belt, S. 174. So auch Schmitt (2005), S. 461. Henderson, S. 170. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 682. Henderson, S. 169.
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Feasibility-Standards stellt der Kostenfaktor für sich genommen allerdings keinen relevanten Faktor dar.475 Denn was praktikabel oder praktisch Möglich ist, bestimmt sich – wie dargelegt – einzig nach humanitären und militärischen nicht jedoch nach finanziellen Erwägungen. Daher lässt sich aus Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI eine Rechtspflicht zum käuflichen Erwerb der schonendsten Mittel selbst dann nicht ableiten, wenn die Konfliktpartei über hinreichende finanzielle Ressourcen verfügt.476 Die Ausstattung der Streitkräfte ist vielmehr grundsätzlich Angelegenheit der nationalen Politik einer jeden Konfliktpartei.477 Die insoweit bestehende Entscheidungsfreiheit der Konfliktparteien ist gleichwohl nicht schrankenlos. Zutreffend weist Schmitt darauf hin: „(. . .) the sole limitation on a State’s acquisition discretion is that it may not field weaponry that is inherently indiscriminate.“ 478 b) Wahl der Angriffsmethoden Die Wahl des Angriffsmittels ist im Lichte der Zielsetzung der Norm untrennbar mit der Wahl der Angriffsmethode verknüpft. Denn das Ausmaß zivilen Kollateralschadens ist nicht nur durch die Wahl des Angriffsmittels, sondern insbesondere auch durch die Art und Weise ihrer Verwendung beeinflusst. Anerkannte Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmethoden betreffen den Angriffszeitpunkt, die Wahl des Angriffswinkels, des Aim Points und der Angriffshöhe sowie der Entfernung aus welcher die Angriffsmittel eingesetzt werden.479 Eine seit dem zweiten Weltkrieg anerkannte Vorsichtsmaßnahme besteht darin, Angriffe nach Möglichkeit bevorzugt nachts durchzuführen.480 Denn dadurch wird die Wahrscheinlichkeit einer schädigenden Auswirkung des Angriffes auf Zivilpersonen in der Regel verringert. Im Rahmen des Kriteriums der Angriffszeit sind auch die im Angriffsgebiet aktuell oder erwartungsgemäß vorherrschenden Wetterbedingungen zu berücksichtigen.481 Denn starke Winde oder schlechte Sichtbedingungen können im Einzelfall die Präzision eines Angriffes und damit auch die von einem Angriff ausgehende Gefahr einer Verursachung ziviler Kollateralschäden massiv beeinflussen. Bei der Wahl der Angriffshöhe und der Entfernung aus der das fragliche Wirkmittel abgeschossen wird, schlägt sich die Verbindung zwischen Angriffsmittel und Angriffsmethode in besonderem Maße nieder. Denn während die Präzision 475
Schmitt (2005), S. 462. Quéguiner (2006), S. 803; Schmitt (2005), S. 460; Borrmann (2010), S. 274. 477 Schmitt (2005), S. 460. 478 Schmitt (2005), S. 460. 479 Dinstein (2010), S. 143; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 682; Quéguiner (2006), S. 800, 801; Henderson, S. 169; Borrmann (2010), S. 276; Schmitt (2005), S. 449; HPCR Commentary, S. 127. 480 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 682; Henderson, S. 169. 481 Borrmann (2010), S. 276. 476
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
nicht lenkbarer Waffen mit zunehmender Angriffshöhe und Angriffsentfernung nachlässt, steigert sie sich bei präzisionsgelenkten Waffen.482 Denn diese haben dann länger Zeit den begehrten Aim Point anzusteuern. Wegen des FeasibilityStandards wird die unter Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI zu wählende Angriffshöhe jedoch nicht nur durch Erwägungen hinsichtlich der daraus resultierenden Gefährdung für die Zivilbevölkerung oder für zivile Objekte geleitet. Vielmehr kommt auch der Gefährdung der eigenen Streitkräfte, etwa dem Piloten des waffenvermittelnden Vehikels, eine erhebliche Bedeutung zu. Denn bei niedriger Flughöhe sind die Piloten oftmals einem, im Vergleich zu einer hohen Flughöhe, erheblich erhöhten Risiko durch Luftabwehrstellungen der gegnerischen Konfliktpartei ausgesetzt.483 Die Wahl einer höheren Flughöhe kann im Einzelfall jedoch nicht nur zu einer erhöhten Sicherheit der angreifenden Streitkräfte, sondern darüber hinaus auch zu einer erhöhten Präzision des Angriffes führen. Denn sobald das waffenvermittelnde Vehikel unter Beschuss gerät, verringert sich oftmals dessen Fähigkeit die Wirkmittel gezielt einzusetzen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um bemannte militärische Luftfahrzeuge handelt.484 Laut Parks erhöht sich die Fehlerwahrscheinlichkeit um 200 Prozent sobald ein von Menschen gesteuertes militärisches Luftfahrzeug unter Beschuss gerät.485 Insoweit ist der Entscheidung über die Festlegung der Angriffshöhe im Rahmen des Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI eine fein nuancierte Abwägung zugrunde zu legen. Die Wahl des Angriffswinkels und des Aim Points ist für die Verursachung zivilen Kollateralschadens und mithin für Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI deswegen von Bedeutung, weil sie sich bei bestimmten Waffen oder Munitionsarten unmittelbar auf den Explosionsradius und damit auf den Gefährdungsgrad auswirkt.486 Wegen des Feasibility-Standards gilt auch in Bezug auf die Wahl der Angriffsmethoden nur ein relativer einzelfallabhängiger Standard hinsichtlich der in diesem Zusammenhang zu treffenden Vorsichtsmaßnahmen. 5. Pflicht zum Abstandnehmen von einer Angriffsentscheidung
Selbstständig neben der Pflicht zur Vornahme aller praktikablen oder praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zur Minimierung zivilen Kollateralschadens steht die in Art. 57 (2) (a) (iii) ZPI kodifizierte Pflicht desjenigen, der einen Angriff plant oder beschließt, von einem Angriff Abstand zu nehmen, wenn damit zu rechnen ist, dass er zu zivilen Kollateralschäden führt, die in einem exzessi-
482 483 484 485 486
Schmitt (2005), S. 450. Henderson, S. 177. Bothe/Partsch/Solf, S. 364. Parks (1990), S. 53. Henderson, S. 169.
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ven Verhältnis zu dem aus dem Angriff erwartungsgemäß resultierenden konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.487 Anders als die übrigen in Art. 57 (2) (a) ZPI niedergelegten Pflichten steht die in Rede stehende Verpflichtung zum Abstandnehmen von einer Angriffsentscheidung nicht unter dem Vorbehalt der Feasibility und ist mithin absoluter und nicht bloß relativer Natur. Der materielle Regelungsgehalt der Norm erschöpft sich darin, die praktische Wirksamkeit des Exzessverbotes zu sichern.488 Dies folgt daraus, dass Angriffe die erwartungsgemäß zu exzessiven zivilen Kollateralschäden führen, bereits als Unterfall eines nichtdiskriminierenden Angriffes unter Art. 51 (5) (b) ZPI verboten sind. Weil Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI keine über das Abstandnehmen von einer Angriffsentscheidung hinausgehende Pflicht statuiert kommt der Vorschrift im Vergleich zu dem Exzessverbot keine eigenständige Bedeutung zu. Jede Verletzung des Exzessverbotes begründet mithin zugleich eine Verletzung der Pflicht aus Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI. Daher kann insoweit auf die Ausführungen verwiesen werden, die im Rahmen des Exzessverbotes getroffen wurden.489 II. Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffseinstellung Gem. Art. 57 (2) (b) ZPI „shall (an attack) be cancelled or suspended if it becomes apparent that the objective is not a military one or is subject to special protection or that the attack may be expected to cause incidental loss of civilian life, injury to civilians, damage to civilian objects, or a combination thereof, which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated“. Aus der systematischen Verortung der Vorschrift außerhalb der Normadressatenklammer aus Art. 57 (2) (a) ZPI sowie aus dem Normeninhalt, der darauf abzielt einen Angriff zu unterbrechen oder endgültig zu beenden, folgt, dass Art. 57 (2) (b) ZPI eine zusätzliche und zeitlich den Pflichten aus Art. 57 (2) (a) nachgelagerte Pflicht normiert, die dann zur Entstehung gelangt, wenn ein Angriff bereits gestartet wurde. Darüber hinaus verdeutlicht der Normenwortlaut, dass sich die Pflicht zur Angriffseinstellung in wesentlichen Punkten von den zuvor dargelegten Vorsichtsmaßnahmen aus Art. 57 (2) (a) (i, ii) ZPI unterscheidet. Zunächst folgt aus der Verwendung des Begriffes „shall“ die absolute Natur der Pflicht zur Angriffsunterbrechung. Dies bedeutet, dass die Pflicht zur An487 s. Normenwortlaut: „Those who plan or decide upon an attack shall: refrain from deciding to launch any attack which may be expected to cause incidental loss of civilian life, injury to civilians, damage to civilian objects, or a combination thereof, which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated.“ 488 Henderson, S. 182. 489 s. Kapitel 3 § 4.
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griffsunterbrechung nicht dem Vorbehalt der Feasibility unterliegt. Auch der Kreis der Normadressaten ist aufgrund der offenen Formulierung weiter gefasst. So bindet die Norm nicht nur diejenigen, die einen Angriff planen oder beschließen, sondern auch diejenigen, die mit der Durchführung geplanter Angriffe betraut sind.490 Gleichwohl unterfällt die letztgenannte Personengruppe nur ausnahmsweise der Angriffsunterbrechungspflicht. Dies verdeutlicht die Bedingung an welche die Angriffsunterbrechungspflicht konditional geknüpft ist. Ausweislich des Normenwortlauts ist ein Angriff nur dann vorläufig oder endgültig einzustellen, wenn es sich „erweist“ 491, dass das Angriffsziel nicht militärischer Natur ist oder einem besonderen Schutz unterliegt oder, dass damit zu rechnen ist, dass der Angriff exzessive Kollateralschäden verursacht. Zentrales Element der in Rede stehenden Vorsichtsmaßnahme ist mithin der Apparent-Test. Ausgehend von der gem. Art. 31 (1) WVK maßgeblichen üblichen Wortbedeutung muss es sich für den Normadressaten als offensichtlich und klar erkennbar darstellen, dass das Angriffsziel nicht militärischer Natur ist oder, dass der Angriff voraussichtlich zu exzessiven zivilen Kollateralschäden führt.492 Folglich genügen bloße Zweifel des Angreifers an der Natur des Angriffszieles oder der Zulässigkeit des erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden zivilen Kollateralschadens nicht, um die Pflicht zur Angriffsunterbrechung auszulösen.493 Daraus folgt, dass der Kreis der Normadressaten eng zu fassen ist. Denn die ausweislich des Apparent-Tests notwendige eindeutige Klärung der für die Auslösung der Angriffsunterbrechungspflicht maßgeblichen Fragen, ob das Angriffsziel ein legitimes militärisches Ziel darstellt oder, ob der Angriff erwartungsgemäß zu exzessiven zivilen Kollateralschäden führt, erfordert ein hinreichendes Maß an Informationen, über die mit der direkten Durchführung eines Angriffs betraute Militärangehörige niedrigen Ranges insbesondere im Rahmen koordinierter Operationen in der Regel nicht verfügen.494 Denn die Ermittlung des aus einem Angriff voraussichtlich resultierenden militärischen Vorteils hat nicht nur im Lichte eines einzelnen Angriffs sondern vielmehr der militärischen Operation in seiner Gesamtheit zu erfolgen.495 Daher verengt sich der Kreis der Normadressaten regelmäßig auf Militärangehörige höheren Ranges, die über die notwendigen Informationen verfügen, um festzustellen, ob das Ziel militärischer 490
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 686; Henderson, S. 186. s. deutscher Wortlaut von Art. 57 (2) (b) ZPI: „Ein Angriff ist vorläufig oder endgültig einzustellen, wenn es sich erweist (. . .).“ 492 s. Bedeutung des Wortes „apparent“ nach dem Oxford Dictionary: „clearly visible or understood; obvious“, http://oxforddictionaries.com/definition/english/apparent. 493 Andere Auffassung: Quéguiner (2006), S. 803. Nach seiner Auffassung genügt bereits „any doubt“ auf Seiten des Angreifers um die Pflicht zur Angriffsunterbrechung auszulösen. 494 Bothe/Partsch/Solf, S. 367. 495 Quéguiner (2006), S. 804. 491
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Natur ist oder ob der zu erwartende zivile Kollateralschaden in einem exzessiven Verhältnis zu dem erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden konkreten unmittelbaren militärischen Vorteil steht.496 Eine Ausnahme kann allerdings dann angenommen werden, wenn sich auch für den unmittelbaren Angreifer zweifelsfrei „erweist“, dass das Ziel nicht militärischer Natur ist oder die zu erwartenden Kollateralschäden exzessiver Natur sind. Eine derartige Situation wird in der Praxis allerdings nur dann auftreten, wenn eine vorangegangene Angriffsplanung nicht stattgefunden hat oder wenn der geplante Angriff gegen sogenannte Targets of Opportunity gerichtet ist497, oder wenn die aktuelle Gefechtssituation erheblich von dem in dem Missionsbriefing skizzierten Einsatzszenario abweicht und eine Fehleinschätzung des Planungstabes evident ist.498 Ein derartiges Szenario liegt nach zutreffender Einschätzung von Queguiner in Bezug auf die Rechtsnatur eines Angriffsziel etwa dann vor, wenn die Besatzung eines Bombers den Auftrag erhalten hat, ein Objekt anzugreifen, welches nach den Informationen des Missionsbriefings eine Kommandozentrale des Gegners darstellt und sich dann jedoch herausstellt, dass dieses Objekt ein Schutzsymbol, etwa ein rotes Kreuz, aufweist, welches in dem Target Folder nicht erwähnt wurde.499 In diesem Fall hat die Besatzung den Angriff abzubrechen. Ein illustratives Beispiel aus der Praxis für Szenarien betreffend die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem voraussichtlich aus einem Angriff resultierenden zivilen Kollateralschaden einerseits und dem militärischen Vorteil anderseits liefert Allard. Demnach hatte eine australische aus 14 F/-18 Hornets bestehende Fliegerstaffel einen Angriff in letzter Minute abgebrochen, als sich herausstellte, dass sich Zivilpersonen in der Nähe des Angriffszieles aufhielten, die nicht in dem Missionsbriefing erwähnt wurden.500 Die dargelegten Beispiele verdeutlichen, dass Art. 57 (2) (b) ZPI die mit der Durchführung des Angriffs betrauten Angehörigen der Streitkräfte in jedem Fall nicht dazu verpflichtet ohne substantielle Anhaltspunkte „to second-guess their commanders“ 501. Denn Voraussetzung für die Pflicht des unmittelbaren Angreifers einen Angriff unter Missachtung der Lageeinschätzung des Planungsstabes abzubrechen, ist es, wie dargelegt, dass Umstände eintreten, die evident nicht in die der Angriffsplanung zugrunde liegenden Analyse eingeflossen sind. Grundsätzlich haben die unmittelbaren Angreifer also auf die Korrektheit der Einschätzung ihrer Vorgesetzten zu vertrauen. Insoweit statuiert Art. 57 (2) (b) ZPI keine zusätzlichen über Art. 57 (2) (a) ZPI hinaus496 497 498 499 500 501
Fenrick (1982), S. 109. Dinstein (2010), S. 141. Henderson, S. 184. Quéguiner (2006), S. 804. Allard, S. 1. Henderson, S. 184.
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gehenden Anforderungen betreffend die Sammlung und Auswertung von Zielinformationen.502 Ausweislich des Normenwortlauts („canceled or suspended“) ist der Angriff jedoch nicht in jedem Fall endgültig einzustellen. Vielmehr kann er dann fortgesetzt werden, wenn eine erneute Überprüfung unter Berücksichtigung der neu gewonnen Informationen durch den zuständigen Befehlshaber ergeben hat, dass der Angriff im Lichte des Unterscheidungsrundsatzes und des Exzessverbotes trotz veränderter Sachlage rechtlich unbedenklich ist.503 III. Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl zwischen mehreren legitimen Angriffszielen Art. 57 (3) ZPI normiert die bereits in Art. 8 (a) (2) der New Delhi Draft Rules von 1956504 enthaltene Pflicht zur Vornahme weiterer Vorsichtsmaßnahmen betreffend die Wahl zwischen mehreren legitimen Angriffszielen. Art. 57 (3) ZPI liegt folgender Wortlaut zugrunde: „When a choice is possible between several military objectives for obtaining a similar military advantage, the objective to be selected shall be that the attack on which may be expected to cause the least danger to civilian lives and to civilian objects.“
Aus der Verwendung des Begriffes „shall“ folgt zunächst, dass die Pflicht zur Wahl des „lesser of two evils“ 505, wie auch schon die Pflicht aus Art. 57 (2) (b) ZPI, absoluter Natur ist und mithin unabhängig davon zu befolgen ist, ob die Wahl „feasible“ ist oder nicht. Überdies folgt aus der systematischen Verortung der Vorschrift außerhalb des Art. 57 (2) (a) ZPI, dass die darin enthaltene Pflicht nicht auf die Angriffsplanungs- und Angriffsbeschließungsphase beschränkt ist, sondern vielmehr auch im bereits begonnenen Einsatz zur Anwendbarkeit gelangt. Wenngleich der Normenwortlaut den Verpflichtungsadressaten nicht erkennen lässt, folgt aus dem Normeninhalt, dass regelmäßig nur höherrangige Offiziere der Auswahlpflicht unterfallen, weil grundsätzlich nur sie über die erforderlichen Informationen verfügen, die notwendig sind, um die von Art. 57 (3) ZPI vorausgesetzte Vergleichbarkeit der aus einem Angriff resultierenden militärischen Vorteile zu bewerten.506 Eben aus dieser vorausgesetzten Vergleichbarkeit folgt, dass die in Rede stehende Vorschrift nur dann rechtliche Wirkungen entfaltet, wenn überhaupt eine Wahl zwischen mehreren militärischen Zielen zur
502
Henderson, S. 183. Quéguiner (2006), S. 804. 504 s. Wortlaut Art. 8 (2) (a): „When the military advantage to be gained leaves the choice open between several objectives, he is required to select the one, an attack on which involves least danger for the civilian population.“ 505 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 686. 506 Dinstein (2010), S. 140. 503
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Erreichung des mit einem Angriff verfolgten Zweckes besteht. Wenn mehrere legitime Ziele zur Auswahl stehen, hat der militärische Befehlshaber jedoch ausweislich des Normenwortlauts nicht immer dasjenige auszuwählen, bei dem im Falle eines Angriffes Zivilpersonen und zivile Objekte am wenigsten gefährdet werden. Vielmehr besteht diese absolute Pflicht nur dann, wenn ein Angriff auf dieses Ziel voraussichtlich in einem militärischen Vorteil resultiert, der vergleichbar ist, mit dem militärischen Vorteil, der aus einem Angriff auf das militärische Ziel resultiert, welches ein höheres Gefährdungspotential für Zivilpersonen und zivile Objekte aufweist. 1. Vergleichbarkeit des militärischen Vorteils
Zentrales Element der Pflicht aus Art. 57 (3) ZPI ist mithin die Vergleichbarkeit der erwartungsgemäß aus den Angriffen resultierenden militärischen Vorteile. Dem Begriff des militärischen Vorteils ist grundsätzlich dieselbe Bedeutung zuzusprechen, die ihm im Rahmen der Begriffsdefinition des objektbezogenen militärischen Ziels aus Art. 52 (2) 2 ZPI oder des Exzessverbotes aus Art. 51 (5) (b) ZPI zukommt, so dass insoweit auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.507 Gleichwohl offenbart der Wortlaut, dass der Begriff des militärischen Vorteils nicht vollständig deckungsgleich ist, sondern dass ihm im Rahmen des Art. 57 (3) ZPI eine weitere Bedeutung zugrunde zu legen ist als in Art. 51 (5) (b) ZPI und Art. 52 (2) 2 ZPI. Denn anders als bei den letztgenannten Vorschriften fehlt es bei Art. 57 (3) ZPI an einer vom Wortlaut vorgegebenen Verengung des Begriffes auf konkrete und unmittelbare oder eindeutige militärische Vorteile. Weil eine exakte Bestimmung des aus einem Angriff voraussichtlich resultierenden militärischen Vorteils nahezu unmöglich ist, ist dem militärischen Befehlshaber ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Vergleichbarkeitsprognose zuzusprechen.508 Daher ist die Anwendbarkeit der in Rede stehenden Vorschrift in der Praxis auf „the most straight forward cases“ reduziert.509 In der Literatur wird häufig auf das Beispiel eines Angriffes verwiesen, der die Stromversorgung des Gegners temporär unterbrechen soll. Im Einzelfall soll es nach Maßgabe des Art. 57 (3) ZPI geboten sein, nicht das Kraftwerk direkt anzugreifen, sondern vielmehr vitale Verteilernetzknotenpunkte zu zerstören.510 2. Geringere Gefährdung von Zivilpersonen und zivilen Objekten
Die Auswahlpflicht setzt nicht nur eine Vergleichbarkeit der militärischen Vorteile voraus, sondern darüber hinaus auch, dass ein Angriff auf das alternative 507 508 509 510
s. Kapitel 3 § 2 und 3 § 4. Bothe/Partsch/Solf, S. 357, 368; Dinstein (2010), S. 140. Henderson, S. 192. Quéguiner (2006), S. 805; Henderson, S. 189.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Angriffsziel Zivilpersonen und zivile Objekte voraussichtlich weniger gefährdet. Wenngleich der Normenwortlaut unterschiedslos Zivilpersonen und zivile Objekte als scheinbar gleichwertige Schutzgüter aufzählt, besteht Einigkeit darüber, dass der Vermeidung von Gefahren für Zivilpersonen bei der anzustellenden Gefährdungsprognose ein höherer Stellenwert einzuräumen ist als dem Schutz ziviler Objekte.511 Laut Parks ist dem Schutz eines einzigen Lebens eine höhere Bedeutung zuzusprechen als dem Schutz des Louvre oder anderer historischer Monumente.512 In Bezug auf die Vergleichbarkeit der Gefährdung von Zivilpersonen gilt unbestritten die Maxime der Gleichwertigkeit menschlichen Lebens unabhängig von der Hautfarbe, dem Geschlecht oder dem Alter.513 Anders verhält es sich hingegen in Bezug auf die Gewichtung im Rahmen der Gefährdungsprognose bei zivilen Objekten. Obschon das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts insoweit keine Kriterien bereithält, besteht Einigkeit darüber, dass die Zweckbestimmung des Objekts und die daraus resultierenden Auswirkungen einer Zerstörung auf die Zivilbevölkerung sowie dessen Ersetzbarkeit valide Kriterien zur Ermittlung der Wertigkeit ziviler Objekte darstellen.514 Gleichwohl lässt sich der Gefährdungsgrad ebenso wie die Vergleichbarkeit des aus einem Angriff voraussichtlich resultierenden militärischen Vorteils nicht exakt bestimmen, so dass dem militärischen Befehlshaber erneut ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist. IV. Vorsichtsmaßnahmen bei Kriegshandlungen auf See oder in der Luft Weil die Vorschriften aus Teil IV des ZPI betreffend den Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen von Feindseligkeiten, zu denen auch die Pflichten aus Art. 57 ZPI gehören, gem. Art. 49 (3) ZPI nur insoweit auf Kriegshandlungen auf See oder in der Luft anwendbar sind, dass sie Auswirkungen auf Zivilpersonen und zivile Objekte auf dem Land entfalten, stellt Art. 57 (4) ZPI klar, dass die Konfliktparteien bei militärischen Operationen auf See oder in der Luft ohne derartige Auswirkungen an Land im Einklang mit den für sie anwendbaren Recht des bewaffneten Konflikts alle „reasonable precautions“ zu treffen haben, um Verluste unter der Zivilbevölkerung und Beschädigungen ziviler Objekte zu vermeiden. Dem Begriff „reasonable precautions“ ist dabei ein weiteres Verständnis zugrunde zu legen als dem Begriff „feasible precautions“.515 Weil
511 512 513 514 515
Rowe, S. 163; Henderson, S. 190; Bothe/Partsch/Solf, S. 368. Parks (1990), S. 148. Henderson, S. 192. Henderson, S. 192. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 686.
§ 6 Martens’sche Klausel
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die aus Art. 57 (1–3) ZPI zu entnehmenden weitergehenden Pflichten jedoch heute ausnahmslos auch im Luftkriegsrecht516 und größtenteils auch im Seekriegsrecht517 anwendbar sind, kommt dem Minimumstandard aus Art. 57 (4) ZPI nunmehr keine eigenständige Bedeutung zu.
§ 6 Martens’sche Klausel Wann immer in der Vergangenheit neue Mittel der Kriegführung aufgekommen sind, hat die Martens’sche Klausel – welche nach ihrem geistigen Vater, dem russischen Diplomaten Fyodor Fyodorovich Marten benannt wurde – stets einen Angelpunkt der Diskussion gebildet.518 Zuletzt geschah dies im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen. Obschon die Martens’sche Klausel seit ihrer ersten Kodifikation in der Präambel des Haager Abkommens II 1899 über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges in nahezu jedem nachfolgenden Vertrag des Rechts des bewaffneten Konflikts519 und in zahlreichen Militärhandbüchern520 aufgenommen, und in der Rechtsprechung nationaler521 und internationaler522 Gerichte in Bezug genommen wurde, gibt es bisher keine einheitlich anerkannte Interpretation.523 Gegenstand des folgenden Abschnitts soll es sein, zu untersuchen, ob und inwieweit die Martens’sche Klausel bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Einsatzes autonomer UACVs heranzuziehen ist. Dazu sollen zunächst einführend die historischen Umstände, welche zur Entstehung der Klausel im Rahmen der diplomatischen Haager Konferenz im Juni 1899 geführt haben, kurz skizziert und die verschiedenen Ausformungen der Klausel dargelegt werden. Nachfolgend soll dann der Meinungsstand in der Literatur und die Auslegung der Klausel in der nationalen und internationalen Jurisprudenz sowie der Staatengemeinschaft aufgezeigt werden. Abschließend soll zu den verschiedenen Auffassungen Stellung bezogen und der rechtliche Gehalt der Klausel ermittelt werden.
516
HPCR Commentary, S. 124 ff. San Remo Manual, S. 16. 518 Strebel (1961), S. 485. 519 s. Präambel HLKO, Art. 63 GA I, Art. 62 GA II, Art. 142 GA III, Art. 158 GA IV, Art. 1 (2) ZPI, Präambel ZPII, Präambel CCW, Präambel CCM. 520 UK, USA, Deutschland. 521 SCN, Klinge Case, S. 263; IMT, Krupp et al., S. 1338; DSCC, Rauter Case, S. 561; CGB, K. W. Case, S. 566; BVerfG (2005), S. 563. 522 ICYT, Martic ´ , Para. 13; ICTY, Kupreškic´, Para. 525; ICTY, Furundzˇija, Para. 137; IGH, Nuclear Weapons, S. 259. 523 Ticehurst, S. 125; Crawford, E., S. 2; Meron, The Martens Clause, S. 79; Chetail, S. 258; Strebel (1961), S. 485. 517
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
A. Historischer Ursprung und Evolution der Martens’schen Klausel Die Aufnahme der Martens’schen Klausel in Absatz 9 der Präambel des II. Haager Abkommens, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1899, war das Ergebnis eines festgefahrenen diplomatischen Disputes während der Haager Friedenskonferenz zwischen den militärischen Großmächten und einer Gruppe kleinerer Staaten über die Frage, ob und inwieweit die Bevölkerung von besetzten Gebieten zum bewaffneten Widerstand gegen die Besatzungsmacht berechtigt ist.524 Während die von Belgien angeführte Gruppierung vehement die Einräumung eines uneingeschränkten Widerstandsrechtes einforderte525, vertraten die militärischen Großmächte die Auffassung, derartige Widerstandskämpfer seien wie Kriminelle zu behandeln und daher mit dem Tode zu bestrafen526. Die verhärteten Positionen beider Lager spiegelten unmittelbar deren gegenläufige Interessen wider. Die kleineren Länder fürchteten in zukünftigen Konflikten zwischen den Großmächten zum bloßen Spielball strategischer Gesamtplanungen zu werden, während letztere um die Sicherheit ihrer rückwärtigen Nachschub- und Kommunikationslinien besorgt waren.527 Diese Pattsituation, welche den Erfolg der Haager Friedenskonferenz ernsthaft in Frage stellte, konnte erst durch eine von Marten vorgeschlagene und von den Vertragsstaaten sodann einstimmig angenommenen Klausel überwunden werden.528 Der in Absatz 9 der Präambel aufgenommenen Klausel liegt folgender Wortlaut zugrunde: „Until a more complete code of the laws of war is issued, the High Contracting Parties think it right to declare that in cases not included in the Regulations adopted by them, populations and belligerents remain under the protection and empire of the principles of international law, as they result from the usages established between civilized nations, from the laws of humanity, and the requirements of the public conscience.“
Die Klausel wurde bis auf einige Änderungen redaktioneller Art nahezu wortgleich in die Präambel des nachfolgenden IV. Haager Abkommens 1907, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, übernommen. Im Kernbereich der Klausel wurde lediglich „requirements“ durch „dictates“ ersetzt. Weil die vier Genfer Abkommen keine Präambel enthalten wurde die Klausel in den operativen Vertragsteil verlagert. Konkret wurde sie in die in allen vier Abkommen gleichlautenden Kündigungsvorschriften aufgenommen. Demnach bleibt es den Vertragsstaaten zwar freigestellt, das jeweilige Abkommen zu kündigen, die Kün524 525 526 527 528
Crawford, E., S. 1, Pustogarov, S. 306; Ticehurst, S. 125. Pustogarov, S. 306. Ticehurst, S. 125. Kalshoven/Zegveld, S. 22. Crawford, E., S. 1.
§ 6, A. Historischer Ursprung und Evolution der Martens’schen Klausel
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digung soll dabei jedoch ohne jede Auswirkung auf die bestehenden außervertraglichen Verpflichtungen des kündigenden Staates bleiben. Wie sich dem Wortlaut entnehmen lässt, sind Art und Umfang der fortgeltenden außervertraglichen Verpflichtungen der Martens’schen Klausel entnommen: „The denunciation shall have effect only in respect of the denouncing Power. It shall in no way impair the obligations which the Parties to the conflict shall remain bound to fulfill by virtue of the principles of the law of nations, as they result from the usages established among civilized peoples, from the laws of humanity and the dictates of the public conscience.“
Eine sprachliche Modernisierung529 erfuhr die Klausel im Bereich des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts im Zuge ihrer Kodifikation in Art. 1 (2) des ZPI. Dort heißt es: „In cases not covered by this Protocol or by other international agreements, civilians and combatants remain under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from principles of humanity and from dictates of public conscience.“
Unverkennbar spiegelt die Modernisierung der Klausel den veränderten Sprachgebrauch der Völkerrechtspraxis wider. So wurde der zuvor übliche Begriff „law of nations“ durch den inhaltsgleichen moderneren Begriff „international law“ ersetzt. Darüber hinaus wurde „usages established among civilized nations“ durch „established custom“ ersetzt. Die ursprünglich verwandte Konkretisierung „civilized peoples“ spiegelte das hauptsächlich im 19., aber teilweise noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts geltende Verständnis der eurozentrischen Völkerrechtsepoche über die Konzeption des Völkerrechts als ius gentium volutarium wider. Nach diesem Verständnis waren als Rechtssubjekte des Völkerrechts allein zivilisierte Völker nicht jedoch primitive Völker anerkannt.530 Vor dem Hintergrund des spätestens mit dem Inkrafttreten der UN-Charter geltenden Grundsatzes der souveränen Gleichheit aller Staaten wurde diese Unterscheidung jedoch gegenstandslos. Folglich erschöpft sich die Modernisierung der Klausel in der Anpassung ihres Wortlauts an den Sprachgebrauch des modernen Völkerrechts, so dass der veränderte Wortlaut keine Veränderung ihres Aussagegehalts bewirkt.531 Anders verhält es sich hingegen mit der Version der Martens’schen Klausel, welche in die Präambel des zweiten Zusatzprotokolls zu den vier Genfer Abkommen aufgenommenen wurde. Denn ihr liegt folgender stark reduzierter Wortlaut zugrunde: 529 530 531
IGH, Nuclear Weapons, S. 257; Meron, The Martens Clause, S. 80. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 231; Crawford, J., S. 14. Strebel (1984), S. 252; Kalshoven/Zegveld, S. 85; Miyazaki, in: Swinarski, S. 436.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
„Recalling that, in cases not covered by the law in force, the human person remains under the protection of the principles of humanity and the dictates of the public conscience.“
Auffällig ist zunächst der völlig fehlende Bezug zum Völkerrecht.532 Die Begriffe „principles of international law“ und „established custom“ wurden ersatzlos gestrichen. Die aus der Veränderung des Wortlauts resultierende Entrechtlichung wird zudem durch die Rückversetzung der Klausel in die Präambel verstärkt. Diese „Entmannung“ 533 der Klausel ist dem Umstand geschuldet, dass die Staatengemeinschaft nicht dazu bereit war, den Bereich des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts extensiven Regelungen zu unterwerfen.534 Entsprechend kann der Klausel im Rahmen des ZPII bereits ihrem Wortlaut nach keine materiell-rechtliche Bedeutung zukommen. Ob im Umkehrschluss dann der dem ZPI zugrunde liegenden Version irgendeine noch näher zu bestimmende rechtliche Bedeutung zukommen muss und, ob diese gegebenenfalls so weit reicht, dass sich aus der Klausel rechtliche Beschränkungen für den Einsatz autonomer UACVs entnehmen lassen, soll im Folgenden untersucht werden.
B. Rechtliche Bedeutung der Klausel Eine Untersuchung des materiellen Regelungsgehalts der Klausel ist für die vorliegende Arbeit jedoch nur dann von Bedeutung, wenn sie auf den Untersuchungsgegenstand überhaupt anwendbar ist. Daher soll nachfolgend zunächst der Anwendungsbereich der Klausel dargelegt werden. I. Anwendungsvoraussetzung: Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke Dem Wortlaut entsprechend – „In cases not covered by this Protocol or by other international agreements, (. . .)“ – setzt die Klausel zunächst das Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke voraus. Auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand übertragen, müsste die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von autonom über den Einsatz tödlicher Gewalt entscheidender UACVs zu denjenigen Fällen gehören, die von dem Zusatzprotokoll I oder anderen internationalen Übereinkünften nicht erfasst sind. 1. Luft-Luft Einsatzszenarien
Gem. Art. 49 (3) 1 ZPI ist die Anwendbarkeit des Abschnitts über den allgemeinen Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen der Feindseligkeiten 532 533 534
s. auch Meron, The Martens Clause, S. 81. Meron, The Martens Clause, S. 81. Greenwood, in: Rowe, S. 112.
§ 6, B. Rechtliche Bedeutung der Klausel
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begrenzt auf „any land, air or sea warfare which may affect the civilian population, individual civilians or civilian objects on land“. Darüber hinaus stellt Art. 49 (3) 2 ZPI klar, dass der Abschnitt ferner nur Anwendung findet auf „all attacks from the sea or from the air against objectives on land.“ Aus der Beschränkung auf Auswirkungen auf dem Land und insbesondere aus dem letzten Halbsatz aus Art. 49 (3) 2 demzufolge der in Rede stehende Abschnitt „do not otherwise affect the rules of international law applicable in armed conflict at sea or in the air“ geht eindeutig hervor, dass die Art. 48 ff. ZPI auf genuine See-See und Luft-Luft Situationen keine Anwendung finden. Dieser Begrenzung liegt die bewusste Entscheidung der Delegierten zugrunde, das im Luft- und Seekrieg geltende Recht insoweit nicht durch Regelungen des ZPI zu modifizieren.535 Ferner gibt es bis heute keinen verbindlichen den Luftkrieg regulierenden Vertrag. Der bisher einzige Versuch einer Kodifikation ist mit den nicht in Kraft getretenen Haager Luftkriegsregeln von 1925 gescheitert. Da somit der Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung in Luft-Luft Szenarien einer vertraglichen Regelungslücke unterliegen, ist der Anwendungsbereich der Martens’schen Klausel insoweit eröffnet.536 2. Luft-Boden Einsatzszenarien
Der Bereich der Luft-Boden Kriegführung kommt der Abschnitt über den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung des Zusatzprotokolls I hingegen vollumfänglich zur Anwendung. Somit ist fraglich, ob die von der Klausel vorausgesetzte vertragliche Regelungslücke existiert. Welche Anforderungen an das Bestehen der den Anwendungsbereich der Klausel eröffnenden Regelungslücke zu stellen sind, ist dem Wortlaut nicht eindeutig zu entnehmen. Die Problematik liegt darin, dass zwar einerseits der Einsatz von autonomen UACVs vertraglich nicht gesondert geregelt worden ist, aber dass anderseits, die in dem Zusatzprotokoll I kodifizierten Grundsätze über den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung anwendbar sind. Wenn die Klausel im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar sein soll, dürfte das Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke demgemäß nicht bereits durch die bloße Anwendbarkeit der allgemeinen vertraglich fixierten Grundsätze wie etwa dem Unterscheidungsgrundsatz, dem Exzessverbot oder den Vorschriften über die gebotenen Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff ausgeschlossen sein. Soweit ersichtlich ist die Problematik der an das Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke zu stellenden Voraussetzungen bisher weder in der völkerrechtlichen Literatur noch in der Rechtsprechung differenziert behandelt worden. Allerdings lassen sich aus den vertretenen Auffassungen zum materiellen Regelungsgehalt mittelbar Rückschlüsse auf den Anwendungsbereich der Klausel 535 536
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 605, 606. Ronzitti, in: Ronzitti/Venturini, S. 15.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
ziehen. Obwohl die diesbezüglich vertretenen Auffassungen – wie noch zu zeigen ist – erheblich differieren, wurde das Argument des Fehlens einer vertraglichen Regelungslücke – soweit ersichtlich – einzig von Russland erhoben, um einen Rückgriff auf die Klausel im Rahmen einer Rechtmäßigkeitsprüfung von Mitteln der Kriegführung auszuschließen. So erklärte Russland in seiner Stellungnahme im Rahmen des Nuklearwaffen-Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs, die Klausel sei „formally inapplicable“, weil das Recht des bewaffneten Konflikts durch die Genfer Abkommen von 1949 und die beiden Zusatzprotokolle von 1977 eine vollständige Kodifikation erfahren habe.537 Weil sich dieser Auffassung jedoch keine weiteren Staaten angeschlossen haben, muss sie als isolierte Einzelmeinung qualifiziert und mithin als nicht repräsentative Auslegung der Klausel qualifiziert werden. Aus dem Umstand, dass diejenigen Staaten, die sich dafür aussprechen Mittel der Kriegführung am Maßstab der Klausel zu prüfen, das Problem der Anwendungsschwelle nicht zum Gegenstand ihrer Argumentation machten, kann geschlossen werden, dass sie das Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke offenbar vorausgesetzt haben. Gegen die Annahme einer Regelungslücke sprechen jedoch die bereits dargelegten Umstände die zur erstmaligen Kodifikation der Martens’schen Klausel in dem II. Haager Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1899 führten. Denn die Frage, ob und inwieweit die Bevölkerung von besetzten Gebieten zum bewaffneten Widerstand gegen die Besatzungsmacht berechtigt ist wurde durch den Vertrag überhaupt nicht geregelt. Erst die Einführung der Klausel in die Präambel konnte den darüber entbrannten Streit beenden.538 Vorliegend kann das Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke jedoch dahinstehen, wenn die Klausel materiell nicht als unmittelbarer Prüfungsgegenstand für Mittel der Kriegführung herangezogen werden kann. Daher soll im Folgenden zunächst dieser Frage nachgegangen werden. II. Materieller Regelungsgehalt der Martens’schen Klausel Der materielle Regelungsgehalt der Klausel ist bis heute hoch umstritten.539 Die bestehenden Unsicherheiten in der Handhabung der Klausel veranlassten Cassese gar dazu ihr die Eigenschaft als „one of the contemporary legal myths of the international community“ 540 zuzusprechen. Die bestehenden Auslegungsprobleme veranlassten das ICRC wohl auch dazu, die Martens’sche Klausel nicht 537
Written Statement Russlands zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 13. Crawford, E., S. 1; Ticehurst, S. 125; Pustogarov, S. 306. 539 Ticehurst, S. 125; Crawford, E., S. 2; Meron, The Martens Clause, S. 79; Chetail, S. 258; Strebel (1961), S. 485. 540 Cassese (2000), S. 187. 538
§ 6, B. Rechtliche Bedeutung der Klausel
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in seiner Völkergewohnheitsrechtsstudie zu behandeln541, obwohl der IGH der Klausel bereits 1996 in seinem Nuklearwaffen-Gutachten ausdrücklich eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung zusprach.542 Denn andernfalls hätte das ICRC, wie bei allen übrigen in der Studie aufgeführten Regelungen, zu ihrer Auslegung Stellung beziehen müssen. Zur Verdeutlichung der offenbar auch beim ICRC bestehenden Unsicherheiten sei nur darauf hingewiesen, dass die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie ebenfalls noch in weiten Teilen ungeklärte Problematik der direkten Teilnahme von Zivilpersonen an den Feindseligkeiten dennoch in die Studie aufgenommen wurde.543 In Ermangelung einer einheitlich akzeptierten Auslegung der Klausel soll zunächst im Hinblick auf die vorliegend zu untersuchende Frage, ob die Klausel für sich genommen tauglicher Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit von neuen Mitteln der Kriegführung sein kann, der Meinungsstand innerhalb der Literatur, vor allem aber die Anwendung der Klausel in der nationalen und internationalen Judikatur und durch die Staatengemeinschaft dargelegt werden. Weil die Klausel nur dann als Prüfungsmaßstab fungieren kann, wenn den in der Klausel aufgeführten Tatbestandsmerkmalen – Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens – normative Kraft zukommt, soll die folgende Darstellung im Wesentlichen auf diese Fragestellung verengt werden und nicht das gesamte Spektrum der vertretenen Ansichten detailliert dargetan werden. Abschließend soll dann zu den dargelegten Positionen Stellung bezogen werden. 1. Meinungsstand in der Literatur
Wenngleich die Lehrmeinungen für die Feststellung völkerrechtlicher Regelung „proportional zum Anwachsen der Lehrmeinungen“ 544 an Bedeutung verloren haben, sind sie dennoch gem. Art. 38 (1) lit. c Alt. 2 IGH Statut als subsidiäre Hilfsmittel zur Feststellung völkerrechtlicher Normen anerkannt. Daher soll zunächst der Meinungstand in der völkerrechtlichen Literatur kurz skizziert werden. Einigkeit besteht einzig darüber, dass die in der Klausel verwandte Formulierung „established custom“ auf das Völkergewohnheitsrecht verweist und die Klausel mithin zumindest an die Anwendbarkeit dieser Rechtsquelle im Falle einer vertraglichen Regelungslücke erinnert.545 Anders verhält es sich jedoch mit dem Verständnis über die Bedeutung der Begriffe Grundsätze der Menschlichkeit 541 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. XXX: „A number of topics could not be developed in sufficient detail for inclusion in this edition (. . .). These include for example the Martens Clause (. . .).“ 542 IGH, Nuclear Weapons, S. 259. 543 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 19 ff. 544 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 255. 545 Dinstein (2010), S. 56; Crawford, E., S. 7, 22; Meron, The Martens Clause, S. 87; Strebel (1984), S. 252.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
und Forderungen des öffentlichen Gewissens. Ob diesen Tatbestandsmerkmalen rechtliche Verpflichtungen mit dem Inhalt zu entnehmen sind, dass die Rechtmäßigkeit von Mittel und Methoden der Kriegführung am Maßstab der Grundsätze der Menschlichkeit oder des öffentlichen Gewissens zu beurteilen sind, ist hoch umstritten. a) Klausel kein eigenständiger direkter Prüfungsmaßstab für Mittel und Methoden der Kriegführung Die wohl überwiegende Mehrheit der Stimmen in der Literatur lehnt dies ab.546 Zur Begründung wird insbesondere angeführt, dass die strittigen Tatbestandsmerkmale zu unbestimmt seien, um als Grundlage für eine normative Beschränkung der Handlungsfreiheit der Staaten in bewaffneten Konflikten zu fungieren.547 Laut Crawford sei „The battlefield (. . .) no place for ambiguous and amorphous rules“.548 Denn insbesondere in bewaffneten Konflikten komme es in besonderem Maße auf eine gewisse Vorhersehbarkeit der Auslegung und Anwendung von Normen an.549 Eine solche sei aber in Ermangelung der Bestimmbarkeit der konstitutiven Elemente der Grundsätze der Menschlichkeit und insbesondere den Forderungen des öffentlichen Gewissens nicht gegeben.550 Auch ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Klausel lege eine Ablehnung der Verbindlichkeit nahe.551 Denn obschon Martens der Haager Friedenskonferenz von 1899 zwei Schriften widmete, habe er die Klausel darin mit keinem Wort erwähnt. Dies sei insbesondere deshalb aufschlussreich, weil Martens dafür bekannt gewesen sei, nicht darum verlegen zu sein, seine eigenen Verdienste zu würdigen.552 Darüber hinaus fehle es an einer entsprechenden Jurisprudenz nationaler und internationaler Gericht und Staatenpraxis.553 Folglich ist nach der in der Literatur wohl überwiegend vertretenen Meinung eine Rechtmäßigkeitsprüfung des Einsatzes von Mitteln der Kriegführung am Maßstab der allgemein anerkannten Grundsätze wie etwa des Unterscheidungsgrundsatzes, des Verbots der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen oder des Exzessverbotes, nicht jedoch anhand der Klausel vorzunehmen.554 Ob und inwieweit der Klausel dann überhaupt irgendeine rechtliche Signifikanz zukommt, ist innerhalb dieser Auffassung umstritten. 546 Strebel (1961), S. 485; Dinstein (2010), S. 57; Crawford, E., S. 20; Meron, The Martens Clause, S. 88; Cassese (2000), S. 211; Boothby (2009), S. 349. 547 Crawford, E., S. 10, 20; Cassese (2000), S. 211. 548 Crawford, E., S. 20. 549 Crawford, E., S. 20. 550 Cassese (2000), S. 211. 551 Cassese (2000), S. 199. 552 Cassese (2000), S. 199. 553 Crawford, E., S. 17. 554 Dinstein (2000), S. 57; Meron, The Martens Clause, S. 88.
§ 6, B. Rechtliche Bedeutung der Klausel
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Eine Vielzahl von Autoren sprechen sich dafür aus, dass der Klausel eine Funktion als Auslegungshilfe für völkerrechtliche Regelungen des Vertragsrechts und Völkergewohnheitsrecht zukomme.555 Im Ergebnis begründe die Klausel demgemäß eine Zweifelsfallregel, wonach im Zweifel eine völkerrechtliche Norm derart ausgelegt werden muss, dass sie nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens steht.556 Dabei sei der Inhalt der Grundsätze der Menschlichkeit aus menschenrechtlichen Standards und der der Forderungen des öffentlichen Gewissens aus Resolutionen oder anderen autoritativen Handlungen repräsentativer internationaler Institutionen zu entnehmen.557 Nach anderer Auffassung bedingt die Klausel eine Modifikation der Entstehungsvoraussetzungen von völkergewohnheitsrechtlichen Regelungen im Bereich des Rechts des bewaffneten Konflikts. Konkret seien die Anforderungen an das Element der Staatenpraxis für die Herausbildung einer Regel des Völkergewohnheitsrechts abzusenken und im Ausgleich dem Element der Rechtsüberzeugung eine höhere Bedeutung als in den übrigen Bereichen des Völkerrechts zuzugestehen.558 Zum Teil wird jedoch auch vertreten, der Klausel komme gar keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu, da sie lediglich an die ohnehin unumstrittene Anwendbarkeit völkergewohnheitsrechtlicher Regelungen erinnere und zudem lediglich die Entwicklung bereits bestehender völkerrechtlicher Regelungen erkläre.559 b) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als unmittelbarer Prüfungsmaßstab für Mittel und Methoden der Kriegführung Nach anderer Auffassung kommt der Klausel eine eigenständige rechtliche Signifikanz zu, weil sie Völkerrechtsgrundsätze geschaffen habe, die sich nicht nur aus Gewohnheitsrecht, sondern auch aus den Grundsätzen der Menschlichkeit oder den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergäben.560 Der prominenteste Vertreter dieser These ist der ehemalige guyanische Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag Mohammed Shahabuddeen. In seiner Dissenting Opinion zum Nuklearwaffen-Gutachten führte er folgende Argumente zur Substantiierung seiner These an: Zunächst folge aus der Qualifizierung der Klausel als Regel des Völkergewohnheitsrechts durch den IGH im Nuklearwaffen-Gutachten, dass der Klausel 555 Crawford, E., S. 20; Meron, The Martens Clause, S. 87, 88; Cassese (2000), S. 212. 556 Meron, The Martens Clause, S. 88; Cassese (2000), S. 212. 557 Cassese (2000), S. 212. 558 Cassese (2000), S. 214; Rensmann, S. 114, 115. 559 Dinstein (2000), S. 57. 560 Shahabuddeen, S. 183, 186; Strebel (1984), S. 252.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
normative Geltung mit verhaltenssteuernder Wirkung zukommen müsse.561 Davon ausgehend sei es „difficult to see what norm of State conduct it lays down, if all it does is to remind States of norms of conduct which exist wholly dehors the Clause“.562 Entsprechend könne sich die Funktion der Klausel nicht darin erschöpfen, die Staaten an ihre von dem Vertragsrecht losgelösten Verpflichtungen unter dem Völkergewohnheitsrecht zu erinnern.563 Da der Wortlaut der Klausel die Elemente „established custom“, „laws of humanity“ und „dictates of public conscience“ gleichberechtigt und unterschiedslos nebeneinander aufzähle, seien die Elemente somit qualitativ gleichwertige Quellen aus denen, die in der Klausel genannten Prinzipien des Völkerrechts abzuleiten sind.564 Überdies sei die Verwendung des Begriffes „remain“ im Wortlaut der Klausel „inappropriate in relation to the principles of humanity and dictates of public conscience unless these were conceived of as presently capable of exerting normative force to control military conduct“.565 Laut Shahabuddeen spreche auch die Entstehungsgeschichte der Klausel für eine normative Kraft der Klausel, die über einen bloßen Verweis zum Völkergewohnheitsrecht hinausgeht. Denn der belgische Delegierte Beernaert habe seinen Widerstand auf der Haager Friedenskonferenz vornehmlich aufgrund der Martens’schen Klausel aufgegeben. Weil Beernaert den Schutz der Guerillakämpfer im Auge hatte, folge daraus, dass der Klausel eine über das Gewohnheitsrecht hinausgehende normative und der militärischen Handlungsfreiheit Grenzen setzende Kraft zukommen müsse.566 Darüber hinaus sei eine Bestimmung der Begriffe laut Shahabuddeen zwar schwierig aber keineswegs unmöglich. Die „principles of humanity“ seien mit den „elementary considerations of humanity“ gleichzusetzen und somit durch den IGH im Korfu-Kanal-Fall und im Nicaragua-Fall bereits hinreichend präzisiert worden.567 Der Inhalt des öffentlichen Gewissens wiederum sei vor allem aus Resolutionen der Generalversammlung herzuleiten.568 Der genaue Inhalt und die Reichweite des Regelungsgehaltes der beiden Elemente der Klausel müssten jeweils im Einzelfall im Lichte der sich stetig ändernden verfügbaren Mittel und Methoden der Kriegführung und des Toleranzlevels der internationalen Gemeinschaft bestimmt werden.569 Nach Ansicht von Ticehurt und Rensmann inkorporiert die Klausel das Naturrecht in das positivistische Völkerrecht, wobei deren Tatbestandsmerkmale als „objective means“ zur Bestimmung des somit erneut 561 562 563 564 565 566 567 568 569
Shahabuddeen, S. 183. Shahabuddeen, S. 183. Shahabuddeen, S. 186. Shahabuddeen, S. 184; Crawford, E., S. 16. Shahabuddeen, S. 186. Shahabuddeen, S. 187. Shahabuddeen, S. 185 f. Shahabuddeen, S. 188. Shahabuddeen, S. 184.
§ 6, B. Rechtliche Bedeutung der Klausel
143
zur Geltung erlangten Naturrechts dienen würden.570 Überdies wird vereinzelt vertreten, die Klausel habe mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens zwei neue eigenständige Rechtsquellen des Völkerrechts erschaffen.571 c) Zwischenergebnis Wegen der soeben aufgezeigten Zerstrittenheit der Lehrmeinungen kann keine der vertretenen Auffassungen eine autoritative Geltung für sich beanspruchen. Denn um die in Art. 38 (1) lit. c Alt. 2 IGH Statut vorgesehene Bedeutung als subsidiäre Rechtserkenntnisquelle einfordern zu können, muss der Lehrmeinung ein gewisses Maß an Uniformität im Sinne der Herausbildung einer über Landesgrenzen hinausgehenden eindeutig herrschenden Meinung erlangt haben.572 Daher soll im Folgenden auf die zweite in Art. 38 (1) lit. c IGH Statut aufgezählte Rechtserkenntnisquelle eingegangen werden. 2. Die Martens’sche Klausel in der Anwendung nationaler und internationaler Gerichte
Insbesondere die Rechtsprechung internationaler Gerichte gilt als die autoritativste Bestimmung des Inhalts geltenden Völkerrechts und ist mithin von allerhöchster Bedeutung.573 Aber auch den Entscheidungen nationaler Gerichte kommt eine wenn auch weit geringe Bedeutung zu, soweit sie völkerrechtliche Fragestellungen zum Gegenstand haben.574 Daher soll nun die Anwendung der Klausel in der Rechtsprechung internationaler und nationaler Gerichte dahingehend untersucht werden, ob der Klausel eine eigenständige normative Geltung zugesprochen wurde. Wenngleich die nachfolgend aufgeführten Urteile mehrheitlich nicht die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Mitteln der Kriegführung zum Gegenstand haben sind sie für die hier zu untersuchende Frage ob und inwieweit der Martens’sche Klausel für die Rechtmäßigkeitsprüfung autonomer UACVs eine Relevanz zukommt gleichwohl von Bedeutung. Denn Grundvoraussetzung für eine Relevanz der Klausel ist die Frage, ob der Klausel – gleich in welchem Zusammenhang – Rechtssatzqualität zugesprochen werden kann. Wird diese auch in anderen Zusammenhängen verneint, kann der Klausel auch im Zusammenhang mit Mitteln der Kriegführung keine Bedeutung zukommen.
570
Ticehurst, S. 133, 134; Rensmann, S. 113. Röling, S. 37, 38. 572 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 256. 573 Lauterpacht, S. 61 f.; s. ausführlich zur Bedeutung internationaler Gerichtsentscheidungen als Rechtserkenntnisquelle: Blishchenko, S. 41 ff. 574 Brownlie, S. 20. 571
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
a) Klinge, Supreme Court of Norway, 27. Februar 1946 Gegenstand des Verfahrens vor dem norwegischen Verfassungsgericht war die Zulässigkeit einer unterinstanzlich verhängten Todesstrafe gegen den Gestapooffizier Karl-Hans Hermann Klinge, welcher wegen der systematischen Folterung norwegischer Widerstandskämpfer der Begehung von Kriegsverbrechen für schuldig befunden wurde.575 Die Verteidigung sah in der Verhängung der Todesstrafe einen Verstoß gegen Art. 97 der norwegischen Verfassung, welcher ein Verbot von retroaktiven Gesetzen normierte. Denn die Verhängung der Todesstrafe war nach dem norwegischen Strafgesetzbuch nicht vorgesehen und wurde erst möglich durch die Anwendung eines nach Kriegsende und damit nach Begehung der Taten Klinges erlassenen königlichen Dekrets.576 Der Gerichtshof wies die Berufung Klinges mit der Begründung zurück, dass die von ihm begangene Folter gegen die Gesetze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens verstieße und infolge dessen als mit dem Tode zu bestrafendes Kriegsverbrechen zu qualifizieren sei.577 Unabhängig davon, ob ein Rückgriff auf die Klausel zur Begründung eines Folterverbots aus dem Recht des bewaffneten Konflikts tatsächlich notwendig war578, hat das Verfassungsgericht somit beiden Elementen unmittelbare Rechtssatzqualität zugesprochen.579 b) Krupp et al., United States Military Tribunal Nuremberg, 31. Juli 1948 Das Verfahren vor dem United States Military Tribunal richtete sich gegen Alfred Krupp von Bohlen und Halbach, sowie gegen die übrigen Direktoriumsmitglieder des Unternehmens Krupp. Den Angeklagten wurde vorgeworfen, die durch das Deutsche Reich besetzten Gebiete in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Jugoslawien, Griechenland und der Sowjetunion willentlich und wissentlich und unter völliger Missachtung der Bedürfnisse der örtlichen Wirtschaft in einer rücksichtslosen Weise ausgebeutet zu haben, die weit über die Bedürfnisse einer Okkupationsarmee hinausgeht.580 Das Tribunal sah in dem infrage stehenden Verhalten eine als Kriegsverbrechen zu qualifizierende Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges, insbesondere der Art. 46–56 HLKO.581 Die Verteidigung vertrat hingegen die Auffassung, dass die Gesetze und Gebräuche des Krieges in dem vom Deutschen Reich geführten „Totalen 575 576 577 578 579 580 581
SCN, Klinge Case, S. 262. SCN, Klinge Case, S. 262. SCN, Klinge Case, S. 263. Ablehnend Cassese (2000), S. 203. s. auch Schircks, S. 47. IMT, Krupp et al., S. 1337. IMT, Krupp et al., S. 1337.
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Krieg“ bereits keine Anwendung fänden.582 Obwohl das Tribunal den Einwand der Verteidigung zurückwies, indem es die genannten Vorschriften der HLKO auch auf den „Totalen Krieg“ für uneingeschränkt anwendbar erklärte583, verwies das Tribunal auf die Martens’sche Klausel und führte dazu folgendes aus: „The Martens Clause is much more than a pious declaration. It is a general clause, making the usages established among civilized nations, the laws of humanity and the dictates of the public conscience into the legal yardstick to be applied if and when the specific provisions of the Convention (. . .) do not cover specific cases occurring in warfare, or concomitant to warfare.“ 584
Wenngleich das Tribunal die Anwendbarkeit der Klausel aufgrund der vorrangig anwendbaren Art. 46–56 HLKO verneinte585, folgt aus der Verwendung der Formulierung „legal yardstick“, dass das Tribunal den Klauselelementen abstrakt und vom Fall losgelöst Rechtssatzqualität zusprach. c) Rauter, Dutch Special Court of Cassation, 12. Januar 1949 Gegenstand des vor dem niederländischen Sonderkassationsgerichtshof verhandelten Falls war die Frage der Strafbarkeit des angeklagten deutschen Polizeichefs und Oberbefehlshabers der SS im besetzten Holland Hans Albin Rauter. Nach Auffassung des Gerichts verstieß die in Rede stehende Anordnung von Repressalien gegen Teile der Zivilbevölkerung gegen den Grundgedanken des Art. 50 HLKO.586 Unmittelbar nach dieser Feststellung verwies der Gerichtshof mit folgenden Worten auf die Klausel: „In fact such behaviour (. . .) is incompatible with an international Convention in the Preamble of which it is expressly laid down that, in cases not included in the Rules appended to it, the inhabitants remain (. . .) under the protection and rule of the law of nations derived from the usages established among civilised peoples, from the laws of humanity, and from the dictates of the public conscience.“ 587
Welche Bedeutung der Gerichtshof der Klausel mit dieser Aussage beimessen wollte, bleibt im Dunkeln. Denn wenn das Verhalten Rauters, wie vom Gerichtshof zuvor festgestellt, bereits gegen eine Vorschrift der zitierten Konvention verstößt, kann es auf die in der Präambel enthaltene Klausel in Ermangelung der vom Wortlaut verlangten Regelungslücke nicht mehr ankommen, weil sie dann schon nicht anwendbar ist. Folglich hat der Gerichtshof der Klausel jedenfalls mit dieser Aussage keinen eigenständigen normativen Gehalt zugesprochen.588 582 583 584 585 586 587 588
IMT, Krupp et al., S. 1339. IMT, Krupp et al., S. 1346. IMT, Krupp et al., S. 1339. IMT, Krupp et al., S. 1340. DSCC, Rauter Case, S. 541. DSCC, Rauter Case, S. 541. Cassese, (2000) S. 204.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Dies tat er jedoch an späterer Stelle jedenfalls hinsichtlich der laws of humanity. Denn nach Auffassung des Gerichts erfüllten die Handlungen Rauters überdies den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit.589 Die Verteidigung beantragte seinen Freispruch mit der Begründung, dass der Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zur Zeit der Begehung der Taten Rauters nicht existierte. Entsprechend verstoße eine darauf basierende Verurteilung gegen den Grundsatz nullum delictum, nulla poena sine praevia lege poenali.590 Der Sonderkassationsgerichtshof wies den Einwand mit der Begründung zurück, die Existenz des Straftatbestandes „was covered by the said Preamble relating to laws of humanity“.591 Demgemäß leitete der Gerichtshof den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit direkt aus der Martens’schen Klausel ab und verlieh damit jedenfalls den Gesetzen der Menschlichkeit eine unmittelbare Rechtssatzqualität. d) K. W. Case, Conseil de guerre de Bruxelles, 8. Februar 1950 Der Conseil de guerre de Bruxelles hatte im K. W.-Fall darüber zu entscheiden, ob und inwieweit die vom angeklagten deutschen Polizisten gegenüber 14 belgischen, wegen bewaffneten Widerstands gegen die deutschen Besatzer internierten Zivilpersonen, verübten Misshandlungen eine Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges begründeten.592 Das Problem dem sich das Kriegsgericht ausgesetzt sah, lag darin, dass die HLKO kein ausdrückliches Verbot der Misshandlung von Zivilpersonen in besetzten Gebieten enthielt593, sondern lediglich durch Art. 46 der Besatzungsmacht die Verpflichtung auferlegte das Leben der Bürger zu achten. Um dennoch einen Verstoß gegen das Recht des bewaffneten Konflikts festzustellen, legte der Militärgerichtshof unter Zuhilfenahme der Martens’schen Klausel Art. 46 im Lichte des Folterverbots aus Art. 5 der Universellen Menschenrechtserklärung aus.594 Weil die unverbindliche Menschenrechtserklärung erst über das Tatbestandsmerkmal Gesetze der Menschlichkeit zur Auslegungshilfe des im Recht des bewaffneten Konflikt geltenden Art. 46 erstarkte, ist in diesem Rückgriff auf die Klausel eine genuine Anwendung der Klausel selbst zu sehen. Folglich maß das Gericht der Klausel zumindest eine Funktion als Auslegungshilfe bei. Es erhob die Gesetze der Menschlichkeit jedoch nicht zum direkten Prüfungsmaßstab staatlicher Handlungen in bewaffneten Konflikten.
