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German Pages 526 [527] Year 2021
Beiträge zum Parlamentsrecht Band 82
Ausschussöffentlichkeit im Deutschen Bundestag
Von
Arndt Alexander Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
ARNDT ALEXANDER SCHMIDT
Ausschussöffentlichkeit im Deutschen Bundestag
Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von Professor Dr. Horst Risse, Berlin Professor Dr. Utz Schliesky, Kiel Professor Dr. Christian Waldhoff, Berlin
Band 82
Ausschussöffentlichkeit im Deutschen Bundestag
Von
Arndt Alexander Schmidt
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 978-3-428-18246-6 (Print) ISBN 978-3-428-58246-4 (E-Book)
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Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde im April 2020 von der Juristischen Fakultät der Universität Hannover als Dissertationsschrift angenommen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand von Oktober 2020. Mein besonderer Dank gilt zuvorderst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Hermann Butzer, der nicht nur diese Arbeit vorbildlich mit Rat und Tat gefördert hat, sondern auch meinen gesamten akademischen Werdegang während der langjährigen Mitarbeit an seinem Lehrstuhl wohlwollend begleitet hat. Ich werde diese Zeit stets in sehr guter Erinnerung behalten, wofür auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Lehrstuhl Dank gebührt. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens neben seinen Verpflichtungen als Universitätspräsident und für seine konstruktive Kritik danke ich Herrn Professor Dr. Volker Epping. Ferner danke ich Frau Inge Gerstberger sowie Herrn Dr. Christoph Lontzek für den persönlichen Austausch und die sehr instruktiven Einblicke in die Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages bzw. des Berliner Abgeordnetenhauses. Für die Betreuung während meines Forschungsaufenthalts an der University of Oxford danke ich Herrn Professor Dr. Paul Craig, der mein Verständnis des britischen Parlamentsrechts wesentlich vertieft hat. Zudem bin ich der Hanns-SeidelStiftung zu Dank verpflichtet, die mich während der Anfertigung dieser Arbeit großzügig mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Für die schöne gemeinsame Studienzeit und persönliche Verbundenheit danke ich herzlich Alexander Malte Aumüller, Nicolas Klein sowie Jan Sommerfeld, die außerdem durch das akribische Korrekturlesen dieses Textes viele wertvolle Hinweise geliefert haben, welche die Arbeit noch einmal vorangebracht haben. Vor allen Dingen aber danke ich von Herzen meinen Eltern, Brigitte und Dr. med. vet. Gerhard Schmidt, die den Grundstein für meinen bisherigen Lebensweg gelegt haben und mir hierbei jede erdenkliche Unterstützung haben zukommen lassen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Peine, im Dezember 2020
Arndt Alexander Schmidt
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung
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A. Anlass der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Wissenschaftliche Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Begriffsdefinitionen – Ausschuss- und Öffentlichkeitsverständnis . . . . . . . . . I. Bundestagsausschüsse als Untersuchungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsdimensionen der Öffentlichkeit als Untersuchungsobjekt . . . . . . . . .
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E. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 2 Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung – Der Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit im Kontext der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ansätze im Frühkonstitutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung von der Nationalversammlung 1848/49 bis zur Reichsgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reichsverfassung von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Traditionslinien und Brüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Geistesgeschichtliche Begründung und Funktionsbestimmung des Grundsatzes der Parlamentsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwurzelung in der Rechtsphilosophie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Immanuel Kant – Publizität als Handlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jeremy Bentham – Öffentlichkeit und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Georg Wilhelm Friedrich Hegel – Öffentlichkeit als Bildungs- und Integrationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
33 33 38 40 40 44 47 49 50 51 52 53 54 56 61
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Inhaltsverzeichnis II. Rezeption durch die liberale Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts . . . . . . . 1. Öffentlichkeit als Garant von Wahrheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . 2. Pragmatische Aspekte liberaler Öffentlichkeitskonzeptionen . . . . . . . . . . . 3. Konservative Gegenpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wandel und Kritik klassischer Öffentlichkeitsfunktionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Veränderung der Rahmenbedingungen parlamentarischer Öffentlichkeit . a) Strukturwandel der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strukturwandel des Parlamentarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verteidigung und Kritik des modernen Parlamentarismus – Verschiebung des Begründungsdiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Max Weber – Verschiebung der Öffentlichkeitsfunktion . . . . . . . . . . . . b) Carl Schmitt – Fortfall der Öffentlichkeitsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung und Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begründungsdiskurse zur Parlamentsöffentlichkeit unter dem Grundgesetz . 1. Öffentlichkeit als Demonstration von Ergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlichkeit als demokratische Kommunikation über Entscheidungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Öffentlichkeitsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentlichkeit im Wechselspiel von Akzeptanz und Legitimität . . . . . . . . 4. Synthese und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Aktuelle Entwicklung der Parlamentsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fortschreitender Strukturwandel der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftliche, rechtliche und technische Ausdifferenzierung sowie deren Folgen für die parlamentarische Arbeitslast . . . . . . . . . . . . b) Veränderte Wirkbedingungen der Parlamentsöffentlichkeit im televisuellen und digitalen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entstehung gesellschaftlicher Teilöffentlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedeutungsverlust der Parlamentsöffentlichkeit als Folge des Strukturwandels der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkung in Form eines neuerlichen Strukturwandels des Parlamentarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Innerparlamentarische Differenzierung, Spezialisierung und deren Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgabenverlagerung auf parlamentarische Ausschüsse . . . . . . . . . . . . c) Rationalisierung der Plenardebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Problembefund und wissenschaftlicher Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64 64 66 70 71 72 72 75 79 79 81 83 83 84 87 87 90 90 91 93 93 96 101 102 102 105 109 111 113 113 117 119 121
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 3 Verfassungsrechtliches Gebot der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bezug staatlicher Öffentlichkeit zum grundgesetzlichen Menschenbild . . . . 1. Personale Wertentscheidung des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Bindung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Synthese und Rückbezug auf staatliche Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bezug staatlicher Öffentlichkeit zu den Staatsstrukturprinzipien . . . . . . . . . . 1. Öffentlichkeit im Rahmen des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Aussagegehalt des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Anknüpfungspunkte für Öffentlichkeitsgebote . . . . . . . . . . . aa) Öffentlichkeit als Voraussetzung der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentlichkeit als Voraussetzung demokratischer Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Öffentlichkeit als Mittel gesellschaftlicher Integration . . . . . . . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlichkeit im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeiner Aussagegehalt des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Anknüpfungspunkte für Öffentlichkeitsgebote . . . . . . . . . . . aa) Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument staatlicher Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtssicherheit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Effektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kontrolle durch Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtsstaatliches Fairnessgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Unabhängigkeit der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Mäßigung staatlicher Macht und Grundrechtsgewährleistung . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis demokratisch und rechtsstaatlich begründeter Öffentlichkeit . 4. Öffentlichkeit im Rahmen weiterer Staatsstrukturprinzipien . . . . . . . . . . . III. Bezug staatlicher Öffentlichkeit zur Wertentscheidung einer grundrechtlich gewährleisteten Kommunikationsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausübung der Kommunikationsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungs- und Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG . . . b) Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nach Art. 8 und 9 GG . . . . c) Petitionsrecht gemäß Art. 17 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitwirkung von Parteien an der staatlichen Willensbildung . . . . . . . . . . .
125 126 127 127 128 129 130 131 131 134 135 138 140 142 143 143 146 146 148 150 152 154 154 155 156 156 158 160 160 161 164 166 167
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Inhaltsverzeichnis 3. Relevanz der Massenmedien im Kommunikationsprozess . . . . . . . . . . . . . 170 4. Öffentlichkeit als Teil einer objektiven Werteordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 IV. Bestehen eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Rechtsdogmatische Grundlegung – Unterscheidung von Verfassungsprinzipien und -grundsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Allgemeines Öffentlichkeitsprinzip als freizulegende Grundannahme . . . 177 3. Herleitung eines allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips im Wege der Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4. Ableitung eines allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes im Wege der Deduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5. Verhältnis des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu Art. 42 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . 183 I. Methodik der Verfassungsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Anwendungsbereich des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Der Grundfall: Ausschüsse als vorbereitende Beschlussorgane . . . . . . . . . 188 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausschussöffentlichkeit als geeignetes Mittel zur Zweckerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erforderlichkeit der Ausschussöffentlichkeit zur Zweckerreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194 197 201
204 (2) Ausschüsse als vorbereitende Beschlussorgane . . . . . . . . . . . . 205 (3) Nachträgliche Transparenz des Ausschussverfahrens . . . . . . . 206
(4) Ausschussverfahren im Gesamtkontext der Beratungen . . . . . 207 e) Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 f) Exkurs: Rechtsfortbildende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Die Sonderkonstellation: Ausschüsse als plenarersetzende und selbstverantwortliche Beratungsgremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Plenarersetzende Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Anwendungsfälle der Entscheidungsdelegation . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Rechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Selbstbefassungsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Abschließende Beratung im Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Einschränkung des Anwendungsbereichs aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Inhaltsverzeichnis
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1. Öffentlichkeitsbegrenzende Verfassungsrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatswohlinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit der Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Plenarersetzende Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . (2) Staatswohlinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abstrakte Wertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Konkrete Wertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstbefassungsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit . . . . . . . . . (2) Staatswohlinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Staatswohlinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abstrakte Wertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Konkrete Wertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 228 231 234 236 236 236 236 240 241 241 241 242 243 246 247 247 247 247 248 251 251 251 251 252 252 253 254 255 255
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz . . I. Anwendbarkeit des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes auf Parlamentsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Anwendungsvorrang speziellerer Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsvakuum und Regelungsanspruch der Verfassung . . . . . . . . . . . . 3. Keine Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkretisierung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes in Bezug auf Parlamentsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausschussöffentlichkeit als Rechtsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255 257 257 258 260 260 261
14
Inhaltsverzeichnis a) Der Grundfall: Ausschusssitzungen als Vorbereitung der Plenardebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Sonderkonstellation: Wegfall der öffentlichen Beratung im Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestehen eines verfassungsrechtlichen Gebots der mündlichen Erörterung parlamentarischer Vorlagen im Plenum . . . . . . . . . . . . bb) Wegfall der Beratung im Plenum als Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Mindestvorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzesvorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Immunitätsangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Petitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Wahl der Bundesverfassungsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Synthese und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Koordinierung mit gegenläufigen Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fallbeispiel: Justizmitteilungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264 266 267 274 274 276 279 281 283 285 287
Kapitel 4 Inhaltliche Reichweite der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit . . I. Sitzungsöffentlichkeit von Parlamentsausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schaffung eines Zuschauerraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Administration und Begrenzung des Zugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderstellung von Medienvertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausschluss von Störern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Verhandlungen“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit auf Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit auf Sachabstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendbarkeit auf Parlamentaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektives Recht auf Zugang analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . a) Meinungsstand im Schrifttum zu Art. 42 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundrechtlicher Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistungs- bzw. abwehrrechtlicher Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . c) Zugangsversagung als Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliche geschäftsordnungsrechtliche Nichtöffentlichkeit . bb) Teilnahmeversagung gegenüber einzelnen Zuhörern . . . . . . . . . . . cc) Ausschluss der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Prozessuale Durchsetzbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
290 290 292 292 293 293 295 296 297 298 299 301 302 302 305 305 308 312 313 315 317 318
Inhaltsverzeichnis
15
II. Berichterstattungsöffentlichkeit von Parlamentsausschüssen . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Amtliche Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 a) Pflicht zu amtlicher Parlamentsberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Umfang der Berichterstattungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 c) Exkurs: Rundfunk- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Echtzeitübertragungen und Videoaufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 d) Exkurs: Datenschutzrechtliche Zulässigkeit von Echtzeitübertragungen und Videoaufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 aa) § 23 KUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 bb) Bewertung unter Geltung der DS-GVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Nichtamtliche Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Berichterstattung mit medienspezifischen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Grenzen der Berichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 3. Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichterstattung . . . . . . . . . . . 338 III. Mindestanforderungen an die mündliche Erörterung parlamentarischer Vorlagen im Ausschuss analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 IV. Materiell-rechtliche Anforderungen an die inhaltliche Nachvollziehbarkeit von Ausschusssitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Erfordernis einer Vorankündigung und Einarbeitungsmöglichkeit . . . . . . 344 2. Verständlichkeit des Beratungsverlaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 3. Materielle Vorgaben für Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 B. Inhalte und Reichweite der Öffentlichkeitspflicht aus einer Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 C. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 I. Formen der Nichtöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 II. Voraussetzungen des Ausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Materielle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 a) Staatswohlinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 b) Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 III. Rechtsfolge des Öffentlichkeitsausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 D. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz im Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 I. Vertretenes Meinungsspektrum zu Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 370 II. Eigene Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Rechtsfolge für spätere Gesetzesbeschlüsse des Plenums . . . . . . . . . . . . . 371 2. Rechtsfolge für sonstige Beschlüsse mit Außenwirkung . . . . . . . . . . . . . . 375 3. Exkurs: Einschränkungen aufgrund einer Erheblichkeitsschwelle . . . . . . 375
16
Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Schlussfolgerungen
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine „Ausschussöffentlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung: Gebundenheit des Geschäftsordnungsgebers . . . . . . . . . . . . . II. Bisherige Ausschussöffentlichkeit im Rahmen von §§ 69, 69a und 70 GO-BT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 69 GO-BT – Fakultative Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz: Nichtöffentlichkeit von Ausschussberatungen . . . . . . . . . . . b) Ausnahme: Zulassung der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 69a GO-BT – Erweiterte öffentliche Ausschussberatung . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrensvoraussetzungen und Parlamentspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 70 GO-BT – Öffentliche Anhörungssitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrensvoraussetzungen und Parlamentspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Erklärungsöffentlichkeit als funktionales Äquivalent? . . . . . . . . . III. Bisherige inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgestaltung der Sitzungsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfang des Zuschauerraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Administration und Begrenzung des Zugangs im Rahmen des Hausrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluss von Störern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung der Berichterstattungsöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Amtliche Ausschussberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtamtliche Ausschussberichterstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mündlichkeit der Ausschussverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Umsetzung der Vorgaben der materiell-rechtlichen Öffentlichkeitsdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verfassungsrechtliche Reformnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebot der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heranziehung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verbleibender Ausgestaltungsspielraum des Geschäftsordnungsgebers . . . . .
377
377 377 381 381 381 386 387 389 389 392 394 396 399 399 401 401 401 402 405 409 409 412 412 413 416 416 417 417 417 418 418 419
Inhaltsverzeichnis C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umsetzung des Gestaltungsspielraums durch verfassungspolitische Maximalforderung grundsätzlicher Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Klassische Kritikpunkte einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit . 2. Praxiserkenntnisse aus dem Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praxiserkenntnisse aus den Landesparlamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfang landesparlamentarischer Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . b) Praktische Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen auf die Arbeits- und Funktionsfähigkeit von Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentliche Resonanz der Ausschusstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übertragbarkeit der Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Praxiserkenntnisse aus dem Europäischen Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Praxiserkenntnisse aus dem britischen House of Commons . . . . . . . . . . . . a) Umfang der Ausschussöffentlichkeit im House of Commons . . . . . . . aa) Select Committees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Public Bill Committees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . b) Praktische Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit . . . . . . . . . . . aa) Auswirkungen auf die Arbeits- und Funktionsfähigkeit von Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Select Committees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Public Bill Committees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentliche Resonanz der Ausschusstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übertragbarkeit der Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) House of Commons als Vergleichsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Funktionelle Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fazit und Positionierung im verfassungspolitischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . III. Eigener Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 421 421 422 424 427 427 430 431 434 436 439 442 444 444 446 448 449 449 449 451 457 458 458 461 465 468
Kapitel 6 Zusammenfassung in Thesen
471
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
Kapitel 1
Einführung In schlichter Klarheit formuliert § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT als Grundregel für das Verfahren der Ausschüsse des Deutschen Bundestages: „Die Beratungen der Ausschüsse sind grundsätzlich nicht öffentlich.“
Prima facie vermag dieser Umstand zu verwundern, erhebt das Parlament doch den Anspruch als „Forum der Nation“ 1 der Ort zu sein, an dem in öffentlicher Auseinandersetzung die großen, die Gesellschaft bewegenden Fragestellungen beraten werden.2 Zwar eröffnen die sodann folgenden Geschäftsordnungsbestimmungen verschiedene Möglichkeiten, vom vorstehenden Grundsatz abzuweichen und die Öffentlichkeit von Ausschüssen herzustellen. Diese werden jedoch entweder – wie etwa die Möglichkeit, nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT die Öffentlichkeit der Sitzung zu beschließen – in der Praxis nur sehr begrenzt wahrgenommen3 oder beziehen sich – wie die Möglichkeit, öffentliche Anhörungssitzungen zu veranstalten – von vornherein auf einen eng umgrenzten Teilbereich der Ausschusstätigkeit. Sie vermögen somit den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit allenfalls geringfügig zu relativieren.
A. Anlass der Untersuchung Es nimmt daher nicht wunder, dass die Öffentlichkeit von Bundestagsausschüssen in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand von Reformüberlegungen war. Die Frage, ob parlamentarische Ausschüsse grundsätzlich öffentlich 1 Vgl. hierzu statt vieler Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, BT-PlPr 18. WP/ 1. Sitzung vom 22.10.2013, S. 8. 2 So erhebt der Bundestag selbst einen dezidierenden Anspruch an die eigene Transparenz. Beispielhaft hierfür ist die institutionelle Verfestigung der Abteilung I „Information und Dokumentation“ der Bundestagsverwaltung, welche für verschiedene Aspekte der Außendarstellung, u. a. für die Parlaments- und Pressedokumentation, das Parlamentsfernsehen, den Besucherdienst sowie für die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages, zuständig ist. Vgl. den Organisationsplan der Verwaltung des Deutschen Bundestages, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/189334/ 51cab6a18eb6210c88e1fcaaf91a47b9/lan-de-data.pdf (03.09.2019). 3 In der 17. Wahlperiode wurde lediglich in 151 Fällen von insgesamt 2805 Ausschuss- und Unterausschusssitzungen die Öffentlichkeit beschlossen. Siehe hierzu Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 7.17, Kapitel 8.1 und Kapitel 8.7, jeweils abrufbar unter: https://www.bundes tag.de/datenhandbuch (10.10.2019).
20
Kap. 1: Einführung
oder nichtöffentlich tagen sollen, war bereits bei der Entstehung der Geschäftsordnung des Bundestages 1951 Thema, wobei hier allein die Möglichkeit öffentlicher Informationssitzungen Eingang in die Verfahrensvorschriften fand.4 Im Zuge der sog. „kleinen Parlamentsreform“ von 1969, welche, in der Absicht, die „Strukturmängel einer parlamentarischen ,Mischform‘ von Rede- und Arbeitsparlament“ 5 abzumildern, erhebliche Änderungen des parlamentarischen Verfahrens und der zugrunde liegenden Geschäftsordnung mit sich brachte,6 war auch die Frage der Ausschussöffentlichkeit Streitthema in der Reformkommission, im Geschäftsordnungsausschuss sowie im Plenum.7 Im Ergebnis wurde eine grundsätzliche Öffnung der Ausschüsse allerdings abgelehnt und nach einer Kampfabstimmung mit knapper Mehrheit für den heutigen § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT votiert, welcher die Möglichkeit eröffnet, die Öffentlichkeit durch Mehrheitsbeschluss des Ausschusses herbeizuführen.8 Im Anschluss hieran wurde in den siebziger Jahren weiter verschiedentlich im juristischen9 und politikwissenschaftlichen10 Schrifttum Kritik am status quo bei gleichzeitiger Forderung einer Reformierung hin zur vollständigen Öffentlichkeit geübt. Auch die in der 7. Wahlperiode eingesetzte Enquête-Kommission Verfassungsreform plädierte für die Einführung der Öffentlichkeit jedenfalls von erweiterten Ausschussberatungen.11 In der Folge wurde es für einige Zeit stiller um die Reformfrage. Neuen Auftrieb erhielt die Forderung nach Ausschussöffentlichkeit mit Einzug der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag. Diese sprachen sich erstmals in der 10. Wahlperiode für die grundsätzliche Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen aus12 und setzten diese Initiative in der folgenden Wahlperiode fort.13 Im Gefolge der Parlamentsreform von 1995 wurde das Thema Ausschussöffentlichkeit erneut aktuell. Diese resultierte schließlich in der Einführung von § 69a GO-BT, welcher die Möglichkeit sog. „erweiterter öffentlicher Ausschussberatungen“ vorsieht. Im Rahmen dieses Verfahrens wird die ab4
Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 5. Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 67. 6 Siehe hierzu Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 527 ff. 7 Dabei sprach sich die FDP für eine grundsätzliche Öffentlichkeit und die SPD für eine fakultative Ausschussöffentlichkeit aus. Die CDU/CSU-Fraktion lehnte beide Alternativen ab. Vgl. hierzu Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (81). 8 BT-PlPr 5. WP/240. Sitzung vom 18.9.1969, S. 13305 ff. 9 Achterberg, Die parlamentarische Verhandlung, 1979, S. 29 f.; Linck, DÖV 1973, S. 513 ff.; Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 69 (117); Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 143 ff.; Versteyl, Der Einfluß der Verbände, 1972, S. 221 f. 10 Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 ff.; ders., ZParl 6 (1975), S. 77 ff.; Steffani, in: Lenz, Mensch und Staat in NRW, S. 259 (267 f.); Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik, 1976, S. 45. 11 BT-Drs. 7/5924, S. 95 f. 12 BT-PlPr 10. WP/1. Sitzung vom 29.3.1983, S. 12 ff. 13 BT-Drs. 11/6021. 5
A. Anlass der Untersuchung
21
schließende Plenaraussprache durch eine Debatte im „kleinen Plenum“ 14 der erweiterten Ausschussberatung substituiert. In der Praxis stellte sich das Procedere der erweiterten öffentlichen Ausschussberatungen jedoch als zu sperrig und kompliziert dar, sodass es schlechthin kaum zur Anwendung gelangte und den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit daher nicht konterkariert.15 Die insoweit weiterhin ungeklärte Frage der Reformierung der Ausschussöffentlichkeit hat in jüngster Vergangenheit neue Aktualität gewonnen. In der 18. Wahlperiode ist auf Betreiben der Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ein Antrag in den Bundestag eingebracht worden, der eine grundsätzliche Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen zum Ziel hatte.16 Der Vorschlag sah im Kern vor, das Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Ausschusssitzungen in § 69 Abs. 1 GO-BT umzukehren. Daneben wurde eine als Soll-Vorschrift ausgestaltete Übertragung von öffentlichen Ausschusssitzungen in Echtzeit im Internet angeregt. Zur Wahrung von Geheimnisschutzinteressen sah der Vorschlag eine Ausschlussmöglichkeit vor, die an das Vorliegen überwiegender gesetzlich bestimmter oder auf § 17 GO-BT beruhender Geheimhaltungsbedürfnisse bzw. schutzwürdiger Interessen Einzelner geknüpft war. Über den Ausschluss sollte dabei in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und abzustimmen sein. Schließlich beinhaltete die Vorlage die Regelung, dass Protokolle öffentlicher Ausschusssitzungen, die zugänglichen Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen sowie alle Ausschussdrucksachen und sonstigen Beratungsunterlagen, die keine Verschlusssachen darstellen, zeitnah öffentlich zugänglich gemacht werden. Die Regierungsfraktionen der CDU/CSU sowie der SPD positionierten sich bereits früh gegen den Vorstoß. Zur Begründung wurde von deren Vertretern17 insbesondere auf die zu schützende Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse verwiesen, der eine Dauerbeobachtung durch das Publikum Schaden zufügen würde. Im Interesse sachlicher Effizienz der Vorbereitung von Beschlüssen und schneller Aufarbeitung komplexer Sachverhalte ohne „Schaufensterpolitik“ sollten die Ausschüsse vielmehr weiterhin nichtöffentlich tagen.18
14
Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 107. Seit der Einführung wurde vom Instrument der erweiterten öffentlichen Ausschussberatung lediglich dreimal in der 13. Wahlperiode sowie einmal in der 14. Wahlperiode Gebrauch gemacht. Siehe Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 8.6, abrufbar unter: https:// www.bundestag.de/datenhandbuch (10.10.2019). 16 BT-Drs. 18/3045 S. 1 ff. 17 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird im Kontext dieser Untersuchung nicht ausdrücklich nach geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt eine adäquate weibliche Form gleichberechtigt ein. 18 Siehe hierzu die Einlassungen der Abgeordneten Michael Grosse-Bröhmer (CDU) und Cristine Lambrecht (SPD) gegenüber dem Spiegel, abrufbar unter: http://www. 15
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Kap. 1: Einführung
Nach Durchführung einer öffentlichen Anhörung mit Datum vom 22. April 201519 votierte der mit der Vorlage befasste Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung entsprechend der Regierungsmehrheit in seiner Beschlussempfehlung gegen den Oppositionsantrag.20 Der Beschlussempfehlung folgend, wurde die Einführung grundsätzlicher Ausschussöffentlichkeit schließlich in der Sitzung des Bundestages vom 9. Juni 2016 mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt. Bezeichnenderweise wurde dabei über den Antrag im Plenum nicht öffentlich debattiert. Stattdessen sind sämtliche Redebeiträge zu Protokoll gegeben worden.21 Der Reformvorschlag wurde seitens der Initiatoren zu Beginn der 19. Wahlperiode erneut aufgriffen und in Gestalt eines gleichlautenden Antrags einbracht.22 Nach der ablehnenden Beschlussempfehlung des ersten Ausschusses vom 27.09.201823 wurde dieser Reformvorschlag durch die Regierungsmehrheit von CDU/CSU und SPD mit den Stimmen der FDP bei Enthaltung der AfD in der Sitzung vom 31.01.2019 abgelehnt.24 Die Aktualität dieser vornehmlich aus rechtspolitischem Blickwinkel geführten Diskussion gäbe für sich genommen bereits Anlass, dem Thema eine eingehende Untersuchung zu widmen. Im Rahmen einer rechtswissenschaftlichen Betrachtung der maßgeblichen Normen des Verfassungsrechts ergibt sich jedoch die rechtspolitischen Erwägungen vorgeschalte Frage, ob nicht bereits de constitutione lata zwingende Vorgaben für die Implementierung der Ausschussöffentlichkeit bestehen. Dabei ist Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zentraler normativer Anknüpfungspunkt für die Öffentlichkeit des Deutschen Bundestages. Dieser stellt lakonisch fest: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“
Hiermit ist jedoch in Bezug auf Ausschüsse noch keine klare Regelung getroffen. Ein Blick in die einschlägige Kommentarliteratur zeichnet ebenfalls kein völlig eindeutiges Bild. Zwar wird die generelle Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschüsse ganz überwiegend verneint.25 Es finden sich jespiegel.de/politik/deutschland-/ausschuesse-bundestag-koalition-blockt-rufe-nach-trans parenz-ab-a-995624.html (10.10.2019). 19 Für das Protokoll siehe Deutscher Bundestag, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Protokoll Nr. 18/17, abrufbar unter: https://www.bundes tag.de/resource/blob/-390248/fa4ef5a14b258c02f6bb3c10d09448b9/protokoll-data.pdf (10.10.2019). 20 BT-Drs. 18/8299, S. 1 ff. 21 BT-PlPr 18. WP/176. Sitzung vom 9.6.2016, S. 17446 ff. 22 BT-Drs. 19/965, S. 1 ff. 23 BT-Drs. 19/5496, S. 1 ff. 24 BT-PlPr 19. WP/77. Sitzung vom 31.1.2019, S. 9078 ff. 25 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 10; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42,
B. Wissenschaftliche Fragestellung
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doch – in verschiedenen Abstufungen – diverse Stimmen, die eine zumindest teilweise Ausschussöffentlichkeit als von Verfassungs wegen geboten ansehen. Hierbei sticht die vom ehemaligen Vorsitzenden der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Martin Morlok getroffene Aussage hervor, wonach die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen als „verfassungsrechtlich nicht haltbar“ 26 anzusehen sei. Weitere Stimmen nehmen für verfahrensmäßige Sonderkonstellationen eine teilweise Öffentlichkeitspflicht für Bundestagsausschüsse bereits nach geltendem Verfassungsrecht an27 oder betonen jedenfalls die verfassungspolitische Sinnhaftigkeit einer weitgehenden Herstellung von Ausschussöffentlichkeit.28 Dabei werden konkreter Anwendungsbereich und dogmatische Grundlage einer auf Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gestützten partiellen Ausschussöffentlichkeit uneinheitlich beurteilt. Ferner wird das in Bezug auf Ausschüsse gebotene Maß an Öffentlichkeit in den vorgenannten Kommentierungen nicht näher spezifiziert, sodass insbesondere unklar bleibt, ob schlicht der für das Plenum geltenden Maßstab deckungsgleich zu übertragen ist oder sich anhand der funktionellen und räumlichen Besonderheiten von Ausschusssitzungen abweichende Maßstäbe ergeben können. Es bestehen somit auch aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel Unklarheiten und damit Anlass, der Frage der Öffentlichkeit von Bundestagsausschüssen nachzugehen.
B. Wissenschaftliche Fragestellung In Anknüpfung an Morlok wird die Einschätzung, dass die konkrete Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit durch die GO-BT nicht nur verfassungspolitisch bedenklich, sondern verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar ist, zur Ausgangsthese für die vorliegende Arbeit. Dementsprechend setzt sich diese Untersuchung zum Ziel, umfassend aufzuklären, inwieweit die Öffentlichkeit von Bundestagsausschüssen bereits nach geltender Verfassungsrechtslage geboten ist. Sie will einen Beitrag zur dogmatischen Durchdringung der öffentlichkeitsrelevanten Verfassungsnormen und damit zu einer zeitgemäßen Auslegung des Art. 42 Rn. 11; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44 f.; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 5; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 5; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 2; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 50 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 42, Rn. 29; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 2 f. 26 Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 24. 27 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl., Art. 42, Rn. 15; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 53; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 9. 28 Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 11; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 5; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 8; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 5.
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Kap. 1: Einführung
Abs. 1 GG bzw. allgemeiner Verfassungsgrundsätze leisten. Ferner will sie eine aktuelle Übersicht über Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Bundestagsausschüsse in Bezug auf die Herstellung parlamentarischer Öffentlichkeit liefern. Überdies wird sie eine begründete Positionierung im verfassungspolitischen Diskurs hinsichtlich der Frage einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit offerieren. Schließlich beabsichtigt sie – im Zuge einer vertieften Untersuchung des Ausschussverfahrens im britischen Unterhaus – einen Beitrag zur vergleichenden Parlamentarismusforschung zu leisten.
C. Stand der Forschung Ungeachtet der Vielzahl öffentlich-rechtlicher Publikationen, die sich des Themas der Öffentlichkeit staatlicher Prozesse und Institutionen im Allgemeinen sowie der Parlamentsöffentlichkeit im Besonderen widmen, ist bislang noch keine Monografie erschienen, die den Themenkomplex der Parlamentsöffentlichkeit, auf Bundestagsausschüsse zugespitzt, erschöpfend behandelt hat. Dies ist indes – wie die Aktualität der Reformdiskussion deutlich macht – keineswegs auf den Umstand mangelnder politischer oder rechtlicher Kontroversität der Ausgangsfrage zurückzuführen. Deren Behandlung findet in Grundzügen vor allem in der Kommentarliteratur zu Art. 42 GG29 und §§ 69 ff. GO-BT30 sowie in staats- und parlamentsrechtlichen Handbüchern31 statt. Einige Schlaglichter werden zudem durch eine Reihe von Zeitschriftenaufsätzen auf die Frage der Ausschussöffentlichkeit geworfen.32 In rechtswissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Monografien wird das Thema lediglich als Teilaspekt im Kontext der Bestimmung von Öffentlichkeitsfunktionen des Bundestages,33 der allgemeinen dogmatischen Aufarbeitung des Verfassungswertes der Öffentlichkeit34 sowie anlässlich der Erörterung von Funk-
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Siehe hierzu bereits Kap. 1. A. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 69; Roll, GO-BT, § 69; Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 69. 31 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984 S. 567; Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40; Geiß, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 54, Rn. 52; Hadamek, in: Kluth/ Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 119 ff.; Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 23; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 44 ff.; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 60 f. 32 Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 ff.; Linck, DÖV 1973, S. 513 ff.; ders., ZParl 23 (1992); Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 ff.; ders., ZParl 6 (1975), S. 77 ff. 33 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 105 ff.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 328 ff.; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 85 ff.; Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 138 ff. 34 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 104 ff.; Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 237 ff.; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 58 ff.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 51 ff. 30
D. Begriffsdefinitionen – Ausschuss- und Öffentlichkeitsverständnis
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tionsweise und Verfahren parlamentarischer Ausschüsse35 erörtert. So widmet etwa selbst die unter dem Titel „Die Öffentlichkeitsfunktion des Deutschen Bundestages“ 1976 erschienene und über 600 Seiten starke Dissertation von Leo Kißler, die im Bereich der Parlamentsöffentlichkeit als Pionierarbeit einzustufen ist, der rechtlichen Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit gerade einmal drei Seiten. Den bisherigen Bearbeitungen ist gemein, dass sie in Bezug auf eine verfassungsrechtlich gebotene Ausschussöffentlichkeit lediglich Steine ins Wasser werfen, ohne eine vertiefte dogmatische Herleitung von Öffentlichkeitspflichten, etwa aus einer (analogen) Anwendung von Art. 42 Abs. 1 GG bzw. aus allgemeinen Verfassungsgrundsätzen, vorzunehmen oder deren inhaltlichen Reichweite näher zu explizieren. Die umfangreichsten Betrachtungen hierzu finden sich noch in der 2019 unter dem Titel „Die Öffentlichkeitsfunktion des Deutschen Bundestages angesichts der neueren Parlamentspraxis“ erschienenen Dissertation von Lukas Klipper. Diese hat sich insofern um den Themenkomplex verdient gemacht, als sie unter der Prämisse, die aktuelle parlamentarische Praxis kritisch anhand verfassungsrechtlicher Vorgaben bezüglich der Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages zu bewerten, eine detaillierte Auslegung von Art. 42 GG vornimmt und sich dabei auch mit der Anwendbarkeit der Vorschrift auf Ausschüsse befasst. Die Betrachtung erschöpft sich jedoch in der Auslegung des Art. 42 Abs. 1 GG, ohne verfassungsrechtliche Gegenpositionen oder tiefergehende verfassungsrechtliche Regelungsebenen verstärkt in den Blick zu nehmen. Auch auf die konkrete Ausgestaltung einer Reform der Ausschussöffentlichkeit geht sie wegen des breiteren Zuschnitts des Ausgangsthemas nur sehr vereinzelt ein und ist daher keinesfalls als erschöpfend einzustufen.
D. Begriffsdefinitionen – Ausschuss- und Öffentlichkeitsverständnis Um zunächst den Untersuchungsrahmen der vorliegenden Arbeit abzustecken, ist das Begriffsverständnis von „Ausschüssen“, welche in vielfältigen Ausprägungen für die Kennzeichnung von parlamentarischen Untergliederungen herangezogen werden,36 zu klären. Daneben ist der für die Untersuchung zentrale Terminus der „Öffentlichkeit“ in seinen Bedeutungsdimensionen herauszuarbeiten. 35 Dechamps, Macht und Arbeit der Ausschüsse, 1954, S. 156 ff.; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 114 ff.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 197 ff. 36 Insofern kann z. B. zwischen obligatorischen und fakultativen Ausschüssen, zwischen ständigen Ausschüssen und Sonderausschüssen unterschieden. Ferner werden Unterausschüsse, Ausschüsse besonderer Art (wie Untersuchungsausschüsse) und zum Teil sogar Enquête-Kommissionen dem Ausschussbegriff zugeordnet, siehe hierzu H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 128 ff.; Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 19 ff.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 5 ff.
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Kap. 1: Einführung
I. Bundestagsausschüsse als Untersuchungsobjekt Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind Bundestagsausschüsse. Hierunter werden solche Gremien verstanden, die sich zwingend ausschließlich aus Mitgliedern des Bundestages zusammensetzen, als Organe des Bundestages für diesen einen bestimmten parlamentarischen Aufgabenbereich wahrnehmen und unmittelbar aus der Mitte des Bundestages vom Plenum instituiert werden.37 Von Ausschüssen sind mithin zunächst solche Gremien abzugrenzen, die nicht allein aus Mitgliedern des Bundestages bestehen. Hierunter fallen etwa der Vermittlungsausschuss und der Gemeinsame Ausschuss, welche gemäß Art. 77 Abs. 2 GG bzw. Art. 53a Abs. 1 GG jeweils auch Mitglieder des Bundesrates umfassen. Dasselbe gilt für das nach Art. 95 Abs. 2 GG einzurichtende Gremium für die Wahl der Bundesrichter, das hälftig mit den zuständigen Landesministern besetzt ist.38 Ferner muss auch die G-10-Komission gemäß Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG nicht zwingend aus Mitgliedern des Bundestages bestehen und stellt damit gleichermaßen keinen Bundestagsausschuss dar.39 Zu guter Letzt handelt es sich auch bei Enquête-Kommissionen nicht um Ausschüsse im Sinne der obigen Definition, da diese bereits ihrer Funktion nach darauf angelegt sind, auf externen Sachverstand zurückzugreifen, sodass zu deren Mitgliedern in der Folge auch parlamentsfremde Personen gehören.40 Fernerhin stellen nicht zur Behandlung spezifischer parlamentarischer Aufgabengebiete berufene, sondern vielmehr für die Wahrnehmung bestimmter parlamentarischer Grundfunktionen durch Verfassung, Geschäftsordnung oder Parlamentsbrauch vorgesehene Bundestagsgremien wie das Präsidium (Art. 40 Abs. 1 S. 1 GG), der Ältestenrat (§ 6 GO-BT) oder der Sitzungsvorstand (§ 8 GO-BT) keine Ausschüsse dar.41 Selbiges gilt für Gremien, die nicht für den Bundestag, sondern vielmehr eigenständig Aufgaben im parlamentarischen Kontext wahrnehmen. So ist das Parlamentarische Kontrollgremium nicht als Ausschuss im eigentlichen Sinne zu betrachten, da es weder das Plenum unterstützt noch des-
37 So etwa Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 135 f.; Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 21 f.; K. Stern, Staatsrecht II, S. 53; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 15. 38 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 137, 366 ff.; Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 22; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 16. 39 Pagenkopf, in: Sachs, Art. 10, Rn. 49; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 16. 40 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 22; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 16; Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 7. 41 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 23; so auch Frost, AöR 95 (1970), S. 38 (40).
D. Begriffsdefinitionen – Ausschuss- und Öffentlichkeitsverständnis
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sen Entscheidungen vorbereitet.42 Es wird vielmehr durch Art. 45d GG mit einem dem Plenum gar nicht zugeordneten eigenen Aufgabenbereich der Geheimdienstkontrolle betraut. Des Weiteren können solche Organe, die nicht aus der Mitte des Bundestages bzw. von dessen Gesamtheit eingerichtet werden, nicht als Bundestagsausschüsse eingestuft werden. Hiervon sind neben den Fraktionen und Gruppen (nebst deren Untergliederungen) als Vereinigungen von Mitgliedern des Bundestages (§ 10 Abs. 1 und 4 GO-BT) auch Unterausschüsse betroffen, die nicht unmittelbar durch das Gesamtparlament, sondern gemäß § 55 GO-BT durch die Ausschüsse selbst eingesetzt werden.43 Schließlich stellt der jeweils zu Beginn der 18. und 19. Wahlperiode eingesetzte Hauptausschuss, welcher die Übergangsphase der Koalitionsbildung zwischen Konstituierung des Bundestages und tatsächlicher Arbeitsaufnahme des Parlaments überbrücken sollte und insbesondere für die Beratung überwiesener Vorlagen zuständig war sowie übergangsweise die Aufgaben der nach Art. 45, 45a und 45c GG zu konstituierenden Ausschüsse und des Haushaltsausschusses wahrnahm,44 keinen Bundestagsausschuss im obigen Sinne dar.45 Aufgrund der Tatsache, dass dieser dem Zweck dient, vorübergehend alle weiteren Ausschüsse zu ersetzen, handelt es sich hierbei vielmehr um ein parlamentarisches Gremium sui generis.46 Die so definierten Bundestagsausschüsse lassen sich weiter in ständige Ausschüsse, Sonderausschüsse sowie Untersuchungsausschüsse untergliedern. Ständige Ausschüsse (vgl. § 54 Abs. 1 S. 1 GO-BT) werden regelmäßig für die Dauer der gesamten Wahlperiode errichtet47 und spiegeln weitgehend die Regierungsorganisation dergestalt, dass jedem Ressort ein Bundestagsausschuss gegenüber-
42 Singer, Praxiskommentar zum Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes, § 1, Rn. 13. Gegen die Einordnung als Ausschuss spricht auch der ausdrückliche Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers bei der Einführung von Art. 45d GG. Siehe hierzu BT-Drucks. 16/12412, S. 4. 43 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 23 ff.; Frost, AöR 95 (1970), S. 38 (40); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 7. 44 Siehe hierzu insbesondere BT-Drucks. 18/101 und BT-Drucks. 19/85. 45 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 6. 46 Gelze, Das Arbeitsparlament im Wartemodus – ein Hauptausschuss für den 19. Deutschen Bundestag?, Verfassungsblog vom 23.10.2017, abrufbar unter: https:// verfassungsblog.de/das-arbeitsparlament-im-wartemodus-ein-hauptausschuss-fuer-den19-deutschen-bundestag/(08.10.2019); so auch Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 6. 47 Umstritten ist diesbezüglich, ob ständige Ausschüsse vor Ende der Wahlperiode frühzeitig aufgelöst werden können. Hierfür Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 30; Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 123; a. A. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 16.
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Kap. 1: Einführung
steht.48 Darüber hinaus werden z. T. für die Erledigung parlamentsinterner Aufgabenstellungen (wie Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung oder Petitionswesen), für den Spezialbereich der parlamentarischen Mitwirkung an der Verwirklichung der Europäischen Integration, für Teilbereiche eines Regierungsressorts (wie Haushalts- oder Finanzenfragen) sowie ggf. für Querschnittsaufgaben (so etwa zu Angelegenheiten der neuen Bundesländer) ständige Ausschüsse eingerichtet.49 Sonderausschüsse werden dagegen nach § 54 Abs. 1 S. 2 GO-BT für „einzelne Angelegenheiten“ eingesetzt. Ihnen wird mithin ein bestimmter Gegenstand zur Beratung überwiesen, wobei es sich vornehmlich um umfangreiche Gesetzesvorhaben handelt, die wegen ihrer besonderen Bedeutsamkeit und Extensität nicht einem ständigen Ausschuss überantwortet werden sollen.50 Von diesen unterscheiden sie sich insofern grundlegend, als ihre Existenz mit der Erledigung der überwiesenen Aufgabe endet, ohne dass es eines gesonderten Auflösungsbeschlusses bedürfte.51 Schließlich werden Untersuchungsausschüsse als Ausschüsse besonderer Art wie Sonderausschüsse anlassbezogen eingesetzt und lösen sich wie diese mit Erfüllung ihrer Aufgaben auf. Im Gegensatz hierzu besteht der Zweck der Untersuchungen jedoch in der im öffentlichen Interesse liegenden Aufklärung bestimmter Sachverhalte, sodass sie dem Bereich der Regierungskontrolle zuzuordnen sind.52 Hierbei steht ihnen ein besonderes Instrumentarium verschiedener Beweiserhebungsrechte zur Verfügung.53 Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die Frage der Öffentlichkeit von ständigen Fach- und Sonderausschüssen im Sinne von § 54 GO-BT. Für Untersuchungsausschüsse besteht dagegen ein gesondertes verfassungsrechtliches (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG) und einfachgesetzliches (§§ 13 ff. PUAG) Öffentlich-
48 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 129; Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 4; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 39, Rn. 10. 49 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 4; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 39, Rn. 10. 50 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 30 f.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, 8 f.; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 5. 51 Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 30 f.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 9; vgl. auch Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 5. 52 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 7; vgl. auch Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 31. 53 Nach Art. 44 Abs. 2 GG finden auf das Beweiserhebungsverfahren von Untersuchungsausschüssen die strafprozessualen Vorschriften sinngemäße Anwendung. Zu den hieraus folgenden Befugnissen siehe Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 44, Rn. 43 ff.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 44, Rn. 208 ff.
D. Begriffsdefinitionen – Ausschuss- und Öffentlichkeitsverständnis
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keitsregime, welches losgelöst von den zur dieser Untersuchung Anlass gebenden Reformbestrebungen zu betrachten ist. Sofern mithin von Bundestagsausschüssen die Rede ist, sind hierbei Untersuchungsausschüsse ausgeklammert.
II. Begriffsdimensionen der Öffentlichkeit als Untersuchungsobjekt Die Termini „Öffentlichkeit“ bzw. „öffentlich“ haben im Rahmen ihrer begriffsgeschichtlichen Entwicklung im Wesentlichen dreierlei Bedeutungsdimensionen gewonnen. In seinem Ursprungsgehalt entstand der Begriff der „Öffentlichkeit“ Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem Adjektiv „öffentlich“, wobei er einen Zustand tatsächlicher Zugänglichkeit, im Gegensatz zu geheimen Vorgängen, bezeichnete.54 Ebenfalls etablierte sich der Begriff „öffentlich“ im 18. Jahrhundert als Synonym zum Terminus des „gemeinen“ (aus dem griechischen koinos bzw. aus dem lateinischen communis) im Sinne einer Ausrichtung auf das politische Gemeinwesen.55 „Das Öffentliche“ wird insofern als das allen Gemeinsame, der Verwirklichung des Zusammenlebens zu dienen Bestimmte und gleichsam alle Angehende, d.h. als salus publica, angesehen.56 Hiermit einhergehend kam es im Rahmen des staatsrechtlichen Begriffsverständnisses zu einer zunehmenden Verengung durch die Gleichsetzung der Termini „öffentlich“ und „staatlich“ in Abgrenzung zum Privaten, wie dies noch heute etwa den Begrifflichkeiten des „öffentlichen Rechts“ oder der „öffentlichen Hand“ zu entnehmen ist.57 Schließlich entwickelte sich der Begriff der „Öffentlichkeit“ im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend zu einer Bezeichnung für das gesellschaftliche Publikum, wobei hierunter anfangs nur die bürgerliche, gebildete Gesellschaftsschicht, im weiteren Verlauf jedoch zunehmend das gesamte am politischen Diskurs teilhabende Publikum verstanden wurde. Hieraus entwickelte sich zudem das Verständnis der „Öffentlichkeit“ als Trägerin der öffentlichen Meinung.58 54 Rinken, in: Staatslexikon, Bd. IV, 7. Aufl. 1988, Stichwort „Öffentlichkeit“, Sp. 138 f. 55 Ebd. 56 Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, 1971, S. 248. 57 Historischer Hintergrund dieser Gleichsetzung war, dass sich – infolge des Scheiterns der Bemühungen um eine Demokratisierung der Staaten des Deutschen Bundes mit der Revolution von 1848/1849 – liberale verfassungsrechtliche Forderungen auf die Etablierung einer „staatsfreien Sphäre“, wie sie durch Grundrechte und rechtsstaatliche Prinzipien zu Beschränkung staatlicher Befugnisse gewährleistet wird, konzentrierten. In der Folge wurde gedanklich zwischen einer staatlich bzw. öffentlichen Sphäre, welche dem öffentlichen Recht zugehörig ist und einer gesellschaftlich-privaten Sphäre, die dem Privatrecht zuzuordnen ist, unterschieden. Siehe Rinken, in: Staatslexikon, Bd. IV, 7. Aufl. 1988, Stichwort „Öffentlichkeit“, Sp. 139; ferner auch ders., Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, 1971, S. 111. 58 Holznagel, VVDStRL 68 (2008), S. 381 (383 f.); Rinken, in: Staatslexikon, Bd. IV, 7. Aufl. 1988, Stichwort „Öffentlichkeit“, Sp. 139.
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Kap. 1: Einführung
Infolge dieser Historie werden die Begriffe „Öffentlichkeit“ bzw. „öffentlich“ bis heute tripolar verstanden. Als allgemeine Zugänglichkeit und Einsehbarkeit von institutionellen Bereichen, als Träger des gesellschaftlichen Publikums in seiner Gesamtheit, sowie – in der Adjektivform – als all das, was das staatliche Gemeinwesen betrifft.59 Der wissenschaftlichen Fragestellung entsprechend konzentriert sich die vorliegenden Untersuchung auf die erstgenannte Begriffsdimension der Zugänglichkeit und Einsehbarkeit parlamentarischer Ausschüsse. Soweit von der Öffentlichkeit im Sinne des außerparlamentarischen Publikums die Rede ist, wird dies durch die Bezeichnung als „gesellschaftliche Öffentlichkeit“ kenntlich gemacht. Im Kontext staatlicher Öffentlichkeit werden regelmäßig ferner die Termini der „Transparenz“ bzw. der „Publizität“ – z. T. sogar synonym – verwendet.60 Für eine präzise Verwendung der Begrifflichkeiten sind diese in ihrem Bedeutungsgehalt von der Öffentlichkeit abzugrenzen. Unter Transparenz wird dabei die Durchsichtigkeit, Deutlichkeit, Verstehbarkeit bzw. Durchschaubarkeit (insbesondere von politischen Institutionen und Entscheidungen) verstanden.61 Insoweit ist eine Nähe zur Bedeutungsdimension der Öffentlichkeit als allgemeiner Zugänglichkeit augenscheinlich. Allerdings geht der Begriff der Transparenz partiell über diesen insofern hinaus, als eine allgemeine Zugänglichkeit staatlicher Institutionen nicht zwingend auch die tatsächliche Nachvollziehbarkeit und Durchschaubarkeit von deren Handlungen gewährleistet. Zugleich bleibt er hinter diesem insoweit zurück, als eine inhaltliche Nachvollziehbarkeit auch ohne den tatsächlichen Zugang zu Sitzungen staatlicher Organe, etwa durch Lektüre von Protokollen, hergestellt werden kann.62 Der Begriff der Publizität wird dagegen als Bekanntsein, Öffentlichkeit und Offenkundigkeit definiert.63 Auch hier ist eine Ähnlichkeit zur Öffentlichkeit im Sinne allgemeiner Zugänglichkeit nicht zu übersehen, wobei gleichermaßen ein allgemeines Bekanntsein nicht zwingend auf der Zugänglichkeit beruhen muss, sondern denkbar auch niederschwelliger, etwa durch Veröffentlichung von Ergeb59 Rinken, in: Staatslexikon, Bd. IV, 7. Aufl. 1988, Stichwort „Öffentlichkeit“, Sp. 138 f.; so auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 19; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 40; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 11 ff. 60 Vgl. Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 18 ff.; Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 147; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63 ff.; Smend, in: Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 462 (466). 61 Brockhaus, Transparenz (bildungssprachlich), abrufbar unter: https://brockhaus. de/ecs/enzy-/article/transparenz-bildungssprachlich (14.10.2019). Zur Transparenz als Rechts- und Verfassungsbegriff siehe Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 18 ff. 62 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 19 ff. differenziert insoweit zwischen Ergebnis-, Verfahrens- und Inhaltstransparenz. 63 Brockhaus, Publizität (bildungssprachlich), abrufbar unter: https://brockhaus.de/ ecs-/enzy/article/publizität-bildungssprachlich (14.10.2019). Siehe hierzu auch Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 24; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 14 f.
E. Gang der Untersuchung
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nissen eines Beratungsprozesses, hergestellt werden kann.64 Einen über den Öffentlichkeitsbegriff hinausgehenden Gehalt weist die Publizität indes nicht auf, da mit der allgemeinen Zugänglichkeit jedenfalls auch ein Bekanntsein bzw. eine Offenkundigkeit zwingend einhergeht. Folglich ist die Publizität als Teilmenge der Öffentlichkeit zu verstehen und wird im Kontext dieser Untersuchung für die Bekanntmachung, im Wege allgemeiner Zugänglichkeit oder durch sonstige staatliche Maßnahmen verwendet.
E. Gang der Untersuchung Zunächst wird im Rahmen des zweiten Kapitels (S. 16–111) eine verfassungsund ideengeschichtliche Grundlegung vorgenommen. Dabei wird die historische Entwicklung der Parlamentsöffentlichkeit unter Berücksichtigung der Stellung von Ausschüssen im jeweiligen Verfassungsgefüge nachgezeichnet. Ferner werden geistesgeschichtliche Begründungsdiskurse der Parlamentsöffentlichkeit aus rechtsphilosophischem, staatswissenschaftlichem und politikwissenschaftlichem Blickwinkel nachvollzogen. In diesem Rahmen werden bestehende Begründungsansätze einer kritischen Prüfung unterzogen, zusammengeführt sowie auf Funktionsverluste im Rahmen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Umstände und Parlamentspraxis eingegangen. Hieran anschließend wird im dritten Kapitel (S. 112–280) das grundsätzliche Bestehen verfassungsrechtlicher Öffentlichkeitsgebote in Bezug auf die Ausschüsse des Deutschen Bundestages untersucht. Grundlegen wird zunächst die teleologische Verwurzelung der Parlamentsöffentlichkeit in der verfassungsrechtlichen Tiefenstruktur von Staatstrukturprinzipien, verfassungsrechtlichem Menschenbild sowie der objektiven Werteordnung der Kommunikationsgrundrechte vorangestellt. Sodann wird der Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 GG in Bezug auf verschiedene Konstellationen der Ausschusstätigkeit detailliert untersucht, wobei zugleich rechtsfortbildende Überlegungen angestellt werden. Anschließend folgt eine Herleitung von Öffentlichkeitspflichten am Maßstab eines (subsidiären) allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes. Im vierten Kapitel (S. 281–371) wird sodann die inhaltliche Reichweite der zuvor herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgebote in Bezug auf Bundestagsausschüsse näher entfaltet. Dabei werden neben dezidierten Maßgaben für die Verfahrensgestaltung von Ausschusssitzungen im Rahmen der Verhandlungsöffentlichkeit auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben für einen Ausschluss der Öffentlichkeit sowie die Rechtsfolgen eines Verstoßes hiergegen beleuchtet. Auf Basis des so herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Rahmens wird im fünften Kapitel (S. 372–469) zunächst die geschäftsordnungsrechtliche Ausge64
So auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 10.
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Kap. 1: Einführung
staltung der Ausschussöffentlichkeit skizziert und einer kritischen Prüfung hinsichtlich der Konformität mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben unterzogen. Im Anschluss wird ein Zwischenresümee bezüglich des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestreformbedarfes der Geschäftsordnung gezogen und eine praktische Umsetzungsmöglichkeit entfaltet. Dieser wird dialektisch die Erwägung einer grundsätzlichen Öffentlichkeit als verfassungspolitische Maximalforderung gegenübergestellt, welche sodann kritisch auf ihre Validität überprüft wird. Hierbei stützt sich die Analyse auf praktische Erfahrungen aus der Parlamentswirklichkeit deutscher Landtage, des Europaparlaments sowie des britischen House of Commons. Abschließend wird aus den gewonnenen Erkenntnissen ein eigener Vorschlag für eine rechtspolitisch wünschenswerte Erweiterung der Ausschussöffentlichkeit unterbreitet.
Kapitel 2
Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung Bevor dem konkreten verfassungsrechtlichen Rahmen der Ausschussöffentlichkeit unter Geltung des Grundgesetzes nachgegangen wird, sind zunächst die verfassungs- (A.) und geistesgeschichtlichen Grundlagen (B.) parlamentarischer Öffentlichkeit zu klären. Das aus beiden Aspekten herauszuarbeitende Gesamtbild der rechtlichen Traditionslinien und Brüche sowie der theoretischen Begründungsansätze und Funktionsbestimmungen der Parlamentsöffentlichkeit stellt eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis und damit auch für die Auslegung der aktuellen verfassungsrechtlichen Vorgaben dar. Zugleich ist der hiesige Vorschlag für eine zeitgemäße Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit auf Basis einer vorgelagerten Positionierung im Rahmen des Begründungs- und Funktionsdiskurses zu entwickeln.
A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung – Der Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit im Kontext der Zeit Im ersten Schritt ist daher die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Parlamentsöffentlichkeit zu beleuchten. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob und – wenn ja, inwieweit – die deutsche Entwicklung vom Traditionsbestand einer der ältesten Parlamentskammern, des britischen House of Commons, geprägt wurde (I.). Daran anschließend wird ein kurzes Schlaglicht auf die zeitlich frühere Entwicklung der Parlamentsöffentlichkeit in Frankreich geworfen (II.), bevor schließlich auf die historische Ausgestaltung der Öffentlichkeitsvorschriften in deutschen Verfassungen eingegangen wird (III.). Hierbei wird jeweils auch das Ausschussverfahren unter Berücksichtigung der Stellung im historischen Institutionengefüge in den Blick genommen. Schließlich werden Traditionslinien und Brüche der verfassungshistorischen Entwicklung aufgezeigt (IV.)
I. Entwicklung in Großbritannien Das britische House of Commons als eines der ältesten und traditionsreichsten Parlamente der Welt nahm für den politischen Liberalismus auch in Deutschland in vielerlei Hinsicht eine Vorbildfunktion ein.1 In Bezug auf die Frage nach der 1
Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3.3, 2008, S. 93 f.
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
Öffentlichkeit seiner Sitzungen war das House of Commos hingegen noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts von einer veritablen Arkanhaltung geprägt.2 So durften bei seinen Verhandlungen bis 1845 formal lediglich Abgeordnete und Parlamentsmitarbeiter anwesend sein.3 Die Geheimhaltung der Parlamentsverhandlungen wurde sogar als Privileg des House of Commons aufgefasst, dessen Missachtung – etwa durch Veröffentlichung des Beratungsinhalts – bis 1771 als sog. „breach of privilege“ strafrechtlich4 geahndet wurde.5 Ursprünglicher historischer Hintergrund der Strafbewährtheit war das Bestreben des Unterhauses zu verhindern, dass sich Nichtmitglieder unbemerkten Zugang zu den Versammlungsräumen verschafften und unbefugt an den Abstimmungen teilnahmen.6 Später wurde die Einordnung der Nichtöffentlichkeit als Parlamentsprivileg mit der effektiven Verwirklichung der Redefreiheit der Parlamentarier sowie deren Schutz vor monarchischen Repressionen begründet. So sahen sich historisch zahlreiche Mitglieder des Unterhauses aufgrund von Äußerungen und Anträgen, welche sie im Parlament getätigt hatten und die durch Zuhörer der Krone zugetragen wurden, einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt.7 Obgleich mit der Durchsetzung der Redefreiheit der Abgeordneten8 dieses Argument an sich funktionslos wurde, hielt das House of Commons an der Regelung – wohl nicht zuletzt aus Gewohnheit – fest und begründete diese fortan mit dem Schutz der Parlamentarier vor störenden Einflussnahmen durch Zuhörer.9 In der Praxis wurde ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert allerdings zunehmend darauf verzichtet, das Parlamentsprivileg tatsächlich durchzusetzen und 2 Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 3; ders., Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 299; Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 170. 3 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 13; siehe auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 16; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 299. 4 Das Unterhaus verfügt – gestützt auf in Protokollen und Urkunden des Hauses festgehaltene Präzedenzfälle – hinsichtlich seiner überlieferten Parlamentsprivilegien über eine eigene Gerichtsbarkeit und kann eine Person, die diese verletzt, daher festnehmen, vorführen oder einsperren lassen, vgl. hierzu Loewenstein, Staatsrecht und Staatspraxis Großbritanniens, 1967, S. 221. 5 Grundlegend hierzu Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 5 ff.; so auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 16; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 299. 6 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 5 unter Bezugnahme auf Erskine May, Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1862, S. 338. 7 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 6; im Anschluss hieran auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 299; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 2. 8 Der Schutz der „freedom of speech in Parliament“ wurde in Artikel 9 Bill of Rights (1689) verankert, der eine gerichtliche Überprüfung des Parlamentsgeschehens ausschloss: „the freedom of speech an debates or proceedings in Parliament ought not to be impeached or questioned in any court or place out of Parliament.“ 9 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 6.
A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung
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vielmehr stillschweigend die Anwesenheit von Zuhörern geduldet. Eine förmliche Aufhebung des Parlamentsprivilegs ist indes nie erfolgt.10 Im Jahr 1845 wurde schließlich die Zulässigkeit der Anwesenheit von Zuhörern während der Plenarsitzungen auch in der Geschäftsordnung förmlich fixiert.11 Darüber hinaus wurde 1888 das bis dahin bestehende Recht eines jeden Abgeordneten, allein durch einen entsprechenden Antrag den Ausschluss der Öffentlichkeit herbeizuführen,12 dahingehend geschäftsordnungsrechtlich beschränkt, dass nunmehr über den Ausschlussantrag abzustimmen und mit einfacher Mehrheit zu beschließen war.13 In der Folge fanden und finden die Plenarsitzungen – von wenigen Einzelfallausnahmen abgesehen – öffentlich statt.14 Die Ansätze einer Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen im House of Commons reichen bis in die zweite Amtszeit von Premierminister William Gladstone zurück. Obwohl die frühen Wurzeln parlamentarischer Ausschüsse bis in das elisabethanische Zeitalter und vereinzelt sogar darüber hinaus verfolgt werden können,15 entwickelten sich ständige Ausschüsse moderner Prägung, die mit den heutigen parlamentarischen Organen vergleichbar sind, im Unterhaus erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So wurden etwa mit der Beratung von Gesetzesentwürfen befasste Ausschüsse im Unterhaus 1882 als sog. „standing committees“ eingeführt und 1888 erstmals in der parlamentarischen Geschäftsordnung fixiert.16 Hinsichtlich ihres Verfahrens orientierten sie sich im Wesent-
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Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 6 f. Erskine May, Englisches Parlament und sein Verfahren, 1860, S. 215. 12 Initiiert werden konnte der Ausschluss durch den Ausruf „I spy strangers.“ Von diesem Recht wurde häufig, z. T. willkürlich Gebrauch gemacht. So bewirkte 1833 der Abgeordnete O’Conell, der sich in einem Streit mit der britischen Tageszeitung The Times befand, durch diesen Aufruf eine Entfernung der Redakteure (einschließlich derer der Times) von der Pressetribüne, Erskine May, Verfassungsgeschichte, Bd. I, 1862, S. 336; vgl. ders., Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 14 f. 13 Grundlegend Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 6 f.; siehe auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 16; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 299. Zum Verfahren des Öffentlichkeitsausschlusses siehe ferner Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 14 f. 14 Historisch wurde allerdings für eine Reihe von Fällen von der Möglichkeit, die Öffentlichkeit auszuschließen, Gebrauch gemacht. Sog. „secret sessions“ wurden z. B. in den Krisenzeiten der Weltkriege abgehalten, um das Bekanntwerden kriegswichtiger Informationen an den Gegner zu verhindern. In der Nachkriegszeit fanden dagegen lediglich zwei nichtöffentliche Sitzungen des Unterhauses – 1958 und zuletzt 2001 – statt (HC Deb 18 November 1958 vol 595 col 1116; HC Deb 4 December 2001 vol 376 col 314). Siehe hierzu auch Schiller, Brennpunkt Plenum, 2002, S. 79. 15 Atkinson, House of Commons Select Committees, 2017, S. 17 ff. Jekewitz, Der Staat 25 (1986), S. 399 (401) datiert die ältesten Quellen für die Existenz von Ausschüssen im Unterhaus ins 14. Jahrhundert zurück. 16 Für eine detaillierte Darstellung der Entstehung von Gesetzgebungsausschüssen im Unterhaus siehe grundlegend Hughes, Parliamentary Affairs 1949, S. 378 ff. sowie Thompson, Making British Law, 2015, S. 31 ff. 11
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
lichen an den Usancen des Plenums.17 Dies bedingte u. a. auch, dass eine Öffentlichkeit der Beratungen von Beginn an gegeben war, wie ausführlichen Presseberichten vom Sitzungsverlauf zu entnehmen ist.18 Die Sitzungsöffentlichkeit bildete zudem eine Konstante im weiteren Entwicklungsverlauf von standing committees, deren Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren ab 1906 zur Regel wurde19 und die sich von anfangs lediglich in geringer Anzahl und für die Dauer eines parlamentarischen Jahres eingesetzten, im Mitgliederbestand weitgehend beständigen Institutionen,20 hin zu den noch heute üblichen, ad hoc für die Beratung einzelner Gesetzesentwürfe eingesetzten21 und in der Mitgliederzusammensetzung jeweils wechselnden, Ausschüssen entwickelt haben.22 Parallel zur Sitzungsöffentlichkeit der Parlamentsverhandlung entwickelte sich auch die britische Parlamentsberichterstattung. Obschon ihre Anfänge bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, als das Unterhaus damit begann, seine „votes and proceedings“ in Form kurzer Ergebnisprotokolle zur Sicherstellung akkurater und genauer Berichterstattung schriftlich festzuhalten, erfolgte eine Veröffentlichung 17 Hughes, Parliamentary Affairs 1949, S. 378 (385); Thompson, Making British Law, 2015, S. 32; vgl. auch Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 11. 18 Hughes, Parliamentary Affairs 1949, S. 378 (385). 19 So wurde im Jahr 1907 in der Geschäftsordnung des House of Commons fixiert, dass alle Gesetzesvorlagen nach der zweiten Lesung im Plenum eine Ausschussberatung durchlaufen sollen. Hierzu Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 11; Russel/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 18 f.; Thompson, Making British Law, 2015, S. 32 f. 20 Im ausgehenden 19. Jahrhundert bestanden nur zwei Gesetzgebungsausschüsse, wovon einer für die Themenbereiche innere Angelegenheiten, Justiz und Rechtsfragen sowie der andere für Gesetze hinsichtlich Handel, Schifffahrt und Warenproduktion zuständig war. Im frühen 20. Jahrhunderts bestanden sodann zunächst vier standing committees, die thematisch nicht spezialisiert waren und deren Nomenklatur sich nach den Buchstaben des Alphabets richtete (standing committee A, B, C und D). Die Größe der Ausschüsse reduzierte sich von anfangs 60–80 Mitgliedern, ab 1919 auf 40 und ab 1945 auf regelmäßig noch 20 Mitglieder. Gleichzeitig erhöhte sich die Anzahl der Ausschüsse bis 1945 auf sechs. Ab 1948 stand es dem Parlament offen, eine erforderliche Zahl an Ausschüssen einzusetzen, was regelmäßig in der Institution von bis zu zehn standing committees resultierte. Die Mitgliederzusammensetzung war dabei durch eine Zweiteilung in einen permanenten Kernbestand sowie einer Anzahl von für die jeweilige Gesetzesvorlage hinzutretenden Mitgliedern charakterisiert. Dabei machten zunächst die permanenten Mitglieder den ganz überwiegenden Teil der Ausschussmitglieder aus. Diese Verteilung kehrte sich jedoch in der Folgezeit um, sodass ab 1945 die Mehrheit der Mitglieder ad hoc einem Gesetzgebungsausschuss zugeteilt wurde. Siehe hierzu ausführlich Thompson, Making British Law, 2015, S. 33 f. sowie ferner Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 11 f. 21 In dieser Form bestehen sie seit 1958. Trotz der damit nunmehr dem eigentlichen Wortsinn eines „standing committee“ zuwiderlaufenden Verfahrensweise, wurde die ursprüngliche Bezeichnung noch bis zu einer neuerlichen Parlamentsreform im Jahr 2006 beibehalten. 22 Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 11; Thompson, Making British Law, 2015, S. 35.
A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung
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wortgetreuer Protokolle erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Gestalt der sog. „Hansard Parliamentary Debates“.23 Diese offiziellen Parlamentsberichte wurden von dem Privatunternehmer Thomas Curson Hansard ab 1809 zunächst als Drucker und ab 1812 als Verleger im Auftrag des Parlaments veröffentlicht. Erst seit 1909 erfolgt die Anfertigung der stenografischen Berichte durch Parlamentsmitarbeiter und die Veröffentlichung durch das Parlament selbst.24 Eine hiervon losgelöste private Parlamentsberichterstattung durch die Medien war dagegen auf Basis von parlamentarischen Beschlüssen aus dem 17. Jahrhundert offiziell lange untersagt.25 Mit der Duldung einer gesellschaftlichen Zuhörerschaft fanden sich gleichwohl auch Vertreter der englischen Presse im Parlament ein, die unter Missachtung dieses Verbots von den Sitzungen berichteten.26 Um eine in der Frühphase privater Berichterstattung noch drohende Gefahr strafrechtlicher Verfolgung zu umgehen, berichteten Verleger anfangs in fiktiver Form von tatsächlichen Parlamentsvorgängen. So war etwa im „Gentlemans Magazine“ von Debatten des „Senats von Groß Lilliput“ die Rede, während im „London Magazine“ vom „Politischen Club“ berichtet wurde, dessen Akteure klassische Namen wie Marc Anton, Brutus oder Cicero trugen.27 Erst nachdem 1771 das Parlament beschloss, Parlamentsberichte in Zeitungen nicht mehr als Verletzung von Parlamentsprivilegien zu verfolgen, wurden die Redebeiträge vollständig sowie unter Nennung der jeweiligen Redner publiziert.28 Eine strafrechtliche Verantwortungsfreiheit parlamentarischer Berichterstattung bestand in Großbritannien zunächst nur hinsichtlich der offiziellen, im Auftrag des Parlaments angefertigten Verhandlungsberichte.29 Gleichwohl wurde auch die Verantwortungsfreiheit privater Parlamentsberichterstattung von der Rechtsprechung durch analoge Anwendung einer 1880 entstandenen gesetzlichen Regelung, wonach „fair an accurate reports in any newspaper“ in Bezug auf öffentliche Gerichtsverhandlungen von jeder Strafverfolgung ausgenommen wer23 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 9; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 16; Schiller, Brennpunkt Plenum, 2002, S. 77. 24 Erskine/May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 129. Der Name „Hansard“ wurde dabei als Bezeichnung der offiziellen Parlamentsberichterstattung beibehalten. 25 Für das House of Commons: Beschluss vom 28. März 1642: „Wer Vorgänge des Hauses ohne dessen besondere Erlaubnis als Tagesbericht oder sonst unter einem Namen druckt oder verkauft, soll als eines gemeinen Privilegienbruchs schuldig erachtet und demgemäß bestraft werden“. Siehe hierzu Erskine May, Englisches Parlament und sein Verfahren, 1860, S. 79; Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 7. 26 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 299; Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 7 f. 27 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 8. 28 Ebd. 29 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 299; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 16. Zum historischen Hintergrund des entsprechenden Gesetzes siehe Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 9.
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
den, hergestellt. Hiervon nicht umfasst waren und sind indes bis heute wahrheitswidrige bzw. ehrverletzende Presseberichte, welche weiterhin als breach of privilege strafrechtlich verfolgt werden können.30
II. Entwicklung in Frankreich In Frankreich gelangte das Prinzip der Parlamentsöffentlichkeit im Rahmen der Französischen Revolution erstmals zu formeller Anerkennung. Bereits zuvor wurde durch die Schriften französischer Aufklärer die Verhandlungsöffentlichkeit parlamentarischer Versammlungen als Voraussetzung der Volksrepräsentation herausgearbeitet und vor diesem Hintergrund die damalige englische Praxis kritisiert.31 Die in den Anfängen der Revolution politisch umkämpfte Forderung nach einer Verhandlungsöffentlichkeit der Nationalversammlung32 wurde in der Verfassung vom 3. September 1791 erstmals praktisch umgesetzt33 und in die Verfassung vom 24. Juni 1793 übernommen.34 Infolge zunehmenden politischen Drucks seitens der Pariser Bevölkerung auf die Arbeit des Parlaments wurde in der Direktoriumsverfassung von 1795 sowie der Konsulatsverfassung von 1799 wiederum eine Einschränkung der Öffentlichkeit auf eine zuvor bestimmte Anzahl von Zuhörern35 vorgenommen.36 Diese rückläufige Tendenz gipfelte in der Beschränkung der Öffentlichkeit unter Napoleon I. durch Senatskonsult vom 18. Mai 1804 allein auf solche Sitzungen, in denen nicht debattiert wurde.37 Eine gegenläufige Entwicklung begann erst wieder mit der Verfassung vom 4. Juni 1814, welche für das Unterhaus („Chambre des députes“) eine grundsätzliche Öffentlichkeit vorsah, die jedoch bereits auf Antrag von fünf seiner Mitglieder auszuschließen war.38 Aufgrund des zunehmenden öffentlichen Interesses an 30 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 300 unter Verweis auf Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 9 f. 31 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 10. 32 Siehe hierzu Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 10 f. 33 So lautete Artikel 1 des zweiten Abschnitts des dritten Kapitels der Verfassung: „Les délibérations du corps legislatif seront publiques et les procés-verbaux des ses séances soront imprimés.“ 34 Siehe hierzu Artikel 45 und 46 Verfassung vom 24. Juni 1793. 35 Art. 64 f. Verfassung vom 22. August 1795 sahen eine Beschränkung der Zahl der Zuschauer auf nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder jedes Rates vor. Art. 35 Verfassung vom 11. November 1799 setzte die Höchstzahl derselben für das Tribunal und das Corps législatif auf je 200 fest. Die Sitzungen des Senats waren dagegen nach Art. 23 nichtöffentlich. 36 Siehe hierzu auch Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, S. 11; vgl. ferner Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 300. 37 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 11; vgl. auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 301. 38 Art. 44 Verfassung vom 4. Juni 1814. Im Gegensatz dazu tagte das Oberhaus nichtöffentlich, vgl. Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 301; Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 11.
A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung
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dessen Verhandlungen sowie befeuert von einer neben die amtliche Berichterstattung tretenden privaten Parlamentsberichterstattung, wurden durch ein Gesetz vom 17. Mai 1819 offizielle und private Berichte insoweit von strafrechtlicher Verantwortung freigestellt, als diese wahrheitsgetreu und im guten Glauben erfolgten. Ungenaue und bösgläubige Wiedergaben wurden dagegen durch Gesetz vom 25. März 1822 unter Strafe gestellt.39 Nach zwischenzeitlichen Versuchen durch die französische Krone, die Pressefreiheit im Vorfeld der Juli-Revolution von 1830 einzuschränken, wurden in der Verfassung vom 7. August 1830 ergänzend zum Unterhaus nunmehr auch die Verhandlungen des Oberhauses („Chambre des Pairs“) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.40 In der Verfassung des zweiten Kaiserreichs vom 14. Januar 1852 wurde die Sitzungsöffentlichkeit abermals auf das Unterhaus („Corps législatif “) und die Berichterstattung auf die amtlichen Veröffentlichungen beschränkt, während das Oberhaus („Senat“) nichtöffentlich tagte. Im Zuge des Niedergangs des zweiten Kaiserreichs wurde jedoch das System ausschließlich amtlicher Parlamentsberichterstattung aufgegeben. Überdies wurde mit Senatskonsult vom 18. September 1869 die Öffentlichkeit auch der Sitzungen des Senats hergestellt.41 Die Verfassung der zweiten Republik vom 16. Juli 1875 befestigte schließlich die grundsätzliche42 Sitzungsöffentlichkeit beider Kammern dauerhaft und sah zudem ein System amtlicher und nichtamtlicher Berichterstattung vor, wobei letztere nach dem Pressegesetz von 1881 unter Voraussetzung der Wahrheitstreue und Gutgläubigkeit verantwortungsfrei blieb.43 Die vorgenannte Verwirklichung der Parlamentsöffentlichkeit bezog sich dabei allein auf die Plenarversammlung der französischen Parlamente. Dagegen tagten parlamentarische Ausschüsse, deren Wurzel bis in die Anfangszeit der Revolution zurückreichen,44 unter Ausschluss der Öffentlichkeit45 sowie z. T. sogar explizit geheim.46
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Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 301. § 27 Verfassung vom 07.08.1830. 41 Siehe hierzu Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 12, sowie Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 301. 42 Beide Kammern konnten indes auf Antrag einer von der Geschäftsordnung festzulegenden Zahl von Mitgliedern die Öffentlichkeit im Einzelfall ausschließen, H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 18. 43 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 12 f.; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 18; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 301. 44 Siehe hierzu Jekewitz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 37, Rn. 11 ff.; ders., Der Staat 25 (1986), S. 399 (407 ff.). 45 Die Abgeordneten selbst konnten allerdings Jekewitz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 37, Rn. 12; ders., Der Staat 25 (1986), S. 399 (410) zufolge grundsätzlich an den Ausschusssitzungen teilnehmen. 40
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
III. Entwicklung in Deutschland Mit Rücksicht auf die Entwicklung im europäischen Ausland entfaltete sich die parlamentarische Öffentlichkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch in der verfassungsrechtlichen Wirklichkeit der Staaten des Deutschen Bundes. Nachdem sich das House of Commons bis ins 19. Jahrhundert durch seine ablehnende Haltung gegenüber einer öffentlichen Parlamentsdebatte auszeichnete, diente vor allem die in der Frühphase der ersten französischen Republik erstrittene Sitzungsöffentlichkeit des Parlaments dem politischen Programm des deutschen Liberalismus als Vorbild.47 1. Ansätze im Frühkonstitutionalismus In der Phase frühkonstitutioneller Verfassungsentwicklung bis 1824 wurde mithin die geistes-geschichtliche Idee der Öffentlichkeit staatlichen Handelns, wie sie von der Philosophie der Aufklärung postuliert48 und in der Französischen Revolution zunächst auch verwirklicht wurde, zu einer der wesentlichen politischen Forderungen liberaler Verfassungsbefürworter in Deutschland.49 Symbolisch ließ sich die Forderung nach Parlamentsöffentlichkeit darüber hinaus auf den rechtsgeschichtlichen Traditionsbestand der bis ins 17. Jahrhundert öffentlich unter freiem Himmel stattfindenden Zusammenkünfte der alten Landstände rückbeziehen.50 Diese verstanden sich zwar primär als Vertreter spezieller Standesinteressen und keinesfalls als Repräsentanten des ganzen Volkes. Gleichwohl war ihnen ein repräsentativer Charakter zumindest insoweit eigen, als sie in ihrer Gesamtheit das Land gegenüber dem jeweiligen Landesherrn vertraten.51 Mit dem Aufkommen frühkonstitutioneller Repräsentativverfassungen auf Basis von Art. 13 der Deutschen Bundesakte im Nachgang zum Wiener Kongress fand auch der Grundsatz parlamentarischer Verhandlungsöffentlichkeit teilweisen Eingang in die Verfassungsurkunden deutscher Staaten. Beispiele hierfür sind die Verfassungen des Großherzogtums Baden52 oder des Königreichs Württem46 Berühmtestes Beispiel hierfür war der berüchtigte Wohlfahrtsausschuss. Siehe Jekewitz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 37, Rn. 12; ders., Der Staat 25 (1986), S. 399 (410). 47 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 237; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 5; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 302; Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (728). 48 Siehe hierzu ausführlich Kap. 2 B. I. 49 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 5; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 302; Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 15; Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (728). 50 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 14 f., im Anschluss hieran Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 301. 51 Merg, ebd. 52 § 78 Verfassung für das Großherzogtums Baden vom 22. August 1818, welcher die öffentliche Verhandlung beider Kammern vorsah.
A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung
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berg.53 Dabei gelangte der Öffentlichkeitsgrundsatz allerdings in der Frühphase des Parlamentarismus nur begrenzt und in uneinheitlichem Maße zur Durchsetzung. So waren gemäß der Verfassungen insbesondere der kleineren Staaten des Deutschen Bundes Zuhörer von den Sitzungen gesetzgebender Kammern zumeist gänzlich ausgeschlossen.54 In den Königreichen Bayern und Württemberg war die Öffentlichkeit auf die Sitzungen der zweiten Kammer beschränkt.55 Das Großherzogtum Hessen wiederum stellte es den Parlamentskammern frei, Zuhörer zu den Sitzungen zuzulassen.56 In allen Staaten musste zudem bei Exekutivvorlagen auf Antrag der Regierung sowie in einigen Staaten auch nach Beschluss eines entsprechenden Quorums der Mitglieder des Parlaments die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.57 Die vorgenannten Verfassungsvorschriften bezogen sich zudem ausschließlich auf die Plenarverhandlung der frühkonstitutionellen Parlamente. Zwar sind erste Formen parlamentarischer Ausschüsse im Sinne von zumeist mit einer kleineren Anzahl von Mitgliedern besetzten Gremien, welche der Vorbereitung der an sie überwiesenen Beratungsgegenstände dienten, bereits in frühkonstitutionellen Verfassungen (etwa unter der Bezeichnung „Kommissionen“) bekannt.58 Auch die Wiener Schlussakte vom 15. Mai 1820 sah bereits explizit die Option einer Einsetzung solcher Kommissionen vor, deren Aufgabe darin bestand „die verschiedenen Meinungen und Anträge mit möglichster Schonung und Berücksichtigung der Verhältnisse und Wünsche der einzelnen auszugleichen“.59 Von dieser Möglichkeit der Aufgabenübertragung auf Ausschüsse machten die frühkonstitutionellen Parlamente allerdings gerade mit der Intention Gebrauch, Detailfragen im vertraulichen und personell klar umgrenzten Kreis zu erörtern.60 In der Folge verhandelten diese Gremien durchweg unter Ausschluss der Öffentlichkeit.61 53
§ 167 Verfassung des Königreichs Württemberg vom 25. September 1819. Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 16. Eine Ausnahme bildete zeitweise das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Hier wurde auf einen Antrag des Großherzogs Karl August per Dekret vom 4. Februar 1819 die zukünftige Zulassung des Publikums zu Sitzungen des Landtages angeordnet. 55 In Bayern: §§ 7, 15 Edikt über die Ständeversammlung vom 26. Mai 1818 bzw. §§ 37, 48 Edikt über die Geschäftsordnung für die Kammer der Abgeordneten vom 28. Februar 1825. In Württemberg: § 167 Verfassung des Königreichs Württemberg vom 25. September 1819. 56 Art. 100 Verfassung des Großherzogtums Hessen vom 18. März 1820. 57 Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus 1848–1850, 1977, S. 474 f. 58 Vgl. nur §§ 25–39 Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818; §§ 51, 63 und 71 Verfassung für das Großherzogtum Baden vom 22. August 1818; §§ 169, 171, 173, 187–192 Verfassung des Königreichs Württemberg vom 25. September 1819 sowie § 102 Verfassung des Großherzogtums Hessen vom 5. Januar 1831. 59 Siehe Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Vorb. zu § 54, Bem. 1. 60 Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 10; Weng, ZParl 15 (1984), S. 31 (34). 61 Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus 1848–1850, 1977, S. 469. 54
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
Hinsichtlich der Herstellung von Öffentlichkeit durch den Druck von Verhandlungsprotokollen bestand in der Zeit des Frühkonstitutionalismus ebenfalls eine Fülle unterschiedlicher Regelungen. Während eine Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle in Bayern etwa nur im Hinblick auf die öffentlichen Sitzungen der zweiten Kammer erfolgte,62 wurden in Württemberg, Hessen und Baden Protokolle der Sitzungen beider Kammern veröffentlicht.63 In anderen Staaten erfolgte dagegen nur eine vorab zensierte oder durch ausgewählte Veröffentlichungsorgane vorgenommene Publikation.64 Die insoweit teilweise umgesetzte Parlamentsöffentlichkeit konnte allerdings in Anbetracht restaurativer Bestrebungen noch keineswegs als gefestigt bezeichnet werden. Zum einen waren die landständischen Parlamente mitunter selbst bezüglich der Frage nach der Ausgestaltung der Öffentlichkeit tief gespalten. Exemplarisch mag hier der Streit um die Landtagsöffentlichkeit im Großherzogtum Sachsen-Weimer-Eisenach herangezogen werden, welcher sich im Jahr 1823 in einer parlamentarischen Debatte zwischen dem liberal-national eingestellten Heinrich Luden, der für grundsätzliche Öffentlichkeit der Debatte plädierte, und dem konservativen Landtagsvorsitzenden Georg Riedesel zu Eisenach, der allein eine eingeschränkte Veröffentlichung von Verhandlungsberichten unterstützte, zuspitzte65 und schließlich in der Aufhebung der Öffentlichkeit mündete.66 Zum anderen wandte sich ab 1820 auch die von den Regierungen der Fürsten getragene konservative Restauration verstärkt gegen die partiell durchgesetzte Parlamentsöffentlichkeit, welche für sie untrennbar mit der liberalen Forderung nach einem Repräsentativsystem und der Lehre von der Volkssouveränität ver62 So § 7 Edikt über die Ständeversammlung vom 26. Mai 1818 bzw. § 44 Edikt über die Geschäftsordnung für die Kammer der Abgeordneten vom 28. Februar 1825. 63 § 78 Verfassung für Großherzogtum Baden vom 22. August 1818; Art. 99 Verfassung des Großherzogtums Hessen vom 18. März 1820; § 167 Verfassung des Königreichs Württemberg vom 25. September 1819. Zudem erlaubte im Königreich Württemberg bereits § 17 Gesetz über die Pressefreiheit vom 30. Januar 1817 die unzensierte private Publikation von Landtagsprotokollen. Siehe hierzu auch Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 16. 64 So wurden die Parlamentsverhandlungen in Sachsen ab 1820/21 auszugsweise nach vorheriger Zensur durch den zuständigen Geheimrat veröffentlicht. Ab 1830 stand der Bericht den Mitgliedern des Landtages und seit 1831 auch der Öffentlichkeit in vollständiger Form zur Verfügung. Im Königreich Hannover erfolgte ab 1832 eine Veröffentlichung durch privilegierte Zeitungen. Siehe hierzu Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, 1979, S. 167. 65 Während Luden auf die zwingende Notwendigkeit eines fortwährenden kommunikativen Austausches zwischen Abgeordneten und repräsentiertem Volk hinwies, stütze sich von Riedesel auf das Argument, dass eine öffentliche Landtagsdebatte die Eitelkeit der Parlamentarier befördere und zugleich ihre Unabhängigkeit durch äußere Einflüsse gefährdet würde. Vgl. Landtagsverhandlungen 1823, 1. Sitzung, 10.03.1823, Beilage 2, S. 10 ff. Siehe hierzu auch G. Müller, in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, S. 11 (69 ff., 84 ff.). 66 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 238, Fn. 845.
A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung
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bunden war.67 Diese ablehnende Haltung manifestierte sich bereits in Art. 59 der Wiener Schlussakte, wonach die Bundesstaaten, deren Verfassungen die Öffentlichkeit landständischer Verhandlungen zuließen, verpflichtet waren, vermittels geeigneter Geschäftsordnungsvorschriften sicherzustellen, dass parlamentarische Äußerungen bei deren Bekanntmachung nicht einen „die Ruhe des einzelnen Bundesstaats oder des gesamten Deutschlands“ gefährdenden Effekt zeitigten. In der Folge richtete sich die Politik der Bundesversammlung des Deutschen Bundes gegen die landständische Verhandlungsöffentlichkeit,68 deren Abschaffung schließlich mit Bundesbeschluss vom 16. August 1824 gefordert wurde.69 Hinsichtlich der Drucklegung von Sitzungsprotokollen der Landstände wurde durch Bundesbeschluss vom 28. April 1836 statuiert, dass sich Berichte über parlamentarische Vorgänge zukünftig allein an den amtlichen Quellen auszurichten hätten.70 Die öffentlichkeitsfeindliche Haltung der Bundesversammlung prägte indes auch deren eigene Veröffentlichungspraxis. Zwar wurde anfangs in der vorläufigen Geschäftsordnung vom 14. November 1816 noch die Bekanntmachung der Verhandlungen als Regel ausgewiesen, und die Sitzungsprotokolle wurden der Presse regelmäßig zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.71 Aufgrund der Tatsache, dass „die bisherige Übung, die gesammten Verhandlungen des Bundestags [. . .] der Öffentlichkeit zu übergeben, zu Mißbräuchen Anlaß“ gegeben habe, wurde durch Bundesbeschluss vom 1. Juli 1824 eine Unterscheidung zwischen für die Öffentlichkeit bestimmten und vertraulichen Protokollen eingeführt.72 In der Folge nahm die Zahl der für eine Veröffentlichung vorgesehenen Protokolle kontinuierlich ab, bis schließlich ab 1828 keinerlei Verhandlungsprotokolle der Bundesversammlung mehr zugänglich gemacht wurden.73 Die hiergegen vorgebrachte Kritik der Zeitgenossen74 blieb vorerst erfolglos. Stattdessen sahen die 67 Exemplarisch für die von Seiten der monarchischen Regierungen vorherrschende Meinung sei ein Dekret Zar Alexanders I. zitiert, dessen Einfluss auf die deutsche Innenpolitik – als eines der Mitglied der Heiligen Allianz – beachtlich war: „In Erwägung, daß die Öffentlichkeit der Verhandlungen in beiden Kammern, indem sie den Rednern Anlass gibt, mehr eine ephemere Popularität, als das öffentliche Beste ins Auge zu fassen, diese Verhandlungen in eitle Deklamation hat ausarten lassen, welche geeignet sind, jene so erwünschte Einigkeit zu zerstören und die Ruhe und Würde, die bei allen wichtigen Ratschlagungen vorwalten müssen, daraus verbannt haben“, zitiert nach Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 17, Fn. 39. 68 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, S. 344. 69 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, S. 765 f. 70 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 18. 71 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 239. 72 v. Meyer, Corpus juris Confoederationis Germanicae, Bd. II, S. 244 f. 73 Siehe Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 17 f.; so auch schon H. A. Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 2. Aufl. 1854, S. 225. 74 Instruktiv auch die Bemerkungen des bayerischen Außenministers in einer Note zu Beginn der Märzrevolution, wonach aufgrund der zunehmenden Heimlichkeit der Bera-
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geheimen Artikel des Schlussprotokolls der Wiener Ministerialkonferenz vom 12. Juni 1834 weitere Beschränkungen der Öffentlichkeit der Landtage sowie stärkere Restriktionen gegen die Abgeordneten vor.75 Der restaurativen Strömungen zum Trotz wurde der Öffentlichkeitsgrundsatz im Zuge einer zweiten Phase der Konstitutionalisierung im Anschluss an die französische Juli-Revolution 1830 in einer Reihe weiterer Staaten des Deutschen Bundes verfassungsrechtlich verankert.76 Zudem sahen einige der neu entstandenen Verfassungen zumindest die Möglichkeit der Zulassung von Zuhörern infolge eines Beschlusses des jeweiligen Landesparlaments vor.77 Insgesamt kann die Phase bis zur bürgerlichen Revolution von 1848/49 als ein Ringen von liberalen und konservativen Kräften um die rechtliche und tatsächliche Durchsetzung der Parlamentsöffentlichkeit charakterisiert werden. Der nur partiellen Verwirklichung der Öffentlichkeit ungeachtet lieferten die frühkonstitutionellen Verfassungen – zusammen mit den Erfahrungen aus dem englischen sowie französischen Parlamentarismus – bezüglich der Frage der Sitzungsöffentlichkeit einen ersten positivrechtlichen Traditionsbestand, an den der erste gesamtdeutsche Verfassungsentwurf anknüpfen konnte. 2. Entwicklung von der Nationalversammlung 1848/49 bis zur Reichsgründung Die Parlamentspraxis des ersten gesamtdeutschen Parlaments, der Frankfurter Nationalversammlung, und die von ihr erarbeitete – jedoch nie in Kraft getretene – Verfassung des deutschen Reichs vom 28. März 1849 (sog. „Paulskirchenverfassung“) verhalfen dem Prinzip der Verhandlungsöffentlichkeit endgültig zum Durchbruch. So sah § 16 Geschäftsordnung für die constituierende Nationalversammlung vor, dass diese öffentlich tagt. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit konnte nach § 17 der Geschäftsordnung von einem Quorum von mindestens 50 Abgeordneten beantragt und anschließend mit einer Zweidrittelmehrheit betungen der Bundesversammlung der „heimliche Bundestag [. . .] den Deutschen ein Gegenstand erst der Scheu, dann kalter Anwiderung geworden“ sei, zitiert nach Roth/ Merck, Quellensammlung, Bd. I, 1850, S. 124. Ein Verweis auf zeitgenössische Kritik findet sich zudem bei Hatschek, Deutsches und preußisches Staatsrecht, 2. Aufl. 1930, S. 76. 75 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. II, S. 182. 76 So § 77 Verfassung für das Kurfürstentum Hessen vom 5. Januar 1831; §§ 135 f. der Verfassung für das Königreich Sachsen vom 4. September 1831; im Herzogtum Braunschweig waren nach § 152 Neue Landschaftsordnung vom 12. Oktober 1832 die Einzelheiten der Beratungen der Ständeversammlung einer landschaftlichen Geschäftsordnung (erlassen am 12. Oktober 1832) vorbehalten, die in § 52 die regelmäßige Öffentlichkeit der Verhandlungen der Ständeversammlung statuierte. 77 So § 115 Staatsgrundgesetze des Königreichs Hannover vom 26. September 1833; § 247 Grundgesetz für das Herzogtum Sachsen-Altenburg vom 29. April 1831; § 33 Landesgrundgesetz des Fürstentums Lippe vom 6. Juli 1836.
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schlossen werden. Weiterhin wurden die Verhandlungsprotokolle der Sitzungen der Nationalversammlung in der Praxis veröffentlicht, obschon hierzu von Seiten der Geschäftsordnung keine ausdrückliche Regelung getroffen wurde. Verantwortlich hierfür zeichnete der Abgeordnete Professor Franz Jacob Wigard, welcher erstmals einen „Stenographischen Dienst“ etablierte, um der breiten Öffentlichkeit den Inhalt der Debatten zugänglich zu machen.78 Die Sitzungen der insgesamt 17 ständigen und 10 temporären Ausschüsse erfolgten hingegen nicht öffentlich, wobei auch Abgeordnete der Nationalversammlung, die nicht Mitglied des betreffenden Ausschusses waren, hierzu keinen Zugang erhielten.79 Insoweit folgte die Geschäftsordnung dem Vorschlag Robert von Mohls, der mit seiner Vorstudie zur Ausgestaltung der Geschäftsordnung der Nationalversammlung dafür plädierte, dass Ausschussberatungen unter Ausschluss jedweder Öffentlichkeit erfolgen sollten.80 Zur Begründung verwies er darauf, dass „der Zweck der Niedersetzung eines Ausschusses, nämlich ruhige, umsichtige, und möglichst unparteiische Erörterung in kleinerem Kreise, durch die Anwesenheit vieler Dritter zum bedeutenden Teile wieder aufgehoben würde“. 81 Ein Antrag, der auf die Verhandlungsöffentlichkeit des Ausschusses für Volkswirtschaft abzielte, blieb mithin erfolglos, wobei sich die Argumentation der Gegner einer Öffnung im Wesentlichen darauf stützte, dass „nicht der vorläufige Austausch von Ansichten die Bedeutung gründlicher Erörterung gewinne, und unreife Vorschläge sich vorzeitig verbreiten und das Publikum irre führen“. 82 Vielmehr sei es zu befürworten, dass erst das wohlüberlegte Ergebnis der Ausschussberatungen der Nationalversammlung zugeleitet werde. Im Plenum werde sodann ohnehin öffentlich verhandelt, was das Erfordernis öffentlicher Verhandlungen bereits auf Ebene der Ausschüsse entfallen ließe.83 Der aus der Arbeit der Nationalversammlung hervorgegangene Entwurf einer Verfassung des Deutschen Reichs vom 28. März 1849 statuierte in § 111 S. 1 explizit, dass die Sitzungen beider Häuser des Reichstags öffentlich stattzufinden hatten. Es war dabei nach § 111 S. 2 des Verfassungsentwurfs der jeweiligen Geschäftsordnung von Volks- und Staatenhaus vorbehalten, die Bedingungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit von der Sitzung festzulegen. Die Grundregel der Sitzungsöffentlichkeit bezog sich gleichermaßen nur auf die parlamentarische 78
F.-L. Klein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 35, Rn. 1. § 28 Geschäftsordnung für die constituierende Nationalversammlung. Zu den Ausschüssen der Nationalversammlung siehe auch Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus 1848–1850, 1977, S. 489 f. 80 v. Mohl, Vorschläge zu einer Geschäftsordnung des verfassungsgebenden Reichstages, 1848, S. 33, 39 f. 81 v. Mohl, Vorschläge zu einer Geschäftsordnung des verfassungsgebenden Reichstages, 1848, S. 39. 82 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., Bd. II, S. 1000 (18.07.1848). 83 Ebd. 79
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Vollversammlung. Ausschüsse fanden dagegen in der Paulskirchenverfassung keine explizite Erwähnung, und ihre Konstituierung war Regelungsgegenstand einer noch zu erlassenden Geschäftsordnung des zukünftigen Reichstags. Selbiges gilt für die Vorschriften über die Veröffentlichung parlamentarischer Protokolle. Ein Antrag, diese von Verfassungs wegen vorzuschreiben, scheiterte im Rahmen der Beratungen ohne Aussprache.84 Trotz des Scheiterns der Märzrevolution prägte der in der Paulskirchenverfassung verankerte Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit auch die künftigen deutschen Verfassungen und Landesverfassungen. Die in der Folge entstandenen Verfassungen des Spätkonstitutionalismus griffen diesen einmütig auf. So regelte etwa die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850 in Art. 79, dass beide Kammern des Abgeordnetenhauses im Grundsatz öffentlich tagten.85 Hiervon abweichend konnte auf Antrag des Präsidenten oder von zehn Abgeordneten in geheimer Sitzung über einen Ausschluss der Öffentlichkeit abgestimmt werden.86 Die Öffentlichkeit umfasste wiederum nicht die Verhandlungen der – in Art. 82 Preußische Verfassung 1850 für beide Kammern vorgesehenen87 – Ausschüsse.88 Hier wurde lediglich eine gewisser Grad an Publizität darüber hergestellt, dass Mitgliedern der Reichsregierung89 sowie des jeweiligen Hauses grundsätzlich der Zutritt zu den Ausschüssen gestattet war, sofern nicht entweder durch Beschluss des Plenums (so im Abgeordnetenhaus) bzw. durch Beschluss des Ausschusses selbst (so im Herrenhaus) diese Zugänglichkeit explizit ausgeschlossen war.90 Die Veröffentlichung der Verhandlungsprotokolle beider Häuser war nicht explizit vorgesehen, wurde jedoch aus Art. 79 Preußische Verfassung 1850 hergeleitet sowie in den Geschäftsordnungen beider Häuser normiert.91 84 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung, Bd. 6, S. 4383 (28.12.1848). 85 Ein weiteres Beispiel für den Siegeszug der Parlamentsöffentlichkeit findet sich in Art. 93 S. 1 Staatsgrundgesetz für die Herzogthümer Schleswig-Holstein vom 15. September 1848, siehe hierzu Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 2. 86 Ferner konnte über die nach Art. 60 Preußische Verfassung 1850 jederzeit zu hörenden Minister auch von Seiten der Regierung eine nichtöffentliche Sitzung des Abgeordnetenhauses angeregt werden, Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 19. 87 Hierzu §§ 26–32 Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses sowie §§ 15–21, 29, 30 Geschäftsordnung des Herrenhauses. 88 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 19. 89 Vgl. Art. 60 Abs. 2 Preußische Verfassung 1850. 90 § 28 Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses sowie § 19 Geschäftsordnung des Herrenhauses. Siehe hierzu Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 19 f. 91 § 13 Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses sowie § 8 Geschäftsordnung des Herrenhauses. Siehe hierzu Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 20.
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Im Zuge der von Art. 27 Abs. 2 Preußische Verfassung 1850 garantierten „Preßfreiheit“ und der Abschaffung der Zensur92 wurde durch § 38 des preußischen Gesetzes über die Presse vom 12. Mai 1851 erstmals auch die Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Parlamentsberichterstattung normiert, welche seither als Ergänzung der Parlamentsöffentlichkeit eine feste Größe deutscher Verfassungsgebung darstellt. Dementsprechend schrieb auch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 in Art. 22 neben der Verhandlungsöffentlichkeit des Reichtages die Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages vor. 3. Reichsverfassung von 1871 In Fortführung dieser verfassungsrechtlichen Traditionslinie sah auch die Reichsverfassung vom 16. April 1871 in Art. 22 Abs. 1 die Öffentlichkeit der Verhandlungen des Reichstags vor. Umstritten war insofern lediglich, ob die einschränkende Regelung in § 36 Geschäftsordnung für den Reichstag des Deutschen Reichs, wonach dieser auf Antrag seines Präsidenten oder von zehn seiner Mitglieder die Öffentlichkeit von der Sitzung ausschließen konnte, mit der Verfassung in Einklang stand, da diese selbst an keiner Stelle eine Einschränkbarkeit des Grundsatzes öffentlicher Verhandlung explizit vorsah.93 In der Praxis wurde bloß bei einer Gelegenheit von der geschäftsordnungsrechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht.94 Das praktische Bedürfnis für einen solchen Ausschluss der Plenaröffentlichkeit war infolge der Tatsache, dass die Ausschüsse auch im Reichstag nichtöffentlich tagten, ohnehin gering.95 Zwar schwieg die Reichsverfassung selbst hinsichtlich der Fragen nach Einsetzung und Verfahren der Reichstagsausschüsse und damit auch zu deren Öffentlichkeit.96 Dafür sah § 26 Geschäftsordnung für den Reichstag des Deutschen Reiches eine Reihe ständiger Ausschüsse für bestimmte Fachbereiche97 sowie die Möglichkeit der Einsetzung von Sonderkommissionen für einzelne Angelegenheiten vor. Trotz der – infolge seiner verfassungsrechtlich re-
92 Zur historischen Entwicklung vgl. F. Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, 1966, S. 289 ff. 93 Siehe Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, 5. Aufl. 1911, S. 346 f.; Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 22 f. 94 Siehe hierzu Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 22 f.; ferner E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, S. 887, Fn. 24. 95 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 248. 96 Mit Blick auf den Bundesrat sah allerdings Art. 8 Reichsverfassung explizit die Bildung ständiger Ausschüsse vor. 97 Namentlich genannt werden Ausschüsse für Geschäftsordnung, Petitionen, Handel und Gewerbe, Finanzen und Zölle, für das Justizwesen sowie den Bundeshaushalts-Etat.
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stringierten Befugnisse – relativ geringen Arbeitslast des Reichstags98 machte dieser in erheblichem Maße von der Möglichkeit der Einsetzung besonderer Kommissionen zur detaillierten Vorberatung überwiesener Regierungsvorlagen Gebrauch.99 Die Ausschusssitzungen fanden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, wobei – anders als noch in der Frankfurter Nationalversammlung – dieser Ausschluss nur für das gesellschaftliche Publikum einschließlich Mitgliedern der Presse galt, während die Abgeordneten des Reichstags selbst, unabhängig von deren Ausschussmitgliedschaft, grundsätzlich an allen Ausschussverhandlungen teilnehmen durften, wie im Rückschluss aus § 27 Geschäftsordnung für den Reichstag des Deutschen Reiches ersichtlich war.100 Von den Sitzungen des Reichstages waren nach §§ 35 ff. Geschäftsordnung für den Reichstag des Deutschen Reiches zudem Sitzungsprotokolle anzufertigen. Die fortlaufende Veröffentlichung der stenografischen Protokolle begann bereits mit der Konstituierung des Reichstags des Norddeutschen Bundes und setzte sich im Reichstag des deutschen Kaiserreichs entsprechend fort.101 Schließlich fand auch der Passus über die Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichterstattung hinsichtlich öffentlicher Reichstagssitzungen in Art. 22 Abs. 2 Reichsverfassung102 sowie in § 12 Reichsstrafgesetzbuch103 Eingang. 98 So wurden z. B. die von § 26 Geschäftsordnung für den Reichstag des Deutschen Reiches vorgesehen ständigen Ausschüsse in der Praxis nicht durchgehend eingesetzt, Dechamps, Macht und Arbeit der Ausschüsse, 1954, S. 58 f.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 12 f. 99 Dechamps, Macht und Arbeit der Ausschüsse, 1954, S. 58 f.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 12 f. 100 Siehe hierzu Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 233 ff.; Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 23. Reichstagsabgeordnete, die nicht dem Ausschuss angehörten, konnte allerdings nach § 27 der Geschäftsordnung für den Reichstag des Deutschen Reiches mittels Reichstagsbeschluss von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Mitglieder des Bundesrats sowie die von diesem ernannten Kommissarien hatten gemäß § 29 der Geschäftsordnung ebenfalls Zutritt zu den Ausschüssen. In der parlamentarischen Praxis nahmen zudem nach dem Ende der Ära Bismarck vermehrt auch Vertreter der Reichsregierung an den Ausschusssitzungen teil (Dechamps, Macht und Arbeit der Ausschüsse, 1954, S. 72). 101 Siehe hierzu die Protokolle der Reichstagssitzungen, abrufbar unter: www.reichs tagsprotokolle.de/rtbiauf.html (12.07.2019). 102 Zur Entstehung dieser Norm, sowie zur kritischen Position des preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck siehe Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 21. Die Zielsetzung dahinter war laut E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III, S. 887 – mehr noch als die Verwirklichung der Pressefreiheit – sicherzustellen, dass die Verhandlungen des Reichstages dem gesellschaftlichen Publikum wahrheitsgemäß und unverfälscht zu Gehör gebracht werden und somit letztlich die Parlamentsautonomie gefördert wird. 103 § 12 bestimmte wörtlich: „Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich gehörenden Staates bleiben von jeder Verantwortung frei.“ Umstritten war insoweit, ob die Verantwortungsfreiheit mangels Unterscheidung im Wortlaut auch für nichtöffentliche Sitzungen galt. Siehe hierzu Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 20 f.
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4. Weimarer Reichsverfassung Als erste demokratische Verfassung Deutschlands104 griff die Weimarer Reichsverfassung den mit dem Gedanken der Volkssouveränität verknüpften Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit in Art. 29 Abs. 1 WRV auf, der das öffentliche Verhandeln des Reichstags bestimmte. Demnach hatte grundsätzlich jedermann zu den Verhandlungen des Reichstags im Rahmen der Hausordnung Zugang. Einzig aus räumlichen oder sicherheitspolizeilichen Gründen durften – etwa durch Ausgabe von Einlasskarten – Einschränkungen der Öffentlichkeit vorgenommen werden.105 Die unter der Verfassung des Kaiserreichs virulente Streitfrage der verfassungsrechtlichen Möglichkeit eines Ausschlusses der Öffentlichkeit stellte sich nicht mehr, da Art. 29 Abs. 1 WRV nunmehr explizit vorsah, dass der Reichstag auf Antrag von mindestens 50 Mitgliedern mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausschließen konnte. Die Sitzungen der – im Zuge fortschreitender Ausweitung der Gesetzgebungsbefugnisse des Reichstags in Anzahl und Bedeutung gewachsenen – ständigen Ausschüsse106 waren indes weiterhin im Grundsatz nicht öffentlich.107 Gleichwohl hatten alle Mitglieder des Reichstags, also auch jene, die nicht dem jeweiligen Ausschuss angehörten, Zugang zu den Ausschussverhandlungen, sofern der Reichstag nicht einen gegenteiligen Beschluss gefasst hatte.108 Ebenso hatten gemäß Art. 33 Abs. 2 WRV der Reichskanzler, die Reichsminister sowie deren Beauftragte Zugang zu allen Sitzungen des Reichstages und dessen Ausschüssen. Außerdem konnten an den Sitzungen Bevollmächtigte der Länder teilnehmen.109 Ein echtes Novum der Weimarer Reichsverfassung war indes der Umstand, dass in dieser erstmals eine partielle Erweiterung der Ausschussöffentlichkeit angelegt war. So hatten Untersuchungsausschüsse gemäß Art. 34 Abs. 1 WRV in 104 Der Grundsatz der Volkssouveränität fand sich dabei exponiert Art. 1 Abs. 2 WRV; vgl. hierzu Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 18. Aufl. 2019, S. 262 f. 105 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 24. 106 Der Reichstag verfügte über eine feste Anzahl ständiger Fachausschüsse, deren Zuständigkeit praktisch alle Sachbereiche der Gesetzgebung abdeckte. In § 26 Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Dezember 1922 wurden 15 einzusetzende Ausschüsse explizit genannt. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, dass das Plenum weitere ständige Ausschüsse einsetzte. Schließlich wurde die Arbeit der Fachausschüsse in Einzelfällen durch ad hoc gemäß § 27 der Geschäftsordnung für den Reichstag 1922 gebildete Spezialkommissionen unterstützt. Siehe im Detail Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 13. 107 Siehe Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 24; so (später) explizit auch § 34 Geschäftsordnung für den Reichstag 1922. Vgl. auch Gusy, Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 130. 108 § 34 Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Dezember 1922. 109 Nach Art. 165 WRV konnte außerdem der Reichswirtschaftsrat einen Bevollmächtigten in die Sitzungen des Reichstages – einschließlich der nichtöffentlichen – entsenden.
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öffentlicher Verhandlung Beweis zu erheben, sofern die Öffentlichkeit nicht explizit mit Zweidrittelmehrheit durch den Ausschuss ausgeschlossen wurde. Weiterhin galt für den ständigen Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, dass dieser zwar grundsätzlich nichtöffentlich verhandelte, jedoch hiervon abweichend nach Art. 35 Abs. 1 WRV mit Zweidrittelmehrheit beschließen konnte, öffentlich zu tagen.110 Schließlich zeigte sich auch in der Parlamentspraxis eine vorsichtige Tendenz hin zu vereinzelter Ausschussöffentlichkeit. So waren die Verhandlungen des „Ausschusses für den Reichshaushalt“ ab 1920 regelmäßig öffentlich, wobei diesen regelmäßig nichtöffentliche Unterausschusssitzungen zur Vorberatung vorausgingen.111 Die Sitzungsöffentlichkeit wurde durch die fortlaufende Veröffentlichung stenografischer Protokolle ergänzt.112 Letztlich komplettierte die in Art. 30 Abs. 1 WRV geregelte Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichterstattung die öffentlichkeitsrelevanten Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung, wobei sich diese nicht mehr nur auf die öffentlichen Sitzungen des Reichstags, sondern auch auf jene der Landesparlamente erstreckte und zudem auch die Berichterstattung über öffentliche Ausschusssitzungen von Reichstag oder Landtagen umfasste.113 5. Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes Die heutige Fassung des die Parlamentsöffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland fixierenden Art. 42 Abs. 1 und Abs. 3 GG geht auf Art. 53 Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee zurück. Dieser lautete: (1) 1Der Bundestag verhandelt öffentlich. 2Auf Antrag eines Zehntels der gesetzlichen Mitgliederzahl oder der Bundesregierung kann mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. 3Über den Antrag wird in nichtöffentlicher Sitzung entschieden. (2) Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestages oder eines seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortung frei.
Im Laufe des Beratungsverfahrens im Parlamentarischen Rat erfuhr diese Vorschrift lediglich geringfügige, größtenteils redaktionelle Änderungen.114 Eine 110 In der Praxis tagte der Auswärtige Ausschuss jedoch zumeist sogar vertraulich. Protokolle seiner Sitzungen wurden nicht veröffentlicht. Siehe Schmädeke, Militärische Kommandogewalt, 1966, S. 155, Fn. 187. 111 Schmädeke, Militärische Kommandogewalt, 1966, S. 154, Fn. 185. 112 Siehe hierzu §§ 108 ff. der Geschäftsordnung für den Reichstag. 113 Ob die Verantwortungsfreiheit auch nichtöffentliche Ausschusssitzungen umfasste, war dagegen umstritten. Bejahend: Giese, Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 2. Aufl. 1920, Art. 30, Rn. 4. Verneinend: Ebermayer, Das Reichsstrafgesetzbuch, 3. Aufl. 1925, § 12, Rn. 4; Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 26. 114 Siehe hierzu v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR n. F. 1 (1951), S. 362 ff.
A. Verfassungsgeschichtliche Betrachtung
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Auseinandersetzung mit der Norm fand vielmehr auf interpretatorischer Ebene und dort allein hinsichtlich der Frage, was unter einem „wahrheitsgetreuen“ Bericht zu verstehen sei, statt. So wies der Abgeordnete Fritz Löwenthal (SPD) im Organisationsausschuss115 auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts hin, wonach nur eine wortgetreue Wiedergabe zugleich wahrheitsgetreu sei. In diesem Sinne sei der Verfassungsentwurf aber keinesfalls zu verstehen. Vielmehr genüge es, wenn der Bericht wahrheits- und nicht auch wortgetreu sei, zumal Zeitungen nicht in solcher Ausführlichkeit über Debatten berichten könnten. Daneben wurde im Hauptausschuss die inhaltliche Reichweite des in Art. 53 Abs. 2 Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee zugrunde gelegten Begriffs der „Wahrheit“ erörtert, namentlich ob dieser in einem relativen, subjektiven oder objektiven Sinne zu verstehen sei.116 Ein grundsätzliche Erörterung der Parlamentsöffentlichkeit, etwa mit Blick auf deren Anwendbarkeit auf Ausschüsse, erfolgte dagegen nicht.117
IV. Traditionslinien und Brüche Zusammenfassend zeigt die verfassungsgeschichtliche Betrachtung, dass der Grundsatz der Verhandlungsöffentlichkeit des Parlaments – unter Einschluss der Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen und der Verantwortungsfreiheit parlamentarischer Berichterstattung – auf eine lange europäische und nicht zuletzt auch deutsche Rechtstradition zurückblickt. Jedenfalls in der deutschen Verfassungsgeschichte ist dieser untrennbar mit dem Gedanken der Volkssouveränität und politischen Mitbestimmung im Rahmen einer Repräsentativversammlung verknüpft.118 Die parlamentarische Öffentlichkeit beschränkt sich in Deutschland verfassungsgeschichtlich jedoch eindeutig auf Plenarsitzungen. Ausschüsse werden dagegen – trotz gewisser Tendenzen hin zu deren Öffnung seit der Weimarer Reichsverfassung – traditionell als Gremien verstanden, die in vertraulicher Beratung Detailfragen klären und die daher gerade unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen. Diesbezüglich lässt sich die Argumentationslinie, dass die Nichtöffentlichkeit eine sachliche und unparteiische Erörterung von Beratungsgegenständen ermögliche und dem Publikum erst das wohl abgewogene Ergebnis der Ausschussberatung präsentiert werden solle, welches danach ohnehin öffentlich zu debattieren sei, bis in die Beratungspraxis der Frankfurter Nationalversammlung zurückverfolgen.
115 Stenografischer Bericht der 6. Sitzung des Organisationsausschusses vom 24.09. 1948, S. 50. 116 Vgl. hierzu Stenografischer Bericht der 2. Sitzung des Hauptausschusses vom 11.11.1948, S. 13 ff. 117 Siehe hierzu v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR n. F. 1 (1951), S. 362 (363). 118 Merg, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung, 1920, S. 1 ff.; vgl. auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 303.
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
B. Geistesgeschichtliche Begründung und Funktionsbestimmung des Grundsatzes der Parlamentsöffentlichkeit Da eine rechtsdogmatische Auslegung des Verfassungstextes niemals völlig losgelöst von der geistesgeschichtlichen Entwicklung der mit dem Verfassungsrecht adressierten Topoi erfolgen kann, ist auch dem historischen Wandel der Funktionsbestimmung parlamentarischer Öffentlichkeit nachzugehen. Eingedenk der Tatsache, dass die freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes in einer Traditionslinie mit dem „liberalen bürgerlichen Rechtsstaat“ des 19. Jahrhunderts steht119 und die verfassungsrechtliche Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung – wie gesehen – seinen Ausgang in der Zeit des Konstitutionalismus nahm, liegt es nahe, vom geistesgeschichtlichen Unterbau der Entstehungszeit des Öffentlichkeitspostulats ausgehend dessen Entwicklung bis in die Gegenwart nachzuvollziehen, um schließlich zu einer realitätsgerechten, aktuellen Funktionsbestimmung zu gelangen. Die politische Forderung nach parlamentarischer Öffentlichkeit geht zurück auf die Staatstheorie des ausgehenden 18. sowie frühen 19. Jahrhunderts, welche sich gegen die bis dato vorherrschende Arkantradition des Absolutismus wandte. Dieser entsprach es, dass sowohl das Regierungshandeln als auch die Rechtsprechung und die Beteiligung der Landstände an der Staatstätigkeit im Geheimen stattfanden.120 Dogmengeschichtlich fand dies seinen Ausdruck in der Lehre von den „Arcana imperii“.121 Hiernach wurde das staatliche Arkanum als Ausdruck politischer Klugheit122 und damit als Voraussetzung kunstfertiger Herrschaft gepriesen.123 Neben den Begriffen der Staatsräson und der Souveränität stellte das Staatsgeheimnis einen der Zentralbegriffe der absolutistischen „politischen Handlungslehre“ dar.124 Ferner wurde dem Geheimnis als solchem ein transzendentaler Aspekt als Ausdruck der Gottesähnlichkeit der Herrschaft beigemessen, was 119
BVerfGE 5, 85 (197). Hierunter fallen in institutioneller Hinsicht z. B. der „Geheime Rat“, die geheime Kabinettsregierung, die geheime Gerichtsbarkeit oder die Zensur, ausführlich siehe Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 77 ff. 121 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 42 f. 122 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 45. Dementsprechend war der Begriff des Geheimnisses im Bewusstsein der Zeitgenossen keinesfalls negativ konnotiert. Für die Umwelt erkennbar Geheimnisse zu haben, diente vielmehr den Herrschern im Absolutismus zu Erhöhung der eigenen Person und somit zur Legitimation ihrer Herrschaft. Siehe Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, 1994, S. 34 f. 123 So etwa Clapmarius, De arcanis rerumpublicarum, 1605, S. 9 in der Übersetzung von Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, 1979, S. 133: „Staatsgeheimnisse sind meiner Definition nach innerste und geheime Mittel und Ratschläge derer, die im Staat die Herrschaft innehaben, und dienen teils der Erhaltung der Ruhe in demselben, teils auch der Erhaltung der bestehenden Staatsverfassung, bzw. dem öffentlichen Wohl.“ 124 Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, 1979, S. 131. 120
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dieses damit zugleich als Stütze der staatlichen Ordnung kennzeichnete.125 Umgekehrt wurde die Offenheit staatlicher Entscheidungsprozesse als Ausdruck politischer Unerfahrenheit und Schwäche gewertet.126 Apologeten der Geheimhaltung sahen durch die liberale Forderung nach Öffentlichkeit mithin die Aufrechterhaltung staatlicher Autorität gefährdet.127 So führte der konservative Staatsdenker Friedrich von Gentz anlässlich der Karlsbader Konferenz 1819 aus: „Die Öffentlichkeit der Verhandlung der Volkskammer [ist], wenn sie bis auf den Punkt täglicher Bekanntmachung des Gesamtinhalts der Debatten getrieben wird, ein unmittelbarer Schritt zur Herabwürdigung aller Autorität und zum Untergang aller öffentlichen Ordnung [. . .].“ 128
I. Verwurzelung in der Rechtsphilosophie der Aufklärung Die geistesgeschichtliche Grundlage, die diesem Verständnis entgegentretend die Öffentlichkeit zur Tugend erklärte und damit zum geistigen Fundament der liberalen Staatstheorie wurde, findet sich in der Staatsphilosophie der Aufklärung.129 Diese trat – wie bereits anhand der Bezeichnung deutlich wird130 – aufgrund ihres Glaubens an den öffentlichen Gebrauch der Vernunft und den dadurch möglichen „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ 131 in einen natürlichen Gegensatz zur absolutistischen Wissensmonopolisierung.132 Einer solchen wurde vielmehr die Publizität als neues Ideal entgegengesetzt, welches z. T. mit den Idealen der Wahrheit und des Rechts 125 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 46; mit Blick auf eine religiöse Komponente des Geheimnisses siehe auch Luhmann, in: Luhmann/Fuchs, Reden und Schweigen, S. 101 (118). 126 Siehe hierzu exemplarische Zedler, Universallexikon, 1732–1754, Stichwort „Heimlichkeit“, Sp. 1186 f.: „Die Erfahrung lehret, daß der Erfolg aller guten Anschläge so wohl zu Friedens- als Kriegs-Zeiten desto glücklicher ist, je heimlicher dieselben gehalten werden, und hingegen desto unglücklicher/je zeitiger der Feind davon Nachricht erhält. Ja da ein ganzer Staat nothwendig mehr Feinde haben muß, als ein einzelner Mensch, so müssen auch die zu desselben Aufnahme geschmiedeten Anschläge desto heimlicher gehalten, und desto sorgfältiger vor den Anfällen der Gegner verwahret werden.“ 127 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 55; zur Geheimhaltung als Fundament staatlicher Stabilität siehe auch Luhmann, in: Luhmann/Fuchs, Reden und Schweigen, S. 101 (116). 128 v. Gentz zitiert nach Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 28. 129 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 120 ff. 130 Englisch: „the age of enlightenment“; französisch: „le siècle des lumières“. 131 Siehe dazu Kant, Was ist Aufklärung?, 1784, Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. XI, S. 53, in welcher er das optimistische Menschenbild der Aufklärer auf die griffige Formel bringt: „Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ 132 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 120.
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
gleichgesetzt wurde, während die Geheimhaltung fortan als amoralisch gescholten wurde.133 Dabei wurde auf eine (vermeintliche) Öffentlichkeit der Institutionen des Gemeinwesens in der ständischen Gesellschaft des Mittelalters bzw. in der germanischen Stammesgesellschaft verwiesen, welche kontrastierend dem arkanen Staat absolutistischer Prägung gegenübergestellt wurde.134 Die Idealisierung der Öffentlichkeit erfolgte ebenfalls in normativer Hinsicht und wurde damit zu einem zentralen Betrachtungsgegenstand der Rechtsphilosophie der Aufklärung.135 Für die diskursgeschichtliche Begründung parlamentarischer Öffentlichkeit sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Grundpositionen von Immanuel Kant (1.), Jeremy Bentham (2.) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (3.) besonders herauszuheben. 1. Immanuel Kant – Publizität als Handlungsmaxime Die von Kant zur Grundlage seines Denkens erkorene kritische Vernunft steht bereits als solche einer Immunisierung eines Gegenstandes gegen eine öffentliche Prüfung im Wege der Geheimhaltung entgegen. So heißt es in seiner Vorrede zur ersten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ von 1781: „Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre Majestät wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen zubilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.“ 136
Die für das Denken Kants zentrale kritische Vernunft bedarf insofern zwingend der Publizität, als die zum Gebrauch derselben befähigende Aufklärung des Publikums, verstanden als eine vollständige und zweckmäßige Entwicklung der
133 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 122 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die Licht-Metaphorik der Aufklärung. Diesen Wandel in der Bewertung des Geheimnisses fand zu Beginn des 18. Jahrhunderts statt, so Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, 1994, S. 35 f.; besonders eindrucksvolles Zeugnis der zeitgenössischen Verurteilung der Geheimhaltung bei Meyer, Conversations-Lexicon, Bd. 2.1, Stichwort „Öffentlichkeit“: „Im Geheimen brütet das Verbrechen, der Verrat, im Geheimen wetzt der Mord seine Dolche, lauern Molch und Schlange auf ihre Opfer, im Geheimen feierte die Inquisition ihre blutigen Henkerorgien, im offenen Tageslichte dagegen wandelt die Rechtschaffenheit, die überzeugungsvolle Gesinnung, wandelt ein freies Volk“, zitiert nach Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 127. 134 So etwa Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 249 f., 263. Diese Sichtweise wirkte bis in 20. Jahrhundert nach, vgl. Marcic, in: FS Arndt, S. 267 (282 ff.). Kritisch zu der Frage ob diese „gute alte Zeit der Transparenz“ jemals existierte Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 34 ff. 135 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 138 f. 136 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781, Vorrede zur 1. Aufl. der Kritik der reinen Vernunft.
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Naturanlagen des Menschen, erst unter Vermittlung der Öffentlichkeit stattfindet.137 In Kants Worten: „Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende [. . .] finden, welche [. . .] den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen selbst zu denken, um sich verbreiten werden [. . .]. Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit [. . .] nämlich die: von einer Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch zu machen.“ 138
Erst durch einen öffentlichen Gedankenaustausch – das öffentliche Räsonnement – könne der Einzelne praktisch in den Stand der Aufklärung gelangen, welchen er ansonsten nicht erreichen würde, da er hierzu „unmäßig lange leben“ 139 müsse. Das öffentliche Räsonnement banne dabei auch die Gefahr einer subjektiven Einseitigkeit im Denken. Nach Kant wirkt die Vernunft der anderen Diskussionsteilnehmer vielmehr als „Probierstein“ der eigenen Meinung,140 sodass Einsichten der Vernunft weniger Resultat individueller, sondern vielmehr Produkt einer „allgemeinen Menschenvernunft“ 141 seien, welche sich im Rahmen der Diskussion entfalten. Dadurch würden im Ergebnis die Urteile der am öffentlichen Diskurs Beteiligten fundierter,142 sodass der Öffentlichkeit bei Kant insgesamt eine Rationalisierungsfunktion zukommt. Über diese erkenntnisfördernde Wirkung hinaus wird die Öffentlichkeit für Kants rechtsethische Überlegungen – zugespitzt auf die staatliche Sphäre – zum normativen Kriterium für die Qualität und Legitimität einer Handlung. In seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ entwickelte er dementsprechend die folgende „transzendentale Formel des öffentlichen Rechts“: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.“ 143
137 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 54 unter Verweis auf Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784, Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. XI, S. 18. 138 Kant, Was ist Aufklärung?, 1784, Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. XI, S. 54 f. 139 Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784 Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. XI, S. 19. 140 Kant, Was ist Aufklärung?, 1784, Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. XI, S. 58. 141 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781, Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. IV, S. 640. 142 Vgl. Kant, Sich im Denken orientieren, 1786, Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. V, S. 280: „Allein wieviel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit anderen, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mitteilen, dächten.“ 143 Kant, Zum ewigen Frieden, 1795, Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. XI, S. 245.
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Folglich ist die Möglichkeit, eine Handlung in der Öffentlichkeit mit Aussicht auf allgemeine Billigung zu vertreten, eine notwendige Voraussetzung der Rechtsmäßigkeit derselben. Sie stellt für Kant damit ein leicht zu handhabendes, a priori in der Vernunft wurzelndes Instrument dar, um ggf. die Rechtswidrigkeit einer (staatlichen) Handlung zu erkennen. „Denn eine Maxime, die ich nicht darf laut werden lassen, ohne dadurch meine eigene Absicht zugleich zu vereiteln, die durchaus verheimlicht werden muß, wenn sie gelingen soll, und zu der ich mich nicht öffentlich bekennen kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde, kann diese notwendige und allgemeine, mithin a priori einzusehende, Gegenbearbeitung aller gegen mich nirgend wovon anders, als von der Ungerechtigkeit her haben, womit sie jedermann bedroht.“ 144
Umgekehrt folgt daraus nach Kant jedoch noch nicht, dass jede Maxime, welche Publizität verträgt, eo ipso gerecht und wahr sei, was er wiederum der Tatsache zuschreibt, dass absolute Staatsmacht, sich ggf. auch gegen öffentliche Kritik durchzusetzen vermöge. Positiv gewendet konzediert er jedoch: „Alle Maximen, die der Publizität bedürfen (um ihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mit Recht und Politik vereinigt zusammen.“ 145 Sofern sich der Zweck einer staatlichen Maßnahme demnach nur unter der Voraussetzung der Publizität, d.h. durch die Beseitigung des bürgerlichen Misstrauens und die Generierung öffentlicher Zustimmung, verwirklichen lässt, muss dieser für Kant zwingend einerseits mit dem Recht des Publikums, in welchem allein die Vereinigung der pluralen Zwecke aller möglich sei, und zum anderen dem allgemeinen Streben des Publikums nach Glückseligkeit, welche zu gewährleisten eigentliche Aufgabe der Politik sei, vereinbar sein. Die Vorstellung einer öffentlichen Unrechtspolitik, welche die öffentliche Meinung gezielt gegen einzelne Teile des Publikums aufhetzt, war für Kant in seinem Glauben an die im freien Diskurs gebildete allgemeine Vernunft indes nicht vorstellbar.146 2. Jeremy Bentham – Öffentlichkeit und Demokratie Im Wesentlichen parallel zu Kant entwickelte der englische Philosoph und Jurist Jeremy Bentham seine Konzeption der Öffentlichkeit, welche er auf sämtliche Bereiche des öffentlichen Handelns erstreckte.147 Zudem findet sich bei Bentham „das erste Modell von Sinn, Bedeutung, Vor- und Nachteilen der Parlamentsöffentlichkeit in der Geschichte des modernen europäischen Parlamentaris144
Ebd. Kant, Zum ewigen Frieden, 1795, Immanuel Kant, Werke, Weischedel (Hrsg.), Bd. XI, S. 250. 146 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 143. 147 Die hier interessierende Parlamentsverhandlung diente Bentham allerdings als Beispiel für die Funktionen eines öffentlichen Verfahrens in seinem 1791 veröffentlichten „Essay on Political Tactics“. 145
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mus“.148 Anders als Kant sind Benthams Ausführungen weniger abstrakt rechtsethischer Natur, sondern beziehen sich vielmehr auf die konkreten staatlichen Verhältnisse im Großbritannien seiner Zeit.149 Für Bentham ist die Öffentlichkeit staatlichen Handelns vor allen Dingen ein Garant für den Bestand bürgerlich-demokratischer Herrschaft, indem sie ein wirksames Mittel gegen staatlichen Machtmissbrauch bereithalte. Dabei befänden sich Träger staatlicher Macht in einer moralischen Gefährdungssituation, das Gemeinwohl nicht hinreichend zu fördern. Dem ließe sich nur durch umfassende staatliche Publizität begegnen.150 Sowohl Moralität als auch Leistungsbereitschaft staatlicher Vertreter würden laut Bentham durch die Öffentlichkeit ihrer Tätigkeit gewährleistet. Mithin stellt er die Öffentlichkeit in seinem „Essay on Political Tactics“ an die Spitze seiner Ordnungsvorschriften für parlamentarische Versammlungen.151 Darauf aufbauend arbeitet er sechs Gründe für die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung heraus. Hierzu zählt er zunächst als zentrales Element die Kontrolle parlamentarischen Handelns, um den Missbrauch politischer Macht vorzubeugen.152 Dabei bezeichnet Bentham die öffentliche Meinung als ein Tribunal,153 dessen kritischen Urteil sich die Abgeordneten auf Dauer nicht entziehen könnten. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit könne zwar gleichfalls irren, womit staatliche Repräsentanten gezwungen sein könnten, sich gegen die Tagesmeinung zu stellen. Damit wendeten sie sich jedoch zugleich an ihre Unterstützer im Publikum und schafften so die Perspektive für eine gewandelte Einsicht der öffentlichen Meinung im eigenen Sinne.154 Trotz dieser Imperfektion sei die gesellschaftliche Öffentlichkeit als solche (anders als deren Individuen) nicht korrumpierbar und strebe tendenziell der Aufklärung entgegen, wovon die parlamentarischen Leistungen nur profitie-
148
Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 24. Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 150. 150 „On this occasion, as on every other, the grand security of securities is publicity: – exposure – the completest exposure of the whole procedure – whatever is done by anybody, being done before the eyes of the universal public. By this means, appropriate moral aptitude may be maximised – appropriate intellectual aptitude may be maximised – appropriate active aptitude may be maximised.“ Bentham, Principles of Judicial Procedure, 1843, Works II, S. 1 (8) über die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens. 151 „[. . .] let us place at the head of its regulations the fittest law for securing the public confidence, and causing it constantly to advance towards the end of its institution. This law is that of publicity.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (310). 152 „To constrain the members of the assembly to perform their duty.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (310). 153 „The public opinion compose a tribunal, which its more powerful than all the other tribunals together.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (310). 154 Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (310). 149
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ren könnten.155 Repräsentanten, welche die Publizität dagegen scheuten, täten dies entweder aus moralischer verwerflicher Gesinnung oder infolge persönlicher Feigheit bzw. einer Trägheit im Handeln.156 Als zweiten Grund führt Bentham an, dass nur durch Publizität das Vertrauen des Volkes und dessen Zustimmung für politische Handlungen erlangt werden könne.157 Maßnahmen im Geheimen erweckten dagegen ein begründetes Misstrauen. Das aufgebaute Vertrauen und die Akzeptanz der Bürger sei zugleich Voraussetzung für die Stabilität des politischen Systems und komme damit auch den Repräsentanten zugute.158 Ein möglicherweise temporärer Vorteil einer Geheimhaltung von Maßnahmen würde durch die langfristige Akzeptanz einer transparenten Ausübung der Staatsmacht überwogen. Gerade solche Maßnahmen, die trotz öffentlicher Opposition mehrheitlich durchsetzungsfähig waren, wiesen infolge der öffentlichen Auseinandersetzung eine besondere Legitimität auf. Hieran wird – ähnlich wie bei Kant – Benthams Glaube an eine rationalisierende Wirkung des öffentlichen Diskurses, in der welchem sich das beste Argument durchsetzt und die Entscheidung schließlich Ausdruck höherer Vernunft ist, deutlich.159 Dabei spricht Bentham vom „hohen Ton“ der Debatte und dem Vorzug vernünftiger Meinungen gegenüber demagogischer Beeinflussung. Ergänzend weist er der Öffentlichkeit eine Bildungsfunktion zu, die einen Teil des Publikums160 erst zur Teilnahme an einer rationalen Diskussion befähige und von dem unter unfreien Völkern verbreiteten Misstrauen läutere, welches in affektgesteuertem, schlimmstenfalls gewaltsamen Reaktionen gipfeln könne.161 Als dritter Grund sei die Publizität Voraussetzung dafür, dass den Repräsentanten die „wahren Wünsche“ der Repräsentierten in Form der öffentlichen Meinung zur Kenntnis gebracht werden.162 Dabei legt Bentham den Fokus weniger auf eine Umkehrung des Informationsflusses von der Öffentlichkeit zum Parlament 155
Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 30 f. Vgl. Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (310). 157 „To secure the confidence of the people and their assent to the measures of the legislature.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (310). 158 Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (310 f.). 159 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 154. 160 Bentham unterteilt das Publikum dabei in eine große Gruppe politisch Ungebildeter, eine kleinere Gruppe von politisch Gebildeten, die vorgefertigte Meinungen lediglich übernehmen und eine nochmals kleinere Gruppe, die sich selbstständig Meinungen bildet. Die Bildungsfunktion richtet sich vor allem an die unpolitische Gruppe, vgl. Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 32. 161 „A habit of reasoning and discussion will penetrate all classes of society [. . .] Even in circumstances when discontent most strikingly exhibits itself, the signs of uneasiness will not be signs auf revolt; [. . .] legal opposition to every unpopular measure, will prevent the idea of illegal resistance.“ Bentham, Essay on Political tactics, 1791, Works II, S. 299 (311). 162 „To enable the governors to know the wishes of the governed.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (311). 156
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als vielmehr darauf, dass die öffentliche Meinungsbildung – welche sich ohnehin auch bei Abwesenheit parlamentarischer Publizität vollziehe – nur dann fundiert sein könne, wenn den Repräsentierten durch die Öffentlichkeit das Wissen um parlamentarische Verhandlungsgegenstände und Positionen hierzu mitgeteilt werden.163 Mithin stellt für ihn die Transparenz des Staatshandelns eine Voraussetzung für das Entstehen einer aufgeklärten, vernünftigen und demnach „richtigen“ öffentlichen Meinung dar. Fehlten diese Informationen dagegen, basierten die Ergebnisse des Meinungsbildungsprozesses im Volk hingegen auf Gerüchte und Mutmaßungen und seinen damit zwangsläufig unzulänglich. Eine plötzliche offenbar werdende gegenteilige Einsicht rufe demnach eher einen Schock sowie Widerstand gegen die staatlichen Repräsentanten hervor.164 Damit entfaltet bei Bentham die Parlamentsöffentlichkeit auch eine rationalisierende Wirkung auf das Publikum, die ihrerseits wiederum Voraussetzung der im ersten Grund angesprochenen Kontrollfunktion ist.165 In engem Zusammenhang zu diesem Gedanken führt Bentham als vierten Grund das Wahlrecht zur Begründung an. Die Wahl setze die tatsächliche Möglichkeit einer resümierenden Bewertung des Verhaltens der Repräsentanten und damit eine wissensbasierte Entscheidung voraus.166 Fänden aber die Verhandlungen im Geheimen statt, wäre keine rationale Wahlentscheidung bezüglich der zur Auswahl stehenden Kandidaten möglich.167 Als fünften Grund führt Bentham die Möglichkeit des Wissensaustausches zwischen Parlament und Gesellschaft an.168 Hier geht es ihm jedoch nicht um die Kenntnisnahme der Bedürfnisse des Publikums durch die Repräsentanten, sondern vielmehr um die Akquise von gesellschaftlicher Expertise. Unter der Prämisse, dass das Parlament nicht die gesamte Weisheit der Nation in sich vereine, sei ein Austausch mit der Gesellschaft erforderlich, um das gesammelte Wissen im Repräsentativorgan zu vereinen und so nutzbar zu machen.169 163 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 32 f.; in Benthams eigenen Worten: „The public is placed in a situation to form an enlightened opinion.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (311). 164 Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (311 f.). 165 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 33. 166 „In an assembly elected by the people, and renewed from time to time, publicity is absolutely necessary to enable the electors to act from knowledge.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (312). 167 „You are to elect or reject such or such of your deputies without knowing why – you are forbidden to use reason – you are to be guided in the exercise of your greatest powers only by hazard or caprice.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (312). 168 „To provide the assembly with the means of profiting by the information of the public.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (312). 169 „[. . .] it may easily be conceived how effective publicity is, as a means of collecting all the information in a nation, and consequently for giving birth to useful suggestions.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (312).
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Schließlich führt er als sechsten Grund der Publizität das hieraus folgende „amusement“ an.170 In Entsprechung des utilitaristischen Denkens Benthams ist auch die Unterhaltung, die aus dem Verfolgen politischer Debatte im Parlament folgt, als eigenständiger Vorteil zu werten. Des Weiteren setzt sich Bentham mit den Kritikpunkten seiner Zeitgenossen an der Forderung nach staatlicher Transparenz auseinander.171 Zentral ist hierbei der Einwand, dass die Mehrheit des Volkes infolge mangelnder Bildung gar nicht zu einer vernünftigen Einsicht in staatliche Vorgänge fähig sei. Die Ignoranz weiter Teile des Publikums wird von ihm zwar nicht bestritten. Da dieses jedoch – unabhängig von einer Befähigung hierzu – ohnehin urteilte, sei dessen mangelndes politisches Vermögen für sich noch kein zwingender Grund gegen staatliche Transparenz. Ferner existiere neben der Masse der Bevölkerung, die an politischen Themen kein Interesse habe, da ihnen sowohl die Zeit sich politisch zu informieren als auch die Gelegenheit zur kritischen Reflexion fehle und den wenigen, die zwar politisch gebildet seien, jedoch die vorgefertigten Meinungen anderer nur übernehmen, auch eine – freilich zahlenmäßig kleine – Gruppe derer, die zu selbstständigen Urteilen intellektuell in der Lage seien. Gerade die letztgenannte Gruppe werde aber durch die verbesserte Informationslage, welche aus der Öffentlichkeit staatlicher Vorgänge folgt, in den Stand gesetzt, fundierter zu urteilen. Aufgrund ihrer Eigenschaft als Vordenker beeinflussten sie weitere Teile des Publikums, sodass die Publizität indirekt auch das Urteil der breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit verbessere.172 Den Gegnern der Publizität wirft Bentham dagegen eine Zirkelschlussargumentation vor, indem sie die Nichtöffentlichkeit mit der Unwissenheit des Publikums begründeten, welche aber gerade dadurch aufrechtzuerhalten werde, dass die Forderung nach Publizität negiert werde.173 Auch das Risiko unberechtigter Kritik oder gar Anfeindung gegenüber den Trägern staatlicher Gewalt verfängt nach Bentham nicht. Er setzt die Toleranzfähigkeit gegenüber (ggf. auch ungerechter) Kritik als eine notwendige Voraussetzung staatlicher Amtsträger voraus. Außerdem hält er seinen Glauben an die überwiegende Durchsetzungskraft der Vernunft unter der Bedingung der Publi170
Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (312). Anhand der Abwägung von Vor- und Nachteilen wird deutlich, dass für Bentham Parlamentarismus noch nicht zwangsläufig untrennbar mit Publizität verbunden war. In seinem utilitaristischen Denken stellt die Öffentlichkeit vielmehr eine Voraussetzung zum besseren Funktionieren des Parlamentarismus insbesondere mit Blick auf das Ziel gelungener Entscheidungen dar, vgl. Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 29. 172 „But this class being better informed, and judging better, will furnish more correct opinions for those who receive them ready made. By rectifying these, you will have rectified the others; by purifying the fountain, you will purify the stream.“ Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (313). 173 Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (313). 171
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zität entgegen, sodass sich eine ungerechte öffentliche Meinung schlussendlich korrigiere und damit die betreffenden Repräsentanten rehabilitiert werden würden. Schließlich schütze die Öffentlichkeit auch vor ungerechtfertigter Kritik, falschen Beschuldigungen oder Fehldarstellungen.174 Die Überzeugung von der rationalisierenden Wirkung der Debatte auf die öffentliche Meinung setzt er auch der behaupteten Gefahr einer demagogischen Manipulation der Massen entgegen. Diese sei im Repräsentativsystem ohnehin weniger virulent als in der direkten Demokratie und zudem durch die Formalisierung der Debatte in Rede und Gegenrede bei gleichzeitiger Publizität gemindert.175 Dem im England seiner Zeit vorherrschenden Argument, dass die Nichtöffentlichkeit der Parlamentsverhandlung die Parlamentarier und damit auch die Institution Parlament als solche vor Repressalien des Monarchen schütze, hält Bentham schließlich entgegen, dass eine effektive Geheimhaltung der Verhandlungen (angesichts stets anwesender Zuträger des Monarchen) ohnehin nicht möglich sei. Vielmehr sei die Öffentlichkeit des Verfahrens selbst ein Schutz gegen willkürliche monarchische Übergriffe.176 Damit können in der Abwägung der Vor- und Nachteile die Argumente gegen staatliche Publizität für Bentham nicht überzeugen. 3. Georg Wilhelm Friedrich Hegel – Öffentlichkeit als Bildungs- und Integrationsmittel Eine weitere Diskurslinie der Begründung staatlicher Öffentlichkeit geht auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel zurück. Dieser schreibt der Öffentlichkeit der Diskussion – ähnlich wie Kant und Bentham – eine rationalisierende und damit im Ergebnis größere Sachgerechtigkeit von Entscheidungen herbeiführende Wirkung zu. So formuliert er plakativ: „[. . .] es zeigt sich, daß es ein anderes ist, was sich jemand zu Hause bei seiner Frau oder seinen Freunden einbildet, und wieder ein anderes, was in einer großen Versammlung geschieht, wo eine Gescheitheit die andere auffrißt.“ 177
Anders als die Vorgenannten ist er allerdings skeptisch gegenüber einer die Gerechtigkeit der Ergebnisse garantierenden Wirkung der Parlamentsöffentlichkeit. Zwar enthält für Hegel die öffentliche Meinung „in sich die ewigen substantiellen Prinzipien der Gerechtigkeit [. . .] sowie die wahrhaften Bedürfnisse und
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Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (313). Siehe hierzu Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 169. 176 Siehe Bentham, Essay on Political Tactics, 1791, Works II, S. 299 (314): „If [. . .] an assembly be in danger from the sovereign, it has no security except in the protection of the people.“ 177 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 482, Zusatz § 315. 175
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richtigen Tendenzen der Wirklichkeit“.178 Sie offenbare jedoch zugleich in ihrem Bewusstsein und ihren Äußerungen „die ganze Zufälligkeit des Meinens, seine Unwissenheit und Verkehrung, falsche Kenntnis und Beurteilung“ 179 mithin die gesellschaftlichen Eigentümlichkeiten im Gegensatz zum Vernünftigen und damit Allgemeingültigen. Durch die Feststellung, dass sich das Publikum vor allem an Partikularinteressen und gerade nicht am Gemeinwohl orientiere, wird der Zusammenhang zwischen Öffentlichkeit und Gerechtigkeit zwar von Hegel nicht vollends negiert, zumindest aber deutlich relativiert.180 Der durch die von Partikularinteressen bestimmten gesellschaftlichen Sphäre stellt Hegel gedanklich die auf das Gemeinwohl gerichtete staatliche Sphäre gegenüber. „Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige.“181 Allein im staatlichen Gefüge seien gemeinwohlorientierte Entscheidungen durch Individuen möglich,182 sodass staatliche Institutionen im Sinne von Organen und Amtsträgern zur Entscheidungsfindung im Gemeinwesen berufen seien müssten.183 In der Folge diente bei Hegel die Ständeversammlung nicht einer Ermittlung des Gemeinwohls im Wege des Austarierens verschiedener gesellschaftlicher Interessen, sondern vielmehr der Vermittlung zwischen Staat und Gesellschaft.184 Dabei ist – wie schon bei Bentham angeklungen – für ihn die Öffentlichkeit der ständischen Versammlung ein Mittel politischer Bildung. Durch sie erlange das Publikum die „allgemeine Kenntnis“, durch welche „die öffentliche Meinung erst zu wahrhaften Gedanken und zur Einsicht in den Zustand und Begriff des Staates und dessen Angelegenheiten und damit erst zu einer Fähigkeit, darüber vernünftiger zu urteilen“,185 komme. Die öffentliche Verhandlung sei „Heilmittel gegen den Eigendünkel der Einzelnen und der Menge“ und „das größte Bildungsmittel für die Staatsinteressen überhaupt“.186 Mit Blick auf das Staatsvolk zeige sich durch die Öffentlichkeit 178
Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 483, § 317. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 482 f., §§ 316 f. 180 Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (712 f.). 181 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 398, § 258. 182 Indem der Staat „objektiver Geist ist, so hat das Individuum selbst nur Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit, als es ein Glied desselben ist“. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 398, § 258. 183 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 69; vgl. auch Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 410, § 264 f. 184 „Als vermittelndes Organ betrachtet, stehen die Stände zwischen der Regierung überhaupt einerseits und dem in die besonderen Sphären und Individuen aufgelösten Volke andererseits.“ Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 470, § 301; vgl. dazu auch Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 67, Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 17. 185 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 482, § 315. 186 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 482, § 315, Zusatz. 179
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der Versammlung „eine ganz andere Lebendigkeit in Beziehung auf den Staat als da, wo die Ständeversammlung fehlt oder nicht öffentlich ist.“ 187 Der Fokus der Bildungswirkung liegt somit hier im Gegensatz zu Bentham, wo das Publikum zum kritischen Richter avanciert, nicht auf einer Veränderung des Parlamentsgeschehens durch gesellschaftliche Einflussnahme, sondern vielmehr auf der Integration des Publikums in das Normgefüge der staatlichen Sphäre.188 Die Öffentlichkeit der Ständeversammlung bezweckt damit eine Annährung der gesellschaftlichen Sphäre an die staatliche Vernunft.189 Das Verständnis der Öffentlichkeit der Ständeversammlung als ein „großes, die Bürger vorzüglich bildendes Schauspiel“ 190 beschränkt die Öffentlichkeit mithin insgesamt auf eine rein demonstrative Funktion im Sinne einer Präsentation der allgemeinen Vernunft.191 Trotz seiner Skepsis gegenüber der Einsichtsfähigkeit des Publikums erkennt Hegel einen Kontrollaspekt der Parlamentsöffentlichkeit mit Blick auf die Möglichkeit einer (indirekten) Kontrolle gegenüber der im Geheimen handelnden Verwaltung durchaus an. „Die Gewährleistung, die für das allgemeine Beste und die öffentliche Freiheit in den Ständen liegt, findet sich [. . .] teils wohl in einer Zutat von Einsicht der Abgeordneten, vornehmlich in das Treiben der den Augen der höheren Stellen ferner stehenden Beamten [. . .], teils aber in derjenigen Wirkung, welche die zu erwartende Zensur Vieler und zwar eine öffentliche Zensur mit sich führt, schon im voraus die beste Einsicht auf die Geschäfte und vorzulegenden Entwürfe zu verwenden und sie nur den reinsten Motiven gemäß einzurichten – eine Nötigung, die ebenso für die Mitglieder der Stände selbst wirksam ist.“ 192
Mit letzterem Aspekt reißt Hegel zusätzlich eine direkte Kontrollwirkung gegenüber den Mitgliedern der Ständeversammlung an. Dabei bleibt es jedoch bei der grundsätzlichen Wirkrichtung der Rationalisierung zum Publikum hin, wobei durch die – größere Einblicke in die staatliche Vernunft gewährende – Beobachterstellung der Ständeversammlung diese Einsicht jedenfalls vertieft wird.193 187 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 482, § 314 f. Mit Blick auf diese erzieherische Funktion der Öffentlichkeit weist Hegel auch auf die Notwendigkeit eines in puncto Lebendigkeit und Detailgrad gelungenen parlamentarischen Schauspiels hin: „Man findet in den Verhandlungen nicht frei gehaltene Reden, sondern am allermeisten nur abgelesene Vorträge. [. . .] Abhandlungen in jener Weise auf der Studierstube verfaßt, sind auch nur an Studierstuben adressiert, oder zu den Akten für Geschäftsmänner bestimmt. Ständeversammlungen aber haben ihr wesentliches Publikum an dem Volk; wie kann dieses an dergleichen Papierverhandlungen und pedantischen Deduktionen Interesse nehmen und damit fortgehen?“ Hegel, Politische Schriften, 1970, S. 176 f. 188 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 74. 189 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 18; Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 73 f. 190 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 482, § 315, Zusatz. 191 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 75. 192 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820, S. 468, § 301. 193 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 78 f.
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II. Rezeption durch die liberale Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts Die vorgenannten Funktionsbestimmungen der Öffentlichkeit durch die (Rechts-)Philosophie der Aufklärung sind von der deutschen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts aufgenommen und ihren Überlegungen zur konkreten Ausgestaltung der Staatsstrukturen zugrunde gelegt worden. So wurde die staatliche Öffentlichkeit als zwingende Voraussetzung für ein „wahres rechtliches und politisches vaterländisches Gemeinwesen“ verstanden, wobei sie „Eins und Dasselbe mit der Freiheit, Gerechtigkeit und Gesundheit des Staates“ 194 sei. Liberale Staatsrechtler gingen dabei von der Prämisse aus, dass die auf das Gemeinwesen bezogenen Angelegenheiten – dem Wortsinne der „res publica“ folgend195 – gleichsam öffentliche Angelegenheiten darstellten, welche alle Bürger gemeinschaftlich angingen und die daher öffentlich zu erfolgen hätten. So formulierte Welcker prägnant: „Das Öffentliche soll öffentlich sein.“ 196 1. Öffentlichkeit als Garant von Wahrheit und Gerechtigkeit In Fortschreibung des kantischen normativen Publizitätsideals begriff die liberale Staatsrechtslehre Öffentlichkeit zumeist als Garant für Wahrheit und Gerechtigkeit.197 „Nur im Licht entfaltet sich Tugend, Recht und Glück“ 198 formulierten Johann Christoph von Aretin und Karl von Rotteck pathetisch. Aber auch nüchternere Bewertungen, wie jene des Paulskirchenparlamentariers Julius Fröbel, der etwa die Möglichkeit, dass die öffentliche Meinung irren kann, in seine Überle-
194 Welcker, in: v. Rotteck/Welcker, Das Staats-Lexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 249, 262. Vgl. hierzu auch Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 128 ff., 174 f. 195 Exemplarisch für dieses Verständnis sei auf Behr, System der angewandten allgemeinen Staatslehre, 1810, S. 301, § 300 verwiesen, der betont: „[. . .] die Staatsverwaltung ist ihrer Natur nach [. . .] keineswegs Privatsache des Regenten, sondern öffentliche Angelegenheit im strengsten Sinne, Sache des Volkes (res publica), die der Regent nur für das ganze Volk in dessen Namen führt. Jeder Akt der Staatsverwaltung ist also Gegenstand des gemeinsamen Interesses.“ 196 Welcker, in: v. Rotteck/Welcker, Das Staats-Lexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 249. Siehe hierzu auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 56 ff.; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 13; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 50 ff. 197 So Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 56 f.; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 51 f.; Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017, S. 47; Smend, in: Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 462 (466 ff.). 198 v. Aretin/v. Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 1828, S. 258. Ähnlich auch Welcker, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 258, der konstatierte, dass „[d]ie Öffentlichkeit [. . .] nicht etwa eine Nebensache für Freiheit und Gerechtigkeit, sondern sie [. . .], nur von besonderer Seite aufgefaßt, die Sache selbst [ist]“.
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gungen einbezog,199 verband mit der Öffentlichkeit den grundsätzlichen Glauben „an die überzeugende Kraft der Wahrheit, [. . .] an die Fähigkeit der Vernunft mit der Wahrheit auf dem Wege der Ueberzeugung den Irrthum zu verdrängen“.200 Dieser Öffentlichkeitsoptimismus basierte dabei auf einer Übertragung des ökonomischen Wettbewerbsmodells auf den politischen Diskurs dergestalt, dass sich – unter der Prämisse der Öffentlichkeit der Diskussion – das letztlich beste Argument durchsetzen wird.201 Die Verhaftung in der von Kant begründeten Diskurslinie zeigt sich dabei in aller Deutlichkeit beim Staatsrechtslehrer und Politiker Wilhelm Josef Behr. In seinem „System der allgemeinen Staatsrechtslehre“ führt er mit Blick auf die Handlungsmaximen für den Staatsmann aus, dass diesem „[a]lle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt“ untersagt seien.202 Positiv gewendet führt er abermals in Anlehnung an Kant aus: „Alle Maximen, die der Publicität bedürfen, um ihren Zweck nicht zu verfehlen, stimmen mit der Rechts- und der Staatslehre vereinigt zusammen.“ Unter diesen Voraussetzungen sei zugleich die Zustimmung des Volkes gewiss und die Entscheidung stünde in Übereinstimmung mit dessen Interessen.203 Explizit auf den Bereich der Gesetzgebung bezogen begründete Karl Salomo Zachariä seine Forderung nach deren Öffentlichkeit ebenso unter Rezeption des rechtsphilosophischen Imperativs: „[. . .] die Untauglichkeit eines Satzes für die Publizität ist das sicherste Merkmal, daß er nicht zu einem Gesetz erhoben werden könne. [. . .] Ein Gesetz, welches nicht die Publizität verträgt, muß notwendig auch mit den Gesetzen des Rechts in Widerspruch stehen.“ 204
Gleichwohl klingt auch in der von einen normativen Publizitätsideals ausgehenden Diskurslinie an, dass die Öffentlichkeit nicht allein eo ipso, sondern auch über den Umweg pragmatischer Zwischenziele, Wahrheit und Gerechtigkeit des
199 Fröbel, System der socialen Politik, Bd. II, 1850, S. 104: „Es ist richtig daß ein Einzelner mit seiner Ansicht gegen Millionen Recht haben kann; dies beweist aber nur daß Jeder das Recht haben muß mit seiner Meinung Propaganda zu machen.“ 200 Fröbel, System der socialen Politik, Bd. II, 1850, S. 105. 201 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, S. 60, Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 13; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 52; Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (712). 202 „Denn eine Maxime, die er nicht laut werden lassen darf, ohne dadurch seine eigne Absicht zu vereiteln, die vielmehr, wenn sie gelingen soll, durchaus verheimlicht werden muß, und zu der er sich nicht öffentlich bekennen kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand aller gegen seinen Vorsatz gereitzt werde, kann diese nothwendige und allgemeine, mithin a priori einzusehende Gegenarbeitung aller gegen sich nur von der Ungerechtigkeit her haben [. . .].“ Behr, System der allgemeinen Staatslehre, 1804, S. 15 ff., §§ 23 ff. 203 Ebd. 204 K. S. Zachariä, Wissenschaft der Gesetzgebung, 1806, S. 233.
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Staatshandelns fördere.205 So postulierte Behr in Anknüpfung an Johann Gottlieb Fichte, der die Öffentlichkeit als Mittel zu Gewährleistung einer widerspruchsfreien und gleichförmigen Rechtsanwendung sah, aus welcher wiederum die Gerechtigkeit staatlicher Handlungen folge,206 dass alle Handlungen der Staatsgewalt öffentlich zu erfolgen hätten, damit das Publikum überprüfen könne, ob sich die Träger der Staatsgewalt an die von ihnen selbst aufgestellten oder noch aufzustellenden allgemeinen Handlungsmaximen durchgängig hielten.207 Der Reduzierung der liberalen Staatsrechtslehre auf den transzendentalen Glauben an eine die Gerechtigkeit verbürgende Wirkung der Öffentlichkeit ist somit eingedenk verschiedener praxisorientierterer Funktionsbestimmungen entgegenzutreten.208 2. Pragmatische Aspekte liberaler Öffentlichkeitskonzeptionen Eine stärke Betonung pragmatischer Öffentlichkeitsfunktionen findet sich allen voran in der zu ihrer Zeit populärsten209 und bis heute aufgegriffenen Öffentlichkeitskonzeptionen des liberalen Staatsrechtslehrers und Politikers Carl Theodor Welcker in dessen gemeinsam mit von Rotteck herausgegebenen Staats-Lexikon.210 In diesem knüpft er neben dem aus der Idee materieller Gerechtigkeit folgenden normative Publizitätsideal vor allem an die bei Bentham durchscheinende Nützlichkeit öffentlicher Parlamentsverhandlung an.211 Die hervorstechendste Besonderheit der Öffentlichkeitsbegründung von Welcker ist, dass er deren Funktionen bereits in seiner semantischen Begriffsbestimmung des „Öffentlichen“ angelegt sieht. „Das eine deutsche Wort ,öffentlich‘ bezeichnet, wie das lateinische publicum, drei verschiedene Begriffe. Fürs Erste bezeichnet es das Politische oder Das, was den Staat, das Gemeinwesen angeht. [. . .] Fürs Zweite bezeichnet es Das, was alle einzelne Bürger, alle Theilnehmer der Societas oder Genossenschaft, angeht, was ihnen Allen gemeinschaftlich ist als Gut und Recht, oder als Last und Pflicht. Fürs Dritte endlich bezeichnet es das Nichtgeheime.“ 212 205
Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 60. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, Bd. I, 1796, S. 202 f. 207 Behr, System der allgemeinen Staatslehre, 1804, S. 135, § 303. 208 So insbesondere Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 55 ff.; vgl. auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 30 ff. 209 Dieses fand, obwohl es wegen seines vermeintlich staatsgefährdenden Inhalts in Preußen und Österreich der Zensur unterfiel, eine beachtliche Verbreitung im bürgerlichen Milieu des deutschen Sprachraums, Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 174 f. 210 Sein Eintrag zur „Öffentlichkeit“ wurde dabei zu Recht von Hett, Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, S. 64 als „umfassendste Öffentlichkeitskonzeption“ in dem Sinne, dass sowohl die öffentliche Meinung als auch die Öffentlichkeit der Staatsgewalt darunter verstanden wurden, charakterisiert. 211 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 175. 212 Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. XII, 1841, S. 256, vgl. dazu schon Kap. 1 D. II. 206
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Demnach seien das Zusammentreffen der Bedeutungsebenen erstens der allgemeinen Angelegenheit des Staates, zweitens der Betroffenheit aller Mitglieder der Gesellschaft sowie drittens der Nichtgeheimheit im Begriff des Öffentlichen keine sprachliche Koinzidenz. Aus dieser Verbindung folgten vielmehr „zwei große Wahrheiten“. Erstere sei das Bestehen eines bürgerschaftlichen Anspruchs auf Teilhabe am staatlichen Gemeinwesen.213 Diesem Teilhaberecht könne wiederum nur durch einen „heiligen Rechtsanspruch“ auf die Öffentlichkeit staatlicher Angelegenheiten entsprochen werden.214 „Die zweite große Wahrheit [. . .] ist die, daß alle diese gemeinschaftlichen oder politischen Angelegenheiten aller Mitglieder des Gemeinwesens nicht geheim für sie selbst bleiben dürfen, daß sie vielmehr auch in diesem Sinne als Sachen des Populus oder nationalen Publicums be- und verhandelt, daß sie also so öffentlich, als es der Natur der Sache nach thunlich ist, vorgenommen [werden].“ 215
Der zweitgenannte Aspekt deutet auf die der Parlamentsöffentlichkeit in der liberalen Staatsrechtslehre zugedachten Funktion im Repräsentationsprozesses, wobei sich dieser im Parlament als zentraler Einrichtung des konstitutionellen Staates nicht mehr nur auf die Vertretung ständischer Interessen, sondern des gesamten als Einheit verstandenen Staatsvolkes bezieht.216 Eine solche Repräsentation muss mithin in aller Öffentlichkeit stattfinden. „Die erste und nothwendigste Form der Verhandlungen am Landtage [. . .] ist Öffentlichkeit. Ein Landtag hinter verschlossenen Thüren ist Zernichtung der Repräsentation. Der Vollmachtgeber, das Volk, nicht im Stande und ohne Befugniß, Instruktionen seinen Bevollmächtigten zu ertheilen und Rechenschaft von ihnen vor Gericht zu fordern, muß wenigstens die Möglichkeit haben, durch selbsteigenes Anhören von der Treue oder Untreue seiner Stellvertreter sich zu unterrichten, und das Recht, durch selbsteigene Gegenwart die Pflichterfüllung einzuschärfen, von welcher all sein Recht und Wohl abhängt.“ 217 213 „Sie [die Verbindung der Begriffselemente, Anmerkung durch den Verfasser] deutet fürs Erste darauf hin, [. . .] daß – wie es in der That schon aus dem Begriff eines Gemeinwesens, einer res populica, einer altdeutschen Gesammtbürgschaft (Arimannie) und einer neueren Staatsgesellschaft mit Nothwendigkeit folgt – [. . .] alle Angelegenheiten des vaterländischen Gemeinwesens alle Bürger angehen, allen Bürgern, als Gliedern des Populus und nationalen Publicums, gemeinschaftlich seien, und daß diese an ihnen Theil zu nehmen berechtigt wie verpflichtet sind.“ Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 249. 214 „Er [der Bürger, Anmerkung durch den Verfasser] hat das Recht, davon Kenntniß zu nehmen und seine Einsichten und Ansichten, Wünsche und Bedürfnisse in Beziehung auf seine Bestimmung und Leitung auszusprechen und mit seinen Meinungen auszutauschen.“ Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 269. 215 Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. XII, 1841, S. 257; Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 249. 216 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 229. 217 v. Aretin/v. Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 1828, S. 204 f., 2. Aufl. 1838, S. 197.
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Auf den bei Welcker genannten Aspekt der gesellschaftlichen Partizipation weist auch v. Mohl – explizit mit Blick auf die Gesetzgebung – hin. Demnach folge aus der Beteiligung des Parlaments an der Gesetzgebung und der Öffentlichkeit seiner Beratungen eine Einsichtsmöglichkeit in verschiedene Stadien des Gesetzgebungsverfahrens.218 Die hiermit einhergehende Möglichkeit öffentlicher Debatte über Gesetzesentwürfe bereits vor deren Verabschiedung diene der inhaltlichen Qualität. Dabei geht v. Mohl davon aus, dass unabhängig davon „[w]ie gut auch eine Gesetzgebungscommission zusammengesetzt sein und wie tüchtig sie gearbeitet haben mag; und ebenso, wie vollständig auch das Justizministerium, der Staatsrath und das Gesammtministerium ihre Aufgabe gelöst haben: immer ist doch mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass nicht alle gesetzgeberische Weisheit in diesen Behörden zusammengefasst sei.“ 219
Durch die Öffentlichkeit werde demnach auf das Wissen innerhalb der Gesellschaft zugegriffen, sodass diese eine rationalisierende Wirkung entfaltet. Neben der Repräsentations- und Partizipationsfunktion tritt – wie schon bei Bentham – die Bedeutung der Öffentlichkeit als Mittel der Kontrolle staatlicher Macht. So betonte Welcker: „Die vollkommene Öffentlichkeit giebt [. . .] endlich das, was man ohne sie in allen möglichen politischen Einrichtungen und Formen vergeblich suchte, die allein durchgreifende und sichernde Controle und Garantie gegen den Mißbrauch, gegen nachlässige, untreue, verfassungswidrige Anwendung der politischen Gewalt der Regenten, Stände, Beamten und Bürger.“ 220
Diese öffentlichkeitsbedingte Kontrolle trete neben die durch das Instrument der Gewaltenteilung ausgeübte Begrenzung staatlicher Macht, wobei sich beide ergänzten und die Schwächen des jeweils anderen ausglichen. Dabei bedürfe die Öffentlichkeit der Mäßigung der Staatsgewalt durch die Gewaltenteilung. „Auch die vollkommenste Öffentlichkeit würde gegen die unendlichen Versuchungen und Gefahren des Mißbrauchs oder eines einseitigen verderblichen Gebrauchs der Gewalt nimmer genügend schützen, ohne diese allein gesunde, vollkommene Organisation. “ Umgekehrt bedürfe die Gewaltenteilung des Öffentlichkeitspostulats. So sei die diese „ihrerseits ohne Öffentlichkeit und ihren lebendigen Gemeingeist durchaus ungenügend. Können denn nicht die Gewalten ausarten, die nöthige Energie verlieren? Können sie sich nicht gegen das regierte Volk wechselseitig begünstigen oder vereinigen [. . .]? [. . .] Nie also kann es gelingen, die äußeren politischen Gewalts218 „In den constitutionellen Staaten treten uns die neuen Gesetze nicht unversehens, bereits vollendet und gleichsam gewappnet entgegen, wie eine Minerva aus einem Jupitershaupte; sondern wir wohnen ihrer Bildung von dem ersten Vorschlage an durch alle Stadien und Schicksale der Entwicklung bei, genau unterrichtet über die allgemeinen Absichten und über die Begründungen der einzelnen Sätze.“ v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I, 1860, S. 96. 219 v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. II, 1862, S. 548. 220 Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 273 f. unter Hinweis auf einen entsprechenden Beitrag „Ueber die Oeffentlichkeit“ in v. Rottecks Allgemeinen Politischen Annalen, Bd. I, 1830, S. 104 ff.
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organe und ihre Selbstsucht nur durch sich [. . .] in angemessener, gesunder Lebensthätigkeit zu erhalten. Dieses vermag nur [. . .] bei voller Öffentlichkeit die freie, gesunde öffentliche Meinung der Gesammtheit, das Argusauge, die Weisheit und der patriotische Gemeingeist der ganzen Nation, von welcher der regierte Theil nicht die unmittelbare Gewalt, daher auch nicht ihre Versuchungen besitzt, dagegen aber das unwandelbare Interesse hat, allen Despotismus abzuwehren.“ 221
Anhand dieser Kopplung wird deutlich, dass die Parlamentsöffentlichkeit gleichermaßen als Kontrollinstrument gegenüber Regierung und Verwaltung angesehen wurde. Entsprechend akzentuierte etwa Ludwig von Rönne die indirekte Kontrollfunktion der Parlamentsöffentlichkeit im Hinblick auf die Regierung, da „die Oeffentlichkeit der Kammerverhandlungen einen nicht geringen Schutz gegen Pflichtverletzungen der Minister [. . .] gewährt, indem die Scheu vor öffentlicher Beschwerdeführung der Volksvertreter und die Nothwendigkeit öffentlicher Verantwortung einen Antrieb zu treuer Pflichterfüllung bildet.“ 222
Daneben wurde die Tatsache der Öffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlung zugleich als Schutzgarant zugunsten der Kontrolltätigkeit der Abgeordneten gegenüber Repressionen seitens der Regierung wahrgenommen.223 Während Welcker im Rahmen Öffentlichkeit noch allein auf die Selektion der „tüchtigsten, einsichtsvollsten Männer für die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten“ abstellte,224 bekräftigte im Anschluss an Bentham der Staatsrechtler und konservative Politiker Friedrich Julius Stahl die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit bereits explizit hinsichtlich der Wahlentscheidung, denn „[. . .] das Amt des Schutzes und der Fürsprache für das Volk soll auch mitten im Volke unter seinen Augen bestehen. Hier ist es nicht hinreichend, bloß die Resultate zu erfahren; das Volk soll wissen, auf welche Weise, mit welchen Mitteln, in welcher Absicht es vertreten worden ist; es soll auch wissen, wie die einzelnen Vertreter sich benommen haben. Das letzte ist doppelt nothwendig bei der Kammer der Gewählten, weil es wenig hilft, die Wahl zu gestatten, wenn man die Kenntniß entzieht, nach welcher die Wahl sich richtet. [. . .] Als die Vertretung Sondergut der Stände in Curien war, da entsprach die heimliche Berathung. Nun sie Volksgut ist, muß sie öffentlich seyn.“ 225 221 Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 298 f. 222 v. Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd. I, S. 324. 223 Nach v. Aretin/v. Rotteck, Staatsrecht der constitutionellen Monarchie, 1828, S. 204 f. müsse „[. . .] der redliche Repräsentant, von der Lockung oder Drohung der Willkürherrschaft umgeben, [. . .] in der Öffentlichkeit seiner Rede einen Rechtsboden für seine Person, eine Ermunterung für seinen Muth, eine Unterstützung für seine Sache finden“. 224 Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, Bd. X, 2. Aufl. 1848, S. 291; so auch v. Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd. I, S. 324. 225 Stahl, Philosophie des Rechts – Zweiter Band, 1837, S. 204; in diesem Sinne auch Johann Ludwig Klüber, Öffentliches Recht, 4. Aufl. 1840, S. 456; v. Rönne, Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie, Bd. I, 4. Aufl. 1881, S. 324.
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Schließlich klingt auch der Gedanke der integrierenden Wirkung der Parlamentsöffentlichkeit in der liberalen Staatsrechtslehre an. So sah etwa Welcker Öffentlichkeit als Voraussetzung für die Wohlfahrt einer Nation an, indem sie rationale staatliche Entscheidungen durch öffentlichen Diskurs verbürge.226 Der Gedanke einer Integrationsfunktion der Öffentlichkeit ist für ihn – anders als in der hegelschen Diskurslinie – nicht auf eine Bildung des Bürgers, sondern vielmehr auf die Stärkung des Staates gerichtet. „Die Oeffentlichkeit vereinigt mit der Gesammterfahrung und Einsicht und mit dem freien, liebenden, patriotischen Gemeingeiste der Bürger auch ihren Willen, ihre Kräfte und ihre Opfer für die Staatszwecke und giebt daher dem Staate die größte Stärke.“ 227
3. Konservative Gegenpositionen Konservative Gegner der Öffentlichkeit bedienten sich in der Zeit des Vormärzes ergänzend zum Aspekt des vermeintlichen Autoritätsverlustes durch die Publizität der Parlamentsverhandlung228 einer Reihe von zumeist pragmatischen Argumenten, welche sich allesamt als Teilaspekte einer drohenden Störung der Arbeitsfähigkeit der Ständeversammlung beschreiben lassen. Exemplarisch kann hier auf konservativen Politiker Friedrich Bernhard Freiherr von Seckendorff verwiesen werden, der in seiner 1835 erschienenen Schrift „Bedenken gegen die Oeffentlichkeit der Berathung und Beschlußfassung moralischer Personen“ 10 Argumente gegen die Parlamentsöffentlichkeit formulierte.229 So stellt er die These auf, „daß die öffentliche Berathung das innere Geschäft der Überlegung naturwidrig und viel zu früh aus dem vertrauten Kreise der Berathenden, dessen enge Grenzen diesem Geschäfte günstig sind herauszieht und der öffentlichen Beurtheilung bloßstellt“.
Ferner gebe die Öffentlichkeit „der Discussion, dem Widerspruche, eine ungehörige und schädliche Schärfe und hindert die nöthige allgemeine Vertraulichkeit unter den Berathenden“. Daneben befürchtete er eine Bedrohung der Entscheidungsfreiheit der Beratenden durch Nötigung von außen sowie einen Verlust 226 Zum Beleg weist Welcker auf die Entwicklung in England in Abgrenzung zu anderen europäischen Staaten hin, Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, 2. Aufl. 1848, S. 253. 227 Welcker, Öffentlichkeit, in: v. Rotteck/Welcker, Staatslexikon, 2. Aufl. 1848, S. 272; vgl. auch mit dem charakteristischen Öffentlichkeitspathos seiner Zeit, Wilda, Artikel „Landstände“ in: Julius Weiske (Hrsg.), Rechtslexicon, VI. Band, S. 924: „Land und Landstände werden durch die Öffentlichkeit zu einem einigen, von einem Leben durchdrungenen Ganzen verbunden; sie ist es, welche den lebendigen Umlauf des Blutes zum und vom Herzen des Landes bewirkt.“ 228 Siehe dazu schon Einleitung zu Kap. 2 B. 229 Die folgenden Zitate entstammen dem Inhaltsverzeichnis von v. Seckendorffs Denkschrift sind, welches die vorgebrachten Bedenken prägnant zusammenfast. Siehe hierzu v. Seckendorff, Bedenken gegen die Oeffentlichkeit der Berathung und Beschlußfassung moralischer Personen, besonders des Staates, 1835, S. XI und XII. Siehe hierzu auch Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 61.
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der Unbefangenheit im Gespräch zwischen den Abgeordneten, da aufgrund der Öffentlichkeit „förmliche Reden gehalten oder abgelesen werden“ müssten. Schließlich unterstellt von Seckendorff, dass die Präsenz des Publikums „die intensive Stärke des Charakters, aus welcher der vernünftigste und beste Entschluß hervorgehen soll, öfter schwächt als hebt“, womit er zugleich dem Postulat der Öffentlichkeit als Garant für Wahrheit und Gerechtigkeit entgegentritt. Diese Argumente, welche im Wesentlichen – mit gewissen Abstrichen beim Aspekt der Auswirkung auf die Charakterstärke – auf die Frage der Effizienz des Beratungsverlaufs und damit auf die Funktionsfähigkeit der Ständeversammlung abzielten, wurden zwar im Grundsatz230 nicht von der liberalen Staatsrechtslehre rezipiert231 und spätestens mit dem Siegeszug der parlamentarischen Öffentlichkeit nach der Märzrevolution von 1848/49 von den Wirklichkeit deutscher Verfassungsgebung überholt. Sie sind jedoch sehr instruktiv, soweit man die Frage nach der Historizität von Argumenten gegen eine Erweiterung parlamentarischer Öffentlichkeit im Allgemeinen stellt. Wie bereits bei der Darstellung der aktuellen Reformbestrebungen angeklungen und wie noch im Rahmen der rechtspolitischen Bewertung der Ausschussöffentlichkeit zu vertiefen, fokussiert sich die wesentliche Argumentationslinie gegen die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen auf verschiedene Schattierungen des Arguments von einem drohenden Verlust von Funktionsfähigkeit und Arbeitseffizienz dieser parlamentarischen Organe. Der zuvor beschriebene Argumentationskern taucht dabei nahezu inhaltsgleich im neuen Gewand der Kritik an einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit auf.232
III. Wandel und Kritik klassischer Öffentlichkeitsfunktionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Die klassische Vorstellung von der Parlamentsöffentlichkeit als Garant eines vernunftgeleiteten bürgerlichen und parlamentarischen Räsonnements, welches 230 Mit Blick auf den Umfang der Öffentlichkeit wurden die Einwände gleichwohl von einigen Autoren berücksichtigt. So sieht v. Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I, 1860, S. 306 ff. die unmittelbare Anwesenheit von Zuhörern ambivalent. Auch wenn sie „die natürlichste Form der Oeffentlichkeit und die beste Kontrolle“ sei, so gehe im Vergleich zu geheimen Sitzungen „Zeit verloren durch Eitelkeit der Redner und durch Vorbringen solcher Dinge, welche nicht für die Versammlung, sondern für die Gallerie und überhaupt für die Aussenstehenden berechnet sind“. Auch werde eine ruhige und sachliche Gesprächsatmosphäre durch die Öffentlichkeit gehindert und ggf. durch die Anwesenden unzulässiger Druck auf die Abgeordneten ausgeübt. Insoweit schlägt eine Begrenzung der Anzahl der Zuhörer sowie Verhaltensregeln für diese vor. 231 Zoepfl, Grundsätze des Allgemeinen und Deutschen Staatsrechts, 1863, S. 477 beschriebt die erhobenen Bedenken explizit als von „untergeordneter Natur“. 232 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (90); vgl. auch die Aussagen des Sachverständigen Prof. Dr. Wegner in der 17. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des 18. Deutschen Bundestages am 22.04.2015, Protokoll-Nr. 18/ 17, S. 16.
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Wahrheit und Gerechtigkeit der Ergebnisse verbürgt, muss spätestens „nach einem Jahrhundert ernüchternder massenpsychologischer Erfahrungen und Theorien“ 233 als widerlegt gelten.234 Dabei ist vor dem Hintergrund gewandelter Verhältnisse in Gesellschaft und Parlament (1.) der liberale Begründungsdiskurs des Parlamentarismus und damit auch dessen Funktionsbestimmung der Parlamentsöffentlichkeit bereits deutlich früher, namentlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in die Kritik geraten (2.). Diese Parlamentskritik bedarf ihrerseits der wertenden Einordnung (3.). 1. Veränderung der Rahmenbedingungen parlamentarischer Öffentlichkeit Der klassischen Staatsrechtslehre liegt zum einen noch die Vorstellung einer bürgerlichen Öffentlichkeit zugrunde, das heißt, einer durch Besitz und Bildung zur politischen Partizipation befähigten Klasse, die als solche relativ homogen ist und über ein politisches Räsonnement verfügt.235 Zum anderen ging sie davon aus, dass es im Parlament tatsächlich zu einer öffentlichen Deliberation kommt, in der durch das Aufeinandertreffen von Argument und Gegenargument die dem Gemeinwohl entsprechenden Entscheidungen erst herausgebildet werden. Beide Grundannahmen236 sind indes im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, bedingt durch den sozialgeschichtlichen Wandel des gesellschaftlichen Publikums sowie eine Veränderung von Aufgabenzuschnitt, Struktur und Funktionsweisen des Parlaments selbst, ins Wanken geraten. Diese Entwicklungen können unter den Schlagworten „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ 237 (a)) und „Strukturwandel des Parlamentarismus“ 238 (b)) zusammengefasst werden. a) Strukturwandel der Öffentlichkeit Die liberale Vorstellung eines kritisch räsonierenden, vernunftbegabten Publikums, dessen öffentlicher Diskurs sich im Parlament als gesellschaftlichem 233 Smend, in: Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 462 (467 f.). 234 Ob ein solches selbst unter den Voraussetzungen einer bürgerlichen Öffentlichkeit, wie sie die liberalen Theoretiker vor Augen hatten, jemals realistisch war, ist höchst zweifelhaft, vgl. hierzu etwa Kempen, Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und Politische Willensbildung, 1975, S. 182; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 22; Kriele, VVDStRL 29 (1970), S. 46 (56 ff.); Oberreuter, in: Czerwick, Politische Kommunikation, S. 43 (45). 235 Siehe insbesondere Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 34 ff.; ferner auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 24; Oberreuter, in: Czerwick, Politische Kommunikation, S. 43 (44 f.). 236 Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (712) spricht insofern von einer „prästabilisierten Harmonie“. 237 So die gleichnamige Habilitationsschrift von Jürgen Habermas. 238 So begrifflich im Anschluss an Leibholz schon Kißler, Die Öffentlichkeitfunktion, S. 94.
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Repräsentativorgan und damit gleichsam in die staatliche Sphäre gehoben fortsetzt,239 muss in Folge der Entwicklung der modernen Massendemokratie kritisch hinterfragt werden. Ausgangspunkt dieser Entwicklung, die Habermas unter dem Begriff des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“ zusammenfasste, ist die 1871 erfolgte Einführung eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts, wodurch sich die Anzahl der in das politische System eingebundenen Bürger insoweit vergrößert hat, als sich eine dem liberalen Repräsentationsmodell zugrunde liegende einheitliche, von einem Grundkonsens bezüglich des Gemeinwohls getragene und auf Wahrheit und Gerechtigkeit gerichtete öffentliche Meinung bereits aus praktischen Gründen nicht mehr zu bilden vermochte.240 An die Stelle eines homogenen, bürgerlichen Publikums trat nunmehr eine pluralistische, von Interessengegensätzen und weltanschaulichen Diskrepanzen geprägte Gesellschaft.241 Parallel zu dieser Ausdifferenzierung entfaltete sich eine zunehmende Verflechtung von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre.242 Der Staat wirkte, in der Absicht soziale Verwerfungen auszugleichen und breite Gesellschaftsschichten in die Nation zu integrieren sowie sich verkomplizierenden technischen und sozialen Verhältnissen zu begegnen, zunehmend gesetzgebend und verwaltend in den gesellschaftlichen Bereich hinein.243 In der Folge sieht Habermas im Gegensatz zu dem vormals auf die Verteidigung von Privatsphäre, Meinungsfreiheit und Eigentum gegenüber staatlichen Eingriffen gerichteten Grundkonsens der bürgerlichen Gesellschaft nunmehr die Sicherung der sozialen und materiellen Existenz durch konkurrierende Teilhabe an staatlichen Leistungen als primäre Motivation breiter sozialer Schichten an.244 Dadurch wurde im
239 Siehe hierzu Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 214, der vom Parlament im liberalen Verständnis als einer „zum Staatsorgan erhobenen Öffentlichkeit spricht. In diesem Sinne auch Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (712), der die Parlamentsverhandlung als „repräsentativen Spitze“ charakterisiert. 240 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 117; Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 51; Oberreuter, in: Langenbucher, Politk und Kommunikation, S. 62 (64). 241 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 53 spricht von einer „Differenzierung und Atomisierung der gesellschaftlichen Strukturen“. In diese Richtung auch Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 45 ff., der davon ausgeht, dass es „das Publikum“ als solches gar nicht gebe, da es faktisch-empirisch nicht als Einheit, sondern nur in der jeweiligen Zusammensetzung und Ausrichtung auf ein bestimmtes Thema bilde. 242 Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 211 ff.; hierzu auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 93. 243 Dabei markiert die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung den Auftakt zu einer sukzessiven staatlichen Entwicklung hin zum „Wohlfahrtstaat“. Im Ergebnis ist nunmehr wie Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 53 f. betont, „die soziale Stellung des Einzelnen in vollem Umfang von der korrigierenden und distributiven Tätigkeit des Staats abhängig“. Vgl. auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 93. 244 Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 242 ff.
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung „gleichen Maße, in dem jene wechselseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft eine Privatsphäre auflöst, deren Eigenständigkeit die Generalität der Gesetze ermöglichte, [. . .] auch der Boden des relativ homogenen Publikums räsonierender Privatleute erschüttert“.245
Habermas stellt der zerfallenen, klassisch liberalen Öffentlichkeit in seiner Untersuchung eine moderne, „manipulierte“ Öffentlichkeit gegenüber.246 Das Volk sei als egalitäre Masse schlicht nicht mehr in der Lage kritisch räsonierend zu politischen Problemstellungen sachliche und damit vernunftgeleitete Meinungen zu formulieren. Zudem verfüge es in seiner Gesamtheit nicht über die für eine rationale Urteilsbildung erforderlichen Kenntnisse.247 Es handele vielmehr affektgesteuert und impulsiv, wodurch es in besonderem Maße anfällig für Manipulationen sei.248 Auf dieser Basis könne eine bürgerliche Öffentlichkeit, verstanden als die Gesamtheit der staatsbürgerlichen Individuen, nicht mehr Träger des gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses und damit Mittler zwischen Staat und Gesellschaft sein. Diese Vermittlungsfunktion werde nunmehr durch Privatinteressen vertretende Verbände sowie vor allem durch politische Parteien ausgeübt.249 Gerade letztere seien logische Folge einer Massendemokratie, da das Volk in seiner Gänze zu heterogen und zu wenig informiert und einsichtig sei, um durchgängig eigenständig politische Vorstellungsmodelle zu entwickeln und zu forcieren.250 Das Eindringen konkurrierender Privatinteressen in die Öffentlichkeit führe dabei zu deren „Refeudalisierung“,251 sodass Gesetze nicht mehr Ausdruck einer vor den Augen des öffentlichen Räsonnements gefundenen objektiven „Wahrheit“ seien, sondern durch das Aushandeln von Kompromissen bzw. das Durchsetzen partikularer Standpunkte zustande kämen.252 Damit entfalle indes die Vor245
Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 215. Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 157 ff., 185 ff. 247 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 52. 248 Diese Gefahr sieht Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 239 z. B. bezüglich der Wahlentscheidung, die infolge der Konkurrenz organisierter Interessen insbesondere im Wege, vornehmlich an die Medien adressierter, Öffentlichkeitsarbeit bewusst beeinflusst wird. 249 Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 211 ff. Dazu Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 93; Oberreuter, in: Langenbucher, Politik und Kommunikation, S. 62 (65). 250 Siehe hierzu auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 53. 251 Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 214. Hierbei ging Habermas vom Bild der alten Landstände aus, welche – im Gegensatz zur Repräsentativversammlungen liberaler Prägung – als gebundener Vertreter verschiedener Standesinteressen fungierten. Dazu Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 56. 252 So Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 54; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 93. Für die Bedeutung der Kompromissbildung als Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen siehe ferner Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 9 (25). 246
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aussetzung eines auf die Wahrheit und Gerechtigkeit abzielenden Diskurses als Teil der klassisch liberalen Funktionsbestimmung der Parlamentsöffentlichkeit. Mit Blick auf die parlamentarische Kommunikation ginge damit ein erheblicher Wandel einher. „Das Parlament wird dadurch tendenziell zu einer Stätte, an der sich weisungsgebundene Parteibeauftrage treffen, um bereits getroffene Entscheidungen registrieren zu lassen.“ 253 Im Anschluss an Hegel konstatiert Habermas, dass sich das Parlament von einer „disputierenden zu einer demonstrierenden Körperschaft entwickelt“ habe.254 b) Strukturwandel des Parlamentarismus Der Grundannahme eines freien und ergebnisoffenen Wettbewerbs der politischen Meinungen im Rahmen der öffentlichen Parlamentsdebatte, in deren Verlauf sich die besten Argumente durchsetzen, stehen zugleich die veränderten Wirkbedingungen der Parlamentsarbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts entgegen. Dieser Strukturwandel des Parlamentarismus ist durch eine Professionalisierung der Parlamentsarbeit und den damit einhergehenden Übergang vom liberalen Honoratiorenparlament zu einem von politischen Parteien dominierten Gruppenparlamentarismus gekennzeichnet.255 Dieser Umbruch fand indes nicht schlagartig, sondern vielmehr sukzessive, beginnend im 19. Jahrhundert bis hinein in die bundesrepublikanische Ära, statt. Dabei hatte sich der parlamentarische Strukturwandel „bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast überall und nicht nur in den deutschen Parlamenten herausgebildet und im 20. Jahrhundert höchstens weiter verschärft“.256 Wesentlicher Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist der Bedeutungszuwachs politischer Parteien als Folge der modernen Massendemokratie.257 In letzterer sind die Parteien durch die politische Organisierung der sozialen Unterschichten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu dem entscheidenden Faktor demokratischer Willensbildung geworden. Sie stellen „das Sprachrohr [dar], dessen sich das mündig gewordene Volk bedient, um sich artikuliert äußern und politische Entscheidungen fällen zu können“.258 Aufgrund ihrer Verwurzelung in der gesellschaftlichen Sphäre sind die Parteien jedoch in gleicher Weise – unterein-
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Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 305. Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 306. 255 Vgl. hierzu Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 52 ff.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 94; Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 87. 256 Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 2. Aufl. 1964, S. 191. 257 Siehe Leibholz, in: Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 78 ff.; ders., Verfassungsstaat – Verfassungsrecht, 1973, S. 26 f., 58 f. der in diesem Zusammenhang von der „Entwicklung von der liberal-repräsentativen zur egalitären parteienstaatlichen Demokratie“ sprach. 258 So grundlegend BVerfGE 1, 223 (224). 254
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ander und z. T. auch intern – interessenplural ausgerichtet.259 Dies bleibt jedoch nicht ohne Auswirkungen auf die parlamentarische Arbeitsweise. Im Speziellen lässt sich ab Ende des 19. Jahrhunderts eine Tendenz zur Verlagerung parlamentarischer Willensbildungsprozesse in nichtöffentliche Gremien feststellen, welche eine inhaltliche Koordinierung und Kompromissbildung in vertraulicher Atmosphäre erlaubte.260 Soweit dabei die innerparteiliche Koordinierung betroffen ist, wurde dieser durch die institutionelle Verfestigung der Fraktionen – als innerparlamentarische Ausprägung des Bedeutungszuwachses politischer Parteien – Rechnung getragen.261 Dabei ermöglichte die Nichtöffentlichkeit der Vorberatung insbesondere ein nach außen hin geschlossenes Auftreten der Fraktionen.262 Des Weiteren entwickelte sich zur interfraktionellen Koordinierung sowie mit Blick auf fortschreitenden Vielfalt und Komplexität staatlicher Tätigkeitsfelder ein ausdifferenziertes System – nichtöffentlich tagender – parlamentarischer Ausschüsse.263 „Mit der stetig wachsenden Bedeutung der Ministerialbürokratie für die Bewältigung der staatlichen Aufgaben und der hier sprunghaft zunehmenden Ausdifferenzierung und Spezialisierung war schon im 19. Jahrhundert der Druck auf die Parlamente gewachsen, mit einem spiegelbildlichen System kleinerer Arbeitseinheiten dem strukturell überlegenen Sachwissen der Verwaltung ein annähernd adäquates Pendant zu schaffen.“ 264
Spätestens infolge der Durchsetzung des parlamentarischen Demokratie in der Weimarer Republik265 und des hiermit korrespondierenden Kompetenzzuwachses
259 Vgl. Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 53 ff. Dabei führt er den internen Interessenpluralismus auf das Bestreben als „Volksparteien“ programmatisch für eine möglichst breite Wählerschicht wählbar zu sein, zurück. 260 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 55 ff.; vgl. Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 248 ff. 261 Siehe hierzu Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 221 f. Die förmliche Institutionalisierung von Fraktionen erfolgte dabei erstmals im Rahmen der Geschäftsordnung des Reichstags der Weimarer Republik, Jekewitz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 37, Rn. 28. Die Idee der Zusammenfassung von Abgeordneten in politischen Parteien lasst sich bereits deutlich früher im Frankfurter Paulskirchenparlament beobachten. Die Entwicklung hin zum Gruppenparlamentarismus steckte hier jedoch noch in den Kinderschuhen. So waren in der Paulskirche von 649 Abgeordneten ganze 150 als sog. „Wilde“ bzw. „Stegreiffritter“ keiner Fraktion zugeordnet. Siehe hierzu Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 124. 262 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 55. 263 Siehe hierzu Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 248 ff.; ferner auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 55 f. 264 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 248. Für die Ansätze eines politisch-inhaltlich mitgestaltendem Arbeitsparlaments bereits im Kaiserreich siehe auch Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 3.2 sowie Schönberger, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht § 1, Rn. 44, der die Hinwendung zur arbeitsparlamentarischen Detailarbeit als Folge mangelnder Einbindung des Reichstags in die Zusammensetzung und politische Gesamtrichtung der Regierung im deutschen Kaiserreich interpretiert.
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des Reichstags bedurfte dieser zur Bewältigung der zunehmenden Arbeitslast und Komplexität der zu behandelnden Themen zwingend einer Binnendifferenzierung durch ein die Ministerialverwaltung spiegelndes Ausschusssystem, welches die vom Plenum nicht mehr zu leistende Detailberatung von Sachfragen vorbereitete und Entscheidungsalternativen auf ein handhabbares Maß reduzierte.266 Die mit dem Ausbau des Ausschusswesens einhergehende Bürokratisierung der Parlamentsarbeit führte dabei zu einer Anpassung der Ausschusstätigkeit an die Logik des Verwaltungsverfahrens, welches Schnelligkeit, Arbeitsfähigkeit, Effizienz der Kompromiss- und Entscheidungsfindung sowie den Erwerb von und Umgang mit zumeist vertraulichem Spezialwissen voraussetzte und sich damit zugleich als für ein öffentliches Verfahren ungeeignet darstellte.267 Der Fokus der inhaltlichen Parlamentstätigkeit verlagerte sich in der Folge vermehrt in die Ausschüsse,268 mit der Konsequenz, dass die eigentlichen Sachentscheidung bereits dort vorweggenommen und in der Plenumsdebatte regelmäßig nur noch bereits feststehende Ergebnisse präsentiert statt in einer freien Diskussion gefunden wurden.269 Die Professionalisierung der Parlamentsarbeit fand indes einen weiteren Ausdruck in der Monetarisierung des Abgeordnetenmandats.270 Diese brachte einen neuen Typ von Politiker – den „Berufspolitiker“ 271 – hervor, welcher nicht mehr in erster Linie unabhängiger Abgeordneter der Nation war, sondern sich vielmehr in einem Abhängigkeitsverhältnis zu „seiner“ Partei befand, da die Erlangung eines Mandats ohne Parteianbindung für ihn de facto unmöglich wird. Diese Anbindung fand im parlamentarischen Alltag vor allem in der Fraktionsdisziplin Ausdruck, deren Intensität mit der Begründung parlamentarischer Verantwortlichkeit der Regierung in der Weimarer Republik sogar noch zunahm.272
265 Der Reichstag war nunmehr alleiniger Träger der gesetzgebenden Gewalt und nahm eine regierungsbildende und regierungskontrollierende Aufgabe war. Hierzu auch Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, 18. Aufl. 2019, S. 262 f.; Wittreck, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 2, Rn. 40. 266 Vgl. Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 56; Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 ff.; sowie Troßmann, JöR 28 (1979), S. 1 (270), der insofern zu Recht von Ausschüssen als „Clearingstellen“ spricht. 267 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 248; vgl. auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 56 f. 268 Wie Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 14 nachweist, kam bereits zu dieser Zeit der Ausschussberatung ein zeitliches Übergewicht im Verhältnis zu Sitzungstätigkeit im Plenum zu. 269 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 56; Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 f. 270 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 87 f. 271 „Man mag diese Figur lieben oder hassen – sie ist in ihrer heutigen Gestalt das unvermeidliche Produkt der Rationalisierung und Spezialisierung der parteipolitischen Arbeit auf dem Boden der Massenwahlen“, Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 388 f. 272 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 57 f.
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Im parlamentarischen Regierungssystem war das Parlament nunmehr von einem Dualismus von Regierungs- und Oppositionsfraktionen geprägt, wobei erstere die von ihnen getragene Regierung grundsätzlich unterstützten, da deren Erfolg für sie zugleich Garant eines Wiederwahl war, während letztere die eigentliche Regierungskontrolle wahrnahmen, indem sie deren Handeln öffentlich kritisierten sowie alternative Politikkonzepte entwickelten und bewarben.273 In diesem System setzten die Regierungsfraktionen jedoch regelmäßig aufgrund ihrer Stimmenmehrheit die politische Agenda der Regierung durch, während die Opposition faktisch kaum eine Chance hatte, im Rahmen der öffentlichen Debatte signifikante Änderungen zu erwirken oder gar die Mehrheit durch Argumente umzustimmen.274 Die überzeugende Kraft des besseren Arguments im Rahmen einer ergebnisoffenen Diskussion konnte in diesem System dagegen allenfalls in den – nichtöffentlich stattfindenden – Fraktions- und Ausschusssitzungen walten, wo die Abgeordneten freimütiger versuchen konnten, ihre Kollegen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen.275 Mit Blick auf den Parlamentarismus in der Weimarer Republik resümiert Willibald Apelt 276: „Die äußere Erscheinung und die Verhandlungsweise des Reichstags der demokratischen Republik folgten sonach im Wesentlichen dem Vorbilde, das sich die Parlamente des deutschen konstitutionellen Staatsrechts geschaffen haben. Noch immer steht die Redeschlacht im Mittelpunkte, noch immer wird die Fiktion aufrechterhalten, daß eine Diskussion zwischen den Abgeordneten der verschiedenen Richtungen untereinander und mit den Vertretern der Regierung die Meinungen klärt, so daß die hierauf folgende Abstimmung das Ergebnis einer Reinigung der Atmosphäre durch ein solches Redegewitter darstellt. [. . .] In Wirklichkeit wurden die Reden längst ,zum Fenster hinaus‘ gehalten, [. . .] und dienten dazu, der Öffentlichkeit durch die Presse mitgeteilt zu werden und die Wähler von der Vortrefflichkeit ihrer Parteiführer – denn zumeist kamen nur diese zu Wort – zu überzeugen; im Hause selbst erweckten sie, von manchen Ausnahmen abgesehen, in der Regel nur beschränke Aufmerksamkeit. Die sachliche Arbeit aber wurde von Regierungskommissaren und Abgeordneten in der Stille der Ausschüsse vom Volke unbemerkt geleistet, die Abstimmung aber häufig von mächtigen, außerhalb des Parlaments organisierten Interessen gelenkt, in den Fraktionszimmern vorbereitet und oft mit Hilfe des Fraktionszwanges im Voraus festgelegt.“
273 Siehe hierzu Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 59 f.; P. M. Huber, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 47, Rn. 29. 274 Grundlegend schon Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017, S. 11 f.; ders., Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 319; Leibholz, in: Die Repräsentation in der Demokratie, S. 211 (226 f.); siehe auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 60. 275 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 58 ff. 276 Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 2. Aufl. 1964, S. 194.
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2. Verteidigung und Kritik des modernen Parlamentarismus – Verschiebung des Begründungsdiskurses Der dargestellte Funktionswandel bedingte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Verschiebung der überkommenen, noch auf dem Vorstellungsbild liberaler Staatsrechtslehre aufbauenden Begründung des Parlamentarismus und damit der Funktionsbestimmungen der Parlamentsöffentlichkeit. Dabei kann exemplarisch zwischen einer proparlamentarischen Lesart durch Max Weber (a)) sowie der antiparlamentarischen Kritik Carl Schmitts (b)) unterschieden werden. a) Max Weber – Verschiebung der Öffentlichkeitsfunktion Als einer der Autoren in der Weimarer Republik, der zwar den Funktionswandel hin zum modernen Gruppenparlamentarismus beschrieb, sich jedoch gleichwohl als Verteidiger der parlamentarischen Ordnung verstand, veröffentlichte Weber 1918 seinen Text „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“ als Gegenschrift zu antiparlamentarische Tendenzen seiner Zeit.277 In dieser stellte er u. a.278 den im Gefolge des Strukturwandels des Parlamentarismus auftretenden Wandel der Kommunikationsstruktur im Plenum fest. „Reden, die ein Abgeordneter hält, sind heute keine persönlichen Bekenntnisse mehr, noch viel weniger Versuche, die Gegner umzustimmen. Sondern sie sind amtliche Erklärungen der Partei, welche dem Lande ,zum Fenster hinaus‘ abgegeben werden. Haben Vertreter aller Parteien ein- oder zweimal reihum gesprochen, so wird die Debatte im Reichstag geschlossen. [. . .] Die Reden werden vorher in der Fraktionssitzung vorgelegt oder doch in allen wesentlichen Punkten dort vereinbart. Ebenso wird dort vorherbestimmt, wer für die Partei zu sprechen hat.“ 279
Auf dieser Basis führt Weber die Unterscheidung zwischen Parlamentariern, die öffentlich repräsentieren und solchen, die „arbeiten“, ein, wobei die Trennlinie entlang der Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung verlaufe. Die parlamentarische „Arbeit“ vollziehe sich demnach „hinter den Kulissen, in den Kommissions- und Fraktionssitzungen, bei den wirklich scharf arbeitenden Mitgliedern, aber vor allem: in den Privatbüros“.280 Für Weber stellt die Öffentlichkeit ein Korrektiv zur Professionalisierung politischer Prozesse dar. In einem parlamentarischen System, in dem die Regierung 277 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 89 f., vgl. zu diesem Selbstverständnis auch Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 307. 278 Neben der Bedeutung der Parlamentsöffentlichkeit formuliert Weber eine allgemeine Kritik am „machtlosen Parlament“ in der Bismarckära und der daraus folgenden schwachen Stellung bei der Auswahl des Führungspersonals, vgl. insbesondere Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 319 f., 350. Als proparlamentarischer Autor schreibt er dem Parlament gleichwohl eine positive vor allem systemstabilisierende Wirkung zu, siehe hierzu Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 94. 279 Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, 344 f. 280 Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 345.
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von einer Parlamentsmehrheit getragen würde, diene die Öffentlichkeit parlamentarischer Regierungskontrolle vorrangig der Verhinderung von Machtmissbrauch.281 Insoweit steht er in einer Linie mit Bentham und Kant. Zudem verschiebt sich bei Weber der Fokus der Kontrollöffentlichkeit vom Gebot der Transparenz des Parlaments gegenüber dem Bürger hin zu einer Transparenz der Regierung gegenüber dem Parlament. Er tritt vor allem als Kritiker der Geheimhaltung der Verwaltung auf den Plan, welcher er durch zunehmende Professionalisierung der Parlamente und Stärkung der Informationsrechte gegenüber der Regierung zur Herstellung mittelbarer Verwaltungsöffentlichkeit begegnen will.282 Das gesellschaftliche Publikum, welches nach seinem Verständnis seine Kontrollbefugnis gegenüber der Regierung an das Parlament delegiert habe, sei demnach nur passiver Nutznießer, indem ihm die Ergebnisse der parlamentarischen Regierungskontrolle mitgeteilt werden.283 Hierin kommt Webers Vorstellung zum Tragen, dass das Publikum selbst zu einer rationalisierten und differenzierten Urteilsfindung zumeist gar nicht fähig sei, sodass nur unter Vermittlung der „Öffentlichkeitselite“ der Parlamentarier eine fortlaufende Kontrolle zur Verbesserung der Regierungstätigkeit führen kann.284 Sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht stellt sich die Parlamentsöffentlichkeit in ihrer Bedeutung mithin bei Weber als entwertet dar. Dies führt jedoch nicht dazu, dass er den Parlamentarismus als solchen für überflüssig erachtet. Stattdessen schlägt er einer Stärkung der Institution des Parlaments durch den Ausbau der Verwaltungskontrollbefugnisse in Reaktion auf den vorgenannten Befund vor.285 Die hieraus folgende Verschiebung der Kontrollperspektive folgte der Logik, dass das Parlament im Angesicht einer immer stärker bürokratisierten Exekutive nur durch eine fortschreitende Professionalisierung seiner eigenen Arbeit mit dem Wissensvorsprung von Regierung und Verwaltung Schritt halten und so deren effektive Kontrolle gewährleisten kann. Kehrseite der parlamentarischen Bürokratisierung ist jedoch eine zunehmende Arkanisierung gegenüber dem Bürger.286 281 Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 359 spricht im Zusammenhang mit dem Enquêterecht von einem „Gegengewicht der Publizität“ welches eine „mögliche parlamentarische Mehrheitswirtschaft‘ und ihre bekannten Gefahren“ adressiere. 282 Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 354 f.; vgl. hierzu auch Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 244. 283 Demnach kann die Kontrolle als solche durchaus in nichtöffentlichen Ausschussgremien durchgeführt werden. Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 353 plädiert allerdings für eine nachträgliche Veröffentlichung der Protokolle der Verhandlungen. 284 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 98. 285 Weber, Gesammelte politische Schriften, 1988, S. 306 ff., 350 ff. Siehe hierzu Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 90 ff.; vgl. auch Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 244 ff. 286 Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 248 f.; Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 98 f.
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b) Carl Schmitt – Fortfall der Öffentlichkeitsfunktion Dieser Umstand wird zum Ausgangspunkt einer grundlegenden Parlamentarismuskritik Carl Schmitts. Zentral für das Schmittsche Parlamentsverständnis sind dabei die Begrifflichkeiten der Diskussion und der Öffentlichkeit. „Das Wesentliche des Parlaments ist also öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion, Parlamentieren, wobei zunächst noch nicht an Demokratie gedacht zu werden braucht.“ 287 Hieraus erhielten alle parlamentarischen Einrichtungen und Normen – so auch die Parlamentsöffentlichkeit – ihren Sinn.288 Mit Blick auf die Diskussion präzisiert er, dass sich diese – anders als die reine Verhandlung – als ergebnisoffener, an Wahrheit und Richtigkeit orientierter Meinungsaustausch darstelle.289 Im Folgenden betont Schmitt, dass im Parlament moderner Prägung die Abgeordneten in der öffentlichen Plenumsdebatte nicht mehr – getreu der liberalen Vorstellung von der Durchsetzungskraft des besseren Arguments – versuchten, ihre Kollegen argumentativ von der Richtigkeit der von ihnen vertretenen Lösungsansätze zu überzeugen, sondern Entscheidungen vielmehr bereits in nichtöffentlichen Fraktions- und Ausschusssitzungen getroffen würden. Die argumentative Diskussion werde dadurch zu einer leeren Formalität: „Manche Normen des heutigen Parlamentsrechtsrechts, vor allem [. . .] die Öffentlichkeit der Sitzungen, wirken infolgedessen wie eine überflüssige Dekoration, unnütz und sogar peinlich, als hätte jemand die Heizkörper einer modernen Zentralheizung mit roten Flammen angemalt, um die Illusion eines lodernden Feuers hervorzurufen. Die Parteien [. . .] treten heute nicht mehr als diskutierende Meinungen, sondern als soziale oder wirtschaftliche Machtgruppen einander gegenüber, berechnen die beiderseitigen Interessen und Machtmöglichkeiten und schließen auf dieser faktischen Grundlage Kompromisse und Koalitionen. [. . .] Das Argument im eigentlichen Sinne, das für die echte Diskussion charakteristisch ist, verschwindet. An seine Stelle tritt in den Verhandlungen der Parteien die zielbewußte Berechnung der Interessen und Machtchancen“.290
In der Folge könne sich eine inhaltliche Rationalisierung des Parlamentsgeschehens durch Publizität nicht entfalten. Zugleich entfällt für Schmitt durch den skizzierten Strukturwandel der repräsentative Charakter des modernen Parlaments.291 Dieser Schluss wird vor dem Hintergrund des Stellenwertes, den die 287 Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017, S. 43. 288 „Die Öffentlichkeit der Verhandlung ist Kern des ganzen Systems“, Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 316; vgl. auch ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017, S. 8. 289 Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017, S. 10. 290 Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017, S. 11 f. 291 Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 319.
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Öffentlichkeit der Diskussion in seinem Repräsentationsverständnis einnimmt, ersichtlich. Das Parlament und dessen Öffentlichkeit dienten hiernach der Darstellung und Repräsentation einer politischen Einheit des Volkes im Sinne „der ganzen Nation“.292 Repräsentation erfordere „ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich-anwesendes Sein sichtbar zu machen und zu vergegenwärtigen“.293 Dabei komme der parlamentarischen Diskussion die Funktion der Ermittlung von Wahrheit und Gerechtigkeit vermittels eines öffentlichen Räsonnements zu. „Mehrheit und Minderheit, Regierungspartei und Opposition suchen durch Erörterung von Argument und Gegenargument den richtigen Beschluß. [. . .] in öffentlicher Rede und Gegenrede [kommt] der echte Gesamtwillen des Volkes, als eine ,volonté générale‘ zustande.“ 294
Nach alledem könne im Geheimen keine Repräsentation stattfinden.295 Um einem Parlament den repräsentativen Charakter zu nehmen, genüge es im Übrigen bereits, dass sich im Volk die Überzeugung durchsetze, dass die eigentliche parlamentarische Tätigkeit nichtöffentlich erfolge, während die öffentliche Verhandlung lediglich Fassade sei.296 Resümierend stellt er fest: „Sind Öffentlichkeit und Diskussion in der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebs zu einer leeren und nichtigen Formalität geworden, so hat auch das Parlament, wie es sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat, seine bisherige Grundlage und seinen Sinn verloren.“ 297 Schmitt ist mithin insgesamt gedanklich im liberalen Repräsentationsverständnis sowie dessen Glauben an die wahrheitsbildende Funktion der Öffentlichkeit verhaftet. Auf dessen Basis kritisiert er den Fortfall der hierfür notwendigen Grundbedingungen, den er im Reichstag der Weimarer Republik seiner Zeit vorfand, und stellte in der Folge die Ungültigkeit der überkommenden Funktionszuschreibungen der Parlamentsöffentlichkeit fest. Für ihn ist mit dem Wegfall der klassischen Öffentlichkeit im modernen Parlamentarismus zugleich dessen grundsätzliche Bedeutung hinfällig.298 Im Ergebnis knüpft Schmitt in seiner Kritik an die schon von Hegel konstatierte parlamentarische Demonstrationsfunktion 292
Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 315 ff. Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 209. 294 Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 315. 295 Nach Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 208 gebe es „keine Repräsentation ohne Öffentlichkeit, keine Öffentlichkeit ohne Volk“. 296 Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 208 f. führt hierzu aus: „Sobald sich die Überzeugung durchsetzt, daß im Rahmen der parlamentarischen Tätigkeit das, was sich öffentlich abspielt, nur eine leere Formalität geworden ist und die Entscheidungen außerhalb dieser Öffentlichkeit fallen, kann das Parlament vielleicht noch manche nützlichen Funktionen ausüben, aber es ist eben nicht mehr der Repräsentant der politischen Einheit des Volkes.“ 297 Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 10. Aufl. 2017, S. 63. 298 Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 318 f. 293
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an, wobei die positive Konnotation des Schauspiels bei Schmitt in ihr Gegenteil gewendet wird.299 3. Bewertung und Zwischenfazit Als Zwischenbilanz ist festzuhalten, dass die klassischen Begründungen der Parlamentsöffentlichkeit aufgrund des beschriebenen Strukturwandels im Diskurs verstärkt in Frage gestellt wurden. Soweit hieraus von der Schmittschen Parlamentskritik die Funktionslosigkeit des Parlamentarismus als solchem gefolgert wird, ist dagegen zu Recht eingewandt worden, dass diese das liberale Öffentlichkeitsbild unter Auslassung der dargestellten pragmatischen Begründungsansätze der Kontrolle, Partizipation und Akzeptanzgewinnung auf den Aspekt der Garantie von Wahrheit und Gerechtigkeit verkürze.300 Mit Blick auf die Methodik von Schmitt ist zudem zutreffend kritisiert worden, dass er seiner Betrachtung ein historisches Idealbild parlamentarischer Öffentlichkeit zugrunde legt, gegen das die Parlamentswirklichkeit seiner Zeit zwangsläufig imperfekt erscheinen müsse.301 Den Beweis dafür, dass dieses Idealbild historisch jemals existent war, bleibt er dabei schuldig.302 Ebenso lässt Schmitt jedes Bemühen um eine Neubestimmung der Öffentlichkeitsfunktion unter der gewandelten Parlamentswirklichkeit in der modernen Massendemokratie vermissen. Erst nach dem Untergang der Weimarer Republik und dem Wiederaufbau der Demokratie im Nachkriegsdeutschland, sollte dieser Versuch unternommen werden.
IV. Begründungsdiskurse zur Parlamentsöffentlichkeit unter dem Grundgesetz Eine Wiederbelebung des Öffentlichkeitsdiskurses ging dabei zunächst insbesondere von den Staatsrechtslehrern Gerhard Leibholz und Rudolf Smend aus, wobei ersterer aus seiner Parteienstaatslehre heraus und letzterer ausgehend von seiner bereits in den späten 1920er Jahren entwickelten Integrationslehre jeweils eigene Konzeptionen der Öffentlichkeit entwickelten (1.). Während die zuvor Genannten hauptsächlich die Diskussion in den fünfziger und sechziger Jahre prägten, dominierten in den siebziger Jahre demokratisch aufgeladene Funktionsbestimmungen der Öffentlichkeit den staatsrechtlichen und politikwissenschaft299
Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 109. Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 78 f. 301 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 81; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 22. 302 Vgl. zu diesem Argument auch schon Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 155 f. sowie Hennis, Die Neue Gesellschaft 14 (1967), S. 101, 104 f. Ferner hat Kriele, VVDStRL 29 (1970), S. 46 (56 ff.) darauf hingewiesen, dass – selbst unter den Voraussetzungen einer rein bürgerlichen Gesellschaft – nur schwerlich vorstellbar sei, dass tatsächlich politische Gegensätze im Wege der Diskussion infolge der Kraft besserer Argumente aufgelöst wurden. 300
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lichen Diskurs, die unter den Topoi der Legitimation, Kontrolle und Partizipation zusammenfasst werden können (2.).303 In den neunziger Jahren des vergangenen sowie in den frühen Jahren des aktuellen Jahrhunderts trat neben die genannten zudem eine weitere, unter Rückgriff auf sprachtheoretischen Modelle formulierte Funktionsbestimmung (3.). Zu den skizzierten Diskursen unter dem Grundgesetz ist eine begründete Positionierung zu entwickeln (4.). 1. Öffentlichkeit als Demonstration von Ergebnissen Ausgangspunkt der Neubestimmung parlamentarischer Öffentlichkeitsfunktionen bei Leibholz ist dessen Parteienstaatslehre.304 Politischen Parteien kommt in dieser die Funktion zu, den Gemeinwillen des Volkes zu bilden, wobei dieser „allein mit Hilfe des Identitätsprinzips ohne Beimischung repräsentativer Strukturelemente zur Entstehung“ 305 gelange. Unter dem „Identitätsprinzip“ versteht er dabei den Gedanken, dass Willensakte der Parteien im Rahmen der Staatsorgane mit direkten Willensakten des Volkes gleichgesetzt werden. Parteien und Volk sind demnach insoweit identisch, da „der moderne Parteienstaat [. . .] eine rationalisierte Erscheinungsform der plebiszitären Demokratie im modernen Flächenstaat“ 306 darstelle. Demnach ist für Leibholz der Wille der jeweiligen Parteienmehrheit in den Staatsorganen mit dem Gesamtwillen des Volkes gleichzusetzen, so wie auch im Rahmen der plebiszitären Demokratie der mehrheitliche Wille der Aktivbürgerschaft mit dem Gesamtwillen identifiziert wurde.307 Hinsichtlich der Funktion des Parlaments ergibt sich hieraus eine tiefgreifende Verschiebung: „Der Konsequenz von der gekennzeichneten Entwicklung von der liberalrepräsentativen Demokratie zur parteistaatlichen Massendemokratie entspricht es, daß in der letzteren das Parlament den ihm früher eigenen, ursprünglichen Charakter mehr und mehr verliert und zu einer Stätte wird, an der sich gebundene Parteibeauftragte treffen, um anderweitig (in Ausschüssen oder Parteikonferenzen) bereits getroffene Entscheidungen registrieren zu lassen.“ 308
303
Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 90. Deren Grundlegung erfolgte bereits in der 1929 erschienenen Habilitationsschrift „Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems. Ein Beitrag zur allgemeinen Staats- und Verfassungslehre“. Siehe auch grundlegend die unter dem Titel „Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert“ erschienene 3. Aufl. 1966, S. 211 ff. sowie Leibholz, in: Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 78 ff. 305 Leibholz, in: Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 78 (94). 306 Leibholz, in: Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 78 (93 f.); ders., in: Leibholz, Die Repräsentation in der Demokratie, S. 211 (226). 307 Leibholz, in: Leibholz, Die Repräsentation in der Demokratie, S. 211 (226). 308 Leibholz, in: Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 78 (94); ders., in: Leibholz, Die Repräsentation in der Demokratie, S. 211 (226). 304
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Mit Blick auf die Öffentlichkeitsfunktion folgt daraus, dass es den Abgeordneten in der parlamentarischen Debatte nicht darum gehen könne, ihre Kollegen zu überzeugen, sondern allein darum, sich an die „Aktivbürgerschaft“ zu wenden. Diese gelte es durch die vorgebrachten Argumente zu beeindrucken und – im Hinblick auf deren künftige politische Entscheidungen – im eigenen Sinne zu beeinflussen.309 Der Öffentlichkeit kommt demnach bei Leibholz eine reine Demonstrationsfunktion hinsichtlich bereits getroffener Entscheidungen zu. Eine gewisse Responsivität infolge der öffentlichen Debatte wird allerdings in Bezug auf künftige (Wahl)Entscheidungen zugestanden. Rudolf Smend fokussiert seine Argumentation dagegen auf den Begriff der Integration als Funktion parlamentarischer Publizität. Im Rahmen seiner Integrationslehre begreift er die Integration der Staatsbürger in den politischen Prozess als wesentliche Aufgabe von Staat und Verfassung. Er versteht den Staat als eine „soziale Realität“, ein sich im stetigen Wandel befindliches System aus Wechselwirkungen, welches „von einem Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt“, lebe.310 Dabei schreibt er insbesondere der Parlamentsverhandlung eine integrierende Wirkung zu: „In einem Vorgang der Auseinandersetzung von Gegensätzen wird die Resultante der staatlichen Richtung und Wesensart immer wieder neu gewonnen; durch die Kämpfe der öffentlichen Meinung und Wahlen, durch parlamentarische Erörterung und Abstimmung.“ 311 aus. Integration versteht er mithin als einen „prozeßartigen Vorgang der Einbeziehung des einzelnen Bürgers in den Staat“ 312, welcher zu einem Grundkonsens in den elementaren Fragen der staatlichen Ordnung führen soll.313 Dabei unterscheidet Smend die Kategorien persönlicher, funktioneller und sachlicher Integration. Die persönliche Integration setzte voraus, dass die im politischen Gemeinwesen Beherrschten die staatlichen Herrschaftsträger anerkennten, was nur dann der Fall sei, wenn sie diesen nicht passiv ausgeliefert seien, sondern die Herrschenden vielmehr von den Beherrschen abhängig seien.314 Im demokratischen Parlamentarismus manifestiere sich dies gerade in Gestalt des Wahlakts. Im Plenum präsentierten sich zum einen die politischen Führer in ihrer Funktion als Regierungs- oder Oppositionspolitiker und ermöglichten hierdurch eine Identifikation der Bevölkerung mit den jeweils vertretenen Positionen. Durch die Tatsache der Widerspiegelung ihrer Meinung im Parlament
309 310 311 312
Leibholz, in: Leibholz, Die Repräsentation in der Demokratie, S. 211 (226 f.). Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 13 ff. Smend, in: FS Kahl, 1923, S. 3 (22). Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 18; ders., in: FS Kahl, S. 3
(22). 313
Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 54. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 26; siehe hierzu Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 109 f. 314
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und vor dem Hintergrund einer möglichen zukünftigen Regierungsbeteiligung der derzeitigen Opposition würden vorzugsweise auch Anhänger der Opposition integriert, sodass sich diese einer ihrem Willen entgegenstehenden Mehrheitsentscheidung unterordneten.315 Selbiges gelte mit Blick auf die funktionelle und sachliche Integration. Insoweit käme es „für den letzten Sinn des Parlamentsstaats“ nicht auf die konkret (inhaltlich) getroffenen Beschlüsse an, „sondern darauf, daß die parlamentarischen Dialektik innerhalb des Parlaments und in dem miterlebenden Staatsvolk Gruppenbildung, Zusammenschluß, Bildung einer bestimmten politischen Gesamthaltung herbeiführt“.316 Eine Integration werde hier wesentlich durch die Notwendigkeit für die Parteien, ihre Standpunkte in der Öffentlichkeit argumentativ zu vertreten, bewirkt. Eine Einbindung der Minderheit werde wiederum durch die Aussicht, bei den kommenden Wahlen selbst die Mehrheit zu stellen und somit eigene politische Inhalte durchsetzen zu können, gewährleistet.317 Die Integrationswirkung wird demnach an ein Miterleben der Diskussion in der Bevölkerung gekoppelt. Dabei weist Smend darauf hin, dass die „Verkörperung und Organisierung politischer Einheit heute nur in aller Öffentlichkeit möglich [ist]“ 318. Das hierfür notwendige Maß an Öffentlichkeit und deren spezifischer Charakter im Rahmen der Parlamentsversammlung bleiben bei ihm jedoch vage. In die Richtung, dass Smends Öffentlichkeitsbegriff sich in einer reinen Demonstration von feststehenden Ergebnissen erschöpft, weisen allerdings die hieran anschließenden Ausführungen von Haftendorn und Hennis. Beide schreiben der Öffentlichkeit die Funktion einer (durchaus diskursiven) Darstellung von Regierungs- und Oppositionspolitik zum Zwecke der Begründung, Rechtfertigung und Verantwortung gegenüber den Wählern im Bemühen um deren Gunst zu.319 Die Beschränkung der Funktionen der Plenaröffentlichkeit auf eine reine Ergebnisdarstellung wurde im Rahmen der Parlamentarismusforschung – insbesondere von Winfried Steffani – dadurch verfestigt, dass unter Rückgriff auf die bereits bei Weber anklingende Unterscheidung zwischen „repräsentierenden“ und „arbeitenden“ Abgeordneten eine strukturelle Zweiteilung parlamentarischer Aufgaben anhand der Begrifflichkeiten des „Redens“ und „Arbeitens“ eingeführt wurde.320 Demnach finde das Reden im Sinne der Demonstration von Ergebnis315 316 317 318
Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 109 f. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 154 f. Deneke, Das Parlament als Kollektiv, ZgS 109 (1953), S. 503 (528 ff.). Smend, in: Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 462
(469). 319 Siehe hierzu Haftendorn, Publizistik 6/1961, S. 273 (274 f., 280, 295 f.) sowie Hennis, in: FS Arndt, S. 147 (155). Insbesondere letzter weist der Öffentlichkeit der Debatte dabei eine rationalisierende Wirkung hinsichtlich der gefundenen Entscheidungen zu. 320 Hierzu auch Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 134.
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sen zur Akzeptanzgewinnung gegenüber öffentlicher Meinung, Presse und Wählern öffentlich im Plenum statt, während sich das Arbeiten, d.h. die inhaltliche Entscheidungsfindung, nichtöffentlich in Ausschüssen, Arbeitskreisen und Fraktionen vollziehe.321 Je nachdem, welcher Schwerpunkt der Aufgabenwahrnehmung charakteristisch für ein Parlament sei, könne dieses entweder als Redeoder als Arbeitsparlament bezeichnet werden. Den Bundestag ordnet Steffani als Mischform zwischen beiden Parlamentstypen ein. Dabei liegt für ihn der Fokus eher auf dem arbeitsparlamentarischen Charakter. Der Bundestag sei „ein halböffentliches Parlament, das sich primär als fleißiges Arbeitsparlament erweist, dessen Fraktionen in vertraulichen Verhandlungen Vorentscheidungen fällen, die in nicht öffentlichen Ausschußsitzungen zum möglichen Kompromiß gebracht werden und in gelegentlichen öffentlichen Plenarsitzungen bei mehr oder minder deutlicher Kontrastierung der Mehrheits- und Oppositionspositionen zur Veröffentlichung gelangen“ 322.
2. Öffentlichkeit als demokratische Kommunikation über Entscheidungsgrundlagen Während der frühe bundesrepublikanische Diskurs die öffentliche Debatte vorwiegend als Vorgang der Demonstration von bereits erzielten Entscheidungen auffasste, zeichnet sich ab den siebziger Jahren eine Tendenz in Staatsrechtslehre und Politikwissenschaften ab, die Funktionen der Öffentlichkeit – zumindest auch323 – vor dem Hintergrund einer Kommunikation über die Entscheidungsgrundlage selbst, bereits im Vorfeld der abschließenden Entscheidungsfindung zu bestimmen.324 Dabei wird der Parlamentsöffentlichkeit insbesondere eine demokratische Kontroll-, Legitimations- sowie Partizipationsfunktion zugeordnet sowie eine auf wechselseitiger Kommunikation beruhende Repräsentationsfunktion zugewiesen. a) Kontrolle Die Kontrollfunktion der Parlamentsöffentlichkeit scheint im Begründungsdiskurs mit zweierlei Zielrichtungen auf. Zunächst wird betont, dass eine effektive parlamentarische Regierungskontrolle durch die Öffentlichkeit der parlamenta321 Grundlegend Steffani, APuZ B 43/65, S. 12 (16); ders., Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 95 ff. Siehe hierzu auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, S. 384 ff. 322 Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 175. 323 Hieraus folgt nicht, dass in Bezug auf einen Teil der Öffentlichkeitsfunktionen eine allein demonstrative Öffentlichkeit nicht ausreichend kann. So weist Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 306 f. darauf hin, dass die von Smend konstatierte Integrationsfunktion darin bestünde, dass „bereits Entschiedenes nach außen hin nunmehr zu begründen, darzulegen oder zu verwerfen“, um so die Unterstützung der Wählerschaft zu gewinnen. 324 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 90, 104 ff.
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rischen Verhandlung überhaupt erst ermöglicht werde.325 Besondere Bedeutung habe die Kontrollöffentlichkeit vor allem für die parlamentarische Opposition, die infolge des Majoritätsprinzips nicht direkt auf den Kurs oder die Zusammensetzung der Regierung Einfluss nehmen kann.326 Indem sie jedoch das Plenum als öffentliche Plattform für Kontrolle und Kritik der Regierung sowie zur Werbung für ihre eigene Tätigkeit nutzen könne, werde ihr zum einen ein wirksames Sanktionierungsinstrument für festgestellte Versäumnisse und Missstände der Regierungspolitik und zum anderen eine Möglichkeit die öffentliche Meinung für die eigenen Lösungsvorschläge zu gewinnen und damit die Bürger für künftige Wahlen zu mobilisieren, an die Hand gegeben. De facto ziele die Oppositionstätigkeit im modernen Parlamentarismus somit weniger auf eine Abwahl der Regierung durch das Parlament, als vielmehr auf eine solche durch die öffentliche Meinung bei den nächsten Parlamentswalen ab.327 Die Bedeutung der Kontrollöffentlichkeit für die Opposition werde dadurch noch verstärkt, dass die von den Mehrheitsfraktionen getragene Bundesregierung infolge ihrer Gestaltungsmacht mit Blick auf die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ohnehin einen Bekanntheitsvorsprung genieße.328 Die Parlamentsöffentlichkeit stelle somit ein Gegengewicht zur informativen Präsenz der Regierungstätigkeit dar.329 Daneben wird die Kontrollfunktion der Parlamentsöffentlichkeit als auf die Kontrolle der Abgeordneten durch den demokratischen Souverän gerichtet beschrieben. Mit der Parlamentsöffentlichkeit werde der Entscheidungsprozess sowie die verschiedenen Positionen und Argumente transparent und dadurch kontrollier- sowie sanktionierbar gemacht.330 Dies sei zunächst mit Blick auf die regelmäßig stattfindenden Wahlen von entscheidender Bedeutung.331 Als Kontrollakt setzen diese die Kenntnis hinsichtlich der zu bewertenden parlamentarischen 325 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 65 f.; Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 105, 138 ff.; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 71; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 306. 326 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 65. 327 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 64 ff.; vgl. auch Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 105; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 71; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 306. 328 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 64, der weiterhin auf die Kapazitäten des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung verweist, auf welche der Regierung zum Zwecke der Information der Bürger zurückgreifen kann. Zwar sei es diesem als Sprachrohr der Institution Bundesregierung untersagt, parteipolitische Interessen der die Regierung tragenden Parteien zu fördern. Gleichwohl habe die im Allgemeinen mit den sie tragenden Parteien identifizierte Regierung durch die Tätigkeit des Presseamts und deren Resonanz in der Öffentlichkeit eine verbesserte Außenwirkung. 329 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 65. 330 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 306. 331 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 105 ff.; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 69 ff.; Linck, DÖV 1973, S. 513 (515).
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Vorgänge voraus, wobei hier sowohl auf die Tätigkeit des Parlaments in Gänze, als auch die einzelner Fraktionen und Abgeordneter abgestellt werden kann. In der Folge wird die Öffentlichkeit der parlamentarischen Verhandlungen als zwingende Voraussetzung für eine auf demokratischer Willensbildung basierende Wahlentscheidung angesehen.332 Bis zu diesem Punkt kann der Kontrollfunktion noch unter Beibehaltung der Vorstellung von einer reinen Demonstration und Begründung von Ergebnissen im Plenum entsprochen werden.333 Jedoch wird die Kontrollaspekt verschiedentlich über den eigentlichen Wahlakt hinaus ausgedehnt. Auch während der laufenden Wahlperiode sollen demnach die Staatsbürger über Parteien und Verbände, die Presse sowie durch die Ausübung von Kommunikationsgrundrechten, etwa im Rahmen von Petitionen oder Versammlungen, jeweils als Ausformungen der öffentlichen Meinung, eine Kontrolle gegenüber dem Parlament ausüben können.334 Einer als kommunikative Einflussnahme auf laufende Willensbildungsprozesse verstandenen Kontrollfunktion wird jedoch die rein nachträgliche Demonstration von Ergebnissen nicht gerecht. Vielmehr bedarf eine solche auch der Transparenz der entscheidungsvorbereitenden Prozesse, damit diese laufend nachvollzogen, diskutiert und bewertet werden können.335 Hinzu kommt als weiterer Aspekt der Kontrollfunktion, dass diese – sowohl hinsichtlich Regierung als auch Parlament – eine Vorwirkung hinsichtlich der formulierten politischen Positionen zeitigt. Dietrich Rauschning spricht in diesem Zusammenhang von einer „verfassungssichernden Tendenz“. Legt man die Prämisse zugrunde, dass Entscheidungsträger wegen verfassungswidriger Äußerungen an Ansehen verlieren sowie gegen ebensolche Willensakte Widerstand zu erwarten ist, werde durch die Antizipation der Reaktion des Publikums seitens der politischen Akteure deren Handlungsspielraum im parlamentarischen Entscheidungsprozess bereits im Vorfeld im Sinne einer Beachtung der Verfassung begrenzt.336 Auf Basis derselben Wirkweise wurde der Öffentlichkeit weiterhin die Eigenschaft der Förderung von an den herrschenden sozialethischen Anschauungen orientierten Entscheidungen attestiert.337
332 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 105 f.; Linck, DÖV 1973, S. 513 (515); Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 88. 333 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 106. 334 Linck, DÖV 1973, S. 513 (515); vgl. auch Kempen, Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und Politische Willensbildung, 1975, S. 188 ff.; Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 38; Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (728 ff.). 335 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 106 f. 336 Rauschning, Die Sicherung der Beachtung von Verfassungsrecht, 1969, S. 183 f.; in Anschluss daran auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 191. 337 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 17. Aufl. 2017, S. 165.
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b) Legitimation Parallel zur Kontrollfunktion wird der Parlamentsöffentlichkeit zugleich eine demokratische Legitimationsfunktion attestiert. Die Legitimität staatlicher Herrschaft werde zunächst insbesondere über demokratische Wahlen bewirkt.338 Die Wahlentscheidung stelle sich als Akt der Vertrauensbekundung – sei es als Vertrauensvorschuss bei der Neuwahl oder als Vertrauensbestätigung bei der Wiederwahl – dar.339 Als solche setze sie jedoch eine fundierte Beurteilungsgrundlage voraus, welche wiederum eines permanenten Informationsflusses hinsichtlich der wesentlichen parlamentarischen Vorgänge bedürfe.340 Zudem werde demokratische Legitimität daneben auch durch den bereits skizzierten permanenten Kommunikationszusammenhang zwischen Parlament und Bürger hergestellt, der es den Aktivbürgern zwischen den Wahlen erlaubt, über die Beeinflussung der öffentliche Meinung ihre Zustimmung bzw. Ablehnung hinsichtlich der Ausübung der Staatsgewalt zum Ausdruck zu bringen.341 Nach dem Verständnis von Kißler kann sich das Parlament als Entscheidungseinheit erst durch die fortlaufende Kommunikation mit den entscheidungsunterworfenen Bürgern tatsächlich legitimieren.342 Der messbare Einfluss auf das Staatshandeln beruhe dabei auf dem Umstand, dass in der Öffentlichkeit vorgenommene Handlungen der Repräsentanten, die dem kritischen Blick der öffentlichen Meinung standhalten müssen, von den Akteuren regelmäßig so ausgestaltet würden, dass sie dieser öffentlichen Meinung nicht zuwider liefen.343 c) Partizipation Aufgrund der geschilderten Möglichkeiten der Einflussnahme wurde der Parlamentsöffentlichkeit zudem eine Partizipationsfunktion im Sinne der demokratischen Teilhabe des Staatsvolks an der Ausübung der Staatsgewalt zugeschrieben.344 338 Insofern kann bei der Wahl gedanklich zwischen der Dimension eines Kontrollakts hinsichtlich der bisherigen und eines Legitimationsakts mit Blick auf die künftige Parlamentstätigkeit differenziert werden. So auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 69 ff.; Linck, DÖV 1973 S. 513 (515). 339 Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 15; ferner auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 67 f., 118 ff.; Linck, DÖV 1973, S. 513 (515). 340 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 68 ff.; Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 15; Linck, DÖV 1973, S. 513 (515); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 60. 341 Linck, DÖV 1973, S. 513 (515), vgl. auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 296 f.; Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 38; Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (728 ff.). 342 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 296 f. 343 In diesem Mechanismus erblickt Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 17. Aufl. 2017, S. 167 sogar ein Element unmittelbarer Demokratie. 344 Linck, DÖV 1973, S. 513 (516); vgl. auch Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 14; Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, 1979, S. 38 f.; Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (715).
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Hierbei wird erneut neben der Teilhabe im Rahmen der Wahlentscheidung auch auf eine Partizipation am politischen Willensbildungsprozess durch Einwirkung auf die öffentliche Meinung abgestellt,345 welche jeweils Kenntnis und Verständlichkeit der Entscheidungsgrundlagen und -ziele sowie der verschiedenen Handlungsoptionen voraussetzten und damit der parlamentarischen Publizität bedürften.346 Nach diesem Verständnis ist das Publikum „Mutterboden, Adressat, Widerpart oder Resonanzboden“ der Parlamentsverhandlung.347 Die Funktionen der Kontrolle, Legitimation und Partizipation sind damit letztliche alle – zumindest teilweise – Facetten eines permanenten reziproken Kommunikationszusammenhangs zwischen Parlament und Staatsbürgern, welcher nicht allein die Demonstration und Begründung von Entscheidungen, sondern die Kommunikation über Entscheidungsgrundlagen voraussetzt.348 Dabei soll es Aufgabe der Öffentlichkeit sein sicherzustellen, dass „sich ein politisch fungierendes Publikum mit einer politisch fungierenden öffentlichen Meinung als Bezugspunkt der Publizität“ 349 bilde. Allerdings ist mit der Kommunikationsfunktion „nicht – für die Massendemokratie illusionär – spontaner, diskursiver Meinungsaustausch gemeint, sondern die ständige Verschränkung von parlamentarischer und vorparlamentarischer Willensbildung durch den Prozeß strukturierter und vermittelter [. . .] politischer Kommunikation.“ 350
Entscheidend sei vielmehr, dass der Bürger jedenfalls die Möglichkeit habe, die auf Basis der erhaltenen Informationen gebildete Meinung gegenüber dem Staat zu artikulieren.351 d) Repräsentation Soweit die öffentliche Debatte als wechselseitiger Kommunikationsprozess verstanden wird, hat dies zugleich Auswirkungen auf die Bestimmung der Reprä-
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Linck, DÖV 1973, S. 513 (516). Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 14; vgl. auch Kempen, Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und Politische Willensbildung, 1975, S. 188 ff. 347 Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (715). 348 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 107. Soweit jeweils die Kontrolle, Legitimation und Partizipation allein in Gestalt der Wahlentscheidung betroffen ist, genügt indes die reine (retrospektive) Demonstrationsdimension der Parlamentsöffentlichkeit. 349 Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (721). 350 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77, Fn. 2; in diesem Sinne auch Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 136 f. 351 Nach Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 88 sei hierfür zwingend, dass das Publikum erfährt, „was überhaupt vor sich geht, um was es sich handelt, welche Probleme bestehen, welche Argumente es gibt, in welcher Richtung die Entscheidung gefunden wird“. 346
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sentationsfunktion parlamentarischer Öffentlichkeit. So legt etwa Heinhard Steiger352 seinem Repräsentationsbegriff die Vorstellung des Parlaments als einer Entscheidungs- und Wirkungseinheit zugrunde, der es obliege, die wachsende Komplexität der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und hierbei auftretende Spannungen und Konflikte durch verbindliche Entscheidungen einer Lösung zuzuführen.353 Für die Gewährleistung der Legitimität dieser Entscheidungen staatlicher Vertreter sei jedoch deren Wahl allein nicht hinreichend.354 So ergäben sich mit steigender Komplexität der Verhältnisse während der Legislaturperiode ggf. sehr kurzfristig Problemstellungen, die zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht vorhergesehen und damit von den Parteien adressiert werden konnten.355 In einer Demokratie gingen neben den zu lösenden Konflikten auch die darauf bezogenen Lösungsansätze aus der Gesellschaft hervor. Die Aufgabe, diese in den politischen Entscheidungsprozess einzuführen, also die partikulären Probleme und Interessen zu allgemeinen, auf die Gesellschaft bezogenen Problemen zu machen, komme dabei den Repräsentanten zu.356 Dabei sei das Ziel, „möglichst viel des Besonderen in das Allgemeine ein[zu]bringen“.357 Dieser Transformationsprozess geschehe im Rahmen der Repräsentation, die „als Zusammenwirken kommunikativer, generalisierender Verhaltenswirkung“ 358 erscheine. Der Repräsentationsprozess stellt sich daher als eine politische Willensbildung vom Volk zu den Repräsentanten dar, der zwingend der Kommunikation zwischen Repräsentanten und Repräsentierten und insofern der parlamentarischen Öffentlichkeit bedarf.359 Ergebnis dieses Repräsentationsvorgangs ist laut Steiger eine „durch die Verhältnisse, deren Relationen und Proportionen, in denen sich das zu entscheidende Problem darbietet, bestimmte Rationalität“ 360 politischer Entscheidungen:
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Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 ff. Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (726); so auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 296. 354 Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 194. 355 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 128 f. 356 Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (728). So auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 297, der als Voraussetzung der Repräsentation „das Herauskristallisieren eines allgemeinen Interesses vermittels Kommunikation“ zwischen Entscheidungsträgern und Entscheidungsunterworfenen akzentuiert. 357 Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (729). 358 Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (728). Unter Verweis auf die Legitimationsfunktion der Öffentlichkeit auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 297, der den Aspekt der Permanenz des Kommunikationszusammenhangs als Kerngehalt der Repräsentation besonders betont. 359 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 297; Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (730 f.); vgl. hierzu auch Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 110. 360 Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 87. 353
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„Der Grundsatz der Publizität parlamentarischer Verhandlungen hat in diesem Bereich noch immer die Funktion, durch prüfende, wägende öffentliche Auseinandersetzung, wenn auch nicht Wahrheit und Gerechtigkeit, so doch die Richtigkeit einer Entscheidung im Hinblick auf das zu lösende Problem für die Gesellschaft und ihre Ordnung hervorzubringen.“ 361
Hier scheint – in gewandelter Form – das liberale Gedankengut der Verbürgung von Wahrheit und Gerechtigkeit wieder auf. Die Rationalität erfordere dabei, dass „bei der Entscheidungsfindung ein Höchstmaß von Interessen und Meinungen berücksichtigt worden ist“,362 da nur so die Folgebereitschaft des Einzelnen möglichst groß sei.363 e) Sonstige Öffentlichkeitsfunktionen Neben der Betonung kommunikativer Öffentlichkeitsfunktionen wird ein rein demonstratives Verständnis der Plenardebatte hinsichtlich einzelner Aspekte der Parlamentsöffentlichkeit als ausreichend erachtet. So sieht etwa Kißler die Integrationsfunktion der Öffentlichkeit darin, „bereits Entschiedenes nach außen hin nunmehr zu begründen, darzulegen oder auch zu verwerfen“.364 Der werbenden Selbstdarstellung der politischen Parteien als Integrationsfaktor im Rahmen eines „permanenten Wahlkampfs“ werde bereits durch ein darstellendes Öffentlichkeitsverständnis Rechnung getragen.365 Selbiges gelte, soweit etwa die Öffentlichkeit in Fortschreibung der Ausführungen Webers366 als Instrument der „Führerauslese“ angesehen wird.367 3. Öffentlichkeit im Wechselspiel von Akzeptanz und Legitimität Zum Ausgang des 20. Jahrhunderts ist die Funktion der Parlamentsöffentlichkeit vermehrt unter einem kommunikationstheoretischen Aspekt untersucht worden. Ausgangspunkt dieses Ansatzes ist die Vorstellung, dass eine über die allein 361 Steiger, Studium Generale 23 (1979), S. 710 (731). Ähnlich Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 305 sowie Kempen, Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und Politische Willensbildung, 1975, S. 186 ff., der seinem Repräsentationsverständnis zugrunde legt, dass durch öffentliche Kommunikation politische Entscheidungen an der öffentlichen Meinung ausgerichtet werden. 362 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 131. 363 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 565 weist insoweit darauf hin, dass in der demokratischen Repräsentativverfassung der Bürger die vom Parlament getroffenen Entscheidungen nur dann akzeptieren wird, wenn die er die Chance hat, Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen und an ihnen teilzuhaben. 364 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 306 f.; ders., in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 11 ff.; vgl. auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 63 f.; Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 223 ff. 365 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 115; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, S. 306 f. 366 Siehe insbesondere Weber, Gesammelte Politische Schriften, 1988, S. 351 ff. 367 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 68.
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nachträgliche Information des Publikums hinsichtlich bereits getroffener Entscheidungen hinausgehende Funktion der Parlamentsöffentlichkeit, die einen „substanziellen Zusammenhang zwischen Entscheidungsprozessen und Plenumsdebatte sichtbar“ 368 macht, erforderlich sei. Anders als die vorgenannten Autoren legen Vertreter des sprachtheoretischen Ansatzes allerdings die Prämisse, dass parlamentarischen Entscheidungen stets bereits vor der Plenardebatte abschließend getroffen werden, ihren Überlegungen zugrunde.369 In Anknüpfung an die Unterscheidung von Arbeits- und Redeparlamenten entwickeln sie eine sprachtheoretische Bestimmung der Öffentlichkeitsfunktion, die in der institutionellen Unterscheidung von nichtöffentlich-arbeitenden und öffentlich-redenden Parlamentsarenen mit jeweils unterschiedlichem Kommunikationsverhalten wurzelt.370 Dabei werden als kommunikative Handlungsmodi die „Sprachspiele“ des „arguing“ und „bargaining“ unterschieden.371 Dabei wird ein Sprachspiel als ein Gefüge aus Regeln, Normen und Erwartungen verstanden.372 Arguing bezeichnet eine am Gemeinwohl373 orientierte Diskussionssituation, wohingegen bargaining eine auf die Durchsetzung von Partikularinteressen im Rahmen einer Verhandlungssituation abzielende Sprechsituation beschreibt.374 Ersteres finde öffentlich im Plenum statt, während letzteres ausschließlich in nicht öffentlichen parlamentarischen Arenen wie Ausschüssen, Fraktionssitzungen oder Arbeitskreisen ablaufe.375 Im Rahmen des Sprachspiels arguing müssten aufgrund der Orientierung der Diskussion am Gemeinwohl die Begründungen für eine Position so formuliert werden, dass der Anspruch, die anderen Diskussionsteilnehmer zu überzeugen, deutlich werde. Hier komme es auf die Überzeugungskraft der vorgebrachten Argumente an, wobei deren Geltungsanspruch auf der Richtigkeit der vertretenen Position fuße.376 Theoretisch sind Arguingsituationen daher ergebnisoffen, soweit 368
Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 140. Ebd. 370 Vgl. Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 170. 371 Diese Differenzierung auf Elster, Arguing and Bargaining in the Federal Convention and the Assemblée Constituante, 1991, S. 1 ff. zurück. 372 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 162. 373 Im Rahmen einer universalistischen Orientierung erscheint eine Position als überzeugend, wenn deren entscheidungsleitenden Gründe allgemeine Akzeptanz erwarten lassen. Die Begründung soll das Publikum dabei von der eigenen Position überzeugen, vgl. Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 161 f. 374 Eine partikularistische Orientierung kann Akzeptanz nur bei dem Teil des Publikums, dessen Interessen gefördert werden, hervorrufen. Hier soll nicht überzeugt, sondern vielmehr die eigene Verhandlungsposition dem Publikum verdeutlicht werden, vgl. Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 162. 375 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 175 f. 376 Elster, Arguing and Bargaining in the Federal Convention and the Assemblée Constituante, 1991, S. 3; Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 177 f. 369
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sich die Beteiligten von den besseren Argumenten überzeugen lassen. Da die Akteure sich jedoch der Tatsache bewusst seien, dass sie unter den Bedingungen des modernen Gruppenparlamentarismus die anderen Diskussionsteilnehmer mit ihren Redebeiträgen de facto nicht umstimmen würden, spricht Jon Elster von einer sog. „as-if-debate“, also einer Debatte, die äußerlich dem kontradiktorischen Argumentieren entspricht und als solche gewohnheitsmäßig geführt wird, obwohl die Intention der Teilnehmer eigentlich eine andere sei.377 Die Motive und Intentionen der Teilnehmer seien für die Qualifikation eines Sprachspiels jedoch unerheblich, da die Kommunikationssituationen bereits institutionell vorgeben werden.378 Dieses gelte umso mehr im televisuellen Parlamentarismus, weil sich dort das Publikum wegen der großen Zahl an beobachtbaren Debatten an das Sprachspiel im Plenum gewöhnen könne, sodass dieses ritualisiert werde und damit unabhängig von den Intentionen der Sprecher funktioniere.379 Der Kommunikationsmodus des bargaining ziele dagegen nicht auf die Überzeugung des politischen Kontrahenten, sondern vielmehr darauf ab, diesen zu zwingen bzw. zu veranlassen, die eigenen Forderung anzunehmen.380 In dieser Kommunikationsform bringen die Beteiligten ihre Positionen vor und versuchen diese ggf. durch das Aufbauen von Drohpotentialen oder im Rahmen einer Kompromissbildung weitestgehend durchzusetzen. Dabei werde das Sprachspiel von einer strategischen Abschätzung der eigenen sowie der Verhandlungsposition des Gegenübers bestimmt und vom Erzielen vorteilhafter Kompromisse und gerade nicht vom Finden der wahren und richtigen Positionen im liberalen Sinne geprägt.381 Während das Vorkommen von bargaining als Interessenkoordinierung im Rahmen von Entscheidungsprozessen evident ist, wird das arguing durch die Öffentlichkeit der Plenardebatte besonders institutionalisiert.382 Zugleich existiere ein Tabu des öffentlichen bargaining im parlamentarischen383 Raum aufgrund der mangelnden Akzeptanz des Publikums für eine rein pragmatische, auf die Durch377 Elster, in: Elster, Deliberative Democracy, S. 97 ff. Hierzu auch Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 223 ff., der die as-if-debate als Kommunikation, die man nur verstehen kann, wenn man die Intention der Akteure arguing zu betreiben, unterstellt. 378 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 162, 182. 379 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 234 ff. 380 „To bargain is to engage in communication for the purpose of forcing or inducing the opponent to accept one’s claim.“ Elster, Arguing and Bargaining in the Federal Convention and the Assemblée Constituante, 1991, S. 3 f. 381 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 178 f. 382 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 204. 383 Hieraus kann allerdings noch kein generelles Tabu des bargainings im öffentlichen Raum gefolgert werden, da – etwa im Wahlkampf – die strategische Interessendurchsetzung von Publikum keinesfalls pauschal missbilligt werde, vgl. Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 245.
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setzung von Privatinteressen zielende Geschäftsverhandlung. Diese Aversion werde von den Abgeordneten antizipiert.384 Die institutionelle Dichotomie im Parlament von öffentlichen und nicht öffentlichen Arenen bewirke dabei, dass jede parlamentarischen Entscheidung in ihrer Entstehung sowohl im Sprachspiel des bargaining als auch des arguing formuliert, abgewogen, kritisiert und verteidigt worden sei. Hierdurch werde die Entscheidung zum einen mit gesteigerter Akzeptanz – durch die Koordinierung von Partikularinteressen im Rahmen des bargaining – und zum anderen mit Legitimität – durch die Gemeinwohlorientierung des arguing – ausgestattet und somit insgesamt rationalisiert.385 Zusätzlich würden durch die Antizipation der das parlamentarische Entscheidungsverfahren abschließenden öffentlichen Plenardebatte bereits im Rahmen der Entscheidungsvorbereitung – mithin im Rahmen des von strategischen Interessen bestimmten Sprachspiels des bargaining – solche Vorschläge ausgeschlossen, welche sich anschließend nicht im Plenum – im Sprachspiel des arguing – allgemeinwohlbezogen vertreten ließen. Die Parlamentsöffentlichkeit limitiere damit die möglichen Verhandlungspositionen im Vorhinein.386 Dieser Prozess wird von Elster als „zivilisierende Kraft der Heuchelei“ 387 bezeichnet. Die so verstandene spezifische Funktionsbestimmung der Parlamentsöffentlichkeit setzt jedoch voraus, dass arguing und bargaining „so gekoppelt werden, dass in der Konsequenz die positiven Folgen beider Sprachspiele maximiert und die negativen minimiert werden“.388 Eine solche Doppelkodierung erfordert somit das Bestehen und die Nutzung sowohl öffentlicher wie auch nichtöffentlicher parlamentarischer Arenen.389 4. Synthese und Bewertung Die Diskussion unter Geltung des Grundgesetzes hat damit eine ganze Reihe von Funktionen der Parlamentsöffentlichkeit zu Tage gefördert, die jedoch prima facie auf gegensätzlichen Grundannahmen hinsichtlich der Reziprozität des Informationsflusses zwischen Parlament und Gesellschaft beruhen. Soweit die Par384 Elster, in: Elster, Deliberative Democracy, S. 97 (101 f.); Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 202 ff. 385 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 196 f., 258. 386 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 198, 220. 387 Im englischen Original „Civilizing force of hypocrisy“. Elster, in: Elster, Deliberative Democracy, S. 97 (111). 388 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 258 f. 389 Unter dieser Prämisse ist noch keine Aussage zur Notwendigkeit nicht öffentlicher Ausschusssitzungen getroffen, da den Ausschüssen vorgelagerte nichtöffentliche Arenen bestehen, in denen entscheidungserhebliches bargaining ohnehin stattfindet, sodass weder die Öffentlichkeit noch die Nichtöffentlichkeit von Ausschüssen dem Modell zwingend zugrunde liegt. So auch Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 259 f.
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lamentsöffentlichkeit auf eine reine Demonstrationsfunktion reduziert wird, ist dem zu Recht im weiteren Diskurs entgegengetreten worden. Insbesondere die Grundannahme, dass zum Zeitpunkt der öffentlichen Plenardebatte die Entscheidungen inhaltlich bereits vollumfänglich gefallen seien und diese anschließend nur noch präsentiert würden, ist in dieser Pauschalität nicht zuzustimmen. Zwar entspricht es der parlamentarischen Wirklichkeit, dass die öffentliche Diskussion im Plenum nur in den seltensten Fällen tatsächlich auf eine argumentative Überzeugung der Abgeordneten untereinander gerichtet ist, sondern die inhaltlichen Entscheidungen regelmäßig bereits auf Ebene der Fraktionen und Fachausschüsse getroffen worden sind, sodass im Plenum allein „zum Fenster hinaus“ mit Blick auf die gesellschaftliche Öffentlichkeit gesprochen wird.390 Auch lässt sich diesem Befund nur bedingt entgegenhalten, dass sich die Plenardebatte in Einzelfällen – als Reminiszenz des klassischen liberalen Vorstellungsbilds – zur authentischen Diskussionsplattform entwickelt, sofern die Fraktionsdisziplin (z. B. in Folge der besonderen moralischen Aufladung eines Beratungsgegenstandes) im Vorfeld der Debatte aufgehoben wird391 und die Abgeordneten in der Folge frei von parteipolitischen Erwägungen ihren Überzeugungen folgen können. Hierbei handelt es sich um Ausnahmefälle, welche keine Basis für eine allgemeine Funktionsbestimmung der Öffentlichkeit bilden können. Allerdings vernachlässigt die Reduzierung der Öffentlichkeit auf eine reine Ergebnispräsentation die von den Kommunikationsgrundrechten bezweckte, auch unter den Auspizien der modernen Massendemokratie tatsächlich mögliche Rückwirkung der gesellschaftlichen Willensbildung in die staatliche Sphäre. Im Querschnittsbereich von Demokratieprinzip und Repräsentationsverfassung ergibt sich, dass sich die Willensbildung vom Volk hin zu den Staatsorganen und
390 Grundlegend schon BVerfGE 44, 308 (319). Dies lässt sich auch empirisch daran belegen, dass bei der ganz überwiegenden Anzahl der Vorlagen die Beschlussempfehlung der Ausschüsse durch das Plenum – zum Teil sogar ohne weitere Debatte – übernommen wird, sodass die Beschlussempfehlung der Ausschüsse fast immer auch das Endergebnis der Beratungen darstellt. Siehe hierzu etwa Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 165; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, Vorb. zu § 54, Bem. 2.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 136; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 59. 391 Beispiele der letzten Jahre sind etwa die Abstimmungen über die gesetzliche Regelung der Präimplantationsdiagnostik, hierzu FAZ-Online, 07.07.2011, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundestag-billigt-pid-in-grenzenmomente-derstille-12653.html (22.08.2019); ein Verbot kommerzieller Sterbehilfe, siehe hierzu https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/sterbehilfe-529962 (22.08.2019); zur Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare, hierzu Spiegel-Online, 28.06.2017, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ehe-fuer-alle-fraktionszwang-und-ge wissensfrage-kompakt-erklaert-a-1154894.html (22.08.2019) sowie über die Regelung der Organspende, siehe hierzu Süddeutsche Zeitung, 16.01.2020, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/politik/organspende-widerspruch-zustimmung-1.4756510 (14.02.2020).
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nicht umgekehrt vollziehen muss.392 Eine solche Einflussnahme wird zudem durch die Kommunikationsgrundrechte der Meinungs-, Informations-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit normativ verankert.393 Die grundsätzliche Zugänglichkeit des Parlaments für einen gesellschaftlichen Beitrag zeigt sich zudem an den bestehenden formalisierten Kommunikationskanälen wie der Tätigkeit des Petitionsausschusses oder der Veranstaltung von öffentlichen Anhörungssitzungen, welche gerade auf einen solchen Beitrag abzielen. Aber auch abseits dieser Instrumente ist eine tatsächliche kommunikative Einflussnahme der Gesellschaft auf laufende Entscheidungsprozesse nicht nur möglich, sondern zur Sicherung des vom Volk zu den Staatsorganen verlaufenden Willensbildungsprozesses sogar zwingend notwendig. Insoweit kann die Wahlentscheidung auch unter Zugrundelegung von Wahlprogrammen nur eine grobe Richtungsentscheidung vorgeben, jedoch nicht sämtliche im Laufe einer Wahlperiode regelmäßig neu aufkommenden und häufig nicht vorhergesehenen bzw. vorhersehbaren Fragestellungen betreffen. Eine legitimierende Rückanbindung sowie hierauf bezogene Kontroll- und Partizipationsbefugnisse sind insoweit demokratisch geboten.394 Dementsprechend lässt sich auch im Rahmen der parlamentarischen Repräsentationsfunktion eine interessengerechte Koordinierung der verschiedenen Ansichten und Bedürfnisse in der pluralistischen Gesellschaft nur bewerkstelligen, soweit ein sich ständig aktualisierender Zugriff auf das gesellschaftliche Stimmungsbild möglich ist und bei der Entscheidungsfindung auch berücksichtigt wird.395 Die insoweit erforderliche Responsivität des Bundestages gegenüber der öffentlichen Meinung ist zudem empirisch belegbar.396 Insbesondere das Einwirken organisierter Interessen auf laufende Gesetzesvorhaben kann im Einzelfall signifikante Auswirkungen zeitigen.397 Gerade die im Rahmen der Digitalisierung mögliche Vernetzung der Bürger untereinander bietet hierbei für die Zukunft ein gesteigertes Mobilisierungspotential, das die Inhaber der Staatsgewalt 392
So grundlegend BVerfGE 20, 56 (99). Vgl. hierzu noch ausführlich Kap. 3 A. III. 394 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 128, 136. 395 Insbesondere Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (730 f.); ferner auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 297, 305 sowie – unter Verweis auf die aus dem freien Mandat nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG folgende rechtliche Verpflichtung der umfassenden Interessenberücksichtigung – auch Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 131. 396 Siehe hierzu mit Beispielen Brettschneider, ZParl 27 (1996), S. 108 (114 ff.). 397 Ein Beispiel hierfür ist etwa das 2012 geplante Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes. Dieses wurde nach der ersten Lesung und der federführenden Überweisung an den Innenausschuss nach heftiger Kritik sowohl von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden als auch von Gewerkschaften nicht zu Abstimmung gestellt. Siehe hierzu https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/beschaeftigtendatenschutz-gesetzvon-bundesregierung-gestoppt_76_167180.html (22.08.2019). 393
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ggf. nicht schlechthin ignorieren können.398 Eine solche Mobilisierung ist zwar regelmäßig nur dann möglich, wenn parallel oder im Vorfeld zu der Beratung eines Themas im Bundestag dieses Gegenstand einer gesellschaftlichen Debatte ist und somit die förmliche Entscheidung des Parlaments noch aussteht. Selbst dann, wenn eine gesellschaftliche Debatte im Vorfeld ausgeblieben ist und eine Beschlussfassung unmittelbar im Anschluss an eine öffentliche parlamentarische Verhandlung erfolgt, sodass eine direkte Beeinflussung des Beschlusses durch die Öffentlichkeit nicht mehr möglich ist, zeigt etwa das Beispiel des im Juni 2012 vom Bundestag beschlossenen Meldegesetzes, dass auch im nachgeordneten Verfahrensgang eine Einflussnahme der Öffentlichkeit auf die Ergebnis der Gesetzgebung möglich ist.399 Zwar ist fraglich, in welchem Ausmaß dieses kommunikative Potential tatsächlich ausgeschöpft wird. Es dürfte bei der Mehrheit der Entscheidungen des Bundestages wohl vielmehr so sein, dass diese lediglich von der gesellschaftlichen Öffentlichkeit entgegengenommen werden, ohne dass zuvor ein tatsächlicher permanenter Gedankenaustausch oder eine konkrete Einflussnahme auf die Entscheidungsgrundlage erfolgt ist. Hierauf kommt es indes nicht an, solange eine Einflussnahme auf noch laufende Entscheidungsprozesse zumindest möglich ist.400 Allein diese potentielle Möglichkeit einer kommunikativen Einflussnahme des Volkes auf einzelne Gesetzgebungsverfahren ist jedoch vor dem Hintergrund der gebotenen demokratischen Rückanbindung der Staatsgewalt an den Volkswil398 Ein Beispiel aus jüngerer Zeit – wenn auch im konkreten Fall hinsichtlich der Einflussnahme auf das Exekutivhandeln – sind die europaweiten Proteste gegen das ACTA-Abkommen. Dessen Ratifizierung wurde nach anhaltenden Protesten durch das Auswärtige Amt gestoppt. Ferner wurde das Abkommen durch das Europäische Parlament abgelehnt. Den Protesten war eine Mobilisierungskampagne vorausgegangen, die vor allem in den sozialen Netzwerken erfolgte. Sie hierzu Welt-Online, 04.07.2012, abrufbar unter: https://www.welt.de/aktuell/article107809236/Europaeisches-Parlamentkippt-Acta-Vertrag.html (22.08.2019). 399 Am 29. Juni 2012 wurde in den Abendstunden während des EM-Halbfinalspiels der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Italien das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens ohne Aussprache und mit ausschließlich zu Protokoll gegebenen Redebeiträge in nur 57 Sekunden vor der Kulisse von 26 Abgeordneten verabschiedet. Die Art und Weise der Verabschiedung, sowie eine kurz vor der Abstimmung eingefügte Änderung des Entwurfs wonach die Weitergabe von Daten für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels keiner Zustimmung der betroffenen Person mehr bedurfte, führten zu einer breiten Kritik der Öffentlichkeit sowie von Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen. Dies führte dazu, dass vormalige Befürworter aus den Reihen der Koalitionsregierung von dem umstrittenen Gesetzt abrückten und es schließlich zu einem Scheitern im Bundesrat kam. Nach Vorlage an den Vermittlungsausschuss wurde das Gesetz schließlich in abgewandelter Form erneut dem Bundestag vorgelegt, welcher den Empfehlungen des Vermittlungsausschusses zustimmte. Siehe hierzu WDR, 28. Juni 2012 – Neues Meldegesetz im Eiltempo verabschiedet, abrufbar unter: https://www1. wdr.de/stichtag/stichtag-meldegesetz-verabschiedet-100.html (28.07.2019). 400 Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 137; vgl. hierzu auch Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77, Fn. 2; Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 88.
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len von eigenständiger Bedeutung und damit als selbstständige Parlamentsfunktion aufzufassen. Unter dieser Prämisse lässt sich der scheinbare Gegensatz der skizzierten Begründungsdiskurse unter dem Grundgesetz indes auflösen. Es ist gedanklich zwischen potentiellen und tatsächlichen Funktionen der Parlamentsöffentlichkeit zu unterscheiden. Soweit die Funktionen der Kontrolle, Legitimation und Partizipation in ihrer Dimension als Kommunikation über Entscheidungsgrundlagen sowie die Repräsentationsfunktion betroffen sind, stellen sich diese als potentielle Öffentlichkeitsfunktionen dar, die zwar keineswegs zwangsläufig zum Tragen kommen müssen, die aber unter der Prämisse der Parlamentsöffentlichkeit verwirklicht werden können und im Einzelfall auch tatsächlich verwirklicht werden. Hierbei kommt bereits allein der Möglichkeit einer Realisation potentieller Öffentlichkeitsfunktionen ein Eigenwert zu. Die Parlamentsöffentlichkeit kann den tatsächlichen Ablauf eines responsiven Kommunikations- und Rückkopplungsprozesses zwar nicht garantieren oder gar erzwingen,401 sondern allein die hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen.402 Bei den potentiellen Funktionen parlamentarischer Öffentlichkeit handelt es sich hingegen keinesfalls um nur ganz unwahrscheinliche, allein unter außergewöhnlichen Umständen eintretende Wirkmöglichkeiten. Die Abgeordneten werden vielmehr regelmäßig – nicht zuletzt mit Blick auf ihre eigene Wiederwahl – gehalten sein, die im Rahmen der öffentlichen Meinung zum Ausdruck kommenden Interessen und Bedürfnissen des gesellschaftlichen Publikums aufzugreifen und zu berücksichtigen.403 Soweit hingegen die allein auf der Darstellung von parlamentarischen Vorgängen fußenden Funktionsbestimmungen der nachträglichen Kontrolle von getroffenen Entscheidungen, der hierauf beruhenden Legitimation und Partizipation durch die Wahlentscheidung betroffen sind, kann von tatsächlichen Öffentlichkeitsfunktionen gesprochen werden, deren Wirkung sich unabhängig von einer kommunikativen Reaktion des Publikums allein durch dessen Information entfaltet. Hinsichtlich der Funktion der Integration der Bürger in den Staat durch Akzeptanzsteigerung im Wege staatlicher Öffentlichkeitsarbeit ist dieser zwar grundsätzlich bereits durch eine reine Demonstration von Ergebnissen – ins401 Dem stünde auf Seiten der Abgeordneten bereits das freie Mandat nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG entgegen, welches eine Bindung selbst an eine prononciert artikulierte öffentliche Meinung ausschließt. So auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 74 unter Verweis auf Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 34, Rn. 33 f. 402 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 73 f.; vgl. hierzu auch Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 34, Rn. 48 ff.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 41; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 14. 403 So Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 3, Rn. 15 f.; ferner auch Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 34, Rn. 48 ff. sowie Pünder, VVDStRL 72 (2013), S. 191 (201 f.).
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besondere mit Blick auf die Wahlentscheidung – Rechnung getragen.404 Die Integrationswirkung wird jedoch im Rahmen des kommunikativen Repräsentationsvorgangs durch die hiervon bedingte Annäherung von Repräsentanten und Repräsentierten noch verstärkt,405 sodass die Integrationsfunktion zugleich eine tatsächliche und potentielle Öffentlichkeitsfunktion ist. In die Kategorie tatsächlicher, allein von der Ergebnisdarstellung getragener Öffentlichkeitsfunktionen fällt nach ihrer Grundkonzeption auch die skizzierte Doppelkodierung parlamentarischer Entscheidungen in den Sprachspielen des bargaining und arguing. Dieser Ansatz kann jedoch ohne Weiteres um die Möglichkeit potentieller kommunikativer Beeinflussung im Stadium der Plenaröffentlichkeit erweitert werden. Dabei intensiviert sich der öffentlichkeitsbedingte zivilisierende Effekt der Beschränkung von in der Plenardebatte vertretbaren Positionen, wenn diese nicht nur durch im Wege der Antizipation vorhergesehene (nachträgliche) Reaktionen, sondern – zumal in zeitlich gestreckten Verfahren – zusätzlich aufgrund der bisherigen tatsächlichen kommunikativen Beeinflussung des Publikums restringiert werden. So kann etwa die im Vorfeld erwartete Reaktion der gesellschaftlichen Öffentlichkeit durch die Parlamentarier falsch eingeschätzt werden, sodass sich die Notwendigkeit ergeben kann, auf eine (unerwartete) gesellschaftliche Kritik in Reaktion auf die öffentliche Beratung einer Vorlage in einem frühen Verfahrensstadium im weiteren Verlauf – sprachlich wie inhaltlich – einzugehen.
V. Aktuelle Entwicklung der Parlamentsöffentlichkeit Nachdem mit der Unterscheidung in potentielle und tatsächliche Öffentlichkeitsfunktionen der Widerspruch zwischen den von verschiedenen Grundprämissen ausgehenden Öffentlichkeitsbegründungen überwindbar ist, wäre es prima facie denkbar, es für eine Funktionsbestimmung des Grundsatzes der Parlamentsöffentlichkeit hiermit bewenden zu lassen und die vorstehend skizzierten Funktionen schlechthin in ihrer Gesamtheit für anwendbar zu erklären. Ein solches Vorgehen ließe jedoch den fortschreitenden Strukturwandel der Öffentlichkeit (1.) sowie die in Reaktion hierauf stattfindenden Veränderungen parlamentarischer Verfahrensabläufe (2.) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts außer Betracht. Diese Entwicklungen sind hingegen bedeutend für eine realitätsgerechte Einschätzung des tatsächlichen Funktionsgehalts der Parlamentsöffentlichkeit und daher bei der sich anschließenden Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorschriften mitzuberücksichtigen. 404 Zur Funktion der Öffentlichkeit als Mittel staatlicher Selbstdarstellung zur (Wieder)Gewinnung von Akzeptanz unter den Staatsbürgern siehe auch Hill, JZ 1988, S. 377 ff.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 17. 405 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 536.
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
1. Fortschreitender Strukturwandel der Öffentlichkeit Der beschriebene Strukturwandel der Öffentlichkeit hat in jüngerer Zeit nicht Halt gemacht.406 Vielmehr schreitet die Ausdifferenzierung und Verkomplizierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und Interessen (a)) sowie der Wandel der Wirkbedingungen gesellschaftlicher Öffentlichkeit durch die televisuelle Prägung und die Digitalisierung der Öffentlichkeit (b)) rasant fort. Gerade die im Zuge der Digitalisierung entstandene „Netzöffentlichkeit“ ist infolge ihrer Tendenz zur Bildung abgeschlossener Teilöffentlichkeiten (c)) mit der Habermas’schen Öffentlichkeitskonzeption eines offen und unabgeschlossen Kommunikationsnetzwerkes407 kaum mehr vergleichbar.408 Mit diesen Entwicklungen geht insgesamt ein Bedeutungsverlust der Parlamentsöffentlichkeit einher (d)). a) Gesellschaftliche, rechtliche und technische Ausdifferenzierung sowie deren Folgen für die parlamentarische Arbeitslast Die moderne Gesellschaft ist geprägt durch einen weiter fortschreitenden Pluralismus, wobei die Ausdifferenzierung gesellschaftliche Teilsysteme und Funktionslogiken, die Lebenswelt der Bürger sowie deren Überzeugungen und Wertvorstellungen betrifft.409 Für das Parlament ergibt sich in seiner Funktion als Gesetzgeber zunächst die Schwierigkeit, ausreichendes Wissen über die zu regelnden Sachverhalte zu erwerben. Zugleich werden generalistische Regelungsentwürfe durch die Diversifizierung der Gesellschaft und der darin vorhandenen Interessen zwangsläufig unzureichend, da diese den Unterschiedlichkeiten weder technisch-fachlich noch normativ Rechnung tragen können.410 In der Folge ergeben sich sowohl in der Breite als auch in der Tiefe gesteigerte Anforderungen an die parlamentarische Tätigkeit, welche in einer zunehmenden Arbeitslast des Parlaments resultieren.411 Die Ausweitung parlamentarischer Aufgabenbereiche und die damit einhergehende Schaffung neuer Strukturen lässt sich z. B. anschaulich anhand der Europapolitik belegen. So ist etwa die permanenten Interaktion des Bundestages mit den Institutionen der Europäischen Union im Rahmen der Subsidiaritätskontrolle notwendig geworden, die insbesondere eine frühzeitige informatorische Einbindung 406
Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 65 ff. Siehe hierzu Habermas, Strukturwandel, 13. Aufl. 1982, S. 122 ff. 408 Vgl. Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 81. 409 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 58, der die gesellschaftliche Pluralität der anhand des überbordenden Angebots an spezialisierter Presseerzeugnissen sowie wissenschaftlicher Literatur illustriert. 410 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 59, 84. 411 Vgl. hierzu insbesondere Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 57 ff., 84 ff., 107 ff. Zum erheblichen Zeitaufwand parlamentarischer Entscheidungsprozesse siehe ferner ders., in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 3, Rn. 67 f. 407
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in die Entscheidungsvorbereitung auf Unionsebene voraussetzt.412 Ferner kommen dem Parlament im Zuge der Europäisierung der Gesetzgebung neue Mitwirkungsbefugnisse zu.413 Während vormals die praktische Ausübung der Außenpolitik alleinige Domäne der Exekutive war, erwächst dem Bundestag hinsichtlich europäischer Entscheidungen ein neues Aufgabenfeld, dass sich nicht in der nachträglichen Umsetzung von Ergebnisse erschöpft, sondern nach den Vorgaben des Art. 23 GG eine aktive Einwirkung auf die Verhandlungsführung auf europäischer Ebene beinhaltet.414 Die sich hieraus ergebende Informationsauswertung und Positionierung bedeuten für den Bundestag ein zusätzliches Arbeitsaufkommen. Die Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen auf die Europäische Union hat damit im Ergebnis zu einer weiteren Belastung des Parlaments geführt.415 Neben der Hinzugewinnung neuer Entscheidungsbefugnisse haben sich vor allem die Anforderungen hinsichtlich der Tiefe der Durchdringung relevanter Themenfelder erhöht. In einer hochgradig ausdifferenzierten und komplexen Gesellschaft werden zwangsläufig auch die regulativen Entscheidungen des Parlaments vielschichtiger und komplexer. Für das Parlament ergibt sich zunächst die Schwierigkeit, die notwendige Expertise zu generieren, um den Regulierungsprozess mitgestalten zu können. Dies setzt genaue Kenntnisse über das Sachmaterie voraus, die durch Aktivierung von Expertenwissen erworben und anschließend unter politischen Gesichtspunkten verarbeitet werden müssen.416 Um der Vielzahl von Interessengruppen gerecht zu werden, ist bei der Gewichtung umfassend abzuwägen und ggf. eine Fülle von Spezialregelungen zu installieren.417 Zudem wird der Rechtsetzungsprozess selbst durch die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Interessenvertreter facettenreicher. Interessenverbände und Gewerkschaften als Ansprechpartner für die Politik und z. T. als Lieferanten von Expertise werden kleinteiliger, was die Einbindung in einen Dialog mit dem Parlament erschwert.418 412
Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 90. Nach Art. 23 GG ist die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union nur mit Zustimmung des Bundestages zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang betont, dass auch die Ausübung der nunmehr auf die EU übertragenen Kompetenzen eine intensive und wirksame Mitwirkung des Bundestages verlangt. Zu dieser „Integrationsverantwortung“ siehe grundlegend BVerfGE 123, 267 (351 ff.); 126, 286 (307); 129, 124 (172); 132, 195 (239). 414 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 108 f. 415 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 110 ff. 416 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 86. 417 Im Bereich des Zivilrechts gibt es neben den Vorschriften des BGB, Sonderregelungen für Kaufleute, Personen- oder Kapitalgesellschaften, für Arbeitsnehmer, Verbraucher und Unternehmer etc.; vgl. Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 59. 418 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 60 verweist diesbezüglich auf auf Spartengewerkschaften wie die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer sowie das vielförmige Verbändewesen. 413
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Daneben hat auch die tatsächliche technisch-inhaltliche Komplexität der zu regelnden Lebenssachverhalte zugenommen. Zu denken ist z. B. an die kapitalmarktrechtliche Gesetzgebung, die für eine Vielzahl von Wertpapiertypen unterschiedlicher Funktionsweisen sachgerechte Lösungen mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sowie die Interessen der Anleger und Emittenten finden muss. Parallel hierzu nimmt die rechtliche Komplexität der zu regulierenden Sachverhalte stetig weiter zu, was zu der Notwendigkeit führt, im Rahmen der Gesetzgebung eine Fülle von Spezialvorschriften miteinander widerspruchsfrei in Einklang zu bringen.419 Es kommt verschärfend hinzu, dass eingedenk der zunehmenden internationalen Verflechtung die rechtlich zu normierenden Sachverhalte durch die Einbindung in europa- und völkerrechtliche Verpflichtungen zusätzlich an inhaltlicher Komplexität gewinnen.420 Den vielschichtigen Anforderungen an parlamentarische Entscheidungsprozesse steht spiegelbildlich eine gesteigerte Erwartungshaltung der Gesellschaft an die staatliche Leistungsfähigkeit und die Qualität staatlicher Entscheidungen gegenüber. Allzu grobmaschigen Regulierungen komplizierter Verhältnisse stoßen insoweit regelmäßig auf gesellschaftlichen Widerstand.421 Dieser Trend wird zudem durch die Tatsache befördert, dass in der vernetzten Gesellschaft (tatsächliche oder mutmaßliche) Missstände staatlichen Handelns noch sehr viel schneller aufgedeckt und kommuniziert werden können.422 Empirische Untersuchungen untermauern den vorstehenden Befund zunehmender Arbeitsbelastung des Bundestages. So wird etwa die Ausweitung der parlamentarischen Gesetzgebungstätigkeit besonders deutlich im Vergleich zum Reichstag des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Während der Reichstag im Jahre 1910 insgesamt 22 Gesetze verabschiedete, waren es 1930 immerhin schon 99.423 In der 17. Wahlperiode (2009–2013) beschloss der Bundestag dagegen im Schnitt 138 Gesetze pro Jahr.424 Des Weiteren haben sowohl der Grad 419 Man denke etwa an die Fülle der Vorschriften des deutschen Steuerrechts, welches gemeinhin als überkomplex und in der Praxis kaum mehr handhabbar wahrgenommen wird. Siehe zu dieser Kritik exemplarisch die 2006 in der Schriftenreihe des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung erschienenen Empfehlungen des damaligen Präsidenten des Bundesrechnungshofes Dieter Engels zur Verbesserung des Vollzuges der Steuergesetze in Deutschland, Engels, Probleme beim Vollzug der Steuergesetze, 2006, S. 53 ff. 420 Als Beispiel mag die Materie von Fluggastrechten dienen, bei der sich völkerrechtliche (Montrealer Abkommen), europarechtliche (FluggastrechteVO) und nationale (schuldrechtliche) Vorschriften zum Teil überschneiden, ggf. aber auch jeweils exklusive Regelungsbereich aufweisen. Siehe hierzu Tonner, VuR 2011, S. 203 ff. 421 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 85. 422 Ebd. 423 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 253. 424 Im Vergleich des – rein quantitativen – Gesetzgebungsaufkommens der frühen Bundestage mit jenem der jüngeren Vergangenheit ist jedoch nur ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Während in der 1. Wahlperiode 545 Gesetzesentwürfe verabschiedet wur-
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der Vernetzung einzelner Regelungsmaterien untereinander (Regelungsdichte) als auch der Detail- und Differenzierungsgrad (Regelungsintensität) neuerer Gesetze erheblich zugenommen.425 Ersteres lässt sich an der hohen Zahl gesetzesinterner Verweisungen auf andere Normen ablesen, während letzteres jedenfalls holzschnittartig dem zunehmenden Umfang und der zunehmenden Anzahl von Paragraphen pro Gesetz entnommen werden kann.426 Abgerundet wird das Bild der gesteigerten Arbeitsbelastung durch die im Vergleich zur Frühphase der Bundesrepublik deutlich größere Anzahl parlamentarischer Drucksachen427 sowie die leicht angestiegene Gesamtdauer der Plenarsitzungen428 und Anzahl der Ausschusssitzungen.429 b) Veränderte Wirkbedingungen der Parlamentsöffentlichkeit im televisuellen und digitalen Umfeld Ebenso wie die gesellschaftlichen Verhältnisse unterliegen die Darstellungsmedien der Parlamentsöffentlichkeit einem Wandel, welcher sich an der technischen Entwicklung sowie am Konsum- und Kommunikationsverhalten der Gesellschaft orientiert. Von wesentlicher Bedeutung mit Blick auf die Funktionen der Parlamentsöffentlichkeit ist insbesondere die gewandelte Darstellung politischer Sachverhalte (und damit auch der Parlamentsarbeit) in televisuellen und digitalen Medienformaten. Im Rahmen der televisuell dargestellten Parlamentsverhandlung erweitert sich der Verbreitungskreis einer direkten Anschauung parlamentarischer Debatten zuden, waren dies in der 17. Wahlperiode 553. Daten nach Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949–1999, Bd. II, Kapitel 11.5, S. 2388 f.; Feldkamp, ZParl 45 (2014), S. 3 (12). 425 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 253. 426 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 253. 427 Während sich diese in der ersten Wahlperiode noch auf rund 4.700 belief, waren es in der 13. Wahlperiode bereits 11.972 und in der 17. Wahlperiode 14.838. Daten nach Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949–1999, Bd. II, Kapitel 11.5, S. 2388 f.; Feldkamp, ZParl 45 (2014), S. 3 (13). 428 In der 1. Wahlperiode waren dies 1.800 Stunden und 52 Minuten; in der 17. Wahlperiode 2009 Stunden und 54 Minuten. Daten nach Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949–1999, Bd. II, Kapitel 8.3, S. 1638; Feldkamp, ZParl 45 (2014), S. 3 (9). 429 Nach 5.311 Sitzungen von Ausschüssen in der 1. Wahlperiode ist der Wert bis zur 6. Wahlperiode auf 1.500 gefallen, seitdem jedoch sukzessive wieder gestiegen und zuletzt in seit der 12. Wahlperiode auf einen Wert zwischen 2.800 und 3.200 Sitzungen eingependelt. Daten nach siehe Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949–1999, Bd. II, Kapitel 9.2, S. 2035 ff. Die sehr große Zahl der Ausschusssitzungen in der Frühzeit der Bundesrepublik erklärt sich dadurch, dass infolge der Bewältigung der Kriegsfolgen eine Vielzahl von Ausschüssen neben den klassischen Zuständigkeiten auch mit Spezialfragen befasst waren. So existierten in der 1. Wahlperiode über 40 ständige Ausschüsse mit mehr als 190 – teilweise nur vorübergehend eingerichteten – Unterausschüssen. Siehe hierzu ausführlich Zeh, in: Schneider/ Zeh, Parlamentsrecht, § 39, Rn. 7 ff.
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nächst potentiell um ein Vielfaches. Gleichwohl leidet die Außenwirkung des Parlaments in der „Fernsehdemokratie“ unter einer quantitativ wie qualitativ rückläufigen Darstellung. Die televisuelle Parlamentsberichterstattung unterliegt dabei der Herrschaft einer Medienlogik, welche durch die Reduktion von Komplexität, Visualisierung, Skandalisierung, Konfliktorientierung und Personalisierung geprägt ist.430 Da es „immer mehr Ereignisse [gibt], die in dieser komplexen und komplizierten Massengesellschaft stattfinden als Platz für Berichterstattung vorhanden ist“ 431, unterliegt die Informationsvermittlung aus dem Parlament (abseits der offiziellen amtlichen Parlamentsberichterstattung) zwangsläufig einer journalistischen Selektionsauswahl. Innermedial besteht zudem ein – durch das Aufkommen privater Fernsehsender noch verschärfter – Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer.432 In der Folge spielt im Bereich politischer Berichterstattung nunmehr das Kriterium des Nachrichtenwertes eines Ereignisses eine entscheidende Rolle bei der Programmauswahl.433 Pointiert formulierte Heinrich Oberreuter mit Blick auf die Parlamentsberichterstattung: „Während ehedem parlamentarische Öffentlichkeit sensationell war, muss heute im Parlament Sensationelles geschehen, damit es öffentlich wird.“ 434 Hiermit einhergehend wird eine intellektuelle Verflachung der Auseinandersetzung mit politischen Fragestellungen vor dem Hintergrund einer verstärkten Ausrichtung der Berichterstattung auf dramatisierte Ereignisse sowie einer stärkeren Fokussierung auf Personen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Vermittlung politischer Prozesse und Inhalte beklagt.435 Die Entwicklung hin zur „Fernsehdemokratie“ geht daher mit einem Verlust an Tiefe zugunsten des Unterhaltungsaspekts, einer Vereinfachung der politisch regelmäßig komplexeren Prozesse sowie einer Fixierung auf Sachverhalte, die bebildert und dadurch „zeigbar“ gemacht werden können, einher. Dabei werden die Hintergründe und Zusammenhänge sowie der tatsächliche Ablauf des (parlamentarischen) Willensbildungsprozesses vielfach nur unzulänglich dargestellt.436 Hiermit korrespondiert eine Tendenz zur Beschleunigung der Politik,437 in deren Gefolge die Abgabe von 430 Jainsch, Im Schatten der Talkshows?, 2012, S. 26 ff.; vgl. auch Oberreuter, APuZ 38–39/2012, S. 25 (30). 431 Zeitelhack, in: Friedrichsen/Kohn, Digitale Politikvermittlung, S. 169 (173). 432 Moring, Zeitungsverlage zu neuem Wachstum führen, 2017, S. 9. 433 Oberreuter, APuZ 38–39/2012, S. 25 (30). Zum Kriterium des Nachrichtenwertes siehe auch Marschall, in: Oberreuter/Kranenpohl/Sebaldt, Der Deutsche Bundestag im Wandel, S. 168 (177). 434 Oberreuter, in: Oberreuter/Kranenpohl/Sebaldt, Der Deutsche Bundestag im Wandel, S. 303 (317); ders., APuZ 38–39/2012, S. 25 (30). 435 So etwa prononciert Wolfgang Thierse (SPD) in seiner Rede beim „MainzerMedienDisput“ am 4.11.2003, abrufbar unter: www.thierse.de/reden-und-texte/reden/redemainzer-medien-disput (24.05.2017). 436 Oberreuter, APuZ 38–39/2012, S. 25 (30). 437 Siehe hierzu Korte, APuZ 7/2012, S. 20 ff.
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anlassbezogenen – bisweilen vereinfachenden – Statements zu aktuellen Themen anstatt einer längerfristigen Politikgestaltung im Rahmen parlamentarischer Arbeit in den Fokus der Akteure tritt.438 Ausdruck dieser Entwicklung ist ferner, dass sich der Schwerpunkt politischer Kommunikation teilweise weg von der eigentlichen Parlamentsverhandlung hin zu anderen Formaten, wie politischen Talkshows, verlagert, in denen mitunter neue politische Vorschläge erstmals vorgestellt und in ihrer Wirkung auf das Publikum geprüft werden.439 Pierre Bourdieu geht sogar so weit, vom Fernsehen als einer „Ersatzform des Parlaments“ 440 zu sprechen. Diese Entwicklung konterkariert jedoch die Rolle der Parlamentsverhandlung als Brennglas, in dem sich politische Kommunikation fokussiert, pluralistische Interessen und Bedürfnisse zueinander in Bezug gesetzt werden und der Staat somit sichtbar gemacht wird.441 Dabei vermochte die – allgemein rückläufige442 – klassische Parlamentsberichterstattung durch die Printmedien den vorgenannten Bedeutungsverlust nicht aufzufangen, da auch hier die Parlamentsarbeit einen zunehmend geringeren Stellenwert einnimmt.443 Die vorbenannten Entwicklungstendenzen werden im Ergebnis durch das Aufkommen digitaler Kommunikationstechniken z. T. noch vertieft. Zwar lässt sich grundsätzlich festhalten, dass durch das Internet sowohl Aktualität als auch der Verbreitungsgrad von politischen Informationen nochmals wesentlich gesteigert werden.444 Digitale Medien haben sich im Bereich der Informationsbeschaffung als funktionale Alternative zu Print- und anderen traditionellen Massenmedien etabliert.445 Dies gilt umgekehrt auch für die Bedeutung des Internets als Raum politischer Willensbildung.446 438 So betont H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 13: „Kurzfristiger Aktionismus ersetzt langfristige Perspektive, öffentliche (und in gewissem Umfang steuerbare) Erregungszustände eröffnen den staatlichen Machthabern erweiterte Handlungsspielräume.“ 439 Oberreuter, APuZ 38–39/2012, S. 25 (30) resümiert zu dieser Entwicklung: „Die politische Auseinandersetzung findet um Anteile an der Fernsehkommunikation statt und keineswegs nur über die Kontroversen zwischen Politikern, sondern um die oberflächliche Interpretation politischer Realität zwischen Politikern, Medienmachern und Prominenten.“ Vgl. hierzu auch Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 65. 440 Bourdieu, Über den Staat, 2017, S. 616. 441 Vgl. hierzu Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 11. 442 Berg/Kiefer, Massenkommunikation V, 1996, S. 27, 49; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 18. 443 Für die im Verhältnis zum Kaiserreich und der Weimarer Republik rückläufige Parlamentsberichterstattung siehe Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 569. 444 Siehe hierzu Holznagel, NordÖR 2011, S. 205 (207 ff.); ferner auch den siebten Zwischenbericht der Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, BT-Drs. 17/12290, S. 95. 445 Siehe etwa Sarcinelli, Politische Kommunikation in Deutschland, 3. Aufl. 2011, S. 68 ff.
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„Im digitalen Zeitalter findet Meinungsbildung nicht nur durch das Lesen klassischer Nachrichtenportale und anerkannter Nachrichtenmedien statt. Mailinglisten, Chatrooms, Newsgroups, Blogs, Foren und soziale Netzwerke dienen ebenfalls der Meinungsbildung und zur Informationsbeschaffung.“ 447
Der erleichterte Informationszugang kommt der politischen Kommunikation potentiell ebenso zugute, wie die vereinfachte Möglichkeit, selbst direkt, unter Auslassung der klassischen Medien als Zwischenglieder, als Sender von Informationen mit dem Staat – sog. „bottom up-Kommunikation“ – sowie mit anderen Bürgern – sog. „many-to-many-Kommunikation“ – in Kontakt zu treten, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzten und so durch ein koordiniertes gemeinsamen Vorgehen ein enormes Mobilisierungspotential zu schaffen.448 Aus Sicht des Staates ergeben sich aus der Digitalisierung wiederum neue Wege der Öffentlichkeitsarbeit und der Interaktion mit den Bürgern.449 Gleichwohl führen diese Potentiale in der Praxis nicht zwingend zu einer intensivierten Kommunikation zwischen Bürgern und Parlament. Die professionellen Massenmedien spielen auch im Zeitalter des Internets weiterhin die maßgebliche Rolle bei der Herstellung von (politischer) Öffentlichkeit, wobei sie neben den „klassischen“ Vermittlungsformen der Print- und Fernsehmedien nunmehr auch über eigene Internetpräsenzen verfügen. In bedeutsamen politischen Debatten treten sie nach wie vor als Agenda-Setzer auf, sodass ihre journalistischen Angebote auch in der Debatte im Internet am stärksten in Bezug genommen werden.450 Auch die Frage der dauerhaften kommunikativen Mobilisierung der Bürger für einen politischen Austausch im Rahmen digitaler Kommunikationsformate ist vor dem Hintergrund bisherigen Nutzeranalysen mehr als fraglich.451 Im Gefolge der teilweisen Verlagerung des politischen Diskurses in digitale Räume treten jedoch zugleich eine Reihe tiefgreifender Probleme zutage. Zunächst intensiviert sich aus Sicht der potentiell über die Parlamentsdebatte berichtenden Medien durch das Aufkommen neuer Formate der bereits beschriebene Konkurrenzdruck im Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums sowie der hiermit einhergehende Prozess der Trivialisierung politischer Berichterstat446
Vgl. hierzu Holznagel, NordÖR 2011, S. 205 (207). BT-Drs. 17/12290, S. 12. 448 Siehe hierzu insbesondere BT-Drs. 17/12290, S. 92 f.; vgl. ferner H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 14a; Sarcinelli, Politische Kommunikation in Deutschland, 3. Aufl. 2011, S. 3. 449 Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 78. 450 BT-Drs. 17/12290, S. 93. 451 Sarcinelli, Politische Kommunikation in Deutschland, 3. Aufl. 2011, S. 72 resümiert, dass hier zumeist jeweils nur eine kleinere Gruppe von aktiven Partizipanten an einer Diskussion, welche sich zudem in der Mehrheit nicht auf politische, sondern private Inhalte konzentrieren, einer sehr viel größeren Masse rein passiver Rezipienten gegenüberstehen. Vgl. hierzu auch Korte, APuZ 7/2012, S. 21 (25). 447
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tung.452 Ferner treibt die Digitalisierung die Beschleunigung der Politik weiter voran.453 Gerade weil im Internet ein erhebliches Mobilisierungspotential begründet liegt, sieht sich die Politik mitunter zu raschen, jedoch inhaltlich wenig fundierten Reaktionen veranlasst.454 Die Anforderung an Politiker, möglichst schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und sich öffentlichkeitswirksam hierzu zu positionieren,455 bedingt zugleich eine weitere Verlagerung der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit weg von der inhaltlichen Auseinandersetzung im Plenum.456 Bisweilen wird bereits im Vorgriff oder zeitgleich zu der eigentlichen Plenardiskussion eine Paralleldebatte z. B. in den sozialen Medien geführt, wodurch der Fokus der politischen Willensbildung z. T. vom Parlament in digitale Räume rückt.457 c) Entstehung gesellschaftlicher Teilöffentlichkeiten Die infolge der zuvor beschriebenen Digitalisierung entstandene „Netzöffentlichkeit“ ist in ihren Wirkbedingungen mit der klassischen Vorstellung der Öffentlichkeit kaum mehr vergleichbar. Letztere ging noch vom Bestehen eines gemeinsamen kommunikativen Raumes zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre aus, der grundsätzlich offen ausgestaltet ist und es damit jedem Mitglied der Gesellschaft potentiell ermöglicht, an diesem Kommunikationsnetzwerk teilzuhaben.458 Im digitalen Umfeld ergibt sich dagegen – wie beschrieben – die Möglichkeit, dass sich Mitglieder des gesellschaftlichen Publikums nicht mehr nur primär als Empfänger von Informationen an öffentlicher Kommunikation beteiligen, sondern nunmehr selbst unter den Bedingungen der many-to-many Kommunikation als Sender von Informationen in Erscheinung treten und damit ein eigenes Publikum ansprechen können. Die „Gatekeeper“-Funktion der klassischen Medien hinsichtlich der Auswahl und Priorisierung politischer Themen verliert in der Folge an Bedeutung.459
452 Insbesondere Tageszeitungen sind von der Konkurrenzsituation durch das Aufkommen des Internets besonders stark betroffen. Dies ist an einem Rückgang der Abonnementzahlen bei gleichzeitigem Zuwachs des Nutzerkreises von Nachrichten-Websites zu ersehen. Vgl. hierzu Kolo, in: Kimpeler/Mangold/Schweiger, Die digitale Herausforderung, S. 121 ff. 453 Siehe hierzu Korte, APuZ 7/2012, S. 21 ff. 454 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 14a. 455 Die zum Teil erstaunliche Kommentierungsfreude einiger Spitzenpolitiker im Rahmen von Nachrichtendiensten wie Twitter oder sozialen Netzwerken mag insoweit Bände sprechen. 456 Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 66. 457 Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 66; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 22. 458 Jarren/Klinger, in: Gapski/Oberle/Staufer, Medienkompetenz, S. 33 (34). 459 Holznagel, NordÖR 2011, S. 205 (207 f.); Jarren/Klinger, in: Gapski/Oberle/ Staufer, Medienkompetenz, S. 33 (39).
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In Reaktion auf die aus dieser Liberalisierung des Informationsmarktes erwachsende Vielfalt von Informations- und Meinungsangeboten und befördert durch die fortschreitende gesellschaftliche Ausdifferenzierung zeichnet sich im Internet eine Tendenz ab, dass z. B. Suchmaschinen460 oder soziale Netzwerke unter Zuhilfenahme von Algorithmen personalisierte und zielgruppenspezifische Informationsangebote bereitstellen, sodass in der Konsequenz die angezeigten Inhalte den persönlichen Vorlieben der Nutzer angenähert werden („sog. Filterblasen“). Spiegelbildlich hierzu weisen die Nutzer digitaler Informationsangebote selbst bisweilen die Neigung zu einem selektiven, allein an den eigenen Interessen und Überzeugungen ausgerichteten Informationskonsum auf (sog. „Echokammern“).461 Infolge der beiden zuvor genannten Umstände ergibt sich im Internet eine Tendenz zur Entstehung von gesellschaftlichen Teilöffentlichkeiten in Form abgeschlossener Benutzergruppen, die vornehmlich auf eine selbstreferenzielle Bestätigung von vorgefassten Meinungen abzielen und andere Meinungsinhalte aus ihrem Wahrnehmungsbereich ausschließen.462 „Es gibt nicht nur eine, gar eine uniforme, Öffentlichkeit, in der Themen oder Interessen sichtbar sind oder nicht, sondern eine Vielzahl von parallelen, fluiden (veränderlichen) Teilöffentlichkeiten, die Öffentlichkeit konstituieren.“ 463 Nicht unproblematisch ist in diesem Zusammenhang zudem, dass die neu hinzukommenden Informationsangebote – vornehmlich in Gestalt verschiedener Formen der Laien-Kommunikation wie Blogs o.Ä. – die Gefahren mangelnder Einhaltung journalistischer Sorgfaltsmaßstäbe bei der Recherche sowie unzureichender Qualitätskontrolle von politischen Inhalten mit sich bringen.464 Hierbei schwing zudem stets die Möglichkeit einer Meinungsmanipulation mit. Eine solche ist in jüngster Vergangenheit vor allem unter dem Schlagwort „Fake News“ im Rahmen der Brexit-Diskussionen und des US-Präsidentschaftswahlkampfes im Jahr 2016 in den Fokus gerückt.465 Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit fundierter Informationsangebote als Grundlage der politischen Willensbildung
460 So hat etwa Google Ende 2009 seinen Suchalgorithmus von einer generalisierten auf eine personalisierte Suche umgestellt. Das individualisierte Suchergebnis wird hierbei auf Basis vorheriger Suchanfragen und unter Rückgriff auf sonstige Daten, die über den jeweiligen Nutzer verfügbar sind, hergestellt. Siehe hierzu Meckel, APuZ 7/2012, S. 33 (34). 461 Siehe hierzu Jarren/Klinger, in: Gapski/Oberle/Staufer, Medienkompetenz, S. 33 (34); Meckel, APuZ 7/2012, S. 33 (35). 462 Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 66. 463 Jarren/Klinger, in: Gapski/Oberle/Staufer, Medienkompetenz, S. 33 (34). 464 Holznagel, NordÖR 2011, S. 205 (209); Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 66. 465 Zusammenfassend hierzu Drexl, Max Planck Institute for Innovation & Competition, Research Paper No. 16–16, S. 3 ff.
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können solche strukturellen Defizite digitaler Kommunikation einen sachgerechten Dialog erheblich behindern.466 Im Ergebnis speist sich daher die politische Diskussion im Internet mitunter weniger aus der für alle gleichermaßen zugänglichen Primärquelle der Parlamentsverhandlung selbst bzw. aus einigen zentralen und authentischen Sekundärquellen, die über die Parlamentsverhandlung berichten. Stattdessen besteht die Tendenz, dass das gesellschaftliche Publikum auf eine Vielzahl oft selektiv herangezogener und unter Umständen vereinfachend oder einseitig darstellender Sekundär- und Tertiärquellen zurückgreift. Die hiermit einhergehende Zersplitterung der Öffentlichkeit in Teilöffentlichkeiten und die informative Abschottung von Privatmeinungen von einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs vertieft die dargestellten gesellschaftlichen Gegensätze noch zusätzlich. In Ermangelung einer relativ homogenen gemeinsamen Informationsbasis ergibt sich z. T. eine Abweichung in der Wahrnehmung der Realität. Da diese wiederum Grundlage der individuellen Willensbildung ist, wird die Möglichkeit, einen Grundkonsenses in politischen Fragestellungen zu erzielen, durch die skizzierte Entwicklung zunehmend erschwert.467 In Bezug auf die Repräsentationsfunktion des Parlaments, verschiedene Strömungen des Volkswillens aufzugreifen und zu einem Staatswillen zu kanalisieren, ergeben sich somit anspruchsvolle Herausforderungen.468 d) Bedeutungsverlust der Parlamentsöffentlichkeit als Folge des Strukturwandels der Öffentlichkeit Die drei zuvor beschriebenen Ausprägungen des Strukturwandels der Öffentlichkeit führen jeweils für sich genommen sowie in Wechselwirkung mit den anderen Teilaspekten zu einem Bedeutungsverlust der Parlamentsöffentlichkeit. Eingangs wurde auf die Ausdifferenzierung und Verkomplizierung der gesellschaftlichen, rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse und die sich hieraus ergebende zunehmende Arbeitsbelastung des Parlamentes hingewiesen. Diese stellt sich unter den gegebenen strukturellen Voraussetzungen im Bundestag als erhebliche Belastung für die tatsächliche Umsetzung der Parlamentsöffentlichkeit dar. Ausgangspunkt dieses Umstandes ist die Stellung des Bundestages als Mischform zwischen den Idealtypen des Arbeits- und Redeparlament. Die hieraus fol466
Holznagel, NordÖR 2011, S. 205 (209). Vgl. hierzu BT-Drs. 17/12290, S. 24. Des Weiteren führt die digitale Anonymisierung zum Teil zu einer Enthemmung des gesellschaftlichen Diskurses der Bürger untereinander, was dazu beitragen kann bestehende Fronten zu verhärten Fronten und damit Gegensätze zu zementieren. 468 Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 70; besonders eindrücklich auch Han, Digitale Rationalität, 2013, S. 11: „Mit dem Zerfall des öffentlichen Raumes verschwindet das Fundament für jene Demokratie, die auf der Herausbildung eines gemeinsamen Willens im öffentlichen Raum beruht.“ 467
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
gende Doppelfunktion des Parlaments, zugleich vielseitige und komplexe Fragestellungen inhaltlich sachgerecht zu bearbeiten sowie das „Forum der Nation“ zu sein, in welchem vor den Augen des Staatsvolks die Entscheidungen von gesellschaftlicher Relevanz öffentlich debattiert werden, bedingt unter den gegebenen Anforderungen des modernen Parlamentarismus eine Überforderungssituation.469 Der Bundestag ist mithin gezwungen Rationalisierungsmaßnahmen470 seines Verfahrens zu ergreifen, um der Fülle sich ihm stellender Sachverhalte Herr zu werden. Eine umfassende öffentliche Beratung der Vielzahl z. T. hochkomplexer Themen ist vor diesem Hintergrund schon rein faktisch nicht möglich. Hiermit korrespondiert der zweitgenannte Problemaspekt, dass der Plenardebatte seitens der Medien nur eine zunehmend geringere Aufmerksamkeit zuteilwird und sich der Schwerpunkt öffentlicher politischer Kommunikation mitunter in andere Diskussionsformate wie Talkshows oder soziale Netzwerke verlagert. Hierdurch wird die Wahrnehmbarkeit der Parlamentsverhandlung als politisches Forum zwangsläufig entwertet. Zudem nimmt für die parlamentarischen Akteure, die zwangsläufig auch auf die Maximierung der Resonanz ihrer Äußerungen bedacht sind, der Anreiz ab, einen besonderen Fokus auf die Vermittlung von Informationen in der öffentlichen Plenardebatte zu legen. Letztgenannter Aspekt entfaltet sich vor allem vor dem Hintergrund der beschriebenen Arbeitsüberlastung der Parlamentarier. In dieselbe Richtung deutet schließlich auch die drittgenannte Ausprägung des Strukturwandels in Form der zunehmenden Entstehung segregierter Teilöffentlichkeiten. Diese Entwicklung bedingt, dass die gesellschaftliche Öffentlichkeit der Primärquelle der Parlamentsverhandlung sowie der Sekundärquelle hierauf bezogener Berichterstattung der Qualitätsmedien tendenziell weniger Beachtung schenkt und die Bedeutung der Parlamentsöffentlichkeit mithin abnimmt. Dies verstärkt wiederum die beiden vorgenannten Punkte, da sowohl der Anreiz für die Medien, dezidiert über die Parlamentsverhandlungen zu berichten, als auch die Geneigtheit der Abgeordneten, im Rahmen der Plenardebatte öffentlichkeitswirksam das Publikum zu adressieren, bei rückläufigem gesellschaftlichen Interesse an der Parlamentsdebatte eher abnehmen.
469 So schon Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 398 ff., 577 ff. Diesbezüglich ist vielfach kritisiert worden, dass das es Parlament hinsichtlich der verschiedenen Themen, mit dem es sich befasst, nicht gelinge, durch Bildung von Schwerpunkten Themen, die von der Öffentlichkeit als besonders relevant erachtet werden, angemessenen inhaltlichen und zeitlichen Raum in der öffentlichen Plenardebatte zukommen zu lassen. Siehe hierzu auch Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 25, Rn. 25. 470 Siehe hierzu sogleich unter Kap. 2 B. V. 2. b) und c).
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2. Auswirkung in Form eines neuerlichen Strukturwandels des Parlamentarismus Die Binnenstruktur des Parlamentarismus und der hiervon bedingte Stellenwert der öffentlichen Verhandlung in der parlamentarischen Praxis bleiben von diesem Bedeutungsverlust der Parlamentsöffentlichkeit nicht unbeeinflusst. Der gesteigerten Vielfalt und Komplexität parlamentarischer Aufgaben begegnen deutsche Parlamente bereits seit dem 19. Jahrhundert mit zunehmender Verlagerung der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Beschlussvorlagen in parlamentarische Untereinheiten wie Ausschüsse und Fraktionen.471 Eine interne Ausdifferenzierung des Parlaments ist eingedenk der zunehmenden Diversifizierung der Gesellschaft unabdingbar, um dessen Funktionsfähigkeit zu erhalten.472 Dieser Prozess ist unter Geltung des Grundgesetzes in erheblichem Maße vorangeschritten, sodass in Abgrenzung von der Entwicklung zum Ende des 19. Jahrhunderts von einem neuerlichen Strukturwandel des Parlamentarismus gesprochen werden kann. Kernpunkte dieser Entwicklung sind neben einer noch stärkeren Arbeitsteilung und Spezialisierung innerhalb der parlamentarischen Untereinheiten selbst (a)) eine weitergehende Verlagerung (abschließender) Aufgabenwahrnehmung vom Bundestagsplenum auf parlamentarische Ausschüsse (b)) sowie die öffentlichkeitsrelevante Rationalisierung der Plenardebatte (c)). a) Innerparlamentarische Differenzierung, Spezialisierung und deren Folgen Der gesteigerten Vielfalt und Komplexität parlamentarischer Beratungsgegenstände begegnete der Bundestag zunächst mit einer weiteren Binnendifferenzierung und Spezialisierung im Rahmen der Tätigkeit von Ausschüssen und Fraktionen. Die Arbeitsteilung innerhalb der Ausschüsse äußert sich vor allem in der Installation eines Berichterstattersystems (§ 65 GO-BT). Es entspricht dabei seit der 5. Wahlperiode der parlamentarischen Praxis, dass anstatt eines einzelnen Berichterstatters für die gesamte Vorlage, nunmehr mehrere Berichterstatter – bei besonders umfangreichen und bedeutsamen Vorlagen sogar je einer pro Fraktion – ernannt werden.473 Die Berichterstatter betreuen einen Beratungsgegenstand während der gesamten Ausschussphase, indem sie diesen insbesondere in den Fraktionsgremien vorstellen sowie die Fraktionsmeinung anschließend in die Ausschussberatungen tragen.474 Daneben stimmen sie sich mit den Berichterstat471
Siehe hierzu schon Kap. 2 B. III. 1. b). Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 87; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 32. 473 Siehe Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 55; vgl. auch Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 178. 474 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 59; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 55. 472
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
tern anderer Fraktionen hinsichtlich streitiger und ggf. dem Kompromiss zugänglicher Fragen im Rahmen von Berichterstattergesprächen ab.475 Schließlich fungieren sie als Wort- und ggf. als Stimmführer ihrer Fraktionen, bringen in der Praxis regelmäßig die Änderungsanträge für diese vor und verantworten den Ausschussbericht an das Plenum.476 Spiegelbildlich zur Binnendifferenzierung in den Ausschüssen wird nunmehr auch innerhalb der Fraktionen der zunehmenden Vielfalt und Komplexität durch arbeitsteilige Organisation Rechnung getragen, was insbesondere in Form der Einrichtung von mit den Fachausschüssen korrespondierenden Arbeitsgruppen geschieht.477 Diese fassen die Mitglieder einer Fraktion im jeweiligen Ausschuss zusammen478 und erlauben so eine interne Rückkopplung der Ausschussarbeit mit der Willensbildung der Fraktionen.479 Sie stellen zunächst sicher, dass die politisch kontroversen Ausschussthemen480 bereits vor deren Beratung innerhalb der Fraktion vorabgestimmt werden.481 Darüber hinaus nehmen die Arbeitsgruppen eine sachlich-inhaltliche Detailprüfung von Ausschussthemen und -vorlagen vor, wobei sie – wie die Ausschüsse selbst – unter Hinzuziehung von Sachverständigen, Interessenvertretern oder Regierungsbeamten beraten können. Auch interne Meinungsverschiedenheiten der Ausschussmitglieder können infolge der weitreichenden Nichtöffentlichkeit offen strittig behandelt werden.482 In der Folge nehmen die Arbeitsgruppen erheblichen Einfluss auf die Willensbildung ihrer Fraktion, deren Mitglieder sich schon aus Zeitgründen auf das Expertenurteil der Fachpolitiker der Ausschussgruppen verlassen müssen.483 Innerhalb der Arbeitsgruppen findet – zumindest bei größeren Fraktionen – eine wei475 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 60; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 65 GO-BT, Bem. 5; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 55. 476 So Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 68; vgl. auch Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 60 f. 477 H. H. Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 41. Arbeitsgruppen sind parlamentsgeschichtlich erstmals im Bundestag gebildet worden. Siehe hierzu Troßmann, JöR 28 (1979), S. 1 (131); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 224. 478 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 11; vgl. auch Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 89 ff. 479 Vgl. Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 88; Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 10 ff.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 136. 480 Hierbei gibt Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 37 zu bedenken, dass ein erheblicher Teil der Ausschussarbeit unpolitische Fragestellungen betrifft, bei denen eine aufwendige Rückabstimmung mit der Fraktion weniger bedeutsam ist und die Entscheidung den Fachpolitikern überlassen bleiben. 481 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 23 ff. 482 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 34. 483 Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 136, 222; vgl. auch Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (22).
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tere Spezialisierung über ein System von fraktionsinternen „Berichterstattern“ dergestalt statt, dass bestimmte Sachthemen von einzelnen Abgeordneten betreut werden, die sodann regelmäßig zugleich Berichterstatter ihrer Fraktion im Rahmen der Behandlung von Vorlagen im Ausschuss sind.484 Sie übernehmen dabei für die entsprechenden Vorlagen die Berichterstattung in den Arbeitsgruppen und kommunizieren diese gegenüber der Fraktion. Ferner versuchen sie, die Richtungsvorgaben der Fraktionsführung umzusetzen wie auch auf Einzelinteressen in der Fraktion einzugehen.485 „Bevor sich der Ausschuss in einer ersten Beratung [. . .] mit einem Vorhaben befasst, haben die Berichterstatter oft zahlreiche Gespräche mit Kollegen aus anderen Arbeitsgruppen, Mitgliedern der Parteikommissionen, Regierungsvertretern und Beamten der beteiligten Ministerien, Verbandsvertretern, Fachleuten und Betroffenen geführt, sie haben ihren Entwurf oder ihre Stellungnahme in der Arbeitsgruppe und ggf. im (geschäftsführenden) Fraktionsvorstand und anderen Fraktionsgremien begründet, zur Diskussion gestellt und ,absegnen‘ lassen.“ 486
Insgesamt ist die Vorberatung in den Fraktionen auf die Festlegung eines gemeinsamen, idealerweise für alle Fraktionsmitglieder tragbaren Standpunkts für das konkrete Votum in den sich anschließenden Ausschussberatungen gerichtet.487 Mithin ist die fraktionsinterne Willensbildung bereits vor Beginn der Ausschussberatung weitestgehend abgeschlossen, sodass die von den Fraktionen zu einem Thema vertretenen Positionen im Wesentlichen festgelegt sind.488 Es entspricht sodann dem absoluten Regelfall, dass im Wege der Fraktionsdisziplin die gefassten Positionen der Mehrheit im Ausschuss – selbst hinsichtlich wenig signifikanter Details489 – durchgesetzt werden.490 Insofern bleiben die Abgeordne-
484 Hierzu H. H. Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 41; Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 90; Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 12. 485 H. H. Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 41. Insofern gibt Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 223 zu bedenken, dass die Fraktionen zwar von ihrer politischen Grundausrichtung relativ einig sind, jedoch in Einzelfragen ein erheblicher Abstimmungsbedarf bestehen kann. 486 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 178. 487 H. H. Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 42; Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 27 f., 35. 488 Siehe hierzu Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 184; Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (24); Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (86); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 209; Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 138. 489 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 242. 490 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 19, 29; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 137, 230; Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 138. Dies gilt zumeist selbst dann, wenn Abgeordnete der Mehrheitsfraktion sich im Rahmen der Ausschussdebatte kritisch hinsichtlich der Regierungsvorlage geäußert haben. Es muss insoweit zwischen dem Diskussions- und dem Abstimmungsverhalten differenziert werden. Vgl. Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 185.
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ten auch im Ausschuss in erster Linie gebundene Vertreter ihrer Fraktion.491 Dies gilt im Übrigen unabhängig von der Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen, die insofern eine größere Freiheit hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens nicht begründet.492 Im Rahmen der Ausschusssitzung ist dabei das Bedürfnis nach einer effektiven Durchsetzung der Fraktionsposition tendenziell von noch größerer Bedeutung, da infolge der kleineren Gesamtanzahl der Ausschussmitglieder die Mehrheiten nach Köpfen regelmäßig knapper ausfallen und damit weniger Raum für individuelle Abweichungen besteht.493 Zudem ergibt sich als Kehrseite der Tatsache, dass sich die Fraktionen auf die Einschätzung ihrer Fachpolitiker bei der Formulierung ihrer Positionen verlassen, naturgemäß die Erwartung der Fraktion, dass die so entwickelten Standpunkte anschließend auch konsequent im Ausschuss umgesetzt werden.494 Aus Sicht der Oppositionsfraktionen ist daher eine signifikante inhaltliche Einflussnahme auf Regierungsvorlagen unwahrscheinlich. Wenn überhaupt, werden zumeist eher marginale, etwa eine Formulierungsänderung betreffende Änderungsvorschläge von der Mehrheit mitgetragen, was allerdings regelmäßig eine vorherige interfraktionelle Einigung der Berichterstatter außerhalb der Ausschussberatungen voraussetzt.495 Sofern im Einzelfall das Bedürfnis nach interfraktioneller Abstimmung der Positionen bestehen sollte, ist auch hier die Ausschussberatung regelmäßig nicht der Ort, an dem diese stattfindet. Die Koordination zwischen den Fraktionen einer Koalitionsregierung vollzieht sich regelmäßig, noch bevor eine konkrete Vorlage ins Parlament eingebracht wird.496 Aber auch soweit eine Einbindung der Opposition bzw. ein fraktionsübergreifender Konsens angestrebt wird, sind die Fraktionen bemüht, die Kompromissbildung bereits im Vorfeld der Ausschusssitzung im informellen Rahmen, etwa in Berichterstattergesprächen oder anderen interfraktionellen Zusammenkünften, vorab zu klären.497 Die Ausschüsse selbst eignen sich dagegen infolge ihrer zwar eingeschränkten, aber durch die Möglich491 So schon Dechamps, Macht und Arbeit der Ausschüsse, 1954, S. 148, ferner auch Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (24); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 209. 492 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 29. 493 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 19. Dies gilt im besonderen Maße für die Regierungsfraktion(en), da gerade für diese ein Abweichen der von Beschlussvorlagen der Regierung die Gefahr birgt, dass dieses als Konflikt im Regierungslager bzw. als Erfolg der Opposition interpretiert wird. Somit werden die Regierungsfraktionen in der Regel geneigt sein, nach außen hin geschlossen aufzutreten und etwaige Konflikte intern, im Rahmen der Fraktionen und Parteigremien zu adressieren, vgl. Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 4. 494 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 19. 495 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 178, 242. 496 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 185. 497 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 178, 242; Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 36.
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keit nachträglicher Berichterstattung doch vorhandenen Öffentlichkeit498 für eine freimütige Kompromissbildung nicht.499 Die weitgehende Verlagerung des tatsächlichen Willensbildungsprozesses in Fraktionsgremien zwingt indes dazu, die klassische Sichtweise auf die Ausschüsse als Ort der tatsächlichen Entscheidungsfindung zu überdenken. Vielmehr wird hier zumeist die in Fraktionen und informellen Gremien erfolgte Entscheidungsfindung nur nachvollzogen.500 Auch die pauschale Vorstellung, dass hier die Abgeordneten unbefangen argumentieren und über Fraktionsgrenzen hinweg Kompromissbereitschaft zeigen können, dürfte in Ansehung der weitgehenden Gebundenheit der Parlamentarier an die Positionen ihrer Fraktion zumindest im Rahmen der gesetzgeberischen Beschlusstätigkeit als überholt gelten.501 Vielmehr ist der Ausschuss primär der Ort, an welchem die weitestgehend gebundene Fraktionsvertreter ihre Argumentationen im Diskurs mit dem politischen Gegner auf die Probe stellen können.502 Etwas anderes gilt dagegen für die Verhandlungsgegenstände, bei denen sich die Ausschüsse in Ausübung ihres Selbstbefassungsrechts mit der Kontrolle der Verwaltungstätigkeit befassen. Hier verbleibt für die Ausschussmitglieder ein weiterer Spielraum für eine freimütige Beratung.503 b) Aufgabenverlagerung auf parlamentarische Ausschüsse Nach dem klassischen Verständnis, wie es in § 62 Abs. 1 S. 1 und 2 GO-BT zum Ausdruck kommt, nehmen die Ausschüsse im Bundestag die Rolle vorbereitender Beschlussorgane ein. Hierbei werden ihnen vom Plenum Vorlagen beispielsweise in Form von Gesetzesentwürfen oder sonstigen Anträgen zur Beratung überwiesen. Sie formulieren sodann diesbezüglich Beschlussempfehlungen für die weitere Behandlung im Plenum, welche sich auf die überwiesene Vorlage und hiermit im unmittelbaren Sachzusammenhang stehende Fragen beziehen können. Der Ausschuss ist mithin der Ort, an dem in Zusammenarbeit der Fraktionen mit den Regierungsressorts die Detailarbeit hinsichtlich Beschlussvorlagen geleistet wird.504 In dieser Grundkonstellation wird der Ausschuss daher nur vor498 Ausschussverhandlungen sind zwar gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT grundsätzlich nicht öffentlich. Dies bedingt jedoch nicht, dass ihr Inhalt der Geheimhaltung unterläge. Vgl. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 38; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 332; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 79; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 38. 499 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 41. 500 Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 138. 501 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (86); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 209. 502 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 36. 503 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 184; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 232. 504 Siehe hierzu H.-P. Schneider, in: HdVR, Bd. I, § 13, Rn. 73; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 1.
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bereitend und lediglich nach vorheriger Beauftragung tätig. Die abschließende öffentliche Beratung und förmliche Beschlussfassung bleiben dagegen der parlamentarischen Vollversammlung vorbehalten. Dieser Grundsatz wurde jedoch in dem Bemühen um eine Entlastung des Plenums von der abschließenden Behandlung einer Vielzahl von Einzelthemen in Ansehung der zunehmenden Arbeitslast verschiedentlich aufgeweicht. Zum einen wurden vom Bundestag vereinzelt gesamtparlamentarische Befugnisse zur selbständigen und verbindlichen Entscheidung auf Ausschüsse delegiert.505 So kann etwa der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union unter bestimmten Umständen (vgl. Art. 45 GG, § 93b Abs. 2 GO-BT) für den Bundestag verbindliche Stellungnahmen zu Unionsdokumenten gegenüber der Bundesregierung abgeben.506 Ebenso kann der Haushaltsausschuss selbstständige Entscheidungen über die Aufhebung sog. Sperrvermerke hinsichtlich einzelner Haushaltstitel im Rahmen des Vollzugs des Haushaltsgesetzes treffen.507 Jüngst ist zudem im Kontext der Bewältigung der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise eine delegierte Entscheidungsbefugnis des Haushaltsausschusses hinsichtlich parlamentarischer Mitwirkungsrechte für Maßnahmen unter den Euro-Rettungsschirmen ESM und EFSF hinzugekommen.508 Neben der teilweisen Entscheidungsdelegation wurde die rechtliche Verselbstständigung der Ausschüsse auch durch die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Information über und Beratung von Gegenständen im Rahmen des sog. „Selbstbefassungsrechts“ vorangetrieben. Dieses wurde im Zuge der „kleinen Parlamentsreform“ von 1969 in § 62 Abs. 1 S. 3 GO-BT verankert.509 Hiernach können sich Ausschüsse mit Themen aus ihrem Geschäftsbereich unabhängig von einer vorherigen Überweisung durch das Plenum befassen, wovon in der Praxis insgesamt in erheblichem Umfang Gebrauch gemacht wird. Dabei existieren allerdings zwischen den einzelnen Ausschüssen beträchtliche Unterschiede in Abhängigkeit von dem jeweils für die eigenverantwortliche The-
505 Siehe hierzu Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22 ff.; ferner auch Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 9 ff. 506 Baddenhausen, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 7 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, § 45, Rn. 6; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22. 507 Entgegen dem Wortlaut von §§ 22 S. 3, 36 S. 2 BHO liegt die Entscheidung de facto beim Ausschuss. Siehe Eickenboom, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 44, Rn. 37; Hasenjäger, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 25, Rn. 28; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22. 508 Vgl. § 4 StabMechG bzw. § 5 ESMFinG. Siehe hierzu auch Hasenjäger, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 25, Rn. 34 ff., 64 ff. 509 Siehe hierzu Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 38 ff. sowie Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 26 ff.
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mensuche zur Verfügung stehenden Zeitbudget.510 Die inhaltliche Reichweite des Selbstbefassungsrechts wird durch den Zuständigkeitsbereich des Ausschusses bestimmt, sodass im Wesentlichen Angelegenheiten des korrespondierenden Regierungsressorts aufgegriffen werden können, was im Ergebnis eine kontinuierliche Kontrolle ermöglicht.511 Dabei dürfen Ausschüsse im Rahmen des Selbstbefassungsrechts jedoch keine Sachbeschlüsse – etwa in Form einer verbindlichen Stellungnahme zu einem Thema – fassen, wobei in der Praxis diese Restriktion gelegentlich missachtet wird. Des Weiteren dürfen Ausschüsse in dieser Verfahrenskonstellation dem Plenum weder unaufgefordert Beschlussempfehlungen unterbreiten noch sonstige Maßnahmen treffen, die den Eindruck einer im Namen des Bundestages gegenüber der Bundesregierung oder der Öffentlichkeit verbindlich abgegebenen Stellungnahme erwecken.512 Gleichwohl kann der Ausschuss eine nicht unerhebliche Außenwirkung durch Dokumentation seiner Meinungsbildung und der im Ausschuss vertretenen Positionen im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit erzielen.513 Im Einzelfall kann infolgedessen sogar eine Sondersitzung des Plenums, die sich mit dem betreffenden Thema gesondert befasst, überflüssig sein.514 Auch insoweit werden Ausschüsse mithin nicht lediglich als vorbereitendes Organ, sondern eigenverantwortlich und ausschließlich tätig. Im Ergebnis muss jedenfalls in Bezug auf die vorgenannten Sonderkonstellationen die Prämisse, dass Ausschüsse rein vorbereitende Beschlussorgane seien und allenfalls faktisch die spätere Entscheidung des Plenums vorwegnähmen, korrigiert werden. Mit dieser Annahme entfällt zugleich die Gewährleistung einer abschließenden öffentlichkeitswirksamen Behandlung der jeweiligen Angelegenheit durch das Gesamtparlament. c) Rationalisierung der Plenardebatte Neben der verlagernden Delegation von Entscheidungsbefugnissen zeigt sich bereits seit einiger Zeit eine Rationalisierungstendenz bezüglich öffentlicher Be510 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 26 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Schwerpunkt gesetzgeberisch tätige Ausschüsse wie Innen- oder Sozialausschuss deutlich weniger von diesem Instrument Gebrauch machen, als Ausschüsse, die eher politikbegleitend tätig werden. 511 Siehe Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 27; vgl. auch Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 39. 512 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 28; vgl. auch Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 38; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 100. 513 So Auslegungsentscheidungen 10/3 vom 23.2.1984 zu § 62 GO-BT; 11/7 vom 1.12.1988 zu § 55 GO-BT und 11/11 vom 16.2.1989 zu §§ 59, 75 GO-BT. Siehe hierzu Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 100; Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 28. 514 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 39.
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ratungen im Plenum. Infolge der vor allem in Sitzungswochen auftretenden Zeitknappheit wird mitunter für einzelne Beschlussgegenstände auf eine mündliche Debatte im Vorfeld der Schlussabstimmung vollumfänglich verzichtet.515 Dies kann zum einen in Form des Verzichts auf eine mündliche Aussprache im Verlauf der Beratung von Vorlagen geschehen.516 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurden statistisch bereits in der 4. Wahlperiode von 429 verabschiedeten Gesetzen insgesamt 260 – mithin ganze 60 % – ohne jede mündliche Aussprache im Bundestag behandelt.517 Zum anderen besteht die Möglichkeit, hinsichtlich eines Beratungsgegenstandes nach vorheriger Vereinbarung im Ältestenrat gemäß § 78 Abs. 6 GO-BT518 anstelle einer Aussprache sämtliche Redebeiträge schriftlich zu Protokoll zu geben oder dies im Einzelfall noch während der Sitzung – als Abweichung von den üblichen Verfahrensvorschriften nach den Vorgaben des § 126 GO-BT519 – zu beschließen.520 Von dieser Möglichkeit wurde in jüngster Zeit vornehmlich im Rahmen der donnerstäglichen Plenardebatten Gebrauch gemacht,521 sodass der Umfang der zu Protokoll gegebenen Reden bisweilen denjenigen der tatsächlich geführten Debatten im stenografischen Protokoll übertrifft.522 Vor diesem Hintergrund 515 Vgl. hierzu Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 89, 114 sowie bereits grundlegend Hennis, Der Monat, Jg. 18 (1966), Nr. 215, S. 26 (31). 516 Siehe etwa Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 5; Kluth, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hennecke, Art. 42, Rn. 7; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 53. 517 Vgl. Hennis, Der Monat, Jg. 18 (1966), Nr. 215, S. 26 (31). 518 Mit dieser 2009 in die Geschäftsordnung eingeführten Möglichkeit wurde die zuvor auf Abweichungen nach § 126 GO-BT gestützte gängige Praxis rechtlich verankert. Die Normierung in der GO-BT wurde von der Absicht getragen die knappe für Plenarsitzungen zur Verfügung stehende Zeit zu effektuieren indem zu Tagesordnungspunkten, hinsichtlich derer die Aussprache ansonsten entfallen würde, nunmehr die Fraktionen wenigsten schriftlich ihre Positionen gegenüber der Öffentlichkeit vortragen. Zur Entstehungsgeschichte siehe Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (676 f.). 519 Siehe hierzu Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 33, Bem. 1. g). 520 Im Plenarprotokoll erscheinen die entsprechende Reden beim Verfahren nach § 78 Abs. 6 GO-BT (durch kursive Schrift gekennzeichnet) direkt bei dem jeweiligen Tagesordnungspunkt oder – sofern auf spontane Vereinbarung in der Sitzung hin zu Protokoll gegebenen – als Anlage zum Plenarprotokoll. Siehe hierzu Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Fn. 146; van de Loo, NStPr 62 (2014), S. 65 (70 f.) sowie als konkrete Beispiele das BT-PlPr 17. WP/217. Sitzung vom 17.1.2013, S. 26909 zu Top 22 (i.V. m. Anlage 13) und Top 23. 521 Vgl. Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Fn. 146. 522 Siehe hierzu Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (677 f.); van de Loo, NStPr 62 (2014), S. 65 (71 ff.) sowie Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Fn. 147, der von einem Anstieg der zu Protokoll gegebenen Reden in der 17. Wahlperiode von 30 bis 40 auf bis zu 300 in der Plenarsitzung am 27.06.2013 (BTPlPr 17. WP/250. Sitzung vom 27.6.2013) hinweist.
B. Geistesgeschichtliche Begründung und Funktionsbestimmung
121
überrascht nicht, dass der Anteil der ohne jede mündliche Beratung beschlossenen Gesetze auch in jüngerer Zeit konstant hoch ist. So wurden in der 16. Wahlperiode 324 von 616 Gesetzen (53,7 %) und in der 17. Wahlperiode 320 von 553 Gesetzen (57,3 %) ohne jedwede Redetätigkeit verabschiedet.523 Insoweit entwickeln sich Ausschüsse partiell zu Gremien, in denen die letztmalige diskursive – wenn auch nicht öffentliche – Erörterung der betreffenden Beschlussvorlage zwischen den Fraktionen stattfindet. Auch hinsichtlich der Verhandlungsgegenstände, bei denen in der vorbezeichneten Weise verfahren wurde, unterbleibt im Ergebnis eine öffentlichkeitswirksame Erörterung durch das Plenum.
VI. Problembefund und wissenschaftlicher Lösungsansatz Nach dem Vorgesagten wird die Bedeutung der Öffentlichkeit im derzeitigen Parlamentarismus von zwei Seiten entwertet: Zum einen findet die öffentliche Parlamentsverhandlung im politischen Diskurs immer weniger mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit, da sich der Fokus politischer Diskussion immer mehr hin zu anderen Kommunikationsformaten wie politischen Talkshows oder sozialen Netzwerken verlagert und die gesellschaftliche Öffentlichkeit im Zeitalter der Digitalisierung immer mehr in Teilöffentlichkeiten zersplittert, welche die Parlamentsverhandlung und die Berichterstattung über selbige nicht mehr als einen der primären Bezugspunkte politischer Willensbildung begreifen. Zum anderen macht das Parlament selbst immer weniger von der öffentlichen Darstellung seiner politischen Prozesse Gebrauch, indem es z. T. Entscheidungsprozesse vollständig in nichtöffentliche Gremien verlagert oder auf eine öffentliche Debatte im Plenum verzichtet. In demselben Maße wie die Parlamentsöffentlichkeit praktisch entwertet wird, gehen jedoch zugleich die ihr zugeschriebenen staatsphilosophischen Funktionsbestimmungen ins Leere.524 Um auf das in Ungleichgewicht geratene institutionelle Verhältnis zwischen dem effizienten Abarbeiten von Sachthemen und der öffentlichkeitswirksamen 523 Die dieser Berechnung zugrundeliegenden Daten wurden dem Verfasser freundlicherweise von Referat für Parlamentsdokumentation des Bundestages zur Verfügung gestellt. 524 Ein weiteres, hiermit einhergehendes Problem, das aus diesem Spannungsfeld erwächst, ist der drohende Akzeptanzverlust des Parlaments, welcher aus der enttäuschten gesellschaftlichen Erwartung einer hohen Plenarpräsenz resultieren kann. Dieser können die Abgeordneten wegen der hohen Arbeitsbelastung durch vielfältige mandatsbezogene Aufgaben und Pflichten im Rahmen arbeitsparlamentarischer Tätigkeit wie z. B. zeitlich kollidierender Ausschusssitzungen bisweilen gar nicht gerecht werden. Hieraus werden dann – zu Unrecht – Rückschlüsse auf vermeintlich mangelndes Interesse und Arbeitsbereitschaft der Abgeordneten gezogen. Vgl. hierzu Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 74; Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 25.
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
Darstellung seiner Arbeit zu reagieren, liegt es nahe, dass der Bundestag in tatsächlicher Hinsicht den Umfang der Parlamentsöffentlichkeit ausweitet. Dies kann jedoch nicht in Gestalt der Rückholung von in Ausschüsse ausgelagerten Beratungen zurück ins Plenum vorgenommen werden, da auf diese Weise eine Überfrachtung der Plenardebatte drohte, welche in letzter Konsequenz nur zu neuerlichen Rationalisierungen zwingen würde.525 Die in der Folge zu erwartenden Maßnahmen, wie etwa eine weitere Verkürzung der Redezeiten bzw. eine noch strengere Formalisierung, würde jedoch die bereits jetzt zuweilen als starr, wenig lebendig und zu langatmig wahrgenommene Plenardebatte526 weiter entwerten. Eine Überfrachtung des Plenums mit technischen Details der Beratungsvorlagen, welche ein erhebliches – regelmäßig nicht vorhandenes – Vorwissen des Publikums voraussetzen, um nachvollzogen zu werden, würde ihr übriges tun, zumal sich viele der betroffenen Gegenstände aufgrund ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit kaum für eine kontradiktorische Aufarbeitung in Rede- und Gegenrede eigenen dürften. Eine solche nur pro forma durchgeführte und eine Fülle von kaum nachvollzielbaren Details gleichsam abarbeitende Plenardebatte würde jedoch das angesprochene Problem mangelnder Aufmerksamkeit der gesellschaftlichen Öffentlichkeit immens verschärfen. Demgegenüber könnte sich ein Ausweg aus der skizzierten Überforderungssituation des Parlaments aus der Überwindung des historisch engen, rein auf die Plenarversammlung bezogenen Verständnisses der Parlamentsöffentlichkeit ergeben. An dieser Stelle ist an den zu dieser Untersuchung Anlass gebenden Reformvorschlag der Oppositionsparteien im Bundestag zu erinnern, welcher eine Erweiterung der Parlamentsöffentlichkeit auf Bundestagsausschüsse in den Raum stellt. Durch diese Vorgehensweise würde sowohl der Entwertung der Parlamentsöffentlichkeit als auch einer drohenden Gefahr der Überfrachtung der Plenardebatte Rechnung getragen. Gleichzeitig würde hierdurch die Balance aber auch nicht einseitig zulasten einer effizienten Sacharbeit verschoben. Sofern man unterstellt, dass die effiziente Sachberatung zwingend eines nichtöffentlichen Raums bedarf, ist zu bedenken, dass – wie gesehen – die tatsächliche inhaltliche Auseinandersetzung mit Beratungsgegenständen mittlerweile vordringlich in den Arbeitskreisen der Fraktionen sowie – im Falle eines interfraktionellen Interessenausgleichs – im Rahmen von informellen Gesprächen stattfindet. Diese Arbeitsschritte werden jedoch von der Öffentlichmachung der sich anschließenden Ausschussberatungen gar nicht tangiert. Eine effektive Willens- und Kompromissbildung bliebe damit jedenfalls weiterhin möglich.527 Im Gefolge der Möglichkeit, 525
So im Ergebnis schon Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (22). Siehe hierzu sowie zu diesbezüglichen Reformüberlegungen, Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 70 ff. 527 Vgl. auch Weiß, Theorie der Parlamentsöffentlichkeit, 2010, S. 138. 526
B. Geistesgeschichtliche Begründung und Funktionsbestimmung
123
Themen bereits in den Ausschüssen öffentlichkeitswirksam zur beraten und damit das Erfordernis der detaillierten Sachbearbeitung mit der Forumsfunktion in Einklang zu bringen, ließe sich das Parlamentsplenum potentiell von der Notwendigkeit, eine Vielzahl von Beratungsgegenständen selbst öffentlich zu machen, entlasten. An dieser Stelle wäre demgemäß eine Engführung mit der Lösung des zweiten Ausgangsproblems, des abnehmenden medialen und gesellschaftlichen Interesses sowie der zunehmenden Zersplitterung gesellschaftlicher Öffentlichkeit, denkbar. Diese Entwicklungen ließen sich durch eine stärkere Orientierung der gesellschaftlichen Diskussion an der parlamentarischen Plenardebatte als gemeinsamer Grundlage des Diskurses bezüglich der großen, die Gesellschaft in weiten Teilen bewegenden Grundsatzhemen, zumindest abmildern. Dies setzt jedoch voraus, dass die Plenardebatte entsprechend interessant für das Publikum gestaltet wird.528 Neben verschiedenen – hier nicht zu vertiefenden – Möglichkeiten, die Attraktivität der Debatte durch eine Ausgestaltung des Verfahrensgangs positiv zu beeinflussen,529 ist insofern vor allem die Auswahl und Schwerpunktsetzung hinsichtlich der im Plenum beratenen Themen maßgeblich. Gerade politisch besonders bedeutsame und kontrovers diskutierte Fragestellungen müssen dabei hinreichenden Raum in der Plenardebatte einnehmen. Insofern ist es erforderlich, dass die Parlamentsöffentlichkeit nicht nur ausgeweitet, sondern in Gestalt der Plenaröffentlichkeit auf die entsprechenden Thematiken zugespitzt wird. Der hierfür erforderliche zeitliche Freiraum kann wiederum durch die konsequente Verlagerung von Detailberatungen in öffentlich tagende Ausschüsse geschaffen werden. Im Ergebnis erwüchse hieraus mithin potentiell eine zusätzliche Funktionsdimension der Parlamentsöffentlichkeit als Integrationsmittel, indem diese nicht allein auf die Annäherung der Bürger an den Staat abzielte, sondern zugleich, durch das Betonen der Plenarverhandlung als gemeinsamer Informations- und Diskussionsgrundlage, eine Integration der Bürger untereinander bewirkte und damit ein Gegenmittel gegen die Entstehung abgeschlossener Teilöffentlichkeiten bereitstellte.530
528
So im Grundsatz bereits Hegel, Politische Schriften, 1970, S. 176 f. Siehe hierzu im Einzelnen etwa Lueg, in: Der Bundestag im Verfassungsgefüge, S. 153 (154); sowie für einen Überblick Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 70 ff. 530 In diese Richtung weist auch die von Dr. Wolfgang Schäuble im Rahmen seiner Ansprache anlässlich seiner Amtsübernahme als Bundestagspräsidenten geäußerte Vorstellung: „Die Zersplitterung in viele Teilöffentlichkeiten führt dazu, dass uns eine erkennbar gemeinsame Sicht auf politische Prioritäten verloren geht. Da kann dieses Parlament ein Ort der Bündelung, der Fokussierung, der Konzentration auf die wichtigen Fragen unserer gesellschaftlichen Zukunft in Deutschland wie in Europa sein“ (BT-PlPr 19. WP/1. Sitzung vom 24.10.2017, S. 14). 529
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Kap. 2: Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung
Inwieweit dieser mit Blick auf die geistesgeschichtlichen Öffentlichkeitsfunktionen denkbare Lösungsansatz einer Ausweitung der Parlamentsöffentlichkeit auf Ausschüsse auch nach verfassungsrechtlichen Maßgaben gangbar bzw. unter Umständen bereits de constitutione lata zu fordern ist, wird im Folgenden eingehend zu untersuchen sein.
Kapitel 3
Verfassungsrechtliches Gebot der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen Im Anschluss an die verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung soll nunmehr die konkrete Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Rahmens für die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen unter dem Grundgesetz erörtert werden. Wegweisend für die Untersuchung wird zunächst primär die Frage sein, ob eine – generelle oder auf spezifische Sonderkonstellationen beschränkte – verfassungsrechtliche Pflicht besteht, dass die Sitzungen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages öffentlich stattfinden. Das Grundgesetz sieht in einzelnen Vorschriften explizit die Öffentlichkeit staatlicher Tätigkeit vor. Für den Funktionsbereich der Legislative schreibt Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG die Öffentlichkeit der Verhandlung des Bundestages vor. Gemäß Art. 52 Abs. 3 S. 3 GG finden zudem die Verhandlungen des Bundesrates öffentlich statt. Weiterhin statuiert Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG die Öffentlichkeit der Beweiserhebung von Untersuchungsausschüssen des Bundestages. Überdies ist das Grundgesetz selbst in öffentlicher Sitzung angenommen worden (Art. 145 Abs. 1 GG). Mit Art. 82 Abs. 1 GG besteht schließlich die partielle Pflicht, staatliches Handeln öffentlich zu machen, indem nach dessen Satz 1 die Pflicht zur Verkündung formeller Gesetze besteht, welche in Satz 2 grundsätzlich auf durch die Exekutive erlassene Rechtsverordnungen erweitert wird.1 Darüber hinaus werden für die Bereiche der Exekutive und Judikative durch das Grundgesetz selbst keine ausdrücklichen Publizitätsanforderungen getroffen.2 Dabei zeigt die Vielgestaltigkeit der zitierten Normen, dass der Öffentlichkeitsgedanke in der Verfassung nur bruchstückhaft, uneinheitlich und damit letztlich punktuell ausformuliert wurde. Bevor also der Frage nach einer Auslegung des im Bereich der Legislative maßgeblichen Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG mit Blick 1 Für das Grundgesetz selbst folgte die Veröffentlichungspflicht aus Art. 145 Abs. 3 GG. Dieser wurde am 23.05.1949 in der Nr. 1 des Bundesgesetzblattes erfolgte. Siehe H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 145, Rn. 6. 2 Einfachgesetzlich bestehen hingegen einige öffentlichkeitsrelevante Vorschriften. So normiert § 169 S. 1 GVG die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen. Im Bereich der Exekutive wird insbesondere in den Kommunalrechten der Länder die Öffentlichkeitspflicht von Gemeinderatssitzungen festgeschrieben, so z. B. in Art. 52 Abs. 2 S. 1 GO-Bay; § 35 Abs. 1 S. 1 GO-BW; § 64 S. 1 NKomVG, § 48 Abs. 2 S. 1 GO-NRW; § 37 Abs. 1 S. 1 Sächs. GO; § 40 Abs. 1 S. 1 ThürKO.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
auf Ausschüsse nachgegangen wird, ist vorgelagert zu untersuchen, ob sich für das Öffentlichkeitsverständnis der Verfassung aussagekräftige, ordnende und Orientierung gebende Verankerungspunkte der öffentlichkeitsbezogenen Vorschriften in den fundamentalen Prinzipien der Verfassung finden lassen; bzw. ob das Grundgesetz in seiner durch Verfassungsprinzipien geprägten „Tiefenstruktur“ 3 sogar von einem allgemeinen, sämtliche staatliche Herrschaftsausübung umfassenden Öffentlichkeitsgrundsatz ausgeht (A.). Hierdurch wird zugleich der teleologische Boden für die sich anschließende Auslegung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (B.) bereitet. Insofern ist die Verwurzelung des Öffentlichkeitspostulats in fundamentalen Verfassungsprinzipien für die Auslegung konkreter verfassungsrechtlicher Öffentlichkeitsgebote wie Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG von entscheidender Bedeutung, um den maßgeblichen Telos der entsprechenden Normen vollständig zu erfassen.4 Schließlich ist im Lichte der in den einführenden Bemerkungen zu dieser Untersuchung geäußerten Tatsache, dass jedenfalls eine generelle Ausschussöffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 GG im juristischen Schrifttum weitgehend abgelehnt wird, die Möglichkeit einer Herleitung von Öffentlichkeitspflichten in Bezug auf parlamentarische Ausschüsse aus einem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz der Verfassung zu eruieren (C.). Um sich insofern auf eine fundierte dogmatische Basis stützen zu können, ist gleichermaßen die Verankerung staatlicher Öffentlichkeit in den fundamentalen Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes vorab zu klären. Dabei ist der Blick vorerst noch nicht auf den Teilbereich der Legislative zu verengen, da die Staatsgewalt als Ganzes von den nachfolgenden Verfassungsgehalten geprägt und gebunden wird.
A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz Hinsichtlich der Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz lohnt zunächst ein Blick auf das von der Verfassung postulierte Menschenbild, wie es insbesondere aus dem Menschenwürdesatz in Art. 1 Abs. 1 GG folgt (I.). Dieser liegt als „oberster Wert des Grundgesetzes“ 5, „Staatsfundamentalnorm“ 6, „obers3 Zu Prinzipien als dem Rechtssystem zugrundeliegende Tiefenstruktur siehe Alexy, Rechtstheorie 18 (1987), S. 405 (410); Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 283. 4 Vgl. hierzu Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 453 ff. sowie mit konkretem Bezug auf die Öffentlichkeit ebenfalls Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 (67). Grundlegend ging bereits BVerfGE 1, 14 (15) von einer Steuerung der Auslegung durch „elementare Verfassungsgrundsätze und Grundentscheidungen des Verfassungsgebers“ aus. 5 BVerfGE 45, 187 (227); 96, 375 (399). 6 Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1950, S. 26; ähnlich auch Höfling, in: Sachs, Art. 1, Rn. 6.
A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz
127
tes Konstitutionsprinzip“ 7 oder „höchstes wertsetzendes Verfassungsprinzip“ 8 allen folgenden Strukturprinzipien zugrunde9 und ist mit diesen zusammen als verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung von Art. 79 Abs. 3 GG im Bestand auch gegenüber dem verfassungsändernden Gesetzgeber geschützt. Sodann kommen als fundamentale Prinzipien des Grundgesetzes mit Bezug zum Publizitätsideal insbesondere die Staatstrukturprinzipien in Art. 20 GG, als grundlegende Leitentscheidungen der Organisation des staatlichen Gemeinwesens, in Frage (II.). Fernerhin ist die grundrechtliche Kommunikationsverfassung als Anknüpfungspunkt staatlicher Öffentlichkeit zu untersuchen (III.). Abschließend ist der Frage nach dem Bestehen eines allgemeinen Verfassungsgrundsatzes der Öffentlichkeit staatlichen Handelns nachzugehen (IV.)
I. Bezug staatlicher Öffentlichkeit zum grundgesetzlichen Menschenbild Die Öffentlichkeit staatlichen Handelns nimmt zwangsläufig den einzelnen Menschen als kleinste Einheit in der Gesellschaft zum Bezugspunkt. Fraglich ist, ob der Fluss von Informationen aus der staatlichen Sphäre bereits Bedingung der Gewährleistung der grundlegenden Bedürfnisse des Menschen in seiner Eigenschaft als politisches Wesen ist. Entscheidend kommt es daher darauf an, inwieweit das verfassungsrechtlich zugrunde gelegte Menschenbild eine solche Informationsvermittlung und damit ein Mindestmaß staatlicher Öffentlichkeit voraussetzt. 1. Personale Wertentscheidung des Grundgesetzes Das Grundgesetz trifft in Art. 1 Abs. 1 GG die konstitutive Wertentscheidung für die Menschenwürde, welche für unantastbar erklärt und deren Achtung und Schutz jeder staatlichen Gewalt zur Pflicht auferlegt wird. Dieser fundamentale Rechtssatz verdeutlicht bereits, der Verfassung gleichsam exponiert vorangestellt, deren personalistische Grundhaltung. Der Mensch und dessen Persönlichkeit werden hier bewusst ins Zentrum gestellt und zum höchsten Rechtswert erhoben, in dem der Staat seinen Sinn und letzten Geltungsgrund findet.10 Auf eine prägnante Formel gebracht formulierte Art. 1 Abs. 1 Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee: 7
K. Stern, Staatsrecht III/1, S. 23. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (122); in Anschluss hieran auch BVerfGE 79, 256 (268); 96, 375 (399). 9 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 192. 10 Vgl. Nipperdey, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, S. 1 (9); Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 1; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 116. Grundlegend aus der Rechtsprechung auch BVerfGE 6, 32 (36); 12, 45 (53); 24, 119 (144); 27, 1 (6); 48, 127 (163). 8
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
„Der Staat ist um des Menschen willen dar, nicht der Mensch um des Staates willen.“
Dem liegt das Verständnis des Menschen als eines geistig-sittlichen Wesens zugrunde, das darauf angelegt ist, sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten.11 Die Missachtung dieser geistigen Selbstverantwortung stellt dagegen einen nicht zu rechtfertigenden12 Verstoß gegen die Menschenwürde dar. Zur dessen Feststellung bedient sich das Bundesverfassungsgericht13 in ständiger Rechtsprechung der von Günter Dürig geprägten14 „Objektformel“, wonach es dem Staat untersagt ist, den Menschen zum bloßen Objekt seines Handelns zu machen.15 Die Subjektivität des Einzelnen wird jedoch nicht schon dadurch berührt, dass er sich staatlicherseits festgesetzten Rechtsvorschriften zu fügen hat und dem staatlichen Gewaltmonopol unterliegt. Ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG setzt vielmehr voraus, dass eine staatliche Behandlung die Achtung ebenjenes Wertes ignoriert, der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt.16 2. Soziale Bindung des Menschen Im Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft geht das grundgesetzliche Menschenbild indes nicht von einem unbeschränkten Individualismus, sondern von einer sozial gebundenen Freiheit geistiger Selbstbestimmung und Entfaltung aus. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus: „Diese Freiheit versteht das Grundgesetz nicht als diejenige eines isolierten und selbstherrlichen, sondern als die eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums [. . .].“ 17 Dies ergebe „sich insbesondere aus einer Gesamtsicht der Art. 1, 2, 12, 14, 15, 19 und 20 GG“.18 Der Einzelne müsse daher Schranken seiner Handlungsfreiheit insofern hinnehmen, als der Gesetzgeber diese „zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die 11
BVerfGE 133, 168 (197); 123, 267 (413); 45, 187 (227). Dies gilt gleichermaßen im Rahmen der Güterabwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht, siehe BVerfGE 75, 369 (380); ebenso Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 83; Höfling, in: Sachs, Art. 1, Rn. 11; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 1, Rn. 4; a. A. für verfassungsimmanente Schranken auch der Menschenwürde Kloepfer, in: FS BVerfG, Bd. II, S. 77 (97 f.). 13 BVerfGE 9, 89 (95); 27, 1 (6); 28, 386 (391); 45, 187 (228); 50, 166 (175); 87, 209 (228); 115, 118 (153) unter Hinweis auf die Schwächen dieser Formel auch BVerfGE 30, 1 (25 f.). 14 Grundlegend Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (127). Im Ansatz wohl zurückgehend auf Wintrich, in: FS Laforet, S. 227 (235 f.). 15 Kritisch hierzu mit Kritik hierzu Höfling, in: Sachs, Art. 1, Rn. 15 ff.; Dreier, in: Dreier, Art. 1 Abs. 1, Rn. 55. 16 BVerfGE 109, 279 (312 f.); so schon grundlegend BVerfGE 30, 1 (25). 17 BVerfGE 45, 187 (227); vgl. auch BVerfGE 33, 303 (334) m.w. N. 18 BVerfGE 4, 7 (16). 12
A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz
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Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt“.19 Folglich beschreitet das Grundgesetz einen Mittelweg zwischen individueller Freiheit und sozialer Bindung, zwischen Individualismus und Kollektivismus, welcher als „Personalismus“ betitelt werden kann.20 3. Synthese und Rückbezug auf staatliche Öffentlichkeit Aus der Kombination des Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit einerseits mit der sozialen Gebundenheit an die Interessen anderer Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft andererseits ergibt sich, dass das von Art. 1 Abs. 1 GG vorausgesetzte Selbstbestimmungsrecht auch ein auf die Gemeinschaft gerichtetes, gleichsam politisches Mitwirkungsrecht im Sinne einer Teilhabe an der – die Belange der staatlichen Gemeinschaft betreffenden – öffentlichen Gewalt beinhaltet.21 Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, dass die Persönlichkeitsentfaltung in politischer Hinsicht umfasse, dass „der Einzelne [. . .] vielmehr in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für die Gesamtheit mitwirken [soll]. Der Staat hat ihm dazu den Weg zu öffnen; das geschieht in erster Linie dadurch, daß der geistige Kampf, die Auseinandersetzung der Ideen frei ist, daß mit anderen Worten geistige Freiheit gewährleistet wird.“ 22
Dabei sieht es den „Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt [. . .] in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) verankert.“ 23 Mithin weist der Menschenwürdegehalt für sich bereits eine beträchtliche Nähe zum Demokratieprinzip auf, da nur im demokratischen Staat die Herrschaftsunterworfenen hinreichenden Einfluss auf den staatlichen Entscheidungsprozess haben.24 Ergo hält das Bundesverfassungsgericht fest: „In der freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der oberste Wert.“ 25 Die so umschriebene Mitwirkungsverantwortlichkeit des in die staatliche Gemeinschaft eingebundenen Menschen setzt zwingend dessen grundsätzliche Informiertheit hinsichtlich staatlicher Vorgänge voraus. Dementsprechend bedarf die menschliche Persönlichkeitsentfaltung eines Kernbestands an Kenntnissen von der Staatssphäre, welcher in erster Linie durch die Öffentlichkeit staatlicher 19
BVerfGE 45, 187 (228); 30, 1 (20). Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 116; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 88; Schmitt Glaeser, Mißbrauch von Grundrechten, 1968, S. 100. 21 So schon Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten, 1968, S. 100; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 88 f.; vgl. auch Hillgruber, in: Epping/ Hillgruber, Art. 1, Rn. 15. 22 BVerfGE 5, 85 (204 f.). 23 BVerfGE 123, 267 (341). 24 Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Art. 1, Rn. 15. 25 BVerfGE 5, 85 (204). 20
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Verfahren sichergestellt werden kann und diese daher nahe legt.26 In der Folge wäre es jedenfalls unzulässig, die Mitverantwortlichkeit des Bürgers durch eine völlige informative Abschottung – nach dem Beispiel absolutistischer Arkanpolitik – de facto auszuschalten.27 Gleichwohl lässt sich aufgrund des generalklauselartigen Charakters des Menschenwürdegebots noch keine konkrete Ausgestaltung der staatlicherseits zu schaffenden Öffentlichkeitsstruktur ableiten.