589 590 591 592 593 594
DSCC, Rauter Case, S. 542. DSCC, Rauter Case, S. 542. DSCC, Rauter Case, S. 542. CGB, K. W. Case, S. 562 ff. Cassese (2000), S. 207. Scobbie, S. 450.
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e) Martic´, ICYT Trial Chamber, 8. März 1996 Gegenstand des Verfahrens im Martic´-Fall vor dem ICTY war die Frage der Rechtmäßigkeit des vom ehemaligen Präsidenten der selbsternannten Republik Serbische Krajina angeordneten Beschusses Zagrebs mit Orkan-Raketen am 2. und 3. Mai 1995.595 Im Rahmen seiner Zuständigkeitsprüfung stellte die Trial Chamber fest, dass die fraglichen Handlungen Martics eine Verletzung des Rechts des bewaffneten Konflikts begründeten und mithin unter Art. 3 des ICTY Statuts in die Zuständigkeit des Gerichts fielen.596 In seiner Aufzählung der einschlägigen Normen nannte die Kammer zunächst das Verbot des direkten Angriffs auf Zivilpersonen und der Vornahme von Repressalien gegen die Zivilbevölkerung aus Art. 51 (2), (6) ZPI und Art. 13 (2) ZPII. Nach seinen Ausführungen zur gewohnheitsrechtlichen Geltung der genannten Normen fügte die Kammer hinzu: „Furthermore, the prohibition against attacking the civilian population as such, as well as individual civilians, and the general principle limiting the means and methods of warfare also derive from the martens clause.“ 597
Insbesondere aus dem später ergangenen Urteilsspruch folgt jedoch, dass die Kammer mit dieser Aussage der Klausel keinen unmittelbaren rechtlichen Gehalt zusprechen wollte. Denn in seiner Urteilsbegründung im Hauptverfahren erwähnte die Kammer die Klausel mit keinem Wort mehr, sondern prüfte die in Rede stehenden Tötungen ausschließlich am Maßstab der einschlägigen vertraglichen Vorschriften.598 f) Furundzˇija, ICTY Trial Chamber, 10. Dezember 1998 Kern des Verfahrens vor der Trial Chamber des ICTY war der gegen Anto Furundzˇija gerichtete Vorwurf der Begehung von Kriegsverbrechen unter Art. 3 des ICTY Statuts.599 Dem ehemaligen Mitglied der kroatischen Anti-Terror Spezialeinheit Jokers wurde vorgeworfen im Rahmen von Verhören Gefangene gefoltert und vergewaltigt zu haben.600 Im Zuge ihrer Subsumtion des Täterverhaltens unter Art. 3 des Statuts äußerte sich die Kammer zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des Folter- und Vergewaltigungsverbots in bewaffneten Konflikten. Dabei führte die Kammer aus, dass sich entsprechende gewohnheitsrechtliche Verbote graduell aus dem Lieber Code und dem Haager Abkommen IV 1907 „read
595 596 597 598 599 600
ICTY, Martic´, Para. 4. ICTY, Martic´, Para. 6–22. ICTY, Martic´, Para. 13. ICTY, Martic´, Para. 67. ICTY, Furundzˇija, Para. 61 ff. ICTY, Furundzˇija, Para. 63.
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in conjunction“ mit der Martens’schen Klausel entwickelt hätten.601 Aus den Ausführungen der Trial Chamber folgt zum einen, dass die in Rede stehenden Folterund Vergewaltigungsverbote der Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts zuzuordnen sind und zum anderen, dass sich diese Verbote nicht primär aus der Klausel, sondern aus dem Lieber Code und dem Haager Abkommen IV 1907 entwickelt haben. Entsprechend fungierte die Klausel nach Ansicht des Gerichts lediglich mittelbar als Erklärung für die Evolution bereits bestehender völkerrechtlicher Regelungen, so dass sich aus den Ausführungen der Trial Chamber keine Rückschlüsse auf einen gesonderten rechtlichen Gehalt der Klausel ziehen lassen. g) Kupreškic´ et al., ICTY Trial Chamber, 14. Januar 2000 Im Fall Kupreškic´ et al. ging es im Wesentlichen um einen Angriff auf das Dorf Ahmici in Zentralbosnien, dem 116 Zivilpersonen zum Opfer fielen.602 Zur Bedeutung der Martens’schen Klausel führte die Kammer mit bemerkenswerter Klarheit aus: „True, this Clause may not be taken to mean that the „principles of humanity“ and the „dictates of public conscience“ have been elevated to the rank of independent sources of international law, for this conclusion is belied by international practice. However, this Clause enjoins, as a minimum, reference to those principles and dictates any time a rule of international humanitarian law is not sufficiently rigorous or precise: in those instances the scope and purport of the rule must be defined with reference to those principles and dictates.“ 603
Entsprechend prüfte die Kammer die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Angeklagten nicht am Maßstab der Grundsätze der Menschlichkeit oder den Forderungen des öffentlichen Gewissens, sondern am Maßstab der Art. 57 und 58 ZPI. Gleichwohl legte sie jene Vorschriften im Lichte der Klausel aus. Konkret seien die Bestimmungen so auszulegen, dass der Einschätzungsspielraum der, durch die Artikel verpflichteten Adressaten, zugunsten des Schutzes der Zivilbevölkerung so weit wie möglich zu reduzieren sei.604 So kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass im Lichte der Klausel die kumulativen Effekte von Angriffen in die Rechtmäßigkeitsanalyse mit einbezogen werden müssten.605 Entsprechend könne es im Einzelfall geboten sein, die durch eine Serie von Angriffen verursachten Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung einer kumulativen Betrachtung zu unterwerfen. Dies könne im Einzelfall dazu führen, dass die kumulativen Auswirkungen der Angriffe im Ergebnis zu einem Verstoß gegen Art. 57, 58 ZPI führen, der bei einer isolierten Einzelbetrachtung der Angriffe zweifelhaft gewe601 602 603 604 605
ICTY, Furundzˇija, Para. 137, 168. ICTY, Kupreškic´ et al., Para. 31 ff. ICTY, Kupreškic´ et al., Para. 525. ICTY, Kupreškic´ et al., Para. 525. ICTY, Kupreškic´ et al., Para. 526.
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sen wäre.606 Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass sich die Trial Chamber in aller Deutlichkeit gegen eine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit der Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens ausgesprochen hat. Laut ICTY kann die Klausel jedoch im Einzelfall als Auslegungshilfe bestehender vertraglicher Regelungen herangezogen werden. h) Corfu Channel Case, 9. April 1949, Nicaragua Case, 27. Juni 1986, Internationaler Gerichtshof Im Korfu-Kanal-Fall vor dem IGH stritten Großbritannien und Albanien um einen Zwischenfall im Korfu-Kanal, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag607: Am 22. Oktober 1946 durchquerten britische Kriegsschiffe den Korfu-Kanal und damit auch albanisches Küstengewässer ohne zuvor die Erlaubnis Albaniens eingeholt zu haben. Dabei liefen die britischen Schiffe auf ein Minenfeld auf und wurden schwer beschädigt. Im Folgenden räumten die Briten gegen den ausdrücklichen Willen der albanischen Regierung das Minenfeld und verlangten von Albanien Schadensersatz für die erlittenen Schäden. Albanien wiederum machte eine Verletzung seiner territorialen Souveränität geltend. Im Zuge seiner Ausführungen zur Verpflichtung Albaniens, andere Staaten von der Existenz des Minenfeldes zu informieren und ankommende Schiffe zu warnen, führte der IGH folgendes aus: „Such obligations are based, not on the Hague Convention of 1907, No. VIII, which is applicable in time of war, but on certain general and well-recognized principles, namely: elementary considerations of humanity, even more exacting in peace than in war.“ 608
Aus welchen Vorschriften oder Prinzipien der Gerichtshof diese „elementary considerations of humanity“ ableitete, ließ er im Korfu-Kanal-Fall offen. Nach verbreiteter Ansicht nahm der IGH mit seiner Aussage die Martens’sche Klausel in Bezug.609 Ausgangspunkt dieser Auffassung ist eine Gleichsetzung der vom IGH erstmals erwähnten „elementary considerations of humanity“ mit den in der Martens’schen Klausel aufgeführten „principles of humanity“.610 Diese Gleichsetzung ist jedoch weder mit dem Wortlaut der Martens’schen Klausel, noch mit den Ausführungen des IGH im Nicaragua-Fall und Nuklearwaffen-Gutachten zu den „elementary considerations of humanity“ vereinbar. Dem insoweit klaren Wortlaut der Klausel zufolge verbleiben Zivilpersonen und Kombattanten unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völ606
ICTY, Kupreškic´ et al., Para. 526. IGH, Corfu Channel, S. 4 ff. 608 IGH, Corfu Channel, S. 22. 609 Crawford, E., S. 9; Shahabuddeen, S. 185 f.; Meron, The Martens Clause, S. 82; Rensmann, S. 113. 610 Meron, The Martens Clause, S. 82. 607
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kerrechts, wie sie sich aus den Grundsätzen der Menschlichkeit ergeben. Aus der Verwendung dieser ausschließlich im Kontext des Rechts des bewaffneten Konflikts verwendeten Begrifflichkeiten (Zivilpersonen/Kombattanten) folgt, dass der Anwendungsbereich der Klausel und mithin der Grundsätze der Menschlichkeit, anders als jener der „elementary considerations of humanity“, nicht auf Friedenszeiten ausgedehnt werden kann. Folglich erweist sich eine Gleichsetzung der „elementary considerations of humanity“ mit den „principles of humanity“ im Lichte des Wortlauts der Klausel als unzutreffend. Im Nicaragua-Fall hatte sich der IGH erneut mit der Frage der aus einer Verminung von Gewässern resultierenden Notifizierungs- und Warnungspflichten zu beschäftigen.611 Konkret ging es um die Verminung der Küstengewässer Nicaraguas durch die Vereinigten Staaten von Amerika. In diesem Zusammenhang verwies der Gerichtshof auf seine Entscheidung im Korfu-Kanal-Fall und die dort aufgestellten „elementary considerations of humanity“.612 An späterer Stelle beschäftigte sich der IGH mit der Frage, an welchem Maßstab die Rechtmäßigkeit der Produktion und Verbreitung des Manuals on Psychological Operations an die Aufständischen Contras durch die USA zu beurteilen ist.613 Nach Auffassung des Gerichtshofs war der Maßstab dem Recht des bewaffneten Konflikts zu entnehmen. Konkret führte der Gerichtshof dazu aus: „Article 3 which is common to al1 four Geneva Conventions of 12 August 1949 defines certain rules to be applied in the armed conflicts of a non-international character. There is no doubt that, in the event of international armed conflicts, these rules also constitute a minimum yardstick, in addition to the more elaborate rules which are also to apply to international conflicts; and they are rules which, in the Court’s opinion, reflect what the Court in 1949 called ,elementary considerations of humanity‘.“ 614
Demgemäß entstammt die Konzeption der „elementary considerations of humanity“ gerade nicht der Martens’schen Klausel, sondern dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen. Im Nuklearwaffen-Gutachten verwies der IGH sowohl auf die Martens’sche Klausel615 als auch auf die „elementary considerations of humanity“ 616. Obwohl er letztere unmittelbar nach der Klausel in Bezug nahm, setzte er sie in keinen erkennbaren Zusammenhang. Folglich ist zu konstatieren, dass der IGH die Martens’sche Klausel durch die „elementary considerations of humanity“ im Korfu-Kanal-Fall gerade nicht in 611 612 613 614 615 616
IGH, Nicaragua Case, S. 112. IGH, Nicaragua Case, S. 112. IGH, Nicaragua Case, S. 113. IGH, Nicaragua Case, S. 114. IGH, Nuclear Weapons, S. 257, 259, 260. IGH, Nuclear Weapons, S. 257.
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Bezug genommen hat. Darauf folgt, dass weder aus dem Korfu-Kanal-Fall noch aus dem Nicaragua-Fall Rückschlüsse auf die rechtliche Bedeutung der Martens’schen Klausel gezogen werden können. Gegen eine Gleichsetzung beider Institute spricht überdies bereits der Wortlaut der Klausel. Denn dieser setzt das Bestehen einer vertraglichen Regelungslücke voraus. An dieser fehlt es jedoch gerade, wenn die „elementary considerations of humanity“ bereits aus dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen abzuleiten sind. i) Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Internationaler Gerichtshof, Advisory Opinion, 8. Juli 1996 Im Nuklearwaffen-Gutachten äußerte sich der IGH erstmals ausführlicher zur Martens’schen Klausel. Dem Gutachten lag eine Anfrage der Generalversammlung gem. Art. 96 (1) UN Charta zugrunde, in welcher der Gerichtshof gebeten wurde, sich zu folgender Frage gutachterlich zu äußern: „Is the threat or use of nuclear weapons in any circumstance permitted under international law?“.617 Die Klausel wurde in dem Gutachten drei Mal erwähnt. Im Rahmen seiner Aufzählung, der im Recht des bewaffneten Konflikts anwendbaren Normen, bezog sich der IGH zunächst auf den Unterscheidungsgrundsatz und das Verbot der Verursachung überflüssiger Leiden und unnötiger Verletzungen, die er als „cardinal principles (. . .) constituting the fabric of humanitarian law“ 618 qualifizierte. Unmittelbar nachfolgend verwies der Gerichtshof „in relation to these principles“ zum ersten Mal auf die Martens’sche Klausel und qualifizierte sie als ein „effective means of addressing the rapid evolution of military technology.“ 619 Allerdings ließ der IGH diese knappe Aussage unkommentiert und ließ damit offen, in welcher Art und Weise die Klausel die ihr zugesprochene Aufgabe erfüllen soll. Im Zuge seiner Ausführungen zur Anwendbarkeit der einschlägigen Regeln des ZPI für Nichtvertragsparteien verwies der Gerichtshof auf deren völkergewohnheitsrechtliche Geltung und stellte in diesem Zusammenhang fest, dass auch die Klausel zu denjenigen Vorschriften gehöre, die als bloße Kodifikation bereits zuvor existierender Regeln des Völkergewohnheitsrecht Einzug in das Protokoll gefunden haben.620 Zum Abschluss seiner Ausführungen zum Recht des bewaffneten Konflikts verwies der IGH zum dritten Mal mit folgenden Worten auf die Klausel: „Finally, the Court points to the Martens Clause, whose continuing existence and applicability is not to be doubted, as an affirmation that the principles and rules of humanitarian law apply to nuclear weapons.“ 621 617 618 619 620 621
UN/GA/RES/49/75 K. IGH, Nuclear Weapons, S. IGH, Nuclear Weapons, S. IGH, Nuclear Weapons, S. IGH, Nuclear Weapons, S.
257. 257. 259. 260.
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Diese Aussage des Gerichtshofs bedarf näherer Erläuterung. Laut Cassese ist eine mögliche Lesart, dass der Gerichtshof damit die Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens zu Prüfungsmaßstäben für staatliches Verhalten erheben wollte.622 Cassese selbst lehnte ein solches Verständnis der Ausführung des Gerichtshofs jedoch zutreffend mit der Begründung ab, dass laut IGH „the principles and rules of humanitarian law“, nicht aber die Grundsätze der Menschlichkeit oder die Forderungen des öffentlichen Gewissens, auf Nuklearwaffen anwendbar seien, und dass die Klausel daher vielmehr als bloße Bestätigung der Anwendbarkeit dieser Prinzipien des humanitären Völkerrechts in Bezug genommen wurde.623 Hätte der Gerichtshof die Elemente der Klausel mit seiner Aussage in den Stand rechtlich verbindlicher Prüfungsmaßstäbe für Nuklearwaffen erheben wollen, hätte er, angesichts der Tragweite einer solchen Feststellung, dies an früherer Stelle mit deutlicheren Worten tun müssen und nicht in Form einer verklausulierten Feststellung ganz am Ende seiner Ausführungen zum anwendbaren Recht des bewaffneten Konflikts. Überdies hätte der IGH dann – wie in Bezug auf die Kardinalprinzipien – Aussagen zum konkreten Regelungsgehalt der Martens’schen Klausel treffen müssen. Dies tat er jedoch gerade nicht. All dies spricht dafür, dass der IGH die Klausel im Ergebnis nur dazu heranzog, um die Anwendbarkeit der zuvor im Gutachten benannten einschlägigen Prinzipien und Regelungen auf Nuklearwaffen zu bestätigen. Wenngleich auch hier fraglich bleibt, in welcher Weise die Klausel eine solche Bestätigung zu leisten vermag.624 Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Internationale Gerichtshof durch seine Ausführungen im Nuklearwaffen-Gutachten keinen echten Beitrag zur Klärung der rechtlichen Bedeutung der Klausel leistete.625 Durch seine ohne Begründung vorgetragene Behauptung, der Klausel komme völkergewohnheitsrechtliche Bedeutung zu und seine übrigen vagen Aussagen hat das Gutachten des Gerichthofs mehr Fragen als Antworten hervorgebracht.626 j) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Martens’sche Klausel von keinem Gericht als unmittelbarer Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit von Mitteln und Methoden der Kriegführung herangezogen wurde. Darüber hinaus hat die Trail Chamber des ICTY im Kupreškic´-Fall einer Qualifizierung der Elemente der Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Ge622
Cassese (2000), S. 206. Cassese (2000), S. 206, 207. 624 Cassese (2000), S. 207. 625 Ticehurst, S. 125; Chetail, S. 258; Crawford, E., S. 12; Cassese (2000), S. 206, 207; Gardam, S. 359. 626 Cassese (2000), S. 211. 623
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wissens als rechtlich verbindliche Standards eine klare Absage erteilt. Wurde in der Nachkriegsrechtsprechung die Klausel noch mehrfach zur Begründung der Existenz des Straftatbestandes des Verbrechens gegen die Menschlichkeit herangezogen, um dem Vorwurf der retroaktiven Anwendung von Straftatbeständen zu entkräften, so erschöpft sich die Bedeutung der Klausel in der jüngeren Rechtsprechung – soweit ihr überhaupt eine solche zugesprochen wurde – in der Anwendung als Auslegungshilfe. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass ausschließlich nationale Gerichte der Klausel eine eigenständige rechtliche Bedeutung dergestalt verliehen haben, dass aus ihr die Existenz des Straftatbestands von Verbrechen gegen die Menschlichkeit abzuleiten seien.627 Diese Feststellung ist deshalb von Bedeutung, weil den Entscheidungen nationaler Gerichte häufig eine bloße Indizienwirkung für einzelstaatliche völkerrechtliche Positionen zukommt.628 Mithin kommt ihnen für die Ermittlung völkerrechtlicher Regelungen weniger Bedeutung zu als den Entscheidungen internationaler Gerichte. Überdies ist die Nachkriegsrechtsprechung der nationalen Gerichte nicht einheitlich genug629, um repräsentative Geltung zu erlangen. Folglich lässt sich eine eigenständige rechtliche Relevanz der Klausel für die Ermittlung der Rechtmäßigkeit von Mitteln und Methoden der Kriegführung nicht unter Verweis auf die Jurisprudenz nationaler und internationaler Gerichte begründen. 3. Martens’sche Klausel in der Anwendung der Staatengemeinschaft
Aufgrund seiner Eigenschaft als Koordinations- und Konsensrecht hängt die Auslegung völkerrechtlicher Regelungen entscheidend von deren Anwendung durch die Staatengemeinschaft ab.630 Entsprechend kodifiziert Art. 31 (3) (b) der Wiener Vertragsrechtskonvention die allgemeine völkergewohnheitsrechtliche 631 Auslegungsregel, dass neben dem Wortlaut, Zusammenhang und Sinn und Zweck in gleicher Weise jede spätere Übung bei der Anwendung eines Vertrages zu berücksichtigen ist. Rückschlüsse auf Staatenpositionen zur Auslegung oder Existenz völkerrechtlicher Regelungen lassen sich unter anderem aus entsprechenden Erklärungen autorisierter Staatsorgane632, aber auch aus dem Abstimmungsverhalten im Rahmen der Verabschiedung von Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen633 oder aus Militärhandbüchern634 ziehen. 627 SCN, Klinge Case, S. 263; IMT, Krupp et al., S. 1339; DSCC, Rauter Case, S. 542. 628 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 256. 629 Siehe ablehnende Entscheidung des Brüsseler Kriegsgerichts im K. W. Case, S. 562 ff. 630 Fitzmaurice, G. (1957), S. 210. 631 IGH, Maritime Delimitation, S. 18. 632 ICTY, Tadic ´ (1997), Para. 99. 633 IGH, Nicaragua Case, S. 66: „They (General Assembly resolutions) can (. . .) provide evidence for establishing the existence of a rule (. . .).“
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
a) Militärhandbücher Ein Blick in die Militärhandbücher offenbart, dass eine Einigkeit der Staatengemeinschaft nur dahingehend besteht, dass in Abkehr von der Lotusformel des StIGH635 eine Handlung die nicht ausdrücklich durch Vertrags- oder Völkergewohnheitsrecht verboten ist, im Umkehrschluss nicht ohne weiteres erlaubt ist.636 Anhaltspunkte über die Art und den Umfang der der Klausel zu entnehmenden Einschränkungen ist den Militärhandbüchern indes nicht zu entnehmen. b) Resolution der Generalversammlung 1653 (XVI) In Abschnitt 1 (b) der Resolution 1653 (XVI) erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen: „The use of nuclear weapons as such (. . .) is contrary to the rules of international law and to the laws of humanity.“ 637
Aus der Verwendung des Begriffes „laws of humanity“ folgt eindeutig, dass die Resolution mit dieser Aussage die Martens’sche Klausel in Bezug nahm. Ungleich schwieriger gestaltet sich jedoch die Interpretation dieser Aussage. Aus der Formulierung ergeben sich zwei denkbare Lesarten. Einerseits könnte man die Ausführung dahingehend verstehen, dass die Gesetze der Menschlichkeit als rechtlich verbindlicher Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen herangezogen wurden. Dafür ließe sich der Wortlaut der zitierten Passage, demgemäß der Einsatz von Nuklearwaffen gegen die „laws of humanity“ verstößt, anführen. Dafür spricht auch die Überschrift der Resolution der zufolge die Kernaussage der Resolution in der Begründung eines Einsatzverbots von nuklearen und thermo-nuklearen Waffen liegt. Wenn die in Bezug genommenen „laws of humanity“ ein solches Verbot nun aber nicht begründen könnten, ließe sich argumentieren, dass ihre Nennung in der zitierten Passage dann überflüssig wäre. Eine solche Lesart erweist sich trotz der genannten Argumente jedoch im Lichte des gesamten Wortlautes und des Satzbaus der Passage als unzutreffend. Denn dem Wortlaut nach verstößt der Einsatz von Nuklearwaffen zunächst gegen die „rules of international law“. Weil die „rules of international law“ den Oberbegriff aller völkerrechtlich verbindlichen Normen bilden, kann den nachfolgend getrennt genannten „laws of humanity“ gerade keine genuine Rechtverbindlichkeit zukommen. Gehörten die Gesetze der Menschlichkeit zu den verbindlichen Regelungen des Völkerrechts wäre deren getrennte Nennung folglich obsolet. Weil die Kernaussage der Resolution – die Rechtswidrigkeit des Einsatzes von 634 635 636 637
ICTY, Tadic´ (1997), Para. 99. StIGH, Lotus Case, S. 18. ZDv 15.2, Para. 139; B-GJ-005-104/FP-021, Para. 106.2. UN/GA/RES 1653 (XVI).
§ 6, B. Rechtliche Bedeutung der Klausel
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Nuklearwaffen – bereits durch die zuerst genannten „rules of international law“ getragen wird, lässt sich eine zwingende Rechtsverbindlichkeit der „laws of humanity“ gerade nicht durch die Überschrift und den Resolutionszweck begründen. Folglich kann die These einer rechtlichen Signifikanz der Klausel nicht auf die Resolution als Ausdruck einer entsprechenden Rechtsüberzeugung der Staaten gestützt werden. Selbst wenn sich dem Wortlaut der Resolution eine Rechtsverbindlichkeit der Klausel entnehmen ließe, kann sie wegen des Abstimmungsverhaltens der Mitglieder der Generalversammlung nicht als Beweis einer entsprechenden einheitlichen Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft herangezogen werden. Denn lediglich 55 Staaten stimmten für die Verabschiedung der Resolution während 20 Staaten dagegen votierten und sich weitere 26 der Abstimmung enthielten.638 c) Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten Im Rahmen ihrer schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten unter Art. 66 (2) IGH Statut äußerte sich eine Vielzahl von Staaten zur rechtlichen Bedeutung der Martens’schen Klausel für die Rechtmäßigkeitsprüfung von Mitteln der Kriegführung. Die darin enthaltenen Auffassungen lassen sich im Wesentlichen in vier Kategorien einteilen. aa) Redundanz der Klausel Einzig die Russische Föderation vertrat in ihrer schriftlichen Stellungnahme die Auffassung, dass das Recht des bewaffneten Konflikts durch die vier Genfer Abkommen von 1949 und die beiden Zusatzprotokolle von 1977 eine vollständige Kodifikation erfahren habe und mithin nun in Ermangelung der vom Wortlaut vorausgesetzten Regelungslücke „formally inapplicable“ und somit vollständig redundant sei.639 bb) Erinnerung an die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht Eine weniger restriktive Auffassung vertraten die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Neuseeland in ihren schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten. Ihrer Ansicht nach dient die Klausel einzig der Klarstellung, dass aus der Abwesenheit einer expliziten vertraglichen Verbotsnorm nicht ohne weiteres auf eine unbeschränkte Erlaubnis des Einsatzes eines Mittels der Kriegführung geschlossen werden kann.640 Allerdings 638
A/PV.1063. Written Submission Russlands zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 13. 640 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten des IGH: Oral Statement der USA, S. 78; Written Submission Großbritanniens, S. 48; Oral Statement Neuseelands, S. 25. 639
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
sei einzig Völkergewohnheitsrecht in der Lage vertragliche Lücken zu schließen.641 Die Funktion der Klausel liege somit lediglich darin, an die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht im Falle vertraglicher Regelungslücken zu erinnern.642 Folglich sei die Klausel für sich genommen nicht in der Lage über die Rechtmäßigkeit von Mitteln der Kriegführung zu entscheiden.643 cc) Klausel als Auslegungshilfe Nach Ansicht der Salamon Islands erschöpft sich die Funktion der Klausel nicht in der Erinnerung an die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht und dem Verbot der Annahme, dass alles was nicht ausdrücklich vertraglich verboten ist, im Umkehrschluss erlaubt ist. Vielmehr ergebe sich aus ihr der Auslegungsgrundsatz, dass im Zweifelsfall stets eine Auslegung zugunsten des Schutzes der Zivilbevölkerung zu wählen sei.644 dd) Klausel als rechtlich verbindlicher Prüfungsmaßstab für Mittel der Kriegführung Den dargelegten restriktiven Auslegungen der Klausel stand eine Gruppe von Staaten bestehend aus Australien, Mexiko, Iran, Malaysia und Zimbabwe gegenüber, die sich dafür aussprachen, die Klausel oder deren Elemente als rechtlich verbindlichen Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen zu qualifizieren.645 Allerdings variierten die Ausführungen der genannten Staaten zur Bedeutung und Bestimmbarkeit der einzelnen Elemente der Klausel sowie zu deren Einordnung in die völkerrechtliche Rechtsquellendogmatik. (1) Grundsätze der Menschlichkeit als Prüfungsmaßstab So ist den Stellungnahmen Australiens und Mexikos lediglich ein Votum für eine Rechtsverbindlichkeit der Grundsätze der Menschlichkeit zu entnehmen.646 641 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement der USA, S. 78; Written Submission Großbritanniens, S. 48. 642 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement der USA, S. 78; Written Submission Großbritanniens, S. 48. 643 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement der USA, S. 78; Written Submission Großbritanniens, S. 48. 644 Written Submission der Salomon Islands zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 61. 645 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement Australiens, S. 40. Written Submission Mexikos, S. 13; Oral Statement Irans, S. 32; Oral Statement Malaysias, S. 60; Oral Statement Zimbabwes, S. 33; Written Submission Naurus, S. 7, 13. 646 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement Australiens, S. 40; Oral Statement Mexikos, S. 55.
§ 6, B. Rechtliche Bedeutung der Klausel
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Die Forderungen des öffentlichen Gewissens ließen sie indes unerwähnt. Beide Staaten beließen es zudem bei der bloßen Feststellung, dass der Einsatz von Nuklearwaffen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoße. Aussagen zur Bestimmbarkeit der Grundsätze der Menschlichkeit trafen sie hingegen nicht. In Bezug auf die Einordnung der Grundsätze der Menschlichkeit in die völkerrechtliche Rechtsquellendogmatik folgten beide Staaten einem unterschiedlichen Ansatz. Während Australien die Grundsätze der Menschlichkeit ausdrücklich dem Völkergewohnheitsrecht zuordnete647, äußerte sich Mexiko nicht ausdrücklich zu der Frage der Einordnung der Grundsätze der Menschlichkeit in die völkerrechtliche Rechtsquellenordnung. (2) Forderungen des öffentlichen Gewissens als Prüfungsmaßstab Nach Auffassung Zimbabwes und dem Iran verstößt der Einsatz von Nuklearwaffen gegen die Forderungen des öffentlichen Gewissens.648 Konkret führte Botschafter Jonathan Wutawunashe im Namen Zimbabwes aus, dass die Drohung mit und der Einsatz von Nuklearwaffen gegen „both customary international law and the dictates of public conscience“ verstoße.649 Nach Auffassung Zimbabwes erhebt die Klausel demnach die Forderungen des öffentlichen Gewissens in den Stand einer vom Völkergewohnheitsrecht emanzipierten eigenständigen Rechtsquelle. Überdies äußerte sich Zimbabwe zur Bestimmbarkeit des öffentlichen Gewissens. Dieses lasse sich aus den drei Millionen, dem Gerichtshof vorliegenden schriftlichen Erklärungen von Menschen aus Nuklear- und Nichtnuklearwaffenstaaten ableiten, in denen sie sich geschlossen gegen die Rechtmäßigkeit von Nuklearwaffen aussprachen.650 Demgegenüber folgte der Iran in zweifacher Weise einem anderen Ansatz. Zunächst setzte der Iran das öffentliche Gewissen mit der Rechtsüberzeugung der Staaten gleich.651 Überdies ordnete er die aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens entstammenden Verpflichtungen der Rechtsquelle des Vertragsrechts zu.652
647 Oral Statement Australiens zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 40: „The use or threat of nuclear weapons would now be contrary to fundamental principles of humanity, and hence, contrary to customary international law.“ 648 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement Irans, S. 36; Oral Statement Zimbabwes, S. 33. 649 Oral Statement Zimbabwes zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 33. 650 Oral Statement Zimbabwes zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 33. 651 Oral Statement Irans zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 36. 652 Oral Statement Irans zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 32: „(. . .) the argument that prohibition of use of nuclear weapons is not specifically mentioned in any international instrument seems to overlook Marten’s Clause.“
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
(3) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als Prüfungsmaßstab Malaysia und Nauru vertraten in ihren Stellungnahmen die Auffassung, dass der Einsatz von Nuklearwaffen sowohl gegen die Grundsätze der Menschlichkeit als auch gegen die Forderungen des öffentlichen Gewissens verstoße.653 Beide Stellungnahmen beließen es jedoch bei dieser knappen Feststellung. Weitere Aussagen zu der Bestimmbarkeit der beiden Klauselelemente trafen sie nicht. Lediglich Nauru äußerte sich – mit seiner Feststellung, ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens begründe einen Verstoß gegen die HLKO – zumindest mittelbar zur Einordnung der Elemente in die völkerrechtliche Rechtsquellendogmatik.654 ee) Zwischenergebnis Aus der soeben dargelegten Verschiedenartigkeit der vertretenen Auslegungen folgt, dass es keine einheitliche Staatenposition zur rechtlichen Bedeutung der Martens’schen Klausel gibt. Eine Einheitlichkeit wäre jedoch gem. Art. 31 (3) (b) WVK erforderlich, um der Staatenpraxis eine auslegungsrelevante Bedeutung zusprechen zu können. Die Uneinigkeit der Staatenpositionen beschränkt sich nicht nur auf die Frage der Rechtsverbindlichkeit der einzelnen Elemente der Klausel, sondern erstreckt sich ebenso auf deren Einordung in die völkerrechtliche Rechtsquellendogmatik. Insofern lässt auch die Anwendung der Klausel durch die Staatengemeinschaft keine autoritativen Rückschlüsse auf die ihr zukommende rechtliche Bedeutung zu. 4. Stellungnahme
Aufgrund der Ambivalenz der vertretenen Auffassungen, sowohl in der Literatur als auch der Judikatur und in der Staatenpraxis, ist eine Stellungnahme zu den einzelnen Positionen, welche der Klausel einen Einfluss auf die Rechtmäßigkeitsprüfung von Mittel und Methoden der Kriegführung zusprechen, erforderlich. a) Klausel als Prüfungsmaßstab für Mittel der Kriegführung Grundvoraussetzung dafür, dass der Martens’sche Klausel eine eigenständige Bedeutung für die Rechtmäßigkeitsprüfung von autonomen UACVs zukommt, ist, dass den Grundsätzen der Menschlichkeit und/oder den Forderungen des öffentlichen Gewissens eine materielle Bedeutung zuzusprechen ist. Wie aufgezeigt 653 Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement Malaysias, S. 60; Written Submission Naurus, S. 7. 654 Written Submission Naurus zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 7.
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wird dies zum Teil bejaht. Dabei werden im Wesentlichen zwei unterschiedliche Ansätze vertreten. Zum einen werden die Grundsätze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens in den Stand eigenständiger Rechtsquellen erhoben. Zum anderen wird vertreten, die beiden Klauselelemente seien konstitutive Merkmale der von der Klausel in Bezug genommenen Grundsätze des Völkerrechts. Ob diese Argumente tragfähig sind soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. aa) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als eigenständige Rechtsquellen des Völkerrechts Wie dargelegt qualifizierten einige Staaten und nationale Gerichtsentscheidung der Nachkriegszeit655die Grundsätze der Menschlichkeit und/oder die Forderungen des öffentlichen Gewissens als eigenständige Rechtsquellen. Allerdings führten die Vertreter dieser Ansicht zur zur Substantiierung ihrer These keine Argumente an. Sie beließen es vielmehr bei der bloßen Feststellung der Rechtsquellenqualität. Jene Ansicht erweist sich jedoch bereits im Lichte des Normenwortlauts als unzutreffend. Denn dieser besagt, dass Zivilpersonen und Kombattanten im Falle einer vertraglichen Regelungslücke „remain under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from principles of humanity and from dictates of public conscience“. Folglich stehen Zivilpersonen und Kombattanten dem Wortlaut zufolge allein unter dem Schutz der Grundsätze des Völkerrechts („principles of international law“) und gerade nicht unter dem Schutz der Grundsätze der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens. Jene Klauselelemente sind dem Wortlaut nach neben dem „established custom“ lediglich konstitutive Elemente der schutzgewährenden Grundsätze des Völkerrechts. Überdies steht die Ansicht im Widerspruch zur völkerrechtlichen Rechtsquellendogmatik. Denn diese erkennt ausschließlich Vertragsrecht, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze als Ursprung völkerrechtlicher Rechte und Pflichten an.656 Zudem sprechen die travaux préparatoires des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofs gegen die Annahme einer Rechtsquellenqualität der in Rede stehenden Elemente der Klausel. Das 1920 – also nach Inkrafttreten des die Klausel erstmals kodifizierenden Haager Abkommens – 655 SCN, Klinge Case, S. 263; IMT, Krupp et al., S. 1339; DSCC, Rauter Case, S. 542; Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement Australiens, S. 40; Written Submission Mexikos, S. 13; Oral Statement Irans, S. 32; Oral Statement Malaysias, S. 60; Oral Statement Zimbabwes, S. 33; Written Submission Naurus, S. 7, 13. 656 Degan, S. 4; s. auch Art. 38 IGH Statut.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
mit der Ausarbeitung der durch den Gerichtshof anwendbaren Rechtsquellen beauftragte Komitee lehnte den Vorschlag Baron Descamps, die „rules of international law as recognized by the legal conscience of civilized nations“ in den Rechtsquellenkatalog aufzunehmen, ausdrücklich ab.657 Schließlich würde die hier diskutierte Ansicht zu dem bedenklichen Ergebnis führen, dass die Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens in Ermangelung einer Aufnahme in den Rechtsquellenkatalog des Art. 38 IGH Statut der Justiziabilität des IGHs entzogen wären. Folglich ist zu konstatieren, dass eine Auslegung, wonach die Grundsätze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens über die Martens’sche Klausel eine eigenständige Rechtsquellenqualität erlangen, rechtlich nicht haltbar. bb) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als konstitutive Merkmale der Grundsätze des Völkerrechts Die Vertreter der Ansicht658, der zufolge die Grundsätze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens als konstitutive Merkmale der von der Klausel in Bezug genommenen Grundsätze des Völkerrechts zu qualifizieren sind, führen zur Substantiierung ihrer These im Wesentlichen drei Argumente an. Sie berufen sich – wie dargelegt – auf den Wortlaut der Klausel, auf ihre Entstehungsgeschichte und auf die Feststellung des IGH, dass der Klausel völkergewohnheitsrechtliche Geltung zukommt. Zumindest der Wortlaut der Klausel spricht in der Tat für eine derartige Auslegung der Klausel. Zutreffend stellt Shahabuddeen659 fest, dass der Wortlaut der Klausel die Elemente established custom, laws of humanity und dictates of public conscience gleichberechtigt und unterschiedslos als konstitutive Elemente der schutzgewährenden Grundsätze des Völkerrechts nebeneinander aufzählt.660 Nach verbreiteter Auffassung verbietet sich eine solche Lesart der Klausel jedoch deshalb, weil die in Rede stehenden Elemente – Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens – zu unbestimmt seien, um als Ursprung rechtsverbindlicher Pflichten dienen zu können. Dieses Argument ist nicht überzeugend. Denn ein allgemeiner Bestimmtheitsgrundsatz, wie er etwa in Deutsch657 658 659
Degan, S. 46, 47. Shahabuddeen, S. 184 ff.; Strebel (1984), S. 252. Shahabuddeen, S. 184; s. zur Darstellung dieser Ansicht auch: Crawford, E.,
S. 16. 660 s. Wortlaut der Klausel: „In cases not covered by this Protocol or by other international agreements, civilians and combatants remain under the protection and authority of the principles of international law derived from established custom, from principles of humanity and from dictates of public conscience.“
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land aufgrund des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 (3) GG gilt, ist dem Völkerrecht fremd.661 Die Ansicht steht jedoch im Widerspruch zur völkerrechtlichen Rechtsquellendogmatik. Der Widerspruch wird bei einer Definition der dem Wortlaut der Klausel zufolge schutzgewährenden Grundsätze des Völkerrechts offenbar. Weil diese keine Erwähnung in der anerkannten traditionellen völkerrechtlichen Rechtsquellentrias662 aus Art. 38 (1) IGH Statut finden, muss zunächst deren Einordung in die völkerrechtliche Rechtsquellendogmatik erläutert werden. Von den Grundsätzen des Völkerrechts strikt zu trennen sind zunächst die in Art. 38 (1) lit. c IGH Statut genannten allgemeinen Rechtsgrundsätze.663 Letztere finden ihren Ursprung nämlich in den nationalen Rechtsordnungen der Staatengemeinschaft, während erstere dem Völkerrecht selbst entstammen.664 Die Grundsätze des Völkerrechts sind dem Völkergewohnheitsrecht zuzuordnen665 und mithin nicht als eigenständige Völkerrechtsquelle zu qualifizieren. Gemäß der auch völkergewohnheitsrechtlich666 anerkannten Legaldefinition aus Art. 38 (1) (b) IGH Statut667 ist Völkergewohnheitsrecht definiert als eine von Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis von einiger Einheitlichkeit, Dauer und Verbreitung. Die Besonderheit gegenüber den übrigen völkergewohnheitsrechtlichen Regelungen liegt darin, dass die Grundsätze „dermaßen verfestigt sind, dass ein gesonderter Nachweis durch Staatenpraxis nicht mehr erforderlich“ ist.668 Da die Grundsätze des Völkerrechts eine besondere Ausformung des Völkergewohnheitsrechts sind, bleibt nach der traditionellen Rechtsquellendogmatik kein Raum mehr für die neben dem Völkergewohnheitsrecht in der Klausel genannten Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als konstitutive Merkmale der schutzgewährenden Grundsätze des Völkerrechts. Denn die Grundsätze der Menschlichkeit oder die Forderungen des öffentlichen Gewissens sind gerade keine konstitutiven Elemente des Völkergewohnheitsrechtes und mithin der Grundsätze des Völkerrechts. Die traditionelle völkerrechtliche Rechtsquellentrias steht jedoch aufgrund des Charakters des Völkerrechts als Konsensrecht grundsätzlich zur vollständigen Disposition der Staatengemeinschaft. Es wäre den Staaten mithin freigestellt jederzeit die bestehende Rechtsquellenordnung zu modifizieren. Legt man den 661
Kelsen (1950), S. 13 ff. Degan, S. 4. 663 Cassese (2005), S. 16. 664 Thirlway, in: Evans, S. 128. 665 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 227. 666 IGH, Nicaragua Case, S. 98; IGH, Asylum Case, S. 276. 667 s. Wortlaut Art. 38 (1): „The Court, whose function is to decide in accordance with international law such disputes as are submitted to it, shall apply: b. international custom, as evidence of a general practice accepted as law.“ 668 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 227. 662
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Wortlaut der Klausel zugrunde, erscheint es auf den ersten Blick zumindest denkbar, dass die Staatengemeinschaft durch die Klausel eine Modifikation dergestalt vorgenommen hat, dass die Grundsätze des Völkerrechts nunmehr auch aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens gewonnen werden können. Allerdings mangelt es an dem dafür erforderlichen entsprechend ausgestalteten Konsens der Staatengemeinschaft. Denn, dass die Vertragsparteien eine solch tiefgreifende Veränderung der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre durch die Klausel vornehmen wollten, lässt sich den entsprechenden travaux préparatoires nicht entnehmen. Auch die Uneinheitlichkeit der Staatenstellungnahmen im Rahmen des Nuklearwaffen-Gutachtens verdeutlichen, dass eine derartige Modifikation durch die Klausel gerade nicht vorgenommen wurde. Zudem spricht Art. 38 (1) (b) IGH – welcher nach der erstmaligen Aufnahme der Martens’schen Klausel in die Präambel des Haager Abkommens geschaffen wurde – gegen eine solche Modifikation der Rechtsquellendogmatik. Weil die in Rede stehende Auslegung der Klausel mithin mit der geltenden Rechtsquellendogmatik unvereinbar ist, vermag die Entstehungsgeschichte der Klausel sowie die Qualifizierung der Klausel als Regel des Völkergewohnheitsrechts durch den IGH im Nuklearwaffen-Gutachten die in Rede stehende These nicht zu stützen. Zudem lässt die bloße Qualifizierung der Klausel in ihrer Gesamtheit als Regel des Völkergewohnheitsrechts keine Rückschlüsse auf ihre Auslegung zu. Auch die travaux préparatoires zu dem ZPI sprechen gegen die These, dass die Grundsätze der Menschlichkeit und die Forderungen des öffentlichen Gewissens, in welcher Art auch immer, als Prüfungsmaßstab für Mittel der Kriegführung herangezogen werden können. Denn der Vorschlag der DDR, die Klausel in das Kapitel über Mittel und Methoden der Kriegführung – konkret in einen fünften Absatz des Art. 35 (Draft Artikel 30) ZPI – zu positionieren669, wurde abgelehnt und die Klausel letztlich in Art. 1 des ZPI verortet. Folglich ist eine Auslegung, wonach die dem Wortlaut nach schutzgewährenden Grundsätze des Völkerrechts neben dem Völkergewohnheitsrecht auch aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens abgeleitet werden können abzulehnen. Mithin können jene Klauselelemente nicht als Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes von Mitteln und Methoden der Kriegführung herangezogen werden. b) Martens’sche Klausel als Auslegungshilfe Der Klausel könnte jedoch zumindest mittelbar eine Bedeutung für die Rechtmäßigkeitsprüfung autonomer UACVs zukommen wenn ihr eine Auslegungsfunktion zugesprochen werden kann. Wie bereits dargelegt, vertraten sowohl die Trial Chamber des ICTY im Kupreškic´-Fall als auch einige Vertreter der Literatur 669
ICRC, Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law, S. 52.
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und die Salamon Islands in ihrer Stellungnahme zum Nuklearwaffen-Gutachten die Ansicht, dass die eigenständige rechtliche Bedeutung der Martens’schen Klausel in ihrer Funktion als Auslegungshilfe liege. Nach Ansicht des ICTY670 und den Salamon Islands671 ist aufgrund der Martens’schen Klausel im Zweifelsfall eine Regelung stets zugunsten eines größtmöglichen Schutzes der Zivilbevölkerung zu wählen. Meron672 und Cassese673 plädieren demgegenüber dafür, dass bestehende Regelungen derart auszulegen sind, dass sie im Zweifelsfall im Einklang mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens stehen. Eine solche Auslegung könnte im Ergebnis dazu führen, dass erst durch den Rückgriff auf die Klausel eine bestehende vertragliche Norm derart ausgelegt wird, dass der Einsatz eines Mittels der Kriegführung zu ihr in einem Widerspruch steht. Eine solche Auslegungsfunktion der Klausel ist jedoch mit dem Wortlaut der Klausel nicht in Einklang zu bringen. Denn dem insoweit eindeutigen Wortlaut zufolge ist die Klausel nur im Falle einer vertraglichen Regelungslücke anwendbar. Eine solche besteht jedoch gerade nicht, wenn ein Regel zwar einschlägig ist jedoch zu keinem Verbot führt. Überdies sollen dem Wortlaut nach Zivilpersonen und Kombattanten unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts stehen. Wenn nun aber eine bestehende einschlägige Regelung lediglich im Wege der Klausel ausgelegt wird ergibt sich der Schutz letztlich gerade nicht aus den von der Klausel in Bezug genommenen Grundsätzen des Völkerrechts. Er wird dann vielmehr durch die ausgelegte vertragliche Regelung selbst gewährt. Mithin ist der Wortlaut der Klausel eindeutig nicht darauf zugeschnitten, den intendierten Schutz von Zivilpersonen und Kombattanten in Form einer Auslegungsfunktion zu gewähren. Selbst wenn man eine solche Funktion der Klausel mit der Argumentation zuließe, dass sich der Schutz letztlich aus den Grundsätzen des Völkerrechts ergebe, weil ohne den Rückgriff auf die Klausel der im Ergebnis stehende Schutz aus dem Vertrag selbst nicht besteht, stellt sich dann jedoch die Frage, ob die angeführten Zweifelsfallauslegungen haltbar sind. Dies ist zu verneinen. Die Zweifelsfallregelung der zufolge im Zweifel stets eine Auslegung zu wählen ist durch die ein größtmöglicher Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleistet ist steht bereits in einem Wiederspruch zum Normenwortlaut. Denn der persönliche Schutzbereich der Klausel umfasst dem Wortlaut nach sowohl Zivilpersonen als auch Kombattanten. Die angeführte Zweifelsfallauslegung schützt jedoch ausschließlich die Zivilbevölkerung und steht mithin im Widerspruch zum Wortlaut der Martens’schen Klausel. Überdies ist fraglich, ob die Zweifelsfallauslegungs670 671 672 673
ICTY, Kupreškic´ et al., Para. 525. Written Submission der Salomon Islands zum Nuklearwaffen-Gutachten, S. 61. Meron, The Martens Clause, S. 88. Cassese (2000), S. 212.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
regel mit dem Sinn und Zweck des Rechts des bewaffneten Konflikts vereinbar ist. Denn wie schon der Präambel der St. Petersburger Erklärung von 1868 zu entnehmen ist, ist Sinn und Zweck des Rechts des bewaffneten Konflikts einen Ausgleich zwischen militärischer Notwendigkeit und humanitären Erwägungen zu finden.674 Demgemäß ist eine Auslegungsfunktion, durch die stets eine Auslegung allein zugunsten humanitärer Erwägungen zu wählen ist, nicht mit dem Telos des Rechts des bewaffneten Konflikts in Einklang zu bringen. Der Telos des Rechts des bewaffneten Konflikts spricht auch gegen eine Auslegung derzufolge ein vertragliche Regelung im Zweifelsfall derart ausgelegt werden soll, dass sie im Einklang mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und den Forderungen des öffentlichen Gewissens steht. Überdies setzt eine Operabilität einer solchen Zweifelsfallregelung eine klare Bestimmbarkeit der Elemente der Klausel voraus. Laut Cassese ist der Inhalt der Grundsätze der Menschlichkeit aus menschenrechtlichen Standards und der Inhalt der Forderungen des öffentlichen Gewissens aus Resolutionen oder anderen autoritativen Handlungen repräsentativer internationaler Institutionen zu entnehmen. Eine solche Bestimmung der Elemente ist jedoch in Ermangelung einer entsprechend ausgestalteten Staatenpraxis in der Auslegung der Klausel abzulehnen. Insbesondere die Gleichsetzung der Grundsätze der Menschlichkeit mit den Menschenrechten verbietet sich im Kontext des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Denn dies führte im Ergebnis zu einer unzulässigen Vermischung beider Rechtsregime. c) Grundsätze der Menschlichkeit und Forderungen des öffentlichen Gewissens als Elemente des Völkergewohnheitsrechts Ein Teil der Literatur vertritt die Auffassung, dass die Klausel eine Modifikation der Entstehungsvoraussetzungen von völkergewohnheitsrechtlichen Regelungen im Bereich des Rechts des bewaffneten Konflikts bewirkt. Konkret seien die Anforderungen an das Element der Staatenpraxis für die Herausbildung einer Regel des Völkergewohnheitsrechts abzusenken und im Ausgleich dem Element der Rechtsüberzeugung eine höhere Bedeutung als in den übrigen Bereichen des Völkerrechts zuzugestehen.675 Diese Ansicht vermag aus zwei Gründen nicht zu überzeugen. Zum einen ist die von der Ansicht im Ergebnis vorgenommene Qualifikation der Grundsätze der Menschlichkeit und der Forderungen des öffentlichen Gewissens als Bestandteil des für die Herausbildung einer völkergewohnheitsrechtlichen Regelung konstitutiven Elements der Rechtsüberzeugung nicht haltbar. Zum anderen lässt sich der völkerrechtlichen Rechtsquellendogmatik eine Modifizierung der Anforderungen an den Nachweis oder die Entstehung 674 ZDv 15/2, Para. 103; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 713. 675 Cassese (2000), S. 214; Rensmann, S. 114, 115.
§ 6, B. Rechtliche Bedeutung der Klausel
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einer völkergewohnheitsrechten Regelung allein im Kontext des Rechts des bewaffneten Konflikts nicht entnehmen. Das Element der Rechtsüberzeugung ist definiert als die „Überzeugung im Sinne einer gefestigten Position, dass eine bestimmte Verhaltensweise geboten ist, weil sie dem entspricht, was die Völkerrechtssubjekte als dem Recht gemäß betrachten“ 676. Es handelt sich mithin um eine subjektive Komponente. Der Nachweis einer solchen subjektiven Grundhaltung der Staatengemeinschaft lässt sich naturgemäß nur sehr schwer führen. Anerkanntes Indiz für das Vorliegen einer Rechtsüberzeugung sind daher entsprechende Äußerungen von Regierungsvertretern.677 Die Grundsätze der Menschlichkeit begründen jedoch einen objektiven Maßstab678 und die Forderungen des öffentlichen Gewissens lassen sich gerade nicht dem Staat – d. h. der Regierung – zuordnen und können daher nicht als Element der Rechtsüberzeugung qualifiziert werden. Die von der Ansicht postulierte Sonderstellung des Rechts des bewaffneten Konflikts im Rahmen der Herausbildung einer völkergewohnheitsrechtlichen Regelung entbehrt jedweder rechtlichen Basis und ist mithin abzulehnen. d) Erinnerungsfunktion der Klausel Wie dargelegt wird vertreten, dass die Funktion der Klausel darin liege, an die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht im Falle einer vertraglichen Regelungslücke zu erinnern.679 Diese Ansicht überzeugt. Dem insoweit eindeutigen Normenwortlaut der Klausel zufolge stehen Zivilpersonen und Kombattanten im Falle einer vertraglichen Regelungslücke unter dem Schutz der Grundsätze des Völkerrechts, welche – wie bereits dargelegt – dem Völkergewohnheitsrecht zuzuordnen sind. e) Klausel als Umkehrschlussverbot Weitgehende Einigkeit besteht wie aufgezeigt darüber, dass der Klausel materiell-rechtlich zu entnehmen sei, dass nicht alles was ausdrücklich verboten ist, im Umkehrschluss erlaubt sei. Eine derartige Funktion kann der Klausel im Lichte des Normenwortlauts jedoch nur sehr eingeschränkt entnommen werden. Denn ausweislich des Normenwortlauts ist die Anwendbarkeit der Klausel auf solche Situationen beschränkt in denen ein Verhalten vertraglich nicht erfasst ist. Mithin vermag die Klausel von Anfang an nur vertragliche nicht jedoch rechts676
Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 218. ICTY, Tadic´ (1995), Para. 128. 678 s. Bedeutung des Wortes principle: „a basic truth“, http://www.merriam-webster. com/dictionary/principle. 679 Dinstein (2010), S. 57; Stellungnahmen zum Nuklearwaffen-Gutachten: Oral Statement der USA, S. 78; Written Submission Großbritanniens, S. 48; Oral Statement Neuseelands, S. 25. 677
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
quellenübergreifende Regelungslücken zu füllen. Überdies stellt sich weiterhin die Frage, in welcher Weise die Klausel die ihr zugedachte Funktion als Umkehrschlussverbot ausfüllen soll. Die vertragliche Regelungslücke kann – wie dargelegt – in Ermangelung einer Rechtssatzqualität jedenfalls nicht durch die Gesetze der Menschlichkeit oder die Forderungen des öffentlichen Gewissens geschlossen werden. Einzig das durch die Klausel in Bezug genommene Völkergewohnheitsrecht kann zu diesem Zwecke herangezogen werden. Somit erschöpft sich die postulierte Funktion der Klausel als Umkehrschlussverbot darin, dass nicht alles was vertraglich nicht geregelt nicht automatisch erlaubt ist, wenn und soweit sich ein Verbot für das fragliche Verhalten aus Völkergewohnheitsrecht ergibt.
C. Zwischenergebnis Folglich ist zu konstatieren, dass der Klausel für die Rechtmäßigkeitsbestimmung des Einsatzes von Mitteln der Kriegführung keine eigenständige Bedeutung zukommt. Gesichert kann der Klausel materiell-rechtlich wohl nur die Funktion als Erinnerung an die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht und das genannte Umkehrschlussverbot entnommen werden. Dass sich der materielle Regelungsgehalt der Klausel mithin im Wesentlichen in einer Erinnerungsfunktion an die Anwendbarkeit des Völkergewohnheitsrecht erschöpft, kann auch nicht mit dem Argument entkräftet werden, dass die Klausel dann aus materiell-rechtlicher Sicht als redundant zu qualifizieren ist, weil sich ihr Aussagegehalt dann darin erschöpft, Staaten an Verpflichtungen zu erinnern, die bereits vollständig dehorse der Klausel existieren.680 Denn es ist im Völkerrecht eher die Ausnahme, dass das Vertragsrecht als Normerzeuger (law-making treaties) fungiert. Insbesondere das vertraglich fixierte Recht des bewaffneten Konflikts besteht zum größten Teil aus Regelungen, die auch außerhalb der Verträge in Gestalt völkergewohnheitsrechtlicher Regelungen existieren.681 Der bloße Umstand, dass die Klausel Einzug in den operativen Vertragstext des ZPI gefunden hat, kann ebenfalls nicht als Argument für eine weitergehende rechtliche Bedeutung der Klausel herangezogen werden. Wenngleich sich eine Vielzahl von Staaten auf den Genfer diplomatischen Konferenzen von 1974–1977 ausdrücklich dafür aussprachen, dass die Klausel im operativen Vertragstext statt in der Präambel des ZPI verankert werden sollte682, kann aus den Staatenstellungnahmen die Absicht einer normativen Stärkung der Klausel nicht entnommen werden. Überdies sprachen sich auf den Konferenzen auch einige Staaten „in view of its vagueness“ gegen eine Platzierung der Klausel in Art. 1 ZPI aus 680
So aber Shahabuddeen, S. 183. Schmitt (2006), S. 139. 682 s. Schweiz, United Kingdom: ICRC, 8 Official Records of the Diplomatic Conference 1978, S. 19, 29. 681
§ 7 Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung
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und favorisierten stattdessen eine Rückversetzung der Klausel in die Präambel.683 Wegen des in sich nicht stimmigen Normenwortlauts, der wie dargelegt in einem unauflösbaren Widerspruch zu der völkerrechtlichen Rechtsquellendogmatik steht, muss die Konzeption der Klausel als misslungen bezeichnet werden. Entsprechend verdient Casseses Plädoyer dafür, die Klausel in seiner aktuellen Fassung in Zukunft nicht mehr in völkerrechtliche Verträge zu übernehmen684 Zustimmung. Letztlich obliegt es der Staatengemeinschaft, durch eine einheitliche Anwendung der Klausel den seit ihrer erstmaligen Kodifikation währenden Streit über ihre rechtliche Funktion endgültig zu entscheiden. Nach aktuellem Stand des Völkerrechts kann die Klausel jedoch nicht zur Rechtmäßigkeitsanalyse von vollautonomen UACVs herangezogen werden. Mithin kommt es auf das Bestehen einer den Anwendungsbereich der Klausel eröffnenden vertraglichen Regelungslücke im Bereich möglicher Luft-Boden Einsatzszenarien von autonomen UACVs nicht mehr an.