II. Bezug staatlicher Öffentlichkeit zu den Staatsstrukturprinzipien Einer solchen kann sich vielmehr durch die Verortung in den Staatsstrukturprinzipien angenähert werden, wobei staatliche Öffentlichkeit in Literatur und Rechtsprechung vorrangig als Teilaspekt des Demokratieprinzips angesehen und hierbei insbesondere in Bezug zur Parlamentsverhandlung gesetzt wird.28 „Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben [. . .].“ 29
Daneben werden verschiedene öffentlichkeitsrelevante Aspekte formeller wie materieller Rechtsstaatlichkeit betont.30 Schließlich stellen vereinzelte Stimmen auch auf Anknüpfungspunkte im Sozialstaats- und Republikprinzip ab.31 Die verschiedenen Öffentlichkeitsaspekte in den Staatsstrukturprinzipien überschneiden sich dabei in ihrem Bedeutungsgehalt partiell und greifen mitunter nahtlos ineinander. Gleichwohl ist eine getrennte Darstellung erforderlich, um eine differenzierte Entfaltung des verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu ermöglichen.32 26 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 89; vgl. auch BVerfGE 27, 71 (81) unter Bezugnahme auf Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. 27 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 91. 28 Das Bundesverfassungsgericht spricht in BVerfGE 70, 324 (358); 103, 44 (63) vom „einem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie“. Siehe hierzu auch Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 76 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 21 ff.; Kühling, DVBl 2008, S. 1098 ff. 29 BVerfGE 131, 152 (205). 30 So etwa Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (100); Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (219 f.); Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 61 ff.; Meinel, KJ 2004, S. 413 (417 ff.); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 37 ff.; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 53 ff. 31 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101 f.); Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 83 ff.; Meinel, KJ 2004, S. 413 (417 f.); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 67 ff. 32 So auch Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 53.
A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz
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Im Rahmen der Untersuchung der Staatstrukturprinzipien gilt es zu beachten, dass diese größtenteils sehr vage und unbestimmt gefasste Rechtsnormen darstellen, deren Aktualität zudem einem stetigen Wandel unterliegt.33 Eine Verortung konkreter verfassungsrechtlicher Aussagegehalte muss daher stets die Gefahr einer Überfrachtung der Verfassung und des Abdriftens in die „politische Lyrik“ 34 im Blick haben. Dem ist durch eine dogmatisch saubere, an den anerkannten Auslegungsmethoden orientierte Interpretation des Verfassungstextes zu begegnen.35 1. Öffentlichkeit im Rahmen des Demokratieprinzips Wie bereits im Rahmen der geistesgeschichtlichen Funktionsbestimmung festgestellt,36 wird die Öffentlichkeit verschiedentlich in Bezug zu den Aspekten demokratischer Kontrolle, Legitimation, Teilhabe und Repräsentation gesetzt. Dies gibt Anlass zunächst die Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit in der konkreten verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Demokratieprinzips im Grundgesetz zu beleuchten. a) Allgemeiner Aussagegehalt des Demokratieprinzips Mit der Bezeichnung der Bundesrepublik als „demokratischer“ Staat wird das Verfassungsprinzip der Demokratie in Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG zunächst in adjektivischer Form angesprochen. Diese zentrale Wertentscheidung des Grundgesetzes wird maßgeblich durch den in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Grundsatz der Volkssouveränität37 konkretisiert, welcher apodiktisch besagt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ In der Herrschaftsform der Demokratie werden somit die staatlichen Geschicke durch das Volk selbst bestimmt. Dabei ist das „Volk“ im Sinne dieser Vorschrift nach ganz herrschender Auffassung als das Staatsvolk, also die Gesamtheit der Staatsangehörigen (vgl. Art. 116 Abs. 1 GG), zu verstehen.38 Vom Begriff der „Staatsgewalt“ sind „alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt“,39 mithin jede rechtserhebliche Tätigkeit 33 Böckenförde, in: FS Arndt, S. 53 f.; Leisner, DÖV 1969, S. 405; Robbers, in: BK, Art. 20, Rn. 118. 34 A. Arndt, Landesverrat, 1966, S. 36. 35 In diesem Sinne Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 59; ähnlich auch Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (94). 36 Siehe dazu Kap. 2 B. IV. 2. 37 Siehe hierzu Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 2 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 60; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 27; kritisch zum Begriff der „Souveränität“ Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Art. 20, Rn. 63.1. 38 BVerfGE 83, 37 (50 f.); 83, 60 (76, 81); 107, 59 (87); Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 26 ff.; Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 94; Grawert, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 16, Rn. 1 ff., 20 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 79; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Art. 20, Rn. 66. 39 BVerfGE 47, 253 (273); 77, 1 (40); 83, 60 (73); 93, 37 (66 ff.).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
– unabhängig von Rechts- und Handlungsform – der Träger hoheitlicher Gewalt sowie ihrer Organe und Amtswalter, sowohl in legislativer, exekutiver als auch judikativer Funktion, umfasst.40 Der Grundsatz der Volkssouveränität erfordert dabei allein die Rückführbarkeit der staatlichen Gewalt auf das Volk41 und stellt somit keine monopolartige Zuständigkeitsregel, sondern vielmehr ein „Legitimations- und Verantwortungsprinzip“ 42 dar. Hinsichtlich der Art und Weise des Gebrauchmachens von der Staatsgewalt wird in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG maßgeblich weiter ausgeführt, dass diese vom Volk in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird. Da – von einigen Ausnahmen abgesehen43 – auf Bundesebene kaum plebiszitäre Elemente existieren, erfolgt die unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk in erster Linie im Rahmen von Wahlen. Auf Bundesebene betrifft dies die Wahlen zum deutschen Bundestag nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG. Dabei stellt sich der Wahlakt „als Teilhabe an der Staatsgewalt, als ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im status activus dar.“ 44 Jede weitere Handhabung von Staatsgewalt erfolgt dagegen mittelbar demokratisch durch staatliche Organe, woran sich bereits die grundgesetzliche Entscheidung für eine repräsentative Demokratie ablesen lässt.45 Sofern das Volk die Staatsgewalt durch besagte Organe wahrnimmt, muss es jedoch einen effektiven Einfluss auf deren tatsächliche Ausübung haben.46 Legitimes staatliches Handeln muss mithin – zumindest mittelbar – auf den Volkswillen zurückführbar und diesem gegenüber zu verantworten sein.47 Für die Charakterisierung eines solchen Legitimationszusammenhangs wurden in Literatur und 40 Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 90 f.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 90; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Art. 20, Rn. 62. 41 BVerfGE 47, 253 (275); 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66); 107, 59 (87); Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 87; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 18. 42 So Grawert, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 16, Rn. 30; vgl. auch Badura, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 25, Rn. 27, 34, 35; Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 87; K. Stern, Staatsrecht I, S. 593. 43 Direkte Abstimmungen des Volkes finden sich im Grundgesetz nur in den Regelungen in Art. 29, 118, 118a GG, in Gestalt sog. „Territorialplebiszite“. Siehe hierzu Krause, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 35, Rn. 1 ff. 44 BVerfG, Beschl. v. 25.02.2010 – 2 BvC 6/07 –, juris, Rn. 11; siehe auch BVerfGE 8, 104 (115); 83, 60 (71). 45 Vgl. hierzu Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 21 f.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 63; K. Stern, Staatsrecht I, S. 608. Hinsichtlich des Bundestages wird der Repräsentativcharakter zudem in der Zusammenschau mit Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG deutlich, wonach Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes“ sind. 46 BVerfGE 77, 1 (40); 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66); 107, 59 (87); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 8, 10 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 61. 47 BVerfGE 77, 1 (40); 83, 60 (72); 93, 37 (66); 107, 59 (87).
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Rechtsprechung zwei grundlegende Anknüpfungspunkte herausgearbeitet: die organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche Legitimation. Organisatorisch-personelle Legitimation erfordert, dass die Entscheidungsträger, welche staatliche Gewalt ausüben, im Rahmen ihrer Einsetzung – unmittelbar oder mittelbar – durch das Volk legitimiert wurden.48 Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass „eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern“ 49 besteht. Für das Parlament erfolgt dies direkt über die unmittelbare Volkswahl im Sinne von Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG.50 Dagegen ist die Exekutive mittelbar legitimiert, wobei die Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag erfolgt (Art. 63 Abs. 1 GG) und dieser wiederum die Berufung der Minister vornimmt (Art. 64 Abs. 1 GG), welche ihrerseits die nachgeordneten Beamten auswählen.51 Gleiches gilt für die Judikative, die indirekt durch demokratisch legitimierte Ernennung oder Wahl von Richtern organisatorischpersonell legitimiert wird.52 Die sachlich-inhaltliche Legitimation erfordert hingegen, dass sich die Ausübung der Staatgewalt auch in materieller Hinsicht auf das Volk zurückführen lässt. Das wird zum einen dadurch gewährleistet, dass das Gesetzgebungsrecht dem Bundestag als dem unmittelbar demokratisch legitimierten Repräsentativorgan übertragen wird (Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG) und alle weiteren Staatsorgane an die vom Bundestag erlassenen Gesetze nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden sind.53 Zum anderen verbrieft eine permanente demokratische Verantwortlichkeit und Kontrolle der Art und Weise der Herrschaftsausübung durch das Volk bzw. der von ihm eingesetzten Vertreter die sachlich-inhaltliche Legitimation der Staatsgewalt.54 Morlok spricht in diesem Zusammenhang von einem „Gleichlauf von Legitimation und Kontrollunterworfenheit“ 55. Die Verantwortlichkeit der Abgeordneten selbst wird – mangels inhaltlicher Bindung ihrer Tätigkeit (vgl. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) – in erster Linie unmittelbar durch das Volk in regelmäßig wi-
48 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 16; Grzeszick, in: Maunz/ Dürig, Art. 20 II, Rn. 121; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 30; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 163. 49 BVerfGE 47, 253 (275), siehe auch BVerfGE 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66); 107, 59 (87). 50 Dreier, Jura 1997, S. 249 (256); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 30. 51 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 24; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 30. 52 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 24. 53 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 21; Dreier, Jura 1997, S. 249 (254 ff.); vgl. auch BVerfGE 93, 37 (66 f.). 54 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 21; Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 42. 55 Morlok, in: Dreier, Art. 44, Rn. 8.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
derkehrenden Wahlen hergestellt.56 Im Bereich der Exekutive besteht neben der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG)57 eine Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament, welche sich in Form von verschiedenen Kontrollbefugnissen (vgl. Art. 43 Abs. 1, Art. 44, Art. 67, Art. 68 GG) ausdrückt. Für die den Ministerien nachgeordnete Verwaltung ergibt sich die Kontrollunterworfenheit gegenüber der Regierung wiederum aus deren grundsätzlicher Weisungsgebundenheit (vgl. Art. 65 S. 2, Art. 86 GG, § 35 BeamtStG).58 Die Judikative ist schließlich durch die strikte Gesetzesbindung nach Art. 97 Abs. 1 GG sachlich-inhaltlich legitimiert.59 Beide Formen der Legitimation ergänzen einander und können sich zu einem gewissen Grad gegenseitig substituieren.60 Entscheidend kommt es auf die Effektivität der Legitimation staatlichen Handelns, d.h. auf das Erreichen eines bestimmten Legitimationsniveaus an.61 b) Konkrete Anknüpfungspunkte für Öffentlichkeitsgebote Dies vorausgeschickt, stellt sich nunmehr die Frage nach den konkreten Anknüpfungspunkten für die Öffentlichkeit staatlichen Handelns innerhalb des Demokratieprinzips. Hier ist zunächst die demokratische Wahlentscheidung als zentraler Legitimationsakt und unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk von entscheidender Bedeutung (aa)). Des Weiteren kommt dem gesellschaftlichen Willensbildungsprozess und dessen kommunikativer Rückwirkung auf die staatliche Willensbildung im Rahmen der „öffentlichen Meinung“ 62 eine öffentlichkeitsrelevante Komponente zu (bb)). Schließlich ergibt sich auch mit Blick auf den gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der Legitimität staatlicher Herrschaft ein Bezugspunkt zur staatlichen Öffentlichkeit (cc)).
56 Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 30; vgl. auch Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 21; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 24. 57 Dreier, Jura 1997, S. 249 (256); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 30 f. 58 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 21; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 30 f. 59 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 24; Dreier, Jura 1997, S. 249 (256); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 30 f. Darüber hinaus wird zum Teil der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung eine die Verantwortlichkeit und Kontrolle der Judikative gewährleistende Funktion zugeschrieben. So etwa A. Arndt, NJW 1960, S. 423 ff.; Degenhart, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 115, Rn. 41. 60 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 23; E. Klein, DVBl 1981, S. 661 ff.; Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 281 ff. 61 BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (67); 107, 59 (87). 62 Zum schillernden Begriff der öffentlichen Meinung siehe Kloepfer, in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, § 35, Rn. 1 ff. sowie Roegele, in: Staatslexikon, Bd. IV, 7. Aufl. 1988, Stichwort „Öffentliche Meinung“, Sp. 98.
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aa) Öffentlichkeit als Voraussetzung der Wahl Die Wahrnehmung des Wahlrechts als dem „vornehmste[n] Recht des Bürgers im demokratischen Staat“ 63 stellt sich als unmittelbare Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk dar,64 welcher zur Bildung der in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG genannten Staatsorgane führt, in denen sich im Folgenden der Staatswille manifestiert. Die weitere Ausübung der Staatsgewalt wird durch die Wahl als „Delegationsakt“ somit auf die besonderen Organe übertragen und hierdurch formal legitimiert.65 Nicht ausdrücklich in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG angesprochen, jedoch hiervon vorausgesetzt, ist die Tatsache, dass Wahlen in periodisch wiederkehrenden Zeitabständen stattfinden müssen und damit die demokratische Gestaltungsmacht nur auf Zeit verliehen wird.66 Mithin erfolgt die Delegation nur temporär und steht unter der Bedingung einer retrospektiven Kontrolle durch den Bürger in der folgenden Wahl.67 Dieser Aspekt gewinnt zusätzliche Relevanz aufgrund der Tatsache, dass die Parlamentarier in ihrer Tätigkeit gerade nicht einem imperativen Mandat unterworfen, sondern vielmehr gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sowie nur ihrem Gewissen verpflichtet sind; weshalb die Wahl formal das einzig verbindliche Kontrollmittel darstellt.68 Folglich wird der Bundestag durch die Wahl für die folgende Legislaturperiode legitimiert und zugleich für die zurückliegende Wahlperiode einer resümierenden Kontrolle unterzogen.69 Dabei erfolgt die individuelle Wahlentscheidung hinsichtlich eines bestimmten Kandidaten oder einer Partei aufgrund einer vorherigen Meinungs- und Willensbildung des Bürgers, die bezogen auf die Gesamtheit der Staatsbürger als „politische Willensbildung des Volkes“ 70 bezeichnet werden kann. Die Wahl ist insofern wesentlich vom Merkmal des Vertrauens geprägt, sei es in Form eines Vertrauensbeweises für Geleistetes durch die Wiederwahl oder in Form eines 63
BVerfGE 1, 14 (33). In seinem Kontext handelt das Volk mithin selbst als Staatsorgan Badura, in: BK, Art. 38, Rn. 35; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 67; vgl. auch BVerfGE 20, 56 (98); 8, 104 (113). 65 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 69; K. Stern, Staatsrecht I, S. 615; vgl. auch Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (216); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 54. 66 So BVerfGE 18, 151 (154); 20, 56 (113); 41, 399 (414); 44, 125 (139); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 70; Morlok, in: FS BVerfG, Bd. II, S. 559 (568 f.). 67 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 70; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht,1971, S. 69; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 17. Aufl. 2017, S. 163, 183. Zum Verständnis der Wahl als Kontrollakt siehe auch BVerfGE 5, 85 (199). 68 Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 119; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 134. 69 Siehe hierzu etwa Badura, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 25, Rn. 30 f.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 68, 70; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 70; Linck, DÖV 1973, S. 513 (515 f.); v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 169. 70 BVerfGE 8 104 (113, 115). 64
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Vertrauensvorschusses in Form einer Neuwahl, die zugleich für die konkurrierenden Wahlbewerber einen Vertrauensentzug darstellt.71 Die Begründung und Aufrechterhaltung von Vertrauen setzt jedoch die Möglichkeit der Kontrolle des Umgangs mit der anvertrauten Macht und damit einen Informationsfluss von den politischen Handlungsträgern zum Staatsvolk voraus.72 Nur wer Kenntnis über Positionen, Argumente und Aktivitäten der politischen Handlungsträger, mithin die Einsicht in staatliche Willensbildungsprozesse hat, kann sich hierzu in der Wahl begründet positionieren und damit einen tatsächlichen Einfluss auf die Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG ausüben.73 Die folglich gebotene Informiertheit des Einzelnen über das staatliche Handeln erfordert jedoch eine weitgehende Transparenz und damit auch eine erhebliche Öffentlichkeit staatlicher Verfahren und Entscheidungsprozesse.74 Das Bundesverfassungsgericht bringt dies auf eine griffige Formel: „Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich.“ 75
Gewendet auf den Kontrollaspekt gewährleiste die Öffentlichkeit eine effektive Kontrolle der Repräsentanten durch das Staatsvolk,76 welche wiederum Voraussetzung für den effektiven Einfluss des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt sei.77 Dabei beschränkt sich das Öffentlichkeitsgebot in zeitlicher Hinsicht nicht auf den Wahlakt selbst. Die Wahl erfordert als Legitimationsbegründung wegen der permanenten Vor- bzw. Nachwirkung des Wahlakts vielmehr eine dauerhafte Publizität staatlichen Handelns.78 Qualitativ bedarf sie zudem nicht nur der (nachträglichen) Kenntnis über getroffene Beschlussfassungen, sondern auch der Infor-
71 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 69 f.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 65. 72 Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 5; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 60 ff.; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 20. 73 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (96 f.); Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 65 f.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 31 f.; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 169; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 55. 74 Zum Ganzen siehe H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 9, 27; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 64 ff.; ders., in: Schneider/Zeh, § 36, Rn. 5; Meinel, KJ 2004, S. 413 (419 f.); Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 20; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 169. 75 BVerfGE 40, 296 (327). 76 So BVerfGE 125, 104 (125); 130, 318 (344); 131, 152 (205). 77 BVerfGE 131, 152 (205); vgl. auch BVerfGE 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66). 78 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 66; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 56.
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mation über Entstehungsprozesse sowie Grundlagen und Alternativen der jeweiligen Entscheidungen.79 Neben der Rezeption von Informationen aus der staatlichen Sphäre ist für die Entwicklung einer begründeten Meinung und in der Folge einer rationalen Wahlentscheidung die politische Kommunikation im Rahmen eines gesellschaftlichen Willensbildungsprozesses von entscheidender Bedeutung.80 Als Grundbedingung demokratisch legitimierender politischer Entscheidungen durch den Bürger setzt das Demokratieprinzip die Existenz eines freien und offenen Prozesses der politischen Meinungs- und Willensbildung voraus.81 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der jeder Wahlentscheidung vorgelagerte Meinungsbildungsprozess nicht isoliert, lediglich durch eigene Reflektionen, sondern regelmäßig in freier geistiger Auseinandersetzung mit anderen Meinungen vollzieht, die rezipiert, zu der eigenen Meinung in Bezug gesetzt und ggf. übernommen oder angepasst werden.82 Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus: „Demokratie setzt eine ständige freie Auseinandersetzung zwischen sich begegnenden sozialen Kräften, Interessen und Ideen voraus, in der sich auch politische Ziele klären und wandeln und aus der heraus eine öffentliche Meinung den politischen Willen vorformt.“ 83
Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist daher zwischen dem im Rahmen des freien Meinungsbildungsprozesses entstandenen „Volkswillen“ und dem im Handeln der besonderen staatlichen Organe zum Ausdruck kommenden „Staatswillen“ zu unterscheiden.84 Zu beachten sind dabei jedoch zahlreiche Wechselwirkungen dergestalt, dass zum einen staatliche Entscheidungen und deren Kommunikation den Volkswillen maßgeblich beeinflussen, aber auch umgekehrt die öffentliche Meinung auf die Willensbildung in den Staatsorganen zurückwirkt.85 Entscheidend ist dabei jedoch insgesamt, dass sich die Willensbildung vom Volk hin zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt entfalten soll.86 79 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 56; vgl. auch Hett, Die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlungen, 1987, S. 136. 80 Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 32; vgl. hierzu auch Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 68; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 56. 81 BVerfGE 20, 56 (97); 44, 125 (139); 70, 324 (358); 89, 155 (185); 97, 350 (369). Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 82; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 15; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 25 ff. 82 Vgl. auch BVerfGE 50, 234 (239 f.). 83 BVerfGE 97, 350 (369); so auch BVerfGE 89, 155 (185); 20, 56 (97). 84 BVerfGE 8, 104 (113); 20, 56 (98); grundlegend dazu auch Kloepfer, in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, § 42, Rn. 20 ff. sowie Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III § 38, Rn. 1 ff. 85 BVerfGE 44, 125 (139 f.); 85, 264 (285); Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III § 38, Rn. 36 ff., der insoweit von einem „Rückkopplungsverhältnis“ spricht. Siehe hierzu auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 22 ff.; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 170. 86 BVerfGE 20, 56 (98 f.); 44, 125 (140).
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Dieser „freie und offene Prozeß der politischen Meinungs- und Willensbildung“ bedarf seinerseits der fundierten Meinungsbildung der beteiligten Akteure und setzt daher ebenfalls notwendig deren hinreichende Informiertheit hinsichtlich staatlicher Vorgänge voraus. Dazu gehört, „daß die die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind.“ 87 Nur wenn die Bürger wissen, wie die Staatsgewalt ausübt wird, welche Entscheidungen getroffen wurden und welche Alternativen zur Diskussion standen, können sie eine Meinung hierzu entwickeln und diese in den Volkswillensbildungsprozess einbringen, welcher schließlich in der Wahl gipfelt. Diese Informationsvermittlung vom Staat zu den Bürgern setzt wiederum die Transparenz staatlicher Verfahren voraus, welche in erster Linie durch Öffentlichkeit als unmittelbarster Form der Informationserlangung sichergestellt werden kann.88 bb) Öffentlichkeit als Voraussetzung demokratischer Kommunikation Soweit das Volk die Staatsgewalt nicht direkt über die Wahl, sondern indirekt durch seine Repräsentanten ausübt, muss sichergestellt werden, dass die Entscheidungen der staatlicher Organe dem Grunde nach inhaltlich mit dem Mehrheitswillen des Volkes korrelieren, da andernfalls der Gedanke der Repräsentation ins Leere laufen würde.89 Zwar wird durch das periodische Stattfinden von Wahlen und den damit einhergehende Wettbewerb der politischen Parteien und deren Kandidaten sichergestellt, dass sich die programmatische Grundausrichtung der Willensbildung in den Staatsorganen nicht zu weit vom Willen des Volkes entfernt.90 Insoweit beeinflusst die Wahlentscheidung zum einen ex ante die künftige politische Ausrichtung der Staatsorgane und führt zum anderen ex post deren bisherige Politik einer – zugleich antizipierten und damit verhaltenssteuernden91 – Kontrolle zu.92 Die Manifestation der gesellschaftlichen Willensbildung ist jedoch nicht auf den Wahlakt beschränkt, sondern vollzieht sich überdies in einem fortlaufenden Prozess der Kontrolle und Kritik staatlichen Handelns durch die öffentliche Meinung.93 87
BVerfGE 97, 350 (369); vgl. auch BVerfGE 89, 155 (185). Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (216 f.); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 64; Meinel, KJ 2004, S. 413 (420); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 32; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 56 f.; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 172. 89 Vgl. schon Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 1929, S. 30 f. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, 1966, S. 83, 85 verlangt eine Ausübung der Staatsgewalt in größtmöglicher Nähe zum Volk. 90 Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 33; Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 163. 91 Zur Austauschbarkeit nachträglicher Kontrolle und vorgängiger Verhaltenslenkung siehe auch, Emde, Die demokratische Legitimation der Selbstverwaltung, 1991, S. 47 f. 92 Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 33; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 17. Aufl. 2017, S. 163. 88
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Dies ist indes auch notwendig, da der Wahlakt für sich genommen nicht hinreichend ist, um einen effektiven Einfluss des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt durch die Staatsorgane im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG sicherzustellen.94 In der Staatsform der repräsentativen Demokratie sind die Staatsorgane im Rahmen konkreter Entscheidungen nicht an einen zu bestimmenden tatsächlichen Volkswillen gebunden. So ergibt sich für die Bundestagsabgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, dass diese gerade nicht an Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Die rechtliche Freistellung staatlicher Repräsentanten von der Bindung an den unmittelbaren Volkswillen stellt jedoch ein generalisierbares Charakteristikum repräsentativer Demokratie dar, welches gleichermaßen für die andere Staatsorgane gilt, wie sich aus der Zusammenschau mit Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ergibt, wonach die Staatsgewalt „durch“ Organe ausgeübt wird.95 Dieser Aspekt, zusammen mit der Tatsache, dass sich die Staatswillensbildung in einem relativ geschlossenen Parteiensystem vollzieht, bedingt die Gefahr, dass es potentiell auch während einer Wahlperiode zu einer Entfremdung zwischen den Willensäußerungen der Staatsorgane und dem tatsächlichen Willen des Staatsvolks kommt.96 Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, muss ein enger rechtlicher und tatsächlicher Kontakt zwischen Repräsentanten und Repräsentierten bestehen, zumal trotz der Delegation von Staatsgewalt auf besondere Organe, die Souveränität des Volkes entscheidende Grundlage für deren Ausübung bleibt. Daher bedarf es eines Korrektivs, welches die effektive Einflussnahme auf die staatliche Willensbildung auch während der Wahlperiode sicherstellt.97 Dieses liegt in Gestalt der kommunikativen Rückkopplung staatlicher Entscheidungsprozesse an die öffentlichen Meinung, welche als „Stand der politischen Willensbildung des Volkes zu einem bestimmten Zeitpunkt“ 98 verstanden werden kann, vor. Das Bundesverfassungsgericht führ dazu aus: „Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, der Bildung der ,öffentlichen 93 Siehe hierzu grundlegend Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 42, Rn. 11 ff., ferner auch Badura, VVDStRL 29 (1971), S. 95 (97); Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Demokratie), Rn. 83; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 134; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 170. 94 Dreier, Jura 1997, S. 249 (255); Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 289, Linck, DÖV 1973, S. 513 (515); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 79; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 170. 95 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 67 ff. 96 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 73. 97 Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 34; vgl. auch Grimm, in: HdVR, § 14, Rn. 28. 98 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (95).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Meinung‘ [. . .]. Die öffentliche Meinung [. . .] beeinflußt die Entschlüsse der Staatsorgane.“ 99
Dabei werden sich staatliche Akteure hinsichtlich der von ihnen getroffenen Entscheidungen – insbesondere in Antizipation der kommenden Wahl – regelmäßig responsiv an der öffentlichen Meinung orientieren.100 Statt einer formalisierten rechtlichen Bindung hieran wird vielmehr informell und mittelbar auf eine Beeinflussung laufender Prozesse durch das Gewicht und die Überzeugungskraft von geäußerten Meinungen im Sinne einer „dirigierenden Kontrolle“ 101 hingewirkt.102 Im so beschriebenen permanenten Kommunikationszusammenhang zwischen Staatsgewalt und öffentlicher Meinung als Resultat des Volkswillensbildungsprozesses ist ein weiterer Partizipationsstrang zu erblicken, der demokratische Legitimität vermittelt und damit ergänzend neben die Wahl tritt.103 Fernerhin fungiert die öffentliche Meinung als Mittel demokratischer Kontrolle der Ausübung staatlicher Macht,104 wobei es sich hierbei um eine mitlaufende Kontrolle handelt, welche die Staatsorgane anders als die Wahlentscheidung nicht nachträglich zur Verantwortung zieht, sondern auf laufende Entscheidungsprozesse Einfluss nimmt.105 Die Entfaltung eines freien und offenen Meinungs- und Willensbildungsprozesses, aus dem heraus sich die öffentliche Meinung kristallisiert, setzt jedoch, wie eben gesehen, die grundsätzliche Öffentlichkeit des Staatshandelns voraus. cc) Öffentlichkeit als Mittel gesellschaftlicher Integration Ein weiteres öffentlichkeitsrelevantes Merkmal des Demokratieprinzips106 kann im Anschluss an Smend als Element gesellschaftlicher Integration bezeich99
BVerfGE 20, 56 (98 f.); siehe auch BVerfGE 8, 51 (68); 44, 125 (140). So Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 42, Rn. 19, 28; siehe auch Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (96); Grimm, in: HdVR, § 14, Rn. 28; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 150. 101 Vgl. H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 50, Rn. 33. 102 Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (218); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 34. 103 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 65; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 17; Scheuner, DÖV 1965, S. 577 (580); Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 26. 104 Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 18 f.; so auch Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (98); Kempen, Grundgesetz, amtliche Öffentlichkeitsarbeit und Politische Willensbildung, 1975, S. 166. 105 Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 34; vgl. auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 42, Rn. 19. 106 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (98 ff.), a. A. Meinel, KJ 2004, S. 413 (419), der die integrierende Wirkung dagegen im Republikprinzip verortet. 100
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net werden.107 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bedarf die grundgesetzliche Demokratie „eines weitgehenden Einverständnisses der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung“.108 Diese freiwillige Akzeptanz ist in der freiheitlichen Demokratie von besonderer Bedeutung, da – anders als in totalitären Systemen – diese Staatsform auf den Gebrauch solcher Machtbefugnisse verzichtet, die eine dauerhafte und unwidersprochene Billigung der Regierungsform durch die Bürger erzwingen kann. Ernst-Wolfgang Böckenförde spricht insofern davon, dass der freiheitlich, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne.109 Mithin hat der Staat auf den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft hinzuwirken und einen „demokratischen Grundkonsens“ 110 über die fundamentalen Staatsstrukturen zu befördern. „Dieser Grundkonsens wird von dem Bewußtsein der Bürger getragen, daß der vom Grundgesetz verfaßte Staat dem einzelnen im Gegensatz zu totalitär verfaßten Staaten einen weiten Freiheitsraum zur Entfaltung im privaten wie im öffentlichen Bereich offenhält und gewährleistet.“ 111
Im Rahmen des offenen und freien Meinungsprozesses findet ein ständiger kommunikativer Austausch und eine wechselseitige Beeinflussung von Staat und Gesellschaft statt, indem Staatsorgane ihre Entschließungen vor den Bürgern rechtfertigen, während diese ihre Ansichten und Vorstellungen gegenüber der Staatsgewalt im Rahmen von Wahlen und durch die öffentliche Meinung artikulieren können. Über die damit einhergehende Möglichkeit, seine Vorstellungen ins staatliche Gemeinwesen einzubringen, wird ein Grundkonsens der Bürger über die demokratischen Wirkbedingungen der dynamisch angelegten Staatsordnung stetig neu ausgehandelt und artikulationsfähig gemacht.112 Von Seiten des Staates erfordert dies allerdings, dass sich selbiger immer wieder aufs Neue seinen Bürgern gegenüber darstellt und rechtfertigt, mithin Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Einen Grundkonsens kann es hinsichtlich der Staatsordnung nur insoweit geben, als dessen Objekt den Bürgern im hinreichenden Maße bekannt ist.113 Somit weist auch das demokratische Integrationsmoment eine Affinität zur staatlichen Öffentlichkeit auf.
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Zu dessen Integrationslehre siehe bereits Kap. 2 B. IV. 1. BVerfGE 44, 125 (147). 109 Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 60. 110 Sie hierzu Frankenberg, in: Schuppert/Bumke, Bundesverfassungsgericht und gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 41 ff. 111 BVerfGE 44, 125 (147); siehe ferner BVerfGE 63, 230 (243). 112 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (98 f.); Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 15; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 172. 113 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (100); vgl. auch Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 20. 108
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Abgerundet wird das Bild, dass die so umschriebene freiheitliche Staatsordnung in letzter Instanz auf der Anerkennung durch seine Bürger beruht, auch durch den Umstand, dass ihr Schutz – als ultima ratio – über das staatsschutzrechtliche Widerstandsrecht zugleich subjektiv-rechtlich114 abgesichert ist. Im Zuge der Notstandsgesetzgesetzgebung 1968 in Art. 20 Abs. 4 GG eingefügt,115 erlaubt das Widerstandsrecht allen Deutschen gegen jeden, der es unternimmt, die in Art. 20 GG niedergelegte Ordnung116 zu beseitigen, Widerstand zu leisten, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Diese als Notrecht117 konzipierte Bestimmung, zielt demnach darauf ab, die grundgesetzlich vorgeschriebene und vom Bürger allgemein konsentierte staatliche Ordnung zu konservieren.118 Angesichts der historischen Erfahrung der Machtergreifung der NSDAP und der hierauf folgenden Aushöhlung der Staatsordnung der Weimarer Republik ist eingängig, dass ein solches Betreiben von innen heraus erfolgen kann, um ihm den Anschein der Legalität zu vermitteln. Gegen einen solchen Staatsstreich „von oben“ will das Widerstandsrecht einen Schutz vermitteln.119 Dessen Ausübung erfordert jedoch die Kenntnis hinsichtlich der aktuellen staatspolitischen Entwicklungen, um eine Gefährdung der staatlichen Ordnung, bzw. den Versuch diese zu beseitigen und damit das Vorliegen des Widerstandsfalls, adäquat beurteilen zu können.120 Insofern setzt auch das Widerstandsrecht einen Informationszugang des Bürgers zum Staat und folglich dessen hinreichende Öffentlichkeit voraus. c) Zwischenfazit Somit ist staatliche Publizität für die Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess in Gestalt der qualifizierten Wahlentscheidung bzw. der kommunikativen Einflussnahme auf die Staatswillensbildung im Rahmen der öffentlichen Meinung von essentieller Bedeutung. Die Verankerung der Staatsgewalt beim Volk bedingt mithin zwingend eine Öffentlichkeit der wesentlichen politischen Entscheidungsprozesse, um diese für den demokratischen Souverän einsehbar und
114 Art. 20 Abs. 4 GG stellt dabei – wie anhand Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG ersichtlich – ein grundrechtsgleiches Recht dar. 115 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 24.6.1968 (BGBl. I S. 709). 116 Diese umfasst die in Art. 20 Abs. 1–3 GG genannten bzw. in Art. 79 Abs. 3 GG aufgenommenen Prinzipien, vgl. Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 758. 117 So grundlegend Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, 1969, S. 32 ff., 58 ff.; siehe auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 IV, Rn. 23; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 757 ff. 118 Zur Reichweite des Begriffs der staatlichen Ordnung siehe Höfling, in: Merten/ Papier, HGR V, § 121, Rn. 19 f.; Schwarz, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 282, Rn. 17 f.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 347 ff. 119 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 IX, Rn. 12; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 758. 120 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 115.
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damit nachvollziehbar zu machen. In der Folge ist sie Voraussetzung für die demokratische Legitimation der Staatsgewalt und stellt daher einen wesentlichen Bestandteil des Demokratieprinzips selbst dar.121 2. Öffentlichkeit im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips Wie bereits die begriffsgeschichtliche Herleitung gezeigt hat, wurde staatliche Öffentlichkeit insbesondere als politische Forderung des Liberalismus postuliert. Als solche ist sie untrennbar mit dem frühliberalen Rechtsstaatsbegriff verwoben,122 welcher vor allem die Legalität aller Staatstätigkeit vorschrieb, die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit zum Ziel einer vernunftgeleiteten staatlichen Herrschaft erhob und diese wiederum an staatliche Öffentlichkeit als Garant von Wahrheit und Gerechtigkeit knüpfte.123 Im Bereich der Judikative hat das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung zudem explizit als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips gekennzeichnet.124 Es liegt damit nahe, dieses als möglichen weiteren Anknüpfungspunkt verfassungsrechtlicher Öffentlichkeit heranzuziehen. a) Allgemeiner Aussagegehalt des Rechtsstaatsprinzips Das Rechtsstaatsprinzip findet eine ausdrückliche Erwähnung lediglich in Art. 23 Abs. 1 S. 1 sowie Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. Dagegen ist es in Art. 20 GG, im Gegensatz zu den anderen Staatstrukturprinzipien, nicht explizit angesprochen. Gleichwohl werden in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG mit der Gewaltenteilung und der Gesetzesbindung zwei wesentliche Elemente des Rechtsstaatsprinzips benannt.125 Dementsprechend stellt sich die Frage nach der konkreten rechtlichen Verankerung des Rechtsstaatsprinzips.126 Teile der Literatur verorten es in Art. 28 Abs. 1 S. 1 sowie Art. 20 Abs. 1 GG, wobei das Prinzip als ungeschriebener Bestandteil des Art. 20 GG angesehen wird.127 Das Bundesverfassungs121 Ebenso Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 560 f.; Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 34; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 20; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 26; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 53. Vgl. auch BVerfGE 70, 324 (355); 84, 304 (329). 122 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 61. 123 Siehe dazu schon Kap. 2 B. II. 1. 124 BVerfGE 103, 44 ff. (63); vgl. auch BGHSt 43, 195 ff. (205). 125 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 62; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 21. 126 Siehe ausführlich dazu Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 63 ff. m.w. N. 127 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 32 ff.; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 76; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR I, § 26, Rn. 3; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Rechtsstaat), Rn. 38 ff.; a. A. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 227 ff., der auf Art. 20 Abs. 3 GG abstellt.
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gericht128 und mit ihm einige Stimmen in der Literatur129 leiten es aus einer Zusammenschau der Vorschrift über die Bindung der Einzelgewalten in Art. 20 Abs. 3 GG wie auch der Regelungen in Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4 und 28 Abs. 1 S. 1 GG sowie der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes her.130 Unabhängig von der genauen normativen Grundlage ist die Rechtsstaatlichkeit jedenfalls normativ als „Grundentscheidung“,131 „eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes“ 132 bzw. als „fundamentaler Grundsatz“ 133 anerkannt. Es ist dabei nicht bloßer Sammelbegriff für einzelne rechtsstaatliche Gewährleistungen, sondern dient darüber hinaus für die gesamte Verfassungs- und Rechtsordnung als Auslegungsrichtlinie und nimmt ferner im Einzelfall eine Reservefunktion wahr.134 Mangels genauer Vorgaben des Verfassungstextes bedarf der unbestimmte Terminus der Rechtsstaatlichkeit zunächst einer Konkretisierung, bevor eine Untersuchung der Verwurzelung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Rechtsstaatsprinzip nutzbringend vorgenommen werden kann. Das Rechtsstaatprinzip zeichnet sich dadurch aus, dass es außerordentlich vielseitige, z. T. heterogene Einzelgehalte umfasst, was eine Begriffsdefinition erschwert. Exemplarische mag insofern der Definitionsversuch Klaus Sterns herangezogen werden: „Rechtsstaatlichkeit bedeutet, daß die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsgemäßen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung der Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist.“ 135
128 BVerfGE 2, 280 (403); 7, 89 (92 f.; 52, 131 (144 f.). Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner Rechtsprechung allerdings keinesfalls einheitlich. So rekurriert es in BVerfGE 63, 343 (353) auf Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG. In BVerfGE 34, 41 (47); 34, 41 (47); 39, 128 (143) wird allein auf Art. 20 Abs. 3 GG verwiesen. Zum Teil wird sogar vollständig auf eine normative Verortung verzichtet, so etwa in BVerfGE 89, 28 (35). 129 Degenhart, Staatsrecht I, 35. Aufl. 2019, S. 57 f.; Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 10, Rn. 20 ff. 130 Insofern ist zu berücksichtigen, dass das Verfassungsrecht neben der expressis verbis geschrieben Rechtssätzen „auch aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgesetzgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat. Zu diesen Leitideen [. . .] gehört das Rechtsstaatsprinzip“. BVerfGE 2, 380 (403). 131 BVerfGE 3, 225 (237); 6, 32 (41). 132 BVerfGE 20, 323 (331). 133 BVerfGE 22, 387 (426). 134 H. Maurer, Staatsrecht I, S. 204 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 778 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 7 ff.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 399 ff.; a. A. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 109 f., 457 ff., der alle Rechtsfrage als mit den speziellen Ausprägungen des Prinzips im Grundgesetz lösbar ansieht; ähnlich Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 268 f. 135 K. Stern, Staatsrecht I, S. 781; vgl. hierzu auch Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 19 ff.
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Einigkeit besteht jedenfalls dahingehend, dass es sich nicht um ein fest umrissenes und für die Zukunft zementiertes Prinzip handelt. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus: „Das Rechtsstaatsprinzip, das in der Verfassung nur z. T. näher ausgeformt ist, enthält keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote und Verbote; es bedarf der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten; dabei müssen allerdings fundamentale Elemente des Rechtsstaates und die Rechtsstaatlichkeit im ganzen gewahrt bleiben.“ 136
Mithin muss der Inhalt des Prinzips anhand einer Summierung und Gesamtschau der im Grundgesetz enthaltenen rechtstaatlichen Elemente herausgearbeitet werden.137 Dabei ist infolge „der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsbegriffs [. . .] mit Behutsamkeit“ 138 vorzugehen. Hinsichtlich des grundgesetzlichen Rechtsstaatsbegriffs ist umstritten, ob dieser anhand der tradierten139 Dichotomie eher dem Vorbild eines formellen oder materiellen Rechtsstaats folgt.140 Diese Einordnung ist insoweit von einer gewissen Relevanz, als z. T. für eine Konkretisierung des Rechtsstaatsgebots darauf verwiesen wird, dass neben dem Rückgriff auf verfassungsimmanente Wertungen auch das Vorhandensein von außerhalb der Verfassung liegenden, historischen Traditionslinien bei der Auslegung zu berücksichtigen sei.141 Jedenfalls sollte diese Differenzierung nicht überdehnt werden, da im Grundgesetz nach ganz herrschender Meinung Elemente der formellen und materiellen Rechtsstaatlichkeit untrennbar verschränkt sind.142 Folglich lassen sich auch in beiden Begriffsdimensionen Anknüpfungspunkte für eine rechtsstaatliche Begründung der Publizität parlamentarischer Prozesse finden.143 136 BVerfGE 65, 283 (290); vgl. auch BVerfGE 7, 8 (92); 25, 269 (290); 52, 131 (144); 57, 250 (276). 137 So schon K. Stern, Staatsrecht I, S. 781; ferner auch H. Maurer, Staatsrecht I, S. 204; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 36. 138 BVerfGE 57, 250 (276), in diesem Sinne auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 77 f. 139 Für eine detaillierte Nachzeichnung des begriffsgeschichtlichen Wandels des Rechtsstaatsprinzips und der damit einhergehenden Veränderung seines inhaltlichen Gehalts siehe etwa Hofmann, Der Staat 34 (1995), S. 1 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 24 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 764 ff. 140 Siehe Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 35 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 17 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 46 ff. 141 So etwa H. Maurer, Staatsrecht I, S. 205 f.; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 2; K. Stern, Staatsrecht I, S. 779 f.; a. A. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 458 und 463. 142 Degenhart, Staatsrecht I, 35. Aufl. 2019, S. 58; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 192; K. Stern, Staatsrecht I, S. 775, 785; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 19; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 46 f. 143 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 64.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Nach heute ganz herrschender Auffassung144 sind jedenfalls die nachfolgenden Elemente vom Rechtsstaatsprinzip umfasst: die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG), die Gewährleistung von Grundrechten (Art. 1 ff. GG), die Grundrechtsbindung (Art. 1 Abs. 3 GG), die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG), die Verfassungsbindung (Art. 20 Abs. 3 HS. 1 GG), die Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 HS. 2 GG), die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG) sowie – nicht explizit normiert – der Vorbehalt des Gesetzes, der Grundsatz der Rechtssicherheit, die Normklarheit und Bestimmtheit, der Vertrauensschutz, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie die Verpflichtung zur Gerechtigkeit und Fairness. Diese Aspekte des Rechtsstaatsprinzips sind gesondert auf ihre Relevanz für die Öffentlichkeit staatlichen Handelns zu untersuchen. b) Konkrete Anknüpfungspunkte für Öffentlichkeitsgebote aa) Das Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument staatlicher Tätigkeit Kernelement des Rechtsstaatsprinzips stellt die Bindung der Tätigkeit aller staatlichen Organe an geltendes Recht dar. Diese folgt in genereller Form aus Art. 20 Abs. 3 GG und wird spezifisch in Art. 1 Abs. 3 GG mit Blick auf die Grundrechte sowie in Art. 97 Abs. 1 GG für die Rechtsprechung niedergelegt. Im Einzelnen ist dabei die Legislative an die verfassungsmäßige Ordnung – also an das Grundgesetz – und Exekutive sowie Judikative an „Recht und Gesetz“ gebunden, wobei hiervon sowohl die Verfassung,145 als auch formelles und materielles sowie Gewohnheitsrecht umfasst sind.146 Besondere Bedeutung als zentrales Steuerungsinstrument im demokratischen Rechtsstaat kommt dabei dem vom unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament erlassenen formellen Gesetz zu.147 Nach dem in Art. 20 Abs. 3 GG verwurzelten Vorrang des Gesetzes ist es 144 Zu den folgenden Elementen in jeweils leicht unterschiedlicher Zusammenstellung vgl. auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 15 f., 122 f., 130 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 784; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 77 f.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 27 ff., 254 ff., 471 ff.; Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Aufl. 2008, S. 97 ff. 145 Strittig ist dabei die Frage, ob es sich für Exekutive und Judikative um eine direkte oder nur mittelbare Bindung an die Verfassung handelt. Für erstere Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VI, Rn. 19; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof HStR II, § 26, Rn. 42 ff.; a. A. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 82; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 253. 146 BVerfGE 78, 214 (227); K. Stern, Staatsrecht I, S. 797 ff.; Ossenbühl, in: Isensee/ Kirchhof, HStR V, § 100, Rn. 15 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 93. Dabei sind die Einzelheiten sehr umstritten insbesondere hinsichtlich des Bedeutungsgehalts von „Recht“ im Sinne der Norm: siehe hierzu Grzeszick, in: Maunz/ Dürig, Art. 20 VI, Rn. 63 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Rechtsstaat), Rn. 93 ff. 147 Siehe hierzu insbesondere Schuppert, in: Schuppert, Das Gesetz als zentrales Steuerungselement des Rechtsstaats, S. 105 ff.; ferner auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 797; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 77.
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Richtschnur für alle untergesetzlichen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt.148 Der Gesetzesvorrang verlangt, dass Exekutive und Judikative die Gesetze ausführen müssen (Anwendungsgebot) und von den durch sie normierten Inhalten gleichzeitig nicht abweichen dürfen (Abweichungsverbot). Ferner determiniert das Parlamentsgesetz nach Art. 80 Abs. 1 GG die exekutivische Rechtssetzung in materieller Hinsicht. Aus der rechtsstaatlichen Ausrichtung auf das (Parlaments-)Gesetz als zentrales Steuerungsinstrument staatlicher Tätigkeit folgt bereits eine deutliche Tendenz des Rechtsstaatsprinzips hin zur Öffentlichkeit, da das Gesetzgebungsverfahren in besonderer Weise auf Publizität ausgerichtet ist.149 Gesetzesvorlagen werden hierbei im Bundestag eingebracht (Art. 76 GG) und dort in öffentlicher Verhandlung (Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG) beschlossen (Art. 77 GG). Nach der Weiterleitung der Vorlage an den Bundesrat wird dort gleichermaßen öffentlich verhandelt (Art. 52 Abs. 3 GG). Schließlich bedarf das Gesetz zu seinem Wirksamwerden einer Verkündung im Bundesgesetzblatt (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG).150 Das Gesagte gilt gleichermaßen für jedes verfassungsändernde Gesetz, wobei zusätzlich über das sich aus Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG ergebende Erfordernis, dass jede Verfassungsänderung in Form eines den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich ändernden oder ergänzenden Parlamentsgesetzes erfolgen muss, verschleierten Verfassungsänderungen eine Absage erteilt wird.151 Der rechtsstaatliche Fokus auf der öffentlichkeitsbezogenen Handlungsform des Gesetzes wird durch den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes noch intensiviert. Dieser hinsichtlich seiner rechtlichen Grundlage zwar umstrittene,152 jedoch als zentrales Element der Rechtsstaatlichkeit allgemein anerkannte Grund-
148 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VI, Rn. 72; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 62; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 92. 149 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 149 f.; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 64 f.; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 95. 150 Sofern die Exekutive normsetzend tätig wird, greifen diese auf Publizität ausgerichteten Verfahrensvorschriften nicht ein, womit der Öffentlichkeitsbezug exekutivischer Normsetzung gering ist. Um dies zu kompensieren, fordert Art. 80 Abs. 1 GG, dass der formelle Gesetzgeber Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung festlegt und damit den gesetzgeberischen Spielraum der Exekutive einschränkt. Überdies werden Rechtsverordnungen nach Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG vorbehaltlich abweichender gesetzlicher Regelungen ebenfalls im Bundesgesetzblatt verkündet. 151 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 78; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 65 f. 152 Zum Teil wird die gesetzliche Grundlage in Art. 20 Abs. 3 GG erblickt: so etwa BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126); Benda, HdVR, § 17, Rn. 36; K. Stern, Staatsrecht I, S. 805; Robbers, in: BK, Art. 20, Rn. 2011; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 114; a. A. H. Maurer, Staatsrecht I, S. 212, Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 46; SchulzeFielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 106 f.; wohl auch BVerfGE 101, 1 (34), wo der Gesetzesvorbehalt aus Demokratie- sowie Rechtsstaatsprinzip herleitet wird.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
satz153 besagt, dass das Handeln der Exekutive in bestimmten Bereichen nur erfolgen darf, soweit die Verwaltung durch oder aufgrund eines Parlamentsgesetzes hierzu ermächtigt wurde. Hiervon sind zunächst alle Maßnahmen, die staatliche Eingriffe in ein subjektives Recht darstellen, umfasst.154 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Wesentlichkeitsrechtsprechung den Gesetzesvorbehalt im Lichte des Demokratieprinzips so ausgelegt, dass der parlamentarische Gesetzgeber in „grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, [. . .] alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat“.155 In diesem Kontext verdichtet sich der Gesetzesvorbehalt mithin zu einem Parlamentsvorbehalt und verbietet somit die Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen auf die Exekutive.156 Mit Blick auf die Öffentlichkeitsfunktion stellt das Bundesverfassungsgericht weiter fest, dass der Vorbehalt einer Entscheidung durch den Gesetzgeber nicht nur eine besondere „demokratische Dignität“ 157 aufgrund der unmittelbaren Legitimation der Volksvertreter verbürge, sondern insbesondere im grundrechtssensiblen Bereich sicherstelle, dass Entscheidungen im öffentlichkeitswirksamen Verfahren der Plenardebatte gefunden werden. „Wenn das Grundgesetz die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten und den Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten dem Parlament vorbehält, so will es damit sichern, daß Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären.“ 158
So gesehen, bewirkt die weitgehende rechtstaatliche Bindung der Staatsgewalt an Gesetze zugleich eine Bindung der Machtausübung an die Öffentlichkeit.159 bb) Rechtssicherheit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns Staatliche Öffentlichkeit kann ferner unter den Begrifflichkeiten der Rechtssicherheit160 bzw. der Verlässlichkeit161 oder Vorhersehbarkeit und Berechenbar153 Siehe hierzu K. Stern, Staatsrecht I, S. 805 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 105. 154 Vgl. BVerfGE 8, 274 (325 f.); 17, 306 (313 f.); 20, 150 (158); siehe hierzu Degenhart, Staatsrecht I, 35. Aufl. 2019, S. 117 f.; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101, Rn. 21. 155 BVerfGE 49, 89 (126 f.) m.w. N. 156 Siehe Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101, Rn. 14 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 119 ff.; 157 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 16. 158 BVerfGE 85, 386 (403 f.); vgl. auch BVerfGE 95, 267 (307); 108, 282 (312). 159 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 66; vgl. auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 149; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 95. 160 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 159; Ricker, AfP 1981, S. 320 (323).
A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz
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keit162 staatlichen Handelns verortet werden.163 Hinter diesem wesentlichen Aspekt des Rechtsstaatsprinzips164 steht das Postulat, dass staatliche Hoheitsakte, die Rechte und Pflichten des Staates gegenüber dem Bürger formulieren, zum einen so klar und bestimmt sowie zum anderen so beständig sein müssen, dass der Bürger sich auf diese hinreichend verlassen und einstellen kann.165 Andernfalls bliebe das Staatshandeln unvorhersehbar und unberechenbar mit der Folge, dass der Einzelne zum bloßen Objekt einer für ihn willkürlich erscheinenden staatlichen Gewalt degradiert würde, was wiederum das Menschwürdegebot tangieren würde.166 Aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit wird folglich die Pflicht des Staates zur Herstellung von Öffentlichkeit durch ordnungsgemäße Verkündung von Rechtsnormen (Art. 82 Abs. 1 GG),167 zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten168 und zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen169 abgeleitet. Dem Adressaten einer staatlichen Machtäußerung muss diese zur Kenntnis gebracht werden,170 damit das staatliche Handeln für ihn durchschaubar wird und er seinen in Art. 2 Abs. 1 GG verwurzelten Anspruch, sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung frei entfalten zu können, wahrnehmen kann. Aus dem Aspekt der Zugänglichmachung staatlicher Entscheidungen lässt sich somit bereits eine Tendenz hin zur Publizität ableiten.171
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BVerfGE 24, 75 (98). Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101); Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 82 f.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 69; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 67; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 65. 163 So Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 37. 164 Siehe hierzu BVerfGE 59, 128 (164); 60, 253 (267); 101, 239 (262); 111, 54 (82); K. Stern, Staatsrecht I, S. 831; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 81; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 146; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 154 ff. 165 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 50; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 122 ff.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 142. 166 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 50; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 37 f.; Ricker, AfP 1981, S. 320 (323). 167 Siehe hierzu Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101); Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 69; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 142. 168 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 52; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 38; Ricker, AfP 1981, S. 320 (323); Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 76. 169 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 52; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 38. 170 Sachs, Art. 20, Rn. 123; vgl. auch BVerfGE 65, 283 ff. (291); 84, 133 (159). 171 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101); Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 67 f.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 38. 162
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Da dies allerdings für sich genommen noch nicht gewährleistet, dass staatliches Handeln für den Bürger tatsächlich vorhersehbar ist, wird darüber hinaus aus dem Rechtsstaatsprinzip deduziert, dass staatliche Normen selbst inhaltlich so klar und präzise formuliert sein müssen, dass der betroffene Bürger den Regelungsgehalt erkennen und sein Verhalten darauf ausrichten kann.172 Dieser unter dem Begriff der Normenklarheit bzw. Bestimmtheit173 thematisierte Teilaspekt des Rechtsstaatsprinzips setzt gleichermaßen die Öffentlichkeit des Staatshandelns voraus. Die inhaltliche Klarheit der Regelung wird dabei zum einen durch die Öffentlichkeit des Gesetzgebungsverfahrens selbst befördert, da sich mitunter erst in der Zusammenschau mit den veröffentlichten Gesetzgebungsmaterialien im Wege der genetischen Auslegung der Inhalt einer Norm vollständig erschließt.174 Darüber hinaus muss der Einzelne ersehen können, wie eine Norm in der Praxis von Behörden und Gerichten gehandhabt wird. Lediglich bei hinreichender Information hinsichtlich der praktischen Anwendungstätigkeit des Staates wird dem rechtsstaatlichen Postulat der Rechtssicherheit effektiv Rechnung getragen.175 Auch im Aspekt der Normenklarheit klingt somit eine von formellen Rechtsstaatselementen abgeleitete Affinität zur Öffentlichkeit an.176 cc) Effektiver Rechtsschutz Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutz durch staatliche Gerichte (sog. „Justizgewährungsanspruch“) gegen rechtswidrige staatliche Akte ist einer der zentralen Inhalte des Rechtsstaatsprinzips.177 Um die umfassende 172 So etwa BVerfGE 14, 245 (252); 20, 150 (158 f.); 21, 75 (79); 25, 269 (285); 31, 255 (264); 87, 234 (263); ferner auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 53; K. Stern, Staatsrecht I, S. 829. 173 Die begriffliche Zuordnung von Rechtssicherheit, Normenklarheit und Bestimmtheit erfolgt dabei nicht einheitlich. Zum Teil werden Normenklarheit und Bestimmtheit synonym unter den Oberpunkt der Rechtssicherheit eingeordnet. So etwa Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 390 ff. Andere Stimmen gehen dagegen von einem Nebeneinander der Begrifflichkeiten aus. In diesem Sinne Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 116 ff. Das Bundesverfassungsgericht schein einer Synonymität zuzuneigen, siehe BVerfGE 65, 1 (54). Eine abschließende semantische Klärung kann jedoch aufgrund des anerkannten Regelungsgehalts des Begriffskomplexes dahinstehen, so auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 160. 174 Zur Bedeutung für die genetische Auslegung siehe Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 157 f.; F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I, 11. Aufl. 2013, S. 369 ff. 175 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101). 176 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101); Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 79; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 38. 177 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 133 ff.; H. Maurer, Staatsrecht I, S. 214 ff.; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Art. 20, Rn. 198; K. Stern, Staatsrecht I, S. 841; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 70 ff.
A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz
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Rechtsbindung der Staatsgewalt auch tatsächlich durchzusetzen, müssen die Bürger ihre subjektiven Rechte gegen unrechtmäßiges Staatshandeln vor unabhängigen Gerichten einfordern können.178 Demnach ist im Rahmen der Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG ausdrücklich bestimmt, dass gegen rechtsverletzende Akte der öffentlichen Gewalt der Rechtsweg offensteht.179 Damit weist das Grundgesetz dem Bürger eine aktive Rolle bei der Kontrolle staatlicher Machtausübung zu.180 Die Entscheidung über die Wahrnehmung bestehender Rechtsbehelfe gegen eine staatliche Handlung setzt jedoch zwingend voraus, dass der Adressat der Entscheidungen über die Rechtsgrundlagen, Motive und Modalitäten staatlicher Willensbildung informiert ist, um die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs zu bewerten.181 Nur hierdurch kann er mögliche Angriffspunkte erkennen und seine rechtliche Argumentation darauf abstimmen. In diesem Zusammenhang wurde mithin ein Anspruch aus dem Rechtsstaatsprinzip auf Mitteilung der Gründe solchen Staatshandelns, das in individuelle Rechte eingreift, abgeleitet, da der Betroffene nur in Kenntnis dieser Information seine subjektiven Rechte sinnvoll wahrnehmen kann.182 Die insoweit gebotene rechtsstaatliche Publizität äußert sich einfachgesetzlich z. B. im Verwaltungsrecht in § 29 Abs. 1 S. 1 VwVfG, welcher dem Beteiligten Akteneinsicht gewährt, soweit die daraus folgenden Informationen zur Geltendmachung oder Verteidigung seiner rechtlichen Interessen erforderlich sind. In der Konsequenz kann nur unter der Voraussetzung einer hin178 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 202; K. Stern, Staatsrecht I, S. 838; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2569 (2571). Die Parallelität von Rechtsbindung und effektiver Rechtsschutz als zwei Seiten einer Medaille wurde im Parlamentarischen Rat durch den Abgeordnete Richard Thoma formuliert: „Die Bindung von Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht und die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassungsurkunden werden gewährleistet durch die in diesem GG enthaltenen Bestimmungen über Einrichtung, Unabhängigkeit, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte“. Zitiert nach Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 (1956), S. 184. 179 Hiervon sind zunächst unstrittig Akte der Exekutive umfasst. Die Frage, ob sich die Rechtschutzgarantie auch auf Gesetzgebungsakte der Legislative bezieht ist umstritten. Während das Bundesverfassungsgericht dies ausdrücklich verneint (BVerfGE 24, 33 (49); 45, 297 (334); 75, 108 (165); 112, 185 (207), möchte die überwiegende Literatur Art. 19 Abs. 4 GG hierauf erstrecken. So Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4, Rn. 338 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 19 Abs. 4, Rn. 50; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 433 f.; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 19, Rn. 62; a. A. Sachs, in: Sachs, Art. 19, Rn. 124; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19, Rn. 44. Dieser Streit wird durch die Möglichkeit der Gesetzesverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG) allerdings entschärft. 180 Dies lässt sich gleichfalls an der Schaffung der Möglichkeit einer Individualverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) sehen. 181 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (100); Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 205 (219). 182 BVerfGE 6, 32 (44). Siehe hierzu auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 80; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 368; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 39.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
reichenden Informiertheit des einzelnen Verfahrensbeteiligten die rechtsprechende Gewalt diesem zu effektivem Rechtsschutz verhelfen. dd) Kontrolle durch Gewaltenteilung Ein Kontrollaspekt des Rechtsstaatsprinzips spiegelt sich ebenfalls im Grundsatz der Gewaltenteilung wider, welcher insbesondere aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG folgt.183 Dieser basiert auf dem Gedanken, eine übermäßige Konzentration staatlicher Macht und das damit einhergehende Risiko eines Machtmissbrauchs durch die Verteilung hoheitlicher Befugnisse auf verschiedene Staatsorgane sowie durch Schaffung von gegenseitigen Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten – sog. „checks and balances“ – der Teilgewalten untereinander zu verhindern.184 Im parlamentarischen Regierungssystem obliegt die Kontrolle der Exekutive zwar grundsätzlich dem Parlament als Gesamtorgan.185 Eingedenk der Tatsache, dass der Bundeskanzler gemäß Art. 63 Abs. 1 GG vom Bundestag (genauer von der Parlamentsmehrheit) gewählt wird und anschließend die Regierung fortlaufend von diesem getragen werden muss, ist von einer engen parteipolitischen Bindung zwischen Gubernative und den sie stützenden Fraktionen auszugehen, die noch durch den Umstand intensiviert wird, dass Regierungsmitglieder zumeist selbst Abgeordnete der betroffenen Fraktionen sind. In der Regel wird daher die Mehrheitsfraktion den politischen Willen und das Handeln der Regierung zumindest in wesentlichen Teilen unterstützen,186 was wiederum dazu führt, dass die eigentliche – nach außen wahrnehmbare – Kontrollbefugnis vordringlich der parlamentarischen Opposition zufällt.187 Zur effektiven Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgabe bedarf die Opposition, neben einem entsprechend ausgestalteten Instrumentarium an Kontrollrechten wie z. B. dem Zitier- und Interpellationsrecht (Art. 43 Abs. 1 GG) oder dem Enquêterecht (Art. 44 GG) zwingend der Publizität des Kontrollvorgangs. Dessen Effek183 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 V, Rn. 16, 76; K. Stern, Staatsrecht I, S. 781 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 67; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 27. 184 Vgl. BVerfGE 3, 225 (247); 9, 268 (279 f.); 67, 100 (130); 95, 1 (15 ff.); Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 27, Rn. 9; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 476; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 56 ff.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 210 ff. 185 Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 5, Rn. 69; Schmidt-Jortzig, in: FS Rauschning, S. 143 (144, 156). 186 „Der Regierungs-Oppositions-Dualismus und der Stabilitätswille des Grundgesetzes zwingen die Parlamentsmehrheit grundsätzlich an die Seite der Regierung.“ Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 27, Rn. 20; vgl. auch P. M. Huber, in: Isensee/ Kirchhof, HStR III, § 47, Rn. 34. 187 P. M. Huber, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 47, Rn. 13 ff.; ferner auch H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 50, Rn. 34; H.-P. Schneider, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 38, Rn. 19 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 1031 f.; Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 5, Rn. 71.
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tivität beruht namentlich auf dem Umstand, dass die Ergebnisse der Kontrolle der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, um in der Folge die öffentliche Meinung im eigenen Sinne zu beeinflussen.188 So kann etwa die Regierung im Falle der Interpellation gezwungen werden, öffentlich zu Fragen der Staatsleitung Stellung zu beziehen oder ggf. Auskunft über unliebsame Themen oder Missstände zu geben. Gleichermaßen kann das Regierungshandeln im Rahmen der Beweisaufnahme einer Missbrauchsenquête (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG) öffentlich einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Dadurch, dass inhaltliche Positionen der Regierung wie auch etwaige Versäumnisse derselben dem demokratischen Souverän zur Kenntnis gebracht werden, hat die Opposition hierauf aufbauend die Möglichkeit, in Abgrenzung hiervon, alternative Lösungsansätze zu präsentieren und somit im politischen Wettbewerb auf eine zukünftige Abwahl der Regierung hinzuwirken.189 Dies hat zu der Erkenntnis geführt, dass im Kern die parlamentarische Debatte das wirksamste Kontrollinstrument der Opposition darstellt.190 Die Bedeutung dieser parlamentarischen Kontrollöffentlichkeit wird dadurch noch verstärkt, dass die von den Mehrheitsfraktionen getragene Bundesregierung von Seiten der Presse und der Bürger besondere öffentliche Aufmerksamkeit erhält und damit einen Bekanntheitsvorsprung genießt.191 Daneben erfordert – wie soeben gesehen – die Ingangsetzung der Rechtmäßigkeits- bzw. Verfassungsmäßigkeitskontrolle staatlichen Handelns durch die Judikative im Bereich subjektiver Rechte die grundsätzliche Informiertheit des Bürgers hinsichtlich belastender Hoheitsakte. Unter Gewaltenteilungsaspekten kommt die Facette hinzu, dass die gerichtliche Entscheidung als Kontrollakt gegenüber der Exekutive oder Legislative192 ebenfalls eines Mindestmaßes an staatlicher Öffentlichkeit bedarf. So erfordern sowohl die fachgerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit als auch die verfassungsgerichtliche Prüfung eines Aktes öffentlicher Gewalt Kenntnisse über das Verfahren und die Motive der staatlichen
188 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 65 f.; H.-P. Schneider, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 38, Rn. 42; Waack, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 22, Rn. 21. 189 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 64 ff.; vgl. zur Perspektive des Machtwechsels auch H.-P. Schneider, in: HdVR, § 13, Rn. 99; ders., in: Schneider/ Zeh, Parlamentsrecht, § 38, Rn. 35 ff.; Waack, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 22, Rn. 23. 190 Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 5, Rn. 75; vgl. auch Meyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 4, Rn. 76. 191 Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. IV. 2. a). 192 Nach der Konzeption des Grundgesetzes wird vor allem durch die Dritte Gewalt eine wirksame Garantie der Gewaltenteilungsidee gewährleistet, indem Gerichten grundsätzlich jeder Hoheitsakt der beiden anderen Gewalten zur Kontrolle vorgelegt werden kann. Vgl. hierzu Di Fabio, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 27, Rn. 25 ff.; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 V, Rn. 17; K. Stern, Staatsrecht I, S. 796.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Willensäußerung, etwa um die formelle Rechtmäßigkeit oder – im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung – den Zweck einer staatlichen Maßnahme zu eruieren. Selbiges gilt für die zur Rechtsfindung bisweilen notwendige (genetische) Gesetzesauslegung, welche den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers unter Zugrundelegung von Gesetzgebungsmaterialien wie Entwurfsfassungen, Beschlussempfehlungen der Ausschüsse sowie der Erörterung im parlamentarischen Plenum, wie sie den Sitzungsprotokollen zu entnehmen ist, zu rekonstruieren sucht.193 Insofern legt eine effektive Kontrolltätigkeit des Parlaments sowie der Judikative die Öffentlichkeit staatlichen Handelns nahe. ee) Rechtsstaatliches Fairnessgebot Weiterhin wird staatliche Öffentlichkeit z. T. in Bezug zu einem rechtsstaatlichen Fairnessgebot gesetzt. Hierbei wird z. B. im Rahmen des Verwaltungsverfahrens dessen teilweise Öffentlichkeit etwa hinsichtlich Anhörungen oder der Offenlegung von Planungsunterlagen dem rechtsstaatlichen Gebot eines fairen und die Rechte des Bürgers wahrenden Verfahrens zugeordnet.194 Fernerhin wird im Bereich der Judikative die Öffentlichkeit des Strafverfahrens partiell im Recht auf ein faires Verfahren (sog. „fair trial“) verortet,195 welches seinerseits in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird.196 Auch insoweit scheint ein gewisses Maß staatlicher Öffentlichkeit rechtsstaatlich geboten. ff) Unabhängigkeit der Gerichte Der Bundesgerichtshof hat zudem im Bereich der Judikative im Öffentlichkeitsgrundsatz auch insofern ein Rechtsstaatsgebot erblickt, als hierdurch die Unabhängigkeit der Gerichte abgesichert werde.197 Zwar mag dieser Gedanke in einem funktionsfähigen rechtsstaatlichen Justizsystem von nachrangigem Praxisbezug sein. Gleichwohl ist zuzugestehen, dass eine Lenkung des Justizapparats durch die Exekutive, wie sie in totalitären Staatssystemen stattfindet, durch die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen wenn auch nicht ausgeschlossen so doch zumindest aufgedeckt und damit effektiv erschwert würde.198 193 Siehe hierzu F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I, 11. Aufl. 2013, S. 375 ff.; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 620. 194 Meinel, KJ 2004, S. 413 (417); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 38 f.; siehe auch K. Stern, Staatsrecht I, S. 824 f. m.w. N. 195 Meinel, KJ 2004, S. 413 (417); Stürner, in: FS Baur, S. 647 (660). 196 BVerfGE 26, 55 (71); 38, 105 (111); 40, 95 (99); 41, 246 (249); 60, 175 (215); 64, 135 (145); 66, 313 (318). 197 BGHSt 9, 280 (281); so auch Ranft, Jura 1995, S. 573 (574). 198 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 266; vgl. auch v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 207 f.
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gg) Mäßigung staatlicher Macht und Grundrechtsgewährleistung Den zuvor genannten Aspekten ist gemein, dass sie verfahrensmäßig-organisatorische Anforderungen an staatliche Machtäußerung statuieren und dadurch eine Einfriedung und Mäßigung der Staatsgewalt bewirken. Infolge des Vorrangs des Gesetzes sowie der Verfassung muss jeder Hoheitsakt mit übergeordneten Rechtsnormen vereinbar sein. Dies führt zu einer Hierarchie staatlicher Normen, in der Verfassungsvorschriften über einfachgesetzlichen Normen stehen, welche wiederum untergesetzlichen Normen vorgehen.199 Damit geht eine doppelte Begrenzung des staatlichen Handlungsspielraums einher dergestalt, dass förmliche Gesetze und Verfassung den Rahmen des Handelns von Rechtsprechung und vollziehender Gewalt verbindlich festlegen und jedes Gesetz selbst nur in den vom Grundgesetz vorgezeichneten Grenzen bestehen kann.200 Darüber hinaus wird durch den Vorbehalt des Gesetzes das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage für belastende Maßnahmen bzw. wesentliche Entscheidungen gefordert. Im Übrigen wirkt die Gewährleistung eines umfassenden Gerichtsschutzes gegen staatliche Akte rationalisierend, indem sie zur Kontrolle und Mäßigung staatlicher Macht beiträgt.201 Selbiges gilt für die Verteilung der Staatsgewalt auf verschiedene Organe der Exekutive, Legislative und Judikative sowie deren wechselseitige Kontrolle.202 Der so skizzierten Beschränkung staatlicher Handlungsoptionen steht spiegelbildlich ein persönlicher Entfaltungsraum des Individuums gegenüber.203 Als Ausprägung eines materiellen Rechtsstaatsverständnisses hat der Staat die Grundlagen für die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit seiner Bürger zu schaffen.204 In der Gewährleistung der Grundrechte (vgl. Art. 1 ff. GG) sowie in der Normierung von deren unmittelbarer Verbindlichkeit (Art. 1 Abs. 3 GG) kommt das Grundgesetz diesem rechtsstaatlichen Gebot nach.205 Dahinter steht der Gedanke eines staatsfreien Bereichs individueller Freiheit, wie er insbeson199 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 148; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 198 ff.; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101, Rn. 2. 200 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 147 ff.; vgl. auch Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 66. 201 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101); Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 64; vgl. ferner Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 134. 202 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 66; vgl. hierzu auch BVerfGE 5, 85 (199); 9, 268 (279); 22, 106 (111); 30, 1 (27 f.); 34, 52 (59); sowie Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 476. 203 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63 f.; vgl. auch Böckenförde, in: FS Arndt, 1969, S. 53 ff.; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 66. 204 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 11 f., 18, 24; K. Stern, Staatsrecht I, S. 788 ff. 205 Degenhart, Staatsrecht I, 35. Aufl. 2019, S. 58; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 203 ff.; H. Maurer, Staatsrecht I, S. 208 f.; Kloepfer, Verfassungsrecht I, § 10, Rn. 25, 41.
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dere im Verständnis der Grundrechte als negativer Kompetenznormen zum Ausdruck kommt, die – in Ausprägung der objektiv-rechtlichen Grundrechtsdimension – eine die Staatsmacht restringierende Funktion ausfüllen.206 In diesen Freiheitsraum fällt gleichfalls die im Rahmen des Demokratieprinzips beschriebene Teilhabe am öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess, welcher sich hierdurch grundsätzlich staatsfrei vollziehen kann207 und seinerseits wiederum staatlicher Publizität bedarf. An diesem Umstand wird zugleich die Verknüpfung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im Grundgesetz deutlich. Erst mithilfe formell-rechtsstaatlich gebotener Instrumente werden demokratisch verwurzelte und materiell-rechtsstaatlich geforderte Freiheits- und Gleichheitsrechte praktisch handhabbar.208 Somit sichert der Rechtsstaat die Öffentlichkeit über die Garantie der betreffenden öffentlichkeitsrelevanten Freiheitsrechte sowie durch die Rationalisierung staatlicher Machtbefugnisse ab.209 Soweit das Demokratieprinzip Öffentlichkeit voraussetzt, bedarf es der rechtsstaatlichen Einbettung, um eine tatsächliche Verwirklichung zu gewährleisten. Insoweit legt auch die materiell verstandene Rechtsstaatlichkeit die Publizität staatlicher Verfahren nahe. c) Zwischenfazit Aus der Zusammenschau der verschiedenen Teilaspekte des Rechtsstaatsprinzips wird ersichtlich, dass auch dieses gewalten- und sachverhaltsübergreifend eine grundsätzliche Öffentlichkeit staatlicher Vorgänge voraussetzt und nicht allein punktuelle Öffentlichkeitsaspekte gewährleistet. Die Öffentlichkeit des Staatshandelns stellt mithin einen ungeschriebenen Teilgehalt des Rechtsstaatsprinzips dar.210 Fraglich ist indes, in welchem Verhältnis die rechtsstaatlich zur demokratisch verwurzelten Öffentlichkeit steht. 3. Verhältnis demokratisch und rechtsstaatlich begründeter Öffentlichkeit Insgesamt setzen sowohl Demokratie als auch Rechtsstaatlichkeit die Öffentlichkeit staatlicher Verfahren zwingend voraus. Matthias Jestaedt formulierte in206 Siehe hierzu Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (89 ff.); Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 291 ff.; K. Stern, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 185, Rn. 57. 207 BVefGE 20, 56 (98); 69, 315 (346); 73, 40 (85); 78, 350 (363); 85, 264 (284 ff.); siehe hierzu Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 187; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 34 ff. 208 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63 f. 209 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63 f.; Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, 1971, S. 275 f.; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 66. 210 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 83; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63; Paschke, Digitale Gerichtsöffentlichkeit, 2018, S. 81; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 66 f.
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soweit pointiert: „Die freiheitliche Demokratie ist eine öffentliche – oder sie ist nicht.“ 211 Demokratisch und rechtsstaatlich gebotene Öffentlichkeit ist zwar in ihrer Intention und Wirkweise differenziert zu betrachten. Die demokratische Öffentlichkeit ist dabei funktional weiter gefasst, indem sie Legitimation und Kontrolle staatlicher Macht sowie eine gesellschaftliche Integration bezweckt, während rechtsstaatliche Öffentlichkeit vornehmlich auf die Kontrolle und Mäßigung der Hoheitsmacht fokussiert ist. Hinsichtlich ihrer Reichweite ist die rechtsstaatliche Öffentlichkeit zudem auf den Adressatenkreis der jeweiligen staatlichen Regelung beschränkt, während demokratische Öffentlichkeit sich an die Gesamtheit der Staatsbürger richtet.212 Gleichwohl ergibt sich für das Verhältnis von Rechtstaats- zu Demokratieprinzip, dass beide nicht autonom zu betrachten, sondern vielmehr miteinander verwoben sind, indem rechtsstaatliche Instrumentarien einen demokratischen Prozess, welcher auf den Werten der Freiheit und Gleichheit basiert, erst ermöglichen.213 Dies bewerkstelligt das Rechtsstaatsgebot, indem es die Staatsmacht an rechtsstaatlichen Maßstäben misst, insbesondere durch die Bindung aller Staatsgewalt an Gesetz und Recht, wobei es zugleich der demokratisch verwurzelten Forderung des Minderheitenschutzes214 Wirksamkeit verleiht. Das Rechtsstaatsprinzip installiert eine Ordnung, in welcher die öffentliche Gewalt in ihren Maßnahmen auf das Vorliegen einer Kompetenz angewiesen sowie durch die Trennung staatlicher Funktionen gebunden ist, sodass eine Machtkonzentration verhindert und damit die Freiheit des Einzelnen bewahrt wird.215 In gleicher Weise restringierend verlangt das Demokratieprinzip, dass jede staatliche Machtäußerung auf den Souverän zurückführbar und diesem gegenüber zu verantworten ist. Hierin besteht mithin der gemeinsame Nenner beider Prinzipien, die in ihrer Weise jeweils staatliche Machtbefugnisse einhegen. Im Kontrollaspekt als Ausdruck staatlicher Machtbegrenzung greifen beide Prinzipien ineinander. Ihr gemeinsames Ziel lässt sich dabei entlang der Schnittstelle zwischen den Staatsstrukturprinzipien finden und besteht darin „den Delegations- und Verantwortungszusammenhang vom Volk zu den Staatsorganen transparent, durchsichtig, rational durchschaubar und kontrolliert zu halten“.216 Demzufolge verstärken de211 212
Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (215). Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 69; Rösch, Geheimhaltung, 1999,
S. 67. 213 Vgl. Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 272; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 63 f.; Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, 1971, S. 275 f.; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 62 f. Vgl. auch Huster/Rux, in: Epping Hillgruber, Art. 20, Rn. 152: „Rechtsstaat und Demokratie [finden] in dem Prinzip gleicher Freiheit eine gemeinsame normative Wurzel.“ 214 BVerfGE 70, 324 (363). 215 So auch Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 63. 216 Häberle, Politische Bildung 1970, Heft 3, S. 3 (9).
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mokratische und rechtsstaatliche Öffentlichkeitsaspekte einander wechselseitig in ihrer Zielrichtung.217 4. Öffentlichkeit im Rahmen weiterer Staatsstrukturprinzipien Schließlich stellt sich die Frage, ob daneben weitere Staatsstrukturprinzipien einen öffentlichkeitsrelevanten Gehalt aufweisen, der über das bereits Gesagte hinausgeht. Der Grundsatz des Sozialstaats, der in Art. 20 Abs. 1 GG sowie in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG Erwähnung findet und nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht einen bloß unverbindlichen Programmsatz, sondern vielmehr einen für die Staatsorgane bindenden Rechtssatz darstellt,218 findet dabei seine notwendige Konkretisierung durch den Gesetzgeber in den wesentlichen sozialstaatlichen Rechtsmaterien etwa des Fürsorge-, Lastenausgleichs- oder Sozialversicherungsrechts. Soweit das Sozialstaatsprinzip durch gesetzliche Regelungen ausgestaltet wird, gilt in Bezug auf dessen Relevanz für die Parlamentsöffentlichkeit das schon zum Rechtsstaatsprinzip hinsichtlich der Aspekte der Rechtssicherheit und Normenklarheit Gesagte. Die Berechtigten müssen von ihren sozialstaatlichen Ansprüchen und deren Durchsetzungsmöglichkeit wissen. Ergo setzt auch der Sozialstaat Transparenz voraus; er geht dabei jedoch nicht über den Bedeutungsgehalt des Rechtsstaatsprinzips hinaus.219 Eine Verortung der Öffentlichkeit im Prinzip der Republik, welche in Art. 20 Abs. 1 GG, in Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG sowie im Staatsnamen und – in adjektivischer Form – in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG Erwähnung findet, liegt schon eingedenk der etymologischen Herkunft der Republik als „res publica“, mithin als öffentlicher Sache nahe.220 Inwieweit sich aus dem Republikprinzip allerdings materielle Rechtsgebote ableiten lassen, ist höchst umstritten. Die herrschende Meinung221 erblickt in dem Bekenntnis zur Republik ausschließlich eine Absage an jede Form der Monarchie. Der Begriff der Republik sei zwar geistesgeschichtlich mit weiteren Inhalten aufgeladen, diese Elemente seien jedoch in der grundgesetzlichen Staatsordnung im Demokratie- bzw. Rechtsstaatsprinzip aufgegangen.222 Andere Stimmen plädieren für eine erweiterte Auslegung, wobei die Vorschläge 217 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 67; vgl. auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 64. 218 BVerfGE 1, 97 (105); 5, 85 (198); 18, 257 (273); 27, 253 (283) 82, 60 (80); 123, 267 (362). 219 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (101); Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 84. 220 Meinel, KJ 2004, S. 413 ff. (417); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 70. 221 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 96; Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Republik), Rn. 20 ff.; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 79, Rn. 138 f.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 579, 581 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 3, 22 f., 27 ff.; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 9 f.; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 9. 222 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 6; H. Maurer, Staatsrecht I, S. 178; Sachs, in: Sachs, Art. 20, Rn. 10; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 9.
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vom Verständnis der Republik als freiheitlicher, am Gemeinwohl („salus publica“) ausgerichteter Staatsordnung, in der alle öffentliche Gewalt auf das Gemeinwesen zurückzuführbar ist,223 bis hin zu einer umfangreichen Einbeziehung staatsphilosophischer Konzeptionen reichen.224 Gegen eine solche materielle Aufladung des Republikbegriffs spricht indes, dass sich präzise verfassungsdogmatische Konsequenzen und konkrete Rechtsfolgen einem solch vielschichtige und heterogene geistesgeschichtliche Begriffsinhalte bündelnden Begriff kaum entnehmen lassen.225 Auch eine Anbindung an das Kriterium staatlicher Gemeinwohlorientierung vermag kaum zu einer Klärung beizutragen.226 Die salus publica ist im demokratischen Verfassungsstaat allein Produkt eines auf die Bildung mehrheitsfähiger Kompromisse im Rahmen des freien und offenen politischen Willensbildungsprozesses gerichteten Ausgleichs pluralistischer Interessen227 und kann gerade nicht als statische Vorgabe für das Handeln staatlicher Entscheidungsträger angesehen werden, welche diesen Begriff letztlich nach eigenem Ermessen ausfüllen würden.228 Zwar ist unabhängig davon, welchem Republikverständnis gefolgt wird, jedenfalls anerkannt, dass diese Staatsform in Abgrenzung zur Monarchie voraussetzt, dass das jeweilige Staatsoberhaupt seine Legitimation aus einem (unmittelbaren oder mittelbaren) Berufungsakt des Volkes erhält, welcher zeitlich begrenzt wirkt und die Möglichkeit der künftigen Abberufung vorsieht.229 Ferner setzt der mittelbar legitimierende Berufungsakt durch die Bundesversammlung (Art. 54 Abs. 1 GG) seinerseits u. a. die Legitimation der beteiligten Bundestagsabgeordneten voraus, die über den Wahlakt zustande kommt. Dessen Öffentlichkeitsrelevanz wurde allerdings bereits im Demokratieprinzip erschöpfend verortet, sodass für ein darüber hinausgehendes Öffentlichkeitsgebot des Republikprinzips kein Bedürfnis besteht.230 223 In diese Richtung etwa Frankenberg, in: AK-GG, Art. 20 Abs. 1–3, Rn. 22 ff.; Henke, JZ 1981, S. 249 ff.; Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Art. 20, Rn. 203; Maihofer, HdVR, 12, Rn. 48 ff., 81 ff.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 14 ff. 224 So vor allem Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 253 ff., 441 ff. et passim. 225 Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Republik), Rn. 21 f.; H. Maurer, Staatsrecht I, S. 178. 226 So aber Anderheiden, Gemeinwohl in Republik und Union, 2006, S. 249 ff.; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 121; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 14, 19. 227 So grundlegend BVerfGE 5, 85, 198; vgl. auch Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 9 (25); Häberle, in: Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, 1980, S. 126 ff. 228 Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Republik), Rn. 22. 229 Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 9; Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 20, Rn. 13; K. Stern, Staatsrecht I, S. 581 f. 230 A.A. Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 70, der von einem erweiterten Republikbegriff ausgeht und aus der Mitgliedschaft im staatlichen Gemeinwesen sowie dem demo-
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III. Bezug staatlicher Öffentlichkeit zur Wertentscheidung einer grundrechtlich gewährleisteten Kommunikationsverfassung Im Ergebnis setzen die Staatsstrukturprinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit damit ein erhebliches Maß staatlicher Öffentlichkeit voraus. Normative Ausprägungen in Form grundgesetzlicher Öffentlichkeitsgeboten sind daher vor dem Hintergrund der vorbenannten demokratischen und rechtsstaatlichen Bedeutung zu verstehen und auszulegen. Fraglich ist, inwieweit sich der zentrale Stellenwert der Öffentlichkeit im demokratischen Rechtsstaat darüber hinaus in individualrechtlichen Verfassungsgehalten der Grundrechte widerspiegelt. Eine individualrechtliche Absicherung der Mitwirkung an dem bereits im Rahmen der Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Demokratieprinzip beschriebenen freien und offenen Willensbildungsprozess erfolgt dabei vorrangig durch die Gewährleistung der Kommunikationsgrundrechte.231 So verwundert es nicht, dass das Bundesverfassungsgericht den Kerngehalt der Kommunikationsgrundrechte als vom Demokratieprinzip mit umfasst ansieht.232 Ferner entwickelt sich eine Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess vor allem über politische Parteien, deren Status durch Art. 21 GG besonders abgesichert wird.233 Darüber hinaus kommt den Medien im Rahmen der politischen Willensbildung maßgebliche Bedeutung zu, was normativ über die Gewährleistungen der Medienfreiheiten im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG aufgegriffen wird.234 Fraglich ist, inwieweit die genannten Einzelaspekte staatliche Öffentlichkeit inhaltlich voraussetzen. 1. Ausübung der Kommunikationsgrundrechte Von entscheidender Bedeutung für die grundgesetzliche Kommunikationsverfassung sind dabei zunächst die explizit verbürgten Kommunikationsgrundrechte. Als solche sind insbesondere die Grundrechte der Meinungs-, Informations- (a)), Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (b)) sowie das Petitionsrecht (c)) zu benennen.235 kratischen Berufungsakt und dem Repräsentationsgedanken Publizitätspflichten herleitet. In diesem Sinne so auch Meinel, KJ, 2004, S. 413 (418). 231 Siehe hierzu Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 48 ff.; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 11 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 8; ders., Koalitionsfreiheit, 1971, S. 286 ff. 232 Vgl. etwa BVerfGE 7, 111 (119); 27, 71 (81); 69, 315 (345 ff.). 233 Siehe hierzu Hesse, VVDStRL 17 (1959), S. 11 (19); K. Stern, Staatsrecht I, § 13 IV, 1 ff.; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 11, 25 ff. 234 So explizit Kühling, DVBl 2008, S. 1098 (1110); vgl. auch Kloepfer, in: Isensee/ Kirchhof, HStR III, § 42, 7 ff., 35 ff.; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 11, 15. 235 Zu dieser Zusammenstellung siehe Scholz, Koalitionsfreiheit, 1971, S. 286 ff. Siehe ferner gesondert für die Versammlungsfreiheit Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164, Rn. 1; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 8, Rn. 15; für die Vereinigungs-
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a) Meinungs- und Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG Herzstück der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG, wonach jeder seine Meinungen frei in Wort, Bild und Schrift äußern und verbreiten darf. Dabei dient die Meinungsfreiheit neben der allgemeinen Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen im demokratischen Kontext vor allem der Teilnahme am politischen Willensbildungsprozess. Nach dem Diktum des Bundesverfassungsgerichts ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit „für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung [. . .] schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist“.236 Damit gewährleistet Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG, dass ein jeder Bürger an der öffentlichen Debatte über Gegenstände von Allgemeininteresse oder staatspolitischer Bedeutung teilhaben kann.237 Das Recht auf freie Meinungsäußerung setzt denknotwendig eine vorherige Meinungsbildung voraus.238 Die „verantwortliche“ 239 Bildung einer Meinung bedarf als Ergebnis eines rationalen Denkvorgangs zunächst zwingend der umfassenden Informiertheit sowie einer Vergleichs- und Abwägungsbasis.240 Denn „[. . .] nur umfassende Informationen, für die durch ausreichende Informationsquellen Sorge getragen wird, ermöglichen eine freie Meinungsbildung und -äußerung für den Einzelnen und für die Gemeinschaft“.241 Somit setzt die freie Meinungsäußerung in Bezug auf öffentliche Angelegenheiten implizit die Information über staatliche Tätigkeit voraus, was wiederum die Öffentlichkeit dieser Vorgänge nahelegt.242 Zwar wird der Informationsempfang von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG nur insoweit geschützt, als der Urheber einer Meinung dadurch belastet wird, dass der Empfang seiner Meinung durch einen staatlichen Akt behindert wird. Aus Sicht freiheit Merten, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 165, Rn. 2; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 8, 33; für das Petitionsrecht H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17, Rn. 52. 236 BVerfGE 7, 198 (208); vgl. auch BVerfGE 5, 85 (205). 237 Vgl. hierzu aus der Rpsr. BVerfGE 12, 113 (125); 20, 162 (174 ff.); 25, 256 (265); siehe hierzu auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 48 ff.; Schmitt Glaeser, Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 13 ff. 238 BVerfGE 27, 71 (81); Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 75; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 99; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II, Rn. 67. 239 Eine „verantwortliche“ Meinungsbildung beruht nach Geiger, in: FS Arndt, S. 119 (121) zwangsläufig auf Information, da andernfalls nur die Äußerung von Vorurteilen, Hypothesen und Spekulationen möglich ist. 240 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 102; Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten, 1968 S. 106; vgl. auch BVefGE 20, 162 (174). 241 BVerfGE 27, 71 (81). 242 So auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 102 f.; Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung von Grundrechten, 1968, S. 106.
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eines potentiellen Rezipienten von Informationen aus der staatlichen Sphäre wird das Recht auf deren Empfang allerdings durch die Informationsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG verbürgt,243 welcher insoweit eine eigenständige Bedeutung neben der Meinungsfreiheit zukommt.244 Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG hat jedermann das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Dieses aufgrund der historischen Erfahrung mit staatlichen Informationsbeschränkungen und Meinungslenkung sowie des Verbots des Hörens ausländischer sog. „Feindsender“ während der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft neu ins Grundgesetz aufgenommene Grundrecht,245 richtet sich zwar der gesetzgeberischen Grundintention nach in erster Linie gegen die staatliche Beschränkung nicht-staatlicher Informationsquellen; insbesondere in Gestalt klassischer Medienformate. Gleichwohl sind unter „Quellen“ im Sinne der Vorschrift nach allgemeiner Ansicht alle Träger von Informationen, unabhängig davon, ob diese dem privaten oder dem öffentlichen Bereich zugehörig sind, zu verstehen.246 Ferner stellt auch der Informationsgegenstand selbst, mithin tatsächlich Ereignisse und Vorgänge, eine taugliche Informationsquelle in diesem Sinne dar,247 sodass die Tätigkeit der Staatsorgane grundsätzlich als Gegenstand der Informationsfreiheit eingestuft werden kann.248 Der Anwendungsbereich erstreckt sich jedoch nur auf solche Quellen, die „allgemein zugänglich“ sind, was voraussetzt, dass diese „geeignet und bestimmt [sind], der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personen243 BVerfGE 27, 71 (80 f.); 90, 27 (32); 103, 44 (60 f.); vgl. hierzu Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 222 ff.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 89; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 138 ff.; a. A. Geiger, in: FS Arndt, S. 119 (124). 244 So auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5, Rn. 6; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rn. 17; ders., AfP 2004, S. 181 (184); ähnlich Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 76 der jedoch allein von der Spezialität der Informationsfreiheit gegenüber der Meinungsfreiheit ausgeht, sofern ein „über die geistige Sphäre hinausgehendes Verhalten im Sinne einer Entgegennahme oder Beschaffung von Informationen vorliegt“; a. A. Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 99, der von der Meinungsfreiheit die Sammlung, Ordnung, Archivierung, Kombinierung und sonstigen Verarbeitung von Informationen „soweit sie der Grundrechtsträger aus eigenen Kräften oder aus eigenen Mitteln bestreitet“ umfasst sieht. 245 BVerfGE 27, 71 (80); siehe hierzu Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 986; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 5, Rn. 21; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 102. 246 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 161; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, Art. 5, Rn. 25; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5, I, II, Rn. 77; Wendt, in: v. Münch/ Kunig, Art. 5, Rn. 22; vgl. auch BVerfGE 103, 44 (60 f.). 247 BVerfGE 103, 44 (60); siehe hierzu Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 162; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1004; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5, I, II, Rn. 77; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rn. 22. 248 Mithin verbürgt Art. 5 Abs. 1 S. 1, Alt. 2 GG nicht nur die Unterrichtung aus Quellen, sondern auch die Unterrichtung an der Quelle, siehe Herzog, in: Maunz/Dürig, 67. Ergänzungslieferung 2012, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 87.
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kreis, Informationen zu verschaffen.“ 249 Eine solche Zweckbestimmung durch den Urheber kann gleichfalls im Bereich staatlicher Institutionen erfolgen.250 Dementsprechend ist auch das – der Öffentlichkeit zugängliche – Staatshandeln selbst vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Alt. GG erfasst und damit der Zugang hierzu subjektiv-rechtlich abgesichert. Dabei schützt die Informationsfreiheit nicht nur das elementarere Bedürfnis des Menschen sich „aus möglichst vielen Quellen zu unterrichten, das eigene Wissen zu erweitern und sich so als Persönlichkeit zu entfalten“, sondern ist gleichfalls Voraussetzung für eine Teilhabe am demokratischen Willensbildungsprozess: „Denn nur umfassende Informationen, für die durch ausreichende Informationsquellen Sorge getragen wird, ermöglichen eine freie Meinungsbildung und -äußerung für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft.“ 251
Hierdurch wird der Bürger in den Stand gesetzt, den politischen Prozess zu durchschauen und hieran mitverantwortliche teilzuhaben.252 Insofern greifen Meinungs- und Informationsfreiheit – wie schon aus der engen Verbindung im Verfassungstext ersichtlich – nahtlos ineinander und schützen den gesamten Kommunikationsvorgang vom Empfang einer Information bis zur Äußerung einer Meinung.253 Eine insoweit normativ abgesicherte Teilhabe am demokratischen Willensbildungsprozess setzt denknotwendig einen Informationsfluss aus der staatlichen Sphäre voraus,254 sei es durch direkte Anschauung staatlicher Vorgänge oder durch mittelbare Kenntnisnahme über mediale Informationsquellen, welche wiederum ihrerseits der Möglichkeit der Kenntnisnahme staatlicher Vorgänge bedürfen.255 Die subjektiv-rechtliche Garantie dieses Informationsflusses im Rahmen der Informationsfreiheit ist infolge der Beschränkung des Schutzbereichs auf allgemein zugängliche Quellen allerdings auf solche staatlichen Informationsquellen begrenzt, die für die allgemeine Kenntnisnahme bestimmt wurden. Ei249
BVerfGE 103, 44 (60). BVerfGE 103, 44 (60 f.); Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1007; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, Art. 5, Rn. 26.1.; Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 162, Rn. 39. 251 BVerfGE 27, 71 (81). 252 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 160; Schmidt-Jortzig, in: Isensee/ Kirchhof, HStR VII, § 162, Rn. 34; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 14. 253 So etwa Jestaedt, in: Merten/Papier HGR, Bd. IV, § 102, Rn. 102; ferner auch Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 393, der von der Informationsfreiheit als notwendigem „Gegenstück“ zur Meinungsfreiheit spricht. Siehe auch Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 76; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 139. 254 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 102 f., 106, 115 f.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 32. 255 Zu letzterem siehe noch Kap. 3 A. III. 3. 250
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nen darüber hinausgehenden Anspruch des Bürgers auf Eröffnung neuer, bisher nicht einsehbarer Informationsquellen gewährt das Grundrecht dagegen nicht.256 Gleichwohl wird vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips eine staatliche Rechtspflicht zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an vorhandenen Informationsquellen aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG angenommen.257 b) Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nach Art. 8 und 9 GG Die Versammlungsfreiheit gewährleistet gemäß Art. 8 Abs. 1 GG das Recht eines jeden Deutschen,258 sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, wobei eine Versammlung die Zusammenkunft von mehreren Personen, die auf einen gemeinsamen Zweck gerichtet ist, bezeichnet.259 Im Einzelnen sind die Anforderungen an diesen Zweck lebhaft umstritten.260 Für die hier interessierende Fragestellung ist eine Positionierung diesbezüglich jedoch entbehrlich, da, selbst wenn man mit der restriktiven Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Zusammenkunft zum Zwecke einer Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung fordert,261 diese Voraussetzung im Rahmen der kommunikativen Einflussnahme auf die öffentliche Meinung zwingend erfüllt ist. Die Versammlung stellt als „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ 262 eine kollektive Form der Meinungskundgabe dar.263 Sie dient damit u. a. der Absicherung der demokratisch verwurzelten Teilhabe am Prozess der öffentlichen Mei256 BVerfGE 103, 44 (59 f.); siehe auch Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 58; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1021, 1023; Starck/Paulus, in: von Mangoldt/Klein/Stack, Art. 5, Abs. 1 u. 2, Rn. 117; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, Art. 5, Rn. 32; Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 162, Rn. 35. 257 So etwa Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 179; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1022; für den Extremfall demokratiegefährdender Struktur- und Konzentrationseffekte auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II, Rn. 247. 258 Für Nicht-Deutsche ist insofern Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrechte mit inhaltgleicher Gewährleistung anwendbar, vgl. BVerfG, NVwZ 1990, S. 853 (854); ferner Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 8, Rn. 39; Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 8, Rn. 31; Höfling, in: Sachs, Art. 8, Rn. 46; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 8, Rn. 11; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 8, Rn. 7 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 8, Rn. 48, 54; a. A. Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 8, Rn. 109. 259 Allgemeine Ansicht, siehe etwa Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 8, Rn. 44; Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 8, Rn. 15; Höfling, in: Sachs, Art. 8, Rn. 14; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 8, Rn. 3; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 8, Rn. 23. 260 Zu den in diesem Rahmen nicht entscheidenden Anforderungen siehe ausführlich Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 8, Rn. 46 ff.; Hoffmann-Riem, in: Merten/Papier, HGR IV, § 106, Rn. 40 ff.; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164, Rn. 25 ff. 261 BVerfGE 104, 92 (104); so auch BVerwGE 56, 63 (69); OVG NRW, NVwZ 2001, S. 1316; OVG Thüringen, NVwZ-RR 1998, S. 497 (498). 262 BVerfGE 69, 315 (343). 263 BVerfGE 69, 315 (345); Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164, Rn. 120; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 18 f.
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nungsbildung.264 Hierbei ermöglicht sie zunächst die gemeinsame Meinungsbildung, indem sie ein Forum für die Kommunikation der Teilnehmer untereinander bietet, aus der heraus sich Meinungstendenzen bilden können.265 Darüber hinaus zielt sie vor allem auf den Aspekt der Meinungskundgabe ab, etwa im Wege der Betonung von gesellschaftlichen Problemlagen und Missständen sowie der Artikulation eigener bzw. der Äußerung von Kritik und Protest bezüglich staatlich verfolgter Lösungsansätze.266 Durch die Kollektivität des Auftretens und der Meinungsäußerung erfährt diese in der Regel eine gesteigerte Resonanz und nimmt mithin potentiell effektiver an der öffentlichen Meinungsbildung teil.267 Aus Sicht staatlicher Herrschaftsträger fungiert die Meinungsäußerung im Rahmen von Versammlungen als Seismograf, der Stimmungen aus dem Volk sowie mögliche Konfliktpotentiale frühzeitig erkennbar macht und die Möglichkeit eröffnet, hierauf mit Kurskorrekturen zu reagieren.268 Ähnliches gilt für die in Art. 9 GG enthaltene Vereinigungsfreiheit, welche ebenfalls den Kommunikationsgrundrechten zugeordnet wird.269 Gemäß Art. 9 Abs. 1 GG haben alle Deutschen270 das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Zu den hiervon geschützten Tätigkeiten gehört neben der Gründung einer Vereinigung auch der Beitritt hierzu, der Verbleib hierin271 sowie alle der Selbstorganisation dienenden „vereinsspezifischen Tätigkeiten“.272 Meinungsbildung 264 BVerfGE 69, 315 (343 ff.); ebenso Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 404; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164, Rn. 12; Schmitt Glaeser, in: Isensee/ Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 18 ff. 265 Hierzu Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 8, Rn. 182; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 404; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 19. 266 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 404 beschrieb Versammlungen sogar als „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“, das geeignet sei, „den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“. Hieran anknüpfend auch BVerfGE 69, 315 (347). 267 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 404. BVerfGE 69, 315 (346 f.) betont zudem die Kompensationsfunktion der Versammlungsfreiheit, die – neben der Mitwirkung in Parteien und Verbänden – die mangels plebiszitärerer Elemente der Verfassung relativ begrenzten Einwirkungsmöglichkeiten auf die politische Willensbildung ausgleicht. Siehe hierzu Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164, Rn. 12. 268 BVerfGE 69, 315 (345); vgl. auch schon BVerfGE 7, 198; ferner Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 164, Rn. 13; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 19. 269 So etwa Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 37; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 21; Scholz, Koalitionsfreiheit, 1971, S. 286 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 8, 33. 270 Für nicht-Deutsche gilt dagegen Art. 2 Abs. 1 GG. Siehe auch BVerfGE 35, 382 (399); Merten, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 165, Rn. 25; a. A. Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 9, Rn. 47. 271 BVerfGE 50 290 (354); 10, 89 (102); Cornils, in: Epping Hillgruber, Art. 9, Rn. 9; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 77 ff. 272 Beispiele hierzu bei Cornils, in: Epping/Hillgruber, Art. 9, Rn. 11; Merten, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 165, Rn. 52; v. Münch, in: BK, Art. 9, Rn. 47. Dagegen
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und -verbreitung vollziehen sich dabei häufig im Rahmen von Vereinigungen, womit Art. 9 GG eine die Meinungsfreiheit ergänzende Gewährleistung darstellt.273 Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu betont: „Mit dem Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden, gewährleistet Art. 9 Abs. 1 GG ein konstituierendes Prinzip der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes: das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung.“ 274 Dabei wird der Vereinigungsfreiheit insbesondere mit Blick auf die kommunikative Einflussnahme auf die öffentliche Meinungs- und Willensbildung eine wesentliche Bedeutung zugesprochen,275 da sich diese – wie gesehen – häufig im kommunikativen Austausch innerhalb eines Kollektivs vollzieht. Hinzu kommt wiederum die Möglichkeit der effektiveren Artikulation spezifischer Interessen.276 In der Praxis kommt insofern vorzugsweise den von Art. 9 Abs. 1 GG umfassten Interessenverbänden ein erheblicher Einfluss im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses zu.277 Diese bewirken eine „Vorformung des politischen Willens“ und kommunizieren Gruppeninteressen gegenüber staatlichen Entscheidungsträgern.278 Wie die individuelle Meinungsbildung und -äußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist gleichermaßen die kollektive Kommunikation im Rahmen von Versammlungen und Vereinigungen zwingend auf eine Einspeisung von Informationen aus der staatlichen Sphäre angewiesen und setzt damit deren Öffentlichkeit implizit voraus. c) Petitionsrecht gemäß Art. 17 GG Schließlich ermöglicht auch das Petitionsrecht dem Staatsbürger eine direkte Artikulation gesellschaftlicher Interessen gegenüber dem Staat insbesondere in Gestalt des Parlaments. Nach Art. 17 GG hat jedermann das Recht, sich – einzeln fallen nach außen gerichtete und nicht vereinsspezifische Tätigkeiten, welche vielmehr auch von natürlichen Personen ausgeübt werden können, nicht unter Art. 9 Abs. 1 GG, sondern werden vielmehr von den jeweils sachlich einschlägigen Grundrechten umfasst. Vgl. hierzu BVerfGE 70, 1 (25) sowie Cornils, in: Epping/Hillgruber, Art. 9, Rn. 12 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 9; Merten, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 165, Rn. 52. 273 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 409; Murswiek, JuS 1992, S. 116 (117). 274 BVerfGE 50, 290 (353); vgl. auch BVerfGE 38, 281 (303). 275 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 409; Merten, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 165, Rn. 8; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 8; ders., Koalitionsfreiheit, S. 286 ff. 276 Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 21 betont das Potential von Vereinigungen, „mit einer Stimme“ zu sprechen. 277 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 409; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 45 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 54; v. Münch, in: BK, Art. 9, Rn. 7. 278 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 13, vgl. auch Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 151, 409; Merten, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 165, Rn. 8.
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oder in Gemeinschaft mit anderen – schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. Hiermit wird bezweckt, dass sich der Einzelne auch außerhalb formaler Verwaltungs-, Gerichtsoder Rechtsbehelfsverfahren mit einem politischen oder rechtlichen Anliegen an den Bundestag richten kann.279 Durch das Petitionsrecht wird eine weitere Möglichkeit der Einflussnahme auf die politische Willensbildung grundrechtlich verbürgt. Von den übrigen kommunikationsrechtlichen Gewährleistungen unterscheidet es sich rechtlich allerdings durch die hierdurch ausgelöste Befassungspflicht.280 Wie die zuvor genannten Kommunikationsgrundrechte setzt auch das Petitionsrecht grundsätzliche staatliche Öffentlichkeit voraus. 2. Mitwirkung von Parteien an der staatlichen Willensbildung Die Einflussnahme auf die politische Willensbildung erfolgt nicht allein durch Ausübung der Kommunikationsgrundrechte, sondern auch und vor allem im Rahmen von und durch politische Parteien.281 Als Zusammenschluss von Personenmehrheiten sind sie dem Grunde nach Vereinigungen im Sinne von Art. 9 GG, werden jedoch von Art. 21 GG spezifisch erwähnt und besonders geschützt. Ihre Hauptaufgabe besteht nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG darin, „bei der politischen Willensbildung des Volkes“ mitzuwirken. Obwohl den Parteien mithin ein verfassungsrechtlicher Status zugewiesen wird und sie in der Folge vom Bundesverfassungsgericht als „verfassungsrechtliche Institutionen“ 282 eingestuft werden, stellen sie nach heute ganz herrschender Meinung keine Staatsorgane dar.283 Vielmehr handelt es sich bei ihnen um Vereinigungen von Bürgern (vgl. § 2 Abs. 1 PartG), d.h. um im gesellschaftlichen Bereich wurzelnde Gruppen,284 welche allerdings dazu berufen sind, „bei der politischen Willensbildung mitzuwirken und in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinzuwirken“, ohne die-
279 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 17, Vor. Rn. 1; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17, Rn. 46; Stettner, in: BK, Art. 17, Rn. 10. 280 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17, Rn. 140. Zur Befassungspflicht siehe auch BVerfGE 2, 225 (230); 13, 54 (90); H. Bauer, in: Dreier, Art. 17, Rn. 33; Stettner, in: BK, Art. 17, Rn. 67. 281 Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 47; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 25 ff.; vgl. auch Grimm, in: HdVR, § 14, Rn. 12 ff.; Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21, Rn. 59 ff.; Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 19 ff. 282 BVerfGE 1, 208 (225); 2, 1 (73 f.); 5, 85 (133); 73, 40 (85). 283 BVerfGE 20, 56 (101); 85, 264 (283, 287 f.); 107, 339 (361); 121, 30 (54); Grimm, in: HdVR, § 14, Rn. 26 ff.; Hesse, VVDStRL 1959, S. 11 (40); Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21, Rn. 65; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 8. Für eine Gleichstellung von Parteien und Staatsorganen sprach sich allerdings Leibholz, DVBl 1950, S. 194 (196 f.) im Rahmen seiner Parteienstaatslehre aus. 284 BVerfGE 20, 56 (101); 85, 264 (287); 91, 262 (268); 91, 276 (285 f.); 121, 30 (54).
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sem selbst anzugehören.285 Konrad Hesse sieht sie daher als „Zwischenglieder zwischen dem Einzelnen und dem Staat“.286 Ähnlich betont das Bundesverfassungsgericht eine „Mittlerrolle“ 287 der Parteien zwischen dem Willensbildungsprozess des Volkes und der Konstituierung eines Staatswillens. Die Mitwirkung an der politischen Willensbildung äußert sich zuvorderst in Form der Beteiligung an den Wahlen zum Deutschen Bundestag, indem die Parteien einerseits Kandidaten aufstellen und deren Wahlkampf durchführen, sowie andererseits durch die eigenen inhaltliche Positionierung in Form eines Wahlprogramms eine grundsätzliche Ausrichtung der Politik wie auch konkrete Lösungsvorschläge darbieten und bewerben, für oder gegen die sich die Aktivbürger entscheiden können.288 Dabei sind in der pluralistischen Demokratie Parteien als politische Handlungseinheiten unerlässlich, um die Wähler zu aktionsfähigen Gruppen zusammenzufassen und ihnen so einen wirksamen Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt zu ermöglichen.289 Ferner stellen sie sicher, dass „der Wille der Bürger auch zwischen den Wahlgängen verwirklicht werden kann“,290 indem sie zentrale Akteure im permanenten Meinungs- und Willensbildungsprozess darstellen. Hierbei beeinflussen sie zunächst durch Vorformung des politischen Willens des Volkes im Rahmen ihres kommunikativen Handelns die öffentliche Meinung.291 Fernerhin wirken sie – und das unterscheidet sie von anderen Meinungsakteuren – über die personelle Besetzung von Staatsämtern und den damit einhergehenden Einfluss auf das Handeln staatlicher Institutionen auch während der Wahlperiode permanent auf die Staatswillensbildung ein.292 Obwohl die Parteien – wegen des freien Mandats und der Verantwortlichkeit der Regierung nur gegenüber dem Parlament – formell keinen Einfluss auf das Verhalten der Abgeordneten bzw. der Regierungsvertreter ihrer Partei haben, besteht doch eine 285 BVerfGE 20, 56 (101); 73, 40 (85); 85, 264 (287); 121, 30 (53); zustimmend H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 159; J. Ipsen, in: Sachs, Art. 21, Rn. 9; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 8. 286 Hesse, VVDStRL 17 (1959) S. 11 (19); im Anschluss hieran BVerfGE 20, 56 (101). Zustimmend auch Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 8, der auf die Notwendigkeit „der Vermittlung zwischen ungeregelter gesellschaftlicher Meinungs- und Interessenvielfalt und organisierter staatlicher Handlungs- und Wirkungseinheit“ hinweist. 287 BVerfGE 20, 56 (101). 288 BVerfGE 91, 262 (268) spricht daher von „Wahlvorbereitungsorganisationen“; vgl. auch BVerfGE 8, 51 (63); 20, 56 (113). 289 BVerfGE 11, 266 (273); 52, 63 (83); 107, 339 (358 f.); 121, 30 (54). 290 BVerfGE 52, 63 (82 f.); siehe auch BVerfGE 85, 264 (285). 291 Hierzu Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 47; Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 21; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 13, 81. 292 BVerfGE 52, 63 (82 f.); 3, 19 (26); 14, 121 (133); 20, 56 (99, 101); 44, 125 (145 f.); siehe auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 170 f.; Schmitt Glaeser, HStR III, § 38, Rn. 27; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 13.
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starke Bindung der Mandatsträger an ihre politische Basis, nicht zuletzt mit Blick auf die Kandidatenaufstellung für zukünftige Wahlen.293 Die Grundlage dieser Einflussnahme von Parteien auf den politischen Willensbildungsprozess im Rahmen ihrer Mittlerfunktion setzt intern zunächst voraus, dass sie die auf die politische Macht und ihre Ausübung gerichteten Meinungen, Interessen und Bestrebungen sammeln, in sich ausgleichen und sie zu politischen Handlungsalternativen ausgestalten unter welchen der Bürger wählen kann.294 Dies setzt allerdings zwingend die tatsächliche Fähigkeit der impulsgebenden Bürger zur begründeten Meinungs- und Willensbildung voraus, was – wie gesehen – ohne einen Informationsfluss vom Staat zu den einzelnen Bürgern nicht denkbar wäre. Aber auch die Frage der aktiven Teilnahme an der Betätigung von Parteien ist nicht losgelöst von diesem staatlichen Informationsfluss zu betrachten. Hierzu statuiert Art. 21 GG eine Reihe von Rechten der Parteien selbst sowie von deren Mitgliedern, die unter dem Schlagwort der „Parteienfreiheit“ zusammengefasst werden.295 Neben der expressis verbis in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG genannten Freiheit, eine Partei zu gründen, welche desgleichen die Freiheit, Organisation und Programm derselben festzusetzen, umfasst,296 schützt die Vorschrift das individualrechtliche Beitritts- bzw. Austrittsrecht aus einer Partei,297 sowie die Betätigungsfreiheit als „Sammelbegriff, der die vielfältigen Rechte zusammenfasst, auf deren Inanspruchnahme die Parteien sowohl zur internen Willensbildung als auch zur Vertretung ihrer Vorstellungen nach außen angewiesen sind“.298 Letztere erstreckt sich damit insbesondere auf parteispezifische Tätigkeiten.299 293 Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof HStR III, § 38, Rn. 27; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 87 f. Die Beeinflussung zwischen Staatsamt und Partei erfolgt jedoch regelmäßig reziprok, da insbesondere Regierungsmitglieder regelmäßig hohe Ämter innerhalb der Partei innehaben und deren Willensbildung entsprechend mitbeeinflussen. Das Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich des Einflusses der Parteien, die im Parlament die Regierungsmehrheit bilden, betont, dass sich dieser kaum vom staatlichen Einfluss unterscheiden ließe BVerfGE 73, 118 (165); 122, 30 (55). 294 BVerfGE 52, 63 (82 f.). 295 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 263; J. Ipsen, in: Sachs, Art. 21, Rn. 28; Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21, Rn. 108; Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 50; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 90. 296 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 275, 278; Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 57, Gusy, in: AK-GG, Art. 21, Rn. 64; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 103. 297 Henke, in: BK, Art. 21, Rn. 270; Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 53; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21, Rn. 15; Preuß, in: AK-GG, Art. 21 Abs. 1, Rn. 35; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 105. 298 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 280. 299 Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 54; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 107; vgl. auch Grimm, in: HdVR, § 14, Rn. 31; J. Ipsen, in: Sachs, Art. 21, Rn. 32; noch weitergehend H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 282, der aufgrund von
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Unabhängig davon, ob man mit einem Teil der Literatur300 Art. 21 GG selbst Grundrechtscharakter zumisst oder die vorgenannten Schutzgehalte als von den Grundrechten vollumfänglich umfasst betrachtet und der Norm lediglich eine die allgemeinen Schrankenregelung modifizierende Rolle zuweist,301 ist eine subjektiv-rechtliche Verbriefung parteipolitischer Betätigung jedenfalls zu bejahen. Eine fundierte Entscheidung über die Gründung von, den Beitritt zu und die Mitarbeit in einer Partei setzt jedoch eine vorherige Meinungsbildung voraus, die nicht allein durch die Kenntnis der vorhandenen Parteien an sich – etwa hinsichtlich Binnenstruktur, Parteiprogramm und inhaltlichen Standpunkten, der Einbindung in das gesellschaftliche Interessen- und Beziehungsgefüge oder der Vermögensverhältnisse302 – hergestellt werden kann, sondern vielmehr auch eine kritischen Prüfung des Handelns der Vertreter derselben in Staatsämtern voraussetzt. Dabei argumentieren nicht zuletzt die Parteien selbst im politischen Wettbewerb vorrangig mit eigenen Errungenschaften bzw. mit Versäumnissen anderer Parteien bei der Ausübung von Staatsämtern. Gerade wegen der personellen Verschränkung von politischem Mandat und Parteimitgliedschaft ist die Entscheidung über die Ausübung der Parteienfreiheit nicht ohne grundlegende Informationen über das Verhalten von Parteivertretern in den Staatsorganen denkbar. Folglich legen auch Rechtsstellung und Funktion politischer Parteien sowie die Betätigungsmöglichkeit im Rahmen der Parteienfreiheit die Öffentlichkeit staatlicher Verfahren nahe. 3. Relevanz der Massenmedien im Kommunikationsprozess In der modernen Massendemokratie stellt die direkte Anschauung der Staatstätigkeit durch die Bürger bzw. die unmittelbare Wahrnehmung gesellschaftlicher Meinungsbildung durch den Staat in der Regel nicht die entscheidende Grundlage für den Informationsaustausch zwischen Staat und Gesellschaft dar. Vielmehr wird kommunikative Öffentlichkeit primär durch Presse und Rundfunk vermittelt, da erst die Massenmedien die tatsächlichen Voraussetzungen der Kommunikation zwischen beiden Sphäre schaffen.303 Deren Tätigkeit wird durch die Abgrenzungsschwierigkeiten auch den Schutz nicht parteispezifischer Tätigkeit annimmt. 300 So J. Ipsen, in: Sachs, Art. 21, Rn. 29; wohl auch Henke, in: BK, Art. 21, Rn. 216. K. Stern, Staatrecht III/1, S. 375 f. spricht von einem „grundrechtsähnlichen Recht“. 301 So etwa H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 256 ff.; Kluth, in: Epping/ Hillgruber, Art. 21, Rn. 98 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 21, Rn. 46; Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 49; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 99, 111. 302 Diese Aspekte betreffen allerdings das gleichermaßen aus dem Demokratieprinzip hergeleiteten Grundsatz der Öffentlichkeit von Parteien, siehe hierzu H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21, Rn. 315 ff.; Kluth, in: Epping/Hillgruber, Art. 21, Rn. 141; Morlok, in: Dreier, Art. 21, Rn. 109; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 21, Rn. 176 ff.
A. Verwurzelung staatlicher Öffentlichkeit im Grundgesetz
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Presse- und Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) grundrechtlich geschützt, welche systematisch gleichfalls den Kommunikationsgrundrechten zuzuordnen sind.304 Die Nähe der Medien zur Demokratie ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass der Aktivbürger als Voraussetzung politischer Beteiligung die Möglichkeit besitzen muss, sich umfassend zu informieren und Meinungen und Argumente gegeneinander abzuwägen. Presse und Rundfunk fallen dabei die Aufgabe zu, den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess sicherzustellen, indem sie die relevanten Informationen beschaffen, ggf. bewerten sowie diese dem Bürger zur Verfügung stellen und damit einen Orientierungspunkt in der Auseinandersetzung der Meinungen bieten.305 Sie sind damit sowohl Medium als auch Faktor der politischen Meinungs- und Willensbildung.306 Presse und Rundfunk kommen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung, für Kritik und Kontrolle der öffentlichen Gewalt und für die Wahlentscheidung als demokratischen Grundakt“ 307 entscheidende Bedeutung zu. Zum anderen stellen in einer repräsentativen Demokratie die Massenmedien ein Verbindungselement zwischen dem Volk und seinen Repräsentanten in Parlament und Regierung dar, indem sie die sich in der Gesellschaft kontinuierlich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammenfassen, diese zur Diskussion stellen und an die politischen Akteure in den Staatsorganen herantragen. So ermöglichen sie, dass staatliche Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen gemessen werden können.308 Im Ergebnis sind Rundfunk und Presse damit als schlechthin konstituierend für die freiheitlich demokratische Grundordnung anzusehen.309 In ihnen kristallisiert 303 Siehe hierzu Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1114); Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (218 f.); Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 35 ff.; Kühling, DVBl 2008, S. 1098 (1100); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 17 ff.; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 172 ff. 304 Allgemeine Meinung, siehe etwa Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24, Rn. 37; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 2 ff.; Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 38, Rn. 13; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn.33; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5, Rn. 1 ff. 305 BVerfGE 20, 165 (174 f.). 306 BVerfGE 12, 205 (260); 97, 228 (267). 307 BVerfGE 91, 125 (134); vgl. auch BVerfGE 12, 205 (260); 35, 202 (222 f.); 40, 234 (240); 50, 234 (240); 63, 131 (142 f.). 308 BVerfGE 20, 162 (175); siehe hierzu Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 35 ff.; K. Stern, Staatsrecht IV/2, S. 25 f.; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 172 ff. 309 So ständige Rechtsprechung BVerfGE 35, 202 (221 f.); 117, 244 (258); vgl. auch BVerfGE 7, 198 (208); 10, 118 (121); 12, 205 (259 ff.); 20, 56 (97 f.); 20, 162 (174 ff.); 27, 71 (81 f.).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
sich die öffentliche Meinung heraus, sodass sowohl dem Bürger das Bilden von Werturteilen erleichtert wird, als auch den Vertretern der Staatsgewalt ein Querschnitt der in der Gesellschaft vertretenen Ansichten und Forderungen präsentiert wird.310 Damit sie ihrer bedeutsamen Funktion gerecht werden können, müssen Medienvertreter allerdings selbst in einem hinreichenden Umfang Zugang zu Informationen aus der staatlichen Sphäre haben, was wiederum eine Tendenz zur Publizität staatlichen Handelns nahelegt.311 4. Öffentlichkeit als Teil einer objektiven Werteordnung Resümierend ist festzuhalten, dass der vom Demokratieprinzip intendierte sowie durch Kommunikationsgrundrechte und Parteienfreiheit grundrechtlich abgesicherte Kommunikationszusammenhang zwischen Staat und Gesellschaft im Rahmen des freien und offenen Prozesses politischer Meinungs- und Willensbildung einen wechselseitigen Informationsaustausch und damit eine grundsätzliche Öffentlichkeit staatlichen Handelns zwingend voraussetzt. Die so herausgearbeitete grundrechtliche „Kommunikationsverfassung“ ist zudem nicht nur subjektiv-rechtlich aus der Perspektive der jeweiligen Grundrechtsträger abgesichert. Sie weist vielmehr einen objektiven, an den Staat gerichteten Gewährleistungsgehalt auf. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Grundrechte nicht allein eine subjektiv-rechtliche Komponente beinhalten, sondern gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dem Lüth-Urteil zugleich als „objektive Wertordnung“ begriffen werden, deren Akzente unabhängig von individuellen Rechtspositionen alle Bereiche der Staatsgewalt binden.312 Als solche stellen die Grundrechte einen objektiven, an den Staat gerichteten Auftrag dar, die entsprechenden Wertgehalte tatsächlich zu gewährleisten und im Zuge dessen auf die Herstellung bestimmter gesellschaftlicher Umstände hinzuarbeiten. Unter dieser Prämisse konstituiert die Öffentlichkeit staatlicher Vorgänge als Bedingung der tatsächlichen Verwirklichung der grundgesetzlichen Kommunikationsverfassung einen objektiven Verfassungswert, der die Ausübung der Staatsgewalt prägt und bindet.313 310
BVerfGE 35, 202 (221 f.); vgl. auch BVerfGE 20, 162 (174 f.). Soweit Medienvertreter Informationen aus allgemein zugänglichen (staatlichen) Quellen beschaffen wollen, ist dieses Verhalten nicht vorrangig von den spezifischen Medienfreiheiten, sondern vielmehr von der Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG geschützt, vgl. BVerfGE 103, 44 (59); Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 326; Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 143. Siehe ausführlich zur Abgrenzung der Schutzbereiche von Informations- und Medienfreiheiten noch Kap. 4 A. I. 3. b) aa). 312 Grundlegend BVerfGE 7, 198 (205); 21, 362 (372); 62, 323 (329); vgl. zusammenfassend auch Di Fabio, in: Merten/Papier, HGR II, § 46, passim; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 3, Rn. 17 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff. 313 So auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 115 f. 311
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IV. Bestehen eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitgrundsatzes Mithin wird staatliche Öffentlichkeit verfassungsrechtlich sowohl vom grundgesetzlichen Menschenbild als auch von den Staatstrukturprinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie als objektiver Wert der grundrechtlichen Kommunikationsverfassung vorausgesetzt. Fraglich ist insoweit allerdings, ob die herausgearbeiteten einzelnen Öffentlichkeitsgehalte zu einem zusammenhängenden allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz verdichtet werden können, welchem grundsätzlich jedes staatliche Handeln unterliegt und welcher damit nichtöffentliche Staatstätigkeit zur begründungsbedürftigen Ausnahme macht. Im Falle der Etablierung eines solchen Verfassungsgrundsatzes der Öffentlichkeit wäre ferner – auch abseits der einfachverfassungsrechtlich normierten Öffentlichkeitsgebote – ein direkter Rückgriff zur Ableitung von Rechtsfolgen bezüglich staatlichen Handelns – etwa in Form der Verhandlung parlamentarischer Ausschüsse – denkbar.314 Die Annahme eines allgemeinen Verfassungsgrundsatzes wird z. T. ausdrücklich auf das Demokratieprinzip gestützt. So spricht das Bundesverfassungsgericht von einem „allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie“.315 Andere Stimmen stützen ein solches auf einen breiteren Herleitungsansatz und verweisen neben demokratischen Aspekten auch auf das Rechtsstaatsprinzip,316 die Entscheidung für die Republik317 sowie z. T. zusätzlich auf das grundgesetzliche Menschenbild und die Wertentscheidung der Grundrechte.318 Zwar wird z. T. die Normativität eines allgemeinen Öffentlichkeitsgebots vollständig abgelehnt.319 Dieser Ansicht ist jedoch entgegenzuhalten, dass, wenn staatliche Öffentlichkeit wesentlicher Bestandteil sowie unverzichtbare Wirksamkeitsbedingung der vorgenannten Verfassungsprinzipien ist, sie auch an deren Normativität partizipieren muss, unabhängig davon, ob man das Öffentlichkeitspostulat als eigenen Verfas314 Zur „Reservefunktion“ von Verfassungsprinzipien als Normen des Verfassungsrechts siehe ausführlich Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 315 f. Mit Bezug auf die Regelungsgehalte von Art. 20 GG ferner auch Dreier, in: Dreier, Art. 20 (Einführung), Rn. 14; Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Art. 20, Rn. 4. 315 BVerfGE 103, 44 (63); 70, 324 (358); so auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 21 ff. sowie speziell für den Bereich des Parlaments Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (675). 316 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (93 ff.); Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 77 ff.; Meinel, KJ 2004, S. 417; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 63 ff. 317 Meinel, KJ 2004, S. 417 f.; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 67 ff. 318 Die breiteste Herleitung erfolgt insofern bei Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 64 ff. 319 Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (220); in diese Richtung auch Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (54); ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2.1; Kluth, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, § 42, Rn. 5.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
sungsgrundsatz320 oder lediglich als unselbstständigen Ausfluss übergeordneter Prinzipien321 ansieht. Demgemäß bleibt allein fraglich, ob von einem eigenständigen Verfassungsgrundsatz staatlicher Öffentlichkeit ausgegangen werden kann. Den Ansichten, die einen solchen bejahen, ist gemein, dass sie kaum Aussagen zu den dogmatischen Anforderungen der Begründung von Verfassungsgrundsätzen treffen und diese auf den Fall staatlicher Öffentlichkeit anwenden. Während das Bundesverfassungsgericht322 und ein Teil der Literatur323 das Bestehen eines allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes der Demokratie schlicht feststellt, hält erstmals HansUlrich Jerschke resümierend fest, dass die ausdrücklichen Öffentlichkeitsgebote in der Verfassung durch „die Publizitätshinweise in den Staatsformbestimmungen (II), der Informationsabhängigkeit des Bürgers (III) und dem Wertaspekt der Öffentlichkeit staatlichen Handelns aus den Kommunikationsgrundrechten (IV) zu einem einheitlichen Prinzip“ 324 erhoben werden. Weitere Stimmen325 nehmen eine Ableitung des allgemeinen Grundsatzes aus einer zusammenfassenden Betrachtung der einzelnen öffentlichkeitrelevanten Inhalte der Staatsstrukturprinzipien vor. Um diese Annahme eines allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes dogmatisch zu unterfüttern, ist dezidiert auf die methodischen Voraussetzungen der Begründung eines allgemeinen Verfassungsgrundsatzes einzugehen. 1. Rechtsdogmatische Grundlegung – Unterscheidung von Verfassungsprinzipien und -grundsätzen Zunächst ist der Terminus des „Verfassungsgrundsatzes“ vom häufig synonym verwendeten326 Begriff des „Verfassungsprinzips“ abzugrenzen. Der Begriffsinhalt eines „Prinzips“ ist in der Rechtstheorie Gegenstand kontroverser Debatte. Dabei werden Prinzipien z. T. im Anschluss an Robert Alexy als Optimierungsgebote verstanden, welche gebieten, dass ein normativer Gehalt „in einem relativ 320 Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (102); Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 21; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 116; Meinel, KJ 2004, S. 413 (421); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 71; ähnlich auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 374 f.; unter Bezugnahme auf die Gerichtsöffentlichkeit wohl auch v. Coelln, Medienöffentlichkeit, S. 220 f. 321 In diese Richtung Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 60 ff.; Kühling, DVBl 2008, S. 1098 ff.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 27 ff.; Pieroth, JuS 2010, S. 473 (479). 322 BVerfGE 70, 324 (358); 103, 44 (63). 323 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (675); Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 116. 324 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 116. 325 So Drefs, in: Dreier/Fischer/van Ray/Spiecker gen. Döhmann, Informationen der öffentlichen Hand, S. 89 (102); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 71. 326 Siehe hierzu Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 59 ff.
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auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird“.327 Tragende Rolle für die Begriffsbestimmung spielt dabei das Kriterium der Abwägungsfähigkeit mit anderen Prinzipien.328 Dem treten zumindest im Bereich des Verfassungsrechts andere Stimmen entgegen, die kritisch darauf hinweisen, dass jedenfalls in Gestalt des Menschenwürdesatzes sowie des Republikprinzips abwägungsfeste Verfassungsprinzipien existieren.329 Charakteristisches Merkmal des Prinzips sei vielmehr dessen inhaltliche Generalität, welche sich im Fehlen einer konditionalen Struktur ausdrücke. Franz Reimer definiert das Verfassungsprinzip in der Folge als „Zentralnorm der Verfassung ohne Rechtfolgenvorherbestimmung“.330 Unabhängig davon, welchem Begriffsverständnis letztlich zugeneigt wird, steht jedenfalls fest, dass Verfassungsprinzipien verbindliche Rechtsnormen und nicht bloß hinter den Normen liegende, unverbindliche Grundgedanken und Maximen darstellen, sodass sie unmittelbar als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen sind.331 In Bezug auf Verfassungsprinzipien kann sodann begrifflich weiter aufgefächert werden. Es bietet sich an, zwischen expliziten und impliziten Verfassungsprinzipien zu differenzieren. Dabei folgt ein explizites Verfassungsprinzip bereits mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Text der Verfassung (z. B. in Art. 20 Abs. 1 GG die Aspekte der Demokratie, Bundesstaatlichkeit oder Sozialstaatlichkeit), wobei eine expressis verbis erfolgende Bezeichnung als „Prinzip“ nicht erforderlich ist.332 Ein implizites Verfassungsprinzip ist dagegen Bestandteil des Grundgesetzes, ohne ausdrücklich angesprochen zu werden und ergibt sich erst durch weitere Rückschlüsse.333 Das Bundesverfassungsgericht hat dazu betont, dass „das Verfassungsrecht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung besteht, sondern auch aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgesetzgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem man ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat.“ 334 327
Alexy, Theorie der Grundrechte, 8. Aufl. 1986, S. 75 f. Alexy, Theorie der Grundrechte, 8. Aufl. 1986, S. 94 ff.; ebenso Canaris, Systemdenken, 2. Aufl. 1983, S. 48, 52 ff. 329 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 510; ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 174 f., 215, der zudem auf den abwägungsfesten Kernbereich von Verfassungsprinzipien wie der Bundesstaatlichkeit oder Demokratie hinweist. In diesem Sinne auch Sachs, ZG 1991, S. 1 (13). 330 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 249 ff. 331 Göldner, Verfassungsprinzip, 1969, S. 182; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 510 f.; ders., Verfassungsprinzipien, 2001 S. 58. 332 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 513. Eine solche wird denn auch im Grundgesetz an keiner Stelle vorgenommen, wie Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 205, Fn. 141 betont. 333 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 514; ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 205 f., 211 ff. 334 BVerfGE 2, 380 (403). 328
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Die Öffentlichkeit staatlichen Handelns ist im Grundgesetz – wie gesehen – nur hinsichtlich einzelner Organe und Unterorgane des Bundes, mithin lediglich punktuell positivrechtlich niedergelegt. In Ermangelung der expliziten Normierung eines allgemeinen, die verschiedenen Teilbereiche staatlichen Handelns überspannenden Öffentlichkeitsprinzips kommt im Weiteren daher nur die Begründung eines impliziten Verfassungsprinzips in Betracht. Dessen Identifikation richtet sich sodann nach dem jeweiligen Geltungsgrund des Prinzips, wobei zwischen Prinzipien kraft Inkorporation und kraft Interpretation unterschieden werden kann.335 Prinzipien kraft Inkorporation gelten dabei als sog. „Grundannahmen“ infolge der Tatsache, dass ein Regelungsgehalt vom Verfassungsgeber bzw. vom verfassungsändernden Gesetzgeber unausgesprochen vorausgesetzt wurde.336 Prinzipien kraft Interpretation wurden dagegen durch den Verfassungsgeber oder verfassungsändernden Gesetzgeber weder explizit noch implizit in die Verfassung aufgenommen und sind daher durch die Interpretationsleistung des Rechtsanwenders als objektiv teleologischer Gehalt der Verfassung konstitutiv herauszuarbeiten. Dies kann entweder durch Induktion – also einem Schluss von konkreten Einzelgehalten auf ein allgemeines Prinzip – oder durch Deduktion, mithin durch die diskursiv folgernde Ableitung konkreterer Regelungsgehalte als Teilmenge von übergeordneten Begriffen, Prinzipien oder Werten, geschehen.337 Im Rahmen der Deduktion von Verfassungsprinzipien werden diese durch eine Interpretationsleistung des Rechtsanwenders als objektiv teleologischer Gehalt der Verfassung diskursiv folgernd entfaltet, sodass sie sich als Teilaspekt und Folge des Gehalts eines übergeordneten Prinzips darstellen.338 Die Unterscheidung von über- und untergeordneten Prinzipien kann mit dem Begriffspaar des Haupt- und Subprinzips gekennzeichnet werden. Hauptprinzipien zeichnen sich dabei durch ihre Abstraktionshöhe aus und stellen die jeweils höchsten Prinzipien in einem sachlich umgrenzten Teilbereich der Verfassung dar.339 Subprinzipien340 werden dagegen unmittelbar oder mittelbar von einem oder mehreren341 335
Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 212 ff. Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 199 ff. 337 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 198, 203 ff., 212 f. 338 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 213. 339 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 184 weist zu Recht darauf hin, dass die Einschränkung auf einen bestimmten Sachbereich notwendig ist, da ansonsten nur das Menschenwürdegebot als allumspannender Verfassungssatz ein Hauptprinzip wäre. 340 Begrifflich so auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 17, 65 ff.; Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 184 ff.; Sommermann, Staatsziele, 1997, S. 49; z. T. wird auch von „Unterprinzipien“ gesprochen so etwa Canaris, Systemdenken, 2. Aufl. 1983, S. 57; Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 474 ff.; Papier/Möller, AöR 122 (1997), S. 177 (179). 341 Hierbei spricht Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 187 von einem sog. „Mischprinzip“. 336
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Hauptprinzipien abgeleitet.342 Bezüglich Subprinzipien kann wiederum aufgrund ihrer gegenständlichen Begrenzung auf Teilbereiche eines oder mehrerer Hauptprinzipien streng genommen (nach der obigen Definition Reimers) nicht von einer „Zentralnorm“ der Verfassung und damit auch nicht von einem Verfassungsprinzip im eigentlichen Sinne gesprochen werden.343 Um diese Besonderheit hinsichtlich der (relativen) Abstraktionshöhe terminologisch einzufangen, soll im Folgenden sofern von Subprinzipien die Rede ist von einem „Verfassungsgrundsatz“ gesprochen werden. Wird hingegen – eine Ebene höher – von einem überspannenden Hauptprinzip gesprochen, ist der Begriff des „Verfassungsprinzips“ zu verwenden. 2. Allgemeines Öffentlichkeitsprinzip als freizulegende Grundannahme Bei der Öffentlichkeit des Staatshandelns könnte es sich um eine vom Verfassungsgeber vorausgesetzte Grundannahme handeln, welche der Freilegung durch den Rechtsanwender bedürfte.344 Dies erfordert, dass ein Prinzipiengehalt vom Verfassungsgeber bzw. verfassungsändernden Gesetzgeber nach dessen Willen rechtlich verbindlich in die Verfassung aufgenommen wurden, sodass die Freilegung rein deklaratorisch wirkt.345 Zwar ist hierbei grundsätzlich restriktiv vorzugehen, um nicht der Gefahr zu erliegen, Gehalte, die einem rechts-, staatsphilosophischen oder verfassungstheoretischen Vorverständnis des Interpreten entspringen, als vermeintliche Grundannahme ohne Verankerung im Verfassungstext zu unterstellen. Gleichwohl ist das Grundgesetz nicht in einem kulturell und verfassungsgeschichtlich „luftleeren Raum“ entstanden, sodass tradierte Vorstellungen durchaus vom Verfassungsgeber rezipiert worden sein können.346 Darum ist das Vorliegen einer Grundannahme dezidiert subjektiv-historisch nachzuweisen, wobei einzelne Verfassungsvorschriften sowie deren Anordnung, Kombination und Systematik Erkenntnisquelle sein können. Die Begründungslast für die Annahme eines entsprechenden Willens des Verfassungsgebers ist umso geringer, je typischer der freizulegende Gehalt für die in der Verfassung positivierten Grundentscheidungen ist.347 Für eine Grundannahme staatlicher Öffentlichkeit könnte hier insbesondere sprechen, dass die Staatsstrukturprinzipien sowie das grundgesetzliche Menschenbild typischerweise der Funktionsvoraussetzung 342 Die Existenz von Subprinzipien ist zudem verfassungsgerichtlich anerkannt. So erwähnt das Bundesverfassungsgericht explizit die Existenz von „aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Verfassungsprinzipien“, BVerfGE 52, 214 (219); ähnlich auch BVerfGE 30, 1 (24 f.); 92, 203 (239). 343 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 184 f., 257. 344 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 212, 398 ff. 345 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 198 ff., 203. 346 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 399. 347 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 403.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
eines gewissen Maßes an Öffentlichkeit bedürfen und diese daher unausgesprochen vorausgesetzt worden sein könnte. Hiergegen spricht allerdings die Tatsache, dass Öffentlichkeitspflichten vom Verfassungsgeber bedacht und gezielt normiert wurden; auf eine allgemeine, die gesamte Staatstätigkeit umfassende Öffentlichkeitspflicht gleichwohl verzichtet wurde. Zwar schadet eine partielle Positivierung von Teilgehalten mit Blick auf die Annahme eines freizulegenden Verfassungsprinzips grundsätzlich nicht. Vielmehr können Einzelnormen sogar Rückschlüsse auf ein solches zulassen,348 da auch hier die Faustregel gilt, dass die Begründungslast für eine Rechtsbehauptung umso höher ist, je weniger diese im Normtext Ausdruck findet.349 Hieraus folgt aber auf den vorliegenden Fall bezogen, dass die Darlegungsschwelle aufgrund des nur punktuellen und damit begrenzten Niederschlags in der Verfassung entsprechend hoch ist. Insofern ist nicht ersichtlich, dass der Verfassungsgeber über die spezifischen Öffentlichkeitspflichten hinaus ein umfassendes Öffentlichkeitsgebot in Form eines Verfassungsprinzips vor Augen hatte. An einem verfassungshistorischen Vorbild hierfür fehlt es im Übrigen.350 Vor allem das Handeln der Exekutive unterlag klassischerweise und unterliegt noch heute in weiten Teilen nicht der Öffentlichkeit.351 Demnach lässt sich der historische Wille des Verfassungsgebers hinsichtlich eines allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips jedenfalls nicht verlässlich begründen, sodass die Freilegung einer Grundannahme allgemeiner staatlicher Öffentlichkeit ausscheiden muss. 3. Herleitung eines allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips im Wege der Induktion Fraglich ist, ob vorliegend die interpretative Herleitung eines allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips im Wege der Induktion in Betracht kommt. Diese stellt sich als Schluss von Besonderen auf das Allgemeine durch Zusammenschau und Verallgemeinerung verschiedener spezieller Verfassungsvorschriften dar.352 Hierbei muss der Rechtanwender insbesondere untermauern, dass ein bestimmter Rechtsgedanke im positiven Recht bereits angelegt ist, was in der Regel durch das Herausarbeiten eines gemeinsamen Wesensgehalts der zur Begründung eines Ver348
In diese Richtung auch Sattler, Streitbare Demokratie, 1982, S. 32. Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 514; ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 145, 398; Stürner, in: FS Baur, 647 (650). 350 Gerade im Bereich des Parlamentarismus war die Öffentlichkeit seit jeher nur teilweise verwirklicht. So waren z. B. Ausschüsse hiervon historisch stets ausgeklammert. Siehe hierzu schon Kap. 2 A. III. 351 Siehe ausführlich Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 3 ff., 317 ff., 387 ff.; vgl. auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 23 ff. 352 Siehe hierzu Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 598 ff.; vgl. auch Canaris, Feststellung von Lücken, 2. Aufl. 1983, S. 98; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 114. 349
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fassungsprinzips herangezogenen Einzelvorschriften geschieht. Dabei gilt der Grundsatz, dass der Rückschluss auf ein induziertes Prinzip umso zwingender ist, je breiter und konkreter die Ausgangsbasis der besonderen Verfassungsvorschriften hierfür ist.353 Dabei muss jedoch die Induktionsbasis vollständig herausgearbeitet werden, was bedingt, dass auch solche Normen, die einer Induktion entgegenstehen, etwa weil sie für einen Teilbereich eine Rechtsfolge gerade nicht vorsehen, berücksichtigt werden.354 Im Ergebnis kommt es darauf an, dass die herangezogenen Normen nicht allein einen gemeinsamen Inhalt aufweisen, sondern dass sie zugleich einen überschießenden normativen Gehalt in sich tragen.355 Unter den so skizzierten Voraussetzungen kommt die Herleitung eines allgemeinen Öffentlichkeitsprinzips im Wege der Induktion nicht in Betracht. Die expliziten Öffentlichkeitsgebote im Grundgesetz sind für sich genommen zu vereinzelt, um den verlässlichen Rückschluss auf ein allgemeines Prinzip zu ermöglichen. Dabei gebieten allein Art. 42 Abs. 1 S. 1, Art. 44 Abs. 1 S. 1 sowie Art. 52 Abs. 3 S. 3 GG (jeweils im Bereich der Legislative) die öffentliche Verhandlung von staatlichen Organen. Die Induktionsbasis ist insofern bereits relativ schmal. Im Rahmen gegenläufiger Regelungstendenzen ist dagegen zu bedenken, dass für den gesamten Bereich der exekutiven und judikativen Staatsgewalt keinerlei positivrechtliche Öffentlichkeitsgebote in den maßgeblichen Verfassungsnormen niedergelegt sind. Insofern stellen sich die genannten Öffentlichkeitsvorschriften gerade als punktuelle Normierungen dar und lassen sich nicht ungezwungen zu einem allgemeinen Prinzip hochzonen. Dabei kann im Rahmen der Induktion auch nicht auf die einzelne Öffentlichkeitsgebote verbindende Wurzel im grundgesetzlichen Menschenbild, den Staatsstrukturprinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der grundrechtlichen Kommunikationsverfassung zurückgegriffen werden. Diese stellen ihrerseits selbst Verfassungsprinzipien dar und können schon aufgrund ihres hohen Abstraktheitsgrades nicht als Teilgehalte eines gleichsam überspannenden „Super-Prinzips“ 356 staatlicher Öffentlichkeit angesehen werden. 4. Ableitung eines allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes im Wege der Deduktion Es bleibt daher vorliegend allenfalls die Möglichkeit, auf ebenjene Verfassungsprinzipien, welche den einzelnen Öffentlichkeitsgeboten zugrunde liegen, abzustellen, um sodann aus diesen – im Wege der Deduktion – einen allgemei353
Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 599. Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 600. 355 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 601 betont diesbezüglich: „Das Ganze des Grundsatzes muss mehr sein als die Summe seiner Teile.“ 356 Vgl. hierzu Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 413, Fn. 190. 354
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
nen Öffentlichkeitsgrundsatz abzuleiten. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Deduktion von Verfassungsgrundsätzen diese durch Interpretationsleistung des Rechtsanwenders im Rahmen der Konkretisierung des objektiv teleologischen Gehalts eines oder mehrerer Verfassungsprinzipien gewonnen werden. Mithin haben die Subprinzipien am teleologischen Sinngehalt des bzw. der jeweiligen Hauptprinzipien teil und werden durch diesen umgrenzt.357 Die Begründung eines Subprinzips im Wege der Deduktion setzt eine Konkretisierung der übergeordneten Hauptprinzipien als Zentralnormen der Verfassung voraus. Hierbei ist sowohl der Versuchung zu widerstehen, die Verfassung über deren eigenen Regelungsanspruch hinaus zu überfrachten, als auch ihr verfassungspolitische Bedeutungsgehalte beizulegen, die keine Verankerung im positiven Verfassungsrecht finden. Vielmehr ist bei der Konkretisierung anhand des juristischen Methodenkanons der Rechtsauslegung vorzugehen.358 Es sind dabei insbesondere die folgenden Schritte zu beachten: Zunächst ist der Wortlaut des fraglichen Hauptprinzips möglichst präzise herauszuarbeiten, da dieser im Folgenden als Ausgangspunkt für weitere Konkretisierungsschritte dient.359 Zumeist steckt der Wortlaut zumindest einen normativen Rahmen ab,360 der neben einer negativen, falsifizierenden Wirkung361 punktuell bereits positive Regelungen enthalten kann, etwa indem er einzelne Elemente gebietet, die zwingende Voraussetzungen für die Verwirklichung des jeweiligen Verfassungswertes sind.362 Im Anschluss daran ist der innere Gehalt des übergeordneten Verfassungsprinzips, mithin dessen Zweck, zu ermitteln. Dieser ist im Wege einer subjektiv-historischen Betrachtung, ergo aus der Perspektive des Verfassungsgebers, zu bestimmen.363 Ggf. kann ergänzend, soweit dies nicht die Aussagen der subjektiven Auslegung konterkariert, auf den objektiv-teleologischen Gehalt des zu konkretisierenden Prinzips abgestellt werden.364 Dabei ist der Sinn und Zweck ohne Vereinfachung oder Verabsolutierung in seiner Komplexität und etwaigen Mehrdimensionalität abzubilden.365 Zudem ist der Regelungsanspruch der Verfassung 357 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 187 f. mit Hinweis auf das Beispiel der Öffentlichkeit als Subprinzip zum Demokratieprinzip bei Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 (67). 358 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 470 ff. 359 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 473 f.; ebenso Contiades, Verfassungsgesetzliche Staatsstrukturbestimmungen, 1967, S. 110. 360 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 475. 361 Siehe hierzu Schlink, Methodendiskussion, S. 91. 362 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 475; v. Simson, VVDStRL 29 (1971), S. 3 (7). 363 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 473; ähnlich auch BVerfGE 74, 102 (116). 364 So etwa Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 (68). 365 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 277 f.
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mitzureflektieren, da hiervon abhängt, welcher Grad der Verwirklichung eines Hauptprinzips rechtlich geboten ist. Dies gilt unabhängig davon, ob man Verfassungsprinzipien als Optimierungsgebote auffasst, da sie jedenfalls keine Maximierungsgebote darstellen.366 Der Telos eines Verfassungsprinzips kann zudem durch weitere Verfassungsnormen im Regelungsbereich desselben mitgeprägt sein. Bei der Prinzipienkonkretisierung sind diese daher zu berücksichtigen, indem eine größtmögliche Nähe zu den vom Verfassungsgeber explizit getroffenen verfassungsrechtlichen Regelungen zu suchen ist (sog. „Gebot der Proximität“).367 Zunächst sind insoweit die das Prinzip konkretisierenden und ausformenden Verfassungseinzelnormen relevant, welche in selbiges zu integrieren sind.368 Ferner kann auch ein inhaltliches Absetzen gegen andere Verfassungsprinzipien zusätzlichen Erkenntnisgewinn für die Konkretisierung bringen, wobei hier explizit noch keine Abwägung für den Kollisionsfall, sondern vielmehr ein inhaltlicher Vergleich im Sinne einer „konglomerierenden Betrachtung“ 369 vorzunehmen ist. Ferner kann ggf. die Betrachtung von vorkonstitutionellem bzw. subkonstitutionellem Recht Erkenntnisse für die Herausarbeitung des Bedeutungsgehalts der Hauptprinzipien zutage fördern.370 Schließlich sind die so inhaltlich konturierten Hauptprinzipien im Rahmen der weiteren Konkretisierung in Subprinzipien aufzufächern.371 Dabei muss ein Subprinzip hinsichtlich seiner Teleologie mit dem zugrundeliegenden Hauptprinzip bzw. – im Falle von aus mehreren Hauptprinzipien abgeleiteten Mischprinzipien – den verschiedenen Hauptprinzipien übereinstimmen, da diese die innere Ausrichtung des Subprinzips vorgeben.372 Ferner ist zu beachten, dass nicht jeder Gehalt, der das Hauptprinzip fördert, von diesem rechtlich gefordert ist und damit ein Subprinzip darstellt.373 Nur soweit der fragliche Regelungsgehalt von der Verfassung geboten ist, weist dieser einen eigenständigen normativen Charakter auf.374 Vor366 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 520; vgl. auch ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 486. 367 Hoffmann, in: FS Wolf, S. 183 (198); Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 520; ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 479. 368 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 479; vgl. auch Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 127; Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 f. 369 Meyns, Kontrolle als Verfassungsprinzip, 1982, S. 183, Fn. 12. 370 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 482 ff. Zu vorkonstitutionellem Recht vgl. auch Bowitz, Das Demokratieprinzip, 1984, S. 89. Zum einfachen Recht vgl. Wahl, NVwZ 1984, S. 401 ff. 371 Hoffmann, in: FS Wolf, S. 183 (203); Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 484. 372 Explizit zum Öffentlichkeitsgrundsatz Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 (67). 373 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 520. 374 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 485 ff.; vgl. auch Emde, Demokratische Legitimation, 1991, S. 38.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
aussetzung hierfür ist, dass das Hauptprinzip nicht ohne den Teilgehalt des Subprinzips gedacht werden kann bzw. es seiner zwingend zur praktischen Handhabung und Arbeitsfähigkeit des Hauptprinzips bedarf.375 Dies vorausgeschickt, ergibt sich ein allgemeiner Öffentlichkeitsgrundsatz als Teilgehalt der übergeordneten Staatsstrukturprinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, des grundgesetzlichen Menschenbilds sowie des objektiven Wertgehalts der Kommunikationsgrundrechte. Die Grundlage des Wortlauts der Vorschriften, in welchen die vorgenannten Prinzipien verankert sind, ist hier aufgrund der besonderen Offenheit („demokratisch“, „Rechtsstaat“, „Würde“ etc.) lediglich ein vager Ansatzpunkt, welcher der Deduktion eines allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zumindest nicht entgegensteht. Wie bereits im Rahmen der Herausarbeitung des Öffentlichkeitsgehalts der vorgenannten Verfassungswerte gesehen, setzen diese ihrem inneren Gehalt nach zwingend ein grundliegendes Maß an staatlicher Öffentlichkeit voraus. Die Multivalenz der Anknüpfungspunkte der Öffentlichkeit führt dabei aufgrund gemeinsamer Finalität nicht zu einem Widerstreit und einer gegenseitigen Relativierung; vielmehr bewirkt sie eine reziproke Verstärkung.376 Die Existenz spezieller Ausprägung des Öffentlichkeitsgedankens durch Verfassungseinzelnormen prägt insofern den Anwendungsbereich staatlicher Öffentlichkeitspflichten. Gleichwohl bekräftigen diese Normen das grundsätzliche Bestehen eines Bedürfnisses nach staatlicher Öffentlichkeit und erlauben gleichsam den Rückschluss auf eine gemeinsame Wurzel der verfassungsrechtlichen Einzelgehalte. Schließlich lassen sich die genannten Verfassungsprinzipien ohne die Voraussetzung grundsätzlicher staatlicher Öffentlichkeit weder konsequent durchdenken noch sinnvoll praktisch handhabbar machen, sodass die Öffentlichkeit ein nicht allein förderliches, sondern vielmehr zwingendes Subprinzip derselben darstellt. 5. Verhältnis des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu Art. 42 Abs. 1 GG Insgesamt ist somit festzuhalten, dass ein allgemeiner Verfassungsgrundsatz staatlicher Öffentlichkeit dem Grundgesetz in Gestalt eines Mischprinzips der Verfassungsprinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, des grundgesetzlichen Menschenbildes sowie des objektiven Wertgehalts der grundrechtlichen Kommunikativverfassung immanent ist. Als solches ist der Öffentlichkeitsgrundsatz normativer Bestandteil der genannten Verfassungsprinzipien, sodass in der Folge jede Einschränkung desselben einer Rechtfertigung durch kollidierendes
375 Dabei müssen Subprinzipien, obgleich sie damit Voraussetzung von Verfassungsprinzipien sind, keinen absoluten Charakter haben, sondern können ebenso graduell erfüllbar sein, Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 487 f. 376 Siehe hierzu schon Kap. 3 A. II. 3.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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Verfassungsrecht bedarf.377 Hiermit ist allerdings noch keine Aussage zu konkreten Rechtspflichten der Staatsorgane auf der Basis dieses allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes gesagt. Um solche begründen zu können, muss der Verfassungsgrundsatz weiter zu einer subsumtionsfähigen Fallnorm konkretisiert werden. Hier ist nunmehr nach den verschiedenen Teilbereichen der Staatstätigkeit zu differenzieren und zu fragen, inwieweit die jeweilige Tätigkeit der Öffentlichkeit bedarf. Für den im Rahmen der hiesigen Untersuchung hinsichtlich verfassungsrechtlicher Öffentlichkeitsgebote von Ausschusssitzungen interessierenden Teilbereich der Parlamentsöffentlichkeit ist Art. 42 Abs. 1 GG als einfachverfassungsrechtliche Konkretisierung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes inhaltlich einschlägig. Als solche genießt die Norm Anwendungsvorrang vor dem hierdurch konkretisierten Verfassungsgrundsatz378 und ist daher vorrangig zu untersuchen. Erst im zweiten Schritt ist der Frage nachzugehen, ob dort, wo Art. 42 Abs. 1 GG nicht – weder in direkter noch in analoger Anwendung – für Parlamentsausschüsse einschlägig ist, ein subsidiärer Rückgriff auf den allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz möglich ist.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Sedes materiae für die Ausgestaltung der Parlamentsöffentlichkeit unter Geltung des Grundgesetzes ist Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, welcher lakonisch festlegt: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Was jedoch unter „Bundestag“ zu verstehen ist, insbesondere ob und unter welchen Voraussetzungen hierunter auch dessen Ausschüsse subsumiert werden können und welche Bedeutungsgehalte der Begriff des „öffentlichen Verhandelns“ umfasst, bleibt vorerst unklar. Folglich ist der genaue Bedeutungsgehalt der Norm im Rahmen der Verfassungsauslegung zu entwickeln. Nach einer vorzuziehenden Festlegung des methodischen Rahmens der Verfassungsinterpretation (I.) ist daher der Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG dezidiert zu prüfen (II.).
I. Methodik der Verfassungsauslegung Im Rahmen der Verfassungsinterpretation ist zunächst auf die klassischen canones der juristischen Hermeneutik, namentlich auf Wortlaut und Grammatik, 377 So etwa Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (698 ff.); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 176; vgl. auch Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 116. 378 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 446 mit Verweis auf Beispiele bei Faller, in: FS Maunz, S. 53 (69) und Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 270; BVerfGE 42, 312 (330).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Systematik, Historie und (objektivierte) Teleologie, zurückzugreifen.379 Das Bundesverfassungsgericht betont hierzu in ständiger Rechtsprechung, dass „für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift [. . .] der in dieser zum Ausbruch kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt“, und nicht etwa die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe maßgeblich ist. 380 Damit erteilt das Gericht zugleich allen rein subjektiv-teleologischen Auslegungstheorien eine klare Absage.381 Die genannten Auslegungsmethoden stehen dabei nach herrschender Ansicht in der staatsrechtlichen Literatur ohne formales Rangverhältnis gleichberechtigt nebeneinander.382 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schien dagegen ein solches insoweit anzudeuten, als insbesondere der historischen Auslegung nur eine unterstützende Bedeutung beizumessen sein sollte.383 Gleichwohl stellte der Aspekt der Entstehungsgeschichte in der Rechtssprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts seit jeher ein häufig anzutreffendes und oft mit besonderem Nachdruck verwendetes Argument dar.384 In der Folge geht die jüngere Rechtsprechung des Gerichts nunmehr explizit davon aus, dass „alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen [sind], die sich gegenseitig ergänzen [. . .] und nicht in einem Rangverhältnis zueinander stehen“.385 Dies vermag zu überzeugen, da sich die einzelnen canones mitunter bereits nicht immer klar voneinander trennen lassen, sondern vielmehr ineinandergreifen und zudem der jeweilige Erkenntniswert einzelner Methoden in Abhängigkeit von der auszulegenden Rechtsmaterie variieren kann, was einer abstrakten Gewichtung wider-
379 Herdegen, JZ 2004, S. 873 (875); Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 68; Kreuter-Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 272, Rn. 48; Starck, in: Isensee/ Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 17 ff.; aus der Rechtsprechung siehe etwa BVerfGE 11, 126 (130); 60, 319 (325); 109, 190 (212). 380 BVerfGE 1, 229 (312); 6, 55 (75); 8, 274 (307); 10, 234 (244); 11, 126 (130 f.); 24, 1 (15); 33, 265 (294); 35, 263 (278); 41, 399 (411); 48, 246 (256); 53 207 (212); 57, 250 (262). 381 Besonders eindrücklich ist insofern die in Anlehnung an Gustav Radbruch in BVerfGE 36, 342 (362) gewählte Formulierung: „Das Gesetz kann eben klüger sein als die Väter des Gesetzes.“ 382 So etwa Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 23, ferner auch Brugger, AöR 119 (1994), S. 1 (29 ff.); Lerche, in: FS BVerfG, Bd. I, S. 333 (350, 356 f.); K. Stern, Staatsrecht I, S. 126. 383 Vgl. BVerfGE 1, 299 (312); 6, 389 (431); 8, 274 (307); 11, 126 (130 ff.); 48, 245 (256); 62, 1 (45); 79, 106 (121). 384 Siehe hierzu Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 251, Fn. 190. Beispiele aus der (frühen) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden sich etwa in BVerfGE 1, 372 (381 f.); 396 (400 ff.); 2, 266 (281) sowie – auch in jüngerer Zeit – im Rahmen der Auslegung von verfassungsrechtlichen Kompetenzvorschriften, etwa in BVerfGE 41, 205 (220); 61, 149 (174 ff.); 68, 319 (328 ff.); 97, 198 (219). 385 BVerGE 144, 20 (231); vgl. auch BVerfGE 105, 135 (157); 133, 168 (205).
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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spricht.386 Ob neben den klassischen Auslegungsmethoden weitere, insbesondere für die Auslegung von Verfassungsrecht einschlägige, Interpretationsgesichtspunkte heranzuziehen sind, ist umstritten.387 Dabei sind vor dem Hintergrund der besonderen textlichen Offenheit und Weite verfassungsrechtlicher Begrifflichkeiten, der Tatsache, dass es sich bei Verfassungsrecht um „politisches Recht“ handelt,388 dem ganzheitlichen Charakter der Verfassung als Grundordnung für Staat und Gesellschaft sowie der nur erschwerten Abänderbarkeit des Verfassungsrechts (vgl. Art. 79 Abs. 2 GG) ergänzende Aspekte für die Konkretisierung vorgeschlagen worden. Versuche, solche Gesichtspunkte zu bestimmen und zu ordnen, werden unter dem Begriff der „Topik“ 389 zusammengefasst. Dabei wird weitestgehend für eine normativ gelenkte und begrenzte Topik plädiert, bei der die überlieferten canones primär als Auslegungstopoi herangezogen werden und der Gebrauch weiterer Interpretationsgesichtspunkte auf solche Aspekte beschränkt wird, die strikt problembezogen sind und sich aus der Verfassungsnorm selbst ergeben.390 Gleichzeitig ist radikalen Formen der Topik, welche die Gesetzesnorm nur zu einem Topos unter anderen erklären, eine klare Absage zu erteilen, da diese die Normativität der Verfassung in Frage stellen und für die Gesetzesauslegung daher ungeeignet sind.391 Hierbei werden zum einen verschiedene systematisierende Auslegungstopoi vorgeschlagen. So wird unter der Begrifflichkeit der „Einheit der Verfassung“ insbesondere in der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Verfassung als ganzheitliches Konstrukt begriffen, dem eine gemeinsame Idee zugrunde liegt, sodass im Rahmen der Auslegung von Verfassungsnormen Widersprüche möglichst zu vermeiden sind.392 Ferner wird unter den Schlagworten „praktische Konkordanz“ 393 bzw. „Prinzip des schonendsten Ausgleichs“ 394 pos386
Schoch, Verfassungsrecht und Verfassungsprozeßrecht, 2000, S. 74. Siehe hierzu Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 17 ff.; ferner auch Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 70 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 131 ff. 388 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 268, passim; vgl. auch Ehmke, VVDStR 20 (1963), S. 53 (65). 389 Grundlegend hierzu Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 (2091 ff.); Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl. 1974, passim; Wieacker, in: FS Gadamer, S. 311 (326 ff.). Die im Folgenden herangezogenen Aspekte sind keinesfalls abschließend, sondern sollen lediglich überblickartig die Bandbreite der herangezogenen Auslegungstopoi veranschaulichen. 390 Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 26; vgl. auch Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 67 ff. 391 Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 26; vgl. auch Diedrichsen, NJW 1966, S. 697 (702); Otte, Rechtstheorie 1 (1970), S. 183 ff. 392 Aus der Rechtsprechung BVerfGE 1, 14 (32); 28, 243 (261); 34, 165 (183); 39, 334 (368); 55, 274 (300); 60, 253 (267). Siehe hierzu K. Stern, Staatsrecht I, S. 131 f. Kritisch insbesondere F. Müller, Die Einheit der Verfassung, 1979, passim. 393 Hesse, 20. Aufl. 1995, Grundzüge, Rn. 72. 387
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tuliert, dass konfligierende Verfassungsrechtsgüter zu einem möglichst behutsamen Ausgleich zu führen sind, mit dem Ziel, dass jedes Gut nur „so viel nachgeben muß, wie erforderlich ist, damit auch das andere so weit als möglich seine Wirksamkeit behält“.395 Ähnlich formuliert das Bundesverfassungsgericht: „beide Verfassungswerte müssen daher im Konfliktfall nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht werden; läßt sich dies nicht erreichen, so ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat“.396 Schließlich wird unter dem Topos des Prinzips „funktioneller Richtigkeit“ 397 eine Interpretation materieller Verfassungsnormen im Hinblick auf die von der Verfassung vorgegebenen Funktionenteilungen angemahnt.398 Zum anderen werden eine Reihe wertgebundener Topoi vorgeschlagen. Dabei wird teilweise die integrierende Wirkung einer Auslegung als Kriterium herangezogen,399 wonach im Rahmen der Verfassungsinterpretation einheitsstiftende bzw. -erhaltende Faktoren besonders zu betonen sind.400 Im Kontext des Prinzips funktionsgerechter Organstruktur401 wird akzentuiert, dass eine Auslegung von Kompetenznormen so zu erfolgen habe, dass eine Entscheidung möglichst von demjenigen Organ getroffen wird, welches nach seiner jeweiligen Funktion, Legitimation, Zusammensetzung, Organisation und Verfahrensweise am besten zur Entscheidungsfindung befähigt ist.402 Unter dem von Hesse geprägten Topos der „normativen Kraft der Verfassung“ ist bei der Lösung einer verfassungsrechtlichen Problemstellung vorrangig denjenigen Gesichtspunkten bei der Interpretation der Vorzug zu geben, die unter den jeweils gegebenen Voraussetzungen für die Entfaltung einer Verfassungsnorm zu deren bestmöglicher Wirkungskraft führen.403 In diese Richtung weisen auch die von der Rechtsprechung herangezoge-
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BVerfGE 39, 1 (43). Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 170 f.; hierzu auch Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 72, 318. 396 BVerfGE 35, 202 (225). 397 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 73; F. Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I, 11. Aufl. 2013, S. 402; aus der Rechtsprechung siehe BVerfGE 1, 97 (100); 2, 219 (224 f.); 4, 31 (40); 4, 219 (233 f.); 10, 20 (40); 57, 295 (321). 398 Ehmke, VVDStRL 20(1963), S. 53 (74 ff.); Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 82 ff.; Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 20. 399 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 75; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 268, Rn. 44 ff. 400 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 74 f.; aus der Rechtsprechung BVerGE 21, 312 (326); 42, 103 (117 f.); 62, 1 (38 ff.); 95, 408 (417 ff.). 401 Siehe hierzu v. Danwitz, Der Staat 35 (1996), S. 329 ff.; aus der Rechtsprechung BVerfGE 68, 1 (86). 402 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101, Rn. 60 f. 403 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 41 ff., 75 f. Kritisch hierzu K. Stern, Staatsrecht I, S. 133 f. 395
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nen Termini eines Prinzips „größtmöglicher Effektivität“ bzw. „optimaler Wirkungskraft“ von Verfassungsnormen.404 Schließlich plädieren Vertreter wirklichkeitswissenschaftlicher Interpretationsansätze405 dafür, mögliche Gegensätze zwischen der tatsächlichen Normensituation, die der historischer Verfassungsgesetzgeber vorgefunden hat und der aktuellen Verfassungswirklichkeit, die infolge eines tatsächlichen Wandels der Verhältnisse entstanden sind, durch Interpretation der Norm aufzulösen, wobei auch außerhalb der Verfassung liegende Größen wie die Bewusstseinslage der Bürger, der soziale Wandel oder gegenwärtige Zeitströmungen als maßgebliche Aspekte heranzuziehen seien.406 Gegen die Einordnung der vorgenannten topischen Gesichtspunkte als separate Auslegungskriterien spricht allerdings, dass es sich bei diesen lediglich um spezielle Ausprägungen der klassischen canones handelt. Die systematisierenden Topoi stellen dabei Anwendungsfälle der systematischen Auslegung dar, welche, anstatt einzelne Verfassungsnormen isoliert zu betrachten, im Rahmen der Interpretation deren Stellung und Widerspruchsfreiheit im Verhältnis zum übrigen Verfassungsrecht berücksichtigt.407 Die wertorientierten Topoi lassen sich dagegen – soweit sie streng normenbezogen verstanden werden – als spezifische Teilgehalte einer auf die (objektive) Teleologie bezogenen Auslegung begreifen.408 In Conclusio ist davon auszugehen, dass die Verfassungsinterpretation „nicht durch spezifische Auslegungsmethoden, sondern die Besonderheiten ihres Auslegungsgegenstandes geprägt“ 409 ist. Hierzu zählt insbesondere die Tatsache, dass die Verfassung lediglich eine Rahmenordnung darstellt, welche dem Gesetzgeber Raum für eine nähere Ausgestaltung belässt.410 Dieser Gestaltungsspielraum darf im Rahmen der Verfassungsinterpretation nicht konterkariert werden. Auf dieser Basis nimmt die vorliegende Untersuchung allein die im Normtext zum Ausdruck kommenden Regelungsgehalte der Verfassung zum Ausgangspunkt und beschränkt sich methodisch auf die klassischen canones, wobei die vorgenannten topischen Auslegungskriterien ggf. in deren Rahmen an jeweils relevanter Stelle Erwähnung finden. 404
BVerfGE 6, 55 (72); 32, 54 (71); 39, 1 (37 f.); 43, 154 (167); 51, 97 (110). Vgl. Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 (2094 f.); Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 29. 406 Siehe hierzu Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 350 ff.; ferner jeweils mit kritischen Anmerkungen Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 (2094 f.); Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 29. Aus der Rechtsprechung siehe BVerfGE 40, 296 (315). 407 Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 (2098); Herdegen, JZ 2004, S. 873 (876); Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 20. 408 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 183; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 397. 409 Kreuter-Kirchhof, Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 272, Rn. 48. 410 Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 (2091); Kreuter-Kirchhof, Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 272, Rn. 48. 405
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II. Anwendungsbereich des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Art. 42 Abs. 1 GG statuiert, dass „der Bundestag“ öffentlich verhandelt. Diese Formulierung bedarf mit Blick auf die vorliegende Fragestellung einer konkretisierenden Interpretation. Anhand der historischen Entwicklung ist ersichtlich, dass sich das Postulat parlamentarischer Öffentlichkeit traditionellerweise primär auf den zentralen Verhandlungs- und Entscheidungsort des Plenums bezog. Insoweit ist allgemein anerkannt und unstrittig, dass Art. 42 Abs. 1 GG die Plenaröffentlichkeit gebietet.411 Ferner wird z. T. expressis verbis durch die Verfassung selbst (z. B. in Art. 44 Abs. 1 GG) sowie durch Gesetz (§ 8 Abs. 1 WahlprüfG) in begrenztem Umfang eine obligatorische Öffentlichkeit von Ausschüssen vorgeschrieben. Für die Fragestellung dieser Untersuchung ist maßgeblich, ob neben den genannten ausdrücklichen Öffentlichkeitsgeboten aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG eine generelle Pflicht folgt, die Sitzungen der Ausschüsse – vollständig oder teilweise – öffentlich zu gestalten. Entscheidend ist daher, inwieweit unter dem Begriff „Bundestag“ in Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auch die parlamentarischen Ausschüsse zu subsumieren sind. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im ersten Band entschieden, dass die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen mit Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar ist.412 Eingedenk der Tatsache, dass dieses Verdikt nunmehr annähernd 70 Jahre zurückliegt, die parlamentarische Entwicklung seither nicht still stand und vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Reformdebatte lohnt indes eine detaillierte und dogmatisch fundierte Erörterung der Fragestellung. Hierbei ist zwischen dem Ausgangsfall der klassischen vorbereitenden Ausschusstätigkeit (1.) und der in der jüngeren Parlamentspraxis aufkommende Sonderkonstellation der selbstständigen und abschließenden Aufgabenwahrnehmung (2.) durch Parlamentsausschüsse zu differenzieren. 1. Der Grundfall: Ausschüsse als vorbereitende Beschlussorgane Bei parlamentarischen Ausschüssen handelt es sich nach klassischem Verständnis um vorbereitende Beschlussorgane.413 Dies ist § 62 Abs. 1 S. 1 und 2 GO-BT zu entnehmen, wonach Ausschüsse zur baldigen Erledigung der ihnen überwiesen Aufgaben verpflichtet sind und als vorbereitende Beschlussorgane des Bundestages diesem bestimmte Beschlüsse hinsichtlich der weiteren Behand-
411 So z. B. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 32; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 3; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 22; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 25. 412 BVerfGE 1, 144 (152). 413 Hierzu Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 32 f.; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 20.
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lung überwiesener Vorlagen empfehlen. Dabei ergeben sich die überwiesenen Aufgaben in der Regel aus einem Plenarbeschluss, welcher sich als Vorlage im Sinne von § 75 GO-BT z. B. auf Gesetzesentwürfe (vgl. auch § 80 Abs. 1 GOBT), Anträge oder Unterrichtungen beziehen kann. Darüber hinaus ist für spezifische Einzelfälle eine Überweisung durch den Bundestagspräsidenten geschäftsordnungsrechtlich vorgesehen414 bzw. gesetzlich bestimmt.415 Dabei muss die Beschlussempfehlung – die Entscheidungsreife der Vorlage vorausgesetzt – dergestalt formuliert sein, dass in der späteren Behandlung im Plenum über eine Zustimmung zur vorgeschlagenen Fassung mit Ja oder Nein abgestimmt werden kann (vgl. § 46 GO-BT). Im Einzelnen können die Ausschüsse sowohl eine unveränderte Annahme als auch eine Annahme mit Änderungen empfehlen, wobei deren potentielle Spannweite von rein redaktionellen Anpassungen bis hin zu materiellen Ergänzungen oder Kürzungen reicht.416 Ferner kann eine Beschlussempfehlung auch die Ablehnung oder Erledigung einer Vorlage umfassen (vgl. hierzu § 64 Abs. 2 S. 2–4 GO-BT). Inhaltlich dürfen sich die Empfehlungen nach § 62 Abs. 2 S. 2 GO-BT nur auf die überwiesene Vorlage selbst oder mit dieser in unmittelbarem Sachzusammenhang stehende Fragen beziehen.417 Ein solcher Sachzusammenhang gilt dann als gegeben, wenn die Beschlussempfehlungen am „Gesetzgebungsgrund oder an den Gesetzgebungszielen der ursprünglichen Vorlage anknüpfen“.418 Dies entspricht der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass Ausschüssen selbst kein Gesetzesinitiativrecht gemäß Art. 76 Abs. 1 GG zukommt419 und der Anspruch der Abgeordneten auf Kenntnisnahme einer Gesetzesvorlage in erster Beratung nicht durch Änderungen auf Ausschussebene umgangen werden darf.420 Schließlich manifestiert sich die Stellung als vorbereitende Beschlussorgane darin, dass am Ende der Befassung der Ausschüsse mit einem Gegenstand ein durch die Be-
414 So etwa in § 92 GO-BT (für Rechtsverordnungen), § 93 GO-BT (für Unionsdokumente), § 107 GO-BT (in Immunitätsangelegenheiten) oder § 109 GO-BT (für Petitionen). 415 Siehe § 4 Abs. 5 StabMechG sowie § 5 Abs. 6 ESMFinG. 416 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 68; siehe mit Beispielen auch Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis Parlamentarischer Gesetzgebung, S. 304 ff. 417 Mit der Einführung dieser Vorschrift im Rahmen der „kleinen Parlamentsreform“ 1969 sollte dem Umstand begegnet werden, dass wiederholt „nicht überwiesene bzw. innerhalb eines überwiesenen Gesetzesentwurfs sachfremde Materien zur Änderung empfohlen“ wurden, BT-Drs. V/4373. 418 Auslegungsentscheidung 10/20 vom 6.12.1984 zu §§ 62, 64 GO-BT. 419 Siehe hierzu Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 76, Rn. 46; Masing/Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 76, Rn. 43, 58; Brüning, in: BK, Art. 76, Rn. 168. 420 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 71 unter Verweis auf Auslegungsentscheidung 10/20 vom 6.12.1984 zu §§ 62, 64 GO-BT.
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schlussempfehlung und die Berichterstattung (vgl. § 66 GO-BT) vorbereiteter förmlicher Beschluss durch das Plenum steht.421 Fraglich ist, ob sich angesichts des so abgesteckten Aufgabenbereichs parlamentarischer Ausschüsse nach den gängigen Methoden eine Auslegung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ergibt, wonach diese unter den Begriff des „Bundestages“ im Sinne der Norm zu subsumieren sind. a) Wortlaut Der Wortlaut als Ausgangspunkt der Verfassungsauslegung gibt bei Betrachtung des natürlichen Sprachgebrauchs prima facie wenig Aufschluss. Der Begriff „Bundestag“ wird dabei etwa als die „Volksvertretung der Bundesrepublik Deutschland“ 422 bzw. die „aus Wahlen hervorgegangene Volksvertretung“ oder das „Parlament der Bundesrepublik Deutschland“ 423 verstanden. Hiervon könnten dem Wortsinn nach – unter Zugrundelegung eines weiten Verständnisses – wohl auch die Ausschüsse des Bundestages umfasst sein, welche als Untereinheiten der Gesamtinstitution jedenfalls notwendig Teil des Bundestages sind424 und sich damit zumindest innerhalb der möglichen Wortbedeutung bewegen.425 Ein präziseres Bild ergibt sich unter Berücksichtigung der Verwendung des Begriffs Bundestag innerhalb der Norm selbst. Art. 42 Abs. 3 GG spricht hinsichtlich der parlamentarischen Berichterstattungsfreiheit vom „Bundestag und seinen Ausschüssen“ und adressiert damit explizit sowohl das Plenum als auch die Ausschüsse. Eine solche zweigliedrige Formulierung wäre hingegen redundant, wenn mit dem grundgesetzlichen Terminus „Bundestag“ die Ausschüsse bereits mitumfasst wären. Insofern ergibt sich aus der Verwendung des Bundestagsbegriffs in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ohne den Zusatz „und seine Ausschüsse“ (im Wege eines argumentum e contrario), dass hier gerade nur die parlamentarische Vollversammlung, mithin das Plenum gemeint sein kann.426 421 Vgl. dazu Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 83; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 69; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 75; siehe auch BVerfGE 44, 308, 317; 80, 188 (221). 422 So Bethge, in: Staatslexikon, Bd. I, 7. Aufl. 1988, Stichwort „Bundestag“, Sp. 999 f.; Creifelds, Rechtswörterbuch, 23. Aufl. 2019, S. 260. 423 „Bundestag“ auf Duden online, abrufbar unter: https://www.duden.de/recht schreibung/Bundestag (08.09.2019). 424 Vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch, 23. Aufl. 2019, S. 261. 425 In diesem Sinne etwa Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 107. 426 Vgl. hierzu auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2; ders., ZParl 47 (2016), S. 50 (53); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 4; Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 39; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, Art. 42, Rn. 8; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (680); ders, DÖV 1973, S. 514 (516); Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 2; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 50; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 31; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 199.
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b) Systematik Diese Lesart bestätigt sich bei Betrachtung des systematischen Aspekts der Begriffsverwendung in weiteren Normen des Abschnitts III (über den Bundestag). Die zweigliedrige Wendung vom Bundestag und seinen Ausschüsse wird ebenso in Art. 43 Abs. 1 und 2 GG sowie in Art. 46 Abs. 1 GG aufgegriffen und bestätigt insofern, dass es sich in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht um ein redaktionelles Versehen handelt.427 Im Rahmen des äußeren Regelungszusammenhangs der Norm kommt die Erwägung hinzu, dass in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG nur für bestimmte Ausschussverhandlungen von Untersuchungsausschüssen – namentlich für die Beweiserhebung – die Öffentlichkeit statuiert wird. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn bereits aus Art. 42 Abs. 1 GG eine grundsätzliche Öffentlichkeit für alle Ausschusssitzungen folgen würde. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus zudem, dass die Öffentlichkeit gerade nicht für Beratungssitzungen der Untersuchungsausschüsse und somit erst recht nicht für Sitzungen anderer Ausschüsse gilt.428 Letzteres erschließt sich aus der Erwägung, dass Untersuchungsausschüsse funktional auf eine Kontrolltätigkeit ausgerichtet sind, deren Effektivität gerade wesentlich von ihrer Öffentlichkeit abhängt. Daraus folgt die Konsequenz, dass für das Untersuchungsverfahren – mehr noch als für andere Ausschüsse – eine grundsätzliche Öffentlichkeit naheliegend erscheint. Wenn schon hinsichtlich der Beratungssitzungen von Untersuchungsausschüssen vom Grundgesetz keine Öffentlichkeit statuiert wird, dann kann hinsichtlich der weniger öffentlichkeitsbedürftigen Sitzungen der ständigen Ausschüsse nichts Gegenteiliges gelten.429 Ein weiterer systematischer Gesichtspunkt könnte sich aus dem Spannungsverhältnis der Gewährleistung der Geschäftsordnungsautonomie aus Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG zur Verfahrensdeterminante des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ergeben. Die Geschäftsordnungsautonomie gewährleistet, dass der Bundestag sich zur Regelung seiner inneren Angelegenheiten eine Geschäftsordnung geben kann, welche die wesentlichen organisatorischen und verfahrensrechtlichen Fragen hinsichtlich der Wahrnehmung seiner Aufgaben umfasst.430 Hierunter fällt unter anderem auch die Befugnis, über Funktion, Zusammensetzung und Arbeitsweise seiner 427 Ferner wird die terminologische Differenzierung zwischen Bundestag und Ausschüssen auch in Art. 45a und 45c GG deutlich; vgl. Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 42, Rn. 31. 428 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (681); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 41; vgl. auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 50. 429 Linck, DÖV 1973, S. 514 (518); ders., ZParl 1992, S. 673 (681). 430 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 23; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 1; grundlegend hierzu auch Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 35 f.; Pietzcker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 3 f.; Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 5, Rn. 59 ff.
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Ausschüsse zu bestimmen.431 Das so verstandene Recht des Parlaments, selbst „das Ideal seines guten Funktionierens zu definieren“ 432, ist dem Gedanken der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments zuzuordnen.433 Diese wurzelt wiederum im Grundsatz der Gewaltenteilung, welcher die Bedeutung des Parlaments als eigenständiger Teil der Staatsgewalt verfassungsrechtlich absichert.434 Dem könnte eine weite Auslegung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG insoweit entgegenstehen, als hierdurch der Gestaltungsspielraum des Geschäftsordnungsgebers das Ausschussverfahren – etwa unter Berufung auf Gesichtspunkte parlamentarischer Funktionsfähigkeit – grundsätzlich nichtöffentlich zu gestalten, eingeschränkt werden würde. Allerdings ist zu beachten, dass die Geschäftsordnungsautonomie selbst nur in den Grenzen der Verfassung bzw. der verfassungsmäßigen Rechtsordnung gewährleistet wird,435 sodass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG diese als Verfahrensvorgabe beschränkt.436 Von entscheidender Bedeutung für eine systematische Berücksichtigung dieses Aspekts ist daher, ob es im Falle einer extensiven Auslegung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG überhaupt zu einer verfassungsrechtlichen Kollisionslage mit der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie käme. Gegen diese Sichtweise könnte die Überlegung sprechen, dass die von Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG statuierte Autonomie als Schutzgut überhaupt nur in den Grenzen der Verfassung zur Entstehung gelangt und nur mit dem so bezeichneten Gehalt mit anderen Schutzgütern in Einklang zu bringen sein könnte.437 Hier steht die Reichweite des Art. 42 Abs. 1 GG jedoch gerade in Frage, sodass die Gefahr eines Zirkelschlusses bestünde, wenn man die Geschäftsordnungsautonomie als systematischen Auslegungsaspekt für eine Einschränkung der Reichweite einer Verfahrensvorgabe ins Feld führen würde. 431 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 101 ff., 246; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 81; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 40, Rn. 6; aus der Rechtsprechung siehe auch BVerfGE 80, 188 (219); 102, 224 (235 ff.). 432 Morlok, in: VVDStRL 62 (2003), S. 37 (65). 433 Siehe Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 84; ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 1; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 40, Rn. 8. In diesem Sinne auch BVerfGE 96, 264 (278 f.); 112, 118 (140). 434 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 50; ders., Lux in arcana, 2014, S. 15 f., vgl. auch Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 5; Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 5, Rn. 59. 435 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 99 ff.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 72 ff.; Schulze-Fielitz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 11, Rn. 1; vgl. aus der Rechtsprechung auch BVerfGE 10, 4 (16); 96, 264 (279). 436 So auch Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 89; Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 7; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 3. 437 In diese Richtung scheint zwar die Formulierung in BVerfGE 80, 188 (218) zu weisen: „Dem Bundestag selbst obliegt es, in dem von der Verfassung vorgezeichneten Rahmen [Hervorhebung durch den Verfasser] seine Arbeit und die Erledigung seiner Aufgaben auf der Grundlage des Prinzips der Beteiligung aller zu organisieren (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG).“
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Dem steht jedoch der Verfassungsrang des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG selbst entgegen, welcher bedingt, dass andere verfassungsrechtliche Vorgaben die Geschäftsordnungsautonomie nur im Wege der praktischen Konkordanz begrenzen können und nicht bereits deren Entstehen hindern.438 Im Rahmen dieser verfassungsrechtlichen Spannungslage obliegt es dem Bundestag selbst, den Aspekt seiner eigenen Funktionsfähigkeit als Ausprägung der Geschäftsordnungsautonomie mit anderen verfassungsrechtlichen Rechtsgütern in Ausgleich zu bringen.439 Vor dem Hintergrund der möglichen Kollisionslage und in Anbetracht der Tatsache, dass die Verfassung lediglich eine Rahmenordnung darstellt (was damit auch für die Vorgaben an das Parlamentsverfahren gilt), ergibt sich jedenfalls die Tendenz, verfahrenssteuernde Normen wie Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG im Lichte des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG eher restriktiv auszulegen, um so einen schonenden Ausgleich im Rahmen der praktischen Konkordanz beider Verfassungsgüter herbeizuführen und Wertungswidersprüche zu vermeiden. Im Ergebnis spricht daher unter Zugrundelegung systematischer Gesichtspunkte vieles dafür, Art. 42 Abs. 1 GG nicht auf parlamentarische Ausschüsse zu erstrecken. c) Historie Bei Zugrundelegung einer historischen Betrachtung verfestigt sich dieser Eindruck. Die historische Auslegungsmethode lässt sich gedanklich in zwei Teilaspekte untergliedern. Zum einen geht die sog. genetische Auslegung der Frage der Entstehungsgeschichte einer Norm und der hierbei verfolgten Absichten des historischen Gesetzgebers nach.440 Zum anderen kann im Rahmen einer historischen Auslegung im engeren Sinne auf das Vorliegen von Regelungstraditionen, etwaigen historischen Vorgängervorschriften sowie deren Änderung im Laufe der Zeit nebst Motiven hierfür abgestellt werden.441 In der deutschen Verfassungsgeschichte ist die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung – wie gesehen442 – spätestens seit der Märzrevolution 1848/49 eine Konstante und als solche in allen nachfolgenden Verfassungen verankert. Diese 438 Vgl. Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 67; ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 3. 439 So etwa BVerfGE 10, 4 (13); 80, 188 (218 f.); 84, 304 (321); 96, 264 (278); 102, 224 (235); 130, 318 (349 f.); hierzu auch Roll, GO-BT, § 35, Rn. 1. Exemplarisch für die Einschränkung von Mandatsrechten aus dem Aspekt parlamentarischer Funktionsfähigkeit siehe Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 158 ff. 440 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 347; Sachs, DVBl 1984, S. 73 (75 ff.); Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 21; vgl. auch BVerfGE 1, 117 (127). 441 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 155 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 347; Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 21. 442 Siehe hierzu und zum Folgenden Kap. 2 A. III.
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bezog sich allerdings ausschließlich auf das Plenum der jeweiligen Parlamente und erstreckte sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – grundsätzlich nicht auf die parlamentarischen Ausschüsse, welche gerade als Gremien vertraulicher Vorberatung fungieren sollten. Dieses klassische Bild von einem grundsätzlich öffentlichen Plenum und vertraulichen Ausschusssitzungen hatten auch die Abgeordneten des Parlamentarischen Rats beim Entwurf des Art. 42 Abs. 1 GG vor Augen. Diskussionen, hiervon abzuweichen und die Öffentlichkeit auf Ausschüsse zu erstrecken, wurden in den Verfassungsberatungen hingegen nicht geführt. Solche wären angesichts der verfassungsgeschichtlichen Kontinuität notwendig gewesen, wenn eine Änderungsabsicht dahingehend bestanden hätte. Dies indiziert, dass auch der historische Gesetzgeber unter dem Begriff Bundestag nur das Plenum verstanden wissen wollte. Gestützt wird die vorgenannte Annahme darüber hinaus von der Überlegung, dass schon in der Weimarer Reichsverfassung das Begriffspaar vom „Reichstag und seinen Ausschüssen“ (vgl. Art. 30, 33 WRV) gebräuchlich war und auch hier die Öffentlichkeit in Art. 29 WRV sich nur auf den „Reichstag“, worunter nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich nur die Vollversammlung des Plenums verstanden wurde,443 erstreckte. Die Anknüpfung an diesen historisch überkommenen Wortlaut spricht dafür, dass hier kein Abweichen von der historischen Beschränkung der Öffentlichkeit auf das Parlamentsplenum vom Verfassungsgeber beabsichtigt war. d) Teleologie Eine teleologische Betrachtung, die auf die Herausarbeitung des objektivierten Sinns und Zwecks der Norm abzielt, setzt voraus, sich die eingangs beschriebene Rückanbindung des Art. 42 Abs. 1 GG an übergeordnete Verfassungsprinzipien zu vergegenwärtigen. Die Norm stellt eine spezielle Ausprägung eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgrundsatzes, der wiederum als Subprinzip aus dem grundgesetzlichen Menschenbild, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie der grundrechtlichen Kommunikationsverfassung folgt und durch die Teleologie dieser Hauptprinzipien maßgeblich geprägt wird.444 Hieraus wird ersichtlich, dass die Parlamentsöffentlichkeit dem Grunde nach auf die Gewährleistung der Durchschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit des staatlich-politischen Prozesses zwecks individueller Selbstverwirklichung des Menschen – in politischer und privater Hinsicht – abzielt. Sie soll hierbei schwerpunktmäßig die Legitimation und Kontrolle der Staatsgewalt sowie die Partizipation hieran im Wege von Wahlen und über eine fortlaufende kommunikative Rückkopplung an die 443 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 29, Anm. 2; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2 Aufl. 1930, S. 428; Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, Art. 29, Anm. 2 und 3, Art. 30, Anm. 3. 444 Siehe hierzu bereits Kap. 3 A. IV. 4.; ferner auch Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 187, 484 f. sowie – öffentlichkeitsspezifisch – Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 (67).
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öffentliche Meinung ermöglichen und dadurch die Grundlage für eine sachgerechte Repräsentation gesellschaftlicher Interessen sowie die Integration der Staatsbürger in die staatliche Sphäre schaffen. Dieser Zweckbestimmung kann der Bundestag nur insoweit gerecht werden, als er die wesentlichen Informationen, die für das Nachvollziehen und Bewerten seiner Tätigkeit erforderlich sind, dem Staatsbürger tatsächlich zur Verfügung stellt. Mit Blick auf den hiesigen Untersuchungsgegenstand stellt sich die Frage, inwiefern die Tätigkeit der Ausschüsse solche wesentlichen Informationen hinsichtlich der Staatstätigkeit beinhaltet. Für die Bedeutung parlamentarischer Ausschüsse im Bundestag hat das Bundesverfassungsgericht im Wüppesahl-Urteil445 Grundlegendes festgehalten: „Wie es parlamentarischer Tradition in Deutschland entspricht, wird im Bundestag ein wesentlicher Teil der anfallenden Arbeit außerhalb des Plenums, vor allem in den Ausschüssen, geleistet. Die Ausschüsse bereiten Verhandlungen und Beschlüsse des Plenums vor (§ 54 Abs. 1 S. 1 GOBT), arbeiten also stets auf die endgültige Beschlußfassung durch das Plenum hin und nehmen damit zugleich einen Teil des Entscheidungsprozesses entlastend vorweg. [. . .] Auch ein wesentlicher Teil der Informations-, Kontroll- und Untersuchungsaufgaben des Bundestages wird durch die Ausschüsse wahrgenommen (vgl. Art. 43 Abs. 1 GG, § 62 Abs. 1 Satz 3 GOBT). Durch diese Aufgabenstellung sind sie in die Repräsentation des Volkes durch das Parlament einbezogen; dieses Prinzip prägt den gesamten Bereich der parlamentarischen Willensbildung. Deshalb muß grundsätzlich jeder Ausschuß ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln.“
Gerade mit Blick auf die inhaltliche Prägung von Beratungsgegenständen ist der Beitrag der Ausschussberatungen nicht zu vernachlässigen. In Gemäßheit des „Struck’schen Gesetzes“, wonach kein Gesetz so das Parlament verlässt, wie es eingebracht worden ist, werden im Laufe der Ausschussberatungen in fast allen Fällen Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen bezüglich des ursprünglichen Textes eines Entwurfs vorgenommen.446 Obgleich die Ausschüsse hierbei allein vorberatend tätig werden und dem Plenum lediglich Empfehlungen geben, welche erst durch eine abschließende Beschlussfassung rechtliche Verbindlichkeit erlangen, ist zu bedenken, dass diese Vorschläge ganz regelmäßig vollständig übernommen werden.447 Prima facie erschient die Ausschussarbeit damit von so herausgehobener Bedeutung, dass sich eine weite Auslegung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG anbieten 445
BVerfGE 80, 188 (221 f.). Pieper, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 103. 447 Vgl. BVerfGE 44, 308 (319); Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 165; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, Vorb. zu § 54, Bem. 2.; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 136; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 59. 446
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könnte. Dieser Stellenwert der Bundestagsausschüsse lässt sich mit Blick auf die Arbeitsverteilung empirisch durch einen Vergleich der Zahl der Plenarsitzungen mit jener der Ausschusssitzungen untermauern.448 In der Folge ergibt sich ein deutliches Übergewicht der nichtöffentlichen Sitzungen, was kritische Stimmen, die monieren, dass es sich beim Bundestag de facto um ein nur „halböffentliches Parlament“ handele, auf den Plan gerufen hat.449 Es ist in der Folge z. T. vorgeschlagen worden Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG in einer erweiternden Auslegung ebenfalls auf Parlamentsausschüsse zu erstrecken.450 Fraglich ist indes, ob eine solche weite Auslegung zum einen dogmatisch überhaupt haltbar und zum anderen dem Zweck der Norm nach tatsächlich geboten ist. Insoweit ergibt sich ein strenger Maßstab, da vorliegende Wortlautauslegung, Systematik und Historie zu einem übereinstimmenden Ergebnis gelangen und zudem die Tatsache zu berücksichtigen ist, dass die Verfassung lediglich eine Rahmenordnung statuiert, die dem Gesetz- bzw. Geschäftsordnungsgeber einen signifikanten Ausgestaltungsspielraum belässt, welcher nicht unzulässig durch eine Überdehnung des Regelungsanspruchs der Verfassung konterkariert werden darf. Gerade die teleologische Auslegung vermag in besonderem Maße hierzu zu verführen.451 Der Frage nach der Bedeutung öffentlicher Ausschusssitzungen für den Telos von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG kann sich dabei zweigliedrig angenähert werden. Zunächst ist die Überlegung vorzunehmen, ob die Beobachtung von Ausschusssitzungen angesichts von deren Arbeitsverfahren und Beratungszielen überhaupt dem oben herausgearbeiteten Zweck der Norm entspricht und insofern eine weite Auslegung geeignet ist, diesen zu fördern (aa)). Dies vorausgesetzt, ist im zweiten Schritt zu fragen, ob es in Ansehung der konkreten Ausgestaltung des parlamentarischen Verfahrens einer solchen informativen Ergänzung durch Zugänglichmachung der Ausschüsse auch tatsächlich bedarf (bb)), wobei insbesondere zu klären ist, ob eine wirklichkeitsgerechte Betrachtung des Stellenwertes der
448 So standen zuletzt in der 17. Wahlperiode den 253 Sitzungen des Deutschen Bundestages im Plenum 2805 Sitzungen der ständigen Ausschüsse und deren Unterausschüssen gegenüber. Zahlen nach Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 7.3 sowie Kapitel 8.1, jeweils abrufbar unter: https://www.bundestag.de/datenhandbuch (03.08.2019). 449 Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht § 36, Rn. 28; siehe auch Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik, 1976, S. 45. 450 Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 24; in diesem Sinne auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 38 f.; ferner Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 106 ff., der allerdings für eine Rechtfertigungsmöglichkeit von Einschränkungen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips plädiert. Restriktiver für eine „weitestgehend Zulassung“ der Möglichkeit öffentlicher Ausschusssitzungen Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 11; ähnlich Meyer, VVDStRL 33 (1975), S. 69 (117). 451 Hierzu Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 165 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 363 ff.
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Ausschusssitzungen innerhalb des Beratungsverfahrens zu einer erweiterten teleologischen Auslegung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zwingt. aa) Ausschussöffentlichkeit als geeignetes Mittel zur Zweckerreichung Soweit der Frage nach der Geeignetheit der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen mit Blick auf den Sinn und Zweck von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nachgegangen wird, gilt es zunächst zu eruieren, welches Arbeitsverfahren und welcher Beratungszweck für diese charakteristisch sind, um sodann zu beurteilen, ob die Anschauungsmöglichkeit des Ausschussverfahrens für den oben genannten Telos einen wesentlichen Mehrwert bereithält. Hierbei beschränkt sich die Untersuchung auf die Beschreibung der verallgemeinerungsfähigen Grundregeln und typischen Verfahrensabläufe im Rahmen der vorbereitenden Beschlusstätigkeit.452 Ausgangspunkt für den Arbeitscharakter parlamentarischer Ausschüsse ist zunächst deren personelle Zusammensetzung. Mit Blick darauf, dass ein wesentlicher Teil der Arbeit des Bundestages in den Ausschüssen stattfindet, ist zunächst die spiegelbildliche Besetzung entsprechend der Stärke der einzelnen Fraktionen geboten.453 Die Frage der Zusammensetzung erschöpft sich jedoch nicht im Aspekt des Fraktionsproporzes. So spielt auch der soziologische Hintergrund der Mitglieder, etwa mit Blick auf Alter, Geschlecht, Beruf, Bildungsgrad, sozialer oder geografischer Herkunft, Weltanschauung oder Konfession, eine nicht unerhebliche Rolle. Dieser kann naturgemäß in den kleineren Untereinheiten der Ausschüsse nur unvollständig widergespiegelt werden.454 Als arbeitsparlamentarische Fachgremien bedürfen die Ausschüsse der Expertise ihrer Mitglieder im entsprechenden Fachgebiet, um der im Rahmen der Beschlusstätigkeit meist impulsgebenden Regierungsbürokratie mit adäquatem eigenen Sachverstand begegnen zu können.455 Ein maßgebendes Kriterium für die nach §§ 57 Abs. 1, 12 GO-BT den 452 Insofern gilt es zu beachten, dass im Einzelfall erhebliche Unterschiede in der Arbeitsweise der Ausschüsse bestehen, die zum einen davon abhängen, ob es sich um einen schwerpunktmäßig gesetzgeberisch tätigen Ausschuss wie den Innen- oder Rechtsausschuss handelt oder eher die Begleitung von Initiativen oder Unterrichtungen durch das jeweilige Regierungsressort, wie im Außen- oder Verteidigungsausschuss, die Ausschusstätigkeit prägen. Zum anderen kann die Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung auch vom jeweiligen Vorsitzenden bzw. einzelnen prägenden Ausschussmitglieder beeinflusst sein. Vgl. hierzu insbesondere Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 39, Rn. 6, 14; ferner auch Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 3; Geis, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 54, Rn. 1. 453 BVerfGE 80, 188 (222); 84, 304 (322). 454 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 20; siehe auch Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 68 ff. 455 Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 580; Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 184; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 21.
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Fraktionen obliegende Auswahl von Ausschussmitgliedern ist dabei unter anderem deren fachliche Affinität zur jeweiligen Ausschussmaterie, sei es infolge eines bestimmten beruflichen Hintergrundes, vorheriger Tätigkeit in eben diesem Ausschuss oder verbandspolitischer Affinität.456 Durch diesen Umstand ergibt sich in der Regel eine deutlich homogenere Zusammensetzung der Ausschüsse als im Gesamtparlament.457 Hinzu kommt, dass infolge der ständigen Arbeitsbeziehung der Ausschussmitglieder, die sich z. T. über mehrere Wahlperioden erstreckt, unter diesen mitunter ein gewisser „Corpsgeist“ entsteht.458 Dies zusammen mit dem fortlaufenden fachlichen Austausch mit den in Ausschüssen anwesenden459 Mitarbeitern der Fachministerien führt ggf. zur einer Vereinheitlichung von Wertungen und Einschätzungen innerhalb des Ausschusses.460 Der Zweck der Ausschussarbeit besteht darin, die verschiedenen Fraktionspositionen in kleiner Runde unter Hinzuziehung von Experten aus den Ministerien, Verbänden und sonstigen Interessengruppen sowie der Wissenschaft im Detail vorzuberaten, dabei mögliche Problemgesichtspunkte zu identifizieren und diesbezügliche Lösungsansätze abzuwägen, Argumentationsstrukturen zu erproben und damit insgesamt die Materie für die anschließende Plenarsitzung aufzubereiten und deren Komplexität zu reduzieren.461 Bei einem erheblichen Teil der zu behandelnden Aspekte handelt es sich um politisch weniger kontroverse Detailfragen.462 In der Folge sowie aufgrund der oft langjährigen fachlichen Zusammenarbeit ist die Arbeitsatmosphäre im Rahmen der Beratungen eher kollegial, sachlich und ergebnisorientiert und kaum von Kontroversen oder gar scharfer Polemik geprägt.463 Die Redeordnung innerhalb der Ausschüsse ist zudem freier, 456 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 17; Schürmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 21; Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 31. Zu dem mitunter komplizierten und konfliktgeladenen Interessenausgleich im Rahmen der Besetzung der Ausschüsse siehe auch Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 168 f. 457 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 21; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 4. 458 Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 4. 459 Dabei stehen die Ministerialbeamten für Auskünfte zur Verfügung und offerieren ggf. Hilfe bei der – fachlich und juristisch – sachgerechten Formulierung von abweichende Regelungsvorstellungen des Ausschusses. Siehe hierzu Hadamek, in: Kluth/ Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 131; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 61; ders., in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 39, Rn. 26. 460 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 21. 461 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 22; vgl. auch Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 137; Melzer, in: Schneider/ Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 36. 462 Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 37. 463 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 49; Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 177, 184 f.; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 24.
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da in der Regel auf eine Kontingentierung der Redezeit verzichtet464 und schlicht durch den Vorsitzenden das Wort erteilt wird (vgl. § 59 Abs. 2 GO-BT). Dies spiegelt auch § 71 Abs. 3 GO-BT wider, wonach ein Antrag auf Schluss der Debatte frühestens zur Abstimmung gestellt werden kann, wenn jede Fraktion Gelegenheit hatte, zur Sache zu sprechen, und von der jeweiligen Fraktionsauffassung abweichende Meinungen vorgetragen werden konnten. Im Ergebnis tragen diese Besonderheiten zu einer offeneren und lebendigen Diskussion bei.465 Zwar bleiben die Abgeordneten auch in den Ausschusssitzungen stets Vertreter ihrer Fraktion, sodass sie sich regelmäßig an die bereits vor der Abstimmung im Ausschuss gebildete Fraktionslinie halten, zumindest bei kontroversen Themen kaum Kompromissbereitschaft besteht und sich schlichtweg die Mehrheitsfraktionen durchsetzen.466 Gleichwohl ist im Rahmen der Versachlichung der Beratungen eher als im Plenum ein Bemühen um Ausgleich der verschiedenen politischen Positionen von Interessengruppen zu sehen.467 Diese Besonderheiten des Ausschussverfahrens und des Zwecks der Ausschussarbeit vor Augen kann deren Öffentlichkeit nur bedingt die Funktionen parlamentarischer Plenaröffentlichkeit, wie sie der Teleologie von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zugrunde liegen, erfüllen. Dabei unterscheiden sich förmliche und inhaltliche Struktur der Beratungen von Ausschüssen und Plenum grundlegend. In der Plenardebatte wird dabei das vorläufige Ergebnis eines vielschichtigen, oft langwierigen Beratungs- und Entscheidungsfindungsprozesses468 in geraffter und verdichteter Form unter Nennung der wesentlichen sachlichen Regelungsalternativen sowie der hierzu vertretenen politischen Positionen und Argumente dargestellt.469 Hierbei wird die Materie so aufgearbeitet und zugespitzt, dass sie sich für eine kontradiktorische Vermittlung in Rede und Gegenrede eignet, die dem Bürger die unterschiedlichen Positionen besonders deutlich und trennscharf demonstriert und auf dieser Basis eine informierte Meinungsbildung in besonderem
464 Gleichwohl wäre eine Vereinbarung zwischen den Fraktionen über die Redezeiten und -reihenfolge theoretisch zulässig, Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 125. 465 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 184; Hadamek, in: Kluth/ Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 125. 466 Vgl. hierzu Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 184 f.; Melzer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 19, 29, 36; Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (24); Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (86); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 137, 209, 230. 467 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 49. 468 Siehe hierzu Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 35 ff. 469 Siehe hierzu Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 24; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 40 f.; vgl. auch Dreier, JZ 1990, S. 310 (318).
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Maße befördert.470 Die hiermit einhergehende Reduktion von Komplexität stellt die notwendige Kehrseite für die Möglichkeit dar, in einer pluralistischen Gesellschaft, die Vielzahl von zu berücksichtigenden Interessen, Informationsströmen und gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten mit dem Gedanken der Repräsentation, welche eine handhabbare Darstellungsform erfordert, in Ausgleich zu bringen.471 Gerade die Überblicksfunktion ist für die Willensbildung der breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit, die nicht über die Zeit und das Vorwissen verfügt, sich en détail in die Spitzfindigkeiten einer Vorlage einzuarbeiten, essentiell. Im Ergebnis wird damit die jeweilige inhaltliche Grundhaltung der Akteure begründet und hierdurch vor dem Souverän Verantwortung übernommen.472 Dem steht die kleinteilige Detailberatung in Ausschüssen gegenüber, die häufig besonderes Vorwissen bzw. eine Vorbefassung mit den Spezifika des Beratungsgegenstandes voraussetzt und eher von einem versachlichten und entschärften Debattenstil geprägt ist, der weniger auf die Herausarbeitung der unterschiedlichen politischen Grundpositionen, sondern auf die Erörterung – häufig unpolitischer – Einzelheiten der Vorlage zugeschnitten ist. Dies spiegelt sich indes auch in der räumlichen Aufteilung der Sitzungssäle wider, die nicht als Debattiersaal im Halbrund ausgestaltet sind. Die typische Dramaturgie der Plenarsitzung mit dem bekannten Wechselspiel von Rede und Gegenrede vermag sich hier auch in Ansehung der unterschiedlichen Redeordnung kaum einzustellen.473 Damit ist die Anschauung der Ausschussdebatte für die inhaltliche Nachvollziehbarkeit des politischen Prozesses regelmäßig nur dann förderlich, wenn der Rezipient entweder in Gestalt der Fachöffentlichkeit bereits über die genannten Vorkenntnisse verfügt oder gewillt ist, sich diese anzueignen. Zudem ist das Verfahren der Ausschussberatung seiner Struktur und Kommunikationsart insgesamt weniger darauf ausgelegt, die wesentlichen politischen Grundpositionen verständlich und pointiert gegenüber dem Bürger zu vermitteln.474 Insgesamt ist die Ausschussberatung daher ein Aliud zur Plenardebatte und kann deren Zweck – wie er sich in der Teleologie der Parlamentsöffentlichkeit niederschlägt – nur in einem deutlich geringeren Umfang verwirklichen. Zwar besteht auch durch Anschauung der Ausschusssitzungen die Möglichkeit politi470 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 11; vgl. auch Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 307; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 345. 471 Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 41. 472 Vgl. hierzu Dreier, JZ 1990, S. 310 (318); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 50, Rn. 7, 11; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 9; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 40 ff. 473 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 24, ders., in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 11. 474 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 24; vgl. auch Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 156 f.; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 175.
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scher Meinungsbildung; hier allerdings vornehmlich in Bezug auf Detailfragen. Unterschiedliche politische Positionen treten in ihnen – wenn auch weniger stark kontrastiert – zutage, sodass es zu einer öffentlichen Resonanz diesbezüglich kommen kann und die Basis gesellschaftlicher Willensbildung verbreitert wird. Bereits in diesem Verfahrensstadium kann zudem die Tätigkeit des Parlaments durch den Bürger einer Kontrolle unterzogen und ggf. kommunikativ hierauf reagiert werden. Auch wird die Kontroll- und Gestaltungstätigkeit der Abgeordneten (insbesondere der Opposition) in einem weiteren Umfang wahrnehmbar gemacht. In summa ist die Ausschussdebatte aber wegen des inhaltlichen Zuschnitts, der fehlenden Überblicksfunktion sowie infolge des Debattenstils deutlich weniger geeignet, die wesentlichen Leitlinien der Politik, die wiederum eher als technische Einzelheiten entscheidend für die politische Willensbildung sind, nachvollziehbar zu machen. Infolgedessen wäre eine öffentliche Ausschussdebatte zwar grundsätzlich geeignet, den Zweck von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zu fördern. Gleichwohl zeigt sich, dass sie vor dem Hintergrund der anschließenden Behandlung im Plenum von überschaubarer Bedeutung für dessen Verwirklichung ist. bb) Erforderlichkeit der Ausschussöffentlichkeit zur Zweckerreichung Sodann stellt sich die Frage, ob eine Auslegung, welche die Ausschusssitzungen unter den Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG fasst, mit Blick auf dessen Zweck, die Durchschaubarkeit und Nachvollziehbarkeit des staatlichpolitischen Prozesses bezüglich eines Beratungsgegenstandes zu gewährleisten, überhaupt erforderlich ist. Insoweit kann zunächst der Beschlussprozess in seiner Gesamtheit unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob dieser – auch unter Aussparung der Ausschussphase – ein hinreichendes Maß an Öffentlichkeit garantiert, um diesen Zweck zu erfüllen. 475 Hierzu gilt es, sich den typischen Beratungsverlauf von Vorlagen im Parlament zu vergegenwärtigen.476 Diese werden am Ausgangspunkt parlamentarischer Behandlung zunächst als Drucksachen des Bundestages veröffentlicht477 und sodann auf die ebenfalls öffentlich einsehbare Tagesordnung478 des Bundestages gesetzt. Der weitere Ablauf der Beratung richtet sich nunmehr nach der Art der zu behandelnden Vorlage. Sofern es sich um einen einfachen Antrag handelt, kann dieser ohne Aussprache an einen Ausschuss überwiesen werden (§ 78 Abs. 2 S. 1 GO-BT). Bei Gesetzesentwürfen erfolgt zunächst eine erste Beratung 475
Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 86 ff. Für die Beratung von Gesetzesentwürfen siehe ausführlich Hadamek, in: Kluth/ Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 28 ff.; Pieper, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 95 ff. 477 Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/dokumente/drucksachen (06.09.2019). 478 Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/tagesordnung (06.09.2019). 476
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im Plenum (§ 79 GO-BT), die mit oder ohne allgemeine Aussprache stattfinden kann,479 bevor in aller Regel die Vorlage an einen oder mehrere Ausschüsse überwiesen wird (§ 80 GO-BT). Im Vorfeld der Ausschussberatung wird deren Tagesordnung veröffentlicht,480 sodass zumindest hinsichtlich der Tatsache der Behandlung eines Ausschussgegenstandes Transparenz besteht. Die Ausschussphase selbst erfolgt sodann nichtöffentlich. Deren mittelbare Transparenz wird jedoch retrospektiv über eine Informationsvermittlung der Ausschüsse an das seinerseits öffentlich verhandelnde Bundestagsplenum im Rahmen der Ausschussberichterstattung hergestellt. Nach § 65 GO-BT sind für jeden Verhandlungsgegenstand im Ausschuss ein einzelner oder mehrere Berichterstatter zu benennen. Aus den gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 GO-BT in der Regel481 schriftlich zu erstattenden Berichten gehen in wesentlichen Zügen der tatsächliche Ablauf der Beratungen, die geführten Auseinandersetzungen sowie die im Ergebnis getroffenen Entscheidungen des Ausschusses hervor.482 Nach § 66 Abs. 2 S. 1 GO-BT sind zwingend die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses mit Begründung, die Ansicht der Minderheit sowie die Stellungnahmen mitberatender Ausschüsse anzugeben. Ferner ist gemäß § 66 Abs. 2 S. 2 GO-BT auf Besonderheiten des Verfahrensgangs wie Stellungnahmen kommunaler Spitzenverbände bzw. die Durchführung von Informationssitzungen hinzuweisen. Wesentlich für das Verständnis des Verhandlungsverlaufs sind insbesondere die Angaben über Zweck und Folgen angenommener wie abgelehnter Änderungsanträge, die jeweiligen Fraktionspositionen hierzu sowie die konkreten Abstimmungsergebnisse. Hieraus ergibt sich eine Art Kommentierung, die sich bei Ge-
479 Eine allgemeine Aussprache erfolgt formal nur dann, wenn eine solche vom Ältestenrat empfohlen oder eine Fraktion oder Gruppe dies beantragt hat. Dies ist zumeist bei besonders kontroversen oder bedeutsamen Gesetzgebungsvorhaben der Fall. Zum Teil wird sie auch gezielt von der Opposition genutzt, um bestimmte Themen im Plenum zu platzieren. Vgl. Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 55; Pieper, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 95. 480 Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ausschuesse (06.09.2019). 481 Hiermit wird zum Ausdruck gebracht wird, dass mündliche Ausführungen zwar rechtlich zulässig sind, jedoch nicht dem Grundfall entsprechen. Wann von diesem Grundsatz abgewichen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere terminlichen Notwendigkeiten ab. Siehe hierzu Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 66, Bem. I. 1. a). Eine verbale Ergänzung des Berichts gemäß § 66 Abs. 1 S. 2 GO-BT in der anschließenden Behandlung im Plenum kommt in der Praxis nur selten vor, wobei in einem solchen Fall regelmäßig die Berichterstatter selbst das Wort ergreifen und noch einmal dem gesamten Haus den Verhandlungsverlauf unter Einschluss der Gründe für das erzielte Beratungsergebnis nebst etwaig erhobener Einwände darstellen. Siehe hierzu auch Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 62, 88. 482 Siehe hierzu im Detail Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 83 ff.; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 66, Bem. 2.; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 75 f.
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setzesvorlagen (ähnlich amtlicher Begründungen) für die Rechtsanwendung als nützlich erweisen kann.483 Nach Abschluss der Ausschussphase werden der Ausschussbericht und die Beschlussempfehlung (vgl. § 66 Abs. 2 GO-BT) als Drucksachen veröffentlicht.484 Im Anschluss wird auf Basis von Ausschussbericht und Beschlussempfehlung über die Vorlage in öffentlicher Sitzung – je nach Art der Vorlage (vgl. § 78 Abs. 1 GO-BT) – in einer oder mehreren Beratungen verhandelt und abgestimmt sowie im Falle einer Gesetzesvorlage ggf. im Rahmen einer Schlussabstimmung abschließend beschlossen (vgl. § 86 GO-BT). Mithin ist festzuhalten, dass sich das parlamentarische Beratungsverfahren als ein Wechselspiel von öffentlichen und nichtöffentlichen Teilabschnitten darstellt. Jede vom Ausschuss behandelte Vorlage wird im Ausgang selbst veröffentlicht und ist z. T. bereits vor der Ausschussphase Gegenstand öffentlicher Beratung im Plenum, sodass die Staatsbürger zumindest die Möglichkeit haben, hiervon frühzeitig Kenntnis zu nehmen. Dies ist indes auch keine rein hypothetische Möglichkeit, da zumindest grundlegende Gesetzesvorhaben häufig bereits von langer Hand vorbereitet und entsprechend auf Partei-, Koalitions- und/oder Regierungsebene unter Mitwirkung von Presse und Medien sowie interessierten Verbänden und Fachkreisen kommuniziert werden, sodass ein entsprechendes Bewusstsein in der Gesellschaft bereits zum Zeitpunkt der Einbringung in den Bundestag vorhanden ist.485 Zwar finden die inhaltlichen und politischen Detailberatungen auf Ausschussebene selbst nicht öffentlich statt. Im Anschluss macht jedoch die Plenardebatte sodann den Beratungsgegenstand in seiner Gesamtheit und abschließenden Form für den Bürger transparent. Insoweit spricht zunächst vieles dafür anzunehmen, dass das Beratungsverfahren insgesamt ein solches Maß an Öffentlichkeit transportiert, dass die tatsächliche Anschauung der Ausschusssitzungen als Teilausschnitt vor dem Hintergrund des Zwecks von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht zwingend notwendig erscheint.486 Etwas anderes könnte sich allerdings ergeben, wenn man wie Morlok argumentativ auf die Tatsache abstellt, dass die „maßgebliche parlamentarische Arbeit“ 487 nunmehr in den Ausschüssen stattfinde, sodass sich Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gerade auch auf diese Verfahrensstufe erstrecken müsse. Dieser verweist auf den 483 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 85; Jekewitz, Der Staat 25 (1986), S. 399 (400); Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 75. 484 Dabei erfolgt in der Regel die Veröffentlichung als einheitliche Drucksache, Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 67. 485 Vgl. Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 36. 486 So auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 87 ff.; vgl. ferner H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44. 487 Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 24; ähnlich auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 106 ff.; Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 38 f.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Umstand, dass der Bundestag seine Tätigkeit in erheblichem Maße in die Ausschüsse verlagert habe, sodass hier die Entscheidungen des Bundestages sachlich hergestellt, während sie im Plenum lediglich dargestellt würden. Eine realitätsgerechte Auslegung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG müsse daher zu dem Ergebnis kommen, dass Ausschüsse hiervon umfasst seien. Überall dort, wo ein wesentlicher Teil parlamentarischer Arbeit geleistet werde, müsse auch die Parlamentsöffentlichkeit normative Geltung beanspruchen, zumal die Herstellung von Entscheidungen nicht nur einem geschlossenen Kreis von Ausschussmitgliedern und zugangsberechtigten Spezialisten überlassen sein dürfe, sondern vielmehr die entscheidungslegitimierende Kommunikation mit dem Staatsvolk voraussetze.488 Diese Prämisse gilt es im Folgenden auf den Prüfstand zu stellen. (1) Methodenkritik Bevor in die inhaltliche Auseinandersetzung mit der vorstehenden Argumentation eingetreten werden soll, ist zunächst die methodische Herangehensweise kritisch zu hinterfragen. Die Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschüsse wird insofern auf eine „realitätsgerechte Verfassungsinterpretation“ 489 gestützt, sodass hier eine wirklichkeitswissenschaftlich aufgeladene Teleologie maßgeblicher Auslegungsgesichtspunkt ist. Unabhängig von den bereits dem Grunde nach gegen eine wirklichkeitsorientierte Auslegung sprechenden Bedenken,490 ist jedenfalls auch deren Prämisse, dass sich die Normsituation, die der historische Verfassungsgeber vor Augen hatte, infolge eines Wandels der tatsächlichen Verhältnisse so verändert hat, dass ein Spannungsverhältnis zum ursprünglichen Regelungssachverhalt entsteht,491 vorliegend höchst fraglich. Soweit hinsichtlich der veränderten Normsituation auf die faktische Arbeitsverlagerung hin zu den Ausschüssen als eine wesentliche Veränderung des Gesamtablaufs der Parlamentsverhandlung abgestellt wird, spricht die historische Betrachtung gegen eine solche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zur Entstehungssituation des Grundgesetzes. Schon zum Ausgang des 19. Jahrhunderts und verstärkt in der Weimarer Republik wurde eine deutliche Gewichtsverlagerung hin zur Beratung von Vorlagen in den Ausschüssen wahrge488
Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 24. Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 24; so wohl auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 38 f. 490 So wird z. B. eingewandt, dass die Verfassung als Rahmenordnung selbst nur sehr bedingt einer topischen gelenkten Ausrichtung an den tatsächlichen Gegebenheiten bedürfe, da sie in erheblichem Maße Gestaltungsspielräume offenließe, die eine Anpassung an gewandelte Verhältnisse ermöglichten. Zudem berge die wirklichkeitswissenschaftliche Betrachtung die Gefahr, dass die klare Grenze zwischen normativer Verfassung gegenüber der sozialen Wirklichkeit verwischt werde. Siehe hierzu insbesondere Böckenförde, NJW 1976, S. 2089 (2095); Starck, Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 271, Rn. 28 f. 491 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 350 ff. 489
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nommen.492 Mithin kannte schon der historische Verfassungsgeber den Befund der wesentlichen Vorherbestimmung inhaltlicher Beschlussergebnisse durch die vorgelagerten Verfahrensstufen und hat diesen bei Erlass des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG mitberücksichtigt. Somit fällt bereits die methodische Voraussetzung einer wirklichkeitsorientierten Auslegung weg. (2) Ausschüsse als vorbereitende Beschlussorgane Überdies ist auch die inhaltliche Validität der aufgestellten Prämisse, dass die maßgebliche parlamentarische Arbeit in den Ausschüssen erfolge, mehr als fragwürdig. Bereits das Abstellen auf das Kriterium der „maßgeblichen“ bzw. „wesentlichen“ parlamentarischen Arbeit ist an sich – wegen der damit einhergehenden Unbestimmtheiten – kaum geeignet, eine trennscharfe Auslegung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zu ermöglichen.493 Für die inhaltliche Erarbeitung von parlamentarischen Entscheidungen sind regelmäßig Beratungen im Rahmen der Fraktionen und deren Arbeitskreisen sowie ggf. informelle, interfraktionelle Abstimmungsprozesse von deutlich größerer Bedeutung als die Ausschusssitzungen selbst.494 Der obigen Prämisse folgend, müsste man konsequenterweise ebenfalls die Erstreckung der Öffentlichkeit auf solche Gremien fordern, was Vertreter dieser Ansicht allerdings nicht tun.495 Selbst wenn man einen solchen Wesentlichkeitsmaßstab anlegte, ist fraglich, ob der Ausschussberatung im Rahmen des Gesamtverfahrens tatsächlich eine solch herausgehobene Rolle zukommt, dass eine unmittelbare Anschauung dieses Teilausschnitts des parlamentarischen Beratungsverfahrens zwingend erforderlich ist. Hiergegen spricht bereits der formal allein vorbereitende Charakter der Ausschussberatungen. Der aus dem Gedanken der repräsentativen Demokratie folgende Grundsatz parlamentarischer Gesamtverantwortung bedingt die grundsätzliche Notwendigkeit der Mitwirkung aller Abgeordneten an Entscheidungen des Bundestages, sodass die endgültige Beschlussfassung in der Regel dem Plenum vorbehalten bleibt.496 Wie gesehen, geben die Ausschüsse rechtlich allein Be492
Siehe hierzu Kap. 2 B. III. 1. b). Kritisch hierzu auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 89 f. 494 Siehe bereits Kap. 2 B. V. 2. a). 495 Vgl. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44. Insofern würde zumindest bei den Fraktionen und Arbeitskreisen einer Öffentlichkeitspflicht der Gedanke eines abgeschirmten Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereichs als wesentlicher Voraussetzung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Fraktionen entgegenstehen. Siehe hierzu auch Brocker, Lux in arcana, 2014, S. 28 ff.; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 36. 496 Hierzu BVerfGE 130, 318 (342 ff.) vgl. auch BVerfGE 44, 308 (317); 80, 188 (217); siehe hierzu ausführlich auch Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 97 ff.; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 37 f.; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 3 ff., 18. 493
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
schlussempfehlungen ab, welche den Stand einer Vorlage im Vorbereitungsstadium abbilden. Änderungsmöglichkeiten im weiteren Verfahren werden von §§ 82, 85 GO-BT (ggf. i.V. m. § 78 Abs. 3 bzw. 4 GO-BT) vorausgesetzt. Die finale und damit rechtlich verbindliche Entscheidung über den Beratungsgegenstand erfolgt erst durch die Beschlussfassung im Plenum.497 Gerade für diese müssen sich die Parlamentarier gegenüber der Öffentlichkeit demokratisch verantworten.498 Insofern spricht einiges dafür, der förmlichen Beschlussfassung als verbindlicher Äußerung der Staatsgewalt das maßgebliche Gewicht im Rahmen des parlamentarischen Beratungsverfahrens zuzubilligen. (3) Nachträgliche Transparenz des Ausschussverfahrens Fernerhin ist zu betonen, dass die Ausschussphase trotz ihrer formellen Nichtöffentlichkeit keinesfalls völlig intransparent für die Staatsbürger ist. Zunächst wird über die Veröffentlichung der Tagesordnungen der Ausschüsse ersichtlich, wann über einen bestimmten Gegenstand beraten wird. Daneben wird – wie gesehen – das Ergebnis der Ausschussberatungen und der Beratungsverlauf in groben Zügen durch Ausschussbericht, Beschlussempfehlung und begleitende Fraktionserklärungen einsehbar gemacht.499 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Ausschussberatung selbst grundsätzlich weder vertraulich noch geheim stattfindet500 und faktisch verschiedenen Teilen der Gesellschaft in unterschiedlichem Maße zur Kenntnis gelangt. Insbesondere Interessengruppen und Fachkreise sind über Vorgänge in den Ausschüssen in der Regel gut informiert, zumal sie selbst, beispielsweise im Rahmen von öffentlichen Anhörungen oder auf informellem Weg, vielfältig am Entscheidungsprozess in den Ausschüssen mitwirken.501 Hinzu kommt, dass auch die Ausschussmitglieder selbst gezielte Informationen zumeist an Presse und Medien etwa im Rahmen von Interviews im Anschluss an die Ausschussberatungen weitergeben, sodass auch die breite gesellschaftliche Öffentlichkeit z. T. Kenntnis über Einzelheiten der Beratungen erlangen kann.502
497 Berg, Der Staat 9 (1970), S. 21 (31); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 8; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 69. 498 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44. 499 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 51; vgl. auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 332. 500 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 38; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 112 f.; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 45. 501 Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 37 f. 502 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 38; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 332; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 79; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 38.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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Des Weiteren werden die wesentlichen Positionen und widerstreitenden Argumente, die bereits in dem im Ausschuss vollzogenen Entscheidungsprozess relevant waren, in der anschließenden öffentlichen Plenardebatte zumeist wiederholt und damit rückwirkend transparent und nachvollziehbar gemacht.503 Dies ist in der Praxis gerade deshalb üblich, weil vor allem Abgeordnete der Opposition ein Interesse daran haben, ihre Kritikpunkte öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck zu bringen und die Regierungsfraktionen sich in der Folge hiergegen argumentativ verteidigen und ihre eigenen Lösungsansätze rechtfertigen.504 Insgesamt ist es daher in jedem Falle möglich, die Ausschussberatungen in wesentlichen Teilen nach deren Abschluss nachzuvollziehen. (4) Ausschussverfahren im Gesamtkontext der Beratungen Insofern ergäbe sich allenfalls ein mögliches Öffentlichkeitsdefizit, wenn auf die demokratische Teilhabemöglichkeit in Form kommunikativer Einflussnahme auf laufende Beratungsverfahren abgestellt würde. Die Staatswillensbildung im Rahmen der Ausschussberatungen könnte durch eine nachträglich hergestellte Öffentlichkeit jedenfalls nicht mehr dynamisch beeinflusst werden, wenn diese als de facto in sich abgeschlossener Entscheidungsprozess verstanden würde. Allerdings greift auch hier das Argument Platz, dass die Ausschüsse allein vorbereitende Beschlussorgane sind und somit eine Einflussnahme im Anschluss an die Ausschussphase und vor der rechtsverbindlichen Abstimmung im Plenum rechtlich möglich ist. Durch die Berichterstattung und Beschlussempfehlung an das Plenum wird jedenfalls der wesentliche Verlauf und das Ergebnis der Ausschussberatungen noch vor der abschließenden Behandlung im Plenum einsehbar. Insofern besteht aus Sicht der Staatsbürger die potentielle Möglichkeit, und allein auf diese kommt es verfassungsrechtlich an,505 auf das noch laufende Entscheidungsverfahren kommunikativ einzuwirken. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit nicht faktisch unmöglich gemacht werden darf, sodass insbesondere eine hinreichend lange Zeitspanne zwischen der Einsehbarkeit des Ergebnisses der Ausschussphase und der abschließenden Beratung der Vorlage im Plenum einzuräumen ist, um die tatsächliche Kenntnisnahme und kommunikative Reaktion auf das Ergebnis der Ausschussberatungen zu ermöglichen, bevor das Verfahren formell zum Abschluss gelangt. Insofern ist im Gesetzgebungsverfahren die gemäß § 81 Abs. 2 S. 1 GO-BT grundsätzlich nur zweitägige Frist zwischen Veröffentlichung des Ausschussberichts und zweiter Beratung im Plenum, welche in der 503 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 577; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 43 f.; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 17. 504 Siehe auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 107 f. 505 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 88; siehe auch die bereits im Rahmen der Funktionsbestimmung gemachten Ausführungen unter Kap. 2 B. IV. 4.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Parlamentspraxis z. T. sogar noch unterschritten wird,506 verfassungsrechtlich nicht unproblematisch.507 Letztlich dürfte aber selbst bei im Einzelfall knapp bemessenen Zeitabständen zwischen der Veröffentlichung des Ausschussberichts und der abschließenden Beratung im Plenum – wenn man den Beratungsprozess in seiner Gesamtheit betrachtet – eine tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme noch gegeben sein. Dies ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass insbesondere gesellschaftlich kontroverse Beratungsgegenstände bereits vor der Einbringung ins Parlament – jedenfalls in interessierten Fachkreisen – öffentlich diskutiert werden.508 Zum anderen wird auch innerhalb des parlamentarischen Verfahrens zumeist frühzeitig ein gewisses Maß an Öffentlichkeit hergestellt, indem die Vorlage veröffentlicht und z. T. in erster Beratung grundlegend behandelt wird. Bereits hier sind oft die Positionen der politischen Akteure in den Grundzügen bekannt, sodass eine gesellschaftliche Reaktion hierauf erfolgen kann. In der Praxis wird eine Einflussnahme ohnehin regelmäßig nicht erst im Anschluss an das Ergebnis der Ausschussberatung erfolgen, sondern vielmehr Ausdruck einer kontinuierlichen Interessenvertretung sein. Dies bestätigt auch der bereits nachgewiesene Befund, dass im Einzelfall – trotz mangelnder Ausschussöffentlichkeit – eine Einflussnahme im Wege demokratischer Rückkopplung auf laufende Gesetzesverfahren tatsächlich stattfindet.509 e) Auslegungsergebnis Damit ergibt sich, dass eine extensive Auslegung, die Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschüsse erstreckt, auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geboten ist. Vielmehr gewährleistet das parlamentarische Beschlussverfahren insgesamt ein so erhebliches Maß an Öffentlichkeit, dass es für die Nachvollziehbarkeit und Beeinflussbarkeit der Ausübung von Staatsgewalt nicht auf eine tatsächliche Öffnung der Ausschusssitzungen ankommt. Auch ist der Teilabschnitt der Ausschussphase im Gesamtverfahren nicht von solcher Wesentlichkeit, dass er isoliert betrachtet dem Öffentlichkeitsgebot unterliegen müsste. Schließlich ist die Ausschussberatung nach ihrem Verfahren und Beratungszweck nur partiell geeignet, die Funktionen der öffentlichen Plenardebatte wahrzunehmen. Ergo spricht auch die teleologische Auslegung gegen eine Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschüsse. Nach alledem bestätigen sämtliche Auslegungs506 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 68 f.; Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 283; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 159. 507 Siehe hierzu Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 157 ff. 508 Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 36 betont mit Blick auf die vorparlamentarische Erörterung von Gesetzesvorhaben: „Das Ganze vollzieht sich unter intensiver Ein- und Mitwirkung von Interessenten, Verbänden und Fachkreisen und wird begleitet durch informierende, kommentierende und kritisierende Beiträge von Presse und Medien.“ 509 Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. IV. 4.
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methoden übereinstimmend, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG keine Öffentlichkeit von parlamentarischen Ausschüssen gebietet, soweit diese als vorbereitende Beschlussorgane handeln. f) Exkurs: Rechtsfortbildende Betrachtung Ein abweichendes Ergebnis ließe sich angesichts der Eindeutigkeit der Normenexegese methodengerecht allenfalls im Wege einer Rechtsfortbildung begründen. Im Gegensatz zur reinen Auslegung ändert oder ergänzt diese eine Norm über deren möglichen Wortsinn bzw. Regelungsgehalt hinaus.510 In diesem Rahmen käme allein eine teleologische Extension511 als erweiternde Auslegung des Normmerkmals „Bundestag“ oder eine Analogiebildung512 im Hinblick auf den nicht geregelten Fall parlamentarischer Ausschusssitzungen in Betracht. Erstere scheitert hier jedenfalls daran, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG – wie gesehen – gerade auch dem Telos nach keine Anwendbarkeit der Norm auf Ausschüsse gebietet, sodass eine Ausdehnung nicht begründbar wäre. Der Möglichkeit einer Analogie stehen wiederum der eindeutige Wortlaut, die Systematik und damit das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke entgegen.513 Der Normgeber hat vielmehr bewusst auf eine Regelung der Ausschussöffentlichkeit in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG verzichtet, da er bereits infolge der Erfahrungen aus dem Reichstag der Weimarer Republik um die wesentliche Verlagerung von parlamentarischer Arbeit in Ausschüsse wusste sowie aus dieser Zeit auch vereinzelte Beispiele parlamentarischer Ausschussöffentlichkeit514 präsent hatte.515 Mithin kommt auch eine Anwendung der Norm auf parlamentarische Ausschüsse im Wege der Rechtsfortbildung nicht in Betracht. 2. Die Sonderkonstellation: Ausschüsse als plenarersetzende und selbstverantwortliche Beratungsgremien Die vorstehende Untersuchung des Anwendungsbereichs von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG hat sich auf die klassische Einordnung der Ausschüsse als vorbereitende Beschlussorgane beschränkt. Wie bereits im Rahmen der Funktionsbestimmung 510 Zum Teil wird bei der Abgrenzung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung primär auf den Wortlaut als Demarkationslinie abgestellt, so Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 322. Andere Stimmen wollen den dagegen auf den denkbaren Regelungsgehalt abstellen, der zwar durch den Wortlaut geprägt aber nicht abschließend bestimmt wird, so etwa Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 553. 511 Allgemein hierzu Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 218; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 623 ff. 512 Allgemein hierzu Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 268 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 555 ff. 513 Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (53); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 50. 514 Siehe hierzu Kap. 2 A. III. 4. 515 Vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44 f.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
der Parlamentsöffentlichkeit gezeigt, hat sich der Aufgabenzuschnitt parlamentarischer Ausschüsse jedoch unter Geltung des Grundgesetzes erheblich verändert.516 So wurden z. T. abschließende Entscheidungsbefugnisse des Gesamtparlaments auf Ausschüsse delegiert (a)). Ferner haben die Bundestagsausschüsse im Zuge der Einräumung eines Selbstbefassungsrechts in § 62 Abs. 1 S. 3 GO-BT die Befugnis hinzugewonnen, Fragen aus ihrem Geschäftsbereich eigenverantwortlich und damit ohne vorherige Überweisung durch das Plenum zu beraten (b)). Schließlich hat sich die Parlamentspraxis etabliert, dass im öffentlichen Plenum vollständig auf eine (mündliche) Erörterung von Beratungsgegenständen verzichtet wird, sodass faktisch die abschließende, fraktionsübergreifende Beratung auf Ausschussebene erfolgt (c)). Mit Blick auf diese Sonderkonstellationen stellt sich die Frage, ob sich insoweit ein abweichendes Ergebnis hinsichtlich der Reichweite von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ergibt. a) Plenarersetzende Beschlussfassung Die erste Sonderkonstellation kann dabei als plenarersetzende Beschlusstätigkeit gekennzeichnet werden. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass einem parlamentarischen Gremium im Wege der Delegation die Befugnis erteilt wird, anstelle des Plenums und mit Wirkung für das Gesamtparlament verbindliche Entscheidungen zu treffen.517 Nachdem klargestellt wurde, welche tatsächlichen Anwendungsfälle plenarersetzender Beschlussfassung sich in der Parlamentspraxis ergeben (aa)), wobei insbesondere solche Tätigkeiten auszusondern sind, die zwar einen wesentlichen Teil der Parlamentsarbeit vorwegnehmen, jedoch rechtlich keine Delegation von Entscheidungsbefugnissen im obigen Sinne darstellen, ist eine fundierte rechtliche Bewertung der genannten Sonderkonstellation vorzunehmen (bb)). aa) Anwendungsfälle der Entscheidungsdelegation Die staatliche Praxis kennt einige Beispiele für die Übertragung von Entscheidungszuständigkeiten des Bundestages auf Ausschüsse.518 Hier sind zunächst die Entscheidungen des Haushaltsausschusses im Rahmen der Durchführung des Haushaltsgesetzes, vornehmlich in Gestalt der Aufhebung von Sperrvermerken, 516
Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. V. 2. Hierzu insbesondere Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22 sowie Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 4 ff.; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (681). 518 Siehe hierzu Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22 ff.; ferner auch Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 9. Zu den Fragen der Zulässigkeit und Grenzen der Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf Ausschüsse siehe Berg, Der Staat 9 (1979), S. 21 ff.; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 128 ff.; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 14 ff. 517
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zu nennen.519 Dabei sind nach § 22 S. 3 BHO Ausgaben bzw. Ermächtigungen zur Eingehung einer Verpflichtung für künftige Haushaltsjahre unter bestimmten Voraussetzungen im Haushaltsplan als gesperrt zu bezeichnen, wobei im Sperrvermerk ausnahmsweise festgelegt werden kann, dass die Leistung von Ausgaben oder die Inanspruchnahme von Verpflichtungsermächtigungen der Einwilligung „des Bundestages“ bedarf. Sofern ein solches Einwilligungsbedürfnis besteht, muss die Einwilligung des Bundestages nach § 36 S. 2 BHO vor der Entsperrung des entsprechenden Haushaltspostens eingeholt werden. Zwar deutet der Wortlaut der BHO auf eine zwingende Entscheidung des Plenums in der Sache hin. In der Praxis wird die Entscheidung über die Aufhebung der Sperre jedoch durch den Haushaltsausschuss eigenverantwortlich und abschließend wahrgenommen.520 Insofern formulieren die jeweiligen Sperrvermerke, welche ihrerseits durch Entscheidung des Plenums über das Haushaltsgesetz festgelegt werden, regelmäßig das Erfordernis einer Aufhebung durch Befassung und Einwilligung allein des Haushaltsausschusses.521 Ein weiterer Fall der Delegation ist die von Art. 45 S. 2 GG vorgesehene Möglichkeit der Ermächtigung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, die Rechte des Bundestages nach Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen.522 Diese wird von § 93b Abs. 2 GO-BT näher ausgestaltet, wonach der Bundestag auf Antrag einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages den EU-Ausschuss ermächtigen kann, Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung hinsichtlich bestimmter Unionsdokumente bzw. Vorlagen abzugeben. Unter bestimmten Einschränkungen kann gemäß § 93b Abs. 2 S. 3 GO-BT sogar ohne eine solche Ermächtigung eine plenarersetzende Stellungnahme durch den EU-Ausschuss erfolgen.523 In jüngerer Zeit sind zudem im Zuge der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise delegierte Entscheidungsbefugnisse des Haushaltsausschusses im Rah519 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 9; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22. 520 Eickenboom, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 44, Rn. 37; Hasenjäger, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 25, Rn. 28. 521 Siehe etwa im Rahmen des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 Kapitel 04 05, Titel 685 17 sowie 894 11 (BT-Drs. 18/2823, S. 10); Kapitel 14 16, Titel 554 07 (BT-Drs. 18/2823, S. 135). Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Delegation der Befugnis zur Entsperrung auf Ausschüsse vgl. Eickenboom, in: Schneider/ Zeh, Parlamentsrecht, § 44, Rn. 37; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 110, Rn. 72. 522 Siehe hierzu Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 45, Rn. 5 f. Von dieser Möglichkeit ist in der Parlamentspraxis indes bisher nicht Gebrauch gemacht worden, Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Art. 45, Rn. 3; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 93b, Bem. 2. 523 Ausführlich dazu Baddenhausen, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 7 f.; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 93b, Bem. 2. ff.
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men parlamentarischer Mitwirkungsrechte bezüglich Maßnahmen unter den Euro-Rettungsschirmen ESM und EFSF eingerichtet worden.524 Hierbei sehen als stärkste Form der Beteiligung des Haushaltsausschusses § 5 Abs. 2 ESMFinG sowie § 4 Abs. 2 StabMechG eine vorherige (plenarersetzende) Zustimmung desselben vor.525 Eine solche ist etwa zu Entscheidungen über die Bereitstellung zusätzlicher Instrumente ohne Änderung des Gesamtfinanzierungsvolumens einer bestehenden Finanzhilfefazilität oder wesentliche Änderungen der Bedingungen der Finanzhilfefazilität (§ 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ESMFinG) erforderlich. Weiterhin bedürfen z. B. Beschlüsse über bestimmte Kapitalabrufe sowie über die Änderung der Regelungen und Bedingungen über Kapitalabrufe sowie die wesentliche Änderung der Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten von Finanzhilfefazilitäten unter dem ESM der vorherigen Zustimmung (§ 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ESMFinG). Als weitere plenarersetzende Beteiligungsform des Haushaltsausschusses sehen § 5 Abs. 3 ESMFinG bzw. § 4 Abs. 3 StabMechG eine Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung vor, welche von dieser insbesondere im Rahmen der Entscheidung über die Auszahlung einzelner Tranchen unter den genannten Finanzhilfeinstrumenten zu berücksichtigen ist. Des Weiteren könnten die Beschlüsse des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über die Aufhebung der Immunität im Wege des vereinfachten Verfahrens einen Fall der Delegation darstellen.526 In Immunitätssachen, die Straßenverkehrsdelikte betreffen oder vom Immunitätsausschuss als Bagatellangelegenheiten gewertet werden sowie für die Genehmigung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Erzwingungshaft i. S. v. §§ 96, 97 OWiG sehen die in der Anlage 6 der GO-BT geregelten Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten (Nr. 8, 11 und 12)527 bzw. der jeweilige Beschluss betreffend die Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages (hier Nr. 3 und 4)528 524 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22. Siehe hierzu ausführlich Hasenjäger, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 25, Rn. 34 ff. 525 Siehe hierzu Calliess, NVwZ 2012, S. 1 (4); Hasenjäger, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 25, Rn. 38. 526 So etwa Berg, Der Staat 9 (1970), S. 21 (36); H. H. Klein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 54; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 9; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 177; Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 139 f.; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 22. 527 Dabei werden die „Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten und in Fällen der Genehmigung gemäß § 50 Abs. 3 StPO und § 382 Abs. 3 ZPO sowie bei Ermächtigungen gemäß § 90b Abs. 2, § 194 Abs. 4 StGB“, zuletzt geändert durch Beschluss vom 15.07.2002 (BGBl. I S. 3012), vom Immunitätsausschuss regelmäßig gemäß § 107 Abs. 2 GO-BT zu Beginn einer Wahlperiode wortgleich übernommen (Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Fn. 17). Siehe hierzu grundlegend Butzer, ZParl 24 (1993), S. 384 ff. 528 Der „Beschluß des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages“ wird jeweils zu Beginn einer Wahlperiode regelmäßig
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ein vereinfachtes Beschlussverfahren vor. Hierbei werden durch den Immunitätsausschuss sog. „Vorentscheidungen“ getroffen, welche dem Bundestag durch den Präsidenten schriftlich mitgeteilt werden, ohne auf die Tagesordnung gesetzt zu werden. Sofern nicht innerhalb von sieben Tagen nach Mitteilung schriftlich beim Präsidenten Widerspruch erhoben wird, gelten die Beschlüsse sodann als Entscheidung des Deutschen Bundestages. Mit dieser Verfahrensgestaltung erfolgt jedoch gerade keine abschließende Delegation der Entscheidungsbefugnisse auf den Ausschuss.529 Die Abstimmung im Plenum wird dabei lediglich in ein schriftliches Verfahren überführt.530 Dem bloßen Schweigen zu einer Vorentscheidung des Immunitätsausschusses wird nach Nr. 7 Beschluss betreffend die Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages, welcher zu Beginn einer Wahlperiode regelmäßig wortgleich übernommen wird, ein Erklärungswert beigemessen, sodass im Ergebnis eine stillschweigende Zustimmung der Plenums und damit ein konkludenter Beschluss desselben anzunehmen ist.531 Folglich verbleibt die Letztentscheidungsgewalt beim Plenum, sodass jedenfalls keine Fall der Delegation vorliegt. Ferner stellt die Behandlung von Petitionen durch den Petitionsausschuss in der Parlamentspraxis keinen Fall der Delegation dar. Gemäß Art. 45c Abs. 1 GG bestellt der Bundestag einen Petitionsausschuss, dem die Behandlung der nach Art. 17 GG an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt. Inwieweit damit eine Delegationsbefugnis auf den Petitionsausschuss einhergeht, ist umstritten.532 Hierauf kommt es indes nicht entscheidend an, da geschäftsordnungsrechtlich in § 112 Abs. 1 S. 1 und 2 GO-BT vorgesehen ist, dass der Petitionsausschuss dem Bundestag monatlich und in gebündelter Form über die behandelten Petitionen im Rahmen einer Beschlussempfehlung berichtet, sodass die gängige Arbeitsteilung zwischen der Vorbereitung durch den Ausschuss und der Entscheidung durch das Plenum aufrechterhalten bleibt. Insofern folgt Art. 45c GG der bereits im Reichstag gängigen Praxis.533 Damit verbleibt die Beschluss-
wortgleich übernommen. Siehe Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Fn. 16. 529 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984 S. 244 f.; Butzer, Immunität, 1991, S. 356 f.; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 102; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 46, Rn. 94; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 46, Rn. 40; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 46, Rn. 37; Umbach, in: Umbach/Clemens, Art. 46, Rn. 54. 530 Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 102; Butzer, Immunität, 1991, S. 356 spricht in diesem Zusammenhang von einem „schriftlichen Einwendungsausschlussverfahren“. 531 Vgl. hierzu Butzer, Immunität, 1991, S. 356 f. 532 Befürwortend: Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 45c, Rn. 29 f.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 45c, Rn. 25. Verneinend: Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, Art. 45c, Rn. 9; Stein, in: AK-GG, Art. 45c, Rn. 7. 533 So Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 112, Rn. 10, unter Hinweis auf den Ausschussbericht, BT-Drs. 7/3252, S. 2.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
kompetenz formal beim Plenum, sodass wiederum kein Fall der Delegation vorliegt.534 Aus demselben Grund stellt auch die Wahl der nach Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG vom Bundestag zu bestimmenden Bundesverfassungsrichter nach der Novellierung von § 6 BVerfGG535 keinen Fall der Delegation mehr dar. Anders als die bisherige Regelung, die eine indirekte Wahl durch einen aus der Mitte des Bundestages besetzen Wahlausschuss vorsah, erfolgt die Wahl der Verfassungsrichter nunmehr durch das Bundestagsplenum selbst, lediglich auf Basis eines Vorschlags des Wahlausschusses.536 Schließlich ist auch die – praktisch bisher nicht relevant gewordene – wahlprüfungsrechtliche Sonderkonstellation nach § 13 Abs. 2 WahlprüfG, wonach das Plenum nach erstmaliger Ablehnung einer Beschlussempfehlung durch den Wahlprüfungsausschuss537 in seinen Entscheidungsmöglichkeiten im weiteren Verfahren auf die Annahme eines neuerlichen Vorschlags des Ausschusses bzw. einen eigenen vorschriftsmäßigen Gegenantrag begrenzt ist, nicht als Fall der Delegation einzustufen, da auch hier die Letztentscheidungsgewalt beim Plenum verbleibt.538 bb) Rechtliche Bewertung Für die so herausgearbeiteten echten Delegationsfälle, bei denen Ausschüsse – gleichsam in Vertretung des Bundestages – solche Entscheidungen konstitutiv treffen, die kompetenziell dem Parlament als Ganzem vorbehalten sind, könnten Zweifel an der Beschränkung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf die Plenarversammlung bestehen. In der Folge wurden verschiedentlich erste Ansätze zu einer Erweiterung des verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgebots aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschüsse verfolgt.539 Bislang fehlt es jedoch an einer detaillierten 534 In der Praxis erfolgt die Entscheidung dem Grunde nach durch den Ausschuss selbst. Die Sammelübersichten, welche nach § 112 Abs. 1 S. 1 GO-BT gedruckt werden, lassen aus datenschutzrechtlichen Erwägungen weder den Petenten noch den konkreten Inhalt seines Begehrens erkennen. Die Beschlussfassung findet gemäß § 112 Abs. 2 S. 2 GO-BT in der Regel ohne vorherige Aussprache statt. Kritisch hierzu Würtenberger, in: BK, Art. 45c, Rn. 117; siehe auch Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 45c, Rn. 22. 535 Geändert durch das Neunte Gesetz zur Änderung des BVerfGG v. 24.6.2015 (BGBl. I, S. 973); zum Entwurf (BT-Drs. 18/2737) siehe Bugert, Das Parlament Nr. 42 v. 13.10.2014, S. 4. 536 Zur Entwicklung des Wahlverfahrens siehe Haratsch, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 6, Rn. 6 ff.; Roßner, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 67 ff. 537 Dieser ist zwar organisatorisch beim Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung angesiedelt, stellt jedoch einen eigenständigen Ausschuss dar, vgl. Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Rn. 1. 538 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 23. 539 Siehe hierzu Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 572; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 15; Brocker, in: Epping/Hillgruber,
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und dogmatisch fundierten Begründung der partiellen Anwendbarkeit dieser Norm auf Bundestagsausschüsse. Im Zuge dessen ist zunächst zu eruieren, ob eine teilweise Erstreckung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschüsse im Wege der Auslegung statthaft wäre oder ob diesbezüglich allein der begründungsintensivere Weg der Rechtsfortbildung beschritten werden kann. Für die Möglichkeit einer weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Bundestag“ in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG könnte zunächst sprechen, dass dieses dem natürlichen Sprachgebrauch nach wohl noch geeignet erscheint, auch Ausschüsse als organisatorische Untereinheiten zu umfassen.540 Dem steht allerdings entgegen, dass bei Hinzuziehung der systematischen Erwägungen des gesetzesimmanenten Gebrauchs des Terminus sich dieser stets allein auf das Plenum bezieht,541 sodass der Wortlaut, verstanden als äußerste Grenze der Auslegung, hier bei einer Anwendung auf Ausschüsse wohl überschritten wäre.542 Selbst wenn man nicht allein auf den Wortlaut, sondern vielmehr auf den Regelungsgehalt der Norm als Ausfluss sämtlicher canones abstellte, kann nichts anderes gelten, da auch die eindeutigen systematischen und subjektivhistorischen Auslegungsgesichtspunkte das Wortlautargument unterstreichen. Somit ist der Weg einer weiten teleologischen Auslegung auf Fälle plenarersetzender Beschlusstätigkeit nicht gangbar. Etwas anderes könnte sich allerdings im Rahmen einer Rechtsfortbildung ergeben. Hierfür kämen die dogmatischen Instrumente einer erweiternden Auslegung des Art. 42 Abs. 1 GG (teleologische Extension) bzw. einer analogen Anwendung der Norm auf plenarersetzende Ausschusstätigkeit in Betracht. Beiden ist die Wirkung gemein, Rechtsfolgen auf einen vom Wortlaut der Norm nicht umfassten Sachverhalt zu erstrecken. Sie unterscheiden sich jedoch in methodischer Herangehensweise, Zweck sowie in ihren Begründungsvoraussetzungen. Dabei setzt die teleologische Extension auf Tatbestandsebene an und bringt eine Norm durch erweiternde Auslegung zur direkten Anwendung, um eine Korrektur der Norm infolge einer durch den Normgeber nur unvollständig umgesetzten Wertentscheidung vorzunehmen. Im Rahmen der Analogie findet dagegen keine Tatbestandserweiterung, sondern vielmehr eine Erstreckung allein der Rechtsfolgen-
Art. 42, Rn. 2; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 53; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (681). 540 So Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 107; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 84. 541 Vgl. BVerfGE 1, 144 (152); Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 2; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 50; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 42, Rn. 8. 542 In diesem Sinne Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 572; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 15; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 53; wohl auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2.
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anordnung einer Norm auf einen ähnlich gelagerten Fall statt, für den der Normsetzer keine Wertentscheidung getroffen hat.543 Nach dem Vorgesagten kommt hier allein eine analoge Anwendung in Betracht. Eine Wertentscheidung des Gesetzgebers für die Einbeziehung plenarersetzender parlamentarischer Ausschüsse steht bereits grundlegend entgegen, dass es sich bei diesen um eine neuere Entwicklung unter dem Grundgesetz handelt, die der historische Verfassungsgeber nicht kannte und daher auch nicht wertungsmäßig adressieren konnte. Dies bestätigt auch die Tatsache, dass der Normgeber hinsichtlich Untersuchungsausschüssen in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG eine explizite Regelung zur Frage der Öffentlichkeit getroffen hat. Diese stellen jedoch gleichermaßen Organe im Binnenbereich des Bundestages dar, die eigenverantwortlich (Kontroll)Aufgaben des Gesamtparlaments übernehmen.544 Wenn aber dieser Fall gesondert geregelt ist, kann der Verfassungsgeber in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht bereits eine generelle Wertentscheidung hinsichtlich der Öffentlichkeit aller plenarersetzend tägig werdenden Gremien getroffen haben. Deshalb richtet sich die weitere Prüfung nach den für die Analogie geltenden dogmatischen Anforderungen. Voraussetzungen eines Analogieschlusses sind hierbei das Fehlen eines Analogieverbots, das Vorliegen einer (planwidrigen) Regelungslücke sowie eine Wertungsvergleichbarkeit von geregeltem und ungeregeltem Fall.545 Mangels ersichtlichem Analogievorbot im Anwendungsbereich der Norm546 ist sogleich das Vorliegen einer Regelungslücke sowie der Vergleichbarkeit zum Grundfall des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG herauszuarbeiten. Vorliegend spricht für eine Regelungslücke, dass sich die Wirklichkeit parlamentarischer Arbeit seit 1949 mit Blick auf plenarersetzende Tätigkeit von Ausschüssen so grundlegend verändert hat, dass sich eine solche nachträglich aufgetan hat. Insofern hat sich durch die Einführung der obigen Delegationsvorschriften nachträglich ein rechtlicher Wandel vollzogen, der wiederum ein Regelungsbedürfnis begründet hat.547 Die ursprüng-
543 Looschelders/Roth, Juristische Methodik, 1996, S. 268 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 556, 623; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 397 ff. 544 Träger des Untersuchungsrechts ist insofern das Plenum, vgl. BVerfGE 105, 197 (220); 113, 113 (121 f.); 124, 78 (114); Brocker, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 31, Rn. 8; M. Schröder, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 46, Rn. 1. 545 Grundlegend hierzu Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 381 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 562 ff. 546 Die Rechtsfortbildung im Wege der Analogie ist insofern grundsätzlich zulässig. Ein Analogieverbot bedarf als begründungsbedürftige Ausnahme einer besonderen Rechtfertigung; vgl. auch Canaris, Feststellung von Lücken, 2. Aufl. 1983, S. 183; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 563. 547 So explizit H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46; vgl. zu nachträglichen Regelungslücken Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 571.
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liche Aussparung von Ausschüssen in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG stellt mithin auch keine bewusste Entscheidung für eine negative Regelung548 in Bezug auf plenarersetzende Ausschüsse dar. Entscheidend für die analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ist damit, ob eine Wertungsgleichheit zwischen der Beratung im Plenum und in plenarersetzenden Ausschüssen gegeben ist. Hierfür spricht, dass der Ausschuss kompetenziell im Falle der Delegation Entscheidungsbefugnisse des Gesamtparlaments stellvertretend und mit Wirkung für dieses wahrnimmt und insofern rechtlich als „der Bundestag“ im Sinne der Norm zu qualifizieren ist.549 Die Ausschüsse bereiten in dieser Konstellation die Entscheidungen des Gesamtparlaments nicht lediglich vor. Vielmehr üben sie für dieses unmittelbar entscheidungsförmige Staatsgewalt aus. Insoweit müssen dem Grunde nach gleichermaßen die besonderen Verfahrensvoraussetzungen an das Handeln des plenarersetzenden Ausschusses gestellt werden. Hierfür spricht auch die herausragende Bedeutung des Grundsatzes der Parlamentsöffentlichkeit vor dem Hintergrund der fundamentalen Verfassungsprinzipien in Art. 1 und 20 GG, welche ihrerseits der Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 GG unterliegen und damit jedweder Verfassungsänderung entzogen sind.550 Die im Rahmen von plenarersetzender Ausschusstätigkeit vorgenommene Ausübung der Staatsgewalt wäre dagegen vollständig der Anschauung durch das Staatsvolk entzogen und durch dieses folglich weder nachvollziehbar noch beeinflussbar. Hinzu kommt, dass es in dieser Konstellation auch zu keiner nachträglichen Herstellung von Öffentlichkeit durch Behandlung im Plenum kommt, welche die vorgenannte Einschränkung abmildern könnte.551 Ein weiterer Gesichtspunkt, der für eine Analogie spricht, ist, dass es schlechterdings nicht sein kann, dass es dem Bundestag möglich wäre, durch die schlichte Verlagerung von abschließenden Entscheidungsbefugnissen des Gesamtparlaments auf Ausschüsse, eine öffentliche Behandlung zu unterbinden und somit den Regelungsgehalt von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG und die diesem zugrunde liegenden Verfassungsprinzipien zu umgehen.552 Eine solche Lesart der Beein-
548
Hierzu Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 573. Vgl. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 15; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2; Linck, DÖV 1973, S. 513 (518); ders., ZParl 23 (1992), S. 673 (681); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 53; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 214. 550 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 1.1; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 2; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 1; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 20; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 28; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 14. 551 Vgl. Linck, DÖV 1973, S. 513 (517). 552 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 96 ff.; vgl. auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 2; Linck, DÖV 1973, S. 513 (517 f.). 549
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trächtigung der Parlamentsöffentlichkeit durch Delegation von Entscheidungsbefugnissen scheint auch die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu stützen. Dieses hat zur Bedeutung parlamentarischer Öffentlichkeit ausgeführt: „Der Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen grundsätzlich im Plenum [. . .] und in öffentlicher Beratung. Öffentliches Verhandeln von Argument und Gegenargument, öffentliche Debatte und öffentliche Diskussion sind wesentliche Elemente des demokratischen Parlamentarismus. Gerade das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen, die sich bei einem weniger transparenten Vorgehen so nicht ergäben [. . .]. Erst die Öffentlichkeit der Beratung schafft die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch die Bürger [. . .]. Die parlamentarische Verantwortung gegenüber den Bürgern ist wesentliche Voraussetzung des von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG geforderten effektiven Einflusses des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt.“ 553
Auch die Tatsache, dass diese Bedeutung der öffentlichen Beratung durch eine Entscheidungsverlagerung auf Untergremien tangiert wird, hat das Gericht jüngst mit Blick auf die Delegation parlamentarischer Haushaltsverantwortung auf ein unter dem StabMechG einzurichtendes Sondergremium anerkannt. „Die Delegation von Entscheidungsbefugnissen des Deutschen Bundestages auf das Untergremium, verbunden mit der Befugnis zur selbständigen und plenarersetzenden Wahrnehmung dieser Zuständigkeiten steht in einem Spannungsverhältnis zu dem die Befassung des Plenums gebietenden Grundsatz der Budgetöffentlichkeit, der als Ausprägung des die Demokratie prägenden Transparenzgebotes ebenfalls Verfassungsrang genießt.“ 554
Insofern kann aber nichts anderes gelten, wenn Entscheidungsbefugnisse auf parlamentarische Ausschüsse verlagert werden. Der Grundsatz des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG stellt zudem gleichermaßen eine Ausprägung des zitierten Transparenzgebots der Demokratie dar. Gegen die Wertungsgleichheit könnte zumindest partiell eingewandt werden, dass plenarersetzende Ausschussentscheidungen regelmäßig keine rechtliche Verbindlichkeit gegenüber dem Bürger aufweisen555 und somit die Anschauung der diesbezüglichen Ausschussberatungen von untergeordneter Bedeutung für die demokratische Willensbildung sein könnte. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Bedeutung der Ausübung von Staatsgewalt im Rahmen parlamentarischer Entscheidungen keinesfalls zwingend von deren Rechtsverbindlichkeit gegenüber dem Bürger abhängt. So existiert eine ganze Reihe von staatsrechtlich höchst bedeutsamen parlamentarischen Entscheidungen, welche den Bürger rechtlich nicht 553
BVerfGE 131, 152 (204 f.). BVerfGE 130, 318 (360); hierauf hinweisend auch Schliesky, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 42, Rn. 15. 555 So BT-Drs. 13/89 S. 5 f. exemplarisch für die Möglichkeit plenarvertretender Stellungnahmen des EU-Ausschusses. 554
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unmittelbar tangieren. Hier sind etwa ganz besonders prominent die im Verhältnis zur Bundesregierung getroffenen Beschlüsse für die Wahl des Bundeskanzlers (Art. 63 Abs. 1 GG) und die Durchführung eines konstruktiven Misstrauensvotums (Art. 67 Abs. 1 GG) oder – als sonstige besondere Staatsangelegenheiten – die Feststellung des Eintritts des Spannungsfalls (Art. 80a Abs. 1 GG) bzw. des Verteidigungsfalls (Art. 115a Abs. 1 GG) zu nennen.556 Insofern steht eine mangelnde Bindungswirkung von plenarersetzenden Entscheidungen gegenüber dem Bürger der Wertungsgleichheit nicht entgegen, zumal die konkreten Delegationsfälle etwa der Positionierung des Bundestages in europapolitischen Angelegenheiten oder der Auszahlung von umfangreichen Finanzhilfen an andere EuroStaaten inhaltlich für die politische Willensbildung der Gesellschaft regelmäßig von erheblichem Gewicht sein dürften. Zwar ist anzuerkennen, dass die Ausschussverhandlungen nicht im selben Maße wie die Plenarverhandlungen geeignet sind, die Funktionen der Parlamentsöffentlichkeit zur Geltung zu bringen557 und somit nicht von einer deckungsgleichen Ausgangssituation beider Sachverhalte ausgegangen werden kann. Gleichwohl ist auch die öffentliche Ausschussverhandlung dem Grunde nach geeignet, eine Nachvollziehbarkeit des Staatshandelns im Ausschuss zu ermöglichen. Die Alternativen wären entweder der vollständige Verzicht auf die öffentliche Beratung oder ein Verzicht auf die Delegation von Entscheidungsbefugnissen. Beides erscheint nicht als gangbare Alternative, da ersteres die Parlamentsöffentlichkeit für die betroffenen Entscheidungen vollständig konterkarierte und letzteres der realitätsgerechten Anerkennung einer Notwendigkeit des arbeitsteiligen Handelns des Bundestages als Voraussetzung seiner Funktionsfähigkeit nicht hinreichend Rechnung trüge. Im Ergebnis ist daher im Falle einer Delegation der abschließenden Entscheidungsbefugnis auf Ausschüsse das verfassungsrechtliche Öffentlichkeitsgebot aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf diese analog anzuwenden. b) Selbstbefassungsangelegenheiten Als zweite Sonderkonstellation im Rahmen parlamentarischer Ausschussarbeit ergibt sich das eigenständige Aufgreifen und die Beratung von Themen im Rahmen des 1969 im Zuge der „kleinen Parlamentsreform“ 558 eingeführten Selbstbefassungsrechts gemäß § 62 Abs. 1 S. 3 GO-BT.559 Nach dieser Vorschrift können 556 Übersicht bei Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 15 ff. 557 Siehe dazu bereits Kap. 3 B. II. 1. d) aa). 558 Beschlossen am 18.06.1969, siehe hierzu BT-PlPr 5. WP/240. Sitzung vom 18.9.1969, S. 13329 sowie BT-Drs. V/4373. 559 Siehe hierzu Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 26 ff.; Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 38 ff.
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sich Ausschüsse mit Fragen aus ihrem Geschäftsbereich unabhängig von der vorherigen Überweisung eines Beratungsgegenstandes durch das Plenum befassen. Dabei wird der Kreis möglicher aufzugreifender Themen durch den jeweiligen Zuständigkeitsbereich des Ausschusses bestimmt, welchen dieser grundsätzlich eigenverantwortlich festlegt und abgrenzt.560 Inhaltlich erstreckt sich das Selbstbefassungsrecht – als Instrument fortlaufender Regierungskontrolle – auf sämtliche sachliche Angelegenheiten des jeweiligen mit dem Ausschuss korrespondierenden Ministeriums und ermöglicht damit eine fortlaufende Regierungskontrolle.561 Mithin wird der Ausschuss im Rahmen der Selbstbefassung – ähnlich dem Fall plenarersetzender Beschlussfassung – nicht lediglich als vorbereitendes Beschlussorgan tätig, sondern greift vielmehr einzelne Aufgaben eigenverantwortlich auf und behandelt diese abschließend. Die ständigen Ausschüsse haben durch die Einführung dieser Vorschrift daher einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren.562 Im Rahmen der Selbstbefassung haben Ausschüsse indes nicht die Befugnis, abschließende Sachbeschlüsse, etwa in Form einer verbindlichen Stellungnahme zu einem Thema, zu fassen.563 Ferner dürfen sie dem Plenum nicht unaufgefordert Beschlussempfehlungen unterbreiten564 oder sonstige Maßnahmen treffen, die den Eindruck einer im Namen des gesamten Bundestages gegenüber der Bundesregierung oder der Öffentlichkeit verbindlich abgegebenen Stellungnahme erwecken.565 Gleichwohl können Ausschüsse im Rahmen von Beratungen nach § 63 Abs. 1 S. 3 GO-BT eine gewisse Außenwirkung erzielen, indem sie die eigene Meinungsbildung dokumentieren sowie die im Ausschuss vertretenen Positionen nach außen kommunizieren dürfen, etwa in Gestalt von ausdrücklichen Mitteilungen des Vorsitzenden an den jeweiligen Bundesminister oder gezielter Öffentlichkeitsarbeit.566 Im Einzelfall kann hierdurch sogar der Bedarf für eine 560
Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 27. Vgl. hierzu Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 27; ferner Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 39. Nach Auslegungsentscheidung 9/1 vom 12.2.1981 zu § 62 GO-BT ist die Kontrollbefugnis ausdrücklich auf Sachfragen begrenzt und erlaubt somit z. B. keine Versetzung von Beamten in den Einstweiligen Ruhestand. 562 Linck, DÖV 26 (1973), S. 513 (516 ff.); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 124 ff.; vgl. auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 14; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 27. 563 Dies wird indes in der Parlamentspraxis zum Teil nicht durchgängig beachtet, Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 28. 564 Anders nur gemäß § 128 GO-BT für den Geschäftsordnungsausschuss. 565 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Starck/Klein, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 14; Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 38; Kretschmer, in: Schneider/ Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 100; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 28. 566 Auslegungsentscheidungen 10/3 vom 23.2.1984 zu § 62 GO-BT; 11/7, vom 1.12.1988 zu § 55 GO-BT und 11/11 vom 16.2.1989 zu §§ 59, 75 GO-BT. Siehe hierzu 561
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Sondersitzung des Plenums entfallen.567 Dessen ungeachtet bleibt die Selbstbefassung insoweit hinter einer Entscheidungsdelegation zurück, als eine verbindliche Beschlussfassung für das Gesamtparlament zumindest rechtlich in ihrem Rahmen nicht möglich ist. Die Ähnlichkeit zum vorgenannten Fall plenarersetzender Beschlüsse mit graduellen Abweichungen wirft die Frage nach der Behandlung von Ausschussberatungen in Ausübung des Selbstbefassungsrechts vor dem Hintergrund des Öffentlichkeitsgebots auf. Dabei gilt gleichermaßen, dass eine Erstreckung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschussberatungen wegen des eindeutigen Wortlauts und Regelungsgehalts jedenfalls nicht im Wege der Auslegung angenommen werden kann. Maßgeblich ist wiederum das Vorliegen der Voraussetzungen einer Analogie. Im Falle der Selbstbefassung ergibt sich eine nachträgliche Regelungslücke aus dem Umstand, dass dieses Recht der Ausschüsse erst nach der Verabschiedung des Grundgesetzes in die Geschäftsordnung und Parlamentspraxis des Bundestages Einzug gefunden hat.568 Der historische Verfassungsgeber ist dagegen noch von einer rein vorbereitenden Tätigkeit ständiger Ausschüsse ausgegangen, wie sie zuvor Usus war.569 Entscheidend ist somit, ob Beratungen in Ausübung des Selbstbefassungsrechts einen wertungsgleichen Sachverhalt zum Grundfall des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG darstellen. Hierfür spricht zunächst, dass auch im Rahmen der Selbstbefassung der jeweilige Ausschuss die – grundsätzlich in die Gesamtverantwortung des Parlaments fallenden – Kontrollaufgaben partiell selbstständig und eigenverantwortlich ausübt.570 Auch hier findet eine nachgeordnete Befassung des Plenums mit der Angelegenheit grundsätzlich nicht statt, es sei denn, das Plenum greift das entsprechende Thema explizit auf und macht es zum Gegenstand seiner Beratungen. In Anknüpfung an die vorstehende Argumentation kann demgemäß postuliert werden, dass überall dort, wo Ausschüsse eigenverantwortliche Aufgaben des Gesamtparlaments wahrnehmen, diese auch denselben verfahrensrechtlichen Vorgaben unterliegen müssen, um eine Umgehung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zu vermeiden und die Ausübung von Staatsmacht für den Bürger nachvollziehbar zu machen. Gegen eine wertungsmäßige Vergleichbarkeit spricht auch nicht entscheidend, dass Ausschüsse in Ausübung ihres Selbstbefassungsrechts keine verbindlichen insbesondere Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 28; ferner auch Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 100; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 213 f. 567 Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 39. 568 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46; vgl. im Ergebnis auch Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 9. 569 So sah § 38 Abs. 5 Geschäftsordnung des Reichstages der Weimarer Republik von 1922 die Beschränkung der Ausschusstätigkeit auf überwiesene Vorlagen vor. Hierzu auch Thaysen/Schindler, ZParl 1 (1969), S. 20 (24). 570 Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 9.
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Beschlüsse für das Gesamtparlament fassen können und insofern formal keine Entscheidungsbefugnisse desselben ausüben.571 Abgesehen von der Tatsache, dass sich die Ausschüsse in der Praxis keineswegs durchgängig an diese Restriktionen halten,572 ist hiergegen in grundsätzlicher Hinsicht zu Recht eingewandt worden, dass sich die in der Verfassung dem Bundestag in seiner Gesamtheit zugewiesene Kontrollfunktion bezüglich der Regierung auch bei der Wahrnehmung durch das Plenum selbst regelmäßig in Form von unverbindlichen „schlichten Parlamentsbeschlüssen“ 573 manifestiert.574 Solche Stellungnahmen zu aktuellen Ereignissen, politische Absichtserklärungen und Ersuchen an die Regierung dienen vor allem der Artikulation eines politischen Standpunkts des Parlaments, ohne die Regierung hierdurch in irgendeiner Weise rechtlich zu binden.575 Gleichwohl kommt ihnen in der Praxis eine signifikante tatsächliche politische Wirkung und in der Folge auch eine rechtliche Erheblichkeit dergestalt zu, dass die Regierung in der Regel bestrebt ist, dem in Beschlussform geäußerten Willen des Bundestages Rechnung zu tragen, da dieser aufgrund seiner Schlüsselstellung im Gesetzgebungsverfahren sowie bei Kreation bzw. Abwahl der Bundesregierung stets in der Lage ist, seinen Forderungen im Folgenden auch rechtlich verbindlich Nachdruck zu verleihen.576 Für die faktische Wirkung parlamentarischer Kontrolle kommt es insofern weniger auf die Wahl einer bestimmten Kundgabeform, sondern vielmehr auf die hinter der Äußerung stehende politische Macht an. Dies gilt gleichermaßen für die Kontrolltätigkeit im Rahmen der Ausschüsse. So haben trotz mangelnder Rechtsverbindlichkeit die öffentlichen Verlautbarungen eines Ausschusses – beispielsweise in Form einer Presseerklärung, welche eine gegen die Regierungstätigkeit gerichtete Mitteilung der einmütigen Auffassung des Ausschusses hin-
571 Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 100; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (698); Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 62, Bem. I. 3. a). 572 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (698 f.); Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 28. 573 Der Terminus wird hier als Oberbegriff für sämtliche nicht gesetzesförmigen Parlamentsentscheidungen herangezogen, sodass der Zusatz der Unverbindlichkeit nicht redundant ist. In diesem Sinne etwa Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 738; Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 13; Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 210 f., 301 ff. 574 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46. 575 Vgl. Butzer, AöR 119 (1994), S. 61 (72 ff.); Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 21; Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 29 ff.; mit konkreten Beispielen; ferner H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 50, Rn. 14; K. Stern, Staatsrecht II, S. 48. 576 Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 31; vgl. auch Achterberg Parlamentsrecht, S. 747; Butzer, AöR 119 (1994), S. 61 (90 ff.); Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 215 ff.
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sichtlich eines bestimmten Sachverhalts enthält – politisch nicht weniger Gewicht als ein förmlicher Beschluss desselben.577 Schließlich lässt sich der Wertungsgleichheit auch nicht entgegenhalten, dass die Regierungskontrolle im Rahmen der Selbstbefassung keine grundsätzlichen, besonders wichtigen Fragen parlamentarischer Arbeit betrifft. Diese Prämisse ist bereits in tatsächlicher Hinsicht mehr als fragwürdig. So können im Wege der fortlaufenden Regierungskontrolle sehr wohl aktuelle Themen von erheblichem gesellschaftlichen Interesse aufgegriffen werden.578 Hinzu kommt das rechtliche Argument, dass sich das Öffentlichkeitsgebot nach Art. 42 Abs. 1 GG auf die parlamentarische „Verhandlung“ bezieht, welche nach allgemeiner Ansicht weit zu verstehen ist und – in direkter Anwendung – jede Tätigkeit im Plenum umfasst.579 Insofern nimmt die Norm gerade keinerlei wertende Differenzierung zwischen verschiedenen Arten der Ausübung von Staatsgewalt im Parlament vor. Überdies bedarf gerade die Kontrollfunktion des Bundestages in Gestalt der regelmäßig der Opposition obliegenden, öffentlichkeitswirksamen Kritik der Regierungspolitik zu ihrer Wirksamkeit der Parlamentsöffentlichkeit.580 Mithin kommt eine Schlechterstellung der Kontrolltätigkeit gegenüber anderen Dimensionen parlamentarischer Tätigkeit vor dem Hintergrund der Teleologie von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht in Frage. Im Ergebnis ist damit auch hinsichtlich der Ausschusstätigkeit im Rahmen des Selbstbefassungsrechts eine wertungsmäßige Vergleichbarkeit zum Grundfall des
577 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (698 f.); so auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46. 578 Man denke etwa an die Kontroverse zwischen dem damaligen Generalbundesanwalt Harald Range und dem seinerzeitigen Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Rahmen der Ermittlungen gegen die Internet-Plattform Netzpolitik.org wegen des Verdachts des Landesverrats. Strittig war dabei insbesondere, ob das Justizministerium – so die Darstellung Ranges – dem Generalbundesanwalt eine Weisung erteilt hatte, die Ermittlungen gegen die Blogger einzustellen. Range hatte insofern öffentlich von einen „unerträglichen Eingriff“ der Politik in die Unabhängigkeit der Justiz gesprochen und wurde in der Folge in den Ruhestand versetzt. Der Deutsche Richterbund nahm den Vorgang zum Anlass, eine Abschaffung des politischen Weisungsrechts gegenüber Staatsanwälten zu fordern. Maas hatte dagegen eine Weisung stets bestritten. Diesbezüglich hat der Rechtsausschuss im August 2015 beide im Rahmen seines Selbstbefassungsrechts angehört. Ein erhebliches Interesse an der unmittelbaren Anschauung der Ausschusssitzung liegt vor dem Hintergrund des medialen und gesellschaftlichen Echos der Angelegenheit auf der Hand. Siehe hierzu von Hammerstein, Spiegel-Online, 02.09.2017, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/heiko-maas-ver merk-der-bundesanwaltschaft-belastet-maas-a-1110621.html (07.08.2019) sowie Jungholt, Welt-Online, 04.08.2015, abrufbar unter: https://www.welt.de/politik/deutschland/ article144809116/Maas-ist-im-Recht-und-hat-trotzdem-versagt.html (07.08.2019). 579 Vgl. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 32; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 49; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 10. Siehe hierzu noch ausführlich unter Kap. 4 A. I. 2. 580 Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. IV. 2. a) sowie Kap. 3 A. II. 2. b) dd).
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Art. 42 Abs. 1 GG gegeben, sodass dieser ebenfalls analog zur Anwendung zu bringen ist.581 c) Abschließende Beratung im Ausschuss Die letzte denkbare Sonderkonstellation stellt die Situation dar, in der das Plenum zwar formal über einen Gegenstand entscheidet, es jedoch zu keiner abschließenden inhaltlichen-mündlichen Beratung in der öffentlichen Plenarversammlung kommt, sodass die abschließende Erörterung faktisch im jeweiligen Ausschuss erfolgt. Dies betrifft etwa Gesetzgebungsverfahren, bei denen auf jegliche Aussprache im Plenum bzw. jedenfalls auf eine Aussprache zur abschließenden Fassung einer Gesetzesvorlage im Anschluss an die Ausschussphase verzichtet wurde582 bzw. in denen gemäß § 78 Abs. 6 S. 1 GO-BT – anstelle einer Aussprache – die Reden ausschließlich schriftlich zu Protokoll gegeben wurden.583 Weitere Anwendungsfälle der Beschlussfassung im Plenum ohne vorherigen Aussprache betreffen regelmäßig die Behandlung von Petitionen,584 Entscheidungen in Immunitätsangelegenheiten585 oder die Wahl der vom Bundestag zu berufenden Bundesverfassungsrichter (vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 BVerfGG). Zwar erfolgt in dieser Konstellation weder eine abschließende plenarersetzende Entscheidung durch den Ausschuss noch greift dieser einen Beratungsgegenstand selbstständig auf. Allerdings findet die abschließende interfraktionelle Debatte tatsächlich allein auf Ebene der Ausschussberatung statt, sodass insofern von einer Verlagerung der Beratungsfunktion in die Ausschüsse gesprochen werden kann. Erneut stellt sich die Frage, ob diese Verlagerung eine analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschusssitzungen rechtfertigt. Gegen eine Analogie spricht bereits, dass das Vorliegen einer Regelungslücke hier kaum zu begründen ist. Der Verzicht auf jedwede mündliche Aussprache im Plenum ist schon aus der Gesetzgebungspraxis des Reichstags der Weimarer Re581 So auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 46; Versteyl, in: v. Münch/ Kunig, Art. 42, Rn. 9. Für eine extensive Auslegung der Norm Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 94 ff. Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (698 f.) leitet eine Öffentlichkeitspflicht im Rahmen des Selbstbefassungsrechts dagegen aus einem allgemeinen, im Demokratieprinzip verankerten Öffentlichkeitsgrundsatz her. 582 Dies wäre der Fall, wenn nach §§ 79 S. 1, 81 Abs. 1 S. 1, 84 S. 1 GO-BT eine Aussprache weder durch den Ältestenrat empfohlen noch von einer Fraktion beantragt würde. Nichts andere gilt sofern der Bundestag im Rahmen seiner Verfahrensgestaltung nicht allein auf eine Aussprache, sondern auf eine der Abstimmung vorgelagerte Behandlung der Vorlage im Rahmen einer bzw. mehrerer Lesungen verzichten würde. 583 Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. V. 2. c). 584 Im Plenum wird dagegen nur noch gemäß § 112 Abs. 1 GO-BT pauschal auf Basis einer vom Ausschuss erstellten sog. Sammelübersicht beschlossen. Vgl. hierzu H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 45c, Rn. 45; Unger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 45c, Rn. 25. 585 Butzer, Immunität, 1991 S. 348 f.; Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Rn. 15.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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publik bekannt,586 in dem die Gesetzesberatung im Plenum wie im Bundestag grundsätzlich in drei Beratungen erfolgte.587 Insofern kann nicht von einer nachträglichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse gesprochen werden, die eine Regelungslücke bedingen könnte. Auch ein Wertungsvergleich stützt eine analoge Anwendung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf den vorliegenden Fall nicht. Im Unterschied zu den vorangegangenen Konstellationen trifft der Ausschuss bei abschließender interfraktioneller Beratung eines Gegenstandes weder die eigentliche Entscheidung mit Wirkung für das Gesamtparlament noch nimmt er eine Befugnis desselben eigenverantwortlich und abschließend wahr. Vielmehr wird er auch hier – wie im Grundfall – rein vorbereitend und nach vorheriger Befassung durch das Plenum tätig. Es ist freilich zu bedenken, dass gerade die öffentliche parlamentarische Debatte für die Nachvollziehbarkeit parlamentarischer Entscheidungen von entscheidender Bedeutung ist und damit den idealtypischen Regelfall darstellt.588 Dies hat die Literatur zum Anlass genommen, vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips, des Grundsatzes parlamentarischer Repräsentation (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) sowie des Öffentlichkeitsgebots (Art. 42 Abs. 1 GG) jedenfalls bezüglich Gesetzesvorlagen eine grundsätzliche Beratungspflicht in Form der Rede und Gegenrede im Plenum anzunehmen.589 Dem steht die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung jedenfalls mit Blick auf das parlamentarische Initiativrecht (Art. 76 Abs. 1 GG) zur Seite. „Räumt die Geschäftsordnung einer Gruppe von Abgeordneten ein solches Initiativrecht ein, so kann sie von ihm das Recht auf öffentliche Beratung nicht trennen, so wenig allerdings auch die Antragsteller eine Beteiligung anderer Abgeordneter an der Debatte erzwingen können. Den Bundestag als Repräsentationsorgan des Volkes zeichnet das Prinzip der Entscheidung nach öffentlicher Verhandlung aus (Art. 42 Abs. 1 und 2 GG).“ 590
Gleichwohl sollten konkrete Rechtspflichten hinsichtlich des Maßes der Behandlung von Gesetzesvorlagen – schon aufgrund der sehr offenen Formulierung
586 Beispielhaft zur Verabschiedung von Gesetzen ohne jedwede Aussprache siehe etwa Reichstags PlPr 1. WP/410. Sitzung vom 12.3.1924, S. 12777 f.; Reichstags PlPr 3. WP/249. Sitzung vom 13.12.1926, S. 8472 sowie Reichstags PlPr, 4. WP/84. Sitzung vom 12.6.1929, S. 2336. 587 § 36 Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Dezember 1922. 588 Das Bundesverfassungsgericht betont insoweit in ständiger Rechtsprechung die Bedeutung des öffentlichen Verhandelns von Argument und Gegenargument sowie der öffentlichen Debatte für den demokratischen Parlamentarismus. Vgl. BVerfGE 70, 324 (355); 130, 318 (344); 131, 152 (205). 589 So Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 77, Rn. 12; unter Verweis auf BVerfGE 112, 363 (366). Vgl. auch ders., in: Maunz/Dürig, Art. 76, Rn. 63; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, Art. 76, Rn. 41. 590 BVerfGE 84, 304 (329); vgl. auch BVerfGE 1, 144 (153).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
in Art. 77 GG – nur mit äußerster Vorsicht hieraus abgeleitet werden.591 In Bezug auf den rechtlichen Gehalt des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits früh festgestellt, dass die Norm jedenfalls einem Verzicht auf eine Aussprache im Rahmen der ersten Beratung eines Gesetzesentwurfes nicht entgegensteht. „Diese Vorschrift besagt nur, daß das Plenum des Bundestages, wenn es verhandelt, öffentlich verhandeln muß; sie besagt aber nicht, wann im Plenum verhandelt werden muß.“ 592 Selbst wenn man davon ausgeht, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG einem vollständigen Verzicht auf eine substantielle mündliche Beratung im Plenum entgegensteht,593 folgt hieraus nicht, dass der Bundestag aufgrund der vorgeschalteten Durchführung des Ausschussverfahrens eine Aufgabe des Gesamtparlaments auf den Ausschuss verlagert hat. Der Umstand, dass es sich in dieser Konstellation beim Ausschuss um das parlamentarische Gremium handelt, in dem eine Vorlage abschließend beraten wird, tritt vielmehr erst retrospektiv aufgrund der freiwilligen Abstinenz des Plenums von einer allgemeinen Aussprache ein, und nicht etwa infolge einer Delegation oder des eigenverantwortlichen Aufgreifens von Beratungsbefugnissen. Zum Zeitpunkt der Ausschussberatungen steht vielmehr oft noch gar nicht fest, ob bzw. in welchem Umfang auf eine spätere Aussprache verzichtet wird.594 Insofern kann auch nicht von einer Umgehung des Art. 42 Abs. 1 GG gesprochen werden, da im regulären Verfahrensgang eine nachfolgende öffentliche Behandlung im Plenum gerade vorgesehen ist.595 Schließlich ist zu beachten, dass – anders als in den vorgenannten Sonderfällen – die abschließende rechtserhebliche Beschlussfassung durch das Parlament sehr wohl öffentlich im Plenum erfolgt, was eine grundsätzliche Kenntnisnahme durch die Staatsbürger erlaubt und damit einer Entscheidung im Verborgenen entgegensteht.596 Durch den schriftlichen Bericht des Ausschusses sowie die hierauf bezogenen Erklärungen von Fraktionen und Abgeordneten werden zudem die Gründe für die getroffene Entscheidung trotz mangelnder Aussprache transparent gemacht.597 Soweit im Rahmen von § 78 Abs. 6 S. 1 GO-BT Redebeiträge zu
591
Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 77, Rn. 13; ders., DVBl 2011, S. 585 (587 f.). BVerfGE 1, 144 (152). 593 Siehe hierzu noch Kap. 3 C. II. 1. b) aa). 594 Zum Teil wird sogar erst im Laufe der Sitzung eine Aussprache – etwa aufgrund der fortgeschrittenen Stunde – abgesagt, vgl. Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 153. 595 Die Durchführung einer Aussprache in zweiter und dritter Beratung ist zudem als Minderheitenrecht ausgestaltet und kann damit ggf. von einer Fraktion bzw. von einer Anzahl Abgeordneter in Fraktionsstärke gemäß §§ 81 Abs. 1 S. 1, 84 S. 2 GO-BT erzwungen werden. 596 So auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 5.1. 597 Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. 1. d) bb). 592
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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Protokoll gegeben werden, fördert dies darüber hinaus (zumindest nachträglich) die Nachvollziehbarkeit des parlamentarischen Willensbildungsprozesses.598 Nach alledem kommt eine analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf die Fälle einer abschließenden interfraktionellen Beratung von Vorlagen im Ausschuss ohne anschließende Aussprache im Plenum nicht in Frage.
III. Einschränkung des Anwendungsbereichs aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts Soweit Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nach dem Vorgesagten analog anzuwenden ist, erstreckt sich das Verfassungsgebot öffentlichen Verhandelns grundsätzlich auch auf parlamentarische Ausschüsse. Etwas anderes könnte sich allerdings infolge kollidierenden Verfassungsrechts ergeben, sofern dieses eine Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit gebietet.599 Zwar wird die Parlamentsöffentlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 1 GG und damit – im Falle der Analogie – auch die Ausschussöffentlichkeit vom Grundgesetz vorbehaltlos gewährleistet. Nach dem Gedanken der praktischen Konkordanz ist eine Begrenzung schrankenlos gewährleisteter Verfassungsgehalte aber insoweit zu rechtfertigen, als diese im Interesse der Verwirklichung anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang zwingend notwendig ist.600 Im Falle einer solchen verfassungsrechtlichen Kollisionslage kann eine Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit als Ausnahme von der verfassungsrechtlichen Grundregel allerdings nur unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen.601 Entsprechend dieser Dogmatik sind zunächst abstrakt – d.h. losgelöst von den konkreten Anwendungsfällen obligatorischer Ausschussöffentlichkeit – potentiell öffentlichkeitsbegrenzende Verfassungsrechtsgüter zu identifizieren (1.). Sodann wird mit spezifischem Bezug auf die herausgearbeiteten Anwendungsfälle die Verhältnismäßigkeit einer generellen Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit aufgrund der skizzierten Gegenrechte geprüft (2.). Abschließend erfolgt eine zusammenfassende Betrachtung (3.).
598 Vgl. Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 58; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 4; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 53. 599 Zur Einschränkung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht siehe Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (689 ff.); ders., DÖV 1973, S. 513 (518); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 178 ff.; vgl. auch Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 65; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 69. 600 Grundlegend hierzu Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 72, 318; aus der Rechtsprechung siehe etwa BVerfGE 39, 1 (43); 41, 29 (51); 77, 240 (255); 81, 298 (308); 83, 130 (143); 93, 1 (21); 122, 89 (107); 128, 1 (41); 129, 78 (102). 601 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (689); vgl. auch Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 169.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
1. Öffentlichkeitsbegrenzende Verfassungsrechtsgüter Als kollidierende Rechtsgüter von Verfassungsrang, die sich potentiell der Ausschussöffentlichkeit entgegenhalten lassen, kommen die parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit (a)), öffentliche Staatswohlinteressen (b)) sowie private Geheimhaltungsinteressen auf Basis der Individualrechtsgüter Dritter (c)) in Betracht. a) Parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit Klassischerweise wird die Nichtöffentlichkeit parlamentarischer Ausschüsse mit dem funktionalen Argument der Arbeitseffizienz begründet.602 Die Nichtöffentlichkeit von Ausschüssen gewährleiste einen von der gesellschaftlichen Öffentlichkeit unbeobachteten Freiraum als Voraussetzung für eine freie, sachorientierte und unbefangene Diskussion zwischen den Ausschussmitgliedern sowie für ein interfraktionelles Ausloten und Ausschöpfen von Kompromisspotentialen. Durch die Öffnung drohe dieser Charakter infolge der zu erwartenden Verlagerung von Diskussionen in nichtöffentliche Gremien bei gleichzeitiger Prädominanz von allein an das gesellschaftliche Publikum gerichteten Fensterreden verlorenzugehen. Angesichts der ohnehin schon hohen Arbeitsbelastung des Parlaments stehe dies einer effizienten, möglichst reibungslosen Arbeitserledigung entgegen. Hiergegen ist aus dogmatischer Sicht jedoch einzuwenden, dass dem Aspekt der Effizienz staatlicher Entscheidungsfindungsprozesse im Sinne einer optimalen Zeit-Kosten-Nutzen-Relation für sich genommen kein eigenständiger Verfassungswert zukommt, der eine Einschränkung des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG rechtfertigen könnte. Das Grundgesetz kennt kein allgemeines verfassungsrechtliches Prinzip der Effizienz, sodass jedenfalls der Gedanke einer Maximierung der Beratungseffizienz parlamentarischer Ausschüsse nicht im Verfassungsrecht verwurzelt ist.603 Ein Teil der Literatur604 stützt eine mögliche Einschränkung der Öffentlichkeit zum Zweck einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung parlamentarischer Ausschüsse indes auf den Topos der Arbeits- und Funktionsfähigkeit. Dieser ist 602 Siehe zum Folgenden ausführlich Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (55 f.); Linck, DÖV 1973, S. 513 (518 f.); vgl. hierzu auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 56, 105 f.; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 8; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 24; Versteyl, in: Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 4; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 39, Rn. 25. 603 Vgl. hierzu ausführlich Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971, S. 24 ff.; siehe auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 106 f.; Jestaedt, AöR 2001, S. 204 (222 ff.); Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 70 f.; a. A. Linck, DÖV 1973, S. 513 (518). 604 Insbesondere Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (694 f.); vgl. auch Brocker, ZParl 2016, S. 50 (55 f.). Zum verfassungsrechtlichen Begriff der Funktionsfähigkeit siehe auch Dreier, JZ 1990, S. 310 (319); Schwarz, BayVBl 1998, S. 710 ff.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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als Rechtsgut von Verfassungsrang jedenfalls im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Beschränkung der Wahlrechtsgleichheit 605 sowie von Abgeordnetenrechten aus Art. 38 GG606 anerkannt. Da die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen jedoch nicht als reiner Selbstzweck, sondern vielmehr um eines dahinterstehenden primären Rechtswertes Willen, gewährleistet sein muss,607 stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Verankerung. Die hinter der Gewährleistung parlamentarischer Arbeits- und Funktionsfähigkeit stehenden primären verfassungsrechtlichen Werte sind dabei im Grundsatz der Gewaltenteilung und – als dessen Ausdruck – dem Prinzip der Parlamentsautonomie zu suchen.608 Als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG609 stellt die Gewaltenteilung ein „tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetztes“ 610 dar. Sie gewährleistet, dass trotz partieller Verschränkungen und Abwägungen einzelner Kompetenzen und Aufgaben jeder der drei Staatsgewalten ein Kernbereich eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung zukommt,611 in welchen die anderen Gewalten nicht eingreifen dürfen.612 Für die Legislative folgt aus dieser Betrachtung der Schutz eines „Kernbereichs parlamentarischer Eigengestaltung“.613 Ausdruck dieses Kernbereichs ist die Parlamentsautonomie als das Recht des Parlaments, eigenverantwortlich seine inneren Angelegenheiten zu regeln614 und seine Funktionen innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben unabhängig von
605 Grundlegend BVerfGE 1, 208 (247 f.); siehe auch BVerfGE 51, 222 (236); 82, 322 (338); 95, 408 (418 f.); 120, 82 (111); 129, 300 (321); 135, 259 (286). 606 BVerfGE 80, 188 (219); 84, 304 (321); 99, 19 (32); 112, 118 (140); 118, 277 (324); 130, 318 (348); 134, 141 (179). 607 Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (222 f.); Schwarz, BayVBl 1998, S. 710 (711); siehe hierzu auch Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR IV, § 73, Rn. 26. 608 Vgl. Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (240), der von der „Wahrung staatlicher Binnendifferenzierung“ spricht. Zur Verknüpfung von Funktionsfähigkeit und Gewaltenteilungs siehe ausführlich Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 81 ff. 609 Siehe hierzu grundlegend Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26, Rn. 46 ff. Vgl. auch BVerfGE 9, 268 (279) sowie Huster/Rux, in: Epping/Hillgruber, Art. 20, Rn. 156. Kritisch zur (klassischen) primären Verortung im Rechtsstaatsprinzip äußert sich dagegen Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 V, Rn. 57 ff. 610 BVerfGE 3, 225 (247); 34, 52 (59); 67, 100 (130). 611 BVerfGE 30, 1 (27 f.); 34, 52 (59); 95, 1 (15 f.); 124, 78 (120); hierzu auch Scholz, in: FS BVerfG, Bd. II, S. 663 (668 f.). 612 BVerfGE 67, 100 (130); Brocker, Lux in arcana, 2014, S. 15; Morlok/Hientzsch, JuS 2011, S. 1 (3). 613 BVerfGE 102, 224 (235 f.); so auch Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 81. Ähnlich H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 20 („Kernbereich parlamentarischer Selbstgestaltung“); Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 4a und 8 („Kernbereich der Legislative“). 614 BVerfGE 80, 188 (219); 102, 224 (234 f.); 104, 310 (323); Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 82.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
anderen Staatsgewalten wahrzunehmen.615 Innerhalb dieser „Regelungsmacht des Parlaments in eigenen Angelegenheiten“ 616 entfaltet das „Verfassungsgebot der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments“ 617 seine Wirkung. Die Parlamentsautonomie umfasst demnach das Recht des Bundestages, „das Ideal seines guten Funktionierens“ 618 selbst zu definieren. Eine der wichtigsten verfassungsrechtlichen Grundlagen der Parlamentsautonomie findet sich dabei in Art. 40 Abs. 1 GG. Das hier statuierte Selbstorganisationsrecht umfasst die Befugnis des Bundestages, zur Sicherung seiner Funktionalität die erforderlichen organisatorischen Einrichtungen zu schaffen (Organisationsautonomie)619 sowie seine Arbeitsformen und -verfahren selbstverantwortlich zu bestimmen (Geschäftsordnungsautonomie).620 Die Ausfüllung dieser „Aufbau- und Ablauforganisation“ 621 vollzieht sich traditionell im Rahmen einer kodifizierten Geschäftsordnung.622 Eine geschäftsordnungsrechtliche Bestimmung, welche im Sinne der Sicherstellung parlamentarischer Funktionsfähigkeit die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen statuiert, stellt folglich eine Ausprägung der Parlamentsautonomie dar und ist damit Ausdruck eines Rechtsgutes von Verfassungsrang, welches sich dem Öffentlichkeitsgebot grundsätzlich als legitimer Zweck entgegenhalten lässt. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass anders als der Gedanke der Effizienz staatlichen Handelns, welcher auf eine Prozessoptimierung abzielt, die hiervon klar abzusetzende parlamentarische Funktionsfähigkeit lediglich einen verfassungsrechtlichen Mindestgehalt verbürgt.623 Dieser geht zwar grundsätzlich über den reinen Schutz vor einer völligen Funktionsunfähigkeit hinaus und umfasst im Sinne eines schonenden Ausgleichs mit kollidierenden Verfassungsgütern auch die Abwehr drohender, ernsthafter Funktionsbeeinträchtigungen des Parlaments.624 615 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 82; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 1; Morlok/ Hientzsch, JuS 2011, S. 1 (3 ff.). 616 BVerfGE 102, 224 (235 ff.); 104, 310 (332); so auch Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 84; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 12. 617 BVerfGE 96, 264 (278 f.); 112, 118 (140); Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 84; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 8. 618 Brenner, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 44, Rn. 42; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 84; Morlok, in: VVDStRL 62 (2003), S. 37 (65). 619 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 89; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 40, Rn. 3; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 2; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 52, Rn. 26. 620 BVerfGE 44, 308 (315); 84, 304 (321 f.); Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 89; ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 23; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 6. 621 BVerfGE 130, 318 (348); hierzu auch Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 89; Kühnreich, Das Selbstorganisationsrecht, 1997, S. 33. 622 Loewenstein, Verfassungslehre, 4. Aufl. 2001, S. 178. 623 Schwarz, BayVBl 1998, S. 710 (711). 624 Vgl. BVerfGE 129, 300 (321, 323); 134, 141 (200); Lerche, BayVBl 1991, S. 517 (522); Schwarz, BayVBl 1998, S. 710 (711 f.).
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Gleichwohl lässt sich hieraus ein verfassungsrechtliches Maximierungsgebot im Sinne einer idealen Zeit-Kosten-Nutzen-Relation parlamentarischer Entscheidungsprozesse nicht herleiten. b) Staatswohlinteressen Eine Einschränkung des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann sich überdies aus staatlichen Geheimhaltungsbedürfnissen ergeben. Unter „Geheimnissen“ sind dabei solche Informationen zu verstehen, die basierend auf einem berechtigten Interesse des Verfügungsberechtigten anderen nicht zugänglich gemacht werden sollen.625 Zwar adressiert die Verfassung abgesehen von den Vorschriften des Art. 10 GG (Briefgeheimnis) und Art. 38 Abs. 1 GG (Wahlgeheimnis) einen Geheimnisschutz nicht ausdrücklich. Dennoch ist allgemein anerkannt, dass Informationen, die dem Staat anvertraut sind, im Interesse des Wohls des Bundes oder eines Landes geheimhaltungsbedürftig und damit einer öffentlichen Erörterung entzogen sein können.626 Sofern es sich um Informationen handelt, deren Bekanntwerden staatlichen Interessen zuwiderläuft, kann ein Geheimhaltungsgebot unter dem Topos des „Staatswohls“ begründet sein.627 Von der Verfassungsrechtsprechung wird dieser vorrangig zur Begrenzung von parlamentarischen Kontrollrechten gegenüber der Exekutive herangezogen.628 Das Staatswohl wird dabei als verfassungsimmanente Grenze des parlamentarischen Kontrollanspruchs angesehen. Zwischen beiden wird im Sinne der praktischen Konkordanz ein verhältnismäßiger Ausgleich gesucht.629 Der Gedanke des Staatswohls kann jedoch im Rahmen der parlamentarischen Behandlung geheimhaltungsbedürftiger Angelegenheiten in gleicher Weise zur Begrenzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes herangezogen werden. Dies ergibt sich aus der Erwägung, dass die Wahrung des Staatswohls „im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes nicht der Bundesregierung allein, sondern
625 Singer, Praxiskommentar zum Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes, § 10, Rn. 7; Wolff, JZ 2010, S. 173 (175). 626 So etwa Glauben, DÖV 2007, S. 149 (150 f.); Harks, JuS 2014, S. 979 (981); Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, 1996, S. 70 ff.; Holzner, DÖV 2016, S. 668 (671); Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (241); Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (690 ff.); Wolff, JZ 2010, 173 (175); vgl. aus der Rechtsprechung BVerfGE 101, 106 (127 f.); 137, 185 (242). 627 So gehen BVerfGE 101, 106 (127 f.); 137, 185 (242) gehen davon aus, dass Belange des Geheimnisschutzes zwingende Gründe des Staatswohls darstellen. Hierzu auch Glauben, DÖV 2007, S. 149 (150); Harks, JuS 2014, S. 979 (981); Wolff, JZ 2010, S. 173 (175). 628 Vgl. BVerfGE 67, 100 (134 ff.); 124, 78 (123); 137, 185 (240). 629 Vgl. BVerfGE 124, 161 (195); zur Abwägung siehe auch Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, 1996, S. 73 ff.; Wolff, JZ 2010, S. 173 (175 ff.).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
dem Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut“ 630 ist, sodass eine Erörterung von geheim zu haltenden Gegenstände grundsätzlich nicht auf den Binnenbereich der Regierung beschränkt, sondern auch dem Parlament möglich ist.631 Die Teilhabe am geheimen Wissen der Regierung ist dabei für das Parlament zwingende Voraussetzung, um sowohl seine Gesetzgebungsbefugnisse als auch seine Kontrollaufgabe effektiv wahrzunehmen. Dies unterstreichen zudem Art. 45a Abs. 2, 45b GG sowie Art. 53a Abs. 2 GG, welche eine Unterrichtung des Parlaments auch über sicherheitserhebliche Informationen voraussetzen.632 Mithin steht in der Regel hinsichtlich Staatswohlbelangen nicht in Frage, ob die betreffenden Gegenstände überhaupt im Parlament erörtert werden können, sondern vielmehr wie diese Behandlung zu erfolgen hat.633 Da eine öffentliche Erörterung geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen dem Staatswohl evident zuwiderliefe, geht es inhaltlich in der benannten Rechtsprechung bereits darum, dass Staatswohlinteressen einen der Parlamentsöffentlichkeit zuwiderlaufenden Verfassungswert darstellen können.634 Hiervon geht auch das Bundesverfassungsgericht selbst aus, wenn es in seiner Entscheidung zur Haushaltskontrolle der Nachrichtendienste die aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz der Demokratie folgende Budgetöffentlichkeit als durch zwingende Gründe des Staatswohls begrenzt ansieht.635 Für das spezielle Öffentlichkeitsgebot aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) kann daher nichts anderes gelten. Eine präzise Bestimmung des Rechtsguts „Staatswohl“ bereitet jedoch insofern Schwierigkeiten, als eine abschließende Legaldefinition fehlt und auch das Bundesverfassungsgericht in seinen Ausführungen diesbezüglich eher vage bleibt.636 Der Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass Nachteile für das Staatswohl eine Beeinträchtigung wesentlicher staatlicher Interessen von einigem Gewicht voraussetzen,637 welchen ihrerseits Verfassungsrang zukommen muss.638 Zum 630 Grundlegend BVerfGE 67, 100 (136); siehe auch BVerfGE 124, 78 (123 f.); 137, 185 (241); hierzu Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 316 ff. 631 Dreier, JZ 1990, S. 310 (319); H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 50, Rn. 39; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 43, Rn. 22 ff.; Linck, DÖV 1983, S. 957 (960); M. Schröder, in: BK, Art. 43, Rn. 35 ff. 632 BVerfGE 67, 100 (135); siehe auch Linck, DÖV, 1992, S. 673 (692). 633 Linck DÖV 1983, 957 (963); Wolff, JZ 2010, S. 173 (175); vgl. auch Gusy, ZRP 2008, S. 36 (38). 634 Wolff, JZ 2010, S. 173 (175); vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 43, Rn. 103; Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (236 ff.); Linck, DÖV, 1992, S. 673 (691 f.); Weis DVBl 1988, S. 272. 635 BVerfGE 70, 324 (358); siehe hierzu Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 114 f. 636 Hierzu Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1266). Für Beispiele aus der Rechtsprechung siehe BVerfGE 124, 78 (123); 137, 185 (240). 637 Vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 880 (882); Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267). 638 Vgl. BVerfGE 137, 185 (242); Holzner, DÖV 2016, S. 668 (671); Nees, DÖV 2016, S. 674 (678).
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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Staatswohl zählt demnach jedenfalls die Sicherheit des Staates, nach innen wie nach außen.639 Dabei kann sich ein Geheimhaltungsbedürfnis insbesondere aus dem Funktionszusammenhang staatlicher Aufgabenwahrnehmung ergeben. In der Folge subsumiert das Bundesverfassungsgericht Erkenntnisse und Arbeitsweisen der für die äußere und innere Sicherheit zuständigen Behörden unter den Staatswohlbegriff.640 Ferner werden auch die äußere Machtstellung des Staates einschließlich außenpolitischer Vorgänge,641 die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege,642 der Schutz der Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland643 sowie z. T. auch staatliche Schutzpflichten gegenüber dem Leben und der Freiheit von Einzelpersonen644 dem Staatswohl zugeordnet. Hierbei handelt es sich jeweils um Rechtsgüter von Verfassungsrang.
639 So Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 41 f.; Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267). Nach z. T. vertretener Ansicht erschöpft sich das Staatswohl in diesen Aspekten, so etwa Franzheim, JR 1982, S. 436 (437). 640 Vgl. BVerfGE 57, 250 (284); 101, 106 (127 f.); ebenso HessVGH, StrVert 1986, S. 52 (53). Hierunter fallen die Nachrichtendienste des Bundes, mithin das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Militärische Abschirmdienst (MAD) und des Bundesnachrichtendienstes (BND) (vgl. § 1 Abs. 1 PKGrG) sowie die weiteren Sicherheitsbehörden des Bundes wie etwa die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, der Zollfahndungsdienst oder die Bundesanwaltschaft. 641 So erkennt die verfassungsrechtliche Judikatur den Verfassungsrang der äußeren Machtstellung des Staates im Sinne seines Wohls nach außen hin an, indem sie die Gefährdung „außenpolitischer Interessen“ der Bundesrepublik bzw. einer Beeinträchtigung der „außenpolitischen Handlungsfähigkeit“ der Bundesregierung als Staatswohlbelange postuliert und diese in Art. 32 Abs. 1 GG verankert. Siehe BVerfGE 137, 185 (252); BVerfG, NJW 1992, S. 2624. Hierunter fallen z. B. auch die freundschaftlichen Beziehungen zu anderen Staaten und internationalen Organisationen, Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267). 642 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (693); vgl. auch BVerfGE 57, 250 (284). Hierbei handelt es sich um ein Verfassungsgut, welches überwiegend als im Verfassungsprinzip der Rechtsstaatlichkeit wurzelnd angesehen wird, vgl. BVerfGE 38, 105 (115); 46, 214 (223); für eine differenziertere dogmatische Herleitung siehe auch Landau, NStZ 2007, S. 121 (123 ff.). 643 Das Bundesverfassungsgericht leitet diesen Rechtsgehalt aus der Grundentscheidung für die militärische Landesverteidigung (vgl. Art. 12a Abs. 1, Art. 73 Nr. 1 und Art. 87a Abs. 1 GG) ab. Vgl. BVerfGE 28, 243 (261). Die Wehr- und Bündnisfähigkeit umfasst demnach neben der Einrichtung auch die Funktionsfähigkeit der Institution Bundeswehr. Siehe hierzu auch Axer, ZRP 2007, S. 82 (83); Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267). 644 So Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267), der den Schutz der Grundrechte infolge der Bindung nach Art. 1 Abs. 3 GG als unmittelbaren Teil des Staatswohls ansieht; im Ergebnis auch Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 42 f. Die vorliegende Untersuchung ordnet allerdings der Schutz von Grundrechten – in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beschränkung parlamentarischer Kontrollrechte (vgl. BVerfGE 137, 185 (233 ff.) – vielmehr als systematisch eigenständigen Verfassungswert neben dem Staatswohl ein. Wie hier Holzner, DÖV 2016, S. 668 (671).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Die vorgenannten Staatswohlbelange stehen der (Ausschuss)Öffentlichkeit damit potentiell als kollidierende Verfassungsrechtsgüter gegenüber und könnten daher zu einer Einschränkung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) grundsätzlich herangezogen werden. c) Individualrechtsgüter Ein Geheimhaltungsinteresse kann sich nicht nur aus dem Aspekt des Staatswohls, sondern – hinsichtlich Informationen aus dem privaten Bereich – auch aus den Grundrechten ergeben und damit eine Einschränkung parlamentarischer Öffentlichkeit gebieten.645 Dabei kann ein solches zunächst für den persönlichen Lebensbereich aus dem vom Bundesverfassungsgericht auf Basis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entwickelten646 „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ folgen,647 welches „die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“,648 gewährleistet. Ferner werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, d.h. „alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge [. . .] die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“,649 vor der Offenlegung durch den Staat geschützt.650 Hierunter fallen z. B. Umsatzzahlen, Kostenfaktoren, Kalkulationen oder bestimmte Betriebsabläufe, soweit deren Kenntnis Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens hat.651 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden dabei von Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen der Wettbewerbsfreiheit als wesentliches Element für die zukünftige Stellung eines Unternehmens am Markt652 sowie von Art. 14 Abs. 1 GG als 645 BVerfGE 67, 100 (143 f.); 76, 363 (388); 124, 78 (125 ff.); Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, 1996, S. 70; Holzner, DÖV 2016, S. 668 (671); P. M. Huber/ Unger, NordÖR 2007, S. 479 (485). Partiell wird der Schutz der Grundrechte auch als Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung und damit als staatliches Interesse eigeordnet, was eine Zuordnung zu der Oberkategorie des Staatswohls rechtfertige, so Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 42 f. 646 Zur Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vgl. statt vieler Kunig, Jura 1993, S. 595 ff. 647 Glauben, DÖV 2007, S. 149 (151); Harks, JuS 2014, S. 979 (981); Lennartz/Kiefer, DÖV 2006, S. 185 (190). 648 BVerfGE 65, 1 (43) siehe auch BVerfGE 78, 77 (84); 80, 367 (373). 649 BVerfGE 115, 205 (230). 650 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (690 f.); vgl. auch Glauben, DÖV 2007, S. 149 (151); Harks, JuS 2014, S. 979 (981). 651 Lennartz/Kiefer, DÖV 2006, S. 185 (190). 652 Vgl. BVerfGE 115, 205 (230); BVerwG, NVwZ 2004, S. 105 (107); NVwZ 2009, S. 1114 (1116); NVwZ 2010, S. 522 (525); VerfGH Berlin, DVBl 2010, S. 966 (969); OVG Schleswig, NVwZ 2007, S. 1148; Beyermann, Die geheime Unternehmensinformation, 2012, S. 144 ff.; Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VIII, § 171, Rn. 40; Papier, NJW 1985, S. 12 (13).
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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selbstständige Vermögenswerte, die den gewerblichen Schutzrechten funktional entsprechen653, grundrechtlich verbürgt. Darüber hinaus kann im Bereich der Arbeit von Sicherheitsbehörden durch die Offenbarung der Identität von Personen (insbesondere von Mitarbeitern oder Informanten) für diese eine Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt zu werden, ausgehen. Folglich kann der Geheimnisschutz auch mit Blick auf die Schutzpflichtdimension von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geboten sein.654 Der Bundestag ist als Teil der Staatsgewalt nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden, sodass er im Rahmen seiner Tätigkeit hieraus entspringende Geheimhaltungsinteressen zu wahren hat. Demnach stellt eine Offenlegung von privaten Geheimnissen einen Eingriff in diese Rechte dar.655 Infolge der Existenz von Offenbarungspflichten der Bürger gegenüber dem Staat dürfen erstere nicht schutzlos gestellt werden, sodass ein verlängerter Grundrechtsschutz besteht und auch die Veröffentlichung eines zuvor selbst dem Staat anvertrauten Geheimnisses einen Eingriff konstituiert.656 Im Bereich des privaten Geheimnisschutzes kommt die Geheimhaltungskompetenz allerdings – anders als bei staatlichen Geheimnissen – dem Bürger selbst zu, sodass dieser die Offenlegung gestatten kann. In diesen Fällen besteht schon kein Eingriff in Grundrechtspositionen.657 Wie auch bei Staatswohlbelangen gilt, dass die besondere Vertraulichkeit privater Information einer parlamentarischen Erörterung nicht kategorisch entgegensteht, solange im Rahmen der Art und Weise der Behandlung der Geheimnisschutz gewährleistet ist.658 Folglich wird der Öffentlichkeitsgrundsatz in Bezug auf die Bundestagsausschüsse potentiell auch durch die Wirkung der Grundrechte als kollidierendes Verfassungsrecht begrenzt.659
653 So etwa Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR VIII, § 171, Rn. 38; für eine Verortung im Rahmen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb siehe Papier, NJW 1985, S. 12 (13). Das Bundesverfassungsgericht lässt eine Zuordnung zu Art. 14 GG ausdrücklich offen, vgl. BVerfGE 115, 205 (248). Die überwiegende Rechtsprechung bejaht diese dagegen, vgl. etwa BVerwG, NVwZ 2009, S. 1114 (1116); BGH, WRP 2010, S. 658 (659); NWVerfGH, NVwZ-RR 2009, S. 41 (43); OVG Schleswig, NVwZ 2007, S. 1448 (1449). 654 Mehde, in: Epping/Hillgruber, Art. 45d, Rn. 11.2; Harks, JuS 2014, S. 979 (981); Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, 1996, S. 70 f.; vgl. auch BVerfGE 57, 250 (284 f.). 655 Vgl. BVerfGE 137, 185 (243); 67, 100 (142); 76, 363 (387); 77, 1 (46); 124, 78 (125). 656 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 166; vgl. auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 146 f. 657 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 147. 658 Glauben, DÖV 2007, S. 149 (150); Morlok, in: Dreier, Art. 44, Rn. 42. 659 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (690 f.); vgl. auch Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 180.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
2. Verhältnismäßigkeit der Einschränkung Eine Einschränkung der konkreten Anwendungsfälle verfassungsrechtlicher Ausschussöffentlichkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht ist an den Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen. Dies setzt voraus, dass die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen zur Förderung eines legitimen Zwecks in Gestalt eines kollidierenden Rechtsgutes von Verfassungsrang geeignet ist, die Einschränkung ferner als relativ mildestes Mittel bei gleicher Wirksamkeit zur Zweckerreichung erforderlich ist und schließlich „die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe“ 660 steht und dieser sich daher als angemessen darstellt. Insofern bietet es sich an, zwischen den konkreten Anwendungsfällen der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit einerseits (a)) und dem Handeln in Ausübung des Selbstbefassungsrechts andererseits (b)) zu unterscheiden. a) Plenarersetzende Beschlussfassung aa) Legitimer Zweck Als legitimer Zweck einer Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit kommen potentiell die oben genannten kollidierenden Verfassungsrechtsgüter in Betracht, namentlich der Gedanke parlamentarischer Arbeits- und Funktionsfähigkeit ((1)), Staatswohlbelange ((2)) sowie private Geheimnisschutzinteressen in Form kollidierender Grundrechtsbestimmungen ((3)). Diese müssten jedoch auch in concreto in einem Spannungsverhältnis zu den Anwendungsfällen der Ausschussöffentlichkeit stehen. Das wäre nicht der Fall, wenn die als Gegenrechte ins Feld geführten Rechtsgüter durch die Ausschussöffentlichkeit schon gar nicht gefährdet werden würden. (1) Parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit Hinsichtlich des Verfassungsgehalts der parlamentarischen Arbeits- und Funktionsfähigkeit wird z. T. die Erwägung angestellt, dass eine Reduktion der Parlamentsöffentlichkeit erforderlich sein kann, um eine funktions- und sachgerechte Arbeitserledigung, insbesondere in Form der Herbeiführung von Sachbeschlüssen, zu gewährleisten.661 Mit Blick auf parlamentarische Ausschüsse greifen Vertreter dieser Ansicht die Differenzierung zwischen Arbeits- und Redeparlament662 auf. In den Ausschüssen als (vorbereitenden) Beschlussorganen domi660 BVerfGE 118, 168 (195); vgl. auch vgl. BVerfGE 30, 292 (316 f.); 50, 217 (227); 61, 291 (312 ff.); 80, 103 (107); 90, 145 (173); 109, 279 (349 ff.); 113, 348 (382). 661 Siehe hierzu Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (54); Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (699); Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 5, Rn. 42 f. 662 Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. IV. 1.
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niere demnach in der Regel die am Ideal des Arbeitsparlaments orientierte fachlich-inhaltliche Beratung von Vorlagen, die typischerweise vom Ausloten politischer Handlungsspielräume und Kompromisse geprägt sei. Dies setzte jedoch die Möglichkeit einer freimütigen Äußerung der Akteure als Funktionsbedingung voraus, welche durch eine permanente Beobachtung durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit beeinträchtigt würde.663 Hinzu komme die Gefahr, dass mit Öffnung der Ausschusssitzungen diese zum Schauplatz für Fensterreden und Scheingefechte würden, während sich der eigentlich interessierende Willensbildungsprozess in nichtöffentliche Gremien und Gesprächsrunden außerhalb der Ausschüsse verlagerte. Auch widerspräche dies einer ökonomischen Gestaltung des Beratungsprozesses. Im Ergebnis wird konstatiert, dass das für Ausschüsse typische Aushandeln und Formulieren von Kompromissen in nichtöffentlichen Sitzungen besser gelinge.664 Diesen Zusammenhang erkenne auch das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf den Vermittlungsausschuss an, indem es betont, dass dieser im Interesse seiner Effizienz nichtöffentlich tage und deswegen im besonderen Maße geeignet sei, eine funktionierende Kompromissbildung zu gewährleisten.665 Gleichwohl ist bezüglich der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit der Ausschüsse in tatsächlicher Hinsicht bereits äußerst fraglich, ob die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen die behaupteten nachteiligen Effekte auf die Effizienz des Beratungsverlaufs tatsächlich zeitigt. Die von der analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG betroffenen Ausschusskonstellationen sind, anders als etwa die Beratung von Gesetzesvorlagen, nicht auf eine weitreichende materielle Ausgestaltung von Entscheidungsvorlagen durch den Ausschuss angelegt. Wie gesehen, betreffen sie vielmehr zum einen die Möglichkeit von Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung, zum anderen die Entscheidung über die Zustimmung zur Aufhebung von Sperrvermerken bzw. zu einzelnen Maßnahmen im Rahmen der europäischen Stabilitätsmechanismen, die im Ergebnis entweder mehrheitlich gewährt oder verweigert wird. Im Vergleich zu einer originär gestalterischen Tätigkeit ist daher von vornherein das Potential für und Bedürfnis nach einer inhaltlichen Kompromissbildung geringer. Hinzu kommt, dass, wie bereits herausgearbeitet, die Abgeordneten als Vertreter ihrer Fraktionen in den Ausschusssitzungen ohnehin weitgehend an die fraktionsintern ausgegebene Marschroute hinsichtlich der Behandlung einzelner Vorlagen gebunden sind, sodass in der Regel kaum Spielraum für tatsächliche Kompromissbildung verbleibt. Stattdessen verläuft die tatsächliche Sachentschei663 Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (55 f.); Linck, DÖV 1973, S. 513 (519 f.); ders., ZParl 1992, S. 673 (699). 664 Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (56); Linck, DÖV 1973, S. 513 (520). 665 Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (56) unter Verweis auf BVerfG, NVwZ 2015, S. 1751 (1754).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
dung regelmäßig entlang der Mehrheitsverhältnisse. Selbst wenn im Einzelfall einmal eine fraktionsübergreifende Konsensfindung angestrebt werden sollte, sind auch hier vielmehr das Berichterstattergespräch oder informelle interfraktionelle Gesprächskreise als der Ausschuss selbst der Ort, an dem diese Kompromisse hergestellt würden.666 Ferner deutet auch die in verschiedenen Landesparlamenten, dem Europäischen Parlament sowie dem britische House of Commons mit einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit gemachte Erfahrung nicht darauf hin, dass es öffentlichkeitsbedingt tatsächlich zu Beeinträchtigungen der Arbeits- und Kompromissfähigkeit kommt, sodass der behauptete Kausalzusammenhang zwischen Nichtöffentlichkeit und parlamentarischer Funktionsfähigkeit bereits dem Grunde nach zweifelhaft ist.667 Selbst wenn eine tatsächlich effizientere Entscheidungsfindung bei einer Zurücknahme parlamentarischer Ausschussöffentlichkeit unterstellt wird, spricht in der vorliegenden Sonderkonstellation der analogen Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gegen den Gleichklang von Funktionsfähigkeit und Nichtöffentlichkeit der Umstand, dass die jeweils abschließend und eigenverantwortlich tätig werdenden Ausschüsse kompetenziell an die Stelle des Gesamtparlaments und damit des Parlamentsplenums treten. Zum Aufgabenspektrum der Plenarversammlung zählt jedoch, neben dem formalen Herstellen parlamentarischer Entscheidungen, im Rahmen seiner Repräsentationsfunktion vor allem die Vermittlung des Ergebnisses politischer Willensbildungsprozesse gegenüber dem Bürger, um damit eine gesellschaftliche Kontrolle und Partizipation zu ermöglichen. Im Falle der Analogie geht diese Funktion mangels erneuter Befassung des Plenums in gleicher Weise auf die Ausschüsse über, sodass die Arbeits- und Funktionsfähigkeit bei ganzheitlicher Betrachtung für einen Teil ihres Aufgabenspektrums gerade der Öffentlichkeit bedarf.668 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer Übertragung des von der Rechtsprechung aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung hergeleiteten Gedankens eines „Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“ 669 auf die Legislative. Insofern ist vertreten worden, dass auch der gesetzgebenden Funktion ein Kernbereich parlamentarischer Funktionserfüllung und Eigengestaltung zuzuordnen sei, wel-
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Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. V. 2. a). Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (84); vgl. auch Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 7. Siehe hierzu noch ausführlich unter Kap. 5 C. I. 3.–5. 668 Vgl. hierzu auch Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 111; ähnlich auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (694 f.). Für ein weites Verständnis des Funktionsfähigkeitsbegriffs über die Entscheidungsfähigkeit hinaus auch Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 107; Schuster, DÖV 2014, S. 516 (522). 669 Grundlegend BVerfGE 67, 100 (139); 110, 199 (214); 124, 78 (120 ff.); zuletzt: BVerfGE 147, 50 (138 ff.); siehe hierzu auch Brocker, Lux in arcana, 2014, passim. 667
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cher zur Gewährleistung der „Freiheit und Offenheit der Willensbildung“ 670 und damit zur Sicherung parlamentarischer Funktionsfähigkeit einen grundsätzlich abgeschirmten Arkanbereich umfassen müsse.671 Lars Brocker als Hauptvertreter dieses Gedankens neigt dazu, die Ausschusstätigkeit wegen ihres Bezugs zur vorbereitenden parlamentsinternen Willensbildung grundsätzlich dem abgeschirmten Beratungsbereich zuzuordnen.672 Dieser Argumentation kann nur z. T. gefolgt werden. Zwar verdient das Postulat eines parlamentarischen Arkanbereichs insoweit Zustimmung, als ein solcher Forderungen nach totaler Transparenz eine Absage erteilt. Eine hypothetisch gedachte omnipräsente Öffentlichkeit – auf allen entscheidungsvorbereitenden Stufen sowie im Bereich der Informationsbeschaffung durch den einzelnen Abgeordneten – würde die Meinungsbildung und -konsolidierung des Parlaments erheblich behindern, da in einem solchen Umfeld ausnahmslos jede Handlung der Entscheidungsträger mit Blick auf ihre Wirkung für die Öffentlichkeit zu hinterfragen wäre.673 Der parlamentarische Entscheidungsprozess wird insoweit erst praktisch handhabbar, wenn in einer Phase der vertraulichen Vorstrukturierung konsensfähige Handlungsoptionen und Standpunkte herauskristallisiert werden, deren Überzeugungskraft der Bürger anschließend bewerten kann. Eine vollständige Transparenz des parlamentarischen Verfahrens würde dagegen die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments empfindlich gefährden.674 Allerdings ist zu bedenken, dass die parlamentsinterne Meinungsbildung in den Ausschüssen wegen der beschriebenen Vorprägung durch die Fraktionen bereits weit fortgeschritten und insofern die Nähe zum Kernbereich parlamentarischer Willensbildung schon aus diesem Aspekt begrenzt ist. Dem entspricht auch die tatsächlich nicht gewährleistete Vertraulichkeit der nichtöffentlichen Ausschussberatungen, aus denen gerade vielfach Informationen bewusst preisgeben werden,675 sodass eine Zuordnung zu einem abzuschirmenden Beratungsbereich auch faktisch ausscheidet. Demnach ist bereits die tatsächliche Gefährdung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit durch die Ausschussöffentlichkeit und in der Folge das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Kollisionslage in Zweifel zu ziehen. Allerdings genießt 670 671
BVerfGE 110, 199 (222). Siehe hierzu Brocker, Lux in arcana, 2014, S. 27 ff.; ders., ZParl 47 (2016), S. 50
(57). 672
Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (57). Zu den Auswirkungen siehe Sarcinelli, Politische Kommunikation, S. 76 ff. 674 Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (56); ders., Lux in arcana, 2014, S. 27 ff.; Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 5, Rn. 42; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 36. 675 Vgl. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 38; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 332; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 79; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 38. 673
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der Bundestag bei der Ausgestaltung seines Geschäftsgangs infolge der Parlamentsautonomie grundsätzlich einen weiten Einschätzungs- und Ausgestaltungsspielraum hinsichtlich der Wahl der geeigneten Mittel zur Gewährleistung seines guten Funktionierens.676 Hiermit korrespondierend sollte ihm auch bei der Beurteilung einer Bedrohungslage für die eigene Funktionsfähigkeit ein Beurteilungsspielraum zugestanden werden.677 Davon ausgehend kann hier zunächst unterstellt werden, dass die parlamentarische Funktionsfähigkeit durch eine Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen zumindest potentiell berührt sein kann und eine Einschränkung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Basis dieses Rechtsgutes in Frage kommt. Die angeführten Zweifel sind allerdings im Rahmen des konkret drohenden Maßes und der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung parlamentarischer Funktionsfähigkeit wieder aufzugreifen. (2) Staatswohlinteressen Soweit die Bundestagsausschüsse plenarersetzend tätig werden, ist ein generelles Geheimhaltungsinteresse aufgrund von Staatswohlbelangen dagegen nicht ersichtlich. So betrifft die Aufhebung von qualifizierten Sperrvermerken bereits im Haushaltsgesetz ausgewiesene Posten, die mit Verkündung des Gesetzes allgemein bekannt sind. Hintergrund des Sperrvermerks ist zumeist der Umstand, dass wesentliche Punkte des tatsächlichen Finanzbedarfs einer Ausgabe noch nicht geklärt sind.678 Staatswohlsensible Geheimnisse dürften sich aus der abschließenden Bemessung dieses Finanzbedarfs kaum ergeben. Auch ist im Rahmen plenarersetzender Stellungnahmen durch den EU-Ausschuss gegenüber der Bundesregierung die Betroffenheit von geheimhaltungsbedürftigen Staatswohlinteressen nicht zu befürchten. Diese Stellungnahmen beziehen sich gemäß § 93b Abs. 2 S. 1 GO-BT auf bestimmte Unionsdokumente, die – vor dem Hintergrund des Transparenzprinzips in Art. 15 Abs. 3 AEUV, wonach Unionsdokumente grundsätzlich für die Unionsbürger zugänglich zu machen sind – ohnehin allgemein einsehbar sind. Schließlich umfasst auch die Mitwirkung des Haushaltsausschusses im Rahmen der europäischen Rettungsschirme keine geheimhaltungsbedürftigen Staatswohlbelange. Die im Interesse der Finanzmarktstabilität zwingend geheim zu haltende Beteiligung des Bundestages an der Entscheidung über den An676 Vgl. Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 86; ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 26; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 56; zur daraus folgenden zurückgenommenen verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte siehe auch BVerfGE 10, 4 (19); 80, 188 (220); 84, 304 (322). 677 Vgl. für das Vorliegen eines Einschätzungsspielraums schon bezüglich des Vorliegens einer tatsächlichen Bedrohungslage für ein Rechtsgut BVerfG, NVwZ 2010, S. 1212 (1216) m.w. N. 678 v. Lewinski/Burbat, in: Nomos Kommentar zur Bundeshaushaltsordnung, § 22, Rn. 3. Relevanz erlangen sie somit vor allem im Rahmen langfristiger Beschaffungsvorhaben und Staatsprojekte Hasenjäger, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 22, Rn. 29.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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kauf von Staatsanleihen ist nach § 6 ESMFinG und § 3 Abs. 3 StabMechG einem geheim tagenden Sondergremium und gerade nicht dem Haushaltsausschuss übertragen. Demnach scheidet in Bezug auf die konkreten Anwendungsfälle der Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bereits eine Kollisionslage mit Staatswohlbelangen aus. (3) Individualrechtsgüter Dasselbe gilt für eine Betroffenheit von privaten Geheimnisschutzbelangen auf Basis grundrechtlicher Individualrechtsgüter. Im Kontext der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit ist eine Offenbarung geheimhaltungsbedürftiger privater Lebenssachverhalte oder von Geschäfts- bzw. Betriebsgeheimnissen weder bei den Beratungen des Haushaltsausschusses über die Aufhebung von Sperrvermerken oder die Mitwirkung an Maßnahmen der Eurorettung noch hinsichtlich der Betätigung des Europaausschusses im Rahmen von Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung zu Unionsdokumenten denkbar. Auch insofern ist eine verfassungsrechtliche Konfliktlage schon nicht gegeben. bb) Geeignetheit Bezüglich der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit von Ausschüssen besteht eine potentielle Kollisionslage daher allein im Verhältnis zur parlamentarischen Arbeits- und Funktionsfähigkeit. Eine Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit müsste tatsächlich geeignet sein, die Verwirklichung dieses Verfassungsgutes zu befördern. Insofern sprechen die bereits geäußerten Bedenken bezüglich der Kausalität zwischen Funktionsbeeinträchtigungen der Ausschussarbeit und der Öffentlichkeit des Beratungsganges auch dagegen, dass eine Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit für die parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit überhaupt förderlich wäre. Gleichermaßen ist jedoch auch hier dem Geschäftsordnungsgeber ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen, sodass eine Geeignetheit vorerst unterstellt werden kann.679 cc) Erforderlichkeit Weiterhin müsste eine grundsätzliche Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit auch im Interesse kollidierenden Verfassungsrechts erforderlich sein. Der Grundsatz der Erforderlichkeit fragt danach, ob der mit der Einschränkung eines Rechtsguts verfolgte Zweck auch durch eine weniger intensive Maßnahme er-
679 In ähnlicher Weise billigt die ständige Rechtsprechung dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die Geeignetheit grundrechtsbeschränkender Maßnahmen zu. Vgl. BVerfGE 16, 147 (181); 25, 1 (17, 19 f.); 77, 84 (106 f.), 103, 293 (307), 115, 276 (309).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
reicht werden kann. Der Eingriff ist nur insoweit legitimiert, als er zur Zweckerreichung tatsächlich notwendig ist.680 Entscheidend ist somit, ob die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen das mildeste unter mehreren zur Auswahl stehenden und dabei gleich wirksamen Mitteln zur Verwirklichung des jeweiligen Gegenrechts darstellt. Sofern diesem bereits durch einen anlassbezogenen Ausschluss der Öffentlichkeit vollumfänglich Rechnung getragen werden kann, stellt ein solcher Ausschluss ein milderes Mittel dar, sodass eine generelle Ausnahme vom Anwendungsbereich nicht in Frage kommt. Sofern eine Geeignetheit der Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit zur Förderung der parlamentarischen Funktionsfähigkeit unterstellt wird, muss regelmäßig auch von deren Erforderlichkeit ausgegangen werden. Dies folgt aus dem Umstand, dass sich der negative Einfluss auf die Funktionsfähigkeit als eine generelle Folge der Ausschussöffentlichkeit darstellt und damit ein nur punktueller Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall die Funktionsfähigkeit jedenfalls nicht gleich wirksam befördern würde. dd) Angemessenheit Schließlich müsste eine grundsätzliche Ausnahme von Öffentlichkeitsgrundsatz auch angemessen sein. Dafür dürften die mit der Einschränkung verfolgten Ziele nicht außer Verhältnis zur Intensität der Einschränkung der Öffentlichkeit stehen.681 Im Rahmen der gebotenen Abwägung konfligierender Verfassungsrechtsgüter sind diese im Sinne praktischer Konkordanz zu einem schonenden Ausgleich zu bringen.682 Dies setzt voraus, dass jedes der betroffenen Verfassungsgüter „nur so viel nachgeben muß, wie erforderlich ist, damit auch das andere so weit als möglich seine Wirksamkeit behält“.683 Erst wenn sich beide Verfassungswerte nicht zu einem Ausgleich bringen lassen, „ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat“.684 Diese Abwägungsentscheidung ist im Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG jedenfalls für das Plenum bereits durch den Verfassungsgeber selbst vorgezeichnet. Die Grenzen der Ausgestaltung der parlamentarischen Funktionsfähigkeit im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie ergeben sich wiederum
680 Grundlegend hierzu Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, S. 58, 246. 681 Vgl. grundlegend zur Angemessenheit Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 22, 225. 682 Grundlegend Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, Rn. 72, 318. 683 Looschelder/Roth, Juristische Methodik, S. 170 f.; vgl. auch Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 540. 684 BVerfGE 35, 202 (225).
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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aus verfassungsrechtlichen Verfahrensvorgaben.685 Eine solche liegt in Gestalt des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG mit Blick auf die Parlamentsöffentlichkeit jedoch gerade vor. Dieser Vorschrift kann mithin nicht pauschal entgegengehalten werden, dass aus Gründen der Arbeits- und Funktionsfähigkeit besser nichtöffentlich zu verhandeln wäre. Soweit Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG infolge der Wertungsgleichheit auf die Ausschüsse analog anwendbar ist, spricht einiges dafür, dass hier grundsätzlich nichts anderes gelten kann. Fraglich ist, ob sich eingedenk der funktionalen Besonderheiten parlamentarischer Ausschüsse eine Verschiebung der Abwägungsgesichtspunkte ergibt. Im Rahmen der Systematisierung der Abwägung gegenläufiger Verfassungsrechtsgüter als Teil der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne kann dabei gedanklich in drei Schritte untergliedert werden.686 Zunächst sind die kollidierenden Rechtsgüter in ihrer abstrakten Wertigkeit im Verfassungsgefüge zu benennen ((1)). Sodann ist deren konkretes Gewicht festzustellen, wobei die Kriterien der Schwere des Eingriffs in das jeweilige Rechtsgut bzw. das Maß der Förderung des zur Rechtfertigung herangezogenen Wertes und der jeweilige Grad der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung bzw. Förderung zu berücksichtigen sind ((2)). In einem dritten Schritt sind schließlich vor dem Hintergrund der in den beiden vorangegangenen Schritten herausgearbeiteten Prämissen die Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen ((3)). (1) Abstrakte Wertigkeit Der Vergleich der abstrakten Wertigkeit der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit mit jener der parlamentarischen Funktionsfähigkeit führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Ausschussöffentlichkeit basiert auf einer analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, der wiederum als Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu qualifizieren ist. Dem Öffentlichkeitsgrundsatz bzw. Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG kommt als Ausfluss der Prinzipien der Demokratie sowie der Rechtsstaatlichkeit nach Art. 20 GG und damit als Teilaspekte dieser fundamentalen Strukturbestimmungen besonderes Gewicht zu.687 Dabei stellt die Parlamentsöffentlichkeit eine unabdingbare Wirkvoraussetzung für den Grundsatz der Volkssouveränität dar, welcher als Kernstück des Demokratieprinzips nach allgemeiner Ansicht von der Schutzwirkung des Art. 79 685 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 109 ff.; ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 25; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 73; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 3 ff. 686 Siehe hierzu Stern, Staatsrecht III/2, S. 784 m.w. N.; ebenso Degenhart, Staatsrecht I, 35. Aufl. 2019, S. 156 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 541 ff. 687 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 181. Für eine Berücksichtigung der besonderen Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im demokratischen Parlamentarismus im Rahmen von Abwägungen mit anderen Verfassungsgütern vgl. auch BVerfGE 124, 78 (125 f.).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Abs. 3 GG umfasst ist.688 Es stellt sich insofern die Frage, ob die Ausschussöffentlichkeit angesichts ihrer dogmatischen Herleitung aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog gleichermaßen in den Anwendungsbereich der Ewigkeitsgarantie fällt. Zu beachten ist dabei, dass die Ewigkeitsgarantie nach Art. 79 Abs. 3 GG nicht schlechthin jede Modifikation von Art. 1 und 20 GG kategorisch ausschließt, sondern lediglich die „Grundsätze“, d.h. den als wesentlich identifizierten Kerngehalt der genannten Artikel, vor Verfassungsänderungen schützt. Solange mithin die grundgesetzliche freiheitliche, demokratische und bundesstaatliche Verfassungsordnung in ihren Grundzügen erhalten bleibt, kommt auch eine Modifikation der Regelungsgehalte von Art. 1 und 20 GG in Betracht.689 Das Bundesverfassungsgericht betont insofern mit Blick auf die Grundsätze des Art. 20 GG die Notwendigkeit der Absicherung der „Systementscheidungen der Demokratie sowie des Rechts- und Bundesstaates“.690 Demnach solle kein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG gegeben sein, sofern diesen Grundsätzen im Rahmen einer Modifikation „im allgemeinen Rechnung getragen wird“ und sie allein für Sonderfälle entsprechend ihrer Eigenarten bzw. systemimmanent modifiziert würden.691 Hinzu kommt die Erwägung, dass nach der Systematik von Art. 79 GG die Änderbarkeit des Grundgesetzes – wie aus den Absätzen 1 und 2 ersichtlich wird – den Regelfall darstellt, von dem Absatz 3 lediglich eine partielle Ausnahme formuliert. Schon insofern scheint eine restriktive Anwendung von Art. 79 Abs. 3 GG geboten.692 Hierfür spricht zugleich der Grundsatz der Volkssouveränität, welcher gleichermaßen die grundsätzliche Veränderlichkeit Verfassungsordnung umfasst und dem im Rahmen von Art. 79 Abs. 3 GG daher nur eng umgrenzte Beschränkungen mit Blick auf das wesentliche Leitbild der Verfassung aufzuerlegen sind.693 Insofern sollten jedenfalls solche verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalte, die im Wege der extensiven Auslegung oder der Rechtsfortbildung entwickelte wurden, nicht Vorschnell dem Schutzbereich von Art. 79 Abs. 3 GG unterstellt werden, um nicht sukzessive die Entwicklungsoffenheit der Verfassungsordnung zu Lasten des verfassungsändernden Gesetzgebers zu beschränken.694 688
Dietlein, in: Epping/Hillgruber, Art. 79, Rn. 34; Hain, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 79, Rn. 77; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 80. 689 Badura, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 270, Rn. 33; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, Art. 79, Rn. 17.1. 690 BVerfGE 137, 108 (143). 691 BVerfGE 30, 1 (2); vgl. auch BVerfGE 109, 279 (310); 132, 195 (244); 137, 108 (145); vgl. auch Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 111. 692 So auch Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 79, Rn. 29; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 80; vgl. auch BVerfGE 109, 279 (310). 693 Bryde, in: v. Münch/Kunig, Art. 79, Rn. 29; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 80. 694 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 81.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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In der Folge besteht die Notwendigkeit, zwischen einem unantastbaren Identitätskern und einem disponiblen Randbereich der in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Verfassungsentscheidungen zu differenzieren.695 Der Identifikation dieses Kernbereichs kann sich durch eine „Vorher-Nachher-Betrachtung“ angenähert werden. Dabei wird die von Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Gewährleistung in ihrer ursprünglichen Gestalt mit dem eingeschränkten Aussagegehalt des Prinzips nach einem (hypothetischen) verfassungsändernden Eingriff verglichen. So stellt das Bundesverfassungsgericht zur Abgrenzung unter teleologischer Stoßrichtung darauf ab, ob die „ratio“ eines geschützten Verfassungsprinzips nach der Grundgesetzänderung noch gewahrt bleibt.696 Der Vergleich des Wirkungsgehalts der Volkssouveränität unter der gegebenen Voraussetzung einer öffentlichen Parlamentsverhandlung mit der Aussagekraft dieses Prinzips im Falle eines vollständigen Geheimparlamentarismus mag dafür sprechen, die Parlamentsöffentlichkeit in Bezug auf das Parlamentsplenum dem Kerngehalt des Art. 20 GG zuzurechnen. Eine inhaltlich substantiierte Mandatierung der Abgeordneten durch die Staatsbürger, wie auch die Möglichkeit fortlaufender Kontrolle von und Teilhabe an legislativer Staatsgewalt, dürften ohne einen grundsätzlichen Informationsfluss aus der parlamentarischen Sphäre kaum umsetzbar sein. Mithin wird in der Literatur die Parlamentsöffentlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zum Teil der verfassungsrechtlichen Ewigkeitsgarantie zugeordnet.697 Diese Argumentation lässt sich jedoch nicht deckungsgleich auf die Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG übertragen. Deren Anwendungsfälle betreffen einen eng umgrenzten Teilbereich staatlicher Willensbildung in Gestalt der plenarersetzenden bzw. eigenverantwortlichen und abschließenden Ausschusstätigkeit. Zudem sind der Verlagerung von Befugnissen auf Ausschüsse in qualitativer Hinsicht von Verfassungs wegen enge Grenzen gesetzt.698 Mithin kann jedenfalls nicht die Rede davon sein, dass die Volkssouveränität ohne die Möglichkeit der unmittelbaren Anschauung dieser begrenzten Teilbereiche der Staatstätigkeit in ihren Grundzügen erschüttert würde. Vielmehr wird der Rück695 Badura, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 270, Rn. 33; Dietlein, in: Epping/Hillgruber, Art. 79, Rn. 17.1; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 110; vgl. auch BVerfGE 30, 1 (24). 696 BVerfGE 30, 1 (28), vgl. auch Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 111. 697 So etwa Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 1.1; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 1; H.-P. Schneider, in: AK GG, Art. 42, Rn. 2; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 20; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 28; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 14. 698 Hierzu BVerfGE 130, 318 (342 ff.), vgl. auch BVerfGE 44, 308 (317); 80, 188 (217); siehe hierzu ausführlich auch Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 97 ff.; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 37 f.; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 3 ff., 18.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
führbarkeit der Staatsgewalt auf den Volkswillen – auch bei einem Ausschluss der Anschauungsmöglichkeit hinsichtlich der analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zwingend öffentlichen Ausschusssitzungen – im Allgemeinen Rechnung getragen. Dies ergibt sich insbesondere vor dem Hintergrund des Gedankens, dass das Demokratieprinzip ein „entwicklungsoffenes“ Konzept darstellt.699 Von entscheidender Bedeutung ist hierbei, dass in Ansehung verschiedener Aspekte demokratischer Legitimation (organisatorisch-personelle oder sachlich-inhaltliche Legitimation) ein hinreichendes Gesamtniveau demokratischer Legitimation gewährleistet ist.700 Dies zusammen mit der gebotenen restriktiven Auslegung des Anwendungsbereichs von Art. 79 Abs. 3 GG streitet entschieden dagegen, die Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG der Ewigkeitsgarantie zu unterstellen. In der Folge ist festzuhalten, dass die Ausschussöffentlichkeit aufgrund ihrer Verwurzelung in der rechtsstaatlichen Demokratie zwar ein erhebliches abstraktes Gewicht zukommt, sie indes nicht als Teilgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG zu qualifizieren ist, der per se einer Einschränkung entzogen wäre. Keinesfalls darf jedoch die parlamentarische Öffentlichkeit insgesamt in einem solchen Maße eingeschränkt werden, dass es dem Bürger unmöglich wird, die entsprechenden Willensbildungsprozesse nachzuvollziehen.701 Demgegenüber wird die Funktionsfähigkeit des Bundestages als kollidierendes Rechtsgut in ihrem Kern auf den Grundsatz der Gewaltenteilung zurückbezogen,702 dem als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ebenfalls erhebliches Gewicht zukommt und der in seinen Grundsätzen von Art. 79 Abs. 3 GG geschützt wird. Somit weist auch dieses Rechtsgut ein erhebliches abstraktes Gewicht auf. Eine weitgehende Funktionsunfähigkeit des Parlaments wäre damit verfassungsrechtlich jedenfalls nicht hinnehmbar. Eine solche müsste jedoch hier auch tatsächlich im Raum stehen. Entscheidend für die Abwägung von Ausschussöffentlichkeit und parlamentarischer Funktionsfähigkeit ist mithin vorliegend die konkrete Betroffenheit beider Rechtsgüter. (2) Konkrete Wertigkeit Hier ist zu bedenken, dass durch eine generelle Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen der Öffentlichkeitsgrundsatz vollständig zugunsten des Funktionsfähigkeitsgedankens zurückgedrängt würde, was einen besonders intensiven Eingriff darstellt. Selbst eine nachträgliche Herstellung der Nachvollziehbarkeit des parlamentarischen Willensbildungsprozesses würde hier infolge der mangeln699
Dietlein, in: Epping/Hillgruber, Art. 79, Rn. 35. BVerfG, NVwZ 2003, S. 974 (975); BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66). 701 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 116 spricht davon, dass nur „Detailangaben“ und nicht das Gros der Informationen geheim gehalten werden dürfe. 702 Siehe hierzu bereits Kap. 3. B. III. 1. a). 700
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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den Befassung der Plenarverhandlung mit der konkreten Vorlage unterbleiben. Die weitgehende Entwertung des Öffentlichkeitsgebots würde dem Postulat eines schonenden Ausgleichs diametral zuwiderliefen.703 Die parlamentarische Funktionsfähigkeit ist dagegen durch die Öffentlichkeit plenarersetzend beschließender Ausschüsse – wenn überhaupt – nur punktuell und im geringen Maße betroffen. Quantitativ bezieht sich diese nur auf eine Handvoll Sonderkonstellationen und macht daher lediglich einen Bruchteil der parlamentarischen Arbeit aus. Auch spricht die verbindliche inhaltliche Vorprägung der Beratungen durch die Fraktionen sowie die Praxiserfahrungen aus den Landtagen jedenfalls gegen eine empfindliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit. Diese dürfte wegen des typischerweise geringen Kompromissbedürfnisses im Rahmen der konkret betroffenen Fälle plenarersetzender Beschlussfassung nochmals geringer ausfallen.704 Außerdem verbleiben mit den Fraktionen und deren Arbeitskreisen sowie weiteren (informellen Beratungszirkeln) in beiden Fällen jedenfalls hinreichende Möglichkeiten einer abgeschirmten Beratung außerhalb von Ausschüssen. Im Ergebnis ist damit nicht von einer schwerwiegenden Einschränkung der Funktionsfähigkeit auszugehen. (3) Abwägung Eine Abwägung auf dieser Basis muss daher auch hinsichtlich der konkreten Sonderkonstellationen der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit, die zu einer analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschüsse führt, zu einem deutlichen Überwiegen der durch eine Nichtöffentlichkeit fundamental in Frage gestellten Ausschussöffentlichkeit gegenüber der allenfalls im Randbereich tangierten parlamentarischen Arbeits- und Funktionsfähigkeit kommen. Eine generelle Einschränkung der Parlamentsöffentlichkeit wäre damit jedenfalls nicht angemessen und scheidet folglich aus. b) Selbstbefassungsangelegenheiten aa) Legitimer Zweck (1) Parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit Soweit die Ausschüsse im Rahmen ihres Selbstbefassungsrechts mit dem Ziel der Regierungskontrolle tätig werden, ist eine Rechtfertigung eines generellen Ausschlusses der Ausschussöffentlichkeit mit dem Argument der parlamentarischen Funktionsfähigkeit bereits im Ansatz zu verneinen. Im Zusammenhang mit der Kontrolltätigkeit der Ausschüsse ist die Beratung der Ausschussmitglieder naturgemäß kaum von einem Bemühen um eine interfraktionelle Kompromissbil703 704
Vgl. auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (695). Siehe hierzu bereits Kap. 3. B. III. 2. a) aa) (1).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
dung geprägt.705 Dem Ausschuss ist in Selbstbefassungsangelegenheiten vielmehr schlechthin untersagt, Sachbeschlüsse zu fassen. In der Folge kann durch die Öffentlichkeit der betreffenden Ausschusssitzungen die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments von vornherein nicht wesentlich betroffen sein kann. Es fehlt insofern bereits an einer verfassungsrechtlichen Kollisionslage. (2) Staatswohlinteressen Anders liegt der Fall dagegen bei staatlichen Geheimnisschutzinteressen. Umstände, die infolge des Staatswohls geheim zu halten sind, können dem Bundestag entweder unabhängig von einer Information durch die Regierung oder – was in der Praxis der Regelfall ist – im Rahmen parlamentarischer Exekutivkontrolle706 aufgrund einer Auskunftspflicht der Regierung707 zur Kenntnis gelangen und in der Folge Gegenstand der parlamentarischen Verhandlung sein. Eine Kollisionslage ergibt sich mithin in Ansehung der Regierungskontrolle auf Basis des Selbstbefassungsrechts der Bundestagsausschüsse. Geheimhaltungsinteressen sind hier konkret zunächst im Tätigkeitsbereich der Nachrichtendienste relevant. Da sich die parlamentarische Kontrolle der Exekutive nicht nur auf Regierungshandeln, sondern auch auf die gesamten, dem politisch verantwortlichen Minister bzw. Regierungschef untergeordneten Behörden708 bezieht, ist die Tätigkeit der Nachrichtendienste potentieller Gegenstand parlamentarischer Erörterung.709 Naturgemäß haben nachrichtendienstliche Informationen eine besondere Neigung zum Geheimnisschutz, da sie häufig durch den Gebrauch geheimer Methoden gewonnen werden, die mit Aufdeckung der Information gleichzeitig ihre Wirksamkeit für die Zukunft und damit ihren Nutzen verlieren.710 Dabei können „[i]nsbesondere laufende nachrichtendienstliche Operationen oder detaillierte Schilderungen operativer oder taktischer Verfahrensabläufe [. . .] dem überwiegenden 705
Dies konzediert auch Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (55). Als Kontrollinstrumente kommen z. B. Anfragen eines Abgeordneten, Fragestunden, Kleine und Große Anfragen, Zitierrecht, Untersuchungsausschüsse, Enquetekommissionen, parlamentarische Beauftragte usw. in Frage. Vgl. hierzu etwa H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 50, Rn. 36 ff.; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 41. 707 BVerfGE 13, 123 (125); 57, 1 (5,8); 67, 100 (129); 70, 324 (355); 80, 188 (218); 105, 252 (270); 124, 78 (118); siehe hierzu etwa Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 148; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 41. 708 Siehe Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 122. Bei den Nachrichtendiensten handelt es sich um solche nachgeordneten Behörden. So untersteht BfV dem Bundesministerium des Inneren (§ 2 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG), der MAD dem Bundesministerium der Verteidigung (§ 1 Abs. 1 MADG) und der BND dem Bundeskanzleramt (§ 1 Abs. 1 S. 1 BNDG). 709 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 509; Wolff, JZ 2010, S. 173 (175). 710 Wolff, JZ 2010, S. 173 (176); vgl. auch Gusy, ZRP 2008, S. 36 (38); Mehde, in: Epping/Hillgruber, Art. 45d, Rn. 11.1; Nees, DÖV 2016, S. 674 (678). 706
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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Staatswohl unterfallen, wenn zu befürchten ist, dass ein (ggf. auch nur unbeabsichtigtes) Bekanntwerden die Operation gefährden oder die künftige verdeckte Informationsbeschaffung empfindlich beeinträchtigen würde.“ 711
Soweit durch die Offenlegung personenbezogener Informationen erhebliche Gefahren für die Mitarbeiter der Nachrichtendienste oder Dritte (insbesondere Informanten) entstehen, stellt dies ebenfalls eine Beeinträchtigung der nachrichtendienstlichen Funktionsfähigkeit dar.712 Mit Blick auf Informanten kommt hinzu, dass sich diese zu ihrer Tätigkeit regelmäßig nur bei Zusicherung der vertraulichen Behandlung der von ihnen zur Verfügung gestellten Informationen bereiterklären werden, sodass eine Missachtung eben dieser Zusicherung die künftige Informationsbeschaffung erheblich erschweren würde.713 Die Geheimhaltung von Erkenntnissen ist des Weiteren regelmäßig eine Voraussetzung für den Informationsaustausch mit ausländischen Nachrichtendiensten.714 Parallel hierzu kann kommt eine Kollision der Ausschussöffentlichkeit mit dem Staatswohlaspekt der Funktionsfähigkeit sonstiger Sicherheitsbehörden des Bundes in Betracht.715 Hinsichtlich des Aspekts der Wehr- und Bündnisfähigkeit können vor allem Informationen aus dem Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums der parlamentarischen Regierungskontrolle unterliegen. So711
Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267). So auch Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267); Wolff JZ 2010, S. 173 (176). Holzner, DÖV 2016, S. 668 (671) will dagegen diese Aspekte allein unter grundrechtlichen Auspizien schützen. 713 Vgl. Mehde, in: Epping/Hillgruber, Art. 45d, Rn. 11.2; Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267); aus der Rechtsprechung siehe auch BVerwG, NVwZ 2011, S. 880 (882); BVerwG, NVwZ 2005, 334. 714 Die sog. „third party-Rule“ besagt, dass Informationen ausländischer Nachrichtendienste nicht ohne deren Einverständnis an Dritte weitergegeben werden dürfen. Diese Regel ist staatenübergreifend anerkannt und stellt mittlerweile wohl Völkergewohnheitsrecht dar. Siehe hierzu Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1268). Das Staatswohl kann dabei durch die Veröffentlichung von geheimhaltungsbedürftigen Informationen ausländischer Nachrichtendienste insoweit gefährdet sein, als das Bekanntwerden solcher Informationen originäre Geheimhaltungsinteressen dieser Stellen beeinträchtigt und damit die Gefahr birgt, dass es zu einem vollständigen oder teilweisen Ausschluss der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit kommen könnte. Vgl. BVerfGE 124, 78 (134); Mehde, in: Epping/Hillgruber, Art. 45d, Rn. 11.3; a. A. wohl Holzner, DÖV 2016, 668 (671), der sich dagegen aussprich, dass der Umfang parlamentarischer Kontrolle durch Vereinbarungen zwischen den Nachrichtendiensten bestimmt werden können soll. 715 Im Bereich des präventiven Gefahrenabwehrhandelns unterliegen diese als den Bundesministerien des Inneren bzw. der Finanzen nachgeordnete Behörden der parlamentarischen Regierungskontrolle. Vgl. für die Bundespolizei §§ 1 Abs. 1 S. 2, 57 Abs. 2 S. 2 BPolG; für das BKA siehe Tellenbröker/Ebeling, DVBl 2012, S. 1545; für das Zollkriminalamt vgl. §§ 1, 3 Abs. 1 FVG. Ein repressives Tätigwerden der Strafverfolgungsbehörden auf Bundesebene kann durch parlamentarische Kontrolle der Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft, soweit diese gemäß §§ 146, 147 Nr. 1 GVG dem Weisungsrecht des Bundesjustizministers unterstellt ist, Beratungsgegenstand im Bundestag sein. 712
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
fern eine öffentliche Erörterung von spezifischen Einsätzen der Streitkräfte716 deren Erfolg verhindern würde, kann dies eine Geheimhaltungsbedürftigkeit begründen.717 Selbiges gilt für die Offenbarung von Einsatzplänen der Bundeswehr oder Informationen über Waffensysteme, aus denen die Wehrstrategie der Streitkräfte hervorgeht und deren Bekanntwerden abträglich für eine effektive Landesverteidigung wäre. Schließlich kann auch der Staatswohlaspekt außenpolitischer Vorgänge – obschon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit grundsätzlich dem Verantwortungsbereich der Exekutive zugeordnet718 – Gegenstand parlamentarischer Kontrolle und damit öffentlicher Erörterung sein.719 Geheimschutzinteressen können hier etwa bezüglich des Bekanntwerdens von Informationen, welche eine fremde Regierung nicht erfahren darf, etwa weil sie außenpolitische Handlungsspielräume des Bundesrepublik Deutschland negativ beeinflussen720 bzw. die Beziehungen zu anderen Staaten belasten würden,721 betroffen sein. Eine verfassungsrechtliche Kollisionslage im Verhältnis zum Gebot der Ausschussöffentlichkeit läge mithin in Bezug auf die skizzierten Staatswohlausprägungen vor.