§ 7 Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung, Verbot der Perfidie und Grundsatz der Ritterlichkeit In der öffentlichen Debatte werden Drohnenangriffe oftmals als „hinterhältig“, 685 „feige“ 686 oder „heimtückisch“ 687 und daher als Unrecht charakterisiert. Laut Singer wurde das Wort Drohne als umgangssprachlicher Begriff gar in die pakistanische Nationalsprache Urdu aufgenommen und wird in Rockmusiktexten verwendet um die Vereinigten Staaten von Amerika des unehrenhaften Kampfes zu beschuldigen.688 Diese öffentliche Kritik bezieht sich in der Regel darauf, dass das Angriffsziel den mittels einer Drohne durchgeführten Angriff wegen der Entfernung und Lautlosigkeit nicht vorhersehen kann und mithin arglos auf seine Sicherheit vertraute.689 Dies wirft die Frage auf, ob jene vielfach geäußerte öffentliche Kritik mit einem dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts zu entnehmenden Verbot derartiger Angriffe korrespondiert. Der Schutz eines 683
s. Nigeria, Brasilien: ICRC, 8 Official Records of the Diplomatic Conference 1978, S. 30, 32. 684 Cassese (2000), S. 215. 685 Leserkommentar, http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-04/drohnen-einsatz-usajemen. 686 Leserkommentar, http://www.politikforen.net/showthread.php?95261-15-Terroris ten-durch-US-Drohnenangriff-getötet/page4. 687 Leserkommentar, http://derstandard.at/1326504160031/Obama-bestaetigt-erstmalsUS-Drohnenangriffe?seite=3. 688 Singer, S. 78. 689 Leserkommentar, http://2012missionphoenix.wordpress.com/2012/08/26/eine-de finitionsfrage/.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
berechtigten Vertrauens des Gegners, nicht angegriffen zu werden, ist dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts nicht fremd. Diesbezügliche Regelungen finden sich in dem Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung aus Art. 23 (b) HLKO und dem Verbot der Perfidie aus Art. 37 ZPI.690
A. Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung Gemäß des auch völkergewohnheitsrechtlich691 geltenden Art. 23 (b) HLKO ist es „especially forbidden to kill or wound treacherously individuals belonging to the hostile nation or army“. Das erstmals in der HLKO verbindlich niedergelegte Verbot meuchlerischer Tötung geht zurück auf Art. 13 (b) der Brüsseler Erklärung von 1874692 und Art. 8 (b) des Oxford Manuals von 1880693. Ausgehend von der nach Völkergewohnheitsrecht694 bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge maßgeblichen üblichen Bedeutung des Wortes „treacherously“ 695 verbietet das Verbot aus Art. 23 (b) HLKO die Tötung oder Verletzung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres durch den Bruch eines berechtigten Vertrauens, welches darauf gerichtet ist, sich in dem fraglichen Moment keines Angriffes versehen zu müssen.696 Das Verbot meuchlerischer Tötung fußt mithin auf der Erwägung, dass auch im Kriege ein gewisses Mindestmaß an Vertrauen in die Ehrhaftigkeit und Verlässlichkeit der gegnerischen Konfliktpartei vorherrschen muss.697 Das erforderliche berechtigte Vertrauen des Angriffszieles ist jedoch nur dann im Sinne des in Rede stehenden Verbotes völkerrechtswidrig enttäuscht, wenn „the offender assumes a false character by which the deceives his enemy and thereby is able to effect a hostile act which, had he come under his true colours, he could not have done“.698 Daraus folgt, dass die bloße Arglosigkeit und daraus resultierende Wehrlosigkeit des Gegners für sich genommen nicht ausreicht, um die Tötung oder Verletzung als meuchlerisch zu qualifizieren. Zutreffend stellt Schmitt in diesem Zusammenhang heraus, dass das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts 690 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 435; Schmitt (1992), S. 633; Bothe/Partsch/ Solf, S. 202, 203; Spaight, S. 87. 691 Schmitt (1992), S. 630. 692 s. Wortlaut von Art. 13 (b): „(. . .) it is especially forbidden: Murder by treachery of individuals belonging to the hostile nation or army.“ 693 s. Wortlaut von Art. 8 (b): „As the struggle must be honourable it is forbidden: To make treacherous attempts upon the life of an enemy.“ 694 IGH, Oil Platforms, S. 803. 695 s. Definition des Oxford Dictionaries zum Begriff treachery: „betrayal of trust“, http://oxforddictionaries.com/definition/english/treachery. 696 Harder, S. 4; Schmitt (1992), S. 633; Wachtel, S. 682; Fleck, S. 278; Verri, S. 115. 697 Dehn, S. 632. 698 Spaight, S. 87.
§ 7, A. Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung
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dem Feind kein Recht einräumt, darauf zu vertrauen, ohne vorherige Warnung nicht angegriffen zu werden.699 Insbesondere erfordert das Verbot meuchlerischer Tötung nicht, dass der Angreifer seinem Opfer offen gegenübertritt.700 Daher gilt es im Rahmen des Art. 23 (b) HLKO streng zwischen erlaubten Überraschungsangriffen und verbotenen meuchlerischen Tötungen oder Verletzungen zu unterscheiden.701 Das Überraschungsangriffe und bestimmte Täuschungen des Gegners als zulässige militärische Taktiken zu qualifizieren sind, folgt überdies unmittelbar aus der Zulässigkeit von Kriegslisten gem. Art. 24 HLKO. Das für die Unterscheidung zwischen Kriegslisten und meuchlerischen Angriffen maßgebliche berechtigte Vertrauen des Angriffszieles, sich keines Angriffes versehen zu müssen, muss dabei konkret auf einem vorgetäuschten Verhalten des Angreifers fußen, welches seine feindlichen Absichten verschleiert.702 Dieses Verhalten kann in dem Vortäuschen eines durch das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts geschützten Status liegen. So ist anerkannt, dass das Töten eines gegnerischen Kombattanten dann meuchlerisch ist, wenn derjenige der den Angriff durchführt zum Zeitpunkt der Tötung keine Uniform trägt und mithin einen zivilen Status vortäuscht.703 Gleichwohl muss das Vertrauen des Angriffsziels nicht zwingend auf einem vorgetäuschten geschützten Status des Angreifers fußen. Denn auch das Bestechen eines Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte zum Zwecke der Tötung seines Kommandanten gehört zu den klassischen Beispielen einer verbotenen meuchlerischen Tötung.704 Die Wahl des Angriffsmittels ist für die Qualifikation eines Angriffes als verbotene meuchlerische Tötung oder Verletzung im Sinne des Art. 23 (b) HLKO hingegen nicht von Bedeutung.705 Denn die Wahl der Mittel knüpft nicht an ein vorgetäuschtes Verhalten an, auf dem die Arglosigkeit des Angriffszieles beruhen könnte. Mithin ist der Einsatz autonomer UACVs per se von dem Verbot nicht erfasst. Eine Ausnahme ist nur dann denkbar, wenn durch falsche Kennzeichnung ein ziviler oder geschützter Status vorgetäuscht und somit ein darauf gestütztes berechtigtes Vertrauen des Angriffszieles, nicht angegriffen zu werden, für die Angriffshandlung ausgenutzt wird. Wegen der Flughöhe und vergleichsweise geringen Größe autonomer UACVs dürfte ein auf Falschkennzeichnungen gestütztes Vertrauen kaum zur Entstehung gelangen, so dass dieser Ausnahme in der Praxis wohl keine Relevanz zukommt. Denn wenn das Angriffsziel den vorgetäuschten Status nicht erkennen kann, fehlt es an dem erforderlichen darauf gestützten berechtigten Vertrauen des Angriffsziels sich keines Angriffes versehen zu müssen. 699 700 701 702 703 704 705
Schmitt (1992), S. 634. Schmitt (1992), S. 634. Wachtel, S. 683; Spaight, S. 87. Wachtel, S. 683; Schmitt (1992), S. 641. Wiebe, S. 388. Bothe/Partsch/Solf, S. 204; Schmitt (1992) S. 641. Schmitt (1992), S. 641.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
B. Verbot der Perfidie Das auch völkergewohnheitsrechtlich706 geltende Verbot der Perfidie aus Art. 37 (1) ZPI knüpft an die Rechtstradition des Verbots meuchlerischer Tötung oder Verletzung aus Art. 23 (b) HLKO an, ohne sich jedoch in dessen inhaltlicher Reproduktion zu erschöpfen.707 Art. 37 (1) ZPI liegt folgender Wortlaut zugrunde: „It is prohibited to kill, injure or capture an adversary by resort to perfidy. Acts inviting the confidence of an adversary to lead him to believe that he is entitled to, or is obliged to accord, protection under the rules of international law applicable in armed conflict, with intent to betray that confidence, shall constitute perfidy.“
Der dargelegte Wortlaut offenbart, dass dem Perfidieverbot zugleich eine engere als auch eine weitere Konzeption zugrunde liegt als dem Verbot meuchlerischer Tötung oder Verletzung.708 So umfasst der materielle Anwendungsbereich der Norm nach Maßgabe von Satz 1 nicht nur die Verletzung oder Tötung, sondern darüber hinaus auch die Gefangennahme. Wenngleich der Anknüpfungspunkt des Perfidieverbotes ebenfalls der Bruch eines berechtigten Vertrauens des Gegners ist, sich zum maßgeblichen Zeitpunkt keines Angriffes versehen zu müssen,709 folgt aus der Legaldefinition aus Art. 37 (1) 2 ZPI jedoch, dass die Anforderungen an jenes Vertrauen im Kontext des Verbots der Perfidie strenger sind als im Rahmen des Verbotes meuchlerischer Tötungen aus Art. 23 (b) HLKO. Denn dass Vertrauen des Gegners ist nur dann berechtigt, wenn es auf einem vorgetäuschten durch das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts geschützten Status des Angreifers gestützt ist. Dies unterstreicht auch die nicht abschließende beispielhafte710 Aufzählung perfider Handlungen aus Art. 37 (1) 3 ZPI. Denn diese knüpfen sämtlich an das Vortäuschen eines geschützten Status an.711 Daher unterfällt die Tötung eines gegnerischen Befehlshabers durch die Hand eines bestochenen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte zwar – wie dargelegt – dem Verbot meuchlerischer Tötung aus Art. 23 (b) HLKO, nicht jedoch dem Perfidieverbot aus Art. 37 ZPI.712 Wegen des zum Teil unterschiedlichen 706
Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 221. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 431: „This part does not aim to replace the Hague Conventions of 1907, but is concerned with them.“ 708 Bothe/Partsch/Solf, S. 203, 204; Dehn, S. 632; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 432; Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 225; Kalshoven/Zegveld, S. 93. 709 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 430. 710 Bothe/Partsch/Solf, S. 205; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 436. 711 s. Art. 37 (1) 3 ZPI: „The following acts are examples of perfidy: (a) the feigning of an intent to negotiate under a flag of truce or of a surrender; (b) the feigning of an incapacitation by wounds or sickness; (c) the feigning of civilian, non-combatant status; and (d) the feigning of protected status by the use of signs, emblems or uniforms of the United Nations or of neutral or other States not Parties to the conflict.“ 712 Bothe/Partsch/Solf, S. 204. 707
§ 7, B. Verbot der Perfidie
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Regelungsgehaltes beider Normen resümieren Sandoz et al. daher zutreffend: „It is clear that the prohibition of treacherous killing or wounding of individuals belonging to the nation or the army of the enemy has survived in its entirety.“ 713 Im Bereich der im Übrigen verbleibenden gemeinsamen Schnittmengen deckt sich jedoch der normative Gehalt beider Vorschriften weitestgehend.714 Insbesondere führt Art. 36 (2) ZPI, die bereits durch Art. 24 HLKO eingeführte strikte Unterscheidung zwischen verbotenen Täuschungshandlungen und legalen Kriegslisten fort und präzisiert diese durch eine Legaldefinition.715 Gemäß Art. 36 (2) 2 ZPI sind Kriegslisten „acts which are intended to mislead an adversary or to induce him to act recklessly but which infringe no rule of international law applicable in armed conflict and which are not perfidious because they do not invite the confidence of an adversary with respect to protection under that law“. Weil das Verbot der Perfidie, in Bezug auf die an die Handlung des Angreifers zu stellenden Anforderungen, – wie dargelegt – insoweit enger gefasst ist, dass ausschließlich das Vortäuschen eines geschützten Status von Art. 37 (1) ZPI erfasst ist, ist die Wahl des Angriffsmittels im Kontext des Perfidieverbotes grundsätzlich ebenfalls ohne Bedeutung. Mithin ist der Einsatz autonomer UAVCs per se auch durch Art. 37 (1) ZPI nicht verboten. Einzig das durch falsche Kennzeichnung hervorgerufene Vortäuschen eines geschützten Status kann, wie im Kontext des Art. 23 (b) HLKO, im Einzelfall ebenfalls zumindest theoretisch eine Ausnahme bilden, wenn und soweit die Tötung oder Verletzung final mit der Statustäuschung verknüpft ist und sich das Angriffsziel infolge dieser Täuschung keines Angriffes versah. Ausgehend von der Legaldefinition aus Art. 37 (2) ZPI, ist der Einsatz autonomer UACVs per se zudem nicht einmal als zulässige Kriegslist zu qualifizieren. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Einsatz von autonomen UACVs mit der ausdrücklichen Zielsetzung erfolgt, den Gegner irrezuführen oder ihn zu unvorsichtigen Handlungen zu verleiten. Der bloße Umstand, dass das Angriffsziel den Angriff nicht kommen sieht und insoweit infolge seiner Arglosigkeit gegebenenfalls unvorsichtig handelt, genügt ohne eine Täuschungsintention des Angreifers nicht.716 Das Erfordernis einer täuschenden Handlung folgt unmittelbar aus der üblichen Wortbedeutung des Begriffes „ruse“. Denn laut dem Oxford Dictionary bedeutet „ruse“: „an action intended to deceive someone; a trick.“ 717 Neben dem Wortlaut ergibt sich das Erfordernis einer Täuschung des Gegners überdies
713
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 431. Schmitt (1992), S. 631. 715 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 440; Bothe/Partsch/Solf, S. 206. 716 Zum Erfordernis einer täuschenden Handlung siehe auch Definition in: Verri, S. 100. 717 http://oxforddictionaries.com/definition/english/ruse. 714
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
aus der in Art. 37 (2) 3 ZPI nicht abschließenden beispielhaften Auflistung718 zulässiger Kriegslisten, welche ihrer Natur nach einen Täuschungscharakter aufweisen.719 Insoweit unterscheidet sich der Einsatz autonomer UACVs – in dem hier diskutierten Kontext – nicht wesentlich von dem Einsatz eines Scharfschützen, der ebenfalls nicht als Kriegslist zu qualifizieren ist.
C. Prinzip der Ritterlichkeit Traditionelle Militärhandbücher nennen oftmals das Prinzip der Ritterlichkeit als Bestandteil des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. So nennt das U.S. Army Manual720 und das Pendent der U.S. Navy721 das Prinzip der Ritterlichkeit neben dem Prinzip der militärischen Notwendigkeit und Humanität als „basic principle“ des ungeschriebenen Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Entsprechend verlangt das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts gemäß Para. 3 der aktuellsten Fassung des Army Field Manuals „that belligerents refrain from employing any kind or degree of violence which is not actually necessary for military purposes and that they conduct hostilities with regard for the principles of humanity and chivalry“.722 Das Äquivalent der U.S. Air Force qualifiziert das Prinzip der Ritterlichkeit neben dem Prinzip militärischer Notwendigkeit, dem Unterscheidungsgrundsatz, dem Exzessverbot und dem Verbot überflüssiger Leiden und unnötiger Verletzungen als „important principle“ des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts.723 Die genannten US-Regularien werfen die Frage nach der rechtlichen Bedeutung des Prinzips der Ritterlichkeit auf. Gemäß des U.S. Operational Law Handbook aus dem Jahre 2010, welches der Ausbildung von Judge Advocates aller Teilstreitkräfte zu dienen bestimmt ist724 und daher als autoritative Zusammenfassung der einzelnen Regularien aller U.S. Teilstreitkräfte herangezogen werden kann, basiert das Prinzip der Ritterlichkeit „on notions of honor, trust, good faith, justice and professionalism“ und „prohibits armed forces from abusing the law of war in order to gain an advantage over their adversaries“. Weiter heißt es: „Chivalry therefore demands a degree of fairness in offence and defense and requires mutual respect and trust between opposing forces. It denounces and forbids resort to dishonorable means, expedients, or conduct that would constitute a 718
Bothe/Partsch/Solf, S. 206. s. Wortlaut Art. 37 (2) 3 ZPI: „The following are examples of such ruses: the use of camouflage, decoys, mock operations and misinformation.“ 720 Chapter I, Para. 9, FM 27-10, 1914; Chapter 1, Para. 4 (c), FM 27-10, 1934; Chapter I, Para. 4 (c), FM 27-10,1940; Section I, Para.3 (a), FM 27-10, 1956. 721 Vgl. Chapter 2, Para. 220, NWIP 10-2. 722 Section I, Para.3, FM 27-10, 1956. 723 Vgl. Para. 5, 6, AFP 110-31. 724 Bill/Marsh, S. 1. 719
§ 7, C. Prinzip der Ritterlichkeit
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breach of trust. While chivalry is not based on reciprocity, it nevertheless must be applied at all times regardless of enemy forces’ actions.“ 725 Mit den genannten Ausführungen führt das U.S. Operational Law Handbook die drei leicht voneinander abweichenden Definitionen des FM 27-10726, des AFP 36-2241727 und des NWIP 10-2728 in einer Definition zusammen. Im Fokus des Prinzips der Ritterlichkeit steht nach der U.S. Position mithin das Erfordernis eines fortwährenden ehrenhaften und fairen Verhaltens sowohl bei Offensiv- als auch bei Defensivmaßnahmen sowie der Schutz des Vertrauens des Gegners in die Einhaltung dieses Verhaltenskodex. Nach Maßgabe des in Rede stehenden Handbooks sind die Verbote meuchlerischer Tötung oder Verletzung und der Perfidie Ausdruck des Prinzips der Ritterlichkeit.729 Ob dem Prinzip ein eigenständiger Anwendungsbereich zukommt und, ob und inwieweit es mit normativer Kraft den Konfliktparteien Verhaltensbeschränkungen auferlegt, ist dem für die U.S. Auffassung maßgeblichen Handbook nicht eindeutig zu entnehmen. Dies kann in Ermangelung einer hinreichenden Unterstützung des Prinzips durch die übrigen Mitglieder der Staatengemeinschaft im Ergebnis jedoch auch dahin stehen. Denn um den von den U.S. Militärhandbüchern zugedachten Status als Prinzip des Völkergewohnheitsrechtes aufzuweisen, müsste das Prinzip der Ritterlichkeit einen entsprechenden Rückhalt in der von Rechtsüberzeugung getragenen Staatenpraxis einer hinreichenden Einheitlichkeit, Dauer und Verbreitung für sich beanspruchen können. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Das Prinzip der Ritterlichkeit ist der großen Mehrheit von Militärhandbüchern entweder völlig fremd730 oder ihm wird eine eigenständige rechtliche Signifikanz im Sinne eines Prüfungsmaßstabes für das Verhalten der Konfliktparteien abgesprochen. So bezeichnet das Joint Doctrine Manual des kanadischen Verteidigungsministeriums das Prinzip der Ritterlichkeit gemeinsam mit dem Prinzip militärischer Notwendigkeit und Humanität als bloßes „primary concept“, welches dem Recht des bewaffneten Konflikts lediglich zugrunde liegt.731 Entsprechend ist das Konzept der Ritterlichkeit gemäß Para. 202.7. des Joint Doctrine Manual „difficult to define“ und „refers to the conduct of hostilities in accordance with
725
Bill/Marsh, S. 13. s. Definitionen aus Chapter 1, Para. 4 (c), FM 27-10, 1934; Chapter I, Para. 4 (c), FM 27-10, 1940: „The principle of chivalry, which denounces and forbids resort to dishonorable means, expedients, or conduct.“ 727 s. Definition aus Para. 6.5.5., AFP 36-2241: „chivalry requires a certain amount of fairness in offense and defense and a certain mutual respect between opposing forces.“ 728 s. Definition aus Para. 220, NWIP 10-2: „The principle of chivalry forbids the resort to dishonorable (treacherous) means, expedients, or conduct.“ 729 Bill/Marsh, S. 13. 730 s. etwa: ZDv 15.2. 731 s. Para. 202, B-GJ-005-104/FP-021. 726
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
certain recognized formalities and courtesies“ und „makes armed conflict slightly less savage and more civilized for the individual combatant.“ Auch innerhalb der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass das Prinzip der Ritterlichkeit zwar die Entwicklung des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts entscheidend mitgeprägt hat732 und, dass aus ihm das Verbot unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen733 sowie das Perfidieverbot und das Verbot meuchlerischer Tötungen oder Verletzungen734 hervorgegangen sind, dem Prinzip aber gleichwohl heute keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt.735 Entsprechend konstatieren Roberts: „In short chivalry is not generally recognized as a practical restraint on war.“ 736 und Sabel: „chivalry is no longer with us“ 737. Diesen Einschätzungen schließt sich auch Schmitt mit folgender Aussage an: „It (the law of war) is no longer a body of law designed to ensure a fair-fight between two opponents.“ 738 Folglich ist zu konstatieren, dass das Prinzip der Ritterlichkeit keine materiellrechtliche Geltung für sich beanspruchen kann und mithin auch nicht als Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes autonomer UACVs heranzuziehen ist.
§ 8 Verbot der Terrorisierung der Zivilbevölkerung Der Einsatz von Drohnen wird in der öffentlich geführten Debatte verstärkt auch unter dem Aspekt ihrer generellen Auswirkungen auf den psychologischen Zustand der Zivilbevölkerung kritisiert.739 So beklagen die International Human Rights and Conflict Resolution Clinic der Stanford Law School und die Global Justice Clinic der NYU School of Law in ihrem gemeinsamen – im September 2012 – veröffentlichten Papier „Living under Drones“: „Their presence terrorizes men, women, and children, giving rise to anxiety and psychological trauma among civilian communities. Those living under drones have to face the constant worry that a deadly strike may be fired at any moment, and the knowledge that they are powerless to protect themselves“ 740 732
Menon, S. 196; Doswald-Beck/Vite, S. 95. Yuzon, S. 812; Wilcox, S. 303. 734 Bothe/Partsch/Solf, S. 202; Puls, S. 190; Schmitt (1999–2000), S. 308; O’Brien, S. 208; Meron, The Humanization of Humanitarian Law, S. 242; Doswald-Beck/Vite, S. 95. 735 Tiefenbrun, S. 51; Corn, S. 334; Sabel, S. 443; Roberts, G., S. 115; DoswaldBeck/Vite, S. 95; Schmitt (1998), S. 1088. 736 Roberts, G., S. 115. 737 Sabel, S. 443. 738 Schmitt (1998), S. 1088. 739 Walsh/Mehsud, S. 1; Guerin, S. 1; International Human Rights and Conflict Resolution Center/Global Security Clinic, Living under Drones, S. 1 ff. 740 International Human Rights and Conflict Resolution Center/Global Security Clinic, Living under Drones, S. vii. 733
§ 8 Verbot der Terrorisierung der Zivilbevölkerung
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Der erhobene Vorwurf, der Einsatz von Drohnen terrorisiere die Zivilbevölkerung, ist jedoch durch kein Verbot des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts gedeckt. Gemäß Art. 51 (2) 2 ZPI sind lediglich „acts or threats of violence the primary purpose of which is to spread terror among the civilian population“ verboten. Dem klaren Wortlaut zufolge handelt es sich um eine verbotene Methode der Kriegführung, welche keine besonderen Implikationen auf den Einsatz bestimmter Mittel der Kriegführung hat. Darüber hinaus liegt der auch völkergewohnheitsrechtlich741 geltenden Vorschrift eine enge Konzeption zugrunde. Ausweislich des Wortlauts – „primary purpose of which“ – kommt es für die Anwendbarkeit des Verbotes allein darauf an, dass die Terrorisierung der Zivilbevölkerung die primäre Zweckrichtung eines Angriffes sein muss. Gegenstand des Verbotes ist mithin nicht primär die im Ergebnis stehende Terrorisierung der Zivilbevölkerung sondern vielmehr ein zu diesem Zweck durchgeführter Angriff.742 Dieses Auslegungsergebnis findet seine Bestätigung in den travaux préparatoires. Denn die mit der Formulierung der in Rede stehenden Vorschrift beauftragte Arbeitsgruppe war sich darüber einig, „that the prohibition should be limited to intentional conduct specifically directed toward the spreading of terror and that it should exclude terror which is merely an incidental effect of attacks which have another primary object and are in all other respects lawful“. 743 Diese Art. 51 (2) 2 ZPI zugrunde liegende Konzeption des Verbotes der Terrorisierung der Zivilbevölkerung findet seine Berechtigung in der praktischen Erwägung, dass grundsätzlich jeder Angriff Auswirkungen auf den Gemütszustand oder die Gefühlslage der Zivilbevölkerung entfalten kann.744 Es liegt in der Natur des Krieges, dass die in seinem Kontext durchgeführten Angriffshandlungen die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten können. Es gilt sich jedoch in diesem Zusammenhang zu vergegenwärtigen, dass es sich bei dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts um eine Notordnung handelt, deren primäre Zielsetzung darin liegt, einen Ausgleich zwischen militärischer Notwendigkeit und humanitären Erwägungen zu suchen.745 Daher muss die Vornahme von Kampfhandlungen praktisch möglich bleiben. Dies wäre jedoch nicht gewährleistet, wenn der Verursachung von Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung, als nicht beabsichtigte aber unter Umständen unvermeidliche Begleitfolge einer Kampfhandlung, per se eine prohibitive Wirkung zukäme. Aus den vorgenannten Erwägungen ist auch die Art des von dem Exzessverbot erfassten Kolla741
Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 8. Bothe/Partsch/Solf, S. 301. 743 Bothe/Partsch/Solf, S. 301. 744 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 618. 745 ZDv 15/2, Para. 103; Schmitt, Deconstructing Direct Participation in Hostilities, S. 713. 742
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
teralschadens bereits durch den Normenwortlaut auf Tötungen, Verletzungen beziehungsweise auf Beschädigungen oder derartige Folgen zusammen beschränkt, so dass auch im Kontext des Exzessverbotes Stress, Angst, Irritationen, Unannehmlichkeiten oder sonstige immaterielle Auswirkungen eines Angriffes auf die Zivilbevölkerung unberücksichtigt746 bleiben. Folglich ist zu konstatieren, dass die hier untersuchten autonomen UACVs zwar nicht mit der primären Zielsetzung eingesetzt werden dürfen, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren747, dass aber ihr Einsatz gleichwohl trotz der gegebenenfalls bestehenden Angst der Zivilbevölkerung vor den „Angels of Death“ 748 nicht per se gegen das Verbot der Terrorisierung der Zivilbevölkerung verstößt.
§ 9 Recht auf Leben in seiner IPBPRund EMRK-Ausprägung Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit der Einsatz autonomer UACVs am Maßstab von Menschenrechten und dabei konkret dem Recht auf Leben in seiner IPBPR- und EMRK-Ausprägung zu prüfen ist.
A. Grundsätzliche Anwendbarkeit von Menschenrechten im internationalen bewaffneten Konflikt Grundvoraussetzung dafür ist zunächst die grundsätzliche Anwendbarkeit des Rechts auf Leben im internationalen bewaffneten Konflikt. Die Anwendbarkeit von Menschenrechten im internationalen bewaffneten Konflikt und dabei insbesondere die Fragen ihrer extraterritorialen Anwendbarkeit sowie des Verhältnisses beider Rechtsregime sind seit jeher und bis heute heftig umstritten. I. Separationstheorie Der traditionellen Separationstheorie zufolge handelt es sich bei den Regimen des Rechts des bewaffneten Konflikts und der Menschenrechte um zwei strikt zu trennende Rechtsgebiete, wobei die Menschenrechte als dem Friedensvölkerrecht zugehöriges Regelungsregime in Friedenszeiten anwendbar sind, während das Recht des bewaffneten Konflikts als Notordnung die Regulierung des Konflikts übernimmt.749 Nach dieser Ansicht sind beide Rechtsregime konzeptionell inkompatibel und stehen mithin in einem Alternativ- bzw. in einem Exklusivitäts746
HPCR Commentary, S. 34; Dinstein (2010), S. 135. Schmitt/Thurnher, S. 252. 748 s. Zitat eines pakistanischen Ladenbesitzers: „The drones are like the angels of death (. . .) only they know when and where they will strike“, in: Walsh/Mehsud, S. 1. 749 Heintze (2011) S. 5; Solis, S. 24. 747
§ 9, A. Grundsätzliche Anwendbarkeit von Menschenrechten
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verhältnis zueinander, so dass stets nur eines der beiden Rechtregime anwendbar sein kann. Demgemäß schließt die Anwendbarkeit des Rechts des bewaffneten Konflikts nach der Separationstheorie die Anwendbarkeit des Regimes der Menschenrechte stets aus.750 In Ermangelung möglicher Schnittmengen stellt sich die Frage des Konkurrenzverhältnisses beider Rechtsregime erst gar nicht.751 Wenngleich diese Theorie auf die Anfänge der Verrechtlichung der Menschenrechte zur Mitte des 20. Jahrhunderts zurückgeht, wird sie auch heute noch weiterhin von Teilen des Schrifttums vertreten.752 Zur Begründung wird dabei auf grundlegende Unterschiede in Bezug auf Herkunft, Theorie, Natur und Zweck beider Rechtregime verwiesen. So führt etwa Darper aus: „The attempt to confuse the two regimes of law is insupportable in theory and inadequate in practice. The two regimes are not only distinct but are diametrically opposed (. . .) at the end of the day, the law of human rights seeks to reflect the cohesion and harmony in human society and must, from the nature of things be a different and opposed law to that which seeks to regulate the conduct of hostile relationships between states or other organized armed groups, and in internal rebellions. The humanitarian nature of the modern law of war neither justifies the confusion with nor dispels the opposition to, human rights.753 Human rights instruments are unable to afford the content and quantity of the law necessary to control international armed conflicts.“ 754
Wenngleich gewisse grundlegende konzeptionelle und historische Unterschiede zwischen beiden Rechtregimen nicht zu bestreiten sind, ist die Separationstheorie vor dem Hintergrund der durch die Menschenrechtsverträge und dem ZPI geschaffenen normativen Realität nicht mehr haltbar. Die grundsätzliche Anwendbarkeit von Menschenrechten ergibt sich insbesondere aus den Derogationsklauseln menschenrechtlicher Verträge.755 Eine derartige Klausel findet sich sowohl in dem universellen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte der Vereinten Nationen756 als auch in regionalen Menschenrechtsverträgen757. Sie besagen, dass die in den Verträgen enthaltenen Rechte in bewaffneten Konflikten in dem Umfang, den die Lage unbedingt erfordert, außer Kraft gesetzt werden dürfen. Wenngleich das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts keinen Einzug in den Wortlaut des Art. 4 (1) IPBPR gefunden hat758, be750
Heintze (2011), S. 5. Schäfer, S. 11. 752 Kiminich, S. 28; Draper (1979), S. 205; Stephens, S. 10. 753 Draper (1979), S. 205. 754 Draper, in: Meyer/McCoubrey, S. 148. 755 Hampson (2009), S. 490; Pomper, S. 531; Schäfer, S. 13; Greenwood (2010– 2011), S. 500. 756 Art. 4 IPBPR. 757 Art. 15 EMRK; Art. 27 AMRK; Art. 4 ACMR. 758 Art. 4 (1) IPBPR: „In time of public emergency which threatens the life of the nation and the existence of which is officially proclaimed, the States Parties to the 751
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
deutet dies nicht, dass der Pakt in Gänze in bewaffneten Konflikten nicht zur Anwendung kommt.759 Vielmehr stellt insbesondere ein internationaler bewaffneter Konflikt den Prototyp des von Art. 4 (1) IPBPR in Bezug genommenen Notstands dar, welcher das Überleben der jeweiligen Vertragspartei bedroht.760 Diese Feststellung findet seine Bestätigung in den travaux préparatoires. Die Aufnahme des Kriegszustands in den Wortlaut der Derogationsklausel war Gegenstand einer Vielzahl von Formulierungsvorschlägen.761 Dass der Kriegszustand keinen Einzug in den endgültigen Wortlaut des Art. 4 IPBPR gefunden hat, ist der damaligen Auffassung der Delegierten geschuldet, dass das Wort Krieg keinen Einzug in einen Vertrag finden sollte, der wie der Pakt im Rahmen der Vereinten Nationen geschaffen wurde, deren Zielsetzung es gerade sei Kriege zu verhindern.762 Die von den Verträgen ermöglichte Derogation setzt bereits begrifflich voraus, dass die einer Derogation zugänglichen Rechte zunächst jedoch formal anwendbar sein müssen. Wären Menschenrechte wegen der von der Separationstheorie postulierten strikten Trennung beider Rechtsregime von Anfang an nicht anwendbar, wäre die Einräumung einer Derogationsmöglichkeit redundant. Mithin ergibt sich die Nichtanwendbarkeit von Menschenrechten infolge einer zulässigen Derogation nach Maßgabe menschenrechtlicher Vorschriften und nicht aufgrund eines absoluten Ausschließlichkeitsverhältnisses der Regime des Rechts des bewaffneten Konflikts und der Menschenrechte. Nach Maßgabe der Derogationsklauseln bleiben bestimmte sogenannte derogationsfeste Menschenrechte stets anwendbar in bewaffneten Konflikten. Zu den nach den einschlägigen menschenrechtlichen Verträgen derogationsfesten Menschenrechten gehört auch das für den Einsatz von Mitteln der Kriegführung relevante Recht auf Leben.763 Die Nichtvertretbarkeit der Separationstheorie ergibt sich fernerhin auch aus Art. 72 ZPI und mithin aus dem Recht des bewaffneten Konflikts selbst.764 So present Covenant may take measures derogating from their obligations under the present Covenant to the extent strictly required by the exigencies of the situation, provided that such measures are not inconsistent with their other obligations under international law and do not involve discrimination solely on the ground of race, colour, sex, language, religion or social origin.“ 759 Droege (2007), S. 319; Ben-Naftali/Shany, S. 38. 760 Nowak (2005), S. 89. 761 s. E/CN.4/188: „In time of war or other public emergency, a State may take measures derogating from its obligations under Part II of the Covenant tot he extent strictly required by the exigencies of the situation.“; E/CN.4/365: „In time of war or other public emergency gravely threatening the interests of people, a State may take measures derogating from its obligations specified in articles 9, 11, 12, 17 and 19 to the extend strictly limited by the exigencies of the situation and always with the restrictions laid down by law.“ 762 Bossuyt, S. 86. 763 Art. 4 (2) ICCPR; Art. 15 (2) ECHR; Art. 27 (2) ACHR; Art. 4 (2) ArabCHR. 764 Heintze (2004), S. 798; Ben-Naftali/Shany, S. 35; Hansen, S. 21; Roberts, A., in: Schmitt/Pejic, S. 453; Schäfer, S. 17.
§ 9, A. Grundsätzliche Anwendbarkeit von Menschenrechten
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stellt Art. 72 ZPI klar, dass die nachfolgenden Vorschriften des dritten Abschnitts über die Behandlung von Personen, die sich in der Gewalt einer am Konflikt beteiligten Partei befinden „(. . .) are additional to applicable rules of international law relating to the protection of fundamental human rights during international armed conflict“. Daraus folgt, dass die von der Separationstheorie postulierte strikte Trennung und Ausschließlichkeit beider Rechtsgebiete nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Entgegen der Ansicht von Teilen des Schrifttums765 ergibt sich die grundsätzliche Anwendbarkeit von Menschenrechten im internationalen bewaffneten Konflikt jedoch nicht aus Art. 75 ZPI. Denn die genannte Vorschrift kodifiziert ausweislich seiner Überschrift „fundamental guarantees“ und mithin bereits vom Wortlaut her gerade keine „fundamental human rights“, auf die in Art. 72 ZPI verwiesen wurde. Die in dem Katalog enthaltenen Mindeststandards sind aufgrund ihrer Kodifikation in einem dem ius in bello zugehörigen Vertrag vielmehr genuine Vorschriften des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts.766 Aus den dargelegten Gründen ist die Separationstheorie als contra legem abzulehnen. II. Komplementaritätstheorie Die soeben skizzierten normativen Gründe haben zu einem Paradigmenwechsel in derart geführt, als dass die strikte Trennung und grundsätzliche gegenseitige Ausschließlichkeit beider Rechtsregime heute auch von der ganz h. M. abgelehnt und statt dessen für eine grundsätzliche Fortgeltung der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt und mithin für eine grundsätzliche komplementäre Anwendbarkeit plädiert wird .767 So stellt etwa Ipsen fest: „Die Unterteilung des Völkerrechts in Friedensrecht und Recht des bewaffneten Konflikts ist angesichts der vielfältigen Verbindungen dieser Rechtsgebiete eine überholte Kategorisierung.“ 768
Auch der Internationale Gerichtshof hat die grundsätzliche Fortgeltung der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt wiederholt bestätigt. So stellte er im Nuklearwaffen-Gutachten ausdrücklich erstmals fest: „The Court observes that the protection of the International Covenant of Civil and Political Rights does not cease in times of war, except by operation of Article 4 of the Covenant whereby certain provisions may be derogated from in a time of national 765
Solis, S. 25; Bothe, S. 394. Green (2002), S. 395. 767 Greenwood (2010–2011), S. 500; Heintze (2011), S. 7; Orakhelashvili (2008), S. 181; Schäfer, S. 13; Hampson (2008), S. 550 ff.; Milanovic, in: Ben-Naftali, S. 96; Krieger (2006), S. 267; Droege (2008), S. 502; Ben-Naftali/Shany, S. 21; Stephens, S. 13; Bowring, S. 486; Sassòli/Olson, S. 603. 768 Ipsen, in: Ipsen, S. 1220. 766
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
emergency. Respect for the right to life is not, however, such a provision. In principle, the right not arbitrarily to be deprived of one’s life applies also in hostilities.“ 769
Diese Rechtsauffassung widerholte der IGH in seinem nachfolgenden MauerGutachten mit folgenden Worten: „More generally, the Court considers that the protection offered by human rights conventions does not cease in case of armed conflict, save through the effect of provisions for derogation of the kind to be found in Article 4 of the International Covenant on Civil and Political Rights.“ 770
Zuletzt bestätigte der IGH im Kongo-Fall 2005 die grundsätzliche Fortgeltung der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt.771 Die grundsätzliche komplementäre Anwendbarkeit beider Regime wurde überdies durch menschenrechtliche Spruchkörper772 sowie den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen773 bekräftigt. Auch die Staatengemeinschaft geht – soweit ersichtlich – einhellig von einer grundsätzlichen komplementären Anwendbarkeit der Regime des Menschenrechtsschutzes und des Rechts des bewaffneten Konflikts aus. Denn es waren die Staaten als Herren der Verträge selbst, welche durch die Aufnahme der Derogationsklauseln in die menschenrechtlichen Verträge die normative Basis für die grundsätzliche Anwendung der Menschenrechte im bewaffneten Konflikt geschaffen haben. Zwar vertritt unter anderem Israel die Auffassung, dass Menschenrechte in bewaffneten Konflikten letztlich nicht zur Anwendung kommen.774 Diese Position wird jedoch auf das lex specialis Argument oder auf eine mangelnde extraterritoriale Anwendbarkeit menschenrechtlicher Verträge gestützt. Insbesondere das Argument das speziellere Recht des bewaffneten Konflikts verdränge das allgemeine Regime der Menschenrechte, setzt jedoch per definitionem einen Normenkonflikt und mithin zumindest eine formale Überschneidung beider Rechtsgebiete voraus. Überdies hat keine Vertragspartei einen Vorbehalt oder eine Interpretationserklärung zu den Derogationsklauseln mit dem Inhalt abgegeben, dass Menschenrechte in internationalen bewaffneten Konflikten in Gänze und von Anfang an nicht anwendbar seien.
769
IGH, Nuclear Weapons, S. 240. IGH, Palestine Wall, S. 178. 771 IGH, Armed Activities Congo, S. 243. 772 IAGMR, Serrano-Cruz Sisters, Para. 112. 773 UN/SC/RES/237; UN/SC/RES/1649; UN/SC/RES/1882. 774 A/ES-10/248, Annex I. Para 4: „Israel denies that the International Covenant on Civil and Political Rights and the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, both of which it has signed, are applicable to the occupied Palestinian territory. It asserts that humanitarian law is the protection granted in a conflict situation such as the one in the West Bank and Gaza Strip, whereas human rights treaties were intended for the protection of citizens from their own Government in times of peace.“ 770
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK Wenngleich aus den soeben dargelegten Gründen zu konstatieren ist, dass Menschenrechte ihre Geltung im internationalen bewaffneten Konflikt grundsätzlich nicht verlieren, stellt sich vor dem Hintergrund der Tatsache, dass im internationalen bewaffneten Konflikt mindestens eine Konfliktpartei die Kampfhandlungen auf dem Territorium eines anderen Staates durchführt, und überdies die in Rede stehenden autonomen UACVs von der Mehrzahl der Staaten wohl überwiegend mit der Zielsetzung konzipiert werden dürften, im Ausland eingesetzt zu werden, fernerhin die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit menschenrechtlicher Verträge. Die extraterritoriale Anwendbarkeit von menschenrechtlichen Verträgen ist deshalb problematisch, weil deren Verpflichtungsklauseln im Gegensatz zu den Abkommen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts775 ihre Anwendbarkeit an bestimmte Bedingungen knüpfen. So heißt es in Art. 2 (1) IPBPR: „Each State Party to the present Covenant undertakes to respect and to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the present Covenant.“
Demgegenüber liegt Art. 1 EMRK folgender Wortlaut zugrunde: „The High Contracting Parties shall secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in Section I of this Convention.“
I. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR Ob die beiden Tatbestandsmerkmale „territory“ und „jurisdiction“ kumulativ oder lediglich alternativ vorliegen müssen, um die Bindung an die in dem Pakt enthaltenen Rechte auszulösen und damit die Frage, ob der Pakt extraterritorial anwendbar ist, ist umstritten. 1. Meinungsstand
Für eine disjunktive Lesart des Art. 2 (1) und damit für eine grundsätzliche extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpakts spricht sich das Human Rights Committee sowohl in seinen General Comments776, seinen Concluding Observations zu Staatenreporten777 als auch in einer Vielzahl der ihm zur Entscheidung
775 So lautet etwa der gemeinsame Artikel 1 der Genfer Abkommen: „The High Contracting Parties undertake to respect and to ensure respect for the present Convention in all circumstances.“ 776 CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, Para. 10. 777 E/C.12/1/Add.90, Para. 15, 31.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
vorgelegten Individualbeschwerden778 aus. So stellte das Komitee insbesondere in seinem General Comment No.31/80 zu Art. 2 ausdrücklich fest: „States Parties are required by article 2, paragraph 1, to respect and to ensure the Covenant rights to all persons who may be within their territory and to all persons subject to their jurisdiction. This means that a State party must respect and ensure the rights laid down in the Covenant to anyone within the power or effective control of that State Party, even if not situated within the territory of the State Party.“ 779
Auch der IGH plädiert für eine grundsätzliche extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes. Konkret führte er im Mauer-Gutachten aus: „The Court considers that the International Covenant on Civil and Political Rights is applicable in respect of acts done by a State in the exercise of its jurisdiction outside its own territory.“ 780
Zur Begründung verwies der Gerichtshof auf den Sinn und Zweck des Vertrages sowie auf die travaux préparatoire zu Art. 2 IPBPR und die Praxis des Human Rights Committees.781 In Bezug auf die travaux préparatoire führte er aus: „These show that, in adopting the wording chosen, the drafters of the Covenant did not intend to allow States to escape from their obligations when they exercise jurisdiction outside their national territory. They only intended to prevent persons residing abroad from asserting, vis-à-vis their State of origin, rights that do not fall within the competence of that State, but of that of the State of residence.“ 782
Im Uganda Fall bestätigte der IGH seine im Mauer-Gutachten geäußerte Rechtsaufassung der extraterritorialen Anwendbarkeit des Zivilpaktes.783 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Uganda die von der Demokratischen Republik Kongo erhobenen Vorwürfe begangener Menschenrechtsverstöße nicht dadurch zu entkräften suchte, dass es deren extraterritoriale Anwendbarkeit bezweifelte, sondern lediglich dadurch, dass es ihr vorwarf, seine Behauptungen nicht auf eine hinreichend substantiierte Beweislage stützen zu können.784 Die Vertragsstaaten positionieren sich insgesamt uneinheitlich zu der Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit des Zivilpaktes. Diese Uneinigkeit wird bereits dadurch deutlich, dass die Gutachtenanfrage der Generalversammlung an den IGH im Mauer-Gutachten die Frage der Verletzung von Menschenrechten zumindest nicht ausdrücklich aufgenommen hatte.785 Denn der Anfrage liegt folgender Wortlaut zugrunde: 778 UN-MRA, Burgos, S. 88 ff.; UN-MRA, de Casariego, S. 92 ff.; UN-MRA, Montero, S. 136 ff. 779 CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 13, Para. 10. 780 IGH, Palestine Wall, S. 180. 781 IGH, Palestine Wall, S. 179. 782 IGH, Palestine Wall, S. 179. 783 IGH, Armed Activities Congo, S. 240, 241. 784 IGH, Armed Activities Congo, S. 234, 235.
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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„What are the legal consequences arising from the construction of the wall being built by Israel, the occupying Power, in the Occupied Palestinian Territory, including in and around East Jerusalem, as described in the report of the Secretary-General, considering the rules and principles of international law, including the Fourth Geneva Convention of 1949, and relevant Security Council and General Assembly Resolutions?“ 786
Dennoch spricht sich insgesamt eine deutliche Mehrheit der Staaten für eine grundsätzliche extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes und damit für eine disjunktive Lesart von Art. 2 (1) IPBPR aus. So bejahten die Schweiz787, Frankreich788, Malaysia789 und die Arabische Liga790 in ihren schriftlichen Stellungnahmen zum Mauer-Gutachten des IGH ausdrücklich ein alternatives Verständnis der beiden in Rede stehenden Tatbestandsmerkmale des Art. 2 (1) und mithin die extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes. Wenngleich sich Guinea791, Ägypten792, Jordanien793, Kuwait794, Libanon795, Syrien796, Kanada797, 785 Laut Higgins hätte der Gerichtshof die Frage der Verletzung von Menschenrechten in seinem Gutachten aufgrund der Formulierung der Vorlagefrage erst gar nicht behandeln dürfen: „Yet the formulation of the question precludes consideration of that context.“, s. Higgins, S. 211. 786 UN/GA/RES/ES-10/14. 787 „For even though extraterritorial responsibility does not follow clearly from the wording of Article 2, paragraph 1, of the Covenant, the interpretation of the latter, in the light of its object and legislative history, as well as the Committee’s established practice, justify the assertion that such is the case.“, Written Statement der Schweiz zum Mauer-Gutachten des IGH, S. 10. 788 „First, in accordance with Article 2 of the International Covenant on Civil and Political Rights, each State party ,undertakes to respect and to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction‘ the rights recognized therein. It follows that the Covenants are in principle applicable in the occupied territories to the extent that the individuals there ,are subject to the jurisdiction‘ of the occupying Power.“, Written Statement Frankreichs zum Mauer-Gutachten, S. 6. 789 „Malaysia does not share this view on the non-applicability of international human rights law. In this regard, Malaysia wishes to refer (among other documents) to the Concluding Observations of the Human Rights Committee that the applicability of international humanitarian law does not preclude the applicability of the Civil and Political Rights Covenant, including Article 4 which covers situations of public emergency which threaten the life of the nation. Similarly, Article 2 (1) of this Covenant holds State parties accountable for the actions of their authorities outside their own territories but subject to their jurisdiction.“, Written Statement Malaysias zum Mauer-Gutachten, S. 45. 790 „According to art. 2 para. 1 CCPR, States Parties ensure the rights guaranteed by this treaty ,to al1 individuals within its territory and subject to its jurisdiction‘. These conditions of the scope of application are not cumulative, they are alternative.“, Written Statement der Arabischen Liga zum Mauer-Gutachten, S. 93. 791 Written Statement Guineas zum Mauer-Gutachten, S. 1, Para. 5. 792 Written Statement Ägyptens zum Mauer-Gutachten, S. 36. 793 Written Statement Jordaniens zum Mauer-Gutachten, S. 64. 794 Written Statement Kuwaits zum Mauer-Gutachten, S. 1. 795 Written Statement, Libanons zum Mauer-Gutachten, S. 8, Para. 37. 796 Written Statement Syriens zum Mauer-Gutachten, S. 4.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Sudan798, Marokko799, Indonesien800, Südafrika801, Schweden802, Brasilien803 und Kuba804 nicht ausdrücklich zur Interpretation des Art. 2 (1) IPBPR äußerten, lässt sich deren alternatives Verständnis der in Rede stehenden Tatbestandmerkmale und mithin eine extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes aus ihrer zum Ausdruck gebrachten Auffassung ableiten, dass die von Israel errichtete Mauer nicht nur Verletzungen des Rechts des bewaffneten Konflikts, sondern darüber hinaus auch von Menschenrechten begründe. Einzig Belgien805, die USA806 und die Niederlande807 halten den IPBPR wegen Art. 2 (1) im Ausland für nicht anwendbar. Insbesondere die USA legten in ihrem Staatenreport zur Implementierung des Zivilpaktes vom 28. November 2005 ihre Position mit bemerkenswerter Ausführlichkeit und Klarheit dar: „The United States recalls its longstanding position that it has reiterated in paragraph 3 of this report and explained in detail in the legal analysis provided in Annex I; namely, that the obligations assumed by the United States under the Covenant apply only within the territory of the United States.808 Resort to this fundamental rule of interpretation leads to the inescapable conclusion that the obligations assumed by a State Party to the International Covenant on Civil and Political Rights apply only within the territory of the State Party. Based on the plain and ordinary meaning of its text, this Article establishes that States Parties are required to ensure the rights in the Covenant only to individuals who are both within the territory of a State Party and subject to that State Party’s sovereign authority. During the negotiating history, the words ,within its territory‘ had been debated and were added by vote, with the clear understanding that such wording would limit the obligations to within a Party’s territory.“ 809
797
Written Statement Kanadas zum Mauer-Gutachten, S. 2. Written Statement Sudans zum Mauer-Gutachten, S. 2. 799 Written Statement Marokkos zum Mauer-Gutachten, S. 11. 800 Written Statement Indonesiens zum Mauer-Gutachten, S. 5. 801 Written Statement Südafrikas zum Mauer-Gutachten, S. 11, Para. 24. 802 Written Statement Schwedens zum Mauer-Gutachten, Para. 8. 803 Written Statement Brasiliens zum Mauer-Gutachten, S. 2. 804 Written Statement Kubas zum Mauer-Gutachten, S. 5. 805 CCPR/CO/81/BEL, Para. 6. 806 CCPR/C/SR.1405, Para. 20; CCPR/C/USA/3, Annex I, Para. 3, 26, 130. 807 „The Government disagrees with the Committee’s suggestion that the provisions of the International Covenant on Civil and Political Rights are applicable to the conduct of Dutch blue helmets in Srebrenica. Article 2 of the Covenant clearly states that each State Party undertakes to respect and to ensure to all individuals ,within its territory and subject to its jurisdiction‘ the rights recognized in the Covenant. It goes without saying that the citizens of Srebrenica, vis-à-vis the Netherlands, do not come within the scope of that provision.“, CCPR/CO/72/NET/Add.1, Para. 19. 808 CCPR/C/USA/3, Para. 130. 809 CCPR/C/USA/3, Annex I, S. 109 (109). 798
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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Darüber hinaus ließe sich argumentieren, dass sich aus dem Umstand, dass das Königreich Saudi-Arabien810, Russland811 und Zypern812 sowie die Niederlande813 in ihren schriftlichen Stellungnahmen zum Mauer-Gutachten des IGH zum Ausdruck brachten, dass sie in dem Mauerbau Israels lediglich eine Verletzung des Rechts des bewaffneten Konflikts und einschlägiger Resolutionen des Sicherheitsrates erblickten, ableiten lässt, dass sich die genannten Staaten gegen eine extraterritoriale Anwendbarkeit des Paktes aussprachen. Auch Israel spricht sich gegen eine extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes aus. Allerdings zielt das zur Begründung angeführte Argument nicht auf die Streitfrage des kumulativen oder alternativen Verständnisses der in Rede stehenden Tatbestandsmerkmale des Art. 2 (1) IPBPR ab. Eine Stellungnahme Israels zum Verständnis des Verhältnisses der fraglichen Tatbestandsmerkmale existiert soweit ersichtlich nicht. Vielmehr zielt die Argumentation Israels auf die Auslegung des Merkmals „jurisdiction“ ab. So trägt Israel vor, dass dem Merkmal ein derart enges Begriffsverständnis zugrunde zu legen sei, dass nur solche Gebiete in den Anwendungsbereich menschenrechtlicher Verträge fallen, die unter der souveränen Staatsgewalt der Vertragsparteien stehen und den nationalen Gesetzen unterstehen.814 Daraus folgt zunächst, dass auch Israel der Auffassung zu seien scheint, dass die extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes nicht daran scheitert, dass Art. 2 (1) IPBPR dahingehend auszulegen ist, dass die Tatbestandsmerkmale „territory“ und „jurisdiction“ kumulativ vorliegen müssen. Andernfalls wäre der Hinweis auf die enge Auslegung des Merkmals „jurisdiction“ obsolet. Israels begründet sein enges Begriffsverständnis mit Art. 29 WVK, welcher laut seiner Artikelüberschrift den territorialen Anwendungsbereich von Verträgen zum Gegenstand hat und wonach Verträge „unless a different intention appears from the treaty or is otherwise established, a treaty is binding upon each party in respect of its entire territory.“. Konkret führte Israel aus: „Recalling Israel’s position with regard to the applicability of the Convention to territories under Israeli military administration, said that, (. . .), article 29 of the Vienna Convention on the Law of Treaties stated that a treaty was binding on each party in respect of its entire territory, it could be presumed that the treaty was not binding beyond the national territory of the State party to it (. . .).“ 815
Auch in der Literatur ist das zur Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit des Zivilpaktes vertretene Meinungsspektrum uneinheitlich. Die Vertreter einer 810 811 812 813 814 815
Written Statement Saudi Arabiens zum Mauer-Gutachten, S. 1–2. Written Statement Russlands zum Mauer-Gutachten, S. 1–5. Written Statement Zyperns zum Mauer-Gutachten, S. 2–3, Para. 3–9. Written Statement der Niederlande zum Mauer-Gutachten, S. 3. CERD/C/SR.1250, Para.4; Ben-Naftali/Shany, S. 28. CERD/C/SR.1250, Para. 4.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
alternativen Lesart stützen ihr Verständnis von Art. 2 (1) ZPI auf eine auf den Sinn und Zweck des Vertrages gestützte Umdeutung des Tatbestandmerkmals „and“ in ein „or“ oder auf eine telelogische Reduktion des ganzen Absatzes in derart, dass die Anwendbarkeit des Zivilpaktes ausschließlich von dem Tatbestandmerkmal „jurisdiction“ abhängen soll oder auf die nachfolgende Übung der Vertragsparteien in der Anwendung des Paktes.816 So wird vertreten, es sei mit dem Sinn und Zweck des Vertrages unvereinbar, wenn die Vertragsparteien für Handlungen, für die sie, wenn sie auf ihrem Territorium begangen worden wären, verantwortlich wären, nur deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten, weil sie auf fremden Territorium vorgenommen wurden.817 Dies ergebe sich insbesondere aus Art. 5 (1) IPBPR demzufolge „Nothing in the present Covenant may be interpreted as implying for any State (. . .) any right to (. . .) perform any act aimed at the destruction of any rights and freedoms recognized herein or at their limitation to a greater extent than is provided for in the present Covenant.“ Gegen eine extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes sprechen sich einige Literaturstimmen aus.818 Zur Begründung wird auf den restriktiven Wortlaut von Art. 2 (1) IPBPR, die Praxis der Vertragsparteien, die travaux préparatoire sowie auf den Umstand verwiesen, dass das Tatbestandsmerkmal „territory“ keinen Einzug in die Anwendbarkeitsklauseln der übrigen menschenrechtlichen Verträge gefunden hat.819 In Bezug auf die travaux préparatoire weist Schwelb darauf hin, dass das in Rede stehende Tatbestandsmerkmal „territory“ trotz kontrovers geführter Diskussionen im Dritten Komitee der General Versammlung nicht aus dem Wortlaut des Art. 2 (1) IPBPR gestrichen, sondern vielmehr beibehalten wurde.820 In konsequenter Anwendung einer kumulativen Lesart von Art. 2 (1) IPBPR wird gefolgert, dass eine Bindung an die Paktrechte im Kontext bewaffneter Konflikte nur in Bezug auf Handlungen der Streitkräfte angenommen werden kann, die innerhalb des Staatsgebietes vorgenommen werden.821 Insoweit bestehe ein deutlicher Unterschied zwischen der Geltung der Rechte des Zivilpaktes und der EMRK.822
816 Droege (2007), S. 325; Ben-Naftali/Shany, S. 45; Nowak (2005), S. 43 ff.; Schäfer, S. 13; Meron (1995), S. 79; Scheinin, in: Coomans/Kamminga, S. 75–77. 817 Nowak (2005), S. 44. 818 Schindler, S. 939; Nowak (1980), S. 156; Schwelb (1968), S. 863; Dennis (2005), S. 127. 819 Schwelb (1968), S. 863. 820 Schwelb, (1968) S. 863. 821 Bothe/Partsch/Solf, S. 635. 822 Schwelb, in: Eide/Schou, S. 109.
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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2. Stellungnahme
Wie soeben dargelegt, werden für eine alternative Lesart des Art. 2 (1) IPBPR die Praxis des Human Rights Committees und der Vertragsparteien, der Sinn und Zweck des Paktes sowie die travaux préparatoire zu Art. 2 (1) IPBPR angeführt. Demgegenüber wurde zur Begründung einer kumulativen Lesart auf den Normenwortlaut, die Staatenpraxis und auf die travaux préparatoire verwiesen. Im Folgenden sollen nunmehr die vorgebrachten Argumente auf ihre jeweilige Stichhaltigkeit hin überprüft werden und im Wege der Auslegung ermitteln werden, ob der in Rede stehenden Vorschrift eine alternative oder eine kumulative Lesart zugrunde zu legen ist und damit, ob eine extraterritoriale Anwendbarkeit des Zivilpaktes grundsätzlich möglich ist. Zunächst ist festzustellen, dass das sowohl vom IGH als auch der Schweiz, Malaysia und von Nowak angeführte Argument, dass eine disjunktive Lesart von Art. 2 (1) IPBPR aus der Praxis des Human Rights Committee folge, nicht zu überzeugen vermag. Denn wie sich aus den Vorschriften über das Human Rights Committee aus Art. 28 ff. IPBPR ergibt, ist die Institution nicht dazu berufen, für die Vertragsstaaten verbindliche Aussagen über die Auslegung der in dem Pakt enthaltenen Vorschriften zu treffen.823 Zwar unterliegen die Vertragsparteien des Zivilpaktes gem. Art. 40 (1) IPBPR einer obligatorischen Reportpflicht über die von ihnen vorgenommenen Implementierungsmaßnahmen. Allerdings werden diese staatlichen Implementierungsberichte gem. Art. 40 (2) IPBPR dem Human Rights Committees lediglich zu Prüfung („for consideration“) zugeführt. Entsprechend beschränkt sich die Kompetenz des Human Rights Committees gem. Art. 40 (4) 1 IPBPR darauf, die eingereichten Berichte zu prüfen („study“) und gem. Satz 2 seine Berichte sowie ihm geeignet erscheinende allgemeine Bemerkungen den Vertragsstaaten zu übersenden („It shall transmit its reports, and such general comments as it may consider appropriate, to the States Parties.“). Folglich kann dem Vertrag nicht entnommen werden, dass die Vertragsstaaten dem Human Rights Committee eine Kompetenz zur autoritativen Interpretation der Paktvorschriften übertragen hätten. Mithin sind die vom Human Rights Committee in seinen den Staatenberichten beigefügten Concluding Observations verkündeten Rechtsauffassungen nicht rechtsverbindlich. Den vom Human Rights Committee herausgegebenen General Comments fehlt bereits eine ausdrückliche vertragliche Rechtsgrundlage. Zwar findet sich in Art. 40 (4) 2 IPBPR – wie dargelegt – der Ausdruck „general comments“, allerdings folgt daraus, dass Art. 40 IPBPR – wie durch die Artikelüberschrift bestätigt – einzig die individuellen Staatenreports zum Gegenstand hat, dass unter diesen Begriff, anders als gelegentlich in der Literatur angenommen824, 823 824
Dinstein (2010), S. 23. Nowak (2005), S. 746.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
nicht die hier in Rede stehenden General Comments zu subsumieren sind, da diese nicht an einen einzelnen, sondern an alle Vertragsstaaten gerichtet sind und sich generell-abstrakt auf die Auslegung der Paktvorschriften beziehen und mithin in keinem Zusammenhang zu den Individualreports der Vertragsstaaten stehen, denen Art. 40 IPBPR gewidmet ist. Selbst wenn eine vertragliche Kompetenz zur Verkündung der General Comments auf Grundlage von Art. 40 (4) IPBPR bestünde, so wären diese, wie auch schon die Concluding Observations, in Ermangelung einer entsprechenden Kompetenzübertragung zur autoritativen Auslegung der Paktvorschriften nicht rechtsverbindlich. Auch wenn die Praxis des Komitees diese Kommentare herauszugeben auf keinen erkennbaren Widerspruch der Vertragsparteien gestoßen ist, ist die daraus resultierende Kompetenzübertragung durch stillschweigende Anerkennung der Vertragsstaaten825 aber in jeden Fall darauf beschränkt, diese Kommentare überhaupt herauszugeben. Eine Kompetenzübertragung zur autoritativen Auslegung der Paktvorschriften kann darin indes nicht erblickt werden kann. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme Russlands, in der es ausdrücklich erklärte, dass die Kompetenz zur Auslegung der Paktvorschriften ausschließlich in der Hand der Vertragsparteien liege.826 Daher vermag das gelegentlich in der Literatur angeführte Argument, die General Comments enthielten eine autoritative Interpretation der Paktvorschriften, weil sie einstimmig von allen Mitgliedern des Human Rights Committees angenommen werden827, nicht zu überzeugen. Folglich kommt auch den General Comments des Human Rights Committees keine rechtlich bindende Wirkung zu. Sie sind vielmehr als bloße unverbindliche „advisory opinions“ 828 zu qualifizieren. Ebenfalls nicht rechtsverbindlich sind die Entscheidungen des Human Rights Committees zu den Individualbeschwerdeverfahren unter dem ersten Fakultativprotokoll des Zivilpaktes.829 Wie schon im Bereich der Staatenreports ist die von den Vertragsstaaten übertragene Kompetenz des Human Rights Committees gem. Art. 1 des Fakultativprotokolls darauf beschränkt, die Individualbeschwerden zu prüfen („consider“) und gem. Art. 5 IV des Fakultativprotokolls seine Auffassung („its views“) dem betroffenen Vertragsstaat sowie der betroffenen Person mitzuteilen. Mithin ist die Praxis des Human Rights Committees für die Auslegung des Art. 2 (1) IPBPR nicht von konstitutiver Bedeutung. Einer solchen soll die in Rede stehende Norm im Folgenden unter Berücksichtigung der vorgetragenen Argumente zugeführt werden.