716 Hierbei geht es vor allem um Einsätze des „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) der Bundeswehr. Siehe hierzu Axer, ZRP 2007, S. 82 ff. 717 Axer, ZRP 2007, S. 82 (83); Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267). 718 Der Regierung kommt diesbezüglich zudem weit bemessener Spielraum eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung zu. Siehe BVerfGE 137, 185 (235); 104, 151 (207); vgl. auch schon BVerfGE 1, 372 (394); 49, 89 (125); 68, 1 (87); 90, 286 (363); hierzu auch Calliess, in: Isensee/Kirchhof, HStR IV, § 83, Rn. 36 ff.; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59, Rn. 27 ff. 719 Siehe BVerfGE 137, 185 (235 f.); vgl. auch BVerfGE 68, 1 (89, 109); 90, 286 (364); 104, 151 (207) sowie Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Art. 59, Rn. 198 f. 720 So kann beispielsweise durch das Offenbaren von beabsichtigten Rüstungsexporten die Abschätzbarkeit der deutschen Außenpolitik für andere Länder erleichtert und damit Verhandlungs- und Gestaltungsspielräume verengt werden. Ebenso kann die Verteidigungsstrategie des importierenden Staates frühzeitig offenbart oder dieser durch das Bekanntwerden einer abschlägigen Entscheidung der Bundesregierung über die Exportgenehmigung brüskiert werden. Beides würde im Ergebnis das Verhältnis zum betreffenden Staat negativ beeinflussen. Siehe BVerfGE 137, 185 (251 ff.). 721 BVerfG, NJW 1966, 1227 (1231); hierauf Bezug nehmend Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1267). Als Beispiel für die Belastung im bilateralen Staatenverhältnis führen Münzing/Pilz, in: Der Deutsche Bundestag im Wandel, S. 63 (73, Fn. 15) eine Äußerung des damaligen Finanzminister Theo Waigel (CSU) in einer Sitzung des Finanzausschusses vom 20.09.1995 an, in welcher er seine Meinung kundtat, dass Italien keines der Länder sei, die von Beginn an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion teilnehmen könnten. Als diese vom Pressedienst des Bundestages öffentlich zitiert wurde, löste dies empörte Reaktion in der italienischen Politik und Öffentlichkeit aus und wirkte sich sogar negativ auf den Währungskurs der Lira. Vgl. auch „Theo Waigels Währungsunion-Absage an Italien löste heftige Reaktionen aus“, in: Süddeutsche Zeitung, 22. September 1995, S. 23.
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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(3) Individualrechtsgüter Schließlich können Parlamente auch in den geschützten Bereich privater Geheimnisse eingreifen, indem ihnen solche im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle zu Kenntnis gelangen und sie diese anschließend öffentlich erörtern.722 Ein Beispiel hierfür wäre etwa die Offenbarung der Identität von Personen, die im Zusammenhang mit verdeckten Ermittlungen der Sicherheitsbehörden stehen und im Falle der Enttarnung einer Gefahr für Leben und körperliche Unversehrtheit ausgesetzt wären. Informationen aus dem privaten Lebensbereich können z. B. denkbar im Zusammenhang mit einer Untersuchung des Handelns von Regierungsvertretern in Relation zu Privatpersonen Thema der Ausschussarbeit werden. Fernerhin können Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse – etwa im Kontext der Teilnahme von privaten Unternehmen an staatlichen Ausschreibungen oder einer Beteiligung der öffentlichen Hand an diesen – in den staatlichen Verfügungsbereich gelangen. bb) Geeignetheit Mit Blick auf die vorstehend skizzierte Kollisionslage zwischen der Ausschussöffentlichkeit im Rahmen von Selbstbefassungsangelegenheit und Staatswohlbelangen bzw. privaten Geheimnisschutzinteressen wäre eine Einschränkung der Öffentlichkeit auch geeignet, die negativen Auswirkungen auf die genannten Gegenrechte zu vermeiden. cc) Erforderlichkeit (1) Staatswohlinteressen Schließlich stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit einer grundlegenden Ausnahme von der Ausschussöffentlichkeit. Für Geheimhaltungsinteressen aus Gründen des Staatswohls ist die Erforderlichkeit dort zu bejahen, wo ganz regelmäßig geheimhaltungsbedürftige Inhalte Gegenstand der Ausschussberatungen sind. Dem Bundestag kommt bei der Entscheidung bezüglich des grundsätzlichen Geheimhaltungsbedürfnisses im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie ein weiter Ermessensspielraum zu.723 So dürfte nicht erforderlich sein, dass der Geheimnisschutz für ausnahmslos jeden Beratungsgegenstand eines Ausschusses zwingend erforderlich ist, um eine grundsätzliche Ausnahme vom Öffentlichkeitprinzip zu rechtfertigen. Es genügt insoweit eine generalisierende Einschätzung des Geschäftsordnungsgebers mit Blick auf die regelmäßige Betroffenheit eines Rechtsguts, dem ein entsprechendes verfassungsrechtliches Gewicht zukommt.724 722
Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (690); ders., ZRP 1987, S. 11 (14). BVerfGE 84, 304 (322); 80, 188 (220) 10, 4 (19); hierzu auch H.-P. Schneider, in: FS BVerfG, Bd. II, S. 627 (636). 724 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 30; vgl. auch BVerfGE 131, 230 (236). 723
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Jedenfalls bei Ausschüssen, in deren Geschäftsbereich eine Befassung mit einer Vielzahl von geheimhaltungsbedürftigen Themen fällt, liegt diese Einschätzung nahe. Hiervon sind in der Praxis vor allem die als „geschlossene Ausschüsse“ 725 tagenden Ausschüsse, namentlich der Verteidigungsausschuss, der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten sowie der Innenausschuss, soweit er sich mit Fragestellungen der inneren Sicherheit befasst,726 betroffen. Insoweit wäre ein genereller Ausschluss der Öffentlichkeit mit Blick auf Selbstbefassungsangelegenheiten erforderlich. (2) Individualrechtsgüter Hinsichtlich der Erforderlichkeit eines generellen Ausschlusses der Öffentlichkeit aufgrund privater Geheimnisschutzinteressen ist im Gegensatz zu staatlichen Geheimnissen ein allgemeines Geheimhaltungsbedürfnis im Rahmen der analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG öffentlichen Selbstbefassungsangelegenheiten nicht ersichtlich. Ein Thematisieren von Privatgeheimnissen anlässlich der parlamentarischen Regierungskontrolle dürfte eher der absolute Ausnahmefall als die Regel sein. Mithin wäre ein punktueller Öffentlichkeitsausschluss im Rahmen von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG (analog) 727 jedenfalls gleich wirksam. Eine generelle Ausnahme von Anwendungsbereich ist vor diesem Hintergrund nicht erforderlich. dd) Angemessenheit Folglich kommt eine allgemeine Ausnahme allein aus Staatswohlinteressen in Frage. Im Rahmen der Abwägung mit der Ausschussöffentlichkeit kann aufgrund der Vielgestaltigkeit der unter dem Topos des Staatswohls zusammengefassten Aspekte nur eine grobe Orientierung an die Hand gegeben werden. Vorab ist festzuhalten, dass jedenfalls im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit des Staates Art. 45a Abs. 3 GG auf eine vom verfassungsändernden Gesetzgeber intendierte Vorrangbestimmung zugunsten staatlicher Geheimhaltungsinteressen gegenüber parlamentarischer Publizität hindeutet. Hiernach kommen dem Verteidigungsausschuss zwar die Rechte eines Untersuchungsausschusses zu. Gleichwohl findet das Gebot öffentlicher Beweiserhebung gemäß Art. 44 Abs. 1 GG auf den Verteidigungsausschuss, infolge der klassischerweise dort behandelten sicherheitsrelevanten Themen, keine Anwendung.728 Dieses Ergebnis bestätigen auch die weiteren Abwägungsaspekte. 725 Bei diesen wird von der Möglichkeit, nach § 69 Abs. 2 S. 1 a. E. GO-BT das Zutrittsrecht für einzelne Ausschüsse auf die ordentlichen Mitglieder und deren namentlich benannte Stellvertreter zu beschränken, Gebrauch gemacht. Siehe hierzu noch Kap. 5. A. II. 1. a). 726 Für die 19. Wahlperiode siehe BT-Drs. 19/437, S. 2. 727 Siehe zum punktuellen Ausschluss der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG noch ausführlich Kap. 4 C. 728 So Linck, DÖV, 1992, S. 673 (692).
B. Ausschussöffentlichkeit nach Maßgabe von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG
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(1) Abstrakte Wertigkeit Ein Vergleich der abstrakten Wertigkeit der Rechtpositionen gibt diesbezüglich zwar kaum Aufschlüsse. Dem hohen Wertgehalt der Parlamentsöffentlichkeit stehen mit den Teilaspekten des Staatswohls gleichermaßen gewichtige Rechtsgüter gegenüber, zumal hierunter bereits per definitionem nur Aspekte zu subsumieren sind, an deren Geheimhaltung ein gewichtiges Interesse besteht. Dies zeigt sich sehr deutlich an den Rechtsgehalten des Schutzes der inneren und äußeren Sicherheit des Staates, welche nach herrschender Meinung auf staatlichen Schutzpflichten hinsichtlich des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie hinsichtlich des Grundrechts auf Eigentum (Art. 14 GG) beruhen.729 Die genannten Grundrechte sind dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers zwar nicht gänzlich entzogen, da Art. 79 Abs. 3 GG lediglich die Grundsätze der Art. 1 und 20 GG der Ewigkeitsgarantie unterstellt.730 Allerdings wird das Recht auf Leben – und dies gilt in ähnlicher Weise für das Recht auf körperliche Unversehrtheit731 – zumindest in die Nähe der Menschenwürdegarantie gestellt.732 So handelt es sich um einen „Höchstwert“ 733 innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung, welcher „die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte“ 734 ist. Für die Herleitung von grundrechtlichen Schutzpflichten hinsichtlich des Lebens wird daher neben Art. 2 Abs. 2 S. 1 auch auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG abgestellt.735 Auch hinsichtlich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit wird ein besonders großer „Menschenwürdekern“ 736 angenommen.737
729 Calliess, ZRP 2002, S. 1 (6); V. Götz, in: Isensee/Kirchhof, HStR IV, § 85, Rn. 24; vgl. auch BVerfGE 115, 320 (346 f.); 120, 274 (319). 730 Dietlein, in: Epping/Hillgruber, Art. 79, Rn. 30; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 79, Rn. 123; so auch BVerfGE 109, 279 (310). 731 So ausdrücklich BVerfG NJW 1999, S. 3399 (3401). 732 Hierzu eingehend Kloepfer, in: FS BVerfG, Bd. II, S. 77 (78 ff.). Der Lebensschutz ist allerdings mit der Menschenwürde keinesfalls deckungsgleich, da die Menschenwürde nicht durch jeden Eingriff in das Lebensrecht tangiert ist, sondern dieses vielmehr nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG einem Gesetzesvorbehalt untersteht, während die Menschenwürde absolut geschützt wird, vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 14 ff. 733 BVerfGE 45, 187 (254 f.); 49, 24 (53); siehe auch BVerfGE 18, 112 (117). 734 BVerfGE 39, 1 (42); 88, 203 (251 ff.); 115, 118 (152); die Bedeutung von Leben und körperlicher Integrität als Grundvoraussetzung der Ausübung der übrigen Freiheitsrechte betonend Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2, Rn. 7. 735 So etwa BVerfGE 45, 187 (254 f.); 46, 160 (164); 88, 203 (251). 736 Zurückgehend auf Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (121); aufgegriffen durch das Bundesverfassungsgericht, welches etwa von einem „unantastbaren Kern“ der Grundrechte spricht, der selbst durch den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden kann, so BVerfGE 109, 279 (309). 737 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 26 unter Verweis auf BVerfGE 45, 187 (223).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
(2) Konkrete Wertigkeit Bei der konkreten Gewichtung der Staatswohlinteressen kommt es im Einzelfall darauf an, in welchem Maße staatliche Interessen des Bundes oder eines Landes durch die unbefugte Kenntnisnahme von einer Information gefährdet oder beeinträchtigt werden.738 Die Intensität der drohenden Beeinträchtigung staatlicher Sicherheit richtet sich dabei zum einen nach der Schwere und Gemeinschädlichkeit der Gefahren, deren Verhütung sich die jeweiligen Behörden verschrieben haben.739 Zum anderen ist das Maß der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit durch die öffentliche Erörterung eines Geheimnisses sowohl mit Blick auf den Einzelfall wie auch über diesen hinaus, hinsichtlich der zukünftigen Aufgabenwahrnehmung zu beachten.740 Durch ein Bekanntwerden von Staatsgeheimnissen wird das Staatswohl in der Regel schwere und anhaltende Schäden nehmen. Nicht nur die konkret hiervon betroffenen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden werden zumeist nutzlos werden, sondern auch die künftige Funktionsfähigkeit der staatlichen Organe wird durch das Offenbaren von Interna über den Einzelfall hinaus empfindlich beeinträchtigt. Gerade im Bereich der äußeren und inneren Sicherheit entfalten diese Beeinträchtigungen wegen der letztlich hinter den Verfassungsgehalten stehenden Grundrechtsverbürgung für eine Vielzahl von Personen eine erhebliche Breitenwirkung. Ähnliches gilt auch hinsichtlich der Wehr- und Verteidigungsfähigkeit sowie auswärtiger Belange, die den gesamten Staat und damit letztlich auch das dahinterstehende Staatsvolk in Gänze betreffen. Insofern kommt dem staatlichen Geheimhaltungsinteresse regelmäßig ein erhebliches Gewicht zu, welches besonders intensiv durch die Öffentlichkeit beeinträchtigt würde. Dem steht eine zwar vollständige, jedoch nur auf einen Teilbereich der parlamentarischen Arbeit begrenzte Beschränkung der Öffentlichkeit gegenüber, sodass die Parlamentsöffentlichkeit insgesamt nur moderat betroffen wäre.
738 Aufschluss hierüber geben nach Wolff, JZ 2010, S. 173 (177) z. B. die Aspekte, inwieweit eine Information an bereits Bekanntes anknüpft, ob der Geheimnisträger selbst (partiell) an die Öffentlichkeit getreten ist oder auch, wie groß die Zahl der bisherigen Geheimnisträger ist. Ebenso stellt das Bestehen staatlicher Schutzpflichten (etwa für die körperliche Unversehrtheit von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden oder Vertrauensleuten) ein Indiz für ein stärkeres Geheimhaltungsinteresse dar. 739 In der Regel kommt hier den Ausschlussgründen bereits deshalb ein bedeutendes Gewicht zu, weil die Anwendung von einer Geheimhaltung erfordernden verdeckten Ermittlungsmethoden zumeist nur in äußerst gefahrenrelevanten Bereichen zulässig ist, die sich „durch ein besonderes Maß an Konspiration, Gemeinschädlichkeit und Gewaltbereitschaft auszeichnen“ (BT-Drs. 18/7591 S. 2). 740 Auch spielt die zeitliche Dimension für die Gewichtung eine Rolle, da mit fortschreitender Distanz zum Ereignis das Geheimhaltungsinteresse regelmäßig an Bedeutung verliert, was dazu führen kann, dass das ursprüngliche Abwägungsergebnis zu einem späteren Zeitpunkt zu revidieren ist, vgl. auch BVerfGE 124, 161 (194).
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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(3) Abwägung Infolgedessen überwiegen die genannten Staatswohlbelange mit Blick auf die überragende Bedeutung sicherheitsbezogener Geheimhaltungsinteressen den Öffentlichkeitsgrundsatz regelmäßig. Eine generelle Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit kann mithin grundsätzlich hierauf gestützt werden. Für dieses Ergebnis streitet letztlich auch der verfassungsrechtliche Gedanke der Organtreue,741 wonach Verfassungsorgane auf Rechte und Pflichten anderer Verfassungsorgane im Sinne eines gedeihlichen und geordneten Zusammenwirkens Rücksicht zu nehmen haben.742 Eine öffentliche Erörterung von Interna der Sicherheitsbehörden als Teil der Exekutive, die deren Funktionsfähigkeit dauerhaft beschädigt, wäre mit dieser Prämisse nicht in Einklang zu bringen.743 3. Zusammenfassende Bemerkungen Resümierend bleibt festzuhalten, dass eine generelle Ausnahmeregelung vom Verfassungsgebot der Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG hinsichtlich der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit verfassungsrechtlich nicht statthaft wäre. Für die Kontrolltätigkeit im Rahmen des Selbstbefassungsrechts gilt dagegen, dass eine allgemeine Einschränkung aufgrund kollidierender Staatwohlinteressen zulässig ist. Hiervon sind in der Parlamentspraxis des Bundestages insbesondere die regelmäßig mit sicherheitsrelevanten Belangen befassten geschlossenen Ausschüsse, namentlich der Auswertige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss sowie der Innenausschuss (in Angelegenheiten der inneren Sicherheit) umfasst.
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz Nachdem im Laufe der bisherigen Untersuchung herausgearbeitet wurde, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG z. T. auf Ausschusssitzungen analog anzuwenden ist, bleibt die Frage offen, ob auch für die sonstige Ausschussarbeit – außerhalb von plenarersetzender Beschlussfassung und Selbstbefassungsangelegenheiten – verfassungsrechtliche Öffentlichkeitsvorgaben existieren. Solche könnten sich unter Umständen aus einer direkten Anwendung des oben aus dem grundgesetzlichen Menschenbild, den Staatsstrukturprinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats sowie dem objektiven Wertgehalt der Kommunikationsgrundrechte hergeleite741 Siehe hierzu insbesondere Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, S. 26 ff., 37 ff., 48 ff., 53 ff.; ferner auch K. Stern, Das Staatsrecht I, S. 134 f. 742 Siehe hierzu etwa BVerfGE 35, 193 (199); 45, 1 (39); 89, 155 (191); 90, 286 (337); 97, 350 (347); 119, 96 (125) sowie grundlegend auch Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, S. 20 ff. 743 Bbg. VerfG, NVwZ-RR 2003, S. 798 (799).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
ten744 allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes ergeben.745 Dieser Verfassungsgrundsatz lenkt insoweit nicht allein die Auslegung von Art. 42 Abs. 1 GG, sondern erhebt darüber hinaus einen „unmittelbaren Geltungsanspruch“ 746, sodass er ggf. selbst Rechtsfolgen zeitigen kann. Wegen ihrer besonderen Weite und Unbestimmtheit stellt die unmittelbare Anwendung von Verfassungsgrundsätzen jedoch die Ausnahme dar. Ihnen kommt insofern nur eine „Reservefunktion“ neben Verfassungseinzelnormen zu, die konkrete Ausprägungen der entsprechenden Grundsätze darstellen.747 Im Speziellen ist im Rahmen der Anwendung eines Verfassungsgrundsatzes dessen methodengerechte Konkretisierung zu einer spezifischen Rechtsregel erforderlich.748 In der Literatur wird der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz z. T. – ohne eingehende dogmatische Begründung – hinsichtlich Ausschüssen zur Anwendung gebracht.749 Partiell wird darauf verwiesen, dass diese Verfahrensstufe parlamentarischer Tätigkeit als wesentlich für die demokratische Willensbildung einzustufen sei, sodass Ausschüsse dem Grunde nach vom allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz umfasst seien.750 Von Vertretern dieser Ansicht wird allerdings konzediert, dass eine generelle Einschränkung der auf dieser Basis begründeten Ausschussöffentlichkeit aus Gründen parlamentarischer Arbeits- und Funktionsfähigkeit gerechtfertigt sein könne.751 Eine solche Bezugnahme auf den allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz als Grundlage der Herleitung konkreter Rechtsregeln in Bezug auf Ausschüsse bedarf jedoch zunächst einer kritischen Überprüfung hinsichtlich der Begründungsvoraussetzungen für die direkte Anwendung und Konkretisierung von Verfas-
744
Siehe dazu bereits Kap. 3 A. Vgl. Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (697 ff.); Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 116; Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 141 ff.; weniger weitgehend Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 11, der nur dann einen Verstoß gegen Art. 20 GG als gegeben ansieht, „wenn die Nichtöffentlichkeit [von Ausschusssitzungen, Anmerkung durch den Verfasser] dazu missbraucht wird, die Parlamentsarbeit der öffentlichen Kontrolle zu entziehen“. In diesem Sinne auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 24. 746 Vgl. Göldner, Verfassungsprinzipien, 1969, S. 182; Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 315 f.; siehe auch auch H. Maurer, Staatsrecht I, S. 165. 747 Zu den Funktionen von Verfassungsprinzipien siehe Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 310 ff.; ders., Juristische Methodenlehre, S. 234 f. 748 Siehe hierzu Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 474 ff.; ders., Juristische Methodenlehre, S. 239 f. 749 So insbesondere Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (679 ff.); Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 116; Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 141 ff. 750 In diese Richtung argumentiert etwa Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 11. 751 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (679 ff.); Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 119 ff. 745
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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sungsgrundsätzen.752 Zu klären sind dabei die Anforderungen an die Anwendbarkeit (I.) sowie die Konkretisierung (II.) des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes.
I. Anwendbarkeit des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes auf Parlamentsausschüsse Zunächst müsste der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz als Subprinzip übergeordneter Verfassungsprinzipien überhaupt zu einer Entscheidung in Bezug auf die Ausschussöffentlichkeit herangezogen werden dürfen. Die unmittelbare Anwendung von Verfassungsprinzipien und hieraus abgeleiteten Subprinzipien zur Begründung von Rechtsfolgen ist vor dem Hintergrund ihrer Weite und Rechtsfolgenoffenheit,753 die in der Regel die Notwendigkeit einer Konkretisierung durch Einzelverfassungsnormen oder Normen des Unterverfassungsrechts bedingt, begründungsbedürftig.754 Der Rechtsanwender muss somit dezidiert darlegen, dass keine konkretisierende Verfassungseinzelnorm einschlägig ist, die Anwendungsvorrang vor dem Prinzip genießt (1.), sich der Regelungsanspruch der Verfassung auch auf den in Rede stehenden Sachverhalt bezieht (2.) sowie diesem Regelungsanspruch nicht durch analoge Anwendung einer positiven Rechtsvorschrift Rechnung getragen werden kann (3.).755 1. Kein Anwendungsvorrang speziellerer Vorschriften Zunächst dürfen die Wertungen, die der Verfassungsgeber in prinzipienkonkretisierenden Einzelnormen getroffen hat, nicht durch einen Rückgriff des Rechtsanwenders auf allgemeine Verfassungsprinzipien und -grundsätze überspielt werden. Hiernach besteht im Falle eines abstrakten Konkurrenzverhältnisses zwischen Verfassungsprinzip bzw. -grundsatz und einer diese konkretisierenden positiven Verfassungsvorschrift grundsätzlich ein Anwendungsvorrang zugunsten der Letztgenannten.756 Vorliegend kommt als den Öffentlichkeitsgrundsatz im parlamentarischen Bereich konkretisierende Vorschrift insbesondere die Verfassungseinzelnorm in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG in Frage. Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ist allerdings – wie gesehen – grundsätzlich nicht auf Ausschüsse anwendbar, so-
752 Zu den Schritten der Anwendung und Konkretisierung eines Verfassungsprinzips siehe ausführlich Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 439 ff.; siehe auch ders., Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 517 ff. 753 Vgl. hierzu Lerche, AöR 90 (1965), S. 341; mit Bezug auf das Öffentlichkeitsgebot siehe Pieroth, JuS 1981, S. 625 (627 f.). 754 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 315 ff., 457. 755 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 518; ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 457. 756 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 518; ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 445 f., 453; vgl. auch Beaucamp, DÖV 2013, S. 41 (45).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
dass diesbezüglich keine Konkurrenzsituation vorliegt, die einen Anwendungsvorrang begründen würde.757 2. Regelungsvakuum und Regelungsanspruch der Verfassung Ferner müsste für die direkte Anwendbarkeit von Verfassungsprinzipien bzw. -grundsätzen ein ausfüllungsbedürftiges Regelungsvakuum vorliegen. Ein solches setzt voraus, dass die tatsächliche grundgesetzliche Regelungslage der berechtigten Erwartung des Verfassungsinterpreten nicht gerecht wird.758 Dies erfordert zunächst, dass keine Norm eine Antwort auf die Rechtsfolgenfrage in der in Rede stehenden Konstellation gibt. Eine solche Regelung kann sich auch negativ im Wege eines argumentum e contratio dergestalt ergeben, dass ein bestimmter Sachverhalt, gerade deshalb nicht dem Tatbestand einer konkretisierenden Norm unterfällt, weil er nach einer bewussten Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers nicht an deren Rechtsfolge teilhaben soll.759 Im Hinblick auf Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ist dies jedoch nicht ersichtlich. Die Norm bezieht sich – wie gesehen – allein auf die Plenarverhandlung des Bundestages und will zu dessen Ausschüssen überhaupt keine – auch nicht eine negative – Aussage treffen. Ein Umkehrschluss, wonach Ausschüsse zwingend nichtöffentlich zu verhandeln haben, wäre sowohl methodologisch mit Blick auf den restriktiven Regelungsanspruch der Verfassung als auch inhaltlich angesichts des Telos von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG widersinnig. Letzterer zielt gerade auf die Kommunikation parlamentarischer Abläufe gegenüber der gesellschaftlichen Öffentlichkeit ab und würde in sein Gegenteil verkehrt werden, wenn ihm eine konkrete Pflicht zur Nichtöffentlichkeit hiervon nicht erfasster parlamentarischer Betätigungsfelder beigelegt werden würde. Diesem Regelungsvakuum müsste ferner die berechtigte Erwartung hinsichtlich der Regelung der Frage der Ausschussöffentlichkeit durch das Grundgesetz gegenüberstehen. Eine solche setzt voraus, dass der Verfassungsgeber diesbezüglich überhaupt eine Entscheidung treffen wollte.760 Das Grundgesetz beabsichtigt als Rahmenrechtsordnung mitnichten zu jeder tatsächlichen Frage verfassungsrechtlich Stellung zu beziehen. Vielmehr gibt es Bereiche, in denen es keinen Regelungsanspruch erhebt.761 Diese Grenzen sind vom Rechtsanwender zu re757 Dasselbe gilt für Art. 44 Abs. 1 und Art. 45a Abs. 3 GG, welche wiederum allein auf die Sonderkonstellation von Untersuchungsausschüssen beschränkt sind. 758 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 447; vgl. auch ders., Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 518. 759 Hoffmann, in: FS Wolf, S. 183 (200); Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 447. 760 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 448. Vgl. zur ähnlich gelagerten Konstellation der Feststellung der Planwidrigkeit von Regelungslücken Canaris, Feststellung von Lücken, 2. Aufl. 1983, S. 32 f. 761 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 448; a. A. wohl Hoffmann, in: FS Wolf, S. 183 (189).
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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spektieren und nicht durch extensive Prinzipienauslegung aufzuweichen. Insofern trifft den Rechtsanwender die Begründungslast.762 Bei der Bestimmung des Regelungsanspruchs kann zum einen der Blick auf die im konkreten Fall thematisch benachbarten Verfassungsnormen Aufschlüsse geben. Ferner ist ein Regelungsanspruch umso eher zu bejahen, „je stärker Staatswillensbildung, Staatsstruktur, Staatshandeln, Bürgerfreiheiten oder ähnliche im sicheren Regelungsfeld des Grundgesetzes liegende Bereiche von der konkreten Frage betroffen sind“.763
Für die Erstreckung des Regelungsanspruchs der Verfassung auf die Öffentlichkeit parlamentarischer Ausschüsse spricht, dass der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz dem Grunde nach jegliche Staatstätigkeit und damit auch das Handeln der Ausschüsse als Organe des Bundestages umfasst. Dies wird gestützt von der Erwägung, dass die Ausschussphase in der Praxis von erheblicher Bedeutung für den Staatswillensbildungsprozess und damit für die Vorzeichnung des späteren Staatshandelns ist.764 Spiegelbildlich dazu kommt der tatsächlichen Möglichkeit der Anschauung und des Nachvollzugs der Ausschussverhandlung eine Relevanz für die demokratische Willensbildung der Staatsbürger zu. Die Aspekte der Nachvollziehbarkeit der Staatswillensbildung sowie der Gewährleistung eines freien Meinungs- und Willensbildungsprozesses weisen ein besonderes verfassungsrechtliches Gewicht auf und sind daher typischerweise vom Regelungsanspruch des Grundgesetzes umfasst. Die herausgehobene Bedeutung der Öffentlichkeit als parlamentarischer Verfahrensmaxime lässt sich auch an den einfachverfassungsrechtlichen Ausprägungen des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes in Art. 42 Abs. 1 und 3, Art. 44 Abs. 1 S. 1 und Art. 45a Abs. 3 GG ablesen. Diese statuieren zwar keine grundsätzliche Pflicht zur Ausschussöffentlichkeit. Aus dieser Tatsache kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Verfassung auch im Übrigen zur Öffentlichkeit von Ausschüssen keine Regelung – etwa im Rahmen allgemeiner Verfassungsgrundsätze – treffen will. Insbesondere ist den konkretisierenden Vorschriften in keiner Weise zu entnehmen, dass sie außerhalb ihres Anwendungsbereichs Sperrwirkung entfalten.765 Sie zielen vielmehr als spezielle Ausprägungen des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes ihrem Normzweck nach 762 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 448 f.; siehe zur Achtung des zurückgenommenen Regelungsanspruchs der Verfassung auch Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber, 1985, S. 141. 763 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 449. 764 BVerfGE 80, 188 (221): „Wie es parlamentarischer Tradition in Deutschland entspricht, wird im Bundestag ein wesentlicher Teil der anfallenden Arbeit außerhalb des Plenums, vor allem in den Ausschüssen, geleistet. Die Ausschüsse bereiten Verhandlungen und Beschlüsse des Plenums vor (§ 54 Abs. 1 Satz 1 GO-BT), arbeiten also stets auf die endgültige Beschlussfassung durch das Plenum hin und nehmen damit zugleich einen Teil des Entscheidungsprozesses entlastend vorweg.“ 765 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (697).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
auf die Gewährleistung eines freien und offenen Willensbildungsprozesses der Bürger. Dieser Zweck würde jedoch durch weitere Öffentlichkeitspflichten in Bezug auf Ausschüsse gleichermaßen gefördert. Nach alledem liegen in Bezug auf die Frage der grundsätzlichen Öffentlichkeit von Ausschüssen ein Regelungsvakuum sowie ein korrespondierender Regelungsanspruch der Verfassung von. 3. Keine Analogie Vor der Etablierung konkreter Rechtsregeln im Wege der Konkretisierung ist schließlich zu prüfen, ob das skizzierte Regelungsvakuum durch eine (rechtssicherere) Analogie von bestehenden Vorschriften gefüllt werden kann.766 Es ist bereits ausgeführt worden, dass der hierfür einzig in Frage kommende Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG abgesehen von plenarersetzender oder selbstverantwortlicher Ausschusstätigkeit nicht analog auf Ausschüsse anwendbar ist,767 sodass der Weg für eine Prinzipienkonkretisierung frei ist.
II. Konkretisierung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes in Bezug auf Parlamentsausschüsse Im Rahmen der Herleitung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes staatlichen Handelns wurde bereits herausgearbeitet, dass dieser ein Subprinzip des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips, des verfassungsrechtlichen Menschenbildes sowie der grundrechtlichen Kommunikationsverfassung darstellt. Hierauf aufbauend ist zu eruieren, ob sich der Öffentlichkeitsgrundsatz dahingehend weiter konkretisiert lässt, dass ihm ein Rechtsgebot der Öffentlichkeit von Bundestagsausschüssen entnommen werden kann. Bei der Konkretisierung ist besondere Vorsicht geboten, nicht der Versuchung zu erliegen, die Verfassung zu überfrachten und ihr verfassungspolitische Bedeutungsgehalte beizulegen, die keine Verankerung im positiven Recht finden.768 Vielmehr hat sich der Rechtanwender so eng wie möglich am vorhandenen Regelungsbestand zu orientieren.769 Dogmatisch sind hierbei zwei Argumentationsschritte auseinanderzuhalten. 770 Zunächst müsste sich das allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz zu einer konkreten Rechts-
766 Zum Vorrang der Analogie konkreter Regelungen Hoffmann, FS Wolf, S. 183 (198); vgl. auch Canaris, Feststellung von Lücken, 2. Aufl. 1983, S. 146, Fn. 9; Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 450 f. 767 Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. II. 1. f). 768 Reimer, Verfassungsprinzipien, 2001, S. 470 ff.; ders., Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 518 f. 769 Hoffmann, in: FS Wolf, S. 183 (198); Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 520. 770 Siehe hierzu Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 22 f.
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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regel verdichten lassen (1.). Sodann ist die Möglichkeit einer partiellen Abweichung hiervon durch verfassungsrechtliche Gegengründe zu prüfen (2.). 1. Ausschussöffentlichkeit als Rechtsregel Aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz lassen sich konkrete Rechtsregeln der Öffentlichkeit staatlicher Organe in Abhängigkeit vom jeweiligen Funktionsträger in unterschiedlichem Maße herleiten. Es kommt insofern entscheidend darauf an, inwieweit die Funktionswahrnehmung des jeweiligen Organs bzw. Unterorgans – in Ansehung der Zweckbestimmung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes – der Öffentlichkeit bedarf.771 Anders gewendet ist die Öffentlichkeit staatlichen Handelns kein Selbstzweck, sondern vor dem Hintergrund der dem Subprinzip der Öffentlichkeit übergeordneten Verfassungsprinzipien zu verstehen, welche dessen Teleologie prägen. Speziell mit Blick auf die demokratische Verwurzelung kommt Bernd Grzeszick zu der Maßgabe, dass die Konkretisierung zu einem Rechtsgebot davon abhänge, „wie wichtig die jeweilige staatliche Tätigkeit aus der Sicht einer demokratischen Willensbildung ist. Soweit diese Tätigkeit ein politisch-diskursives Verfahren voraussetzt oder wesentliche Belange der Allgemeinheit betrifft, spricht dies für eine Konkretisierung und normative Verdichtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zu einer Rechtsregel. Ist die staatliche Tätigkeit hingegen inhaltlich weitestgehend rechtlich determiniert oder berührt sie nur die Rechts- und Interessensphäre weniger Bürger, spricht dies gegen eine solche Konkretisierung des Öffentlichkeitsgrundsatzes“.772
Dieser im Demokratieprinzip verankerte Gedanke lässt sich durch die rechtsstaatliche Komponente der Öffentlichkeit jedenfalls ergänzen. Demnach wäre umso eher von einer Rechtsregel auszugehen, je bedeutsamer die jeweilige Tätigkeit vor dem Hintergrund der Mäßigung und Transparentmachung staatlicher Machtbefugnisse zum Zwecke der Verwirklichung einer persönlichen Freiheitssphäre der Bürger wäre. Somit wäre insbesondere bei staatlichem Handeln, das sich verstärkt auf den gesellschaftlichen Lebensbereich auswirkt, eine rechtsstaatliche Nachvollziehbarkeit gefragt. Die Bedeutung einer staatlichen Tätigkeit für die demokratische Willensbildung und die rechtstaatliche Nachvollziehbarkeit staatlicher Herrschaft hängt dabei im Wesentlichen von zwei Faktoren hab. Einerseits kommt es auf die Bedeutung des konkret behandelten Beratungsgegenstandes in Bezug auf die politische Willensbildung bzw. das Nachvollziehen staatlichen Handelns jeweils durch das gesellschaftliche Publikum an. Andererseits ist die funktionale Geeignetheit und Bestimmtheit des jeweiligen Gremiums für die Vermittlung staatlichen Handelns gegenüber der gesellschaftlichen Öffentlichkeit im Gesamtkontext staatlicher Entscheidungsprozesse maßgeblich. 771 772
Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 21. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 22.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Augenscheinlich ist zunächst, dass die Relevanz eines staatlichen Verfahrens für die gesellschaftliche Anschauung nicht starr und völlig losgelöst von der inhaltlichen Bedeutung des jeweiligen Beratungsgegenstandes für die Lebenswirklichkeit der Bürger bewertet werden kann.773 Eingedenk der Vielschichtigkeit des parlamentarischen Aufgabenbereichs und der damit einhergehenden Unterschiedlichkeit der zu behandelnden Themen ist vielmehr ein differenzierter Maßstab für die Ermittlung des erforderlichen Maßes der Öffentlichkeit anzulegen. So erscheint es evident, dass etwa der Beratung eines umfangreichen Gesetzgebungsvorhabens, welches mit erheblichen finanziellen Belastungen der Bürger einhergeht und sich nachhaltig auf die Lebensumstände einer Vielzahl von Menschen auswirkt, eine andere Bedeutung im Rahmen der demokratisch-rechtsstaatlich gebotenen Öffentlichkeit zukommt als z. B. der Beantwortung einer allein für ein spezifisches Sonderinteresse relevanten Frage durch die Regierung. Fraglich ist, nach welchem Maßstab die Bedeutsamkeit des Beratungsgegenstandes bemessen werden kann. Vor dem Hintergrund der Verortung der Parlamentsöffentlichkeit im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip erscheint es sachgerecht, als Orientierungspunkt für die Konkretisierung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes die verfassungsgerichtliche Wesentlichkeitsrechtsprechung heranzuziehen, welche ihrerseits Ausdruck einer demokratischen Aufladung des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehaltsbegriffs hin zu einem demokratischen Parlamentsvorbehalt ist.774 Diese Judikatur geht davon aus, dass der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber verpflichtet sei, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen.775 Das Kriterium der Wesentlichkeit bestimmt dabei jedoch nicht allein die Frage nach dem „Ob“ einer Regelung durch Parlamentsgesetz, sondern ist zugleich maßgeblich für die erforderliche Regelungsdichte, welche mit zunehmender Wesentlichkeit proportional zunimmt.776 Ferner wird die Wesentlichkeit als Maßstab für die gebotene Bestimmtheit der Normen selbst herangezogen.777 773 Vgl. auch BVerfG, NVwZ 2018, S. 1703 (1711) m.w. N.: „Wann und inwieweit es einer Regelung durch den Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes bestimmen.“ 774 Zur gemeinsamen rechtsstaatlich-demokratischen Verwurzelung des Gesetzesvorbehalts im Kontext der Wesentlichkeitsrechtsprechung sowie zur begrifflichen Einordnung siehe grundlegend Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101, Rn. 41 ff. 775 Ständige Rechtsprechung siehe etwa BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (249); 49, 89 (126); 83, 130 (142, 152); 95, 267 (307); 98, 218 (251); 139, 19 (45 f.). 776 Siehe hierzu BVerfG NVwZ 2018, S. 1703 (1711); Brenner, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 80, Rn. 37; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VI, Rn. 106; vgl. auch BVerfGE 34, 165 (192); 49, 89 (129); 57, 295 (327); 83, 130 (142); 101, 1 (34); 139, 19 (47). 777 So explizit BVerfG NVwZ 2018, S. 1703 (1711); vgl. auch BVerfGE 49, 89 ff. (127); 58, 257 ff. (278); 83, 130 ff. (142 ff.); 86, 288 ff. (311); sowie Grzeszick, in:
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Ein Konnex zwischen dem Erfordernis der gesellschaftlichen Willensbildung bzw. Nachvollziehbarkeit des Staatshandelns und dem Gedanken der Wesentlichkeit staatlicher Machtentäußerungen klingt dabei in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Parlamentsvorbehalt deutlich an: „Wenn das Grundgesetz die Einschränkung von grundrechtlichen Freiheiten und den Ausgleich zwischen kollidierenden Grundrechten dem Parlament vorbehält, so will es damit sichern, daß Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären“.778
Wenn somit einerseits die umso dichtere Durchdringung einer Materie durch parlamentarische Entscheidungen geboten ist, je wesentlicher der Beratungsgegenstand ist, und andererseits die (öffentliche) Behandlung im Parlament der Nachvollziehbarkeit im Interesse der gesellschaftlichen Willensbildung zu dienen bestimmt ist, so liegt es im Umkehrschluss nahe, die Bedeutung eines Beratungsgegenstandes für ebendiese Willensbildung zugleich am Kriterium der Wesentlichkeit festzumachen. Je größer die Relevanz und Tragweite eines Beratungsgegenstandes im Sinne des vorstehenden Wesentlichkeitskriteriums, desto erheblicher wird regelmäßig dessen Kenntnisnahme für die demokratische Willensbildung bzw. die rechtsstaatlich gebotene Nachvollziehbarkeit des Staatshandelns sein. Umgekehrt ist entsprechend hinsichtlich Entscheidungen, die sich nicht als wesentlich in diesem Sinne darstellen, auch nicht erforderlich, dass diese aus einem parlamentarischen Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden. Für die konkrete Bestimmung der Wesentlichkeit einer Angelegenheit kann dabei auf einen ganzen Strauß verschiedener, von der Rechtsprechung entwickelter Kriterien (kumulativ) zurückgegriffen werden.779 So streiten neben der spezifischen Grundrechtsrelevanz780 u. a. auch eine große Anzahl von Adressaten die Langfristigkeit einer Maßnahme, erhebliche finanzielle Folgen, manifeste Auswirkungen auf das Staatsgefüge, die Konkretisierung offener verfassungsrechtliMaunz/Dürig, Art. 20 VII, Rn. 60; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 135. 778 BVerfGE 85, 386 (403 f.), vgl. hierzu auch BVerfGE 95, 267 (307 f.); 130, 318 (344); 131, 152 (204). 779 Siehe hierzu grundliegend Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VI, Rn. 107 sowie ferner die Ausführungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zu den „Kriterien der Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts“, WD 3 – 3000 – 152/19, S. 3 f., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/655254/1764b 49aa3c85458a840652cf134e031/WD-3-152-19-pdf-data.pdf (08.12.2019). 780 Hinsichtlich der Grundrechtsrelevanz führt BVerfG NvWZ 2018, S. 1703 (1711) näher aus: „Eine Pflicht des Gesetzgebers, die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst zu bestimmen, kann insbesondere dann bestehen, wenn miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinandertreffen, deren Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind.“
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cher Bestimmungen und tendenziell auch die politische Bedeutung einer Frage für die Wesentlichkeit eines Gegenstands. Dagegen sprechen eine geringe oder fehlende Betroffenheit grundrechtlicher Freiheiten sowie die Vielgestaltigkeit, Unübersichtlichkeit und Volatilität einer Materie eher gegen deren Wesentlichkeit.781 Der zweite Aspekt für die Bestimmung der Öffentlichkeitsrelevanz eines staatlichen Handelns ist dessen demokratisch-rechtsstaatliche Bedeutung vor dem Hintergrund der tatsächlichen Funktion im staatlichen Entscheidungsprozess. Je stärker die Tätigkeit eines Organs auf ein politisch-diskursives Verfahren sowie auf die Vermittlung von Inhalten gegenüber dem Bürger angelegt ist, desto größeres Gewicht kommt auch der Anschauungsmöglichkeit diesbezüglich für die Willensbildung und das Nachvollziehen durch die Bürger zu. Hierbei ist die relevante Tätigkeit nicht isoliert, sondern im Rahmen des Gesamtkontextes staatlicher Entscheidungsfindung zu bewerten. Umgekehrt bedarf ein Organ nur in geringerem Maße der Öffentlichkeit, wenn dessen Tätigkeit im Wesentlichen rechtlich determiniert anstatt politisch gestaltungsoffen ist und das betroffene Gremium nach seinem Arbeitsziel und -verfahren gar nicht auf eine Kommunikation gegenüber dem Bürger angelegt ist. Diese Konkretisierungstopoi vor Augen ist zu prüfen, ob vorliegend aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz eine Rechtsregel öffentlicher Beratung von Ausschüssen abzuleiten ist. Hierbei kann zwischen dem Grundfall der Ausschussberatung in Vorbereitung einer anschließenden Plenarberatung (a)) sowie der Sonderkonstellation des vollständigen Verzichts auf eine mündliche Erörterung von Vorlagen im Plenum im Anschluss an die Ausschussphase (b)) unterschieden werden. a) Der Grundfall: Ausschusssitzungen als Vorbereitung der Plenardebatte Im Grundfall der vorbereitenden Ausschussberatung mit anschließender mündlicher Erörterung einer Vorlage im Plenum könnte eine Verdichtung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu einer Rechtsregel der Ausschussöffentlichkeit bereits daran scheitern, dass die Bedeutung des Beratungsgegenstandes vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Willensbildung und Nachvollziehbarkeit bei allein vorbereitenden Tätigkeiten, eher geringer einzustufen ist als bei der abschließenden Festlegung der maßgeblichen Entscheidung in der parlamentarischen Vollversammlung.782 Diese Prämisse eines Bedeutungsvorsprungs der abschließenden Entscheidung verdient jedenfalls insofern Zustimmung, als die endgültige Entscheidung einem Verfahren entspringt, dass die gesellschaftliche Willensbildung und Nachvollziehbarkeit auch tatsächlich sicherstellt. Allerdings sollte 781 782
179.
Vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VI, Rn. 107; Art. 20 VII, Rn. 60. Vgl. Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 173,
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die Relevanz der vorbereitenden Ausschussberatungen, eingedenk ihres maßgeblichen Einflusses auf das Ergebnis staatlicher Entscheidungsprozesse nicht per se als unwesentlich eingestuft werden. In Gemäßheit des „Struck’schen Gesetzes“, werden im Laufe der Ausschussberatungen in fast allen Fällen Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen bezüglich des ursprünglichen Textes eines Entwurfs vorgenommen. Dem vorbereitenden Charakter zum Trotz werden die Vorschläge aus den Beschlussempfehlungen der Ausschüsse ganz regelmäßig vollständig übernommen, sodass de facto der inhaltliche Einfluss der Ausschüsse zumeist maßgeblich ist.783 Auch sind die Ausschüsse nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in die Repräsentation des Volkes durch das Parlament einbezogen.784 Somit scheitert die Wesentlichkeit von Ausschussgegenständen nicht allein am vorbereitenden Charakter der Beratung. Es ist vielmehr die Bedeutung der jeweiligen Vorlage zu berücksichtigen. Unabhängig hiervon steht der Begründung einer Rechtsregel jedenfalls das Konkretisierungskriterium der Funktionalität der Ausschussberatung entgegen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass sich die Ausschüsse nach Arbeitsweise und Arbeitsziel grundlegend vom Plenum unterscheiden.785 Eingedenk der räumlichen Gegebenheiten und der deutlich freieren Redeordnung stellt sich hier die Dramaturgie der Plenarsitzung nicht ein. Der Zweck der Ausschussberatung im Rahmen des staatlichen Willensbildungsprozesses unterscheidet sich zudem grundlegend von Plenum. Sie ist grundsätzlich nicht auf eine diskursive Vermittlung von politischen Inhalten gegenüber der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, sondern auf eine inhaltlich-fachliche Detailberatung der Vorlagen im Expertengespräch gerichtet. Erst in der sich anschließenden Plenardebatte wird der Gegenstand zusammenfassend und unter politischer Zuspitzung im Format von Rede und Gegenrede aufgearbeitet und dem Bürger vermittelt. Diese Arbeitsverteilung zwischen Ausschüssen und Plenum spricht dem Grunde nach dafür, dass die Verständlichkeit der Entscheidungsfindung im Wesentlichen erst durch die Plenardebatte hergestellt wird, sodass diese unter demokratisch-rechtsstaatlichem Blickwinkel von entscheidender Bedeutung ist. Umgekehrt bedarf die Ausschussberatung grundsätzlich nicht der Öffentlichkeit, da eine tatsächliche Nachvollziehbarkeit des staatlichen Handels und die hierauf fußende gesellschaftliche Willensbildung durch die anschließende Debatte im Plenum sichergestellt werden. Im Ergebnis kann daher in der verfassungsrechtlichen Grundkonstellation einer die Plenardebatte vorbereitenden Ausschussberatung der allgemeine Öffent783 784 785
Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. II. 1. d). BVerfGE 84, 304 (323); 112, 118 (133 ff.); 130, 318 (353 f.); 140, 115 (151). Hierzu bereits Kap. 3 B. II. 1. d) aa).
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
lichkeitsgrundsatz nicht zur einer Rechtsregel in Bezug auf Ausschüsse konkretisiert werden. Damit ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass jedenfalls eine grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit auch unter Rekurs auf übergeordnete Verfassungsgrundsätze nicht begründet werden kann. b) Die Sonderkonstellation: Wegfall der öffentlichen Beratung im Plenum Ein abweichendes Ergebnis könnte sich jedoch in den Fällen ergeben, in denen die abschließende diskursive Erörterung eines Beratungsgegenstandes im Plenum im Anschluss an die Ausschusssitzungen nicht mehr erfolgt.786 Wie bereits ausgeführt, unterbleibt in der Parlamentspraxis in einer Vielzahl von Fällen eine mündliche Beratung von Vorlagen im Plenum vollständig. Die beschriebene Funktionsteilung zwischen nichtöffentlicher Detailberatung im Ausschuss und verdichteter Vermittlung der Vorlage im Plenum fällt mithin weg, wenn im Rahmen der Plenarsitzungen auf die mündliche Erörterung tatsächlich verzichtet wird. Dies bedingt im Ergebnis, dass die abschließende inhaltliche Auseinandersetzung zwischen den Fraktionen tatsächlich auf Ausschussebene stattfindet und folglich nicht unmittelbar der Öffentlichkeit zugänglich ist. Zwar ist – wie gesehen – in dieser Sonderkonstellation eine analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 GG auf Ausschüsse dogmatisch nicht begründbar, da der Ausschuss weder plenarersetzend noch eigenverantwortlich handelt. Gleichwohl geht mit dem Verzicht auf die Plenaraussprache eine faktische Verschiebung der Funktionalitäten einher. Während im verfassungsrechtlich intendierten Grundfall die tatsächlich stattfindende Plenardebatte die Funktion der Politikvermittlung übernimmt und insoweit eine Anschauung der Ausschusssitzung nicht erforderlich ist, um den politischen Willensbildungsprozess nachzuvollziehen, stellt in der Sonderkonstellation der abschließenden Beratung im Ausschuss die Anschauung der Ausschusssitzungen faktisch die einzige Möglichkeit dar, den kontradiktorischen Austausch von Positionen und Argumente in Bezug auf die finale Fassung einer Vorlage nachzuvollziehen. Durch den Verlust an Transparenz, den das staatliche Entscheidungsverfahren in seiner Gesamtheit erfährt, wächst mithin der Bedeutungsgehalt der Anschauung der tatsächlich stattfindenden Ausschussberatungen unter demokratischrechtstaatlichem Blickwinkel. Zwar sind die Ausschusssitzungen nicht im selben Maße wie die Plenardebatte auf eine diskursive Politikvermittlung zugeschnitten. Gleichwohl scheinen auch im Ausschuss die unterschiedlichen Positionen und Argumente der Fraktionen zumindest durch, sodass hiermit ein Mehr an inhaltlicher Nachvollziehbarkeit im Vergleich zur reinen Ansicht der „stummen“ Beschlussfassung im Plenum einherginge. Insoweit lässt sich folgende Hypothese 786
Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. V. 2. c) sowie Kap. 3 B. II. 2. c).
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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aufstellen: je weniger die Öffentlichkeit im parlamentarischen Verfahren im Rahmen der Plenarversammlung verwirklicht wird, desto stärker ist das Interesse an einer Anschauung der tatsächlich stattfindenden Diskussion in den Ausschüssen. Fraglich ist, ob diese Verschiebung der Funktionalitäten hinreichend ist, um die Annahme einer Rechtsregel hinsichtlich der Öffentlichkeit der betroffenen Ausschusssitzungen zu begründen. Hiergegen könnte sprechen, dass in der vorliegenden Sonderkonstellation zwar keine mündliche Erörterung im Plenum erfolgt, jedoch immerhin in öffentlicher Sitzung über den Beratungsgegenstand abgestimmt wird. Auch liegen die Beratungsvorlagen sowie Beschlussempfehlung und Ausschussbericht in schriftlicher Form als Drucksachen vor, sodass eine Vorstellung von der Vorlage und vom Beratungsverlauf im Ausschuss gewonnen werden kann.787 Schließlich werden regelmäßig Redebeiträge, welche im Plenum aus Zeitgründen nicht gehalten werden, schriftlich zu Protokoll gegeben, sodass auch anhand der Lektüre des Plenarprotokolls jedenfalls eine grundständige Information über die Ansichten und Argumente der Entscheidungsträger erfolgen kann.788 Von entscheidender Bedeutung ist insofern, ob für das Nachvollziehen der staatlichen Tätigkeit die Anschauung einer mündlichen Erörterung des jeweiligen Beratungsgegenstandes zwingend gefordert ist oder ob auch ein vorstehend skizziertes, rein schriftliches Verfahren hierfür ausreicht. Die diesbezügliche Wertung muss wiederum der Verfassung selbst entnommen werden. Maßgeblich ist insofern, ob dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG das Gebot eines erforderlichen Mindestmaßes mündlicher Behandlung parlamentarischer Vorlagen im Plenum entnommen werden kann, welches durch den beschriebenen Verzicht auf eine tatsächliche Erörterung verletzt werden würde. Wäre dies der Fall, würde eine allein öffentliche Beschlussfassung bei ansonsten nur schriftlicher Informationsmöglichkeit nicht ausreichen, um die demokratisch-rechtsstaatliche Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns im Rahmen der Plenarversammlung zu gewährleisten. Dies vorausgesetzt, bliebe es bei dem Befund, dass die Anschauung der Ausschussberatung maßgeblich wäre. aa) Bestehen eines verfassungsrechtlichen Gebots der mündlichen Erörterung parlamentarischer Vorlagen im Plenum Der Verfahrensvorgabe in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ist in gewissem Umfang auch ein Prinzip der Mündlichkeit der parlamentarischen Verhandlung imma-
787
Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. II. 1. d) bb) (3). Vgl. Hadamek, in: Kluth/Krings Gesetzgebung, § 17, Rn. 58; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 4; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 53. 788
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
nent.789 Bereits die etymologische Herkunft des Wortes Parlament, welches sich vom französischen „parler“ (sprechen) bzw. dem altfranzösischen „parlement“ (Gespräch, Unterhaltung, Erörterung) herleitet und damit auf dem Gedanken des „Redens“ fußt, spricht für eine Prägung des Geschehens durch den mündlichen Vortrag.790 Dies findet desgleichen im Wortlaut von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG im Merkmal des öffentlichen „Verhandelns“ Ausdruck, welches nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bedingt, dass „Fragen der Staatsführung, insbesondere der Gesetzgebung, in Rede und Gegenrede“ 791 erörtert werden. Insofern zeichnet es sich durch einen mündlichen Austausch verschiedener Positionen zwischen den Beteiligten aus.792 Des Weiteren stützt die systematische Erwägung des verfassungsrechtlichen Ausnahmecharakters von Art. 63 Abs. 1 GG, welcher die Wahl des Bundeskanzlers „ohne Aussprache“ vorsieht, die Annahme, dass eine Debatte als Regelfall vom Grundgesetz vorgesehen ist.793 Dem entspricht auch das traditionelle Bild des Parlaments als „Forum der Nation, als Marktplatz der Ideen, in dem das durch die Abgeordneten repräsentierte Volk sich wiedererkennt und ausgedrückt findet, was es beschäftigt“ 794 und in dem die diskursive Erörterung historisch gängige Praxis darstellt.795 Die grundsätzliche Mündlichkeit der Verhandlung folgt zudem aus dem Sinn und Zweck der öffentlichen Debatte, welche das parlamentarische Geschehen dem Bürger in verdichteter Form vermitteln und somit die Grundlage für eine fundierte Wahlentscheidung sowie einen reziproken Kommunikationsprozess zwischen Staatsbürgern und Repräsentanten schaffen soll.796 Dies erkennt auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Wesentlichkeitsrechtsprechung an, in welcher es das Erfordernis einer parlamentarischen Entscheidung nicht allein auf die unmittelbar demokratische Legitimierung des Bundestages stützt, 789 Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (678 ff.); Ketterer/Sauer, JuS 2012, S. 524 (527); Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 28; ders., in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 1; ähnlich M. Bauer, Der Staat 49 (2010), S. 587 ff. Kritisch insoweit Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 5.1 f., der einen Grundsatz der Mündlichkeit ausschließt und einen Verzicht auf eine mündliche Erörterung lediglich als verfassungspolitisch bedenklich ansieht; ähnlich auch Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Henneke, Art. 42, Rn. 7. 790 Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 2; vgl. auch Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (678). 791 BVerfGE 10, 4 (12). 792 Ketterer/Sauer, JuS 2012, S. 524 (527). 793 Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 1. 794 H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 50, Rn. 11; so auch Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 1. 795 Insoweit zustimmend Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 5.2, der hieraus allerdings keine Rechtspflicht zur Mündlichkeit ableitet. 796 Vgl. Ketterer/Sauer, JuS 2012, S. 524 (527 f.); siehe hierzu ausführlich bereits Kap. 3 A. II. 1. b).
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sondern zugleich betont, dass sich das parlamentarische Verfahren durch ein größeres Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche auszeichne und in der Folge Gewähr für einen Ausgleich widerstreitender gesellschaftlicher Interessen biete.797 Die besondere Rationalität parlamentarischer Entscheidungen folgt dabei insbesondere aus dem diskursiven Charakter des Verfahrens, an dem verschiedene politische Kräfte beteiligt sind, sowie aus dessen Öffnung für eine gesellschaftliche Einflussnahme.798 „Entscheidungen von erheblicher Tragweite muss deshalb grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen in öffentlicher Debatte zu klären.“ 799
Diese besondere Qualität einer tatsächlichen mündlichen Debatte kann zudem nicht durch die im Rahmen des Geschäftsordnungsrechts (§ 78 Abs. 6 GO-BT) eröffnete Möglichkeit, statt einer Aussprache ein schriftliches Verfahren durchzuführen, in dessen Rahmen sämtliche Redebeiträge zu Protokoll gegebenen werden, substituiert werden. Eine solche Protokolldebatte stellt vielmehr ein Aliud zur tatsächlichen mündlichen Aussprache dar. Zwar können die Abgeordneten hierdurch ihre Positionen zumindest nachträglich transparent machen.800 Der Prozess der Auseinandersetzung ist jedoch ein grundlegend anderer, da sich die Abgeordneten im Rahmen des schriftlichen Verfahrens weder der Notwenigkeit ausgesetzt sehen, auf Gegenpositionen anderer Diskussionsteilnehmer einzugehen, noch selbst argumentativ angegriffen werden. Vielmehr stehen die zu Protokoll gegebenen Redebeiträge isoliert nebeneinander und sind nicht Ausdruck einer gemeinsamen Entscheidungssuche.801 Damit fehlt der Protokolldebatte „der enge Dezisionsbezug mündlicher Unmittelbarkeit, und zwar ein Dezisionsbezug, der über die deutliche Sichtbarkeit der Debatte als Prozess die Dialektik von Verhandlung und Entscheidung aufdeckt, der als offener und offenkundiger Dezisionsbezug auf das Spannungsverhältnis von Teilhabe und Irritation hinweist“.802
In der Konsequenz muss der Bundestag gemäß Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG im Plenum parlamentarische Gegenstände jedenfalls grundsätzlich im Wege mündlicher 797 BVerfGE 40, 237 (249); 70, 324 (355); BVerfG, NVwZ 2012, S. 954 (959 f.); grundlegend dazu schon BVerfGE 5, 85 (197 ff.). 798 Siehe hierzu auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984 S. 564 f.; Bryde, JZ 1998, S. 115 (118); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 31. 799 BVerfGE 130, 318 (344); vgl. auch BVerfGE 85, 386 (403 f.); 95, 267 (307 f.); 108, 282 (312); 131, 152 (205). 800 Hierzu Hadamek, in: Kluth/Krings Gesetzgebung, § 17, Rn. 58; Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (679); Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 53. 801 Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (679); im Anschluss hieran Ketterer/Sauer, JuS 2012, S. 524 (527); vgl. auch F. L. Klein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 35, Rn. 6; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 53. 802 M. Bauer, Der Staat 49 (2010), S. 587 (597).
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Aussprache behandeln, sodass die skizzierte Artikulation, Abwägung und der daraus folgende Ausgleich gesellschaftlicher Interessen tatsächlich stattfinden können. Wolfgang Zeh hält hierzu resümierend fest: „Ein schweigendes Abstimmen über Anträge, Gesetzesentwürfe u. a. nach Aufruf des jeweiligen Punktes durch den Präsidenten ohne öffentlich wahrnehmbare Erörterung des Inhalts, würde, obwohl auch durch solches ,Abhaken‘ die notwendigen Beschlüsse gefaßt werden könnten, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen. Vielmehr sehen Grundgesetz und Geschäftsordnung des Bundestages die parlamentarische Debatte als den Regelfall und den Verzicht darauf als Ausnahme an.“ 803
Diese Auslegung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG steht nicht im grundlegenden Widerspruch zum verfassungsgerichtlichen Diktum, wonach diese Norm nur besage, „daß das Plenum des Bundestages, wenn es verhandelt, öffentlich verhandeln muß“, jedoch keine Aussage dazu treffe, „wann im Plenum verhandelt werden muß“.804 Im Rahmen dieser Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht seinerzeit allein über die Verfassungsmäßigkeit der Sonderkonstellation des § 96 Abs. 1 GO-BT 1951 zu befinden, der die unmittelbare Überweisung von Finanzvorlagen an die zuständigen Ausschüsse betraf. Durch den vorgenannten Ausspruch wollte das Gericht lediglich die verfassungsrechtliche Verzichtbarkeit der ersten Lesung im Lichte von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG begründen,805 jedoch keineswegs eine verallgemeinerungsfähige Auslegung der Norm vornehmen, mit deren Ratio sich letztlich ein Verzicht auf jedwede öffentliche Aussprache und damit eine weitreichende Entwertung der parlamentarischen Repräsentativfunktion rechtfertigen ließe.806 Die grundsätzliche Ausrichtung der Parlamentsöffentlichkeit auf eine mündliche Erörterung bedingt jedoch noch nicht die Pflicht, zwingend zu jedem einzelnen Gegenstand der Tagesordnung tatsächlich eine Debatte durchzuführen. Insofern steht dem Mündlichkeitsgrundsatz grundlegend die Rechtsposition der parlamentarischen Arbeit- und Funktionsfähigkeit begrenzend gegenüber, die im Rahmen der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG sicherzustellen ist und dem Bundestag einen Ermessens- und Gestaltungsspielraum einräumt, sein Verfahren entsprechend auszugestalten. Nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz sind die vorgenannten Rechtspositionen zu einem schonenden Ausgleich zu führen. Im Lichte der parlamentarischen Ar803
Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 1. BVerfGE 1, 144 (152). 805 Hierzu Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (679 f.). 806 Dafür spricht insbesondere, dass das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des Wegfalls der ersten Lesung von der Prämisse der weiterhin bestehenden Möglichkeit einer Grundsatzdebatte ausging, da die dritte Beratung gemäß § 85 Abs. 2 GO-BT 1951 stets mit einer allgemeinen Beratung über die Grundzüge des Gesetzesentwurfs begann. Die Frage der Möglichkeit eines vollständigen Wegfalls der Aussprache wurde dem Gericht zu keiner Zeit vorgelegt. 804
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beits- und Funktionsfähigkeit ist jedenfalls die umfassende mündliche Beratung eines jeden Verhandlungsgegenstandes im Plenum, schon angesichts des beschränkten Zeitbudgets und der folglich drohenden Überfrachtung der Plenardebatte nicht erforderlich. Andererseits rechtfertigt der Abwägungstopos der Funktionsfähigkeit, allein gestützt auf die Effizienzvorteile des schnellen „Abarbeitens“ 807 von Vorlagen, eine Einschränkung der Öffentlichkeit nur partiell, da gerade auch die Repräsentation und die Ermöglichung eines politischen Diskurses und nicht nur die effiziente Beschlussfassung zum Aufgabenspektrum des Parlaments gehören und damit Bestandteil des Topos der Funktionsfähigkeit sind. Dieser kann mithin sowohl für als auch gegen die Mündlichkeit parlamentarischer Beratungen streiten.808 Folglich ist der Gestaltungsspielraum des Bundestages im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie hinsichtlich des Ausgleichs von Funktionsfähigkeit und notwendigem Maß mündlicher Erörterung nur so weit wie zwingend nötig einzuschränken. Insoweit kann Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG lediglich ein verfassungsrechtliches Mindestmaß mündlicher Beratung entnommen werden. Dieses Mindestmaß kann wiederum nicht starr und losgelöst vom konkreten Beratungsgegenstand bestimmt werden. Zur Vermeidung eine „Plenarinfarkts“ ist das verfassungsrechtliche Mindestgebot mündlicher Erörterung von vornherein auf solche Gegenstände beschränkt, denen eine gewisse Bedeutung unter demokratischrechtstaatlichen Blickwinkel zukommt. Angesichts der Verwurzelung des Gedankens der öffentlichen parlamentarischen Behandlung „wesentlicher Fragen“ bzw. von „Entscheidungen erheblicher Tragweite“ in der Wesentlichkeitsrechtsprechung,809 kann für eine Bestimmung der grundsätzlich öffentlich zu erörternden Beratungsgegenstände wiederum auf das Wesentlichkeitskriterium zurückgegriffen werden. Sofern ein Beratungsgegenstand nicht wesentlich in diesem Sinne ist, würde schon der Parlamentsvorbehalt nicht eingreifen, sodass eine Erörterung auch außerhalb des parlamentarischen Verfahrensgangs möglich wäre. In diesem Fall kann jedoch gleichermaßen bei einer Behandlung des Gegenstandes im Bundestag die Gewährleistung des typischen öffentlichkeitswirksamen Verfahrens nicht verfassungsrechtlich zwingend sein. Eine Unterschreitung des verfassungsrechtlichen Mindestmaßes kann zudem erst dann gegeben sein, wenn die demokratisch verankerte Artikulation, Abwägung und der daraus folgende Ausgleich gesellschaftlicher Interessen nahezu 807 Dieses Argument wurde jedoch zum Teil im Rahmen der Einführung der geschäftsordnungsrechtlichen Möglichkeit nach § 78 Abs. 6 GO-BT statt einer Aussprache die Redebeiträge geschlossen zu Protokoll zu geben vorgebracht, siehe BT-PlPr 16. WP/230. Sitzung vom 2.7.2009, S. 25868. 808 Ketterer/Sauer, JuS 2012, S. 524 (528); vgl. auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (694 f.). 809 Vgl. BVerfGE 85, 386 (403 f.); 95, 267 (307 f.); 108, 282 (312); 130, 318 (344); 131, 152 (205).
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vollständig leerlaufen und das Nachvollziehen der Materie durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit in der Folge erheblich erschwert werden würde.810 Dies wäre jedenfalls gegeben, wenn zu einem Gegenstand tatsächlich keinerlei öffentliche Debatte stattfände, sodass der Gehalt der Mündlichkeit aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG vollständig zurücktreten würde.811 Der aus der öffentlichen Debatte folgenden Interessenausgleich würde dann nahezu vollumfänglich ausgeschlossen und das Nachvollziehen der Materie durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit wäre zumindest erheblich beeinträchtigt. Nichts anderes würde im Übrigen gelten, sofern eine Aussprache (in erster Lesung) vor der Ausschussüberweisung erfolgte. Eingedenk der regelmäßig erheblichen Einflussnahme der Ausschüsse auf den konkreten Inhalt von Vorlagen, ist zumindest auch eine Erörterung in Bezug auf deren finale Fassung im Anschluss an die Ausschussphase zu fordern, da sich sonst die Debatte allein auf ein zumeist nennenswert abweichendes Vorbereitungsstadium bezöge. Vor dem Hintergrund der in der Praxis übliche Verfahrensweise, erst im Laufe einer Debatte zu entscheiden, einzelne Redebeiträge aus Zeitgründen zu Protokoll zu gegeben und nicht mehr mündlich vorzutragen,812 stellt sich zudem die Frage nach dem erforderlichen Umfang der tatsächlichen Beratung im Rahmen des von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gebotenen Mindestmaßes. Um hier mögliche Rechtsunsicherheiten zu vermeiden und die Parlamentsautonomie weitestgehend zu wahren, ist dem Bundestag ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der erst dann überschritten wäre, wenn die Aussprache gleichsam als Feigenblatt, ohne nennenswerten Nutzen für die skizzierten Funktionen des Ausgleichs gesellschaftlicher Interessen sowie der gesellschaftlichen Willensbildung wäre. Als Konkretisierungsmaßstab mag insofern § 25 Abs. 2 S. 3 GO-BT dienen, wonach die Aussprache nicht geschlossen werden darf, ehe nicht jede Fraktion mindestens einmal das Wort erhalten hat und so Gelegenheit hatte, ihre Ansichten zur artikulieren. Sofern eine mündliche Beratung von diesem Umfang stattgefunden hat, ist der Mindestgehalt von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG in Bezug auf den Grundsatz der Mündlichkeit gewahrt. Der Annahme einer verfassungsrechtlichen Pflicht im so umschriebenen Mindestumfang im Plenum zu debattieren, steht auch nicht das freien Mandat (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) entgegen.813 Dieses verbrieft zwar das Recht eines je810
Ähnlich auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 168. Vgl. Ketterer/Sauer, JuS 2012, S. 524 (528); Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (679, 682); Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (682); ähnlich auch Vetter Parlamentsausschüsse, S. 213 f.; a. A. Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 5.1.; Kluth, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 7. 812 Vgl. hierzu Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 153. 813 So aber Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 5.1; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 167. 811
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den Abgeordneten, sein Mandat inhaltlich frei und eigenverantwortlich allein in Verantwortung gegenüber dem Wähler auszuüben. Insofern gilt es jedoch zu beachten, dass das freie Mandat lediglich die Freiheit der Art und Weise der Wahrnehmung mandatsbezogener Pflichten gewährleistet, jedoch keinesfalls eine Freiheit von verfassungsrechtlichen Pflichten statuiert.814 Damit steht lediglich das „Wie“ und nicht das „Ob“ der Wahrnehmung von Repräsentationsaufgaben im Ermessen der Abgeordneten.815 Vorliegend ist die mündliche Debatte jedoch gerade das Herzstück der parlamentarischen Repräsentationsfunktion, sodass hier jedenfalls ein gewisses Maß tatsächlicher Debatte sehr wohl eine Verpflichtung im Rahmen der Mandatstätigkeit darstellen kann und daher nicht im Widerspruch zu Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG steht. Allerdings ist zu bedenken, dass dieses grundsätzlich zu gewährleistende Mindestmaß öffentlich-mündlicher Erörterung wiederum in Teilbereich parlamentarischer Beratungstätigkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingeschränkt werden kann. Hierbei handelt z. T. um Rechtsgüter, welche die parlamentarische Öffentlichkeit im Plenum schlechthin begrenzen und damit auch der öffentlichen Erörterung bestimmter Materien entgegenstehen. Insoweit kann insbesondere auf die bereits im Kontext der Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG dargelegten Gegenrechte der Staatswohlinteressen sowie der Individualrechtsgüter abgestellt werden.816 Hierbei ist zu bedenken, dass an dieser Stelle nur Aspekte, die eine generelle Ausnahmen vom Mündlichkeitsgrundsatz aus Geheimnisschutzgründen rechtfertigen, von Belang sind. Soweit kollidierende Rechte dagegen lediglich im Einzelfall eingreifen, wäre nur ein punktueller Ausschluss der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG erforderlich. Des Weiteren kann kollidierendes Verfassungsrecht nicht nur der Tatsache der Öffentlichkeit einer Beratung, sondern vielmehr allein dem Umstand der Beratung als solcher widersprechen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn wegen besonderer Eilbedürftigkeit die Aussprache zu nicht hinnehmbaren Verzögerungen führen würde oder in Bezug auf das damit verbundene Arbeitsaufkommen im Plenum nicht zu leisten wäre. Hierbei handelt es sich wiederum um Ausprägungen der parlamentarischen Arbeits- und Funktionsfähigkeit. Nach alledem folgt aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ein Gebot des Mindestmaßes mündlicher Erörterung von Beratungsgegenständen wesentlicher Bedeutung, welches durch den vollständigen Verzicht auf eine Aussprache im Anschluss an die Ausschussphase verletzt werden würde, sofern nicht eine Einschränkung der Öffentlichkeit aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts generell geboten wäre. 814 Siehe Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 123; so auch explizit BVerfGE 118, 277 (326). 815 Achterberg, AöR 104 (1979), S. 654 (655). 816 Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. III. 1.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Die rein schriftliche Publizität im Rahmen der öffentlichen Plenardebatte ist insoweit als funktionales Aliud zu betrachten, welches den Wegfall der mündlichen Erörterung nicht kompensiert. bb) Wegfall der Beratung im Plenum als Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Mindestvorgabe Fraglich ist, in Bezug auf welche Anwendungsfälle aus der Parlamentspraxis das so herausgearbeitete verfassungsrechtliche Mindestgebot mündlicher Beratung unterschritten werden könnte. Insofern kommen vorzugsweise die Behandlung von Gesetzesvorlagen ((1)), Immunitätsangelegenheiten ((2)), Petitionen ((3)) sowie Wahlvorschlägen bezüglich der vom Bundestag zu berufenden Bundesverfassungsrichter ((4)) jeweils ohne abschließende Aussprache in Betracht. (1) Gesetzesvorlagen Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass im Rahmen der Behandlung von Gesetzesvorlagen in einer Vielzahl von Fällen von den Fraktionen im Bundestag auf eine Aussprache im Plenum vollständig verzichtet wird und Redebeiträge im besten Falle schriftlich zu Protokoll gegeben werden.817 Im Kontext des Gesetzgebungsverfahrens handelt es sich bei den betroffenen Vorlagen um Beratungsgegenstände von wesentlicher Bedeutung. Zwar ist nicht ausnahmslos jede gesetzesförmige Regelung zugleich „wesentlich“ im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.818 Gleichwohl ist infolge der Verpflichtung des Gesetzgebers, in Bezug auf alle wesentlichen Fragen selbst tätig zu werden, die Schnittmenge zwischen wesentlichen Angelegenheiten und gesetzesförmiger Regelung naturgemäß sehr groß. Es wird sowohl vom Rechtstaats- als auch vom Demokratieprinzip vorausgesetzt, dass der Bundestag als unmittelbar demokratisch legitimierte Volksvertretung die für Staat und Gesellschaft essentiellen Fragestellungen durch formelles Gesetz regelt.819 Dementsprechend handelt es sich typischerweise um abstraktgenerelle Entscheidungen, die dauerhafte, erhebliche Implikationen für die Allgemeinheit nach sich ziehen. In der Folge kommt ihnen regelmäßig sowohl politische Bedeutung als auch Außenwirkung gegenüber einer Vielzahl potentieller Adressaten und damit erhebliche Grundrechtsrelevanz zu. Insofern ist eine generalisierende Betrachtung geboten, da eine für jede Gesetzesvorlage gesondert zu bestimmende Verfahrensgestaltung im Rahmen des Öffentlichkeitsgebots in der Praxis völlig untauglich wäre. 817
Siehe hierzu Kap. 2 B. V. 2. c) sowie Kap. 3 B. II. 2. c). Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, § 101, Rn. 58 nennt die Auferlegung geringfügiger Bußgelder für Verletzungen der Straßenverkehrsordnung als Beispiel. 819 Degenhart, Staatsrecht I, 35. Aufl. 2019, S. 16, 125; Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1995, S. 219 f. 818
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Diesbezüglich verstößt jedenfalls ein vollständiger Verzicht auf die mündliche Aussprache im Anschluss an die Ausschussberatung gegen das Mindestmaß mündlicher Erörterung. In diesem Fall würden die verschiedenen politischen Standpunkte und die damit korrespondierenden gesellschaftlichen Interessen nicht öffentlichkeitswirksam artikuliert und in Rede und Gegenrede abgewogen. Auch das Nachvollziehen der Beratungen durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit wäre jedenfalls erheblich erschwert. Ein Interessenausgleich fände hier allenfalls in Form des eingangs als „bagaining“ beschriebenen nichtöffentlichen Aushandelns von Kompromissen statt. Die von der Verfassungsjudikatur postulierte besondere Rationalität parlamentarischer Entscheidungen infolge des diskursiven Charakters des Verfahrens und dessen Öffnung für eine gesellschaftliche Einflussnahme fiele dagegen nahezu weg. Schließlich existieren im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auch keine kollidierenden Verfassungsgüter, die das Mindestgebot mündlicher Erörterung in genereller Form einschränken würden. Geheimnisschutzinteressen auf Basis des Staatswohls oder von Individualrechtsgütern sind in Bezug auf die abschließende Beratung von ohnehin im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichenden Gesetzesvorlagen nicht ersichtlich. Sofern auf eine Gefahr für die parlamentarische Arbeitsund Funktionsfähigkeit abgestellt wird, ist dieser bereits dadurch Rechnung getragen, dass der Grundsatz der Mündlichkeit von vornherein nur auf die Gewährleistung eines Mindestmaßes beschränkt ist, welches allein den vollständigen Verzicht auf eine Aussprache zu bedeutsamen Gegenständen verbietet. Sofern trotz dessen eine Überlastung der Plenarverhandlung durch dieses Mindestmaß drohen würde, dürfte der Öffentlichkeitsaspekt der mündlichen Erörterung gleichwohl nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr hätte der Bundestag – im Sinne einer praktischen Konkordanz – sein Verfahren etwa in Form der Erweiterung der Sitzungszeiten im Plenum oder einer stärkeren Öffnung seiner Ausschusssitzungen820 anzupassen. Somit stellt ein Verzicht auf eine abschließende mündliche Erörterung von Gesetzesvorlagen in der Plenarversammlung einen Verstoß gegen den Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG immanenten Mindestgehalt dar. Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass aufgrund der bisherigen Üblichkeit in der Praxis, auf die Aussprache in sämtlichen Lesungen zu verzichten, eine erhebliche Anzahl von Gesetzen verfassungswidrig zustande gekommen wäre und damit potentiell nichtig sein könnten.821 Mit Rücksicht auf das Gebot der Rechtssicherheit fordert das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der möglichen Nichtigkeit von Gesetzen und Rechtsverordnungen infolge von Verstößen gegen verfassungsrechtliche Verfahrensnormen, dass sich der Mangel im Gesetzgebungsverfahren als evident dar820 Zur partiell möglichen Kompensation einer wegfallenden mündlichen Beratung im Plenum durch eine öffentliche Ausschusssitzung hierzu noch Kap. 5 A. II. 2. b). 821 Siehe zu dieser Rechtsfolge noch im Detail Kap. 4 D.
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stellen muss.822 Hiervon ist indes aufgrund der bisherigen parlamentarischen Usancen und der dogmatisch spitzfindigen Herleitung einer verfassungsrechtlichen Pflicht eines Mindestmaßes öffentlich-mündlicher Beratung nicht auszugehen. Infolgedessen wären die betroffenen Gesetze – trotz des Zustandekommens in einer mit Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG unvereinbaren Weise – weiterhin gültig. (2) Immunitätsangelegenheiten In Immunitätsangelegenheiten findet sowohl in der Konstellation des Vorentscheidungsverfahrens bei Straßenverkehrs- und Bagatelldelikten etc. als auch bei der Genehmigung von Strafverfahren bzw. Durchsuchungen und Beschlagnahmen im reguläre Ausschussverfahren keine Aussprache zu den entsprechenden Vorlagen im Plenum statt. Im Vorentscheidungsverfahren wird der Beschluss des Immunitätsausschusses dem Bundestag lediglich schriftlich mitgeteilt und im Anschluss nicht einmal auf die Tagesordnung der Plenarsitzung gesetzt.823 Auch im Vorfeld der Abstimmung über Beschlussvorlagen des Immunitätsausschusses kommt es regelmäßig nicht zu einer Aussprache.824 Dieser Verzicht könnte dem Mindestgebot mündlicher Erörterung widersprechen. Insofern ist allerdings bereits fraglich, ob es sich bei Immunitätsangelegenheiten überhaupt um Beratungsgegenständen von so wesentlicher Bedeutung (im obigen Sinn) handelt, dass das Erfordernis eines Mindestmaßes öffentlicher Erörterung auf diese anwendbar ist. Hiergegen könnte sprechen, dass das Immunitätsrecht nach allgemeiner Ansicht insbesondere auf eine Sicherstellung der parlamentarischen Funktionsfähigkeit gerichtet ist,825 mithin vorrangig parlamentsinterne Belange betrifft und damit in den Bereich der Parlamentsautonomie fällt.826 Eine gewisse Außenwirkung von Immunitätsentscheidungen ergibt sich allenfalls aus deren Bindungswirkung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden.827 822
BVerfGE 20, 56 (79); 34, 9 (25 f.); 91, 148 (175 f.). Siehe hierzu Kap. 3 B. II. 2. a) aa). 824 Siehe zur Entwicklung der Parlamentspraxis diesbezüglich auch Butzer, Immunität, 1991 S. 348 f. Da die Beschlussempfehlung des Immunitätsausschusses zudem keine Einzelheiten zum jeweiligen Vorwurf gegenüber dem Abgeordneten oder dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens enthält und der Großteil der abstimmenden Abgeordneten an den Beratungen des Immunitätsausschusses selbst nicht teilgenommen hat, muss für die Abstimmenden eine Nachvollziehbarkeit auf anderem Wege sichergestellt werden. Dies geschieht in der Praxis ggf. durch die Anwesenheit der Obleute des Ausschusses im Plenum, welche für etwaige Fragen zur Verfügung stehen. Vgl. auch Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Rn. 16. 825 BVerfGE 104, 310 (332); 144, 20 (217 f.); Butzer, Immunität, 1991, S. 66 ff.; ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 46, Rn. 1; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 46, Rn. 50; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 46, Rn. 22. 826 Vgl. BVerfGE 102, 224 (236); 104, 310 (332); Butzer, Immunität, 1991, S. 86 ff., 105 ff.; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 177. 827 Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 177. 823
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Insofern spricht auch der Aspekt der Grundrechtsrelevanz eher gegen die Wesentlichkeit von Immunitätsangelegenheiten, da von deren Behandlung jedenfalls keine externen Grundrechtsträger tangiert sind. Allerdings sind aus Sicht des betroffenen Abgeordneten sehr wohl dessen subjektive Rechte aus Art. 46 Abs. 2 i.V. m. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG als grundrechtsgleiche Rechte berührt. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass Abgeordnete einen Anspruch darauf haben, dass sich der Bundestag im Rahmen der Immunitätsentscheidung „nicht – den repräsentativen Status des Abgeordneten grob verkennend – von sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lässt“.828 Der Rechtsgehalt von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG kann vom Betroffenen zudem im Wege der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG geltend gemacht werden.829 Gleichwohl spricht die allein singuläre Betroffenheit des jeweiligem Parlamentariers insgesamt eher gegen eine Wesentlichkeit der parlamentarischen Behandlung von Immunitätsangelegenheiten. Schließlich streitet auch die politische Bedeutung von Immunitätsangelegenheiten regelmäßig gegen deren Wesentlichkeit. Für Bagatellfälle, die im Wege des Vorentscheidungsverfahrens behandelt werden, dürfte es typischerweise schon an ein einer tatsächlichen Relevanz für die politische Willensbildung fehlen. Aber auch schwerwiegendere Verfehlungen der Abgeordneten, die unter Umständen sogar genehmigungsbedürftige strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen auslösen, begründen bei genauerer Betrachtung keine tiefgreifende politische Relevanz der hierzu stattfindenden parlamentarischen Beratungen. Zwar ist insofern durchaus eingängig, dass strafrechtliche Vorwürfe gegenüber Abgeordneten als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die ggf. die persönliche Eignung des Betroffenen für die Ausübung eines Mandats in Zweifel ziehen, ein gesellschaftliches Interesse bedingen. Allerdings ist zu bedenken, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratung von Immunitätsentscheidungen gar keine tatsächlichen Feststellungen im Sinne einer Beweiswürdigung zu der insofern maßgeblichen Frage der persönlichen Verfehlung getroffen werden.830 Die Klärung des Sachverhalts und der Strafbar828 BVerfGE 104, 310 (325). Für eine „Doppelbezügigkeit“ der Immunität, die nicht allein die parlamentarische Funktionsfähigkeit, sondern auch die Stellung des einzelnen Abgeordneten schützen soll, siehe H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 46, Rn. 51; a. A. Butzer, Immunität, 1991 S. 86 ff. 829 Fernerhin wäre auch ein Rechtsschutz des Abgeordneten im Organstreit denkbar. Hier würde der Abgeordnete jedoch nicht die Verletzung seines subjektiven grundrechtsgleichen Rechts rügen, sondern vielmehr seine organschaftliche Stellung im Staatsgefüge geltend machen. Siehe hierzu H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 46, Rn. 101. 830 Teil A Nr. 4 der Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten und in Fällen der Genehmigung gemäß § 50 Abs. 3 StPO und § 382 Abs. 3 ZPO sowie bei Ermächtigungen gemäß § 90b Abs. 2, § 194 Abs. 4 StGB. Vgl. dazu auch Butzer, Immunität, 1991 S. 344 ff.
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keit ist vielmehr allein Sache der Staatsanwaltschaft bzw. des erkennenden Gerichts.831 Im Rahmen der Behandlung von Immunitätsangelegenheiten hat das Parlament inhaltlich allein eine Abwägung zwischen den Belangen des Bundestages (insbesondere in Form der Arbeits- und Funktionsfähigkeit) und jenen der Strafrechtspflege zu treffen, wobei die Interessen des betroffenen Abgeordneten mitberücksichtigt werden.832 Hinsichtlich des konkreten Vorwurfs ist der Bundestag auf eine Evidenzkontrolle der Nachvollziehbarkeit und der Abwesenheit sachfremder Erwägungen seitens der Strafverfolgungsbehörden beschränkt.833 Ein politisches Interesse bezieht sich daher nach Bekanntwerden eines Vorwurfs – welches durch die öffentliche Beschlussfassung über die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten jedenfalls angestoßen wird – vorrangig auf das Hauptverfahren. Dieses fände selbst in aller Regel öffentlich statt (§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG) und würde ohnehin medial begleitet werden. Somit sprechen gute Gründe dafür, bereits nicht von einer Entscheidung auszugehen, die dem Mindestgebot mündlicher Erörterung unterfällt. Jedenfalls wäre auf Basis kollidierenden Verfassungsrechts aber eine Einschränkung geboten. Einer öffentlichen Erörterungen von Immunitätsangelegenheiten steht der Persönlichkeitsrechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) der betroffenen Abgeordneten im Wege.834 Im Rahmen der Beratung werden persönliche Lebenssachverhalte des Betroffenen offenbart, die geeignet sind dessen Bild in der Öffentlichkeit zu prägen. In Abhängigkeit von den jeweiligen Vorwürfen, kann mitunter nicht weniger als die politische Karriere bzw. die wirtschaftliche und soziale Existenz des Abgeordneten auf dem Spiel stehen.835 Zu bedenken ist dabei ferner, dass bereits der bloße Umstand der Eröffnung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, gerade bei intensiver medialer Berichterstattung, bisweilen zu einer Vorverurteilung des Betroffenen durch die öffentliche Meinung führt. Selbst wenn sich der Vorwurf im Nachhinein als unbegründet erweisen sollte, wird der Angeschuldigte hierdurch regelmäßig nicht im selben Maße öffentlich rehabilitiert.836 Das Faktum einer extensiven öffentlichen Erörterung mutmaßlicher – ggf. auch nur geringfügiger – Verfehlungen einzelner Abgeordneter wirkt sich zudem nicht allein auf die Grundrechte des Betroffenen aus, sondern bedingt überdies 831
Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Rn. 10. Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 46, Rn. 26 f.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 46, Rn. 95; Trute, in: v. Münch/Kunig, Art. 46, Rn. 23, 29; vgl. auch BVerfGE 104, 310 (329 f.). 833 BVerfGE 104, 310 (332 f.); siehe auch VerfGH NRW NVwZ-RR 2006, S. 1. 834 Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Rn. 15. 835 Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Rn. 9. 836 Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 177 f.; vgl. hierzu auch Butzer, Immunität, 1991 S. 314; H. H. Klein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 53. 832
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einen Ansehensverlust des Bundestages.837 Beim Ansehen des Parlaments handelt es sich letztlich um eine Ausprägung des Funktionsfähigkeitsgedankens und damit gleichermaßen um ein Rechtsgut von Verfassungsrang, welches die öffentliche Beratung von Immunitätsangelegenheiten einzuschränken vermag.838 Soweit das Verfahren der Genehmigung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen betroffen ist, ergibt sich in Ergänzung zu den vorgenannten Gegenrechten auch eine besondere Eilbedürftigkeit der Durchführung der Maßnahme nach deren Bekanntwerden, um den Zweck der Ermittlungshandlung nicht zu gefährden.839 Aus diesem Grund wird in der Praxis im Vorfeld absolute Vertraulichkeit gewahrt und unmittelbar nach einer öffentlichen Beschlussfassung im Plenum mit der Durchführung der Maßnahmen begonnen. Würde die Beschlussfassung indes durch extensive Beratungen verzögert werden können, bestünde die Gefahr der Erfolgsbeeinträchtigung. Insofern steht mithin zusätzlich der Staatswohlbelang einer funktionsfähigen Strafrechtspflege einer ausführlichen mündlichen Beratung entgegen. Im Ergebnis ist daher ein Verzicht auf die mündliche Erörterung von Immunitätsangelegenheiten im Plenum in jedem Fall nicht als Verstoß gegen das Verfassungsgebot der Mündlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG einzustufen. (3) Petitionen Gemäß § 112 Abs. 1 S. 1 GO-BT findet die abschließende Entscheidung über Petitionen im Plenum in gebündelter Form in Gestalt der Abstimmung über sog. Sammelübersichten statt. Zu den einzelnen Petitionen erfolgt regelmäßig keinerlei Aussprache (vgl. § 112 Abs. 2 S. 2 GO-BT). Die Sammelübersichten selbst enthalten zudem keine Details zu einzelnen Petitionen und anonymisieren überdies die Petenten.840 De facto wird die inhaltliche Entscheidung bezüglich der Behandlung der Eingabe daher im Ausschuss hergestellt, während die Beschlussfassung im Plenum eine bloße Formalität darstellt.841 Es ergibt sich wiederum die Frage, ob dieses Verfahren dem verfassungsrechtlichen Mindestgebot mündlicher Erörterung widerspricht.
837 Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 177 f.; vgl. auch H. H. Klein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 53; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 30. 838 H. H. Klein, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 17, Rn. 53; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 177. 839 Paschmanns, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 24, Rn. 15. Siehe zum Vorbereitungs- und Geheimhaltungsaufwand diesbezüglich auch Butzer, Immunität, 1991 S. 376 ff. 840 Würtenberger, in: BK, Art. 45c, Rn. 117. 841 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 45c, Rn. 45; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 146; Würtenberger, in: BK, Art. 45c, Rn. 117.
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Es ist bereits äußerst zweifelhaft, ob es sich bei Petitionen um Angelegenheiten von so wesentlicher Bedeutung handelt, dass diese dem verfassungsrechtlichen Mindestgebot mündlicher Erörterung nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG unterfallen. Gegen die Wesentlichkeit spricht, dass die Petitionsentscheidung zunächst nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.842 Insofern findet allein eine abschließende Mitteilung gegenüber dem Petenten statt. Auch die staatspolitische Bedeutung sowie die politische Relevanz mit Blick auf die gesellschaftliche Willensbildung dürften regelmäßig überschaubar sein. Bei Petitionen wird zumeist eine konkret die Person des Petenten betreffende Angelegenheit thematisiert.843 Da der Petitionsbescheid zudem keinen Regelungscharakter aufweist,844 kann sich eine Grundrechtsrelevanz der Behandlung im Parlament allenfalls mit Blick auf Art. 17 GG selbst ergeben. Dieser gewährleistet aus Sicht des Petenten jedoch lediglich einen Befassungsanspruch sowie einen Anspruch auf sachliche Verbescheidung.845 Insbesondere folgt aus dem Petitionsrecht kein Anrecht des Petenten auf Anhörung oder Zutritt zur Beratung.846 Die Tatsachen der Befassung mit und Verbescheidung von Petitionen werden aber durch die konkrete Verfahrensgestaltung bei der parlamentarischen Behandlung, etwa im Wege einer öffentlich-mündlichen Beratung im Plenum, gar nicht berührt. Die Art und Weise der Befassung mit der Petition weist daher für sich genommen keine Grundrechtsrelevanz auf. Überdies steht einer vollumfänglich öffentlichen Beratung der vom Bundestag zu behandelnden Petitionen regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Petenten als kollidierendes Rechtsgut gegenüber.847 Durch eine Offenlegung der Identität des Petenten und seiner persönlichen Lebensumstände er-
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H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17, Rn. 90. Etwas andere wäre allerdings bei Sammel- und Massenpetitionen sowie bei öffentlichen Petitionen der Fall. Nach den Grundsätzen des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden sind Sammelpetitionen Unterschriftensammlungen mit demselben Anliegen (Ziff. 2.2 (2)). Massenpetitionen sind Eingaben in größerer Zahl mit demselben Anliegen, deren Text ganz oder im Wesentlichen übereinstimmt (Ziff. 2.2 (3)). Öffentliche Petitionen sind schließlich solche Eingaben, die von allgemeinem Interesse sind und im Einvernehmen mit dem Petenten auf der Internetseite des Petitionsausschusses veröffentlicht und können dort zur Mittzeichnung und Diskussion gestellt werden (Ziff. 2.2 (4)). 844 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 45c, Rn. 20; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17, Rn. 84 ff.; vgl. auch BVerwG NJW 1976, S. 637 (638). 845 BVerfGE 2, 225 (230); 13, 54 (90); so etwa auch H. Bauer, in: Dreier, Art. 17, Rn. 33; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 17, Rn. 22; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17, Rn. 87 ff. 846 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 17, Rn. 25; H. H. Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 45c, Rn. 87. 847 Pietzner, Petitionsausschuss und Plenum, 1974, S. 68; Schürmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 30. 843
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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folgt ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung.848 Allerdings ist insoweit zu beachten, dass mit der Beratung der Petition in anonymisierter Form eine milderes Mittel im Vergleich zu einem vollständigen Verzicht auf die öffentliche Erörterung existiert. Einer vertieften (mündlichen) Behandlung von Petitionen im Plenum steht jedoch grundlegend der Gedanke der Arbeits- und Funktionsfähigkeit entgegen. Bereits angesichts der schieren Anzahl von Eingaben849 wäre eine substantielle Beratung schlechthin nicht zu bewältigen.850 Eingedenk der jedenfalls sehr begrenzten Wesentlichkeit der Beratung von Petitionen muss der andernfalls schwerwiegend beeinträchtigte Verfassungswert der Funktionsfähigkeit überwiegen, sodass der Verzicht auf eine mündliche Erörterung von Petitionen im Plenum in jedem Fall gerechtfertigt wäre. (4) Wahl der Bundesverfassungsrichter Schließlich erfolgt auch die Wahl der vom Bundestag nach Art. 94 Abs. 1 S. 1 GG zu berufenden Verfassungsrichter ausweislich § 6 Abs. 1 S. 1 BVerfGG auf Vorschlag des Wahlausschusses ohne mündliche Aussprache im Plenum. In dieser Konstellation stellt sich die abschließende Plenarentscheidung gleichermaßen lediglich als formelle Bestätigung eines Vorschlags des Wahlausschusses dar, welchem das exklusive Vorschlagsrecht und damit faktisch die Personalauswahlentscheidung zukommt.851 Da die Mitglieder des Wahlausschusses gemäß § 6 Abs. 4 BVerfGG zur Verschwiegenheit über die ihnen bekannt gewordenen persönlichen Verhältnisse der Bewerber sowie über die hierzu erfolgte Erörterung und Abstimmung im Wahlausschuss verpflichtet sind, wird zudem nicht einmal eine mittelbare Form der Transparenz durch Aussagen der Ausschussmitglieder hergestellt. Fraglich ist, ob dieser Ausschluss einer mündlichen Erörterung im Plenum im Lichte von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bestehen kann. Die Bedeutung der Wahl der Bundesverfassungsrichter anhand des Wesentlichkeitskriteriums erscheint ambivalent. Eine unmittelbare Grundrechtsrelevanz gegenüber dem Bürger kommt der Wahlentscheidung zumindest nicht zu. Auch ist die politische Bedeutung der Entscheidung – jedenfalls aus Sicht des außer848 Dieser wäre jedoch zumindest bei öffentlichen Petitionen, welche im Einvernehmen mit dem Petenten selbst veröffentlicht werden, infolge einer Einwilligung gerechtfertigt. 849 So wurden Beispielsweise in der 17. Wahlperiode allein 63.104 Petitionen behandelt, wovon 28.500 einer parlamentarischen Ausschussberatung zugeführt wurden. Siehe hierzu Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 14.2, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/datenhand buch (10.10.2019). 850 So schon früh BayVerfGHE 10, 20 (26 f.); ferner auch H. Bauer, in: Dreier, Art. 45c, Rn. 13; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 146; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 32. 851 Roßner, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 41, Rn. 68; Walter, in: Maunz/Dürig, Art. 94, Rn. 20.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
parlamentarischen Publikums – keineswegs mit jener der weiteren zentralen Ausprägungen der Kreationsfunktion des Bundestages vergleichbar.852 So handelt es sich bei der Wahl des Bundeskanzlers um eine hochpolitische Entscheidung. Auch die Mitwirkung des Parlaments an der Wahl des Bundespräsidenten im Rahmen der Bundesversammlung ist als Besetzung des vorrangig repräsentativ eingebundenen Staatsoberhauptes von erheblicher Symbolkraft. Andererseits ist die herausgehobene Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Gefüge der Verfassungsorgane zu bedenken, die auch der Berufung seiner Mitglieder eine staatspolitische Bedeutung verleiht. Das Bundesverfassungsgericht urteilt nicht allein über die Auslegung, sondern vielmehr über die Gültigkeit des Rechts schlechthin. In der Folge weisen verfassungsgerichtliche Entscheidungen häufig eine besondere Nähe zu politischen Fragestellungen auf. Verfassungsrecht ist gleichsam „politisches Recht“.853 Durch die Befugnis, formelle Gesetze für nichtig erklären und somit in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers übergreifen zu können, verfügt das Verfassungsgericht faktisch über eine gewisse Gestaltungsmacht in politischen Angelegenheiten.854 Folglich ist auch die Wahlentscheidung hinsichtlich der Verfassungsrichter zwingend eine politische Entscheidung.855 Diese Aspekte sprächen eher für die Einstufung der Behandlung von Wahlvorschlägen als wesentlich.856 Einschränkend ist dagegen zu bedenken, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit funktional lediglich zu einer reaktiven Kontrolle der Gesetzgebung berufen ist und damit zumindest nicht originär politikgestaltend tätig wird.857 Unabhängig von der konkreten Bedeutung des Berufungsvorgangs steht einer öffentlichen Erörterung des Personalvorschlages letztlich kollidierendes Verfassungsrecht entgegen. Im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Diskussion zur Frage der Zulässigkeit einer abschließenden Delegation der Wahlentscheidung auf einen Ausschuss – wie noch von § 6 Abs. 2 S. 1 BVerfGG a. F.858 vorgesehen – ist z. T. ins Feld geführt worden, dass durch die Übertragung der Entschei852 Vgl. Haratsch, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 6, Rn. 35. 853 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, § 268, passim; vgl. auch Ehmke, VVDStR 20 (1963), S. 53 (65). 854 Vgl. Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 242, 247. 855 Gusy, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 60, Rn. 16; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 247. 856 Gusy, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 60, Rn. 16; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 183. 857 Vgl. Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 242. 858 Zur vormals umstrittenen Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieser Regelung siehe Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 239 ff.; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 19, Rn. 55 ff.; Wiefelspütz, DÖV 2012, S. 961 ff.
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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dungsbefugnisse auf einen nichtöffentlichen Ausschuss eine Entpolitisierung und Versachlichung der Richterwahl bewirkt, eine die Würde des Bundesverfassungsgerichts beeinträchtigende, ggf. polemisch geführte öffentliche Personaldiskussion zu seinen zukünftigen Richtern vermieden und die Unabhängigkeit der einzelnen Verfassungsrichter gestärkt werde.859 Diese Argumente wurden vom Bundesverfassungsgericht aufgegriffen und unter dem Topos der Funktionsfähigkeit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung verklammern.860 Als Teilaspekt einer funktionsfähigen Rechtspflege lässt sich dieser Gedanke mithin als Staatswohlbelang einordnen. Auch unter Geltung der aktuellen Rechtslage, in der das Plenum nunmehr formell die abschließende Wahlentscheidung lediglich auf Vorschlag des Wahlausschusses trifft, kann hinsichtlich der mangelnden Aussprache als potentieller Einschränkung des Gebots öffentlich-mündlicher Beratung im Plenum auf den vorstehenden Aspekt der Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts zurückgegriffen werden. Eine coram publico – zumal noch vor der größeren Zuhörerschaft der parlamentarischen Vollversammlung – geführte Personaldebatte zum persönlichen Hintergrund einzelner Verfassungsrichterkandidaten wäre geeignet, die Auswahlentscheidung übermäßig politisch aufzuladen und potentiell zu einem Ansehensverlust der Verfassungsrichter bzw. der Verfassungsgerichtsbarkeit als solcher zu führen.861 Somit ist auch die Wahl der Bundesverfassungsrichter ohne mündliche Erörterung im Plenum jedenfalls aus Funktionsfähigkeitsgesichtspunkten gerechtfertigt und damit nicht als Verstoß gegen das Verfassungsgebot der Mündlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zu werten. cc) Synthese und Zwischenergebnis Nach dem Vorgesagten ist ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Mindestgebot der mündlichen Erörterung parlamentarischer Vorlagen im Plenum allein im Falle des vollständigen Verzichts auf eine abschließende Aussprache zu Gesetzesvorlagen gegeben. Insoweit ist ein rein schriftliches Beschlussverfahren bei lediglich formal öffentlicher Sitzung verfassungsrechtlich unzureichend. In
859 Vgl. K. Stern, Staatsrecht II, S. 358 ff.; Scholz, ZRP 2012, S. 191; Isensee, JZ 1996, S. 1085 (1092); kritisch hierzu Gusy, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 60, Rn. 23; Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 247 ff. 860 BVerfGE 131, 230 (236): „Die Übertragung der Wahl der Bundesverfassungsrichter auf einen Wahlausschuss, dessen Mitglieder der Verschwiegenheitspflicht unterliegen (§ 6 Abs. 4 BVerfGG), findet ihre Rechtfertigung in dem erkennbaren gesetzgeberischen Ziel, das Ansehen des Gerichts und das Vertrauen in seine Unabhängigkeit zu festigen und damit seine Funktionsfähigkeit zu sichern.“ 861 So auch Haratsch, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 6, Rn. 35.
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
Rückanknüpfung an die Ausgangsfrage der Anwendbarkeit des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes auf Ausschüsse ergibt sich somit das Zwischenergebnis, dass in diesen Fällen die Anschauungsmöglichkeit der tatsächlich stattfindenden abschließenden Erörterung von Gesetzesvorlagen im Ausschuss infolge des Wegfalls der öffentlich-mündlichen Beratung im Plenum aus demokratisch-rechtsstaatlicher Perspektive maßgebliche Bedeutung erlangt. Zwar beinhaltet Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nach hiesiger Auffassung gerade das Gebot eines Mindestmaßes mündlicher Beratung im Plenum, welches einem solchen Verzicht auf die Aussprache entgegenstünde. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich im Falle einer Zuwiderhandlung gegen den Mündlichkeitsgrundsatz die für die Nachvollziehbarkeit des staatlichen Willensbildungsprozesses essentielle Beratung einer Vorlage de facto allein im Ausschuss vollzogen hat. Je weniger demnach eine tatsächliche mündliche Beratung von wesentlichen Vorlagen in der parlamentarischen Vollversammlung erfolgt, umso eher lässt sich der allgemeine verfassungsrechtliche Öffentlichkeitssatz zu einer Rechtsregel hinsichtlich der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen verdichten. Jedenfalls bei vollständigem Verzicht auf eine signifikante mündlich-diskursive Erörterung der finalen Fassung einer Gesetzesvorlage im Anschluss an die Ausschussberatungen schlägt der Öffentlichkeitsgrundsatz in eine konkrete Rechtsregel um. Dies gilt gleichermaßen, wenn anstatt einer Aussprache die Wortbeiträge vollständig zu Protokoll gegeben werden. Die hierdurch nachträglich hergestellte schriftliche Transparenz kompensiert den Wegfall der mündlichen Erörterung nur unvollständig. Der Mindestumfang einer signifikanten Erörterung erfordert dabei, dass – in Übereinstimmung mit dem Rechtsgedanken des § 25 Abs. 2 S. 3 GO-BT – jedenfalls jede Fraktion ihren Standpunkt durch wenigstens einen Redebeitrag zum Ausdruck gebracht hat. Hierfür spricht auch wie eingangs erwähnt, dass die Verdichtung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu einer Rechtsregel insbesondere bei wesentlichen Beratungsgegenständen von erheblichem öffentlichem Interesse in Frage kommt. Hinsichtlich Gesetzesvorlagen ist das Vorliegen eines wesentlichen Beratungsgegenstandes soeben im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen das Mindestmaß mündlicher Beratung im Plenum inzident bejaht worden. Auch dieser Umstand spricht mithin für eine Konkretisierung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu einer Rechtsregel. Dem steht der rein vorbereitende Charakter der Ausschussberatungen nicht entgegen, da deren Bedeutung für die gesellschaftliche Nachvollziehbarkeit und Willensbildung mangels nachfolgender Erörterung maßgeblich ist und im Anschluss das Ergebnis der Ausschusssitzungen unverändert, lediglich formal als abschließende Parlamentsentscheidung bestätigt wird. Im Ergebnis verdichtet sich daher der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz hinsichtlich Gesetzesvorlagen, die in der beschriebenen Verfahrensweise im Plenum
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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behandelt wurden, zu einer Rechtsregel. Diese gebietet ausnahmsweise eine Öffentlichkeit der Ausschussberatung.862 Das Rechtsgebot der Ausschussöffentlichkeit korrespondiert insofern dogmatisch mit der zu Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG herausgearbeiteten Mindestmaßes mündlicher Erörterung im Rahmen der öffentlichen Plenarsitzung. Demnach ist eine Verfahrensgestaltung, bei der auf eine abschließende Beratung von Gesetzesvorlagen im Plenum vollständig verzichtet wird und zugleich die Ausschussberatungen nichtöffentlich stattfinden gleich in doppelter Hinsicht verfassungswidrig. Die Verfahrensgestaltung im Plenum widerspricht dem Mindestgebot mündlicher Erörterung aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, während das Ausschussverfahren hinter den Anforderungen des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes zurückbleibt. Der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz stellt im Ergebnis daher ein erforderliches Gesamtniveau parlamentarischer Öffentlichkeit sicher. Dem vorstehenden Ergebnis steht schließlich auch nicht entgegen, dass aufgrund der bisherigen Üblichkeit in der Praxis, auf die Aussprache in sämtlichen Lesungen im Plenum zu verzichten, ohne zugleich die Ausschussöffentlichkeit herzustellen, jedenfalls eine erhebliche Anzahl von Gesetzen verfassungswidrig zustande gekommen wäre. Insofern ist an das mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit vom Bundesverfassungsgericht gefordert Kriterium eines evidenten Verstoßes gegen verfassungsrechtliche Verfahrensnormen im Gesetzgebungsverfahren als Voraussetzung einer potentiellen Nichtigkeit der betroffenen Gesetze zu erinnern.863 Von einer Evidenz ist indes aufgrund der bisherigen parlamentarischen Usancen und der dogmatisch spitzfindigen Herleitung einer verfassungsrechtlichen Pflicht aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz nicht auszugehen. Infolgedessen wären die betroffenen Gesetze weiterhin gültig. 2. Koordinierung mit gegenläufigen Rechtsgütern Vor dem Hintergrund des Umstands, dass Prinzipien bzw. Grundsätze „ihren eigentlichen Sinngehalt erst in einem Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung“ 864 entfalten, ist im zweiten Schritt zu untersuchen, ob andere Rechtsgüter von Verfassungsrang die soeben herausgearbeitete Rechtsregel der Ausschussöffentlichkeit möglicherweise beschränken.865 Diesbezüglich kann insbesondere auf die bereits im Rahmen der Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG angeführten kollidierenden Rechtsgüter, namentlich auf Staatswohlbelange, grundrechtlich verwurzelte Geheimnisschutz862
Zum konkreten Umfang der Öffentlichkeit siehe noch Kap. 4 B. BVerfGE 20, 56 (79); 34, 9 (25 f.); 91, 148 (175 f.). 864 Canaris, Systemdenken, 2. Aufl. 1983, S. 55. 865 Reimer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2020, Rn. 520; ders., Verfassungsprinzipien, 2001, S. 495 f.; vgl. auch Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 II, Rn. 23; Jestaedt, AöR 126 (2001), S. 204 (215 ff.); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 164 ff. 863
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
interessen sowie die parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit abgestellt werden. In der Konstellation der zwingenden Ausschussöffentlichkeit bei abschließender mündlicher Erörterung von Gesetzesvorlagen im Ausschuss käme eine Berührung von staatlichen oder privaten Geheimnisschutzinteressen regelmäßig kaum in Frage. Die Beratungen zu abstrakt-generellen Gesetzesvorlagen betreffen fachliche und gesetzgebungstechnische Aspekte einzelner Regelungen sowie politische Argumente für und wider bestimmte Teilbereiche einer Vorlage. Konkrete geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte dürften sie jedoch kaum behandeln. Sofern im Rahmen der Diskussion zu konkreten Vorschriften im Einzelfall doch einmal ein geheimhaltungsbedürftiger Umstand – etwa im Kontext der Befragung von Mitgliedern der Ministerialverwaltung zu geheimnisschutzrelevanten Tatsachen – thematisiert werden sollte, käme stets ein Ausschluss der Öffentlichkeit für die konkrete Sitzung oder den jeweiligen Tagesordnungspunkt in Betracht. Eine generelle Ausnahme von der Ausschussöffentlichkeit wäre auf dieser Basis im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung jedenfalls nicht erforderlich, da eine einzelfallbezogene Ausschlussmöglichkeit im Bereich der Gesetzesberatung ein milderes, gleich wirksames Mittel darstellte. Mithin wäre allein die Möglichkeit eines generellen Ausschlusses aus Gründen der parlamentarischen Arbeits- und Funktionsfähigkeit denkbar. Hier ist bereits im Kontext der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit auf die Argumentation eingegangen worden, dass eine nichtöffentliche Ausschussberatung einer sachlicheren Ausschussberatung zuträglich sei und die Kompromissfähigkeit sicherstellte. Diese Begründung zielt gerade auf den gestalterischen Beratungsprozess zu Gesetzesvorlagen ab. Wie gesehen, muss der Gedanke der Funktionsfähigkeit jedenfalls im Verhältnis zu einem Verfassungsgebot der Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG in der Abwägung zurücktreten.866 Fraglich ist, ob sich insofern für eine Öffentlichkeitspflicht, die aus einer direkten Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes folgt, etwas anderes ergeben kann. Einer aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz abgeleiteten Rechtsregel kann zumindest kein größeres Abwägungsgewicht zukommen als dem einfachverfassungsrechtlichen Gebot nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, welches sich im Ursprung auf die Plenaröffentlichkeit als zentralste und daher wirkmächtigste Ausprägung des Öffentlichkeitspostulats bezieht.867 Diskussionswürdig wäre allenfalls, ob einem aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz hergeleiteten Öffentlichkeitsgebot ein geringeres Abwägungsgewicht als jenem des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) zukommt, sodass eine weiterreichende Einschränkungsmöglichkeit durch Funktionsfähigkeitserwägungen gegeben wäre. 866 867
Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. III. 2. a) dd). Vgl. zu diesem Gedanken auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (697).
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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Insofern ist allerdings schon fraglich, ob die Nichtöffentlichkeit die parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit überhaupt zu fördern vermag.868 Selbst wenn man dies in Anerkennung einer Einschätzungsprärogative des Geschäftsordnungsgebers unterstellte, würde von der partiellen Ausschussöffentlichkeit jedenfalls keine empfindliche Einschränkung der Funktionsfähigkeit ausgehen, da die inhaltliche Kompromissbildung schwerpunktmäßig außerhalb von Ausschüssen stattfindet.869 Dagegen würde der durch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip vermittelten Aspekte der Nachvollziehbarkeit staatlicher Tätigkeit durch die Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen bei vollumfänglichem Verzicht auf eine öffentliche Beratung weitgehend zurückgedrängt. Es wurde überdies bereits darauf hingewiesen, dass die Repräsentationsfunktion des Parlaments einen Teilaspekt der Funktionsfähigkeit darstellt und somit gleichsam zwingend auf ein hinreichendes Maß an parlamentarischer Öffentlichkeit angewiesen ist. Auch ist grundsätzlich nicht ersichtlich, dass die aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz folgende Öffentlichkeitspflicht von erheblich geringerem Abwägungsgewicht wäre, als dessen Einzelausprägung in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG. Zwar wirken in der Plenarverhandlung die Öffentlichkeitsfunktionen wegen des typischerweise auf eine externe Vermittlung angelegten Verfahrens besonders stark. Allerdings ist dargelegt worden, dass der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz als Quelle der Plenaröffentlichkeit im Ergebnis auf die Gewährleistung eines bestimmten Gesamtniveaus der Öffentlichkeit zielt und somit ein Bedeutungszuwachs der Ausschussberatung bei Wegfall der Erörterung im Plenum stattfindet. In dieser Spezialkonstellation kommt der Ausschussberatung daher eine mit dem Bedeutungsgehalt des Plenums vergleichbare Öffentlichkeitsrelevanz und ein damit korrespondierendes Abwägungsgewicht zu. Kongruent zur Wertung im Rahmen von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG kommt daher eine vollständige Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen aus Funktionsfähigkeitserwägungen nicht in Betracht. Im Ergebnis bleibt es somit dabei, dass aus dem allgemeinen Verfassungsgrundsatz staatlicher Öffentlichkeit eine grundsätzliche Rechtpflicht zur Ausschussöffentlichkeit bei der Beratung von Gesetzesentwürfen folgt, wenn im Anschluss an die Ausschussphase zu diesen im Plenum keinerlei nennenswerte mündliche Aussprache erfolgt. 3. Fallbeispiel: Justizmitteilungsgesetz Als illustrierendes Fallbeispiel für die vorstehend herausgearbeitete Öffentlichkeitspflicht in Bezug auf Parlamentsausschüsse soll der Entstehungsprozess des von Brun-Otto Bryde als Fall sog. „Geheimgesetzgebung“ 870 bezeichneten Justiz868
Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. II. 1. d) aa). Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. V. 2. a). 870 Bryde, JZ 1998, 115 ff.; weitere Beispiele bei E. Klein, Gesetzgebung ohne Parlament, 2004, S. 16 f. 869
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Kap. 3: Verfassungsrechtliches Gebot von Ausschusssitzungen
mitteilungsgesetzes dienen.871 Durch dieses ist u. a. eine in der Auslegung bis dato umstrittene gebührenrechtliche Vorschrift der BRAGO geändert worden, die in der anwaltlichen Praxis zu höheren Gebühren in Verkehrssachen führte, folglich wirtschaftlich signifikante Implikationen beinhaltete und zugleich eine zwischen der Anwaltschaft und den Kostenträgern sehr strittige Sachfrage abschließend klärte. Diese Vorschrift war allerdings nicht Gegenstand des ursprünglichen Regierungsentwurfs, welcher unter dem Titel „Entwurf eines Gesetzes über Mitteilungen der Justiz von Amts wegen in Zivil- und Strafsachen (Justizmitteilungsgesetz)“ 872 firmierte und in erster Linie der Umsetzung der sich aus dem Volkszählungsurteil ergebenden Anforderungen an Zivil- und Strafverfahren diente. Nach der ersten Lesung, die ohne Aussprache erfolgte, wurde der Entwurf dem Rechtsausschuss zugeleitet. Dieser nahm neben kleineren Änderungen an der eigentlichen Kernmaterie auch die außerhalb des thematischen Zusammenhangs stehende Ergänzung um die gebührenrechtliche Bestimmung vor. In der Folge wurde der Titel der Gesetzesvorlage in „Justizmitteilungsgesetz und Gesetz zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze“ geändert, wobei der Kurztitel „Justizmitteilungsgesetz“ erhalten blieb. Die Änderung des Titels ging dabei allein aus dem Text der Beschlussempfehlung hervor,873 während die Drucksache selbst weiter unter dem ursprünglichen Titel firmierte. Schließlich wurde das Gesetz zwei Tage nach der Veröffentlichung des Ausschussberichts in zweiter und dritter Lesung unter der Bezeichnung „Justizmitteilungsgesetz“ aufgerufen874 und ohne Aussprache verabschiedet. Weder die vollständige Neubezeichnung des Gesetzes noch der Inhalt der nachträglich eingeführten Bestimmung wurden ausweislich des Protokolls in der Verhandlung des Plenums thematisiert.875 In diesem Fallbeispiel ließe sich der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz nach den obigen Kriterien eindeutig zu einer Rechtsregel hinsichtlich der Öffentlichkeit der Ausschusssitzung konkretisieren. Zunächst ist der Regelungsgegenstand als Gesetz mit wesentlichen materiellen Auswirkungen auf die Allgemeinheit als bedeutsam mit Blick auf die gesellschaftliche Willensbildung zu qualifizieren. Außerdem ist die inhaltliche Beigabe während der Ausschusssitzung hier als erheblich zu bezeichnen.876 Schließlich ist die Erörterung der Angelegenheit im
871
BGBl. I 1997 S. 1430. BT-Drs. 13/4709. 873 BT-Drs. 13/7489, S. 4. 874 BT-PlPr 13. WP/172. Sitzung vom 24.4.1997, S. 15509 A/B. 875 Bryde, JZ 1998, S. 115 (116). 876 Dieser Umstand ist überdies mit Blick auf das mangelnde Initiativrecht von Ausschüssen verfassungsrechtlich höchst problematisch, siehe hierzu Bryde, JZ 1998, S. 115 (116 f.). 872
C. Ausschussöffentlichkeit nach dem allg. Öffentlichkeitsgrundsatz
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Plenum vollständig weggefallen. Im konkreten Fall ist daher der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz im Hinblick auf Ausschüsse zu einer die Öffentlichkeit grundsätzlich gebietenden Rechtsregel zu konkretisieren. Diesem Gebot stehen im konkreten Fall keine kollidierenden Verfassungsrechtsgüter gegenüber, die eine Ausnahme von der Rechtsregel bedingen. Im Ergebnis hätte die Ausschussberatung daher dem Grunde nach öffentlich stattfinden müssen.
Kapitel 4
Inhaltliche Reichweite der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit Soweit Bundestagsausschüsse nach dem Vorgesagten entweder infolge einer analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG oder aufgrund einer direkten Anwendung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgrundsatzes obligatorisch öffentlich tagen, ergibt sich die Anschlussfrage nach der konkreten inhaltlichen Reichweite der herzustellenden Ausschussöffentlichkeit. Diese ist – soweit ersichtlich – bisher im juristischen Schrifttum nicht thematisiert worden. Bezüglich des Umfangs der Verhandlungsöffentlichkeit ist zunächst nach dem jeweiligen Geltungsgrund der Öffentlichkeitspflicht zu differenzieren und die inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (A.) bzw. auf Basis des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes (B.) zu eruieren. Im Anschluss sind die Voraussetzungen eines Ausschlusses der Ausschussöffentlichkeit (C.) sowie die Rechtsfolgen eines Verstoßes hiergegen (D.) zu beleuchten.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit Ursprung staatlicher Öffentlichkeitspflichten ist – wie gesehen – der allgemeine verfassungsrechtliche Öffentlichkeitsgrundsatz, der in Bezug auf den Bundestag eine spezielle Ausprägung insbesondere in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gefunden hat, welcher statuiert, dass der Bundestag öffentlich verhandelt. Die konkreten inhaltlichen Vorgaben dieser Norm stehen angesichts des spärlichen Wortlauts in Frage, sodass das Erfordernis eines „öffentlichen Verhandelns“ zunächst der Auslegung bedarf. Die rechtswissenschaftliche Literatur und die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung haben diese Tatbestandsmerkmale mit Blick auf die gebotene inhaltliche Reichweite der Parlamentsöffentlichkeit im Plenum z. T. konkretisiert. Für Bundestagsausschüsse, die einem Öffentlichkeitsgebot infolge einer analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG unterliegen, richtet sich das erforderliche Maß herzustellender Öffentlichkeit gleichfalls nach dem grundsätzlichen Regelungsgehalt dieser Norm. Die unmittelbar zur Plenaröffentlichkeit entwickelten Maßstäbe gelten somit grundsätzlich sinngemäß auch für die Ausschussöffentlichkeit. Wenn mithin im Folgenden von Parlamentsverhandlungen bzw. parlamentarischen Sitzungen die Rede ist, schließt dies Ausschusssitzungen
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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im analogen Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ein. Zu bedenken ist allerdings, dass den funktionalen Besonderheiten von Ausschüssen im Rahmen des Ausgleichs des Verfassungswertes der Öffentlichkeit mit dem Rechtsgut der Arbeits- und Funktionsfähigkeit (von Ausschüssen) Rechnung zu tragen ist, sodass sich im Einzelfall ggf. Besonderheiten im Vergleich zur Reichweite der Plenaröffentlichkeit ergeben können. Die Verfahrensmaxime der Verhandlungsöffentlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG wird nach allgemeiner Ansicht in die Bedeutungsdimensionen der Sitzungs- (I.) und der Berichterstattungsöffentlichkeit (II.) untergliedert.1 Dabei bezeichnet die Sitzungsöffentlichkeit die allgemeine räumliche Zugänglichkeit der Parlamentsverhandlungen für Zuhörer und ermöglicht somit eine direkte Anschauung des Sitzungsverlaufs. Die Berichterstattungsöffentlichkeit beschreibt dagegen die – vor dem Hintergrund einer in der Praxis nur ausnahmsweise möglichen direkten Teilnahme an Sitzungen – besonders bedeutsame Möglichkeit, mittelbar vom Inhalt der Parlamentsverhandlungen durch amtliche bzw. nichtamtliche Berichterstattung Kenntnis zu nehmen. Letztere wird etwa in Form einer vollständigen oder teilweisen Live-Übertragung in Rundfunk, Fernsehen oder Internet, einer Aufzeichnung und anschließenden Zugänglichmachung der Videomitschnitte, einer Protokollierung des Sitzungsverlaufs oder einer Wiedergabe des Sitzungsinhalts durch unmittelbar anwesende Pressevertreter gewährleistet.2 Darüber hinaus wird aus dem Grundsatze der Verhandlungsöffentlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG z. T. das Gebot eines Mindestmaßes (öffentlicher) mündlicher Erörterung (III.) von Vorlagen abgeleitet.3 Neben diesen verfahrensbezogenen Ausprägungen wird der Verhandlungsöffentlichkeit von einigen Stimmen weiterhin eine materiell-rechtliche Komponente im Sinne einer inhaltlichen Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Sitzungsverlaufs (IV.) beigelegt.4 Von der Verhandlungsöffentlichkeit ist die bloße Erklärungsöffentlichkeit zu unterscheiden, die sich dadurch auszeichnet, dass hier die entsprechenden Sitzun1 Zu dieser Unterscheidung siehe etwa Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 1; Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 27 ff.; ders., Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 314, 317 ff.; Kluth, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 4; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (675 f.); Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 1; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 34; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27. 2 Vgl. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 3 ff.; Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 27 ff.; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (676); Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 34 ff.; Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (716). 3 Hierzu bereits grundlegend Kap. 3 C. II. 1. b) aa). 4 Siehe hierzu Achterberg, Parlamentsrecht, 1984 S. 562; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 138 ff.; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 20 f.; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 32.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
gen selbst nicht allgemein zugänglich sind, jedoch durch Erklärungen, Stellungnahmen oder Auskünfte der Beteiligten die erzielten Ergebnisse bzw. die von den Beteiligten eingenommenen Standpunkte nachträglich gegenüber dem ausgeschlossenen Publikum kommuniziert werden.5
I. Sitzungsöffentlichkeit von Parlamentsausschüssen 1. „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Die Sitzungsöffentlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG setzt zunächst voraus, dass grundsätzlich jedermann – mithin sowohl bürgerschaftliche Zuschauer als auch Medienvertreter oder sonstige Personen (z. B. Diplomaten) – in Ansehung der räumlichen Verhältnisse die Möglichkeit des freien Zutritts zu den Parlamentsverhandlungen hat.6 Der Personenkreis möglicher Zuschauer darf dabei nicht bereits im Vorhinein abschließend feststehen, sodass im Rahmen der Ausschusssitzungen etwa die regelmäßige Teilnahmemöglichkeit von Bundestagsmitgliedern an Beratungen von Ausschüssen, denen sie selbst nicht angehören (vgl. § 69 Abs. 2 GO-BT), noch keine Sitzungsöffentlichkeit konstituiert.7 Eine Mindermeinung8 will den Adressatenkreis der Norm auf deutsche Staatsbürger im Sinne von Art. 116 GG sowie auf Vertreter der Medien beschränken. Die hierfür angeführte Argumentation, dass nur von ersteren die Staatsgewalt gemäß Art. 20 Abs. 2 GG ausgehe und letzteren eine entscheidende Funktion für den demokratischen Willensbildungsprozess zukomme, verdient dagegen keine Zustimmung, da diese einseitig auf die Verwurzelung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG im Demokratieprinzip abstellt. Aus dem zugleich zu beachtenden rechtsstaatlichen Bedeutungsgehalt der Öffentlichkeit sowie der Prägung durch die grundrechtliche Kommunikationsverfassung wird indes ersichtlich, dass es sich bei staatlichen Machtentäußerungen unterworfenen Personen nicht zwangsläufig um Staatsbürger handeln muss und dass sich auch Ausländer am verfassungsrechtlichen Kommunikationsprozess beteiligen können.9
5 Vgl. Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 22; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (676); Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (716). 6 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 3; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 26; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 35; Schliesky, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 19. 7 Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 150 f.; ders., in: Sachs, Art. 42, Rn. 3. 8 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 108 ff. 9 Der persönliche Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG gilt dabei für jedermann. Die Grundrechte in Art. 8 und 9 GG werden zwar nur für Deutsche i. S. v. Art. 116 GG gewährleistet. Ausländer können sich jedoch hinsichtlich der Durchführung von und Beteiligung an Versammlungen bzw. des Bildens von Vereinen und Gesellschaften jedenfalls auf die allgemeine Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG berufen.
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a) Schaffung eines Zuschauerraums Mit der Zugänglichmachung von Parlamentsverhandlungen geht die Verpflichtung einher, überhaupt einen Zuschauerraum zur Verfügung zu stellen und nicht durch sonstige Maßnahmen oder Unterlassungen die faktische Möglichkeit der Anschauung der parlamentarischen Sitzungen auszuschließen.10 So ist etwa mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG sicherzustellen, dass auch Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen effektiv die Möglichkeit haben, Parlamentsverhandlungen zu besuchen.11 Dabei steht die Entscheidung über den Umfang, in welchem ein Zuschauerraum bereitgestellt wird, als Ausfluss der Parlamentsautonomie im Ermessen des Bundestages und wird lediglich durch ein an den räumlichen Gegebenheiten ausgerichtetes Untermaßverbot eingeschränkt.12 Darüber hinaus folgt aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG keine rechtliche Pflicht, in Räumen zu tagen, die die Unterbringung einer größeren Zuschauerzahl ermöglichen.13 b) Administration und Begrenzung des Zugangs Der Regelungsgehalt der allgemeinen Zugänglichkeit steht einer administrativen Verwaltung und Begrenzung des Zutritts zum Parlamentsgebäude bzw. zur Zuschauergalerie im Ausschusssaal nicht grundsätzlich entgegen. Soweit es hierbei zu Zugangsbeschränkungen und damit zu einer Verkürzung des Öffentlichkeitgebots kommt, kann diese unter dem Aspekt der parlamentarischen Arbeitsund Funktionsfähigkeit gerechtfertigt sein. Dem Bundestag kommt im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 GG bei der Zuordnung beider Rechtsgüter im Sinne praktischer Konkordanz ein weiter Ermessensspielraum zu.14 So kann etwa der Zugang zu parlamentarischen Sitzungen – wie in der Praxis üblich – dergestalt reglementiert werden, dass eine vorherige Anmeldung erforderlich ist, die Anzahl der Besuchertermine begrenzt wird, für Gruppenbesuche ein bestimmtes Mindestalter verlangt wird oder – aus Sicherheitserwägungen – eine individuelle Einlasskontrolle erfolgt.15
10 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 33; vgl. auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 3; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 35; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 28. 11 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 36. 12 Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 26; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 35; vgl. auch; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 15; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 33. 13 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 567; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 42, Rn. 28. 14 Vgl. Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 36; siehe auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 121 ff. 15 Siehe hierzu Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 36; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 33.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Ferner stellt die Administration des Zutritts durch die Verteilung von kostenlosen Eintrittskarten angesichts begrenzter räumlicher Verhältnisse (insbesondere in den Ausschüssen) keine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes dar.16 Da der Zugang jedoch grundsätzlich jedermann zu gewähren ist, hat deren Ausgabe unter Wahrung von Gleichbehandlungsgesichtspunkten (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG) zu erfolgen.17 Somit darf grundsätzlich nicht auf Zuteilungskriterien wie Alter, Beruf oder fachliche Qualifikation abgestellt werden. Auch eine besondere individuelle Betroffenheit bestimmter Personengruppen durch den jeweiligen Verhandlungsgegenstand kann eine Bevorzugung nicht rechtfertigen, da im Wege der Berichterstattungsöffentlichkeit dem Informationsbedürfnis dieser Personen auch ohne einen privilegierten unmittelbaren Zugang hinreichend Rechnung getragen werden kann.18 Die Verteilung von Eintrittskarten nach dem Prioritätsprinzip ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der ähnlich gelagerten Konstellation der Vergabe von Zuschauerplätzen in Gerichtsverfahren19 verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig.20 Auch die Differenzierung zwischen regulären Zuschauern und angemeldeten Gästen21 sowie die Bereitstellung eines speziellen Kontingents an Plätzen für diese Gäste ist verfassungsrechtlich solange vom Ermessensspielraum des Bundestages gedeckt, wie ein hinreichendes Kontingent an Plätzen für „reguläre“ Besucher verbleibt.22 Diese Differenzierung stellt keine Missachtung des Gebots der Chancengleichheit dar, welches nur im Rahmen der Verteilung derjenigen Plätze gilt, die als Folge des erforderlichen Mindestmaßes tatsächlicher Zugänglichkeit zu schaffen sind. Sofern dieses Maß jedoch gewahrt ist, steht es dem Bundestag frei, überdies Kapazitäten für geladene Gäste vorzuhalten.23
16 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 3; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 33; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 6; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 9; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 26; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 37; Versteyl, in: v. Münch/ Kunig, Art. 42, Rn. 12. 17 Vgl. Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 3; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 26; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 37; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 28; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 12. 18 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 37. 19 BVerfG, NJW 2013, S. 1293 (1294, Rn. 21 ff.). 20 So auch Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 37; im Anschluss hieran Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 116. 21 So können Besuchergruppen auf Einladung eines Abgeordneten der Plenardebatte für die Dauer etwa einer Stunde beiwohnen. Siehe hierzu https://www.bundestag.de/be suche/fuehrung/besuchaufeinladungeinesabgeordneten (07.09.2019). 22 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 118; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 9; a. A. Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 99 f. 23 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 118 f.
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Schließlich ist auch eine Verweigerung des Zugangs für Personen, deren Zustand mit der „Würde des Parlaments“ nicht in Einklang steht, jedenfalls insoweit gerechtfertigt, als dies zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Ausschusses bzw. des Parlaments geboten ist.24 Für die Betroffenheit der Funktionsfähigkeit genügt z. B. allein das Tragen von legerer Kleidung oder von Arbeitsbekleidung nicht. Vielmehr ist eine hinreichend wahrscheinliche Störung des parlamentarischen Betriebs zu fordern, wie sie etwa im Falle erheblicher Trunkenheit oder extremer Formen der Bekleidung (Maskierung, Vermummung etc.) bzw. Nichtbekleidung zu erwarten wäre.25 Hinsichtlich religiöser Kleidungsstücke dürfte eine Zutrittsbeschränkung schon mit Blick auf den Bedeutungsgehalt von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich problematisch sein, zumal etwa im – freilich eher hypothetischen – Fall der religiös motivierten Vollverschleierung etwaige Sicherheitsbedenken vorrangig im Rahmen einer gründlichen Einlasskontrolle adressiert werden können.26 c) Sonderstellung von Medienvertretern Fraglich ist ferner, ob im Rahmen der Zuteilung der begrenzten Zuschauerplätze Medienvertretern – angesichts der besonderen Bedeutung von Presse und Rundfunk für die repräsentative Demokratie27 – eine Bevorzugung zuteilwerden darf oder gar muss. Eine solche Privilegierung wird z. T. unter Verweis auf den Grundsatz der Chancengleichheit verneint.28 Für eine bevorzugte Behandlung spricht allerdings, dass den Medien eine besondere Funktion als Multiplikatoren im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses zukommt und sie sich infolgedessen auf eine gesonderte subjektiv-rechtliche Gewähr für die Durchführung ihrer Arbeit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) berufen können. Sie stellen in der repräsentativen Demokratie ein ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern im Parlament dar und halten den fortlaufenden gesellschaftlichen Willensbildungsprozess in Gang, indem sie ein umfassendes Informationsbild aus der staatlichen Sphäre vermitteln sowie zu staatlichen Ereignissen selbst Stellung nehmen und damit eine orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung darstellen. Ferner fassen sie gesellschaftliche Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellen diese zur 24 Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu, Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 6; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 132 f.; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 39. 25 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 132 f.; in diesem Sinne wohl auch Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu, Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 6; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 39. 26 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 39; dem folgen auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 132. 27 Siehe hierzu bereits Kap. 3 A. III. 3. 28 So explizit Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 567.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Diskussion und tragen sie an die politischen Handlungsträger heran.29 Presse und Rundfunk sind zugleich Medium und Faktor der öffentlichen und individuellen Meinungsbildung.30 Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es in der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft dem einzelnen Bürger regelmäßig nicht möglich ist, fortlaufend die Verhandlungen des Bundestages zu verfolgen, kommt der medialen Vermittlung eine Schlüsselstellung für die politische Willensbildung zu, sodass eine Privilegierung von Medienvertretern im Rahmen des Zugangs zur Parlamentsverhandlung grundsätzlich verfassungsrechtlich intendiert ist.31 Insoweit ist es im Rahmen von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, einen Teil der Zuschauerplätze für Medienvertreter vorzuhalten.32 Gleichwohl darf eine Privilegierung der Medien nicht dazu führen, dass andere potentielle Zuschauer vom Zugang vollständig ausgeschlossen werden.33 In der Folge besteht die Notwendigkeit, eine sachgemäße Auswahlentscheidung zum einen zwischen Medienvertretern und sonstigen Zuschauern sowie zum anderen innerhalb der Gruppe der Medienvertreter selbst zu treffen. Letzteres bedingt das Erfordernis einer meinungspluralistischen Zusammensetzung der ausgewählten Journalisten.34 d) Ausschluss von Störern Schließlich ist auch eine Ausschlussmöglichkeit einzelner störender Zuhörer im Lichte von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) verfassungsrechtlich zulässig.35 Insofern wird der Öffentlichkeitsgrundsatz durch das Hausrecht und die Polizeigewalt des Bundestagspräsidenten nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG begrenzt,36 welche ihrerseits auf die Gewährleistung eines störungsfreien Parlamentsbetriebs ab29 Für die die Presse grundlegend BVerfGE 20, 162 (174 f.); für den Rundfunk siehe zuletzt BVerfGE 114, 371 (387 ff.); 119, 181 (214). Vgl. hierzu auch Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1114 ff.) sowie Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 17 ff. 30 BVerfGE 12, 205 (260); 35, 202 (222); 83, 238 (296). 31 Ebenso Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1115); Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 4; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (676); Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 3; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 38; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 19, Bem. 2. b). 32 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 4; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/ Starck/Klein, Art. 42, Rn. 9; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 3; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, Art. 42, Rn. 1. 33 So auch Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 9; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 38. 34 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 4; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 38. 35 Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 15; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 53; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 40; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 12. 36 Vgl. Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 278 f.; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 6; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 40.
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zielen und damit Ausdruck des kollidierenden Verfassungswertes parlamentarischer Funktionsfähigkeit sind.37 In diesem Rahmen sind etwa geschäftsordnungsrechtliche Regelungen, die einen Ausschluss störender Zuhörer von parlamentarischen Sitzung erlauben, grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich.38 Ebenso kann die Einhaltung der Hausordnung durch Wahrnehmung des Hausrechts in Form der Verweisung von Zuhörern aus dem Bundestagsgebäude sowie in Gestalt eines Vorgehens nach § 123 StGB sichergestellt werden.39 Im Rahmen der tatsächlichen Einschränkung der Ausschussöffentlichkeit durch den Ausschluss von Störern ist in Entsprechung der allgemeinen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall zu prüfen, ob von einem vermeintlich störenden Verhalten tatsächlich eine Beeinträchtigung der parlamentarischen Funktionsfähigkeit ausgeht und ein Ausschluss erforderlich und angemessen ist. So dürften etwa einmalige und kaum vernehmbare Unmuts- oder Beifallsbekundungen auf der Tribüne nicht bereits einen Ausschluss rechtfertigen. Ein solcher bedürfte vielmehr der vorherigen Ermahnung nebst anschließender Zuwiderhandlung.40 Außerdem ist sicherzustellen, dass durch einschränkende Maßnahmen gegenüber Störern nicht die Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) insgesamt unterlaufen wird. Demgemäß ist beispielsweise nach einer Räumung der Zuschauertribüne wegen störender Unruhe41 die Sitzung zu pausieren und bei deren Fortgang die Öffentlichkeit – unter Ausschluss der Störer – erneut herzustellen.42 2. „Verhandlungen“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Wie in der Zusammenschau mit Art. 42 Abs. 1 S. 3 und Abs. 3 GG ersichtlich, bezieht sich der Terminus des „Verhandelns“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf die Sitzungen des Bundestages43 bzw. – im Falle der Analogie – auf die Sitzungen seiner Ausschüsse. Der Verhandlungsbegriff ist dabei weit zu verstehen. So legt das Bundesverfassungsgericht ein Begriffsverständnis zugrunde, wonach unter dem Verhandeln auch der „gesamte der Entscheidungsfindung vorgeschal37 Vgl. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 144, 154, 180; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 28 f.; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 40, Rn. 26 f. 38 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 40; vgl. auch Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 15; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 6. 39 H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 6; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 129 f.; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 12. 40 So auch Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 41, Bem. II. 1.; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 131. 41 Vgl. §§ 41 Abs. 2 S. 2, 59 Abs. 3 GO-BT. Siehe hierzu noch Kap. 5 A. III. c). 42 Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 15; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 40. 43 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 48; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 29; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 32; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 22.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
tete Prozess“ zu verstehen sei.44 Das Verhandeln betrifft nicht nur die kontradiktorische parlamentarische Debatte im engeren Sinne, sondern auch alle sonstigen Handlungen im Rahmen des Sitzungsverlaufs, wie das Stellen von Anträgen, die Besprechung von Berichten oder Auskünften bzw. die Beantwortung von Fragen durch die Bundesregierung.45 Des Weiteren umfasst das Verhandeln den äußeren Vorrang von parlamentarischen Abstimmung.46 In der Folge ist jede Sitzung eines obligatorisch öffentlichen Ausschusses ungeachtet des konkreten Inhalts als ein Verhandeln im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) anzusehen.47 In zeitlicher Hinsicht ist wiederum der gesamte Ablauf, von der Eröffnung bis zur Schließung der Sitzung (vgl. §§ 22, 59 Abs. 1, 74 GO-BT), umfasst.48 a) Anwendbarkeit auf Wahlen Die parlamentsrechtliche Literatur49 geht in Übereinstimmung mit der Praxis des Deutschen Bundestages50 davon aus, dass sich der Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) nicht auf die Einsehbarkeit des Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten im Rahmen parlamentarischer Wahlen erstreckt und somit geheimen Personenwahlen nicht entgegenstünde. Gleichwohl wurde aus gegebenem Anlass51 die verfassungsrechtliche Zulässigkeit bzw. rechtspolitische Vorteilhaftigkeit von geheimen Wahlen mitunter kritisch erörtert.52 44 BVerfGE 10, 4 (12); 89, 292 (303); ebenso H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 32; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 4; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 22; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 10. 45 Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 22; vgl. auch Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 12; Linck, ZParl 23 (1992), S. 674 (682). 46 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 37; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 3; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (684); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 56. 47 Die weite Auslegung des Verhandlungsbegriffs entspricht zudem der Bedeutung der Parlamentsöffentlichkeit für das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Nur ein sich auf sämtliche Tätigkeiten des Parlaments erstreckendes Verständnis kann die gebotene Möglichkeit einer umfassenden Teilhabe, Kontrolle und Repräsentation gewährleisten, vgl. Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 114. 48 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 32; vgl. auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 3; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 3; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1. 49 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 3; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 14; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 47, Rn. 37; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (683 f.); Röper, ZParl 11 (1980), S. 503 (509); Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 54, Rn. 2; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 13. 50 Siehe § 49 GO-BT für Wahlen mit verdeckten Stimmzetteln welche z. B. gemäß § 2 GO-BT für die Wahl des Bundestagspräsidenten und dessen Stellvertreter sowie nach § 4 GO-BT für die Wahl des Bundeskanzlers gelten. 51 Siehe etwa die Wahl Ernst Albrechts (CDU) zum Niedersächsischen Ministerpräsidenten im Jahr 1976 trotz einer rechnerischen Mehrheit für Helmut Kasimir (SPD) sowie aus jünger Zeit die 2005 geplante rot-grüne, vom Südschleswigschen Wählerver-
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Gegen die Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) auf Wahlen streitet bereits dessen Wortlaut, der das Publizitätsgebot auf „Verhandlungen“ beschränkt. Auch wenn dieser Begriff weit auszulegen ist, sodass er den äußeren Wahlvorgang mitumfasst, lässt sich hieraus nicht entnehmen, dass zugleich die innere Tatsache der inhaltlichen Wahlentscheidung der Abgeordneten eingeschlossen ist.53 Dies wird von einer historischen Betrachtung der Vorgängerregelungen gestützt. Bereits im Kaiserreich, als sich Wahlen innerhalb des Reichstags noch auf die Berufung der Parlamentsvorstände beschränkten, wurden diese gemäß § 9 Abs. 2 GO-RT „durch Stimmzettel“ und damit geheim gewählt.54 Dasselbe galt gemäß § 7 Abs. 2 GO Preuß. Abgh. für Wahlen innerhalb des Preußischen Abgeordnetenhauses.55 Ebenso wurde in der Weimarer Republik nach § 16 Geschäftsordnung für den Reichstag vom 12. Dezember 1922 der Reichstagspräsident sowie dessen Stellvertreter „mit verdeckten Stimmzetteln“ gewählt. Schließlich bestand hinsichtlich der auf Landesebene von den Parlamenten gewählten Regierungen überwiegend die Praxis einer geheimen Wahl.56 Dies spricht eindeutig dafür, dass der Verfassungsgesetzgeber an die bestehende Übung anknüpfen und den Inhalt von Wahlen nicht der Öffentlichkeitspflicht nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) unterstellen wollte.57 Es erscheint daher vorzugswürdig anzunehmen, dass sich der Anwendungsbereich dieser Norm nicht auf die inhaltliche Transparenz von Wahlen bezieht und dem Bundestag selbst im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie die Entscheidung über die Offenheit parlamentarischer Wahlen vorbehalten bleibt.58 b) Anwendbarkeit auf Sachabstimmungen Bezüglich der Geltung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) für das inhaltliche Abstimmungsverhalten der Abgeordneten im Rahmen von Sachabstimmungen ist umstritten, ob die soeben für Wahlen getroffenen Feststellungen eins zu eins gelten. Insofern wird für ein verfassungsrechtliches Gebot inhaltlicher Einsehbarkeit band zu stützende Minderheitsregierung unter Heide Simonis (SPD) in Schleswig-Holstein, welche aufgrund eines unbekannten Abweichlers nicht zustande kam. 52 Insbesondere Seuffert, Über geheime Abstimmungen und Wahlen, 1978, passim. 53 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 37; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 3; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (684); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 56. 54 Siehe hierzu Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 203; Seuffert, Über geheime Abstimungen und Wahlen, 1978, S. 4 f. 55 Siehe hierzu Pieroth, JuS 1991, S. 89 (93). 56 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (684); Seuffert, Über geheime Abstimmungen und Wahlen, 1978, S. 5. 57 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (684); Pieroth, JuS 1991, S. 89 (93). 58 So H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 37; vgl. auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (683 ff.); Röper, ZParl 11 (1980), S. 503 (508).
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
von Abstimmungen das Argument angeführt, dass in der Praxis Beratung und Abstimmung hinsichtlich eines Tagesordnungspunktes in einem engen Zusammenhang stünden und dass das Wissen um die tatsächliche Entscheidung in der Sache für die Kontrolle durch den Bürger zuweilen wichtiger sei als die in der Debatte geäußerte Meinung der Abgeordneten.59 Dem steht jedoch erneut der Wortlaut der Norm entgegen, der nur das nach außen wahrnehmbare „Verhandeln“ dem Publizitätsgebot unterstellt. Dieses gebietet im Rahmen der Sitzungsöffentlichkeit lediglich, dass das Parlamentsgeschehen unmittelbar räumlich zugänglich, also durch die Öffentlichkeit einsehbar ist. Für die Form der Beschlussfassung macht die Norm jedoch keine Vorgaben. Sie schließt damit nicht die Möglichkeit ein, das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten inhaltlich zu registrieren.60 Überdies wird z. T. darauf hingewiesen, dass begrifflich im parlamentarischen Verfahren zwischen der Verhandlung (i. S. v. Begründung und Aussprache) und der Abstimmung (vgl. auch § 31 Abs. 1 GO-BT) unterschieden wird. Demnach wäre die Verhandlung schon begrifflich von der Abstimmung zu trennen und gerade nicht hierunter zu subsumieren.61 Ergänzend wird des Weiteren auf die systematische Erwägung abgestellt, dass wenn schon der vollständige Ausschluss der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG möglich sei, erst recht eine zwar inhaltlich nicht nachvollziehbare jedoch immerhin öffentlich stattfinde geheime Abstimmung zulässig sein müsse.62 Ferner wird argumentiert, dass der Grundsatz des freien Mandats gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG im Einzelfall eine geheime Abstimmung erforderlich machen könne, wenn andernfalls die Freiheit des Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten faktisch bedroht sein könnte.63 Auch eine historisch-genetische Betrachtung führt nicht zu dem Ergebnis, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) die Einsehbarkeit des inhaltlichen Abstimmungsverhaltens umfasst. Zwar kannte das vorkonstitutionelle Verfassungs- und Geschäftsordnungsrecht keine Regelungen, die geheime Abstimmungen ausdrücklich vorsahen. Geheime Abstimmungen spielten ferner in der Parlamentspraxis keine Rolle.64 Dem lässt sich freilich noch nicht im Umkehrschluss entnehmen, 59 So Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 54, der geheime Abstimmungen als im Widerspruch zur Ratio der Parlamentsöffentlichkeit stehend ansieht. Ähnlich Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 23. 60 Ebenso Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 3; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 14; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 37; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 4; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 13; a. A. Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 54. 61 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (685). 62 Pieroth, JuS 1991, S. 89 (93); Röper, ZParl 1980, S. 503 (510). 63 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 37; vgl. auch H.-P. Schneider, in: AKGG, Art. 42, Rn. 3. 64 Seuffert, Über geheime Abstimmungen und Wahlen, 1978, S. 6.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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dass von einer verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit geheimer Abstimmungen ausgegangen wurde.65 Auch die Staatspraxis der Bundesrepublik, welche in ihrer Frühphase die Möglichkeit geheimer Abstimmungen kannte, ist insofern ambivalent. Der am 3. November 1949 eingeführte § 103 Abs. 2, 3 GO-BT a. F. sah insoweit vor, dass – außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens – auf Antrag von mindestens 70 Mitgliedern des Bundestages mehrheitlich eine geheime Abstimmung beschlossen werden konnte. Auf dieser Basis erfolgte seinerzeit die Abstimmung über die künftige Bundeshauptstadt.66 Nur kurze Zeit später, am 1. März 1950, wurde die Möglichkeit geheimer Abstimmungen wieder aus der Geschäftsordnung gestrichen. In der hierzu geführten Debatte gingen die Parlamentarier – Andeutungen des Abgeordneten Heinrich Ritzel (SPD) ausgenommen – von einer rein verfassungspolitischen Überlegung und nicht von einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit aus.67 Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Sitzungsöffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG keine inhaltliche Transparenz des Abstimmungsverhaltens normiert.68 Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht indes ohnehin in §§ 48 Abs. 1, 50, 51 und 52 GO-BT nur öffentliche Abstimmungen, etwa per Handzeichen, durch Aufstehen oder Sitzenbleiben, in Form eines Hammelsprungs sowie durch Namensstimmzettel oder namentliche Abstimmungskarten vor. Geheime Abstimmungen könnten insofern allenfalls nach § 126 GO-BT als Abweichung vom Geschäftsordnungsprozedere beschlossen werden.69 c) Anwendbarkeit auf Parlamentaria Fraglich ist schließlich, ob sich Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) auch auf Parlamentaria, mithin auf schriftliche Äußerungen des Parlaments bzw. seiner Ausschüsse, bezieht und folglich grundsätzlich deren Veröffentlichung gebietet. Das Tatbestandsmerkmal des „öffentlichen Verhandelns“ betrifft schon nach hergebrachtem Sprachgebrauch eine mündliche Kommunikation.70 Daneben zeichnen 65 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (686). Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1; ders., JuS 1991, S. 89 (93 f.) begründet die Unzulässigkeit geheimer Abstimmungen dagegen mit entgegenstehendem verfassungsrechtlichem Gewohnheitsrecht. 66 Ausführlich hierzu siehe Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (686); Seuffert, Über geheime Abstimmungen und Wahlen, 1978, S. 6 ff.; ferner auch Pieroth, JuS 1991, S. 89 (93 f.). 67 Siehe hierzu BT-PlPr 1. WP/43. Sitzung vom 1.3.1950, S. 1455 ff.; vgl. auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (686). 68 Zur Frage, ob sich aus dem materiell-rechtlichen Gehalt von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Einschränkungen ergeben, siehe noch Kap. 4 A. IV. 3. 69 Pieroth, JuS 1991, S. 89 (92). 70 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (686 f.); vgl. auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 576 ff.; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 1; ders., in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 28.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
sich parlamentarische Verhandlungen nach dem Diktum des Bundesverfassungsgerichts durch das Erörtern von Fragen der Staatsführung „in Rede und Gegenrede“ aus.71 Daraus folgt, dass schriftliche Erklärungen, nicht unter den Begriff des „Verhandelns“ fallen und in der Folge nicht der formell-verfahrensrechtlichen Dimension der Sitzungsöffentlichkeit im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) unterliegen.72 3. Subjektives Recht auf Zugang analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Die Parlamentsöffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG stellt nach allgemeiner Auffassung eine zwingende objektiv-rechtliche Vorschrift des Verfassungsrechts dar.73 Die Frage, ob aus der Norm darüber hinaus ein subjektives Recht auf Zugang zur Parlamentsverhandlungen für potentielle Zuschauer folgt, welches in den genannten Sonderkonstellationen zugleich (analog) auf den Zugang zu parlamentarischen Ausschüssen zu erstrecken wäre, ist dagegen lebhaft umstritten. Eingedenk der grundsätzlich nichtöffentlich stattfindenden Ausschusssitzungen könnte ein Anspruch auf Teilnahme in dieser Konstellation von besonderer Relevanz sein, da ein solcher – im Falle des hypothetisch rechtswidrig verweigerten Zugangs – gerichtlich geltend gemacht werden und eine Öffnung der Sitzungen damit durchgesetzt werden könnte.74 Ob und inwieweit aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) ein solches subjektives Recht folgt, bedarf der näheren Untersuchung. Insofern ist zunächst der Meinungsstand in der Literatur zu Art. 42 GG zu sichten (a)) und dessen dogmatische Einordnung vorzunehmen (b)), bevor verschiedene Konstellationen der Zugangsversagung gedanklich durchgespielt werden (c)) und schließlich – exkursartig – die Frage der prozessualen Durchsetzbarkeit angerissen wird (d)). a) Meinungsstand im Schrifttum zu Art. 42 GG Teilweise wird ein Anspruch auf Gewährung des Zugangs zu parlamentarischen Verhandlungen in Form eines subjektiven Leistungsrechts aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG angenommen, welches jedermann, zumindest aber Medienvertretern, zustehen solle.75 Innerhalb dieser Meinung wird überwiegend dogmatisch 71
BVerfGE 10, 4 (12), ebenso Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 12. So auch Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 12. Hiermit ist freilich noch nichts zu den Fragen gesagt, ob im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Berichterstattungsöffentlichkeit eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von schriftlichen Äußerungen in gewissem Umfang besteht. Siehe hierzu noch Kap. 4 A. II. 1. 73 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 566 f.; Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 113; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 30; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 314. 74 Zur gerichtlichen Geltendmachung siehe sogleich Kap. 4 A. I. 3. d). 75 Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1114 ff.); Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 115 ff.; Kißler, JöR 26 (1977), S. 39 (117 f.); ders., Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 315 f. 72
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der an sich objektive Grundsatz in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG unter Hinzuziehen des Grundrechts der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG)76 bzw. z. T. – hinsichtlich des Zugangs der Medien – unter vorrangigem Rückgriff auf die Presse- und Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG77 subjektiviert. Vereinzelt wird sogar ein Anspruch der Aktivbürger, Parteien, Abgeordneten und sogar der Regierung auf die Zulassung der Massenmedien auf Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG i.V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG gestützt.78 Insbesondere hinsichtlich eines Zugangsanspruchs der Medien wird zur Begründung die zentrale Bedeutung derselben für die Bildung der öffentlichen Meinung in der repräsentativen Demokratie betont, welche der subjektiv-rechtlichen Absicherung bedürfe.79 Wie aus Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG ersichtlich wird, stelle die Öffentlichkeit unter dem Grundgesetz kein Parlamentsprivileg dar, über welches der Bundestag nach Gutdünken verfügen könne. Demnach stehe auch der Zugang der Medienvertreter nicht zu dessen freier Disposition.80 Darüber hinaus wird auf den historisch komplementären Charakter81 von öffentlicher Parlamentssitzung und freier Parlamentsberichterstattung hingewiesen.82 Schließlich wird das Argument angeführt, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG die – neben Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG – einzig ausdrückliche grundgesetzliche Anordnung der Öffentlichkeit von Verhandlungen darstelle, woran die besondere Bedeutung der Norm deutlich werde, was wiederum gegen einen allein objektiv-rechtlichen Gehalt spreche.83 Die klassische Ansicht in der Literatur verneint dagegen das Bestehen eines Zugangsanspruchs aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG.84 Neben dem Argument, dass 76 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 118 ff.; Kißler, JöR 26 (1977), S. 39 (117 f.); ders., Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 315 f. 77 Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1115 f.). 78 So etwa Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1115); Dieterich, Die Funktionen der Öffentlichkeit, 1970, S. 116 ff. Ein Anspruch von Abgeordneten auf den Zugang zu Parlamentssitzungen wird im Kontext von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG dagegen nicht diskutiert. Dies ist dogmatisch folgerichtig, da als Anknüpfungspunkt hierfür allenfalls die Mitwirkungsrechte der Parlamentarier gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG in Frage kämen. 79 Binder, DVBl 1985, 1112 (1115); Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 118 f.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 315 f.; ders., in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 24; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27. 80 Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 57. 81 Siehe hierzu bereits Kap. 2 A. III. sowie Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 26; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 302. 82 Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1115); vgl. auch Jerschke, Öffentlichkeitspflicht, 1971, S. 57 f. 83 Binder, ebd. 84 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 567; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 5; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 15; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (676); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 70.
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eine solche Subjektivierung im Wortlaut der Norm keine Stütze finde,85 wird grundrechtsdogmatisch darauf verwiesen, dass die Informationsfreiheit als traditionelles Abwehrrecht gerade nicht einen Anspruch auf staatliche Leistungen verbriefe.86 Zudem dürfe nicht aus der Gepflogenheit einer de facto ungehinderten Zugangserlaubnis zu öffentlichen Parlamentsverhandlungen entgegen der „jahrzehntelange[n] einhellige[n] Auslegung dieser Vorschrift als ein Gebot zur Herstellung unmittelbarer Raumöffentlichkeit“ ein dahingehendes subjektives Recht konstruiert werden.87 Schließlich steht eine vermittelnde Position auf dem Standpunkt, dass aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 i.V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG zwar kein originärer leistungsrechtlicher Anspruch zu deduzieren sei, jedoch Beschränkungen des objektiv-rechtlichen Publizitätsprinzips unter Rekurs auf die Informationsfreiheit in ihrer abwehrrechtlichen Dimension individuell gerügt werden könnten.88 Insofern eröffne Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG die allgemeine Zugänglichkeit der Informationsquelle Parlamentsverhandlung und damit zugleich den Schutzbereich der Informationsfreiheit. Jede staatlicherseits vorgenommene Beeinträchtigung des Zugangs stelle nunmehr einen Eingriff in das Recht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG dar. In der Konsequenz sei zwar kein originärer Leistungsanspruch auf ein staatliches Handeln anzunehmen; gleichwohl sei ein grundsätzliches Recht auf Zugangsgewährung zu bejahen, dessen Versagung einen rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriff darstelle.89 Vertreter dieser Ansicht wenden gegen die Annahme eines leistungsrechtlichen Zugangsanspruchs wiederum ein, dass es einen qualitativen Unterschied darstelle, ob man den Ausschluss eines Zuschauers von der Sitzung des Bundestages ohne sachlichen Grund als abwehrfähigen Eingriff in das Grundrecht auf Informationsfreiheit begreife oder vielmehr dem Betroffenen einen subjektiven Anspruch auf Gewährung des Zutritts zu einer Sitzung zubillige. Es existiere keine dogmatische Regel, wonach aus der Kombination von einem objektiven Verfahrensgebot (Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG) mit einem Abwehrrecht (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG) der qualitative Sprung zur Entstehung eines individuellen Leistungsrechts folge.90 85
Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 125. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 5. 87 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 5; vgl. auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 567; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 70. 88 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 38; ähnlich auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 35; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 127; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 28. 89 Vgl. hierzu auch v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 397. Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 28 weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass für den Einzelnen nur ein Anspruch ermessensfehlerfreie Bescheidung des Zugangswunsches besteht. 90 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 35. 86
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b) Dogmatische Einordnung Für die Beurteilung der Frage nach einer Subjektivierung des Rechtsgebots parlamentarischer Öffentlichkeit unter Hinzuziehung der Informations- bzw. Medienfreiheiten sowie für die Abstufung ggf. hieraus folgender leistungs- oder abwehrrechtlich fundierter Zugangsansprüche ist methodengerecht anhand der allgemeinen Grundrechtsdogmatik vorzugehen. Dabei gilt es zunächst zu klären, welches Grundrecht hinsichtlich des Zugangs zur Parlamentsverhandlung tatbestandlich einschlägig ist (aa)), um sodann die verschiedenen Funktionsdimensionen abzugrenzen (bb)). aa) Grundrechtlicher Anknüpfungspunkt Hinsichtlich bürgerschaftlicher Zuschauer wird einmütig auf das Recht der Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG als Anknüpfungspunkt für die Begründung eines subjektiven Zugangsrechts rekurriert. Diese schützt das jedermann zustehende Recht, sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen frei zu unterrichten. Dem Grundrecht kommt dabei ein demokratisch-funktionaler Gehalt zu, da eine Teilnahme am freien gesellschaftlichen Willensbildungsprozess und die hierauf fußende Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt zwingend der Voraussetzung informierter Bürger bedürfen.91 Eine subjektivrechtliche Absicherung des Zugangs des einzelnen Zuschauers zur Parlamentsverhandlung setzt mithin voraus, dass die Teilnahme an den Sitzungen des Parlaments bzw. seiner Ausschüsse eine Unterrichtung aus allgemein zugänglichen Informationsquellen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG konstituiert. Unter Informationsquellen sind in weiter Auslegung alle Träger von Informationen aber auch der Gegenstand einer Information selbst zu verstehen.92 Dementsprechend schützt Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG „nicht nur die Unterrichtung aus Quellen, sondern erst recht die Unterrichtung an der Quelle“.93 Dies beruht auf der Einsicht, dass die vermeintlich umfassende und objektive Wiedergabe eines Ereignisses durch Dritte (in der Praxis zumeist die Massenmedien) stets von einem subjektiven Element, sei es in Gestalt einer selektiven Auswahlentscheidung oder im Rahmen der Wahl einer konkreten Darstellungsform, geprägt wird.94 Die Möglichkeit einer direkten Anschauung des Ereignisses durch den Informationsempfänger wirkt insofern als Korrektiv. Die Verhandlungen des 91
Siehe hierzu bereits Kap. 3 A. III. 1. a). Ebd., sowie grundlegend auch Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 162 f.; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1004; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rn. 22; aus der Rechtsprechung BVerfGE 103, 44 (60). 93 Herzog, in: Maunz/Dürig, 67. Ergänzungslieferung 2012, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 87. 94 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 162; Herzog, in: Maunz/Dürig, 67. Ergänzungslieferung 2012, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 87; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 107; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 142. 92
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Bundestages bzw. seiner Ausschüsse sind als ein unmittelbar wahrnehmbares Ereignis eine Informationsquelle im vorgenannten Sinne.95 Allgemein zugänglich sind Informationsquellen, sofern sie „geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu beschaffen“.96 Dabei kann die Frage der Geeignetheit rein objektiv beurteilt werden, während es für die Bestimmtheit zur allgemeinen Informationsbeschaffung einer Entscheidung des jeweiligen Trägers der Informationsquelle bedarf.97 In Bezug auf öffentliche Parlamentsverhandlungen sind beide Teilaspekte gegeben, da deren Anschauung sowohl zur Informationsvermittlung geeignet ist, als auch in Form der in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) vom Verfassungsgeber angelegten Entscheidung für die Sitzungsöffentlichkeit eine Bestimmung für den Informationszugang der Allgemeinheit getroffen wurde.98 Schließlich umfasst der Begriff des „Sich-unterrichtens“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG das Hören, Lesen, Sehen sowie jedes sonstige Wahrnehmen von Informationen.99 Im Rahmen der Parlamentsverhandlung erfolgt die Rezeption des Geschehens durch Anschauung und akustische Wahrnehmung des Sitzungsverlaufs, welche die körperliche Anwesenheit vor Ort und damit die Teilnahme an den Sitzungen voraussetzen.100 Insgesamt ist damit der tatsächliche Zugang zur öffentlichen Parlamentsverhandlung vom Schutzbereich der Informationsfreiheit umfasst.101 In Bezug auf Medienvertreter wird z. T. ebenfalls die Informationsfreiheit, welche als Jedermanngrundrecht auch Journalisten schützt,102 als allein maßgeblich 95 Vgl. Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 119; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 35; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 38. 96 BVerfGE 103, 44 (60); vgl. auch BVerfGE 27, 71 (83 f.); 90, 27 (32); zustimmend Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 55; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 163; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1006. 97 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 163. Soweit dabei der Staat Träger der Informationsquelle ist, kann er im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse Art und Umfang der Zugänglichkeit der Quelle bestimmen. Siehe BVerfGE 103, 44 (60 f.). 98 Zur Frage, wie vor diesem Hintergrund eine abweichende Bestimmung im Rahmen der parlamentarischen Geschäftsordnung (§ 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT) zu sehen ist, siehe sogleich unter Kap. 4 A. I. 3. c) aa). 99 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1014; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 118; Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof HStR VII, § 162, Rn. 41. 100 Vgl. für die parallele verlaufende Fragestellung des Zugangs zu öffentlichen Gerichtsverhandlungen v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 143. 101 Im Ergebnis auch Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 118 f.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 35; Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 24; ders., Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 315 f.; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 38. 102 BVerfGE 103, 44 (61 f.); hierzu v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 236 f.; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 175, 213.
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für die Subjektivierung der Parlamentsöffentlichkeit erachtet.103 Demgegenüber gehen andere Stimmen davon aus, dass die medienspezifischen Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG für die Begründung eines Zugangsanspruchs im Verhältnis zur Informationsfreiheit spezieller und damit vorrangig heranzuziehen sind.104 Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass sowohl die Presse- als auch die Rundfunkfreiheit gleichermaßen die Informationsbeschaffung als zwingende Voraussetzung für die spätere Publikation mitumfassen.105 Sie gewährleisten den „Schutz der Berichterstattung von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung“, wobei erst der ungehinderte Zugang zu (staatlichen) Informationen die Medien in die Lage versetzt, ihre besondere Funktion in der Demokratie auszufüllen.106 Mit Blick auf Medienvertreter stellt sich daher die Frage nach dem Verhältnis von Informationsfreiheit und Medienfreiheiten.107 Die ältere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat die subjektiv-rechtliche Absicherung der journalistischen Berichterstattung aus staatlichen Informationsquellen (insbesondere Gerichtsverhandlungen) allein auf die Rundfunk- bzw. Pressefreiheit gestützt.108 Dem steht jedoch die jüngere Judikatur des Bundesverfassungsgerichts entgegen, wonach das Recht zur Teilhabe an für jedermann eröffneten Informationsquellen im Ergebnis für Medienvertreter wie für sonstige Zuhörer unterschiedslos aus dem Grundrecht der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG abzuleiten sei.109 Dagegen sei die über den reinen Zugang hinausreichende, medienspezifische Beschaffung und Verarbeitung der Information, wie z. B. die audio-visuelle Aufzeichnung- oder Übertragung, allein von der Rundfunk- bzw. Pressefreiheit geschützt.110 Diese explizit für den Zugang zu Gerichtsverhandlungen zugrunde gelegte Abgrenzung lässt sich indes auf sonstige allgemein zugängliche Veranstaltungen des Staates wie Verhandlungen des Bundestages übertragen.111 103 So Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 118 f.; Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 24; ders., Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 315 f. 104 So explizit Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 100; im Ergebnis ebenso Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1115 f.). 105 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 273 f., 676; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II, Rn. 95, 105; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rn. 34, 45; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 233; aus der Rechtsprechung siehe etwa BVerfGE 10, 118 (121); 12, 205 (260); 20, 162 (176); 77, 65 (74); 91, 125 (134); 103, 44 (59); 117, 244 (259); 119, 309 (318). 106 BVerfGE 103, 44 (59); vgl. auch BVerfGE 10, 118 (121); 12, 205 (260); 20, 162 (176); 50, 234 (240); 62, 230 (243); 77, 65 (74); 91, 125 (134); 119, 309 (318). 107 Siehe hierzu ausführlich mit Fokus auf den Zugang von Medienvertretern zur allgemeinen Informationsquelle öffentlicher Gerichtsverhandlungen v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 237 ff. 108 BVerfGE 50, 234 (240 f.); ebenso BVerfGE 91, 125 (134). 109 BVerfGE 103, 44 (59). 110 Ebd. 111 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 216.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Zwar spräche für eine vorrangige Anwendbarkeit der Medienfreiheiten, dass diese mit Blick auf den jeweiligen Grundrechtsträger die spezifischeren Gewährleistungen darstellen und damit lex specialis gegenüber der Informationsfreiheit sein könnten.112 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Medienfreiheiten und Informationsfreiheit in Abhängigkeit von der in Rede stehenden Art der Informationsquelle ein unterschiedlicher Fokus zukommt. Mit Blick auf allgemein zugängliche Informationsquellen stellt die Informationsfreiheit jedenfalls das speziellere Grundrecht dar. Hinsichtlich nicht allgemein zugänglicher Quellen kann dagegen allein im Rahmen der Presse- bzw. Rundfunkfreiheit der Zugang zu Informationen gewährleistet sein.113 Insofern spricht in der vorliegenden Konstellation vieles dafür, in der Informationsfreiheit auch bezüglich Medienvertretern das vorrangig einschlägige Grundrecht zu erblicken,114 sodass im Folgenden für die Bestimmung des Umfangs der Subjektivierung des Zugangs auf dieses Recht abgestellt wird. Selbst bei vorrangiger Anwendung der Medienfreiheiten würde sich für das Folgende jedoch kein substantieller Unterschied ergeben, da der Anspruch von Medienvertretern auf den Zugang zu dem Grunde nach allgemein zugänglichen staatlichen Informationsquellen auch bei einer Verwurzelung in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG jedenfalls nicht zwingend weiter reicht als der Anspruch der übrigen Bürger im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG.115 bb) Leistungs- bzw. abwehrrechtlicher Grundrechtsschutz Nach der Feststellung der Eröffnung des Schutzbereichs der Informationsfreiheit schließt sich die Frage an, inwiefern hieraus ein subjektives Recht auf Zugang zur Ausschussverhandlungen abgeleitet werden kann. Fraglich ist dabei insbesondere, ob ein solches Recht Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG in seiner leistungsrechtlichen Dimension betrifft. In ihrer klassischen Funktion stellen Grundrechte im status negativus zuvorderst Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliches Handeln dar, welches in den jeweils verbürgten Freiheitsbereich eingreift.116 Dies gilt gleichermaßen für 112
Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 100. Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 326; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, Art. 5, Rn. 59; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 245. 114 So auch Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 326; HoffmannRiem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 143; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, Art. 5, Rn. 59. 115 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 213; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 98; wohl auch v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 260 ff., der eine Besserstellung von Journalisten zwar für zulässig, nicht jedoch für zwingend und damit auch nicht für subjektiv-rechtlich einforderbar erachtet. 116 Siehe hierzu grundlegend Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 191; K. Stern, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 185, Rn. 56 ff.; Sachs, in: HGR II, § 39; aus der Rechtsprechung ferner BVerfGE 7, 198 (204 f.). 113
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die Informationsfreiheit, die ein Freiheitsrecht im klassisch-liberalen Sinne darstellt.117 Als solches gewährt sie dem Grundrechtsträger eine Befugnis zur Abwehr staatlicher Eingriffe in die geschützte Unterrichtungsmöglichkeit hinsichtlich allgemein zugänglicher Quellen. Dieses Recht kann nur gemäß der Schrankenregelung in Art. 5 Abs. 2 GG und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips eingeschränkt werden. Daneben lassen sich – in engen Grenzen – aus den Grundrechten auch Leistungsansprüche auf staatliches Handeln herleiten.118 Der Leitgedanke hinter der Begründung grundrechtlicher Leistungsrechte liegt in dem Bestreben, hierdurch die tatsächlichen sowie rechtlichen Voraussetzungen für den Gebrauch des verbürgten Freiheitsraumes sicherzustellen.119 Da weder in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG noch in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG eine staatliche Leistungspflicht explizit angesprochen wird, kommt es darauf an, ob die genannten Normen interpretative Anhaltspunkte bieten, die in der Zusammenschau die Begründung einer Leistungspflicht erlauben. Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG legt in Gestalt der „ungehinderten“ Unterrichtung indes eher eine abwehrrechtliche Prägung nahe.120 Ob selbst in Ermangelung solcher Anknüpfungspunkte Leistungsansprüche aus Freiheitsrechten hergeleitet werden können, ist umstritten. Z. T. wird die leistungsrechtliche Komponente von Grundrechten sehr weit im Sinne einer „realen“, tatsächlich ausübbaren Freiheit verstanden. Demnach treffe den Staat eine Leistungspflicht soweit dies zur tatsächlichen Verwirklichung eines grundrechtlichen Freiheitsrechts erforderlich sei.121 Dem stehen jedoch durchgreifende Bedenken entgegen. Die konkrete Reichweite von aus Freiheitsrechten abgeleiteten Leistungsansprüchen ist als Einzelfallentscheidung stets in besonderem Maße unbestimmt und beinhaltet damit die Gefahr von Rechtsunsicherheiten. Dies spricht jedoch für eine zentrale Zuständigkeit des Gesetzgebers.122 In dieselbe Richtung weist auch der Gewaltenteilungsgedanke, da es sich bei der Gewährung von Leistungsrechten gegenüber dem Staat im Kern um eine politische und damit dem Bundestag (nicht etwa den Gerichten) zugeordnete Ent-
117 Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 58; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 74, 176; Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 112; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 119. 118 Hierzu K. Stern, Staatsrecht III/1, S. 690 ff.; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 192; Rüfner, in: HGR II, § 40; Sachs, in: Sachs, vor Art. 1, Rn. 46 ff. 119 Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 104, in diesem Sinne auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 745. 120 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 176. 121 Friauf, DVBl 1971, S. 647 (677) unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip; ebenso Bethge, Der Staat 24 (1985), S. 351, 375 ff.; Schoch, VVDStRL 57 (1998), S. 158 (179 f.). 122 Badura, ZUM 1989, S. 317 (322); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 105; vgl. auch BVerwG, NJW 1986, S. 1656 (1657).
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
scheidung handelt,123 die zudem die parlamentarische Haushalts- und Finanzkompetenz empfindlich berühren kann.124 Demnach ist ein derart weitgehendes Verständnis grundrechtlicher Leistungsgehalte abzulehnen. Um jedoch zugleich der Gefahr einer praktischen Entwertung von Freiheitsrechten dadurch, dass die tatsächlichen Verwirklichungsvoraussetzungen schlechthin ausgeklammert werden, zu begegnen, plädieren andere Stimmen dafür, dass sich ein leistungsrechtlicher Gehalt von Freiheitsrechten auf die Gewährleistung eines zur Grundrechtsrealisierung erforderlichen Minimalstandards beschränken soll.125 Lediglich wenn dieses Mindestmaß unterschritten würde, wäre der grundrechtlich verbürgte Freiheitsgehalt ohne die Flankierung durch einen Leistungsanspruch praktisch wertlos. Selbst wenn man dieses dogmatische Verständnis im vorliegenden Fall zugrunde legt, erscheint die Annahme eines Leistungsanspruchs mehr als fraglich. Der in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG fallende faktische Informationszugang zur Parlaments- bzw. Ausschussverhandlung müsste ohne die staatliche Leistung der unmittelbaren Zugangsgewährung praktisch leerlaufen. Dem steht bereits entgegen, dass sofern Parlamentssitzungen tatsächlich in aller Öffentlichkeit stattfinden, sich mannigfaltige Informationsmöglichkeiten auch neben der tatsächlichen Anschauung etwa im Rahmen der Rezeption amtlicher und nichtamtlicher Berichterstattung ergeben. Etwas anderes könnte sich allerdings bezüglich (verfassungswidrig) nichtöffentlich stattfindender Ausschusssitzungen ergeben. Insofern besteht bei plenarersetzenden Beschlüssen allenfalls eine nachträgliche Möglichkeit der Information. Hinsichtlich der Behandlung von Selbstbefassungsangelegenheiten wäre, vorausgesetzt eine abschließende Erklärung des Ausschusses zum Kontrollgegenstand unterbleibt, gar keine Informationsbasis gegeben. Allerdings handelt es sich bei den zuvor genannten Sonderkonstellationen um Ausnahmen, sodass von einem völligen Leerlaufen der Informationsfreiheit in Bezug auf die Parlamentsverhandlung kaum die Rede sein dürfte. Unabhängig von der Schwere der Beeinträchtigung des grundsätzlichen Bedeutungsgehalts der Informationsfreiheit, wäre eine völlige Entwertung jedenfalls ausgeschlossen, wenn ein subjektives Recht auf Zugang zu den Ausschussverhandlungen bereits aus der abwehrrechtlichen Dimension von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG folgte. Wie gesehen, schützt die Informationsfreiheit eine ungehinderte „Unterrichtung“ aus Informationsquellen. Hiermit ist nicht allein die passive Rezeption von 123 Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1536); Martens, VVDStRL 30 (1972), S. 7, 30 ff.; Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 192, Rn. 102; Scheuner, DÖV 1971, 505 (510). 124 Martens, VVDStRL 30 (1972), S. 7 (30 ff.); Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, § 192, Rn. 102; Starck, AfP 1978, S. 171 (173). 125 Breuer, FG BVerwG, S. 89 (93 f.); siehe hierzu auch Murswiek, in: Isensee/ Kirchhof, HStR IX, § 192, Rn. 106 ff.
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Informationen, sondern vielmehr auch deren aktive Beschaffung angesprochen.126 Eine solche liegt in Gestalt des Aufsuchens der Ausschussverhandlung vor, sodass der Zugang hierzu in den grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich fällt.127 Eine tatsächliche Hinderung dieses Verhaltens durch Zugangsbeschränkungen konstituiert somit einen Eingriff in den abwehrrechtlich geschützten Grundrechtsgehalt, welcher – sofern nicht nach Abs. 2 gerechtfertigt – einen Unterlassens- bzw. Beseitigungsanspruch begründen kann. Dieser stellt zwar keinen originären Zugangsanspruch dar, sondern kommt dem Grundrechtsträger erst infolge konkreter Beschränkungen durch den Staat zu. Gleichwohl kann der Abwehranspruch de facto durch die tatsächliche Zugangsgewährung erfüllt werden, sodass bereits der abwehrrechtlich geschützte Freiheitsbereich der Informationsfreiheit ein prinzipielles Recht auf die Leistung einschließt.128 Die Geltendmachung eines subjektiven Rechts auf Teilnahme an staatlichen Veranstaltungen kann auch sprachlich ungezwungen nicht nur als aktives Tun in Form der Zugangsgewährung, sondern gleichermaßen als ein Unterlassen von Beschränkungen des freien Zutritts begriffen werden.129 Für die vorstehende dogmatische Einordnung spricht überdies die jüngere Verfassungsrechtsprechung.130 Hiernach schützt die Informationsfreiheit als Abwehrrecht den Zugang zu allgemein zugänglichen Informationsquellen gegen staatliche Beschränkungen. „Erst nach Herstellung der allgemeinen Zugänglichkeit und nur in ihrem Umfang kann der grundrechtliche Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG betroffen sein. Hoheitliche Beeinträchtigungen dieses Zugangs sind Grundrechtseingriffe.“ 131
Im unmittelbaren Anschluss fährt das Gericht jedoch fort zu betonen, dass die Informationsfreiheit „ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf Zugang in Fällen [umfasse], in denen eine im staatlichen Verantwortungsbereich liegende Informationsquelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den Zugang aber verweigert.“ 132
Hiernach folgt aus der Grundrechtsverletzung zugleich – uno actu – ein Zugangsrecht, sodass sich eine subjektiv-rechtliche Absicherung des Zugangs zur Parlamentsverhandlung bereits aus der abwehrrechtlichen Dimension des Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG ergibt. Mithin droht auch kein Leerlaufen des Grundrechts 126 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 171; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1016; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II, Rn. 85. 127 Vgl. Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 167, 213, 216. 128 Vgl. auch v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 397. 129 Vgl. auch v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 399, der auf eine Überschneidung der abwehr- und leistungsrechtlichen Grundrechtgehalte hinweist. 130 So insbesondere BVerfGE 103, 44 (59 ff.). 131 BVerfGE 103, 44 (60). 132 Ebd.; vgl. auch BVerfGE 119, 309 (319).
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der Informationsfreiheit, sodass ein Leistungsrecht auf dieser Basis dogmatisch nicht begründbar ist. Dem steht schließlich auch nicht der Gedanke entgegen, dass ein originärer Leistungsanspruch ein qualitativ hochwertigeres Aliud darstellen könnte, indem etwa Eingriffe im Vergleich zu einem abwehrrechtlichen Zugangsschutz nicht der Rechtfertigungsmöglichkeit unterlägen.133 Zwar gehen Vertreter des sog. „Präformationsmodells“ davon aus, dass grundrechtliche Leistungsrechte nicht der Schutzbereich-Eingriff-Schranken-Dogmatik folgen, sondern vielmehr der Schutzbereich mit der effektiv durchsetzbaren Leistung gleichzusetzen sei.134 Dem kann allerdings nicht gefolgt werden. Leistungsrechte zielen, wie gesehen, auf die Absicherung eines Minimalstandards und stellen gerade keine definitiven, sondern – nach Alexy – sog. „prima-facie“ Rechte dar.135 Ihr durchsetzbarer Schutzgehalt definiert sich in der Folge in Abhängigkeit von und nach Abwägung mit kollidierenden Verfassungsrechtspositionen. Im Ergebnis sind sie damit gleichermaßen einschränkbar.136 Nach alledem ergibt sich eine Subjektivierung des Zugangs zur Parlamentsbzw. Ausschussverhandlung aus der abwehrrechtlichen Dimension der Informationsfreiheit. Daneben wird aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG allerdings ein derivatives Teilhaberecht an staatlichen Informationsquellen abgeleitet. Sofern der Staat eine Quelle partiell für die Allgemeinheit öffnet, ergibt sich daraus zugleich die Verpflichtung, eine gleichberechtigte Teilhabemöglichkeit hieran sicherzustellen, worauf wiederum ein positiver Anspruch besteht.137 c) Zugangsversagung als Grundrechtseingriff Einschränkungen des ungehinderten Zugangs zu zwingend öffentlichen Ausschussverhandlungen stellen somit Eingriffe des Staates in das Grundrecht der Informationsfreiheit dar. Sie können im Einzelfall gerechtfertigt sein, wobei die öffentlichkeitsbeschränkenden Normen „allgemeine Gesetze“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG darstellen müssen, die sich nicht als Sonderrecht spezifisch gegen die Informationsfreiheit richten, sondern vielmehr dem Schutz von kollidierenden Rechtsgütern von Verfassungsrang dienen, die im konkreten Abwägungsfall höherwertiger und ohne Rücksicht auf die Informationsrezeption schützenswert sind.138 133 Vgl. hierzu Gersdorf, AfP 2001, S. 29 (30 f.); v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 397 f. 134 Siehe Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S. 17 f., 27 f. 135 Alexy, Theorie der Grundrechte, 8. Aufl. 1986, S. 456 ff. 136 v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 398. 137 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1023; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II, Rn. 245; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 143 ff. 138 Zu den Schranken der Informationsfreiheit siehe grundlegend Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1034 ff.; Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 162, Rn. 50 ff.
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Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass sich Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG tatbestandlich allein auf solche Informationsquellen beschränkt, die nach Eignung und Bestimmung allgemein zugänglich sind. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus, dass erst nach „Herstellung der allgemeinen Zugänglichkeit und nur in ihrem Umfang“ der grundrechtliche Schutzbereich betroffen sei. „Fehlt es an dieser Bestimmung, ist die Informationsbeschaffung nicht vom Grundrecht der Informationsfreiheit geschützt.“ 139 Das Bestimmungsrecht kommt dabei allein dem jeweiligen Informationsträger zu, sodass hoheitliche Beschränkungen von (privaten) Informationsquellen grundsätzlich keine Auswirkungen auf die allgemeine Zugänglichkeit haben, da andernfalls der Grundrechtsgehalt zur Disposition des Staates stünde und die Rechtfertigungsmöglichkeit nach Art. 5 Abs. 2 GG praktisch bedeutungslos würde.140 Etwas anderes könnte sich jedoch im Falle staatlicher Informationsquellen ergeben, da hier die Disposition über den Umfang allgemeiner Zugänglichkeit dem Staat selbst obliegt.141 Fraglich ist, ob vor diesem Hintergrund etwaige Zugangsbeschränkungen als reine Schutzbereichsdefinitionen zu verstehen und damit gar nicht am Maßstab der Informationsfreiheit zu messen wären.142 Dabei ist mit Blick auf den hiesigen Fokus vor allem die Konstellation der geschäftsordnungsrechtlichen Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen trotz partieller verfassungsrechtlicher Öffentlichkeitspflicht relevant (aa)). Des Weiteren sind die Eingriffsqualität der Teilnahmeversagung gegenüber Einzelpersonen (bb)) sowie eines Ausschlusses der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG (analog) (cc)) als denkbare Anwendungsfälle herauszugreifen. aa) Grundsätzliche geschäftsordnungsrechtliche Nichtöffentlichkeit Soweit der Geschäftsordnungsgeber in § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen normiert, könnte hierdurch das Bestimmungsrecht in Bezug auf diese Gremien grundlegend, entgegen einer allgemeinen Zugänglichkeit ausgeübt worden sein, sodass der Zutritt zu Ausschüsse jedenfalls nicht durch die Informationsfreiheit subjektiv-rechtlich abgesichert wäre. Fraglich ist, ob diese Sichtweise im Lichte der partiell verfassungsrechtlich gebotenen Ausschussöffentlichkeit143 bestehen kann. Dem steht jedoch die ver139
BVerfGE 103, 44 (60). Vgl. Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 56; Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 165; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, Art. 5, Rn. 26.1; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 145; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rn. 23 sowie aus der Rechtsprechung BVerfGE 27, 71 (83); 90, 27 (32). 141 So explizit BVerfGE 103, 44 (60 f.); siehe hierzu Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 167 ff. 142 In diese Richtung scheint BVerfGE 103, 44 (60) zu deuten; siehe hierzu ausführlich v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 143 ff. 143 Siehe Kap. 3. 140
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
fassungsgerichtliche Rechtsprechung entgegen. Zwar stellt hiernach eine Bestimmung des Umfangs der Allgemeinzugänglichkeit durch den Staat als Träger einer Informationsquelle grundsätzlich keinen Eingriff in die Informationsfreiheit, sondern vielmehr eine genuine Festlegung des Schutzbereichs dieses Grundrechts dar. Gleichwohl betont das Gericht, dass der Grundrechtsträger der Informationsfreiheit diese gegen staatliche Zugangsbegrenzungen ins Feld führen kann, sofern aus verfassungsrechtlichen Vorschriften ein weitreichenderer Zugang zu einer Informationsquelle geboten ist.144 „Wird die Informationsquelle [. . .] eröffnet, dann hängt die Verfassungsmäßigkeit der einschränkenden Norm davon ab, ob eine solche Beschränkung vom Recht zur Bestimmung des Zugangs gedeckt ist, ohne dass sie sich zusätzlich an Art. 5 Abs. 2 GG messen lassen müsste. Folgt aber aus Verfassungsrecht, dass der Zugang als solcher weiter oder gar unbeschränkt hätte eröffnet werden müssen, kann dies vom Träger des Grundrechts der Informationsfreiheit [. . .] geltend gemacht werden.“
Anders gewendet ist die Ausübung des Bestimmungsrechts hinsichtlich der Zugänglichkeit staatlicher Informationsquellen nur insoweit rechtmäßig und damit eine genuine Schutzbereichsdefinition, als diese Festlegung selbst im Einklang mit höherrangigem Recht steht. Andernfalls stellt Beschränkungen einen Grundrechtseingriff dar. Diese im konkreten Urteil mit Blick auf den einfachen Gesetzgeber vorgetragene Argumentation lässt sich zwanglos auf die Regelung der Zugänglichkeit im Rahmen parlamentarischer Geschäftsordnungsautonomie übertragen, da deren Ausübung in gleicher Weise an die verfassungsrechtlichen Vorgaben gebunden ist.145 Die vorstehende Dogmatik wird zudem durch das Argument gestützt, dass die Entscheidung hinsichtlich der allgemeinen Zugänglichkeit der Parlaments- bzw. Ausschussverhandlung und damit über die tatbestandliche Reichweite der Informationsfreiheit andernfalls der Dispositionsbefugnis des Geschäftsordnungsgebers unterfallen würde, obwohl die ursprüngliche Grundentscheidung in Bezug auf den öffentlichen Zugang in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) in der Verfassung wurzelt. Schon vor dem Hintergrund der erschwerten Abänderbarkeit (Art. 79 Abs. 2 GG) darf diese Wertung jedoch keinesfalls durch den Geschäftsordnungsgeber mit einfacher Mehrheit konterkariert werden. In der Konsequenz ist daher lediglich die verfassungskonforme Ausübung des Zugangsbestimmungsrechts durch den Träger einer Informationsquelle als Schutzbereichsfestlegung zu begreifen. Soweit dagegen objektiv verfassungswidrig der Zutritt zu Ausschusssitzungen im Rahmen der GO-BT verwehrt wird, 144 BVerfGE 103, 44 (61). Kritisch hierzu Gersdorf, AfP 2001, S. 29 (30 f.), der anmerkt, dass hierdurch dogmatisch fragwürdig dem einzelnen Grundrechtsträger die Möglichkeit eingeräumt werde, die Verletzung objektiven Verfassungsrechts zu rügen. 145 Siehe hierzu Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 327; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 99; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 73; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 26; sowie unter Kap. 5 A. I.
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bleibt es dabei, dass die Versagung der Teilnahme als Eingriff in die Informationsfreiheit zu werten ist. Dieser würde – mangels wirksamer Rechtfertigungsgrundlage – zudem eine Grundrechtsverletzung bedingen. Insbesondere kommt § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT nicht als Grundlage einer Eingriffsrechtfertigung in Betracht. Es ist schon grundsätzlich fraglich, ob eine Geschäftsordnungsnorm der Schranke des „allgemeinen Gesetzes“ in Art. 5 Abs. 2 GG entspräche. Hierunter sind sowohl Gesetze im formellen wie im materiellen Sinne zu verstehen.146 Für die Einordnung als ein Gesetz im materiellen Sinne käme es auf die – wiederum lebhaft umstrittene – Rechtsnatur der GO-BT an.147 Selbst wenn man mit der Rechtsprechung148 und einem Teil der Literatur149 die Geschäftsordnung als Satzung und damit als Gesetz im materiellen Sinne ansehen würde, mangelte es gleichwohl an einer wirksamen Rechtfertigungsgrundlage, da die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit – wie bereits gesehen – partiellen gegen Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog verstoßen würde. Eine im Widerspruch zur Verfassung stehende Satzungsnorm wäre jedenfalls nichtig.150 bb) Teilnahmeversagung gegenüber einzelnen Zuhörern Soweit Einzelpersonen aus individuellen Gründen (z. B. wegen eines störenden Verhaltens151) – a priori oder im Nachhinein – die Teilnahme an parlamentarischen Sitzungen versagt wird, berührt dies jedenfalls die allgemeine Zugänglichkeit der Informationsquelle für einen unbestimmten Personenkreis nicht, sodass der Schutzbereich des Grundrechts hierdurch nicht ausgestaltet wird, sondern sich die Beschränkung für den Einzelnen als Eingriff darstellt. Diese können im Rahmen des Hausrechts nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG im Einzelfall gerechtfertigt sein. Das Hausrecht richtet sich nicht gegen die Informationsfreiheit als solche, sondern dient dem Schutz der parlamentarischen Arbeits- und Funktionsfähigkeit als Rechtsgut von Verfassungsrang. Es genügt daher den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes in Art. 5 Abs. 2 GG an ein „allgemeines Gesetz“. 146 Vgl. Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 143a; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, Art. 5, Rn. 98; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rn. 73. 147 Die hierzu vertretenen Ansichten reichen von einer Einordnung als reine Konventionalregel, über die Annahme einer Rechtsverordnung, Verwaltungsverordnung oder autonome Satzung (z. T. auch „Verfassungssatzung“ bzw. „Organsatzung“) bis hin zur Klassifizierung als Norm sui generis. Siehe hierzu ausführlich etwa Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 49 ff.; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 43 ff.; Schmidt, AöR 128 (2003), S. 608 (610 ff.); Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 235 ff. 148 BVerfGE 1, 144 (148 f.); 44, 308 (315); 80, 188 (218); 84, 304 (321 f.). 149 So etwa Hesse, Grundzüge, 20. Aufl. 1997, Rn. 577; K. Stern, Staatsrecht II, S. 84; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 25; Steiger, Organisatorische Grundlagen des Parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S. 41 ff. 150 Vgl. Schmidt, AöR 128 (2003), S. 608 (641 f.). 151 Siehe hierzu Kap. 4 A. I. 1. d).
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Problematischer erscheint die dogmatische Bewertung einer Zugangsversagung wegen des Erreichens der Kapazitätsgrenze. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Schutzbereich der Informationsfreiheit erst nach der Herstellung der allgemeinen Zugänglichkeit von Informationsquellen und „nur in ihrem Umfang“ 152 eröffnet ist, könnte die von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) statuierte Öffnung als von vornherein durch die Kapazitäten des Zuschauerraums begrenzt angesehen werden. Dies hätte zur Konsequenz, dass eine auf Kapazitätsgrenzen gestützte Zugangsverweigerung bereits keinen Eingriff darstellte. Gegen diese Sichtweise und für die Einstufung als rechtfertigungsbedürftigen Eingriff, sprechen jedoch allgemeine dogmatische Erwägungen. Zunächst ist zu bedenken, dass die Verfassungsentscheidung für die Parlamentsöffentlichkeit in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) keine genauen Vorgaben für den Umfang des bereitzustellenden Zuschauerraumes und die Verteilung der Zuschauerplätze macht, sondern dem Bundestag einen weiten Einschätzungsspielraum belässt.153 Im Einzelfall obliegt es der Bundestagsverwaltung, die Zugangsgewährung zum Parlamentsgebäude nach ihrem Ermessen zu verwalten. Würde man jedoch die Ausübung dieses Ermessens als genuine Schutzbereichsbestimmung verstehen, würde dies zu der paradoxen Situation führen, dass die Bundestagsverwaltung über die allgemeine Zugänglichkeit und damit über die tatbestandliche Reichweite der Informationsfreiheit disponieren könnte, obwohl – wie gesehen – die Entscheidung über die allgemeine Zugänglichkeit ursprünglich eine solche des Verfassungstextes war. Die daraus folgende Schieflage wird auch anhand der Überlegung deutlich, dass eine Überschreitung des vorgenannten Ermessenspielraums im Einzelfall – etwa durch Vergabe der Zuschauerplätze unter Missachtung von Gleichbehandlungsgesichtspunkten – eine an sich von der Informationsfreiheit geschützte Teilnahme des Einzelnen vereitelt, die wegen eines Verstoßes gegen die von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) aufgestellten Verteilkriterien nicht zu rechtfertigen wäre. Das Bundesverfassungsgericht selbst geht einem solchen Fall von einem rechtswidrigen Eingriff aus.154 Die Annahme einer durch die Kapazität des Zuschauerraumes bereits im Vorhinein begrenzten tatbestandlichen Reichweite der Informationsfreiheit würde mithin zu dem fragwürdigen Ergebnis führen, dass entweder – im Falle der rechtmäßigen Beschränkung – bereits der Schutzbereich der Informationsfreiheit nicht eröffnet wäre, oder – im umgekehrten Fall – die Zugangsverweigerung stets einen Eingriff und zugleich eine Grundrechtsverletzung konstituierte. Dies wider152
BVerfGE 103, 44 (60). Siehe hierzu Kap. 4 A. I. 1. a). 154 „Das Grundrecht umfasst [. . .] ein gegen den Staat gerichtetes Recht auf Zugang in Fällen, in denen eine im staatlichen Verantwortungsbereich liegende Informationsquelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den Zugang aber verweigert“ (BVerfGE 103, 44 [60 f]). Siehe hierzu Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 75; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5, Rn. 16b. 153
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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spräche jedoch der allgemeinen Grundrechtsdogmatik, wonach ein Eingriff nicht zwangsläufig auch die Verletzung des Rechts bedingt, sondern vielmehr rechtfertigungsfähig ist.155 Im Ergebnis sprechen daher die besseren Argumente dafür, eine Zugangsversagung aus Kapazitätsgründen als Eingriff in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG zu werten, der jedoch regelmäßig im Rahmen einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung der Parlamentsverwaltung auf Basis des Hausrechts gerechtfertigt sein dürfte. cc) Ausschluss der Öffentlichkeit Eine ähnliche Problemstellung ergibt sich im Rahmen des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG (analog).156 Sofern die Bestimmung der allgemeinen Zugänglichkeit in einer Entscheidung des Staates wurzelt, kann diese infolge der originären Verfügungsgewalt bereits tatbestandlich beschränkt sein oder ggf. zurückgenommen werden.157 Durch die Einräumung der Möglichkeit eines Ausschlusses der Öffentlichkeit mit Zweidrittelmehrheit könnte insoweit bereits die allgemeine Zugänglichkeit der Informationsquellen in Frage stehen, sodass es sich bei einem Ausschluss hiernach von vornherein nicht um einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff handelte.158 Andererseits könnte die Frage der allgemeinen Zugänglichkeit auch allein anhand der verfassungsrechtlichen Grundvorgabe in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) zu beurteilen sein, sodass ein hiervon abweichender Ausschluss der Öffentlichkeit vielmehr als Eingriff einzuordnen wäre. Für die letztgenannte Sichtweise spricht erneut die allgemeine Grundrechtsdogmatik. Sofern der Ausschluss der Öffentlichkeit nicht in Gemäßheit der Voraussetzungen von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG (analog) erfolgte und damit rechtswidrig wäre, würde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die zu Unrecht erfolgte Versagung der Teilnahme zugleich einen rechtswidrigen Eingriff darstellen und einen gegen den Staat gerichteten Zugangsanspruch begründen.159 Dies legt jedoch nahe, auch in einem rechtmäßigen Ausschluss der Öffentlichkeit einen Eingriff zu erblicken, der jedoch nach den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt ist. Insofern wäre Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG (analog) als allgemeines Gesetz einzustufen, welches sich nicht gegen die Informationsfreiheit als solche richtet, sondern durch den Öffentlichkeitsausschluss
155
Vgl. hierzu v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 148 f. Zur analogen Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG auf Ausschüsse siehe noch Kap. 4 C. 157 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II, Rn. 79; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 109 f.; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5, Rn. 23. 158 Vgl. hierzu v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 150 ff. 159 Vgl. erneut BVerfGE 103, 44 (60). 156
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
dem Schutz kollidierender Verfassungsrechtsgüter dient.160 Andernfalls wären – dogmatisch schief – Eingriff und Grundrechtsverletzung stets kongruent und eine Rechtfertigung ausgeschlossen.161 Insofern ist auch hinsichtlich des Ausschlusses der Öffentlichkeit die Annahme eines rechtfertigungsbedürftigen Grundrechtseingriffs vorzugswürdig. d) Exkurs: Prozessuale Durchsetzbarkeit Das so hergeleitete subjektive Recht auf Zugang zur Ausschussverhandlung kann gerichtlich durchgesetzt werden. Insofern wäre der Rechtsbehelf gegenüber der Parlamentsverwaltung geltend zu machen, die über den tatsächlichen Zugang zum Reichstagsgebäude wacht.162 Bei der gerichtlichen Durchsetzung des Zugangsanspruches handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, für die gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Dabei sind Leistungsbegehren als öffentlich-rechtlich einzustufen, wenn sich der Kläger auf eine Anspruchsgrundlage beruft, die dem öffentlichen Recht entstammt.163 Hier folgt der Anspruch unmittelbar aus dem Grundrecht der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG, welches seinerseits unmittelbar ausschließlich die Staatsgewalt bindet und damit öffentlich-rechtliches Sonderrecht darstellt. Da auch nicht zwei unmittelbar am Verfassungsleben beteiligte Stellen miteinander streiten, ist das nach der herrschenden Ansicht164 für die Abgrenzung von Verfassungsrechtsstreitigkeiten herangezogene Kriterium doppelter Verfassungsunmittelbarkeit nicht einschlägig, sodass eine verwaltungsrechtliche Streitigkeit vorliegt. Als statthafte Klageart kommt dem Klagebegehren entsprechend (vgl. § 88 VwGO) eine Verpflichtungsklage in Betracht. Zwar stellt die Zugangsgewährung zum Parlamentsgebäude bzw. den Ausschusssälen ein rein tatsächliches Handeln dar. Dem geht jedoch aufgrund der präventiven Begrenzung des Zutritts nach den Vorgaben der Hausordnung165 eine vorherige Entscheidung der Bundestagsverwaltung über die tatsächliche Zugangsgewährung voraus. Dieser Entscheidung kommt Regelungswirkung zu, sodass es sich hierbei um einen Verwaltungs160 Zur Notwendigkeit des Schutzes eines anderen Rechtsguts von Verfassungsrang im Rahmen des Öffentlichkeitsausschlusses siehe noch Kap. 4 C. II. 2. 161 Vgl. v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 151 f. 162 Siehe hierzu § 1 Hausordnung des Deutschen Bundestages (Anhang 1 zur GOBT). 163 Vgl. Ehlers/J.-P. Schneider, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 40, Rn. 202. 164 Aus der Literatur etwa Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aul. 2019, § 11, Rn. 49; Kunig, Jura 1990, S. 386 (387); Löwer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 70, Rn. 6; Rennert, in: Eyermann, § 40, Rn. 18 ff. Aus der Rechtsprechung BVerwG NJW 1976, S. 637 (638); BayVGH NVwZ 1991, S. 386 f. m.w. N. 165 Siehe § 2 Hausordnung des Deutschen Bundestages.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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akt im Sinne von § 35 Abs. 1 VwVfG handelt.166 In der Folge zielt die Geltendmachung des Zugangsanspruchs auf den Erlass eines solchen Verwaltungsaktes ab und ist daher im Wege der Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zu verfolgen. Der Bundestagspräsident als oberster Dienstherr der Angehörigen der Bundestagsverwaltung (vgl. § 7 GO-BT) stellt eine oberste Bundesbehörde im Sinne von § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO dar, sodass ein der gerichtlichen Klärung vorgeschaltetes Vorverfahren entfällt.167 Soweit aufgrund beschränkter Kapazitäten des Zuschauerraums und einer darüber hinausgehenden konkreten Nachfrage eine Auswahlentscheidung hinsichtlich der Platzvergabe zu treffen ist, richtet sich der geltend gemachte Zugangsanspruch allein auf eine ermessenfehlerfreie Entscheidung. Sofern sich das Sachinteresse an der Teilnahme an einer bestimmten Sitzung (etwa infolge Zeitablaufs durch zwischenzeitliches Stattfinden der Sitzung) erledigt hat, kommt eine gerichtliche Geltendmachung allein im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in Frage. Darüber hinaus kann der Eingriff in das partielle Recht auf Zugang zur Ausschussverhandlung in Gestalt der Entfernung aus dem Zuschauerraum bzw. der Verweisung aus dem Gebäude oder der Erteilung eines Hausverbots verwaltungsgerichtlich überprüft werden. Solche Maßnahmen erfolgen in Ausübung des Hausrechts des Bundestagspräsidenten (vgl. Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG).168 Dabei sind hausrechtliche Anordnungen nach zutreffender Ansicht im Schrifttum169 als öffentlich-rechtliche Maßnahmen einzustufen. Diese Ansicht verdient schon deshalb Zustimmung, weil – wie gesehen – aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 (analog) i.V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG ein subjektives öffentliches Recht auf Zugang folgt, dem sich ein rein privatrechtlich ausgestaltetes Hausrecht jedenfalls nicht entgegenhalten ließe.170 Da hausrechtlichen Maßnahmen im Gestalt des verbindlichen Entzugs des Zugangsrechts zur Parlamentsverhandlung zugleich Regelungscharakter zukommt, stellen sie Verwaltungsakte im Sinne von § 35 Abs. 1 VwVfG dar.171 Gegen solche Verfügungen gegenüber Zuschauern ist mithin der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet und die Anfechtungsklage 166 Für die Möglichkeit des Handelns der Parlamentsverwaltung durch Verwaltungsakte siehe Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 1, Rn. 183. 167 Vgl. hierzu Dolde/Porsch, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, § 68, Rn. 15; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 68, Rn. 19. 168 Siehe hierzu noch ausführlich Kap. 5 A. III. 1. c). 169 So H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 144; Igel/Feldkamp, ZParl 44 (2013), S. 126 (127); H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 40, Rn. 15; Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 35; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 40, Rn. 27; a. A. Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 252; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 29; K. Stern, Staatsrecht II, S. 85. 170 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 142; unter Verweis auf Ehlers DÖV 1977, S. 737 (739). 171 Ehlers, DÖV 1977, S. 737 (739 f.); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 173; Knemeyer, VBlBW 1982, S. 249 (250 f.); Zeiler DVBl 1981, S. 1000 (1002); a. A. Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 255.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft.172 In der Erledigungskonstellation kommt wiederum eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO (ggf. analog) in Betracht.
II. Berichterstattungsöffentlichkeit von Parlamentsausschüssen Neben die unmittelbare Sitzungsöffentlichkeit tritt nach allgemeiner Ansicht – ergänzend173 – die Berichterstattungsöffentlichkeit, welche die Inhalte der Parlamentsverhandlungen auch dem nicht anwesenden Bürger durch verschiedene Formen der Berichterstattung zugänglich macht.174 Bei dieser mittelbaren Herstellung von Öffentlichkeit ist weiter zwischen amtlicher und nichtamtlicher Berichterstattung zu differenzieren. Erstere umfasst die durch den Bundestag bzw. seine Ausschüsse selbst vorgenommene Berichterstattung, sowohl in schriftlicher Form – etwa durch die Protokollierung der Sitzungen und die Veröffentlichung der Protokolle – als auch unter Zuhilfenahme multimedialer Mittel wie einer Aufzeichnung bzw. Echtzeitübertragung der Debatte in Bild und Ton. Letztere erstreckt sich wiederum auf jede Form der Berichterstattung von den Sitzungen durch Presse und Rundfunk sowie sonstige Dritte.175 Zwar normiert Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich allein die allgemeine Zugänglichkeit der Parlamentsverhandlungen im Sinne der Sitzungsöffentlichkeit. In der Zusammenschau mit Art. 42 Abs. 3 GG, demgemäß wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben, ist jedoch ersichtlich, dass diese Norm auch eine Berichterstattung über parlamentarische Sitzungen impliziert.176 Des Weiteren ergibt sich die Notwendigkeit der Berichterstattungsöffentlichkeit aus den tatsächlichen Funktionsbedingungen der Parlaments- bzw. Ausschussöffentlichkeit in einem modernen Staatswesen. Ohne eine kontinuierliche Berichterstat172
H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 174. Im Rahmen des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG wäre es allerdings nicht zulässig, die Öffentlichkeit allein durch Berichterstattungsöffentlichkeit herzustellen. So auch Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27. Schließlich kann sich der Einzelne nur durch die unmittelbare Sitzungsöffentlichkeit einen ungefilterten und umfassenden Eindruck des Geschehens verschaffen. Vgl. hierzu v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 142. 174 Achterberg, Die parlamentarische Verhandlung, 1979, S. 18, 22 ff.; ders./Schulte, in: Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 7 ff.; H.-P. Schneider, in: AKGG, Art. 42, Rn. 16; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, Art. 42, Rn. 4; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 16; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 40; MüllerTerpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 41; Schliesky, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 20. 175 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 567 ff.; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 8 f.; Kißler Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 320 ff.; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 42 ff. 176 Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 69; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 133 f.; vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27, 40. 173
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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tung über das Geschehen im Parlament wäre die von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) statuierte Sitzungsöffentlichkeit mit Blick auf den begrenzten räumlichen Zugang sowie die praktisch nicht gegebene Möglichkeit der Bürger, den Sitzungen fortlaufend beizuwohnen, von geringem praktischen Wert. Erst durch die Berichterstattungsöffentlichkeit wird die tatsächliche Kenntnisnahmemöglichkeit durch das Publikum verbürgt.177 Wenn die Parlamentsöffentlichkeit – dem Telos der Norm entsprechend – eine tatsächliche Nachvollziehbarkeit und Durchschaubarkeit des Staatshandelns gewährleisten soll, schließt dies zwingend die Möglichkeit der orts- bzw. zeitunabhängigen mittelbaren Kenntnisnahme vom Inhalt der Verhandlung ein. Demnach kommt der Berichterstattungsöffentlichkeit – als notwendiges Pendant zur Sitzungsöffentlichkeit – ein eigener Regelungsgehalt im Rahmen von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) zu. Was diese Aspekte im Einzelnen umfassen, ist im Folgenden aufzuschlüsseln. Fraglich ist insbesondere, ob neben der unmittelbar einleuchtenden Verpflichtung, eine nichtamtliche Berichterstattung nicht zu verhindern, hieraus auch die positive Vorgabe an den Bundestag zu entnehmen ist, eine amtliche Berichterstattung zu gewährleisten. Die Untersuchung wird dabei neben der amtlichen (1.) und der nichtamtlichen Berichterstattung (2.) auch den in Abs. 3 zum Ausdruck kommenden Regelungsgehalt der Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichterstattung (3.) adressieren. 1. Amtliche Berichterstattung Die amtliche Parlamentsberichterstattung wird in ihrer klassischen Form zunächst durch die Anfertigung eines Sitzungsprotokolls der Plenarsitzungen (sog. „Plenarprotokoll“ im Sinne von § 116 GO-BT) durch den Stenografischen Dienst des Bundestages178 gewährleistet. Dieses enthält neben den Redebeiträge im genauen Wortlaut auch Erklärungen, Fragen, Kurzinterventionen, ggf. Zwischenrufe (vgl. § 119 Abs. 1 GO-BT) sowie kurze Sachverhaltsschilderungen hinsichtlich des Geschehens im Plenum wie Beifalls-bzw. Missfallensbekundungen, Heiterkeit oder ggf. das Verlassen des Plenarsaals durch einzelne Abgeordnete oder Fraktionen.179 Nachdem die Redner die Gelegenheit hatten, die Niederschrift zu 177 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 57; l. auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 7; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 320; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 40; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 41. 178 Zu den folgenden Organisationsinterna innerhalb der Parlamentsverwaltung siehe auch das Organigramm der Verwaltung des Deutschen Bundestages, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/189334/c074eb4f25ebb2f5ff8631aa9228e-173/ orgplan-de-data.pdf (10.09.2019). 179 Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 67; vgl. auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 568; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 8.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
prüfen (§§ 117 f. GO-BT), werden die Sitzungsberichte in der Regel bereits am Folgetag veröffentlicht.180 Auch hinsichtlich Ausschusssitzungen existiert die Pflicht Protokolle anzufertigen (vgl. § 73 Abs. 1 S. 1 GO-BT), wobei zudem die Möglichkeit eröffnet ist, dass diese den Umfang eines stenografische Berichts haben (vgl. § 73 Abs. 1 S. 3 GO-BT). Außerdem wird durch das Referat „Parlamentsnachrichten“ der Bundestagsverwaltung – vergleichbar einer Nachrichtenagentur – über das aktuelle Geschehen in Plenum und Ausschüssen fortlaufend berichtet. Hierbei werden insbesondere Kurzbeiträge zu aktuellen Geschehnissen im Bundestag unter der Nachrichtenrubrik „Heute im Bundestag“ 181 zusammenstellt. Ferner wird durch die Bundestagsverwaltung die Wochenzeitung „Das Parlament“ redaktionell verantwortet, welche detaillierte Berichte über die Arbeit des Parlaments enthält. Neben die klassisch schriftliche (amtliche) Berichterstattung treten in jüngerer Vergangenheit neue Berichterstattungsformen, die vor allem die Medien Rundfunk und Internet als Kommunikationsplattformen nutzen. Seit dem Umzug des Bundestages nach Berlin 1999 wird von diesem ein eigener Parlamentsfernsehkanal betrieben, welcher die Plenardebatten sowie eine Vielzahl der öffentlichen Ausschusssitzungen in Echtzeit, unkommentiert und in voller Länge via Kabel, Satellit und im Internet (im Rahmen einer Mediathek182) überträgt. Darüber hinaus stellt der Bundestag sämtliches aufgezeichnetes Videomaterial seit Beginn der 17. Wahlperiode im Internet per Video-on-Demand zur Verfügung, sodass gerade auch Mitschnitte von öffentlichen Plenar- und Ausschusssitzungen hierüber dauerhaft abgerufen werden können. Ältere Audio- und Videoaufzeichnungen sind zudem über das Parlamentsarchiv einsehbar.183 Abgerundet wird das Informationsangebot durch das vom Referat „Parlamentsdokumentation“ zur Verfügung gestellte elektronische Informationsarchiv. Dieses ermöglicht den Zugriff auf alle Drucksachen und öffentlichen Sitzungsprotokolle des Bundestages und seiner Ausschüsse seit 1949.184 Dabei werden die verschiedenen Stufen des Beratungsprozesses eines parlamentarischen Gegenstandes zu einem Vorgang zusammengefasst, sodass es möglich ist, diesen gebündelt nachzuvollziehen.
180
Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/protokolle (10.09.2019). Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/hib (10.09.2019). 182 Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/mediathek (10.09.2019). 183 Siehe hierzu: https://www.bundestag.de/dokumente/parlamentsarchiv/ueberblick/ tva-198474 (10.09.2019). 184 Im Internet abrufbar unter: https://www.bundestag.de/parlamentsdokumentation (10.09.2019). 181
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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a) Pflicht zu amtlicher Parlamentsberichterstattung Fraglich ist, ob die so herausgearbeiteten Aspekte amtlicher Berichterstattung zugleich Ausdruck einer auf Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) beruhenden verfassungsrechtlichen Pflicht sind. Der Wortlaut der Norm gibt zur Frage der Berichterstattungsöffentlichkeit – wie gesehen – keinen Hinweis. Zwar kann unter Hinzuziehung von Art. 42 Abs. 3 GG von der Grundannahme einer parlamentarischen Berichterstattung durch den Verfassungsgeber ausgegangen werden. Gegen eine Rechtspflicht speziell zur amtlichen Berichterstattung könnte jedoch sprechen, dass nach klassischem Verständnis weniger das Parlament selbst, als vielmehr die Medien Träger der Parlamentsberichterstattung sind.185 Dies wird bereits am historischen Gleichschritt zwischen verfassungsrechtlicher Normierung der Verantwortungsfreiheit parlamentarischer Berichterstattung einerseits und der presserechtlichen Abschaffung der Zensur bzw. der einfachgesetzlichen Aufnahme der Verantwortungsfreiheit ins Pressegesetz andererseits deutlich.186 Nach diesem Verständnis wäre die amtliche Berichterstattung lediglich als freiwillige Zusatzleistung des Parlaments anzusehen. Dem steht aus historischer Warte bereits z. T. entgegen, dass auch die amtliche Parlamentsberichterstattung – jedenfalls in Form der Anfertigung stenografischer Sitzungsprotokolle – eine lange Tradition besitzt. So wurden bereits von den Verhandlungen des Paulskirchenparlaments stenografische Berichte gefertigt.187 Hinzu kommt, dass eine private Berichterstattung die Parlamentsverhandlungen in ihrer Breite tatsächlich niemals abbilden kann und damit notwendig bruchstückhaft bleiben muss. Für eine flächendeckende Berichterstattung wäre ein eminenter personeller und sachlicher Aufwand von Nöten, dem kein entsprechendes publizistisches Interesse auf Seiten der Medien gegenübersteht. Gerade die Freiheit der Auswahl der behandelten Nachrichten ist zudem Ausdruck von Presse- und Rundfunkfreiheit.188 Für den herausgearbeiteten Telos von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) ist jedoch eine tatsächliche Nachvollziehbarkeit grundsätzlich jeder Entäußerung der Staatsgewalt und nicht nur der medial abgedeckten Teilbereiche geboten.
185 Gleichwohl handelt es sich nicht um ein Privileg der Medien, da die Verantwortungsfreiheit nach Art. 42 Abs. 3 GG jedem zukommt der von öffentlichen Parlamentsverhandlung wahrheitsgemäß berichtet, vgl. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 65. 186 Siehe dazu bereits Kap. 2 A. III. 2. 187 Siehe hierzu Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main 1849, Hrsg. auf Beschluss der Nationalversammlung durch die Redactions-Commission und in deren Auftrag von Franz Wigard, Frankfurt a. M., Bd. 1–5, 1848, Bd. 6–9, 1849, Bd. 10, 1850. 188 Siehe aus der Rechtsprechung etwa BVerfGE 42, 53 (62); 48, 271 (278); ferner Grabenwarter, in: Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 295, 306; Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 136.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Hinzu kommt, dass auch im Rahmen der tatsächlich stattfindenden Wiedergabe parlamentarischer Vorgänge durch die Medien amtliche und nichtamtliche Berichterstattung keinesfalls wesensgleich sind. Vielmehr begründet das Kriterium einer medialen Filterung von Informationen vor deren Weitergabe einen qualitativen Unterschied. Es wäre verfehlt zu glauben, dass eine Darstellung parlamentarischer Vorgänge, im Sinne einer völlig objektivierten Wiedergabe der Realität, durch die Medien tatsächlich erfolgen könne. Das Bild der parlamentarischen Wirklichkeit ist im Rahmen der medialen Berichterstattung stets gefiltert, sei es durch die journalistische Auswahl von Themen und Informationsquellen oder durch die Art und Weise der Darstellung im Rahmen der Wahl bestimmter Worte, Bilder oder Videoausschnitte.189 Zu bedenken ist dabei ferner, dass die Medien schon von Verfassungs wegen nicht allein Informationen vermitteln, sondern vielmehr gerade auch dazu berufen sind, selbst an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken.190 Im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer pluralistischen Medienlandschaft betont das Bundesverfassungsgericht daher, dass Medienerzeugnisse stets eine gewisse Tendenz aufwiesen.191 Auch gilt es, die wirtschaftliche Komponente nichtamtlicher Berichterstattung zu bedenken. „Der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck und das publizistische Bemühen um die immer schwerer zu gewinnende Aufmerksamkeit der Zuschauer führen beispielsweise häufig zu wirklichkeitsverzerrenden Darstellungsweisen, etwa zu der Bevorzugung des Sensationellen und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand nur das Besondere, etwa Skandalöses, zu entnehmen.“ 192
Mithin ist die nichtamtliche Berichterstattung zwingend selektiv und stellt die Realität nicht völlig frei von einer subjektiven Einfärbung dar. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist ein umfassendes Nachvollziehen sämtlicher im Bundestag behandelter Themen allein durch den Zugriff auf nichtamtliche Berichterstattung schwerlich möglich. Demgegenüber erhebt die amtliche Parlamentsberichterstattung grundsätzlich den Anspruch, umfassend, also losgelöst von journalistischen Selektionskriterien, 189 Vgl. hierzu Starck/Paulus, in: v. Mangoldt/Starck/Klein, Art. 5, Rn. 107; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 35 f.; Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 32, Rn. 28 ff. 190 BVerfGE 12, 205 (260); 20, 162 (174 f.); 31, 314 (326); 57, 295 (320); 74, 297 (323 f.); 83, 238 (296). 191 Diese äußere sich insbesondere in der Auswahlentscheidung, welche Inhalte gezeigt werden bzw. welche Aspekte für das Publikum nicht von Interesse seien und damit ohne Schaden für die öffentliche Meinungsbildung vernachlässigt werden könnten. Ferner seien die konkrete Darstellungsform sowie die Einbettung in den Gesamtkontext Ausdruck einer solchen Tendenz. Siehe hierzu BVerfGE 12, 205 (260); ferner auch Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 162; Herzog, in: Maunz/Dürig, 67. Ergänzungslieferung 2012, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 87; v. Coelln, Medienöffentlichkeit, 2005, S. 142. 192 BVerfGE 119, 181 (216); vgl. auch BVerfGE 103, 44 (67).
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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über parlamentarische Vorgänge zu berichten. Insofern wird von dieser z. B. auch das Informationsbedürfnis spezifischer gesellschaftlicher Sonderinteressen befriedigt, das im Rahmen der begrenzten Berichterstattungskapazitäten der Medien andernfalls keine Berücksichtigung finden könnte. Fernerhin besteht im Rahmen nichtamtlicher Berichterstattung die Möglichkeit, durch direkte Anschauung der Primärquelle den weitgehend ungefilterten Informationsfluss aus dem Parlament auf sich wirken zu lassen. Erst hierdurch wird zudem eine vertiefte Befassung mit den Details parlamentarischer Beratungen möglich, da infolge begrenzter journalistischer Publikationskapazitäten die Vorgänge zwingend unter Reduktion von Komplexität zusammengefasst und aufbereitet werden. Der Sinn und Zweck von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog), welcher auf die Möglichkeit des tatsächlichen Nachvollziehens der gesamten Parlamentsverhandlung abzielt, bedingt daher, dass eine amtliche Berichterstattung dem Grunde nach verfassungsrechtlich geboten ist.193 b) Umfang der Berichterstattungspflicht Damit ist indes noch keine Aussage zum erforderlichen Maß amtlicher Berichterstattung getroffen. Dessen Festlegung unterliegt als verfahrensbezogene Selbstorganisationsangelegenheit grundsätzlich dem Ermessen des Bundestages im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG. Allerdings wird von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) – vergleichbar der Situation bei der Herstellung der Saalöffentlichkeit – ein gewisses Mindestmaß amtlicher Berichterstattung gefordert, das in der Zusammenschau mit den weiteren Öffentlichkeitsaspekten der Saalöffentlichkeit sowie der nichtamtlichen Berichterstattung zwingend erforderlich ist, damit zumindest die faktische Möglichkeit gegeben ist, den vollständigen Inhalt der (Ausschuss)Verhandlung tatsächlich nachzuvollziehen. Es kommt daher auf die Gewährleistung eines bestimmten Gesamtniveaus parlamentarischer Berichterstattungsöffentlichkeit an. Lediglich das Zurückbleiben hinter einem so beschriebenen verfassungsrechtlichen Untermaßverbot konstituiert einen Verstoß gegen Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog). Hinsichtlich der Ableitung konkreter Rechtspflichten im Rahmen der Durchführung amtlicher Berichterstattung ist mithin behutsam vorzugehen, um den Regelungsanspruch der Verfassung nicht zu überdehnen. Dabei gilt es zu beachten, dass die verschiedenen Formen, in der eine amtliche Berichterstattung erfolgt, jeweils spezifische Stärken und Schwächen aufweisen, sodass das vorbeschriebene Öffentlichkeitsniveau regelmäßig durch eine Kombination verschiedener Berichterstattungstypen erreicht werden kann. Dabei ist zudem auf eine gewisse Medienpluralität zu achten, da nicht jedermann auf alle Kanäle amtlicher Berichterstattung gleichermaßen zugreifen kann.
193
Im Ergebnis so auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 135 f.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Die Berichterstattung in Form eines stenografischen Berichts zeichnet etwa die Stärke aus, dass hier gezielt der genaue Wortlaut von Redebeiträgen nachvollzogen werden kann. Dies kann etwa mit Blick auf die Gesetzesauslegung von entscheidender Bedeutung sein.194 Demgegenüber wird durch den rein schriftlichen Bericht nur ein sehr begrenzter Eindruck von der Art und Weise des Vortrags eines Redners oder der Atmosphäre der Debatten vermittelt. Gerade die rhetorische Qualität kann jedoch von erheblicher Bedeutung für die Überzeugungskraft der vorgebrachten Argumente sein.195 Umgekehrt werden durch eine Bild-TonÜbertragung im Livestream Vortragsart und Debattenatmosphäre deutlich besser eingefangen. Allerdings geht hiermit der Nachteil einher, dass einzelne Details und genaue Formulierungen aufgrund der Wahrnehmung in Echtzeit, ohne Möglichkeit zu pausieren bzw. zurückzuspulen, eher untergehen. Die Aufzeichnung der Debatte und Abrufbarkeit per Video-on-Demand gleicht wiederum das Moment der Volatilität der Echtzeitübertragung aus. Allerdings eignet sie sich tendenziell weniger als das schriftliche Protokoll dazu, gezielt spezifische Details innerhalb von Redebeiträgen herauszufiltern. Die allein im Internet abrufbaren Informationsangebote setzten zudem signifikante Wahrnehmbarkeitsbedingungen voraus. Zwar dürfte mit zunehmender Digitalisierung de facto zu unterstellen sein, dass heute nahezu jeder Bürger entweder über einen Internetanschluss verfügt oder zumindest die Möglichkeit hat, einen solchen (z. B. in öffentlichen Bibliotheken) zu nutzen. Gleichwohl kann bei einem Teil der Gesellschaft eine entsprechende Medienkompetenz nicht per se unterstellt werden, sodass neben der digitalen Zugriffsmöglichkeiten zumindest im Rahmen einer Reservefunktion auch eine Möglichkeit der Information durch analoge Berichtsformen wie gedruckte Protokolle gegeben sein muss.196 Dies vorausgeschickt, ist mit Blick auf eine Protokollierung und Veröffentlichung des Sitzungsverlaufs ein verfassungsrechtliches Untermaßverbot jedenfalls dann unterschritten, wenn durch die reine Lektüre des Protokolls öffentlicher Sitzungen der Inhalt der Verhandlung nicht einmal in groben Zügen nachvollzogen werden kann. Insofern ist über die reine Wiedergabe der gefassten Beschlüsse hinaus jedenfalls auch die Publizität der zu den einzelnen Tagesordnungspunkten im Wesentlichen vertretenen Positionen der verschiedenen Fraktionen nebst den Schwerpunkten der jeweiligen Argumentation erforderlich. Das Protokoll muss zudem für jedermann voraussetzungslos zugänglich sein. Andererseits dürfte ein Wortlautprotokoll für die Nachvollziehbarkeit und hierauf aufbauende Willens194
Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 568. Vgl. dazu M. Bauer, Der Staat 49 (2010), S. 587 (595); Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 81; Sarcinelli, Politische Kommunikation, 3. Aufl. 2011, S. 230 ff. 196 Zum Aspekt eingeschränkter Gleichheit im Netz Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 51, Rn. 82; Paschke, Digitale Öffentlichkeit, 2018, S. 221 f. 195
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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bildung zwar verfassungspolitisch wünschenswert, jedoch verfassungsrechtlich nicht zwingend erforderlich sein. Auch ohne den genauen Wortlaut aller Einlassungen zu kennen, ergibt sich eine grundsätzliche Nachvollziehbarkeit des Sitzungsverlaufs anhand eines den wesentlichen Ablauf etwa in indirekter Rede wiedergebenden Inhaltsprotokolls. Fraglich ist, ob die für die Gewährleistung eines hinreichenden Gesamtniveaus der Berichterstattungsöffentlichkeit die Möglichkeit einer Anschauung der Ausschusssitzung in Echtzeit geboten ist. Hierfür könnte der Aspekt sprechen, dass eine unmittelbare audio-visuelle Wahrnehmung der Debatte infolge des limitierten Platzangebots auf den Besuchertribünen der Ausschusssäle, selbst wenn man den Wunsch, der Verhandlung im Rahmen der Sitzungsöffentlichkeit unmittelbar beiwohnen zu wollen, unterstellte, faktisch für den größten Teil des Publikum unmöglich ist. Im Wege der Liveübertragung ließe sich dieses Defizit ausgleichen und die Ausschussverhandlung einem größeren Publikum zur Anschauung bringen.197 Gegen eine Einstufung der Liveübertragung als gebotenen Minimalgehalt amtlicher Berichterstattung spricht jedoch, dass es – trotz der verfassungspolitischen Vorteilhaftigkeit einer Möglichkeit audio-visueller Anschauung der Debatte – im Ergebnis für eine potentielle Nachvollziehbarkeit nicht zwingend erforderlich ist, das Sitzungsgeschehen im Bild und Ton verfolgen zu können. Das absolute verfassungsrechtliche Minimum lässt sich etwa ebenfalls durch das Studium parlamentarischer Protokolle gewährleisten, die jedenfalls den wesentlichen Sitzungsverlauf hinsichtlich sämtlicher Beratungsgegenstände abdecken. Dies, zusammen mit der zwar nicht wesensgleichen jedoch gleichfalls einer effektiven Informationsvermittlung dienenden nichtamtlichen Berichterstattung, gewährleistet insgesamt ein hinreichendes Öffentlichkeitsniveau, sodass ein Verstoß gegen das Untermaßverbot bei nicht gegebener Möglichkeit der Echtzeitübertragung nicht vorliegt. Eine Auslegung, die etwas anderes annimmt, müsste dagegen – konsequent zu Ende gedacht – zumindest in Bezug auf das Plenum einen Großteil der Parlamentsverhandlungen vor Einführung der Echtzeitübertragung 1999 für verfassungswidrig erklären, da eine audio-visuelle Liveübertragung bereits deutlich vor diesem Datum technisch ohne Weiteres möglich und zugleich für einen Großteil der gesellschaftlichen Öffentlichkeit wahrnehmbar war. Bereits die konstituierende Sitzung des zweiten Bundestages wurde am 6. Oktober 1953 direkt im Fernsehen übertragen.198 Zwar war zu dieser Zeit der Verbreitungsgrad des Fernsehens – infolge eingeschränkter Empfangsmöglichkeiten – noch sehr gering. Spätestens mit der flächendeckenden Versorgung deutscher Haushalte mit Fern197
So Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 120, 124 f. Siehe hierzu und zur Geschichte der Parlamentsberichterstattung im Fernsehen, Schiller, Brennpunkt Plenum, 2002, S. 184 ff. 198
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
sehgeräten bis Mitte der 1970er Jahre199 ist eine tatsächliche Kenntnisnahmemöglichkeit jedoch zu unterstellen. Im Ergebnis wird somit eine Pflicht zur Echtzeitübertragung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht begründet. Die vorstehende Argumentation gilt – a majore ad minus – auch für das Zurverfügungstellen von Aufzeichnungen öffentlicher Sitzungen per Video-on-Demand. Bei dieser nachträglichen Form der Berichterstattung fällt bereits das Argument mangelnder tatsächlich-räumlicher Möglichkeit der Präsensanwesenheit im Rahmen der Sitzungsöffentlichkeit weg. Ferner gilt auch hier, dass ein dauerhafter Zugang zu umfassenden Videomitschnitten der Sitzungen für die Kenntnisnahme des parlamentarischen Geschehens zwar von erheblichem Vorteil und damit verfassungspolitisch zu begrüßen, jedoch nicht absolut zwingend ist, um den Sitzungsverlauf inhaltlich nachvollziehen zu können.200 c) Exkurs: Rundfunk- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Echtzeitübertragungen und Videoaufzeichnungen Obschon die durch den Bundestag durchgeführte Liveübertragung der Sitzungstätigkeit sowie deren Aufzeichnung und Veröffentlichung verfassungsrechtlich jedenfalls nicht zwingend sind, entspricht diese Form der Berichterstattung dem Grundgedanken parlamentarischer Öffentlichkeit, da sie für das breite gesellschaftliche Publikum eine inhaltliche Zugänglichkeit der Sitzungen bewirkt. So nimmt es nicht wunder, dass der Bundestag in der Praxis ein solches Informationsangebot zur Verfügung stellt. Gleichwohl ergibt sich vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, welche aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ein Gebot der Staatsferne des Rundfunks ableitet, das es dem Staat untersagt, selbst als Rundfunkveranstalter in Erscheinung zu treten,201 die Frage, in welchem Umfang ein solches Informationsangebot rechtlich überhaupt zulässig ist. Dabei kann im Kontext dieser Arbeit allenfalls eine Sensibilisierung für den Problemkreis vorgenommen werden.202 Einfachgesetzlich findet das Gebot der Staatsferne Ausdruck in § 20a Abs. 3 S. 1 RStV, der die Erteilung einer rundfunkrechtlichen Zulassung (vgl. § 20 Abs. 1 RStV) an juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich unter-
199
Sturmberger, Fernsehen und sozialstruktureller Wandel, 2002, S. 99. Vgl. im Ergebnis auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 136. 201 BVerfGE 12, 205 (263); 83, 238 (330); 121, 30 (51 ff.); siehe dazu auch Degenhart, NVwZ 2010, S. 877 (879). 202 Siehe hierzu grundlegend Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, 2008 passim; Goerlich/Laier, ZUM 2008, S. 475 ff.; ferner die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum „Gesetzlicher Rahmen für ein Parlamentsfernsehen“, WD 10 – 3000 – 038/11, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ resource-/blob/406914/bd0b2259-ac68df35410af0f228166-5d6/WD-10-038-11-pdf-data. pdf (11.09.2019). 200
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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sagt. Der Deutsche Bundestag stellt als körperschaftliches Kollegialorgan zwar selbst keine juristische Person des öffentlichen Rechts dar.203 Allerdings wäre ihm als Organ der juristischen Person Bundesrepublik Deutschland204 eine rundfunkrechtliche Zulassung ebenso zu versagen.205 Maßgeblich ist insofern die Frage, ob die Einrichtung einer Echtzeitübertragung bzw. die Abrufbarkeit von audio-visuellen Aufzeichnungen von (Ausschuss)Sitzungen als Veranstaltung von Rundfunk zu qualifizieren ist. Dabei setzt der Rundfunkbegriff von § 2 Abs. 1 S. 1 RStV u. a. einen linearen Informations- und Kommunikationsdienst im Sinne eines zeitgleichen Empfangs von Inhalten voraus.206 Insoweit fallen zeitversetzt abrufbare Informationsangebote wie die per Video-on-Demand abrufbaren Beiträge in einer Mediathek bereits nicht unter den einfachrechtlichen Rundfunkbegriff. Die Übertragung in Echtzeit erfüllt zwar dieses Kriterium, könnte aber wiederum unter den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 3 Nr. 4 RStV fallen, nach dem bei fehlender journalistisch-redaktionelle Gestaltung eine Übertragung nicht als Rundfunk eingestuft werden kann. Ob im Rahmen der Echtzeitübertragung der Parlamentsverhandlung von einer journalistisch-redaktionellen Gestaltung gesprochen werden kann, hängt vom jeweiligen Programmformat ab. Die reine Übertragung des Bildes einer fest installierten Saalkamera erfüllt das Kriterium der journalistisch-redaktionellen Gestaltung jedenfalls nicht. Anders läge der Fall, wenn die Bildübertragung gezielt gesteuert oder das Geschehen durch einen Moderator begleitet oder kommentiert würde.207 Die Aufnahmen im Rahmen des Parlamentsfernsehens sind zwar nicht auf reine Standbilder einer einzelnen Kamera beschränkt. So wird etwa im Rahmen verschiedener Kameraperspektiven der jeweils Redende fokussiert oder (im Plenum) ggf. in einer Redepause die Reaktion der Fraktionen in Form eines Schwenks eingefangen. Gleichwohl wird die Plenarverhandlung in voller Länge und unter Verzicht auf redaktionelle Bearbeitungen oder Kommentierungen dargestellt. Eine redaktionelle Gestaltung würde jedenfalls ein Mindestmaß an inhaltlicher Prüfung, Sichtung,
203 Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 11; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 45; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 38, Rn. 6; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 15; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 46. 204 Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 11; K. Stern, Staatsrecht II, S. 41; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 12. 205 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 44. 206 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner/Cole/Wagner, Rundfunkstaatsvertrag Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, Bd. 5, RStV, § 2, Rn. 21. 207 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 44; Deutscher Bundestag, WD 10 – 3000 – 038/11, S. 9, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource-/blob/406914/bd0b22 59-ac68df35410af0f228166-5d6/WD-10-038-11-pdf-data.pdf (11.09.2019); vgl. auch Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner/Cole/Wagner, Rundfunkstaatsvertrag Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, Bd. 5, RStV, § 2, Rn. 16.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Auswahl und Bearbeitung der Beiträge erfordern,208 was durch den gelegentlichen Wechsel der Kameraperspektive noch nicht bewirkt wird. Damit kommt der Darstellung insgesamt Standbildcharakter zu, sodass hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des Parlamentsfernsehens die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 3 Nr. 4 RStV eingreift, was wiederum der Einstufung als Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrags entgegensteht.209 Da sich der einfachgesetzliche Rundfunkbegriff von jenem des Verfassungsrechts unterscheidet,210 ist die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Echtzeitübertragungen und der Bereitstellung von Aufzeichnungen per Video-onDemand gesondert zu betrachten. Hier ist im Einzelnen vieles umstritten. So wird z. T. die Einrichtung eines Parlamentsfernsehens als weitgehend zulässig erachtet,211 da dieses eine grundsätzlich zulässige Form der Öffentlichkeitsarbeit darstelle, die sich primär am Maßstab von Art. 42 Abs. 1 GG orientiere.212 Die Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Öffentlichkeitsarbeit ergäben sich aus dem Kriterium des unmittelbaren Bezugs eines Darstellungsgegenstandes zum Funktionskreis des Deutschen Bundestages.213 Dem ist verschiedentlich unter Verweis auf die Kompetenz des Landesgesetzgebers für Rundfunkangelegenheiten sowie die von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gebotene Staatsferne des Rundfunks entgegengetreten worden.214 Letztlich dürfte jedenfalls die derzeitige Ausgestaltung der Echtzeitübertragung sowie der audiovisuellen Aufzeichnungen von Parlamentssitzungen in Form einer vollständigen und redaktionell unbearbeiteten Wiedergabe auch unter verfassungsrechtlichen Auspizien nicht dem Rundfunkbegriff unterfallen und somit unbedenklich sein. Trotz gewisser Unwägbarkeiten hinsichtlich der Bestimmung eines verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs215 entspricht es der allgemeinen 208 Lent, ZUM 2013, S. 914 (916); Martini, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, § 2 RStV, Rn. 15. 209 Ebenso Deutscher Bundestag, WD 10 – 3000 – 038/11, S. 9, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/406914/bd0b2259-ac68df35410af0f228166-5 d6/WD-10-038-11-pdf-data.pdf (11.09.2019); nur im Ergebnis gleich Martini, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, § 20a RStV, Rn. 22, der in verfassungskonformer Auslegung § 20a RStV teleologisch reduziert, um den Vorgaben des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Rechnung zu tragen. 210 Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 9; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner/Cole, Bd. V, RStV, § 2, Rn. 8; Jarass, AfP 1998, S. 133 (133 f.); Martini, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, § 2 RStV, Rn. 1. 211 Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, 2008, passim; diesem folgend Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 193 ff.; im Ergebnis auch Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 9. 212 Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, 2008, S. 52 ff. 213 Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, 2008, S. 53 f. 214 Degenhart, AfP 2010, S. 324 (328 ff.); Goerlich/Laier, ZUM 2008, S. 475 ff. 215 Weder enthält die Verfassung selbst eine Definition noch hat sich das Bundesverfassungsgericht bisher abschließend auf eine Begriffsbestimmung festgelegt. Siehe hierzu Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 90.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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Meinung,216 dass dieser durch die Definitionsmerkmale der Darbietung von Inhalten mit Bestimmung für die Allgemeinheit durch fernmeldetechnische Verbreitung geprägt wird. Das vorliegend entscheidende Kriterium einer „Darbietung von Inhalten“ ist zwar grundsätzlich weit als jede „Vermittlung von Information und Meinung“ 217 zu verstehen. Gleichwohl erscheint eine partielle Einschränkung in der hiesigen Konstellation geboten. Mit einem Teil der Literatur218 ist insofern als Voraussetzung einer Darbietung eine planvolle redaktionelle Gestaltung der verbreiteten Inhalte zu fordern. Hiernach liegt eine Darbietung jedenfalls bei schlichter Übermittlung von Daten ohne jedwede inhaltliche Einflussnahme auf die Darstellung durch den (vermeintlichen) Rundfunkveranstalter nicht vor.219 Dies vermag auch in Ansehung der Ratio des Gebots der Staatsferne zu überzeugen, welches in der objektiv-rechtlichen „dienenden Funktion“ des Grundrechts der Rundfunkfreiheit für einen Prozess freier individueller sowie öffentlicher Meinungsbildung wurzelt.220 Der hieraus abgeleitete Auftrag an den Gesetzgeber, eine pluralistische Rundfunkordnung sicherzustellen, schließt jede Beherrschung oder politische Instrumentalisierung des Rundfunks durch den Staat aus.221 Eine solche staatliche Einflussnahme setzt jedoch ein Mindestmaß an zielgerichteter und suggestiver Lenkung der Informationsvermittlung voraus. Von einer vollständigen und unbearbeiteten Übermittlung von Daten aus der staatlichen Sphäre droht eine solche Wirkung jedoch nicht auszugehen. Vielmehr ist die Möglichkeit der (unverfälschten) Wahrnehmbarkeit der parlamentarischen Verhandlung, wie sie Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG voraussetzt, Quell des politischen Willensbildungsprozesses und nicht Bedrohung für denselben. 216 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 613; Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 151; Holznagel, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 2 RStV, Rn. 7; Schemmer, in: Epping/Hillgruber, GG Art. 5, Rn. 69. 217 BVerfGE 57, 295 (319); 60, 53 (63 f.); vgl. auch BVerwGE 75, 67 (70), Degenhart, in: Merten/Papier HGR IV, § 105, Rn. 28; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 613; Jarass, AfP 1998, S. 133 (134). 218 Degenhart, in: BK, GG Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 310; Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks, 1991, S. 139 f.; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 620; Jarass, AfP 1998, S. 133 (135); Michel, ZUM 1998, S. 350 (351); Schemmer, in: Epping/Hillgruber, GG Art. 5, Rn. 69. 219 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 620; Holznagel, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, § 2 RStV, Rn. 11; im Ergebnis auch Deutscher Bundestag, WD 10 – 3000 – 038/11, S. 12, abrufbar unter: https://www. bundestag.de/resou-rce/blob/406914/bd0b2259-ac68df35410af0f228166-5d6/WD-10038-11-pdf-data.pdf (11.09.2019); a. A. Gersdorf, Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages, 2008, S. 43 ff. 220 Vgl. hierzu BVerfGE 57, 295 (320); 83, 238 (296); Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 280 ff.; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 830 ff. 221 Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 356; ders., NVwZ 2010, S. 877 (879); Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 830 ff.; vgl. auch BVerfGE 57, 295 (320); 83, 238 (296); 90, 60 (88); 119, 181(218); 121, 30 (51).
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Soweit nach alledem das Kriterium einer redaktionellen Gestaltung dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff zugrunde gelegt wird, sind sowohl die Echtzeitübertragung als auch die Bereitstellung von Aufzeichnungen parlamentarischer Sitzungen in ihrer jetzigen Form nicht als Rundfunk einzuordnen, da sie als bloße Wiedergabe des vollständigen tatsächlichen Verlaufs weder selektiv zusammengestellt, noch anderweitig bearbeitet sind. Folglich steht auch das verfassungsrechtliche Gebot der Staatsferne deren Zulässigkeit nicht entgegen. d) Exkurs: Datenschutzrechtliche Zulässigkeit von Echtzeitübertragungen und Videoaufzeichnungen Im Rahmen von Liveübertragungen und Aufzeichnungen von Ausschusssitzungen ist ferner zu beachten, dass hierdurch unter Umständen das aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht in Gestalt des Rechts am eigenen Bild von Anwesenden tangiert werden kann. Dieses gewährleistet nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, dass der Einzelnen eine Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeit bezüglich der Anfertigung und Verwendung von Fotografien oder sonstigen Aufzeichnungen seiner Person durch andere hat.222 Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob eine Person im privaten oder öffentlichen Zusammenhang gezeigt wird.223 Ebenso wenig ist von Belang, ob Anhaltspunkte für eine Verfälschung der Ablichtung vorliegen, sodass auch solche Darstellungen, die ein anwesender Beobachter gleichermaßen hätte wahrnehmen können, vom Schutzbereich umfasst sind.224 Mit Blick auf die in den Ausschusssitzungen anwesenden Abgeordneten und Regierungsvertreter ist dies bereits deswegen unproblematisch, weil sie im Kontext parlamentarischer Arbeit als Amtsträger auftreten und sie damit schon von Verfassungs wegen – um eine Kontrolle durch das Publikum zu gewährleisten – im Fokus der Öffentlichkeit stehen.225 Das von Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Alt. GG (i.V. m. Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog) geschützte Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinsichtlich öffentlicher parlamentarischer Sitzungen, welches der Bundestag im Rahmen der Aufzeichnung bzw. Übertragung wahrnimmt, überwiegt insofern das Recht am eigenen Bild der Sitzungsteilnehmer. Ähnliches dürfte für Mitarbeiter von Parlamentsverwaltung oder Fraktionen gelten, wobei sich die Verpflichtung zur Teilnahme auch an öffentlichen Sitzungen jedenfalls aus deren Arbeitsverhältnis ergibt. Hinsichtlich der Partizipation von Sachverständigen im Rahmen von öffentlichen Anhörungen ist zudem zu bedenken, dass
222
BVerfGE 34, 238 (246); 35, 202 (220); 87, 334 (340); 97, 228 (268 f.); 101, 361
(381). 223 224 225
BVerfGE 101, 361 (381). Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 195. Siehe hierzu schon Kap. 3 A. II. 1. b).
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diese nicht zum Erscheinen verpflichtet sind,226 sodass – die Kenntnis von der Aufzeichnung unterstellt – in deren Teilnahme jedenfalls eine rechtfertigende Einwilligung liegt.227 Problematisch könnte daher allein eine etwaige Ablichtung von Zuschauern im Sitzungssaal sein. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht findet dabei insbesondere in der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 2. HS GG eine Schranke. aa) § 23 KUG Eine gesetzliche Grundlage für eine Beschränkung des Rechts am eigenen Bild in Form der Veröffentlichung von Videoaufzeichnungen aus Ausschusssitzungen ließ sich jedenfalls bis zum Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung228 in § 23 KUG erblicken. Dieser ging nach § 1 Abs. 3 BDSG a. F. den subsidiären datenschutzrechtlichen Bestimmungen vor. Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte auch ohne eine nach § 22 KUG grundsätzlich erforderliche Einwilligung des Betroffenen verbreitet und zur Schau gestellt werden, soweit dessen berechtigte Interessen nach § 23 Abs. 2 KUG nicht entgegenstehen. Der Begriff des zeitgeschichtlichen Ereignisses ist dabei weit auszulegen und umfasst nicht allein Vorgänge von historischer oder politischer Signifikanz, sondern sämtliche Angelegenheiten von öffentlichem Interesse.229 Insoweit ist der Inhalt öffentlicher Ausschusssitzungen als Teilgehalt parlamentarischer Aufgabenwahrnehmung jedenfalls Ausdruck gesellschaftlich relevanter Fragestellungen und Konflikte und damit als zeitgeschichtliches Ereignis einzustufen. Da es sich bei der Ausschusssitzung um einen öffentlichen, der Sozialsphäre zuzuordnenden Raum handelt, ist auch kein besonderes berechtigtes Interesse abgelichteter Zuschauer im Sinne von § 23 Abs. 2 KUG zu erkennen, welches der Darstellung entgegenstehen könnte.230 Im Ergebnis wäre daher der 226 Sie werden vielmehr zur Teilnahme eingeladen. Vgl. Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 240; vgl. auch Pietzker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 25; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. I. 1. a) aa); Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 61. 227 Zur Einwilligung siehe grundlegend Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 228; Jarass, NJW 1989, S. 857 (860). 228 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119/1. 229 Herrmann, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, § 23 KUG, Rn. 2 f. Siehe auch die klassische Definition in RGZ 125, 80 f. nach der alle Erscheinungen im Leben der Gegenwart, die von der Öffentlichkeit beachtet werden, bei ihr Aufmerksamkeit finden und Gegenstand der Teilnahme oder Wissbegier weiter Kreise sind, zum Bereich der Zeitgeschichte gehören. 230 Siehe hierzu ausführlich Herrmann, in: Gersdorf/Paal, Informations- und Medienrecht, § 23 KUG, Rn. 25 ff.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Eingriff in das Recht am eigenen Bild jedenfalls im Rahmen von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG gerechtfertigt. bb) Bewertung unter Geltung der DS-GVO Unter Geltung der DS-GVO ist dagegen noch vieles umstritten. Es dürfte dabei zunächst als wohl herrschende Ansicht gelten, dass die Vorgaben der DS-GVO im Ergebnis nicht nur für die Parlamentsverwaltung, sondern auch für die (legislative) parlamentarische Tätigkeit des Bundestages und seiner Untergliederungen gelten.231 Die grundsätzliche Anwendbarkeit der DS-GVO ergibt sich jedenfalls aus § 1 Abs. 8 BDSG, in dessen Anwendungsbereich auch die parlamentarische Tätigkeit des Bundestages als öffentlicher Stelle im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V. m. § 2 Abs. 1 BDSG fällt.232 Sodann ist weiter fraglich, ob – wie bereits nach alter Rechtslage – die Vorschriften des KUG nunmehr als Ausnahmeregelung im Sinne von Art. 85 Abs. 1 DSGVO Vorrang vor datenschutzrechtlichen Vorgaben genießen oder vielmehr von diesen als niederrangiges Recht verdrängt werden.233 Dieser – bis zu einer abschließenden Klärung durch den Europäischen Gerichtshof – sehr problematischen Abgrenzungsfrage dürfte mit Blick auf die hiesige Fragestellung kein erhebliches Gewicht zukommen. Soweit allein die DS-GVO anwendbar wäre, handelte es sich bei Filmaufnahmen von Ausschusssitzungen, auf denen Zuschauer tatsächlich anhand ihrer Gesichtszüge (als physischem Merkmal) identifizierbar abgebildet sind, zwar um personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DS-GVO.234 Dies vorausgesetzt, stellten sowohl die Aufzeichnung als auch die Veröffentlichung im Rahmen eines Livestreams oder per Video-on-Demand eine Erhebung bzw. Verwendung solcher Daten und damit eine Verarbeitung im Sinne von § 4 Abs. 2 DS-GVO dar. Eine solche wäre allerdings in der vorliegenden Konstellation nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. c DS-GVO zulässig. Soweit eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 GG besteht, handelt es sich hierbei um eine innerstaatliche „rechtliche Verpflichtung“ im Sinne der Norm.235 231 So etwa Bäcker, in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht, Art. 2 DS-GVO, Rn. 9b; ferner auch die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur „Anwendbarkeit der Datenschutz-Grundverordnung“, WD 3 – 3000 – 299/18, S. 3 ff., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/5734-08/c913310c6600c6a674 6832d3f8ca2d22/WD-3-299-18-pdf-data.pdf (14.10.2019); a. A. O. Schröder, ZRP 2018, S. 129 ff. 232 Bäcker, in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht, Art. 2 DS-GVO, Rn. 9b; Ernst, in: Paal/Pauly, BDSG, § 2, Rn. 5. 233 Hierzu Benedikt/Kranig, ZD 2019, S. 4 ff.; Lauber-Rönsberg/Hartlaub, NJW 2017, S. 1057 ff. 234 Vgl. Schild, in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht, Art. 4 DS-GVO, Rn. 16. 235 Hierunter sind keine auf einer privatautonomen Entscheidung beruhende Vertragspflichten, sondern vielmehr Obligationen kraft Rechts der Union oder eines Mit-
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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Im Ergebnis wäre ein etwaiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Zuschauern im Rahmen der Aufzeichnung bzw. Übertragung von Ausschusssitzungen sowohl unter Anwendung des KUG als auch der DS-GVO ohne deren explizite Einwilligung zulässig. Es bietet sich gleichwohl an, vor Beginn der Sitzung auf die Tatsache einer Aufzeichnung und die Möglichkeit einer Erfassung der Zuhörer durch die Kameras hinzuweisen, sodass jedenfalls in der weiteren Wahrnehmung des Zugangs eine konkludente Einwilligung zu erblicken wäre. 2. Nichtamtliche Berichterstattung Neben die durch den Bundestag selbst vorgenommene tritt die nichtamtliche Berichterstattung, welche im Wesentlichen von den Massenmedien getragen wird. Zwar existieren gegenwärtig – anders als noch unter der Reichsverfassung von 1871 – weder eine ständige und umfassende mediale Berichterstattung aus dem Parlament, noch finden sich speziell der Parlamentsberichterstattung vorbehaltenen Zeitungsrubriken wie etwa zu Zeiten der Weimarer Republik.236 Gleichwohl erfolgt Parlamentsberichterstattung in mannigfaltiger Hinsicht im Rahmen der allgemeinen politischen Nachrichtenformate in den Massenmedien.237 Für die faktische Vermittlung parlamentarischer Publizität gegenüber einer breiten Öffentlichkeit kommt der nichtamtlichen Berichterstattung aufgrund ihrer Breitenwirkung daher nach wie vor die entscheidende Rolle zu.238 Dabei fasst sie – anders etwa als die amtlichen Berichterstattungsformen der Protokollierung oder Aufzeichnung ganzer Sitzungen – den Inhalt parlamentarischer Verhandlungen zusammen, ordnet diesen in den jeweiligen Kontext ein und nimmt ggf. hierzu kritisch Stellung. Insbesondere in der heutigen komplexen und arbeitsteiligen Gesellschaft ist diese Vermittlungsleistung essentiell, um dem potentiell uferlosen Informationsfluss aus der staatlichen Sphäre Herr zu werden. Vor dem Hintergrund der Zweckbestimmung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog), ein Öffentlichkeitsniveau zu schaffen, welches die faktische Möglichkeit des Nachvollziehens der Parlamentsverhandlung durch das gesellschaftliche Publikum gewährleistet, kommt der Vermittlung durch nichtamtliche Berichterstattung daher eine Schlüsselposition zu. In der Zusammenschau mit der Verantwortungsfreiheit parlamentarischer Berichterstattung nach Art. 42 Abs. 3 GG ergibt sich, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) eine nichtamtliche Berichterstattung gliedstaates (vgl. Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1) zu verstehen. Siehe hierzu Albers/Veit, in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht, Art. 6 DS-GVO, Rn. 34 f. 236 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 569; vgl. auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 323. 237 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 569; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 9. 238 Vgl. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 8 f.; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 4; Kühling, DVBl 2008, S. 1098 (1102 ff.); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 45.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
aus öffentlichen Sitzungen des Bundestages bzw. seiner Ausschüsse vorausgesetzt, sodass deren tatsächliche Möglichkeit grundsätzlich gewährleistet werden muss.239 Wie bereits im Rahmen der Erörterung der Sitzungsöffentlichkeit dargestellt, ist den Massenmedien in den Grenzen der tatsächlichen räumlichen Gegebenheiten zunächst der Zugang zu allen öffentlichen Sitzungen des Bundestages zu gewähren, wobei eine Bevorzugung im Rahmen der Platzvergabe – etwa durch exklusive Zuordnung eines Teils der Zuschauerplätze für die Medien – verfassungsrechtlich nicht nur zulässig, sondern geboten ist. Diese Zugangsmöglichkeit ist zudem von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG in seiner abwehrrechtlichen Dimension dergestalt verbrieft, dass eine Zugangsverweigerung der verfassungsrechtlichen Rechtsfertigung bedarf.240 Fraglich ist, ob die Berichterstattungsöffentlichkeit hierüber hinausgehende Gewährleistungen statuiert. a) Berichterstattung mit medienspezifischen Mitteln Insofern besteht Uneinigkeit im Schrifttum, ob sich aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG die rechtliche Gewähr für eine Berichterstattung unter Zuhilfenahme medienspezifischer Mittel – etwa in Form einer Ton- oder Bildtonübertragung – ergibt. Dies wird z. T. mit dem Argument verneint, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG in seiner überkommenen Auslegung die Art und Weise, in welcher der Öffentlichkeit Zutritt zu den Verhandlungen des Parlaments zu gewähren ist, gar nicht regeln wolle, sodass die Frage, ob der Einsatz technischer Gerätschaften zur Aufnahme oder Übertragung der Verhandlungen gestattet sei, allein der eigenverantwortlichen Ausgestaltung durch den Bundestag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie obliege. Insoweit sei es diesem jedoch unbenommen, die medienspezifische Berichterstattung zuzulassen.241 Andere Stimmen plädieren dagegen für eine rechtliche Verpflichtung, die Berichterstattung mit medienmäßigen Mitteln zuzulassen, wobei ein solches Gebot z. T. bereits aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG hergeleitet wird242 sowie partiell ergänzend das Grundrecht der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG hinzuge239 So auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 4; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 27; Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1115); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 38; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 19, Bem. 2. b); Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 30. 240 Siehe hierzu Kap. 4 A. I. 1. c) sowie Kap. 4 A. I. 3. c). 241 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, 1985, S. 567; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 5; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 36; Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 70; im Ergebnis auch H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 7, der von einem ungeschriebenem, qua Parlamentsbrauch bestehenden Recht des Bundestages ausgeht, Direktübertragungen zu untersagen. 242 Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 3; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 117.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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zogen wird.243 Anders als im Rahmen von Gerichtsverhandlungen sei eine rechtsstaatlich induzierte Begrenzung der Medienöffentlichkeit bei der Parlamentsverhandlung unstatthaft. Die Unzulässigkeit von Ton- und Filmaufnahmen gemäß § 169 S. 2 GVG werde dabei verfassungsrechtlich auf die Notwendigkeit des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), die subjektiv-rechtliche Gewährleistung eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie den Aspekt der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Gestalt einer ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung gestützt.244 Diese Belange stünden jedoch der Publizität der Parlamentsverhandlung nicht entgegen, welche gerade für die Öffentlichkeit und nicht lediglich in der Öffentlichkeit stattfinde. Insofern unterscheide sich der Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zu Grunde liegende Öffentlichkeitsbegriff entscheidend von jenem der primär rechtsstaatlich geprägten Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen, sodass im Ergebnis eine Ausweitung der Parlamentsöffentlichkeit mittels rundfunkspezifischer Technik verfassungsrechtlich gefordert sei.245 Letztgenannter Ansicht ist im Ergebnis beizupflichten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst die Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG das Recht, „ein Ereignis den Zuhörern und Zuschauern akustisch und optisch in voller Länge oder in Abschnitten, zeitgleich oder zeitversetzt zu übertragen.“ 246 Dabei ist auch der Einsatz medienspezifischer Techniken für die Aufnahme und Übertragung vom Schutzbereich umfasst.247 Dieser subjektivrechtlichen Gewährleistung wird durch den verfahrensrechtlichen Bedeutungsgehalt des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG zusätzliches Gewicht verliehen. Sofern dieser analog auf Ausschüsse anzuwenden ist muss daher auch die Ausschussöffentlichkeit eine Berichterstattung mit medienspezifischen Mitteln umfassen. Dem entspricht auch der Zweck von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) welcher ein Niveau parlamentarischer Öffentlichkeit voraussetzt, dass die tatsächliche Nachvollziehbarkeit des Staatshandelns gewährleistet. Die medienspezifische Berichterstattung in Ton und Bild stellt hierbei einen erheblichen Multiplikator dar, welcher die tatsächliche Begrenzung der Möglichkeiten unmittelbarer Wahrnehmung des Parlamentsgeschehens abfedert. Dabei erreicht die Darstellung in Bild und Ton ein höheres Niveau der Anschaulichkeit als eine reine Presseberichterstattung. 243
Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1114 ff.); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 46. Siehe hierzu grundlegend BVerfGE 103, 44 (64) m.w. N. 245 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 46; vgl. auch Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1116); Leisner, in: Sodan, Art. 42, Rn. 1. 246 BVerfGE 103, 44 (59). 247 So grundlegend BVerfGE 91, 125 (134); vgl. hierzu auch Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 und 2, Rn. 325; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 687. Das Verfassungsgericht hat in BVerfGE 103, 44 (59) überdies klargestellt, dass die Rundfunkfreiheit hinsichtlich des Gebrauchs medientypischer Hilfsmittel – anders als im Rahmen der Frage nach dem allgemeinen Zugang zu den Sitzungen – gegenüber Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG als spezielleres Grundrecht einschlägig ist. 244
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Im Ergebnis folgt daher aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 (analog) i.V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ein Recht zur medienspezifischen Berichterstattung. b) Grenzen der Berichterstattung Jede Einschränkung dieses Berichterstattungsrechts stellt einen Eingriff in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG sowie in den abwehrrechtlichen Gehalt der Rundfunkfreiheit dar, der seinerseits der Rechtfertigung durch ein kollidierendes Rechtsgut von Verfassungsrang bedarf.248 Hierbei haben sich Einschränkungen am Kriterium der Verhältnismäßigkeit zu orientieren und dürfen die medienspezifische Berichterstattung nicht faktisch unmöglich machen. Hinsichtlich der Nutzung medienspezifischer Berichterstattungsmittel ergeben sich mögliche Grenzen vornehmlich aus dem Gedanken parlamentarischer Arbeits- und Funktionsfähigkeit. Sofern die Berichterstattungstätigkeit aufgrund des Einsatzes rundfunkspezifischer Hilfsmittel den ordnungsgemäßen Sitzungsverlauf beeinträchtigt, kommt eine Einschränkung bzw. Untersagung derselben in Betracht.249 Ebenso sind administrative Ausgestaltungen wie das Erfordernis einer vorherige Drehgenehmigung sowie die Zuweisung spezifischer Plätze auf der Pressetribüne mit Blick auf die Sicherstellung eines geordneten Sitzungsverlaufs regelmäßig zulässig.250 3. Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichterstattung Flankiert wird die Gewährleistung der Berichterstattungsöffentlichkeit durch das von Art. 42 Abs. 3 GG statuierte Privileg der Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichte über öffentliche Sitzungen des Bundestages sowie seiner Ausschüsse. Wie bereits in der historischen Darstellung gesehen, stehen die Sitzungsöffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG und die Verantwortungsfreiheit der Berichterstattung in einem komplementären Verhältnis.251 Der Zweck von Art. 42 Abs. 3 GG besteht darin, sicherzustellen, dass über den Inhalt öffentlicher Parlamentssitzungen tatsächlich frei berichtet werden kann, sodass dieser weiten Teile des Publikums zugänglich gemacht wird.252 Mit Blick auf die vorliegend interessierenden Ausschüsse gilt die Norm in direkter Anwendung, da sie gleichermaßen öffentliche Sitzungen des Plenums wie der Ausschüsse adressiert. 248 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 47; im Anschluss hieran Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 137; ähnlich auch Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1116). 249 Binder, DVBl 1985, S. 1112 (1116); Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 137; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 47; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 113 f., 117. 250 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 137 f.; Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 113 f., 117. 251 Siehe hierzu bereits Kap. 2 A. III. 252 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 57. Grundlegend hierzu bereits Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Aufl. 1930, S. 587; vgl. auch Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 40; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 93.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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Unter „Berichten“ im Sinne des Art. 42 Abs. 3 GG sind nach der überkommenen Definition des Reichsgerichts „erzählende Darstellungen eines historischen Vorgangs in seinem wesentlichen Verlaufe“ 253 zu verstehen. Hierunter fallen neben Schilderungen auf Basis der offiziellen Protokolle auch eigenständige Zusammenfassungen des Sitzungsgeschehens.254 Die herrschende Meinung geht dabei zu Recht davon aus, dass sich Berichte an einem strengen Sachlichkeitsund Objektivitätsgebot zu orientieren haben, sodass persönliche Betrachtungen sowie subjektive Wertungen des Geschehens im Rahmen einer Schilderung dem Charakter eines Berichts entgegenstehen.255 Zwar können sich in der Folge Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Tatsachenmitteilung und Meinungsäußerung ergeben. Gleichwohl kann hieraus nicht geschlossen werden, dass auch Kommentare und eigene Schlussfolgerungen dem Berichtsbegriff unterfallen müssen.256 Weiteren Stimmen, die eine Unterscheidung zwischen informatorischen und kommentierenden Darstellungen vorschlagen – wobei nur erstere unter Art. 42 Abs. 3 GG fallen sollen257 – oder die im Einzelfall darauf abstellen, ob die subjektive Einfärbung durch den Berichterstatter genügt, einer Schilderung den Berichtscharakter zu nehmen,258 bedingen in der praktischen Anwendung ein wesentliches Maß an Rechtsunsicherheit und sind somit abzulehnen. Inhaltlich kann sich der Bericht auf alles, was unmittelbar während der Sitzung vorgefallen ist, beziehen; mithin auf Reden, Debatte, Abstimmungen, mündliche Anfragen, Beiträge von Seiten der Regierung oder Bundesratsvertretern, Zwischenrufe, selbst auf beleidigende Äußerungen oder gar Tumulte, ergo auf das gesamte Verhalten aller im Sitzungssaal bzw. auf der Zuschauertribüne Anwesenden, unabhängig davon, ob dieses im stenografischen Bericht Erwähnung findet.259 Die Form der Berichterstattung (schriftlich, mündlich oder audiovisuell etc.) wie auch die angewandte Sprache sind dabei unerheblich.260
253
RGSt 18, 207 (219). H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 17; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 17; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 96 f. 255 So schon grundlegend Anschütz, die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 30, Anm. 3; Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Aufl. 1930, S. 584; ebenso H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 59; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 17; H.-P. Scheider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 17. 256 So jedoch Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 35. 257 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 95; ebenso Leisner, in: Sodan, Art. 42, Rn. 10. 258 H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 17; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 41. 259 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 51; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 60 ff.; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 18; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 19. 260 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 51; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 17. 254
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Die Wahrheitstreue des Berichts setzt voraus, dass das Vorgefallene oder ein abgeschlossener Teil davon richtig und vollständig dargestellt wird.261 Dabei ist eine wortgetreue und lückenlose Berichterstattung nicht notwendig.262 Gleichwohl wird hierdurch ein Verfälschen oder Entstellen des Berichts, sei es durch Auslassungen oder das Hinzudichten von Ereignissen, wodurch dieser sachlich unvollständig und in Bezug auf den tatsächlichen Hergang verzerrt wird, ausgeschlossen.263 Aus der Entstehung der Norm ergibt sich weiter, dass ein objektiver Wahrheitsbegriff maßgeblich ist und nicht schon das subjektive Empfinden des Berichterstatters als wahrheitsgemäß genügt. Die gegenständliche Berichtsinhalte müssen sich somit durch die üblichen Beweismittel in der Sache belegen lassen.264 In persönlicher Hinsicht steht die Berufung auf die Berichterstattungsfreiheit jedem zu, der von den Sitzungen des Bundestages berichtet. Obwohl hiervon faktisch vor allem Medienvertreter betroffen sein werden, handelt es sich bei Art. 42 Abs. 3 GG formal nicht um ein Medienprivileg.265 Historisch kommt der Verantwortungsfreiheit ein Grundrechtsbezug zu, da Vorgängervorschriften in der Weimarer Reichsverfassung, der Verfassung von 1871 oder der preußischen Verfassung, mit Blick auf eine noch eingeschränkte Grundrechtsgeltung und -wirkung, die Freiheit der Berichterstattung maßgeblich verbrieften.266 Heute schützt dagegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit eine freie Berichterstattung – auch über die Parlamentsverhandlung – vollumfänglich, wobei es öffentliche wie auch nichtöffentliche Sitzungen von Plenum, Ausschüssen und Fraktionen einschließt.267 Lediglich bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen ist der Schutzbereich nicht eröffnet,268 was jedoch nicht gilt, soweit sich die Unwahrheit erst nachträglich herausstellt.269 Allerdings unterliegt die 261 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 63; so auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 52; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 17; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 18. Kritisch hierzu Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 43; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 32 ff. 262 RGSt 18, 207 (210); vgl. auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 52; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 101. 263 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 52; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 101; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 33. 264 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 100; vgl. auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 52; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 17. 265 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 65; so schon Hatschek, Deutsches und Preußisches Staatsrecht, 2. Aufl. 1930, S. 570, 587. 266 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 67; zum Grundrechtsbezug siehe auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 56; für einen grundrechtsähnlichen Charakter H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 16; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 40. 267 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 68. 268 BVerfGE 90, 1 (15); 99, 185 (196 ff.). 269 BVerfGE 99, 185 (197).
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Meinungsfreiheit der Schrankentrias des Art. 5 Abs. 2 GG, welche eine einfachgesetzliche Einschränkung ermöglicht. Eine solche wird indes durch Art. 42 Abs. 3 GG in Bezug auf die Parlamentsberichterstattung partiell ausgeschlossen. Somit besteht die aktuelle Bedeutung der Norm vor allem darin, den Gesetzgeber dahingehend zu binden, dass eine Einschränkung der wahrheitsgetreuen Berichterstattung aus öffentlichen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse nach Art. 5 Abs. 2 GG nicht statthaft ist.270 Die Rechtfolge des Art. 42 Abs. 3 GG sieht vor, dass die Berichterstattung „von jeder Verantwortlichkeit frei“ bleibt. Dies gewährleistet zuvorderst einen Schutz vor strafrechtlichen Repressionen (vgl. § 37 StGB), wobei Art. 42 Abs. 3 GG mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur als Rechtfertigungsgrund anzusehen ist.271 Darüber hinaus schließt die Norm jedwede Sanktionierung, sei sie dienstrechtlicher (Disziplinarmaßnahmen), zivilrechtlicher (Schadenersatzforderungen) oder auch presserechtlicher Natur (Gegendarstellungsansprüche), aus.272
III. Mindestanforderungen an die mündliche Erörterung parlamentarischer Vorlagen im Ausschuss analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Wie bereits in Bezug auf die Plenaröffentlichkeit hergeleitet,273 umfasst die Verfahrensvorgabe des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG in gewissem Umfang auch ein Prinzip der Mündlichkeit parlamentarischer Verhandlung. Das insofern gebotene Mindestmaß mündlicher Erörterung soll in Bezug auf wesentliche Beratungsgegenstände die Möglichkeit der Artikulation, Abwägung und des daraus folgenden Ausgleichs gesellschaftlicher Interessen sowie die tatsächliche Nachvollziehbarkeit des Verhandlungsverlaufs für das Publikum tatsächlich gewährleisten. In der 270 So auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 69; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 44. 271 So etwa Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 108; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 6; aus der Rechtsprechung OLG Braunschweig, NJW 1953, 516; a. A. dagegen Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 37, Rn. 1; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, § 37, Rn. 1, die Art. 42 Abs. 3 GG als Strafausschließungsgrund angesehen mit der Folge, dass die „Tat“ des Berichterstatters notwehrfähig, jedoch nicht teilnahmefähig wäre. Dem ist indes nicht zu folgen, da es inkonsequent erscheint, einerseits die wahrheitsgetreue Berichterstattung explizit zu privilegieren, diese jedoch gleichzeitig als rechtswidrig anzusehen. Ferner entspricht es dem Telos von Art. 42 Abs. 3 GG, im Interesse einer effektiven und umfassenden Publizität der Parlamentsarbeit auch eine Berichterstattung beispielsweise über das strafbare Verhalten eines Abgeordneten zu ermöglichen, ohne dass der Berichterstatter sich Notwehrmaßnahmen ausgesetzt sieht, vgl. Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 108. 272 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 71; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 19; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 6. 273 Siehe hierzu schon Kap. 3 C II. 1. b) aa).
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Folge müssen auch die Ausschüsse, sofern Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog auf diese anwendbar ist, Beratungsgegenstände grundsätzlich insoweit im Wege mündlicher Aussprache behandeln, wie dies jedenfalls zwingend notwendig ist, um den gebotenen gesellschaftlichen Interessenausgleich und die grundlegende Nachvollziehbarkeit durch das Publikum zu gewährleisten. Das gebotene Mindestmaß mündlicher Erörterung bezieht sich allerdings – wie gesehen – vornehmlich auf Gesetzesvorlagen als besonders wesentliche Beratungsgegenstände. Im Rahmen der Sonderkonstellationen plenarersetzender Beschlusstätigkeit von Ausschüssen, namentlich der Aufhebung von haushaltsrechtlichen Sperrvermerken, der Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung in Bezug auf Unionsdokumente sowie der Mitwirkung unter den Eurorettungsschirmen ESM und EFSF, handelt es sich dagegen nicht um Themen von vergleichbarer erheblicher Bedeutung. Mithin sind an die öffentlichen Ausschusssitzungen analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG keine überspannten Anforderungen an den Mindestumfang tatsächlicher diskursiver Erörterung zu stellen.
IV. Materiell-rechtliche Anforderungen an die inhaltliche Nachvollziehbarkeit von Ausschusssitzungen Neben den rein verfahrensrechtlichen Komponenten der Sitzungs- und Berichterstattungsöffentlichkeit sowie der Anforderung eines Mindestmaßes mündlicher Aussprache lassen sich dem verfassungsrechtlichen Gebot des „öffentlichen Verhandelns“ im Sinne von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) vor dem Hintergrund der Teleologie der Norm vereinzelte materiell-rechtliche Anforderungen mit Blick auf den konkreten Sitzungsinhalt von Ausschusssitzungen entnehmen.274 Diese können unter dem Topos der inhaltlichen Nachvollziehbarkeit und Durchschaubarkeit der Debatte zusammengefasst werden. Im Rahmen der Verortung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip wurde bereits festgestellt, dass es dem Zweck der Parlamentsöffentlichkeit entspricht, ein hinreichendes Maß tatsächlicher Nachvollziehbarkeit des parlamentarischen Handelns zu gewährleisten. Dies steht einer Verkürzung der Öffentlichkeit auf ein rein verfahrensrechtliches Verständnis entgegen, welches sich auf die allgemeine Zugänglichkeit der Sitzungen sowie auf die Möglichkeit der Berichterstattung beschränkt, die inhaltliche Nachvollziehbarkeit dagegen völlig ausklammert. Folglich ist nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) geboten, dass sich der Inhalt der parlamentarischen (Ausschuss)Ver274 Vgl. für das Plenum auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 562; ders./ Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 2; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 138 ff., 165 ff.; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 21; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 32; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 20.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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handlung als für den Zuschauer verständlich und nachvollziehbar darstellt.275 Es muss insoweit möglich sein, jedenfalls den wesentlichen materiellen Gehalt der aufgerufenen Beratungsgegenstände sowie die verschiedenen hierzu vertretenen Positionen und Argumente dem Grunde nach zu erfassen, um auf dieser Basis eine abwägende Meinungsbildung vorzunehmen zu können. An die insoweit verfassungsrechtlich gebotene materielle Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit sind indes keine besonders strengen Maßstäbe anzulegen. Mehr noch als die formell-verfahrensmäßigen Anforderungen, bedingt eine materielle Öffentlichkeitspflicht in der Praxis erhebliche Handhabungsschwierigkeiten.276 Zudem kommt dem Bundestag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie ein erheblicher Ermessensspielraum zu, in welcher Art und Weise einzelne Gegenstände inhaltlich beraten werden. Dies ist auch zwingend erforderlich, da der Bundestag als zentrales Kontroll- und Gesetzgebungsorgan eine Vielzahl von komplexen Themen zu bewältigen hat, sodass eine effiziente Behandlung von Vorlagen im Sinne parlamentarischer Funktionsfähigkeit gewährleistet sein muss. Ferner streitet auch die den Abgeordneten im Zuge des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) grundsätzlich zukommende Befugnis, über die Art und Weise der inhaltlichen Ausfüllung ihrer parlamentarischen Aufgaben selbst frei zu entscheiden, für eine restriktive Handhabung konkreter Anforderungen an die Ausgestaltung der Beratungen aufgrund einer materiell-rechtlichen Öffentlichkeitspflicht. Die Forderung nach inhaltlicher Verständlichkeit ist somit nicht als ein Optimierungsgebot zu verstehen, dass eine möglichst weitgehende Transparenz und Durchschaubarkeit gewährleistet, sondern ist allein bezogen auf das zur faktischen Realisierung der demokratisch und rechtsstaatlich verwurzelten Öffentlichkeitsfunktionen erforderliche Mindestmaß. Ein solches Untermaßverbot ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich das konkrete Parlamentsgeschehen für den durchschnittlichen Betrachter selbst unter Aufbringung eines praktisch leistbaren Aufwands eigeninitiativer Befassung und unter Ausschöpfung der ihm zu Verfügung stehenden verständnisfördernden Ressourcen (insbesondere der vorhandenen parlamentarischen und medialen Informationenangebote zum Verhandlungsgegenstand) als tatsächlich nicht mehr nachvollziehbar darstellt.277 Dagegen ist in Entsprechung eines materiellen Öffentlichkeitspostulats jedenfalls kein Ver275 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 562; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 2; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 21; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 32. 276 Man denke etwa an die Schwierigkeit, zu bestimmen, ab wann ein Faktum objektiv tatsächlich unverständlich und unnachvollziehbar wird. Dies hängt in nicht unerheblichem Maße auch vom jeweiligen Rezipienten und dessen Vorwissen bzw. intellektuellen Kapazitäten ab. 277 Für einen weiten Maßstab vgl. auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 139.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
zicht auf Parlamentsbräuche oder eine Debattenführung in „leichter Sprache“ zu fordern.278 Zu Konkretisierung des erforderlichen Mindestmaßes materielle Öffentlichkeit ist im Einzelfall die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung berufen. Dabei ist das von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gebotene Maß materieller Öffentlichkeit – wie bereits im Rahmen der Bestimmung des Mindestmaßes mündliche Aussprache angeklungen – nicht starr und unabhängig vom konkreten Beratungsgegenstand zu benennen. Vielmehr ist ein differenzierter, wiederum an die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelehnter Maßstab für die Bestimmung der erforderlichen Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit anzulegen.279 Eine Konnexität zwischen öffentlichkeitsbedingter Nachvollziehbarkeit und dem Gedanken der Wesentlichkeit staatlicher Machtentäußerungen klingt in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zudem deutlich an, wenn der Vorbehalt einer parlamentarischen Entscheidung auch damit gerechtfertigt wird, dass diese ein Verfahren gewährleiste, „das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden“280. Diese Möglichkeit setzt jedoch gerade auch eine tatsächliche Nachvollziehbarkeit in inhaltlicher Hinsicht voraus. Danach gilt hinsichtlich des geboten Maßes inhaltlicher Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit, dass dieses umso höher zu seien hat, je wesentlicher der konkrete Beratungsgegenstand ist. Das so umrissene Gebot materieller Öffentlichkeit der (Ausschuss)Beratungen kann im Weiteren in verschiedene Teilaspekte aufgefächert werden. So ergeben sich hieraus Mindestvorgaben für die Möglichkeit der Vorbereitung auf und Einarbeitung in den jeweiligen Beratungsgegenstand (1.). Ferner entspinnen sich Anforderungen an die Struktur der parlamentarischen Debatte (2.) sowie an das inhaltliche Abstimmungsverhalten (3.). 1. Erfordernis einer Vorankündigung und Einarbeitungsmöglichkeit Eine tatsächliche Nachvollziehbarkeit des parlamentarischen Beratungsgeschehens ist nicht zwingend aus sich selbst heraus durch die reine Anschauung der Sitzung gegeben. Angesichts der Bezogenheit der Beratung auf konkrete Vorlagen (vgl. § 75 GO-BT), die häufig vielschichtige und komplizierte Regelungsgehalte aufweisen und denen mitunter in tatsächlicher Hinsicht ebensolche Sachverhalte zugrunde liegen, ist regelmäßig ein gewisses Maß an Vorwissen und damit auch an Vorbefassung erforderlich, damit der Sitzungsverlauf tatsächlich verständlich erscheint. Folglich setzt Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) in seiner materiell278
Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 20. So auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 142. 280 BVerfGE 85, 386 (403 f.), vgl. hierzu auch BVerfGE 95, 267 (307 f.); 130, 318 (344); 131, 152 (204). 279
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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inhaltlichen Dimension voraus, dass die für die Nachvollziehbarkeit eines Beratungsgegenstandes zwingend erforderlichen Informationen im Vorfeld der Beratung zugänglich gemacht werden, damit die gesellschaftliche Öffentlichkeit die tatsächliche Chance hat, sich in den Verhandlungsgegenstand so einzuarbeiten, dass die Anschauung der Sitzung einen tatsächlichen Erkenntniswert birgt.281 Dies umfasst insbesondere die vorherige Veröffentlichung der konkreten Beratungsvorlagen (z. B. als Drucksache), sowie hierauf bezogener Änderungsvorschläge etwa in Form von Beschlussempfehlungen, die der Verhandlung zugrunde gelegt werden. Ferner muss die Tatsache der Beratung selbst im Rahmen einer vorab veröffentlichten Tagesordnung bekannt gemacht werden. In zeitlicher Hinsicht muss zudem ein hinreichender Abstand zwischen der Ankündigung der Beratung, der Veröffentlichung der Vorlage und der tatsächlichen Sitzung liegen, damit eine verständnisfördernde Einarbeitung nicht durch Verkürzung des zeitlichen Vorlaufs faktisch unmöglich gemacht wird.282 Schließlich ist erforderlich, dass die für das Verständnis der Verhandlung essentiellen Informationen dauerhaft zugänglich sind, um auch ein nachträgliches Nachvollziehen des Sitzungsverlaufs zu ermöglichen.283 Hinsichtlich der Bestimmung des konkret erforderlichen Maßes inhaltlicher Vorbereitung und Einarbeitung als Voraussetzung einer materiellen Öffentlichkeit ist auf die obigen Kriterien zu verweisen. Somit ist nach der Wesentlichkeit der jeweiligen Angelegenheit zu differenzieren, wobei die Vorlaufzeit umso großzügiger bemessen sein muss, je bedeutsamer, weitreichender und vor allem inhaltlich komplexer die Sachmaterie ist.284 Desgleichen spielt die Herstellung praktischer Konkordanz mit dem Gegenrecht parlamentarischer Funktionsfähigkeit eine Rolle, welches insofern im Falle besonderer Eilbedürftigkeit auch eine Verkürzung von Einarbeitungs- und Vorbereitungszeit gebieten kann.285 Dem Bundestag und seinen Ausschüssen kommt beim Austarieren der gegensätzlichen verfassungsrechtlichen Positionen grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der erst dann überschritten ist, wenn Informationen hinsichtlich eines Beratungsgegenstandes nicht mehr in hinreichendem Maße oder ausreichend früh zu Verfügung gestellt werden, sodass ein tatsächliches Nachvollziehen der Beratungen effektiv unmöglich ist. 281
Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 140. Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 140 f. 283 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 141 unter Verweis auf BVerfGE 131, 152 (209). 284 So auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 143. 285 Zum Topos der Eilbedürftigkeit als Aspekt parlamentarischer Funktionsfähigkeit siehe Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 63 f. Grenzwertig erscheint insoweit das Finanzmarkstabilisierungsgesetz vom 17.10.2008 (BGBl. I, S. 1982), welches innerhalb von nur fünf Tagen von der Einbringung in den Bundestag bis zur Verkündung verabschiedet wurde. Siehe hierzu Brandner, NVwZ 2009, S. 211 ff. 282
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
2. Verständlichkeit des Beratungsverlaufs Neben der Möglichkeit der vorherigen Einarbeitung in den Sitzungsinhalt muss auch der Ablauf der (Ausschuss)Sitzung selbst hinreichend verständlich und nachvollziehbar sein. Auch hierfür gilt ein weiter Maßstab, welcher der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie und dem freien Mandat der Abgeordneten möglichst weiten Entfaltungsspielraum belässt und das erforderliche Maß inhaltlicher Nachvollziehbarkeit als Gewährleistung eines absoluten Minimums begreift. Teilweise ist insofern in der Literatur in Bezug auf die Plenarverhandlung darauf verwiesen worden, dass der Bürger jedenfalls in der Lage sein müsse, Positionen und Gegenpositionen zu erkennen, um zwischen ihnen abwägen zu können.286 Dementsprechend seien Reden, die allein für Fachleute mit entsprechendem Expertenwissen verständlich seien, ebenso wie die Verschleierung tatsächlich kontroverser Standpunkte durch eine öffentlich zur Schau gestellte „amicabilis compositio“ anstatt einer dialogisch austragen Auseinandersetzung mit Blick auf Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG verfassungsrechtlich problematisch.287 Dem ist lediglich insoweit zuzustimmen, als auf den oben herausgearbeiteten Rahmen für das erforderliche Mindestmaß inhaltlicher Nachvollziehbarkeit abgestellt wird. Eine Verständlichkeit der Debattenbeiträge ohne jedwedes Expertenwissen wird, wenn man diesen Begriff eng – etwa als Gegenbegriff zum regelmäßig vorauszusetzenden Allgemeinwissen um gesellschaftlich-politische Themen – versteht, wohl bei den wenigsten Beratungsgegenständen vollständig gegeben sein. Auch hier ist zu bedenken, dass die Frage des praktisch erforderlichen Maßes an Fachkenntnissen nicht losgelöst von der Komplexität des Beratungsgegenstandes betrachtet werden kann. Die materielle Parlamentsöffentlichkeit steht dem Erfordernis eines Grundmaßes an Fachkenntnis zum Verständnis der jeweiligen Beratungsgegenstände verfassungsrechtlich damit nicht entgegen. Sofern man hiernach dem Expertenwissen restriktiv allein solches Spezialwissen zuordnet, auf welches der durchschnittliche Rezipient bei gehöriger Anstrengung seiner Geisteskräfte sowie unter zumutbarer Zuhilfenahme des verfügbaren Informationsmaterials des Bundestags wie auch der hierzu greifbaren medial vermittelnden Informationsangebote nicht ohne Weiteres zugreifen kann, dann ist der vorgenannten Ansicht jedenfalls für die Plenarverhandlung zuzustimmen. Im Rahmen der analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ist dagegen zur Bestimmung des erforderlichen Umfangs inhaltlicher Nachvollziehbarkeit zwingend der funktionalen Besonderheiten von Ausschusssitzungen zu gedenken und damit ein abgestufter Maßstab anzulegen. Hier liegt der Fokus vornehmlich
286 Achterberg, Parlamentsrecht, Parlamentsrecht, S. 562; vgl. auch ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 2. 287 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 562; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 32.
A. Inhalte und Reichweite des Grundsatzes der Verhandlungsöffentlichkeit
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auf dem fachlich-inhaltlichen Austausch von Sachpolitikern, Interessenvertretern und Regierungsbeamten über Detailfragen, deren Verständnis ein erhebliches Maß an Vorwissen voraussetzt. Die Redeordnung ist deutlich freier gestaltet und einzelne Redebeiträge sind meist sachbezogen.288 Diesen Spezifika ist im Rahmen der Ausbalancierung des Verfassungswertes parlamentarischer Funktionsfähigkeit (der Ausschüsse) mit dem materiell-rechtlichen Öffentlichkeitgebot Rechnung zu tragen. So wäre etwa eine detaillierte inhaltliche Einführung in die Thematiken im Rahmen von Ausschusssitzungen zur Verständnisförderung allenfalls unter Inkaufnahme erhebliche Effizienzverluste leistbar. Mithin folgt aus der analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG insbesondere keine Notwendigkeit, die Ausschussberatungen in Form und Ablauf an die Plenardebatte anzugleichen. Angesichts dieser Besonderheiten und des ohnehin weiten Gestaltungsspielraums des Geschäftsordnungsgebers dürfte die verfassungsrechtliche Grenze materieller Nachvollziehbarkeit für zwingend öffentliche Ausschusssitzungen somit erst bei weitgehender Undurchsichtigkeit der Beratungen für die Zuschauer trotz des vorherigen Erwerbs entsprechender Fachkenntnisse überschritten sein. 3. Materielle Vorgaben für Abstimmungen Im Rahmen der Darstellung der Sitzungsöffentlichkeit wurde bereits herausgearbeitet, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG in seiner formell-verfahrensrechtlichen Komponente die inhaltliche Einsehbarkeit des Stimmverhaltens im Rahmen von Sachabstimmungen und Wahlen nicht umfasst.289 Etwas anderes ergibt sich jedoch z. T. mit Blick auf die von der Norm geforderte materiell-rechtliche Nachvollziehbarkeit parlamentarischer Abläufe. In Falle regelmäßig geheimer Sachabstimmungen würde die tatsächliche Nachvollziehbarkeit des individuellen Verhaltens der Abgeordneten im Parlament und damit das materielle Öffentlichkeitsgebot erheblich entwertet.290 Für die Kontrolle der Repräsentanten durch das Publikum sind nicht allein deren Worte, sondern vielmehr konkrete Taten in Gestalt des individuellen Abstimmungsverhaltens von entscheidender Bedeutung. Gerade durch diese übernehmen die Abgeordneten rechtsverbindlich Verantwortung für ihre Amtsführung im Parlament.291 Ohne die Möglichkeit, das individuelle Abstimmungsverhalten nachzuvollziehen, ließe sich aus Sicht des Wahlbürgers das Verhalten der Parlamentarier nur unzureichend im Rahmen der Wahlentscheidung bewerten. 288
Siehe dazu bereits Kap. 3 B. II. 1. d) aa). Siehe hierzu bereits Kap. 4 A. I. 2. b) und c). 290 Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 162; vgl. auch Brocker, in: Epping/ Hillgruber, Art. 42, Rn. 7; Linck, ZParl 23 (1992), S. 674 (700); ders., DVBl 2005, S. 793 (795); Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 23; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 54 f. 291 Linck, DVBl 2005, S. 793 (794 ff.); vgl. hierzu auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 44. 289
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Eine andere Sichtweise ist auch nicht vor dem Hintergrund der Gewährleistung des freien Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG geboten. Diesbezüglich wird z. T. darauf verwiesen, dass die Offenlegung des Abstimmungsverhaltens die Gefahr einer „Entrepräsentation“ des Parlaments beinhalte, da es dadurch den ohnehin dominanten Fraktionen noch besser gelingen würde, eine Disziplinierung der Abgeordneten (z. B. durch namentliche Abstimmungen gemäß § 52 GO-BT) zu bewirken und damit auf deren freie Entscheidung tatsächlich einzuwirken.292 Dem steht – neben dem mit Blick auf die parlamentarische Funktionsfähigkeit legitimen Interesse an der Fraktionsdisziplin zur Gewährleistung verlässlich prognostizierbarer Mehrheiten – der Gedanke entgegen, dass es dem einzelnen Abgeordneten infolge von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der gerade ein imperatives Mandat ausschließt, rechtlich stets unbenommen ist, bei unüberwindbaren persönlichen Bedenken auch gegen seine Fraktion abzustimmen.293 Dagegen reicht das freie Mandat nicht so weit, dass der Abgeordnete vor fraktionsinterner Kritik für sein Verhalten abzuschirmen ist. Erst recht vermag es nicht zu begründen, dass dieser faktisch „verantwortungsfrei“ gegenüber dem repräsentierten Staatsvolk abstimmt und sich diesem gegenüber nicht zu rechtfertigen hat.294 Mithin steht der materiell-rechtliche Gehalt von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) geheimen Sachabstimmungen in den Ausschüssen entgegen.295 Etwas anderes gilt dagegen für geheime Wahlen, die – im Plenum – weithin als verfassungsrechtlich zulässig angesehen werden.296 Zwar lässt sich diesen ebenso entgegenhalten, dass mangels individueller Nachvollziehbarkeit der Wahlentscheidung des einzelnen Parlamentariers für die Bürger eine Verantwortlichkeit 292 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 37; ähnlich auch H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 3. 293 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 55; Pieroth, JuS 1991, S. 89 (94); vgl. auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (701). 294 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 7; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 163; vgl. auch Pieroth, JuS 1991, S. 89 (94). 295 Im Ergebnis gleich unter Annahme einer verfassungsgewohnheitsrechtlichen Untersagung geheimer Abstimmungen Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1; ders., JuS 1991, S. 89 (93 f.); Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 26; ohne explizit auf die materiell-rechtliche Komponente des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG abzustellen zudem Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 7; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 23; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 54 f.; unter Berufung auf den allgemeinen Öffentlichkeitgrundsatz Linck, ZParl 23 (1992), S. 674 (700); ders., DVBl 2005, S. 793 (795). A. A. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 3; Kluth, in: Schmidt-Bleibtrei/Hofmann/Hopfauf, Art. 42, Rn. 1; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 4. 296 So etwa Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 8; H. H. Klein, Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 37; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 3; K. Stern, Staatsrecht I, S. 983; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 4; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 23; MüllerTerpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 56; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 26; Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 4, Rn. 11; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 9; a. A. Linck, DVBl 2005, S. 793 (797 f.); ders., ZParl 23 (1992), S. 673 (703 ff.).
B. Inhalte und Reichweite der Öffentlichkeitspflicht
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diesen gegenüber nicht begründet wird und eine nachträgliche Kontrolle insoweit ausscheidet.297 Allerdings liegt ein Wertungsunterschied zwischen Sachabstimmungen und Personalentscheidungen darin begründet, dass bei letzteren – etwa mit Blick auf die Wahl des Bundeskanzlers, der für seine Amtsführung tatsächlich des Vertrauens der Mehrheit der Abgeordneten bedarf (vgl. Art. 67, 68 GG) – als personelle Besetzungen eines Staatsamtes demokratische Legitimität für eine gewisse Dauer vermittelt wird und für die zukünftige Arbeit eine tatsächliche Vertrauensbasis im Interesse politischer Stabilität sichergestellt sein muss.298 Insofern sind strengere Kriterien an die Freiheit der Wahlentscheidung anzulegen, die nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich frei erfolgen muss.299 Insgesamt ist diese punktuelle Einschränkung der Nachvollziehbarkeit des Staatshandelns eingedenk des insgesamt weiten Gestaltungsspielraums des Bundestages nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG noch zu rechtfertigen.300 Somit wären – hypothetisch – geheim stattfindenden Wahlen im Rahmen obligatorisch öffentlicher Ausschusssitzungen potentiell zulässig.
B. Inhalte und Reichweite der Öffentlichkeitspflicht aus einer Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes Soweit sich die Pflicht zur Herstellung von Ausschussöffentlichkeit nicht aus einer analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, sondern aus der Konkretisierung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgrundsatzes zu einer Rechtsregel ergibt, ist die Anschlussüberlegung hinsichtlich des Maßstabs zur Bestimmung der konkret gebotenen inhaltlichen Reichweite der Ausschussöffentlichkeit anzustellen. Insofern kann Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, als spezielle Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes, dogmatisch nicht unmittelbar herangezogen werden. Vielmehr ist der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz selbst nicht nur hinsichtlich des „Ob“ der herzustellenden Ausschuss297 Linck, DVBl 2005, S. 793 (795); Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 164. 298 Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 23; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 56. 299 Zum Teil wird auch von einem besonderen „Geschlossenheitsdruck“ bei Wahlen ausgegangen, dem mittels der Geheimheit der Wahl zu begegnen sei. Dies verneint wiederum ein Teil der Literatur und stellt stattdessen darauf ab, dass bei personellen Entscheidungen das persönliche Verhältnis der Abgeordneten zueinander besonders gefährdet sei und – im Interesse einer gedeihlichen Zusammenarbeit – gerade durch die Diskretion von Wahlen zu schützen sei. Vgl. hierzu Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 14; Röper, ZParl 11 (1980), S. 503 (509). 300 Gleichwohl ist verfassungspolitisch durchaus fragwürdig, ob eine geheime Kanzlerwahl tatsächlich noch zeitgemäß ist, kritisch insoweit Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 8.1; Linck, DVBl 2005, S. 793 ff.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
öffentlichkeit, sondern auch hinsichtlich des „Wie“ in Bezug auf Inhalt und Reichweite derselben zu konkretisieren. Insoweit ist festzuhalten, dass das gebotene Maß der Ausschussöffentlichkeit aus einer Anwendung des allgemeinen Grundsatzes jedenfalls nicht über jenes hinausgehen kann, das aus der (analogen) Anwendung der speziellen Ausprägung des Grundsatzes in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG folgt. Zu Bedenken ist insofern, dass der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz durch spezielle einfachverfassungsrechtliche Normen und damit auch durch den Gehalt von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ausgestaltet und geprägt wird.301 Die dieser Norm zugrunde liegende Wertung bezieht sich dem Grunde nach auf die Plenarverhandlung, als die bedeutsamste Form parlamentarischer Tätigkeit, welcher folglich die Funktionen parlamentarischer Öffentlichkeit am stärksten wirken. Daher ist Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG im Umkehrschluss zu entnehmen, dass in den übrigen von ihr nicht umfassten Bereichen der Regelungsanspruch der Verfassung jedenfalls nicht weiter reichen kann und somit keine strengen Anforderungen an Öffentlichkeitsgebote gestellt werden können.302 Denkbar wäre jedoch, dass der allgemeine Grundsatz weniger fordert als im Rahmen der Spezialnorm geboten ist. Dies würde allerdings voraussetzen, dass eine Differenzierung in den verfassungsrechtlichen Wurzeln beider Rechtssätze angelegt ist. Eine solche Differenzierung ist jedenfalls nach Maßgabe des Wortlautkriteriums nicht sinnvoll möglich. Schon die Spezialvorschrift in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bleibt mit der lakonischen Feststellung das der Bundestag öffentlich verhandele in ihrem Aussagegehalt vage und wird erst anhand eines Rückgriffs auf den Sinn und Zweck der Norm konkret fassbar. Der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz weist als gänzlich ungeschriebener Bestandteil der Verfassung sogar einen noch höheren Abstraktionsgrad auf. Er bedarf insofern zwingend einer teleologisch gelenkten Konkretisierung. Im Ergebnis spielen somit bei beiden Rechtssätzen schwerpunktmäßig teleologischen Gesichtspunkte für die Ableitung konkreter Rechtsfolgen die entscheidende Rolle. Da der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz und dessen spezielle Ausprägung in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gewissermaßen Holz vom selben Stamm sind, verlaufen die teleologischen Erwägungen indes im Wesentlichen gleich. Infolge dieser kongruenten Konkretisierungstopoi ist nicht ersichtlich, warum der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz in Bezug auf die Art und Weise der Herstellung von Öffentlichkeit grundlegend hinter Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) zurückbleiben sollte. Zwar bezieht sich die Rechtsfolge im konkreten Fall der Ausschussöffentlichkeit auf Basis des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht auf die Grundlage des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, welchem wiederum im Ausgang die Plenarverhandlung zugrunde liegt, in welcher die Öffentlichkeitsfunk301 302
Siehe hierzu bereits Kap. 3 A. IV. 5. Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (697).
B. Inhalte und Reichweite der Öffentlichkeitspflicht
351
tionen besonders stark wirken. Allerdings ist bereits dargelegt worden, dass der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz im Ergebnis auf die Gewährleistung eines Gesamtniveaus parlamentarischer Öffentlichkeit zielt und somit ein Bedeutungszuwachs der Ausschussberatung bei Wegfall der Erörterung im Plenum stattfindet.303 Hiermit korrespondierend kommt der öffentlichen Ausschussberatung daher ein mit dem Bedeutungsgehalt der Plenaröffentlichkeit vergleichbares Gewicht zu. Für die Bestimmung des erforderlichen Maßes herzustellender Öffentlichkeit kann daher jedenfalls eine Orientierung an der Reichweite der Spezialnorm erfolgen, wobei den funktionalen Besonderheiten des Ausschusswesens Rechnung zu tragen ist. Insofern kann mit Blick auf die Aspekte der physischen Zugangsmöglichkeit zu den Ausschusssitzungen, der Ermöglichung und Durchführung von Berichterstattungsöffentlichkeit sowie der materiellen Nachvollziehbarkeit des Sitzungsinhalts grundsätzlich auf die Ausführungen zu Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog Bezug genommen werden. Partiell abweichend vom Vorgesagten gilt es sich allerdings mit Blick auf die inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit ins Gedächtnis zu rufen, dass sich die Herleitung einer konkreten Rechtsregel aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz vorrangig aus dem Umstand ergibt, dass die Anschauungsmöglichkeit hinsichtlich eines Mindestmaßes öffentlicher Aussprache im Plenum wegfällt, sodass die Ausschussberatungen für die demokratische Willensbildung und rechtsstaatliche Nachvollziehbarkeit des Staatshandelns faktisch an Bedeutung gewinnen. Der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz verbürgt damit gleichsam ein gewisses Gesamtniveau öffentlicher Beratung von Vorlagen im parlamentarischen Verfahrensgang. In der Folge kann die im Rahmen der Ausschusssitzungen herzustellende Öffentlichkeit aber auch nicht über dieses zwingend zu gewährleistende Gesamtniveau hinausgehen, welches andernfalls im Rahmen der Plenarberatung sicherzustellen gewesen wäre. Demgemäß ist eine in zeitlicher Hinsicht vollständige Öffentlichkeit des gesamten Ausschussverfahrens, wie sie etwa im Falle plenarersetzender Beschlüsse dem Maßstab des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG entspräche, nicht geboten. Das Mindestmaß tatsächlicher Aussprache, welches im Plenum hätte erfolgen müssen, hätte vielmehr allein eine abschließende Auseinandersetzung mit der Vorlage in der Form, welche sie durch die Beschlussempfehlung des Ausschusses erhalten soll, beinhaltet. Die eigentliche Phase der inhaltlichen Vorberatung im Ausschuss wäre auch bei einer hypothetischen regulären Plenaraussprache nicht unmittelbar anschaulich gewesen. Mithin kann auch im Rahmen der Ausschussöffentlichkeit zur Gewährleistung des erforderlichen Gesamtniveaus mündlich-öffentlicher Beratung nichts anderes gelten. 303
Siehe hierzu bereits ausführlich Kap. 3 C. II. 1. b).
352
Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Es genügt mithin aus verfassungsrechtlicher Sicht, wenn die abschließende Beratung der finalen Fassung einer Vorlage im Ausschuss, in welcher dieser die Beschlussempfehlung und den Bericht an das Plenum erörtert, öffentlich stattfindet. Diese spiegelt das gebotene Mindestmaß inhaltlicher Auseinandersetzung, welches im Plenum tatsächlich nicht stattfindet, in vergleichbarem Umfang. Für eine solche Sichtweise spricht auch der Gedanke praktischer Konkordanz. Ein schonender Ausgleich des Öffentlichkeitsgrundsatzes mit der parlamentarischen Geschäftsordnungsautonomie in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG bedingt, dass die Geschäftsordnungsautonomie nur insoweit eingeschränkt wird, wie dies im Interesse des Öffentlichkeitsgebots zwingend erforderlich ist. Da es sich bei den Beratungsgegenständen, die infolge einer direkten Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes im Ausschuss öffentlich zu beraten sind, um Gesetzesvorlagen und damit per se um Entscheidungen von erheblicher Tragweite handelt,304 ist das insofern erforderliche Mindestmaß mündlicher Aussprache auch im Rahmen der Ausschussberatung obligatorisch sicherzustellen. Dies schließt einen vollständigen Verzicht auf die kontradiktorische mündliche Erörterung oder die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens aus. Dem Umstand, dass das Ausschussverfahren als fachspezifische Detailberatung funktionell nicht im selben Maße die für das Plenum typische Strukturierung der Debatte in Rede und Gegenrede aufweist, ist im Rahmen der Bestimmung des gebotenen Mindestmaßes diskursiver Erörterung Rechnung zu tragen. Insofern ist im Lichte der gebotenen Funktionsfähigkeit der Ausschüsse ein weiter Maßstab anzulegen, sodass jedenfalls nicht zu fordern ist, dass die Debattenordnung der Plenaraussprachen auf die Ausschusssitzungen übertragen wird.
C. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit Dem Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit sind in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht Grenzen gesetzt. Dies äußert sich unter anderem ausdrücklich in der nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG bestehenden Möglichkeit, die Öffentlichkeit einer Sitzung im Einzelfall auszuschließen. Hiernach kann der Bundestag auf Antrag eines Zehntels seiner Mitglieder oder auf Antrag der Bundesregierung mit Zweidrittelmehrheit die Öffentlichkeit ausschließen, wobei über den entsprechenden Antrag in nichtöffentlicher Sitzung entschieden wird. Im ursprünglichen Sinne bezieht sich der Ausschluss der Öffentlichkeit auf das in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG statuierte Rechtsgebot der Plenaröffentlichkeit. Diesbezüglich war die praktische Relevanz der Norm bisher denkbar gering305 insbesondere, da ein Großteil der parlamentarischen Arbeit in den grundsätzlich 304
Siehe hierzu bereits Kap. 3 C. II. 1. b) bb) (1). In der Geschichte der Bundesrepublik wurde hiervon bis dato nicht Gebrauch gemacht, H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 47. 305
C. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit
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nichtöffentlich tagenden Ausschüssen stattfindet und zudem eine effektive Geheimhaltung bei einer Institution von der Größe des Bundestagsplenums praktisch kaum umsetzbar wäre.306 Eine tatsächliche Relevanz der Norm käme unter Umständen dort in Betracht, wo sich Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG im Wege analoger Anwendung auf Sitzungen der Ausschüsse erstreckt. Hier muss sich konsequenterweise der Maßstab für den Ausschluss der Öffentlichkeit gleichfalls aus der Wertung in Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG ergeben.307 Sofern dagegen die Begründung der Ausschussöffentlichkeit aus einer unmittelbaren Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes folgt, kann dieser Maßstab nicht unmittelbar zugrunde gelegt werden. Es ist allerdings bereits betont worden, dass das Gewicht des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes weder über jenes des Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG hinausgehen kann, noch ersichtlich ist, warum einem Gebot der Ausschussöffentlichkeit nach dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz im Falle der Sonderkonstellation des Wegfalls der Plenarerörterung ein wesentlich geringeres Abwägungsgewicht zukommen sollte als der spezialgesetzlichen Ausprägung in Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG.308 Es bietet sich daher an, die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit auch insofern jedenfalls in Orientierung an den Vorgaben von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG zu bestimmen. Die nachfolgenden Erwägungen gelten daher entsprechend für Öffentlichkeitspflichten nach dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz. Nach einigen einleitenden Worten zu verschiedenen Abstufungen der Nichtöffentlichkeit (I.) ist im Folgenden auf die konkreten Voraussetzungen eines Ausschlusses der Öffentlichkeit einzugehen (II.). Schließlich sind die Rechtfolgen des Öffentlichkeitsausschlusses zu betrachten (III.).
I. Formen der Nichtöffentlichkeit Ähnlich wie bei der Öffentlichkeit graduell zwischen unmittelbarer Sitzungsöffentlichkeit und mittelbarer Erklärungsöffentlichkeit unterschieden werden kann, ist auch im Rahmen der Nichtöffentlichkeit eine gestufte Differenzierung möglich. Trotz z. T. uneinheitlicher Begriffsverwendung309 kann graduell zwischen schlichter Nichtöffentlichkeit, Vertraulichkeit und Geheimheit von parlamentarischen Vorgängen unterschieden werden.310 306 Vgl. Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 112; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 49; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 33; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 34, Rn. 3. 307 Ebenso H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 47. 308 Siehe hierzu bereits Kap. 4 B. 309 Hierzu Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (677). 310 Siehe hierzu Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 570 ff.; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 20; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (677 ff.); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 112.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Nichtöffentlich sind dabei Sitzungen oder Materialien, wenn sie nicht für jedermann, sondern lediglich für einen spezifischen befugten Personenkreis (z. B. Abgeordnete, Regierungsvertreter, Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung sowie weitere aufgrund eines Gesetz oder der Geschäftsordnung des Bundestages Teilnahmeberechtigte) zugänglich sind.311 Die einfache Nichtöffentlichkeit einer Sitzung bedeutet für sich nicht, dass die Allgemeinheit von den betreffenden Vorgängen keine Kenntnis erlangen darf. Vielmehr kann die Erklärungsöffentlichkeit beispielsweise durch parlamentarische Berichterstattung an das Plenum (vgl. § 66 GO-BT), Pressemitteilungen bzw. sonstige Einlassungen von Ausschussmitgliedern gegenüber der Presse hergestellt werden.312 Lediglich die wörtliche Wiedergabe von in Ausschüssen getroffenen Äußerungen scheidet nach ständiger Übung aus, da durch eine solch umfassende Mitteilung die Sinnhaftigkeit einer nichtöffentlichen Sitzung insgesamt in Frage gestellt würde.313 In Übereinstimmung hiermit ist auch eine Einsichtnahme in Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen nach Abschluss der Beratungen und bei berechtigtem Interesse grundsätzlich jedermann zu gewähren,314 wobei regelmäßig ein wörtliches Zitieren aus den Protokollen untersagt ist.315 Soll ein darüber hinausgehender Diskretionsschutz erreicht werden, muss die Vertraulichkeit bzw. Geheimheit der Sitzung angeordnet werden.316 Die „Vertraulichkeit“ einer Sitzung hat zur Folge, dass deren Inhalt Dritten gegenüber grundsätzlich nicht offenbart werden darf.317 Mitunter wird die Vertraulichkeit der Beratung normativ statuiert, wie etwa hinsichtlich der Beratungen des Ausschusses für die Wahl der Verfassungsrichter (§ 6 Abs. 4 BVerfGG). Darüber hinaus kann die Vertraulichkeit durch das beratende Gremium selbst beschlossen werden. Wann vertrauliche Angelegenheiten vorliegen, richtet sich im Bundestag nach den Voraussetzungen der nach § 17 S. 1 GO-BT zu erlassenden Geheimschutzordnung318.319 Diese gilt für sog. „Verschlusssachen“, die gemäß 311 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (677); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 112; vgl. auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 570. 312 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 572; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (677 f.); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 112 f. 313 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (678); Troßmann/Roll, Parlamentsrecht, GO-BT, § 73, Rn. 3. 314 Vgl. § 73 Abs. 3 GO-BT i.V. m. Ziffer I der Richtlinien für die Behandlung der Ausschussprotokolle gemäß § 73 Abs. 3 GO-BT (Anhang 2 zur GO-BT). 315 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (678). 316 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 573; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (677); Troßmann/Roll, Parlamentsrecht, GO-BT, § 73, Rn. 3. 317 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 573; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 113; Troßmann, JöR 28 (1979), S. 1 (276 f.). 318 Die Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages ist als Anlage 3 zur GOBT Teil der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, sodass sie wie diese im Innenverhältnis verbindlich ist. So etwa Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 45, Fn. 161.
C. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit
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§ 1 Abs. 2 GSO-BT Angelegenheiten aller Art sind, die durch besondere Sicherheitsmaßnahmen gegen die Kenntnis durch Unbefugte zu schützen sind. Hierunter können sowohl staatliche wie auch private Geheimnisse fallen. Als „VS-Vertraulich“ sind dabei nach § 2 Abs. 4 GSO-BT Gegenstände einzustufen, deren Kenntnis durch Unbefugte den Interessen oder dem Ansehen der Bundesrepublik oder eines Landes abträglich bzw. für einen fremden Staat vorteilhaft sind. Dasselbe gilt nach § 2a Abs. 2 GSO-BT für privaten Geheimnisse oder Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich, deren Kenntnis durch Unbefugte dem Interesse des Berechtigten abträglich sein könnte. Nach § 3 Abs. 1 GSO-BT sind Verschlusssachen nur mit demjenigen Geheimhaltungsgrad zu versehen, der unbedingt notwendig ist. Ergo kommt die Einstufung als vertraulich nur in Betracht, soweit eine Klassifizierung als „VS-Nur für den Dienstgebrauch“ nicht ausreichend ist.320 Über die Vertraulichkeit hinaus geht schließlich die Geheimhaltung von Sitzungsinhalten. Als „geheim“ werden dabei nach § 2 Abs. 3 GSO-BT solche Gegenstände eingestuft, deren Kenntnis durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik oder eines Landes gefährden, ihren Interessen oder ihrem Ansehen schweren Schaden zufügen oder für einen fremden Staat von großem Vorteil wären. Selbiges gilt gemäß § 2a Abs. 1 GSO-BT für solche privaten Geheimnisse oder Umstände des persönlichen Lebensbereichs, deren Kenntnis durch Unbefugte dem Berechtigten schweren Schaden zufügen würde. Schließlich werden als „streng geheim“ gemäß § 2 Abs. 2 GSO-BT solche Informationen eingestuft, deren Kenntnis durch Unbefugte den Bestand der Bundesrepublik oder eines Landes gefährden würde. Die konkrete Einstufung im Bereich der Geheimhaltung hat sich dabei wiederum am Gebot der Auswahl des geringsten erforderlichen Geheimhaltungsgrades zu orientieren. Über den Inhalt von als VS-Vertraulich und höher eingestufter Sitzungen dürfen Mitglieder des Bundestages nach § 4 Abs. 1 und 2 GSO-BT nicht umfassender und früher unterrichtet werden, als dies aus Gründen der parlamentarischen Arbeit unerlässlich ist. Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung bzw. von Fraktionen oder Abgeordneten dürfen nur dann informiert werden, wenn sie zuvor zum Umgang mit der Verschlusssache ermächtigt und zur Geheimhaltung förmlich verpflichtet wurden (§ 4 Abs. 3 GSO-BT). Für alle anderen Personen muss zusätzlich zur Ermächtigung und Verpflichtung noch das Einverständnis der die Verschlusssache ausgebenden Stelle treten (§ 4 Abs. 4 GSO-BT). Des Weiteren 319 Wie hier Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 573; a. A. Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (678 f.), der zwischen einer „schlichten“ Vertraulichkeit und der Geheimhaltungsstufe „VS-VERTRAULICH“ i. S. d. Geheimschutzordnung differenziert, wobei erstere von der Intensität unterhalb des Geheimnisschutzes liege. 320 Hierunter fallen nach § 2 Abs. 5 GSO-BT alle Verschlusssachen, die zwar nicht von den Geheimhaltungsgrade streng geheim, geheim oder VS-Vertraulich umfasst, jedoch gleichwohl nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
sieht die Geheimschutzordnung Sicherheitsvorkehrungen für die Aufbewahrung, Vervielfältigung, Behandlung in Ausschüssen und öffentliche wie fernmündliche Erörterung von Verschlusssachen vor.321 Bei Ausschussberatungen zum Themen der Geheimhaltungsstufen streng geheim oder geheim dürfen zudem gemäß § 7 Abs. 2 GSO-BT grundsätzlich nur die Beschlüsse protokolliert werden, wobei der Ausschuss in Abkehr hiervon unter bestimmten Voraussetzungen eine inhaltliche Protokollierung beschließen kann.322 Eine rechtliche323 Sanktionierung eines Verstoßes gegen den Diskretionsschutz erfolgt durch die GSO-BT selbst nicht. Bei Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst besteht allerdings die Möglichkeit einer beamten- und arbeitsrechtlichen Sanktionierung von Verstößen gegen Verschwiegenheitspflichten.324 Für Abgeordnete kommt vor allem ein Verstoß gegen die strafrechtliche Geheimhaltungspflicht nach § 353b Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Voraussetzung hierfür ist neben einer Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen,325 dass für die Sitzung eine Geheimhaltungsstufe ab „VS-Vertraulich“ durch den Bundestag beschlossen wurde.326 Für Amtsträger kommt ferner eine Strafbarkeit nach § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie (hinsichtlich privater Geheimnisse) nach § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Sonstige Anwesende wie Fraktionsmitarbeiter können sich nach § 353b Abs. 2 Nr. 2 StGB bzw. § 203 Abs. 2 Nr. 4 StGB strafbar machen. Sofern ein in nichtöffentlicher Sitzung erörterter Gegenstand ein Staatsgeheimnis im Sinne von § 93 Abs. 1 StGB darstellt, kommt zudem eine Strafbarkeit nach §§ 94 ff. StGB in Frage.327
321
Siehe §§ 5 ff. GSO-BT. Bei der Beratung von als VS-Vertraulich eingestuften Themen im Ausschuss kann nach § 7 Abs. 3 GSO-BT dagegen grundsätzlich ein Ausschussprotokoll angefertigt werden, welches jedoch dem Umfang nach auf ein reines Aufzeichnen der getroffenen Beschlüsse beschränkt werden kann. 323 Losgelöst hiervon verbleibt für Abgeordnete stets die Möglichkeit diese wegen eines Verstoßes gegen Diskretionsvorschriften durch öffentliche Kritik politisch zur Verantwortung zu ziehen. 324 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (706); ebenso H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 54; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 68. 325 Problematisch ist insofern, ob bei der Offenbarung privater Geheimnisse nur private oder auch öffentliche Interessen gefährdet sind. Für die Möglichkeit der (mittelbaren) Gefährdung öffentlicher Interessen im Zuge der Offenbarung privater Vorgänge (soweit hierdurch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verschwiegenheit staatlicher Stellen erschüttert wird) BGHSt 11, 404; zustimmend Fischer, StGB, § 353b, Rn. 23; wohl auch a. A. Behm AfP 2004, S. 85 (88); Kuhlen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 353 b, Rn. 28. 326 Kuhlen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 353b, Rn. 44; vgl. auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (706 f.). 327 Zum Ganzen siehe auch Jahn/Engels, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 25 ff., 39 ff.; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (706 ff.). 322
C. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit
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II. Voraussetzungen des Ausschlusses Da die Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) kein Parlamentsprivileg darstellt, über das der Bundestag bzw. seine Ausschüsse nach Belieben verfügen können, sind hinsichtlich eines Ausschlusses der Öffentlichkeit die zwingenden Vorgaben nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG (analog) zu beachten.328 Hierbei ist gedanklich zwischen formellen (1.) und materiellen Ausschlussvoraussetzungen (2.) zu unterschieden. 1. Formelle Voraussetzungen Der Ausschluss der Öffentlichkeit kann nur auf vorherigen Antrag hin erfolgen. Dabei liegt die Antragsbefugnis im Plenum gemäß Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG bei einem Zehntel der Mitglieder des Bundestages respektive der Bundesregierung, wobei sich das Quorum eines Zehntels der Mitglieder auf die gesetzliche Mitgliederzahl (vgl. Art. 121 GG) des Bundestages bezieht329 und die „Bundesregierung“, die nach Art. 62 GG aus Bundeskanzler und Bundesministern besteht, einen Beschluss zur Antragstellung gemäß § 24 Abs. 2 GO-BReg mit einfacher Mehrheit fasst.330 Im Rahmen von analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG öffentlichen Ausschusssitzungen bezieht sich das Quorum eines Zehntels der Mitglieder entsprechend dieser Wertung auf die gesetzliche Mitgliederzahl des Ausschusses. Hinsichtlich des Regierungsantrages ergibt sich keine Besonderheit. Die Entscheidung über den Antrag erfolgt sodann gemäß Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG (analog) mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegeben Stimmen. Dies ergibt sich aus der Grundregel in Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG, welche zwar nicht hinsichtlich der Höhe des Quorums, jedoch in Bezug auf die Berechnungsgrundlage heranzuziehen ist.331 Die Beschlussfassung über den Antrag findet nach Art. 42 Abs. 1 S. 3 GG (analog) in nichtöffentlicher Sitzung statt.
328
Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 110. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 48; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 9; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 7; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 5; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 29; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 2; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 40. 330 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 48; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 9; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 5; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 2; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 40. 331 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 19; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 12; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 50; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 6; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 41; wohl auch Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 62; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 17; a. A. für Mehrheit der Anwesenden Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 30. 329
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Der Beschluss hinsichtlich des Ausschlusses bedarf nach allgemeiner Ansicht keiner Begründung.332 Fraglich ist indes, ob über das reine Antragserfordernis hinaus das Vorliegen einer inhaltlichen Antragsbegründung zu fordern ist. In der Literatur steht die wohl überwiegende Meinung333 einem Begründungserfordernis ablehnend gegenüber. Insofern wird z. T. auf den Wortlaut von Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG abgestellt, in welchem sich kein Anknüpfungspunkt für eine solche Voraussetzung finde.334 Zudem sei eine Begründung, die zwar substantiiert und somit als inhaltliche Rechtfertigung geeignet sei, jedoch zugleich nicht den eigentlichen Zweck des Ausschlusses – die Informationen nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen – verfehle, kaum denkbar.335 Die Gewähr, dass ein Ausschluss nur aus erheblichen Belangen und nicht willkürlich erfolge, werde allein über das notwendige Quorum der Zweidrittelmehrheit für einen entsprechenden Beschluss sichergestellt.336 Eine solche Mehrheit setzte in der Regel eine Mitwirkung der Opposition voraus, sodass die breite Zustimmungsbasis ein Indiz für die materielle Sachgerechtigkeit der Entscheidung darstelle.337 Für ein Begründungserfordernis spricht hingegen bereits die besondere Bedeutung der Öffentlichkeit in der rechtsstaatlichen Demokratie.338 Insoweit lässt sich ins Feld führen, dass eine Antragsbegründung als Rationalisierungsmittel wirkt, zumal im Falle des Vorliegens einer – in Zeiten großer Koalitionen durchaus üblichen – Regierungsmehrheiten von zwei Dritteln der Stimmen, die Gewähr für eine abgewogene und sachgerechten Entscheidung nicht zwingend gegeben sein muss.339 Hinzu kommt, dass die (Ausschuss)Öffentlichkeit gerade der Kontrolle durch den Souverän dient. Die Ausschlussmöglichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG 332 Siehe etwa Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 19; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 12; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 52; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 6; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 29; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 64; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 10. 333 Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 21; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 49; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 9; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 10; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 5; MüllerTerpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 60; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 2; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 38; für eine „kursorische Begründung“ dagegen Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 14; zustimmend Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 101; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (687); Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 29; Rösch, Geheimhaltung, 1999; S. 111. 334 Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 38. 335 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 49; vgl. auch Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 6; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 29. 336 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 50. 337 Vgl. hierzu auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (688); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 111. 338 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 111; vgl. auch Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 29; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 14. 339 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 100.
C. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit
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analog legt dem jeweiligen Ausschuss, mithin dem zu Kontrollierenden selbst, die Entscheidung über das Ausmaß seiner eigenen Kontrolle in die Hand. Es handelt sich daher dem Grunde nach um eine Entscheidung in eigener Sache,340 an welche die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der Gefahr einer Selbstbegünstigung gesteigerte Transparenzanforderungen stellt.341 Diesen würde durch eine Begründung des Ausschlussantrags Rechnung getragen. Daneben steht der Forderung nach einer Begründung auch nicht die behauptete Vereitelung effektiver Geheimhaltung entgegen. Die gegenüber den Abgeordneten angegebene Gründe dürften schon insoweit nicht nach außen dringen, als die Beschlussfassung über einen Ausschluss der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 3 GG (analog) selbst in nichtöffentlicher Sitzung erfolgt. Dieser ist, um einen etwaigen Geheimhaltungszweck nicht zu vereiteln, so auszulegen, dass auch die Beratung über den Antrag, die Öffentlichkeit auszuschließen, und nicht erst die Abstimmung in nichtöffentlicher Sitzung erfolgt.342 Dem Risiko von Indiskretionen seitens der Abgeordneten343 kann durch den gleichzeitigen Beschluss eines Geheimhaltungsgrades für die Beratungen Rechnung getragen werden. Gegenüber dem Bürger würde sich die Begründungspflicht des eingebrachten Antrags im Lichte etwaiger Geheimhaltungsinteressen freilich auf kursorische Angaben reduzieren, die den Grund für die Nichtöffentlichkeit lediglich insoweit plausibel machen, als dadurch der Zweck des Ausschlusses nicht vereitelt wird.344 Weiterhin spricht die demokratisch und rechtsstaatlich verwurzelte Kontrollfunktion der Parlamentsöffentlichkeit für ein Begründungserfordernis. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein funktionaler Zusammenhang zwischen hinreichender Informationsausstattung und sachgerechter Aufgabenwahrnehmung besteht, den das Bundesverfassungsgericht z. B. in Bezug auf die Tätigkeit Abgeordneten bestätigt hat.345 Das gilt ganz besonders für die Wahrnehmung verfassungsrechtlicher Kontrollaufgaben.346 Nichts anderes kann mithin im Verhältnis 340
Vgl. Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 111. Siehe BVerfGE 40, 296 (327); vgl. hierzu auch v. Arnim, JZ 2009, S. 813 ff. 342 Vgl. Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 12; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 19; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 52. 343 Dieses Risiko spricht hinsichtlich der Plenarverhandlung H. H. Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 42, Rn. 49 an. Demnach sei eine Begründung gegenüber den Abgeordneten – aufgrund der zu vermutenden Indiskretionen – nicht anders zu bewerten als eine solche gegenüber der Öffentlichkeit. Dieses Problem dürfte bei einer Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG auf Ausschusssitzungen aufgrund der geringeren Zahl von potentiellen Geheimnisträgern allerdings deutlich weniger virulent sein. 344 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 101; vgl. auch Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (687); Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 29; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 111; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 14. 345 Vgl. BVerfGE 70, 324 (355). 346 So ist beispielsweise im Rahmen von Informationsverweigerungen durch die Bundesregierung gegenüber dem Parlament anerkannt, dass hiermit eine Pflicht zur substantiierten und nachvollziehbaren Begründung im Einzelfall einhergeht. BVerfGE 124, 78 341
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
zwischen dem Parlament bzw. dessen Ausschüssen und den Bürgern gelten. Die dem Volk als Träger der Staatsgewalt zukommende Kontrollfunktion kann im Falle eines notwendigen Ausschlusses der Sitzungsöffentlich nicht, bzw. allenfalls mittelbar ausgeübt werden. Da der Beschluss über den Ausschluss selbst in nichtöffentlicher Sitzung stattfindet, wird die Beschränkung der Kontrollbefugnisse für den Souverän erst durch eine Begründung des Antrags nachvollziehbar.347 Auf dieser Basis kann der Souverän nunmehr bewerten, ob er den partiellen Kontrollausfall akzeptiert oder politisch sanktioniert. Dadurch wird zumindest für die Gründe des Ausschlusses politische Verantwortlichkeit und damit Legitimität hergestellt. Schließlich spricht auch die Tatsache, dass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) nicht allein parlamentsintern wirkt, sondern vielmehr in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG im Außenverhältnis ein subjektives Recht auf Zugang zur Parlamentsverhandlung begründet,348 für das Begründungserfordernis. Auf dessen Basis kann der Bürger den Ausschluss nicht nur politisch sanktionieren, sondern auch in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen lassen, was ohne die Angabe einer kursorischen Begründung in der Praxis nahezu unmöglich wäre.349 Im Ergebnis ist damit jedenfalls eine rudimentäre Begründung des Antrags zu fordern.350 2. Materielle Anforderungen Fraglich ist weiterhin, ob neben die formellen Voraussetzungen für einen Ausschluss der (Ausschuss)Öffentlichkeit im Einzelfall das Erfordernis eines materiell-verfassungsrechtlichen Grundes tritt. Einige Stimmen in der Literatur lehnen dies in Bezug auf das Plenum ausdrücklich ab.351 Zur Begründung wird zum einen auf die drohende Rechtsunsicherheit verwiesen, die dadurch entstünde, dass das Vorliegen materiell-rechtlicher Voraussetzungen des Öffentlichkeitsausschlusses bestritten werden könnte und im Falle eines zu Unrecht erfolgten Ausschlusses die Nichtigkeit der Beschlüsse drohe. Zum anderen wird eine aus der notwendigen Überprüfung der angeführten Gründe durch das Bundesverfassungsgericht folgende Verkürzung der parlamentarischen Autonomie angemahnt.352 (128); 124, 161 (193); 137, 185 (244); siehe dazu auch Warg, NVwZ 2014, S. 1263 (1264, 1268); Wolff, JZ 2010, S. 173 (177). 347 Vgl. Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 174. 348 Siehe dazu Kap. 4 A. I. 3. 349 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 316. 350 Ohne eine solche dürfte überdies in der Praxis der Antrag kaum erfolgversprechend sein. Siehe Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 60; Schliesky, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 42, Rn. 38; vgl. auch Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 23, Rn. 3. 351 So H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 49 ff.; Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 184. 352 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 51.
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Dagegen wird zu Recht von der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum353 unter Rückgriff auf die besonders hohe Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes und dessen materiell-rechtliche Dimension das Vorliegen eines gleichfalls materiellen Ausschlussgrundes gefordert. Der Wortlaut von Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG liefert hierzu zwar keine Anhaltspunkte. Gleichwohl erscheint es dogmatisch fragwürdig den von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) vorbehaltlos gewährleisteten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit, welcher seinerseits von herausgehobener Bedeutung für die ebenfalls vorbehaltlos garantierten Verfassungswerte der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist, ohne das Vorliegen von materiellen Gegengründe einschränken zu können.354 Vielmehr kann ein vorbehaltlos gewährleisteter Verfassungsinhalt nur durch ein Rechtsgut, welches seinerseits Verfassungsrang besitzt, eingeschränkt werden. Diese für Grundrechte ohne ausdrückliche Schrankenregelung entwickelte Dogmatik, kann auf die Beschränkung anderer vorbehaltloser Verfassungsgüter übertragen werden.355 Dem steht auch nicht die Gefahr gravierender Rechtsunsicherheiten bezüglich derjenigen Beschlüsse entgegen, die in einer rechtswidrig nichtöffentlich stattfindenden Sitzung – infolge einer fehlerhaften Bewertung der materiell-rechtlichen Anforderungen an den Ausschluss der Öffentlichkeit – gefasst werden wurden. Speziell mit Blick auf Bundestagsausschüsse drohen Rechtsunsicherheiten nur sehr begrenzt. Soweit es sich um Selbstbefassungsangelegenheiten handelt, kommt den Ausschüssen bereits a priori keine Beschlusskompetenz zu,356 sodass insofern keine Rechtsunsicherheiten drohen. Etwas anderes könnte im Rahmen plenarersetzender Beschlusstätigkeit gelten. Soweit sich diese auf reine Stellungnahmen seitens des EU-Ausschusses bzw. des Haushaltsausschusses gegenüber der Bundesregierung bezieht, handelt es sich um schlichte Parlamentsbeschlüsse, die keine inhaltliche Bindungswirkung gegenüber der Regierung, sondern lediglich eine Pflicht begründen, die Stellungnahme im Kontext zu berücksichtigen.357 Denkbare Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Berücksichtigungspflicht wirken sich zudem allein im Innenverhältnis zwischen Bundestag und Regierung aus. Eine mögliche Unwirksamkeit des Beschlusses schlägt nicht 353 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 100 f.; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (687 ff.); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 65; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 176 f.; ähnlich auch Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 69. 354 Vgl. Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 100 f.; Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 42, Rn. 62; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (687 ff.); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 65; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 176 f. 355 Linck, DÖV 1983, S. 957 (963); ders., ZRP 1987, S. 11 (16, 18); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 176 f. 356 Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. II. 2. b). 357 Vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 23, Rn. 159; Heintschel von Heinegg, in: Epping/Hillgruber, Art. 23, Rn. 39; Hasenjäger, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 25, Rn. 40.
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auf im Folgenden durch die Exekutive auf dieser Basis vorgenommene rechtserhebliche Akte durch.358 Hierüber hinausgehend sind in Kontext der Beteiligung des Bundestages an den Eurorettungsschirmen ESM und EFSF z. T. Zustimmungserfordernisse des Haushaltsausschusses vorgesehen, die für den Regierungsvertreter im Gouverneursrat des ESM bzw. im EFSF rechtlich verbindlich sind.359 Vor diesem Hintergrund ist im Falle einer umstrittenen Wirksamkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit eine Rechtsunsicherheit durchaus denkbar. Selbiges gilt für die Aufhebung qualifizierter Sperrvermerke, die einen rechtsverbindlichen Beschluss des Haushaltsausschusses voraussetzen und damit Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der endgültigen Freigabe eines Haushaltspostens bedingen könnten. Diese Aspekte rechtfertigen allerdings keine Auslegung der Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG, die auf einen materiellen Ausschlussgrund vollends verzichtet. Grundsätzlich ist die aus einer möglichen Verfassungswidrigkeit parlamentarischer Beschlüsse erwachsende Rechtsunsicherheit mit Blick auf die Verfassungsbindung des Parlaments hinzunehmen. Da es sich beim Ausschluss der Öffentlichkeit um eine Abwägungsentscheidung handelt, die ein Element der Wertung aufweist, können rechtliche Unsicherheiten durch die Einräumung einer Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Gewichtung der betroffenen Verfassungsrechtsgüter und einer korrespondierenden verminderten verfassungsgerichtlichen Prüfdichte abgemildert werden. Dieser wäre erst im Falle einer offensichtlichen Fehlgewichtung der betroffenen Rechtsgüter überschritten.360 Auch die Einschränkung parlamentarischer Autonomie durch eine Überprüfung materieller Gründe durch das Bundesverfassungsgericht ist kein zwingendes Gegenargument, da die Parlamentsautonomie nicht schrankenlos gewährleistet, sondern u. a. durch grundgesetzliche Verfahrensvorgaben begrenzt wird.361 Der Parlamentsautonomie wird schon dadurch Genüge getan, dass dem Bundestag hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Ausschlussentscheidung – wie gesehen – ein Einschätzungsspielraum zusteht.362 Für eine Einschränkung parlamentarischer Autonomie spricht ferner, dass der durch einen Ausschluss der Öffentlichkeit herbeigeführte Kontrollverlust der Bürger gegenüber der Volksvertretung durch eine verfassungsgerichtliche Kontrolle zumindest abgemildert würde, zumal es sich inhaltlich um eine Entscheidung des Parlaments in eigener Sache handelt. 358 Siehe hierzu Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 52. 359 Siehe § 5 Abs. 2 ESMFinG und § 4 Abs. 2 StabMechG. 360 Für eine Einschätzungsprärogative auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 13. 361 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 109 ff.; ders., ZParl 47 (2016), S. 50 (51 f.). 362 Ähnlich auch Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 66.
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Schließlich spricht auch der im Demokratieprinzip wurzelnde Gedanke des Oppositionsschutzes363 für die Forderung eines materiell-rechtlichen Ausschlussgrundes. Wie gesehen, bedarf gerade die Opposition der parlamentarischen Öffentlichkeit, um als Gegenpol zur Regierung sichtbar zu werden.364 Das Quorum von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen stellt jedoch keineswegs immer eine Beteiligung der Opposition sicher.365 Das Erfordernis materieller Anforderungen steht mithin einem selbstbegünstigenden Öffentlichkeitsausschluss entgegen. Demgemäß ist im Rahmen von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG (analog) ein gegenläufiges Verfassungsrechtsgut zum Öffentlichkeitsgrundsatz ins Verhältnis zu setzten, sodass sich der Ausschluss der Öffentlichkeit als das Resultat eines Abwägungsprozesses darstellt.366 Wie bereits erörtert, kommen als kollidierende Verfassungsrechtsgüter vor allem Erfordernissen des Geheimnisschutzes auf Basis von Staatswohlbelangen (a)) oder Individualrechtsgütern (b)) in Betracht.367 Neben der Frage der Zulässigkeit eines Öffentlichkeitsausschlusses ist auch der zu beschließende Grad der Nichtöffentlichkeit Ausdruck eines Abwägungsvorgangs, der einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den genannten Rechtsgüter abbildet.368 So ist etwa ggf. eine Anonymisierung von personenbezogenen Daten, als milderes gleich wirksames Mittel einem Ausschluss der Öffentlichkeit vorzuziehen.369 a) Staatswohlinteressen Hinsichtlich des punktuellen Ausschlusses der Ausschussöffentlichkeit aus Gründen des Staatswohls kann auf die obige Abwägung im Rahmen genereller Ausnahmen vom Anwendungsbereich Bezug genommen werden.370 Wenn staat-
363 Vgl. hierzu BVerfGE 2, 1 (13); 44, 308 (321); 70, 324 (363); BVerfG, NVwZ 2016, S. 922 (923). Zusätzlich wird ein Recht „auf organisierte politische Opposition“ im Rechtsstaatsprinzip verortet, BVerfG, NVwZ 2016, S. 922 (924); BVerfGE 123, 267 (367). 364 Siehe dazu bereits Kap. 2 B. IV. 2. a) sowie Kap. 3 A. II. 2. b) dd). 365 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 100. 366 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 101; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (689); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 116, 158 f. Diese Auslegung der allgemeinen Vorschrift über den Ausschluss parlamentarischer Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG entspricht im Übrigen der Auslegung von Art. 44 Abs. 1 S. 2 GG im Spezialfall des Öffentlichkeitsausschlusses bei Untersuchungsausschüssen, siehe dazu auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 44, Rn. 178; Linck, ZRP 1987, S. 11 (15). 367 Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. III. 2. 368 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (689); vgl. auch Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 169. 369 Glauben, DÖV 2007, S. 149 (151); Harks, JuS 2014, S. 979 (981); vgl. auch Lennartz/Kiefer, DÖV 2006, S. 185 (189 f.), der auf die Möglichkeit der Anonymisierung von Firmenbezeichnungen hinweist soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betroffen sind. 370 Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. III. 2. b) dd).
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
liche Geheimhaltungsinteressen bereits eine grundsätzliche Ausnahme von der Verhandlungsöffentlichkeit rechtfertigen können, muss dies – a majore ad minus – erst recht im Einzelfall eines Öffentlichkeitausschlusses gelten. b) Individualrechtsgüter Fraglich ist dagegen, inwieweit eine Einschränkung im Interesse privater Geheimnisse zulässig ist. Im Rahmen der gebotenen Abwägung ist zu beachten, dass Privatgeheimnissen verfassungsrechtlich ein hohes abstraktes Gewicht zukommen kann. Soweit diese vom – aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten – Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt werden, deutet sich eine besondere Nähe zur Menschenwürde bereits aufgrund der dogmatischen Herleitung aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG an.371 So besteht im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung, welcher vollständig dem Zugriff öffentlicher Gewalt entzogen ist.372 Aufgrund der Verwurzelung im Grundsatz der Menschenwürde als Bestandteil der Ewigkeitsgarantie kommt privaten Geheimnissen zumindest in diesem Bereich ein herausragend hohes Gewicht zu. Dieser Gedanke eines unantastbaren Kernbereichs kann dagegen auf Geschäftsgeheimnisse, welche von Art. 12 GG und Art. 14 GG geschützt werden, nicht übertragen werden,373 da sich juristische Personen nicht auf die Menschenwürde berufen können.374 Daher kommt insofern nur ein relativer Geheimnisschutz in Betracht,375 der jedenfalls nach seiner abstrakten Wertigkeit hinter dem Grundsatz der Ausschussöffentlichkeit zurückbliebe. Maßgeblich für Abwägung im Einzelfall ist jedoch die konkrete Schwere der Beeinträchtigung einerseits des Öffentlichkeitsgrundsatzes bei einem Ausschluss und andererseits die konkrete Bedrohungslage für die grundrechtlich verankerten 371 Grundlegend BVerfGE 6, 389 (433); siehe auch 27, 344 (351); 32, 373 (378 f.); 47, 46 (73); 60, 123 (134); 72, 155 (167); 78, 77 (84); 89, 69 (82); 90, 263 (270); 98, 169 (199 f.); 100, 313 (358); 101, 106 (121). Der Menschenwürdegehalt dient dabei insbesondere als Interpretationsrichtlinie bei der Ausfüllung des Grundrechts, Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2, Rn. 38; Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 62. 372 BVerfGE 80, 367 (373 f.): „Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt. Dies folgt einerseits aus der Garantie des Wesensgehalts der Grundrechte (Art. 19 Abs. 2 GG), zum anderen leitet es sich daraus ab, dass der Kern der Persönlichkeit durch die unantastbare Würde des Menschen geschützt wird“. Siehe auch BVerfGE 34, 238 (246) 89, 69 (82 f.); 109, 279 (313); ähnlich bereits BVerfGE 6, 32 (41); 32, 373 (378 f.). 373 So auch Beyermann, Die geheime Unternehmensinformation, 2012, S. 267 f. 374 Siehe BVerfGE 95, 220 (242); Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 72; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Art. 1, Rn. 6; Höfling, in: Sachs, Art. 1, Rn. 66. 375 Breuer, NVwZ 1986, S. 171 (173 f.); Kloepfer/Greve, NVwZ 2011, S. 577 (578).
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Geheimnisschutzinteressen bei fortwährender Öffentlichkeit. Dabei wiegt die konkrete Beeinträchtigung privater Geheimhaltungsinteressen umso höher, je stärker in die jeweiligen Grundrechtsgehalte durch eine Offenlegung der Information eingegriffen wird. Soweit private Geheimnisse im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Teilgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt werden, kann als (grober) Maßstab der Eingriffsintensität auf den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Sphärengedanken376 abgestellt werden. Da die starre Anwendung der Sphärentheorie jedoch der Vielseitigkeit möglicher Grundrechtsbetroffenheit nicht gerecht wird,377 neigt auch das Bundesverfassungsgericht mittlerweile stärker einer flexibleren Verhältnismäßigkeitsprüfung zu.378 Hierbei relevante Aspekte sind etwa die Anzahl der durch die Veröffentlichung betroffenen Grundrechtsträger, die Frage, ob der Betroffene einen zurechenbaren Anlass für die Veröffentlichung geschaffen hat, die Schwere der drohenden Nachteile, der Umfang in welchem Informationen preisgegeben werden und wie groß deren Persönlichkeitsrelevanz379 ist.380 Die Eingriffsintensität ist zudem bei Informationen, die ohne Einwilligung der betroffenen Person durch den Staat erhoben wurden und damit der Mitwirkung, möglichen Korrektur oder gerichtlichen Kontrolle durch den Betroffenen entzogen sind, in der Regel deutlich höher als bei Informationen, die durch eine offene Kontaktaufnahme mit dem Staat in dessen Einflussbereich gelangt sind.381 Schließlich kann durch eine Anonymisierung personenbezogener Daten die Eingriffstiefe reduziert werden.382 Im Falle tatsächlicher Individualisierbarkeit ist die 376 Siehe hierzu etwa BVerfGE 27, 344 (351); 32, 373 (379); 33, 367 (376 f.); 34, 238 (245); 35, 35 (39); 38, 312 (320); 44, 353 (372 f.) sowie Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 158. 377 Hierzu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 161; Dreier, in: Dreier, Art. 2, Rn. 87; Kube, in: Isensee/Kirchhof, HStR VII, § 148, Rn. 87 f. 378 Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 105; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rn. 89; in diese Richtung auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 162. Beispiele aus der Rechtsprechung: BVerfGE 80, 367 (373 ff.); 90, 255 (259 ff.); BVerfG, NJW 2002, S. 2164 (2165). 379 Für letzteres kann auch die Zuordnung einer Information zur Sozial-, Privat- oder Intimsphäre des Geheimnisträgers als Hilfsmittel dienen, um die Prüfung der Angemessenheit vorzustrukturieren, wobei mit zunehmender Nähe zum absolut geschützten Kernbereich, die Intensität des Eingriffs und damit die Anforderungen an dessen Rechtfertigung ansteigen. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 162, 181; Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1, Rn. 285, 333, 343; in diese Richtung auch Beyermann, Die geheime Unternehmensinformation, 2012 S. 266; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rn. 118 f. 380 Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1, Rn. 343; vgl. hierzu auch BVerfGE 100, 313 (376); 107, 299 (320); 113, 29 (52 f.); 115, 320 (347 ff.); 118, 168 (196 ff.). 381 BVerfGE 112, 304 (316, 319 f.); 115, 320 (353 f.); 118, 168 (197 f.); vgl. auch Harks, JuS 2014, S. 979 (982); Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1, Rn. 344. 382 BVerfGE 65, 1 (45); 115, 320 (347); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 183; Lorenz, in: BK, Art. 2 Abs. 1, Rn. 344; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rn. 117.