825 826 827 828 829
Buergenthal, S. 387; Dennis (2005), S. 127. CCPR/C/SR.749, Para. 42. Nowak (2005), S. 749. Buergenthal, S. 386. Buergenthal, S. 397.
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge richtet sich grundsätzlich nach Art. 31 ff. WVK. Wegen des in Art. 4 WVK verankerten Rückwirkungsverbots ist die WVK jedoch nicht auf den vier Jahre vor der WVK in Kraft getretenen Zivilpakt830 anwendbar. Dies ändert jedoch nichts an der Anwendbarkeit der in der WVK niedergelegten Auslegungsregelungen. Denn deren völkergewohnheitsrechtliche Geltung wurde sowohl durch den IGH831, als auch die Literatur832 und die Staatengemeinschaft833 anerkannt. Daher soll im Folgenden aus Darstellungsgründen trotz fehlender Anwendbarkeit der Konvention illustrativ auf die darin enthaltenen Auslegungsvorschriften verwiesen werden. Gemäß Art. 31 (1) WVK „(. . .) shall (a treaty) be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose.“. Wie sich aus dem genannten Wortlaut, aber auch aus der im Singular gehaltenen Artikelüberschrift – „General Rule of Interpretation“ – ergibt, ist bei der Auslegung völkerrechtlicher Normen stets kumulativ auf den Wortlaut, den Kontext und den Sinn und Zweck im Rahmen einer „single combined operation“ 834 zurückzugreifen.835 Der Wortlaut des Art. 2 (1) IPBPR spricht eindeutig für eine kumulative Lesart der Tatbestandmerkmale „territory“ und „jurisdiction“. Denn der Normenwortlaut verbindet beide Merkmale mit der Konjunktion „and“. Laut dem Oxford Dictionary ist das Wort „and“ nach der gem. Art. 31 (1) WVK maßgeblichen üblichen Wortbedeutung „used to connect words of the same part of speech, clauses, or sentences, that are to be taken jointly“. 836 Nach Auffassung der Vertreter einer disjunktiven Lesart des Art. 2 (1) IPBPR ist das maßgebliche Merkmal „and“ jedoch im Lichte des Telos des Vertrages sowie der travaux préparatoire in ein „or“ umzudeuten oder der ganze Absatz teleologisch derart zu reduzieren, dass die Anwendbarkeit des Zivilpaktes ausschließlich von dem Tatbestandmerkmal „jurisdiction“ abhängt. Problematisch ist jedoch, ob angesichts der Eindeutigkeit des Normenwortlauts noch Raum für eine derartige Umdeutung bleibt. Nach der von de Vattel 1758 830 Die WVK trat am 27. Januar 1980 in Kraft. Der Zivilpakt hingegen trat bereits am 23. März 1976 in Kraft. 831 IGH, Territorial Dispute, S. 10; IGH, Oil Platforms, S. 812; IGH, Kasikili/Sedudu Island, S. 1059. 832 Gondek, S. 36. 833 Bundesrepublik Deutschland, Stellungnahme vor dem EGMR im König-Fall, EuCHR Series B No. 25, S. 105 (111); USA, Stellungnahme, Air Transport Arbitration (USA v France), 54 ILR 1979, S. 316 f. 834 ILC Commentary VCLT, S. 219. 835 Aust (2000), S. 187; Köck (1976), S. 85; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 142; Gondek, S. 30; Villiger, in: Canizzaro, S. 115; Villiger (1985), S. 344; IGH, Territorial Dispute, S. 21; IGH, Maritime Delamination, S. 18; IGH, Oil Platforms, S. 812. 836 http://oxforddictionaries.com/definition/and?q=and.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
begründeten und später nach ihm benannten Vattel’schen Maxime – „qu’il n’est pas permis d’interpréter ce qui n’a pas besoin d’interprétation“ 837 – bedarf ein klarer Wortlaut keiner Auslegung, so dass mithin für einen Rückgriff auf andere Auslegungsmittel kein Raum mehr bleibt.838 Dieser Ansatz wurde durch den IGH in seinem Gutachten zur Kompetenz der Generalversammlung in der Frage der Aufnahme eines Staates in die Vereinten Nationen allerdings relativiert. Dort führte der IGH im Rahmen der Auslegung des für die Vorlagefrage maßgeblichen Art. 4 UN-Charter folgendes aus: „If the relevant words in their natural and ordinary meaning make sense in their context, that is an end of the matter. If, on the other hand, the words in their natural and ordinary meaning are ambiguous or lead to an unreasonable result, then, and then only, must the Court, by resort to other methods of interpretation, seek to ascertain what the parties really did mean when they used these words. When the Court can give effect to a provision of a treaty by giving to the words used in it their natural and ordinary meaning, it may not interpret the words by seeking to give them some other meaning.“ 839
Den Ausführungen des IGH ist zu entnehmen, dass er die Geltung der Vattel’schen Maxime in doppelter Hinsicht einschränkte. Zum einen dadurch, dass er klarstellte, dass der Wortlaut untrennbar mit dem Kontext in dem er sich befindet verknüpft ist und zum anderen dadurch, dass er den Ausschluss des Rückgriffs auf andere Auslegungsmittel unter den Vorbehalt stellte, dass die Bedeutung der fraglichen Vorschrift bereits aus dem Wortlaut in seinem Kontext heraus eindeutig ist, oder nicht zu einem offensichtlich sinnwidrigen Ergebnis führt. Die Vattel’sche Maxime ist jedoch, auch in seiner eingeschränkten Abwandlung, unvereinbar mit der heute geltenden Auslegungsdogmatik. Denn – wie dargelegt – ist bei der Auslegung völkerrechtlicher Normen stets kumulativ auf den Wortlaut, den Kontext und den Sinn und Zweck im Rahmen eines einheitlichen Auslegungsvorgangs zurückzugreifen. Der vom IGH vertretene Ansatz, dass ein Rückgriff auf die übrigen Auslegungsmittel nur dann statthaft sei, wenn die Bedeutung einer Norm unter Berücksichtigung des verwandten Wortlauts in seinem Kontext im Dunkeln bleibt oder die so gewonnene Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, ist überdies mit der Systematik der in der WVK verankerten Auslegungsdogmatik nicht vereinbar. Denn ein solches Verhältnis existiert gemäß Art. 32 WVK ausdrücklich nur zwischen den primären Auslegungsmitteln aus Art. 31 (1) WVK und den in Art. 32 WVK aufgeführten ergänzenden Auslegungsmitteln. Überdies haftet der Maxime der logische Widerspruch an, dass die Beantwortung der für die Anwendbarkeit der Maxime wesentlichen Frage, ob ein 837 838 839
Vattel (1758), S. 224. Bernhardt, S. 17. IGH, Competence of the General Assembly, S. 8.
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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Wortlaut klar ist, der nach der Maxime dann keiner Auslegung bedarf, bereits eine Auslegung der Norm erfordert. Wenngleich Art. 31 (1) WVK zwar grundsätzlich keine Hierarchie innerhalb der drei genannten Auslegungsmittel etabliert,840 folgt jedoch aus dem heute geltenden objektiven Auslegungsansatz841 – demzufolge das Ziel der Auslegung, anders als etwa im deutschen Zivilrecht, nicht primär darin liegt, den Parteiwillen zu ergründen, sondern darin, den objektiven Aussagegehalt der Norm zu erschließen –, dass der Normenwortlaut zugleich den Beginn und die äußerste Grenze eines jeden Auslegungsvorgangs bildet.842 Die Geltung des objektiven Auslegungsansatzes folgt aus der Qualifikation der travaux préparatoire als ergänzendes Auslegungsmittel. Auf diese darf gem. Art. 32 WVK nur dann zurückgegriffen werden, wenn eine auf Art. 31 WVK gestützte objektive Auslegung entweder die Bedeutung der fraglichen Vorschrift mehrdeutig oder im Dunkeln lässt oder sie zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt oder um das Auslegungsergebnis nach Art. 31 WVK zu bestätigen. Mithin ist ein Vertrag primär aus sich selbst heraus auszulegen.843 Die Gebotenheit einer objektiven Auslegung folgt überdies daraus, dass andernfalls ein nicht hinnehmbares Maß an Rechtsunsicherheit bestünde, weil bei Zugrundelegung eines subjektiven Interpretationsansatzes die Gefahr besteht, dass Vermutungen und Maßstäbe des jeweiligen Interpreten zum prägende Element der Auslegung werden.844 Weil der Wortlaut einer Norm die äußerste Grenze des Auslegungsvorgangs markiert, kann die von den Vertretern einer alternativen Lesart von Art. 2 (1) IPBPR erstrebte Umdeutung des „and“ in ein „or“ oder eine Reduktion des ganzen Absatzes mit dem Ergebnis, dass allein das Tatbestandsmerkmal „jurisdiction“ für die Anwendbarkeit des Zivilpaktes maßgeblich ist, auch nicht durch den Sinn und Zweck des Vertrages gerechtfertigt werden. Dass die fehlende extraterritoriale Anwendbarkeit laut den Vertretern der disjunktiven Lesart zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, ist mithin unbeachtlich. Denn „auch unbefriedigende Ergebnisse müssen in Kauf genommen werden, wenn der Text dies erfordert“.845 Überdies würde die erstrebte Umdeutung zu einer vollständigen Bedeutungsumkehrung des Wortes „and“ führen. Eine Interpretation darf jedoch nicht dazu 840 Lindenfalk, S. 345; ILC, Commentary VCLT, S. 217; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 142; Schwarzenberger (1968–1969), S. 4. 841 Bernhardt, S. 66; Sinclair, S. 71; Vandevelde, S. 292; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 142. 842 Haraszti, S. 84; ILC, Commentary VCLT, S. 217; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 142; Bernhardt, S. 93; Viliger, in: Cannizzaro, S. 109; Sinclair, S. 71. 843 Bernhardt, S. 55 ff. 844 Bernhardt, S. 108. 845 Bernhardt, S. 97.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
führen, dass die Bedeutung eines Wortes in sein Gegenteil verkehrt wird, weil dann die Grenzen der Vertragsauslegung in Richtung einer Vertragsmodifikation verlassen werden.846 Auch das ebenfalls angeführte Argument, es widerspreche dem Sinn und Zweck des Paktes, wenn die Vertragsparteien im Ausland gezielt in die Freiheit und persönliche Integrität ihrer Staatsbürger oder anderer Personen eingreifen könnten überzeugt nicht. Denn der Sinn und Zweck eines Vertrages ergibt sich nur aus dem Vertragstext, der Präambel sowie den Anhängen eines Vertrages und mithin ausschließlich aus geschriebenem Recht.847 Aus dem restriktiven Wortlaut des Art. 2 (1) IPBPR folgt jedoch, dass der Sinn und Zweck des Vertrages nur darin liegen kann, die Vertragsparteien dazu zu verpflichten, die in dem Pakt enthaltenen Rechte auf dem eigenen Staatsgebiet zu gewährleisten. Dass der Sinn und Zweck des Vertrages nicht darin zu erblicken ist, die Paktrechte schrankenlos zu gewährleisten, ergibt sich überdies aus der Derogationsklausel aus Art. 4 IPBPR. Auch der Verweis auf Art. 5 (1) IPBPR vermag eine Umdeutung des Wortlautes nicht zu rechtfertigen. Denn er sieht vor, dass eine Beschränkung der Rechte und Freiheiten des Paktes nur dann unzulässig ist, wenn sie über das im Pakt selbst vorgesehene Maß hinausgeht. Da sich die fehlende extraterritoriale Anwendbarkeit des Paktes jedoch aus dem Vertragstext selbst ergibt, kann darin auch keine nach Art. 5 (1) IPBPR unzulässige Beschränkung der Paktrechte gesehen werden. Weil der territoriale Anwendungsbereich des Paktes mithin auf das Staatsgebiet der Vertragsparteien begrenzt ist, können Handlungen, die zu einer Verletzung der Paktrechte im Ausland führen, nicht als Handlungen nach Art. 5 (1) qualifiziert werden, die darauf gerichtet sind, die Paktrechte zu zerstören. Eine Umdeutung des Wortlautes von Art. 2 (1) IPBPR führte zwar zu einer Erhöhung der vom Pakt erfassten Sachverhalte und mithin zu einer erhöhten praktischen Wirksamkeit des Vertrages. Wenngleich der Effektivitätsgrundsatz, demzufolge ein völkerrechtlicher Vertrag derart auszulegen ist, dass dessen Regelungsziel – hier der Schutz der Menschenrechte – bestmöglich erreicht werden kann848, grundsätzlich als Ausfluss der Telos-Auslegungsmethode gewohnheitsrechtlich anerkannt ist, findet dessen Anwendung jedoch ebenfalls seine absolute Grenze in dem Normenwortlaut.849 Folglich vermag ein Rückgriff auf den Effektivitätsgrundsatz allenfalls eine weite Auslegung eines bedeutungsambivalenten Tatbestandsmerkmals zu rechtfertigen, nicht jedoch die hier in Rede stehende vollständige Sinnumkehrung des vertraglichen Begriffs „and“ in ein „or“. 846
Bernhardt, S. 68. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 143; Köck (1976), S. 88; Haraszti, S. 112; Villiger, in: Canizzaro, S. 110; Bernhardt, S. 31. 848 Köck (1976), S. 74. 849 IGH, Peace Treaties, S. 224; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 144; Villiger, in: Canizzaro, S. 110; Köck (1976), S. 78. 847
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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Auch das Argument, die Staatenpraxis bestätige die extraterritoriale Anwendbarkeit des Paktes, überzeugt nicht. Wenngleich die nachfolgende Übung der Vertragsparteien in der Anwendung des Vertrages gem. Art. 31 (3) lit. b WVK bei der Auslegung zu berücksichtigen ist, ist deren Berücksichtigung konditional an die Universalität der Auslegungspraxis geknüpft.850 Das Universalitätserfordernis ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des in Rede stehenden Artikels, der nur diejenige nachfolgende Übung miteinschließt, die „establishes the agreement of the parties regarding its interpretation“. Wie die unterschiedlichen Auslegungen des Art. 2 (1) IPBR durch die Vertragsparteien zeigen kann von einer einheitlichen extraterritorialen Anwendung des Zivilpaktes jedoch gerade keine Rede sein. Überdies führte eine alternative Lesart des Art. 2 (1) IPBPR zu dem sinnwidrigen Ergebnis, dass die Vertragsparteien dann dazu verpflichtet wären, die in dem Pakt verankerten Rechte jedem Individuum auf ihrem Staatsgebiet zu garantieren und zwar völlig unabhängig davon, ob es sich unter deren Hoheitsgewalt befindet. Die Sinnwidrigkeit einer lediglich auf dem Anknüpfungspunkt des Staatsgebietes wurzelnden Verpflichtung zur Gewährleistung der Paktrechte wird insbesondere in Fällen militärischer Besetzung offenbar, in denen per definitionem851 die staatliche Hoheitsgewalt der besetzen Staaten durch die Hoheitsgewalt des Besatzers vollständig überlagert ist. Denn dann fehlt dem besetzten Staat bereits die Möglichkeit einer faktischen Einflussnahme auf die auf seinem Territorium stattfindenden Geschehnisse, so dass eine Gewährleistung der in dem Zivilpakt enthaltenen Rechte von Anfang an ausgeschlossen ist. Mithin führt nicht, wie von den Verfechtern einer alternativen Lesart vertreten, eine kumulative Lesart von Art. 2 (1) IPBPR zu absurden Auslegungsergebnissen, sondern vielmehr umgekehrt, die von ihnen favorisierte alternative Lesart. Denn eine von jeder Form von Hoheitsgewalt losgelöste isolierte Nennung des in Rede stehenden Tatbestandmerkmals „territory“ kann in Ermangelung einer Möglichkeit staatlicher Einflussnahme nach keiner denkbaren Betrachtungsweise die Pflicht zur Beachtung völkerrechtlicher Pflichten auslösen. Folglich käme dem Tatbestandsmerkmal „territory“ bei einer alternativen Lesart dann keine Bedeutung mehr zu, so dass deren Nennung als redundant zu qualifizieren wäre. Dies steht wiederum im Widerspruch zu der allgemein anerkannten Auslegungsmaxime, der zufolge eine Auslegung, die dazu führt, dass einzelne in einer Vorschrift enthaltenen Wörter vollständig ihrer Bedeutung beraubt werden, unzulässig ist.852 850 Lindenfalk, S. 167; Thirlway (1991) S. 52; Villiger (1985), S. 344; McGinley, S. 217; Sinclair, S. 138; Haraszti, S. 141. 851 s. Art. 42 HLKO: „Territory is considered occupied when it is actually placed under the authority of the hostile army.The occupation extends only to the territory where such authority has been established and can be exercised.“ 852 IGH, Anglo-Iranian Oil, S. 105; IGH, Maritime Safety Committee, S. 166; Fitzmaurice, in: Evans, S. 202.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Fernerhin lässt sich die von den Verfechtern einer alternativen Lesart erstrebte Umdeutung des Wortlauts auch nicht durch einen Rückgriff auf die travaux préparatoire rechtfertigen. Denn ein Auslegungsergebnis kann gem. des in Art. 32 WVK niedergelegten Rangverhältnisses853 zwischen der primären Auslegungsmethode aus Art. 31 (1) WVK und den ergänzenden Auslegungsmitteln nur dann konstitutiv auf die travaux préparatoire gestützt werden, wenn eine auf Art. 31 (1) WVK gestützte Auslegung entweder die Bedeutung der fraglichen Vorschrift mehrdeutig oder im Dunkeln lässt oder sie zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. Dies ist jedoch vorliegend gerade nicht der Fall, weil eine Auslegung von Art. 2 (1) IPBPR unter Zuhilfenahme der primären Auslegungsmethode aus Art. 31 (1) WVK zweifelsfrei das zwingende Erfordernis der vom Wortlaut vorgegebenen kumulativen Lesart ergibt. Somit ist der Wille der Vertragsgründer für die Auslegung von Art. 2 (1) IPBPR nicht heranzuziehen. Es ist überdies äußert zweifelhaft, ob die travaux préparatoire tatsächlich eine alternative Lesart des Art. 2 (1) IPBR stützen würden. Hätten die Gründer des IPBPR tatsächlich eine disjunktive Lesart von Art. 2 (1) IPBPR beabsichtigt, hätten sie so wie in Art. 7 der International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families auf eine klare disjunktiven Sprache zurückgegriffen. Art. 7 liegt folgender Wortlaut zugrunde: „States Parties undertake, in accordance with the international instruments concerning human rights, to respect and to ensure to all migrant workers and members of their families within their territory or 854 subject to their jurisdiction the rights provided for in the present Convention.“
Folglich ist zu konstatieren, dass der Zivilpakt nicht extraterritorial anwendbar ist. Daher ist das in Art. 6 IPBPR verankerte Recht auf Leben nicht als Prüfungsmaßstab für den Auslandseinsatz autonomer UACVs heranzuziehen. Mithin geht vor dem Hintergrund der gebotenen kumulativen Lesart von Art. 2 (1) IPBPR die Argumentation Israels in Bezug auf das auf Art. 29 WVK gestützte territorial begrenzte Jurisdiktionsverständnis in das Leere. Es sei jedoch angemerkt, dass Art. 29 WVK keine taugliche Grundlage für ein Begriffsverständnis darstellt, demzufolge der Vertrag in Ermangelung einer entsprechenden ausdrücklichen vertraglichen Anordnung nicht über das Staatsgebiet der Vertragsparteien hinaus anwendbar ist.855 Denn Art. 29 WVK betrifft zwar nach Maßgabe seiner Artikelüberschrift die territoriale Anwendbarkeit von Verträgen. Dies jedoch nur in Bezug auf Teilgebiete in föderalistisch organsierten Staaten sowie in Bezug auf abhängige Gebieten der Vertragsparteien (wie etwa Kolonien oder Protektorate).856
853
s. auch schon StIGH, Treaty of Lausanne, S. 22. Hervorhebung durch den Autor. 855 Ben-Naftali/Shany, S. 50. 856 Sinclair, S. 58; ILC, Commentary VCLT, S. 213; Ben-Naftali/Shany, S. 50; s. Wortlaut von Art. 29 WVK: „Unless a different intention appears from the treaty or is 854
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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Mithin regelt Art. 29 WVK gerade nicht die extraterritoriale Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge per se. Dieses Verständnis von Art. 29 WVK findet seine Bestätigung in den travaux préparatoires.857 II. Extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK Ausgehend vom Wortlaut des Art. 1 EMRK – „within its jurisdiction“ – ist die Anwendbarkeit der EMRK konditional daran geknüpft, dass sich die fragliche Person innerhalb der Jurisdiktion der Vertragspartei befindet. Ob und inwieweit die EMRK extraterritorial anwendbar ist, hängt mithin von dem Begriffsverständnis des in Rede stehenden Tatbestandsmerkmals ab. 1. Definition des Tatbestandsmerkmals „jurisdiction“
Die Definition des in Rede stehenden Tatbestandsmerkmals aus Art. 1 EMRK und mithin die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention ist umstritten. a) Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Zunächst soll die Auslegung der fraglichen Formulierung in Art. 1 EMRK durch den EGMR dargelegt werden. Wenngleich der Auslegung des EGMR wohl nicht die teilweise zugesprochene Erga-Omnes-Wirkung858 zukommt, ist sie zumindest insoweit von Bedeutung, als dass ihr eine gewisse Orientierungswirkung zuzusprechen ist.859 aa) Bankovic´ et al. 12. Dezember 2001 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beschäftigte sich in dem viel beachteten Bankovic´-Fall ausführlich mit der Problematik der extraterritorialen Anwendbarkeit von Menschenrechten im Zusammenhang mit militärischen Einsätzen von Luftstreitkräften im Kontext eines internationalen bewaffneten Konflikts. Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Im Zuge der zwischen otherwise established, the application of a treaty extends to the entire territory of each party.“ 857 ILC, Commentary VCLT, S. 213, 214: „The article was intended by the Commission to deal only with the limited topic of the application of a treaty to the territory of the respective parties. In its view, the law regarding the extra-territorial application of treaties could not be stated simply in terms of the intention of the parties or of a presumption as to their intention; and it considered that to attempt to deal with all the delicate problems of extra-territorial competence in the present article would be inappropriate and inadvisable.“ 858 So jedoch Macho, in: Dupuy/Fassbender/Shaw/Sommermann, S. 184 ff. 859 Ress (1996), S. 350; Jankowska-Gilberg, S. 35.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
dem 24. März bis 8. Juni 1999 durchgeführten NATO-Luftschläge in Jugoslawien wurde die serbische Radiostation Radio Televevizije Srbije (RTS) am 23. April von einer Rakete getroffen.860 Insgesamt kamen bei diesem Angriff 16 Menschen um das Leben und weitere 16 Personen wurden schwer verletzt.861 Unter den Toten befanden sich Angehörige von fünf Beschwerdeführern. Der sechste Beschwerdeführer wurde selbst bei dem Angriff verletzt. Die Beschwerdeführer rügten eine Verletzung des Rechts auf Leben aus Art. 2 EMRK, des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK und das Recht auf wirksame Beschwerde aus Art. 13 EMRK.862 Der EGMR wies die Beschwerde als unzulässig zurück, weil er es als nicht erwiesen ansah, dass der von Art. 1 EMRK geforderte „jurisdictional link“ zwischen den Opfern des Angriffs und den beklagten NATO Staaten vorlag.863 Denn in Bestätigung seiner Soering-Rechtsprechung864 kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass dem Jurisdiktionsbegriff grundsätzlich ein primär territorialbezogenes Verständnis zugrunde zulegen sei, so dass die Konvention nur ausnahmsweise bei Hinzutreten besonderer Umstände im Einzelfall extraterritoriale Bindungswirkung entfalten könne.865 Zur Begründung verwies der Gerichtshof zunächst auf das allgemeine völkerrechtliche Verständnis des Jurisdiktionsbegriffes, dem ein klares territoriales Gepräge zugrunde läge.866 Dieses Begriffsverständnis fände seine Bestätigung in der nachfolgenden universalen Übung der Vertragsparteien in der Anwendung der Konvention: „Although there have been a number of military missions involving Contracting States acting extra-territorially since their ratification of the Convention, no State has indicated a belief that its extra-territorial actions involved an exercise of jurisdiction within the meaning of Article 1 of the Convention by making a derogation pursuant to Article 15 of the Convention.“ 867
Weiterhin führte der Gerichtshof aus, dass aus der Existenz der Derogationsklausel nicht ohne Weiteres auf eine extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention geschlossen werden könne: „The Court does not find any basis upon which to accept the applicants’ suggestion that Article 15 covers all „war“ and „public emergency“ situations generally, whether 860
EGMR, Bankovic´ et al., Para.10. EGMR, Bankovic´ et al., Para. 11. 862 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 28. 863 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 82. 864 EGMR, Soering, Para. 86: „Article 1 sets a limit, notably territorial, on the reach of the Convention. In particular, the engagement undertaken by a Contracting State is confined to ,securing‘ (,reconnaître‘ in the French text) the listed rights and freedoms to persons within its own ,jurisdiction‘.“ 865 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 61. 866 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 59. 867 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 62. 861
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
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obtaining inside or outside the territory of the Contracting State. Indeed, Article 15 itself is to be read subject to the „jurisdiction“ limitation enumerated in Article 1 of the Convention.“ 868
Abschließend zog der EGMR die travaux préparatoires zur Bestätigung seines Auslegungsergebnisses heran. Die Ersetzung der vorläufigen Formulierung „all persons residing within their territories“ durch die schlussendlich in den endgültigen Vertragstext aufgenommene Formulierung „within their jurisdiction“ verdeutliche, dass die Anwendbarkeit der Konvention zwar erweitert werden sollte, jedoch dies nur insoweit, als dass auch Individuen in den Schutzbereich der Konventionsrechte gelangen, die zwar nicht im Rechtssinne in dem Staatsgebiet der betreffenden Vertragspartei residieren, sich aber dennoch auf ihm befinden.869 Hätten die Väter der Konvention eine weitgehende extraterritoriale Anwendbarkeit beabsichtigt, hätten sie, so der Gerichtshof, auf eine mit Art. 1 der vier Genfer Abkommen vergleichbare Sprache zurückgegriffen.870 In Bestätigung seiner Loizidou-Rechtsprechung871 vertrat der Gerichtshof die Ansicht, dass im Lichte des Vertragszweckes eine ausnahmsweise extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention nur dann möglich sei, wenn die Vertragspartei „effective control of an area outside its national territory“ 872 ausübe. Dem vom Kläger vorgetragenen Argument, die extraterritoriale Bindungswirkung der in der Konvention enthaltenen Rechte richte sich proportional nach dem Grad der ausgeübten Kontrolle, erteilte der Gerichtshof eine klare Absage. Konkret führte er dazu Folgendes aus: „The Court considers that the applicants’ submission is tantamount to arguing that anyone adversely affected by an act imputable to a Contracting State, wherever in the world that act may have been committed or its consequences felt, is thereby brought within the jurisdiction of that State for the purpose of Article 1 of the Convention.“ 873 (. . .) the Court is of the view that the wording of Article 1 does not provide any support for the applicants’ suggestion that the positive obligation in Article 1 to secure „the rights and freedoms defined in Section I of this Convention“ can be divided and tailored in accordance with the particular circumstances of the extra-territorial act in question (. . .). Indeed the applicants’ approach does not explain the application of the words „within their jurisdiction“ in Article 1 and it even goes so far as to render those words superfluous and devoid of any purpose.“ 874
868
EGMR, Bankovic´ et al., Para. 62. EGMR, Bankovic´ et al., Para. 63. 870 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 75. 871 EGMR, Loizidou, Para 62: „Bearing in mind the object and purpose of the Convention, the responsibility of a Contracting Party may also arise when as a consequence of military action – whether lawful or unlawful – it exercises effective control of an area outside its national territory.“ 872 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 70. 873 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 75. 874 EGMR, Bankovic ´ et al., Para. 75. 869
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Darüber hinaus lehnte der Gerichtshof die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Ersetzung des Kriteriums der effektiven Gebietskontrolle durch effektive Kontrolle über Personen und die damit verbundene cause-and-effect-doctrine ab, der zufolge der Eintritt des Tötungserfolges bereits belege, dass sich die getöteten Personen innerhalb der Jurisdiktion der Vertragspartei befunden haben müssen.875 Mithin ist der maßgebliche Effective-Control-Test nach Ansicht des EGMR gebietsbezogen und absoluter Natur. Liegt der erforderliche Grad an Gebietskontrolle nicht vor, so ist die Konvention in Gänze nicht extraterritorial anwendbar. Folglich verlangt der Gerichtshof stets eine umfangreiche Kontrolle, die es ermöglicht, die gesamten Konventionsrechte zu gewährleisten. In dem vom EGMR in seiner Entscheidung zitierten Loizidou-Fall leitete der Gerichtshof die erforderliche effektive Kontrolle der Türkei über das Gebiet Nordzyperns aus der massiven türkischen Truppenpräsens ab, welche das Gebiet unter türkischer Besetzung hielten.876 Im hier diskutierten Bankovic´-Fall kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die bloße Kontrolle über den Luftraum nicht die erforderliche effektive Gebietskontrolle begründe.877 Den von Klägerseite geäußerten Bedenken, eine vollständige Ablehnung der Anwendbarkeit der EMKR führe zu einem nicht hinnehmbaren rechtlichen Vakuum, entkräftete der EGMR mit der Feststellung „The Convention was not designed to be applied throughout the world, even in respect of the conduct of Contracting States.“ 878 Somit ist zu konstatieren, dass nach einstimmig gefasster Ansicht des EGMR im Bankovic´-Fall aufgrund der territorialen Prägung des Jurisdiktionsbegriffes eine extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK im Lichte des Konventionstelos nur ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn die Vertragspartei effektive Kontrolle über das fragliche außerhalb seines Territoriums befindliche Gebiet, etwa in Besatzungssituationen, nicht jedoch lediglich über dem Luftraum, ausübt. bb) Öcalan 12. März 2003 Im nachfolgenden Öcalan-Fall hatte der EGMR erneut über die extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK zu entscheiden. Gegenstand des Verfahrens war die Festnahme des türkischen PKK-Führers Öcalan in einem Flugzeug in Nairobi durch türkische Regierungsbeamte.879 Öcalan wurde nach seiner Festnahme unter Zwangsanwendung in die Türkei überführt und dort gefangen gehalten und später zum Tode verurteilt.880 Im Zusammenhang mit der Bewertung der Festnahme 875 876 877 878 879 880
EGMR, Bankovic´ et al., Para. 75. EGMR, Bankovic´ et al., Para. 61. EGMR, Bankovic´ et al., Para. 76, 82. EGMR, Bankovic´ et al., Para. 80. EGMR, Öcalan, Para. 12. EGMR, Öcalan, Para. 47.
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Öcalans in Nairobi äußerte sich der EGMR zur extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention. Zunächst bestätigte der Gerichtshof die territoriale Bedeutung des Jurisdiktionsbegriffes und die nur ausnahmsweise extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention.881 Dann allerdings bestätigte er die Anwendbarkeit der Konvention auf die Arrestsituation mit folgenden Worten: „Directly after he had been handed over by the Kenyan officials to the Turkish officials the applicant was under effective Turkish authority and was therefore brought within the ,jurisdiction‘ of that State for the purposes of Article 1 of the Convention, even though in this instance Turkey exercised its authority outside its territory. The Court considers that the circumstances of the present case are distinguishable from those in the aforementioned Bankovic´ and Others case, notably in that the applicant was physically forced to return to Turkey by Turkish officials and was subject to their authority and control following his arrest and return to Turkey.“ 882
In Ermangelung weiterer Ausführungen des Gerichtshofs zu dieser Frage ist unklar, ob der Gerichtshof damit eine Ablösung des territorialen Bezugspunktes der effektiven Kontrolle herbeiführen wollte. Teile der Literatur folgern aus der zitierten Passage, dass der EGMR das Kriterium der effektiven Gebietskontrolle in seiner Absolutheit aufgegeben und nunmehr gleichrangig das Kriterium effektiver Kontrolle über Personen etabliert habe.883 Dem kann jedoch angesichts des vom Gerichtshof zuvor bestätigten territorialen Verständnisses des Jurisdiktionsbegriffes und der ebenfalls bekräftigten Anwendbarkeit der Maxime einer nur ausnahmsweisen extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention aus dem Bankovic´ Urteil nicht gefolgt werden. Vielmehr scheint es geboten, die in Rede stehende Passage des Öcalan-Urteils derart auszulegen, dass der Gerichtshof lediglich den Ausnahmekatalog von Fällen extraterritorialer Anwendbarkeit um den konkreten Fall physischer Kontrolle über eine Person in Arrestsituationen erweiterte. Eine vollständige Aufgabe des Erfordernisses der Gebietskontrolle ist dem Urteil hingegen nicht zu entnehmen. cc) Ilas¸cu et al. 8 Juli 2004 Eine weitere in Bezug auf die Auslegung von Art. 1 EMRK wichtige Entscheidung des EGMR ist der Ilas¸cu et al. vs. Moldavien und Russland Fall. In jenem Fall ging es um die Inhaftierung und spätere Verurteilung der Beschwerdeführer in Moldawien auf dem Gebiet der abtrünnigen aber von der Staatengemeinschaft bis heute nicht anerkannten Moldawischen Republik Transnistrien (MRT) durch Organe des facto Regimes.884 Die Beschwerdeführer ersuchten den Gerichtshof, die Verantwortlichkeit Russlands und Moldawiens für die in Rede stehenden 881 882 883 884
EGMR, Öcalan, Para. 93. EGMR, Öcalan, Para. 93. Gondek, S. 184. EGMR, Ilas¸cu et al., Para. 186 ff.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
durch die Organe des de facto Regimes begangenen Menschenrechtsverletzungen festzustellen. Die Verantwortlichkeit Moldawiens sollte dabei darauf beruhen, dass es unterließ, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den Verletzungen Einhalt zu gebieten.885 Russlands Verantwortlichkeit wurde von den Beschwerdeführern hingegen auf das Argument gestützt, dass das Gebiet der MRT unter russischer de facto Kontrolle stünde.886 Für die hier diskutierte Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention sind mithin einzig die Aussagen des EGMR zur Verantwortlichkeit Russlands von Bedeutung. Einführend bekräftigte der EGMR unter Verweis auf seine Bankovic´- und Loizidou-Rechtsprechung erneut die territoriale Konzeption des Jurisdiktionsbegriffes sowie die nur ausnahmsweise extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK.887 Wenngleich die Anzahl der in der MRT stationierten russischen Truppen im Verhältnis zur Anzahl der türkischen Truppen in Nordzypern im Loizidou-Fall ungleich geringer ausfiel und überdies das Gebiet der MRT, anders als Nordzypern, nicht besetzt war, kam der EGMR auch wegen des über die militärische Unterstützung hinausgehenden russischen Einflusses politischer und wirtschaftlicher Natur auf die MRT zu dem Ergebnis, dass das fragliche Gebiet der MRT in Moldawien auf dem sich die Beschwerdeführer befanden unter der Jurisdiktion Russlands im Sinne von Art. 1 EMRK befand.888 Mithin verdeutlicht die Entscheidung des EGMR die Fortgeltung des Kriteriums effektiver Gebietskontrolle. Gleichwohl lässt sie erkennen, dass der EGMR die Anforderung an das Bestehen einer Gebietshoheit infolge einer militärischen Truppenpräsenz herabgesenkte und gleichzeitig das Vorliegen eines politischen und wirtschaftlichen Einflusses einer Vertragspartei auf gebietsfremde Regionen als relevante Kriterien für die Feststellung des Bestehens einer Gebietshoheit einführte. dd) Issa et al. 16. November 2004 Gegenstand des Issa et al.-Falles war die vermeindliche Tötung von sechs irakischen Schäfern durch Angehörige der türkischen Streitkräfte im Rahmen einer Militäroperation gegen kurdische bewaffnete Gruppierungen im Nordirak.889 Die türkische Regierung bestritt die vorgeworfenen Tötungen durchgeführt zu haben.890 Auch in diesem Fall zitierte der Gerichtshof die Bankovic´-Entscheidung zur Bekräftigung des territorialen Verständnisses des Jurisdiktionsbegriffes und das daraus resultierende Erfordernis effektiver Gebietskontrolle, die im Zuge militärischer Operationen auch in Auslandseinsätzen ausnahmsweise vorliegen 885 886 887 888 889 890
EGMR, Ilas¸cu et al., Para. 306. EGMR, Ilas¸cu et al., Para. 364 ff. EGMR, Ilas¸cu et al., Para. 377. EGMR, Ilas¸cu et al., Para. 386 ff. EGMR, Issa et al., Para. 10 ff. EGMR, Issa et al., Para. 25.
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könne.891 Auf den konkreten zu entscheidenden Fall bezogen, führte der EGMR daher aus: „In the light of the above principles the Court must ascertain whether the applicants’ relatives were under the authority and/or effective control, and therefore within the jurisdiction, of the respondent State as a result of the latter’s extra-territorial acts. The Court does not exclude the possibility that, as a consequence of this military action, the respondent State could be considered to have exercised, temporarily, effective overall control of a particular portion of the territory of northern Iraq. Accordingly, if there is a sufficient factual basis for holding that, at the relevant time, the victims were within that specific area, it would follow logically that they were within the jurisdiction of Turkey.“892
Das Vorliegen der erforderlichen effektiven Gebietskontrolle über das gesamte Gebiet des Nordiraks lehnte der EGMR jedoch trotz der an der Militäroperation beteiligten hohen Anzahl türkischer Truppen ab. Zur Begründung verwies der Gerichtshof auf die faktischen Unterschiede zu den Nordzypern-Fällen, in denen er die effektive Gebietskontrolle der Türkei bejahte: „In the latter cases, the Court found that the respondent Government’s armed forces totaled more than 30,000 personnel (which is, admittedly, no less than the number alleged by the applicants in the instant case – see § 63 above – but with the difference that the troops in northern Cyprus were present over a very much longer period of time) and were stationed throughout the whole of the territory of northern Cyprus. Moreover, that area was constantly patrolled and had check points on all main lines of communication between the northern and southern parts of the island.“ 893
Folglich stellte der Gerichtshof fest, dass es demnach für die Entscheidung des Falls darauf ankomme, ob die türkischen Truppen zumindest auf dem Gebiet, in dem die Tötungen durchgeführt wurden, zur maßgeblichen Zeit Operationen durchführten und mithin effektive Gebietskontrolle innehatten.894 In Ermangelung einer diesbezüglichen hinreichenden Beweislage lehnte der EGMR die Verantwortlichkeit der Türkei im Ergebnis ab.895 Weil der Gerichtshof ausschließlich auf das Vorliegen effektiver Gebietskontrolle abstellte, ist der Entscheidung zu entnehmen, dass insbesondere in Rahmen militärischer Operationen, wie bereits bei der Bankovic´ Entscheidung festgestellt, allein dieses Kriterium für die Anwendbarkeit der Konvention maßgeblich ist. Mithin ist nach Auffassung des EGMR das ausnahmsweise heranzuziehende Kriterium effektiver physischer Kontrolle über Personen im Rahmen von Tötungen im Zuge extraterritorialer militärischer Operationen, anders als in Festnahmefällen, nicht heranzuziehen.
891 892 893 894 895
EGMR, Issa et EGMR, Issa et EGMR, Issa et EGMR, Issa et EGMR, Issa et
al., Para. 65 ff. al., Para. 72, 74. al., Para. 75. al., Para. 76. al., Para. 81.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
ee) Medvedyev et al. 29. März 2010 Im Jahr 2010 hatte der EGMR erneut über die extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK zu entscheiden. Der Medvedyev-Fall hatte das Abfangen des in Kambodscha registrierten Handelsschiffes Winner durch eine französische Fregatte auf hoher See zum Gegenstand. Das Schiff stand unter dem Verdacht Drogen zu schmuggeln. Nachdem das Schiff durch ein französisches Sondereinsatzkommando geentert wurde und sich der Verdacht des Drogenschmuggels bestätigte, wurde die Crew an Bord unter militärischer Bewachung gefangen gehalten und das Schiff zum Hafen in Brest eskortiert, wo die Besatzung den lokalen Behörden überstellt wurde.896 In diesem Zusammenhang stellte sich erneut die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit der Konvention. Nachdem der EGMR erneut seine vorangegangene restriktive Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 1 EMRK bestätigte, bejahte er die extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK im konkreten Fall. Zur Begründung führte er an, dass sich sowohl die Crew als auch das Schiff zumindest de facto unter effektiver Kontrolle und mithin innerhalb Frankreichs Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK befunden habe.897 Da dem Fall eine Arrestsituation zugrunde lag, ist in der Entscheidung eine Bestätigung der Öcalan-Rechtsprechung zu erbklicken, der zufolge die EMRK ausnahmsweise auch ohne Gebietskontrolle bei Vorliegen physischer Gewalt über Personen extraterritorial anwendbar ist. Weil es sich, wie bereits erwähnt, jedoch auch in diesem Fall um eine Arrestsituation handelte, lässt sich aus der Entscheidung nicht ableiten, dass die Anwendbarkeit der Konzeption von Hoheitsgewalt auf Personen erweitert wurde. Überdies lag dem Fall die Besonderheit zugrunde, dass sich die in Rede stehenden Ereignisse auf hoher See, dass heißt außerhalb des Territoriums irgendeines Staates ereigneten, so dass das Kriterium der effektiven Gebietskontrolle im hier diskutierten Fall nicht als Anknüpfungspunkt zur Begründung der erforderlichen Jurisdiktion fungieren konnte und mithin nicht in Konkurrenz zum Kriterium der effektiven Kontrolle über Personen stand. ff) Zwischenergebnis Aus der dargestellten Rechtsprechung folgt, dass der EGMR von seiner Bankovic´-Rechtsprechung im Hinblick auf militärische Operationen nicht abgewichen ist. Mithin ist die Konvention nach Auffassung des EGMR aufgrund des territorialen Jurisdiktionsverständnisses grundsätzlich nicht extraterritorial anwendbar. Eine solche kommt laut EGMR im Lichte des Konventionstelos mithin nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Vertragspartei effektive Kontrolle über das außerhalb seines Territoriums befindliche Gebiet ausübt. Das Erfordernis effektiver Gebietskontrolle ist jedoch absoluter Natur, so dass eine je nach 896 897
EGMR, Medvedyev et al., Para. 9 ff. EGMR, Medvedyev et al., Para. 67.
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Kontrollgrad abgestufte Anwendbarkeit der Konvention und damit eine abgestufte Gewährleistungspflicht nur bestimmter Konventionsrechte nicht denkbar ist. Nach Auffassung des EGMR kann die effektive Gebietskontrolle grundsätzlich auch bei militärischen Einsätzen vorliegen. Eine solche hat der EGMR in den Nordzypern-Fällen für Besatzungssituationen bestätigt. Liegt keine Besatzung vor, ist eine effektive Gebietskontrolle nur durch eine massive Bodentruppenpräsenz über einen längeren ununterbrochenen Zeitraum, nicht jedoch durch bloße Luftraumkontrolle, möglich. Das Kriterium effektiver Gebietskontrolle wurde überdies nicht durch das Kriterium effektiver Kontrolle über Personen ersetzt oder ihm gleichgestellt. Das Vorliegen von Jurisdiktion qua physischer Kontrolle über Personen wurde durch den Gerichtshof nur ausnahmsweise in Arrestfällen und nicht allgemein im Rahmen extraterritorialer militärischer Operationen angenommen. Außerhalb von Arrestsituationen ist nach Auffassung des EGMR die Jurisdiktion über Personen nur über die effektive Kontrolle über das Gebiet, auf dem sich die Person befindet, begründbar. Mithin wäre nach Maßgabe der Rechtsprechung des EGMR die EMRK für Auslandseinsätze autonomer UACVs nur dann anwendbar, wenn sich diese in besetzten Gebieten oder in anderen Gebieten ereignen, die einer effektiven Bodengebietskontrolle einer Vertragspartei unterliegen. b) Meinungsstand in der Literatur Innerhalb der Literatur ist die Auslegung der in Rede stehenden Formulierung „within its jurisdiction“ umstritten und das vertretene Meinungsspektrum vielfältig. So wird die restriktive Auslegung des EGMR sowohl kritisiert als auch geteilt. aa) Kritik an der restriktiven Auslegung des EGMR Die Rechtsprechung des EGMR und dabei insbesondere die Bankovic´-Entscheidung sahen sich von Teilen der Literatur teils heftiger Kritik ausgesetzt. So vertritt Lawson die Auffassung: „The Court got it all wrong.“.898 Insbesondere der Bezugspunkt des Kriteriums der effektiven Gebietskontrolle sowie die Ablehnung einer abgestuften Anwendbarkeit der Konvention in Abhängigkeit von dem vorliegenden Kontrollgrad durch den EGMR gerieten in den Fokus der Kritik. Die Kritik beruht auf dem Argument, das Auslegungsergebnis des EGMR beruhe auf einer falschen Gewichtung der Auslegungsmittel.899 Denn dieser habe den Vertragszweck bei seiner Auslegung „completely disregarded“.900 Vereinzelt wird gar vertreten, die Auslegungsregeln der WVK seien in Bezug auf die Auslegung der EMRK in der Art zu modifizieren, dass dem Konventionstelos ein 898 899 900
Lawson, in: Coomans/Kamminga, S. 85. Gondek, S. 178. Altiparmak, S. 223.
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stärkeres Gewicht zukommen müsse.901 Dies folge unmittelbar aus der Natur der Menschenrechte. Denn diese seien den Menschen von Natur aus zuzubilligen und mithin nicht erst durch die EMRK zur Erstehung gelangt. Entsprechend sei die EMRK nach Maßgabe der Präambel nur der erste Schritt „auf dem Wege zu einer kollektiven Garantie bestimmter in der Allgemeinen Erklärung aufgeführter Rechte“.902 Demgemäß müsse die EMRK stets innerhalb und außerhalb des Hoheitsgebietes der Vertragsparteien anwendbar sein. Laut Orakhelashvili ist der Jurisdiktionsbegriff im Lichte des Telos des Art. 1 EMRK entgegen der Ansicht des EGMR nicht mit dem allgemeinen völkerrechtlichen territorialbezogenen Jurisdiktionsbegriffsverständnis gleichzusetzen.903 Konkret führte er aus: „Its function is to ensure that breaches of the Convention are duly attributed to the relevant contracting state and that therefore responsibility is assumed and remedies implemented. This does not in any way depend on whether the act in question lawfully comes under the jurisdiction of that state. The subject-matter of fundamental human rights is simply outside the scope of state prerogatives.“ 904
Demgemäß könne der Gerichtshof seine restriktive Lesart von Art. 1 EMRK nicht mit dem Verweis auf das allgemeine völkerrechtliche Begriffsverständnis begründen. Überdies wird vorgebracht, der EGMR habe bei der Auslegung von Art. 1 EMRK den travaux préparatoires ein zu starkes Gewicht beigemessen.905 Der Wille der Vertragsschöpfer müsse hinter den „present day conditions“ zurücktreten, die es erfordern, den technischen Fortschritt und die moderne Art der Kriegführung bei der Auslegung des Jurisdiktionsbegriffes zu berücksichtigen.906 Daher sei das entscheidende Kriterium für die Anwendbarkeit der EMRK entweder das Vorliegen effektiver Gebietskontrolle oder das Vorliegen effektiver Kontrolle über Personen.907 Diese liege bereits dann vor, wenn zwischen der Menschenrechtsverletzung und der fraglichen Handlung der Vertragspartei ein „direct and immediate link“ bestehe.908 Fernerhin wird vertreten, dass der Umfang der zu gewährenden Konventionsrechte unabhängig vom präferierten Bezugspunkt der geforderten effektiven Kontrolle proportional zum Verhältnis des ausgeübten Kontrollgrades zu bestimmen sei.909 Entsprechend seien die Vertragsparteien stets zumindest dazu verpflichtet, 901
Jankowska-Gilberg, S. 34 ff. Jankowska-Gilberg, S. 47. 903 Orakhelashvili (2003), S. 541. 904 Orakhelashvili (2003), S. 540–542. 905 Orakhelashvili (2003), S. 547. 906 Jankowska-Gilberg, S. 48. 907 Schäfer, S. 29; Gondek, S. 185; Droege (2007), S. 325. 908 Lawson, in: Coomans/Kamminga, S. 105 909 Schäfer, S. 29; Lawson, in: Coomans/Kamminga, S. 120; Jankowska-Gilberg, S. 155. 902
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nicht aktiv in die Rechte von Personen einzugreifen, während der volle Umfang der Konventionsrechte nur bei Vorliegen effektiver Kontrolle zu gewährleisten sei.910 Darüber hinaus wird dem EGMR der allgemeine Vorwurf gemacht, seine Entscheidung im Bankovic´-Fall sei vor dem Hintergrund des Global War on Terror politisch motiviert gewesen und zudem mit der Zielrichtung ergangen, den Gerichtshof nicht mit politisch brisanten weit entfernten Konflikten zu beschäftigen.911 bb) Befürwortung der restriktiven Auslegung des EGMR Jedoch finden sich auch Stimmen in der Literatur, welche sich gegen die von den Verfechtern einer extensiven Auslegung des Art. 1 EMRK vorgebrachten Argumente aussprechen und mithin die restriktive Auslegung des Jurisdiktionsbegriffes durch den EGMR befürworten. So argumentiert die Gegenauffassung damit, dass die von Teilen der Literatur gerügte Gleichsetzung des Jurisdiktionsbegriffes aus Art. 1 EMRK mit dem allgemeinen völkerrechtlichen Begriffsverständnisses rechtlich geboten gewesen sei.912 Aufgabe des Art. 1 EMRK sei es gerade nicht die Zurechnung von Konventionsverstößen zu ermöglichen. Sinn und Zweck der genannten Vorschrift liege vielmehr darin, eine Anwendungsvoraussetzung für die Konvention zu begründen und mithin dessen Anwendungsbereich zu begrenzen. Mithin vermische die unter anderem von Orakhelasvili vertretene Ansicht in unzulässiger Weise die Konzeption der Jurisdiktion mit der Konzeption der Staatenverantwortlichkeit.913 Auch das von den Verfechtern eines weiten Jurisdiktionsverständnisses vorgebrachte Argument der zwingenden Berücksichtigung der „present day conditions“ bei der Auslegung von Art. 1 EMRK wurde von Teilen der Literatur mit dem Argument abgelehnt, dass es zwar einige Begriffe geben mag, welche im Lichte des gesellschaftlichen Bedeutungswechsels einer flexiblen Auslegung zuzuführen sind, dazu gehöre der Jurisdiktionsbegriff jedoch gerade nicht. So trägt O’Boyle vor: „The concept of ,public morals‘ may have changed since 1950, but the term ,jurisdiction‘ still has the same connotation.“ 914 Überdies habe der EGMR auf die travaux préparatoires lediglich zur Bestätigung seines bereits zuvor gewonnenen Auslegungsergebnisses und mithin in Übereinstimmung mit Art. 32 WVK zurückgegriffen.915 Auch der generelle Vorwurf die Bankovic´-Entscheidung sei politisch motiviert gewesen wurde von Tei910 911
Borelli, S. 61 ff.; Schäfer, S. 31. Gondek, S. 178; Lawson, in: Coomans/Kamminga, S. 116; Jankowska-Gilberg,
S. 62. 912 913 914 915
O’Boyle, in: Coomans/Kamminga, S. 130; Gündüz, S. 5 ff. O’Boyle, in: Coomans/Kamminga, S. 130. Gündüz, S. 36. Ress (2003), S. 82.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
len der Literatur zurückgewiesen. Nach der Gegenansicht war die Entscheidung des EGMR vielmehr „clearly based on certain methods of interpreting the Convention that the Court considered appropriate“. 916 Fernerhin wird zur Bestätigung des restriktiven territorialen Begriffsverständnisses ein rechtsvergleichendes Argument angeführt. Während in Art. 2 des Zivilpaktes die Formulierung „subject to its jurisdiction“ verwandt wird, lautet die Formulierung in Art. 1 EMRK „within its jurisdiction“. Aus dem Rückgriff auf eine anderslautende Präposition folge, dass der Jurisdiktionsbegriff der EMRK eine stärkere territoriale Konnotation besitze.917 Überdies sei laut Milanovic das Kriterium der Kontrolle über Personen – gleich welcher Ausformung – auch nicht als Alternative zum Kriterium der Gebietskontrolle geeignet, um den Anwendungsbereich der Konvention gemäß der Zielsetzung des Art. 1 EMRK zu beschränken.918 Legte man dem Kriterium ein derartiges Verständnis zugrunde, dass das Vorliegen von Jurisdiktion bereits aus der bloßen tatsächlichen Fähigkeit der Vertragspartei zur Verletzung von Menschenrechten resultiere, so könne Art. 1 EMRK seine Aufgabe als Anwendungshürde bereits nicht erfüllen, weil dann jede Verletzung zur Anwendbarkeit der Konvention führe.919 Der Versuch das Kriterium der Kontrolle über Personen an bestimmte Voraussetzungen, wie etwa an die physische Kontrolle in Arrestsituationen, zu knüpfen, scheitert nach Auffassung Milanovics daran, dass eine Auswahl von Kriterien in Ermangelung sachlicher Gründe für eine Differenzierung stets willkürlich wäre.920 Folglich wendet er sich mit seiner Kritik nicht nur gegen die Literaturauffassung, sondern auch gegen die Rechtsprechung des EGMR, die es ausnahmsweise in Arrestfällen für die Jurisdiktionsbegründung genügen lässt, dass die Vertragspartei physische Kontrolle über die gefangen gehaltene Person ausübt. 2. Stellungnahme
Im Folgenden soll nun zu den soeben dargelegten Argumenten des EGMR und der Literatur Stellung genommen und Art. 1 EMRK einer Auslegung zugeführt werden. Zunächst ist festzuhalten, dass das in Rede stehende Tatbestandsmerkmal Jurisdiktion gemäß der allgemeinen in Art. 31 ff. WVK kodifizierten Auslegungsregeln auszulegen ist. Eine Modifikation der Auslegungsregeln für die EMRK, wie sie vereinzelt in der Literatur gefordert wird, entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage und ist mithin abzulehnen. Insoweit ist dem EGMR-Richter Fitzmaurice zu916 917 918 919 920
Orakhelashvili (2003), S. 538. Schilling, S. 12. Milanovic, Extraterritorial Application, S. 207. Milanovic, Extraterritorial Application, S. 173. Milanovic, Extraterritorial Application, S. 173, 207.
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zustimmen, der in seinem Sondervotum zum National Union of Belgian PoliceFall folgendes herausstellte: „But what I find impossible to accept is the implied suggestion that because the Convention has a constitutional aspect, the ordinary rules of treaty interpretation can be ignored or brushed aside in the interest of promoting object and purpose not originally intended by the parties.“ 921
Demgemäß ist der Jurisdiktionsbegriff zunächst in Übereinstimmung mit der ihm in seinem Zusammenhang zukommenden gewöhnlichen Bedeutung und im Lichte des Zieles und Zweckes des Art. 1 EMRK auszulegen. Dass es sich bei dem Jurisdiktionsbegriff um einen rechtstechnischen Begriff handelt, steht einer Anwendbarkeit der Ordinary-Meaning-Rule nicht entgegen. Denn die gewöhnliche Bedeutung von Vertragsbegriffen „(. . .) bestimmt sich danach, welche Bedeutung einem Begriff in der allgemeinen Rechtssprache und nicht in der Laiensprache zukommt.“ 922. Zutreffend legt der EGMR dem Jurisdiktionsbegriff ein primär territoriales Verständnis zugrunde. Denn der Jurisdiktionsbegriff beschreibt die umfassende Befugnis eines Staates gesetzgeberisch, vollziehend und rechtsprechend hoheitlich tätig zu werden.923 Eine solche Kompetenz kommt dem Staat umfassend nur auf seinem eigenen Territorium zu. Dies verdeutlicht das in Art. 2 (1) UN-Charter kodifizierte Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten sowie der staatlichen Gebietshoheit. Denn Souveränität zeichnet sich im zwischenstaatlichen Bereich durch Unabhängigkeit und Exklusivität in der Ausübung von Hoheitsgewalt aus. Dies wurde bereits im Las Palmas Schiedsspruch von 1928 bestätigt: „Sovereignty in relations between states signifies independence. Independence in regard to a portion of the globe is the right to exercise therein, to the exclusion of any other state, the function of a state.“ 924
Entsprechend erkannte bereits der Ständige Internationale Gerichtshof des Völkerbundes das aus der Gebietshoheit eines Staates entspringende Verbot der Vornahme von Hoheitsakten auf fremden Territorien an.925 Dieses Auslegungsergebnis steht, entgegen der dargelegten Ansicht einiger Vertreter eines weiten Jurisdiktionsverständnisses, auch nicht im Widerspruch zum Sinn und Zweck des Vertrages. Insbesondere das damit verbundene Argument, die Menschenrechte seien jedem Menschen von Natur aus zu gewähren und müssten mithin sowohl im In- als auch im Ausland unabhängig vom Vorliegen staatlicher Hoheitsgewalt gelten, vermag nicht zu überzeugen. Denn auf völkerrechtlicher Ebene unterscheiden sich Menschenrechte hinsichtlich des Geltungsgrundes nicht von ande921 922 923 924 925
Fitzmaurice (1975), S. 29. Rest, S. 144. Krieger (2002), S. 671. PCA, Island of Las Palmas Case, S. 838. StIGH, Lotus Case, S. 18.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
ren völkerrechtlichen Pflichten. Die Menschenrechte in ihrer EMRK-Ausprägung sind mithin ausschließlich durch den Vertrag selbst zur Entstehung gelangt und unterliegen den dort niedergelegten Grenzen. Der Gedanke der Universalität und Inhärenz der Menschenrechte diente mithin allenfalls als Inspiration und Anstoß dafür, den Menschenrechten auf europäischer Ebene völkerrechtliche Geltung zu verschaffen und kann mithin nicht als Sinn und Zweck des Vertrages fehlinterpretiert werden. Überdies steht einer solchen Annahme der Zweck des Art. 1 EMRK entgegen. Dem in Rede stehenden Artikel kommt dabei nicht etwa, wie von Teilen der Vertreter eines weiten Begriffsverständnisses postuliert, eine Funktion als Zurechnungsnorm, sondern vielmehr die Funktion als eine die Anwendbarkeit der Konvention begrenzende Norm zu. Dies folgt bereits aus der Stellung des Art. 1 ganz zu Beginn des materiellen Vertragstextes. Insoweit ist den Vertretern eines restriktiven Begriffsverständnisses zuzustimmen, welche an der Zurechnungsansicht kritisieren, dass sie in unzulässiger Weise das Konzept der Staatenverantwortlichkeit mit dem der Jurisdiktion vermische. Denn die Zurechnung im Rahmen der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit setzt zunächst einen Völkerrechtsverstoß voraus.926 Ob ein solcher vorliegt, richtet sich gerade nach Art. 1 EMRK und der Frage, ob sich die fragliche Person innerhalb der Jurisdiktion der Vertragspartei befand. Käme Art. 1 EMRK keine die Anwendbarkeit der Konvention begrenzende Funktion zu, wäre das Jurisdiktionstatbestandsmerkmal obsolet. Das Art. 1 EMRK eine Anwendungshürde begründet, bestätigen auch die vom EGMR angeführten travaux préparatoires. Überdies sind die völkergewohnheitsrechtlichen Zurechnungsregelungen abschließend in den, an sich rechtlich unverbindlichen aber insoweit das Völkergewohnheitsrecht widerspiegelnden, Artikeln der International Law Commission über die Staatenverantwortlichkeit von 2001 aufgezählt. Bei der Zurechnung von Völkerrechtsverstößen spielt die Frage, ob sich das Opfer innerhalb der Jurisdiktion des Staates befand jedoch allenfalls im Rahmen der Zurechnung durch Unterlassen und auch nur unter Hinzutreten zusätzlicher Voraussetzungen eine Rolle. Eine Zurechenbarkeit allein aufgrund der Tatsache, dass sich das Opfer innerhalb der Jurisdiktion des Staates befindet ist dem Völkerrecht jedoch fremd. Keine Bestätigung erfährt das territoriale Jurisdiktionsverständnis jedoch durch die vom EGMR angeführte nachfolgende Übung der Vertragsparteien. Der bloße Umstand, dass bisher keine Vertragspartei bei Auslandseinsätzen von ihrem Derogationsrecht Gebrauch gemacht hat, lässt keine konklusiven Schlüsse auf die Auffassung der Staaten über die extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention zu. Denn eine Derogation setzt gem. Art. 15 EMRK das Vorliegen einer Notstandssituation voraus, die das Leben der Vertragsparteien bedroht. Daran dürfte
926
StIGH, Phosphates Case, S. 28.