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Intensität wiederum geringer einzuschätzen, wenn der Geheimnisträger Regierungsmitglied, leitender Beamter oder Person der Zeitgeschichte ist, deren Name im Sachzusammenhang bereits öffentlich gemacht wurde.383 Hinsichtlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen kann – ungeachtet grundrechtsspezifischer Schrankendogmatiken – im Rahmen einer möglichen Einschränkung der Parlamentsöffentlichkeit gleichermaßen auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zurückgegriffen werden. So wendet das Bundesverfassungsgericht die „Dreistufentheorie“ 384 nicht isoliert als einen starren Prüfungsmaßstab an, sondern begreift diese vielmehr als eine Typisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.385 Soweit Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind, stellt die Öffentlichkeit der Parlamentsverhandlung weder eine generelle und abstrakte Festlegung von Inhalt- und Schranken des Eigentums noch eine gezielte Entziehung einer Eigentumsposition zum Zwecke der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und damit keine Enteignung, sondern vielmehr (als Realakt) einen „sonstigen Eingriff“ in das Eigentum dar.386 Ein solcher ist ebenfalls an den Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen.387 Demzufolge ergibt sich ein einheitlicher Maßstab für die Abwägung der Parlamentsöffentlichkeit mit Geschäftsgeheimnissen, unabhängig davon, ob man diese in der Berufs- oder Eigentumsfreiheit verortet.388 Faktoren, die für die Bestimmung des konkreten Wertigkeit von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen herangezogen werden können,389 sind dabei etwa die zeitliche Dauer der mit einer geheim zu haltenden Information verbundenen Wettbewerbsvorteile,390 die Schwere der drohenden wirtschaftlichen oder wettbewerblichen Nachteile im Falle der Veröffentlichen, zuvor aufgewandte Investitionskosten zum Aufbau der Geheimnisposition, die hieraus bereits gezogenen 383
Lennartz/Kiefer, DÖV 2006, S. 185 (189). Hierzu grundlegend BVerfGE 7, 377 (405 ff.). 385 Die Tendenz in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht dahin, die Dreistufentheorie zwar begrifflich anzuführen jedoch inhaltlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. So etwa BVerfGE 30, 292 (315); 51, 193 (208); 68, 155 (171); 76, 196 (207 f.); 77, 308 (332); 86, 28 (40 ff.); 87, 287 (321 f.). Zum Teil wird die Verhältnismäßigkeit auch kumulativ zur Dreistufentheorie herangezogen. So in BVerfGE 28, 364 (375); 46, 120 (145); 54, 237 (249); 82, 18 (28); 84, 133 (151 f.); 95, 173 (183). 386 Axer, in: Epping/Hillgruber, Art. 14, Rn. 71; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 14, Rn. 49 ff.; Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rn. 29; Sodan, in: Sodan, Art. 14, Rn. 29; Wieland, in: Dreier, Art. 14, Rn. 85, 124. 387 Axer, in: Epping/Hillgruber, Art. 14, Rn. 17; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 14, Rn. 51. 388 Vgl. auch Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rn. 222; Scholz, in: Maunz/ Dürig, Art. 12, Rn. 150. 389 Zum folgenden siehe ausführlich Wolf, Der Schutz des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, 2015, S. 274 ff. 390 Vgl. BVerfG, NVwZ 2004, S. 719 (720). 384
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Vorteile, die verbleibende Verwertbarkeit und Wettbewerbsbedeutung sowie der zu erwartende betriebswirtschaftliche Schaden im Falle der Offenbarung.391 Daneben ist die Bedeutung der Information für das konkrete Unternehmen relevant; etwa ob diese einen erheblichen Teil der jeweiligen Geschäftsgrundlage ausmacht und die unternehmerische Tätigkeit wesentlich hierauf aufbaut.392 Schließlich spielt das Vorliegen eines personalen Bezugs, d.h. die Bedeutung für die persönliche Existenzsicherung des Geheimnisträgers393 oder umgekehrt die Betroffenheit sozialer Belange bei der Gewichtung des Geheimnisses eine Rolle.394 Neben der Gewichtung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Rahmen der abwehrrechtlichen Funktion der zugrunde liegenden Grundrechte, darf in der Abwägung nicht deren objektiv-rechtliche Dimension als notwendige Funktionsvoraussetzung des Wettbewerbs außer Acht gelassen werden.395 Im Rahmen der Abwägung mit der Ausschussöffentlichkeit kann privaten Geheimhaltungsinteressen im Einzelfall jedenfalls bei drohender besonders intensiver Beeinträchtigung der Vorzug eingeräumt werden. Dies ist hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts insbesondere mit zunehmender Nähe zum Kernbereich privater Lebensgestaltung anzunehmen, wobei jedenfalls die Betroffenheit des absolut geschützten Bereichs eine Rechtfertigung ausschließt.396 Ferner ist bei existenzgefährdender Entwertung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen regelmäßig von einem Überwiegen der Geheimhaltungsinteressen auszugehen.397 Ein anlassbezogener Ausschluss der Öffentlichkeit stellt in diesem Fall nur eine punktuelle und damit weniger schwerwiegende Beeinträchtigung der Ausschussöffentlichkeit dar. 391 Wolf, Der Schutz des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, 2015, S. 280; vgl. auch Kloepfer/Greve, NVwZ 2011, S. 577 (583). 392 Wolf, Der Schutz des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, 2015, S. 275. 393 Dabei kommt einem Vermögenswert im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 GG ein besonderes Gewicht zu, wenn dieser der Sicherung der persönlichen Freiheit in vermögensrechtlichen Angelegenheiten dient. Mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG wirkt sich das Vorliegen eines personalen Bezugs ebenfalls auf die Schutzintensität aus, vgl. auch Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 46. 394 Je größer der soziale Bezug einer Unternehmensinformation ist, desto weniger schutzbedürftig ist das Geheimhaltungsinteresse und desto leichter tritt dieser Aspekt im Rahmen der Abwägung zurück. Typischerweise besteht bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen mit umwelt- oder gesundheitsschutzbezogenen Implikationen in der Regel gesteigerte Sozialpflichtigkeit, vgl. Gurlit, DVBl 2003, S. 1119 (1124). 395 In dieser Hinsicht dient die Geheimhaltung mittelbar auch dem Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Gesamtwirtschaft. Wolf, Der Schutz des Betriebsund Geschäftsgeheimnisses, 2015, S. 126, 281. Zum Einfluss der Grundrechte auf die (wettbewerbliche) Wirtschaftsverfassung siehe auch Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 85 ff. 396 Ständige Rechtsprechung BVerfGE 6, 32 (41); 27, 344 (351); 38, 316 (320); 54, 143 (146); 80, 367 (373); 89, 69 (83); 109, 279 (313); siehe hierzu auch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1, Rn. 157 ff. 397 Wolf, Der Schutz des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses, 2015, S. 276.
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III. Rechtsfolge des Öffentlichkeitsausschlusses Die Rechtsfolge des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG (analog) bezieht sich auf das öffentliche Verhandeln im Sinne von Satz 1. Davon erfasst sind mithin sämtliche Ausprägung der Verhandlungsöffentlichkeit. Unmittelbar wirkt sich der Ausschluss zunächst auf die Sitzungsöffentlichkeit aus.398 Die auszuschließende „Öffentlichkeit“ umfasst dabei alle Personen, denen nicht von Amts wegen ein eigenes Zutrittsrecht zur Sitzung zukommt (z. B. Zuschauer, Journalisten oder Diplomaten). Diese müssen den Ausschusssaal in der Folge verlassen. Dagegen haben Personen, die aus eigenem Recht zur Teilnahme befugt sind wie die Mitglieder des Bundestages (vgl. § 69 Abs. 2 S. 1 GO-BT), Mitglieder des Bundesrates, der Bundesregierung sowie deren Beauftragte (vgl. Art. 43 Abs. 2 GG) oder die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, die den ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung sicherstellen (Stenografen, Saaldiener etc.), weiterhin Zugang zur Sitzung.399 In zeitlicher Hinsicht kann sich der Ausschluss der Öffentlichkeit sowohl auf die gesamte Sitzung als auch auf einen einzelne Verhandlungsgegenstände beziehen.400 Unklar ist hingegen, ob auch in personeller Hinsicht die Möglichkeit eines teilweisen Ausschlusses allein hinsichtlich der bürgerschaftlichen Zuhörerschaft unter Ausnahme von Pressevertretern besteht. Einige Stimmen in der Literatur nehmen dies – a majore ad minus – vor dem Hintergrund der Möglichkeit eines Ausschlusses der gesamten Zuhörerschaft an.401 Den Kritikern402 dieser Ansicht ist jedoch beizupflichten. Schon im Wortlaut von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG findet sich keinerlei Stütze für einen selektiven Ausschluss.403 Vielmehr gewährt Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) gerade jedermann unterschiedslos ein Zutrittsrecht, sodass im Rahmen des Ausschlusses als Kehrseite der Zugangsgewährung eine einseitige Privilegierung inkonsequent erscheint.404 398
H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 47. Vgl. Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 22; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 55; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 30; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 67; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 43; Versteyl, in: v. Münch/ Kunig, Art. 42, Rn. 18. 400 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 53; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 42, Rn. 38. 401 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 21; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 2; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 19, Bem. 2. i). 402 Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 22; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 53; Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (695); Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 7; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 30; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 67; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 38; Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Art. 42, Rn. 18. 403 Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 22. 404 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 53. 399
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Fraglich ist sodann, ob mit einem Beschluss nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG nur die Verhandlungsöffentlichkeit entfällt und die Möglichkeit (mittelbarer) Erklärungsöffentlichkeit aus der nichtöffentlichen Sitzung bestehen bleibt, oder ob hiermit vielmehr weitere Rechtsfolgen im Sinne einer Geheimhaltungspflicht einhergehen. Einige Stimmen in der Literatur befürworten in Bezug auf das Plenum eine automatische Einstufung des Sitzungsinhalts als vertraulich oder geheim.405 Dies vermag allerdings schon grundsätzlich nicht zu überzeugen, weil Vertreter dieser Ansicht nicht explizieren, welche Form der Nichtöffentlichkeit im Einzelfall aus einem Ausschluss der Öffentlichkeit folgen solle. Mit Blick auf die divergierenden Pflichten der Geheimnisträger in Abhängigkeit von der Geheimhaltungsstufe würde dies jedoch zu Rechtsunsicherheiten führen, die mit Blick auf die potentielle Strafbewährtheit von Verstößen gegen Geheimhaltungspflichten nicht hinnehmbar wären. Mithin folgt aus einem Beschluss nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 GG (analog) nur die schlichte Nichtöffentlichkeit der Sitzung. Ein darüber hinausgehender Diskretionsschutz bedarf dagegen einer expliziten Beschlussfassung durch den Ausschuss.406
D. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz im Ausschuss Schließlich ergibt sich die Frage nach der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Ausschussöffentlichkeit. Im Schrifttum zu Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG ist insofern umstritten, ob ein Verstoß gegen diese Norm die Fehlerfolge der Nichtigkeit der im Widerspruch zur Plenaröffentlichkeit gefassten Beschlüssen bedingt. Die entsprechenden Wertungen lassen sich auf entgegen der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG gefasste Beschlüsse übertragen. Die nachfolgenden Ausführungen zur Fehlerfolge orientieren sich mithin am Maßstab von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG. Angesichts der – bereits festgestellten407 – im wesentlichen kongruenten Wertigkeit der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit im Rahmen einer direkten Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes sind die nachstehend angestellten Erwägungen auch auf diese Konstellation entsprechend anwendbar. Im Folgenden ist daher zunächst das zu Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG vertretene Meinungsspektrum darzustellen (I.) und auf dieser Basis eine eigene Position in Bezug auf die Ausschussöffentlichkeit zu entwickeln (II.).
405 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (695 f.); Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 68; Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 114. 406 Vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 54; Leisner, in: Sodan, Art. 42, Rn. 4; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 43. 407 Siehe hierzu bereits Kap. 4 B.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
I. Vertretenes Meinungsspektrum zu Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Eine Ansicht im Schrifttum geht davon aus, dass es sich beim Öffentlichkeitsgebot nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG um eine reine Ordnungsvorschrift handele, sodass ein Verstoß hiergegen die Wirksamkeit des entsprechenden Beschlusses unberührt lasse.408 Zur Begründung führen Vertreter dieser Meinung schwerpunktmäßig an, dass die Rechtsfolge der Nichtigkeit nicht normiert sei. Ein Verstoß stelle daher lediglich einen unbeachtlichen Verfahrensfehler dar. Demgegenüber nimmt die wohl herrschende Meinung die Nichtigkeit unter Verletzung des Öffentlichkeitsgebots gefasster Parlamentsbeschlüsse an.409 Sie beruft sich dabei auf das Argument, dass die Parlamentsöffentlichkeit aufgrund ihrer besonderen Verwurzelung im demokratischen Rechtsstaat eine herausragenden Bedeutung aufweise, sodass eine Verletzung dieses Grundsatzes die Folge der Nichtigkeit zwingend nach sich ziehen müsse.410 Hans Hugo Klein betont in diesem Zusammenhang, dass zumindest ein unter fehlerhaftem Ausschluss der Öffentlichkeit gefasster Gesetzesbeschluss nicht „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustanden gekommen“ sei. Die Zusammenkunft der Abgeordneten bei verfassungswidrigem Ausschluss der Öffentlichkeit stelle schon keine „Verhandlung“ des Bundestages dar. Ein Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot sei vergleichbar mit schwerwiegenden Verfahrensfehlern, wie der fehlenden Ausfertigung eines Gesetzes durch den Bundespräsidenten oder der zu Unrecht erfolgten Behandlung eines Zustimmungsgesetzes als Einspruchsgesetz. Schließlich ließe sich auch der Vorwurf mangelnder Normierung der Nichtigkeitsfolge unter Verweis auf die Verfassungsbindung der Legislative nach Art. 20 Abs. 3 GG entkräften.411 Eine vermittelnde Ansicht vertritt schließlich, dass ein fehlerhaft zustande gekommener Beschluss zwar formell verfassungswidrig sei, jedoch bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache wirksam und bindend bleibe.412 Diese Ansicht lehnt die Rechtsfigur eines nichtigen Bundestagsbe-
408 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 567; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 42, Rn. 6; Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 14. 409 So etwa Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 113 f.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 55; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 314; Kornmeier, DÖV 2010, S. 676 (680); Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 28; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 33; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 2. 410 Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 113 f.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 314; Morlok, in: Dreier, Art. 42, Rn. 28; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 33. 411 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 55; im Anschluss hieran auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 187. 412 Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 25 ff.
D. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz
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schlusses per se ab, was vor allem mit dem Argument drohender Rechtsunsicherheit untermauert wird. Eine solche sei insbesondere dann zu erwarten, wenn innerparlamentarische Organisationsakte bzw. Rechtsakte mit Außenwirkung möglicherweise nichtig wären, ohne dass dies im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung verbindlich festgestellt wurde. Auch aus Sicht des jeweiligen Adressaten eines Beschlusses würde sich die Imponderabilität ergeben, zunächst die Wirksamkeit bzw. das Vorliegen etwaiger zur Nichtigkeit führender Verfahrensfehler zu prüfen. Dies würde in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht mit sich bringen.
II. Eigene Positionierung Hinsichtlich der Fehlerfolge eines unter Verstoß gegen das Gebot der Parlamentsöffentlichkeit zustande gekommenen Beschlusses ist der Blick auf die allgemeinen dogmatischen Grundlagen der Auswirkungen von Verfassungsverstößen zu richten. Ausgangspunkt sollen dabei zunächst die von der Verfassungsrechtsprechung herausgearbeiteten Voraussetzungen für die Nichtigkeit von Gesetzesbeschlüssen sein, die unter Missachtung verfassungsrechtlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind (1.). Diese würden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens bei Verstößen gegen die Plenaröffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bzw. gegen die aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz folgende Ausschussöffentlichkeit den relevanten Maßstab bilden. Hieran schließt sich die Frage nach der rechtlichen Bewertung der Fehlerfolge in Bezug auf sonstige Parlamentsbeschlüsse mit Außenwirkung an (2.). Um solche handelt es sich etwa bei den im hiesigen Kontext relevanten plenarersetzenden Beschlüssen von Ausschüssen, da sowohl Stellungnahmen gegenüber der Regierung als auch die Zustimmung zu Maßnahmen unter den Eurorettungsschirmen sowie die Aufhebung haushaltsrechtlicher Sperrvermerke über den parlamentsinternen Bereich hinausgehen und Außenwirkungen zeitigen. Schließlich stellt sich die Frage, ob im Kontext der Rechtfolgenregelung das Bedürfnis nach einer Erheblichkeitsschwelle für etwaige Fehlerfolgen im nachfolgenden Sinne besteht (3.). 1. Rechtsfolge für spätere Gesetzesbeschlüsse des Plenums Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet hinsichtlich Verfahrensfehlern zwischen dem Verstoß einerseits gegen zwingende (wesentliche) Verfahrensvorschriften, auf denen ein Gesetzesbeschluss beruht, und andererseits der Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften, wobei nur ersterer die Nichtigkeit des Gesetzesbeschlusses bedingt.413 Der jeweilige Charakter einer Verfahrensvorschrift ist demnach im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei für eine Einordnung von 413 Vgl. BVerfGE 44, 308 (313); siehe hierzu Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 76, Rn. 101; Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 76, Rn. 117.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Verfahrensvorschriften als zwingend spricht, wenn diese der Sicherung von Rechten eines am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organs dienen.414 Vorliegend spricht für die Einordnung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) bzw. des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes als zwingende Verfahrensvorschriften zunächst, dass diese eine Einbindungsmöglichkeit des gesellschaftlichen Publikums als Adressat der Öffentlichkeit in den parlamentarischen Entscheidungsprozess bezwecken. Zwar stellt die staatsbürgerliche Gesellschaft kein institutionell am Verfahren beteiligtes Organ dar. Gleichwohl ist eine ständige demokratische Rückkopplung zwischen Staatswillensbildung und öffentlicher Meinung verfassungsrechtlich intendiert, sodass zumindest eine potentielle Möglichkeit der Einflussnahme des Staatsvolkes auch auf laufende Gesetzgebungsverfahren verfassungsrechtlich vorausgesetzt wird.415 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Zugangsmöglichkeit zur Parlamentsverhandlung durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG subjektivrechtlich abgesichert. Durch die Nichtöffentlichkeit wird jedoch dieses Recht auf demokratische Partizipation am Gesetzgebungsverfahren in vergleichbarer Weise wie ein Mitwirkungsrecht unmittelbar Verfahrensbeteiligter erheblich tangiert, was für eine Einordnung als zwingendende Verfahrensvorschrift spricht. Hierfür und damit zugleich gegen die Annahme einer bloßen Ordnungsvorschrift streitet auch die herausgehobene Bedeutung der Parlaments- bzw. Ausschussöffentlichkeit mit Blick auf die rechtstaatliche Demokratie. Sie ist essentielle Voraussetzung der demokratischen Legitimation und Kontrolle von Staatsgewalt. Als solche manifestiert sich in ihr nicht allein ein geordnetes Beschlussverfahren, sondern gerade auch die Legitimität der staatlichen Willensäußerung, sodass Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bzw. dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz verfassungsrechtlicher Eigenwert zukommt.416 In diese Argumentationslinie fügt sich auch die weitergehende Überlegung ein, dass die Parlamentsöffentlichkeit nach hiesiger Auffassung neben der rein verfahrensrechtlichen Komponente auch einen materiell-rechtlichen Gehalt aufweist.417 Insofern kann im Falle eines Verstoßes hiergegen schon nicht von einem reinen Verfahrensfehler gesprochen werden. Dem steht auch nicht die oben genannte vermittelnde Ansicht, welche zwischen formeller Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit von Bundestagsbeschlüssen differenzieren will, entgegen. Diese vermengt die materielle Frage der Nichtigkeit eines Beschlusses mit der prozessualen Frage der gerichtlichen Geltend414 Vgl. Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 76, Rn. 117; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 76, Rn. 5. 415 Siehe dazu bereits Kap. 3 A. II. 1. b). 416 Vgl. Morlok, in: Dreier, Art. 42 Abs. 28; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 33. Zur Legitimation von Gesetzen durch das Gesetzgebungsverfahren siehe ferner Schwerin, Der Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 219 ff. 417 Siehe dazu bereits Kap. 4 A. IV.
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machung.418 Nach dem von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung419 und herrschenden Literatur420 zugrunde gelegten Grundsatz der ipso-iure-Nichtigkeit folgt die Nichtigkeit einer Rechtsnorm ohne weiteren rechtsgestaltenden Akt allein aus dem Verstoß gegen höherrangiges Recht und wird durch das Verfassungsgericht lediglich deklaratorisch festgestellt.421 Die Gegenauffassung422, die lediglich auf die mögliche „Vernichtbarkeit“ der Norm abstellt und sich zur Begründung auf das Argument drohender Rechtsunsicherheit im Falle der Nichtigkeit stützt, verfängt indes nicht. Hiergegen spricht bereits der Wortlaut von Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG, welcher im Rahmen der konkreten Normenkontrolle vorschreibt, dass der Richter ein Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Kontrolle vorzulegen hat, wenn er es für verfassungswidrig hält und es auf die „Gültigkeit“ der Norm für die Entscheidung ankomme. Mithin geht die Norm selbst davon aus, dass ein verfassungswidriges Gesetz „ungültig“ ist.423 Ferner stützt die Existenz einer Vorlagepflicht des Richters nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG diese Lesart. Wäre das verfassungswidrige Gesetz nicht nichtig, so wäre der Richter gemäß Art. 20 Abs. 3 Alt. 2 GG an die zwar verfassungswidrige jedoch rechtswirksame Norm gebunden und müsste diese zur Anwendung bringen. Dann wäre die Frage der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes jedoch auch nicht entscheidungserheblich, sodass die Vorlagepflicht stets ins Leere liefe.424 Schließlich kann dem Argument drohender Rechtsunsicherheit infolge möglicher Weiterungen bei der Annahme einer ipso-iure Nichtigkeit von Rechtsnormen entgegengehalten werden, dass diese im Einzelfall durch den Verzicht auf eine Nichtigkeitserklärung zugunsten einer bloßen Unvereinbarkeitserklärung nebst einer auf § 35 BVerfGG gestützten befristeten Weitergeltungsanordnung, durch die Rechtsfolgenbestimmung nach § 79 BVerfGG sowie unter Rückgriff auf die Dogmatik von der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen bzw. der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen begegnet werden kann.425 Somit ist 418
Müller-Terpitz, in: BK, GG, Art. 42, Rn. 33. So grundlegend BVerfGE 61, 149 (151); siehe auch BVerfGE 65, 1 (3); 68, 384 (385); 101, 54 (55); 116, 229 (242). 420 Siehe etwa Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 78, Rn. 7, 49; H. Maurer, Staatsrecht I, S. 656 ff.; Korioth, in: Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 379 ff.; K. Stern, in: BK, Art. 93, Rn. 270 ff.; Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 93, Rn. 47. 421 Vgl. auch § 78 S. 1 BVerfGG. 422 Siehe hierzu H. Götz, NJW 1960, S. 1177 ff.; Hoffmann, JZ 1961, S. 193 ff. 423 Pietzcker, AöR 101 (1976), S. 374 (380 f.). 424 Siehe hierzu Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rn. 143. 425 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 31, Rn. 144; Korioth, in: Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 382; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 256, 258. 419
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
dem klassischen Nichtigkeitsdogma zu folgen, zu dem sich die differenzierende Ansicht in Widerspruch setzt. Nach alledem wäre mit der herrschenden Meinung in Bezug auf unter Verstoß gegen den allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz zustande gekommenen Gesetzen grundsätzlich von einer Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften und damit von einem Eingreifen der Nichtigkeitsfolge auszugehen. Einschränkend ist jedoch zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Verletzung verfassungsrechtlicher Verfahrensvorschriften mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit die Rechtsfolge der Nichtigkeit – jedenfalls in Bezug auf Gesetze oder Rechtsverordnungen – regelmäßig nur dann annimmt, wenn das zusätzlichen Kriterium eines evidenten Verfahrensfehlers vorliegt.426 Eine Evidenz in diesem Sinne ist jedenfalls nicht gegeben, wenn eine bestimmte Verfahrensweise der gängigen und allgemein als zulässig angesehenen Staatspraxis entspricht.427 Demnach käme etwa bei einem Verstoß gegen die Parlamentsöffentlichkeit im Plenum die Nichtigkeitsfolge nur dann in Betracht, wenn offensichtlich im Widerspruch zu den Vorgaben in Art. 42 Abs. 1 GG unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurde.428 Mit Blick auf Verstöße gegen die Ausschussöffentlichkeit im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens käme ein evidenter Verfahrensfehler dagegen von vornherein nicht in Betracht. Da sich der analoge Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht auf Gesetzesbeschlüsse erstreckt, wäre eine Missachtung der Ausschussöffentlichkeit im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens allein in Bezug auf die Konstellation der abschließenden mündlichen Beratung von Gesetzesvorlagen denkbar. Diesbezüglich ist jedoch zu beachten, dass es gängige Parlamentspraxis darstellt, trotz des Wegfalls der mündlichen Erörterung im Plenum auf eine öffentliche Ausschussberatung zu verzichten. Auch steht dieser Verfahrensgestaltung das Geschäftsordnungsrecht nicht ersichtlich entgegen. Schließlich ergibt sich die insofern verletzte Verfahrensbestimmung allein aus der dogmatisch spitzfindigen Herleitung einer Rechtsregel aus dem (ungeschriebenen) allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz. Bis zu einer anderslautenden verfassungsgerichtlichen Klarstellung kann mithin keinesfalls von einem evidenten Verfahrensverstoß ausgegangen werden. Insofern droht keine Nichtigkeit der betroffenen Gesetzesbeschlüsse infolge eines Verstoßes gegen die Ausschussöffentlichkeit.429
426 BVerfGE 34, 9 (25 f.); 20, 56 (79); 91, 148 (175 f.); 125, 104 (132); kritisch hierzu etwa Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 78, Rn. 20 ff.; Kersten, in: Maunz/Dürig, Art. 76, Rn. 117. 427 Vgl. Rubel, in: Umbach/Clemens, Art. 80, Rn. 62. 428 Dies wäre etwa der Fall, wenn auf einen vorherigen Beschluss nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG vollständig verzichtet würde oder dieser offensichtlich (etwa mangels Antrags oder ordnungsgemäßer Beschlussfassung) fehlerhaft wäre. 429 Dasselbe gilt für den in dieser Konstellation zugleich vorliegenden Verstoß gegen das aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG folgende Gebot eines Mindestmaßes mündlicher Erörte-
D. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz
375
2. Rechtsfolge für sonstige Beschlüsse mit Außenwirkung Fraglich ist, ob sich mit Blick auf plenarersetzende Ausschussbeschlüsse als sonstige parlamentarische Beschlüsse mit Außenwirkung etwas anderes ergibt. Zwar wurde die vorstehende Dogmatik zur Nichtigkeitsfolge ausdrücklich mit Blick auf die Fehlerfolgen von Verfahrensverstößen im Gesetzgebungsverfahren entwickelt. Sie kann jedoch gleichermaßen für sonstige Beschlussakte des Parlaments oder seiner Ausschüsse insoweit herangezogen werden, als parlamentarischen Beschlüssen verbindliche Rechtsfolgen gegenüber Dritten zukommen, da hier ebenfalls der Gedanke der Einschränkung der Nichtigkeitsfolge aus Gründen der Rechtssicherheit zum Tragen kommt. Soweit es sich hingegen um rein interne Parlamentsbeschlüsse handelt, ist eine solche Einschränkung mit Blick auf die Rechtssicherheit ohnehin nicht geboten, sodass es insofern bei der schlichten Nichtigkeit infolge eines Verstoßes gegen höherrangiges Recht bleibt. Wie gesehen, kommt den konkreten Anwendungsfällen plenarersetzender Ausschussbeschlüsse jeweils Außenwirkung zu. Auch wäre der insofern ggf. verletzte Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) nicht als eine bloße Ordnungsvorschrift einzustufen. Allerdings wäre wiederum der Gesichtspunkt der Evidenz nicht gegeben, weil die Ausschussöffentlichkeit in Bezug auf plenarersetzende Ausschussbeschlüsse nach hiesiger Lösung allein aus einer analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG folgt. Diese Anforderung ist jedoch bis zu einer anderslautenden Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht keinesfalls offensichtlich, zumal die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit der Ausschüsse parlamentarischer Usus und Stand des Geschäftsordnungsrechts ist. Auch insofern kommt eine Nichtigkeit betroffener Beschlüsse daher derzeit nicht in Betracht. 3. Exkurs: Einschränkungen aufgrund einer Erheblichkeitsschwelle Obschon damit hinsichtlich Beschlüssen, die unter Missachtung der konkreten Anwendungsfälle der Ausschussöffentlichkeit ergangenen sind, derzeit nicht von der Fehlerfolge der Nichtigkeit ausgegangen werden kann, stellt sich die hypothetische Anschlussfrage, ob – eine künftige verfassungsgerichtliche Klarstellung vorausgesetzt – die Rechtsfolge der Nichtigkeit bei einem Verstoß gegen Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG (analog) bzw. den allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz nicht einer weiteren Einschränkung bedürfte. Problematisch könnte insofern sein, ob ausnahmslos jeder noch so geringfügige und unwesentliche Verstoß – man denke etwa an den zu Unrecht erfolgten Ausschluss eines einzelnen Zuhörers – die weitreichende Rechtsfolge der Nichtigkeit zeitigen kann.
rung der Gesetzesvorlage im Plenum, welches gleichsam mangels Evidenz nicht zu einer Nichtigkeit der betroffenen Gesetzesbeschlüsse führt.
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Kap. 4: Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit
Dies erscheint dabei immer dann als unangemessen, wenn die Ausschussöffentlichkeit trotz eines punktuellen Verstoßes im Wesentlichen noch gewahrt ist. Maßgeblich für die Rechtsfolge der Nichtigkeit ist, ob entsprechend der Teleologie von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog bzw. des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes die Nachvollziehbarkeit und Durschaubarkeit des Staatshandelns insgesamt so wesentlich beeinträchtigt wurde, dass die spezifischen Öffentlichkeitsfunktionen für den jeweiligen Verhandlungsabschnitt effektiv ins Leere laufen. Eine solche Erheblichkeitsschwelle430 lässt sich dogmatisch darauf stützen, dass ein Beschluss nur insoweit auf einem Verstoß gegen zwingendes Verfahrensrecht im Sinne der Verfassungsrechtsprechung431 beruht, als die Norm durch einen Verstoß auch tatsächlich wesentlich beeinträchtigt wird. Wäre nach alledem von einem erheblichen und evidenten Verstoß gegen die verfassungsrechtlich gebotene Ausschussöffentlichkeit auszugehen, folgte die Nichtigkeit des betroffenen Beschlusses aus Art. 20 Abs. 3 GG. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für Gesetzesbeschlüsse wie für sonstige schlichte Parlamentsbeschlüsse mit Außenwirkung. Zwar bezieht sich die Verfassungsbindung nach Art. 20 Abs. 3 1. HS. GG dem Wortlaut nach allein auf die „Gesetzgebung“. Da jedoch die Begriffe Gesetzgebung, vollziehende Gewalt sowie Rechtsprechung in Art. 20 Abs. 3 GG nicht funktionell, sondern organisatorisch zu verstehen sind, ist eine vollumfängliche Verfassungsbindung für die gesetzgebende Gewalt auch außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens anzunehmen.432
430 431 432
So auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 187 f. Vgl. BVerfGE 44, 308 (313). Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 VI, Rn. 39.
Kapitel 5
Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Schlussfolgerungen Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln Anwendungsbereich sowie inhaltliche Reichweite der verfassungsrechtlich gebotenen Ausschussöffentlichkeit herausgearbeitet wurden, schließt sich die Frage an, ob das Geschäftsordnungsrecht des Bundestages sowie dessen Parlamentspraxis den skizzierten Anforderungen entsprechen (A.). Auf dieser Basis wird der Bedarf für eine Reform der geschäftsordnungsrechtlichen Vorschriften ausgelotet und resümierend in einem Mindestkatalog von verfassungsrechtlich gebotenen Reformpunkten für die künftige Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit im Deutschen Bundestag zusammengetragen (B.). Schließlich wird in Rückanknüpfung an den zu dieser Untersuchung Anlass gebenden Reformvorschlag hinsichtlich einer grundsätzlichen Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen die weitergehende Überlegung angestellt, ob eine solche über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen hinausgehende Verfahrensgestaltung aus verfassungspolitischer Sicht Zustimmung verdient (C.).
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine „Ausschussöffentlichkeit“ Bevor der Fragestellung nachgegangen wird, ob das parlamentarische Geschäftsordnungsrecht den verfassungsrechtlichen Publizitätspflichten in Bezug auf Bundestagsausschüssen hinreichend Rechnung trägt, ist zunächst die vorgelagerte dogmatische Thematik der rechtlichen Gebundenheit bzw. des Gestaltungsspielraumes des parlamentarischen Geschäftsordnungsgebers in Ansehung des Verfassungsrechts sowie weiterer parlamentsrechtlicher Normen des einfachen Rechts zu klären (I.). Sodann bedarf es einer Betrachtung der bisherigen geschäftsordnungsrechtlichen Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit, wobei wiederum zwischen der grundsätzlichen Herstellung von Ausschussöffentlichkeit (II.) sowie deren konkreter inhaltlicher Reichweite (III.) zu unterscheiden ist.
I. Vorbemerkung: Gebundenheit des Geschäftsordnungsgebers Nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG gibt sich der Bundestag eine Geschäftsordnung. Die so verankerte Geschäftsordnungsautonomie ist zentrale Ausprägung der Par-
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
lamentsautonomie und gewährleistet das Recht des Bundestages, seine innere Ordnung selbstbestimmt zu regeln.1 Hierzu gehört neben der Selbstorganisation des Parlaments vor allem die vorliegend relevante Festsetzung seiner Verfahrensabläufe.2 Fraglich ist, inwieweit dem Geschäftsordnungsgeber hierbei ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Umsetzung der Ausschussöffentlichkeit zusteht. Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist die Rangstellung der parlamentarischen Geschäftsordnung im Verhältnis zu anderen Normenebenen. Als verfassungskonkretisierendes und verfassungsermächtigtes Recht steht die Geschäftsordnung im Rang unterhalb des Grundgesetzes und darf sich zu diesem inhaltlich nicht in Widerspruch setzen.3 Das lässt sich bereits daraus ableiten, dass der in Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG zum Ausdruck kommende Vorbehalt der Verfassung denknotwendig auch eines Vorrangs der Verfassung bedarf.4 Daneben wird mit dem Argument, dass der Begriff der „Gesetzgebung“ in Art. 20 Abs. 3 GG weit auszulegen sei und daher die gesamte Tätigkeit der für die Gesetzgebung zuständigen Organe umfasse, das Vorrangverhältnis dogmatisch abgesichert.5 Eine Grenze geschäftsordnungsrechtlicher Gestaltungsfreiheit ergibt sich damit aus dem Grundgesetz. Bei der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben kommt dem Parlament allerdings ein grundsätzlich weiter Gestaltungsspielraum zu, sodass die bloße Gefahr der missbräuchlichen Anwendung einer Geschäftsordnungsbestimmung nicht genügt, um bereits deren Verfassungswidrigkeit zu begründen.6 Die Rangstellung der Geschäftsordnung in Relation zum einfachen Gesetzesrecht ist hingegen umstritten. Dabei reichen die Meinungen von einem – von der klassischen Literaturansicht sowie dem Bundesverfassungsgericht vertretenen – Vorrang des einfachen Gesetzesrechts7 über ein – von einer im Aufstreben be-
1
Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. III. 1. a). K. Stern, Staatsrecht II, S. 83; siehe auch K. F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 64 ff.; Kißler, JöR 26 (1977), S. 39 (44 f.); Schmidt, AöR 128 (2003), S. 608 (616). 3 BVerfGE 1, 144 (149); 80, 188 (229); 84, 304 (332); 96, 264 (285); Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 327; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 99; ders., in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 33, 67; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 73; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 26; grundlegend zudem bereits Perels, Das autonome Reichstagsrecht, 1903, S. 3. 4 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 327 f.; vgl. auch Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 26. 5 Schmidt, AöR 128 (2003), S. 609 (636). 6 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 271 ff. m.w. N.; aus der Rechtsprechung siehe etwa BVerfGE 1, 144 (149); 80, 188 (229); 84, 304 (332); 96, 264 (285). 7 BVerfGE 1, 144 (148 f.); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 74; Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 42; K. Stern, Staatsrecht II, S. 83 f.; Pietzcker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht § 10, Rn. 41. 2
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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findlichen Auffassung postuliertes – Gleichordnungsverhältnis,8 bis hin zu einem vereinzelt angenommenen Vorrang der parlamentarischen Geschäftsordnung.9 Diese Frage braucht vorliegend nur insoweit entschieden zu werden, als mit Blick auf die Ausschussöffentlichkeit eine Überschneidung mit einfachgesetzlichem Parlamentsrecht überhaupt in Frage käme und zudem der Geschäftsordnungsgeber durch dessen Maßgaben inhaltlich gebunden würde. Zwar finden sich gesetzliche Regelungen zur Ausschussöffentlichkeit in §§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 WahlprüfG sowie in § 6 Abs. 4 BVerfGG, welche die Verhandlungen des Wahlprüfungsausschusses sowie des Ausschusses zur Vorbereitung der Wahl der Bundesverfassungsrichter betreffen. Das mögliche Vorliegen einer Kollisionslage zwischen Gesetz und Geschäftsordnungsrecht lässt sich indes – mit Blick auf den besonderen Charakter der Geschäftsordnung als parlamentarisches Innenrecht10 – nicht durch die Bestimmung eines abstrakten Rangverhältnisses auflösen. Die Normenhierarchie des Außenrechts, welche im Kollisionsfall eine klare Aussage zu der Frage bereithält, welche Norm höherrangig ist und damit verbindliche Vorgaben für nachrangige Vorschriften statuiert, kann dem Innenrecht nicht ohne Weiteres zugrunde gelegt werden.11 Vielmehr beruhen Geschäftsordnungsbestimmungen (gleichermaßen wie Gesetzesnormen) auf einer unmittelbar durch die Verfassung auf ein Staatsorgan übertragenen Regelungskompetenz (vgl. Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG). Folglich stellt sich die Relation von Gesetzes- zu Geschäftsordnungsrecht nicht als ein Rang-, sondern als ein Kompetenzabgrenzungsverhältnis dar.12 Entscheidend kommt es mithin auf die Frage an, ob bzw. inwieweit es dem Bundestag freisteht, innere Angelegenheiten nicht nur im Rahmen der Geschäftsordnung, sondern auch in Gesetzesform zu regeln.13
8 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 328; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 257 f.; Dreier, JZ 1990, S. 310 (313); Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 28; Scherer, AöR 112 (1987), S. 189 (212). 9 Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 124. 10 Vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 59 f.; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 254; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 25; Schmidt, AöR 128 (2003), S. 609 (616). 11 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 34; Cancik, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 6; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 40, Rn. 22. 12 So auch Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 40; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 258 f.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 74; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 40, Rn. 43; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 12. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 28; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 40, Rn. 33 ff.; Schmidt, AöR 128 (2003), S. 608 (642); a. A. Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 17. 13 Hierzu ausführlich etwa Dreier, JZ 1990, S. 310 (311 ff.); H. H. Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 40, Rn. 19 ff.; Pietzker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 13 ff.; Schmidt, AöR 128 (2003), S. 608 (636 ff.).
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
Einige Stimmen in der Literatur14 und die Rechtsprechung15 gehen davon aus, dass auch außerhalb der Fälle, in denen die gesetzliche Handlungsform ausdrücklich vorgesehen ist, dem Bundestag ein begrenztes Wahlrecht bezüglich der Regelungsform zukommt. Dabei soll eine Wahl der Gesetzesform jedoch auf solche Fälle beschränkt sein, in denen keine Zustimmung des Bundesrates (als externem Dritten) zu dem verfahrensregelnden (und damit rein parlamentsinternen) Gesetz erforderlich ist, der Kernbereich der Geschäftsordnungsautonomie nicht berührt wird und gewichtige sachliche Gründe für die Regelung in Gestalt eines förmlichen Gesetzes sprechen.16 Sofern die Handlungsform hiernach zulässigerweise gewählt wurde, ginge ein solches Gesetz der Geschäftsordnungsregelung kompetenziell vor.17 Die Gegenansicht gesteht dem Bundestag indes die Möglichkeit, innere Angelegenheiten in Form eines Gesetzes zu regeln, nur im Falle einer expliziten verfassungsrechtlichen Ermächtigung zu.18 Diese Meinung sieht zumeist Gesetz und Geschäftsordnung als gleichrangig nebeneinanderstehend an.19 Etwaige Normenkonflikte seien nach den Kollisionsregeln des lex specialis derogat legi generali bzw. lex posterior derogat legi priori aufzulösen.20 Beide Ansätze kommen in den vorliegenden Konstellationen zum selben Ergebnis. Soweit das Verfahren des Wahlprüfungsausschusses betroffen ist, liegt der Regelung im Rahmen des WahlprüfG in Form von Art. 41 Abs. 3 GG eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Ermächtigung zugrunde, sodass die Materie von vornherein nicht der Regelungskompetenz des Geschäftsordnungsgebers unterliegt und diesen daher nicht bindet. Bezüglich der Normierung des Verfahrens des Wahlausschusses im BVerfGG handelt es sich weder um ein Gesetz, das der 14 Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 259; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 40, Rn. 12; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 79 f.; Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 16; Pietzcker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 13 ff. 15 BVerfGE 70, 324 (360 ff.) mit Sondervoten der Richter Mahrenholz und Böckenförde. 16 So zuletzt BVerfGE 130, 318 (349 f.); vgl. auch Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (326 ff.); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 79 f.; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Einleitung GO-BT, Bem. 1. 17 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 74; Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 16; Pietzker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 38. 18 So Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 43 ff.; Dreier, JZ 1990, S. 310 (311 ff.); Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 24; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 46 ff.; Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 45; vgl. ferner die Sondervoten der Richter Mahrenholz und Böckenförde, BVerfGE 70, 324 (366 f., 380 ff.). 19 Dreier, JZ 1990, S. 310 (313); Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 45; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 42. 20 So auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 35; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 40, Rn. 45; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 40, Rn. 22.
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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Zustimmung des Bundesrats bedarf (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 GG), noch berührt dieses den Kern parlamentarischer Geschäftsordnungsautonomie. Ein gewichtiger sachlicher Grund zur Wahl der Gesetzesform liegt in Gestalt des Bedürfnisses, „die Ausübung parlamentarischer Befugnisse in Bezug auf andere (oberste) Staatsorgane [. . .] auf eine berechenbare Basis zu stellen, sie also der jederzeitigen Verfügbarkeit, sei es im Wege der Abweichung (§ 126 GO-BT), sei es im Wege (authentischer) Auslegung (§ 127 GO-BT), zu entziehen“ 21,
ebenfalls vor. Hiernach würde es sich um eine in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers fallende Angelegenheit handeln, die den Geschäftsordnungsgeber bereits nicht betrifft. Auch nach der Gegenansicht, wäre die Regelung in § 6 BVerfGG als gleichrangiges lex specialis jedenfalls nur vorrangig anwendbar und würde damit den Geschäftsordnungsgeber nicht in seinem Regelungsspielraum rechtlich binden. Nach alledem ist die Rechtmäßigkeit der Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit in der Geschäftsordnung allein am herausgearbeiteten Maßstab des Verfassungsrechts zu beurteilen.
II. Bisherige Ausschussöffentlichkeit im Rahmen von §§ 69, 69a und 70 GO-BT Die geschäftsordnungsrechtliche Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit erfolgt insbesondere in §§ 69, 69a und 70 GO-BT. Dabei adressiert § 69 GO-BT als Zentralnorm der Öffentlichkeit des Ausschussverfahrens den Grundfall „regulärer“ Sitzungen parlamentarischer Ausschüsse im Sinne von § 54 Abs. 1 GOBT (1.). Daneben bezieht sich § 69a GO-BT auf den speziellen Verfahrensmodus der erweiterten öffentlichen Ausschussberatung (2.) und § 70 GO-BT auf die Konstellation öffentlicher Anhörungssitzungen im Ausschuss (3). Darüber hinaus existieren verschiedene Formen allein mittelbarer Erklärungsöffentlichkeit deren Bedeutung zur Herstellung von Ausschussöffentlichkeit im Rahmen eines Exkurses gewürdigt wird (4.). 1. § 69 GO-BT – Fakultative Öffentlichkeit a) Grundsatz: Nichtöffentlichkeit von Ausschussberatungen Im Grundsatz finden die Beratungen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT nichtöffentlich statt. Damit geht einher, dass der Allgemeinheit in Gestalt zivilgesellschaftlicher und medialer Vertreter kein unmittelbarer Zugang zu den Sitzungen gewährt wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Kreis der Zutrittsberechtigten allein die ordentlichen und stellver21 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 80; vgl. auch Bücker, ZParl 17 (1986), S. 324 (331).
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
tretenden Mitglieder des Ausschusses umfasst. Vielmehr steht grundsätzlich nach § 69 Abs. 2 S. 1 GO-BT jedem Mitglied des Bundestages ein allgemeines Zutrittsrecht zu den Ausschusssitzungen des Hauses zu, sodass für die Parlamentarier eine Teilnahme auch an den Beratungen von Ausschüssen, denen sie selbst nicht angehören, möglich ist. Abweichend von der Grundregel kann ein Ausschuss gemäß § 69 Abs. 2 S. 1 a. E. GO-BT bei seiner Einsetzung das Zutrittsrecht auf ordentliche Mitglieder und deren im Vorhinein namentlich benannte Stellvertreter beschränken (sog. „geschlossene Ausschüsse“). Zur Begründung der Einschränkung des Zuhörerkreises wird auf die besondere Vertraulichkeit der zu erörternden Materie hingewiesen.22 Hiervon sind seit Beginn der 9. Wahlperiode regelmäßig der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss sowie der Innenausschuss (bei Angelegenheiten der inneren Sicherheit) betroffen.23 Die Beschränkung gilt sodann gleichermaßen für etwaige Unterausschüsse.24 Der bei Einsetzung des Ausschusses zu treffende Beschluss gilt, vorbehaltlich eines vorzeitigen Widerrufs, bis zum Ablauf der jeweiligen Wahlperiode.25 Eine solche Beschränkung des Zutritts kann der Ausschuss zudem nach § 69 Abs. 2 S. 2 GO-BT auch nachträglich für bestimmte Beratungsgegenstände beschließen.26 Dies umfasst nach herrschender Ansicht, neben dem nachträglichen Beschluss einer bei Einsetzung nicht vorgenommenen Zutrittsbeschränkung, auch eine Verengung oder Erweiterung bestehender Zutrittsbeschränkungen auf die Beratung bestimmter Punkte.27 Eine solche kann etwa dann notwendig werden, wenn einem nicht geschlossenen Ausschuss nachträglich Aufgaben zugewiesen werden, die einer vertraulichen Behandlung bedürfen. Als Rückausnahmen besteht gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 GO-BT die Möglichkeit, dass der Ausschuss in Sonderfällen von der Zutrittsbeschränkung eine Ausnahme beschließen kann. Dies kann etwa in der – freilich eher seltenen – Konstellation relevant werden, dass ein Abgeordneter hinsichtlich eines Ausschussthemas über 22 So etwa Kasten, Ausschußorganisation und Ausschußrückruf, 1983, S. 33; ferner Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 201, der zudem anmerkt, dass sich das Erfordernis eines expliziten Beschlusses für den Ausschluss von Nichtmitgliedern bis in das Jahr 1862 zu den Kommissionen des Preußischen Abgeordnetenhauses zurückverfolgen lässt. 23 So für die 19. Wahlperiode gemäß BT-Drs. 19/437, S. 2. Vgl. hierzu auch Ritzel/ Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 2. b); Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 46. 24 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 46. 25 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 2. b). 26 So geschehen etwa in der 10. Wahlperiode mit dem Untersuchungsausschuss „Neue Heimat“, siehe BT-Drs. 10/6779, S. 25 f. 27 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 2. b).
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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besondere Sachkompetenz verfügt, dem Ausschuss jedoch selbst nicht angehört.28 Die Rückausnahme nach Satz 3 beschränkt sich auf Bundestagsmitglieder und gilt damit nicht für die Zulassung sonstiger Zuschauer.29 Weiterhin kann gemäß § 69 Abs. 6 GO-BT stets der Antragssteller einer Vorlage zur Begründung derselben an einer geschlossenen Ausschusssitzung teilnehmen, auch wenn er dem Ausschuss selbst nicht angehört. Parlamentarier, die einem Ausschuss nicht angehören, können grundsätzlich lediglich als Zuhörer dessen Sitzungen beiwohnen. Das Recht zur aktiven Teilnahme an Ausschusssitzungen unter Einschluss des Rede-, Antrags- und Stimmrechts steht nur ordentlichen sowie stellvertretenden Mitglieder30 zu, wobei letztere nicht ad personam, sondern für jedes ordentliche Mitglied ihrer Fraktion als potentielle Vertreter bestellt sind.31 Ferner kennt die Geschäftsordnung den Status eines „beratenden Mitglieds“, welches nur über ein Rede- und Antragsrecht nicht jedoch über das Stimmrecht verfügt.32 In Einzelfällen besteht zudem die Möglichkeit, dass Abgeordnete „mit beratender Stimme“ an Sitzungen von Ausschüssen, denen sie selbst nicht angehören, teilnehmen.33 Dies umfasst das Recht zur Beteiligung an der Aussprache hinsichtlich des Beratungsgegenstandes sowie der damit in unmittelbarem Sachzusammenhang stehenden Fragen (vgl. § 62 Abs. 1 S. 2 GO-BT). Ein Antrags- oder Stimmrecht geht hiermit nicht einher.34 Die das 28 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 2. d). 29 Zur Intention des Geschäftsordnungsgebers siehe BT-Drs. 8/4127 S. 39. 30 Stellvertretende Mitglieder können – auch wenn sie nicht für ein ordentliches Mitglied auftreten – zudem stets an den Aussprachen teilnehmen, wenngleich ihnen ein Antrags- bzw. Stimmrecht in dieser Konstellation nicht zusteht. Vgl. Auslegungsentscheidung 11/10 vom 1.12.1988 zu § 57 GO-BT; ferner auch Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 57, Bem. II. 1. d). 31 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 47. 32 Dieser Status ist explizit für dem Ausschuss zugewiesene fraktionslose Abgeordnete (§ 57 Abs. 2 S. 2 GO-BT) vorgesehen. 33 So sieht etwa § 69 Abs. 3 S. 3 GO-BT vor, dass „in besonderen Fällen“ ausschussfremde Abgeordnete zu einer Sitzung mit beratender Stimme hinzugezogen werden können. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist im Wege einer Gesamtabwägung aller Umstände im Einzelfall zu bestimmen und wird z. B. angenommen, wenn der Ausschuss auf den besonderen Sachverstand eines Abgeordneten zurückzugreifen will. Ein Recht zur Teilnahme mit beratender Stimme an (nicht vertraulichen) Ausschussberatungen eines federführenden Ausschusses steht ferner gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 und 2 GO-BT dem Erstunterzeichner einer Vorlage (bzw. einem anderen Antragssteller als dessen Stellvertreter) zu. Darüber hinaus nehmen Initianten von Änderungsanträgen zu überwiesenen Vorlagen an den Sitzungen des federführenden Ausschusses nach § 71 Abs. 2 S. 2 GOBT mit beratender Stimme teil. Ferner hat der Parlamentspräsident gemäß § 7 Abs. 1 S. 3 GO-BT ein Teilnahmerecht mit beratender Stimme in allen Ausschüssen. Selbiges gilt gemäß § 69 Abs. 4 GO-BT für Fraktionsvorsitzende bzw. deren Vertreter. Siehe hierzu Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 47 ff. 34 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 3. b).
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
Recht auf Teilnahme mit beratender Stimme schließt – a majore ad minus – die reine Anwesenheit als Zuhörer ein und bestehen unbeschadet des Umstands, dass es sich um einen geschlossenen Ausschuss handelt.35 Außerhalb des Kreises der Abgeordneten haben auch Mitglieder des Bundesrates sowie der Bundesregierung und deren Beauftragte kraft verfassungsrechtlicher Berechtigung in Art. 43 Abs. 2 S. 1 GG Zutritt zu allen (auch nichtöffentlichen) Ausschusssitzungen des Bundestages. Dieses Recht kann geschäftsordnungsrechtlich nicht eingeschränkt werden und gilt damit gleichermaßen für offene wie geschlossene Ausschüsse.36 Daneben kann nach § 57 Abs. 4 GO-BT je ein Fraktionsmitarbeiter zu den Beratungen der Ausschüsse zugelassen werden, was in der Praxis regelmäßig der Fall ist.37 Ebenso nehmen die Mitarbeiter des Ausschusssekretariats an den Sitzungen teil.38 Sofern staatliche Organe ihrer Aufgabe nach dazu berufen sind, den Bundestag zu beraten, wie etwa der Wehrbeauftragte, der Präsident des Bundesrechnungshofes oder der Bundesbeauftragte für Datenschutz und deren Vertreter, können sie im Rahmen ihrer Beratungsfunktion an nichtöffentlichen Sitzungen teilnehmen und das Wort erhalten.39 Des Weiteren können nach § 93a Abs. 5 GO-BT Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Rates sowie der Kommission zu Beratungen in Europaangelegenheiten hinzugezogen werden. Darüber hinaus bestehen im EU-Ausschuss gemäß § 93b Abs. 8 GO-BT für „mitwirkungsberechtigte“ deutsche EU-Parlamentarier spezielle Teilnahmerechte in Form der Anregung von Beratungen, der Erteilung von Auskünften oder der Abgabe von Stellungnahmen.40 Ferner sind kommunale Spitzenverbände unter den Voraussetzungen von § 69 Abs. 5 GO-BT zur Teilnahme berechtigt. In der parlamentarischen Praxis werden außerdem in- und ausländische Gäste, ebenso wie Referendare und Praktikanten sowie Mitarbeiter der Abgeordneten als Zuhörer zugelassen. Schließlich werden z. T. externe Personen als „Experten“ zur Teilnahme an Beratungen eingeladen. Diese Praxis lässt sich als nichtöffentliche Anhörung auf § 70 Abs. 8 GO-BT stützten.41 Mit der Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen nach § 69 Abs. 1 S. 1 GOBT geht jedoch nicht automatisch deren Vertraulichkeit im Sinne der Geheim35
Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 46. H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 43, Rn. 129. 37 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 124. 38 Roll, GO-BT, § 69, Rn. 2. 39 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 48. 40 Zum Ganzen siehe Baddenhausen, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 27, Rn. 36 f. Ob darüber hinaus alle deutschen EU-Parlamentarier stets Zutritt zum Ausschuss haben ist umstritten. Dafür: Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 93b, Bem. 8.; Roll, GO-BT, § 93a, Rn. 5. Dagegen: Kretschmer, in: BK, Art. 45, Rn. 188, 191. 41 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 49. 36
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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schutzordnung einher,42 sodass über die Inhalte der Beratung grundsätzlich öffentlich kommuniziert werden kann. Sofern Art und Inhalt der betroffenen Themen eine vertrauliche Behandlung von staatlichen oder privaten Geheimnissen verlangen, wäre es vielmehr nötig, nach § 69 Abs. 7 GO-BT i.V. m. §§ 2, 2a, 7 GSO-BT43 einen Geheimhaltungsgrad gesondert zu beschließen.44 Nichts anderes gilt, wenn das Zutrittsrecht nach § 69 Abs. 2 S. 1 a.E GO-BT auf ordentliche und stellvertretende Ausschussmitglieder beschränkt ist.45 Nach § 69 Abs. 7 GO-BT BT i.V. m. § 7 Abs. 1 S. 1 GSO-BT besteht für die Behandlung von Verschlusssachen im Ausschuss die Möglichkeit, einen Geheimhaltungsgrad für einen Beratungsgegenstand oder Teile desselben zu beschließen. Diese Befugnis verdichtet sich nach herrschender Meinung46 gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 GSO-BT zu einer Pflicht, wenn über Verschlusssachen der Geheimhaltungsstufen VS-vertraulich oder höher beraten wird, bzw. sich später herausstellt, dass ein Verhandlungsgegenstand den vorgenannten Geheimhaltungsgraden entspricht (§ 7 Abs. 7 GSO-BT). Obwohl dem Wortlaut nach eher von einer Ausgestaltung als „Kann-Vorschrift“ auszugehen wäre, ist der herrschenden Ansicht zuzustimmen. Hierfür spricht insbesondere, dass im Interesse des Schutzes staatlicher und privater Geheimnisse im Einzelfall eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Ausschluss der Öffentlichkeit nach Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG begründet sein kann.47 Sofern eine effektive Geheimhaltung nur durch zusätzliche Maßnahmen des Geheimnisschutzes gewährleistet werden kann, muss sich die verfassungsrechtliche Pflicht auch auf eine Einstufung der betreffenden Beratungsgegenstände als Verschlussachen erstrecken. Folge des Beschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 GSO-BT ist unter anderem, dass die Beratung nicht in Gegenwart von unbefugten Personen stattfinden darf. Die Statuierung einer Geheimhaltungsstufe beschränkt allerdings das Zutrittsrecht 42 Dies entspricht der allgemeinen Auffassung, siehe etwa Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 572; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 38; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 328; Linck, DÖV 1973, S. 513 (515); Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 73, Rn. 2; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 45. 43 Die Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages ist als Anlage 3 Teil der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und wie diese damit im Innenverhältnis verbindlich. Vgl. hierzu Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 45, Fn. 161. 44 Linck, DÖV 1973, S. 513 (515); Pernice, Medienöffentlichkeit, 2000, S. 51; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 45; vgl. auch Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 572 ff. 45 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 2. b); Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 73, Rn. 13. 46 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 573; Jahn/Engels, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 17; Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 21a, Rn. 6.4. 47 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 66, im Anschluss hieran auch Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 13.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
der Abgeordneten zu der betreffenden Ausschusssitzung nicht, sondern regelt allein die Modalitäten des Informationszugangs und der Informationsweitergabe.48 Sofern das Zutrittsrecht nicht nach § 69 Abs. 2 S. 1 GO-BT restringiert wird, können daher auch Mitglieder des Bundestages, die nicht dem Ausschuss angehören, an vertraulichen oder geheimen Sitzungen teilnehmen. Allerdings greifen als weitere Folgen für diese49 – wie auch für alle ordentlichen und stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses – die Rechtsfolgen der GSO-BT.50 b) Ausnahme: Zulassung der Öffentlichkeit In Abweichung vom Grundprinzip der Nichtöffentlichkeit kann ein Ausschuss nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT beschließen, für einen bestimmten Verhandlungsgegenstand oder Teile desselben die Öffentlichkeit zuzulassen (sog. fakultative Ausschussöffentlichkeit). Ein dahingehender Beschluss ist nach der Grundregel gemäß §§ 48 Abs. 2 S. 1, 74 GO-BT mittels einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen.51 Obschon über den Antrag, öffentlich zu tagen, direkt in derselben Sitzung entschieden werden kann, ist es in der parlamentarischen Praxis üblich, die Öffentlichkeit erst in der darauffolgenden Sitzung mit entsprechender Vorankündigung herzustellen.52 Die Öffentlichkeit ist dabei nach § 69 Abs. 1 S. 3 GO-BT hergestellt, wenn der Presse und der sonstigen Zuhörerschaft – im Rahmen der räumlichen Gegebenheiten – Zugang zur Sitzung gewährt wird. Dies schließt zur praktischen Effektuierung der Zugangsmöglichkeit eine Pflicht zur rechtzeitigen vorherigen Bekanntgabe der öffentlichen Sitzung ein.53 Die „Presse“ im Sinne der Norm ist nicht im verfassungsrechtlichen Sinn zu verstehen, sondern umfasst sämtliche Medienformate.54 Die Literatur geht insoweit davon aus, dass die geschäftsord48 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 123; Jahn/Engels, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 17, Fn. 44; vgl. auch Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 46. 49 Jahn/Engels, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 17, Fn. 44 gehen zu Recht davon aus, dass der Geheimhaltungsbeschluss nach § 7 GSO-BT alle Bundestagsabgeordneten bindet. Sonstige anwesende Personen wie Fraktionsangestellte, Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung und der Abgeordneten oder Beamte, die als Beauftragte der Bundesregierung teilnehmen, werden zwar nicht durch die GO-BT und die GSO-BT als Anlage hierzu gebunden. Dennoch bestehen gesetzliche, tarifliche und arbeitsvertragliche Vorschriften, die diese zur Verschwiegenheit verpflichten. Eine Verletzung derselben ist zudem strafbewehrt. Siehe im Detail hierzu auch Jahn/Engels, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 20, Rn. 39 ff. 50 Siehe hierzu schon Kap. 4 C. I. 51 Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 S. 1 i.V. m. § 74 GO-BT. Vgl. dazu auch Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 54; Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 119. 52 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 1. 53 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 1. 54 Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 59.
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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nungsrechtliche Zugangsöffnung nicht zwingend das Recht der Berichterstattung mit rundfunkspezifischen Mitteln umfasst, sondern die Ausschussöffentlichkeit allein auf eine Saalöffentlichkeit reduziert werden kann. Die darüber hinausgehende Zulassung etwa von Aufzeichnungen oder Direktübertragungen steht mithin im Ermessen des jeweiligen Ausschusses.55 Von der Möglichkeit, die Öffentlichkeit nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT zuzulassen, wird nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht.56 In der 17. Wahlperiode wurde insgesamt in 151 Fällen so verfahren.57 Dies stellt zwar bereits einen signifikanten Anstieg gegenüber früheren Bundestagen dar. So wurde z. B. in der 12. Wahlperiode hiervon lediglich in 21 Fällen Gebrauch gemacht. Gleichwohl ist nur ein Bruchteil der Ausschuss- und Unterausschusssitzungen Gegenstand einer fakultativen Ausschussöffentlichkeit. So fanden in der 17. Wahlperiode insgesamt 2008 nichtöffentliche Sitzungen statt. Demnach stehen die aufgrund Beschlusses nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT öffentlich stattfindenden Ausschusssitzungen ca. im Verhältnis 1 zu 13 zu nichtöffentlichen Ausschuss- und Unterausschusssitzungen. c) Verfassungsrechtliche Bewertung Damit entspricht § 69 GO-BT für sich genommen nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Infolge der grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen sowie der abschließenden Begrenzung des Kreises der Zutrittsberechtigten ist eine allgemeine Zugänglichkeit gerade nicht gewährleistet. Die Möglichkeit, nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT die Öffentlichkeit zuzulassen, genügt der verfassungsrechtlichen Vorgaben insofern nicht, als sie das Öffentlichmachen der Sitzung allein in das Ermessen des Ausschusses stellt. Eine obligatorische Ausschussöffentlichkeit für die Beratung plenarersetzender Beschlüsse, bei Selbstbefassungsangelegenheiten oder im Falle der abschließenden mündlichen Beratung von Gesetzesvorlagen im Ausschuss findet sich in § 69 GO-BT nicht. Fraglich ist, ob im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eine partielle Pflicht des Ausschusses, einen Beschluss nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT herbeizuführen, in diese Geschäftsordnungsnorm hineingelesen werden kann. Dem steht zunächst der klare Wortlaut entgegen, wonach die Öffentlichkeit lediglich zuge55
Ebd. Die folgenden statistischen Angaben sind das Ergebnis eigener Berechnungen auf Basis der statistischen Ausgangswerte nach Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 7.17 sowie Kapitel 8.7, jeweils abrufbar unter: https://www.bundestag.de/datenhandbuch (08.10.2019). 57 Inhaltlich haben insbesondere der Sportausschuss, der Ausschuss für Arbeit und Soziales, der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union hiervon Gebrauch gemacht. Vgl. hierzu Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 8.1, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/datenhandbuch (08.10. 2019). 56
388
Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
lassen werden „kann“. Hinzu kommt, dass § 69 Abs. 1 GO-BT erkennbar nicht von einer Bindung an verfassungsrechtliche Öffentlichkeitsgebote wie etwa in Art. 42 Abs. 1 GG ausgeht. Deren geschäftsordnungsrechtliche Umsetzung findet sich vielmehr allein in § 19 GO-BT, welcher explizit auf Art. 42 GG verweist. Dementsprechend werden in § 69 Abs. 1 GO-BT auch keine Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG vergleichbaren verschärften Vorgaben für einen Ausschluss der Öffentlichkeit aufgenommen. Dieser Umstand spricht eindeutig dafür, dass der Geschäftsordnungsgeber von einem ungebundenen Ausgestaltungsspielraum ausging. Seine Geschäftsordnungsautonomie würde es ihm in diesem Fall nämlich erlauben, die Zugangsvoraussetzungen zu Ausschüssen restriktiver als im Plenum zu gestalten und den Ausschluss der Öffentlichkeit unter erleichterten Bedingungen zuzulassen.58 Außerdem unterscheidet die Geschäftsordnung systematisch zwischen der allgemeinen Verfahrensordnung (§§ 19–53 GO-BT) und den speziellen Vorschriften für Ausschüsse (§§ 54–74 GO-BT), wobei für letztere gemäß § 74 GO-BT die allgemeinen Verfahrensregeln nachrangig sind. In der Folge kommt aufgrund der Spezialregelungen in §§ 69 GO-BT ff. auch eine verfassungskonforme Auslegung von § 19 GO-BT dergestalt, dass dieser im selben Umfang (analog) für Ausschüsse gilt, wie dies bei Art. 42 Abs. 1 GG der Fall ist, nicht in Frage. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund des spezifischen Charakters der parlamentarischen Geschäftsordnung. „Aus dem Wesen und der Aufgabe der Geschäftsordnung ergibt sich, daß für ihre Auslegung besondere Grundsätze gelten müssen. Bei der Auslegung der Geschäftsordnung ist die parlamentarische Tradition und Praxis mit heranzuziehen, wie sie durch die historische und politische Entwicklung geformt worden ist.“ 59
Die historische Betrachtung hat jedoch gerade gezeigt, dass sich Ausschüssen in der deutschen parlamentarischen Tradition durch ihre Nichtöffentlichkeit auszeichnen.60 Dies hat sich, trotz leichter Zunahme der Zahl öffentlicher Ausschusssitzungen infolge eines Beschlusses nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT in jüngerer Zeit, nicht grundlegend geändert, zumal insbesondere keine spezifische Praxis ersichtlich ist, wonach etwa plenarersetzende Ausschusstätigkeit oder Selbstbefassungsangelegenheiten in besonderem Maße der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden würden. Schließlich finden sich auch in den Geschäftsordnungsregelungen zu den konkreten Verfahrenskonstellationen, für die jeweils eine verfassungsrechtliche Öffentlichkeitspflicht besteht (vgl. §§ 62 Abs. 1 S. 1, 78 ff., 93b GO-BT), keine 58
Vgl. Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 57. BVerfGE 1, 144 (148 f.); vgl. auch die Entscheidungen des Reichsgerichts vom 10. November 1932, StGH 13/32, RGZ 139, Anhang, S. 5 sowie vom 20. Dezember 1932, StGH 20/32, RGZ 139, Anhang, S. 15. 60 Siehe dazu bereits Kap. 2 A. III. 59
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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Abweichungen von der grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit nach § 69 Abs. 1 S. 1 GG. Im Ergebnis bleibt § 69 GO-BT für sich genommen hinter der verfassungsrechtlich gebotenen Ausschussöffentlichkeit zurück. Es schließt sich indes die Frage an, ob die weiteren öffentlichkeitsrelevanten Vorschriften der Geschäftsordnung dieses Defizit auszugleichen vermögen. 2. § 69a GO-BT – Erweiterte öffentliche Ausschussberatung Weiteres Element der Herstellung von Ausschussöffentlichkeit sind die sog. erweiterten öffentlichen Ausschussberatungen nach § 69a GO-BT. Dieses Verfahren wurden 1995 in die Geschäftsordnung in der Absicht eingeführt,61 eine verstärkte Öffentlichkeitsbeteiligung durch die Gewährung eines vertieften Einblicks in die Ausschussarbeit zu ermöglichen, eine größere Resonanz beim fachlich interessierten Publikum zu erreichen62 sowie das Plenum zum Zwecke einer Konzentration auf gesellschaftlich besonders bedeutsame Themen von der Erörterung detaillierter Spezialfragestellungen zu entlasten.63 Aus diesem Grund sieht die erweiterte öffentliche Ausschussberatung ein Verfahren vor, bei dem die abschließende Beratung einer Vorlage im Ausschuss öffentlich unter Zusammenwirken des federführenden Ausschusses mit den mitberatenden Ausschüssen sowie weiteren interessierten Abgeordneten64 erfolgt, wobei hinsichtlich der so erörterten Vorlage in der anschließenden Plenarsitzung grundsätzlich ohne weitere Debatte nur noch abzustimmen ist.65 Hiermit wird die Option geschaffen, eine „kleine Plenardebatte“ durchzuführen, an der alle fachlich mit dem Thema befassten Abgeordneten teilnehmen können.66 a) Verfahrensvoraussetzungen und Parlamentspraxis Voraussetzung der Durchführung einer erweiterten öffentlichen Ausschusssitzung ist nach § 69a Abs. 1 S. 1 GO-BT ein Beschluss des federführenden Ausschusses, der zum einen im „Benehmen“ mit dem Ältestenrat und zum anderen 61 Beschluss vom 21.09.1995, BGBl. I, S. 1246. Diese Änderung knüpft inhaltlich an die Vorschläge der Enquete-Kommission Verfassungsreform (BT-Drs. 7/5924, S. 80 ff.) und der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform (BT-Drs. 10/3600, S. 11) an. 62 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ältestenrats, BT-Drs. 13/1803, S. 4 sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Geschäftsordnungsausschusses Drs. 13/ 2342, S. 8. 63 So explizit BT-Drs. 13/2342, S. 8; vgl. hierzu auchRitzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. I. 1. a); Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 44. 64 Daher auch der Begriff „erweitert“, vgl. Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 105. 65 Roll, GO-BT, § 69a, Rn. 2; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 44. 66 Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 105.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
im „Einvernehmen“ mit den mitberatenden Ausschüssen gefasst werden soll. Ersteres erschöpft sich darin, einer anderen Stelle Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, welche wiederum von der entscheidenden Stelle zur Kenntnis zu nehmen und in ihre Überlegungen einzubeziehen ist, ohne dass das Erfordernis eines Einverständnisses bestünde. Letzteres setzt dagegen das konstitutive Einverständnis der anderen Stelle voraus.67 Die Initiative für einen Beschluss nach § 69a Abs. 1 S. 1 GO-BT geht in der Regel vom federführenden Ausschuss aus, kann aber ebenso auf eine Anregung des Ältestenrats oder eines mitberatenden Ausschusses zurückzuführen sein.68 Als Gegenstand erweiterter öffentlicher Ausschussberatungen kommen ausschließlich überwiesene Vorlagen in Betracht. Für andere Beratungsgegenstände – etwa im Wege des Selbstbefassungsrechts thematisierte Fragestellungen – kommt sie nicht in Frage. Ebenso wenig kommt das Verfahren zur Anwendung, wenn andere Ausschüsse nicht „mitberatend“, sondern lediglich in sonstiger Weise (z. B. im Rahmen der Abgabe einer Stellungnahme nach § 109 Abs. 1 S. 2 GO-BT) beteiligt sind. Somit zielt § 69a GO-BT auf den „Normalfall“ der Überweisung einer Vorlage zur Ausschussberatung mit anschließender Beschlussempfehlung sowie abschließender Plenardebatte ab, wie er insbesondere dem Gesetzgebungsverfahren zu Grunde liegt.69 Nach § 69a Abs. 5 S. 1 GO-BT kann ein Viertel der Mitglieder des federführenden Ausschusses trotz eines entsprechenden Beschlusses über die Durchführung einer erweiterten öffentlichen Ausschussberatung verlangen, dass die Vorlage stattdessen vom Bundestag in einer allgemeinen Aussprache beraten wird und damit die Durchführung des Verfahrens verhindern. Der Wortlaut ist insoweit missverständlich, als eine Ausschussminderheit nicht eine allgemeine Plenaraussprache verlangen und durchsetzen kann. Ein solches Recht, über den eigentlichen Ausschussbereich hinausgehend unmittelbar die Ausgestaltung der Plenarsitzung zu bestimmen, wäre ein Fremdkörper in der parlamentarischen Geschäftsordnung.70 Die Norm ist vielmehr so zu verstehen, dass mit einem Quorum von einem Viertel der Mitglieder der Durchführung einer (bereits beschlossenen) öffentlichen Ausschusssitzung widersprochen werden kann, mit der Folge, dass die allgemeinen Regeln (vgl. §§ 81 Abs. 1 S. 1, 84 S. 2 GO-BT) zur Anwendung gelangen.71 67 68
Creifelds, Rechtswörterbuch, 23. Aufl. 2019, S. 407. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. I.
1. c). 69
Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. I.
1. d). 70 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. V. 1. a); Roll, GO-BT, § 69a, Rn. 1. 71 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. V. 1. b).
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
391
§ 69a Abs. 1 S. 1 GO-BT sieht eine „Schlussberatung“ in Form einer „öffentlichen Aussprache“ vor, in der Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Ausschusses „beschlossen“ werden. Unter der Schlussberatung ist „eine die vorhergehenden [. . .] Beratungen abschließende, förmlich verselbstständigte Phase der Ausschußberatung im federführenden Ausschuß, die zumindest die Einbringung und Begründung von Sachanträgen (vgl. Abs. 3 Satz 3), Aussprache und Beschlußfassung über die Beschlußempfehlung umfaßt“,72
zu verstehen. Die Öffentlichkeit ist – entgegen dem Wortlaut – während der gesamten Schlussberatung und nicht nur während der Aussprache zuzulassen.73 Wie im Rahmen von § 69 Abs. 1 S. 3 GO-BT ist die Öffentlichkeit dann hergestellt, wenn Medien und sonstigen Zuschauern der unmittelbare Zugang zum Sitzungssaal gewährt wird.74 Abgeschlossen wird die erweiterte öffentliche Ausschussberatung mit der Beschlussfassung über die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses, wobei – abweichend von dem ambivalenten Wortlaut – die Beschlussfassung nicht den Bericht an das Plenum betrifft, der – wie sonst üblich – durch den oder die Berichterstatter verantwortet wird.75 Gemäß § 69a Abs. 5 S. 2 GO-BT findet nach der Durchführung einer erweiterten öffentlichen Ausschussberatung eine anschließende Aussprache im Plenum ohne eine besondere Vereinbarung im Ältestenrat nicht mehr statt. Damit geht einher, dass das Recht der Fraktionen bzw. von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Hauses, eine (allgemeine) Aussprache nach §§ 81 Abs. 1 S. 1, 84 S. 2 GO-BT zu verlangen, ausgeschlossen ist.76 Trotz der erschöpfenden Beratung der Vorlage im Ausschuss verbleibt die Letztentscheidungskompetenz hierüber stets beim Plenum, sodass es sich um keinen Fall der Delegation von Entscheidungsbefugnissen handelt.77 Es ist ferner nicht ersichtlich, dass durch § 69a Abs. 5 S. 2 GO-BT das Recht, Änderungsanträge zur zweiten und dritten Beratung zu stellen (vgl. §§ 82, 85, 78 Abs. 3 und 4 GO-BT) oder gemäß § 31 GO-BT eine Erklärung zur abschließenden Abstimmung im Plenum abzugeben, verdrängt werden soll.78 Schließlich kann – in Abweichung von der Grundintention der Arbeitsentlastung – gemäß § 69a Abs. 5 S. 3 GO-BT der federführende Ausschuss mehrheit72
Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. I.
1. f). 73
Ebd. Siehe BT-Drs. 13/2342, S. 5. 75 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 23; Ritzel/Bücker/Schreiner, § 69a, Bem. I. 1. f). 76 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. V. 2. a). 77 Siehe Roll, GO-BT, § 69a, Rn. 2. 78 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. V. 2. b). 74
392
Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
lich eine nochmalige Befassung des Plenums verlangen. Diese beschränkt sich jedoch auf eine Berichterstattung aus dem Ausschuss, welche nach § 69a Abs. 5 S. 4 GO-BT lediglich die Widergabe der vertretenen Positionen durch einen Sprecher im Rahmen von fünf Minuten ohne Aussprache umfasst.79 In der Praxis hat sich die Verfahrensweise erweiterter öffentlicher Ausschussberatungen allerdings nicht durchzusetzen vermocht und ist nur viermal seit ihrer Einführung genutzt worden.80 Die mangelnde Akzeptanz der Parlamentarier wird der geringeren Resonanz von Redebeiträgen in Ausschüssen gegenüber Plenarreden sowie der als zu kompliziert empfundenen Verfahrensweise unter Beteiligung mehrerer Ausschüsse und des Ältestenrats zugeschrieben.81 b) Verfassungsrechtliche Bewertung Die Durchführung einer öffentlichen Schlussberatung stellt ohne Zweifel ein probates Verfahren dar, um das Plenum – unter Wahrung seiner Entscheidungsbefugnisse – von einer zeitintensiven Debatte parlamentarischer Vorlagen (besonders im Bereich von für die breite gesellschaftliche Öffentlichkeit wenig attraktiven Spezialthemen) zu entlasten. Inwiefern erweiterte öffentliche Ausschussberatungen einerseits selbst den Vorgaben der Verfassung entsprechen und andererseits geeignet sind, die verfassungsrechtlichen Defizite des § 69 GO-BT auszugleichen, ist differenziert zu betrachten. Soweit die analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen gebietet, ist § 69a GO-BT bereits seinem Regelungsgehalt nach nicht betroffen. Die erweiterte öffentliche Ausschussberatung ist tatbestandlich auf überwiesene Vorlagen begrenzt. Sowohl plenarersetzende Beschlussthemen als auch Selbstbefassungsangelegenheiten werden von Ausschuss dagegen eigenverantwortlich bzw. ohne Überweisung wahrgenommen. Hinsichtlich abschließend in den Ausschüssen erörterter Gesetzesvorlagen ist dagegen dem Grunde nach die statuierte öffentliche Schlussberatung im Sinne von § 69a Abs. 1 S. 1 GG geeignet, um die in der Folge gebotene Ausschussöffentlichkeit zu gewährleisten. Die aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz folgende Rechtspflicht zu einer partiell öffentlichen Ausschussberatung wurzelt im Umstand, dass die Aussprache bezüglich der abschließenden Fassung einer Gesetzesvorlage in der Plenarversammlung unterbleibt.82 Demgemäß wäre eine 79 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. V. 3. 80 Siehe Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 8.6, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/datenhand buch (08.10.2019). 81 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 119; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 44, Fn. 158. 82 Siehe hierzu bereits Kap. 3 C. II. 1.
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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Schlussberatung im Ausschuss, die eine solche Aussprache im vergleichbaren Umgang einschließt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere wäre insofern keine vollständige Öffentlichkeit des gesamten Ausschussverfahrens geboten.83 Durch den Wegfall der Plenaraussprache im Verfahren nach § 69a GO-BT wird zudem das Öffentlichkeitsgebot eines Mindestmaßes mündlicher Erörterung von Gesetzesvorlagen nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG nicht verletzt, da die öffentliche Ausschusssitzung jedenfalls gewährleistet, dass die wesentlichen Position zu einer Vorlage und die Argumente dafür und dagegen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu Gehör gebracht werden.84 Die erweiterte öffentliche Ausschussberatung schafft somit einen Ausgleich für den Wegfall der Debatte im Plenum85 und stellt damit insgesamt das vom allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz vorgeschriebene Gesamtniveau parlamentarischer Öffentlichkeit sicher. Sie dient mithin weniger einer tatsächlichen Erweiterung des Einblicks in die Ausschussarbeit, sondern übernimmt die Repräsentationsfunktion hinsichtlich der im parlamentarische Beratungsprozess angestellten Erwägungen und gefundenen Ergebnisse, wie sie normalerweise dem Plenum zukommt.86 Eine Erweiterung der tatsächlichen Transparenz folgt jedoch ggf. daraus, dass im Rahmen der erweiterten Ausschusssitzung mehr Zeit für die Erörterung als in der Plenardebatte zur Verfügung steht.87 Ungeachtet dessen, vermag die erweiterte öffentliche Ausschussberatung nicht die verfassungsrechtlich defizitäre Umsetzung der Ausschussöffentlichkeit in § 69 GO-BT in Bezug auf die abschließende Erörterung von Gesetzesvorlagen im Ausschuss zu kompensieren. Dem steht nämlich entgegen, dass Ausschüsse das Verfahren nach § 69a Abs. 1 S. 1 GO-BT lediglich durchführen „sollen“. Die
83
Siehe hierzu bereits Kap. 4 B. Vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. V. 2. a). 85 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 119. 86 So Bröhmer, Transparenz, 2004, S. 106 unter Verweis auf die Intention des Geschäftsordnungsgebers ausweislich BT-Drs. 13/2342, S. 9. Infolge dieser Ersetzungsfunktion der erweiterten öffentlichen Ausschussberatung stehen nach § 69a Abs. 3 S. 3 GO-BT in ihrem Rahmen Rede- und Antragsrecht allen Abgeordneten des Hauses und nicht nur den Ausschussmitgliedern zu. Dies stellt den Ausgleich für die grundsätzlich nicht mehr stattfindende Aussprache im Plenum dar, in deren Zusammenhang es gleichermaßen allen Mitgliedern des Bundestages erlaubt gewesen wäre, ihre politischen Vorstellungen in Form von Redebeiträgen und durch Sachanträge einzubringen. In der erweiterten öffentlichen Ausschussberatung können sich Sachanträge demnach sowohl auf die Änderung der Vorlage als auch auf Entschließungen zur Beschlussempfehlung beziehen. Das Stimmrecht hingegen steht weiterhin nur ordentlichen oder stellvertretenden Mitgliedern des federführenden Ausschusses zu (§ 69a Abs. 3 S. 4 GO-BT). Siehe hierzu Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69a, Bem. III. 3; Bem. IV. 87 BT-Drs. 13/2342, S. 8. 84
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
Formulierung als „Soll-Vorschrift“ ist bereits missverständlich, da aus den Gesetzgebungsmaterialen in keiner Weise hervorgeht, dass der Bundestag die erweiterte öffentliche Ausschussberatung als Regelfall definieren wollte, von dem ein Abweichen nur ausnahmsweise, in besonderen Umständen zulässig wäre. Vielmehr „sollen mit der Erweiterten öffentlichen Ausschußberatung neue Formen für die Gesetzesberatung ermöglicht [Hervorhebung durch den Verfasser] werden“ 88, sodass diese lediglich als zusätzliche Option (mithin als „KannVorschrift“) und nicht als weitreichender Änderung des typischen Beratungsgangs von parlamentarischen Vorlagen zu verstehen ist. Jedenfalls wird durch § 69a GO-BT keine absolute Pflicht zur öffentlichen Verhandlung statuiert. Die als solche nicht verbindliche Aufforderung genügt daher nicht den Anforderungen an die Umsetzung eines zwingenden verfassungsrechtlichen Rechtssatzes wie er in Gestalt des zu einer Rechtsregel verdichteten allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes vorliegt und vermag damit das Defizit von § 69 GO-BT auch insoweit nicht zu kompensieren. 3. § 70 GO-BT – Öffentliche Anhörungssitzungen Als weiterer Sonderfall besteht gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 GO-BT die Möglichkeit, dass ein Ausschuss öffentliche Anhörungen von Sachverständigen, Interessenvertretern sowie sonstigen Auskunftspersonen durchführt. Dieses Instrument wurde bereits 1951 nach dem Vorbild der im amerikanischen Kongress üblichen öffentlichen Informationssitzungen (sog. „Hearings“89) in die Geschäftsordnung aufgenommen.90 Die dahinterstehenden Funktionen sind im Wesentlichen zweigeteilt. Die ursprüngliche Intention bei der Einführung von Hearings zielte vor allem auf eine Verbreiterung der Informationsbasis und Sachkenntnis der Parlamentarier.91 Diese erhalten die für ihre Tätigkeit essentiellen Informationen vor allem durch den Austausch mit der Bundesregierung, die – vertreten durch Minister, parlamentarische Staatssekretäre oder sonstige Mitarbeiter des Ministeriums – dem Bundestag Auskünfte erteilen,92 wobei nach Art. 43 Abs. 1 GG auch den Ausschüssen die Möglichkeit eröffnet ist, Mitglieder der Bundesregierung zu ih88
BT-Drs. 13/2342, S. 8. Auch in der deutschen parlamentsrechtlichen und politikwissenschaftlichen ist der englische Terminus daher gebräuchlich für die Anhörungssitzungen des Bundestages. Siehe hierzu Appoldt, Die öffentlichen Anhörungen, 1971, S. 45; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 237. 90 Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 6; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 202; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 59. 91 Veen, Opposition im Bundestag, 1976, S. 86; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 59. 92 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 58. 89
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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ren Sitzungen zu zitieren, um von diesen Auskunft zu verlangen.93 Vor diesem Hintergrund geben die Hearings den Abgeordneten ein Instrument an die Hand, mit dem sie unabhängig von der Informationsvermittlung durch die Exekutive zu einem Thema in förmlicher Weise externen Sachverstand heranziehen können und dadurch in den Stand versetzt werden, als Gegengewicht zur Regierung den Gesetzgebungsprozess mit der nötigen Sachkunde zu begleiten und zu prägen94 sowie ihre Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive sachgerecht wahrzunehmen.95 Neben der Akquise von Sachkenntnis aus Fachkreisen geht es – wie anhand der Zuordnung von „Interessenvertretern“ zum Kreis der Auskunftspersonen ersichtlich – bei der Durchführung von Hearings auch darum, die Auffassungen der vornehmlich von dem Beratungsgegenstand betroffenen Kreise in Erfahrung zu bringen, um diese im weiteren Verfahrensgang gewichten zu können.96 Damit leisten öffentliche Anhörungssitzungen einen Beitrag zu dem im Rahmen der Gesetzgebung vorzunehmenden Interessenausgleich, welcher maßgeblich durch offenbar werdende Motive und Prioritäten sowie Droh- und Akzeptanzpotentiale der betroffenen gesellschaftlichen Kräfte geprägt wird.97 Darüber hinaus wird durch öffentliche Anhörungen eine Steigerung der parlamentarischen Publizität bezweckt.98 Durch sie kann der Ausschuss die gesellschaftliche Aufmerksamkeit gezielt auf eine Vorlage lenken. Den Fraktionen wird es dabei ermöglicht, ihre Positionen im Ausschuss fachlich zu untermauern bzw. die Unterstützung durch gesellschaftlich relevante Kreise zu dokumentieren.99 Hierdurch macht der Ausschuss einen Teil seiner Arbeit zugänglich und damit nachvollziehbar bzw. kontrollierbar. Der effektive Informationsgehalt für die Gesellschaft sollte zwar aufgrund des regelmäßig geringen Medienechos von Hearings nicht überschätzt werden.100 Allerdings ist angesichts der Spezialisie93 Allgemein siehe hierzu BVerfGE 13, 123 (125); H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 43, Rn. 69 ff. m.w. N. Für die Kontrollfunktion speziell von Ausschüssen siehe auch Geis, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 54, Rn. 3; Winkelmann, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 58. 94 Vgl. Appoldt, Die öffentlichen Anhörungen, 1971, S. 58 f.; Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 16; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 202. 95 Vgl. Appoldt, Die öffentlichen Anhörungen, 1971, S. 70 ff.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 237. 96 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. I. 1. b). 97 Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 26, 29. 98 Appoldt, Die öffentlichen Anhörungen, 1971, S. 45; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 237; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 59. 99 Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 59; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Rn. 64. 100 Mengel, DÖV 1983, S. 226 (229 f.).
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
rung und Arbeitsteilung in der Gesellschaft eine umfassende Information von breiten Schichten des Publikums ohnehin kaum realistisch. Für die betroffenen Kreise ist es gleichwohl hilfreich, den Entstehungsprozess einer Regelung „im Zusammen- und Gegenspiel von Ministerien, Experten, Verbänden, Mehrheitsund Oppositionsfraktionen“ 101 zu durchdringen, um kommunikativ hierauf reagieren zu können. Dies gilt umso mehr, wenn Anhörungssitzungen nicht allein bei technischen Detailfragen, sondern zu Erörterung gesellschaftlich kontroverser Themen eingesetzt werden.102 Hearings dienen damit sowohl der Parlaments- als auch der Publikumsinformation.103 In ihrer Publizitätsdimension befördern sie den Kommunikationsprozess zwischen Parlament und gesellschaftlicher Öffentlichkeit.104 Neben der Verbreiterung der Informationsbasis schaffen sie eine zusätzliche Partizipationsmöglichkeit, indem Interessengruppen die Gelegenheit erhalten, ihre Meinung zu einem Gesetzgebungsvorhaben zu artikulieren.105 a) Verfahrensvoraussetzungen und Parlamentspraxis Die Durchführung einer öffentlichen Anhörungssitzung muss zunächst durch den Ausschuss beschlossen werden. Ein entsprechender Antrag ist bis vor Beginn der Schlussabstimmung zulässig, da sich das Bedürfnis nach einer Anhörung prinzipiell aus jedem Wortbeitrag eines Sitzungsteilnehmers ergeben kann.106 Um Überraschungsentscheidungen zu vermeiden, ist grundsätzlich nach § 70 Abs. 1 S. 3 GO-BT der Antrag im Vorhinein auf die Tagesordnung zu setzen, wobei eine Abweichung hiervon – entgegen dem Wortlaut – möglich ist.107 Sofern eine Anhörung außerhalb des Zeitplans erfolgen soll, muss zusätzlich eine Genehmigung des Präsidenten eingeholt werden, welche allerdings regelmäßig erteilt wird.108 Nach § 70 Abs. 1 S. 2 GO-BT muss eine öffentliche Anhörung bei überwiesenen Vorlagen im federführenden Ausschuss bereits auf Verlangen „eines Viertels seiner Mitglieder“ 109 stattfinden, wobei gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 GO-BT die von 101
Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 46. Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 48. 103 Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 237; vgl. auch Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S. 146. 104 Appoldt, Die Öffentlichen Anhörungen, 1971, S. 69; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 237. 105 Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 36 ff. 106 Heynkes, ZParl 2008, S. 459 (468). 107 So Auslegungsentscheidung Nr. 10/17 vom 7.11.1985 zu § 70 GO-BT, Ziff. 1. 108 Etwas anderes gilt nur soweit eine Kollision mit dem Zeitplan der Plenarsitzung auftritt, vgl. hierzu Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 127. 109 Diese Formulierung legt nahe, dass das Quorum sich dabei nicht auf die anwesenden Mitglieder, sondern auf die vom Bundestag festgelegte Mitgliederzahl des Aus102
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der Minderheit benannten Auskunftspersonen zu hören sind. Hierunter fallen in erster Linie zivilgesellschaftliche Interessenvertreter und Sachverständige, die nicht der Bundesregierung oder dem Bundesrat angehören und bei denen es sich – unter Ausnahme des Bereichs der Forschung und Lehre – nicht um Bundesbedienstete handelt. Regierungs- und Bundesratsmitglieder sowie deren Beauftragte sind vorrangig nach Art. 43 GG an der Ausschussarbeit zu beteiligen. Ebenfalls sollen Bundesbedienstete nur ausnahmsweise im Rahmen des § 70 GOBT angehört werden, da ihr Beitrag in der Regel schon im Rahmen von regulären Beratungssitzungen erfolgt.110 Der Ausschussmehrheit bleibt es freilich unbenommen, selbst weitere Auskunftspersonen zu benennen111 sowie die Anzahl der insgesamt anzuhörenden Personen zu begrenzen, sodass die Opposition nur eine ihrem Stärkeverhältnis entsprechende Zahl Sachverständiger berufen kann (vgl. § 70 Abs. 2 S. 2 GOBT).112 Das tatsächlich bestehende113 Minderheitenrecht wird zudem vor einer Entwertung im Zuge der zeitlichen Dispositionsbefugnis der Ausschussmehrheit über den Beratungsverlauf geschützt. Der Mehrheit ist z. B. untersagt, die Durchführung der Anhörung zu verzögern,114 eine zu kurzfristige Terminierung der Anhörung bzw. der darauffolgenden Schlussberatung vorzunehmen115 oder eine Vorlage abzuschließen, bevor die Anhörung tatsächlich stattfinden kann.116 Gegenstand von Hearings können neben (federführend) übererwiesenen Vorlagen auch Beratungsgegenstände sein, die in den Geschäftsbereich des Ausschusschusses bezieht. So auch Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. I. 2. a). 110 Vgl. Auslegungsentscheidungen 14/5 vom 12.2.2000 zu § 70 GO-BT und 15/4 vom 11.12.2003 zu § 70 GO-BT, Ziff. 1. Siehe auch Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. I. 1. a). 111 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. II. 1. 112 Dies ergibt sich – wie Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung § 17, Rn. 128 betont – auch aus dem Grundsatz der loyalen und fairen Anwendung der Geschäftsordnung (vgl. hierzu BVerfGE 1, 144 (149); 80, 188 (219); 84, 304 (322)), der in der Praxis regelmäßig zu allgemein akzeptierten Kompromissen zwischen den Fraktionen führe. 113 Das Minderheitenrecht kann im Einzelfall verbraucht sein, wenn zu einer Vorlage bereits eine öffentliche Anhörung stattgefunden hat. Dies ist jedoch nicht in jedem Fall zwingend. Sofern sich während der Beratung der Inhalt der Vorlage so maßgeblich verändert, dass ein neuer Verhandlungsgegenstand neben den bestehenden tritt, kann das Minderheitenrecht wiederaufleben. Vgl. Auslegungsentscheidung 10/17 vom 20.6.1985 zu § 70 GO-BT. 114 So Auslegungsentscheidung 12/9 vom 8.10.1992 zu § 70 GO-BT. 115 Siehe hierzu Heynkes, ZParl 2008, S. 459 (468 ff.), der auf einen weiten Gestaltungsspielraum der Ausschussmehrheit hinweist, welcher erst dort ende, wo das Minderheitenrecht substanzlos würde. 116 So Auslegungsentscheidung 10/17 vom 7.11.1985 zu § 70 GO-BT, wobei eine Abweichung hiervon bei interfraktioneller Einigung möglich ist.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
ses fallen und damit dessen Selbstbefassungsrecht unterliegen.117 Bei Selbstbefassungsangelegenheiten bedarf es nach § 70 Abs. 1 S. 2 HS. 2 GO-BT allerdings eines Mehrheitsbeschlusses für die Durchführung öffentlicher Anhörungen, wodurch ein ausufernder Gebrauch hiervon verhindert werden soll.118 Hinsichtlich des Teilnehmerkreises, dem ein Zugangsrecht zu „öffentlichen“ Anhörungen zusteht, kann auf die Ausführungen zu § 69 Abs. 1 S. 3 GO-BT verwiesen werden, der mangels Spezialregelung den Maßstab für die Öffentlichkeit bereitstellt. Das Fragerecht hinsichtlich einer Auskunftsperson steht dabei grundsätzlich jedem Abgeordneten des anhörenden Ausschusses zu. Im Falle überwiesener Vorlagen können sich zudem Mitglieder des federführenden Ausschusses auch bei Hearings eines mitberatenden Ausschusses an der Aussprache beteiligen sowie Fragen stellen (vgl. § 69 Abs. 3 S. 3 GO-BT).119 Das Rederecht von Mitgliedern des Bundesregierung oder des Bundesrats nach Art. 43 Abs. 2 S. 2 GG umfasst zudem kein Recht, die Auskunftspersonen zu befragen, wiewohl die Möglichkeit hierzu freiwillig eingeräumt werden kann.120 Von dem Instrument öffentlicher Anhörungen wird in der Parlamentspraxis reger Gebrauch gemacht. Zwar lässt sich in der Anfangszeit der Bundesrepublik eine Reserviertheit gegenüber der Nutzung dieses Verfahrensmodus ausmachen. So fanden in der 1. Wahlperiode keine, in der 2. und 3. Wahlperiode zwei bzw. eine und in der 4. Wahlperiode sechs öffentliche Anhörungen statt. Ab der 5. Wahlperiode kam es jedoch zu einem sprunghaften Anstieg auf 58 Hearings. Im weiteren Verlauf wurde dieses Instrument im zunehmenden Maße genutzt, sodass sich die Anzahl öffentlicher Anhörungssitzungen kontinuierlich auf zuletzt 566 in der 17. Wahlperiode gesteigert hat.121 Mittlerweile entspricht es
117 Als Beispiel nennt Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 19 die Erörterung von Gutachten, welche die Folgen politischer Maßnahmen bewerten oder der längerfristigen Planung dienen, ohne einen direkten Bezug zu einer Gesetzesvorlage aufzuweisen. 118 Heynkes, ZParl 2008, S. 459 (470 f.); Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. I. 2. b). 119 Umgekehrt steht Mitgliedern des mitberatenden Ausschusses keine beratende Stimme bei Anhörungen des federführenden Ausschusses zu, sofern ein solches nicht ausdrücklich gewährt wird. So Auslegungsentscheidung 14/2 vom 25.3.1999 zur § 70 GO-BT, Ziff. 2 und 3. 120 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. I. 1. a). 121 So wurden in der 17. Wahlperiode im Schnitt für 37,5 % der Gesetzesvorlagen öffentliche Anhörungssitzungen durchgeführt. Siehe hierzu insgesamt Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949–1999, Bd. II, Kapitel 9.8, S. 2123 sowie nach Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 8.7, S. 2 f., abrufbar unter: https://www.bundes tag.de/datenhandbuch (08.10.2019).
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jedenfalls für bedeutende Gesetzesvorhaben dem Regelfall mindestens eine Anhörung im Sinne von § 70 GO-BT zu veranstalten.122 b) Verfassungsrechtliche Bewertung Zusammenfassend dienen Hearings zwar auch der effektiven Steigerung parlamentarischer Publizität im Rahmen des Ausschussverfahrens. Gleichwohl kompensieren sie nicht die Öffentlichkeitsdefizite im Rahmen von § 69 GO-BT. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Anhörungen zum einen auf rein freiwilliger Basis erfolgen und sich zum anderen nur auf einen eng umgrenzten Teil der Ausschussarbeit beschränken. Sie betreffen nur den Bereich der Informationsgewinnung und nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, wie sie den allgemeinen Beratungssitzungen vorbehalten ist. Die Pflicht zur Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bzw. aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz zielen dagegen auf eine Öffnung des gesamten Beratungsverlaufs bzw. jedenfalls der Schlussberatung ab. Zwar kann neben der isolierten Befragung der Auskunftspersonen gemäß § 70 Abs. 5 GO-BT zur Klärung des Sachverhalts eine allgemeine Aussprache durchgeführt werden, die auch den kontradiktorischen Austausch von Argumenten zulässt,123 wobei die Zeitaufteilung diesbezüglich in der Regel durch Vereinbarung der Fraktionen erfolgt.124 Gleichwohl dürfen Sachbeschlüsse in Gegenwart der Auskunftspersonen nicht gefasst werden.125 Auch die Informationsgewinnung von Mitgliedern der Exekutive findet regelmäßig nicht im Rahmen von § 70 GOBT, sondern während der regulären Beratungen statt. Infolge der allein punktuellen und freiwilligen Öffentlichkeit vermag daher auch § 70 GO-BT die Defizite von § 69 GO-BT hinsichtlich der Umsetzung der verfassungsrechtlich gebotenen Ausschussöffentlichkeit nicht zu kompensieren. 4. Exkurs: Erklärungsöffentlichkeit als funktionales Äquivalent? Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten, dass die Regelung der Ausschussöffentlichkeit in § 69 GO-BT nicht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen 122 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 126. Zur Entwicklung der tatsächlichen Nutzung von Hearings siehe auch ausführlich Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 13 ff. Diese führt die Anlaufschwierigkeiten auf die Raumknappheit in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik, die Unerfahrenheit der Parlamentarier im Umgang mit dem neuen Geschäftsordnungsinstrument, die Fixierung der ersten Wahlperioden auf die Plenararbeit sowie einen im parlamentarischen Nachkriegsdeutschland herrschenden Zeitdruck, die gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bewältigung der Kriegsfolgen auf den Weg bringen zu müssen, zurück. 123 So auch Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 240. 124 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 129. 125 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 70, Bem. IV. 1.
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Vorgaben steht. Fraglich bleibt insofern allein, ob durch weitere Vorschriften des Geschäftsordnungsrechts, welche in Gestalt verschiedener Formen der Erklärungsöffentlichkeit eine mittelbare Transparenz der Ausschusssitzungen schaffen, ggf. ein funktionales Äquivalent für die unzureichend ausgestaltete Sitzungsöffentlichkeit der Ausschüsse bereitgestellt wird, sodass § 69 GO-BT nicht als verfassungswidrig einzuordnen wäre. Wie gesehen,126 folgt aus der grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit nach § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT nicht zwingend die Vertraulichkeit oder Geheimhaltung des Beratungsgegenstandes. Ausschussmitglieder können mithin nach Beendigung der Sitzung über deren Inhalt berichten. In der Praxis wird daher ein erhebliches Maß an Publizität von Ausschusssitzungen etwa durch Pressemitteilungen der Ausschüsse oder Fraktionen sowie in Form von Interviews der an den Beratungen beteiligten Abgeordneten hergestellt. Des Weiteren wird eine mittelbare Publizität von Ausschussberatungen über das Instrument der Ausschussberichterstattung an das seinerseits öffentlich verhandelnde Plenum bewirkt. Schließlich wird die indirekte Einsehbarkeit der Ausschussarbeit dem Grunde nach auch über die Anfertigung schriftlicher Sitzungsprotokolle gefördert. Diese Ausprägungen der Erklärungsöffentlichkeit unterscheiden sich jedoch allesamt grundlegend von der analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bzw. nach dem allgemeinen Öffentlichkeitgrundsatz gebotenen Verhandlungsöffentlichkeit. Eine nur durch Intermediäre vermittelte Transparenz kann gerade nicht durch die eigene Anschauung auf den Prüfstand gestellt werden. Erklärungsöffentlichkeit ist notwendigerweise eine vom jeweiligen Mittler durch Auswahl und Darstellung von Elementen des Geschehensverlaufs geprägte bzw. eine im Einzelfall – man denke an Pressestatements – sogar gezielt gesteuerte Öffentlichkeit.127 Auch die Ausschussberichterstattung bleibt im Ergebnis unvollständig. Solche Berichte beziehen sich gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 GO-BT nur auf überwiesene Vorlagen, sodass der Bereich des Selbstbefassungsrechts vollständig ausgeklammert ist.128 Zwar wird der Sitzungsverlauf idealiter129 in seinen wesentlichen Zügen zusammenfassend wiedergegeben. Konkrete Details wie auch das dynamische 126 Siehe hierzu und zum Folgenden insbesondere Kap. 3 B. II. 1. d); ferner auch Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 79; vgl. auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 42, Rn. 38; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 332. 127 Linck, ZParl 23 (1992), S. 673 (676 f.); Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 105. 128 Zum Teil wird jedoch rechtspolitisch eine regelmäßige Berichterstattung auch diesbezüglich gefordert. So etwa Magiera, Parlament und Staatsleitung, 1979, S. 136; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 137 f. 129 In der Praxis ist hierbei gleichwohl zu bedenken, dass bei eiligen Gesetzesvorhaben die zeitliche Taktung der zweiten Lesung der Erarbeitung eines instruktiven Ausschussberichts mitunter entgegensteht. Siehe Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 76; vgl. hierzu auch Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 110.
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Element des tatsächlichen Diskussionsverlaufs, welches nicht zuletzt die Überzeugungskraft vorgetragener Argumente bestimmt, können indes anhand eines schriftlichen Berichts nicht vergleichbar nachvollzogen werden.130 Diese Schwächen gelten gleichermaßen für die Ausschussprotokolle. Die Erklärungsöffentlichkeit bleibt im Ergebnis stets „willkürlich, zufällig und bruchstückhaft“.131 Sie kann die Sitzungsöffentlichkeit daher nicht substituieren, sondern allenfalls ergänzen.132 Somit bleibt es bei dem festgestellten Zwischenergebnis, dass § 69 GO-BT in seiner jetzigen Form verfassungswidrig ist.
III. Bisherige inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit Nachdem mit Blick auf den Anwendungsbereich der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit die Insuffizienz der geschäftsordnungsrechtlichen Vorschriften festgestellt wurde, schließt sich die Frage an, ob der vorhandene Regelungsbestand des Parlamentsrechts im Übrigen zur Umsetzung der inhaltlichen Reichweite der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit133 grundsätzlich geeignet wären. Soweit dies der Fall wäre, bedürfte es lediglich einer hypothetischen Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 69 GO-BT, um einen verfassungsmäßigen Zustand herzustellen. Zur Beantwortung dieser Frage ist das Augenmerk – spiegelbildlich zur verfassungsrechtlichen Untersuchung – auf die geschäftsordnungsrechtliche und parlamentspraktische Handhabung der verschiedenen Teilbereiche der Verhandlungsöffentlichkeit, namentlich auf die Sitzungs(1.) und Berichterstattungsöffentlichkeit (2.), die Mündlichkeit der Ausschussverhandlung (3.) sowie die materiell-rechtliche Nachvollziehbarkeit des Sitzungsinhalts (4.) zu richten. Schließlich ist die Ausgestaltung eines Ausschlusses der Ausschussöffentlichkeit in der GO-BT als Grenze der inhaltlichen Reichweite zu betrachten (5.). 1. Ausgestaltung der Sitzungsöffentlichkeit a) Umfang des Zuschauerraums Zunächst müssten in tatsächlicher Hinsicht die Voraussetzungen an das Vorhalten eines hinreichend großen Zuschauerraums im Rahmen der Ausschusssitzungen gegeben sein.134 Die Sitzungssäle der Ausschüsse im Bundestag sind zumeist in den zylindrischen Türmen des Paul-Löbe-Hauses untergebracht135 und 130
Siehe hierzu bereits Kap. 3 C. II. 1. b) aa). Steiger, Studium Generale 23 (1970), S. 710 (721). 132 Rösch, Geheimhaltung, 1999, S. 114. 133 Siehe hierzu Kap. 4. 134 Kap. 4 A. I. 1. a) aa). 135 Lediglich der Europasaal, in welchem der EU-Ausschuss als zahlenmäßig größter Ausschuss tagt, befindet sich im zweiten und dritten Geschoss der großen Ostrotunde 131
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bieten trotz der begrenzten Grundfläche infolge ihres zweistöckiger Zuschnitts auf der Galerie je etwa 50 Besuchern Platz.136 Dies ist mit Blick auf den zur Verfügung stehenden Raum vollkommen angemessen und stellt jedenfalls keine faktische Vereitelung der Ausschussöffentlichkeit dar. Das verfassungsrechtliche Mindestmaß an die allgemeine Zugänglichkeit ist mithin gewahrt. b) Administration und Begrenzung des Zugangs im Rahmen des Hausrechts Die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen ist nach § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT hergestellt, wenn Presse und sonstigen Zuhörern im Rahmen der Raumverhältnisse Zutritt gewährt wird. Spezielle Vorgaben für die Art und Weise der Zutrittsgewährung trifft die Geschäftsordnung des Bundestages indes nicht. Um eine – mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG gebotene – gleichmäßige und einheitliche Ausübung des insofern einschlägigen Hausrechts zu gewährleisten, erlässt der Bundestagspräsident – in seiner Funktion als Leiter der Bundestagsverwaltung – nach § 7 Abs. 2 S. 2 GO-BT im Benehmen137 mit dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung eine Hausordnung.138 Diese weist den Rechtscharakter einer Verwaltungsvorschrift auf, welche ermessensbindende Maßgaben für die Handhabung des Hausrechts bereitstellt.139 Explizite Vorgaben für den Zugang zu Sitzungen macht die Hausordnung allerdings allein mit Blick auf die Besuchertribüne des Plenarsaals in § 3 Abs. 2 Hausordnung des Deutschen Bundestages. Hinsichtlich der Zugänglichkeit von Ausschusssitzungen können insofern allein die gängige Parlamentspraxis sowie die allgemeinen Bestimmungen der Hausordnung über den Zutritt zum Bundestagsgebäude – als des Paul-Löbe-Hauses. Er ist mit 261 m2 deutlich größer als die anderen Ausschusssäle und stellt ebenfalls eine Zuschauergalerie zur Verfügung. Siehe hierzu Deutsche Bundestag, Ein Rundgang durch das Parlament und seine Häuser, S. 66, abrufbar unter: https://www.btg-bestellservice.de/pdf/40311000.pdf (08.09.2019). 136 Deutsche Bundestag, Ein Rundgang durch das Parlament und seine Häuser, S. 65 ff., abrufbar unter: https://www.btg-bestellservice.de/pdf/40311000.pdf (08.09. 2019). 137 Die Norm spricht wörtlich vom „Einvernehmen“, sodass eine Zustimmung des Ausschusses konstitutiv wäre. Dies kann jedoch mit Blick darauf, dass das Hausrecht und damit auch die Befugnis zum Erlass einer Hausordnung als Teil desselben, dem Bundestagspräsidenten in eigener Verantwortung anvertraut ist, nicht sein. Mithin ist die Geschäftsordnungsbestimmung verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Erlass der Hausordnung nur im Benehmen mit dem Ausschuss erfolgen muss. Siehe hierzu auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 159. 138 Hausordnung des Deutschen Bundestages (Anhang 1 zur GO-BT) in der Fassung vom 7. August 2002 (BGBl. I S. 3483), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 18. Oktober 2018 (BGBl. I S. 2246). 139 So schon VG Berlin, NJW 2002, 1063 (1065); siehe auch Brocker, in: Epping/ Hillgruber, Art. 40, Rn. 49 sowie H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 160 ff., der diese zugleich von Rechtsverordnungen, autonomen Parlamentsrecht sowie Allgemeinverfügungen nach § 35 S. 2 VwVfG abgrenzt.
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denknotwendig dem Zutritt zu Ausschusssitzungen vorgeschaltete Zugangsvoraussetzungen – untersucht werden. Für den Besuch öffentlicher Ausschusssitzungen wird in der parlamentarischen Praxis140 regelmäßig eine vorherige Anmeldung per E-Mail oder Fax beim Sekretariat des jeweiligen Ausschusses unter Nennung des Datums und Themas der Sitzung sowie des Namens und Geburtsdatums des Besuchers verlangt. Bei der Anmeldung wird darauf hingewiesen, dass infolge möglicher Kapazitätsengpässe der Zugang nicht garantieren werden kann und daher ein frühzeitiges Erscheinen angeraten wird, da die verfügbaren Plätze nach dem Prioritätsprinzip vergeben werden. Schließlich besteht das Bedürfnis, sich bei der Einlasskontrolle mittels Personalausweis oder Reisepass auszuweisen. Der Zugang zum Bundestagsgebäude wird nach § 2 Abs. 6 Hausordnung des Deutschen Bundestages für Gäste nur aufgrund einer Einlasskarte bzw. eines Tagesausweises, der beim Pfortendienst gegen Hinterlegung eines amtlichen Ausweises ausgegeben wird, gestattet. Für Pressevertreter muss gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 Hausordnung des Deutschen Bundestages eine vorherige Akkreditierung erfolgen. Nach § 2 Abs. 6a bis 6c Hausordnung des Deutschen Bundestages ist Besuchern und Pressevertretern der Zutritt nur nach vorheriger Zuverlässigkeitsüberprüfung zu gestatten, die insbesondere in Form einer Einsichtnahme in das Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei beim Deutschen Bundestag sowie in das Informationssystem der Polizei erfolgt. Die hierfür erforderlichen Daten sind bereits bei der Anmeldung bzw. Akkreditierung anzugeben. Ferner müssen Besucher nach Ziffer II.1 Zugangs- und Verhaltensregeln für den Bereich der Bundestagsliegenschaften141 beim Betreten des Gebäudes die Eingänge mit Sicherheitsschleusen und Röntgenstrecken benutzen und sich einer Sicherheitskontrolle unterziehen. Für Besucher parlamentarischer Sitzungen gilt zusätzlich nach § 5 Abs. 1 Hausordnung des Deutschen Bundestages die Verpflichtung, Mäntel, Schirme, Koffer, Taschen sowie Geräte zur Aufzeichnung, Übermittlung, Übertragung oder Wiedergabe von Bild und Ton sowie Ferngläser und ähnliche Gegenstände an den Garderoben abzugeben. Mit Blick auf das für eine Zugangsgewährung vorausgesetzte Verhalten im Parlament sind vor allem die in § 4 Hausordnung des Deutschen Bundestages aufgestellten Verhaltensgebote maßgeblich. Nach § 4 Abs. 1 ist im Bundestagsgebäude Ruhe und Ordnung zu wahren, die Würde des Hauses zu achten sowie
140 Die folgenden Ausführungen basieren auf einem Interview, das der Verfasser mit der Ausschusssekretärin des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages geführt hat. 141 Zugangs- und Verhaltensregeln für den Bereich der Bundestagsliegenschaften vom 2. Januar 2002 in der vom Ältestenrat am 27. April 2017 beschlossenen Fassung, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/340518/cfa7e4876f107486f 356c066f177927a/zugangsregeln-data.pdf (09.10.2019).
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auf dessen Arbeit Rücksicht zu nehmen. Insbesondere sind störende Handlungen mit Blick auf die Tätigkeit des Deutschen Bundestages, seiner Gremien, Organe und Einrichtungen zu unterlassen. Explizit wird in § 4 Abs. 2 Hausordnung des Bundestages darauf hingewiesen, dass das Entfalten von Spruchbändern oder Transparenten, das Zeigen oder Verteilen von Informationsmaterial sowie das Anbringen von Aushängen grundsätzlich unzulässig sind. Ferner untersagt § 4 Abs. 3 die Werbung für oder den Vertrieb von Waren und das Abhalten von Versammlungen im Bundestagsgebäude. Die vorgenannte Parlamentspraxis und die Vorgaben im Rahmen der Hausordnung genügen den zur Ausschussöffentlichkeit herausgearbeiteten Anforderungen an die Administration des Zugangs zum Deutschen Bundestag. Das Erfordernis einer vorherigen Anmeldung und die Verteilung der vorhandenen Sitzplätze nach dem Prioritätsprinzip entsprechen den verfassungsrechtlichen Maßgaben. In der Praxis werden zudem die Anforderungen an die Bereitstellung eines gewissen Kontingents von bevorzugt an Medienvertreter zu vergebenden Sitzplätzen beachtet. Zur Gewährleistung der Sicherheit im Parlamentsgebäude und damit im Interesse der parlamentarischen Funktionsfähigkeit stellen die vorherige Zuverlässigkeitsprüfung sowie die Einlasskontrolle verfassungsrechtlich zulässige Begrenzungen der allgemeinen Zugänglichkeit dar.142 Für das Erfordernis der Abgabe von Mänteln, Jacken, Koffern etc. ist bereits fraglich, ob es sich überhaupt um eine Einschränkung der Öffentlichkeit handelt. Jedenfalls sind auch solche Maßnahmen aus Sicherheitserwägungen und damit zur Gewährleistung parlamentarischer Funktionsfähigkeit zulässig. Im Sinne eines störungsfreien Sitzungsablaufs ist weiterhin nichts gegen die für Einzelbesucher und Besuchergruppen143 statuierte Pflicht, Bild- und Tonaufnahmegeräte abzugeben, einzuwenden. Hinsichtlich der Unzulässigkeit von Ferngläsern spricht hierfür auch die Erwägung der Vermeidung eines unbefugten Einsehens von Dokumenten. Ferner sind die von § 4 Hausordnung des Deutschen Bundestages aufgestellten Verhaltensgebote jedenfalls insoweit zulässig, als sie der Absicherung der parlamentarischen Funktionsfähigkeit dienen.144 So dürfte etwa gegen die Verbote einer Entfaltung von Spruchbändern und Transparenten etc., des Verteilens von Informationsmaterialien, des Anbringens von Plakaten, der Bewerbung und des Verkaufs von Waren oder des Abhaltens von Versammlungen, die jeweils Störungen des Parlamentsbetriebes konstituieren, nichts einzuwenden sein, zumal dem
142 Vgl. für die Ausweiskontrolle auch Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 42, Rn. 9. 143 Diese Verpflichtung gilt freilich nicht für Medienvertreter, die – wie gesehen (Kap. 4 A. II. 2. – im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG über das Recht verfügen, mittels medienspezifischer Hilfsmittel wie Kameras oder Tonaufnahmegeräten zu berichten. 144 Siehe hierzu bereits Kap. 4 A. I. 1. b).
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Bundestag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie ein grundsätzlich weiter Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Herstellung seiner eigenen Funktionsfähigkeit zukommt. Nicht unproblematisch ist hingegen der Verweis auf eine Verletzung der „Würde“ des Hauses (§ 4 Abs. 1 S. 2 Hausordnung des Deutschen Bundestages), da diese tatbestandlich sehr weit gefasst ist und dem Wortlaut nach keinerlei Anknüpfung an die parlamentarische Funktionsfähigkeit beinhaltet. Allerdings lassen sich auch diese Begrifflichkeiten dahingehend verfassungskonform auslegen, dass eine Verletzung von Anstand und Würde allein bei solchem Verhalten angenommen werden kann, welches den Sitzungsverlauf und damit die Arbeit der Ausschüsse im Sinne von § 4 Abs. 1 Hausordnung des Deutschen Bundestages tatsächlich beeinträchtigt. c) Ausschluss von Störern Ferner müssten die Vorschriften über den Ausschluss von Störern in Ausschusssitzungen den verfassungsrechtlichen Vorgaben145 entsprechen. Gemäß § 59 Abs. 3 GO-BT übt der Ausschussvorsitzende gegenüber Zuhörern während der Sitzungen die „Ordnungsgewalt“ aus. Die parlamentarische Ordnungsgewalt zielt als Ausfluss der Geschäftsordnungsautonomie nach Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG darauf ab, einen geordneten Sitzungsablauf sicherzustellen.146 Fraglich ist allerdings, ob ein Ausschluss von externen Störern überhaupt auf das Ordnungsrecht gestützt werden kann. An der Formulierung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG, wonach der Bundestag „sich“ eine Geschäftsordnung gibt, wird ersichtlich, dass das Parlament – in seinem jeweiligen Mitgliederbestand – selbst Regelungsadressat der Geschäftsordnung ist. Mit Blick auf den persönlichen Anwendungsbereich nimmt die herrschende Meinung daher zu Recht an, dass der Geschäftsordnung als Intraorganrecht lediglich für die Mitglieder des Parlaments Rechtsverbindlichkeit zukommt.147 Die inhaltliche Bindung Dritter, etwa von Mitgliedern anderer Verfassungsorgane, von sonstigen Teilnehmern des parlamentarischen Verfahrens sowie der gesellschaftlichen Öffentlichkeit in Form von Zuhörern erfolgt hiernach in der Regel nicht. Eine Drittwirkung von Geschäftsordnungsbestimmungen
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Siehe hierzu Kap. 4 A. I. 1. d). Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 167; Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, Parlamentsrecht, § 34, Rn. 55 f.; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 100 f. 147 BVerfGE 1, 144 (148); Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 61; ders./Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 39; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 177; K. Stern, Staatsrecht I, S. 84; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 65; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 40, Rn. 7; Pietzcker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 20; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Vorb. zu §§ 36 bis 41, Bem. 2; Troßmann, Parlamentsrecht, GOBT § 45, Rn. 2.2. 146
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kommt allenfalls insofern in Betracht, als sich diese auf eine spezielle Verfassungsermächtigung stützen lässt.148 Zwar plädieren verschiedene Stimmen in der Literatur dafür, die Bindungswirkung der Geschäftsordnung im Wege einer funktionalen Interpretation des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG auf Personen, die kraft eigenen Rechts oder verfassungsrechtlicher Verpflichtung am parlamentarischen Verfahren beteiligt sind (vgl. Art. 43 Abs. 2 GG),149 auf Personen die sich auf Einladung des Bundestages in freier Entscheidung an dessen Sitzungen beteiligen (insbesondere im Rahmen von Hearings oder Enqûete-Kommissionen)150 oder sogar auf nicht am parlamentarischen Verfahren beteiligte Zuhörer151 zu erweitern. Jedenfalls einer Extension der Ordnungsgewalt auf Zuhörer ist jedoch die auf intraparlamentarische Rechtsverhältnisse beschränkte Wirkung der Geschäftsordnung entgegenzuhalten.152 Störungen, welche durch nicht am parlamentarischen Verfahren beteiligte Personen verursacht werden, sind vielmehr durch Ausübung des dem Bundestagspräsidenten nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG zugeordneten Hausrechts bzw. seiner Polizeigewalt abzuwenden oder zu beseitigen.153 Die Erstreckung der „Ordnungsgewalt“ des Ausschussvorsitzenden auf Zuhörer könnte diesen gegenüber mithin nur dann verbindliche Rechtsfolgen zeitigen, wenn entsprechende Maßnahmen auf dem verfassungsrechtlichen Hausrecht fußen würden.154 Problematisch ist diesem Zusammenhang jedoch, dass das Hausrecht nach Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG bzw. § 7 Abs. 2 S. 1 GO-BT originär dem Bundestagspräsidenten zugewiesen ist, was die Frage nach dessen Ausübung im Rahmen von Ausschusssitzungen aufwirft. Dabei könnte das Hausrecht während Ausschusssit148 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 30; ders., in: BK, Art. 40, Rn. 255; Magiera, in: Sachs, Art. 40, Rn. 22. Beispiele hierfür ist etwa das Recht, Mitglieder der Bundesregierung zu zitieren, welches auf Art. 43 Abs. 1 GG beruht. 149 So H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 67 f.; vgl. auc Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 14; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 115, die, sofern es sich dabei um Mitglieder anderer Verfassungsorgane handelt, zusätzlich auf den Gedanken der Verfassungsorgantreue abstellen. 150 So H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 69; Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 13; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, S. 83 f. 151 Morlok, in: Dreier, Art. 40, Rn. 13; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 77 ff. 152 Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 61; Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 39; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 255. 153 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 70; so auch Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 177; Pietzcker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 10, Rn. 25. 154 Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 34, Rn. 5; zur Stützung der Befugnisse der Sitzungsleitung gegenüber Zuhörern nach § 41 Abs. 1 GO-BT im Rahmen der Plenarverhandlung siehe auch Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Vorb. §§ 36–41, Bem. 2.; Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 45, Rn. 2.2; Roll, GO-BT, § 41, Rn. 2; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 70; Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 632.
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zungen auf den jeweiligen Vorsitzenden delegiert sein. Ausdrücklich findet sich hierzu keine Regelung in der Geschäftsordnung. Verschiedene Stimmen in der Literatur gehen indes von einer stillschweigenden Übertragung aus.155 Hierfür spricht, dass § 59 Abs. 3 GO-BT selbst die „Ordnungsgewalt“ des Ausschussvorsitzenden auch auf Zuhörer erstreckt. Joseph Bücker weist insofern zu Recht darauf hin, dass infolge der mangelnden Bindungswirkung der geschäftsordnungsrechtlichen Ordnungsgewalt gegenüber Parlamentsexternen, die Norm nur so verstanden werden kann, dass sie sich auf eine im Hausrecht verwurzelte „allgemeine“ Ordnungsgewalt gegenüber Zuhörern bezieht.156 Wenn diese jedoch während der Ausschusssitzung nach § 59 Abs. 3 GO-BT dem Vorsitzenden zusteht, muss damit notwendig auch das Hausrecht für die Dauer derselben auf den Vorsitzenden delegiert sein. Hinsichtlich der in Ausübung des Hausrechts dem Ausschussvorsitzenden möglichen Maßnahmen ist zunächst zu konstatieren, dass diese nicht weiter reichen können, als die dem Bundestagspräsidenten im Rahmen der Plenarverhandlung erlauben Befugnisse.157 Sofern weniger einschneidende Maßnahmen wie eine formlose Ermahnung nicht reüssieren, können daher einzelne störende Zuhörer, welche Beifall oder Missbilligung äußern oder Ordnung und Anstand in sonstiger Weise verletzen, vom Vorsitzenden gemäß §§ 41 Abs. 2 S. 2, 59 Abs. 3 GO-BT nach dessen Ermessen aufgefordert werden, die Sitzung zu verlassen.158 Die nach § 41 Abs. 2 S. 2 GO-BT dem Präsidenten eingeräumte Befugnis, wegen störender Unruhe – sofern sich ein einzelner Störer nicht identifizieren lässt – als ultima ratio159 vorübergehend den Zuschauerraum räumen zu lassen, steht dem Ausschussvorsitzenden über § 59 Abs. 3 GO-BT ebenfalls zu.160 Sie dürfte jedoch in der Praxis der Ausschussberatungen wegen der sehr viel überschaubareren räumlichen Verhältnisse nicht relevant werden. Mit Blick die weitere inhaltliche Ausfüllung eines potentiell störenden Verhaltens kann ergänzend auf das von Zuhörern geforderte Verhalten in parlamentarischen Sitzungen i. S. v. § 5 Abs. 2 und 3 Hausordnung des Deutschen Bundestages abgestellt werden. Dieser normiert beispielhaft die Verhaltenspflichten von Besuchern, die zugewiesenen Sitzplätze einzunehmen, Beifalls- und Missfallens155 Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 34, Rn. 5; Toßmann, GO-BT, § 71, Rn. 2.5; a. A. Kretschmer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 9, Rn. 108. 156 Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 34, Rn. 5. 157 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 59, Bem. III. a). 158 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 59 GO-BT, Bem. III. b).; Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 71, Rn. 2.5; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 78. 159 Siehe Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 34, Rn. 54; Ritzel/Bücker/ Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 41, Bem. II. 2. 160 So auch Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 71, Rn. 2.5.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
kundgebungen, Zwischenrufe, Verletzungen von Ordnung oder Anstand sowie sonstige Handlungen zu unterlassen, die geeignet sind, den Ablauf der Sitzungen zu stören. Im Gegensatz zum Hausrecht wird die Polizeigewalt während der Ausschusssitzungen nicht auf den Vorsitzenden übertragen, sondern verbleibt beim Parlamentspräsidenten.161 Sofern es in diesem Rahmen zu Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung kommt – etwa weil einer hausordnungsrechtlichen Aufforderung, den Sitzungssaal zu verlassen, nicht Folge geleistet wird – kann der Ausschussvorsitzenden gemäß § 59 Abs. 4 GO-BT die Sitzung unterbrechen oder im Einvernehmen mit den Fraktionen beenden,162 um anschließend den Präsidenten zu verständigen, welcher der Störung sodann durch Anordnung polizeilicher Maßnahmen abhelfen kann. Da die Wahrnehmung des Hausrechts einen öffentlich-rechtlichen Charakter aufweist,163 unterfallen jedenfalls grundrechtsrelevante Anordnungen – insbesondere in Form einer relevanten Beschränkung des von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG verbürgten Zugangsrechts einzelner Zuhörer – dem Vorbehalt des Gesetzes.164 Weder die Hausordnung des Bundestages noch dessen Geschäftsordnung stellen jedoch eine einfachgesetzliche Regelung dar, sodass zu Recht überwiegend davon ausgegangen wird, dass die entsprechenden Maßnahmen direkt auf Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG fußen, wobei vom Gebot, dass aus einer Aufgabenzuweisung nicht gleichzeitig eine Eingriffsermächtigung folgt, eine Ausnahme zu machen ist.165 Nicht anderes gilt für Maßnahmen in Ausübung der Polizeigewalt. Es existiert kein einfaches Bundesgesetz, welches den Bundestagspräsidenten zu polizeilichen Eingriffen ermächtigt.166 Um diesen daher im Rahmen der Polizeigewalt nicht auf rechtlich unverbindliche Meinungsäußerungen zu beschränken, verbleibt nur die Möglichkeit, Eingriffsbefugnisse unmittelbar auf die verfassungs-
161 Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 34, Rn. 5, Fn. 11, Rn. 56; Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 17, Rn. 2.5. 162 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 59, Bem. III. b); Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 78. 163 Siehe dazu schon Kap. 4 A. I. 3. d). 164 Das Erfordernis einer Befugnisnorm für die Ausübung des Hausrechts ist nicht ganz unumstritten. Dagegen etwa: Gerhardt, BayVBl. 1980, S. 724 (725); Knemeyer, VBlBW 1982, S. 249 (251). Dafür: Berg, JuS 1982, S. 260 (262); Ehlers, DÖV 1977, S. 737 (740); Zeiler, DVBl 1981, S. 1000 (1002 f.). 165 So H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 173; vgl. auch Ehlers, DÖV 1977, S. 737 (740); Zeiler, DVBl 1981, S. 1000 (1002). 166 Das Gesetz über die Bundespolizei sieht zwar die üblichen polizeirechtlichen Befugnisse vor, erstreckt diese jedoch nicht auf den Bundestagspräsidenten. Vgl. auch § 1 Abs. 1 BPolG.
A. Bewertung der aktuellen geschäftsordnungsmäßigen Rechtslage
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rechtliche Ermächtigung in Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG zu stützen.167 Mit Blick auf das Bestimmtheitserfordernis ist zur Konkretisierung der Eingriffsvoraussetzungen auf die im BPolG bzw. die in den Landespolizeigesetzen übereistimmend formulierten Grundsätze des Polizeirechts zu rekurrieren.168 Inhaltlich umfasst die Polizeigewalt daher alle Befugnisse, die der Polizei üblicherweise zur Gefahrenabwehr zur Verfügung stehen, vor allem Polizeiverfügungen, jedoch gleichermaßen Polizeiverordnungen und Realakte.169 Die Vorschriften bezüglich eines Ausschlusses störender Zuschauer von (potentiell öffentlichen) Ausschusssitzungen entsprechen dabei den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausschussöffentlichkeit. Mit Blick auf die Gewährleistung der parlamentarischen Funktionsfähigkeit sind die in § 41 Abs. 2 GO-BT vorgesehenen Möglichkeiten des Ausschlusses einzelner Zuschauer bzw. einer Räumung der Zuschauergalerie als ultima ratio verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das insoweit sanktionierte Äußern von Beifall oder Missbilligung sowie die Verletzung der Ordnung stellen Störungen des geordneten Sitzungsablaufs und damit der parlamentarischen Funktionsfähigkeit dar. Die entsprechenden Geschäftsordnungsbestimmungen können verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass jedenfalls völlig unerhebliche und die Funktionsfähigkeit des Ausschusses nicht ernsthaft berührende Störungen nicht genügen, um einen Zuhörer auszuschließen.170 In diesem Sinne ist auch das Erfordernis nach § 5 Abs. 2 Hausordnung des Deutschen Bundestages, während der Sitzungen den zugewiesen Zuschauerplatz einzunehmen, zur Vermeidung einer störenden Unruhe im Saal gerechtfertigt. 2. Ausgestaltung der Berichterstattungsöffentlichkeit Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der geschäftsordnungsrechtlichen Vorschriften zur Berichterstattungsöffentlichkeit kann erneut zwischen amtlicher (a)) und nichtamtlicher Berichterstattung (b)) unterschieden werden. a) Amtliche Ausschussberichterstattung In Bezug auf das gebotene Maß amtlicher Berichterstattung macht die Verfassung nur zurückhaltende Vorgaben.171 Da das insofern erforderliche Mindest167 Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 40, Rn. 52; ders., in: BK, Art. 40, Rn. 265; Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 40, Rn. 53; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 170 f.; a. A. Ramm, NVwZ 2010, S. 1461 (1466). 168 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 170; Köhler, DVBl 1992, S. 1577 (1581). 169 Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Art. 40, Rn. 64; Brocker, in: BK, Art. 40, Rn. 297; H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 169; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 40, Rn. 11. 170 Siehe hierzu bereits Kap. 4 A. I. 1. d). 171 Siehe hierzu Kap. 4 A. II. 1.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
niveau amtlicher Berichterstattung allerdings die Anfertigung eines die Nachvollziehbarkeit des Sitzungsinhalts im Wesentlichen gewährleistenden Inhaltsprotokolls umfasst, müsste sich diese Vorgabe im Rahmen der GO-BT widerspiegeln. Über Plenarsitzungen des Bundestages sind nach § 116 Abs. 1 GO-BT zwingend stenografische Berichte anzufertigen, welche den genauen Wortlaut von Redebeiträgen sowie die Reaktionen hierzu im Auditorium wiedergeben. Für Ausschüsse gilt diese Vorgaben jedoch nicht nach § 74 GO-BT entsprechend, da die Spezialnorm des § 73 GO-BT vorrangig greift. Gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 GO-BT ist von jeder Ausschusssitzung ein schriftliches Protokoll anzufertigen. Ausweislich der Mindestanforderungen nach § 73 Abs. 1 S. 2 GO-BT hat dieses alle Anträge und Beschlüsse des Ausschusses wiederzugeben (sog. Beschlussprotokolle). Überdies wird z. T. gefordert, dass die Protokolle in konzentrierter Form den wesentlichen Verhandlungsverlauf mit den Hauptargumenten für und wider die getroffenen Entscheidungen beinhalten.172 In der Praxis existieren verschiedene Protokolltypen, die in ihrem Informationsgehalt variieren. Es steht dabei im Ermessen des Ausschusses generell oder im Einzelfall eine bestimmte Art der Protokollierung zu bestimmen.173 Überwiegend werden sog. „Kurzprotokolle“ angefertigt, die den wesentlichen Gang der Beratungen nachzeichnen,174 indem sie neben den Anträgen und Beschlüssen auch die Redebeiträge der Diskutanten chronologisch und in Kurzfassung (in indirekter Rede) wiedergegeben.175 Weitergehend besteht die Möglichkeit der Aufnahme eines Wortprotokolls, welche in der Regel in Entsprechung der Bitte einer Fraktion erfolgt und ggf. im Wege eines Mehrheitsbeschlusses festgeschrieben wird.176 Ein solches hält die vollständigen Wortbeiträge der Redner – mit allenfalls sprachlichen, jedoch nicht sinnverfälschenden Änderungen – fest.177 Für die Anfertigung eines Wortprotokolls bedarf es gemäß § 73 Abs. 1 S. 3 GO-BT der Genehmigung des Bundestagspräsidenten, welche nach gängiger Praxis nur in Ausnahmefällen, insbesondere bei öffentlichen Anhörungen, ansonsten ausschließlich bei besonderer inhaltlicher Zwecksetzung, erteilt wird.178
172
Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 156. Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 79. 174 Heynckes, ZParl 2008, S. 459 (475). 175 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 73, Bem. I. 2. b) cc). 176 Heynckes, ZParl 2008, S. 459 (475). 177 Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 73, Bem. I. 2. b) dd). 178 Heynckes, ZParl 2008, S. 459 (475) nennt als Beispiel hierfür den Fall einer Unterrichtung durch die Bundesregierung im Rahmen einer Krisensitzung, welche der Abwendung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses dient. Vgl. auch Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 79. 173
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Zur Frage der Einsehbarkeit von Protokollen öffentlicher Ausschusssitzungen trifft die GO-BT keine explizite Regelung. Lediglich mit Blick auf Protokolle von nichtöffentlichen Sitzungen stellt § 73 Abs. 2 GO-BT klar, dass diese grundsätzlich keine Verschlusssachen im Sinne der GSO-BT darstellen. Entsprechend kann nach § 73 Abs. 3 GO-BT i.V. m. Ziffer I der Richtlinien für die Behandlung der Ausschußprotokolle gemäß §73 Abs. 3 GO-BT179 grundsätzlich jeder, der ein berechtigten Interesse nachweisen kann, in den Räumlichkeiten der Bundestagsverwaltung Einsicht nehmen.180 Dabei gilt jedoch grundsätzlich gemäß Ziffer I.1., dass Protokolle nichtöffentlicher Sitzungen hinsichtlich einer konkreten Gesetzesvorlage erst nach Verkündung der betreffenden Norm bzw. nach Beendigung der Wahlperiode einsehbar sind.181 Weiterhin statuiert § 73 Abs. 2 S. 3 GO-BT, dass eine Kennzeichnung von Protokolle öffentlicher Ausschusssitzungen als Verschlusssache nicht zulässig ist. Wenn aber schon Protokolle nichtöffentlicher Ausschusssitzungen in erheblichem Umfang einsehbar sind und Protokolle öffentlicher Ausschusssitzungen zudem nicht als Verschlusssachen eingestuft werden dürfen, folgt hieraus im Ergebnis, dass der tatsächliche Zugang zu den Protokollen öffentlicher Sitzungen gewährleistet sein muss. In der Parlamentspraxis sind mithin Ausschussprotokolle öffentlicher Sitzungen – etwa über die Internetseite des Bundestages182 – frei zugänglich. Die in der Praxis üblichen Kurzprotokolle werden ihrem Umfang nach den verfassungsrechtlichen Mindestvorgaben an die amtliche Berichterstattung im Rahmen eines Inhaltsprotokolls gerecht. Problematisch ist mit Blick auf § 73 GO-BT daher allein, dass in dieser Vorschrift hinsichtlich verfassungsrechtlich zwingend öffentlicher Sitzungen keine ausdrückliche Pflicht normiert ist, ein Protokoll im beschriebenen Umfang zu fertigen. Der Art und Weise der Protokollierung bleibt vielmehr dem Ermessen des Ausschusses vorbehalten. Insofern entspricht die Norm in ihrer jetzigen Form partiell nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. 179 Richtlinien für die Behandlung der Ausschussprotokolle gemäß §73 Abs. 3 GOBT (Anhang 2 zur GO-BT) vom 16. September 1975, geändert durch Beschluss des Präsidiums vom 7. September 1987. 180 Über das Vorliegen eines berechtigten Interesses, entscheidet nach Ziffer I. 4. Richtlinien für die Behandlung der Ausschussprotokolle gemäß §73 Abs. 3 GO-BT der Bundestagspräsident, der die Einsichtnahme mit Auflagen verbinden kann. 181 Hiervon abweichend sind Protokolle, die nach § 73 Abs. 2 S. 2 GO-BT i.V. m. Anhang 2 Ziffer I.2. als „nur zur dienstlichen Verwendung“ gekennzeichnet wurden, auch nach Ende des Gesetzgebungsverfahrens oder der Wahlperiode nicht ohne Weiteres der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich. Hier gilt eine zusätzliche Sperrfrist, die spätestens mit Ablauf der darauffolgenden Wahlperiode endet. Entsprechende Protokolle können jedoch schon früher zugänglich gemacht werden, wenn ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme besteht. Siehe zum Ganzen Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 157 f. 182 Hier zu finden unter dem jeweiligen Internetauftritt des betreffenden Ausschusses, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ausschuesse (10.10.2019).
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
b) Nichtamtliche Ausschussberichterstattung Sofern im Rahmen von öffentlichen Ausschusssitzungen auch Medienvertretern Zugang zu gewähren wäre, ergäbe sich mit Blick auf die Modalitäten der Berichterstattung nach § 6 Abs. 1 Hausordnung des Deutschen Bundestages die Vorgabe, dass Geräte zur Aufzeichnung, Übermittlung, Übertragung oder Wiedergabe von Bild und Ton nur mit Einwilligung des Bundestagspräsidenten benutzt werden dürften.183 Die unautorisierte Ablichtung persönlicher Unterlagen, in einer Weise, dass diese lesbar sind, ist hiernach in jedem Fall untersagt. Ferner dürften gemäß § 6 Abs. 2 Hausordnung des Deutschen Bundestages Bild- und Tonaufnahmen nur von ausgewiesenen Plätzen erfolgen. Im Rahmen von Ausschusssitzungen entscheidet zudem jeder Ausschuss gemäß Ziffer 3.1 lit. e) Zugangs- und Verhaltensregeln für den Bereich der Bundestagsliegenschaften selbst über die Genehmigung von Film- und Fotoaufnahmen. Diese Regelungen sind größtenteils verfassungskonform. Insbesondere das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung von Bild- und Tonaufnahmen sowie die Beschränkung auf die ausgewiesenen Aufnahmeplätze und das Verbot der Ablichtung persönlicher Unterlagen, sind im Interesse der Funktionsfähigkeit des Bundestages zulässig. Diese gewährleisten einen strukturierten Ablauf der Berichterstattung und vermeiden störende Unruhe während der Sitzungen. Das Verbot der Ablichtung persönlicher Unterlagen dient neben der unbefangenen Arbeit der Parlamentarier im Sitzungsaal ggf. – je nach Art der Unterlagen – auch dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Abgeordneten. Lediglich die Zugangs- und Verhaltensregeln für den Bereich der Bundestagsliegenschaften, welche die Genehmigung von Film- und Fotoaufnahmen in das Ermessen der Ausschüsse stellen, sind unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel insofern unzureichend, als sie der Verpflichtung, eine Berichterstattung mit medienspezifischen Mitteln im Anwendungsbereich der obligatorischen Ausschussöffentlichkeit,184 nicht Rechnung tragen. 3. Mündlichkeit der Ausschussverhandlung Bezüglich des erforderlichen Mindestmaßes tatsächlicher mündlicher Erörterung als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit185 ergeben sich im Hinblick auf die geschäftsordnungsrechtliche und praktische Ausgestaltung der Ausschussverhandlungen keinerlei Probleme. Sofern ein Punkt auf die Tagesordnung eines Ausschusses gesetzt und nicht wieder gestrichen wird, findet hierzu in praxi eine mündliche Debatte statt.186 Ein schriftliches Verfah183 Die entsprechende Genehmigung wird in der Praxis zumeist zusammen mit der Presseakkreditierung erteilt. Siehe Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 112. 184 Siehe hierzu auch Kap. 4 A. II. 2. a). 185 Siehe hierzu Kap. 4 A. III. und Kap. 4 B. 186 Hadamek, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, § 17, Rn. 116 f.
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ren, bei dem Wortbeiträge zu Protokoll gegeben werden, kennen weder die GOBT noch die Parlamentspraxis. Die im Kontext des Ausschussverfahrens weniger strenge Strukturierung der Debatte in Rede und Gegenrede187 ist eingedenk der besonderen Funktionalitäten der Detailberatung im Ausschuss verfassungsrechtlich unproblematisch. Der Debattenstil genügt insofern dem Mindestmaß kontradiktorischer Aussprache, da auch in den Ausschüssen den Wortbeiträgen jedenfalls die wesentlichen Meinungen und Argumente der verschiedenen Akteure zu entnehmen sind, zumal sich der Ausschussvorsitzende gemäß § 59 Abs. 2 GO-BT bei der Worterteilung am Grundsatz des § 28 Abs. 1 S. 2 GO-BT zu orientieren hat, welcher seinerseits die Rücksicht auf das Prinzip von Rede- und Gegenrede vorsieht. 4. Umsetzung der Vorgaben der materiell-rechtlichen Öffentlichkeitsdimension Fernerhin müssten die materiell-rechtlichen Anforderungen der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit188 in Bezug auf die Vorbereitungs- und Einarbeitungsmöglichkeit des Publikums, die inhaltliche Nachvollziehbarkeit der Debatte sowie die Ausgestaltung von Wahlen und Abstimmungen im Rahmen der Geschäftsordnung verfassungskonform umsetzbar sein. Für den Erwerb des zum Verständnis der Sitzungen notwendigen Vorwissens durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit ist eine hinreichend zeitige Vorankündigung der Sitzung sowie des konkreten Beratungsgegenstandes verfassungsrechtlich geboten. Im parlamentarischen Geschäftsgang werden Vorlagen in Gestalt von Drucksachen in der Regel vor der ersten Beratung veröffentlicht.189 Im Rahmen der Tagesordnungen der Ausschüsse werden sowohl der Beratungsgegenstand als auch die zugehörigen Drucksachennummern angegeben. Die Tagesordnungen sollen dabei nach § 61 Abs. 1 S. 2 GO-BT den Ausschussmitgliedern in der Regel drei Tage vor der Sitzung zugeleitet werden, wobei der Tag der Verteilung nach § 123 Abs. 1 GO-BT nicht mitzurechnen ist. In der Praxis werden die Tagesordnungen, jedenfalls soweit die Ausschusssitzungen öffentlich stattfinden, regelmäßig deutlich vor dem Sitzungstermin im Rahmen des Internetauftritts des jeweiligen Ausschusses veröffentlicht.190 Gemäß § 61 Abs. 2 GO-BT können nach Eintritt in die Beratungen Ergänzungen der Tagesordnung nur noch
187
Siehe hierzu Kap. 3 B. II. 1. d) aa). Siehe hierzu Kap. 4 A. IV. 189 Siehe hierzu bereits Kap. 3 B. II. 1. d) bb). 190 Dieser Erkenntnis liegen stichprobenartige Recherche des Verfassers zu den auf Internetseite des Deutschen Bundestages veröffentlichten Tagesordnungen öffentlich stattfindender Ausschusssitzungen im Zeitraum vom August 2016 bis zum Oktober 2019 zugrunde. 188
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
vorgenommen werden, wenn nicht eine Fraktion oder ein Drittel der Ausschussmitglieder widersprechen.191 Die parlamentarische Praxis genügt grundsätzlich den Anforderungen an die verständnisfördernde Vorbereitungs- und Einarbeitungsmöglichkeit. Die Tagesordnungen sind so gestaltet, dass sich die interessierte Öffentlichkeit im Vorfeld darüber informieren kann, welche Themen in der Sitzung behandelt werden. Durch die Angabe der zugehörigen Drucksachen, welche ihrerseits veröffentlicht werden, kann bereits vorab eine Einsichtnahme und Einarbeitung in die konkrete Vorlage erfolgen. Tagesordnungen wie Verhandlungsvorlagen werden in der Praxis auch mit hinreichendem zeitlichem Vorlauf veröffentlicht, sodass eine Vorbereitung nicht faktisch ausgeschlossen ist. Die in § 61 Abs. 1 S. 2 GO-BT statuierte Drei-Tages-Frist dürfte ein generell angemessenes Mindestmaß für eine hinreichende Einarbeitung festlegen. Fraglich ist allerdings, wie die Möglichkeit zu bewerten ist, gemäß § 61 Abs. 2 GO-BT noch nach Beginn der Beratung einzelne Punkte einvernehmlich auf die Tagesordnung setzen zu können. Hier ist die Möglichkeit, sich vorab mit dem Inhalt einer Vorlage vertraut zu machen, für das Publikum de facto ausgeschlossen, sodass eine Einschränkung der materiellen Öffentlichkeit vorliegt. Diese könnte jedoch im Einzelfall vor dem Hintergrund einer besonderen Eilbedürftigkeit der Behandlung eines Themas gerechtfertigt sein. Die Funktionsfähigkeit des Parlaments schließt die Fähigkeit ein, auf besondere zeitliche Pressionen im Rahmen seiner Verfahrensgestaltung im gewissen Maße flexibel reagieren zu können.192 Hieraus ergibt sich, dass eine Ergänzung noch in der Sitzung im Einzelfall im Interesse der Funktionsfähigkeit gerechtfertigt sein kann. Im Umkehrschluss reichen andere, weniger gewichtige Gründe nicht aus, um nach § 61 Abs. 2 GO-BT zu verfahren. Insbesondere darf nicht gezielt eine frühzeitige Kenntnisnahme der gesellschaftlichen Öffentlichkeit von dem Beratungsgegenstand und eine effektive Vorbereitung hierauf unter missbräuchlicher Anwendung dieser Verfahrensvorschrift umgangen werden.193 Im Ergebnis kann § 61 Abs. 2 GO-BT daher verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass er eine spontane Ergänzung der Tagesordnung im Falle besonderer Eilbedürftigkeit gestattet.
191 Hierbei handelt es sich um ein Minderheitenrecht der Opposition, welches nicht im Wege einer Abweichung nach § 126 GO-BT umgangen werden darf. Vgl. Ritzel/ Bücker/Schreiner, Handbuch für die parlamentarische Praxis, § 126, Bem. e). 192 Insofern ist die besondere Eilbedürftigkeit etwa im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf Ausschüsse als Teilaspekt parlamentarischer Funktionsfähigkeit anerkannt. So etwa jüngst BVerfGE 130, 318 (360). Siehe hierzu ferner Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 63 f. 193 So auch Klipper, Die Öffentlichkeitsfunktion, 2018, S. 156.
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Hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen inhaltlichen Verständlichkeit der Debatte in zwingend öffentlichen Ausschusssitzungen ist bereits darauf hingewiesen worden, dass die spezifischen Funktionsbedingungen des Ausschussverfahrens zu berücksichtigen sind daher ein weiter Maßstab anzulegen ist. Hiernach wäre das absolute Mindestmaß materieller Nachvollziehbarkeit erst bei weitgehender Undurchsichtigkeit der Beratungen für die Zuschauer trotz des Erwerbs dezidierter Fachkenntnisse zur jeweiligen Materie überschritten.194 Das es in der Praxis nach einer teilweisen Öffnung der Ausschusssitzungen zu einer Unterschreitung dieses Untermaß käme, ist jedoch kaum wahrscheinlich, da die Abgeordneten in öffentlichen Arenen schon mit Blick auf ihre Außenwirkung stets geneigt sein dürften, von sich aus erheblichen Wert auf die Nachvollziehbarkeit ihrer Ausführungen zu legen.195 Schließlich ist für das Ausschussverfahren die Fragestellung der Zulässigkeit geheimer Wahlen und Abstimmungen gegenwärtig praktisch nicht von Bedeutung. In den ständigen Ausschüssen sind zum einen keine klassischen Wahlverfahren vorgesehen. Die Bestimmung des Ausschussvorsitzenden gemäß § 58 GO-BT stellt dabei keine Wahl im eigentlichen Sinne dar, da das „Bestimmen“ vielmehr als reine Akklamation des jeweiligen Personalvorschlags der Fraktionen im Rahmen eines formlosen Verfahrens zu verstehen ist.196 Den Fraktionen kommt insoweit ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Präsentationsrecht bezüglich ihres Kandidaten zu, welches nach überwiegender Ansicht eine rechtliche Bindung des Ausschusses herbeiführt und damit eine abweichende Festsetzung oder Ablehnung des Kandidaten ausschließt.197 Jedenfalls wird in der Praxis dem Fraktionsvorschlag gefolgt, um den proportionalen Verteilschlüssel198 der Vorsitzposten zwischen den Fraktionen nicht zu konterkarieren.199 Auch die Abstimmungen in den Ausschüssen erfolgen in der Parlamentspraxis ausschließlich offen, per Handzeichen (im Sinne von §§ 48 Abs. 1 S. 1 1. Alt., 74 GO-BT),200 sodass insofern kein Problem für die Verwirklichung der verfassungsrechtlich gebotenen Ausschussöffentlichkeit zu befürchten ist. 194
Siehe hierzu Kap. 4 A. IV. 2. Vgl. Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 32. 196 So auch Dach, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 40, Rn. 28; Roll, GO-BT, § 59, Rn. 2; Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 69, Rn. 3. 197 Troßmann, Parlamentsrecht, GO-BT, § 69, Rn. 2; Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 144; für eine rein politische Bindung an den Vorschlag Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 39. 198 Hinter der von § 58 GO-BT geforderten Vereinbarung im Ältestenrat steht der in § 12 GO-BT zu Ausdruck kommende Gedanke der proportionalen Verteilung der Vorsitzämter zwischen den Fraktionen nach deren jeweiliger Stärke. Siehe hierzu Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 37. 199 Schäfer, Der Bundestag, 1967, S. 113; Winkelmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, § 23, Rn. 39. 200 Troßmann, JöR 28 (1979), S. 1 (239); Vetter, Parlamentsausschüsse, 1986, S. 186. 195
416
Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
5. Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit Zur geschäftsordnungsrechtlichen Ausgestaltung der inhaltlichen Reichweite der Ausschussöffentlichkeit zählen gleichsam die Voraussetzungen, unter denen diese eingeschränkt werden kann. Dabei muss im analogen Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 GG den zu dessen Satz 2 und 3 herausgearbeiteten Vorgaben entsprochen werden.201 Hinsichtlich der Ausschussöffentlichkeit infolge einer direkten Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes orientieren sich die Voraussetzungen für einen Ausschluss gleichermaßen an den inhaltlichen Maßgaben von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG, sodass die nachfolgenden Erwägungen für sämtliche verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitspflichten bezüglich Ausschüssen Gültigkeit beanspruchen. Im Rahmen von § 69 GO-BT findet sich keine explizite Regelung zu den Voraussetzungen eines Ausschlusses. Die Kommentarliteratur hat insofern lediglich für den Fall, dass der Ausschuss die Öffentlichkeit zuvor nach § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT beschlossen hat, herausgearbeitet, dass diese Entscheidung jederzeit durch Beschluss mit einfacher Mehrheit revidierbar ist.202 Dabei wird zudem anempfohlen – entsprechend der Wertung in Art. 42 Abs. 1 S. 3 GG – über den Antrag auf Ausschuss der Öffentlichkeit in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und zu entschieden.203 Für den Fall, dass die Ausschussöffentlichkeit verfassungsrechtlich obligatorisch ist, fehlt dagegen eine Regelung in §§ 69 ff. GO-BT. Deshalb wären im Rahmen einer Reformierung von § 69 GO-BT auch die besonderen Anforderungen an einen Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit in Form des qualifizierten Mehrheitserfordernisses sowie der Pflicht, über den Antrag in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und entschieden, expliziten zu normieren.
B. Verfassungsrechtliche Reformnotwendigkeit Somit ist festzuhalten, dass die parlamentarische Geschäftsordnung die verfassungsrechtlich gebotene Ausschussöffentlichkeit nicht hinreichend verwirklicht. Zunächst reflektiert sie die obligatorischen Öffentlichkeitsgebote aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog bzw. aus der Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht. Selbst bei einer gedachten Erweiterung des Anwendungsbereichs der geschäftsordnungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit wären weitere Bestimmungen der GO-BT anzupassen, um hinsichtlich der Art und Weise der Herstellung von Ausschussöffentlichkeit einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen. Im Folgenden sollen nunmehr konkrete Reformvorschläge unterbreitet werden, die einen Ausweg aus der verfassungsrechtlichen Sackgasse weisen und daher den absoluten Minimalgehalt einer Reform der Ausschussöffentlichkeit im 201 202 203
Siehe hierzu Kap. 4 C. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 69, Bem. 1. Ebd.
B. Verfassungsrechtliche Reformnotwendigkeit
417
Parlamentsrecht darstellen (I.). Im Anschluss wird untersucht, inwieweit aus Sicht des Geschäftsordnungsgebers ein Ausgestaltungsspielraum für eine weitergehende Ausschussöffentlichkeit besteht (II.).
I. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit 1. Gebot der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen a) Analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG Zunächst ist zwingend die aus der analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG folgende Vorgabe der grundsätzlichen Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen für die plenarersetzende Beschlusstätigkeiten sowie für Verhandlungen im Rahmen des Selbstbefassungsrechts204 in der Geschäftsordnung zu verankern. Diesbezüglich könnten die vorgenannten Ausnahmen vom Grundsatz nichtöffentlicher Beratung in allgemeiner Formulierung direkt in § 69 GO-BT etwa in Gestalt eines Abs. 1a aufgenommen werden, der wie folgt lauten könnte: „(1a) Abweichend von Abs. 1 sind die Beratungen von Ausschüssen, die Entscheidungsbefugnisse des Bundestages für diesen abschließend wahrnehmen oder sich eigenverantwortlich mit Fragen aus ihrem Geschäftsbereich im Sinne von § 62 Abs. 1 S. 3 befassen, öffentlich.“
Eine weitere gangbare Umsetzung wäre, direkt bei den thematisch betroffenen Verfahrensarten – etwa in §§ 62 Abs. 1 S. 3; 93b GO-BT – ausdrücklich zu normieren, dass abweichend von der Grundregel in § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT die Ausschüsse in der jeweiligen Verfahrensgestaltung öffentlich zu verhandeln haben. Bei dieser Umsetzungsvariante könnte zudem ein klarstellender Hinweis in § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT erfolgen, dass die Beratungen nur dann grundsätzlich nichtöffentlich erfolgen, wenn nicht die Geschäftsordnung selbst oder ein Gesetz etwas anderes bestimmen. Denkbar wäre schließlich auch eine Kombination beider Varianten dergestalt, dass in § 69 GO-BT, wie oben beschrieben, ein zusätzlicher Absatz eingeführt wird, der die Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit abstrakt bestimmt und in den spezifischen Vorschriften zu den betroffenen Verfahrensarten ergänzend auf diese Regelung Bezug genommen wird. Diese Variante erscheint im Ergebnis vorzugswürdig, da hiermit die zentrale Verankerung der Ausschussöffentlichkeit in § 69 GO-BT erhalten bliebe und zugleich mögliche Auslegungsschwierigkeiten minimiert würden. Zu Klarstellung sollte zudem ausgeführt werden, dass die Öffentlichkeitspflicht nach Abs. 1a nicht für den Auswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss und den Innenausschuss (in Angelegenheiten der inneren Sicherheit) gilt. 204
Siehe hierzu Kap. 3 B. II. 2. a) und b).
418
Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
b) Heranziehung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes Des Weiteren kann den festgestellten Verstößen eines vollständigen Verzichts auf eine signifikante mündliche Aussprache im Plenum zur abschließenden Fassung von Gesetzesvorlagen bei nichtöffentlicher Ausschussberatung zum einen gegen eine aus dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz hergeleitete Rechtsregel zwingender Ausschussöffentlichkeit205 und zum anderen gegen den Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG innewohnenden Gedanken eines Mindestmaßes mündlicher Erörterung206 dadurch abgeholfen werden, dass für diese Verfahrensweise eine zwingende, zumindest teilweise Öffentlichkeit der Ausschussphase statuiert wird. Insoweit ist darauf hingewiesen worden, dass der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz ein gewisses Gesamtniveau der öffentlichen mündlichen Erörterung von Gesetzesentwürfen gebietet, sodass ein Verzicht auf eine abschließende Plenaraussprache durch eine öffentliche Schlussberatung im Ausschuss kompensiert werden kann.207 Zur Umsetzung dieses Befunds könnte etwa in § 78 GO-BT in Gestalt eines zusätzlichen Abs. 7 klargestellt werden: „(7) 1Für die Behandlung von Gesetzesentwürfen, die im Anschluss an die erste Beratung einem Ausschuss überwiesen werden, ist ein vollständiger Verzicht auf die Aussprache in zweiter und dritter Beratung nur zulässig, sofern die Schlussberatung des federführenden Ausschusses, in welcher die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses beschlossen werden, öffentlich stattfindet. 2Ein vollständiger Verzicht auf eine Aussprache im Sinne von Satz 1 liegt vor, wenn nicht wenigstens jede Fraktion mindestens einmal zu Wort gekommen ist. 3Die Verpflichtung nach Satz 1 gilt gleichermaßen, wenn im Sinne von Abs. 6 anstatt einer Aussprache die schriftlichen Redetexte zu Protokoll gegeben worden.“
Alternativ wäre auch denkbar, den vorstehenden Regelungsgehalt in die Vorschrift zur erweiterten öffentlichen Ausschussberatung (§ 69a GO-BT) zu integrieren. Die Norm wäre dann allerdings dahingehend anzupassen, dass das Verfahren im Falle eines beabsichtigten vollständigen Verzichts auf eine abschließende Aussprache im Plenum zwingend durchzuführen wäre. Klarzustellend wäre zudem in § 78a GO-BT darauf hinzuweisen, dass der Verzicht nur unter den Voraussetzungen des (geänderten) § 69a GO-BT zulässig wäre. 2. Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit Hinsichtlich der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an die inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit besteht zunächst Reformbedarf in Bezug auf die Protokollierung von Ausschusssitzungen.208 Dieser wäre sys-
205 206 207 208
Siehe hierzu Kap. Siehe hierzu Kap. Siehe hierzu Kap. Siehe hierzu Kap.
3 C. II. 3 C. II. 1. b) aa). 5 A. II. 2. b). 4 A. II. 1. b).
B. Verfassungsrechtliche Reformnotwendigkeit
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temgerecht in § 73 GO-BT etwa in einem Abs. 1a umzusetzen, der wie folgt lauten könnte: „(1a) 1Über öffentliche Sitzungen der Ausschüsse im Sinne von § 69 Abs. 1a ist ein Inhaltsprotokoll zu fertigen, dass alle Anträge und Beschlüsse des Ausschusses sowie den wesentlichen Inhalt der Verhandlungen wiedergibt. 2In die Protokolle öffentlicher Sitzungen ist jedermann Einsicht zu gewähren.“
Des Weiteren ist die verfassungsrechtliche Verpflichtung, eine Berichterstattung mit medienspezifischen Mitteln wie Film- oder Tonaufnahmen im Rahmen der obligatorischen Ausschussöffentlichkeit zuzulassen,209 entweder in der GOBT (z. B. in einem zu schaffenden § 69 Abs. 1a) oder in den Zugangs- und Verhaltensregeln für den Bereich der Bundestagsliegenschaften (dort Ziffer 3.1 lit e)) explizit zu verankern. Insofern könnte formuliert werden: „Die Anfertigung von Film- und Tonaufnahmen während der Sitzung durch Vertreter der Medien ist zulässig.“
Schließlich ist die Option, die Öffentlichkeit im Einzelfall mit Zweidrittelmehrheit im Interesse kollidierender Verfassungsrechtsgüter ausschließen zu können210 – als Kehrseite der teilweisen Erstreckung des Öffentlichkeitsgebots auf parlamentarische Ausschüsse – in der GO-BT umzusetzen. Hierbei böte sich die Normierung in einem zu schaffenden § 69 Abs. 1a GO-BT im Anschluss an eine partielle Öffentlichkeitspflicht sowie eine Orientierung am Wortlaut von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG an. „[. . .] 2Auf Antrag eines Zehntels der Mitglieder des Ausschusses oder auf Antrag der Bundesregierung kann der Ausschuss mit Zweidrittelmehrheit beschließen, die Öffentlichkeit für einzelne Sitzungen, Beratungsgegenstände oder Tagesordnungspunkte auszuschließen. 3Die Öffentlichkeit ist insbesondere auszuschließen, wenn das öffentliche Wohl oder schutzwürdige Interessen Dritter dies erfordern. 4Über einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit wird in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden.“
II. Verbleibender Ausgestaltungsspielraum des Geschäftsordnungsgebers Für alle Ausschusssitzungen, die nicht unter die vorgenannten verfassungsrechtlichen Kategorien fallen, steht es dem Geschäftsordnungsgeber im Rahmen seiner Autonomie dem Grunde nach frei, eine grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit herzustellen.211 Insbesondere steht der Gedanke parlamentarischer Funk209
Siehe hierzu Kap. 4 A. II. 2. a). Siehe hierzu Kap. 4 C. 211 Vgl. etwa Dicke, in: Umbach/Clemens, Art. 42, Rn. 10; H. H. Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 42, Rn. 45; H.-P. Schneider, in: AK-GG, Art. 42, Rn. 5; Magiera, in: Sachs, Art. 42, Rn. 2; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 57; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 42, Rn. 1; Schliesky, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 42, Rn. 21, 32 f. 210
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
tionsfähigkeit nicht entgegen, da dieses Rechtsgut durch eine Öffnung der Ausschüsse jedenfalls nicht so schwerwiegend beeinträchtigt werden würde,212 dass wiederum die Nichtöffentlichkeit der Ausschüsse verfassungsrechtlich zwingend wäre. Obligatorische verfassungsrechtliche Gestaltungsgrenzen ergeben sich hingegen aus sonstigem kollidierendem Verfassungsrecht. Soweit etwa staatliche oder private Geheimnisse Gegenstand öffentlicher Ausschussberatungen wären und hierdurch die Interessen der Geheimnisträger schwerwiegend beeinträchtigt würden, bestünde ggf. eine Verpflichtung, die Nichtöffentlichkeit und – unter Umständen sogar – einen Geheimhaltungsgrad der Beratungen herzustellen.213 Praktisches Anwendungsbeispiel der negativen Begrenzung des Gestaltungsspielraums etwa durch widerstreitende Staatswohlbelange ist zunächst die sicherheitsrelevante Tätigkeit der geschlossenen Ausschüsse (i. S. v. § 69 Abs. 2 S. 1 GO-BT), namentlich des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses sowie des Innenausschusses in Angelegenheiten der inneren Sicherheit. Weiterer Anwendungsfälle sind die Bereiche Immunitätsangelegenheiten und Petitionen. Die Beratungen des Immunitätsausschusses hätten demnach schon im Sinne des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Abgeordneten weiterhin nichtöffentlich stattzufinden.214 Ferner dürfte auch das Ansehen des Bundestages als Staatswohlbelang eine nichtöffentliche Sitzung nahelegen. Im Falle der Genehmigung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen wäre überdies ein besonderes Geheimhaltungsinteresse am Inhalt der Sitzungen gegeben, um sicherzustellen, dass der Zweck der Ermittlungsmaßnahmen nicht vereitelt wird. Das hiervon betroffene Rechtsgut einer funktionsfähigen Strafrechtspflege stellt ebenfalls einen Staatwohlbelang dar. Auch die Behandlung von Eingaben durch den Petitionsausschuss betrifft regelmäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht der jeweiligen Petenten215 als widerstreitendes Rechtsgut von Verfassungsrang und sollte daher in Zukunft weiterhin grundsätzlich nichtöffentlich stattfinden. Insbesondere besteht über die Person des Petenten hinaus regelmäßig kein herausgehobenes Öffentlichkeitsinteresse an der Anschauung der Handhabung der Petitionen durch den Ausschuss, sodass das Persönlichkeitsrecht überwiegt. Eine Ausnahme ergibt sich jedoch für die Behandlung öffentlicher Petitionen, die Belange von allgemeinem Interesse betreffen und sich daher schon jetzt durch eine Veröffentlichung der Petition und ggf. durch eine partiell öffentliche Ausschussberatung auszeichnen.216
212
Siehe hierzu Kap. 3 B. II. 3. d) aa) und Kap. 3 C. II. 2. Vgl. Brocker, in: Epping/Hillgruber, Art. 42, Rn. 13; Müller-Terpitz, in: BK, Art. 42, Rn. 66. Siehe hierzu auch Kap. 3 B. III. 2. b) und Kap. 4 C. II. 214 Siehe hierzu und zum Folgenden Kap. 3 C. II. 1. b) bb) (2). 215 Siehe hierzu Kap. 3 C. II. 1. b) bb) (3). 216 Vgl. hierzu insbesondre Ziffer 2.2 (4) sowie Ziffer 8.4 (4) der Grundsätze des Petitionsausschusses über die Behandlung von Bitten und Beschwerden. 213
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
421
Eine verfassungsrechtlich zwingende Nichtöffentlichkeit dürfte sich dagegen für die Vorbereitung der Wahl der vom Bundestag zu berufenden Verfassungsrichter durch einen Wahlausschuss nicht ergeben. Zwar rechtfertigt insofern der Gedanken der Funktionsfähigkeit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als Staatswohlbelang einen Verzicht auf die öffentliche Behandlung der Wahlvorschläge.217 Hieraus dürfte jedoch noch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur nichtöffentlichen Beratung im Ausschuss erwachsen, da die Funktionsfähigkeit auch im Falle einer öffentlichen Erörterung der Personalvorschläge zumindest nicht besonders schwerwiegend beeinträchtigt wäre.218
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen Der vorstehend benannte Gestaltungsspielraum erlaubt mithin eine Reformierung der GO-BT im Sinne einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit, wie sie von dem zu dieser Untersuchung Anlass gebenden Reformvorschlag angedacht ist. Diese Umsetzungsvariante erlaubt zudem eine Rückanknüpfung an den im Rahmen der theoretischen Funktionsbestimmung aufgezeigten Lösungsansatz einer Ausweitung der Parlamentsöffentlichkeit in Reaktion auf festgestellte Funktionsverluste.219 Infolgedessen ist abschließend der Frage nachzugehen, ob eine grundlegende Neujustierung der Ausschussöffentlichkeit verfassungspolitisch sinnvoll wäre. Zu diesem Zweck wird den verfassungsrechtlich zwingenden Mindestanforderungen im weiteren Gang der Untersuchung als Antithese die verfassungspolitische Maximalforderung einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit gegenübergestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen (I.). Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wird eine Positionierung in der Debatte um eine grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit vorgenommen (II.) sowie ein eigenes Reformplädoyer entwickelt (III.).
I. Umsetzung des Gestaltungsspielraums durch verfassungspolitische Maximalforderung grundsätzlicher Ausschussöffentlichkeit Rechtspolitische Reformvorschläge berufen sich seit jeher auf die Einführung einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit, die lediglich im Einzelfall – zum Schutz überwiegender Geheimhaltungsbedürfnisse oder schutzwürdiger Interes-
217
Siehe hierzu Kap. 3 C. II. 1. b) bb) (4). Im Gegenteil wird zum Teil sogar dezidiert auf positive Effekte eines öffentlichen Berufungsverfahrens hingewiesen. Siehe hierzu Moench, Verfassungsmäßigkeit der Bundestagsausschüsse, 2017, S. 246 ff.; Schwerin, Der Deutsche Bundestag als Geschäftsordnungsgeber, 1998, S. 181 ff. 219 Siehe Kap. 2 B. VI. 218
422
Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
sen Einzelner – durchbrochen werden soll.220 Eine begründete Positionierung in der Reformdebatte setzt zunächst voraus, sich die wichtigsten Argumente vor Augen zu führen, die gegen eine grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit vorgebracht werden (1.).221 Die Diskussion krankt jedoch bisweilen daran, dass allein prognostische Argumente für und wider die Ausschussöffentlichkeit vorgebracht werden, ohne diese Argumentation auf eine empirische Basis zu stellen.222 Mithin sind die klassischen Kritikpunkte sodann am Maßstab der aus der parlamentarischen Praxis gewonnenen Erfahrungen bezüglich einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit gleichsam „am lebenden Objekt“ auf die Probe zu stellen. Neben einer Untersuchung der Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit im Bundestag selbst (2.) ist hierbei ein besonderes Augenmerk auf die Parlamentspraxis der deutschen Landesparlamente (3.), des Europäischen Parlaments (4.) sowie des britischen House of Commons (5.) zu legen. 1. Klassische Kritikpunkte einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit Ein absoluter Schwerpunkt der Argumente gegen die Ausschussöffentlichkeit lässt sich unter dem Topos der Beeinträchtigung von Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Ausschüsse zusammenfassen.223 Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die Ausschussberatungen von einer größeren Informalität geprägt seien, die es den Abgeordneten ermöglichte, in der Beratung auch „ins Unreine“ zu sprechen und spontane Einfälle zu äußern, ggf. Verständnisfragen zu stellen, Argumente – auch solche des politischen Gegners – auf sich wirken zu lassen und unter Umständen sogar aufzugreifen. Diese Spontanität und Flexibilität der Debatte würde durch die Öffentlichkeit verloren gehen, da der auf seine Außenwahrnehmung bedachte Abgeordnete eine mögliche Unsicherheit oder Unwissenheit nicht offenbaren wolle. Hinzu komme das Bemühen der Fraktionen um ein nach außen hin geschlossenes Auftreten, was – zuvor nicht abgesprochenen – Spontanäußerungen im Ausschuss entgegenwirke.
220 So auch der jüngste, zu dieser Untersuchung Anlass gebende, Vorstoß der Oppositionsfraktionen im Bundestag (BT-Drs. 19/10, S. 1 ff.; BT-Drs. 19/965 S. 1 ff.). 221 Hierbei muss sich die Darstellung auf die gängigsten und gewichtigsten Argumente der rechtspolitischen Auseinandersetzung beschränken. Für weitergehende Nebenaspekte siehe auch die von der interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft des Bundestages und der Landtage bereits 1973 zusammengetragene Liste von je zehn Punkten für und gegen die Ausschussöffentlichkeit, abgedruckt bei Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Vorb. zu § 54 GO-BT, Bem. 3. 222 So bereits Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (81, 90). 223 Zum Folgenden siehe Brocker, ZParl 47 (2016), S. 50 (55 f.); Dieterich, Die Funktion der Öffentlichkeit, 1970, S. 105 ff.; Kißler, Die Öffentlichkeitsfunktion, 1976, S. 330; Linck, DÖV 1973, S. 513 (519 f.); ders., ZParl 23 (1992), S. 673 (699); Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 69.