§ 9, B. Extraterritoriale Anwendbarkeit des IPBPR und der EMRK
209
es in den meisten Auslandseinsätzen fehlen, die sich grundlegend von klassischen zwischenstaatlichen Konflikten unterscheiden.927 Auch das vereinzelt von den Vertretern eines engen Jurisdiktionsverständnisses vorgebrachte rechtvergleichende Argument, demzufolge aus den unterschiedlich verwendeten Präpositionen in Art. 1 EMRK und Art. 2 IPBPR die territoriale Konnotation des Jurisdiktionsbegriffes der EMRK folge, vermag nicht zu überzeugen. Denn in der gem. Art. 59 (5) EMRK und Art. 53 (1) IPBPR ebenfalls authentischen französischen Vertragssprache wird in beiden Verträgen die Präposition „de“ verwendet. Aus dem dargelegten völkerrechtlichen territorial begrenzenden Jurisdiktionsverständnis folgt, dass das von den Vertretern eines extensiven Jurisdiktionsverständnisses angeführte Kriterium der Kontrolle über Personen nur ausnahmsweise, nicht jedoch allgemein, in echter Konkurrenz zum Kriterium effektiver Gebietskontrolle zur Jurisdiktionsbegründung herangezogen werden kann. Aus der Herleitung des territorialen Begriffsverständnisses folgt zudem, dass der Jurisdiktionsbegriff nicht bereits jede nur kurzzeitige Ausübung von Hoheitsgewalt oder die Vornahme nur isolierte Hoheitsakte umfasst. Vielmehr ist die staatliche Jurisdiktion durch eine gewisse Dauerhaftigkeit gekennzeichnet.928 Das Erfordernis der Dauerhaftigkeit lässt sich überdies auch aus dem Kriterium der Effektivität der Staatsgewalt im Rahmen der die Staatlichkeit begründenden 3-ElementenLehre929 ableiten. Vor diesem Hintergrund vermag die These einer abgestuften Jurisdiktion in Relation zum ausgeübten Kontrollgrad nicht zu überzeugen. Insbesondere genügt der reine Umstand, dass eine Vertragspartei in die Rechte einer Person eingegriffen hat nicht, um deren Jurisdiktion über die Person zu begründen. Ein derartiges Jurisdiktionsverständnis scheitert, wie von der Gegenansicht zutreffend dargelegt, überdies auch daran, dass Art. 1 EMRK dann seine in der Eingrenzung des Anwendungsbereiches der Konvention liegende Funktion nicht erfüllen kann, weil dann jede Verletzung stets die Anwendbarkeit der Konvention nach sich ziehen würde. Fernerhin spricht der klare Normenwortlaut gegen eine abgestufte Anwendbarkeit der Konvention. Gemäß Art. 1 EMRK sichern die hohen Vertragsparteien allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I bestimmen Rechte und Freiheiten zu. Mithin sind die Vertragsparteien vorbehaltlich einer vorgenommenen Derogation stets dazu verpflichtet, alle Konventionsrechte und gerade nicht nur eine nach dem Kontrollgrad abgestufte Anzahl zu sichern. Zudem spricht auch die damit einhergehende fehlende Rechtssicherheit gegen ein abgestuftes Jurisdiktionsverständnis. Folglich hat der EGMR zu Recht ein derartiges Begriffsverständnis abgelehnt. Folglich ist zu konstatieren, dass eine extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention nur dann in Betracht kommt, wenn eine Vertragspartei auf dem fremden 927 928 929
Krieger (2002), S. 690. Krieger (2002), S. 671. Epping, in: Ipsen, S. 63.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Territorium eine dem Umfang und der Intensität nach vergleichbare Hoheitsgewalt ausübt, wie sie ihr auf ihrem eigenen Staatsgebiet zukommt. Mithin hat der EGMR zu Recht in ständiger Rechtsprechung das Kriterium effektiver Gebietskontrolle herangezogen. Eine derartige Situation liegt gesichert in Besatzungssituationen vor. Denn dann steht das besetzte fremde Territorium per definitionem gem. Art. 42 HLKO „under the authority of the hostile army“. In Fällen unterhalb von Besatzungssituationen erscheint eine extraterritoriale Anwendbarkeit der Konvention angesichts der hohen Anforderungen, die an die Gebietskontrolle zu stellen sind, fraglich. In jedem Fall unzureichend sind, wie dargelegt, sporadische oder zeitlich begrenzte Militäraktionen. Selbiges gilt, wie vom EGMR zutreffend im Bankovic´-Fall festgestellt, auch für den Fall, dass sich lediglich der Luftraum unter der effektiven Kontrolle der Vertragsparteien befindet. Wenn und soweit das Kriterium der physischen Kontrolle über Personen ausnahmsweise zur Jurisdiktionsbegründung herangezogen werden soll, so sind in Bezug auf den Kontrollgrad dieselben Anforderungen wie an die Gebietskontrolle zu stellen. Mithin dürfte der erforderliche Kontrollgrad nur in Arrestsituationen vorliegen. Anders als von Milanovic vertreten, scheitert eine Anwendung des Kriteriums der effektiven Personenkontrolle jedoch nicht bereits daran, dass sie stets zu willkürlichen Ergebnissen führt, weil eine sachgerechte Differenzierung der in Betracht kommenden Situationen unmöglich sei. Wenn und soweit eine Personenkontrolle nur dann zur Jurisdiktionsbegründung herangezogen wird, wenn ein im Vergleich zur effektiven Gebietskontrolle vergleichbarer Kontrollgrad vorliegt, ist die gerügte Willkür ausgeschlossen. Denn dann sind für die Jurisdiktionsbegründung nicht bestimmte Fallgruppen maßgeblich, sondern ausschließlich der Kontrollgrad. Der Vorwurf die EGMR-Rechtsprechung sei insbesondere im Bankovic´-Fall politisch motiviert gewesen, entbehrt bereits einer hinreichenden Faktenlage, welche eine derartige Behauptung stützen könnte. Überdies folgt aus der soeben dargelegten gebotenen Auslegung des Art. 1 EMRK, dass der Auslegung des EGMR zumindest im Ergebnis und in weiten Teilen auch in Bezug auf die angeführte Begründung zuzustimmen ist. Mithin ist die hinter der Entscheidung stehende Motivation des Gerichtshof aus rechtlicher Sicht auch irrelevant. Folglich ist zu konstatieren, dass die EMRK anders als der Zivilpakt grundsätzlich innerhalb der dargelegten engen Grenzen ausnahmsweise extraterritorial anwendbar sein kann.
C. Folgen der grundsätzlichen Fortgeltung des Rechts auf Leben in internationalen bewaffneten Konflikten Nachdem aufgezeigt wurde, dass das Recht auf Leben in seiner IPBPR-Ausprägung (ausschließlich auf dem Territorium der jeweiligen Vertragspartei) und EMRK-Ausprägung (ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen auch ex-
§ 9, C. Folgen der grundsätzlichen Fortgeltung des Rechts auf Leben
211
traterritorial) grundsätzlich in internationalen bewaffneten Konflikten fortgilt, soll nun im Folgenden dargelegt werden, welche Auswirkungen dies auf die Ausgangsfrage hat, ob und inwieweit der Einsatz autonomer UACVs am Maßstab des Rechts auf Leben zu prüfen ist. Um diese Frage einer Klärung zuzuführen, bedarf es aufgrund der aus der grundsätzlichen komplementären Anwendbarkeit folgenden möglichen Anwendungsbereichsüberschneidungen, einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen dem Recht auf Leben und den Reglungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts welche die Zulässigkeit von Tötungen zum Gegenstand haben. I. Das Recht des internationalen bewaffneten Konflikt als lex specialis Wenngleich sich Menschenrechte und das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts nicht gegenseitig ausschließen und mithin grundsätzlich komplementär im Kontext bewaffneter Konflikte anwendbar sind, ist anerkannt, dass das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts gegenüber den Menschenrechten im Kontext internationaler bewaffneter Konflikte grundsätzlich das speziellere Recht ist. So bestätigte der IGH erstmals in seinem Nuklearwaffen-Gutachten und später im Mauer-Gutachten die lex specialis Eigenschaft des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts.930 Auch in der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts gegenüber den Menschenrechten das speziellere Recht ist.931 Diese Auffassung über das grundsätzliche Verhältnis beider Rechtsregime wird auch vom ICRC geteilt.932 Die Qualifikation des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts als lex specialis beruht darauf, dass es speziell dazu geschaffen wurde, den bewaffneten Konflikt zu regulieren und unter Beachtung militärischer Notwendigkeiten den Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auswirkungen des Krieges zu gewährleisten.933 II. Bedeutung der Lex-Specialis-Maxime Aus der Qualifikation des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts als lex specialis gegenüber den Menschenrechten wird vereinzelt in der Literatur934 aber auch von den USA935 und Israel 936 gefolgert, dass das Recht des internatio930
IGH, Nuclear Weapons, S. 240; IGH, Palestine Wall, S. 178. Hampson (2008), S. 558; Schäfer, S. 49; Dinstein (2010), S. 24; Greenwood (2010–2011), S. 505; Frowein, S. 10; Solis, S. 24; Krieger (2006), S. 270; Heintze (2004), S. 797; Prud’homme, S. 372; Droege (2007), 40 (2) S. 344; Lindross, S. 43. 932 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 300 ff. 933 Krieger (2006), S. 271. 934 Solis, S. 24. 935 Dennis (2005–2006), S. 472. 936 Ben-Naftali/Shany, S. 33 ff. 931
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
nalen bewaffneten Konflikts dem gesamten Regime der Menschenrechte im Kontext bewaffneter Konflikte en bloc vorgeht und mithin überschreibt. In seinem Staatenreport unter dem Zivilpaktregime gab Israel folgendes zu Protokoll: „The Covenant and the Geneva Conventions gave different answers to the same questions, and it was therefore not possible to apply the provisions of both instruments.“ 937
Eine derartige Betrachtungsweise des Verhältnisses beider Rechtsregime ist jedoch vor dem Hintergrund der Bedeutung der Maxime lex specialis derogat legi generali, auf der diese Argumentation fußt, als zu undifferenziert abzulehnen. Die Maxime lex specialis derogat legi generali findet seinen Ursprung im römischen Recht der Antike.938 Der Maxime liegt traditionell der Gedanke zugrunde, dass wenn die Anwendung verschiedener Regelungen zu gegensätzlichen Ergebnissen führt, d. h. ein direkter Normenkonflikt vorliegt, einer Regel der Vorrang einzuräumen ist, weil ein und dieselbe Handlung rechtlich nicht unterschiedlich bewertet werden kann.939 In einem Konfliktfall soll dann das speziellere Recht dem allgemeinen Recht vorgehen, weil es präziser ist und mithin effektiver den besonderen Verhältnissen Rechnung tragen kann.940 Die völkerrechtliche Geltung der Maxime wurde früh anerkannt941 und ist heute unbestritten.942 Dennoch ist der exakte materielle Gehalt der Maxime bis heute nicht abschließend geklärt.943 Dieser Umstand findet seinen Ursache zum einen darin, dass die Maxime völkervertraglich ungeregelt ist und insbesondere keinen Einzug in die Wiener Vertragsrechtskonvention gefunden hat und zum anderen darin, dass der IGH trotz Bezugnahme944 auf die Doktrin ihren genauen Gehalt bisher im Dunkeln gelassen hat und es allgemein nur wenig substantiierte Rechtsprechung945 zur Geltung der Lex-Specialis-Doktrin gibt. Trotz der bestehenden Unsicherheiten ist anerkannt, dass sich die Maxime seit seiner völkerrechtlichen Anerkennung in der Art weiterentwickelt hat, dass sie nunmehr auch dann zur Anwendung kommt wenn kein direkter Normenkonflikt besteht.946 Fehlt es an einem direkten Normenkonflikt, führt die Anwendung der Lex-Specialis-Maxime dazu, dass die allgemeine Norm im Lichte der spezielle-
937
CCPR/C/SR.1677, Para. 32. Lindross, S. 35. 939 Droege (2007), S. 340. 940 ILC, Report on Fragmentation of International Law. 941 s. bereits Vattel, in: Kapossy/Whatmore, S. 545. 942 Sinclair, S. 96 ff.; Droege (2007), S. 338; Ben-Naftali/Shany, S. 43. 943 Droege (2007), S. 339. 944 IGH, Nuclear Weapons, S. 240; IGH, Palestine Wall, S. 178; IGH, Continental Shelf, S. 38; IGH, Gabcˇíkovo-Nagymaros Project, S. 76. 945 StIGH, Mavrommatis Case, S. 31. 946 Prud’homme, S. 369. 938
§ 9, C. Folgen der grundsätzlichen Fortgeltung des Rechts auf Leben
213
ren Norm ausgelegt wird. Dies führt im Ergebnis dazu, dass eine Verdrängung der allgemeinen Regelung dann nicht stattfindet, sondern dass beide Normen anwendbar bleiben.947 Mithin hat sich die Maxime von einer Kollisionsregel hin zu einer Harmonisierungsregel fortentwickelt.948 Aus der dualen Funktion der Maxime folgt, dass die Qualifikation des Rechts des bewaffneten Konflikts als lex specialis nicht zwingend zu Unanwendbarkeit der allgemeinen Normen des Menschenrechtsschutzes im Kontext bewaffneter Konflikte führen muss. Eine Überschreibung menschenrechtlicher Vorschriften durch das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts resultiert vielmehr nur dann aus der Anwendung der Lex-Specialis-Maxime, wenn ein genuiner direkter Regelungskonflikt vorliegt. Ob dies der Fall ist, ist jedoch eine Frage des konkreten Einzelfalls, die nur unter Berücksichtigung der jeweils in Rede stehenden Normen einer Klärung zugeführt werden kann.949 Eine pauschale automatische En-Bloc-Verdrängung des Regimes der Menschenrechte durch das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts ist mithin abzulehnen.950 Das Verhältnis des Rechts auf Leben in seiner IPBPR- und EMRK Ausformung zu den einschlägigen die Zulässigkeit von Tötungen regelnden Vorschriften des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts ist vielmehr individuell zu bestimmen. III. Verhältnis des Rechts auf Leben aus Art. 6 IPBPR zum Recht des internationalen bewaffneten Konflikts Das Recht auf Leben ist im Zivilpakt in Art. 6 verankert. Dem im Zusammenhang mit Tötungen im Kontext internationaler bewaffneter Konflikte maßgeblichen Absatz 1 liegt folgender Wortlaut zugrunde: „Every human being has the inherent right to life. This right shall be protected by law. No one shall be arbitrarily deprived of his life.“
Mithin unterliegt das Recht auf Leben ausweislich des klaren Normenwortlauts keinem absoluten Schutz. Vielmehr ist der materielle Reglungsgehalt der Norm auf den Schutz vor willkürlicher Tötung reduziert. Ob zwischen dem Recht auf Leben aus Art. 6 des Zivilpaktes und den einschlägigen Normen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts ein Normenkonflikt besteht, der nur durch einen Rückgriff auf die Lex-Specialis-Maxime zu lösen ist, hängt mithin von der Auslegung des Willkür-Tatbestandmerkmals ab. In seinem viel beachteten Nuklearwaffen-Gutachten beschäftigte sich der IGH erstmals ausführlich mit dem Verhältnis des Rechts auf Leben aus Art. 6 IPBPR und den Regelungen über den
947 948 949 950
Prud’homme, S. 369; IGH Nuclear Weapons, S. 240. Milanovic (2011), S. 250. Krieger (2006), S. 271; Lindross, S. 49. Krieger (2006), S. 271; Milanovic (2011), S. 260.
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Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Dort führte der IGH Folgendes aus: „In principle, the right not arbitrarily to be deprived of one’s life applies also in hostilities. The test of what is an arbitrary deprivation of life, however, then falls to be determined by the applicable lex specialis, namely, the law applicable in armed conflict which is designed to regulate the conduct of hostilities. Thus whether a particular loss of life, through the use of a certain weapon in warfare, is to be considered an arbitrary deprivation of life contrary to Article 6 of the Covenant, can only be decided by reference to the law applicable in armed conflict and not deduced from the terms of the Covenant itself.“ 951
Den Ausführungen des IGH ist zu entnehmen, dass zwischen dem Recht auf Leben aus Art. 6 IPBPR und den einschlägigen Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts kein genuiner Normenkonflikt besteht und mithin für eine Suspendierung des Rechts auf Leben im Kontext bewaffneter Konflikte kein Raum bleibt. Wenngleich die Frage der Willkür einer Tötung im Kontext bewaffneter Konflikte im Ergebnis am Maßstab des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts zu bewerten ist, ändert dies nichts an der Fortgeltung des Rechts auf Leben. Denn die spezielleren Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts kommen nur indirekt durch das Einfallstor des Willkür-Tatbestandsmerkmals im Wege der Auslegung des Art. 6 zur Anwendung. Mithin bestätigt der IGH im Nuklearwaffen-Gutachten die Harmonisierungs- und Auslegungsfunktion der Lex-Specialis-Maxime. Die durch Auslegung erreichte Harmonisierung der konkurrierenden Normen führt dazu, dass das Recht auf Leben aus Art. 6 IPBPR Individuen im Kontext bewaffneter Konflikte nicht mehr aber auch nicht weniger Schutz gewährt als die einschlägigen Vorschriften des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Mithin ist ein und dieselbe Handlung am Maßstab des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts und des Rechts auf Leben aus Art. 6 IPBPR stets entweder rechtmäßig oder rechtswidrig. In Ermangelung einer direkten Konfliktlage zwischen den konkurrierenden Normen erweist sich die zuvor dargelegte Argumentation Israels, dass der Zivilpakt nicht zur Anwendung kommen könne, weil die Genfer Konventionen und der Zivilpakt zu den gleichen Fragen unterschiedliche Antworten geben würden, als unzutreffend. Die vom IGH im Nuklearwaffen-Gutachten vorgenommene Auslegung des Art. 6 des Zivilpaktes wird von der Literatur952 und dem ICRC953 geteilt und entspricht mithin der allgemeinen Auffassung.
951
IGH, Nuclear Weapons, S. 240. Greenwood (2010–2011), S. 505; Doswald-Beck (1997), S. 46; Ben-Naftali/ Shany, S. 57; Prud’homme, S. 371 ff.; Dennis (2005), S. 136; Krieger (2006), S. 271. 953 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 300 ff. 952
§ 9, C. Folgen der grundsätzlichen Fortgeltung des Rechts auf Leben
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IV. Verhältnis des Rechts auf Leben aus Art. 2 EMRK zum Recht des internationalen bewaffneten Konflikts Das Recht auf Leben hat in Art. 2 EMRK insoweit eine andere Kodifikation als in dem Zivilpakt erfahren, als dass der Normenwortlaut kein Fenster zur mittelbaren Anwendung des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts im Wege der Auslegung eröffnet.954 Denn Art. 2 (1) EMRK schützt anders als Art. 6 IPBPR nicht vor willkürlicher, sondern vor absichtlicher Tötung. Das Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit ist jedoch anders als das Willkürmerkmal einer kontextbezogenen Auslegung, etwa durch das Recht des bewaffneten Konflikts, nicht zugänglich. Mithin scheitert eine Harmonisierung des Art. 2 EMRK mit den konkurrierenden Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts unter Zuhilfenahme der Lex-Specialis-Maxime. Die zunächst bestehende Konfliktlage offenbart Art. 2 (2) EMRK. Gemäß Art. 2 (2) EMRK begründet eine Tötung nur dann keine Verletzung des Rechts auf Lebens, wenn der Tod aus einer Anwendung von Gewalt resultierte „which is no more than absolutely necessary“. Dieses Erfordernis ist dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts fremd.955 Weil ein und dieselbe Handlung nicht zugleich nach dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts rechtmäßig und nach der EMRK rechtswidrig sein kann, muss der Normenkonflikt einer Lösung zugeführt werden. Dazu bedarf es jedoch keines Rückgriffes auf die Lex-Specialis-Maxime. Denn die Derogationsklausel aus Art. 15 EMRK löst den scheinbaren Normenkonflikt in Absatz 2, dem folgender Wortlaut zugrunde liegt: „No derogation from Article 2, except in respect of deaths resulting from lawful acts of war (. . .) shall be made under this provision.“
Mithin hält Art. 15 (2) EMRK eine innervertragliche Kollisionsregel bereit, welche den Konflikt zwischen dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts und Art. 2 EMRK durch Einräumung eines Vorrangs des Rechts des bewaffneten Konflikts auflöst. Zwar tritt das Recht auf Leben ausweislich des Wortlauts nur im Hinblick auf rechtmäßige Kriegshandlungen hinter dem spezielleren Recht des bewaffneten Konflikts zurück. Ist eine Handlung jedoch bereits am Maßstab des Rechts des bewaffneten Konflikts rechtswidrig entfällt zugleich der Konflikt zu dem strengeren Recht auf Leben. Laut Krieger gilt die Kollisionsregel jedoch ausschließlich für den Fall einer wirksam erklärten Derogation.956 Diese Ansicht erweist sich jedoch im Lichte des Wortlauts der Derogationsklausel als unzutreffend. Gemäß Art. 15 (1) EMRK ist die grundsätzliche 954
s. auch Milanovic, in: Ben-Naftali, S. 119. Droege (2007), S. 344. 956 Krieger (2006), S. 272: „Killings that are justified under international humanitarian law do not infringe article 2 of the ECHR. However, this rule only applies if an emergency has been declared.“ 955
216
Kap. 3: Rechtsrahmen der Untersuchung
Zulässigkeit einer Derogation konditional einzig an die Existenz eines Notstandsfalls geknüpft.957 Das Erfordernis einer wirksamen Derogationserklärung ist der EMRK mithin anders als dem Zivilpakt fremd.958 Denn nur Art. 4 (1) IPBPR stellt die Zulässigkeit einer Derogation unter den Vorbehalt eines Notstands „which is officially proclaimed“. Demgegenüber statuiert die Derogationsklausel der EMRK in Absatz 3 lediglich eine Notifizierungspflicht. Ausweislich des Wortlauts von Art. 15 (3) EMRK gelangt diese Pflicht zur Notifizierung des Generalsekretärs des Europarats jedoch erst dann zur Anwendung wenn die betreffende Vertragspartei das Derogationsrecht „ausübt“ und mithin bereits davon Gebrauch gemacht hat. Daraus folgt, dass die Zulässigkeit einer Derogation unter dem Regime der EMRK weder von einer Derogationserklärung noch von einer Notifizierung abhängt. Folglich wird das Recht auf Leben aus Art. 2 EMRK für die Dauer internationaler bewaffneter Konflikte im Falle eines Konfliktes suspendiert.
D. Zwischenergebnis Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass sich Menschenrechte und das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts nicht per se gegenseitig ausschließen, sondern dass sie grundsätzlich komplementär anwendbar sind. Hinsichtlich der extraterritorialen Anwendbarkeit des Rechts auf Leben gilt es zu differenzieren. Während der Zivilpakt aufgrund der gebotenen kumulativen Lesart der beiden Tatbestandsmerkmale „territory“ und „jurisdiction“ aus Art. 2 (1) IPBPR nicht extraterritorial anwendbar ist, ist eine extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK grundsätzlich in engen Grenzen nach Maßgabe von Art. 1 EMRK möglich. Wenngleich Menschenrechte im Kontext internationaler bewaffneter Konflikte grundsätzlich fortwirken richtet sich die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes autonomer UACVs im Ergebnis gleichwohl nach dem im Recht des internationalen bewaffneten Konflikts geltenden Maßstab. Im Rahmen der EMRK verdrängt das speziellere Recht des internationalen bewaffneten Konflikts aufgrund von Art. 15 (2) EMRK im Konfliktfall das Recht auf Leben. Im Kontext des Zivilpaktes gilt das Recht auf Leben im Kontext des IPBPR hingegen stets fort. Da das Willkürtatbestandsmerkmal aus Art. 6 IPBPR allerdings im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts ausge957 s. Wortlaut von Art. 15 (1) EMRK: „In time of war or other public emergency threatening the life of the nation any High Contracting Party may take measures derogating from its obligations under this Convention to the extent strictly required by the exigencies of the situation, provided that such measures are not inconsistent with its other obligations under international law.“ 958 Nowak (2005), S. 92.
§ 9, D. Zwischenergebnis
217
legt wird bemisst sich die Rechtmäßigkeit einer Tötung im Ergebnis gleichwohl am Maßstab der einschlägigen Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts. Weil das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts jedoch nur mittelbar durch das Einfallstor des Willkürtatbestandsmerkmals zur Anwendung gelangt, ist der Einsatz autonomer UACVs jedoch zumindest formal am Maßstab des Art. 6 IPBPR zu prüfen. Das Ergebnis der Rechtmäßigkeitsprüfung einer Tötung ist jedoch wegen der auslegungsbedingten Harmonisierung beider Rechtsregime stets identisch. Mithin kommt dem Recht auf Leben für die Rechtmäßigkeitsprüfung von Einsätzen autonomer UACVs im Ergebnis keine eigenständige Bedeutung zu.
Kapitel 4
Pflicht zur Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel und Methoden der Kriegführung Bereits 1868 erkannten die Vertragsparteien der St. Petersburger Erklärung die Notwendigkeit einer fortwährenden Überprüfung neuer technologischer Entwicklungen im Bereich der Kriegführung. So behielten sich die Parteien vor „to come hereafter to an understanding whenever a precise proposition shall be drawn up in view of the future improvements which science may effect in the armament of troops, in order to maintain the principles which they have established, and to conciliate the necessities of war with the laws of humanity.“. Getragen von der Überzeugung, dass es notwendig ist, der rapide fortschreitenden Entwicklung neuer Militärtechnologien rechtliche Grenzen zu setzen, einigten sich die Delegationen der diplomatischen Konferenz Art. 36 in das ZPI einzuführen.1 Jener Vorschrift liegt folgender Wortlaut zugrunde: „In the study, development, acquisition or adoption of a new weapon, means or method of warfare, a High Contracting Party is under an obligation to determine whether its employment would, in some or all circumstances, be prohibited by this Protocol or by any other rule of international law applicable to the High Contracting Party.“
Wie bedeutsam die Schaffung eines Überprüfungsmechanismus für neue Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung ist verdeutlichen Sandoz et al. zutreffend mit folgender Feststellung: „if man does not master technology, but allows it to master him, he will be destroyed by technology.“.2 Die durch Art. 36 ZPI begründete Pflicht zur Schaffung eines nationalen Überprüfungsmechanismus für neue Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung stellt eine Konkretisierung des Art. 1 (1) ZPI – welcher die Pflicht zur Befolgung und Durchsetzung des Protokolls und damit auch des Waffenrechts statuiert – und des in Art. 26 WVK kodifizierten Grundsatzes pacta sunt servanda dar.3 Das Ergebnis der Vorabkontrolle ersetzt jedoch nicht die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Mittels der Kriegführung im späteren Einsatz im Lichte der Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
1 2 3
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 423. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 428. Daoust/Coupland/Ishoey, S. 347.
A. Aufhebung des Art. 36 ZPI?
219
Die Handhabung der Vorschrift bereitet jedoch teils erhebliche Schwierigkeiten. So besteht Streit sowohl über die Definition der einzelnen Tatbestandsmerkmale als auch über den genauen Umfang und Inhalt der Prüfungspflicht. Problematisch ist weiterhin der Umstand, dass nur eine sehr geringe Anzahl der Vertragsparteien bekannt gegeben haben, in Umsetzung des Art. 36 ZPI einen nationalen Überprüfungsmechanismus errichtet zu haben.4 Im Folgenden soll daher zunächst überprüft werden ob sich die geringe Umsetzung der Überprüfungspflicht auf die Wirksamkeit der Vorschrift auswirkt. Nachfolgend sollen Inhalt und Umfang der Art. 36 ZPI zu entnehmenden Überprüfungspflicht erörtert werden und auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse die Bedeutung dieser Norm für autonome UACVs ermittelt werden.
A. Aufhebung des Art. 36 ZPI infolge der geringen Umsetzung durch die Vertragsparteien? Von den 172 Vertragsparteien5 des ZPI haben mit Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Kanada, Niederlande, Norwegen und Schweden nur acht Vertragsparteien den von Art. 36 ZPI geforderten nationalen Überprüfungsmechanismus eingeführt.6 Aufgrund der Jahrzehnte währenden Verweigerungshaltung der übrigen 164 Vertragsparteien stellt sich die Frage, ob Art. 36 ZPI seine rechtliche Verbindlichkeit verloren hat. I. Aufhebung im Rahmen des Regelungsregimes der WVK? Im Vertragsrecht gilt der in Art. 26 WVK kodifizierte Grundsatz pacta sunt servanda. Dies bedeutet, dass Verträge grundsätzlich einzuhalten sind. Jener Grundsatz führt im Zusammenspiel mit dem Umstand, das die Erzeugung und Verbindlichkeit von völkerrechtlichen Rechtssätzen auf dem Konsensprinzip beruhen dazu, dass es den Vertragsparteien verwehrt ist, sich einseitig von einer einmal eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu lösen.7 Die WVK enthält einen gem. Art 42 (1) WVK abschließenden8 Regelkanon über die Möglichkeiten der Vertragsparteien sich von vertraglichen Verpflichtungen lösen zu können. Gemäß Art. 54 (b) WVK erfordert eine Außerkraftsetzung der Vertragsbindung
4
Lawand, S. 926. Auflistung des ICRC abrufbar unter: http://www.icrc.org/ihl.nsf/CONVPRES? OpenView. 6 Daoust/Coupland/Ishoey, S. 354. 7 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 175. 8 s. Wortlaut von Art. 42 (1) WVK: „The validity of a treaty or of the consent of a State to be bound by a treaty may be impeached only through the application of the present Convention.“ 5
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
den Konsens aller Vertragsparteien.9 Die Loslösung von nur einzelnen Vertragsbestimmungen unterliegt dabei gem. Art. 44 WVK10 zusätzlichen engen Voraussetzungen. In Ermangelung eines Konsenses aller Vertragsparteien zur Aufhebung der vertraglichen Pflicht aus Art. 36 ZPI zur Errichtung eines nationalen Überprüfungsmechanismus führt die Nichtbefolgung durch eine Vielzahl von Vertragsparteien nicht zu einem Wegfall ihrer Vertragsbindung. II. Aufhebung im Wege der Desuetudo Doktrin? In Betracht kommt jedoch eine Aufhebung der Bindung an Art. 36 ZPI im Wege der sogenannten Desuetudo Doktrin. Das lateinische Substantiv desuetudo bedeutet übersetzt Entwöhnung.11 Im Bereich des Völkervertragsrechts12 besteht Einigkeit darüber, dass die Desuetudo Doktrin die Außerkraftsetzung einer Norm durch wiederholte Nichtbefolgung beschreibt.13 Über die genaue inhaltliche Ausgestaltung der Doktrin besteht jedoch Streit. Nach Ansicht eines Teiles der Literatur begründet die Doktrin eine eigenständige Regel des Völkergewohnheitsrechts mit dem Inhalt, dass allein der objektive Umstand einer wiederholten langwährenden Nichtbefolgung vertraglicher Vorschriften ipso facto zu deren Aufhebung führt.14 Wenngleich ein solches Verständnis mit der traditionellen Bedeutung der Doktrin im römischen Recht korrespondiert15, ist es mit der modernen Konzeption des Völkervertragsrechts nicht vereinbar. Denn die bloße Tatsache, dass eine völkervertragliche Regelung über einen langen Zeitraum hinweg missachtet wurde, vermag deren Geltung aus sich 9 s. Wortlaut von Art. 54 (b) WVK: „The termination of a treaty or the withdrawal of a party may take place: (b) at any time by consent of all the parties after consultation with the other contracting States.“ 10 s. Wortlaut von Art. 44 WVK: Absatz 2: „A ground for invalidating, terminating, withdrawing from or suspending the operation of a treaty recognized in the present Convention may be invoked only with respect to the whole treaty except as provided in the following paragraphs or in article 60.“, Absatz 3: „If the ground relates solely to particular clauses, it may be invoked only with respect to those clauses where: (a) the said clauses are separable from the remainder of the treaty with regard to their application; (b) it appears from the treaty or is otherwise established that acceptance of those clauses was not an essential basis of the consent of the other party or parties to be bound by the treaty as a whole; and (c) continued performance of the remainder of the treaty would not be unjust.“ 11 http://www.duden.de/rechtschreibung/Desuetudo. 12 Laut Vamvoukus gelangt die Doktrin ebenfalls im Bereich der einseitigen Erklärungen zur Anwendung: Vamvoukos, S. 303; laut Glennon ist die Doktrin gar auf jede völkerrechtliche Regelungsart anwendbar: Glennon, S. 940. 13 Kelsen (1945), S. 119; Glennon, S. 939; ILC, Commentary VCLT, S. 237. 14 Ross, S. 222; Detter, S. 97. 15 Kohen, in: Cannizzaro, S. 352.
A. Aufhebung des Art. 36 ZPI?
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heraus nicht zu beeinflussen.16 Dies folgt bereits aus dem Charakter des Völkerrechts als Konsensrecht, demzufolge die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Regelungen stets konditional an die Zustimmung der Staaten geknüpft ist, durch sie gebunden zu sein.17 In spiegelbildlicher Anwendung dieses Grundsatzes kann eine einmal eingegangene Selbstverpflichtung nur dann wieder aufgehoben werden, wenn die Staaten ihrem Willen Ausdruck verleihen, an die fragliche Regelung nicht länger gebunden sein zu wollen. Zutreffend spricht Kohen daher der traditionellen Doktrin ihre völkerrechtliche Geltung als Aufhebungsgrund völkervertraglicher Vorschriften ab.18 Nach heute vorherrschender Auffassung verlangt die Desuetudo Doktrin, dass die langwährende Nichtbeachtung einer Vorschrift zugleich Ausdruck eines stillschweigenden Konsenses aller Vertragsparteien mit dem Inhalt sein muss, dass die fragliche Vorschrift ihre Verbindlichkeit verloren hat.19 Aus diesem Verständnis heraus lehnte es die International Law Commission folgerichtig ab, die Desuetudo Doktrin als eigenständigen Beendigungsgrund in das V. Kapitel der WVK aufzunehmen.20 Zur Begründung führte sie Folgendes aus: „While ,desuetude‘ may be a factual cause of the termination of a treaty, the legal basis of such termination, when it occurs, is the consent of the parties to abandon the treaty, which is to be implied from their conduct in relation to the treaty. In the Commission’s view, therefore, cases of ,desuetude‘ may be considered as covered by article 51, paragraph (b), under which a treaty may be terminated ,at any time by consent of all the parties‘.“ 21
Mithin kommt der Doktrin materiell-rechtlich gesehen keine eigenständige Bedeutung zu, weil die Aufhebung einer Norm im Wege eines diesbezüglich ausgestalteten Konsenses aller Vertragsparteien bereits durch die Regelungen der WVK erfasst ist.22 Auch auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechtes kann der Doktrin keine gesonderte Bedeutung zugesprochen werden. Denn das Prinzip der Aufhebung vertraglicher Vorschriften im Wege eines entsprechend ausgestalteten stillschweigenden Konsenses aller Vertragsparteien ist so alt wie das auf dem Konsensprinzip basierende Völkerrecht selbst.23 Der praktische Mehrwert der Doktrin ergibt sich allerdings daraus, dass sie die einschlägigen Vorschriften der WVK dahingehend präzisiert, dass sie gewisse Leitlinien vorgibt, aus denen auf einen stillschweigend geäußerten Konsens der Vertragsparteien geschlossen wer16
Fitzmaurice, in: Evans, S. 209; Kohen, in: Cannizzaro, S. 359; Vamvoukos, S. 261. Ipsen, in: Ipsen, S. 16. 18 Kohen, in: Cannizzaro, S. 359. 19 Kelsen (1945), S. 119; Glennon, S. 939; Vamvoukos, S. 219; ILC, Commentary VCLT, S. 237. 20 ILC, Commentary VCLT, S. 237. 21 ILC, Commentary VCLT, S. 237. 22 Vamvoukos, S. 303. 23 Vamvoukos, S. 221. 17
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
den kann, der darauf gerichtet ist, nicht länger an eine Norm gebunden sein zu wollen.24 Welche Voraussetzungen nach Maßgabe der Desuetudo Doktrin vorliegen müssen, um auf diesen Konsens schließen zu können, ist allerdings umstritten. Glennon etwa lässt es genügen, wenn eine Regelung durch eine signifikante Anzahl von Staaten wiederholt und über einen langen Zeitraum hinweg missachtet wurde und die übrigen Vertragsparteien diese Praxis der Nichtbefolgung nicht gerügt haben.25 Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist laut Glennon „(. . .) no longer reason to believe that states feel obliged to comply with that rule. (. . .) At some point noncompliance shades into nonlaw.“ 26. Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn aus den Vertragsbrüchen kann nicht ohne weiteres auf einen Willen der vertragsbrüchigen Parteien zur endgültigen Aufhebung der Norm geschlossen werden. Insbesondere kann aus einem bloßen Schweigen der vertragstreuen Parteien nicht automatisch auf eine Billigung der Nichtbefolgung der Vorschrift durch die vertragsbrüchigen Parteien oder gar zu einer Zustimmung zur Aufhebung der Geltung der Norm insgesamt geschlossen werden.27 Überdies ermöglicht die Ansicht keine randscharfe Abgrenzung zwischen einer bloßer Vertragsverletzung und einer konsensgetragenen Vertragsaufhebung. Denn sie bietet keine Anhaltspunkte für eine hinreichend genaue Bestimmung des präzisen Zeitpunktes, ab wann sich eine Praxis kontinuierlicher Vertragsverletzung zu einem Aufhebungsgrund verdichtet hat. Eine solche Abgrenzung ist jedoch vor dem Hintergrund des zwischen der Desuetudo Doktrin und dem in Art. 26 WVK kodifizierten pacta sunt servanda Grundsatz28 bestehenden Spannungsverhältnisses sowie aus Gründen der Rechtssicherheit geboten. Folglich ist die Ansicht Glennons abzulehnen. Daher verlangt die herrschende Literaturauffassung zutreffend, dass der Wille der Vertragsparteien, die Regel als nicht länger bindend zu erachten, nicht einfach unterstellt werden kann, sondern dass sie anhand gewisser Kriterien im Lichte der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden muss.29 III. Zwischenergebnis: Fortgeltung der Verpflichtungen aus Art. 36 ZPI Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass Art. 36 ZPI trotz der Nichtbefolgung durch die weit überwiegende Anzahl der Vertragsparteien seine Geltung nicht eingebüßt hat. Weil Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, 24
Vamvoukos, S. 261. Glennon, S. 960. 26 Glennon, S. 960. 27 Kohen, in: Cannizzaro, S. 354. 28 s. Wortlaut von Art. 26 WVK: „Every treaty in force is binding upon the parties to it and must be performed by them in good faith.“ 29 Vamvoukos, S. 247. 25
B. Untersuchungsgegenstand
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Kanada, Niederlande, Norwegen und Schweden einen entsprechenden nationalen Überprüfungsmechanismus errichtet haben, fehlt es bereits an einer Zustimmung zur Aufhebung der Geltung des Art. 36 ZPI durch alle Vertragsparteien. Überdies ist bereits fraglich, ob die Nichtbefolgung durch die vertragsbrüchigen Vertragsparteien tatsächlich als Ausdruck eines entsprechenden Willens gewertet werden kann, nicht länger durch Art. 36 ZPI gebunden zu sein. Ohne entsprechende Anhaltspunkte kann ein solcher Wille nicht unterstellt werden. Somit ist zu konstatieren, dass die Nichtbefolgung des Art. 36 ZPI durch die weit überwiegende Mehrheit der Vertragsparteien ohne Auswirkungen auf die völkerrechtliche Geltung der Norm bleibt. Die Nichtbefolgung ist vielmehr als vertragsbrüchiges Verhalten zu qualifizieren. Daher soll im Folgenden nunmehr Inhalt und Umfang der Art. 36 ZPI zu entnehmenden Verpflichtungen herausgearbeitet werden.
B. Untersuchungsgegenstand Dazu soll zunächst der Frage nachgegangen werden, ob autonome UACVs dem materiellen Anwendungsbereich des Art. 36 ZPI unterfallen. I. Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung Dem insoweit klaren Wortlaut von Art. 36 ZPI zufolge bilden neue Waffen, Mittel oder Methoden der Kriegführung den Gegenstand der von Art. 36 ZPI angeordneten Rechtmäßigkeitsanalyse. Wenngleich Art. 36 ZPI Waffen und Mittel der Kriegführung getrennt nennt, handelt es sich, wie bereits dargelegt, bei Waffen um einen Unterfall des Mittels der Kriegführung.30 Dies ergibt sich aus der die Staatenpraxis und herrschende Literaturmeinung widerspiegelnden Definition des HPCR Manuals des Mittels der Kriegführung, demzufolge der Begriff als Oberbegriff „weapons, weapon systems or platforms employed for the purposes of attack“ umfasst.31 Aus der getrennten Nennung beider Begriffe folgt überdies, dass Waffen und Mittel der Kriegführung entgegen anderslautender Literaturstimmen nicht identisch sind.32 Die getrennte Nennung beider Rechtsbegriffe ist nach Auffassung von Parks Ausdruck des Versagens der Delegierten der Genfer Konferenzen eine textliche Kohärenz zwischen Art. 36 und Art. 35 ZPI – der in seinen Absätzen 1 und 3 auf die Nennung von Waffen verzichtet – herzustellen.33 Diese Schlussfolgerung überzeugt jedoch nicht. Überzeugender dürfte es sein, die gesonderte Nennung von Waffen vielmehr als besondere Herausstellung der Notwendigkeit der Prüfung von Waffen gegenüber anderen Mitteln der Kriegfüh30
s. Kapitel 2. HPCR Manual, S. 4. 32 Daoust/Coupland/Ishoey, S. 351: „It is unclear how the term „weapons“ differs from „means of warfare.“ 33 Parks (2005), S. 118. 31
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
rung zu verstehen. Denn in Abgrenzung zu anderen Mitteln der Kriegführung werden die von der Untersuchungspflicht insbesondere in den Blick genommenen Auswirkungen gerade durch Waffen unmittelbar verursacht, so dass eine Rechtmäßigkeitsprüfung von Waffen insbesondere geboten ist. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Artikelüberschrift – „New Weapons“ – des Art. 36 ZPI. Nach den Rechtsgrundlagen der Überprüfungsmechanismen der U.S. Navy und Air Force sind waffenvermittelnde Vehikel ausdrücklich von der Überprüfungspflicht ausgenommen.34 Dies wirft die Frage auf, ob der Begriff des Mittels der Kriegführung im Rahmen des Art. 36 ZPI einer entsprechenden telelogischen Reduktion zuzuführen ist. Dabei ist zunächst vorab festzuhalten, dass der Praxis der USA als Nichtvertragspartei für die Auslegung des Art. 36 ZPI unmittelbar keine Bedeutung zukommt. Jedoch sprechen auch der Wortlaut, Sinn und Zweck sowie die travaux préparatoire zu Art. 36 ZPI gegen eine derartige telelogische Reduktion des Begriffes des Mittels der Kriegführung. Die von den Regularien der U.S. Air Force vorgenommene Verengung des Prüfungsgegenstandes auf Waffen steht bereits im klaren Widerspruch zum Normenwortlaut, der Waffen und Mittel der Kriegführung getrennt nennt. Wäre der Untersuchungsgenstand auf Waffen beschränkt, wäre die ausdrückliche Nennung von Mitteln der Kriegführung jedoch obsolet. Dies steht jedoch im Widerspruch zu der durch den IGH anerkannten35 Auslegungsmaxime, der zufolge eine Auslegung, die dazu führt, dass einzelne in einer Vorschrift enthaltenen Wörter ihrer Bedeutung verlieren, unzulässig ist.36 Darüber hinaus belegen auch die travaux préparatoire, dass eine Verengung des Prüfungsgegenstandes auf Waffen unzulässig ist. Denn die Delegierten der Genfer Konferenz entschieden sich gegen die ursprüngliche eng formulierte Fassung der zunächst in Art. 34 des Draft Additional Protocols festgeschriebenen Prüfungspflicht, welche den Prüfungsgegenstand auf „new weapons or methods of warfare“ und den Prüfungsmaßstab auf das Verbot der Verursachung unnötiger Leiden und überflüssiger Verletzungen beschränkte, zugunsten der nunmehr in Art. 36 ZPI gewählten weiten Fassung der Prüfungspflicht.37 Auch der in den U.S. Navy Regularien vorgenommene generelle Ausschluss waffenvermittelnder Vehikel aus dem Untersuchungsgegenstand ist weder mit 34 SECNAVINST 5000.2C., S. 23, Para. 2.6.: „Weapons or weapon systems for the purpose of the legal review of this paragraph (. . .) do not include launch or delivery platforms, such as aircraft, but rather the weapons or weapon systems contained on those platforms.“; AFI 51-402, S. 1 Para. 1: „(. . .) do not include aircraft and other launch platforms.“ 35 IGH, Anglo-Iranian Oil, S. 105; IGH, Constitution of the Maritime Safety Committee, S. 166. 36 Fitzmaurice, in: Evans, S. 202. 37 ICRC, Commentary on the Draft Additional Protocols, S. 42.
B. Untersuchungsgegenstand
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dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift unvereinbar. Denn der Wortlaut rekurriert allgemein auf den Begriff des Mittels der Kriegführung. Weil waffenvermittelnde Vehikel dem Begriff unterfallen bietet bereits der Wortlaut keinen Anhaltspunkt für einen derartigen Ausschluss. Zudem liegt der Sinn und Zweck der Vorschrift darin, zu gewährleisten, dass neue Mittel und Methoden der Kriegführung in rechtmäßiger Weise am Maßstab des durch Art. 36 ZPI vorgegebenen Rechtsrahmens eingesetzt werden.38 Dies erfordert jedoch eine Inkludierung von waffenvermittelnden Vehikeln in den Katalog der Prüfungsgegenstände. Denn der rechtmäßige Einsatz einer Waffe ist nur dann möglich, wenn das waffenvermittelnde Vehikel diese im Lichte der einschlägigen Regelungen einsetzen kann. Die Feststellung, ob dies zum Beispiel technisch möglich ist, ist gerade Aufgabe der von Art. 36 ZPI angeordneten Prüfungspflicht. Der Einfluss waffenvermittelnder Vehikel auf den Wirkmitteleinsatz verdeutlicht bereits das in Art. 35 (1) ZPI kodifizierte Verbote der unbeschränkten Wahl der Mittel und Methoden der Kriegführung. Wären waffenvermittelnde Vehikel als kriegsvölkerrechtlich neutral einzuordnen, ist nicht erklärbar, warum der Wortlaut des Art. 35 (1) ZPI nicht auf Waffen und Methoden der Kriegführung verengt ist. Mithin verbietet sich im Lichte des Normenwortlauts und Normentelos die von den Regularien der U.S. Teilstreitkräfte vorgenommenen Reduktionen des Untersuchungsgegenstandes. Der Sinn und des Zweck des Art. 36 ZPI erfordert es jedoch, dass jedenfalls solche Mittel der Kriegführung nicht der Prüfungspflicht unterfallen, deren Einsatz von Anfang an ersichtlich als kriegsvölkerrechtlich neutral einzuordnen ist. Denn dann liefe die von Art. 36 ZPI begründete Vorabkontrollpflicht in das Leere. Zu derartigen Mitteln der Kriegführung gehören solche Gegenstände, die nicht unmittelbar an den durch das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts regulierten Kampfhandlungen teilnehmen, sondern diese nur zum Beispiel durch Sammlung von Aufklärungsdaten ermöglichen. So sind etwa AWACS Flugzeuge, obwohl sie als Mittel der Kriegführung zu qualifizieren sind, von der Prüfungspflicht des Art. 36 ZPI auszunehmen. Wenngleich der Begriff der Methoden der Kriegführung keiner vertraglichen Definition unterliegt, besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass der Begriff im Kontext des Art. 36 ZPI als die Art und Weise der Verwendung von Mitteln der Kriegführung zu verstehen ist.39 Weil die Rechtmäßigkeit des Einsatzes eines Mittels der Kriegführung wesentlich von der Art und Weise der konkreten Verwendung im Einzelfall abhängig ist, sind Mittel und Methoden der Kriegführung stets im Zusammenhang zu überprüfen.40 38
Blake/Imburgia, S. 168; ICRC, Legal Review Guide, Introduction. Daoust/Coupland/Ishoey, S. 352; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 398; Parks (2005), S. 118; McClelland, S. 404. 40 Blake/Imburgia, S. 171; McClelland, S. 405; Lawand, S. 927. 39
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
II. Neueigenschaft des Untersuchungsgegenstandes Gemäß Art. 36 ZPI unterfallen Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung nur dann der Prüfungspflicht, wenn sie „neu“ sind. Die Neueigenschaft i. S. d. Art. 36 ZPI lässt sich nicht generell-abstrakt allein nach technischen Merkmalen bestimmen.41 Vielmehr ist sie stets aus der konkret-individuellen Perspektive des jeweiligen Staates im Einzelfall zu bestimmen.42 Dabei ist allein maßgeblich, ob der fragliche Gegenstand bereits Bestandteil des Arsenals der Streitkräfte des jeweiligen Vertragsstaates ist.43 Nur wenn dies nicht der Fall ist, kann ein Mittel oder eine Methode der Kriegführung als „neu“ i. S. d. Art. 36 ZPI qualifiziert werden. Daraus folgt, dass die Neueigenschaft stets relativer Natur im Verhältnis zum jeweiligen Staat ist. Mithin können nicht nur zukünftige, sondern auch bereits bestehende Mittel und Methoden der Kriegführung dem Anwendungsbereich des Art. 36 ZPI unterfallen.44 Diese Interpretation des Tatbestandsmerkmals „neu“ findet seine Bestätigung auch in den in Art. 36 ZPI aufgeführten Prüfungszeitpunkten. Insbesondere der Zeitpunkt des Beschaffens verdeutlicht die Relativität der Neueigenschaft. Denn daraus folgt, dass die Prüfungspflicht für den erwerbenden Staat auch dann besteht, wenn der Kaufgegenstand bereits in den Dienst eines anderen Staates gestellt wurde und dieser bereits eine eigene Rechtmäßigkeitsprüfung durchgeführt hat.45 Aus der Relativität der Neueigenschaft folgt, dass dem Resultat der Rechtmäßigkeitsprüfung keinerlei völkerrechtliche Verbindlichkeit zukommt und mithin die übrigen Vertragsparteien nicht von ihrer Pflicht zur Prüfung entbindet.46 Eine von der Neuentwicklung oder dem Neuerwerb zu unterscheidende Konstellation ist die Modifikation bereits in den Dienst gestellter Waffen und Mittel und Methoden der Kriegführung. Wenngleich ein Upgrade dazu führen kann, dass bereits in den Dienst gestellte Mittel der Kriegführung als „neu“ i. S. d. Art. 36 ZPI zu qualifizieren sind47, folgt aus dem Sinn und Zweck der Norm, dass nicht jede Modifikation eine erneute Überprüfungspflicht auszulösen vermag. Vielmehr sind veränderte Mittel und Methoden der Kriegführung nur dann als „neu“ i. S. d. Art. 36 zu qualifizieren, wenn deren Modifikation in einer nicht unerheblichen völkerrechtsrelevanten Veränderung ihrer offensiven Fähigkeiten resultiert.48 Entsprechend mögen bloße Gewichtsreduktionen zwar zu einer erhöhten Mobilität führen. In Ermangelung einer nennenswerten Auswirkung auf 41 42 43 44 45 46 47 48
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 425. Boothby (2009), S. 345. McClelland, S. 404. Parks (2005), S. 114. McClelland, S. 404. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424; Bothe/Partsch/Solf, S. 200. Daoust/Coupland/Ishoey, S. 352. McClelland, S. 404.
C. Prüfungszeitpunkte
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die offensiven Fähigkeiten des Mittels der Kriegführung ist eine solche Überarbeitung aus Sicht des Art. 36 ZPI indes irrelevant und löst mithin keine Pflicht zu einer erneuten Prüfung aus. III. Autonome UACVs als Untersuchungsgegenstand Wie bereits dargelegt49, handelt es sich bei den in Rede stehenden autonomen UACVs nicht um eine Methode der Kriegführung, sondern vielmehr um ein Mittel der Kriegführung. Einer Subsumtion autonomer UACVs unter den Begriff des Mittels der Kriegführung steht auch dessen teleologische Reduktion nicht entgegen, da sie zur unmittelbaren Vornahme von Kampfhandlungen konstruiert sind. Weil autonome UACVs bislang noch keinem Staat zur Verfügung stehen, sondern sich vielmehr noch in der Entwicklung befinden, sind sie für jede Vertragspartei als „neu“ i. S. d. Art. 36 ZPI zu qualifizieren. Da die Fähigkeit zur autonomen Zielauswahl und zur autonomen Angriffsentscheidung eine wesentliche völkerrechtsrelevante Modifikation des Offensivpotentials von UACVs begründet, besteht die Neueigenschaft autonomer UACVs unabhängig davon, ob sie als Neuentwicklung im engeren Sinne oder als Weiterentwicklung der bereits existierenden ferngelenkten UACVs zu qualifizieren sind. Folglich ist zu konstatieren, dass autonome UACVs dem materiellen Anwendungsbereich des Art. 36 ZPI unterfallen und mithin einer Rechtmäßigkeitsprüfung zu unterziehen sind.
C. Prüfungszeitpunkte Ausweislich des Wortlauts von Art. 36 ZPI ist die Rechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel und Methoden der Kriegführung zum Zeitpunkt der „Prüfung“, „Entwicklung“, „Beschaffung“ oder „Einführung“ vorzunehmen. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass die Rechtmäßigkeitsprüfung zu jedem der vier genannten Zeitpunkte durchzuführen ist.50 Allerdings sind die in Art. 36 ZPI aufgelisteten Prüfungszeitpunkte, wie schon der Begriff des Mittels der Kriegführung, im Lichte des Normentelos einer Reduktion zuzuführen. Denn Sinn und Zweck der Prüfungspflicht des Art. 36 ZPI liegt darin, sicherzustellen, dass neue Mittel und Methoden der Kriegführung in rechtmäßiger Weise am Maßstab des durch Art.36 ZPI vorgegebenen Rechtsrahmens eingesetzt werden.51 Im Fokus der Prüfungspflicht liegt mithin allein der spätere Einsatz.52 Dies folgt überdies bereits auch daraus, dass der bloße Besitz 49
Vgl. Kapitel 2. Fry, S. 481; Daoust/Coupland/Ishoey, S. 351; ICRC, Legal Review Guide, S. 24; McClelland, S. 402. 51 Blake/Imburgia, S. 168; ICRC, Legal Review Guide, Introduction. 52 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424. 50
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
von Mitteln der Kriegführung in den Bereich des Rüstungskontrollrechts fällt und mithin außerhalb des Anwendungsbereiches des Rechts des bewaffneten Konflikts liegt.53 Folglich ist unter Prüfung i. S. d. Art.36 ZPI nicht jede Art der Auseinandersetzung mit einer neuen Waffe, einem Mittel oder einer Methode der Kriegführung zu verstehen. Vielmehr ist der Begriff teleologisch dahin gehend zu reduzieren, dass nur solche Prüfungen die Rechtmäßigkeitskontrollpflicht auslösen, die mit der Zielsetzung durchgeführt werden, das betreffende Mittel der Kriegführung in das Arsenal der Streitkräfte zu inkorporieren und mithin später im Kontext eines internationalen bewaffneten Konflikts einzusetzen.54 Der Begriff umfasst folglich nur solche Prüfungen, die als Vorstufe eines späteren Einsatzes erfolgen. Mithin lösen Prüfungen neuer Mittel und Methoden der Kriegführung dann nicht die Feststellungspflicht aus, wenn von Anfang an zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann, dass die Auseinandersetzung mit dem Prüfungsgegenstand dazu bestimmt ist, einen späteren Einsatz zu ermöglichen. Parks nennt in diesem Zusammenhang zutreffend das Beispiel, dass eine Waffe des Gegners ausschließlich mit der Zielsetzung untersucht wird, die Panzerung des Fuhrparks der eigenen Streitkräfte zielgerichtet unter Berücksichtigung der Wirkungsweisen dieser Waffe zu verstärken.55 Weil eine derartige auf die Entwicklung von Gegenmaßnahmen beschränkte Auseinandersetzung mit einem Mittel der Kriegführung unter keiner Betrachtungsweise als Vorstufe ihres späteren Einsatzes zu qualifizieren ist, liefe eine Prüfungspflicht ausgehend von Sinn und Zweck des Art. 36 ZPI in das Leere mit der Folge, dass sie dann gerade nicht geboten ist. Auch die übrigen Prüfungszeitpunkte sind entsprechend derart teleologisch zu reduzieren, dass sie nur dann eine Prüfungspflicht begründen, wenn sie mit Blick auf einen späteren Einsatz der Streitkräfte erfolgen. Denn es sind durchaus Konstellationen denkbar in denen eine Vertragspartei in den Besitz eines Mittels der Kriegführung gelangt oder dieses in seine Streitkräfte integriert, ohne dass es später im bewaffneten Konflikt gegen eine andere Konfliktpartei eingesetzt werden soll, so dass es einer Rechtmäßigkeitsprüfung mithin nicht bedarf. Parks verweist dabei zutreffend auf die Inbesitznahme von Kriegsbeute oder die Integrierung von Waffen zu Trainingszwecken, welche dann von der Prüfungspflicht auszunehmen sind.56 Folglich sind autonome UACVs nur dann einer Rechtmäßigkeitsprüfung zu jeder der in Art. 36 ZPI genannten Zeitpunkte zu unterziehen, wenn sie später durch die betreffende Vertragspartei zur Vornahme von Kampfhandlungen eingesetzt werden sollen. Sollten autonome UACVs nur deshalb von einer Vertrags53 54 55 56
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424. Parks (2005), S. 113. Parks (2005), S. 113. Parks (2005), S. 114.
D. Prüfungsmaßstab
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partei untersucht oder in den Besitz genommen werden, um herauszufinden, wie man sie am besten bekämpfen kann, besteht eine Pflicht zur Rechtmäßigkeitsprüfung hingegen nicht.
D. Prüfungsmaßstab Nachdem dargelegt wurde, dass autonome UACVs dem materiellen Anwendungsbereich des Art. 36 ZPI unterfallen und zu jedem der vier genannten Zeitpunkte einer Prüfung zu unterziehen sind, soll nunmehr im Folgenden der Art. 36 ZPI zu entnehmende Prüfungsmaßstab aufgezeigt werden. Ausweislich des Wortlauts von Art. 36 ZPI sind neue Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung dahingehend zu untersuchen, „whether its employment would, in some or all circumstances be prohibited by the protocol or by any other rule applicable to the High Contracting Party“. I. „To determine whether its employment would, in some or all circumstances be prohibited“ Aus der Formulierung „in some or all circumstances“ folgt, dass im Rahmen der Vorabkontrolle in einem ersten Prüfungsschritt zu überprüfen ist, ob der Einsatz des Untersuchungsgegenstand wegen eines absoluten Verbotes stets verboten ist. Ist dies nicht der Fall, ist in einem zweiten Schritt die Rechtmäßigkeit des Untersuchungsgegenstandes im Lichte der allgemeinen Grundsätze zu untersuchen.57 Es ist jedoch umstritten, welche Arten der Verwendung des Untersuchungsgegenstandes der Prüfung zugrunde zu legen sind. Nach wohl herrschender Literaturmeinung ist lediglich die normale zum Zeitpunkt der Durchführung der Rechtmäßigkeitsprüfung zu erwartende Verwendung eines Mittels der Kriegführung maßgeblich.58 Weil jedes Mittel der Kriegführung in rechtswidriger Weise eingesetzt werden könne, seien die Vertragsparteien gerade nicht dazu verpflichtet, jede mögliche Art des Missbrauchs vorherzusehen und in die Prüfung einfließen zu lassen.59 Zur Begründung wird dabei übereinstimmend auf die gleichlautenden Ausführungen des Berichterstatters des Komitee III60 und mithin auf die travaux préparatoire zu Art. 36 ZPI verwiesen. Parks vertritt eine noch engere Auffassung der zufolge nur diejenigen Verwendungsarten in der Prüfung zu berücksichtigen sind, die dem Design und der primären Zweckrichtung des Untersuchungsgegenstandes entsprechen.61 So sei etwa die Rechtmäßigkeit von Antimaterialwaffen, wie beispielsweise Artilleriemunition, die dazu bestimmt ist 57
ICRC, Legal Review Guide, S. 11. Boothby (2009), S. 342; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424; ICRC, Legal Review Guide, S. 10; Parks (2005), S. 119; Bothe/Partsch/Solf, S. 200. 59 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424; Bothe/Partsch/Solf, S. 200. 60 CDDH/215/Rev.1, Para. 30–31. 61 Parks (2005), S. 119. 58
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
schweres Material oder befestigte Anlagen zu zerstören, nicht auf ihre möglichen Auswirkungen auf Personen hin zu untersuchen.62 Die genannten restriktiven Auslegungen der Formulierung „in some or all circumstances be prohibited“ stieß in der Literatur jedoch vereinzelt auch auf Widerspruch. So wird dafür plädiert über die normalen vorhersehbaren Verwendungen hinaus auch alle vernünftiger Weise zu erwartenden missbräuchlichen Verwendungsarten in die Prüfung einzubeziehen. 63 Als Beispiel führt Lawand den Gebrauch von Bajonetten gegen Personen an. Obschon deren intendierte und völkerrechtlich nicht zu beanstandende normale Verwendung darin läge, zu graben oder Material zu zerschneiden, sei es absolut vorhersehbar, dass Soldaten im Eifer des Gefechts Bajonette als Anti-Personen-Waffen einsetzen könnten.64 Zwar ist zutreffend, dass nicht jeder Missbrauch eines Mittels der Kriegführung vorhersehbar ist und dass folglich von den Vertragsparteien auch nicht erwartet werden kann, dass sie die Prüfungspflicht insoweit in das Uferlose auszudehnen haben. Dennoch vermag der Umfang der in Rede stehenden Reduktionen der Prüfungspflicht nicht zu überzeugen. Gegen die dargelegten restriktiven Lesarten von Art. 36 ZPI spricht zunächst der weitgefasste Normenwortlaut „in some or all circumstances be prohibited“, der eine Verengung der Prüfungspflicht auf die zu erwartende normale oder gar auf die intendierte Verwendung nicht erkennen lässt. Die restriktiven Ansichten stehen auch im Widerspruch zum Normentelos, der darin liegt, rechtswidrigen Einsätzen von neuen Mitteln und Methoden der Kriegführung präventiv entgegenzuwirken. Denn der völkergewohnheitsrechtlich anerkannte aus der Telosauslegungsmethode abzuleitende Effektivitätsgrundsatz, demzufolge eine völkerrechtliche Norm derart auszulegen ist, dass deren Regelungsziel bestmöglich erreicht werden kann65, gebietet es, die Prüfungspflicht jedenfalls auf alle diejenigen – auch missbräuchlichen und nicht intendierten – Verwendungsweisen auszudehnen, die zum Zeitpunkt der Durchführung der Rechtmäßigkeitsprüfung vernünftiger Weise vorhersehbar sind. Zu demselben Auslegungsergebnis führt auch die Pflicht zur Auslegung einer Vorschrift nach Treu und Glauben aus Art. 31 (1) WVK. Denn laut IGH verpflichtet „the principle of good faith the parties to apply it (the treaty) in a reasonable way and in such a manner that its purpose can be realized“.66 Mithin überzeugt auch das von der wohl herrschenden Literaturmeinung zur Substantiierung einer restriktiven Lesart angeführte Argument nicht. Denn die vorgebrachte Begründung erschöpft sich in einem Verweis auf die travaux prépa62
Parks (2005), S. 120. Lawand, S. 928; Fry, S. 471. 64 Lawand, S. 928. 65 Köck (1976), S. 74; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 144; StIGH, Wimbledon Case, S. 25; IGH, Interpretation of Peace Treaties, S. 229. 66 IGH, Gabc ˇ íkovo-Nagymaros Project, S. 78. 63
D. Prüfungsmaßstab
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ratoire zu Art. 36 ZPI. Gemäß Art. 32 WVK gehören die vorbereitenden Maßnahmen jedoch lediglich zu den subsidiären Auslegungsmitteln. Ausweislich des klaren Wortlauts von Art. 32 WVK können sie grundsätzlich nur zur Bestätigung einer auf andere Auslegungsmittel gestützten Interpretation herangezogen werden. Nur wenn eine auf Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck basierende Auslegung zu keinen oder zu sinnwidrigen Ergebnissen führt, ist ein Rückgriff auf die travaux préparatoire als konstitutives Auslegungsmittel zulässig. Wie dargelegt, führt eine auf den Wortlaut und den Telos gestützte Auslegung jedoch gerade nicht zu einem derartigen Ergebnis, so dass ein konstitutiver Rückgriff auf die travaux préparatoire bei der Auslegung von Art. 36 ZPI insoweit nicht zulässig ist. Folglich ist zu konstatieren, dass die restriktiven Lesarten von Art. 36 ZPI abzulehnen sind und die Prüfungspflicht mit der genannten Literaturansicht auf alle diejenigen – auch nicht intendierten oder missbräuchlichen – Verwendungsarten auszudehnen ist, die vernünftigerweise zum Zeitpunkt der Rechtmäßigkeitsprüfung vorhersehbar sind. II. „By the protocol or by any other rule of international law applicable to the High Contracting Party“ Den Prüfungsmaßstab bilden ausweislich des Wortlauts von Art. 36 ZPI das Zusatzprotokoll selbst sowie jede andere für die jeweilige Vertragspartei verbindliche Regel des Völkerrechts. 1. Das Zusatzprotokoll I
Über die Frage, welche Regelungen des ersten Zusatzprotokolls im Rahmen der Vorabkontrolle neuer Mittel und Methoden der Kriegführung heranzuziehen sind besteht Streit. a) Cardinal Principles, das Verbot unterschiedsloser Angriffe und das Verbot der Umweltschädigung Einigkeit besteht einzig darüber, dass der Untersuchungsgegenstand am Maßstab des vom IGH als „cardinal principles“ 67 bezeichneten Unterscheidungsgrundsatzes aus Art. 48 ZPI und dem Verbot der Verursachung überflüssiger Verletzungen und unnötiger Leiden aus Art. 35 (2) ZPI sowie dem Verbot der ausgedehnten, langanhaltenden und schweren Umweltschädigung aus Art. 35 (3) und Art. 55 ZPI und nichtdiskriminierender Angriffe aus Art. 51 (4) lit. b und lit. c ZPI zu überprüfen ist.68 67
IGH, Nuclear Weapons, S. 257. ICRC, Legal Review Guide, S. 15 ff.; McClelland, S. 407 ff.; Lawand, S. 928 ff.; Boothby (2009), S. 345 ff.; DRC, Reviewing New Weapons, S. 9. 68
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
Für die hier in Rede stehenden autonomen UACVs ist jedoch nur der Unterscheidungsgrundsatz und das Verbot unterschiedsloser Angriffe von Bedeutung. Denn ob und inwieweit die vorgeschriebene Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Kombattanten einerseits und zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen anderseits umgesetzt werden kann, hängt maßgeblich von der Konstruktion autonomer UACVs ab. So muss überprüft werden, ob und inwieweit autonome UACVs in der Lage sind, zwischen militärischen Zielen und geschützten Personengruppen und Objekten zu unterscheiden und ob sie dazu fähig sind auf einen Wandel der zum Zeitpunkt der Einsatzplanung gegebenen tatsächlichen Umstände und dabei insbesondere auf einen Statuswechsel der vorab einprogrammierten Ziele zu reagieren. In Abhängigkeit von den technischen Fähigkeiten gilt es dann festzulegen, ob und in welcher Form und in welchem Umfang die Möglichkeit einer menschlichen Intervention in das Design autonomer UACVs zu implementieren ist. Anders verhält es sich hingegen sowohl mit dem Verbot der Umweltschädigung aus Art. 35 (3) und 55 ZPI als auch dem Verbot der Verursachung überflüssiger Verletzungen und unnötiger Leiden aus Art. 35 (2) ZPI. Denn diese knüpfen an spezifische Wirkungsweisen an, die nur von den beigeführten Waffen, nicht jedoch von den waffenvermittelnden Vehikeln selbst, verursacht werden können. Ebenfalls zu untersuchen gilt es, ob der Einsatz von autonomen UACVs dem per se69 Verbot des Einsatzes von Kampfmitteln nach Art. 51 (4) (b) unterfällt. Dies ist dann der Fall, wenn autonome UACVs nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den technischen Fähigkeiten autonomer UACVs sowie dem Einsatzszenario ab. b) Kontextabhängige Angriffsregelungen des ZPI Jenseits dieses kleinsten gemeinsamen Nenners ist das vertretene Meinungsspektrum sehr vielfältig. Insbesondere ist strittig, ob neben den genannten Vorschriften auch primär kontextabhängige Angriffsregelungen in der Vorabrechtmäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind. Zu den kontextabhängigen Regelungen, über deren Inkludierung in den Prüfungsmaßstab Streit besteht, gehört insbesondere das Exzessverbot aus Art. 51 (5) lit. b ZPI. aa) Exzessverbot aus Art. 51 (5) lit. b ZPI In dem 2006 veröffentlichten Guide to the Legal Review of New Weapons, Means and Methods of Warfare vertritt das ICRC die Ansicht, dass das Exzessverbot aus Art. 51 (5) (b) ZPI zu denjenigen Vorschriften des ZPI gehört, die im Rahmen der Vorabkontrolle von neuen Waffen, Mitteln und Methoden der Krieg69
Schmitt/Thurnher, S. 244.
D. Prüfungsmaßstab
233
führung gemäß Art. 36 ZPI zu berücksichtigen sind.70 Zwar handele es sich dabei um eine primär kontextabhängige Regelung, deren Anwendung typischerweise eine Frage des konkreten Einzelfalls darstelle und dem militärischen Befehlshaber im Felde obliege. Gleichwohl seien derartige kontextabhängige Regelungen bereits für eine Vorabkontrolle von neuen Waffen, Mitteln und Methoden der Kriegführung von Bedeutung.71 Denn die Charakteristika, die vorhersehbaren Einsatzarten und Auswirkungen des Untersuchungsgegenstandes seien unabdingbare Voraussetzungen dafür, dass die Überprüfungsinstanz im Stande ist die von Art. 36 ZPI geforderte umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung durchzuführen und entsprechende Einsatzbeschränkungen neuer Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung für bestimmte vorhersehbare Gegebenheiten zu formulieren.72 Gegen eine Einbeziehung des Exzessverbotes in den Prüfungsmaßstab der Vorabrechtmäßigkeitsprüfung spricht sich insbesondere Boothby aus.73 Eine Berücksichtigung des Exzessverbotes verbiete sich laut Boothby bereits deshalb, weil jede Waffe im Einzelfall in einer Weise eingesetzt werden könne, die zu einer unzulässigen exzessiven Schädigung geschützter Zivilpersonen und ziviler Objekte führt. Es könne daher in einer Vorabkontrolle vielmehr nur darauf ankommen, festzustellen, ob die Waffe gemäß dem Unterscheidungsgrundsatz die abstrakt-generelle Fähigkeit besitzt, in nichtdiskriminierender Weise eingesetzt zu werden.74 Insgesamt resümiert Boothby: „A distinction must be made and maintained between the criteria to be applied in the legal review of weapons and the rules that must be applied when deciding upon attacks.“ 75 Im Ergebnis verdient die von Boothby vertretene Ablehnung einer Inkludierung des Exzessverbotes in den Prüfungsmaßstab der Vorabkontrolle Zustimmung. Denn ausgehend vom Sinn und Zweck des Art. 36 ZPI, der darin liegt, Rechtsverstößen präventiv durch Durchführung einer ex-ante Prüfung entgegenzuwirken, sind nur solche Regelungen in den Prüfungsmaßstab zu inkludieren, deren Berücksichtigung zu einem abstrakten materiellen Erkenntnismehrwert in Bezug auf die dem Wortlaut der Vorschrift nach allein maßgebliche Frage führt, ob ein Einsatz des konkreten Untersuchungsgegenstandes stets oder unter bestimmten Umständen rechtswidrig ist. Eine derartige Feststellung ist jedoch im Hinblick auf kontextsensitive Regelungen im Allgemeinen und hinsichtlich des Exzessverbotes im Besonderen gerade nicht möglich. Denn ob ein Angriff unter Art. 51 (5) (b) ZPI rechtswidrig ist kann nicht im Vorfeld abstrakt-generell im Rahmen einer Vorabkontrolle festgestellt werden. Jene Feststellung kann viel70
ICRC, Legal Review Guide, S. 16. ICRC, Legal Review Guide, S. 15. 72 ICRC, Legal Review Guide, S. 15. 73 Boothby (2009), S. 347 ff.; aber auch: McClelland, S. 407 ff.; Daoust/Coupland/ Ishoey, S. 350. 74 Boothby (2009), S. 347. 75 Boothby (2009), S. 347. 71
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
mehr nur im Lichte der im späteren Einsatz vorherrschenden Umstände im jeweiligen Einzelfalls getroffen werden. Mithin kann die Überprüfungsautorität kein für den Endverwender verwertbares Urteil über die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes des Untersuchungsgegenstandes im Lichte des Exzessverbotes abgeben, so dass eine Berücksichtigung des Exzessverbotes in der Vorabkontrolle nicht zielführend und mithin abzulehnen ist. bb) Vorsichtsnahmen beim Angriff gemäß Art. 57 ZPI Zutreffend wird die Inkludierung der gebotenen Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff gem. Art. 57 ZPI in den Prüfungsmaßstab der Vorabkontrolle abgelehnt.76 Denn jene Pflichten sind durch ihre absolute Einzelfallabhängigkeit charakterisiert, so dass deren Einbeziehung in den Prüfungsmaßstab zu keinem abstrakten materiellen Erkenntnismehrwert in Bezug auf die Frage führt, ob ein Einsatz des Untersuchungsgegenstandes stets oder unter bestimmten Umständen rechtswidrig ist. c) Martens’sche Klausel Umstritten ist zudem die Frage, ob die Martens’sche Klausel aus Art. 1 (2) ZPI zu den Vorschriften des ZPI gehört, die im Rahmen der Vorabkontrolle aus Art. 36 ZPI zu berücksichtigen sind.77 Eine Inkludierung der Klausel in den Prüfungsmaßstab der Vorabkontrolle verbietet sich jedoch bereits deshalb, weil ihr keine eigenständige rechtliche Bedeutung zukommt.78 d) Zwischenergebnis Zu den Reglungen des ZPI, die im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung von autonomen UACVs im Rahmen von Art. 36 ZPI zu berücksichtigen sind, gehören einzig der Unterscheidungsgrundsatz aus Art. 48 ZPI und das daraus resultierende Verbot unterschiedsloser Angriffe aus Art. 51 (4) ZPI. 2. „Any other rule of international law applicable tot he High Contracting Party“
Dem Wortlaut von Art. 36 zufolge ist die Rechtmäßigkeit neuer Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung überdies auch am Maßstab von „any other rule of international law applicable to the High Contracting Party“ zu prüfen. 76 ICRC, Legal Review Guide, S. 15 ff.; Boothby (2009), S. 347 ff.; McClelland, S. 407 ff.; Daoust/Coupland/Ishoey, S. 350. 77 Für eine Einbeziehung: ICRC, Legal Review Guide, S. 17; Daoust/Coupland/ Ishoey, S. 351; Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 25; gegen eine Einbeziehung: Boothby (2009), S. 349. 78 s. Kapitel 3 § 6.
D. Prüfungsmaßstab
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a) Vertragliche und völkergewohnheitsrechtliche im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbare Verbote und Beschränkungen Einigkeit besteht darüber, dass sich die Formulierung „any other rule of international law“ auf alle für die jeweilige Vertragspartei verbindlichen Verträge oder Regelungen des Völkergewohnheitsrechts bezieht, die Waffenverbote oder Beschränkungen zum Gegenstand haben.79 Weil jene Regelungen jedoch ausweislich des Normenwortlauts für die jeweilige Vertragspartei anwendbar sein müssen, sind auf der Ebene des Vertragsrechtes stets die eingelegte Vorbehalte oder Interpretationserklärungen und auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts eingelegte Einsprüche gegen die Geltung einer Norm im Sinne der Rechtsfigur des persistent objectors der jeweiligen Vertragspartei zu berücksichtigen.80 Zu den zu berücksichtigenden Verträgen gehören insbesondere die CCW81 einschließlich ihrer fünf Zusatzprotokolle82, das Genfer Giftgasprotokoll83 sowie das IV. Haager Abkommen von 1907 einschließlich der Haager Landkriegsordnung84.85 Die völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechungen völkervertraglicher Regelungen sind jedoch wegen der dargelegten gebotenen telelogischen Reduktion des Prüfungsmaßstabs aus Art. 36 ZPI nur dann heranzuziehen, wenn sie sich inhaltlich unterscheiden und deren Berücksichtigung mithin zu einem materiellen Erkenntnismehrwert in Bezug auf die Frage führt, ob ein Einsatz des Untersuchungsgegenstandes stets oder unter bestimmten Umständen rechtswidrig ist. Ebenfalls anerkannt ist, dass die Regelungen des nicht internationalen bewaffneten Konflikts nicht zu den Regelungen gehören, die im Rahmen des zweiten Prüfungsmaßstabes bei der Rechtmäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind.86 Wenngleich sich diese einschränkende Auslegung nicht unmittelbar aus dem 79 Daoust/Coupland/Ishoey, S. 349; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424; ICRC, Legal Review Guide, S. 10. 80 McClelland, S. 406. 81 Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons Which May be Deemed to be Excessively Injurious or to Have Indiscriminate Effects, Geneva, 10 October 1980. 82 Protocol on Non-Detectable Fragments (Protocol I), 10 October 1980; Protocol on Prohibitions or Restrictions on the Use of Mines, Booby-Trabs and Other Devices as amended on 3 May 1996 (Protocol II); Protocol on Prohibitions and Restrictions on the Use of Incendiary Weapons (Protocol III), 10 October 1980; Protocol on Blinding Laser Weapons (Protocol IV), 13 October 1995; Protocol on Explosive Remnants of War (Protocol V), 28 November 2003. 83 Protocol for the Prohibition of the Use of Asphyxiating, Poisonous or Other Gases, and for Bacteriological Methods of Warfare, 17 June 1925. 84 Convention (IV) Respecting the Laws and Customs of War, 18 October 1907; Regulations Converning the Laws and Customs of War on Land, 18 October 1907. 85 Daoust/Coupland/Ishoey, S. 349. 86 Parks (2005), S. 120; Blake/Imburgia, S. 167.
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
Wortlaut ergibt, ist sie im Lichte des Anwendungsbereichs des Zusatzprotokolls, der gem. Art. 1 (3) ZPI i.V. m. dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer Abkommen auf Situationen internationaler bewaffneter Konflikte begrenzt ist, geboten. Denn die Reichweite der aus einer Norm resultierenden Verpflichtungen ist notwendig begrenzt durch den materiellen Anwendungsbereich desjenigen Vertrages, in dem die in Rede stehende Norm verortet ist. Mithin ist die Formulierung „any other rules of international applicable to the High Contracting Party“ derart auszulegen, dass sie nur solche Regelungen in den Prüfungsmaßstab einbezieht, die im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbar sind.87 Diese Erkenntnis steht einer Einbeziehung der zuvor genannten vertraglichen Waffenverbote nicht entgegen. Denn wenngleich diesen eine Abrüstungskomponente innewohnt, handelt es sich bei diesen Verträgen keinesfalls um reine dem ius ad bellum zugehörige Abrüstungsverträge, sondern vielmehr um gemischte Verträge, denen auch eine dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts zugehörige Komponente innewohnt.88 Weil die Reichweite der Verpflichtung aus Art. 36 ZPI durch den Anwendungsbereich des ZPI entsprechend begrenzt ist, vermag die Ansicht Lawands „in reviewing the legality of new weapons, states may also need to consider the rules of international human rights law applicable to the use of force in situations not amounting to armed conflict.“ nicht zu überzeugen. Überdies folgt bereits aus der Verwendung der Begriffe „means and methods of warfare“, dass Art. 36 ZPI eine Pflicht zur Rechtmäßigkeitsprüfung in Situationen unterhalb der Schwelle bewaffneter Konflikte nicht begründet. Denn es handelt sich dabei um spezifische Begrifflichkeiten des Rechts des bewaffneten Konflikts. Dasselbe Auslegungsergebnis folgt aus der vorangestellten Nennung des Protokolls als Prüfungsmaßstab. Wäre der Prüfungsmaßstab für neue Waffen, Mittel und Methoden der Kriegführung dem gesamten Völkerrecht zu entnehmen, wäre die vorangestellte Nennung des Protokolls selbst obsolet. b) Recht auf Leben aus Art. 6 IPBPR und Art. 2 EMRK Wenngleich das Recht auf Leben gem. Art. 2 EMRK und Art. 6 IPBPR grundsätzlich im internationalen bewaffneten Konflikt fortgilt, unterfällt es nicht dem Prüfungsmaßstab des Art. 36 ZPI. In Bezug auf Art. 2 EMRK folgt dies bereits aus der innervertraglichen Kollisionsregel aus Art. 15 (2) EMRK, der zufolge die einschlägigen Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts das Recht auf Leben aus Art. 2 EMRK für die Dauer bewaffneter Konflikte suspendieren. Obschon eine derartige Kollisionsregel in dem Zivilpakt nicht enthal-
87 88
Blake/Imburgia, S. 167. Lawand, S. 929.
E. Verfahren und Transparenz der Vorabrechtmäßigkeitsprüfung
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ten ist und Art. 6 IPBPR nicht durch das speziellere Recht des internationalen bewaffneten Konflikts verdrängt, sondern lediglich inhaltlich über das Einfallstor des Willkürtatbestandsmerkmals bestimmt wird und mithin im Kontext internationaler bewaffneter Konflikte fortgilt, scheitert dessen Berücksichtigung in der Rechtmäßigkeitsprüfung unter Art. 36 ZPI an der teleologischen Reduktion des Prüfungsmaßstabes der zufolge nur solche Regelungen im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung heranzuziehen sind, deren Berücksichtigung in Bezug auf den konkreten Untersuchungsgegenstand im Einzelfall zu einem materiellen Erkenntnismehrwert in Bezug auf die Frage führt, ob ein Einsatz des Untersuchungsgegenstand stets oder unter bestimmten Umständen rechtswidrig ist. Weil sich die Frage einer Verletzung des Rechts auf Leben aus Art. 6 IPBPR über das Willkürtatbestandsmerkmal nach den einschlägigen Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konfliktes richtet, fehlt es an dem erforderlichen aus der Berücksichtigung der Norm resultierenden materiellen Erkenntnismehrwert. III. Zwischenergebnis Wegen der im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung nach Art. 36 ZPI maßgeblichen abstrakten ex-ante Perspektive ist der Prüfungsmaßstab im Vergleich zur kontextanhängigen rechtlichen Überprüfung unmittelbar vor oder während eines Einsatzes ein substantiell anderer. Die bestätigt die eingangs bereits getroffene Feststellung, dass die Vorabkontrolle nicht die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Mittels der Kriegführung im späteren Einsatz im Lichte der Umstände des jeweiligen Einzelfalls ersetzt. Welche Regelungen im Rahmen der Vorabkontrolle heranzuziehen sind, richtet sich in Abhängigkeit von der Natur des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes und der jeweiligen Vorschrift danach, ob deren Berücksichtigung im Einzelfall zu einem abstrakten materiellen Erkenntnismehrwert in Bezug auf die Frage führt, ob ein Einsatz des Untersuchungsgegenstandes stets oder unter bestimmten Umständen rechtswidrig ist. In Bezug auf die hier in Rede stehenden autonomen UACVs sind dies der Unterscheidungsgrundsatz und das Verbot unterschiedsloser Angriffe in ihren vertraglichen und völkergewohnheitsrechtlichen Ausprägungen zu berücksichtigen. Letztere jedoch nur dann, wenn sie inhaltlich von der vertraglichen Regelung abweichen.
E. Verfahren und Transparenz der Vorabrechtmäßigkeitsprüfung Bezüglich des der Vorabrechtmäßigkeitskontrolle zugrunde zu legenden Verfahrens enthält Art. 36 ZPI keine konkreten Vorgaben.89 Der im Entstehungsprozess des Protokolls diskutierte Vorschlag eine zentrale zwischenstaatliche Über89
Lawand, S. 927; Fry, S. 468; ICRC, Legal Review Guide, S. 20.
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
prüfungsinstanz zu errichten, wurde mehrheitlich abgelehnt und infolge dessen aufgegeben.90 Mithin ist es jeder Vertragspartei selbst überlassen, die konkrete Ausgestaltung des Überprüfungsmechanismus festzulegen.91 Der Normentelos gebietet es jedoch, dass das gewählte Verfahren die Gewähr für eine effektive Durchführung der Rechtmäßigkeitskontrolle bietet. Daher besteht Einigkeit darüber, dass dem Verfahren ein multidisziplinärer Ansatz zugrunde zu legen ist, um zu gewährleisten, dass alle in die Rechtmäßigkeitsprüfung einfließenden Faktoren mit der entsprechenden erforderlichen militärischen, medizinischen, rechtlichen und umweltbezogenen Expertise bewertet werden können.92 In der Staatenpraxis haben sich verschiedene Modelle zur Überprüfung neuer Mittel und Methoden der Kriegführung als gleichsam wirksam erwiesen. So wird in Schweden die Rechtmäßigkeitsprüfung von einer unabhängigen durch die Regierung gewählten Delegation durchgeführt, während sich in Australien, Deutschland und Norwegen entsprechende Fachabteilungen des Verteidigungsministeriums für die Durchführung der Prüfungen verantwortlich zeichnen.93 Weiterhin ist anerkannt, dass Art. 36 ZPI keine Pflicht zur Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse entnommen werden kann.94 Dies findet seine Rechtfertigung in dem legitimen Geheimhaltungsinteresse der Vertragsparteien bezüglich der oftmals sehr kostspieligen Forschungsprogramme. Denn diese werden regelmäßig mit dem Ziel durchgeführt, sich gegenüber potentiellen Gegnern einen militärischen Vorteil durch einen Technologievorsprung zu sichern.95 Insbesondere das Geheimhaltungsinteresse der Staaten führte zu der Entscheidung keine zwischenstaatliche Überprüfungsbehörde zu errichten.96 Überdies ergibt sich das Fehlen einer Plicht zur Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse daraus, dass der Ausgang der Rechtmäßigkeitsprüfung die übrigen Vertragsparteien nicht von ihrer eigenen Prüfungspflicht entbindet. Allerdings sind die Vertragsparteien gem. Art. 84 ZPI97 dazu verpflichtet, den übrigen Vertragsparteien die Einrichtung eines nationalen Überprüfungsverfahrens mitzuteilen. 98
90 Bothe/Partsch/Solf, S. 200; McClelland, S. 397; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424. 91 McClelland, S. 403; ICRC, Legal Review Guide, S. 20. 92 Parks (2005), S. 128; Daoust/Coupland/Solf, S. 352; Lawand, S. 929; Backstrom/ Henderson, S. 513. 93 DRC, Reviewing New Weapons, S. 24 ff.; Daoust/Coupland/Ishoey, S. 354 ff. 94 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 426; Parks (2005), S. 135; Lawand, S. 927. 95 Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 424. 96 Bothe/Partsch/Solf, S. 200. 97 s. Wortlaut von Art. 84 ZPI: „The High Contracting Parties shall communicate to one another, as soon as possible, through the depositary and, as appropriate, through the Protecting Powers, their official translations of this Protocol, as well as the laws and regulations which they may adopt to ensure its application.“ 98 Lawand, S. 927; ICRC, Legal Review Guide, S. 27.
F. Zur Frage einer Pflicht zur Vorabkontrolle für Nichtvertragsparteien
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F. Zur Frage einer Pflicht zur Vorabkontrolle für Nichtvertragsparteien Die Frage, ob eine Pflicht zur Vorabkontrolle neuer Mittel und Methoden der Kriegführung auch außerhalb des Art. 36 ZPI und mithin für Nichtvertragsparteien besteht, ist umstritten. Diskutiert wird in der einschlägigen Literatur in diesem Zusammenhang einerseits die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Art. 36 ZPI und anderseits die Frage, ob sich eine Pflicht zur Vorabkontrolle aus dem Grundsatz von Treu und Glauben in Verbindung mit den außerhalb des Protokolls befindlichen Regelungen über den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung ableiten lässt. I. Zur Frage einer völkergewohnheitsrechtlichen Pflicht zur Vorabkontrolle Der überwiegende Teil der Literatur ist der Auffassung, das Art. 36 ZPI eine dem Recht des bewaffneten Konflikts bisher fremde Pflicht zur Überprüfung neuer Mittel und Methoden der Kriegführung kodifiziert.99 Nach dieser Ansicht gehört Art. 36 ZPI mithin zu den wenigen rechtserzeugenden Regelungen des ZPI. Vereinzelt wird in der Literatur jedoch die Auffassung vertreten, Art. 36 ZPI kodifiziere lediglich eine bereits zuvor bestehende völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung.100 Zur Substantiierung der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Pflicht zur Vorabkontrolle wird auf die Einführung eines Überprüfungsmechanismus durch Schweden vor Inkrafttreten des ZPI und die USA als Nichtvertragspartei verwiesen.101 Dieses Argument überzeugt jedoch nicht. Denn die Ansicht verkennt die Anforderungen, die an die Entstehung einer Norm des Völkergewohnheitsrechts zu stellen sind. Nach der die traditionelle Zwei-Elemente-Lehre 102 reflektierenden und vom IGH in ständiger Rechtsprechung anerkannten103 Legaldefinition des Art. 38 (1) lit. b des IGH Statuts ist Völkergewohnheitsrecht Ausdruck einer von Rechtsüberzeugung getragenen allgemeinen Staatenübung. Mithin setzt die Entstehung einer Norm des Völkergewohnheitsrechts konstitutiv das Vorliegen dieser zwei Elemente voraus. Dem objektiven Element der Staatenpraxis muss dabei, um konstitutiv zur Herausbildung einer Norm des Völkergewohnheitsrechtes beizutragen, eine ge99
Fry, S. 470; Bothe/Partsch/Solf, S. 199. Blake/Imburgia, S. 164; Parks (2005), S. 57; Todd, S. 80. 101 Blake/Imburgia, S. 164. 102 Thirlway, in: Evans, S. 122. 103 IGH, Asylum, S. 276; IGH, North Sea Continental Shelf, S. 43; IGH, Nicaragua Case, S. 97. 100
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
wisse Dauer, Einheitlichkeit und Verbreitung zukommen.104 In Bezug auf die hier in Rede stehende Pflicht zur Vorabkontrolle neuer Mittel und Methoden der Kriegführung fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Verbreitung der Übung. Wenngleich das Element der Verbreitung relativer Natur ist und sich das erforderliche Maß der Universalität mithin nicht abstrakt-generell bestimmen lässt, sondern vielmehr von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig ist,105 ist laut IGH der erforderliche Grad an Universalität jedenfalls dann erreicht, wenn die Übung das Verhalten all derjenigen Staaten umfasst, die sich an ihr beteiligen können oder deren Interessen berührt sind106. Die Praxis der USA und Schwedens ist mithin trotz der bestehenden Schwierigkeiten bei der genauen Bestimmung des erforderlichen Grades der Verbreitung in jedem Fall nicht ausreichend, um als allgemeine Übung im Sinne des Völkergewohnheitsrechts qualifiziert zu werden. Folglich stellt Art. 36 ZPI keine bloße Kodifikation einer bereits zuvor bestehenden Regel des Völkergewohnheitsrechtes dar. Vielmehr ist die Pflicht zur Vorabkontrolle neuer Mittel und Methoden der Kriegführung erst durch die Aufnahme in Art. 36 ZPI ausschließlich auf vertraglicher Ebene zur Entstehung gelangt. Auch nach Inkrafttreten des ZPI hat sich eine völkergewohnheitsrechtliche Entsprechung der Pflicht zur Vorabkontroller neuer Mittel und Methoden der Kriegführung nicht herausgebildet. Wenngleich durch den IGH in den Nordseefestlandsockel-Fällen anerkannt107 wurde, dass sich eine Regel des Völkergewohnheitsrechts auch aus einer vertraglichen Regelung herausbilden kann, fehlt es in Bezug auf die hier diskutierte Pflicht zur Vorabkontrolle neuer Mittel und Methoden der Kriegführung an der dafür notwendigen Staatenpraxis der erforderlichen Einheitlichkeit, Dauer und Verbreitung. Denn es kommt verschärfend hinzu, dass in dieser Konstellation als Übung im Sinne des Völkergewohnheitsrechts nur die mit der vertraglichen Pflicht korrespondierende Praxis vertragsfremder Staaten heranzuziehen ist.108 Weil jedoch einzig die USA als Nichtvertragspartei einen nationalen Überprüfungsmechanismus eingeführt haben, fehlt es an einer mit Art. 36 ZPI korrespondierenden Staatenpraxis mit der erforderlichen Verbreitung. Folglich ist zu konstatieren, dass dem Völkergewohnheitsrecht eine Pflicht zur Vorabkontrolle neuer Mittel und Methoden der Kriegführung nicht entnommen werden kann.
104
Aust (2005), S. 7. Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 216. 106 IGH, North Sea Continental Shelf, S. 43. 107 IGH, North Sea Continental Shelf, S. 42. 108 IGH, North Sea Continental Shelf, S. 44; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, S. 220; Thirlway, in: Evans, S. 132. 105
G. Zwischenergebnis
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II. Zur Frage einer Pflicht zur Vorabkontrolle aus dem Grundsatz von Treu und Glauben Nach Auffassung des ICRC sind Nichtvertragsparteien auch ohne eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Art. 36 ZPI zur Durchführung von Vorabkontrollen verpflichtet. Zur Begründung führt das ICRC Folgendes aus: „It flows logically from the truism that States are prohibited from using illegal weapons, means and methods of warfare or from using weapons, means and methods of warfare in an illegal manner. The faithful and responsible application of its international law obligations would require a State to ensure that the new weapons, means and methods of warfare it develops or acquires will not violate this obligations.“ 109
Die Ansicht des ICRC vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn die vom ICRC in Bezug genommene Pflicht der Nichtvertragsparteien erschöpft sich darin, Mittel und Methoden der Kriegführung in rechtmäßiger Weise einzusetzen. Mithin begründen die einschlägigen Vorschriften betreffend den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung lediglich eine Ergebnispflicht. Im Gegensatz dazu begründet Art. 36 ZPI mit der Pflicht zur Durchführung von Vorabrechtmäßigkeitsprüfungen eine dem Einsatz vorgelagerte Handlungspflicht. Würden die einschlägigen Regelungen bereits eine Prüfungspflicht begründen, wäre Art. 36 ZPI obsolet. Folglich kann den einschlägigen Regelungen betreffend den Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung in Verbindung mit dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Pflicht zur Durchführung von Vorabrechtmäßigkeitskontrollen nicht entnommen werden. Folglich ist zu konstatieren, dass Nichtvertragsparteien nicht zur Durchführung von Vorabrechtmäßigkeitsprüfungen verpflichtet sind.
G. Zwischenergebnis Die vorangegangenen Ausführungen haben aufgezeigt, dass die geringe Umsetzung der in Art. 36 ZPI statuierten Prüfungspflicht keinen Einfluss auf deren rechtliche Verbindlichkeit hat. Überdies wurde dargelegt, dass aufgrund der Zielsetzung des Art. 36 ZPI, die darin liegt, sicherzustellen, dass neue Mittel und Methoden der Kriegführung in rechtmäßiger Weise am Maßstab des durch Art.36 ZPI vorgegebenen Rechtsrahmens eingesetzt werden, der Begriff des Mittels der Kriegführung einer telelogischen Reduktion in der Art zuzuführen ist, dass nur solche Mittel der Kriegführung von der Prüfungspflicht mitumfasst sind, deren Einsatz nicht als kriegsvölkerrechtlich neutral einzuordnen ist. Weil autonome UACVs als waffenvermittelnde Vehikel, insbesondere wegen ihrer Autonomie in Bezug auf die Zielauswahl und Angriffsentscheidung, durch eine symbiotische Verbindung mit den beigeführten Wirkmitteln charakterisiert sind, kommt ihrem 109
ICRC, Legal Review Guide, S. 4.
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Kap. 4: Vorabrechtmäßigkeitsprüfung neuer Mittel der Kriegführung
Einsatz wegen ihres signifikanten Einflusses auf den Wirkmitteleinsatz die für eine Subsumtion unter den reduzierten Begriff des Mittels der Kriegführung erforderliche rechtliche Relevanz zu. Da autonome UACVs bisher keiner Vertragspartei zur Verfügung stehen, sind sie zudem auch trotz der Relativität der in Art. 36 ZPI geforderten Neueigenschaft als neu zu qualifizieren. Fernerhin sind die in Art. 36 ZPI aufgeführten Prüfungszeitpunkte teleologisch in der Art zu reduzieren, dass eine Prüfungspflicht nur dann geboten ist, wenn die Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung mit dem Ziel eines späteren Einsatzes durchgeführt wird. Zudem ist wegen des aus der Telos-Auslegungsmethode abzuleitenden Effektivitätsgrundsatzes, demzufolge eine völkerrechtliche Norm derart auszulegen ist, dass deren Regelungsziel bestmöglich erreicht werden kann, die Prüfungspflicht auf alle diejenigen – auch missbräuchlichen und nicht intendierten – Verwendungsweisen auszudehnen, die zum Zeitpunkt der Durchführung der Rechtmäßigkeitsprüfung vernünftiger Weise vorhersehbar sind. Ebenfalls konnte nachgewiesen werden, dass der Prüfungsmaßstab nur solche Regelungen umfasst, die im Kontext internationaler bewaffneter Konflikte anwendbar sind. Zudem ist eine Regelung nur dann heranzuziehen, wenn deren Berücksichtigung in Bezug auf den konkreten Untersuchungsgegenstand im Einzelfall zu einem abstrakten materiellen Erkenntnismehrwert in Bezug auf die Frage führt, ob ein Einsatz des Untersuchungsgegenstandes stets oder unter bestimmten Umständen rechtswidrig ist. Zu diesen Vorschriften gehört in Bezug auf den Einsatz autonomer UACVs der Unterscheidungsgrundsatz und das Verbot nichtdiskriminierender Angriffe. Überdies wurde aufgezeigt, dass dem Art. 36 ZPI keine detaillierten Anforderungen an das der Prüfung zugrunde zu legende Verfahren zu entnehmen ist. Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass das Verfahren dazu geeignet ist, die geforderte Prüfung effektiv durchzuführen. Allerdings trifft die Pflicht zur Vorabkontrolle nur die Vertragsparteien des ZPI.
Kapitel 5
Technische Limitierungen autonomer Systeme nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Einsatz autonomer UACVs in rechtskonformer Weise am Maßstab des aufgezeigten Rechtsrahmens erfolgen kann und welcher Autonomiegrad solchen Systemen implementiert werden darf, hängt zunächst in ganz erheblichem Maße von den technischen Fähigkeiten und dabei insbesondere der Fähigkeit zur Unterscheidung und zur Umsetzung des Exzessverbotes ab.1 So ist die Ausstattung autonomer UACVs mit den präzisesten Waffen im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts bedeutungslos, wenn das waffenvermittelnde Vehikel technisch nicht in der Lage ist, ein legitimes Angriffsziel für den Wirkmitteleinsatz auszuwählen. Ob und inwieweit autonome Systeme nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand technisch dazu in der Lage sind, ohne menschliches Eingreifen zwischen legitimen und illegitimen Zielen zu unterscheiden und zu ermitteln, ob der aus einem Angriff auf ein militärisches Ziel erwartungsgemäß resultierende Kollateralschaden in einem exzessiven Verhältnis zu dem zu erwartenden militärischen Vorteil steht, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein.
A. Arkins Konzept eines Ethical Governors Insbesondere2 Arkin, einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Robotik, ist der Überzeugung, dass es in der Zukunft möglich sein wird, vollautonome Systeme zu konstruieren, die mittels eines sogenannten Ethical Governors das Recht des bewaffneten Konflikts sogar besser befolgen können als von Menschen kontrollierte Systeme. Im Wesentlichen substantiiert Arkin seine These mit den Argumenten, dass Computersystemen keine emotionsbedingten (Angst/Stress/ Wut/Rache/Unkonzentriertheit) Fehlentscheidungen unterlaufen können, sie sich problemlos selbst opfern können und weitaus mehr Informationen als Menschen in Echtzeit verarbeiten können.3 Das von Arkin vorgelegte Konzept basiert auf 1
Wagner (2012), S. 20. Die Möglichkeit der Entwicklung militärischer vollautonomer Systeme im Sinne einer echten künstlichen Intelligenz jedenfalls nicht gänzlich ausschließend auch: Bekey, S. 510. 3 Arkin (2010), S. 338. 2
244
Kap. 5: Technische Limitierungen autonomer Systeme
einer Abfolge von binärischen „Yes–No“-Befehlszeilen.4 Die Software erlaubt dem System eine Feuerfreigabe nur dann, wenn es sich bei dem Angriffsziel nach Auswertung der verfügbaren Informationen um ein legitimes militärisches Ziel handelt und der geplante Angriff nach dem Stand der verfügbaren Informationen nicht zu exzessiven zivilen Kollateralschäden führen wird.5 Der Ethical Governor stellt dem System mithin zwei Fragen. Erstens, handelt es sich um ein militärisches Ziel und zweitens, sind keine exzessiven zivilen Kollateralschäden zu erwarten. Beantwortet das System auch nur eine der beiden Fragen mit „Nein“, so wird die Feuerfreigabe durch die Software verweigert. Die Funktionsweise des Ethical Governors verdeutlich jedoch, dass das Konzept auf der Prämisse basiert, dass autonome Systeme überhaupt in der Lage sind, die durch die Software gestellten Fragen im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts korrekt zu beantworten. Für sich genommen vermag Arkins Konzept die hier diskutierte Frage, ob und inwieweit autonome UACVs technisch dazu in der Lage sind, autonom zwischen militärischen Zielen und geschützten Personen und Objekten zu unterscheiden und die Exzessivität drohenden zivilen Kollateralschadens zu ermitteln, indes nicht zu beantworten. Der Ethical Governors stellt vielmehr lediglich den notwendigen Softwarelink zwischen jenen Fähigkeiten und ihrer Umsetzung im Einsatz dar.
B. Fähigkeit autonomer Systeme zur Unterscheidung Der Unterscheidungsgrundsatz sowie das Verbot unterschiedsloser Angriffe und die Vorschriften zur Vornahme bestimmter damit korrespondierender Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff setzen die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen voraus. Die Fähigkeit zur Unterscheidung setzt daher notwendig die Fähigkeit zur Zielidentifikation, d. h. zur Einordung von Personen und Objekten in die Kategorie des legitimen militärischen Zieles, voraus. Die Fähigkeit zur Unterscheidung autonomer Systeme hängt mithin wesentlich davon ab, ob sich die dafür maßgeblichen Regelungen in ein digitales für autonome Computersysteme verständliches Format umsetzen lassen.6 I. Fähigkeit zur personenbezogenen Unterscheidung Die technischen Fähigkeiten computergestützter Sensorsysteme sind in den letzten Jahren signifikant gestiegen. Aktuell erhältliche Systeme verfügen bereits über hochauflösende Videokameras und multispektrale Sensoren.7 Diese sensori4 5 6 7
Arkin (2009), S. 127 ff. Arkin (2009), S. 185 ff. Wagner (2012), S. 13. Dickow/Linnenkamp, S. 5; Bar-Cohen/Hanson, S. 67.
B. Fähigkeit autonomer Systeme zur Unterscheidung
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schen Fähigkeiten computergestützter Systeme ermöglichen schon heute eine Echtzeitüberwachung des Kampfgebietes.8 Laut Singer sind Computersysteme daher zum Beispiel bereits derzeit technisch dazu in der Lage, einen Menschen über eine Entfernung von einem Kilometer zu erkennen und festzustellen, ob er bewaffnet ist und anhand der Wärmesignatur der Waffe festzustellen, ob diese kürzlich abgefeuert wurde.9 Der mit einem Daewoo K3 5,56 mm Maschinengewehr bestückter und mit einem autonomen Modus ausgestatteter festmontierter Samsung Techwin SGR-A1 Sentry Guard Robot kann durch den Einsatz von Infrarot- und Restlichtkameras Ziele in einer Entfernung von vier Kilometer bei Tageslicht und bis zu 2 Kilometer bei Nacht erkennen.10 Der zusätzliche Einsatz von einer Erkennungssoftware ermöglicht es dem System Menschen von Tieren zu unterscheiden.11 Gleichwohl sind autonome Systeme nach einhelliger Expertenauffassung derzeit und wohl auch auf absehbare Zeit hin technisch nicht dazu in der Lage, zwischen Kombattanten und Zivilpersonen zu unterscheiden.12 Laut Sharkey existieren schlicht „no visual or sensing systems up (to) that challenge“. 13 Selbst Arkin räumt ein, dass die Umsetzung seines Konzepts eines Ethical Governors zunächst die Überwindung derzeit existierender erheblicher technischer Unzulänglichkeiten von Computersystemen bedarf.14 Ein Vorhaben, welches er selbst als „clearly (. . .) not a short term research agenda“ bezeichnet.15 Unabhängig davon, ob das von Arkin vorgelegte Konzept16 eines Ethical Governors überhaupt ein taugliches Mittel zur Umsetzung des Rechts des bewaffneten Konflikts darstellt17, besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass es gegenwärtig und auch in nächster Zukunft nicht möglich sein wird, die vom Recht des internationalen bewaffneten Konflikts vorgegebenen Definitionen von Zivilpersonen und Kombattanten in für Computersysteme verständliche Algorithmen umzuwandeln.18 Dazu fehle es an technisch entsprechend hochentwickelten und verlässlichen Systemen 8
Kerr/Szilagyi, S. 7. Singer, S. 79. 10 s. Global Security, Samsung Techwin SGR-A1. 11 s. Global Security, Samsung Techwin SGR-A1. 12 Sharkey (2011), S. 1; Sharkey (2008), S. 87 ff.; Sharkey (2009), S. 27; Singer, S. 79; Altmann, in: Capurro/Nagenborg, S. 76; Sofge, S. 59, 60; McDaniel, S. 15, 77; Guetelein, S. 11; Kerr/Szilagyi, S. 26; Sparrow (2009), S. 180; Sparrow, in: Wolfendale/ Tripodi, S. 127; Sauer/Schörning, S. 374; Zwanenburg/Hosang/Wijngaards, S. 7. 13 Sharkey (2009), S. 27. 14 Arkin (2010), S. 338; Arkin (2009), S. 29. 15 Arkin (2009), S. 46. 16 s. dazu: Arkin (2009), S. 127 ff. 17 Kritisch: Matthias, S. 2 ff.; Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 27. 18 Sharkey (2011), S. 1; Sharkey (2009), S. 27; Sharkey (2008), S. 86–89; Arkin (2010), S. 338. 9
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Kap. 5: Technische Limitierungen autonomer Systeme
zur qualitativen rechtlichen Auswertung der gesammelten visuellen Daten.19 Nach Auffassung der Experten erschöpft sich die Fähigkeit autonomer Systeme daher auch in absehbarer Zeit darin, objektive Analysen durchzuführen.20 Daraus folgt, dass es für autonome Systeme nicht möglich ist, festzustellen, ob zum Beispiel der Träger einer Waffe eine Zivilperson oder ein Kombattant ist.21 Selbst wenn eine für Computersysteme verständliche Definition von Kombattanten oder Zivilpersonen existierte und diese auch anhand der gesammelten visuellen Daten mit den tatsächlichen Gegebenheiten abgeglichen werden könnten, fehlt es nach Auffassung der Experten darüber hinaus an den technischen Möglichkeiten, das System in die Lage zu versetzen autonom zu erkennen, ob eine Zivilperson direkt an den Feindseligkeiten teilnimmt und mithin den Schutz vor direkten Angriffen verliert oder, ob ein Kombattant hors de combat ist und daher nicht mehr angegriffen werden kann.22 Denn die Feststellung des Verlustes oder der Erlangung eines geschützten Status erfordert die Durchführung einer kontextsensitiven qualitativen Analyse zu der Computersysteme derzeit und auch in absehbarer Zeit nicht in der Lage sind.23 Die genannten technischen Unzulänglichkeiten zur völkerrechtsadäquaten Zielidentifizierung werden als fehlende Situational Awareness autonomer Systeme begrifflich zusammengefasst.24 Der Begriff der Situational Awareness ist definiert als „the perception of elements in the environment within a volume of time and space, the comprehension of their meaning, and the projection of their status in the future“.25 Die aus den technischen Unzulänglichkeiten resultierende fehelende hinreichende Situational Awareness autonomer Systeme verdeutlicht auch die Funktionsweise des eingangs erwähnten Samsung SGR-A1 Sentry Guard Robot. Wenngleich das System in der Lage ist, Menschen von Tieren zu unterscheiden, kann es nicht autonom erkennen, ob es sich um einen Kombattanten oder um eine Zivilperson handelt. Vielmehr qualifiziert das System jeden Menschen als potentiell feindlichen Eindringling in den von dem Roboter zu schützenden Bereich.26 Die Angriffsentscheidung des Systems basiert daher auf einer vorab einprogrammierten festen Abfolge von Identifizierungsmaßnahmen unter Zuhilfenahme von Stimmerkennungssoftware sowie Mikrofonen, Lautsprechern und einer Videoerkennungssoftware.27 Zunächst fordert das System über Lautsprecher mittels einer 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Dickow/Linnenkamp, S. 5. Wagner (2012), S. 21. Sharkey (2009), S. 27; McDaniel, S. 77. Altmann, in: Capurro/Nagenborg, S. 76; Sharkey (2011), S. 1; Kerr/Szilagyi, S. 27. Sharkey (2011), S. 1; Wagner (2012), S. 22. Arkin (2009), S. 119. Endsley, S. 36. Global Security, Samsung Techwin SGR-A1. Global Security, Samsung Techwin SGR-A1.
B. Fähigkeit autonomer Systeme zur Unterscheidung
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vorab aufgenommenen Aufnahme das erfasste Ziel auf, seine Zugangsberechtigung in den von dem Roboter beschützten Bereich durch Aussprechen eines gültigen Zugangscodes nachzuweisen.28 Wenn das Ziel seine Zugangsberechtigung stimmlich nicht in einer durch die Stimmerkennungssoftware des Systems verständlichen Weise nachweisen kann, wird das Ziel als feindlich eingestuft.29 Danach fordert das System die Person auf, die Hände zu heben, um sich zu ergeben. Die in dem System verbaute Erkennungssoftware ist in der Lage, die angeforderte Geste eines Menschen mit erhobenen Händen zu erkennen.30 Kann das System diese vorab einprogrammierte Geste nicht erkennen, kann das System je nach Programmierung entweder Alarm geben oder auch autonom wahlweise mit Gummigeschossen oder scharfer Munition das Ziel bekämpfen.31 Die skeptische Haltung der Experten bestätigt sich vor dem Hintergrund des dargelegten komplexen Regelungswerkes insbesondere im Hinblick auf Personen. Denn die Frage, ob eine Person ein Kombattant oder eine Zivilperson ist, hängt von Faktoren ab, die einer visuellen Wahrnehmung grundsätzlich nicht zugänglich sind. Denn die Kombattanteneigenschaft ergibt sich gem. Art. 43 (2) ZPI allein aus der Zugehörigkeit einer Person zu den Streitkräften einer am Konflikt beteiligten Partei. Die Zugehörigkeit zu den Streitkräften richtet sich wiederum allein nach dem nationalen Recht der jeweiligen Vertragspartei.32 Die Pflicht eines Kombattanten sich gemäß Art. 44 (3) 1 ZPI zur Gewährleistung einer Operabilität des Unterscheidungsgrundsatzes äußerlich33 von der Zivilbevölkerung zu unterscheiden ist gerade kein Definitionsmerkmal. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass die Unterscheidungspflicht ausweislich des Normenwortlauts nur in dem Zeitraum besteht in dem sich der Kombattant an einem Angriff oder an einer Kriegshandlung zur Vorbereitung eines Angriffes beteiligt. Eine Verletzung der Unterscheidungspflicht führt unter den engen Voraussetzungen des Art. 43 (3) 2 ZPI34 lediglich dazu, dass der Kombattant seinen privilegierten Status verwirkt.35 Zudem ist es Zivilpersonen unter dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts nicht untersagt, Waffen oder eine Uniform offen zu tragen. Das 28
Global Security, Samsung Techwin SGR-A1. Global Security, Samsung Techwin SGR-A1. 30 Global Security, Samsung Techwin SGR-A1. 31 Global Security, Samsung Techwin SGR-A1. 32 ICRC, DPH Interpretive Guidance, S. 25. 33 Sandoz/Swinarski/Zimmermann nennen beispielhaft das offene Tragen einer Uniform oder einer Waffe: Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 527, 528. 34 s. Normenwortlaut Art. 44 (3) 2 ZPI: „Recognizing, however, that there are situations in armed conflicts where, owing to the nature of the hostilities an armed combatant cannot so distinguish himself, he shall retain his status as a combatant, provided that, in such situations, he carries his arms openly: (a) during each military engagement, and (b) during such time as he is visible to the adversary while he is engaged in a military deployment preceding the launching of an attack in which he is to participate.“ 35 Bothe/Partsch/Solf, S. 249. 29
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Kap. 5: Technische Limitierungen autonomer Systeme
bloße Tragen einer Uniform oder das offene Tragen einer Waffe sind folglich keine hinreichenden Indizien dafür, dass es sich bei der fraglichen Person um einen Kombattanten und mithin grundsätzlich um ein legitimes militärisches Ziel handelt. Auch die nach Auffassung der Experten bestehende Unmöglichkeit einer autonomen softwarebasierten Feststellung, ob ein Kombattant nach Maßgabe des Art. 41 ZPI und Art. 23 (c) HLKO hors de combat ist und infolge dessen nicht angegriffen werden darf, wird im Lichte der genannten einschlägigen Regelungen bestätigt. Das genannte Beispiel des Samsung Techwin SGR-A1 Sentry Guard Robot verdeutlicht, dass die Fähigkeiten verfügbarer Erkennungssoftware insoweit sehr limitiert sind, als dass sie nur das eindeutige Heben beider Arme als Ausdruck des Willens zur unmissverständlichen Aufgabe verstehen können. Dies genügt den Anforderungen des Rechts des bewaffneten Konflikts jedoch nicht. Denn das Heben beider Arme ist nur eine, nicht jedoch die einzige Möglichkeit gemäß Art. 41 (2) (b) ZPI unmissverständlich seine Absicht zu bekunden, sich ergeben zu wollen. Obschon es noch weitere anerkannte und teilweise wohl auch für Computersysteme visuell erfassbare Verhaltensweisen gibt, aus denen diese Absicht klar erkennbar wird – wie etwa das Niederlegen der Waffen sowie das Schwingen einer weißen Flagge – gibt es unter dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts keine strikten abschließenden Aufgabeformalitäten.36 Daraus folgt im Einzelfall die Notwendigkeit einer menschlichen Wertung zur der autonome Systeme nach Auffassung der Experten nicht in der Lage sind. Die Schwierigkeit einer computergestützten autonomen Entscheidung darüber, ob eine Zivilperson direkt an den Feindseligkeiten teilnimmt, erklärt sich vor dem Hintergrund der in dem betreffenden Kapitel dargelegten rechtlichen aber auch rein praktischen Schwierigkeiten. Insbesondere das Kriterium des Belligerent Nexus aber auch das Kausalitätserfordernis erfordern menschliche Wertungen zu denen Computersysteme – wie dargelegt – schlicht nicht in der Lage sind.37 Folglich ist zu konstatieren, dass Computersystemen zwar die Fähigkeit zur kognitiven Identifizierung von Menschen zukommt, sie aber auch in näherer Zukunft nicht in der Lage sein werden, vollautonom das visuell erkannte menschliche Ziel qualitativ im Lichte des Rechts des bewaffneten Konflikts in die Kategorie des militärischen Ziels einzuordnen. II. Fähigkeit zur objektbezogenen Unterscheidung In dem Bereich der Identifizierung von Objekten als legitime militärische Ziele ist die Technik geringfügig weiter fortgeschritten als in dem Bereich der 36 37
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 486, 487. Vgl. Kapitel 3 § 2.
B. Fähigkeit autonomer Systeme zur Unterscheidung
249
Verifizierung menschlicher Ziele.38 Moderne Marschflugkörper können schon heute mit Überschallgeschwindigkeit unter Zuhilfenahme von GPS und moderner Sensortechnik ihr Ziel über eine Distanz von bis zu 500 Kilometer selbstständig ansteuern und werden daher der Kategorie sogenannter „Fire and Forget“ Systeme zugeordnet.39 Gleichwohl sind Marschflugkörper technisch nicht dazu in der Lage, sich ihr Ziel selbsttätig auszuwählen. Vielmehr muss das Ziel vorab einprogrammiert werden.40 Die technischen Fähigkeiten von Marschflugkörpern erschöpfen sich mithin darin, dass vorab eingestellte Ziel autonom anzusteuern. Gleichwohl sind heutige Computersysteme technisch dazu in der Lage, anhand vorab einprogrammierter Charakteristika – wie etwa Größe, Form, Radar- und Wärmesignaturen – die militärische Natur bestimmter Angriffsziele zu verifizieren.41 Daher könnten autonome Systeme zum Beispiel vorab darauf programmiert werden, alle Vehikel, welche die Charakteristika eines Panzers aufweisen, zu zerstören.42 Die Fähigkeit zur autonomen objektbezogenen Unterscheidung besteht daher jedenfalls in Hinblick auf solche Objekte deren Eigenschaft als militärisches Ziel sich allein anhand objektiver Daten bestimmen lassen.43 Ein Beispiel für mit derartiger Technik ausgestatteter autonomer Systeme bildet das Phalanx Close-In Weapon System, welches heute auf praktisch jedem Kriegsschiff der U.S. Navy zur Abwehr von Flugkörpern eingesetzt wird.44 Nach Herstellerangaben ist das System in der Lage, sich seine Ziele durch den Einsatz von computergestützten Radar- und FLIR/AAVT- und Infrarotsystemen autonom auszuwählen und anzugreifen.45 Wie der USS Vincennes Zwischenfall aus dem Jahre 1988 belegt, sind diese Fähigkeiten zur Zielidentifikation und Zielverifizierung jedoch fehleranfällig. Beim dem Zwischenfall wurde aufgrund einer Fehlfunktion des Phalanx Systems im Zusammenspiel mit einer Reihe menschlicher Fehlentscheidungen ein mit 290 Zivilpersonen besetzter Airbus A300 einer Iranischen Fluggesellschaft durch das Phalanx System fälschlicherweise als feindliche F-14 identifiziert und infolgedessen abgeschossen.46 Überdies gilt es zu beachten, dass das System ausschließlich zur seegestützten Abwehr einfliegender Raketen und feindlicher militärischer Luftfahrzeuge eingesetzt wird.47 Derartige Kategorien militärischer Ziele lassen sich jedoch häufig allein anhand objektiver Daten bestimmen. So lässt sich beispielsweise die Iden38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
Wagner (2012), S. 21. s. Herstellerangaben: http://www.brahmos.com/content.php?id=10&sid=10. s. Global Security, Cruise Missile. Sparrow (2007), S. 63. Guetelein, S. 11. Wagner (2012), S. 21. Arkin (2009), S. 7. Raytheon, Phalanx (CIWS), Capabilities. s. BBC, US warship shoots down Iranian Airliner. Raytheon, Phalanx (CIWS), Capabilities.
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Kap. 5: Technische Limitierungen autonomer Systeme
tität militärischer Luftfahrzeuge in der Regel allein durch das Auslesen ihrer Infrarot-, Radar- oder Elektrosignaturen oder durch Auswertung ihrer Anzahl und Formation sowie ihrer Flughöhe, Geschwindigkeit und anderer Flugcharakteristika und unter Berücksichtigung der verfügbaren Informationen über den zivilen Luftverkehr ermitteln.48 Die Definitionselemente des wirksamen Beitrags zu militärischen Handlungen und der aus der Zerstörung des Objektes resultierende militärische Vorteil bedürfen bei derartigen Zielen mithin grundsätzlich keiner komplexen qualitativen Analyse durch das System. Bei anderen Zielen, deren militärische Natur sich nicht allein durch die Auswertung objektiver Daten ermitteln lassen, wirken die bereits dargelegten technischen Unzulänglichkeiten in dem Bereich der autonomen Durchführung qualitativer Analysen auch in dem Bereich der objektbezogenen Unterscheidung fort. Um eine vollautonome Feststellung des militärischen Charakters eines Objektes generell zu ermöglichen, müssten Computersysteme technisch in der Lage sein, die Legaldefinition aus Art. 52 (2) 2 ZPI zu verarbeiten. Dies setzt jedoch voraus, dass es technisch möglich ist, den wirksamen Beitrag eines Objekts zu militärischen Handlungen in jedem Einzelfall autonom zu ermitteln und zu bestimmen, ob und inwieweit die Zerstörung oder Beschädigung des Objektes unter den in dem betreffenden Zeitraum gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt.49 Die allgemein abstrakte Umsetzung dieser Legaldefinition in für Computersysteme verständliche Algorithmen ist jedoch nach vorherrschender Expertenauffassung derzeit nicht möglich.50 Insbesondere die prognosegestützte Ermittlung des wirksamen Beitrags eines Objektes zu militärischen Handlungen aufgrund seiner Zweckbestimmung oder seiner aktuellen Verwendung51 lässt sich nicht allein durch eine Auswertung objektiv messbarer Parameter – wie etwa dessen Dimensionierung – ermitteln. Zwar dürfte die Heuristik eines Panzers einzigartig und daher für Computersysteme zu ermitteln sein. Anders verhält es sich jedoch etwa mit militärisch genutzten Transportfahrzeugen. Denn häufig handelt es sich dabei um nur geringfügig abweichende Versionen ziviler Fahrzeugserien. Insbesondere die Bestimmung des aus der Zerstörung eines Objektes voraussichtlich resultierenden militärischen Vorteils bedarf regelmäßig der Vornahme einer qualitativen Wertung zu der autonome Systeme derzeit jedoch nicht in der Lage sind. Folglich ist zu konstatieren, dass die Fähigkeit zur vollautonomen objektbezogenen Unterscheidung auf bestimmte Arten militärischer Objekte beschränkt ist.52 48 s. ausführlich zu möglichen Identifikationsmaßnahmen: HPCR Commentary, S. 136 ff. 49 Zwanenburg/Hosang/Wijngaards, S. 7. 50 Singer, S. 79; Sharkey (2008), S. 87. 51 s. dazu ausführlich Kapitel 3 § 2. 52 Wagner (2012), S. 25.
C. Fähigkeit autonomer Systeme zur Umsetzung des Exzessverbots
251
C. Fähigkeit autonomer Systeme zur Umsetzung des Exzessverbots Das Exzessverbot stellt autonome Systeme vor noch größere Schwierigkeiten als die Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes.53 Wie die entsprechenden Ausführungen in dem einschlägigen Kapitel aufgezeigt haben, bedarf die Anwendung des Exzessverbots einer Verhältnisermittlung zwischen ungleichen Werten, nämlich dem erwartungsgemäß aus einem Angriff resultierenden konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil einerseits und dem zu erwartenden Kollateralschaden andererseits. Es wurde ebenfalls aufgezeigt, dass sich dieses Verhältnis nicht mathematisch ermitteln lässt, sondern dass die Ermittlung in einer Vielzahl von Fällen einer einzelfallabhängigen menschlichen Wertung bedarf.54 Nach Auffassung von Gillespie und West „clearly highlights“ das Exzessverbot daher „the difference between quantitative and qualitative decisions“.55 Laut Sharkey schlagen sich in dem Exzessverbot die technischen Defizite autonomer System in besonderem Maße nieder, da diese klare Spezifikationen benötigen um effektiv arbeiten zu können.56 Die in dem Exzessverbot verankerte Formulierung „excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated“ stellt keine solche für Computer verwertbare Spezifikation da, weil deren Umsetzung einer einzelfallbezogenen menschlichen Wertung bedarf.57 Aufgrund der fehlenden Fähigkeit zur Vornahme qualitativer Wertungen wird den Computersystemen der Gegenwart die Fähigkeit zur vollautonomen Berechnung exzessiven Kollateralschadens abgesprochen.58 Die autonome Fähigkeit zur abstrakt-generellen Durchführung der vom Exzessverbot geforderten Abwägung erfordert daher die Entwicklung künstlicher Intelligenzen, die zu einer Vornahme kontextabhängiger qualitativer Wertungen im Stande sind. Repräsentativ für die überwiegende Mehrheit59 der Stimmen aus der einschlägigen Literatur führt Altman zu dieser Problematik speziell im Kontext des Exzessverbots jedoch aus: „Such a capability of algorithms to judge on very complex, fast-varying situations at the human level is far from the present state of artificial intelligence and might not be achieved even after several de-
53
So auch Wagner (2012), S. 28. Vgl. Kapitel 3 § 4. 55 Gillespie/West, S. 13. 56 Sharkey, in: Dabringer, S. 45. 57 Sharkey (2009), S. 27. 58 Sharkey, in: Dabringer, S. 45; Sharkey (2011), S. 1; Sharkey (2009), S. 27; Sparrow, in: Dabringer, S. 99; Asaro, in: Dabringer, S. 116; Altmann, in: Capurro/Nagenborg, S. 76; McDaniel, S. 15; Sauer/Schörning, S. 374; Kerr/Szilagyi, S. 27. 59 Cohen/Hanson, S. 70; Ge/Lewis, S. 462; Sharkey, in: Dabringer, S. 45; Sparrow, in: Dabringer, S. 99; Asaro, in: Dabringer, S. 116; Sauer/Schörning, S. 374. 54
252
Kap. 5: Technische Limitierungen autonomer Systeme
cades.“ 60 Es ist somit zumindest fraglich, ob autonome Systeme jemals in der Lage sein werden, das Verhältnis des aus einem Angriff resultierenden Kollateralschadens zu dem militärischen Vorteil vollkommen autonom für jeden denkbaren Einzelfall zu ermitteln. Überdies wirken die dargelegten technischen Unzulänglichkeiten autonomer System in dem Bereich der Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Zielen unter dem Exzessverbot fort. Denn die von dem Exzessverbot geforderte Verhältnissetzung setzt die Bestimmbarkeit der abzuwägenden Faktoren voraus. Fehlt es jedoch an der Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Kombattanten sowie zwischen Zivilpersonen, die direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen und solchen die es nicht tun und zwischen zivilen und militärischen Objekten, kann der Abwägungsfaktor des Kollateralschadens ebenfalls nicht bestimmt werden. Mithin stellt die Unfähigkeit zur Unterscheidung bereits für sich genommen ein Hindernis für eine rechtskonforme Anwendung des Exzessverbotes dar.
D. Zwischenergebnis Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass sowohl im Bereich der Unterscheidung und dabei insbesondere auf personaler Ebene als auch im Rahmen des Exzessverbotes und dabei in besonderen Maße bei der Ermittlung des Verhältnisses zwischen dem aus einem Angriff voraussichtlich resultierenden Kollateralschaden und dem erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden militärischen Vorteil nicht unerhebliche technische Unzulänglichkeiten autonomer Systeme bestehen. Zutreffend und zugleich prägnant fasst Guetelein das Problem mit folgenden Worten zusammen: „Warfare is an art and not a science reducible to the sterile algorithmy of ones and zeros“.61 Laut Singer ist es schlicht nicht möglich, das Recht des bewaffneten Konflikts in Form von Befehlszeilen in einer Computersoftware festzuschreiben.62 Recht ist per definitionem auslegungsbedürftig und kann daher nicht generell abstrakt in für Computer verständliche Algorithmen umgewandelt werden.63 Zu Recht resümiert das britische Verteidigungsministerium daher: „Meeting the requirement for proportionality and distinction would be particularly problematic, as both of these areas are likely to contain elements of ambiguity requiring sophisticated judgment. Such problems are particularly difficult for a machine to solve and would likely require some form of artificial intelligence to be successful.“ 64
60 61 62 63 64
Altmann, in: Capurro/Nagenborg, S. 76. Guetelein, S. 16. Singer, S. 79. Sharkey (2008), S. 87. UK JDN 2/11, S. 5-4.
D. Zwischenergebnis
253
Vor dem Hintergrund, dass nach allgemeiner Expertenauffassung bereits die grundsätzliche Möglichkeit einer Entwicklung künstlicher Intelligenzen jedenfalls skeptisch hinterfragt wird65, erscheint es fraglich, ob es jemals autonome Systeme geben wird, welche mithilfe eines Ethical Governors oder auf sonstige Weise generell abstrakt vollautonom zur Unterscheidung und Ermittlung der Exzessivität zivilen Kollateralschadens in der Lage sein werden. Daher werden die Ausführungen in dem nachfolgenden Kapitel auf dem dargelegten derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und mithin auf den aufgezeigten technischen Unzulänglichkeiten autonomer UACVs beruhen.
65
Altmann, in: Capurro/Nagenborg, S. 76.
Kapitel 6
Anforderungen an das Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts Die vorangegangenen Ausführungen haben dargelegt, welchen Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts der Einsatz autonomer UACVs unterliegt und über welche technischen Fähigkeiten sie derzeit und auf absehbare Zeit hin verfügen. Abschließend soll nunmehr untersucht werden, welche Anforderungen sich daraus an das Konstruktionsdesign ableiten lassen und welchen Beschränkungen der Einsatz autonomer UACVs unterworfen werden muss, um einen rechtskonformen Einsatz zu gewährleisten.
A. Autonomiebegriff Die Beantwortung dieser Frage ist untrennbar mit der Definition des Autonomiebegriffes verknüpft. Wie bereits in dem Einleitungskapitel dargelegt, wird der Arbeit eine Autonomiedefinition zugrunde gelegt, die der Definition des U.S. Verteidigungsministeriums entlehnt ist. I. Begriff der Vollautonomie Demgemäß bedeutet Vollautonomie, die Fähigkeit eines Systems nach erfolgter Aktivierung das Angriffsziel selbsttätig, das heißt ohne weitere menschliche Einflussnahme, auszuwählen und anzugreifen.1 Das Definitionselement der Entscheidungsfähigkeit nach erfolgter Aktivierung verdeutlicht, dass der Begriff der Vollautonomie die Möglichkeit der Vorabeingabe von Einsatzparametern durch den Menschen einschließt. Der der Untersuchung zugrunde gelegte Begriff der Vollautonomie ist mithin nicht derart eng gefasst, als dass nur solche Systeme von ihm umfasst sind, die im Sinne einer echten künstlichen Intelligenz völlig losgelöst von jeder menschlicher Vorgabe operieren können. Wie bereits darge-
1 DoD Directive 3000.09, Glossary, Part II Definitions: „A weapon system that, once activated, can select and engage targets without further intervention by a human operator.“
B. Vorteile eines hohen Autonomiegrades
255
legt2 ist jene Beschränkung notwendig, um der Arbeit die gebotene Praxisnähe und Praxisrelevanz zu verleihen und einen rein spekulativen Ansatz zu vermeiden. Denn derzeit plant kein Staat die Entwicklung derartiger Systeme. Selbst wenn die Entwicklung solcher Systeme in naher Zukunft technisch möglich wäre, würde ein Einsatz aus der Sicht eines militärischen Befehlshabers auch nicht sinnvoll sein. Denn der Einsatz von Systemen, die zur Vornahme echter von menschlichen Vorgaben vollständig unabhängiger eigener Entscheidungen fähig sind „is highly likely to introduce unpredictability in military operations“.3 Vollautonomie im Sinne des der Arbeit zugrunde gelegten Begriffsverständnisses ist mithin stets dann gegeben, wenn das System in Abgrenzung zu automatischen Systemen – die lediglich eine Reihe vorab festgelegter Arbeitsschritte befolgen4 – auf der Grundlage zuvor einprogrammierter Parameter selbsttätig und ohne weiteres menschliches Einschreiten über die Zielauswahl und den Angriff entscheiden kann. II. Begriff der Halbautonomie Halbautonomie ist in Abgrenzung zur Vollautonomie dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch nicht vollständig und unwiderruflich aus dem Funktionsablauf des Vehikels nach erfolgtem Start ausgeschlossen ist. Vielmehr sind halbautonome Systeme derart konstruiert, dass die autonom getroffene Zielauswahl durch menschliches Bedienpersonal aufgehoben und korrigiert werden kann und sie zu diesem Zweck einer fortwährenden menschlichen Überwachung unterliegen.5
B. Vorteile eines hohen Autonomiegrades Das Bestreben der Konstrukteure zukünftiger autonomer UACVs wird es sein, einen möglichst hohen Autonomiegrad in das System zu implementieren. Denn wie bereits in dem Einleitungskapitel dargelegt bietet ein hoher Autonomiegrad zumindest in der Theorie eine Vielzahl von Vorteilen. Diese sollen im Folgenden nochmals kurz dargelegt werden. Der Wegfall einer ständigen Rückkopplung des Systems an menschliches Bedienpersonal führt sowohl zu einer Reduktion der Einsatzkosten als auch zu einer geringeren Anfälligkeit des Systems für feindliche Störversuche. Gleichzeitig erhöht sich das Tempo zukünftiger militärischer Operationen was ultimativ zu der 2
s. Kapitel 1. Larkin, S. 48. 4 Gillespie/West, S. 2. 5 DoD Directive 3000.09, Glossary, Part II Definitions: „autonomous weapons system: This includes human-supervised autonomous weapon systems that are designed to allow human operators to override operation of the system, but can select and engage targets without further human input after activation.“ 3
256 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
Erlangung der aus militärischer Sicht so wichtigen „initiative on the battlefield“ führt.6 Zudem könnte das aktuell aufkommende Satellitenkapazitätsproblem7 abgeschwächt werden. Die aktuell bestehende ständige Rückkopplung des Systems an den Menschen erfordert eine ständige Signalübertragung zwischen der ferngelenkten Drohne und dem Bedienpersonal. Dies erfordert sehr hohe Datenübertragungskapazitäten. Je autonomer ein System agieren kann, desto geringer ist der für den Betrieb erforderliche Datenstrom. Krishnan resümiert daher aus militärischer Sicht zutreffend: „Leaving a man in the loop would be ,a performance and cost killer‘ when considering the employment of large numbers of unmanned systems.“ 8
Zudem könnten autonome UACVs aber auch den Schutz der Zivilbevölkerung besser gewährleisten als die aktuell eingesetzten ferngelenkten Modelle. Denn letztere sind dem Problem des sogenannten two-to-five-second-time-delay9 ausgesetzt. Durch diesem Begriff wird der Umstand beschrieben, dass die Reaktionsgeschwindigkeit auf Ereignisse im Kampfgebiet auf bis zu fünf Sekunden verzögert wird. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Übertragung der LifeFeed-Videosignale der Drohne via Satellit an das Bedienpersonal übertragen werden müssen und deren Steuerungssignale wiederum zurück an die Drohne übermittelt werden müssen. Jene Verzögerung kann im Einzelfall dazu führen, dass eine Veränderung der Zieleigenschaften nicht schnell genug erkannt wird, beziehungsweise darauf nicht schnell genug reagiert werden kann. Zudem führte eine Verringerung der menschlichen Einflussnahme auf den Funktionsablauf zu einer Abschwächung des aktuell diskutierten Problems der Reizüberflutung10 des Bedienpersonals. Die Vielzahl an Informationen, welche die ferngelenkten UACVs übermitteln, birgt die Gefahr einer Überforderung des Bedienpersonals in sich, die zu Fehlentscheidungen, jedenfalls aber zu einer weiteren Verzögerung der Operationsgeschwindigkeit, führen kann. Zudem könnten emotionsbedingte Fehlentscheidungen durch den Einsatz von Computersystemen minimiert beziehungsweise – je nach Autonomiegrad – gar vollkommen ausgeschlossen werden. Denn Computersysteme verspüren weder Angst noch Wut oder Frustration und leiden nicht unter dem psychologischen Problem des sogenannten Scenario-Fulfillment 11.12 Daher würde die Ausschöpfung des vollen militärischen aber auch des humanitären Potentials bewaffneter Drohnen durch eine verstärkte Herausnahme 6
Arkin (2010) S. 334; Schmitt/Thurnher, S. 236 f.; Kerr/Szilagyi, S. 7; Larkin, S. 2. Erwin, S. 1. 8 Krishnan, S. 106. 9 Abé, S. 1; Dickow/Linnenkamp, S. 1, 4. 10 McDaniel, S. 64. 11 Laut Arkin umschreibt der Begriff das psychologische Phänomen, dass Soldaten sich unter dem Stress des Einsatzes unbewusst weigern auf tatsächliche Abweichungen von der Einsatzplanung und trainierten Situationen zu reagieren: Arkin (2011), S. 334. 12 Kerr/Szilagyi, S. 7; Arkin (2010), S. 333. 7
D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme
257
des Menschen aus dem Funktionsablauf – jedenfalls in der Theorie – erst ermöglicht.13 Die vorgenannten Vorteile verringern sich naturgemäß spiegelbildlich je höher der Einfluss des Menschen auf den Funktionsablauf des Systems ist.
C. Technische Fähigkeiten derzeitiger autonomer Systeme Anderseits müssen jedoch auch die technischen Defizite autonomer Systeme berücksichtigt werden.14 Wie dargelegt sind autonome Systeme derzeit und auf absehbare Zeit hin technisch nicht dazu in der Lage, Exzessivitätsanalysen selbsttätig durchzuführen. Überdies können sie nur sehr eingeschränkt zwischen zulässigen militärischen und geschützten Zielen unterscheiden. Fernerhin mangelt es autonomen Systemen an der sogenannten Situational Awareness mit der Folge, dass sie nicht im hinreichenden Maße auf Veränderungen des vorab einprogrammierten Einsatzszenarios selbsttätig reagieren können.
D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme Dies wirft die Frage auf, ob jene technischen Defizite zu der grundlegenden Designentscheidung zwingen, die ständige Möglichkeit eines menschlichen Einschreitens in das Konstruktionsdesign autonomer UACVs zu implementieren oder ob es gleichwohl zulässig ist vollautonome Systeme zu konstruieren. I. Meinungsstand hinsichtlich der Zulässigkeit vollautonomer Systeme Die Zulässigkeit vollautonomer Systeme ist umstritten. Im Folgenden soll das zu dieser Frage vertretene Meinungsspektrum dargelegt werden. 1. Unzulässigkeit vollautonomer Systeme
Nach verbreiteter Ansicht sind Systeme, die vollautonom über den Einsatz bewaffneter Gewalt entscheiden, aufgrund ihrer technischen Defizite, insbesondere im Lichte des Unterscheidungsgrundsatzes und des Exzessverbotes generell völkerrechtlich unzulässig.15 Laut Human Rights Watch steht einer Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes entgegen, dass vollautonome Systeme den Unterschied zwischen Zivilper13
Guetelein, S. 15. s. dazu ausführlich Kapitel 5. 15 Larkin, S. 51; McDaniel, S. 44; Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 1. 14
258 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
sonen und Kombattanten nicht erkennen könnten.16 Darüber hinaus könne das Exzessverbot von vollautonomen Systemen nicht beachtet werden, weil dies die Fällung subjektiver Werturteile voraussetze, wozu Computersysteme jedoch nicht in der Lage seien.17 Fernerhin verletze der Einsatz vollautonomer Waffensysteme die Martens’sche Klausel18 und den Grundsatz militärischer Notwendigkeit19. Human Rights Watch resümiert daher, die Unfähigkeit vollautonomer Systeme zur Umsetzung der Grundprinzipien des Rechts des bewaffneten Konflikts „would erode legal protections and lead fully autonomous weapons to endanger civilians during armed conflict“. 20 Im Ergebnis plädiert Human Rights Watch gar für die Schaffung eines vertraglichen Entwicklungs- und Einsatzverbotes für vollautonome Drohnen.21 Wenngleich sich die übrigen Vertreter des kritischen Ansatzes jener Forderung bisher nicht angeschlossen haben, fordern sie zumindest, dass die ultimative Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Gewalt so lange durch einen Menschen getroffen werden muss, bis die bestehenden technischen Probleme hinsichtlich der Zielidentifizierung und der Durchführung einer Exzessivitätsanalyse überwunden sind. Laut Larkin, McDaniel und Klein muss zumindest eine Abbruchmöglichkeit für den Fall einer fehlerhaften Zielauswahl in autonome Systeme implementiert werden und die ganze Operation unter der ständigen „executive oversight“ eines menschlichen Operateurs stehen.22 Der Mensch darf nach dieser Ansicht mithin nicht vollständig aus der „kill-chain“ herausgenommen werden, sondern muss vielmehr zumindest „on the loop“ bleiben.23 2. Zulässigkeit vollautonomer Systeme
Die Gegenansicht vertritt hingegen die Auffassung, dass vollautonome Systeme nicht per se gegen das Recht des bewaffneten Konflikts verstoßen.24 Es komme für die Rechtmäßigkeit vollautonomer UACVs vielmehr auf die konkrete Art und Weise ihrer Verwendung an. Im Wesentlichen argumentieren die Vertreter dieser Ansicht damit, dass die technischen Unzulänglichkeiten vollautonomer Systeme in der Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes und des Exzessverbotes in bestimmten Einsatzszenarien nicht zum Tragen kommen, beziehungs16 17 18 19 20 21
Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 30. Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 33. Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 34. Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 35. Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 36. Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 2,
46. 22 23 24
Larkin, S. 51; McDaniel, S. 15, 44; Klein, S. 7. Larkin, S. 51. Schmitt/Thurnher, S. 263; Sauer/Schörnig, S. 375; Kastan, S. 57; Canning, S. 31.
D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme
259
weise, dass sie durch die Vorabeingabe bestimmter Einsatzparameter ausgeglichen werden können und mithin im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konfliktes unschädlich seien.25 Zu derartigen Einsatzszenarien gehören nach Ansicht einiger Autoren zum Beispiel Gefechtsfelder die keine Zivilpersonen oder zivile Objekte enthalten.26 Als typische Beispiele nennen Schmitt/Thurnher Angriffe auf Panzerformationen in weit entlegenen Wüstengebieten oder Angriffe auf hoher See in weiter Entfernung von maritimen Navigationsrouten.27 Weil in derartigen Szenarien eine Gefährdung von Zivilpersonen und zivilen Objekten nicht bestünde, könnten vollautonome Systeme trotz ihrer Unfähigkeit zur Unterscheidung und Umsetzung des Exzessverbotes völkerrechtskonform eingesetzt werden, weil jene mangelnden Fähigkeiten dann nicht gefordert wären. Schmitt/Thurnher sind überdies der Auffassung, dass das Exzessverbot, trotz der bestehenden technischen Probleme, die ultimativ dazu führten, dass die eigentliche Abwägungsentscheidung auch in naher Zukunft von Menschen getroffen werden müsse, einem rechtmäßigen Einsatz vollautonomer UACVs selbst dann nicht zwingend entgegenstehe, wenn sich Zivilpersonen und zivile Objekte in dem Einsatzgebiet befinden. Nach ihrer Ansicht könne der erforderliche menschliche Einfluss sichergestellt werden „by deciding to launch the system into a particular environment (or) by deciding on how to preprogram the system (. . .)“. 28 Insbesondere der Abwägungsfaktor des zu erwartenden zivilen Kollateralschadens könne unter Zuhilfenahme einer Software durch das System vollautonom bestimmt werden, da alle dafür relevanten Daten, wie etwa der Sprengradius der eingesetzten Waffe, die angewandte Angriffstaktik und die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von Zivilpersonen und zivilen Objekten, anhand objektiver Daten und wissenschaftlicher Algorithmen ermittelt werden könnten.29 Laut Canning und Kastan kann die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes vollautonomer Systeme auch in Einsatzgebieten gewährleistet werden, in denen sich Zivilpersonen aufhalten. Die Unfähigkeit zur Unterscheidung könne dadurch ausgeglichen werden, dass das System vorab darauf programmiert wird, keine Menschen sondern nur Objekte anzugreifen30 oder dadurch, dass menschliche Ziele nur verhaltensabhängig31 angegriffen werden dürfen. Letztere Variante, die Kastan mit dem Begriff der „conduct-based-targetability“ umschreibt, zielt darauf
25 26 27 28 29 30 31
Schmitt/Thurnher, S. Schmitt/Thurnher, S. Schmitt/Thurnher, S. Schmitt/Thurnher, S. Schmitt/Thurnher, S. Canning, S. 14. Kastan, S. 60.
238, 239, 242; Kastan, S. 57, 60, 61. 246; Kastan, S. 61. 246. 257. 255.
260 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
ab, das System darauf zu programmieren, menschliche Ziele im Kontext des sogenannten „dynamic targeting“ – d. h. in Situationen, in denen die Ziele nicht vorab durch den Menschen festgelegt wurden – nur dann anzugreifen, wenn diese ihre feindlichen Absichten zum Beispiel durch Beschuss des UACVs oder verbündeter Einheiten demonstriert haben.32 Das System müsste dann darauf programmiert werden, durch den Einsatz entsprechend hochentwickelter Sensoren, das abgefeuerte Projektil zu seinem Ursprung zurückverfolgen und nur das auf diese Weise identifizierte Ziel anzugreifen. Derartige Sensoren seien bereits verfügbar, so dass der Ansatz auch technisch umsetzbar sei.33 Eine weitere zulässige Einsatzmöglichkeit vollautonomer Systeme sieht Kastan in allen „deliberate targeting“ Missionen.34 Diese sind dadurch charakterisiert, dass der Angriff vollumfassend vorab geplant ist. Sowohl die Zielauswahl als auch sämtliche völkerrechtssensitive Angriffsmodalitäten werden vorab von menschlichen Befehlshabern im Lichte des Unterscheidungsgrundsatzes und des Exzessverbotes bestimmt.35 Bei Licht betrachtet würden daher die vom Recht des internationalen bewaffneten Konflikts geforderten Entscheidungen betreffend die Zielauswahl und Angriffsentscheidung dann nicht von dem vollautonomen System selbst sondern vorab von Menschen getroffen.36 In derartigen Szenarien beschränkte sich die Autonomie des Systems dann auf den völkerrechtsneutralen Zielanflug.37 II. Stellungnahme Die kritische Literaturansicht, welche für eine generelle Unzulässigkeit vollautonomer UACVs plädiert, vermag nicht zu überzeugen. Sie verkennt die Dichotomie, welche dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts hinsichtlich der rechtlichen Bewertung von Waffensystemen unterliegt. Das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts verlangt nicht, dass jedes Mittel der Kriegführung in jedem denkbaren Szenario in rechtmäßiger Art und Weise eingesetzt werden kann. Das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts unterscheidet vielmehr strikt zwischen solchen Waffensystemen, deren Einsatz aufgrund ihrer Natur per se unzulässig ist, und solchen, bei denen sich die Rechtmäßigkeit des Einsatzes nach ihrer jeweiligen Verwendung im konkreten Einzelfall richtet.38
32 33 34 35 36 37 38
Kastan, S. 60. Kastan, S. 60. Kastan, S. 57. Kastan, S. 57. Kastan, S. 57. Kastan, S. 57. Schmitt/Thurnher, S. 243.
D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme
261
1. Kein Verbot des Einsatzes vollautonomer UACVs per se im Rechtssinne
Die Rechtswidrigkeit des Einsatzes eines Mittels der Kriegführung per se bestimmt sich nach den Verbotsnormen aus Art. 35 (2), Art. 35 (3), Art. 51 (4) (b), Art. 51 (4) (c) und Art. 55 (1) 2 ZPI beziehungsweise deren völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechungen.39 Nur ein Verstoß gegen eines der genannten Verbote vermag die Rechtswidrigkeit eines Einsatzes per se zu begründen. Allerdings sind die Verbote aus Art. 35 (2) ZPI, Art. 35 (3) und Art. 51 (4) (c) sowie Art. 55 (1) 2 ZPI auf vollautonome UACVs bereits nicht anwendbar. Jenen Verbotsnormen ist gemein, dass sie an bestimmte Wirkungsweisen anknüpfen, die lediglich durch Waffen beziehungsweise Munition, nicht jedoch durch deren Trägersysteme verursacht werden können. In Bezug auf Art. 35 (2) ZPI folgt dies bereits aus dem Normenwortlaut, demzufolge nur der Einsatz von Waffen, Geschossen und Material verboten ist, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen. Bei vollautonomen Systemen handelt es sich jedoch – wie bereits in dem Kapitel zur Einordung des Untersuchungsgegenstandes in die Begrifflichkeiten des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts dargelegt – nicht um Waffen, sondern um Mittel der Krieg- und Kampfführung sowie der Schädigung des Feindes und um Angriffsmittel.40 Überdies folgt die Unanwendbarkeit der Norm daraus, dass die von der Norm in Bezug genommenen Verletzungen und Leiden ausschließlich durch Waffen bzw. deren Munition, als deren spezieller Unterfall, verursacht werden können.41 Entsprechend haben sich aus dem Grundgedanken der Verbotsnorm ausschließlich Waffenverbote oder Verbote von bestimmten Munitionstypen, wie etwa das Verbot von Dum-Dum-Geschossen, Geschossen mit – unter Röntgenstrahlung – nicht erkennbaren Plastik- oder Glassplittern oder von vergifteten Waffen, entwickelt.42 Die Verbotsnorm ist mithin für vollautonome UACVs bereits nicht anwendbar. Denn diese könnten lediglich als Trägersystem derartiger verbotener Waffen dienen. Dies gilt auch für das generelle Verbot aus Art. 35 (3) ZPI. Jene Norm verbietet generell den Einsatz von Mitteln der Kriegführung, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen. Auch das Verbot aus Art. 55 (1) 2 ZPI ist gleichsam nicht auf Trägersysteme anwendbar. Denn es mo39 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 37 ff., 143 ff.; Solis, S. 537; Schmitt/Thurnher, S. 244; Borrmann (2010), S. 270; zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung speziell im Luftkriegsrecht: HPCR Commentary, S. 88 ff. 40 s. Kapitel 2. 41 HPCR Commentary, S. 56. 42 Boothby, Weapons and the Law of Armed Conflict, S. 60, Sandoz et al., Commentary on the Additional Protocols, S. 404, Para. 1419.
262 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
difiziert das Verbot aus Art. 35 (2) ZPI lediglich dahingehend, dass die Umweltschädigung darüber hinaus die Gesundheit oder das Überleben der Bevölkerung gefährdet. Auch Art. 51 (4) (c) ZPI ist für den Einsatz autonomer UACVs ohne Bedeutung. Denn auch jene Verbotsnorm knüpft ausweislich ihres Wortlauts allein an die Wirkungsweisen von Kampfmitteln an. Die von der Norm in den Blick genommenen Wirkungen können jedoch allein durch Waffen oder Munition nicht jedoch durch deren Trägersysteme verursacht werden.43 Grundsätzlich anwendbar ist hingegen das Verbot aus Art. 51 (4) (b) ZPI. Demgemäß ist der Einsatz solcher Kampfmittel als unterschiedsloser Angriff per se verboten, die nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können und daher ihrer Natur nach militärische Ziele und Zivilpersonen und zivile Objekte unterschiedslos treffen können.44 Jene Vorschrift stellt das objektivierte Pendent zu dem Verbot aus Art. 51 (4) (a) ZPI dar, demzufolge Angriffe als unterschiedslos und mithin als verboten zu qualifizieren sind, die final nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden. Während der Anknüpfungspunkt für die unterschiedslose Natur des Angriffes bei dem letztgenannten Verbot in der Intention des Angreifers liegt, knüpft Art. 51 (4) (b) ZPI an die objektiv unterschiedslose Natur des Kampfmittels an. Ein in der einschlägigen Literatur häufig genanntes klassisches Beispiel unterschiedsloser Angriffsmittel stellen die im zweiten Weltkrieg durch die Wehrmacht eingesetzten V2 Raketen dar, die über kein adäquates Zielsuchsystem verfügten.45 Darüber hinaus unterfallen auch bestimmte blinde Minentypen dem Begriff nichtdiskriminierender Kampfmittel.46 Das Verbot erfasst die Pflicht zur Unterscheidung allerdings nur ausschnitthaft und ist mithin eng gefasst. Es verlangt nicht, dass eine Unterscheidungsfähigkeit im Hinblick auf alle Zielkategorien vorhanden ist. Dies folgt unmittelbar aus dem Normenwortlaut von Art. 51 (4) (b) ZPI – „Indiscriminate attacks are: (. . .) are of a nature to strike military objectives and civilians or civilian objects without distinction“ und der Artikelüberschrift – „Protection of the civilian Population“ – von Artikel 51 ZPI. Mithin ist die von dem Verbot geforderte Fähigkeit des eingesetzten Kampfmittels darauf begrenzt, zwischen militärischen Zielen und Zivilpersonen beziehungsweise zivilen Objekten zu unterscheiden. Auf die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen militärischen Zielen und anderen geschützten Personengruppen und Objekten kommt es daher im Kontext des Art. 51 (4) 43 s. Normenwortlaut: „those which employ a method or means of combat the effects of which cannot be limited as required by this Protocol“; zu den von der Norm erfassten Wirkungsweisen vgl. Kapitel 3 § 3. 44 Vgl. Normenwortlaut: „Indiscriminate attacks are: those which are nit directed at a specific military objective and consequently are (. . .) of a nature to strike military objectives and civilians or civilian objects without distinction.“ 45 Borrmann (2010), S. 272; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 621. 46 Bothe/Partsch/Solf, S. 305.
D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme
263
(b) ZPI nicht an. Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen kampffähigen Kombattanten und Kombattanten die hors de combat sind und zwischen militärischen Objekten und Objekten, die zwar nach der einschlägigen Definition militärischer Natur sind, aber wie zum Beispiel Kernkraftwerke aufgrund ihrer Gefährlichkeit für die Zivilbevölkerung gleichwohl Immunität vor direkten Angriffen genießen, ohne Bedeutung ist. Eine Fähigkeit zur vollumfänglichen Umsetzung der völkerrechtlichen Unterscheidungspflichten ist demnach im Kontext des Art. 51 (4) (b) ZPI nicht erforderlich. Im Lichte des Normenwortlauts ist es für das Verbot ebenfalls ohne Bedeutung, ob das fragliche Kampfmittel auf eine Veränderung der Natur des Angriffsziels nach erfolgtem Start reagieren kann. Denn das Verbot verlangt lediglich, dass ein Kampfmittel überhaupt gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet („directed“) werden kann. Darüber hinaus kommt es ausweislich des eindeutigen Normenwortlauts, der ausschließlich auf die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen militärischen Zielen und Zivilpersonen beziehungsweise zivilen Objekten abstellt, nicht darauf an, ob der Einsatz eines vollautonomen UACVs auch im Lichte des Exzessverbotes rechtmäßig sein kann. Maßgeblich ist allein, ob ein Kampfmittel überhaupt gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden kann. Vollautonome UACVs sind demgemäß nur dann als per se verbotenes unterschiedsloses Kampfmittel zu qualifizieren, wenn sie in keiner denkbaren Konstellation gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können und daher unterschiedsloser Natur sind.47 Wenngleich die technischen Defizite autonomer Systeme auf dem Gebiet der Unterscheidung zwischen militärischen Zielen und Zivilpersonen und zivilen Objekten – wie bereits dargelegt – erheblich sind, sind sie nicht derart stark ausgeprägt, dass sie überhaupt nicht gegen ein bestimmtes militärisches Ziel gerichtet werden können. So können sie jedenfalls objektbezogen zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten unterscheiden, wenn sich die militärische Natur eines Objektes allein anhand objektiver Daten, wie zum Beispiel Größe, Form, Radar-, Infrarot-, Elektro- oder Wärmesignatur, bestimmen lässt.48 Darüber hinaus kann ein vollautonomes UACV darauf programmiert werden, nur solche unbeweglichen Objekte anzugreifen, deren Eigenschaft als zulässiges militärisches Ziel bereits vorab durch den Planungsstab ermittelt wurde und deren Identifizierung durch das UACV im späteren Einsatz, zum Beispiel anhand von GPS-Daten, möglich ist. Folglich ist zu konstatieren, dass der Einsatz vollautonomer UACVs entgegen der kritischen Literaturansicht nicht per se verboten ist.
47 48
So auch Schmitt/Thurnher, S. 249. Wagner (2012), S. 21.
264 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs 2. Einsatzbeschränkungen: Kein Verbot des Einsatzes vollautonomer UACVs per se im faktischen Sinne
Weil das per se Verbot des Einsatzes bestimmter Kampfmittel im Rechtssinne auf die Fähigkeit zur Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatz beschränkt ist und diesen – wie dargelegt – auch nur ausschnitthaft erfasst, muss in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob ein Einsatz auch im Lichte des gesamten Spektrums der einschlägigen Normen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts möglich ist. Sollte dies aufgrund der technischen Unzulänglichkeiten vollautonomer Systeme nicht möglich sein, wäre ihr Einsatz zwar nicht im Rechtssinne per se verboten, gleichwohl aber im faktischen Sinne. Das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts statuiert – wie dargelegt – einen dreistufigen Test für die Rechtmäßigkeit eines Angriffes. Erstens muss das Angriffsziel militärischer Natur sein.49 Zweitens darf der Angriff auf ein legitimes militärisches Ziel nach dem zum Zeitpunkt der Angriffsentscheidung vorherrschenden Kenntnisstand voraussichtlich nicht zu zivilen Kollateralschäden führen, die in einem exzessiven Verhältnis zu dem erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.50 Drittens müssen im Lichte der Umstände des Einzelfalls gewisse aktive Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.51 Entgegen der Ansicht von Human Rights Watch gehören der Grundsatz militärischer Notwendigkeit sowie die Martens’sche Klausel nicht zu dem Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes vollautonomer UACVs. Dies wurde bereits in dem Kapitel zur Bestimmung des Rechtsrahmens der Untersuchung ausführlich erörtert, so dass insoweit auf die dortigen Ausführungen verwiesen wird.52 Zusammengefasst begründet der Grundsatz militärischer Notwendigkeit keinen eigenständigen Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes von Mitteln der Kriegführung53, da er ebenso wie der Grundsatz der Humanität dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts lediglich als tragende Erwägung zugrunde liegt und daher allenfalls im Rahmen einer teleologischen Auslegung zur Interpretation einer Norm herangezogen werden kann. Der Martens’schen Klausel kommt deswegen keine eigenständige materiell-rechtliche Bedeutung zu, weil ihr im Wesentlichen nur die Funktion als Erinnerung an die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht entnommen werden kann. Weil der dreistufige Angriffstest einer einzelfallbezogenen Betrachtung zugrunde zu legen ist verlangt das für den Einsatz vollautonomer UACVs anwend49 50 51 52 53
Zu den Einzelheiten: Kapitel 3 § 2 und 3 § 3. Zu den Einzelheiten: Kapitel 3 § 4. Zu den Einzelheiten: Kapitel 3 § 5. Zu den Einzelheiten: Kapitel 3 § 2 A. II. 3. und 3 § 6. So auch Schmitt/Thurnher, S. 258.
D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme
265
bare Recht des internationalen bewaffneten Konflikts nicht, dass sie in allen denkbaren Einsatzarten in zulässiger Weise eingesetzt werden können. Ausreichend aber auch erforderlich ist vielmehr, dass das System zumindest in einer denkbaren Einsatzart eingesetzt werden kann, ohne dass die Rechtmäßigkeit des Einsatzes vom bloßen Zufall abhängt. Nur wenn dies nicht möglich wäre, wäre ein Einsatz vollautonomer UACVs faktisch per se verboten und mithin ein Mechanismus in das Konstruktionsdesign zukünftiger autonomer UACVs zu implementieren, der es dem Menschen erlaubt, auf den Funktionsablauf des Systems Einfluss zu nehmen. a) Kritik an den Argumenten der Vertreter der Zulässigkeit eines Einsatzes vollautonomer UACVs Die Vertreter der Zulässigkeit des Einsatzes vollautonomer UACVs haben – wie dargelegt – verschiedene Szenarien und Beschränkungen vorgetragen, in denen der Einsatz vollautonomer UACVs den Anforderungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts genügen würde, weil die insoweit bestehenden technischen Defizite vollautonomer Systeme dann nicht zum Tragen kämen. Die genannten Restriktionen überzeugen für sich genommen bei einer isolierten Betrachtungsweise jedoch nicht. Keiner der dargelegten Ansätze vermag für sich genommen eine Rechtmäßigkeit des Einsatzes vollautonomer UACVs am Maßstab des dargelegten dreistufigen Testes für die Rechtmäßigkeit von Angriffen im hinreichenden Maße zu gewährleisten. Die von Kastan vorgenommene typologische Einschränkung der Einsatzart auf „deliberate targeting“ Missionen überzeugt für sich genommen nicht. Zwar sind in diesen Fällen alle im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts wesentlichen Entscheidungen bereits vorab durch den Planungsstab getroffen worden. Gleichwohl beseitigt der bloße Umstand, dass die Ziele sowie die Angriffsmodalitäten – etwa der Angriffswinkel, die Waffenwahl, die Angriffszeit – vorab unter Berücksichtigung des Unterscheidungsgrundsatzes und des Exzessverbotes festgelegt wurden, die technischen Defizite autonomer Systeme nicht im vollem Umfang. Denn die Umsetzbarkeit des „deliberate targeting“ setzt als Grundvoraussetzung zunächst voraus, dass die vorab einprogrammierten Angriffsziele durch das System im späteren Einsatz auch identifiziert werden können. Dies mag zwar in Hinblick auf statische Objekte, wie etwa Gebäude oder befestigte Geschützstellungen, zum Beispiel durch die Eingabe von GPS-Koordinaten technisch realisierbar sein, im Hinblick auf bewegliche Ziele ist die korrekte Identifizierung jedoch nur sehr eingeschränkt möglich. Denn diese können durch Computersysteme in Ermangelung einer Fähigkeit zu qualitativen Wertungen54 und mithin zur Umsetzung der Vorgaben des Rechts des internationalen 54
s. Kapitel 5.
266 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
bewaffneten Konflikts allenfalls in Bezug auf solche Objekte identifiziert werden, deren Eigenschaft als militärisches Ziel allein durch objektive Daten, wie etwa ihrer Größe, Form, Radar-, Infrarot-, Elektro- oder Wärmesignatur, ermittelt werden kann.55 Die Fähigkeit zur Unterscheidung derzeitiger Computersysteme fällt im Hinblick auf menschliche Ziele noch geringer aus56, so dass die von Kastan vorgeschlagene Einschränkung insoweit für sich genommen erst recht nicht die bestehenden technischen Defizite zu überwinden vermag. Überdies gilt es zu berücksichtigen, dass sich die Einsatzbedingungen nach erfolgter Parametereingabe im zeitlich nachfolgenden Einsatz verändern können, mit dem Ergebnis, dass die zuvor getroffenen Wertungen der militärischen Befehlshaber im ungünstigsten Fall überholt und nicht mehr den Anforderungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts genügen könnten. Ein denkbares Beispiel wäre etwa eine Kirche, die zum Zeitpunkt der Angriffsplanung und Angriffsentscheidung durch die gegnerische Konfliktpartei als Lagerraum für militärisches Gerät genutzt wurde und mithin zu diesem Zeitpunkt als militärisches Ziel zu qualifizieren war. Gibt der Gegner die militärische Nutzung der Kirche jedoch auf bevor das UACV sie erreicht hat, lebt die Immunität vor direkten Angriffen der Kirche wieder auf und die zuvor getroffene Einschätzung ist überholt. Da es Computersystemen – wie dargelegt – an der sogenannten Situational Awareness mangelt, können sie auf derartige Veränderungen des vorab einprogrammierten Einsatzszenarios nicht autonom reagieren. Fehlt es an einer Möglichkeit der menschlichen Einflussnahme auf den Funktionsablauf der Drohne, könnte der unter den veränderten Bedingungen nunmehr rechtswidrige Angriff nicht mehr gestoppt werden. Die vorgenannten Probleme vermag die These von Kastan nicht zu lösen und ist daher für sich genommen nicht geeignet, die These der Rechtmäßigkeit vollautonomer UACVs zu stützen. Die ebenfalls von Kastan angeführte Restriktion der „conduct-based-targetability“ vermag die technischen Unzulänglichkeiten vollautonomer Systeme ebenfalls nicht vollends auszugleichen. Zwar ist Kastan grundsätzlich insoweit zuzustimmen, dass eine Person, die durch Beschuss seine feindliche Gesinnung zum Ausdruck bringt in jedem Fall als zulässiges militärisches Ziel zu qualifizieren ist. Denn selbst wenn es sich bei der fraglichen Person nicht um einen Kombattanten handelt, der ohnehin allein aufgrund seines Status angegriffen werden darf, sondern um eine Zivilperson, stellt der Beschuss des Gegners zweifellos eine unmittelbare Teilnahme an den Feindseligkeiten57 dar, so dass die fragliche Person auch in diesem Fall infolge des daraus resultierenden temporären Immunitätsverlustes direkt angegriffen werden darf. Gleichwohl betrifft der Ansatz allein
55 56 57
Wagner (2012), S. 21. s. Kapitel 5. Zu den Voraussetzungen s. Kapitel 3 § 2.
D. Zulässigkeit vollautonomer Systeme
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die Zulässigkeit der Zielauswahl. Den bestehenden Problemen in der Umsetzung des Exzessverbotes trägt der Ansatz der „conduct-based-targetability“ nicht Rechnung ist mithin isoliert betrachtet nicht geeignet die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes vollautonomer UACVs zu gewährleisten. Auch das von Canning angeführte Beispiel, der vorab einprogrammierten Beschränkung der zulässigen Angriffsziele, der zufolge das vollautonome System nur Objekte und keine Menschen angreifen darf, ist nicht ausreichend um die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes vollautonomer Systeme am Maßstab des dreistufigen Angriffstestes zu gewährleisten. Zunächst löst jene Beschränkung nicht die bestehenden Probleme autonomer Systeme in der Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes. Denn die Pflicht zur Unterscheidung betrifft nicht nur die personale Ebene, sondern sie gilt auch objektbezogen. Insoweit gilt es jedoch die technischen Defizite autonomer Systeme zu beachten. Wie dargelegt besteht die Fähigkeit zur autonomen objektbezogenen Unterscheidung nur in Hinblick auf solche Objekte, deren Eigenschaft als militärisches Ziel sich allein anhand objektiver Daten bestimmen lässt. So könnten autonome Systeme zum Beispiel vorab darauf programmiert werden, alle Vehikel, welche die Heuristik eines Panzers aufweisen, zu zerstören.58 Bei Objekten, deren militärische Natur sich nicht allein durch die Auswertung von für Computersysteme verständlichen objektiven Daten ermitteln lässt, schlagen die bereits dargelegten59 technischen Unzulänglichkeiten in dem Bereich der autonomen Durchführung qualitativer Analysen mit der Folge durch, dass diese nicht von zivilen Zielen unterschieden werden können. Folglich können die technischen Unzulänglichkeiten autonomer Systeme durch die von Canning vorgeschlagene Restriktion nicht vollumfassend ausgeglichen werden. Der Ansatz von Canning ignoriert zudem ebenfalls die im Kontext des Exzessverbotes bestehenden Probleme. Auch das von Schmitt/Thurnher angeführte Beispiel der Beschränkung des Einsatzgebietes genügt isoliert betrachtet jedenfalls den Anforderungen des Unterscheidungsgrundsatzes nicht. Die von den Autoren vorgenommene Einschränkung auf solche Gebiete, in denen sich keine Zivilpersonen oder zivile Objekte aufhalten, ist im Lichte des Unterscheidungsgrundsatzes zu kurz gegriffen. Denn die Pflicht zur Unterscheidung erschöpft sich auf personaler Ebene nicht darin, Zivilpersonen von Kombattanten zu unterscheiden und Angriffe auf die letztgenannte Personenkategorie zu beschränken. Vielmehr erfordert der Grundsatz auch eine Unterscheidung zwischen Kombattanten, die kampffähig und solchen, die hors de combat sind.60 Auch die objektbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes verlangt mehr als die bloße Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Objekten. So dürfen gemäß Art. 56 (1) ZPI beziehungsweise 58 59 60
Guetelein, S. 11. s. Kapitel 5. s. ausführlich dazu Kapitel 3 § 2.
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seiner völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechung vorbehaltlich der Ausnahmetatbestände aus Absatz 2 Anlagen, die gefährliche Kräfte enthalten, selbst dann nicht angegriffen werden, wenn sie nach der grundsätzlich geltenden Definition als militärisches Ziel zu qualifizieren sind.61 Folglich greift die von Schmitt/ Thurnher vorgenommene Einschränkung des Einsatzgebietes zu kurz. Denn sie vermag die technischen Unzulänglichkeiten autonomer Systeme in der völkerrechtsadäquaten Zielauswahl nicht auszugleichen. Die von den Autoren angeführten Beispiele sind jedoch zutreffend. Denn Panzer und Schiffe können allein anhand objektiver Daten durch das System autonom als legitimes militärisches Ziel im Lichte des Unterscheidungsgrundsatzes identifiziert werden. Hinsichtlich des Exzessverbotes bedarf die von den Autoren vorgenommene Einschränkung hingegen keiner Erweiterung. Denn ausweislich des insoweit klaren Normenwortlauts – „incidental loss of civilian life, injury to civilians, damage to civilian objects, or a combination thereof“ – ist ein Angriff nur dann als unterschiedsloser Angriff verboten, wenn er aus einer ex-ante Perspektive nach Maßgabe des zum Zeitpunkt der Angriffsentscheidung vorherrschenden Kenntnisstands voraussichtlich zu exzessiven zivilen62 Kollateralschäden führt. Befinden sich in dem Einsatzgebiet jedoch keine Objekte oder Personen, die als einzubeziehender Kollateralschäden zu berücksichtigen wären, ist das Exzessverbot und mithin die fehlenden technischen Fähigkeiten autonomer Systeme zu dessen Umsetzung ohne Bedeutung. Im Ergebnis zwar zutreffend, aber nicht hinreichend substantiiert, ist überdies die These, dass das Exzessverbot einem Einsatz vollautonomer UACVs auch dann nicht notwendig entgegensteht, wenn sich Zivilpersonen und zivile Objekte in dem Einsatzgebiet befinden, wenn bestimmte Beschränkungen hinsichtlich der vorab einprogrammierten Einsatzparameter vorgenommen werden. Denn die Autoren lassen weitestgehend offen, wie die vorzunehmenden Einschränkungen konkret beschaffen sein müssen. Nicht zu überzeugen vermag jedenfalls das Argument, dass der Abwägungsfaktor des zu erwartenden zivilen Kollateralschadens unter Zuhilfenahme einer Software durch das System vollautonom bestimmt werden könnte, weil alle dafür relevanten Parameter anhand objektiver Daten durch Algorithmen ermittelt werden könnten. Denn der Ansatz übersieht, dass die Durchführung der Analyse voraussetzt, dass die Software Zivilpersonen und zivile Objekte als Prognosefaktor überhaupt erkennen kann. Über derartige Fähigkeiten verfügt jedoch bisher und auf absehbare Zeit hin keine Software, weil sich die Eigenschaft des Angriffsziels als Zivilperson oder als ziviles Objekt nicht in jedem Fall allein anhand objektiver für Computersysteme verständlicher Daten ermitteln lässt. Das Exzessverbot setzt insoweit die Fähigkeit zur Unterscheidung voraus. Entsprechend setzten sich die im Rahmen des Unterschei61 62
s. ausführlich dazu Kapitel 3 § 2. s. ausführlich dazu Kapitel 3 § 4.
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dungsgrundsatzes bestehenden technischen Probleme im Kontext des Exzessverbotes fort. Folglich ist zu konstatieren, dass die vorgetragenen Argumente, jeweils isoliert betrachtet, die These der Zulässigkeit eines Einsatzes vollautonomer Systeme nicht zu stützen vermögen. Gleichwohl können einzelne der vorgebrachten Elemente in einem Ansatz fruchtbar gemacht werden, der dazu geeignet ist, sicherzustellen, dass die Zulässigkeit eines Einsatzes vollautonomer Systeme am Maßstab des dreistufigen Angriffstestes gewährleistet ist und nicht vom bloßen Zufall abhängt. Dieser Ansatz soll im Folgenden Abschnitt dargelegt werden. b) An dem intendierten Einsatzzweck orientierter Ansatz Die Frage, ob ein Einsatz vollautonomer UACVs zulässig sein kann und damit auch die Frage, welcher Autonomiegrad zukünftigen UACVs implementiert werden darf, kann nicht losgelöst von dem vorgesehenen Einsatzzweck des Systems diskutiert werden. Denn die Anforderungen an die Fähigkeit zur Unterscheidung und zur Umsetzung der Vorgaben des Exzessverbots sowie zur Reaktion auf dynamische Änderungen der Einsatzumstände sind nicht in jeder Einsatzart gleich. Entsprechend fallen auch die bestehenden technischen Unzulänglichkeiten autonomer Systeme verschieden stark in das Gewicht. Eine Ausrichtung des Konstruktionsdesigns hat daher am Maßstab der intendierten Einsatzart zu erfolgen. Folglich ist die Konstruktion vollautonomer UACVs dann zulässig, wenn der Einsatz des Systems in der konkreten vorgesehenen zukünftigen Einsatzart ohne die Möglichkeit eines menschlichen Einschreitens in den Funktionsablauf nach erfolgter Systemaktivierung in rechtmäßiger Art und Weise erfolgen kann. Militärische Operationen lassen sich im Kontext der hier diskutierten Anforderungen an die Zielauswahl und Angriffsentscheidung grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen.63 Die erste Kategorie betrifft das „deliberate targeting“ und die zweite Kategorie das „dynamic targeting“.64 Das Targeting beschreibt einen komplexen Prozess, in dessen Verlauf der gesamte Angriff im Lichte der Anforderungen der einschlägigen Regelungen des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts geprüft wird. Er umfasst zunächst die Zielauswahl am Maßstab der Voraussetzungen des Unterscheidungsgrundsatzes im Lichte der einschlägigen Definitionen legitimer militärischer Ziele sowohl auf personaler als auch auf der objektbezogen Ebene.65 Darüber hinaus wird auf Grundlage aller zur Verfügung stehenden Informationen hinsichtlich der zu erwartenden Anwesenheit von geschützten Personen und Objekten in unmittelbarer Nähe des Angriffszieles und unter Berücksichtigung der Wirkungsweisen der verfügbaren Wirkmittel der zu 63 64 65
Kastan, S. 57. Kastan, S. 57. Kastan, S. 57.
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erwartende Kollateralschaden errechnet.66 In einem letzten Schritt wird dann der Angriffswinkel, die Angriffszeit und dasjenige Wirkmittel für den Angriff festgelegt, welches aus der ex-ante Perspektive einerseits am besten geeignet ist, das Ziel zu zerstören und anderseits erwartungsgemäß die Anzahl ziviler Verluste möglichst gering hält.67 Die finale Angriffsautorisierung als Abschluss der Planungsphase erfolgt nur dann, wenn und soweit der zu erwartende zivile Kollateralschaden eine vorab festgelegte Höchstgrenze nicht überschreitet und in keinem exzessiven Verhältnis zu dem erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden militärischen Vorteil steht.68 aa) Rechtmäßigkeit des Einsatzes vollautonomer UACVs im Kontext des „Deliberate Targeting“ Die Kategorie des „deliberate targeting“ ist dadurch gekennzeichnet, dass die Angriffsziele und Angriffsmodalitäten bereits vorab durch den Planungsstab festgelegt werden. Eine selbsttätige Zielauswahl und Angriffsentscheidung im engeren Sinne trifft das UACV daher nicht. Anders als von Kastan vertreten, bedeutet dies – wie bereits dargelegt – gleichwohl nicht, dass die fehlenden technischen Fähigkeiten autonomer Systeme hinsichtlich der Zielauswahl und Angriffsentscheidung in derartigen Einsätzen ohne Bedeutung sind und sie daher ohne weitere Einschränkungen in vorab geplanten sogenannten „deliberate targeting“ Missionen in rechtmäßiger Art und Weise eingesetzt werden können. Es müssen vielmehr bestimmte Einschränkungen vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass die vorab durch den Planungsstab getroffenen Angriffsentscheidungen im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts ihre Gültigkeit behalten und mithin von dem UACV in rechtmäßiger Art und Weise ausgeführt werden können. (1) Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes und des Verbots unterschiedsloser Angriffe Der Unterscheidungsgrundsatz verpflichtet die Konfliktparteien zum Schutze der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte ihre Kriegshandlungen auf militärische Ziele zu beschränken.69 Jene Pflicht wird durch die Verbote direkter Angriffe auf zivile Objekte gem. Art. 52 (1) 2 ZPI und auf Zivilpersonen gem. Art. 51 (2) 1 66
McNeal, S. 15. McNeal, S. 20. 68 McNeal, S. 25. 69 s. Normenwortlaut Art. 48 ZPI: „In order to ensure respect for and protection of the civilian population and civilian objects, the Parties to the conflict shall at all times distinguish between the civilian population and combatants and between civilian objects and military objectives and accordingly shall direct their operations only against military objectives.“ 67
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ZPI konkretisiert. Insbesondere sind Angriffe gegen die Zivilbevölkerung oder gegen Zivilpersonen als Repressalie nach Art. 51 (6) ZPI verboten. Auf personaler Ebene statuiert Art. 51 (3) ZPI eine Ausnahme zu dem Unterscheidungsgrundsatz in der Gestalt, als dass Zivilpersonen dann das Ziel direkter Angriffe sein dürfen, sofern und solange sie unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Darüber hinaus qualifiziert Art. 51 (4) (a) ZPI Angriffe, die final nicht gegen ein militärisches Ziel gerichtet werden, als verbotene unterschiedslose Angriffe. Überdies verbietet Art. 51 (5) ZPI unterschiedslose Bombardierungen, bei denen mehrere deutlich voneinander abgrenzbare militärische Ziele, die sich innerhalb einer Stadt, einem Dorf oder einem sonstigen Gebiet in dem Zivilpersonen oder zivile Objekte ähnlich stark konzentriert sind, befinden, als ein einziges militärisches Ziel behandelt werden. Schließlich dürfen Anlagen oder Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten, grundsätzlich nach Art. 56 (1) ZPI selbst dann nicht angegriffen werden, wenn sie am Maßstab der Definition aus Art. 52 (2) 2 ZPI militärische Ziele darstellen. Jene Pflichten und Verbote70 müssen selbstverständlich bei der Zielauswahl und der Festlegung der Angriffsmethode durch den Planungsstab beachtet werden, um eine im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts tragfähige Grundlage für die nachfolgende Operation des vollautonomen UACVs zu bilden. Denn nur dann gilt es sicherzustellen, dass die von dem Planungsstab getroffenen Entscheidungen in dem gesamten Verlauf des Einsatzes ihre rechtliche Gültigkeit beibehalten. Ist dies der Fall, muss das vollautonome UACV zunächst in die Lage versetzt werden, die vorab ausgewählten Ziele selbsttätig im zeitlich nachgelagerten tatsächlichen Einsatz zu identifizieren. (a) Objektbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes Aufgrund der bestehenden technischen Limitierungen autonomer Systeme sind nur solche Angriffsziele vorab einzuprogrammieren, die allein anhand objektiver Daten von dem System identifiziert werden können. Dazu gehören insbesondere unbewegliche Ziele, deren Position das System durch vorab einprogrammierte GPS Daten ermitteln kann. Bewegliche Ziele müssen anhand einzigartiger Charakteristika durch das System etwa anhand ihrer Größe, Form, Radar-, Infrarot-, Elektro- oder Wärmesignatur eindeutig identifiziert werden können. (b) Personenbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes Menschliche Ziele können von dem System nicht verhaltensunabhängig identifiziert werden und dürfen daher grundsätzlich nicht als Angriffsziel vorab fest70 Zu den Einzelheiten und zur völkergewohnheitsrechtlichen Geltung s. Kapitel 3 § 2 und § 3.
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gelegt werden. Eine Ausnahme ist nur dann denkbar, wenn die vorab festgelegte Zielperson durch das System mittelbar identifiziert werden kann, weil sie zum Beispiel ein Handy bei sich trägt, welches aufgrund einer GPS-Ortung durch das System lokalisiert werden kann. (c) Ausschluss einer Änderung der Zieleigenschaft Fernerhin gilt es bei der Auswahl der Angriffsziele zu berücksichtigen, dass sich auch im Kontext der hier diskutierten „deliberate targeting“ Missionen eine wesentliche Veränderung der Einsatzbedingungen in dem Zeitraum zwischen Einsatzplanung und Einsatzdurchführung eintreten kann, die dazu führt, dass die auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Einsatzplanung geltenden Bedingungen getroffenen Entscheidungen und die damit verbundenen qualitativen Wertungen im Lichte des Unterscheidungsgrundsatzes überholt sind. Die Verbote direkter Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte statuieren jedoch ausweislich ihres Normenwortlauts – „shall not be the object of attack“ 71 – anders als das Exzessverbot – welches lediglich die Anstellung einer ex-ante-Prognose am Maßstab der zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Informationen verlangt72 – eine Ergebnispflicht. Daraus folgt, dass der Unterscheidungsgrundsatz und die Verbote direkter Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte auch dann verletzt sind, wenn das Angriffsziel zwar zum Zeitpunkt der Angriffsplanung ein legitimes militärisches Ziel darstellte, es aber danach einen Statuswechsel vollzogen hat und zum tatsächlichen Angriffszeitpunkt kein militärisches Ziel mehr darstellt. Will man die Rechtmäßigkeit eines Einsatzes vollautonomer Systeme nicht dem rettenden Zufall überlassen, müssen daher weitergehende Einschränkungen des Einsatzgebietes und der vorab einprogrammierten Angriffsziele auch im Kontext des „deliberate targeting“ getroffen werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Änderung völkerrechtssensitiver Einsatzparameter auf das vertretbare absolute Minimum zu beschränken. Denn nur dann können die technischen Unzulänglichkeiten autonomer Systeme im Bereich der Zielidentifizierung vollständig kompensiert werden. Nur dann fehlt es im Lichte der geltenden Unterscheidungspflichten an einem Zwang zur Implementierung einer Möglichkeit der menschlichen Einflussnahme auf den Betriebsablauf autonomer UACVs. Um eine Aufrechterhaltung der Zieleigenschaft als legitimes militärisches Ziel zu gewährleisten, sind dem System nur solche Objekte als Angriffsziele einzuprogrammieren, deren Qualifikation als legitimes militärisches Ziel nach Maßgabe der Legaldefinition aus Art. 52 (2) 2 ZPI beziehungsweise seiner völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechung73 keinen zeitlichen Fluktuationen unterliegen 71
s. Art. 51 (2) 1 ZPI; Art. 52 (1) 1 ZPI. s. Kapitel 3 § 4. 73 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 29; Sassòli (2003), S. 2; Robertson, S. 43; Dinstein (2008), S. 185; Haines, in: Heintschel von Heinegg/Epping, S. 128. 72
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können. Dazu zählen allein solche Objekte, die aufgrund ihrer Beschaffenheit ein militärisches Ziel darstellen. Denn solche Objekte stellen automatisch und unter allen Umständen unabhängig von ihrer aktuellen Verwendung oder Verortung ein zulässiges militärisches Ziel dar.74 Denn sie weisen inhärente Charakteristika auf, die untrennbar mit einem Beitrag des Objektes zu militärischen Handlungen des Gegners verknüpft sind. Zudem resultiert aus ihrer Zerstörung oder Neutralisierung auf Grundlage der zur fraglichen Zeit gegebenen Umstände stets ein eindeutiger militärischer Vorteil.75 Darunter fallen nach allgemeiner Auffassung insbesondere militärisches Gerät, wie zum Beispiel Flak- und Geschützstellungen, sowie Befestigungsanlagen, Waffen- und Treibstoffdepots und Kommandozentralen oder Verteidigungsministerien.76 Eine Veränderung der militärischen Natur des vorab einprogrammierten Angriffszieles in dem Zeitraum zwischen dem Abschluss der Einsatzplanung und dem Moment der Durchführung des Angriffes durch das vollautonome UACV ist daher in Bezug auf solche Ziele ausgeschlossen. In Bezug auf menschliche Ziele gilt es sicherzustellen, dass sich die Identifikationsstützte – welche die Identifizierung des Zieles für das System mittelbar ermöglicht – während des gesamten Missionsverlaufes in dessen Besitz befindet. (d) Umsetzung der Zweifelsfallregelungen Darüber hinaus muss die Einhaltung der einschlägigen Zweifelsfallregelungen aus Art. 50 (1) 2 ZPI und 52 (3) ZPI gewährleistet werden. Dies kann dadurch realisiert werden, dass das System den vorab festgelegten Angriff nur dann tatsächlich ausführt, wenn die Charakteristika des Zieles zu einhundert Prozent mit den vorgebenden Daten übereinstimmen. Zu diesem Zweck sind vollautonome Systeme mit der dafür erforderlichen Sensortechnik auszustatten. (2) Umsetzung des Exzessverbotes Das Exzessverbot begründet ein Verbot eines Angriffs, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in einem exzessiven Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.77 Anders als der Unterscheidungsgrundsatz und die Verbote direkter Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte statuiert das Exzessverbot keine Ergebnispflicht. Maßgeblich ist vielmehr allein das Ergebnis einer zukunftsgerichteten ex-ante-Pro-
74 75 76 77
Roberston, S. 49. Vgl. dazu ausführlich: Kapitel 3 § 2. Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 636; HPCR Commentary, S. 107. s. dazu ausführlich: Kapitel 3 § 4.
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gnose zum Zeitpunkt der Angriffsentscheidung am Maßstab der zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen.78 Daraus folgt, dass es im Lichte des Exzessverbotes irrelevant ist, wenn der tatsächlich aus einem Angriff resultierende Kollateralschaden im Ergebnis über das erwartete Maß hinaus geht oder der erwartete militärische Vorteil hinter den Erwartungen zurückbleibt, wenn und soweit dies nicht vernünftigerweise vorhersehbar war.79 Wenn und soweit das Exzessverbot im Rahmen der Zielauswahl des Planungsstabes berücksichtigt wurde, resultiert aus dem Verbot mithin keine Notwendigkeit der Vornahme bestimmter Restriktionen für den Einsatz vollautonomer UACVs. Denn die für die Beachtung des Exzessverbotes notwendigen qualitativen Wertungen wurden unter Berücksichtigung der dafür maßgeblichen Faktoren bereits vorab im Rahmen der Einsatzplanung getroffen. Eine Veränderung der Einsatzumstände nach Abschluss der Einsatzplanung und nach erfolgter Entsendung des UACVs, die dazu führt, dass der Angriff nunmehr zu exzessiven Kollateralschäden führt, ist mithin im Lichte des Exzessverbotes unbeachtlich. In diesem Zusammenhang gilt es herauszustellen, dass das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts keine höheren Anforderungen an den Einsatz von autonomen Systemen als an durch Menschen fortwährend kontrollierte Systeme stellt.80 (3) Umsetzung der gebotenen aktiven Vorsichtsmaßnahmen bei Angriff Im Hinblick auf die bei einem Angriff nach Art. 57 ZPI zu treffenden aktiven Vorsichtsmaßnahmen, die qua ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Entsprechung auch Nicht-Vertragsparteien binden81, gilt es hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Einsatz vollautonomer UACVs im Kontext des „deliberate targeting“ zu differenzieren. (a) Vorsichtsmaßnahmen in der Planungs- und Beschlussphase Die Vorsichtsmaßnahmen aus Art. 57 (2) (a) ZPI betreffen ausweislich des Normenwortlauts – „those who plan or decide upon an attack“ – allein den Zeitpunkt der Planungs- und Beschlussphase, welcher dem Zeitpunkt der Angriffsdurchführung durch das vollautonome UACV zeitlich vorgelagert ist. Vor dem Einsatzbefehl haben die militärischen Befehlshaber nach Art. 57 (2) (a) (i) ZPI alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass das Angriffsziel ein zulässiges militärisches Ziel ist und nach Art. 57 (2) (a) 78
ICTY, Galic, Para. 58. HPCR Commentary, S. 92. 80 So auch Schmitt/Thurnher, S. 247. 81 Henckaerts/Doswald-Beck, Vol. I, S. 51 ff.; Schmitt, in: Breau/Jachec-Neale, S. 302; Jensen, S. 193; Dinstein (2010), S. 138; Boothby (2009), S. 232 ff.; Schmitt/ Thurnher, S. 259. 79
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(iii) ZPO von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass er mit dem Exzessverbot nicht in Einklang zu bringen ist.82 Eine besondere Bedeutung kommt der Pflicht zur Vornahme aller praktischen Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl der Angriffsmittel nach Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI zum Zwecke der Minimierung ziviler Kollateralschäden im Kontext des Einsatzes vollautonomer UACVs in „deliberate targeting“ Einsätzen zu.83 Denn im Zusammenhang mit dieser Norm kommt die Unfähigkeit vollautonomer Systeme zur Reaktion auf eine Veränderung der Kollateralschadensprognose zum Tragen. Denn jene Pflicht führt dazu, dass vollautonome UACVs dann nicht eingesetzt werden dürfen, wenn dem militärischen Befehlshaber andere Angriffsmittel zur Verfügung stehen, welche erwartungsgemäß das Risiko der Hervorrufung ziviler Kollateralschäden minimieren, ohne dass dabei der Angriffserfolg oder die eigenen oder verbündete Streitkräfte einer stärkeren Gefährdung ausgesetzt werden.84 Einschränkend gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die bloße Verfügbarkeit schonenderer Mittel aufgrund des Feasibility-Vorbehalts nicht in jedem Fall automatisch zu dem zwingenden Ergebnis führt, dass sie anstelle eines vollautonomen UACV eingesetzt werden müssen. Ob ein alternatives Angriffsmittel einzusetzen ist, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls und dabei insbesondere von der Wahrscheinlichkeit einer relevanten Änderung der Kollateralschadensprognose nach Abschluss der Angriffsplanung und erfolgtem Systemstart ab. Gleichwohl dürfte die hier in Rede stehende Vorsichtsmaßnahme in einer Vielzahl von Fällen zu einer signifikanten Verringerung der Einsatzmöglichkeiten vollautonomer UACVs führen. Denn der Einsatz von Angriffsmitteln, die einer fortwährenden menschlichen Kontrolle unterliegen, dürfte regelmäßig zu einer dramatisch Reduktion des Risikos der Verursachung exzessiver Kollateralschäden führen. Der Spielraum eines militärischen Befehlshabers für einen Rückgriff auf vollautonome Systeme erhöht sich jedoch dann, wenn eine Einschränkung des Einsatzgebietes nach dem Modell von Schmitt/Thurnher vorgenommen wird, demzufolge vollautonome Systeme nur in solchen Gebieten einzusetzen sind, in denen sich zum Zeitpunkt der Angriffsplanung keine Zivilpersonen und zivile Objekte befinden und die weit entfernt von Orten sind, in denen sich Zivilpersonen zum Zeitpunkt des tatsächlichen Angriffes aufzuhalten pflegen. In Betracht kommen – wie von Schmitt/Thurnher angeführt – zum Beispiel weit entlegene Wüstengebiete oder Gebiete auf Hoher See, die sich weit entfernt von maritimen Navigationsrouten befinden. Durch jene Einschränkung des Einsatzgebiets wäre eine Gefährdung der Zivilbevölkerung oder von zivilen Objekten von Anfang an ausgeschlossen, so dass die Kollateralschadensminimierungspflicht aus Art. 57 82 83 84
Zu den Einzelheiten s. das Kapitel 3 § 5. Zu den Einzelheiten s. das Kapitel 3 § 5. So auch Schmitt/Thurnher, S. 261.
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(2) (a) (ii) ZPI die Rechtmäßigkeit eines Rückgriffes auf vollautonome UACVs zur Durchführung eines „deliberate targeting“ Einsatzes nicht zu beschränken vermag. Eine derartige Einschränkung ist jedoch keineswegs rechtlich geboten. Wird sie nicht vorgenommen, reduziert sich im Lichte des Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI regelmäßig lediglich der Spielraum des militärischen Befehlshabers auf vollautonome UACVs zurückzugreifen. (b) Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffsunterbrechung Grundsätzlich ist die Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffsunterbrechung aus Art. 57 (2) (b) ZPI von besonderer Bedeutung, wenn sich die Zieleigenschaft im Lichte des Unterscheidungsgrundsatzes oder die Kollateralschadensprognose nach Abschluss der Angriffsplanung im späteren Missionsverlauf verändert hat. Aufgrund der zuvor beschriebenen vorzunehmenden Einschränkung der Angriffsziele scheidet eine Änderung der Zieleigenschaft aus. Mithin vermag die Regelung im Zusammenhang des hier diskutierten „deliberate targeting“ allenfalls im Hinblick auf eine Änderung der Kollateralschadensprognose Bedeutung erlangen. Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass die Pflicht zur Angriffsunterbrechung ausweislich ihres Normenwortlauts unter dem Vorbehalt steht, dass es sich „erweist“ 85, dass damit zu rechnen ist, dass der Angriff auch Verluste unter Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung von ziviler Objekten oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in einem exzessiven Verhältnis zum erwarteten konkreten unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Zentrales Element der in Rede stehenden Vorsichtsmaßnahme ist mithin der Apparent-Test. Ausgehend von der gem. Art. 31 (1) WVK maßgeblichen üblichen Wortbedeutung muss es sich für den Normadressaten als offensichtlich und klar erkennbar darstellen, dass der Angriff voraussichtlich zu exzessiven zivilen Kollateralschäden führt.86 Normadressat der Regelung sind regelmäßig nur Militärangehörige höheren Ranges, da nur sie über die notwendigen Informationen verfügen, um festzustellen, ob der zu erwartende zivile Kollateralschaden in einem exzessiven Verhältnis zu dem erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden konkreten unmittelbaren militärischen Vorteil steht.87 Das vollautonome UACV selbst kann in Ermangelung einer Völkerrechtssubjektivität evident nicht Normadressat sein. Mithin muss es sich dem zuständigen militärischen Befehlshaber und nicht dem System erweisen, dass die im Kontext der Angriffsplanung vorgenommene Kollateralschadensprognose ihre Gültigkeit verloren hat. 85 s. Normenwortlaut Art. 57 (2) (b) ZPI: „An attack shall be cancelled or suspended if it becomes apparent that (. . .).“ 86 s. Bedeutung des Wortes „apparent“ nach dem Oxford Dictionary: „clearly visible or understood; obvious“, http://oxforddictionaries.com/definition/english/apparent. 87 Fenrick (1982), S. 109.
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Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn die Möglichkeit einer sinnlichen Wahrnehmung zum Beispiel durch die Übertragung eines Live-Video-Feeds von dem vollautonomen UACV besteht. Eine Pflicht zum Einbau einer solchen Übertragungstechnik kann dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts jedoch nicht entnommen werden. Dies verdeutlicht die grundsätzliche Rechtmäßigkeit sogenannter „beyond visible range“ Waffensysteme.88 Da vollautonome Systeme per definitionem dem Zugriff des Menschen nach erfolgtem Systemstart entzogen sind, erscheint der Einbau einer Kamera nicht zweckmäßig. Die Implementierung einer Möglichkeit der Übertragung eines Live-Video-Feeds in vollautonome Systeme brächte mithin keinen militärischen Nutzen, sondern führte nur zu einer Anwendbarkeit der Pflicht zur Angriffsunterbrechung im Wege einer freiwilligen Selbstbindung, die ultimativ zur Vornahme weiterer Einsatzbeschränkungen zwänge. Dies dürfte daher nicht nur nicht rechtlich geboten, sondern überdies auch faktisch nicht zu erwarten sein. Folglich ist zu konstatieren, dass der Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffsunterbrechung für den Einsatz von vollautonomen Systemen im Kontext des „deliberate targeting“ bereits mangels Anwendbarkeit keine Bedeutung zukommt. (c) Pflicht zur Warnung der Zivilbevölkerung vor Angriffen Ohne besondere Bedeutung ist die Pflicht aus Art. 57 (2) (c) ZPI, der zufolge Angriffen, durch welche die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden kann, eine effektive Warnung vorauszuschicken ist, wenn und soweit die gegebenen Umstände dies erlauben.89 Wenngleich jene Pflicht nicht in Art. 57 (2) (a) ZPI verortet ist, ist die Entscheidung darüber, ob die Zivilbevölkerung zu warnen ist, bereits in der Planungsphase zu treffen. Andernfalls wäre der zeitliche Abstand zwischen der Warnung und dem Angriff zu kurz, um der Warnung die von Art. 57 (2) (c) ZPI geforderte Effektivität zu verleihen. (d) Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl des Angriffszieles Die Pflicht aus Art. 57 (3) ZPI, der zufolge bei einer Wahl zwischen mehren militärischen Zielen dasjenige als Angriffsziel auszuwählen ist, bei dem ein Angriff erwartungsgemäß zu einer geringeren Gefährdung für Zivilpersonen und zivilen Objekten führt90, entfaltet keine speziellen Wirkungen für den Einsatz voll88
Auch Schmitt/Thurnher, S. 248. s. Normenwortlaut Art. 57 (2) 1 ZPI: „Effective advance warning shall be given of attacks which may affect the civilian population, unless circumstances do not permit.“ 90 s. Normenwortlaut Art. 57 (3) ZPI: „When a choice is possible between several military objectives for obtaining a similar military advantage, the objective to be se lected shall be that the attack on which may be expected to cause the least danger to civilian lives and to civilian objects.“ 89
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autonomer UACVs im Kontext der hier diskutierten vollständig vorab geplanten Angriffe. Denn das Angriffsziel wird dann nicht durch das vollautonome UACV selbst ausgewählt, sondern ist bereits vor dem Start des Systems durch den Planungsstab ausgewählt worden. (4) Zwischenfazit Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass die Rechtmäßigkeit eines Einsatz vollautonomer UACVs im Kontext des „deliberate targeting“ auch am Maßstab des dreistufigen Angriffstests mit den vorgenannten Beschränkungen gewährleistet werden kann. Für das Konstruktionsdesign hat dies zur Folge, dass die Implementierung einer Möglichkeit einer menschlichen Einflussnahme auf den Funktionsablauf zukünftiger autonomer UACVs nach erfolgter Systemaktivierung im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts im Kontext des „deliberate targeting“ nicht zwingend geboten ist. Wenngleich das System seine Ziele im engeren Sinne nicht selbsttätig auswählt und auch die Angriffsentscheidung nicht selbst trifft, kommen die bereits genannten Vorteile eines hohen Autonomiegrades zum Tragen. Weil ein Eingreifen in den Funktionsablauf vollautonomer UACVs qua definitionem nach erfolgtem Start nicht möglich ist, bedarf es auch keiner Implementierung einer Möglichkeit der Übertragung eines Live-Video-Feeds. bb) Rechtmäßigkeit des Einsatzes vollautonomer UACVs im Kontext des „Dynamic Targeting“ Trotz der genannten Vorteile ist das Szenario des „deliberate targeting“ jedoch mit dem Makel behaftet, dass die Arbeitsweise des UACV in derartigen Einsätzen in Hinblick auf die Zielauswahl und Angriffsentscheidung nicht als autonom im engeren Sinne zu qualifizieren ist, weil sich das System seine Ziele nicht selbst sucht, sondern diese bereits vorab durch den Befehlshaber vorgegeben sind. Dies ändert zwar nichts daran, dass das Szenario des „deliberate targeting“ als taugliches Beispiel für eine zulässige Einsatzart vollautonomer UACVs herangezogen werden kann.91 Gleichwohl wird das Potenzial vollautonomer Systeme, welches gerade darin liegt, selbsttätig über die Zielauswahl zu entscheiden, dann nicht vollständig ausgeschöpft. Daher gilt es in einem nächsten Schritt zu untersuchen, ob und inwieweit vollautonome UACVs auch in Einsätzen im Kontext des „dynamic targeting“ völkerrechtskonform eingesetzt werden können. Das „dynamic targeting“ zeichnet sich dadurch aus, dass der Angriff anders als beim „deliberate targeting“ nicht vorab in allen seinen Einzelheiten geplant werden kann.92 Der Prozess der Zielauswahl und Kollateralschadensprognose ist 91 92
So auch Kastan, S. 58. Fox, S. 2.
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vielmehr zeitlich stark komprimiert.93 Ein typisches Beispiel bildet der Fall, in dem Bodentruppen eskortiert werden, um ihnen im Bedarfsfall Luftnahunterstützung (close air support) zu leisten und feindliche Angriffe zurückzuschlagen.94 Auch die Eskortierung von Luftfahrzeugen lässt sich unter die Kategorie des „deliberate targeting“ subsumieren. Ein weiteres denkbares Beispiel bildet die robuste Aufklärung (search and destroy missions/killbox-operations), bei der ein vorab räumlich abgegrenztes Areal überflogen und nach feindlichen Einheiten durchsucht wird, um diese im Falle einer Entdeckung zu neutralisieren.95 Wesensmerkmal des „dynamic targeting“ ist mithin, dass die konkreten Angriffsziele vorab nicht im Einzelnen bekannt sind. Weil vollautonome Systeme nach dem Start per definitionem einer menschlichen Kontrolle entzogen sind, muss das System die Angriffsentscheidung und damit auch die Zielauswahl anhand vorab einprogrammierter Parameter selbst treffen. Die Bindung des Systems an die vorab durch den Menschen einprogrammierten Parameter hat jedoch zur Folge, dass vollautonome UACVs auch im Kontext des „dynamic targeting“ jene Entscheidungen nicht völlig losgelöst von menschlicher Einflussnahme treffen. Aufgrund der bestehenden technischen Unzulänglichkeiten autonomer Systeme muss ihr Einsatz jedoch – wie auch schon im Kontext des „deliberate targeting“ – bestimmten Beschränkungen unterliegen. Jene Beschränkungen müssen jedoch für Einsätze im Kontext des hier diskutierten „dynamic targeting“ leicht modifiziert werden, da sie anders als im Kontext des „deliberate targeting“ das UACV in die Lage versetzen müssen, sich die Angriffsziele selbst auszuwählen und eine rechtmäßige Angriffsentscheidung zu fällen. (1) Umsetzung des Unterscheidungsgrundsatzes und des Verbots unterschiedsloser Angriffe Zunächst müssen die technischen Probleme autonomer Systeme im Kontext der Zielauswahl überwunden werden. Dazu bedarf es einer vorab einzuprogrammierenden Einschränkung der Ziele, die das System angreifen darf. (a) Objektbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes Aufgrund der fehlenden Fähigkeit zur Vornahme qualitativer Wertungen muss das System darauf programmiert werden nur solche Ziele anzugreifen, deren militärische Natur sich allein anhand objektiver Daten bestimmen lässt. Zu diesem Zweck könnte dem UACV eine Liste von derartigen Zielen einprogrammiert werden. Das System müsste dann im späteren Einsatz lediglich überprüfen, ob ein 93 94 95
Kastan, S. 57. Kastan, S. 57. Tozicka/Benegnu/Sislak/Pechoucek/Suri, S. 1.
280 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
Ziel den Charakteristika – Größe, Form, Radar-, Infrarot-, Elektro- oder Wärmesignatur – eines der Ziele entspricht. Dies ist auch technisch umsetzbar, weil der Abgleich der Charakteristika eine Analyse objektiver Art ist, zu deren Durchführung Computersysteme bereits nach dem heutigen Stand der Technik unstrittig in der Lage sind. (b) Personenbezogene Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes Hinsichtlich der personenbezogenen Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes gilt es zu berücksichtigen, dass vollautonome Systeme zwar in der Lage sind, einen Menschen überhaupt zu identifizieren, gleichwohl jedoch nicht dazu, den Menschen qualitativ in die Zielkategorien des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts einzuordnen. Jene Unfähigkeit kann jedoch dadurch ausgeglichen werden, dass das System entsprechend des Ansatzes der „conduct-based-targetability“ von Kastan darauf programmiert wird, Menschen nur dann direkt anzugreifen, wenn diese ihre Eigenschaft als zulässiges militärisches Ziel dadurch erkennen lassen, dass sie das System selbst oder verbündete Einheiten beschießen. Durch die vorgenannten Beschränkungen wird sowohl der personen- als auch der objektbezogenen Dimension des Unterscheidungsgrundsatzes sowie dem Verbot direkter Angriffe auf zivile Objekte gem. Art. 52 (1) S. 2 ZPI und auf Zivilpersonen gem. Art. 51 (2) S. 1 ZPI, dem Verbot der Durchführung von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung oder gegen Zivilpersonen als Repressalie nach Art. 51 (6) ZPI sowie dem Verbot von Angriffen, die final nicht gegen ein militärisches Ziel gerichtet werden, aus Art. 51 (4) (a) ZPI und dem Verbot des Angriffes auf Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten, Rechnung getragen, weil die insoweit bestehenden technischen Probleme vollautonomer Systeme ausgeglichen werden können. (c) Umsetzung der Zweifelsfallregelungen Die Einhaltung der einschlägigen Zweifelsfallregelung kann dadurch gewährleistet werden, dass das System einen Angriff nur dann tatsächlich ausführt, wenn die Charakteristika des Zieles zu einhundert Prozent mit denen eines Zieles auf der vorab einprogrammierten Zielliste übereinstimmen und im Hinblick auf Personen, wenn das abgefeuerte Projektil definitiv zu der fraglichen Person zurückverfolgt werden kann. Zu diesem Zweck müssen vollautonome Systeme mit den dafür notwendigen Sensoren ausgestattet werden. (2) Umsetzung des Exzessverbotes Um eine Rechtmäßigkeit des Einsatzes zu gewährleisten, müssen darüber hinaus jedoch die Schwächen in dem Bereich der Umsetzung des Exzessverbotes ausgeglichen werden, die darin liegen, dass Computersysteme nicht in der Lage
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sind, die Abwägungsfaktoren des Exzessverbotes hinreichend sicher zu identifizieren und diese im Rahmen der geforderten Verhältnissetzung qualitativ zu bewerten. Jenen Problemen könnte durch eine Einschränkung des bestimmungsgemäßen Einsatzgebietes nach dem Ansatz von Schmitt/Thurnher Abhilfe geschaffen werden, demzufolge ein Gebiet zu wählen ist, in dem sich keine Zivilpersonen oder zivile Objekte befinden. Denn das Exzessverbot verbietet allein die voraussichtliche Verursachung exzessiver ziviler Kollateralschäden am Maßstab einer ex-ante-Prognose im Lichte des zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Kenntnisstandes. Andere geschützte Personengruppen und Objekte sind ausweislich des insoweit klaren Normenwortlauts, der allein auf die Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte rekurriert, nicht als Kollateralschaden und mithin nicht als Abwägungsfaktor erfasst. Gleichwohl ist eine derartig weitgehende und die Einsatzmöglichkeit vollautonomer UACVs erheblich reduzierende Einschränkung des Einsatzgebietes im Lichte des Exzessverbotes nicht erforderlich. Denn die technischen Unzulänglichkeiten vollautonomer Systeme lassen sich auch durch alternative weniger einschneidende Maßnahmen ausgleichen. Dabei muss die Identifizierbarkeit der zu berücksichtigen Abwägungsfaktoren und die Verhältnissetzung durch die Vorabeingabe bestimmter Parameter ermöglicht werden. (a) Identifizierbarkeit der Abwägungsfaktoren Die kontextsensitiven Abwägungsfaktoren des Exzessverbotes bilden einerseits der zu erwartende zivile Kollateralschaden und anderseits der erwartungsgemäß aus einem Angriff resultierende unmittelbare und direkte militärische Vorteil. Der Abwägungsfaktor des zu erwartenden zivilen Kollateralschadens weist eine personenbezogene und eine objektbezogene Dimension auf. Er setzt sich zusammen aus Zivilpersonen und zivilen Objekten. Die fehlende Fähigkeit zur Identifizierung der personenbezogenen Komponente des einzubeziehenden Kollateralschadens kann dadurch überwunden werden, dass das System darauf programmiert wird, jeden Menschen im Wirkungsradius der für den Angriff ausgewählten Waffe als Zivilperson zu qualifizieren. Jene Beschränkung wäre auch nach dem derzeitigen Technikstand realisierbar. Denn wenngleich – wie bereits dargelegt – derzeit keine Software existiert, welche es dem System ermöglichen würde, einen Menschen qualitativ in die Zielkategorien des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts einzuordnen, ist es technisch bereits möglich, Menschen für Computersysteme überhaupt erkenntlich zu machen.96 Von der automatischen Qualifizierung als zu berücksichtigender ziviler Kollateralschaden auszunehmen sind allerdings Menschen, die auf das autonome UACV oder auf verbündete Einheiten schießen. Denn dann handelt es sich – wie bereits dargelegt – unabhängig davon, welcher Status der fraglichen Person zuzuerkennen ist, um 96
Singer, S. 79.
282 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
ein legitimes militärisches Ziel, welches in die Kollateralschadensprognose nicht einzubeziehen ist. Auch der Wirkungsradius und die Präzision der mitgeführten Waffen können allein anhand von Algorithmen durch das System bestimmt werden.97 Die Unfähigkeit vollautonomer UACVs zur Qualifizierung von Objekten als zu berücksichtigender ziviler Kollateralschaden kann dadurch ausgeglichen werden, dass das System darauf programmiert wird, dass es jedes Objekt, welches sich im Waffenwirkungsradius befindet und welches nicht mit den Charakteristika eines Objektes auf der vorab einprogrammierten Zielliste übereinstimmt, als ziviles Objekt qualifiziert. Die Unfähigkeit des Systems zur Bestimmung des Abwägungsfaktors des erwartungsgemäß aus dem Angriff resultierenden unmittelbaren und direkten militärischen Vorteils begründet gleichsam kein unüberwindbares Hindernis für die Rechtmäßig eines Einsatzes im Lichte des Exzessverbotes. Denn der militärische Vorteil muss auch im Kontext des „dynamic targeting“ von dem System nicht selbst bestimmt werden. Dies liegt darin begründet, dass sich im Kontext des Exzessverbotes der Begriff des militärischen Vorteils auf Angriffe in ihrer Gesamtheit und nicht auf einzelne isolierte Bestandteile eines Angriffs bezieht.98 Die Ausdehnung des Bezugspunktes militärischer Vorteile auf Angriffe in ihrer Gesamtheit umfasst zum Beispiel größere militärische Operationen, die aus einer Serie von Angriffen bestehen.99 Eine Einschränkung wird einzig dahingehend vorgenommen, dass der Angriff in seiner Gesamtheit ein begrenzbares Ereignis darzustellen hat und der militärische Vorteil mithin nicht auf den gesamten Konfliktverlauf zu beziehen ist.100 Der Angriff in seiner Gesamtheit als Bezugspunkt des militärischen Vorteils ist mithin der jeweilige Einsatz des vollautonomen UACV als solches. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich – wie bei den eingangs als Beispiel angeführten Eskortierungsmissionen – um einen Verteidigungseinsatz, oder – wie bei dem ebenfalls genannten Beispiel der robusten Aufklärung – um einen Offensiveinsatz handelt. Dies folgt unmittelbar aus der Legaldefinition aus Art. 49 (1) ZPI, der zufolge der Angriffsbegriff sowohl offensive als auch defensive Gewaltanwendungen gegen den Gegner erfasst. Daraus folgt, dass der militärische Vorteil – der im Rahmen der Verhältnissetzung dem zu erwartenden zivilen Kollateralschaden gegenüberzustellen ist – nicht erwartungsgemäß aus der Zerstörung eines einzelnen militärischen Zieles – welches zu Beginn des Einsatzes im Rahmen des hier diskutierten „dynamic targeting“ noch gar nicht bekannt ist – sondern vielmehr aus dem Einsatz als Ganzes resultieren muss. Der militärische Vorteil des Angriffs in seiner Gesamtheit ist mithin auch im Kontext der hier diskutierten „dynamic targeting“ Einsätze bereits vor dem Ein97
So auch Schmitt/Thurnher, S. 255. s. zu den Einzelheiten: Kapitel 3 § 4. 99 HPCR Commentary, S. 92. 100 Hampson, in: Rowe, S. 94; Sassòli, in: Wippman/Evangelista, S. 186. 98
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satzbeginn bekannt. So liegt er in dem Beispiel der Eskortierungseinsätze in dem Erreichen der zu schützenden Einheiten am bestimmungsgemäßen Ziel und mithin in der Sicherheit eigener oder verbündeter Streitkräfte. Hinsichtlich der robusten Aufklärungsszenarien liegt der zu erwartende militärische Vorteil in der Säuberung des Zielgebietes von feindlichen Einheiten. Folglich muss das UACV den Abwägungsfaktor des militärischen Vorteils nicht selbst ermitteln, so dass die diesbezüglich bestehenden Probleme im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts unschädlich sind. (b) Verhältnissetzung Die Unfähigkeit zur qualitativen Verhältnissetzung beider Faktoren kann dadurch ausgeglichen werden, dass dem System vorab eine feste Obergrenze des zulässigen zivilen Kollateralschadens für den jeweiligen Einsatz einprogrammiert wird. Dann muss das System die Verhältnissetzung – zu der es technisch nicht in der Lage ist – nicht selbst durchführen. Etwaige Fehler in der Identifizierung des Kollateralschadens durch das System können präventiv dadurch ausgeglichen werden, dass bei der Festsetzung der Obergrenze dem Abwägungsfaktor des zivilen Kollateralschadens eine von dem Recht des internationalen bewaffneten Konflikts nicht geforderte überproportionale Bedeutung zugesprochen wird. Überdies könnten vollautonome UACVs nur zur Durchführung solcher Angriffe eingesetzt werden, deren erfolgreicher Abschluss einen hohen militärischen Vorteil erwarten lässt. Denn dann erhöht sich der zulässige zivile Kollateralschaden. Überdies gilt es zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen an eine Verletzung des Exzessverbotes sehr hoch gesteckt sind. Denn aufgrund der Unbestimmtheit des Zentralbegriffes „excessive“ ist dem Befehlshaber ein sehr weiter Ermessenspielraum einzuräumen.101 (3) Umsetzung der gebotenen aktiven Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff Fernerhin muss gewährleistet werden, dass der nicht vorab geplante Angriff im Einklang mit den Regelungen aus Art. 57 ZPI erfolgt. (a) Vorsichtsmaßnahmen in der Planungs- und Beschlussphase Der Pflicht aus Art. 57 (2) (a) (i) ZPI zur Vornahme aller praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zur Sicherstellung der militärischen Natur der Angriffsziele kann dadurch Rechnung getragen werden, dass das System mit fortschrittlicher 101 Barnidge, in: Banks, S. 280; Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 588; Henderson, S. 208.
284 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
Sensortechnologie und Verarbeitungssoftware ausgestattet wird.102 Jene Technologien müssen das System in die Lage versetzen, die vorgenannte Beschränkung hinsichtlich der Zielauswahl umzusetzen und dadurch sicherzustellen, dass nur legitime militärische Ziele zum Objekt eines Angriffes werden. Die unter dem Feasibility-Vorbehalt stehende Kollateralschadensminimierungspflicht aus Art. 57 (2) (a) (ii) ZPI ist für den Einsatz vollautonomer Systeme im Kontext des „dynamic targeting“ nur dann von Bedeutung, wenn sie in Gebieten eingesetzt werden, in denen sich Zivilpersonen oder zivile Objekte aufhalten. Denn nur dann kann es im Einzelfall geboten sein ein alternatives Angriffsmittel zu wählen. Dabei wird der Befehlshaber die Fehleranfälligkeit des Systems sowie die Wahrscheinlichkeit einer Anwesenheit von Zivilpersonen und zivilen Objekten in dem Zielgebiet zu berücksichtigen haben. Die Fehleranfälligkeit ist jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn Fehlfunktionen bereits in einer hinreichenden Vielzahl von Fällen in Erscheinung getreten sind und daher von einer charakteristischen und signifikanten Ausfallquote gesprochen werden kann, die dem Befehlshaber zum Zeitpunkt der Entscheidung über das einzusetzende Mittel der Kriegführung bekannt ist.103 Die Pflicht zum Abstandnehmen von einer Angriffsentscheidung aus Art. 57 (2) (a) (iii) ZPI ist im Kontext des „dynamic targeting“ aufgrund der Spontanität der Angriffsentscheidung und dem damit verbundenen extrem kurzen Abstand zwischen Angriffsentscheidung und Angriffsdurchführung ohne eigenständige Bedeutung. (b) Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffsunterbrechung Hinsichtlich der Pflicht zur vorläufigen oder endgültigen Angriffsunterbrechung aus Art. 57 (2) (b) ZPI gelten dieselben Erwägungen, die bereits im Kontext des „deliberate targeting“ dazu geführt haben, dass sie für den Einsatz vollautonomer UACVs ohne Bedeutung ist, so dass insoweit auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. (c) Pflicht zur Warnung der Zivilbevölkerung vor Angriffen Die Pflicht zur Warnung der Zivilbevölkerung gelangt nur dann zur Entstehung, wenn sich Zivilpersonen in dem Einsatzgebiet befinden. Ist dies der Fall, hängt die Frage, ob die Zivilbevölkerung zu warnen ist, im entscheidenden Maße davon ab, ob dies die Umstände des Einsatzes erlauben.
102 103
So im Ergebnis auch: Schmitt/Thurnher, S. 260. Henderson, S. 170.
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(d) Vorsichtsmaßnahmen bei der Wahl des Angriffszieles Die in Art. 57 (3) ZPI niedergelegte Pflicht zur Wahl des „lesser of two evils“ 104 ist nur dann einschlägig wenn sich Zivilpersonen und zivile Objekte in dem Einsatzgebiet befinden. Denn die darin enthaltene Pflicht zur Zielauswahl ist konditional daran geknüpft, dass der Angriff auf eines der verfügbaren Ziele erwartungsgemäß mit einer geringeren Gefährdung von Zivilpersonen und zivilen Objekten verbunden ist.105 Selbst wenn sich Zivilpersonen und zivile Objekte in dem Einsatzgebiet befinden, gelangt die Norm nur dann zur Entstehung, wenn überhaupt mindestens zwei militärische Ziele gleichzeitig zur Auswahl stehen. Überdies müsste der militärische Vorteil, der aus der Bekämpfung der Ziele resultiert, vergleichbar sein. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Pflicht voraussetzt, dass die Verschonung eines Zieles möglich ist, ohne dass dadurch das Einsatzziel gefährdet wird. Denn der von der Norm intendierte Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte kann andernfalls nicht sichergestellt werden. Denn wenn alle gleichzeitig verfügbaren militärischen Ziele zerstört werden müssen, um das legitime Operationsziel zu erreichen, reduziert sich die Pflicht darauf, die Reihenfolge eines Angriffes vorzugeben. Wird nämlich zunächst das erste von zwei verfügbaren Zielen zerstört, ist die Norm danach im Hinblick auf das verbliebene Ziel nicht mehr anwendbar weil dann bereits keine Wahl mehr zwischen mehreren Zielen besteht. Weil im Ergebnis dann beide Ziele zerstört werden dürfen wird der intendierte Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte nicht gewährleistet. Mithin ist die Norm nur dann anwendbar, wenn eines der alternativen Ziele im Lichte des Einsatzzweckes verschont werden kann. Dies ist im Kontext des „dynamic targeting“ jedoch nicht vorstellbar. Denn derartige Einsätze haben entweder den spontanen Schutz eigener oder verbündeter Einheiten oder eine vollständige Ausschaltung noch unbekannter Ziele zum Gegenstand. Daraus folgt, dass stets die Zerstörung aller Ziele notwendig ist und eine Verschonung eines Zieles im Sinne der hier diskutierten Vorschrift nicht möglich ist. (4) Zwischenfazit Durch die vorgenannten Maßnahmen können die technischen Defizite vollautonomer Systeme auch im Kontext des „dynamic targeting“ ausgeglichen werden. Mithin können sie auch in diesem Szenario rechtmäßig eingesetzt werden. Einer Implementierung einer technischen Möglichkeit einer menschlichen Ein104
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, S. 686. s. Normenwortlaut Art. 57 (3) ZPI: „When a choice is possible between several military objectives for obtaining a similar military advantage, the objective to be selected shall be that the attack on which may be expected to cause the least danger to civilian lives and to civilian objects.“ 105
286 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
flussnahme auf den Funktionsablauf des Systems nach erfolgtem Start bedarf es mithin im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konfliktes auch bei „dynamic targeting“ Missionen nicht. 3. Zwischenfazit: Zulässigkeit vollautonomer Systeme
Ein vollständiges unwiderrufliches Ausschließen des Menschen aus dem Funktionsablauf autonomer Systeme nach erfolgter Systemaktivierung ist im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts in Kampfeinsätzen sowohl im Kontext des „deliberate targeting“ als auch des „dynamic targeting“ im Rahmen der aufgezeigten Beschränkungen zulässig. Folglich sind die Konstrukteure zukünftiger autonomer UACVs rechtlich nicht dazu verpflichtet die Möglichkeit einer menschlichen Einflussnahme auf den Funktionsablauf des Systems in das Konstruktionsdesign zu implementieren. Dies führt dazu, dass es der Implementierung einer Übertragungsmöglichkeit eines Live-Video-Feeds ebenfalls nicht bedarf. Das Problem vollautonomer Systeme liegt mithin weniger in deren Zulässigkeit, sondern vielmehr in der Beschränktheit der am Maßstab des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts zulässigen Einsatzmöglichkeiten und dem daraus resultierenden reduzierten praktischen militärischen Nutzen.106 Die bereits genannten Vorteile eines hohen Autonomiegrades unbemannter bewaffneter Luftsysteme können somit ausgeschöpft werden. Insbesondere kann der Einsatz vollautonomer UACVs im Einzelfall zu einem erhöhten Schutz der Zivilbevölkerung führen, weil emotionsbedingte Fehlentscheidungen ausgeschlossen sind.
E. Zulässigkeit halbautonomer UACVs Aus der Zulässigkeit vollautonomer Systeme folgt in einem Erst-RechtSchluss die Zulässigkeit halbautonomer UACVs. Denn diese sind dadurch charakterisiert, dass sie in der Art konstruiert werden, dass die autonom getroffene Zielauswahl durch menschliches Bedienpersonal aufgehoben werden kann und sie zu diesem Zweck einer fortwährenden menschlichen Überwachung unterliegen.107 Die Möglichkeit menschlicher Einflussnahme auf die Zielauswahl und Angriffsentscheidung kann dabei grundsätzlich durch zwei Arten in das Konstruktionsdesign halbautonomer UACVs implementiert werden.
106
So im Ergebnis auch Schmitt/Thurnher, S. 251. DoD Directive 3000.09, Glossary, Part II Definitions: „autonomous weapons system: This includes human-supervised autonomous weapon systems that are designed to allow human operators to override operation of the system, but can select and engage targets without further human input after activation.“ 107
E. Zulässigkeit halbautonomer UACVs
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I. Systeme mit automatischer Angriffsautorisationsabfrage Zum einen könnten sie mit einer Software ausgestattet werden, welche nach erfolgter autonomer Zielauswahl stets eine Autorisierung des Angriffes von dem Bedienpersonal abfragt und den Angriff folglich nur dann ausführt, wenn es die entsprechende Feuerfreigabe erhalten hat. In diesem Fall unterscheiden sich halbautonome UACVs im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts nicht von ferngelenkten Systemen. Denn die finale Angriffsentscheidung bliebe dann nach wie vor dem Menschen vorbehalten. Aus pragmatischen Gründen sollten jedoch zumindest hinsichtlich der Zielauswahl dieselben Maßnahmen wie bei einem Einsatz vollautonomer UACVs ergriffen werden. Denn dann kann die Notwendigkeit eines menschlichen Eingreifens auf ein Mindestmaß beschränkt werden. II. Systeme mit einer bloßen Interventionsmöglichkeit Zum anderen könnte jedoch auch lediglich eine softwarebasierte Abbruchsund Korrekturmöglichkeit in das Konstruktionsdesign implementiert werden. Der Vorteil dieser Variante liegt in der im Vergleich zur ersten Variante erhöhten Operationsgeschwindigkeit, die daraus resultiert, dass der Mensch nicht zwingend in den Funktionsablauf des Systems eingebunden ist. Da die Rückkopplung des Systems an das Bedienpersonal weniger stark ausgeprägt ist reduzierte sich zudem die erforderliche Satellitenkapazität. In der hohen Operationsgeschwindigkeit liegt jedoch zugleich auch ein Schwachpunkt dieses Ansatzes. Denn diese lässt dem Bedienpersonal nur sehr wenig Reaktionszeit. Dieser Umstand lässt einige Stimmen in der Literatur an der Effektivität solcher Systeme zweifeln.108 Laut Human Rights Watch führt die geringe Reaktionszeit des Bedienpersonals dazu, dass halbautonome Systeme, deren Konstruktion es Menschen lediglich erlaubt, in den Funktionsablauf einzugreifen, vollautonomen Systemen gleichzusetzen seien.109 Die Gleichsetzung derartiger Systeme mit vollautonomen Systemen überzeugt insbesondere im Lichte des bereits angesprochenen Phänomens des two-to-fivesecond-time-delay. Denn zunächst müssen die Signale, auf die der Mensch reagieren soll, von dem System an den Menschen übertragen werden. Danach muss der Befehl zum Abbruch des Angriffes zurück an das autonome UACV übermit108 Thurnher, S. 83: „(. . .) human decision-makers need a high degree of clarity about what situations the robot is facing. This oversight would not be effective if the human operator were merely a rubber stamp to approve an engagement.“ 109 Human Rights Watch/International Human Rights Clinic, Losing Humanity, S. 2: „The term fully autonomous weapon refers to both out-of-the-loop weapons and those that allow a human on the loop, but are effectively out-of-the-loop-weapons because the supervision is so limited.“
288 Kap. 6: Konstruktionsdesign und Einsatzbeschränkungen autonomer UACVs
telt werden. Da der Datenstrom per Satellit übertragen wird, verzögert sich die Reaktionszeit auf die Geschehnisse im Schlachtfeld um bis zu 5 Sekunden. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass sich diese rein technisch bedingte Verzögerung aufgrund der miteinzubeziehenden menschlichen Reaktionszeit verlängert. Denn der Mensch benötigt eines gewisse Zeit um die wahrgenommenen Signale zu erfassen und zu verarbeiten und um eine Entscheidung zu fällen. Grundsätzlich gilt, dass die Reaktionszeit umso länger ausfällt, je komplexer die empfangenen Informationen und die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen sind. Auch die körperliche und psychische Verfassung des Menschen beeinflusst die Reaktionsgeschwindigkeit. Darüber hinaus ist in der Wissenschaft anerkannt, dass der Druck zur Vornahme einer schnellen Reaktion in einer erhöhten Fehleranfälligkeit resultiert. Dieses Phänomen wird als „Speed-Accuracy-TradeOff“ bezeichnet.110 Die Summe der insgesamt benötigten Zeiten verdeutlicht, dass dem menschlichen Bedienpersonal, insbesondere im Kontext des „dynamic targeting“, eine hinreichende Reaktionszeit eingeräumt werden muss, um dem Widerrufsmodell zur praktischen Wirksamkeit und somit zu einer Abgrenzbarkeit zur Vollautonomie zu verhelfen. Dies kann dadurch erreicht werden, dass Systeme, die über eine bloße Interventionsmöglichkeit verfügen, mit einer Steuerungssoftware ausgestattet werden, die eine automatische Angriffsverzögerung im Funktionsablauf bewirken, die dem Menschen ein hinreichend großes Zeitfenster eröffnet, um die Angriffsentscheidung des UACVs gegebenenfalls überschreiben zu können. Diese Beschränkung ist jedoch aus rechtlicher Perspektive keinesfalls zwingend notwendig. Auch ohne die Implementierung derartiger Mechanismen sind Systeme, die konstruktionsbedingt nur eine Intervention des Menschen ermöglichen, ebenso wenig wie vollautonome Systeme nicht per se verboten. Allerdings sind sie dann in ihrer rechtlichen Würdigung vollautonomen Systemen gleichzusetzen.
110
Wickelgren, S. 67.
Kapitel 7
Fazit Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass das Recht des internationalen bewaffneten Konflikts einem Einsatz selbst vollautonomer UACVs trotz der bestehenden technischen Unzulänglichkeiten im Hinblick auf die Umsetzung des völkerrechtlichen Pflichtenkatalogs nicht per se entgegensteht. Folglich ist die Implementierung eines Mechanismus zur Gewährleistung einer menschlichen Einflussnahme auf den Funktionsablauf derartiger Systeme nach erfolgtem Start nicht zwingend geboten. Um einen im Lichte des Rechts des internationalen bewaffneten Konflikts rechtskonformen Einsatz zu gewährleisten, müssen autonomen Systemen jedoch in Abhängigkeit von dem implementierten Autonomiegrad und dem vorgesehenen Verwendungszeck enge Vorgaben hinsichtlich der zulässigen Angriffsziele vorab einprogrammiert werden und gegebenenfalls das Einsatzgebiet beschränkt werden. Die notwendigen Restriktionen führen zwar zu einer geminderten praktischen Verwendbarkeit autonomer Systeme. In dem beschränkten Umfang, in dem sie eingesetzt werden können, bietet ihr Einsatz jedoch aus militärischer Sicht eine Vielzahl von Vorteilen, die in dieser Arbeit ausführlich dargelegt wurden. Ihr Einsatz kann jedoch im Einzelfall auch zu einem erhöhten Schutz der Zivilbevölkerung führen, weil emotionsbedingte Fehlentscheidungen ausgeschlossen sind. Das Spektrum möglicher Einsatzarten dürfte sich aufgrund der rapide fortschreitenden technologischen Entwicklung in Zukunft sogar noch erweitern. Folglich ist zu konstatieren, dass – bei Licht betrachtet – die in der zunehmend öffentlich geführten Debatte zum Teil geäußerten Bedenken gegen einen verstärkten Rückgriff auf autonome Systeme jedenfalls aus rechtlicher Sicht unbegründet sind. Gleichwohl mag der Einsatz von Systemen, die vollautonom über den Einsatz bewaffneter Gewalt entscheiden, erhebliche philosophische und ethische Fragen aufwerfen. Die Frage, ob derartige Systeme aus ethischer oder philosophischer Sicht eingesetzt werden sollten, musste für diese Abhandlung, die allein den rechtlichen Problemstellungen gewidmet ist, jedoch unbeantwortet bleiben.
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Sachverzeichnis Aim Point 125, 126 Angriffsentscheidung 22, 23, 36, 52, 71, 78, 87, 105, 106, 110, 111, 116–118, 124, 127, 227, 241, 246, 260, 264, 266, 268–270, 274, 278, 279, 284, 286–288 Angriffsmethode 121–123, 125, 126, 271 Angriffsmittel 27, 38–41, 47, 97, 99, 110, 121–125, 169, 171, 261, 262, 275, Angriffswinkel 110, 125, 126, 265, 270 Angriffszeit 110, 125, 265, 270, 272 Aufklärung 19, 20, 30, 36, 63, 119, 120, 123, 225, 279, 282, 283
Effektive Gebietskontrolle 198–204, 206, 209, 210 Elementary Considerations of Humanity 142, 149–151 Ethical Governor 243–245, 253 Extraterritoriale Anwendbarkeit von Menschenrechten 176, 180–187, 192–200, 202, 208, 210, 216 Exzessverbot 56, 85, 99–107, 109–113, 121, 127, 130, 131, 137, 140, 172, 175, 176, 232–234, 243, 251, 252, 257–260, 263, 267–269, 273–275, 280–282
Belligerent Nexus 65, 66, 248
Feasibility 27, 52, 116–128, 130, 132, 275, 284
Beurteilungs-/Einschätzungs-/Ermessensspielraum 65, 111, 118, 120, 124, 131, 132, 148, 275, 276
Forderungen des öffentlichen Gewissens 50, 139–144, 148, 149, 152, 157–166
Brüsseler Erklärung 48, 51, 55, 168
Grundsatz des Limited Warfare 49, 52, 95,
Conduct-Based-Targetability 259, 266, 267, 280
Grundsätze der Menschlichkeit 139–141, 143, 148–150, 152, 156–162, 164, 165
Deliberate Targeting 260, 265, 269, 270, 272, 274–279, 284, 286
Grundsätze des Völkerrechts 159–162, 165
Derogationsklausel 177, 178, 180, 192, 215, 216
Haager Luftkriegsregeln 41, 43–47, 83, 92, 137
Desuetudo Doktrin 220–222
Halbautonomie 24, 255, 286, 287
Direkte Teilnahme an den Feindseligkeiten 55–58, 61, 62, 64–68, 70–72, 74, 75, 77–82, 91, 93, 94, 103, 139
Hors de Combat 55, 56, 77, 93, 246, 248, 263, 267
Dreistufiger Angriffstest 85, 264, 265, 269, 278
Human Rights Committee 181, 187
Dual-Use-Objects 88, 89, 94
ICRC 28, 53, 57–66, 68–71, 73–79, 81, 82, 94, 120, 138, 139, 211, 214, 232, 241
Dynamic Targeting 260, 269, 278, 279, 282, 284–286, 288
HPCR Manual 29, 35, 42, 45, 119
320
Sachverzeichnis
IGH 27, 50, 139, 141, 142, 149–152, 155, 180, 182, 183, 185, 187, 190, 211–214, 224, 230, 231, 239, 240 Kampfmittel 37, 38, 39, 47, 95–98, 232, 262–264 Kollateralschaden 39, 40, 75, 77, 85, 89, 100–106, 108–113, 121–124, 126, 128, 129, 243, 244, 251–253, 268, 270, 274–276, 278, 281–284 Kollateralschadensminimierungspflicht 121, 275 Kombattant 51–56, 70, 72, 75, 76, 78– 81, 93, 103, 113, 149, 150, 159, 163, 165, 169, 232, 245–248, 252, 258, 263, 267 Komplementaritätstheorie 179 Konstruktionsdesign 23, 25, 254, 257, 265, 278, 286, 287 Künstliche Intelligenz 24, 251, 253, 254
Militärisches Luftfahrzeug 23, 43–47, 84, 107, 126, 249, 250 Militärisches Ziel 38, 51–55, 66–68, 71, 75, 77, 82–97, 99, 101, 102, 104, 105, 113, 118, 128, 130, 131, 232, 243, 244, 248, 249, 257, 262–264, 266–274, 280, 282, 284, 285 Mittel der Kampfführung 37–41, 47, 261 Mittel der Kriegführung 25, 27–32, 35– 41, 47–50, 52, 61, 62, 102, 104, 114, 133, 137–143, 152, 153, 155, 156, 158, 162, 163, 166, 175, 214, 218, 223–231, 233, 234, 236–242, 261, 264, 284, Mittel zur Schädigung des Feindes 30, 31, 41, 47, 61, 261 Nebel des Krieges 80, 104, 118, 120 Notwendigkeit einer menschlichen Wertung 110, 248, 251 Oxford Manual 48, 51, 168
Levée en masse 53–55, 93, 103 Lex-Specialis-Maxime 211–215 Lieber Code 50, 55, 147, 148 Luftkriegsrecht 26, 41, 42, 46, 53, 56, 83, 84, 100, 133 Martens’sche Klausel 50, 112, 133–138, 140, 142, 143, 145–155, 158, 162, 163, 234, 258, 264 Methode der Kampfführung 95–98 Methode der Kriegführung 25, 28, 40, 41, 48, 49, 61, 62, 104, 137, 140–142, 152, 153, 158, 162, 175, 214, 218, 223, 225–234, 238–242 Militärische Notwendigkeit 56, 69, 73, 74, 77, 102, 164, 172, 173, 211, 258, 264 Militärischer Befehlshaber 24, 105, 106, 111, 116, 118–120, 122–124, 130–132, 255, 274–276, 278, 283, 284 Militärischer Vorteil 83, 86, 88, 92–94, 100, 102, 106–111, 113, 124, 127–132, 238, 243, 250–252, 264, 270, 273, 274, 276, 281–283, 285
Pflicht zum Abstandnehmen von einer Angriffsentscheidung 126, 127, 275, 284 Pflicht zur Angriffsunterbrechung 127, 128, 276, 277, 284 Phänomen des Scenario-Fullment 22, 256 Plattform 36, 37, 40, 41 Prinzip der Ritterlichkeit 167, 172–174 Qualitative Analysen 246, 250, 267 Reizüberflutung 21, 256 Satelittenkapazität 21, 22, 256, 287 Separationstheorie 176–179 Situational Awareness 246, 257, 266 Speed-Accuracy-Trade-Off 288 St. Petersburger Erklärung 27, 50–52, 91, 164, 218 Staatenpraxis 31–33, 36, 37, 44, 45, 57, 84, 86, 89, 90, 105, 119, 123, 124, 140,
Sachverzeichnis
321
141, 158, 161, 164, 173, 187, 193, 223, 238–240 Streitkräfte 19, 20, 22, 31, 43–47, 54, 55, 60, 63, 73, 76, 78, 91, 93, 108, 111, 115, 119, 120, 125, 126, 129, 169, 170, 172, 186, 195, 200, 225, 226, 228, 247, 275, 283
Vollautonomie 24, 25, 167, 243, 248, 250, 251, 253–255, 257–261, 263–289
Targets of Opportunity 129 Technische Fehlfunktion 96, 105, 284 Travaux Préparatoires 29, 38, 120, 159, 162, 175, 178, 182, 186, 187, 189, 191, 194, 195, 197, 204, 205, 208, 224, 229, 230, 231 Two-to-Five-Second-Time-Delay 20, 22, 256, 287
Waffensystem 35–37, 39–41, 47, 122, 258, 260, 277
Unterscheidungsgrundsatz 50–53, 55, 56, 58, 71, 82, 83, 88, 90, 93, 94, 113, 137, 172, 233, 234, 242, 244, 247, 251, 257, 258, 260, 264, 265, 267–273, 276, 279, 280 Unterschiedslose Bombardierungen 93, 94 Vattel’sche Maxime 190, 191 Verbot der Perfidie 46, 167, 168, 170, 171, 173, 174 Verbot der Terrorisierung der Zivilbevölkerung 174–176 Verbot der unbeschränkten Kriegführung 30, 48, 49, 50, 225 Verbot meuchlerischer Tötung 167–170, 173, 174 Verbot unterschiedsloser Angriffe 28, 37, 49, 94–98, 100, 231, 232, 234, 237, 244, 262, 263, 270, 271, 279
Waffe 27–29, 31–40, 47, 55, 79, 84, 98, 122, 126, 154, 218, 223–226, 228, 229, 232–234, 243, 245–248, 259, 261, 262, 281, 282
War-Sustaining Capability 89, 91, 92, 94
Zero-Casulty-Warfare 20 Zielidentifizierung 63, 119, 244, 246, 248–250, 258, 260, 263, 265, 266, 268, 271–273, 280 Zivilbevölkerung 23, 49, 51, 53–55, 61, 82, 89, 96, 104, 108, 112, 114, 115, 120, 126, 132, 136, 145, 148, 156, 163, 174–176, 211, 247, 256, 263, 270, 271, 273, 275–277, 280, 281, 284–286, 289 Zivile Objekte 38–40, 51–53, 71, 80, 82, 83, 85, 86, 88, 89, 95, 96, 99, 101–103, 105, 108, 110, 111, 113, 115, 116, 126, 131, 132, 232, 233, 252, 259, 262, 263, 268, 271–273, 275, 276, 280–282, 284, 285 Zivilperson 39, 51–56, 58, 60–63, 66– 83, 91, 94, 95, 99, 101–106, 110, 111, 113, 115, 116, 129, 131, 132, 139, 146–150, 159, 163, 165, 233, 245–249, 252, 259, 262, 263, 266–268, 270–273, 275–277, 280, 281, 284, 285 Zweifelsfallregel 55, 78–82, 86–88, 121, 141, 164, 273, 280