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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Ferner stünde die potentielle Öffnung der Ausschüsse der bisher auch über Fraktionsgrenzen hinweg gepflegten, kollegialen und sachlichen Arbeitsatmosphäre künftig entgegen. Die Anwesenheit der Öffentlichkeit würde zwangsläufig zu einer parteipolitischen Aufladung führen. Hierunter leide zunächst die Kompromissbereitschaft hinsichtlich einzelner Sachfragen, da ein partielles Nachgeben in den Augen der Akteure als Schwäche ausgelegt werden könnte. Weiterhin seien negative Auswirkungen auf die Sachlichkeit der Debatte zu erwarten, weil ein neuerlicher Anreiz zur parteipolitischen Profilierung entstünde. Diese Entwicklungen führten insgesamt zu einer Verlagerung von Inhalten aus den Ausschüssen in informelle (nichtöffentliche) Zirkel, um dem Bedürfnis nach vertraulicher Beratung Rechnung zu tragen. An diesen würde indes nur ein sehr viel kleinerer Kreis von Abgeordneten unmittelbar teilhaben. Eine solche „Diskussionsflucht“ 224 würde zudem dazu führen, dass in Ausschüssen nunmehr – wie bisher schon im Plenum – allein auf die Öffentlichkeitswirkung ausgerichtete Diskussionsbeiträge (sog. „Fensterreden“) vorgetragen werden und es mithin zu unnötigen Doppelungen käme. Als weitere Konsequenz sei zu befürchten, dass Auskünfte von Regierungsvertretern im Ausschuss deutlich knapper ausfielen, insbesondere hinsichtlich interner Prozesse und Einsichten der Ministerien weniger Einblicke gewährt würden und somit die Sacharbeit insgesamt erschwert werden würde.225 Beim Kritikpunkt der Gefährdung der Funktionsfähigkeit fällt auf, dass er sich um einen weitgehenden Rekurs auf die historische Argumentation handelt, die einst gegen die Öffentlichkeit von Parlamenten schlechthin vorgetragen wurde.226 Gleichwohl lässt sich aus dem historischen Siegeszug der Plenaröffentlichkeit nicht ungezwungen ableiten, dass damit auch diese Argumentationslinie überholt ist, da – anders als bei der parlamentarischen Vollversammlung – das Motiv für die Bildung von Ausschüssen u. a. gerade deren Nichtöffentlichkeit war.227 Des Weiteren wird der mögliche Nutzen einer öffentlichen Ausschussdebatte mit Blick auf die Nachvollziehbarkeit des parlamentarischen Prozesses durch die Gesellschaft bestritten. So wird auf ein ohnehin geringes gesellschaftliches und mediales Interesse an parlamentarischen Vorgängen verwiesen, welches hinsicht224 Eschenburg, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis der Bundesrepublik, Bd. II, S. 40 f. 225 Zu diesem Gedanken siehe auch die Aussage des Abg. Buschmann (FDP) anlässlich der aktuellen Reformbestrebungen im Bundestag, BT-PlPr 19. WP/77. Sitzung vom 30.1.2019, S. 9081. 226 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (90); vgl. auch Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 254. Zur historischen Argumentation siehe Kap. 2 A. III. sowie Kap. 2 B. II. 3. 227 Siehe Wiesend, Das Ausschußwesen des Bayerischen Landtags, 1989, S. 255 unter Verweis auf Dechamps, Macht und Arbeit der Ausschüsse, 1954, S. 157 f. und Berg, Der Staat 9 (1970), S. 21 (28).
424
Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
lich der oftmals sehr technischen und Detailwissen voraussetzenden Beratungsgegenstände in den Ausschüssen noch geringer sei.228 Hinzu käme, dass mit Öffnung der Ausschüsse und Veröffentlichung einer Vielzahl von Ausschussdokumenten die Gefahr einer Informationsüberflutung aus der Sphäre des Parlaments einherginge, die dessen Bedeutungsverlust in der öffentlichen Wahrnehmung noch verstärken und damit die Funktion des Parlaments als Forum der wesentlichen gesellschaftlichen Themen verwässern würde.229 Schließlich wird vereinzelt – hinter vorgehaltener Hand – sogar die Möglichkeit einer tatsächlichen Verschlechterung der Außenwirkung des Parlaments in den Raum gestellt, da ein ernüchterndes Bild des Niveaus der Sacharbeit der Abgeordneten im Ausschuss, etwa in Gestalt mangelnder Vorbereitung und Sachkenntnis oder eines offenkundigen Desinteresses am Beratungsgegenstand, befördert werden könnte.230 Da es sich bei den vorgebrachten Kritikpunkten ausschließlich um prognostische Argumente handelt, ist eine kritische Überprüfung anhand der tatsächlichen Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit geboten. 2. Praxiserkenntnisse aus dem Bundestag Um die tatsächlichen Auswirkungen der Öffentlichkeit auf die Tätigkeit von Ausschüssen zu beurteilen, liegt es zunächst nahe, die vorhandenen Fälle der Ausschussöffentlichkeit im Bundestag selbst zu studieren. Dort entfällt die weit überwiegende Zahl öffentlicher Ausschusssitzungen auf Hearings.231 Die Tatsache, dass öffentliche Anhörungssitzungen eine so weitgehende Verbreitung erfahren, spricht prima facie dafür, dass der Kritikpunkt des Verlustes der Funktionsfähigkeit – zumindest bei diesem Verfahrensmodus der Ausschusstätigkeit – nicht durchgreift. Auch fällt die Evaluation der Auswirkung öffentlicher Anhörungssitzungen auf die Gesetzgebungs-, Kontroll-, Artikulations- und Öffentlichkeits-
228 So etwa der Sachverständige Prof. Dr. Schiesky in der 17. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des 18. Deutschen Bundestages am 22.04.2015, Protokoll-Nr. 18/17, S. 14. 229 So die Sachverständigen Prof. Dr. Schiesky und Prof. Dr. Kyrill-Schwarz in der 17. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des 18. Deutschen Bundestages am 22.04.2015, Protokoll-Nr. 18/17, S. 13 ff. Die Gefahr einer Entwertung des Plenums durch Öffentlichmachung der Ausschussdebatte betonte bereits Schäfer, Der Bundestag, 1967, S. 127. 230 Hierauf wird sogleich im Rahmen der Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit anhand des Beispiels des Sportausschusses einzugehen sein. 231 So haben in der 17. Wahlperiode 566 öffentliche Anhörungssitzungen den ganz überwiegenden Teil der insgesamt 717 öffentliche Ausschuss- und Unterausschusssitzungen ausgemacht, vgl. Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 7.17, S. 1, sowie Kapitel 8.7, S. 2 f., jeweils abrufbar unter: https://www.bundestag.de/datenhandbuch (08.10.2019).
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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funktion des Bundestages im Schrifttum weitgehend positiv aus.232 Die möglichen Rückschlüsse, die hieraus mit Blick auf eine grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit gewonnen werden können, sind jedoch begrenzt. Grund dafür ist der Umstand, dass sich Anhörungssitzungen inhaltlich nur auf einen Teilausschnitt der Ausschussarbeit – namentlich die Informationsgewinnung – beschränken. Der gesamte Bereich der inhaltlichen Debatte bezüglich einzelner Regelungsaspekte einer Vorlage, auf welchen sich der Vorwurf vermeintlicher Funktionsverluste im Schwerpunkt bezieht, wird hierbei gerade nicht erfasst, sodass die Erkenntnisse kaum geeignet sind, generalisierende Schlüsse zu ziehen. Die parteipolitische Debatte spielt im Verfahrensstadium der Anhörungen keine tragende Rolle. Stattdessen fußt die Informationsbeschaffungstätigkeit auf einem Bemühen der Abgeordneten, zunächst die sachlich argumentative Grundlage für eine spätere Auseinandersetzung mit dem Thema zu gewinnen. Die Sprechsituation eignet sich deshalb kaum für parteipolitische Profilierungen, was sich in einem sachlicheren Kommunikationsstil der Abgeordneten in diesem Verfahrensmodus niederschlägt.233 Systematische Erfahrungen mit einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit im Beratungsstadium liegen im Bundestag indes kaum vor, da die Möglichkeit, gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 GO-BT die Öffentlichkeit zuzulassen, zumeist nur auf den Einzelfall bezogen und nicht durchgehend für die Tätigkeit eines Ausschusses genutzt wurde. Als hiervon abweichendes Beispiel kann der Sportausschuss herangezogen werden, der zwischen 2005 und 2011 grundsätzlich öffentlich tagte.234 Die Rezeption dieser Öffnung war zunächst sehr positiv. Während es zuvor nur zu einer Herstellung von Publizität durch Stellungnahme der Abgeordneten gegenüber Journalisten kam, die häufig ein heterogenes, z. T. widersprüchliches und jedenfalls parteipolitisch gefärbtes Bild der Ausschussarbeit nachzeichneten, habe sich durch die regelmäßige Anwesenheit von Pressevertretern bei den Sitzungen eine kontinuierliche Berichterstattung über die Ausschussarbeit etabliert und die Bedeutung dieses Gremiums in Folge der verbesserten Wahrnehmbarkeit signifikant zugenommen.235 Negative Auswirkungen auf das Ausschussverfahren sind dagegen nicht dokumentiert.
232 Siehe hierzu im Detail Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 23 ff. A.A. allerdings Mengel, DÖV 1983, S. 226 (231 ff.), der insbesondere den Informationswert für die Abgeordneten als gering ansieht und hinsichtlich der Wahrnehmung der Ausschusstätigkeit durch die gesellschaftliche Öffentlichkeit auf eine eher geringe mediale Resonanz hinweist. 233 Ismayr, Der Deutsche Bundestag, 3. Aufl. 2012, S. 412; Schüttemeyer, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 42, Rn. 31. 234 Weinreich, Transparenz nicht erwünscht, Deutschlandfunk, 26.10.2011, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/transparenz-nicht-erwuenscht.1346.de.html?dram: article_id=196744 (02.07.2019). 235 So grundlegend Danckert, Kraftmaschine Parlament, 2009, S. 119 ff.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
Gleichwohl kehrte der Sportausschuss auf Betreiben der Fraktionen von CDU/ CSU und FDP mit Beschluss vom 26.10.2011 zum Grundsatz der Nichtöffentlichkeit zurück.236 Zur Begründung wurde offiziell auf den allgemeinen Vorteil einer gesteigerten Arbeitseffizienz in nichtöffentlichen Sitzungen verwiesen. Laut Medienberichten237 war inoffizieller Hintergrund des Beschlusses jedoch, dass von den Regierungsfraktionen Anstoß an einer wiederholt kritischen Berichterstattung der Medien über die Arbeitsmoral der Ausschussmitglieder genommen wurde.238 Dezidierter Vortrag dazu, inwieweit durch die Ausschussöffentlichkeit die Arbeitseffizienz des Ausschusses tatsächlich beeinträchtigt worden sei, erfolgte jedenfalls nicht. Eine Verifizierung des Kritikpunktes eines Effizienzverlustes lässt sich aus den gemachten Erfahrungen im Sportausschuss jedenfalls nicht gewinnen. Ebenso wenig genügt dies jedoch, um eine Falsifizierung des Argumentes zu konstatieren. Einer Verallgemeinerung der Erkenntnisse für sämtliche Fachausschüsse steht ohnehin die Besonderheiten entgegen, dass im Sportausschuss regelmäßig interfraktioneller Konsens herrscht und die parteipolitische Kontroverse daher die Ausnahme darstellt.239 Hinzu kommt, dass sich die Entscheidungsbefugnisse des Sportausschusses in erster Linie auf die Mitberatung des Sporthaushalts beschränken.240 Wie sich die Ausschussöffentlichkeit bei einem im Schwer236 Weinreich, Transparenz nicht erwünscht, Deutschlandfunk, 26.10.2011, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/transparenz-nicht-erwuenscht.1346.de.html?dram: article_id=196744 (02.07.2019). 237 So zitiert etwa Weinreich, Transparenz nicht erwünscht, Deutschlandfunk, 26.10. 2011, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/transparenz-nicht-erwuenscht.13 46.de.html?dram:article_id=196744 (02.07.2019) die sportpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Viola von Cramon (Grüne) hinsichtlich der Gründe des in nicht öffentlichen Sitzung erfolgten Beschlusses: „Begründet hat er den Antrag eigentlich nicht wirklich, außer damit, dass es vermehrt Presseberichterstattung gab, insbesondere in der letzten Woche, die nicht auf Gegenliebe bei der Regierungskoalition gestoßen ist, und man sich deshalb entschlossen habe, einen Antrag zu stellen, die Öffentlichkeit auszuschließen.“ Auch der ehemalige Sportpolitische Sprecher der CDU/ CSU Klaus Riegert (CDU) führte im Zeit-Interview selbst aus: „ein paar einzelne Berichte haben das Fass zum Überlaufen gebracht“, vgl. Fritsch, Warum Sportpolitiker die Presse ausschließen, Zeit-Online, 29.10.2011, abrufbar unter: https://www.zeit.de/ sport/2011-10/sportpolitik-riegert-presse-2 (02.07.2019). 238 Dabei wurde die Arbeit der Parlamentarier in mehreren Blogs und Medien wie dem Deutschlandfunk oder der „Zeit“ kritisiert. Es wurde u. a. über mangelndes Interesse der Abgeordnete, die während der Sitzungen zum Teil einnickten oder auf dem Tablett spielten, berichtet, siehe Fritsch, Nickerchen im Sportausschuss, Zeit Online, 29.09.2011, abrufbar unter: https://www.zeit.de/sport/2011-09/korruption-andersensportausschuss-bundestag (02.07.2019). 239 So auch die Aussagen der Ausschussmitglieder Britta Dassler (FDP) und Eberhard Gienger (CDU), in TAZ, 13.09.2018, abrufbar unter: http://www.taz.de/!5531559/ (26.03.2019). 240 Vgl. auch G. Hartmann/Kempe, Der Grüssausschuss, Deutschlandfunk, 20.11. 2011, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/der-gruessausschuss.1346.de. html?dram:article_id=196799 (02.07.2019).
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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punkt gesetzgeberisch tätigen und häufig Themen von parteipolitischer Brisanz beratenden Ausschuss (wie etwa dem Innen- oder Rechtsausschuss) auswirken würde, ist auf Basis der Erkenntnisse aus dem Sportausschuss daher kaum prognostizierbar.241 Demgegenüber lässt sich das Argument eines angeblich per se mangelnden Interesses der gesellschaftlichen Öffentlichkeit an der Ausschussarbeit anhand der gemachten Erfahrung nicht bestätigen. Vielmehr wird deutlich, dass hinsichtlich einzelner Themen durchaus gesteigerte mediale Resonanz hinsichtlich des Verlaufs der Ausschussberatungen besteht, womit vermehrte – in diesem Fall z. T. negativ gefärbte – Parlamentsberichterstattung einhergeht. Schließlich ergibt sich auch hinsichtlich der Befürchtung einer negativen Außendarstellung des Parlaments durch die Ausschussöffentlichkeit ein ambivalentes Bild. Zwar hat sich bestätigt, dass eine kritische Berichterstattung über Kenntnisstand und Arbeitsethos einzelner Parlamentarier durchaus geeignet sein kann, eine negative Außenwirkung parlamentarischer Arbeit zu erzielen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass mit der Öffnung des Sportausschusses auch eine intensivere Wahrnehmung der sportpolitischen Arbeit des Ausschusses und damit ein Bedeutungszuwachs zu verzeichnen war, welcher sich mit Wegfall der Verhandlungsöffentlichkeit relativiert hat.242 Insoweit ist zu konstatieren, dass die Frage der Außenwirkung öffentlicher Ausschusssitzungen nicht bereits in der Natur der Sache liegt, sondern wesentlich davon abhängt, inwieweit es die Akteure verstehen, die Bedeutung der Ausschussthemen dem Publikum zu vermitteln und ihre eigene Sachkompetenz unter Beweis zu stellen. 3. Praxiserkenntnisse aus den Landesparlamenten Weiterhin kann der Blick auf die in den Landesparlamenten gemachten Erfahrungen mit der Öffentlichkeit von Ausschüssen gerichtet werden, um einer empirisch fundierten Folgenabschätzung einen Schritt näher zu kommen. a) Umfang landesparlamentarischer Ausschussöffentlichkeit Der Bayerische Landtag beschloss bereits 1948 in der Mitte seiner 1. Wahlperiode unter dem Einfluss der amerikanischen Besatzungsmacht243 die Sitzun241 Zur Unterscheidung von im Schwerpunkt mit der Beratung von Gesetzesvorlagen befassten und eher politikbegleitenden Ausschüssen siehe auch Zeh, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 39, Rn. 14. 242 So konstatierte Dassler: „Die Bedeutung des Sportausschusses hat abgenommen, seitdem nicht öffentliche Sitzungen die Regel sind“, TAZ, 13.09.2018, abrufbar unter: https://taz.de/Transparente-Sportausschuss-Sitzung/!5531559/(02.07.2019). 243 Dabei handelte es sich um ein historisches „Missverständnis“, da die Forderung der Amerikaner nur auf die Einführung von gelegentlichen Hearings nach Vorbild des US-amerikanischen Kongresses gerichtet war. Im Laufe der Beratungen wurde die Öf-
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gen seiner Ausschüsse nunmehr öffentlich zu gestalten.244 Berlin zog 1971 als zweites Bundesland nach.245 In der Folge haben sukzessive sieben weitere Bundesländer die grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit in ihren Landtagen eingeführt, sodass nunmehr in 9 von 16 Bundesländern eine weitgehende Ausschussöffentlichkeit hergestellt ist. In Berlin und Schleswig-Holstein ist die grundsätzliche Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen dabei verfassungsrechtlich normiert.246 In Bayern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wird sie geschäftsordnungsrechtlich geregelt.247 Dem entgegengesetzt sehen in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die Verfassungen ausdrücklich eine grundsätzliche Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen vor.248 In Baden-Württemberg, Hessen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt wird diese durch die jeweilige Geschäftsordnung vorgeschrieben.249 In allen Landesparlamenten, welche die grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit vorsehen, besteht die Möglichkeit, diese zu beschränken.250 Z. T. werden einzelne Ausschüsse vom Öffentlichkeitsgebot von vornherein explizit ausgenommen.251 Auch werden teilweise einzelne Sachmaterien der Ausschusstätigkeit fentlichkeit jedoch auch auf die klassisch beratende Ausschusstätigkeit erstreckt. Siehe zur Entstehung Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 (12 f.). 244 H. Schneider, Länderparlamentarismus, 1979, S. 84 f.; Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (81). 245 Linck, DÖV 1973, S. 513 (514); Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (80). 246 Art. 44 Abs. 1 BV sowie Art. 23 Abs. 1 Verf.Schl-Holst. 247 § 138 Abs. 1 S. 1 GO Bay; § 80 Abs. 1 GO Brandbg., § 63a Abs. 1 GO Brem.; § 56 Abs. 1 GO Hbg.; § 56 Abs. 1 GO NRW sowie § 78 Abs. 1 GO RhPf. sehen eine grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit vor. In Niedersachen statuiert § 93 Abs. 1 GO Nds. die grundsätzliche Öffentlichkeit von ständigen Ausschüssen im Sinne von § 10 GO Nds. Für Ausschüsse mit besonderen Aufgaben – sog. „Ausschüsse eigener Art“ nach §§ 14 ff. GO Nds. – wie etwa die Ausschüsse für Wahlprüfung, zur Vorbereitung der Wahl der Mitglieder des Staatsgerichtshofes oder für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes – sieht dagegen § 93 Abs. 2 GO Nds. die grundsätzliche Nichtöffentlichkeit vor. 248 Art. 33 Abs. 3 Verf. M-V.; Art. 62 Abs. 2 Verf. Thür. 249 § 32 Abs. 1 GO B-W; § 89 Abs. 1 GO Hess.; § 17 Abs. 3 GO Saarl.; § 33 GO Sachs. sowie § 85 I GO Sach-Anh. 250 In Bayern wird dabei von § 138 Abs. 1 S. 2 GO Bay eine Differenzierung vorgenommen zwischen „allgemeinen Ausnahmen“ von der Ausschussöffentlichkeit, welche durch Landtagsbeschluss zu erfolgen haben, und „Ausnahmen von Fall zu Fall“, die im Einzelfall durch Beschluss des Ausschusses selbst getroffen werden können. 251 So etwa in Niedersachen gemäß § 93 Abs. 2 GO Nds. für den Wahlprüfungsausschuss, den Ausschuss zur Vorbereitung der Wahl der Mitglieder des Staatsgerichtshofs, den Ausschuss zu Verbreitung der Wahl des Landtagspräsidenten und der Vizepräsidenten, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes sowie den Ausschuss zur Kontrolle besonderer polizeilicher Datenerhebungen. Im Berliner Abgeordnetenhaus gemäß § 26 Abs. 5 GO Berlin für die Ausschüsse für Rechnungsprüfung und Vermögensverwaltung sowie grundsätzlich für den Petitionsausschuss. In Schleswig-Holstein für den Parlamentarischer Einigungsausschuß (§ 11 Abs. 3 GO Schl.-Holst.), den
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exkludiert.252 Außerdem kann stets im Einzelfall durch den Ausschuss selbst – regelmäßig mit einfacher Mehrheit253 – die Öffentlichkeit für einzelne Sitzungen oder Tagesordnungspunkte ausgeschlossen werden.254 Hinsichtlich des Maßes der hergestellten Öffentlichkeit wird ganz überwiegend die allgemeine Zugänglichkeit für Zuschauer und Presse statuiert. Eine darüber hinausgehende Bild/Ton-Übertragung der Sitzungen im Livestream findet dagegen nur im Rahmen eines 2018 in Brandenburg gestarteten Pilotprojekts statt.255 Die Verfügbarkeit von Aufzeichnungen per Video-on-Demand ist generell nicht gegeben. Daneben ermöglicht der Schleswig-Holsteinische Landtag eine rein akustische Liveübertragung öffentlicher Ausschusssitzungen.256 Mit Blick auf die schriftliche Parlamentsberichterstattung werden durch die Landesparlamente regelmäßig Beschluss- bzw. kurze Inhaltsprotokolle gefertigt257 und veröffentlicht.258 Stenografische Protokolle, aus denen sich einzelne Ausschuss zur Vorbereitung der Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichts (§ 11a Abs. 6 GO Schl.-Holst.) und grundsätzlich für den Petitionsausschuss. In Brandenburg grundsätzlich für den Petitionsausschuss (§ 82 Abs. 2 GO Brandbg.) sowie den Hauptausschuss im Rahmen der Wahl der Verfassungsrichter (§ 91 Abs. 5 GO Brandbg.). In NRW gemäß § 56 Abs. 1 S. 2 GO NRW für den Petitionsausschuss sowie nach § 86 Abs. 3 GO NRW für den Rechtsausschuss in Immunitätsangelegenheiten. 252 Gemäß § 93 Abs. 1 S. 3 GO Nds. haben etwa die Prüfung von Haushaltsrechnungen und die Behandlung von (nichtöffentlichen) Eingaben in nichtöffentlicher Sitzung zu erfolgen. Ähnlich gemäß § 17 Abs. 1 S. 2 GO Schl.-Holst. bei Fragen der Haushaltsprüfung oder gemäß § 56 Abs. 1 S. 2 GO Hbg. für die Rechnungsprüfung, die Behandlung von Eingaben sowie den Erwerb bzw. die Veräußerung von Staatsgut. In Rheinland-Pfalz werden gemäß § 80 Abs. 1 GO RhPf. Haushaltsberatungen und das Haushaltsentlastungsverfahren, Immunitätsangelegenheiten sowie die Beratung von Eingaben und die Sitzungen der Strafvollzugskommission ausgenommen. 253 Im Landtag Brandenburg ist dagegen gemäß § 80a Abs. 1 GO Brandbg. zusätzlich entweder die Rechtfertigung des Ausschlusses durch das zwingende Erfordernis überwiegender öffentlicher bzw. privater Interessen oder ein Beschluss mit Zweidrittelmehrheit erforderlich. Ebenso in der Bremischen Bürgerschaft, § 79 Abs. 4 GO Brem. 254 § 138 Abs. 1 S. 2 GO Bay; § 26 Abs. 5 GO Berlin; § 56 Abs. 2 S. 1 GO Hbg; § 93 Abs. 1 S. 4 GO Nds.; § 56 Abs. 2 GO NRW, § 80 Abs. 4 GO RhPf.; § 17 Abs. 1 GO Schl.-Holst. Zum Teil wird im Falle überwiegende Belange des öffentlichen Wohls und der öffentlichen Sicherheit oder schutzwürdige Interessen Einzelner eine Pflicht zum Ausschluss der Öffentlichkeit normiert. So z. B. § 56 Abs. 2 S. 1 GO Hbg.; § 56 Abs. 3 GO NRW, § 80 GO RhPf. 255 Siehe Evaluierung des Pilotprojekts „Livestreaming von öffentlichen Ausschusssitzungen im Landtag Brandenburg, abrufbar unter: https://www.parlamentsdoku mentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku /w6/apr/ABJS/42-009.pdf (06.07.2019). 256 Abrufbar unter: https://www.landtag.ltsh.de/aktuelles/parlaradio/(06.07.2019). 257 § 185 Abs. 2 GO Bay; § 26 Abs. 7 GO Berlin; § 83 Abs. 1 GO Brandbg., § 81 GO Bre.; § 60 Abs. 1 GO Hbg.; § 95 Abs. 1 GO Nds.; § 56 Abs. 6, 7 GO NRW i.V. m. § 5 Abs. 4 Anlage 2 zur GO NRW; § 82 Abs. 1 GO RhPf.; § 20 Abs. 1 lit. d GO Schl.Holst. 258 In Bremen wird z. B. gemäß § 83 GO Brem. ein Zurverfügungstellen der Protokolle in digitaler Form explizit geschäftsordnungsrechtlich statuiert. In Bayern werden
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Wortbeiträge von Abgeordneten ergeben, sind die Ausnahme. Sie können z. T. nach entsprechendem Beschluss des Ausschusses angefertigt werden,259 was in der Praxis gewöhnlich allein bei öffentlichen Anhörungssitzungen erfolgt.260 In Bezug auf die nichtamtliche Aufzeichnung öffentlicher Sitzungen in Ton und Bild bestehen im Einzelnen unterschiedliche Regelungen, wobei jedoch allgemein üblich ist, dass Ton-, Lichtbild-, Film-, Hörfunk- und Fernsehaufnahmen – wenn überhaupt – allein durch Medienvertreter erfolgen dürfen. Z. T. bedarf die Aufzeichnung der expliziten vorherigen Genehmigung durch die Sitzungsleitung.261 In anderen Fällen werden Aufzeichnungen für grundsätzlich zulässig erklärt und die Möglichkeit einer Abweichung im Einzelfall eröffnet.262 In der Hamburgischen Bürgerschaft sind Aufnahmen nur zu Beginn der Ausschusssitzungen erlaubt.263 Schließlich untersagt ein Teil der Landesparlamente solche Aufnahmen generell.264 b) Praktische Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit Erste Erfahrungsberichte mit der Ausschussöffentlichkeit entstammen – wegen der Vorreiterrolle des Bayerischen Landtages – der Parlamentspraxis im Maximilianeum und der hierauf bezogenen Publizistik. Hier sind aus der Anfangszeit der Einführung grundsätzlicher Ausschussöffentlichkeit einige parlamentsinterne Stimmen überliefert, die in Teilen auf die dargestellten klassischen Kritikpunkte Bezug nehmen.265 Im Rahmen der Revision der Geschäftsordnung 1953/1954 wurde jedoch an der Ausschussöffentlichkeit festgehalten und nennenswerte dagegen Ausschussprotokolle gar nicht veröffentlicht, sondern allein regelmäßig in Form von Berichten vom Inhalt der Ausschusssitzungen zusammengefasst (abrufbar unter: https://www.bayern.landtag.de/aktuelles/sitzungen/aus-den-ausschuessen/ (06.07. 2019)). Die Ausschussprotokolle sind für Parlamentsexterne nur gegen Genehmigung einsehbar, vgl. https://www.bayern.landtag.de/webangebot2/webangebot/protokolle?exe cution=e1s1(06.07.2019). 259 So etwa § 26 Abs. 7 S. 4 GO Berlin für öffentliche Anhörungssitzungen. Auch in den grundsätzlich nichtöffentlich tagenden Landtagen können zum Teil wortgetreue Protokolle auf Beschluss des Ausschusses gefertigt werden, so etwa § 25 Abs. 3 GO B-W; § 24 Abs. 2 GO M-V. 260 So z. B. im Landtag von Nordrhein-Westfalen, hier abrufbar unter: https://www. landtag.nrw.de/home/aktuelles-presse/termine/alle-kalendertemine.html (01.08.2019). 261 § 140 GO Bay; §§ 5 f. Anordnung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin über die Sicherheit und Ordnung vom 9. November 2011; § 88 Abs. 3 GO Brem.; § 15 Abs. 1 Hausordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages. 262 § 16 Abs. 2 Hausordnung des Landtages Brandenburg; § 80 Abs. 7 GO Rhl-Pfl. 263 § 56 Abs. 1 S. 5, 6 GO Hmb. 264 § 93 Abs. 1 S. 2 GO Nds.; § 6 Abs. 6 Hausordnung des Landtages NordrheinWestfalen. 265 Namentlich wird auf die Beeinflussung der Abgeordneten durch Presse, Interessenvertreter und Besucher, sowie auf einen Effizienzverlust hingewiesen. Siehe hierzu Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 (13 f.).
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Nachteile, etwa die mögliche Einflussnahme auf Parlamentarier oder tatsächliche Effizienzverluste, zurückgewiesen.266 In gleicher Weise wurde die Anregung seitens der „Arbeitsgemeinschaft für Staatsvereinfachung“, die in einem Gutachten aus dem Jahr 1955 aus Gründen der Effizienz und Sachlichkeit sogar eine Rückkehr zur Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen nahelegte,267 von Abgeordneten aller Fraktionen unter Verweis auf die bisher gemachten Erfahrungen zurückgewiesen.268 Entsprechende Monita sind seither im Bayerischen Landtag nicht mehr nachweisbar, sodass Oberreuter in diesem Zusammenhang die anfänglich kritischen Äußerungen als Übergangsschwierigkeiten deutet, die keinesfalls einer Generalisierung zugänglich seien.269 In der Tat scheint im Maxamilianeum heute die Parlamentspraxis der Ausschussöffentlichkeit allgemeines Ansehen zu genießen, wie etwa den Äußerungen der bayerischem Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) im Zuge der jüngsten Reformdebatte um die Ausschussöffentlichkeit im Bundestag zu entnehmen war.270 aa) Auswirkungen auf die Arbeits- und Funktionsfähigkeit von Ausschüssen Hinsichtlich des Aspektes eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit wird von einem Teil der Literatur271 auf Basis eigener – empirisch nicht unterlegter – Erfahrungen als Praktiker in den Landesparlamenten von negativen Auswirkungen berichtet. Diese stützen sich dabei – der Ratio der klassischen Kritikpunkte folgend – insbesondere darauf, dass eine Diskussion öffentlichkeitsbedingt an dem Bestreben der Fraktionen nach geschlossenem Auftreten, der Zurückhaltung, spontane Einfälle zu äußern und von einmal gefassten Positionen abzuwei266 Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 (13) unter Verweis auf die Beratungen des Ausschusses für Geschäftsordnung. 267 Staatsvereinfachung in Bayern. Gutachten der Arbeitsgemeinschaft für Staatsvereinfachung, Teil I, München 1955; siehe hierzu Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 (14). 268 Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 (14). 269 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (84). 270 „Das ist gelebte Bürgernähe und fördert die Transparenz unserer Arbeit hier im Landtag“, zitiert nach Legal Tribune Online, 28.03.2018, abrufbar unter: https://www. lto.de/recht /nachrichten/n/bundestag-ausschuesse-oeffentlich-transparenz-parlament/ (01.08.2019). Im Zusammenhang mit einem Interview mit der IHK betonte Stamm zudem: „Zum Glück geht bei uns im Landtag trotz allem Streit doch sehr menschlich zu. [. . .] Ich finde, es tut uns allen gut, die ideologische Brille mal abzulegen und einfach den Menschen gegenüber zu sehen. Wir haben es in der Vergangenheit immer geschafft, wieder aufeinander zuzugehen. [. . .] In den Ausschüssen wird ohnehin an der Sache gearbeitet.“, abrufbar unter: https://www.ihk-muenchen.de/de/Wirtschaftsstandort/land tagswahl-bayern-2018/Unsere-Kampagne/Interview-Barbara-Stamm/(01.08.2019). 271 Linck, DÖV1973, 513 (519) stützt sich dabei auf seine Erfahrungen als Fraktionsassistent im Berliner Abgeordnetenhaus. Siehe auch das Gutachten der Arbeitsgemeinschaft für Staatsvereinfachung, 1955, S. 19 mit Blick auf den Bayerischen Landtag.
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chen, kranke und zudem eine Tendenz zu opportunistischem Handeln und Profilierungsdrang einzelner Abgeordneter in der Ausschussberatung befördert werde. Z. T. wird darauf verwiesen, dass sich infolge der Einführung der Öffentlichkeit der Charakter der Ausschusssitzungen durch eine parteipolitische Polarisierung nachteilig verändert habe.272 Der Erkenntniswert solcher persönlichen Wahrnehmungen mag zwar als Indiz dienen, genügt jedoch für sich noch nicht einer wissenschaftlichen Bewertung der Auswirkungen von Ausschussöffentlichkeit. Systematische politikwissenschaftliche Untersuchungen zu der Frage, ob und – wenn ja – inwieweit sich Funktionsfähigkeit, Arbeitsweise und öffentliche Wahrnehmung in öffentlich und nichtöffentlich tagenden Ausschüssen der Landesparlamente unterscheiden, sind indes kaum unternommen worden. Einzige Ausnahme hierzu bildet ein Beitrag von Oberreuter,273 welcher u. a. auf eine Fallstudie von Meyn274 verweist, die den Ablauf zweier politisch kontroverser Gesetzgebungsverfahren (Presse- und Rundfunkgesetz) jeweils im – in den Ausschüssen öffentlichen – bayerischen Landtag und im – seinerzeit noch in den Ausschüssen nichtöffentlich verhandelnden – nordrhein-westfälischen Landtag mit Blick auf die Arbeitseffizienz vergleicht und insoweit auf eine empirische Basis stellt. Die gefundenen Erkenntnisse stehen der Behauptung eines öffentlichkeitsbedingten Funktions- und Effizienzverlustes eindeutig entgegen. Die Gesetzgebungsverfahren in Nordrhein-Westfalen und Bayern verliefen hinsichtlich Form und Inhalt der Beratungen im Wesentlichen gleich. Auch der Zeitaufwand des Verfahrens war im Bayerischen Landtag nicht größer. Stattdessen wurde eine Straffung der anschließenden Plenardebatte verzeichnet, die infolge der vorherigen Ausschussöffentlichkeit von vielen bereits hinlänglich kommunizierten Details freigehalten wurde.275 Aufgrund der Singularität der Fallstudie bietet sich ergänzend ein Blick auf jüngere Gesetzgebungsverfahren an, welche das Ergebnis allerdings zu bestätigen scheinen. Als Beispiel mögen die Gesetzgebungsverfahren zu den Landesversammlungsgesetzen einerseits im Bayerischen Landtag und andererseits – seinerzeit in den Ausschüssen nichtöffentlich tagenden – Landtag Niedersachsens dienen. Auch hier zeichnen sich keine öffentlichkeitsbedingten Effizienzverluste
272 So konstatierte der Sachverständige Prof. Dr. Schliesky in der 17. Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des 18. Deutschen Bundestages am 22.04.2015, Protokoll-Nr. 18/17, S. 13: „Die Arbeitskultur – das bestätigen alle Abgeordneten im Schleswig-Holsteinischen Landtag – hat sich durch die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen, weil die Polarisierung in den Ausschüssen stärker geworden ist. Diese sind zum ,Miniplenum‘ geworden, und es wird auch entsprechend abgestimmt, was vorher so nicht zu beobachten war.“ 273 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (83 ff.); ders., APuZ 21/1970, S. 3 (15 f.). 274 Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (26). 275 Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (26); Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (84); ders., APuZ 21/1970, S. 3 (15 f.).
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ab.276 In Bayern und Niedersachsen wurde dabei das Gesetzgebungsverfahren in Ablauf und inhaltlicher Schwerpunktsetzung vergleichbar durchgeführt,277 wobei auffällt, dass die in beiden Bundesländern ohnehin relativ zügigen Beratungen in Bayern auf Ausschussebene noch gestraffter erfolgten.278 Dies erhärtet die Erkenntnis, dass in Landtagen mit öffentlichen Ausschussverfahren die Beratungen gleichfalls effizient durchgeführt werden können, ohne dass dieser Verfahrensmodus per se ein Hindernis darstellte. Auch weitere Einwände gegen die Ausschussöffentlichkeit lassen sich gestützt auf Erfahrungsberichte aus den insoweit öffentlich beratenden Landtagen angreifen. So wurde die Gefahr der Zunahme von Fensterreden in Ausschüssen bereits früh durch den damaligen Präsidenten des Bayerischen Landtages Rudolf Hanauer (CSU) als von den gemachten Erfahrungen „weitgehend widerlegt“ dargestellt.279 Im Gegenteil zeigte sich eine die Abgeordneten disziplinierende Wirkung der Öffentlichkeit, die zu einer besseren Vorbereitung der Abgeordneten auf die Ausschussthemen führte, was wiederum der Effizienz zugute kam.280 Ferner ziehen die Erkenntnisse sowohl aus dem Bayerischen Landtag als auch aus dem Berliner Abgeordnetenhaus den Vorwurf in Zweifel, dass durch die 276 Für die folgenden Daten siehe die Vorgangsübersichten in den Parlamentsdokumentationssystemen der Landtage. Für Bayern, abrufbar unter: https://www.bayern. landtag.de/dokumente/drucksachen/?dokumentenart=Drucksache (01.08.2019); für Niedersachsen abrufbar unter: https://www.nilas.niedersachsen.de/starweb/NILAS/start. html (01.08.2019). 277 In beiden Bundesländern waren beispielsweise die Frage des Uniformierungsverbots, der Bannmeilenvorschrift sowie die Anfertigung von Übersichtsaufnahmen durch die Polizei Gegenstand inhaltlicher Kontroversen, vgl. Bayerischer Landtag PlPr 15. WP/129. Sitzung vom 16.7.2008, S. 9389 ff.; Niedersächsischer Landtag PlPr. 16. WP/83. Sitzung vom 5.10.2010, S. 10444 ff. 278 In Bayern wurde der Gesetzesentwurf vom 11.03.2008 bereits am 28.07.2008 (nach nicht einmal fünf Monaten) verkündet. Wie dem Ausschussbericht zu entnehmen, fanden seitens des federführenden Ausschusses nur zwei Beratungen – am 29.05.2008 sowie am 10.07.2008 – statt. In diesem Zeitraum behandelten sechs mitberatenden Ausschüssen die Vorlage je in einer Sitzung. Die Ausschussphase dauerte mit der Überweisung durch das Plenum (03.04.2008) bis zur Beschlussempfehlung und Berichterstattung (10.07.2008) gute drei Monate. In Niedersachsen wurde die Gesetzesvorlage vom 12.01.2010 am 14.10.2010 verkündet. Der federführende Ausschuss führte zunächst eine Anhörung (07.04.2010) und sodann zwei Beratungssitzungen (01.09. und 22.09.2010) durch. Ferner fand eine Sitzung eines mitberatenden Ausschusses statt. Die Ausschussphase dauerte von der Überweisung am 19.01.2010 bis zu Beschlussempfehlung (22.09.2010) bzw. zum Bericht des federführenden Ausschusses (04.10.2010) über neun Monate und damit in etwa dreimal so lang wie in Bayern, wobei die längere Dauer in Terminverschiebungen bei der Anhörungsplanung und der zwischenzeitlichen parlamentarischen Sommerpause begründet lag. 279 Hanauer, Die Vertretung des bayerischen Volkes, in: Nach 20 Jahren Diskussion der bayerischen Verfassung, 1966, S. 37 zitiert nach Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (85), Fn. 23; siehe auch ders., APuZ 21/1970, S. 3 (14), Fn. 59. 280 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (85), Fn. 23.
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Ausschussöffentlichkeit die Möglichkeiten zu spontanen Äußerungen und zur Kompromissfindung zwangläufig beeinträchtigt würden.281 Dies bestätigen auch jüngere Einschätzungen aus der bayerischen Parlamentspraxis, die auf ein konstruktives Klima in den Ausschüssen hindeuten.282 Dieser Befund deckt sich mit der Beobachtung einer nicht über das normale Maß hinausgehenden Fraktionsdisziplin in den Ausschüssen, die sich in gelegentlichem Abstimmungsverhalten von einzelnen Abgeordneten entgegen der Fraktionslinie und einer fraktionsübergreifenden „parlamentarischen Solidarität“ im Rahmen der Verwaltungskontrolle äußert.283 An der These, dass die Gefahr der Diskussionsflucht aus den Ausschüssen besteht, hat Oberreuter – erneut gestützt auf empirische Erkenntnisse – ebenfalls Zweifel begründet. So vergleicht er ausgehend von der Prämisse, dass sich infolge einer Diskussionsflucht ein verzweigtes Netzwerk aus nichtöffentlichen – institutionalisierten oder informellen – Beratungsräumen bilden müsste, die Anzahl der Unterausschüsse, Sonderausschüsse und Kommissionen sowie von informellen interfraktionellen Kommunikationskanälen im bayerischen und nordrheinwestfälischen Landesparlament. Er kommt hierbei zu der Erkenntnis, dass im Bayerischen Landtag keinerlei Anhaltspunkte für ein größeres Maß an informeller Willensbildung bestehen und institutionalisierte (nichtöffentliche) Untereinheiten jenseits der Ausschussebene hier sogar weniger verbreitet sind.284 Schließlich sind ebenso wenig negative Auswirkungen der Ausschussöffentlichkeit auf die Auskunftsbereitschaft der Regierung dokumentiert. bb) Öffentliche Resonanz der Ausschusstätigkeit Auch die Prognose eines mangelnden gesellschaftlichen Interesses an den Detailfragen der Ausschussarbeit wird von Oberreuter auf Basis empirischer Erkenntnisse aus den 1970er Jahren in Frage gestellt. Dabei hat er festgestellt, dass die insgesamt erfolgte Presseberichterstattung über parlamentarische Vorgänge im Vergleich der Landesparlamente Bayerns und Nordrhein-Westfalens im Verhältnis 4 zu 1 steht. Mit Blick auf die nichtamtliche Berichterstattung hinsichtlich des Ausschussverfahrens betrug das Verhältnis sogar 30 zu 1 zugunsten des Bayerischen Landtages. Im Binnenverhältnis machte in Bayern die Berichterstattung über das Ausschussverfahren immerhin zwei Drittel der Gesamtberichterstattung, in Nordrhein-Westfalen dagegen nur sechs Prozent aus.285 281 So Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (85); zur Kompromissfähigkeit auch Gleitmann, Der Bayerische Landtag, 1970, S. 185: „Je weniger grundsätzlich der Verhandlungsgegenstand, desto mehr traten die Parteiabgrenzungen in den Hintergrund.“ In diesem Sinne auch H. Schneider, Länderparlamentarismus, 1979, S. 90. 282 Glaab, in: Glaab/Weigl, Politik und Regieren in Bayern, S. 19 (52 f.), unter Verweis auf eine Interviewserie aus dem Jahr 2007. 283 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (86). 284 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (87).
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Diese Erkenntnis bestätigen auch Erfahrungen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, welche von einer „intensiveren Berichterstattung der Presse über Ausschußsitzungen“ 286 Zeugnis ablegen. Aber auch jüngere Studien wie der Evaluierungsbericht zum Pilotprojekt bezüglich Livestreams im Landtag Brandenburg belegen anhand konkreter Zugriffszahlen auf Direktübertragungen von Ausschusssitzungen ein nicht unerhebliches gesellschaftliches Interesse.287 Die verbesserte Wahrnehmbarkeit findet ihre Entsprechung in einer größeren Responsivität seitens der Bürger gegenüber parlamentarischen Prozessen.288 Im Bayerischen Landtag ist schließlich die Offenlegung der Entscheidungsprozesse in den Fachausschüssen – nach Einschätzung Oberreuters – dem Ansehen des Landtages insgesamt zugute gekommen.289 Die These von einem zu erwartenden Bedeutungsrückgang des parlamentarischen Verfahrens infolge eines Überangebots an Informationen hat sich nach den gemachten Erfahrungen in Bayern nicht bestätigt. Demnach liegt der qualitative Fokus der medialen Aufmerksamkeit – trotz der regelmäßigen Ausschussberichterstattung – nach wie vor eher auf dem Landtagsplenum.290 Zwar trifft ausweislich der bayerischen Parlamentspraxis das Argument, dass durch teilweise Vorwegnahme der Debatte in den Ausschüssen der öffentliche Fokus auf das Plenum z. T. abnehme, durchaus zu. Mit Blick auf das Parlament in seiner Gesamtheit ist jedoch im Ergebnis durch die Ausschussöffentlichkeit ein Publizitätsgewinn zu verzeichnen.291 Auch der Gefahr einer kritischen Medienberichterstattung hinsichtlich einer unzulänglichen Ausschussarbeit scheint die langfristige Erfahrung mit der umfassenderen Ausschussöffentlichkeit in den Landesparlamenten eher zu widersprechen. Hier hat stattdessen die permanente Öffentlichkeit eine Tendenz zu besserer inhaltlicher Vorbereitung der Abgeordneten befördert.292 285 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (88 f.), der eine Steigerung der Ausschussberichtserstattung um mehr als 100 % nach der Einführung der Ausschussöffentlichkeit im Berliner Abgeordnetenhaus nachweist. 286 Härth/Neumeyer, ZParl 3 (1972), S. 192 (195). 287 So verzeichnete etwa der Ausschuss für Inneres und Kommunales in der Spitze bis zu 670 Aufrufe pro Beratung mit durchschnittlich 30 Minuten Aufrufdauer. Siehe hierzu Evaluierung des Pilotprojekts „Livestream von öffentlichen Ausschusssitzungen im Landtag Brandenburg“, Anlage 5, abrufbar unter: https://www.parlamentsdokumen tation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parldoku/w6/apr/ABJS/42009.pdf (zuletzt abgerufen am 10.07.2019). 288 So Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (88), Fn. 34 unter Verweis auf Hanauer, Die Vertretung des bayerischen Volkes, in: Nach 20 Jahren Diskussion der bayerischen Verfassung, 1966, S. 38. 289 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (86). 290 Glaab, in: Glaab/Weigl, Politik und Regieren in Bayern, S. 19 (55). 291 So auch Wiesend, Das Ausschußwesen des Bayerischen Landtags, 1989, S. 255. 292 Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (85), Fn. 23 unter Verweis auf Hanauer, Die Vertretung des bayerischen Volkes, in: Nach 20 Jahren Diskussion der bayerischen Verfassung, 1966, S. 37.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
c) Übertragbarkeit der Erkenntnisse Insgesamt stützen die Erfahrungen aus der Parlamentspraxis der Landtage die klassischen Kritikpunkte an der Ausschussöffentlichkeit nicht. Obgleich es an breit angelegten empirischen Studien fehlt, verdichten sich die praktischen Erkenntnisse zu einem Gesamtbild, welches nahe legt, dass es öffentlichkeitsbedingt zu keinen quantifizierbaren Funktionsfähigkeits- oder Effizienzverlusten der Ausschüsse gekommen ist. Ferner hat sich gezeigt, dass die gesellschaftliche Wahrnehmung der Ausschusssitzungen erheblich ist und insgesamt die Außenwirkung der Landtage von der Ausschussöffentlichkeit profitiert. Für eine grundsätzliche Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse aus den Landesparlamenten auf den Bundestag spricht bereits, dass ein Mindestmaß an Homogenität der bundes- und landesverfassungsrechtlichen Staatsorganisation nach Art. 28 Abs. 1 GG geboten ist. Allerdings ist der hiervon offen gelassene Gestaltungsspielraum der Länder erheblich.293 In der praktischen Ausgestaltung wurde dieser jedoch (gleichlaufend mit der Bundesebene) in sämtlichen Ländern durch Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems umgesetzt.294 Auch weisen sämtliche Landesparlamenten im Vergleich mit dem Bundestag weitgehend gleiche Strukturen auf und nehmen dieselben Funktionen wahr, wobei sie sich hierzu ähnlicher Instrumente bedienen.295 Gleichwohl gilt es im Rahmen eines Parlamentsvergleichs zu bedenken, dass die Kompetenzen der Landesparlamente – insbesondere im Rahmen der Gesetzgebungstätigkeit – schwerlich mit jenen des Bundestages vergleichbar sind.296 Die Abgabe von Länderzuständigkeiten an die Bundesebene sowie – im Zuge zunehmender Europäisierung – an die Institutionen der Europäischen Union lassen Arbeitsperspektiven und -stil der Landtage und deren Ausschüsse nicht unverändert. Die zunehmende Notwendigkeit der Umsetzung von Regelungsaufträgen der übergeordneten Normenebenen in Form von Ausführungs- und Anpas293 Siehe hierzu grundlegend Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28, Rn. 58 ff.; ferner auch Dreier, in: Dreier, Art. 28, Rn. 67. 294 H. Schneider, Länderparlamentarismus, 1979, S. 11 f.; Mielke, in: Mielke/Reutter, Landesparlamentarismus, S. 23 (45). 295 So konstatiert H. Schneider, Länderparlamentarismus, S. 122: „Äußerlich scheinen sich Bundestag und Landtage einander [sic!] zu gleichen; beide besitzen Fraktionen, Ausschüsse und Hilfsdienste; ihre Abgeordneten greifen anregend und kontrollierend, unterstützend und fragend in das parlamentarische Geschehen ein, wobei sie sich der in den Geschäftsordnungen vorgesehenen Mittel bedienen, der Kleinen und Großen Anfrage ebenso wie der Aktuellen Stunde oder der Debatte.“ Vgl. auch Mielke, in: Mielke/Reutter, Landesparlamentarismus, S. 23 (42 ff.); Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (90) spricht zudem davon, dass „demokratie- und repräsentationstheoretisch“ keine Differenzierung zwischen Bundestag und Länderparlamenten geboten sei. 296 Spiegelbildlich hierzu sind auch die zeitlichen und personellen Ressourcen der Landesparlamente nicht auf die Bewältigung von komplexen Gesetzgebungsmaterien ausgelegt. So Mielke, in: Mielke/Reutter, Landesparlamentarismus, S. 23 (29).
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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sungsgesetzen führt zu einer Fokussierung auf die Erörterung von Detailproblemen, während richtungsweisende und kontroverse Grundsatzentscheidungen eher Mangelware sind. In der Folge liegt ein Schwerpunkt der Landesparlamente auf deren Kontroll- und die Artikulationsfunktion.297 Gleichwohl darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Landesparlamente im erheblichen Umfang gesetzgeberisch aktiv sind.298 So haben sich die vorstehend ins Feld geführten Fallstudien zu möglichen Funktionsverlusten der Ausschüsse gerade auf gesellschaftlich bedeutungsvolle Gesetzgebungsverfahren im Presse-, Rundfunk- und Versammlungsrecht bezogen, sodass eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der Erkenntnisse jedenfalls insoweit gegeben ist. Auch werden die gefundenen Einsichten nicht dadurch verwässert, dass den Landesparlamenten generell und deren Ausschüssen im Speziellen eine im Vergleich zum Bundestag gelockerte Fraktionsdisziplin sowie eine größere Neigung zu fraktionsübergreifender Kooperation nachgesagt wird.299 Jedenfalls bei kontrovers diskutierten Gesetzgebungsfragen ist ein Konsens über Fraktionsgrenzen hinweg auch in den Ausschüssen der Landesparlamente kaum möglich, da die inhaltlichen Positionen der Fraktionen insoweit faktisch vorher festgelegt sind und sich die Abgeordneten als deren Vertreter – trotz rechtlicher Ungebundenheit – de facto hiernach richten.300 Mit Blick auf die Frage der Übertragbarkeit der Erkenntnisse muss jedoch bedacht werden, dass die gesellschaftliche (medial vermittelte) Aufmerksamkeit hinsichtlich der Landtage im Vergleich zur Bundespolitik deutlich geringer einzuschätzen ist. Auf letzterer liegt eindeutig der Fokus der politischen Berichterstattung.301 Dies ist insoweit zu berücksichtigen, als eine stärkere Präsenz des Publikums potentiell auch die Gefahr eines öffentlichkeitsbedingt veränderten Verhaltens der Abgeordneten erhöhen könnte.302 Gleichwohl ist aus der oben 297 Vgl. Mielke, in: Mielke/Reutter, Landesparlamentarismus, S. 23 (27 ff.); H. Schneider, Länderparlamentarismus, 1979, S. 47 ff., 122 f.; kritisch zur hieraus zum Teil gezogenen Schlussfolgerung von einem Bedeutungsverlust der Landesparlamente siehe Mielke, in: Mielke/Reutter, Landesparlamentarismus, S. 23 (49 ff.); Reutter, APuZ 50–51/2004, S. 18 (22 f.). 298 Mielke, in: Mielke/Reutter, Landesparlamentarismus, S. 23 (49 ff.); Reutter, APuZ 50–51/2004, S. 18 (21). 299 Dies wird damit begründet, dass infolge der geringeren Größe der Landesparlamente ein engerer persönlicher Kontakt der Abgeordneten bestehe und daher ein sachlicherer Umgang herrsche. Ferner eigneten sich die hier regelmäßig thematisierten Belange des Verwaltungsalltags mitunter schlecht für eine parteipolitische Aufladung. Zum Ganzen siehe H. Schneider, Länderparlamentarismus, 1979, S. 55, 69, 86 ff., 124 f. 300 H. Schneider, Länderparlamentarismus, 1979, S. 90. 301 Vgl. Korte, in: Werz/Koschar, Regionale politische Kultur in Deutschland, S. 93 (105 ff.); ders., in: Sarcinelli/Falter/Mielke/Benzner, Politik in Rheinland-Pfalz, S. 283 (292); H. Schneider, Länderparlamentarismus, 1979, S. 61. 302 Vgl. hierzu. auch Morlok, in: Dreier, Art. 42, Fn. 71.
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
festgestellten Tatsache, dass trotz erheblich gesteigerter Berichterstattung aus öffentlich tagenden Landtagsausschüssen keinerlei Effizienzverluste verzeichnet werden konnten, abzuleiten, dass auch bezüglich der Ausschüsse des Bundestages zumindest kein fundamental abweichendes Ergebnis zu erwarten ist. In Bezug auf die inhaltliche Wahrnehmbarkeit der Ausschussarbeit wird – mit Blick auf die politisch bedeutsameren Fragestellungen der Bundespolitik – im Bundestag sogar eine eher größere Resonanz zu erwarten sein. Schließlich gilt es sich vor Augen zu führen, dass in den Landesparlamenten – bis auf wenige Ausnahmen – keine vollständige Übertragung der Sitzungen in Bild und Ton erfolgt. Der eingangs dieser Untersuchung skizzierte Reformvorschlag einer grundsätzlichen Öffentlichkeit unter Einschluss von Liveübertragungen und Videoaufzeichnungen geht somit erheblich weiter als das in den Bundesländern umgesetzte Maß der Ausschussöffentlichkeit, was bei der Ableitung von Schlussfolgerungen aus der Parlamentspraxis der Länder mitzudenken ist. Die gewonnenen Erkenntnisse können sich im Wesentlichen daher „nur“ auf eine hergestellte Saalöffentlichkeit mit ggf. einzelnen Aufnahmen durch Pressevertreter beziehen. Zwar liegen im Rahmen der Evaluierung des Pilotprojekts des Landtages Brandenburg zur Einführung von Livestreams aus öffentlichen Ausschusssitzungen ausschließlich positive Einschätzungen vor, sodass sich auch hier die vorgebrachten Kritikpunkte nicht bestätigen lassen.303 Da die praktischen Erfahrungen jedoch lediglich auf zwei Ausschüsse begrenzt sind und hierzu eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung bisher nicht vorliegt, sollten allgemeine Ableitungen auf dieser Basis nur mit Bedacht getroffen werden. Als Zwischenresümee bleibt festzuhalten, dass Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit aus den Landesparlamenten zeigen, dass weder empfindliche Störungen von Funktions- und Arbeitsfähigkeit noch ein allgemeiner Ansehensverlust des Parlaments als Folgen zu erwarten sind. Gleichzeitig ist von einem zumindest nicht unerheblichen Interesse der gesellschaftlichen Öffentlichkeit an den Ausschussthemen auszugehen. Diese Erkenntnisse lassen sich jedenfalls in Grundzügen auf die Ausschüsse des Deutschen Bundestages übertragen.
303 So berichtet die Ausschussvorsitzende des Ausschusses für Inneres und Kommunales: „Das Livestreaming ist inzwischen reibungslos in den Sitzungsablauf integriert. Negative Rückmeldungen von Ausschussmitgliedern oder Anzuhörenden hat es nicht gegeben“, hier zitiert nach Anlage 4 zur Evaluierung des Pilotprojekts „Livestreaming von öffentlichen Ausschusssitzungen im Landtag Brandenburg“, abrufbar unter: https:// www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/-parldoku/w6/apr/ -ABJS/42-009.pdf (08.07.2019).
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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4. Praxiserkenntnisse aus dem Europäischen Parlament Im supranationalen Kontext kann ein vergleichender Blick zudem auf das Europäische Parlament gerichtet werden, dessen Ausschüsse gemäß Art. 121 Abs. 3 GO-EP grundsätzlich in öffentlicher Sitzung verhandeln. Dies entspricht dem allgemeinen unionsrechtlichen Transparenzgebot in Art. 15 Abs. 1 AEUV, wonach die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit handeln. Hieraus folgt wiederum, dass Abweichungen von diesem Grundsatz nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen zulässig sind.304 In diesem Kontext bestimmt Art. 121 Abs. 3 GO-EP, dass Ausschüsse spätestens bis zur Annahme der Tagesordnung der betreffenden Sitzungen beschließen können, diese in öffentlich und nichtöffentlich zu behandelnde Punkte zu unterteilen. Die Sitzungen werden gemäß Art. 205 Abs. 1 GO-EP von Parlamentskameras in Ton und Bild aufgenommen und per Livestream im Internet übertragen bzw. stehen nach Abs. 2 im Anschluss an die Sitzungen als Videoaufzeichnung auf der Internetseite des Europäischen Parlaments zum Abruf bereit.305 Daneben werden gemäß Art. 204 Abs. 1 GO-EP stenografische Protokolle (sog. „ausführliche Sitzungsberichte) von den Sitzungen der Ausschüsse gefertigt, in welchen die Wortbeiträge in der Originalsprache erfasst werden, wobei auf den Antrag eines Mitglieds von einzelnen Auszügen Übersetzungen anzufertigen sind. Ferner werden gemäß Art. 202 Abs. 1 GO-EP kurze Beschlussprotokolle verfasst. Beide Dokumententypen sind über das Parlamentsarchiv im Internet abrufbar.306 Die praktischen Erfahrungen aus dem Europäischen Parlament deuten in keiner Form darauf hin, dass die Ausschussöffentlichkeit als Hindernis empfunden wird. Dies lässt sich schon daran ablesen, dass bisher keinerlei nennenswerte politik- oder rechtswissenschaftliche Diskussionen zu den Auswirkungen der Ausschussöffentlichkeit im Europäischen Parlament geführt, geschweige denn Reformbestrebungen hierzu angeregt wurden. Insbesondere ist eine verstärkte parteipolitische Aufladung, die der Kompromissfindung hinderlich wäre, in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments nicht zu beobachten. Im Gegenteil herrscht dort weit überwiegend ein kollegialer Umgang sowie ein konstruktiver politischer Diskurs vor. Im Ergebnis wird oft ein fraktionsübergreifender Kon304 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 15 AEUV, Rn. 6; Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 15 f. AEUV, Rn. 15. Dagegen bezieht sich Art. 15 Abs. 2 AEUV, wonach das Europäische Parlament öffentlich tagt, allein auf das Plenum, wie sich aus Art. 14 Abs. 2 EUV sowie Art. 229 AEUV ergibt. So auch Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 15 AEUV, Rn. 6; Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 15 AEUV, Rn. 15. 305 Im Internet abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/ep-live/de/commit tees/(08.07.2019) 306 Im Internet abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/RegistreWeb/search/ simpleSearchHome.htm?-language=DE (08.07.2019).
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
sens angestrebt, wobei das Parlament in der Regel darum bemüht ist, mit vereinter Stimme zu sprechen, wenn es inhaltliche Positionen gegenüber dem Ministerrat im Mitentscheidungsverfahren durchzusetzen gilt.307 Indes stellt sich die Frage, inwieweit dieser Eindruck vor dem Hintergrund institutioneller Besonderheiten des Europäischen Parlaments sowie einer auf europäischer Ebene nicht gleichermaßen vorhandenen Öffentlichkeit – im Sinne eines gemeinsamen Kommunikationsraumes – überhaupt verlässliche Erkenntnisse für die Behandlung der Frage der Ausschussöffentlichkeit im Bundestag bereithält. Zwar sind die Funktionsweisen und das parlamentarische Verfahren des Europäischen Parlaments in Grundzügen durchaus mit den Abläufen im Bundestag vergleichbar. Auf Basis der dem Parlament von den Europäischen Verträgen zugeordneten Funktionen308 wird dieses als Arbeitsparlament eingestuft, da sich ein Schwerpunkt der Wahrnehmung seiner Kompetenzen in den Ausschüssen vollzieht.309 Nach Art. 210 Abs. 1 GO-EP haben die Ausschüsse die ihnen vom Parlament überwiesenen Gegenstände zu prüfen. Hierbei werden die Beschlüsse und Stellungnahmen des Plenums durch Berichte der Ausschüsse inhaltlich vorbereitet und politisch vorabgestimmt.310 Daneben haben Ausschüsse gemäß Art. 54 GO-EP unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, hinsichtlich Themen aus ihrem Geschäftsbereich311 selbstständig einen sog. Initiativbericht zu erstellen und diesen dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen, um so den
307
Maurer/Dialer/Richter, Handbuch zum europäischen Parlament, 2015, S. 167. Als zentrale Vorschrift sieht hier Art. 14 Abs. 1 EUV vor, dass das Europäische Parlament gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber tätig wird und gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse ausübt. Es erfüllt ferner Aufgaben der politischen Kontrolle und Beratungsfunktionen und wählt den Präsidenten der Kommission. 309 Dialer, in: Dialer/Lichtenberger/Neisser, Das Europäische Parlament, S. 33 (34 ff.); Maurer/Dialer/Richter, Handbuch zum europäischen Parlament, 2015, S. 167, 241 ff. 310 So wird im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens eine Vorlage der Kommission für einen Rechtsakt nach Ankündigung im Plenum an den inhaltlich zuständigen Ausschuss überwiesen (Art. 48 Abs. 1 GO-EP). Der Ausschuss prüft die Rechtsgrundlage (Art. 40 Abs. 1 GO-EP) und die finanzielle Vereinbarkeit mit den vorgesehenen Mitteln (Art. 42 Abs. 2 GO-EP), beruft sodann aus seiner Mitte einen Berichterstatter (Art. 51 Abs. 2 GO-EP) und beschließt einen sog. „Legislativbericht“, der insbesondere etwaige Änderungsanträge zur Vorlage – ggf. versehen mit kurzen Begründungen – enthält (vgl. Art. 51 Abs. 3 GO-EP). Letzter wird anschließend dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt, welches den Vorschlag auf der Grundlage des Ausschussberichts prüft und darüber nach Maßgabe des Art. 59 Abs. 4 GO-EP abstimmt. An ähnlicher Weise wird auch der Standpunkt des Parlaments im Rahmen der zweiten Lesung des Gesetzgebungsverfahrens vorbereitet (vgl. Art. 65 GO-EP). Soweit der einem Ausschuss vorgelegte Gegenstand kein Rechtsakt ist, kann der Ausschuss nach Art. 53 GO-EP einen „nichtlegislativen Bericht“ verfassen, der einen Entschließungsantrag nebst Begründung und ggf. Ausführung zu finanziellen Auswirkungen des Berichts enthält. 311 Dabei richtet sich die Zuständigkeit der Ausschüsse im Einzelnen nach Art. 206 GO-EP i.V. m. Anlage VI GO-EP. 308
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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politischen Prozess mitgestalten zu können.312 Somit liegt prima facie eine den Bundestagsausschüssen vergleichbare Funktionenzuordnung von Beschlussvorbereitung und Selbstbefassung vor. Gleichwohl hebt sich die Arbeitsweise der Ausschüsse des Europäischen Parlaments deutlich von jener der Bundestagsausschüsse ab. Im Gefüge der Institutionen der Europäischen Union existiert keine einheitliche Exekutive, die auf die fortlaufende Unterstützung einer Regierungsmehrheit im Parlament angewiesen ist, sodass sich das für den Bundestag typische Wechselspiel zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen im Europäischen Parlament nicht in gleicher Weise einstellt.313 In der Folge stellt sich die Arbeit in den Ausschüssen als ein „Wechselspiel von Konflikt und Kooperation“ 314 dergestalt dar, dass – trotz grundsätzlicher Positionierung der Fraktionen – in den Ausschüssen häufig ein konsensorientiertes Vorgehen erfolgt. Politische Positionen werden nach wie vor zumeist nach nationalen Maßstäben gebildet und auch Partikularinteressen einzelner Parteien innerhalb einer Fraktion bewirken mitunter ein Abweichen von der Fraktionslinie.315 Sachargument und persönliche Expertise – unabhängig von der politischen Zugehörigkeit – genießen einen größeren Stellenwert als in vielen nationalen Parlamenten.316 Gerade zur effektiven Einflussnahme des Europäischen Parlaments im Rahmen der Gesetzgebung – nicht zuletzt in Konkurrenz zum Ministerrat – ist es mithin regelmäßig erforderlich, fraktionsübergreifende Mehrheiten herzustellen.317 Dies führte in der Vergangenheit de facto zu einem Zwang, dass die beiden großen Fraktionen des Europäischen Parlaments (SPE/ S&D und EVP) eine gemeinsame Position finden, da beide nicht in der Lage waren, regelmäßig andere Abstimmungskoalitionen zu bilden.318
312
Dialer, in: Dialer/Lichtenberger/Neisser, Das Europäische Parlament, S. 43 f. Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 102; vgl. auch Maurer/Dialer/Richter, Handbuch zum europäischen Parlament, 2015, S. 167; Wuermeling, EuGRZ 2004, S. 559 (561). 314 Dialer, in: Dialer/Lichtenberger/Neisser, Das Europäische Parlament, S. 147 (148); vgl. auch Maurer/Dialer/Richter, Handbuch zum europäischen Parlament, 2015, S. 167. 315 H. P. Ipsen, in: FS Lerche, S. 425 (436, 440); Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 102; vgl. auch Maurer/Dialer/Richter, Handbuch zum europäischen Parlament, 2015, S. 167. 316 Bryde, in: FS Zuleeg, S. 131 (135); Rieckhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, 2007, S. 102; vgl. auch Dialer, in: Dialer/Lichtenberger/Neisser, Das Europäische Parlament, S. 147 (148). 317 So erfordert die Ablehnung oder Abänderung von Änderungsvorschlägen, die der Ministerrat an einem Gesetzentwurf der Kommission nach dem ersten Durchgang der Vorlage durch das Parlament beschließt und die sodann dem Parlament erneut vorlegt werden, gemäß Art. 294 Abs. 7 lit. b, c HS 1 AEUV selbst eine absolute und nicht bloß eine relative Mehrheit. 318 Maurer/Dialer/Richter, Handbuch zum europäischen Parlament, 2015, S. 167, 242. 313
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
Ferner sprechen veränderte Wirkbedingungen der Parlamentsöffentlichkeit auf europäischer Ebene gegen eine einfache Übertragbarkeit der Erkenntnisse. Während in den Mitgliedsstaaten die jeweiligen nationalen politischen Institutionen und Akteure im Fokus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit stehen, besteht kein vergleichbarer Resonanzboden in Form einer homogenen, supranationalen Öffentlichkeit auf europäischer Ebene. Einem solchen steht in seiner Entstehung bereits die Heterogenität von Sprache, Medienlandschaft und politisch-kulturellem Vorverständnis der Mitgliedsstaaten entgegen.319 Zwar kann von einer teilweisen Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten gesprochen werden dergestalt, dass relevante europäische Themen wie Eurokrise, TTIP oder Brexit synchron nach ähnlichen Relevanzkriterien in mehreren Mitgliedsstaaten ein – freilich aus nationalem Blickwinkel betrachtetes – gesellschaftliches Thema darstellen.320 Nichtsdestotrotz nehmen diese Themen und die beteiligten Akteure auf europäischer Ebene in der politischen Debatte gegenüber der nationalen Politik eine allenfalls untergeordnete Rolle ein.321 In der Folge steht der Arbeit des Parlaments in viel geringerem Maße eine kritische gesellschaftliche Öffentlichkeit gegenüber, womit die Abgeordneten weniger der Versuchung unterliegen, sich vor dieser zu profilieren. Insgesamt sind damit die Beobachtungen aus dem Europäischen Parlament für die Reformfrage bezüglich des Bundestages nur von bedingter Aussagekraft. Gleichwohl verdichtet sich das bereits anhand der Erfahrungen aus den Landesparlamenten durchscheinende Bild, dass auch in anderen, dem Leitbild eines Arbeitsparlaments folgenden Parlamenten zumindest keine gravierenden Obstruktionen von Arbeitsfähigkeit und -kultur aus der Ausschussöffentlichkeit erwachsen. 5. Praxiserkenntnisse aus dem britischen House of Commons Um die Erkenntnisgrundlage, auf deren Basis die Wirkung einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit bewertet werden soll, zu komplettieren, lohnt sich ein zusätzlicher Blick ins Ausland. Andere nationalstaatliche Parlamente sind dabei – anders etwa als die Landesparlamente oder das Europäische Parlament – in einer dem Bundestag vergleichbaren Weise Widerpart der jeweiligen nationalen politischen Öffentlichkeit. Für einen Parlamentsvergleich bietet sich in besonderer Weise das britische House of Commons als „Mutter aller Parlamente“ an. Das Unterhaus wird gemeinhin als Archetyp des Redeparlaments begriffen.322 Da ein 319
Gerhards, in: Bach, Die Europäisierung nationaler Gesellschaften, S. 277 (291). Machill, in: Langenbucher/Lanzer, Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel, S. 132 (142 ff.); Maurer/Dialer/Richter, Handbuch zum europäischen Parlament, 2015, S. 342; Ruiz-Soler, APuZ 37/2017, S. 35 ff. 321 Zum Ganzen siehe Machill, in: Langenbucher/Lanzer, Europäische Öffentlichkeit und medialer Wandel, S. 132 ff. 322 Siehe schon Kap. 2 B. IV. 1.; hierzu grundlegend auch Steffani, Parlamentarische und Präsidentielle Demokratie, 1979, S. 13, 96 ff. 320
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solches den Anspruch erhebt „das wichtigste Forum der öffentlichen Meinung, die offizielle Bühne aller großen, die Nation bewegenden politischen Diskussionen zu sein“,323 ist es in besonderem Maße auf die Öffentlichkeit seiner Beratungen angewiesen. Es nimmt daher nicht wunder, dass auch die Ausschüsse des britischen Unterhauses in erheblichem Maße öffentlich verhandeln. Bevor der Blick auf die Untersuchung der konkreten Ausgestaltung der Ausschussöffentlichkeit gerichtet wird, gilt es zunächst die Besonderheit festzuhalten, dass die staatsrechtliche Organisation Großbritanniens und damit auch die grundlegenden Verfahrensanforderungen an das Parlament nicht durch eine geschriebene Verfassung im Sinne eines zusammenhängenden, zentral die fundamentalen Prinzipien und Regeln der Staatsorganisation zusammenfassenden Dokuments determiniert sind. Das britische „Parlamentsrecht“ ist vielmehr Ausdruck eines historisch gewachsen Geflechts aus kodifiziertem Recht, Bestimmungen des Common Law, Konventionalregeln sowie vor allem aus informellem Parlamentsbrauch und parlamentarischer Übung.324 Insbesondere mit Blick auf das Verfahrensrecht der Ausschüsse sind – in Ermangelung formeller Gesetzgebung – vorgenannte informelle Parlamentsregeln maßgeblich.325 Diese sind dabei z. T. in einer Geschäftsordnung, den sog. „Standing Orders“ des House of Commons, fixiert326 und wurden zudem in autoritativen Kommentaren, insbesondere im detaillierten Standardwerk über das parlamentarische Ver-
323
Steffani, Parlamentarische und Präsidentielle Demokratie, 1979, S. 96. Siehe hierzu Thompson, Making British Law, 2015, S. 10; vgl. auch Hübner/ Münch, Das politische System Großbritanniens, 1999, S. 20 ff. Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 53, Fn. 2 weist insoweit darauf hin, dass das britische Parlamentsrecht mangels einer geschriebenen Verfassung nicht klar durch eine solche fundiert und umgrenzt wird, sondern vielmehr selbst einen Teil der Verfassungsordnung darstellt. 325 Thompson, Making British Law, 2015, S. 10. 326 Ob Standing Orders „Recht“ im eigentlichen Sinne darstellen, ist dabei diskutabel. Vor dem Hintergrund des das britische Verfassungsrecht prägenden Grundsatzes der Parlamentssouveränität, wonach allein das Parlament im Stande ist, Gesetze zu verabschieden, wobei es an keinerlei übergeordnete Regularien wie einen Verfassungstext gebunden ist, können Gerichte Parlamentsentscheidungen weder auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen noch revidieren. Hieraus wird abgeleitet, dass auch eine gerichtliche Überprüfung der Einhaltung des parlamentarischen Verfahrens nicht in Betracht kommt. Der Jurist Sir William Blackstone führt hierzu in seinen Commentaries on the Laws of England aus: „The whole law and custom of Parliament has its origin in this one circumstance, – that whatever matter arises respecting either House of Parliament ought to be examined, discussed, and adjudged in the House to which it relates, and not elsewhere“, zit. nach Rogers/Walters, How Parliament Works, 7. Aufl. 2015, S. 183. Dies wurde in den Präzedenzfällen Edinburgh and Dalkeith Railway v Wauchope sowie British Railway v Pickin bestätigt. Gleichwohl kann das parlamentarische Verfahrensrecht als Corpus von Vorschriften verstanden werden, der parlamentsintern als verbindlich angesehen und entsprechend vom Parlament selbst durchgesetzt wird. Vgl. hierzu Oliver/Drewry, The Law and Parliament, 1998, S. 4 ff. 324
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fahren – Erskine May, Parliamentary Practice327 – zusammengetragen. Die Besonderheiten der Parlamentspraxis sind regelmäßig erst durch eine Zusammenschau der beiden letztgenannten Quellen vollständig eingängig, da ihr häufig eine Reihe von lange bewährten Usancen und Präzedenzfällen zugrunde liegt. a) Umfang der Ausschussöffentlichkeit im House of Commons Das Ausschusswesen im britischen House of Commons ist von der Besonderheit gekennzeichnet, dass es im Wesentlichen zweigliedrig aufgebaut ist, wobei zwischen sog. „Select Committees“ (aa)) und „Public Bill Committees“ 328 (bb)) zu unterschieden ist. Beiden Ausschusstypen kommt ein erhebliches Maß an Öffentlichkeit zu. aa) Select Committees Select Committees dienen dabei vorrangig der Kontrolle des Regierungshandelns.329 Sie werden dazu vom Unterhaus zumeist jeweils für die Dauer eines parlamentarischen Jahres330 oder ggf. auch anlassbezogen eingesetzt und umfassen in der Regel elf bis sechzehn Abgeordnete, deren Parteizugehörigkeit die Mehrheitsverhältnisse des Unterhauses abbildet.331 Die Select Committees üben u. a. eine fortlaufende, selbstständige332 Kontrolle über die Regierungsministe327 Dieses seit 1844 herausgegebene Handbuch der parlamentarischen Praxis geht auf Sir Thomas Erskine May zurück und ist mittlerweile in der 25. Auflage erschienen. Ihm kommt als „work of authority“ selbst der Status einer Rechtsquelle zu. Vgl. hierzu Loewenstein, Staatsrecht und Staatspraxis Großbritanniens, 1967, S. 52, Fn. 2. 328 Genauer ist zwischen Select Committees und sog. General Committees zu unterschieden, wobei letztere nach Standing Order No. 84 neben den für die Detailberatung von Gesetzesentwürfen zuständigen Public Bill Committees auch spezifisch thematisch ausgerichtete Sonderausschüsse wie etwa das Scottish Grand Committee, das Welsh Grand Committee, das Northern Ireland Grand Committee oder Ausschüsse für die Kontrolle von Rechtssetzung durch die Regierung (sog. Delegated Legislation) sowie für die Überprüfung von Dokumenten der Europäischen Union umfassen. Nachfolgend soll der Blick jecoch allein auf die regulär für die Gesetzgebungsfunktion zuständigen Public Bill Committees gerichtet werden. 329 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 799. Im Rahmen der Gesetzgebung spielen sie dagegen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Sie beschränken sich auf eine mögliche Erörterung von Gesetzesvorhaben der Regierung im Entwurfsstadium (sog. „pre-legislative scrutiny“). Diese wird jedoch auf eine kleine Minderheit von Vorlagen beschränkt und bietet weder die Möglichkeit der Detailberatung einzelner Klauseln noch des Anbringens von Änderungsvorschlägen. Siehe hierzu Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 17. 330 Eine Wahlperiode des House of Commons wird dagegen als „Parliament“ bezeichnet. Sie dauert gemäß dem Fixed-term Parliaments Act 2011 insgesamt fünf Jahre, wobei die einzelnen parlamentarischen Jahre als „Sessions“ bezeichnet werden. Vgl. http://www.parliament.uk/about/how/occasions/-calendar/(05.11.2017). 331 Hindmoore/Larkin/Kennon, The Journal of Legislative Studies 2015, S. 71 (72); Russell/Benton, Selective Influence, 2011, S. 11. 332 Insbesondere ist keine vorherige Befassung des Ausschusses durch das Plenum mit einem Beratungsgegenstand aus dem Geschäftsbereich erforderlich. Siehe hierzu
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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rien aus, denen spiegelbildlich je ein Ausschuss gegenübersteht.333 Der Geschäftsbereich der Select Comittees, welcher durch deren Einsetzungsbeschlüsse festgelegt wird,334 orientiert sich an dem jeweils zu kontrollierenden Ministerium und passt sich flexibel einem Neuzuschnitt des Aufgabenbereichs an.335 Darüber hinaus bestehen weitere Select Committees, die themenbezogene und ressortübergreifende Kontrolltätigkeiten ausüben336 oder interne Organisations- bzw. Kontrollaufgaben übernehmen.337 Gegenstand der parlamentarischen Regierungskontrolle sind gemäß Standing Order No. 152 (1) neben Haushaltsausgaben und den politischen Leitlinien der jeweiligen Ministerien auch deren laufende Verwaltungstätigkeit. Hierzu betreiben die Select Committees Sachverhaltsaufklärung, indem sie schriftliche Beweismittel anfordern oder Regierungsmitglieder, Sachverständige und Interessenvertreter in Anhörungssitzungen befragen.338 Im Anschluss beraten sie über die Ergebnisse und erstatten sodann dem Plenum Bericht.339 Select Committees tagen dabei in der Praxis insoweit regelmäßig öffentlich, als sie Beweis über Regierungsvorgänge im Rahmen von Anhörungen erheben. Zwar formuliert Standing Order No. 125 (1) lediglich, dass während Anhörungen die Öffentlichkeit per Beschluss zugelassen werden kann, sodass im Umkehrschluss die Nichtöffentlichkeit die Grundregel darstellt. In der Praxis hat es sich jedoch etabliert, dass zumeist in der jeweils ersten Ausschusssitzung eines ParlaHindmoore/Larkin/Kennon, The Journal of Legislative Studies 2015, S. 71 (72); Russell/Benton, Selective Influence, 2011, S. 11. 333 Dieses System von den Aufgabenzuschnitten der Ministerien spiegelnden select committees existiert seit 1979. Siehe Russell/Benton, Selective Influence, 2011, S. 10 f.; vgl. auch Fisher, The Political Quarterly 2015, S. 419; Kubala, Parliamentary Affairs 2011, S. 694 (695). Seine Einführung würde als eine der bedeutendsten Parlamentsreformen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gepriesen, Norton, Parliament in British Politics, S. 28. 334 Der Einsetzungsbeschluss enthält dabei eine sog. order of reference welche den Spielraum der thematischen Befassung des Ausschusses eingrenzt. Vgl. Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 805 f. 335 Hindmoore/Larkin/Kennon, The Journal of Legislative Studies 2015, S. 71 (72); Russell/Benton, Selective Influence, 2011, S. 11. 336 So etwa das Public Accounts Committee, welches für die Kontrolle von Ausgaben durch die Ministerien zuständig ist oder das European Scrutiny Committee, welches die rechtliche und politische Bedeutung von Gesetzesentwürfen der EU begutachtet. Vgl. hierzu Fisher, The Political Quarterly 2015, S. 419; Hindmoore/Larkin/Kennon, The Journal of Legislative Studies 2015, S. 71 (72). 337 So nominiert das Selection Committee die Mitglieder von Parlamentsausschüssen, vgl. Standing Order 86 sowie Standing Order 121 (2). Das Finance Committee überwacht das Budget und die Ausgaben des House of Commons selbst, vgl. Standing Order 144 (1). 338 Standing Order 135 (1), siehe hierzu Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 817 ff. 339 Russell/Benton, Selective Influence, 2011, S. 11, 18 ff., 23 ff.; dies., Parliamentary Affairs 2013, S. 772 (773).
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mentsjahres der Beschluss getroffen wird, die Öffentlichkeit für alle folgenden Sitzungen zuzulassen. Im Ergebnis erfolgt daher die weit überwiegende Zahl der Anhörungen öffentlich, wobei bisweilen bei der Befragung bestimmter Zeugen die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird.340 Die sich anschließende Beratungsphase findet dagegen generell nichtöffentlich statt.341 Sie wird allein durch die anschließende Berichterstattung an das Plenum transparent. bb) Public Bill Committees Den zweiten Typus Ausschuss stellen die Public Bill Committees dar. Diese dienen der parlamentarischen Detailberatung von Gesetzesvorlagen und treten damit die Nachfolge der bis Ende 2006 als „Standing Committees“ bezeichneten Gesetzgebungsausschüsse an.342 Sie umfassen nach Standing Order No. 86 (1) mindestens 16 und höchstens 50 Abgeordnete, wobei die personelle Zusammensetzung die Mehrheitsverhältnisse des Unterhauses widerspiegelt.343 Public Bill Comittees werden dabei nach Standing Order No. 84A (1) jeweils ad hoc für die Detailberatung einer spezifischen Gesetzesvorlage oder Teilen derselben gebildet. Mit Abschluss der Ausschussphase lösen sie sich sodann wieder auf.344 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im House of Commons findet die Ausschussphase in der Mitte eines fünfstufigen Verfahrens statt. Nachdem die Vorlage in der ersten Lesung im Plenum ohne Aussprache vorgestellt und in der zweiten Lesung die Grundprinzipien der Vorlage erörtert und festgelegt wurden, folgt die Ausschussberatung.345 Hier wird die Vorlage in ihren Regelungen, ggf. Klausel für Klausel oder sogar Wort für Wort, erörtert (sog. „line-by-line-scrutiny“). Dabei können Änderungsvorschläge in Form von Ergänzungen, Streichun340
Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 816, 822; Halsbury’s Laws of England, Bd. 78, S. 981. 341 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 799, 816; Halsbury’s Laws of England, Bd. 78, S. 981. 342 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011 S. 556; Levy, Parliamentary Affairs 2010, S. 534; dies., Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, S. 11 ff.; Thompson, Parliamentary Affiars 2013, S. 459. 343 Zu den rechtlichen Vorgaben für die Berufung von Mitgliedern siehe Standing Order 86 (2), welche zudem ein Anknüpfen an die Qualifikation der jeweiligen Abgeordneten vorsieht. Vgl. Norton, Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 86; Rogers/Walters, How Parliament Works, 7. Aufl. 2015, S. 112; Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 11; Thompson, Making British Law, 2015, S. 16 f. 344 In der Folge ergibt sich die jeweilige Namensbezeichnung des Ausschusses nach dem Gesetzesentwurf, zu dessen Beratung sie ins Leben gerufen wurden. Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 873; Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 23. 345 Dabei wird für alle Gesetzesentwürfe, die nicht ausnahmsweise im Rahmen eines „Committee of the whole House“ durch das Plenum selbst detailliert behandelt werden, in der Ausschussphase ein Public Bill Committee eingesetzt. Siehe Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 23 f.
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gen oder Modifikationen einzelner Formulierungen oder ganzer Klauseln beschlossen werden.346 Gemäß Standing Order No. 65 darf der Ausschuss – innerhalb der Grenzen des Regelungsgegenstandes der Vorlage – sämtliche, für notwendig erachtete Änderungen vornehmen.347 Darüber hinaus verfügen Public Bill Committees über das Recht,348 im Rahmen ihrer Tätigkeit durch Anhörung von Zeugen – insbesondere Sachverständigen, Interessevertretern und Ministern bzw. Ministerialbeamten – sowie durch Einholung schriftlicher Gutachten Beweis über einzelne Fragen der Gesetzesvorlage zu erheben.349 Diese Anhörungen erfolgen regelmäßig zu Beginn der Ausschussberatungen, um die gewonnene Expertise für die folgende Detailberatung nutzbar zu machen.350 Nach Beendigung der Ausschussphase folgt zunächst die sog. „report-stage“, in welcher der Ausschuss dem Plenum Bericht erstattet und während der durch alle Abgeordneten weitere Änderungsvorschläge eingebracht, diskutiert und beschlossen werden können. Schließlich findet – zumeist unmittelbar im Anschluss – die dritte Le346 Levy, Parliamentary Affairs 2010, S. 534 (535); Thompson, Making British Law, 2015, S. 1 f.; siehe hierzu auch Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 563, 575 ff.; Zander, The Law-Making-Process, 7. Aufl. 2015, S. 46. Thompson, Making British Law, 2015, S. 23 f. weist darüber hinaus darauf hin, dass eine vollständige Detailerörterung in der Praxis nur für einen Teil der Gesetzesvorlagen erfolgt. Gerade bei besonders umfangreichen Gesetzesvorhaben kann es vorkommen, dass die zur Verfügung stehende Beratungszeit nicht dafür ausreicht, jede einzelne Klausel kleinteilig zu erörtern. 347 Es entspricht jedoch der verfassungsrechtlichen Konvention, dass durch die Vornahme von Detailänderungen an der Gesetzesvorlage nicht die im Rahmen der zweiten Lesung festgelegten Grundprinzipien konterkariert werden. Siehe Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 563; Griffith/Ryle, Parliament, 1989, S. 131 ff.; Norton, Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 92; Zander, The Law-MakingProcess, 7. Aufl. 2015, S. 46. Eine vollumfängliche Ablehnung der Vorlage durch den Ausschuss ist dementsprechend ebenfalls nicht möglich. Vgl. Thompson, Making British Law, 2015, S. 49. 348 Die Möglichkeit der Durchführung von Anhörungssitzungen wurde mit einer Reform der Geschäftsordnung zum Jahreswechsel 2006/2007 eingeführt und stellt mittlerweile den Regelfall während der Ausschussphase dar. Siehe hierzu Thompson, Making British Law, 2015, S. 41. 349 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 875 f.; Thompson, British Politics 2014, S. 385 (386); dies., Making British Law, 2015, S. 25. Die Befugnis Beweis zu erheben, findet sich nunmehr Standing Order 84 A (2), (3). Demnach erheben grds. nur solche Ausschüsse Beweis, denen die jeweilige Gesetzesvorlage mittels einer sog. „programme order“ (vgl. Standing Order 83 (A)) zugewiesen wurde. Hierbei handelt es sich um einen Beschluss über die Aufstellung eines verbindlichen Zeitplans für die Beratung im Ausschuss, mit welchem Regierungsvorlagen versehen werden können. Dies stellt in praxi den Regelfall dar. Aber auch für den umgekehrten Ausnahmefall kann dem Gesetzgebungsausschuss gemäß Standing Order No. 63 (2) (b) das Recht zur Durchführung einer Beweisaufnahme zugestanden werden. Siehe Levy, Parliamentary Affairs 2010, S. 534 f. sowie Norton, Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 92. 350 Formal kann die Anhörung jedoch zu jedem Zeitpunkt der Ausschussberatung erfolgen. Hierzu Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 24; Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 14.
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sung statt, in der – ohne die Möglichkeit weitere Änderungsvorschläge einzubringen – über das Gesetzesvorhaben in seiner finalen Fassung beraten und abgestimmt wird.351 Das Ausschussverfahren erfolgt dabei weitgehend öffentlich. Die Sitzungen der Public Bill Committees finden nach Standing Order No. 89 (2) grundsätzlich öffentlich statt, soweit nicht der Ausschuss selbst etwas Gegenteiliges beschließt.352 Selbiges gilt gemäß Standing Order No. 84A (3) für die Anhörungssitzungen im Rahmen der Gesetzgebungsarbeit. cc) Inhaltliche Reichweite der Ausschussöffentlichkeit Soweit Sitzungen im Unterhaus – einschließlich solche seiner Ausschüsse – öffentlich stattfinden, können diese audiovisuell aufgezeichnet werden, sofern geschäftsordnungsrechtlich keine abweichende Regelung getroffen wird.353 Die Zulassung des Fernsehens zur Übertragung öffentlicher Sitzungen erfolgte ab 1988 zunächst vorläufig und ab 1990 endgültig.354 Darüber hinaus werden öffentliche Sitzungen seit 2003 durch Kameras in den Sitzungssälen aufgezeichnet und per Livestream bzw. per Video-on-Demand auf der Internetseite des Unterhauses zur Verfügung gestellt.355 Schließlich werden stenografische Protokolle (sog. „Official Reports“) öffentlicher Sitzungen von Public Bill Committees durch das „sog. Official Report Directorate“ („Hansard“ 356) angefertigt und regelmäßig am Tage nach der Sitzung veröffentlicht.357 Stenografische Protokolle 351 Thompson, Making British Law, 2015, S. 11 ff. Hieran schließt sich die weitere Beratung der Vorlage im House of Lords sowie die formelle Zustimmung der Krone (sog. „Royal Assent“) an. Zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens siehe ausführlich auch Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 10; Norton, Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 89 ff. 352 Zu einem Ausschluss der Öffentlichkeit auf Basis dieser Vorschrift ist es indes nur ein einziges Mal, in der Sitzung des Welsh Grand Committee vom 13. Juli 1988 gekommen, als festgestellt wurde, dass der zuständige Kabinettsminister versehentlich nicht in den Ausschuss berufen wurde. Siehe hierzu Griffith/Ryle, Parliament, 1989, S. 386, Fn. 4. 353 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 140 f., 816; Halsbury’s Laws of England, Bd. 78, S. 981. Abweichend etwa das Committee of Privileges in Standing Order No. 148A (8) oder das Committee on Standards in Standing Order 149 (11). 354 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 140 f.; Hübner/Münch, Das politische System Großbritanniens, 1999, S. 139. 355 Abrufbar unter: http://www.parliamentlive.tv (10.05.2019). Bis 2008 wurde auch die Mehrzahl der Ausschussräume mit Kameras ausgestattet. Siehe Rogers/Walters, How Parliament Works, 7. Aufl. 2015, S. 161. 356 Siehe hierzu bereits Kap. 2 A. I. 357 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 129 f., 872. Seit dem 24.10.1996 sind die Protokolle der Sitzungen im Internet verfügbar und dort abrufbar unter: https://hansard.parliament.uk/commons (10.05.2019). Darüber hinaus wurden sämtliche Protokolle zwischen 1803 bis 2005 digitalisiert und sind abrufbar unter: http://hansard.millbanksystems.com (10.05.2019).
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von öffentlichen Anhörungen der Select Committees werden regelmäßig durch diese selbst veröffentlicht.358 b) Praktische Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit aa) Auswirkungen auf die Arbeits- und Funktionsfähigkeit von Ausschüssen Hinsichtlich der Evaluierung einer möglichen negativen Auswirkung der Ausschussöffentlichkeit auf Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Ausschüsse bietet es sich an, nach Select Committees ((1)) und Public Bill Committees ((2)) zu differenzieren und jeweils gedanklich weiter zwischen der Effektivität und der Effizienz der Ausschussarbeit zu unterscheiden. (1) Select Committees Soweit die Effektivität der Aufgabenwahrnehmung der primär kontrollierenden Select Committees betrachtet wird, kann diese anhand der tatsächlichen Einflussnahme auf das Regierungshandeln bewertet werden. Ursprünglich wurden Select Committees als ineffektiv kritisiert, da sie über keine formellen Befugnisse verfügen, die Regierung zu einem Handeln zu verpflichten359 oder einen Debatte im Plenum zu erzwingen.360 Spätestens seit diese Ausschüsse im Jahr 1979 als permanente, die Zuständigkeiten der Regierungsressorts spiegelnde Institutionen ausgestaltet wurden, werden Select Committees jedoch als unparteiische Kontrollinstanzen der Regierung wahrgenommen, die dieser gegenüber unabhängig agieren und einen wesentlichen Einfluss auf die Regierungstätigkeit ausüben können.361 Vorgenannter Eindruck lässt sich auch empirisch untermauern. Ein wesentlicher Teil der von Select Committees ausgesprochenen Empfehlungen wird von
358 Im Internet abrufbar unter: http://www.parliament.uk/business/publications/com mittees/select-committee-publications/(10.05.2019). Siehe hierzu auch Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 825 ff. 359 Siehe etwa Griffith/Ryle, Parliament, 1989, S. 430; Hennessey, Whitehall, 1990, S. 333. Die Regierung ist lediglich verpflichtet innerhalb von zwei Monaten zu den Empfehlungen eines Ausschussberichts Stellung zu nehmen. Vgl. Erskine May, Parliamentary Practice, 25. Aufl. 2019, Part 6, Chapter 38, Paragraph 54. 360 Hindmoore/Larkin/Kennon, The Journal of Legislative Studies 2015, S. 71 (72). Auch die Möglichkeit rein faktisch einen erheblichen gesellschaftlichen Druck auf die Regierung aufzubauen, sich für ihr Handeln öffentlich zu rechtfertigen, wurde lange Zeit als begrenzt bewertet. Vgl. hierzu etwa Negrine, Parliamentary Affairs 1992, S. 399 ff. 361 Siehe etwa den Bericht des (aus den Vorsitzenden aller Select Committees bestehenden) Liaison Committees, Shifting the Balance: Select Committees and the Executive, HC 300, Paragraph 4.
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der Regierung aufgenommen,362 wobei hiermit regelmäßig substantielle Veränderungen der Regierungspolitik einhergehen.363 Darüber hinaus wird durch die öffentlichkeitswirksame Kontrolltätigkeit in den Ausschüssen – auch unabhängig von konkreten Empfehlungen – ein permanenter Einfluss auf die Regierung ausgeübt.364 Insbesondere die im Zuge der sog. Wright Reform 2009 eingeführte Wahl der Mitglieder und Vorsitzenden der Select Comittees in geheimer Abstimmung hat deren institutionelle Unabhängigkeit von der Regierung und damit ihren Kontrolleinfluss nochmals gestärkt.365 Soweit das Argument im Raum steht, die Ausschussöffentlichkeit führe dazu, dass die Arbeitsatmosphäre einer unaufgeregten Sacharbeit der polemischen Schaudebatte weiche, die fraktionsübergreifende Kompromissfähigkeit leide, die substantielle Verständigung der Parlamentarier in informelle Gremien abwandere und somit insgesamt die Arbeitseffizienz der Ausschüsse abnehme, kann dies mit Blick auf Select Committees nicht bestätigt werden. Der Umgang der Ausschussmitglieder untereinander wird vielmehr als kollegial und getragen von einem Bemühen um Konsensfindung über Parteigrenzen hinweg charakterisiert. Infolge der personellen Beständigkeit hat sich zudem ein Gemeinschaftssinn der Ausschussmitglieder untereinander (gerade auch in Abgrenzung von den zu kontrollierenden Regierungsressorts) herausgebildet.366 Einschränkend bleibt jedoch festzuhalten, dass sich ein gewisser Zusammenhang von gelungener Meinungskoordinierung und partieller Nichtöffentlichkeit bezüglich Select Committees z. T. bestätigt lässt, da die Nichtöffentlichkeit der sich an die Beweiserhebung anschließenden Beratungssitzungen partiell mit der Gewährleistung einer freimütigen Kommunikation der Abgeordneten assoziiert und als Grund für die konsensorientiertere Arbeit angeführt wird.367
362 Russell/Benton, Selective Influence, 2011, S. 46 ff. führen aus, dass im Zeitraum von 1997–2010 von den insgesamt ca. 19.000 Vorschlägen im Rahmen der Berichterstattung von Select Committees gut 40 % zumindest teilweise umgesetzt worden. 363 Russell/Benton, Parliamentary Affairs 2013, S. 772 (782 f.). 364 Russell/Benton, Parliamentary Affairs 2013, S. 772 (789 ff.), die insbesondere die Einflussnahme auf die öffentliche Debatte, das Zusammentragen von Expertenmeinungen zum jeweiligen Beratungsgegenstand, das Beleuchten der Regierungstätigkeit und das Aufzeigen etwaiger Defiziente als indirekte Einflussfaktoren anführen. 365 Fisher, The Political Quarterly 2015, S. 419 (421). Zuvor wurden die Mitglieder und Vorsitzenden der Select Committees durch die Whips ausgewählt, was dazu führte, dass tendenziell eher regierungstreue Abgeordnete berufen wurden. So auch Russell, Parliamentary Affairs, 64 (2011), S. 612 ff. 366 Hindmoore/Larkin/Kennon, The Journal of Legislative Studies 2015, S. 71 (73); Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 12; Norton, The Journal of Legislative Studies 1998, S. 143 (150); Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 17 f. 367 Erskine May, Parliamentary Practice, 24. Aufl. 2011, S. 799; Griffith/Ryle, Parliament, 1989, S. 584.
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(2) Public Bill Committees Betreffs der grundsätzlich öffentlich tagenden Public Bill Committees stellt sich das Bild der Effektivität der Funktionswahrnehmung der gesetzgeberischen Detailkontrolle differenziert dar. Maßstab hierfür kann zunächst sein, inwieweit die Ausschüsse insgesamt Änderungen in Bezug auf Gesetzesentwürfe durchzusetzen vermögen. Dabei kann zum einen das Verhältnis von Änderungsvorschlägen zur Zahl der – auf deren Basis tatsächlich durchgeführten – formalen Änderungen an Gesetzesvorlagen untersucht werden. Des Weiteren kann eine messbare Einflussnahme auch auf Modifikationen, die außerhalb des Ausschussverfahrens selbst erfolgen, in ihrem Ursprung jedoch auf eine Anregung im Rahmen der Ausschussarbeit zurückgehen, gestützt werden. Als Ausgangspunkt mag eine Untersuchung von Louise Thompson über die Arbeit von Public Bill Comittees im Zeitraum von 2000 bis 2012 dienen. In dieser Zeit sind 137 von insgesamt 154 verabschiedeten Gesetzesvorlagen im Rahmen ihrer jeweiligen Ausschussberatungen zumindest in einzelnen Regelungen abgeändert worden, was einer Quote von 88 % entspricht.368 Hiervon sind auch die unmittelbar von der Regierung selbst initiierten Änderungen umfasst. Wenn man nunmehr allein auf die Änderungen abstellt, die auf Initiativen von Oppositionsabgeordneten bzw. von Backbenchern der Regierungsfraktion zurückgehen, ergibt sich für denselben Zeitraum, dass von den vorgenannten 154 Gesetzesvorlagen 29 auf dieser Basis Änderungen erfahren haben. Dies entspricht eine Quote von 20 %, d.h. immerhin noch jeder fünften Gesetzesvorlage.369 Ein weiteres Kriterium für die Effektivität der Gesetzgebungskontrolle ist die Anzahl der Änderungen pro Gesetzesvorlage. Im vorgenannten Zeitraum waren es im Schnitt 53 Änderungen, die eine Regierungsvorlage während der Ausschussphase erfahren hat.370 Hiervon geht jedoch der ganz überwiegende Teil auf solche, die von der Regierung selbst initiiert wurden, zurück. Im Zeitraum von 2000 bis 2012 wurden insgesamt 17370 Änderungsvorschläge durch Opposition und Backbencher eingebracht, von denen nur 103, mithin nur verschwindend geringe 0,6 %, erfolgreich waren.371 Hinsichtlich erfolgreicher Änderungsvorschläge, die auf Oppositionsabgeordnete zurückgehen, ist sogar ein deutlicher Abfall im Vergleich zu statistischen Erhebungen aus den frühen 1970er Jahren zu verzeichnen.372 Ein Versuch, die Änderungen nach deren Bedeutsamkeit zu kate368
Thompson, Making British Law, 2015, S. 52. Thompson, Making British Law, 2015, S. 53. 370 Ebd. 371 Thompson, Making British Law, 2015, S. 58. 372 Hatten im Zeitraum von 1967–1971 noch im Schnitt 44 Änderungsvorschläge der Opposition pro Parlamentsjahr erfolgt, ist dieser Wert auf durchschnittlich fünf im Zeitraum von 2000–2012 gefallen. Siehe hierzu Thompson, Making British Law, 2015, S. 58 f. 369
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gorisieren, hat überdies ergeben, dass der weit überwiegende Teil erfolgreicher Änderungsvorschläge kleinere, z. T. rein redaktionelle Aspekte betraf.373 Somit ergibt sich bezüglich einer formellen Einflussnahme von Ausschüssen – zumindest gegen den Willen der Regierungsfraktionen – ein eher ernüchterndes Bild. Reziprok hierzu wird die formelle Dominanz der Regierungsfraktionen in den Ausschüssen auch dadurch ersichtlich, dass die überwältigende Mehrheit der von der Regierung selbst initiierten Änderungsvorschläge angenommen und nur in einer Handvoll Fällen diesen die Zustimmung verweigert wird.374 Gleichwohl gilt es zu bedenken, dass auch die erhebliche Zahl der seitens der Regierungsfraktionen selbst initiierten Änderungen Ausdruck eines Kontrolleffekts sein kann, der auf das Ausschussverfahren in Public Bill Committees zurückzuführen ist.375 Diese Formen indirekter Einflussnahme auf das Gesetzgebungsverfahren lassen sich empirisch unterlegen. Zum einen kann ein Blick auf die Zahl solcher Änderungen geworfen werden, die zwar formal auf Initiative der Regierung vorgenommen wurden, inhaltlich aber an einen Änderungsvorschlag aus dem Ausschussverfahren anknüpfen.376 Die geschieht z. B. regelmäßig dergestalt, dass die Regierung Änderungen vornimmt, die an einen zuvor durch die Opposition angeregten Änderungsvorschlag angelehnt oder gar mit diesem identisch sind.377 Daneben reagiert die Regierung bisweilen auf im Rahmen der Ausschussarbeit diskutierte Problempunkte mit eigenen Änderungsvorschlägen.378 Darüber hinaus ist die erhebliche Zahl der Änderungen von – zur Gesetzeskonkretisierung durch die Regierung herausgegeben – Auslegungsvorschriften und -leitlinien, die eine Reaktion auf während der Ausschussphase beratene Punkte darstellten, zu berücksichtigen.379 Weiterer Indikator für eine Einfluss373 Laut Thompson, Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (468 f.) sind lediglich knapp fünf Prozent der erfolgreichen Änderungen seitens der Opposition als inhaltlich signifikant einzustufen. 374 Thompson, Making British Law, 2015, S. 49, 53 ff. legt dar, dass in den Parlamentsjahren 2000–2012 von 7458 durch die Regierungsfraktionen eingebrachten Änderungsvorschlägen 7448 verabschiedet wurden, was einer Erfolgsquote von 99,9 % entspricht. 375 So insbesondere Thompson, Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (466 f.). 376 Thompson, Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (470). 377 Dies geschah im Zeitraum von 2000–2010 in insgesamt 56 Fällen. Siehe Thompson, Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (470 f.). Im Zeitraum von 2000–2012 wurden zudem allein in 22 Fällen formal von der Opposition entwickelte Änderungsvorschläge vor Beginn der Beratungen von der Regierung zu eigen gemacht und damit offiziell als Änderungsvorschläge der Regierung eingebracht. Siehe dies., Making British Law, 2015, S. 73. 378 Dies geschah im Zeitraum von 2000–2010 während der Ausschussphase in 193 Fällen. Siehe Thompson, Politics 2016, S. 36 (43). 379 Solche ergeben sich insbesondere in den Fällen, in denen die Regierungsfraktionen zwar nicht gewillt sind, einer ausdrücklichen Änderung des Gesetzestextes zuzustimmen, jedoch eine inhaltliche Korrektur billigen. Im Zeitraum von 2000–2012 wur-
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nahme während der Ausschussebene – losgelöst von formellen Gesetzesänderungen – sind sog. „ministerial undertakings“, also Selbstverpflichtungserklärungen seitens der Regierung, die darauf gerichtet sein können, eine im Ausschuss beschlossene Gesetzesänderung nochmals zu überprüfen380 oder einen auf Ausschussebene vorgebrachten Änderungsantrag zu einem späteren Zeitpunkt im Gesetzgebungsverfahren wieder aufzugreifen.381 So reagierten Regierungsvertreter im Ausschuss im Zeitraum zwischen 2000 und 2012 in insgesamt 782 Fällen auf substantielle, ergo nicht allein redaktionelle, Änderungsvorschläge seitens Opposition und Backbenchern mit einer der obigen Verpflichtungserklärungen.382 Der mittelbare Einfluss der Ausschussarbeit schlägt sich zudem auf Ebene der sich an die Ausschussberatung anschließenden report stage nieder. In deren Rahmen werden im Plenum die von den Ausschüssen vorgeschlagenen Änderungen an einer Gesetzesvorlage begutachtet sowie ggf. neue Änderungsvorschläge eingebracht. Die Kontinuität der Kontrollwirkung der Ausschüsse spiegelt sich in der erheblichen Zahl von durch die Ausschussdebatten angestoßenen Änderungen an Gesetzesvorlagen während dieses Verfahrensschritts wider.383 Hierbei resultierten zwischen 2000 und 2012 im Ergebnis 58 % der Verpflichtungen, einen Änderungsantrag während der report stage einzubringen und 28 % der Verpflichtungen, eine Gesetzesänderung zu überdenken, schlussendlich in einer tatsächlichen Änderung des Gesetzestextes.384 Darüber hinaus wurden nach vorsichtigen Schätzungen in derselben Zeit jedenfalls 839 Änderungen an Gesetzesvorlagen während der report stage durch die Regierungsfraktionen selbst vorgenommen, die eine direkte Reaktion auf vorher im Rahmen der Ausschussdebatte behanden in insgesamt 179 Fällen Änderungen dieser Art durch die Ausschussarbeit initiiert. Siehe Thompson, Making British Law, 2015, S. 71 ff. 380 Damit geht indes keine Verpflichtung einher, tatsächlich weitere Änderungen an dem Gesetz vorzunehmen. Vielmehr bezieht sich die Verpflichtung allein darauf, die Anliegen, die während der Ausschussdebatte vorgebracht wurden, außerhalb der Ausschüsse – etwa im Rahmen von Kabinettssitzungen oder mit Ministerialbeamten – in weiteren Beratungen zu berücksichtigen. Hierzu Thompson, Making British Law, 2015, S. 71. 381 Während nur unter 1 % der Änderungsvorschläge von Opposition und backbenchern angenommen wurden, reagierte die Regierung folglich in 16 % der Fälle mit einer Selbstverpflichtungserklärung. Hierauf wird insbesondere zurückgegriffen, wenn grundsätzliche Änderungsbereitschaft besteht, jedoch seitens des federführenden Ministers ein Bedürfnis nach vorheriger interner Abstimmung besteht. Vgl. Thompson, Making British Law, 2015, S. 71. 382 Thompson, Making British Law, 2015, S. 73. 383 Während im Zeitraum von 1967–1971 im Schnitt nur drei Änderungen pro Regierungsvorlage im Laufe der report stage umgesetzt wurden, waren es im Zeitraum von 2000–2010 jedenfalls insgesamt 1431, also durchschnittlich zehn Änderungen pro Gesetzesvorlage, wobei diese Zahlen sich nur auf diejenigen Fälle beziehen, in denen der zuständige Minister explizit an die Beeinflussung durch die Ausschussphase angeknüpft hat. Siehe hierzu Thompson, Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (475 f.). 384 Thompson, Making British Law, 2015, S. 80 ff.
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delte Änderungsanträge darstellen, ohne dass ihnen eine Selbstverpflichtung vorausgegangen wäre.385 Schließlich ist während der report stage auch das Verhältnis von substantiellen zu redaktionellen Änderungen im Vergleich zur Ausschussphase im Wesentlichen umgekehrt.386 Als Fazit kommt Thompson in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass infolge der indirekten Einflussnahmen von Public Bill Committees über die vorgenannten Faktoren im Zeitraum von 2000 bis 2012 im Schnitt weitere zehn Änderungen pro Gesetzesvorlage von der Regierung selbst vorgenommen werden.387 In einer weiteren Untersuchung ergibt sich für den Zeitraum von 2000 bis 2010 eine Zahl von 1.919 Fällen, in denen eine Gesetzesvorlage oder deren Ausführungsbestimmungen infolge der Einflussnahme der Opposition oder von Backbenchern im Ausschuss geändert worden, womit insgesamt ca. 11,2 % aller Änderungen – mittelbar oder unmittelbar – auf die Ausschussberatungen zurückgehen.388 Als Zwischenresümee ist daher festzustellen, dass trotz der geringen Zahl erfolgreicher oppositioneller Änderungsanträge insgesamt doch eine effektive Gesetzgebungskontrolle der Ausschüsse stattfindet. Nachdem sich im Ergebnis damit die grundsätzliche Funktionsfähigkeit der Public Bill Comittees konstatieren lässt, ist weitergehend die Frage nach öffentlichkeitsbedingten Effizienzverlusten zu eruieren. Insofern kann insbesondere untersucht werden, inwieweit sich die Öffentlichkeit auf Arbeitsatmosphäre und Kompromissfähigkeit auswirkt bzw. sich die tatsächliche Entscheidungsfindung in informelle Gremien verlagert. Bezüglich des parlamentarischen Arbeitsstils stellt sich das Bild in den Public Bill Committees abermals ambivalent dar. Die Befragung von Sachverständigen oder Ministern im Rahmen öffentlicher Anhörungssitzungen wird als konsensual und auf die Sache bezogen beschrieben.389 Der entsprechende Verfahrensschritt wird als Effektuierung der Gesetzgebungskontrolle insgesamt positiv bewertet.390 Nachteile, etwa in Form einer geringeren Auskunftsbereitschaft der Regierung infolge der Öffentlichkeit des Verfahrens, sind dagegen nicht verzeichnet worden.391 385
Thompson, Making British Law, 2015, S. 83. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2012 überwogen bei Änderungen während der report stage, die als Umsetzung von Selbstverpflichtungen während der Ausschussdebatte erfolgten, zumeist substantielle Gesetzesänderungen. Auch die Änderungen, die auf Verpflichtungen zurückgingen, einen Aspekt nochmals zu überdenken, betreffen zu 65 % substantielle Fragen. Siehe hierzu Thompson, Making British Law, 2015, S. 81 f. 387 Thompson, Making British Law, 2015, S. 84. 388 Thompson, Politics 2016, S. 36 (43 f.). 389 Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 24, Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 14. 390 Levy, Parliamentary Affairs 2010, S. 534 ff.; dies., Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 27 ff.; Thompson, British Politics 2014, S. 385 (388 ff.); dies., Making British Law, 2015, S. 94 ff. 391 Im Gegenteil lässt im Rahmen der Einführung des Beweiserhebungsrechts von Public Bill Committees in öffentlichen Sitzungen vereinzelt sogar explizit ein positives 386
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Die gesetzgeberische Detailarbeit während der Line-by-line-scrutiny ist dagegen insgesamt von einem konfrontativen Stil und dem Bemühen der Abgeordneten um eine Positionierung im politischen Meinungskampf geprägt.392 Zwar wird durchaus zugestanden, dass die Abgeordneten nicht im selben Maße wie im Plenum um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit werben und mitunter eine konstruktivere Debatte entsteht.393 Dennoch setzt sich die der Logik des Redeparlaments folgende parteipolitisch konträre Aufladung zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktion – wie sie im Plenum vorherrscht – auch in den Ausschüssen fort und betrifft dort zumeist die Detailfragen.394 Das hieraus folgende geringe Maß an Kompromissbildung wird insbesondere an der geringen Bereitschaft seitens der Regierungsfraktion, auf Änderungsvorschläge395 der Oppositionsfraktionen einzugehen, deutlich.396 Die Begründung für diesen Befund wird jedoch im Schrifttum ausschließlich in den verfahrensspezifischen Besonderheiten im Rahmen der Gesetzgebung und gerade nicht in der Öffentlichkeit des Ausschussverfahrens verortet. Hier wird insbesondere auf die allgemein starke Fraktionsdisziplin, welche durch die Anwesenheit von Whips397 in den Ausschüssen bedingt sei, verwiesen. Zwar wird Feedback von Regierungsmitgliedern nachweisen. Siehe hierzu Thompson, British Politics 2014, S. 385 (388); dies., Making British Law, 2015, S. 95. 392 Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 24; Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 26 f.; Thompson, Making British Law, 2015, S. 27 f. Diese Unterscheidung des Debattenstils in Abhängigkeit von der Modus Operandi spiegelt sich auch in den räumlichen Verhältnissen der jeweiligen Ausschusstätigkeit wider. Während die Abgeordneten im Rahmen der Anhörungssitzungen – wie auch bei Select Committees – regelmäßig um einen Hufeisenförmigen Tisch angeordnet sitzen, erinnert die Sitzordnung bei der Debatte bezüglich der Detailregelungen an eine kleine Version des Plenums, in welchem sich Regierungs- und Oppositionsabgeordnete frontal gegenüberstehen. 393 Jennings, Parliament, 2. Aufl. 1954, S. 276 f.; Thompson, Making British Law, 2015, S. 27 f. 394 Dies wird jedoch durch Untersuchungen relativiert, welche einen Teilausschnitt der Phase der Koalitionsregierung von Conservative Party und Liberal Democrats von 2010–2012 begutachten und feststellen, dass die Arbeit von Regierungs- und Oppositionsabgeordneten deutlich konstruktiver war. Siehe Thompson, Vortrag vor der ECPR General Conference am 06.09.2014, S. 9, abrufbar unter: https://ecpr.eu/Filestore/ PaperProposal/658d61f7-ad23-411c-93f2-b6e39588c8f5.pdf (28.01.2018). 395 Im Zeitraum von 2000 bis 2012 sind pro Parlamentsjahr durchschnittlich lediglich fünf Änderungsvorschläge, die von Oppositionsabgeordneten in die Beratungen der public bill comittees eingebrachte wurden, erfolgreich gewesen. Siehe Thompson, Making British Law, 2015, S. 58 f. 396 Thompson, Making British Law, 2015, S. 58 f. Dies gipfelte mitunter in der kuriosen Begebenheit, dass sich der Minister im Ausschuss der Änderung einer Gesetzesvorlage mit dem alleinigen Ziel der Korrektur zweier Schreibfehler mit der Begründung verweigerte, dass unter Umständen noch weitere Fehler zu korrigieren seien könnten und man lieber nochmals die gesamte Vorlage redigieren wolle. 397 Hierbei handelt es sich um Abgeordnete oder Mitglieder des Oberhauses, die von den einzelnen Fraktionen ernannt werden, um deren parlamentarisches Abstimmungs-
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als Erklärung für die geringe Bereitschaft von Ministern, sich oppositionellen Änderungsvorschlägen anzuschließen, neben dem Hinweis auf das allgemeine Bemühen um die Verteidigung des eigenen Gesetzgebungsprojekts nicht ausgeschlossen, dass auch die Intention, nach außen hin stark und unnachgiebig zu erscheinen, eine Rolle spielen mag.398 Primär wird jedoch darauf verwiesen, dass – rein formal – von Regierungsvertretern nach den internen Regierungsrichtlinien keine Zugeständnisse im Rahmen von Gesetzgebungsausschüssen ohne vorherige Konsultation des – für die Formulierung von Regierungsvorlagen zuständigen – Office of the Parliamentary Counsel gemacht werden sollen und dass auch in der Praxis zunächst bevorzugt Rücksprache mit dem Ministerium sowie ggf. mit dem Regierungskabinett gehalten wird.399 Überdies verfügen die Ausschüsse im Unterhaus nicht über die personelle Ausstattung, um Änderungsvorschläge zu komplizierteren Gesetzesvorhaben so auszuarbeiten, dass diese sich nahtlos in den Gesamtentwurf einfügen. Daher ist regelmäßig die Ministerialbürokratie zu konsultieren, um einen entsprechenden Vorschlag einzupassen.400 Beides erlaubt es der Exekutive nicht, dem ursprünglichen Änderungsantrag bereits im Ausschuss spontan zu folgen, sodass regelmäßig der Bedarf gegeben ist, an die im Ausschuss angestoßenen Punkte im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens anzuknüpfen. Insoweit lässt sich also ein Kausalzusammenhang zwischen Ausschussöffentlichkeit und Debattenstil nicht eindeutig begründen. Vielmehr spielen vor allem das historische Erbe als Redeparlament sowie die Eigenarten des Gesetzgebungsverfahrens eine signifikante Rolle. Selbiges gilt für den Punkt einer möglichen, öffentlichkeitsbedingten Diskussionsflucht aus den Ausschüssen. Zwar finden – wie von Thompson nachgewiesen – nach den Ausschussberatungen und in Vorbereitung der report stage regelmäßig informelle Gespräche zwischen Ausschussmitgliedern und Regierungsvertretern statt, in denen an bereits im Ausschuss angesprochene Problempunkte angeknüpft wird.401 Hierbei wird die Zwischenphase als Möglichkeit verstanden, subtilen Einfluss auf die Regierungsvertreter auszuüben, die eigenen Anliegen fern von parteipolitischer Aufladung anzusprechen und die oft technischen Details einer Gesetzesvorlage zu diskutieren.402 Sie stellt damit einen effektiveren verhalten zu organisieren. Ihre Aufgabe ist insbesondere sicherzustellen, dass die größtmögliche Anzahl der Parteimitglieder zur Abstimmung erscheint und im Sinne der Parteilinie abstimmen. Siehe hierzu Norton, in: Leston-Bandeira/Thompson, Exploring Parliament, S. 15 (16). 398 Thompson, Making British Law, 2015, S. 66 f. 399 Thompson, Making British Law, 2015, S. 66, 88 f. 400 Thompson, Making British Law, 2015, S. 87. 401 Siehe Thompson, Making British Law, 2015, S. 75 ff.; dies., Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (475 f.). 402 Vgl. Thompson, Making British Law, 2015, S. 76 f.
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Weg der Einflussnahme dar, als Änderungsvorschläge schlichtweg im Ausschuss zur Abstimmung zu stellen und regelmäßig der Regierungsmehrheit zu unterliegen.403 Auch dieser Befund stellt indes eine Reaktion auf die bereits beschriebene geringe Kompromissbereitschaft der Regierung während der Ausschussphase dar, welche im Wesentlichen mit historischen und strukturellen Besonderheiten des Gesetzgebungsprozesses erklärt wird.404 Insofern lässt sich eine Diskussionsflucht nicht an der Ausschussöffentlichkeit festmachen. Der Umstand, dass neben der Saalöffentlichkeit auch Ton- und Bildaufnahmen der Ausschusssitzungen durch die Parlamentsverwaltung selbst sowie ggf. durch die Medien gefertigt werden, ist soweit ersichtlich nicht Gegenstand einer gesonderten, wissenschaftlichen Erörterung gewesen. Dies legt nahe, dass auch hieraus keine wesentlichen Obstruktionen der Ausschussarbeit erwachsen sind. bb) Öffentliche Resonanz der Ausschusstätigkeit Hinsichtlich der Kritikpunkte, dass die Tätigkeit von Ausschüssen insgesamt auf ein nur geringes Interesse der gesellschaftlichen Öffentlichkeit treffen werde und die Außendarstellung des Parlaments durch die Öffentlichmachung allenfalls verlieren könne, ist erneut zwischen den Erfahrungen aus Select Committees und Public Bill Comittees zu differenzieren. Die Tätigkeit von Select Committees erfährt – entgegen dem allgemein rückläufigen Trend medialer Parlamentsberichterstattung – signifikante Aufmerksamkeit.405 Dies gilt insbesondere für die Beweisaufnahmesitzungen, wodurch im Ergebnis auch den abschließenden Berichten und Empfehlungen der Ausschüsse stärkere Beachtung und damit größeres Gewicht zukommt.406 Im Ergebnis besteht ein insgesamt positives Außenbild von Select Committees.407 Dagegen wird die Arbeit der Public Bill Committees – trotz deren weitgehender Öffentlichkeit – deutlich weniger wahrgenommen bzw. medial aufgegriffen.408 Dieser Befund lässt sich lediglich insoweit relativieren, als zumindest im Rahmen von Anhörungssitzungen das öffentliche Interesse in der Regel dann er403 Es wird dabei von den Parlamentariern als vorteilhaft empfunden, im Ausschuss allein eine „Duftmarke“ zu setzen und den in einem Änderungsvorschlag angeklungenen Aspekt in den anschließenden persönlichen Treffen mit dem zuständigen Minister vor der report stage weiterzuverfolgen. Hierfür spricht auch die gestiegene Zahl der Änderungen von Regierungsvorlagen auf Ebene der report stage. Vgl. Thompson, Making British Law, 2015, S. 91. 404 Thompson, Making British Law, 2015, S. 86 ff. 405 Fisher, The Political Quarterly 2015, S. 419 (420); Kubala, Parliamentary Affairs 2011, S. 694 (697 ff.). 406 Kubala, Parliamentary Affairs 2011, S. 694 (699 f.), (708). 407 Liaison Committee, Shifting the Balance: Select Committees and the Executive, HC 300, Paragraph 4. 408 Thompson, Politics 2016, S. 36 (37); dies., Making British Law, 2015, S. 3.
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heblich ist, wenn namenhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens durch einen Ausschuss befragt werden.409 Zur Außenwahrnehmung ist wegen der geringen gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gegenüber Gesetzgebungsausschüssen kaum etwas gesagt worden. Soweit sich die Fachliteratur mit ihnen befasst hat, fällt das – häufig noch in Bezug auf die Vorgängerinstitution der Standing Comittees formulierte – Urteil zumeist negativ aus.410 In jüngerer Vergangenheit lassen sich allerdings vermehrt positive Bewertungen der Bedeutung der Arbeit von Public Bill Committees vernehmen, die dieses Bild revidieren.411 c) Übertragbarkeit der Erkenntnisse Im Ergebnis lässt sich der behauptete Zusammenhang zwischen Öffentlichkeit und Funktionsverlusten von Ausschüssen auch anhand der Erfahrungen aus dem House of Commons nicht bestätigen. Soweit es um den Beratungsmodus der Anhörungssitzung geht, zeigt sich, dass durchgängig eine sachorientierte und effiziente Arbeitsweise vorherrscht. Zwar hat sich für beide Ausschusstypen bestätigt, dass die Kompromissfindung tendenziell im nichtöffentlichen Raum besser gelingt und eine Gefahr der Verlagerung von Beratungen in informelle Zirkel nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sind diese Beobachtungen jedoch in erster Linie nicht öffentlichkeitsbezogenen Spezifika des Gesetzgebungsverfahrens geschuldet. Sowohl Select Committees als auch Public Bill Committes nehmen die ihnen zugeordneten Aufgaben im Ergebnis trotz weitgehender Öffentlichkeit funktionsgerecht war. Auch das prognostizierte geringe Interesse an der Ausschusstätigkeit lässt sich allenfalls mit Blick auf die technischen Details der Gesetzgebungsarbeit bestätigen. Die Aussagekraft der im House of Commons gemachten Erfahrungen mit Blick auf die hiesige Fragestellung hängt im Weiteren davon ab, inwieweit das britische Unterhaus nach seiner generellen Stellung im Verfassungsgefüge (aa)) sowie in Bezug auf seinen Aufgabenzuschnitt und seine interne Funktionsweise (bb)) mit dem Bundestag vergleichbar ist. aa) House of Commons als Vergleichsmaßstab Es ist zunächst zu beachten, dass das englische Parlament (Houses of Parliament) – anders als der Bundestag – aus zwei Kammern besteht, dem Unterhaus (House of Commons) und dem Oberhaus (House of Lords). Beiden Häusern kommen dabei Aufgaben sowohl der Gesetzgebung als auch der Regierungskon409
Thompson, Making British Law, 2015, S. 4. Brazier, Parliament, Politics and Law Making, S. 15 f.; Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 11 ff.; dies., Parliamentary Affairs 2010, S. 534; Norton, Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 93. 411 Thompson, Making British Law, 2015; dies., Parliamentary Affairs 2013, S. 459 ff. 410
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trolle zu.412 Eine vergleichende Betrachtung der Parlamentspraxis kann gleichwohl sinnvollerweise nur in Bezug auf das House of Commons erfolgen. Dies ergibt sich zunächst aus den Umständen der demokratischen Legitimation und der Repräsentativität der Mehrheitsverhältnisse. Während das Unterhaus aus 650 vom Volk unmittelbar nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl413 gewählten Abgeordneten – sog. „Members of Parliament“ (MP) – besteht, setzt sich das Oberhaus, dessen historische Wurzeln in der Ständevertretung der britischen Aristokratie liegen, aus derzeit 800 Mitgliedern (sog. „peers“) zusammen,414 welche nicht gewählt, sondern überwiegend auf Vorschlag des Premierministers bzw. der House of Lords Appointments Commission durch den Monarchen auf Lebenszeit (sog. „life peers“) ernannt415 werden.416 Im Ergebnis ist dabei der Mitgliederbestand des Oberhauses so ausgestaltet, dass die jeweilige Regierungspartei keine Mehrheit der Sitze auf sich vereinigt und so stets darauf angewiesen ist, die Mitglieder des House of Lords auch inhaltlich zu überzeugen.417 412 Im Rahmen der Gesetzgebung steht ihnen dem Grunde nach jeweils ein Initiativrecht zu. Ferner leisten sie neben der Diskussion von Gesetzesvorlagen im Plenum vor allem inhaltliche Detailarbeit an Gesetzesentwürfen in ihren Ausschüssen. Im Rahmen der Kontrolltätigkeit können in beiden Kammern sowohl mündlich (während Fragestunden) als auch schriftlich Anfragen an die Regierung gerichtet werden. Daneben besteht die Möglichkeit, Regierungsarbeit im Rahmen öffentlicher Debatten zu erörtern sowie eine Detailkontrolle im Rahmen der Arbeit von Select Committees durchzuführen, in beiden Häuser. Vgl. hierzu Norton, Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 7; Thompson, Making British Law, 2015, S. 11; ferner auch Erskine May, Parliamentary Practice, 25. Aufl. 2019, Part 6, Chapter 40, Paragraph 44; ferner Fenwick/Phillipson, 3. Aufl. 2010, Public Law, S. 445 ff. 413 Hierbei wird das Staatsgebiet des Vereinigten Königreichs in von der Bevölkerungszahl in etwa gleich große Wahlkreise eingeteilt. Es ist jeweils derjenige Kandidat gewählt, der die meisten Stimmen in einem Wahlkreis auf sich vereint (sog. „first past the post“ System). Siehe hierzu Peele, Governing the UK, 4. Aufl. 2004, S. 244 ff. 414 Die Mitglieder sind zum Teil Parteien zugeordnet, sind jedoch infolge der Ernennung auf Lebenszeit deutlich unabhängiger von ihrer Partei als die Abgeordneten des Unterhauses. Hinzu kommt ein traditionell starker Einfluss der sog. „Crossbench Peers“, also solcher Mitglieder, die keiner Partei zugeordnet und damit in ihren Entscheidungen besonders unabhängig sind. Zum aktuellen Mehrheitsverhältnis siehe http://www.parliament.uk/mps-lords-and-offices/lords/composition-of-the-lords/ (20.07. 2019). 415 Ausgewählt werden meist herausgehobene Persönlichkeiten, die auf eine Karriere in Wirtschaft, Politik, öffentlichem Dienst, Rechtswesen, Wissenschaft, Bildungswesen, Kultur oder Sport zurückblicken und ihre berufliche Erfahrung als Expertise in die Arbeit des Oberhauses einbringen. Siehe hierzu Fenwick/Phillipson, Public Law, 3. Aufl. 2010, S. 432 f. 416 Bis zur Reform der Mitgliederzusammensetzung durch den House of Lords Act 1999 hatten die Mitglieder ihren Sitz in dieser Kammer mehrheitlich aufgrund eines Erbanspruchs als sog. „hereditary peers“ inne. Die Zahl dieser erblichen Mandate wurde durch die Reform von ca. 750 auf nunmehr 92 beschränkt. Für die Details zum Berufungsprozess siehe Fenwick/Phillipson, Public Law, 3. Aufl. 2010, S. 426 f. 417 Bogdanor, The New British Constitution, 2009, S. 157 f.; Fenwick/Phillipson, Public Law, 3. Aufl. 2010, S. 426 f.
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Für eine Vergleichbarkeit allein mit dem House of Commons spricht weiter, dass dieses infolge seiner unmittelbaren demokratischen Legitimation eine federführende Rolle im Rahmen der Gesetzgebung und Regierungskontrolle ausübt. Die Vorrangstellung gegenüber dem Oberhaus im Bereich der Gesetzgebung wurde bereits durch den House of Lords Act 1911 statuiert. Dieser sieht vor, dass für Finanzgesetzesentwürfe418 gar kein Bedürfnis nach der Mitwirkung des House of Lords besteht419 und für alle sonstigen Gesetze diesem lediglich ein temporäres Vetorecht zusteht.420 Zudem wird die Machtposition des House of Lords durch verfassungsrechtliche Konventionalregelungen421 eingeschränkt, die es dem Oberhaus etwa verbieten, Gesetzgebungsvorhaben zu blockieren, deren Umsetzung von der Regierungspartei im Wahlprogramm zugesichert wurden (sog. „Salisbury Convention“ 422) oder die Grundprinzipien von Gesetzesentwürfen, die vom Unterhaus bereits verabschiedet wurden, durch Änderungsvorschläge wieder völlig in Frage zu stellen.423 Ähnlich stellt sich das Verhältnis beider Häuser im Bereich der Regierungskontrolle dar. Das Vorrangverhältnis manifestiert sich vor allem darin, dass die 418 Sog. „money bills“ stellen nach Section 1 (2) House of Lords Act 1911 Gesetzesentwürfe dar, die allein die Steuergesetzgebung sowie die Bewilligung von Staatsausgaben zum Thema haben. 419 Nach Section 1 (1) House of Lords Act 1911 erlangen Finanzgesetzentwürfe, die mindestens einen Monat vor Ablauf des Parlamentsjahres an das Oberhaus gesendet worden sind, nach Ablauf eines Monats durch die Ausfertigung des Monarchen (sog. „Royal Assent“) Gesetzeskraft. 420 Siehe hierzu Section 2 (1) House of Lords Act 1911, wonach für den Fall, dass ein Gesetz in zwei aufeinanderfolgenden Parlamentsjahren durch das Unterhaus beschlossen, dem House of Lords zugesandt und von diesem jeweils zurückgewiesen oder abgeändert wird, nach der letztmaligen Zurückweisung oder Abänderung der Entwurf durch Ausfertigung des Monarchen gleichwohl (in der vom Unterhaus gebilligten Fassung) Gesetzeskraft erlangt. Dies setzt zusätzlich voraus, dass zwischen der erstmaligen Behandlung und der zweitmaligen Verabschiedung des Entwurfs im Unterhaus ein Jahr vergangen ist, sodass das Oberhaus die Verabschiedung wenigstens so lange aufschieben kann. In der Praxis greift das House of Commons im Konfliktfall allerdings selten hierauf zurück, sondern tritt regelmäßig in einen Dialog mit den Lords ein, um einen Kompromiss zu erzielen. Siehe hierzu ausführlich Fenwick/Phillipson, Public Law, 3. Aufl. 2010, S. 435. 421 Hierbei handelt es sich um Usancen, die „im Laufe der Zeit aus der Praxis entstanden sind, in bestimmten, verfassungspolitisch bedeutsamen Standartsituationen in bestimmter Weise zu verfahren. Verfassungskonventionen lassen sich nicht systematisch begründen. [. . .] Dem Betrachter erschließen sie sich allein durch das intensive Studium der Handlungsweisen der Krone und des Kabinetts über Jahre und Jahrzehnte hinweg. [. . .] Ein unabdingbares Merkmal der Verfassungskonvention ist das Erfordernis, daß eine auf viele Beispielfälle aufbauende Verfassungspraxis von allen wichtigen Akteuren im Regierungssystem als verbindlich anerkannt wird“ (J. Hartmann, Westliche Regierungssysteme, 3. Aufl. 2011, S. 65). 422 Diese ist benannt nach Robert Gascoyne-Cecil, dem 5. Marquess of Salisbury, der während der Labour-Regierung unter Clement Atlee (1945–1951) Oppositionsführer der Konservativen im Oberhaus war. 423 Fenwick/Phillipson, Public Law, 3. Aufl. 2010, S. 437.
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Regierung in ihrem Bestand des fortlaufenden Vertrauens einer Mehrheit allein der Abgeordneten im House of Commons bedarf.424 Zum einen entspricht es der Verfassungskonvention, dass nur derjenige Kandidat zum Premierminister ernannt wird, dessen Partei eine Mehrheit im Unterhaus stellt.425 Zum anderen muss die Regierung für dem Fall, dass ihr das Misstrauen durch das Unterhaus ausgesprochen wird, zurücktreten.426 Die parlamentarische Kontrolltätigkeit wird im Wesentlichen von der Opposition im Unterhauses getragen, die als „Her Majesty’s Most Loyal Opposition“ 427 in besonderer Weise institutionalisiert ist. Sie ist nach britischem Verfassungsverständnis eine Alternativregierung auf Abruf,428 was sich in der Organisation der Opposition in Form eines „Schattenkabinetts“ niederschlägt.429 Dem Oberhaus kommt auch insoweit lediglich eine ergänzende Funktion zu.430 bb) Funktionelle Vergleichbarkeit Dies vorausgeschickt, ist für den näheren Erkenntniswert einer vergleichenden Betrachtung weiter zu untersuchen, inwieweit das Unterhaus seiner internen Funktionsstruktur nach mit dem Bundestag vergleichbar operiert. Hierbei kann eine grobe Orientierung anhand der Kategorisierung als Arbeits- bzw. Redeparlament erfolgen. Während der Bundestag als eine Mischform mit Elementen beider Parlamentstypen beschrieben wurde, gilt das House of Commons als klassisches Muster424 Im House of Lords ist es im Gegenteil sogar üblich, dass die Regierungspartei keine eigene Mehrheit stellt. Vgl. Bogdanor, The New British Constitution, 2009, S. 157 f. 425 Fenwick/Phillipson, Public Law, 3. Aufl. 2010, S. 49. 426 Diese vormals allein als Verfassungskonvention aufgestellte Regel findet heute einen Niederschlag in Section 2 Fixed Term Parliament Act 2011, wonach im Falle eines Misstrauensvotums durch das Unterhaus, sofern nicht innerhalb von 14 Tagen eine neue Regierung das Vertrauen ausgesprochen bekommt, Neuwahlen anzuberaumen sind und das Parlament aufzulösen ist. 427 Die rechtliche Etablierung der parlamentarischen Opposition als Institution des britischen Parlamentarismus erfolgte im Zuge Ministers of the Crown Act 1937, welcher für den Vorsitzenden der größten Oppositionsfraktion als sog. „Leader of the Opposition“ ein Pensionsgehalt in der Höhe desjenigen des Premierministers vorsah sowie des Ministerial Salaries and Members Pensions Act 1965, welcher dem Fraktionsgeschäftsführer der Oppositionsfraktion ein zusätzliches staatliches Gehalt zukommen ließ. Siehe Ingold, Das Recht der Oppositionen, 2015, S. 30. 428 So formulierte Jennings, 2. Aufl. 1954, Parliament, S. 174: „It is not only Her Majesty’s Opposition but also Her Majesty’s alternative Government.“ Da infolge des Mehrheitswahlsystems regelmäßig nur zwei Partien – die Conservative Party und die Labour Party – jeweils in der Regierungsfunktion alternieren, wird die offizielle Opposition von der jeweils anderen besetzt. 429 Hierbei werden die Zuständigkeiten der Regierungsressorts gespiegelt und durch Mitglieder der stärksten Oppositionspartei als sog. „Shadow Secretaries“ besetzt. Vgl. dazu, Ingold, Das Recht der Oppositionen, 2015, S. 31. 430 Fenwick/Phillipson, Public Law, 3. Aufl. 2010, S. 455.
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beispiel für ein Redeparlament. Dies wird damit begründet, dass in dem – für die britische Verfassung prägenden – kompetitiven und von konsequenter Fraktionsdisziplin bestimmten Wechselspiel zwischen Regierung und parlamentarischer Opposition sich letztere auf die öffentlichkeitswirksame Kritik der Regierungsarbeit in Debatten und Fragestunden im Plenum fokussiere und sich weniger im Rahmen einer inhaltlichen Gestaltung (insbesondere von Gesetzesentwürfen) durch Mitwirkungs- und Vetorechte einbringe.431 Es wurde gelegentlich gar eine im eigentlichen Sinne „gesetzgebende“ Funktion des Unterhauses mit dem Argument in Zweifel gezogen, dass dieses im Verhältnis zu einer übermächtigen Regierung keinen wesentlichen Einfluss im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ausübe.432 Die Einordnung als Redeparlament spiegelt sich auch darin wider, dass den Ausschüssen traditionell eine relativ schwache Position – insbesondere bezüglich der Mitwirkung an der Gesetzgebung – attestiert wurde.433 Die Gesetzgebungsausschüsse wurden als von nur geringem Einfluss auf die Detailkontrolle von Vorlagen gegeißelt.434 Dies wurde zum einen damit begründet, dass sie dem Verfahren nach lediglich verkleinerte Abbilder des Plenums darstellten,435 in denen zumeist in der Anwesenheit von Vertretern des Regierungsressorts beraten wird und die damit – der Logik des Redeparlamentarismus entsprechend – innerhalb der Regierungs- und Oppositionsfraktionen jeweils Geschlossenheit demonstrieren. Dies stehe einer konstruktiven, sachorientierten gesetzgeberischen Detailarbeit entgegen.436 Hinzu komme die Tatsache, dass sich infolge des stets wechselnden Mitgliederbestandes ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Abgeordneten 431 Ingold, Das Recht der Oppositionen, 2015, S. 31 f. Ein Veto gegen Regierungsvorlagen ist dabei die absolute Ausnahme. Thompson, Making British Law, 2015, S. 7, 46 beschreibt das Unterhaus folglich als „reaktiv“ in Bezug auf Initiativen der Regierung, sodass sich sein Einfluss alleine im Rahmen der inhaltlichen Modifikation von Exekutivvorlagen abspielt. 432 So etwa Norton, Parliament in the 1980’s, 1985, S. 81: „Allthough some writers continue to list ,legislation‘ as one of the functions of the House of Commons, it is a function which for all intents and purposes has not been exercised by the house in the twentieth century.“ In diese Richtung auch Drewry, in: Ryle/Richards, The Commons Under Scrutiny, S. 120 (122). 433 Norton, The Journal of Legislative Studies 1998, S. 143 ff.; speziell für Gesetzgebungsausschüsse siehe auch ders., Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 9; ferner Brazier, Parliament, Politics and Law Making, S. 15 f. 434 Brazier, Parliament, Politics and Law Making, 15 f.; Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 11 ff.; dies., Parliamentary Affairs 2010, S. 534; Norton, Parliament in British Politics, 2. Aufl. 2013, S. 93; siehe hierzu auch Thompson, Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (461); dies., Making British Law, 2015, S. 2. 435 Griffith/Ryle, Parliament, 1989, S. 270; Thompson, Making British Law, 2015, S. 4. 436 Brazier, Parliament, Politics and Law Making, S. 17; Hagelund/Goddard, How to run a country, 2015 S. 13 f.; Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 12.
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untereinander im Sinne einer unabhängigen Kontrollinstanz nicht habe entwickeln können.437 Zudem werde mangels permanenter Tätigkeit in einem Themenbereich die Entstehung einer Fachexpertise der Abgeordneten im jeweiligen Politikfeld erschwert.438 Des Weiteren wurde auf die mangelhafte personelle Ausstattung und die vormals fehlende Möglichkeit, externes Fachwissen für die Gesetzgebungsarbeit nutzbar zu machen, verwiesen.439 Wie bereits im Rahmen der Betrachtung der Funktionsfähigkeit von Select Committees und Public Bill Committees festgestellt, hält dieses traditionelle Bild des britischen Unterhauses der Parlamentswirklichkeit nicht stand. Die Regierungskontrolle wird zu einem erheblichen Teil in Select Committees ausgeübt, die nach ihrem Organisationsgrad und der Arbeitsfähigkeit mit den Ausschüssen eines Arbeitsparlaments vergleichbar sind. Aber auch jüngere Studien zum Einfluss von Public Bill Committes auf Gesetzesvorlagen legen nahe, dass die bisherigen Einschätzungen, die sich häufig noch auf die Vorgängerinstitution der Standing Comittees bezogen, so nicht haltbar sind. Zum einen sind durch die Reform der Gesetzgebungsausschüsse die Rahmenbedingungen für die effektive Wahrnehmung von Gesetzgebungsfunktionen verbessert worden.440 Insbesondere hat sich die Informationsbasis für die Public Bill Committees durch die Einführung der Möglichkeiten einer Anhörung von Sachverständigen und Interessenvertretern sowie durch das Einholen schriftlicher Stellungnahmen erheblich verbreitert.441 Hinzu kommt, dass – trotz der anlassbezogenen Einsetzung von Public Bill Committees für eine Vorlage – bei der personellen Besetzung der jeweiligen Expertise der Mitglieder vermehrt Rechnung getragen wird.442 Hiermit einherge437 Hagelund/Goddard, How to run a country, 2015, S. 17; Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 13. 438 Hagelund/Goddard, How to run a country, 2015, S. 13; Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 13; Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 11. 439 Standing Committees verfügten über keine festen Ausschussmitarbeiter oder sonstige fachspezifische Ressourcen. Da zudem kein Mechanismus bestand, um Verständnisfragen an die Regierung zu richten, etablierte sich in den Ausschüssen die Praxis sog. „probing-amendments“, d.h. testweise eingebrachter Änderungsvorschläge, um eine begründete Stellungnahme der Regierung zu provozieren. Siehe hierzu Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 12 f. 440 Vgl. Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 27 ff.; dies., Parliamentary Affairs 2010, S. 534 ff.; Thompson, British Politics 2014, S. 385 (390 ff.). 441 Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 27 ff.; dies., Parliamentary Affairs 2010, S. 534 (537); Thompson, Politics 2016, S. 36 (42); dies., British Politics 2014, S. 385 (390 ). 442 Zwar wird die Vorgabe in Standing Order No. 86 (2), die Mitglieder von Gesetzgebungsausschüssen mit Blick auf deren „Befähigung“ zu nominieren, nicht als starre Verpflichtung verstanden, Abgeordnete mit einem besonderen Interesse an dem Beratungsgegenstand zu berufen. So auch Russell/Morris/Larkin, Fitting the Bill, 2013, S. 11. Gleichwohl erscheint die Vorhaltung, dass kaum „Spezialisten“ unter den Abge-
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hend hat sich nach Aussage von Parlamentariern auch die aktive Beteiligung der Ausschussmitglieder in Bezug auf die Erörterung der Vorlagen intensiviert.443 Hinzu kommt, dass – wie bereits oben ausführlich festgestellt – Public Bill Committees auf direktem und indirektem Wege im Ergebnis einen erheblichen inhaltlichen Einfluss auf Gesetzesvorlagen ausüben. Somit wird sowohl von einer gesteigerten Debattenqualität als auch von einer intensiveren Beschäftigung mit Vorlagen während der Beweiserhebung wie auch während der eigentlichen Detailberatung ausgegangen.444 Mithin ist festzuhalten, dass die Kernaufgaben der permanenten Regierungskontrolle und der gestaltenden Einflussnahme auf die Gesetzgebung, wie sie im Ausschusssystem des Bundestages in den ständigen Fachausschüssen stattfinden, auch in den Ausschüssen des House of Commons – hier allerdings auf zweierlei Ausschusstypen verteilt – in vergleichbarer Weise wahrgenommen werden. Vor dem Hintergrund dieser Annährung an arbeitsparlamentarische Charakteristika bedarf das klassische Bild des reinen Redeparlaments einer Korrektur. Zwar erreichen insbesondere die Public Bill Committees weder den Grad an fachlicher Profilierung und sachlich-parteiübergreifender Zusammenarbeit445 noch eine vergleichbar umfassende Einbindung in die Gesetzgebungstätigkeit wie die Fachausschüsse des Bundestages.446 Zudem tritt bei den Gesetzgebungsausschüssen ordneten sein, die eine Vorlage beraten, vor dem Hintergrund, dass im Zeitraum zwischen 2000–2010 durchschnittlich 63 % der Ausschussmitglieder eine Spezialisierung im Themenfeld der zu beratenden Gesetzesvorlage aufwiesen, kaum haltbar. Siehe hierzu Thompson, Politics 2016, S. 36 (40 ff.). 443 Levy, Parliamentary Affairs 2010, S. 534 (539); Thompson, British Politics 2014, S. 385 (391 f.). Dies lässt sich zum einen anhand der durchschnittlich auf eine Vorlage verwendeten Beratungszeit ablesen. Zum anderen hat sich auch die Zahl der von Ausschussseite vorgeschlagenen Änderungen wesentlich erhöht. Siehe Thompson, Parliamentary Affairs 2013, S. 459 (465 f.). 444 Levy, Parliamentary Affairs 2010, S. 534 f.; dies., Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, S. 33. Hinzu kommt, dass – wie bereits oben ausführlich festgestellt – Public Bill Committees auf direktem und indirektem Wege im Ergebnis einen erheblichen inhaltlichen Einfluss auf Gesetzesvorlagen ausüben. 445 So hat sich ein gemeinschaftliches Selbstverständnis (wie etwa bei den Select Committees) bei den – nach wie vor anlassbezogen zusammengesetzten – Public Bill Committees nicht herausgebildet. Vgl. Levy, Strengthening Parliament’s Powers of Scrutiny?, 2009, S. 32. 446 Dies wird schon allein anhand der Zahl zu beratender Gesetzesvorlagen in beiden Parlamenten deutlich. Während der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (2013– 2017) hat dieser insgesamt 731 Gesetzesvorlagen behandelt und 555 Gesetze verabschiedet. Im Zeitraum der Parlamentsjahre von 2013 bis 2017 wurden im House of Commons dagegen nur 292 Gesetzesvorlagen behandelt und 128 Gesetze verabschiedet. Zu den Zahlen für den Bundestag siehe Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages seit 1990, Kapitel 10.1, abrufbar unter: https:// www.bundestag.de/datenhandbuch (08.10.2019). Für das House of Commons siehe die Gesetzgebungsstatistiken der entsprechenden Parlamentsjahre, abrufbar unter: https:// www.parliament.uk/business/publications/house-of-lords-publications/records-of-activi ties-and-membership/public-bills-statistics/(08.10.2019).
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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des Unterhauses stärker die redeparlamentarische Funktion hervor, eine weitere Arena zur kontradiktorischen Debatte von Detailbestimmungen einer Gesetzesvorlage zu bilden.447 Gleichwohl ist im Ausgangspunkt zumindest von einer grundsätzlichen Vergleichbarkeit mit den Bundestagsausschüssen auszugehen. Im Rahmen vorhandener gradueller Funktionsunterschiede ist jedoch die historisch bedingte Ausrichtung der Public Bill Committees am kontroversen Debattenstil des Redeparlaments sowie deren ad hoc-Einsetzung, welche der Entstehung eines identitätsstiftenden Selbstverständnisses entgegensteht, zu beachten. Sollten daher öffentlichkeitsbedingte Effizienzverluste im Bundestag überhaupt auftreten, ist davon auszugehen, dass diese wegen der traditionellen Ausrichtung auf sachliche Detailarbeit und infolge der Permanenz des Zusammenarbeitens eher weniger stark ausfallen dürften.
II. Fazit und Positionierung im verfassungspolitischen Diskurs Als Fazit ist abschließend festzuhalten, dass sich der historische Kernkritikpunkt einer wesentlich nachteiligen Beeinflussung der Funktionsfähigkeit der Ausschüsse durch deren Öffentlichkeit nicht bestätigt hat. Vielmehr wurde die Funktionsfähigkeit in der Praxis in keinem der untersuchten Parlamente wesentlich tangiert. Stattdessen hat sich als positiver Nebeneffekt der Ausschussöffentlichkeit eine Entlastung des Plenums von zeitraubenden und lediglich Spezialinteressen betreffenden Detailfragen eingestellt. Dies beinhaltet den zusätzlichen Vorteil, den gesellschaftlich kontrovers diskutierten Themen im Plenum fortan mehr Raum gewähren zu können.448 Hinzu kommt, dass auch öffentlichkeitsbedingte Effizienzverluste nicht belastbar belegt werden können. Soweit das Themenfeld der Regierungskontrolle bzw. der Arbeitsmodus der Anhörung von Sachverständigen, Interessen- und Regierungsvertretern betroffen ist, ist dies eindeutig widerlegt worden. Aber auch im Rahmen der Gesetzesberatung zeigen die praktischen Erfahrungen keine wesentlichen Effizienzeinbußen. Zweifel in Bezug auf die Funktionalität von Public Bill Committees haben sich bei näherer Betrachtung primär als Ausdruck historischer Besonderheiten sowie Spezifika des Verfahrensgangs herausgestellt. Somit hat sich die Sorge, dass Parlamentarier in der Öffentlichkeit nicht in der Lage seien,
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So etwa Thompson, Making British Law, 2015, S. 27 f. Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (22); zur Rationalisierung siehe auch Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (84); ders., APuZ 21/1970, S. 3 (14). Dieser Aspekt kommt besonders dann zum Tragen, wenn – wie nach hiesiger Auffassung – ein gewisses Maß an öffentlich parlamentarischer Debatte von Vorlagen als verfassungsrechtliches Gebot betrachtet wird. 448
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
unbefangen, sachlich und kompromissorientiert zu handeln, vor dem Hintergrund der Parlamentspraxis jedenfalls als überzeichnet herausgestellt.449 Zwar kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass sich vereinzelt Abgeordnete in den Ausschussverhandlungen mit Blick auf die anwesende Öffentlichkeit profilieren wollen und damit die Sachlichkeit der Debatte und die freie Argumentation leiden. Diese Möglichkeit dürfte jedoch überall dort, wo technische Details der Gesetzgebungsarbeit im Raume stehen, kaum virulent sein, da hier zum einen die gesellschaftliche Aufmerksamkeit eher begrenzt ist und daher Fensterreden in Ermangelung eines großen Publikums wenig Sinn ergeben und zum anderen die Konzentration auf Sachfragen einen disziplinierenden Effekt zeitigt.450 Soweit hingegen parteipolitisch kontroverse Themen Gegenstand der Ausschussdebatte sind, kann schon im Ausgangspunkt jedenfalls nicht von einer ergebnisoffenen und dem besten Sachargument zur Durchsetzung verhelfenden Ausschussdebatte gesprochen werden. Die politischen Positionen, welche die Abgeordneten im Ausschuss vertreten, werden regelmäßig bereits zuvor in den Arbeitskreisen und Vorständen der Fraktionen festgelegt und sind damit ohnehin nur einer politischen Begründung zugänglich. Dies betrifft gleichermaßen den Aspekt der Kompromissfähigkeit. Bei kontroversen Aspekten einer Vorlage ist die Kompromissbereitschaft der Regierungsmehrheit kaum nennenswert, da diese insoweit ihr politisches Programm durchzusetzen beabsichtigt. Bei unstreitigen technischen Details einer Vorlage besteht dagegen kaum Anreiz, eine fraktionsübergreifende Zusammenarbeit vor der Öffentlichkeit zu verschleiern.451 Hinzu kommt, dass auch bei bestehender Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen diese in der Praxis regelmäßig nicht der Ort inhaltlicher Kompromissbildung zwischen den Fraktionen sind, welche im Bedarfsfall ohnehin in informelleren Gesprächskreisen im Vorfeld der Ausschussberatung stattfindet.452 Dies entkräftet zugleich das Argument einer drohenden Diskussionsflucht aus den Ausschüssen. Dementsprechend lässt sich eine öffentlichkeitsbedinge Diskussionsflucht in Gestalt einer vermehrten Existenz von informellen Gesprächskreise nach den praktischen Erfahrungen nicht belegen. Die praktischen Erkenntnisse zeigen ebenfalls, dass die Befürchtung einer künftig reduzierten Auskunftsbereitschaft seitens der Regierung gegenüber Ausschüssen tatsächlich nicht nachweisbar ist. Dieser Sorge kann zudem adäquat mit der Möglichkeit begegnet werden, im Einzelfall die Nichtöffentlichkeit der Ausschusssitzungen für einzelne Tagesordnungspunkte zu beschließen, soweit sensi449
Vgl. auch Wegener, Der geheime Staat, 2006, S. 254 f. Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (25); siehe hierzu auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 40, Rn. 127. 451 So auch Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (25). 452 Siehe hierzu bereits Kap. 2 B. V. 2. a). 450
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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ble Regierungsinterna Gegenstand der Auskunft sind. Auch dort, wo Aufzeichnungen oder Übertragungen der Sitzungen in Bild- und Ton erfolgen, sind keine negativen Folgen hinsichtlich der Arbeitseffizienz der Ausschussberatungen dokumentiert worden. Der Kritikpunkt bezüglich eines per se mangelnden Interesses der gesellschaftlichen Öffentlichkeit lässt sich auf Basis der praktischen Erfahrungen widerlegen. Diesbezüglich ist zu konstatieren, dass ein gesellschaftlich-mediales Interesse an der Ausschussarbeit insgesamt durchaus vorhanden ist, wobei dieses stärker im Rahmen der Kontrolltätigkeit und weniger ausgeprägt bei technischen Details der Gesetzgebung zum Tragen kommt. Selbst wenn insoweit eine wesentliche Aufmerksamkeit „nur“ auf Seiten interessierter Kreise der Gesellschaft gegeben wäre, gilt es zu bedenken, dass der Nutzen der Öffentlichkeit schwerlich anhand des tatsächlichen Umfangs der Kenntnisnahme durch das Publikum bemessen werden kann. Unter dieser Prämisse wäre letztendlich auch die Öffentlichkeit des Plenums angreifbar, welches sich in jüngerer Vergangenheit gleichermaßen einer abnehmenden gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gegenübersieht. Vielmehr kommt bereits der Chance, dass das Publikum infolge des kontinuierlichen Zugangs zu Informationen von der Ausschusstätigkeit den politischen Entscheidungsprozess besser mit- und nachvollziehen kann und auf dieser Basis vermehrt hieran partizipiert, ein demokratischer Eigenwert zu.453 Außerdem wird durch die Erweiterung des Transparenzbereichs auch der Aktionsradius der parlamentarischen Opposition hinsichtlich der öffentlichkeitswirksamen Kritik und Kontrolle der Regierungsarbeit vergrößert, was die Wahrnehmbarkeit der Ausschusstätigkeit tendenziell befördern dürfte.454 Schließlich sind dem Kritikpunkt einer negativen Außendarstellung bei Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen infolge einer Entwertung des Plenums oder einer Ernüchterung über Imperfektionen der Ausschussarbeit diverse positive Erfahrungen entgegenzuhalten. Der Fokus der Parlamentsberichterstattung liegt trotz Ausschussöffentlichkeit weiterhin auf dem parlamentarischen Plenum. Überdies bestätigt sich auch die bereits von Oberreuter formulierte Aussicht, dass die Öffentlichkeit einen Beitrag dazu leisten kann, das plenarfixierte Parlamentsverständnis durch Sichtbarmachung des erheblichen Maßes der Ausschussarbeit abzubauen und hieran anknüpfend verlorengegangene Akzeptanz in der Bevölkerung zurückzugewinnen.455 Die Öffentlichkeit bietet zudem angesichts der von Hennis festgestellten „Oligarchisierung der Redechancen“ 456 im Plenum mit Blick auf einige wenige Starredner der Fraktionen eine zusätzliche Bewährungs453
Vgl. Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 f.; Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (88). Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (88). 455 Oberreuter, APuZ 21/1970, S. 3 (14); ähnlich auch Kißler, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 36, Rn. 39; Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (23). 456 Hennis, Die neue Gesellschaft 14 (1967), S. 101 (111). 454
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
chance für profilierte Fachpolitiker, sich nunmehr durch kompetente Sacharbeit in den Ausschüsse hervorzutun.457 Bezüglich denkbarer Imageschäden bleibt es dabei, dass die Abgeordneten letztlich selbst gefordert sind, das Ansehen des Parlaments durch entsprechend sachkundige Ausschussarbeit zu fördern. Das die Öffentlichkeit einen Anreiz hierfür schafft, haben die praktischen Erfahrungen untermauert.458 Diese heilsame Anreizwirkung, lässt sich dagegen nicht mit dem Argument entkräften, dass dem Publikum ggf. nicht gefallen könnte, dass die Abgeordneten der – mit Recht – an sie gestellten Erwartung einer konstruktiven Einbringung in die Ausschussarbeit nicht gerecht werden könnten. Insgesamt stellt daher eine grundsätzliche Umkehrung des Regel-AusnahmeVerhältnisses der Ausschussöffentlichkeit eine Möglichkeit bereit, sowohl zwingende verfassungsrechtliche Anforderungen umzusetzen als auch die Ausschussöffentlichkeit einer zeitgemäßen Ausgestaltung vor dem Hintergrund der Funktionsbedingungen des modernen Parlamentarismus zuzuführen. Die Einführung einer grundsätzlichen Ausschussöffentlichkeit ist daher zu begrüßen.
III. Eigener Reformvorschlag Zur Umsetzung dieses Befunds sollte zunächst in § 69 Abs. 1 S. 1 GO-BT die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen als Grundregel statuiert werden. Diese würde dabei sowohl die verfassungsrechtlich zwingend öffentlich zu machenden als auch sonstige Sitzungen umfassen. Mit Blick auf die im Interesse kollidierender Verfassungsrechtsgüter nichtöffentlichen Ausschüsse wären im Anschluss an die Grundregel Bereichsausnahmen zu definieren. Hier wären insbesondere der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss und der Innenausschuss (in Angelegenheiten der inneren Sicherheit) sowie der Immunitäts- und der Petitionsausschuss (sofern sich dieser nicht mit öffentlichen Petitionen befasst) ausdrücklich aufzuzählen. Ferner sollte den von der generellen Ausnahme betroffenen Ausschüssen das Recht eingeräumt werden, im Einzelfall – als Rückausnahme – für nicht geheimhaltungsbedürftige Tagesordnungspunkte die Öffentlichkeit (wieder)herzustellen. Nachfolgend wäre auch die Möglichkeit, anlassbezogen die Öffentlichkeit auszuschließen, zu normieren. Diesbezüglich wäre eine Orientierung an Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG zu befürworten. Zwar sind dessen besondere formelle und materielle Voraussetzungen nur in Bezug auf die verfassungsrechtlich zwingenden Fälle der Ausschussöffentlichkeit obligatorisch, sodass hinsichtlich der Ausschlussvoraussetzungen differenziert werden könnte. In Anbetracht der Tatsache, 457 458
(15).
Meyn, APuZ 40/1968, S. 21 (22 f.). Vgl. Oberreuter, ZParl 6 (1975), S. 77 (85), Fn. 23; ders., APuZ 21/1970, S. 3
C. Verfassungspolitische Reformempfehlungen
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dass die Ausschussöffentlichkeit in besonderem Maße die Oppositionsarbeit begünstigen würde und um die Regelung nicht unnötig kompliziert auszugestalten, bietet es sich dennoch an, das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit sowie eines materiellen Ausschlussgrundes generell heranzuziehen. Mithin sollte in § 69 GO-BT ausdrücklich verankert werden, dass ein Ausschussbeschluss der Zweidrittelmehrheit bedarf und nur im überwiegenden Interesse schutzwürdiger Rechtsgüter Einzelner oder des Staates erfolgen kann. Die Beratung und Abstimmung über den Ausschluss der Öffentlichkeit hätte zudem im Interesse eines wirksamen Geheimnisschutzes nichtöffentlich zu erfolgen. Hinsichtlich des Maßes der durch den Bundestag herzustellenden Ausschussöffentlichkeit käme zwar die Beschränkung auf eine reine Saalöffentlichkeit in Betracht, da fundierte Erfahrungen aus der Parlamentspraxis der Bundesländer sich im Wesentlichen hierauf beschränken. Die Saalöffentlichkeit wäre prima facie auch ausreichend, da zum einen die Medien aus den Sitzungen berichten und so eine breite Öffentlichkeit erreichen könnten und zum anderen es interessierten Bürgern im Einzelfall freistünde, die Sitzung zu besuchen. Dem steht jedoch entgegen, dass das Ausmaß medialer Berichterstattung aus dem Parlament sehr überschaubar ist und somit eine umfassende Abdeckung der Ausschusssitzungen nicht gewährleisten kann. Selbst wenn man eine grundsätzliche Berichterstattung unterstellt, bleibt der Nachteil einer durch die mediale Informationsvermittlung verzerrten Wirklichkeitswahrnehmung.459 Hinsichtlich der Saalöffentlichkeit für interessierte Bürger kann zudem ein modernes Verständnis politischer Partizipation kaum auf der Prämisse aufbauen, dass diese ggf. den Weg nach Berlin auf sich nehmen müssen, um Sitzungen der Ausschüsse vor Ort zu verfolgen. Für die grundsätzliche Gangbarkeit einer Einführung umfassender Aufzeichnungen und Übertragungen von Ausschusssitzungen in Bild und Ton durch die Parlamentsverwaltung spricht auch die Parlamentspraxis aus dem House of Commons. Diese hat für die Ausschüsse keinerlei negative Auswirkung offenbart. Gerade in Bezug auf die umfassend öffentlich tagenden Public Bill Committees ist keine wesentliche Änderung des Arbeitsstils nach der Installation von Kameras in den Sitzungssälen festgestellt worden. Der Umstand, dass kein erheblicher Unterschied zwischen der reinen Saalöffentlichkeit bei gleichzeitiger Anwesenheit von Medienvertretern und einer Bild-Ton-Aufzeichnung durch die Parlamentsverwaltung besteht, leuchtet zumindest dort ein, wo im Rahmen kontroverser Themen eine große Zuhörerschaft im Saal verweilt und damit ein ähnlich starker Anreiz zur Selbstdarstellung besteht. Wenn hingegen wenig kontroverse, technische Gesetzgebungsdetails Thema sind und das gesellschaftliche Interesse daher geringer ist, werden sich die Sitzung ohnehin kaum für eine erhebliche Profilierung eignen, unabhängig davon, ob deren Aufzeichnung bzw. Übertragung erfolgt. Dies indiziert auch der unveränderte sachliche Beratungsstil in den live übertragenen 459
Siehe hierzu bereits Kap. 4 A. II. 1. a).
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Kap. 5: Verfassungsrechtliche und -politische Schlussfolgerungen
und aufgezeichneten öffentlichen Anhörungssitzungen in Bundestag, Landesparlamenten und britischem Unterhaus. Nach alledem ist für eine grundsätzliche Aufzeichnung und Liveübertragung der Ausschusssitzungen zu plädieren. Dies sollte im Rahmen von § 69 GO-BT allerdings in Form einer „Soll“-Vorschrift umgesetzt werden, die im Einzelfall die nötige Flexibilität belässt, etwa bei Raumknappheit oder mangelnden technischen Ressourcen, hierauf zu verzichten. Dies würde letztlich auch den Abgeordneten eine „Hintertür“ offenhalten, bei tatsächlich festgestellten Effizienzverlusten von einer Liveübertragung und Aufzeichnung abzusehen, um jedenfalls eine mögliche Verstärkung dieses Effekts infolge der Anwesenheit von Kameras zu vermeiden. Ferner sollte der Klarheit halber auch in § 70 GO-BT aufgenommen werden, dass öffentliche Anhörungssitzungen grundsätzlich live übertragen sowie aufgezeichnet und per Video-on-Demand zur Verfügung gestellt werden. Weiter sollten Protokolle der öffentlichen Ausschusssitzungen sowie alle Ausschussdrucksachen und sonstigen Beratungsunterlagen (sofern sie keine Verschlusssachen darstellen) durch den Bundestag veröffentlicht werden. Eine entsprechende Vorschrift wäre in § 73 GO-BT aufzunehmen. Um den verfassungsrechtlichen Mindestvorgaben an die amtliche Berichterstattung gerecht zu werden und zugleich eine übermäßige Belastung des Stenografischen Dienstes zu vermeiden, bötet es sich an, lediglich die Anfertigung von Inhaltsprotokollen der öffentlichen Ausschusssitzungen in § 73 GO-BT als zwingend zu statuieren und es darüber hinaus in das Ermessen des Ausschusses zu stellen, ein Wortlautprotokoll anfertigen zu lassen. Um schließlich auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die nichtamtliche Berichterstattungsöffentlichkeit gerecht zu werden, sollte klarstellend in § 69 GO-BT ergänzt werden, dass die Anfertigung von Film- und Tonaufnahmen öffentlicher Sitzungen durch Vertreter der Medien grundsätzlich zulässig ist.
Kapitel 6
Zusammenfassung in Thesen I. Verfassungs- und geistesgeschichtliche Grundlegung (1) Die für die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Parlamentsöffentlichkeit in Deutschland maßgeblichen Impulse entstammten vorrangig der französischen und weniger der britischen Parlamentstradition. Das britische Unterhaus zeichnete sich bis in das späte 18. Jahrhundert durch die Geheimhaltung seiner Beratungen aus, die erst im Laufe des 19 Jahrhunderts vollends aufgegeben wurde. Vorbildcharakter für die Entwicklung in Deutschland hatte dagegen die in der Frühphase der Französischen Revolution verwirklichte und verfassungsrechtlich verankerte Öffentlichkeit der Nationalversammlung. (2) In der deutschen Verfassungsgeschichte reichen die Anfänge der Parlamentsöffentlichkeit bis in die süddeutschen Repräsentativverfassungen des Frühkonstitutionalismus zurück. Die anfangs nur partiell verwirklichte und von restaurativen Strömungen bekämpfte Öffentlichkeit hat sich im Nachgang zur Märzrevolution von 1848/49 verfassungsrechtlich endgültig durchgesetzt und in der Folge Eingang sowohl in die Preußische Verfassung als auch in die Verfassungen des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Kaiserreichs gefunden. Seither stellt sie eine Konstante deutscher Verfassungsgebung bis in die Gegenwart dar. (3) Dabei ist die Parlamentsöffentlichkeit historisch fast ausnahmslos auf die parlamentarischen Vollversammlungen begrenzt gewesen. Ausschüsse wurde dagegen traditionell als nichtöffentliche Gremien eingerichtet, deren Zweck unter anderem in der Ermöglichung einer vertraulichen und freimütigen Beratung bestand. Entsprechend lassen sich die klassischen, noch heute ins Feld geführten Argumente gegen die Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen bereits in der Frankfurter Nationalversammlung nachweisen. (4) Die geistesgeschichtlichen Wurzeln des verfassungsrechtlichen Gebots parlamentarischer Öffentlichkeit sind vorrangig in der Staatsphilosophie der Aufklärung zu finden. Die maßgeblichen Grundpositionen hierzu formulierten die Schriften Kants, Benthams und Hegels. Ersterer verstand staatliche Öffentlichkeit als normatives Kriterium für die Qualität und Legitimität staatlichen Handels. Der Zweitgenannte sah in ihr ein Mittel gegen den Machtmissbrauch und zur Absicherung demokratischer Herrschaft. Letzterer
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Kap. 6: Zusammenfassung in Thesen
betrachtete sie schließlich als Weg zur Bildung der Bürger und zu deren Integration in den Staat. Diese Begründungsdiskurse sind durch die liberale Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts aufgegriffen worden. Dabei wurden der Öffentlichkeit neben einer transzendentalen Garantenstellung mit Blick auf die Gerechtigkeit und Wahrheit staatlicher Entscheidungen auch die pragmatischen Funktionen der Ermöglichung der Volksrepräsentation, gesellschaftlicher Partizipation und Kontrolle, einer fundierten Wahlentscheidung sowie der gesellschaftlichen Integration in staatliche Prozesse attestiert. (5) Die klassische Vorstellung von der Plenaröffentlichkeit als Forum für den vernuftbasierten Wettstreit politischer Meinungen, der zu höherer Einsicht führt, wurde durch den gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Strukturwandel der Öffentlichkeit und des Parlamentarismus überholt. In einer pluralistischen Massendemokratie stellen sich politische Entscheidungen nicht als Ergebnis eines Strebens nach höherer Vernunft, sondern als Resultat widerstreitender Partikularinteressen dar. Die notwendige Professionalisierung des Parlamentarismus zur Bewältigung der gesteigerten Vielfalt und Komplexität parlamentarischer Aufgaben führte zudem zur Bildung eines differenzierten Systems spezialisierter Ausschüsse und Fraktionsgremien, welche – in nichtöffentlicher Sitzung – die Entscheidungsfindung fachlich vorbereiten und inhaltlich vorwegnehmen. (6) Auf diesen Umstand stützt die prominente Parlamentskritik Carl Schmitts schwerpunktmäßig das Verdikt der angeblich weitgehenden Funktionslosigkeit des Parlamentarismus der Weimarer Zeit. Schmitt ist jedoch zu Recht entgegengehalten worden, dass er ein mythologisiertes Idealbild eines klassischen Parlamentarismus zeichnet, dessen tatsächliche Existenz im 19. Jahrhundert bereits höchst fraglich ist und demgegenüber jedenfalls die realen Funktionsbedingungen eines modernen Gruppenparlamentarismus zwangsläufig unzulänglich erscheinen müssen. (7) Konstruktive Begründungsversuche der modernen Parlamentsöffentlichkeit unter Geltung des Grundgesetzes beschränkten sich zunächst auf eine rein demonstrierende Funktion der Rechtfertigung inhaltlich bereits getroffener Entscheidungen, wie sie insbesondere bei Leibholz und Smend durchscheint. Spätere Ansätze betonten dagegen stärker die Öffentlichkeitsdimension der Kommunikation auch über noch laufende Entscheidungsprozesse und arbeiteten die Öffentlichkeitsfunktionen der Legitimation, Kontrolle, Partizipation, Repräsentation und Integration heraus. In jüngerer Vergangenheit wurde zudem ein sprachtheoretisches Öffentlichkeitsmodell entwickelt, dass die spezifische Öffentlichkeitsfunktion in einer Doppelcodierung staatlicher Entscheidungen, einerseits in einem – auf den Ausgleich von Partikularinteressen ausgerichteten – nichtöffentlichen und andererseits in einem – auf das Gemeinwohl abzielenden – öffentlichen Sprachspiel identifiziert, wobei die
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Parlamentsöffentlichkeit die für eine abschließende Erörterung im Plenum vertretbaren Positionen begrenze. (8) Der scheinbare Widerspruch zwischen den von einer rein demonstrativen Öffentlichkeitsfunktion ausgehenden Stimmen und Vertretern einer kommunikativen Funktionsbestimmung lässt sich nach hier vertretener Ansicht indes durch eine Differenzierung zwischen tatsächlichen und potentiellen Öffentlichkeitsfunktionen überwinden. Erstere treten als Folge der öffentlichen Debatte zwangsläufig ein, sobald parlamentarische Sachverhalte dem Publikum zur Kenntnis gebracht werden. Letztere setzten dagegen eine kommunikative Reaktion des Publikums voraus, die zwar faktisch möglich ist und z. T. auch tatsächlich stattfindet, jedoch nicht zwingend zum Tragen kommen muss. Im Rahmen potentieller Öffentlichkeitsfunktionen weist jedoch allein die Möglichkeit einer tatsächlich stattfindenden Kommunikation funktionalen Eigenwert auf. (9) Die herausgearbeiteten Öffentlichkeitsfunktionen drohen jedoch im Gefolge der jüngeren Entwicklung der Parlamentsöffentlichkeit entwertet zu werden. Im Rahmen des fortschreitenden Strukturwandels der Öffentlichkeit sieht sich das Parlament einer weiter zunehmenden Komplexität der gesellschaftlichen, rechtlichen und technischen Verhältnisse gegenüber, welche in einer verstärkten Arbeitslast resultieren. Im Zeitalter des Fernsehens und des Internets verlagern sich politische Diskurse und der Fokus gesellschaftlicher Aufmerksamkeit zunehmend aus dem Parlament in andere Formate wie politische Talkshows oder soziale Netzwerke, wodurch sich verstärkt abgeschlossene Teilöffentlichkeiten bilden und die Bedeutung der Anschauung der Parlamentsdebatte als Voraussetzung einer gesellschaftlichen Willensbildung insgesamt abnimmt. (10) Infolge dieser Ausgangslage reagiert der Bundestag mit einem neuerlichen Strukturwandel des Parlamentarismus. Dabei schreiten die interne Ausdifferenzierung und Spezialisierung des Parlaments weiter voran. Die Willensbildung wird in der Folge verstärkt bereits in Fraktionssitzungen und informelle Gremien vorgezogen. Der Ausschuss ist dabei primär der Ort, an welchem weitestgehend gebundene Fraktionsvertreter ihre Argumentationen austauschen. Überdies werden vom Bundestag vermehrt gesamtparlamentarische Aufgaben zur eigenverantwortlichen und abschließenden Wahrnehmung formal auf (nichtöffentliche) Ausschüsse delegiert. Schließlich verzichtet das Parlament für eine Vielzahl von Beratungsgegenständen vollständig auf eine öffentlich-mündliche Erörterung in der Plenarversammlung. Dieser Rückgang parlamentarischer Öffentlichkeit bedingt zugleich eine Entwertung der tradierten Öffentlichkeitsfunktionen. Als potentieller Ausweg aus lässt sich eine Ausweitung des – historisch auf die Plenarversammlung begrenzten – parlamentarischen Öffentlichkeitsverständnisses auf Ausschüsse andenken.
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Kap. 6: Zusammenfassung in Thesen
II. Verfassungsrechtliches Gebot der Öffentlichkeit von Ausschusssitzungen (11) Aufbauend auf diesem Lösungsansatz ergibt sich die Frage, ob bereits nach gegenwärtigem Verfassungsrecht eine (teilweise) Erstreckung parlamentarischer Öffentlichkeit auf Ausschüssen geboten ist. Dabei lassen sich die verfassungsrechtlichen Vorschriften bezüglich der Herstellung staatlicher Öffentlichkeit in verschiedene Schichten auffächern. Als teleologische Grundlage und gemeinsame Klammer (einfach)verfassungsrechtlicher Öffentlichkeitsgebote im Bereich der Legislative lässt sich staatliche Öffentlichkeit insbesondere auf die Staatsstrukturprinzipien der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ferner auch auf das grundgesetzliche Menschenbild sowie auf die objektive Wertentscheidung für eine grundrechtlich verbürgte Kommunikationsverfassung zurückführen. In demokratischer Hinsicht ist staatliche Öffentlichkeit dabei zwingende Voraussetzung für eine fundierte Wahlentscheidung sowie für das Entstehen von und die Teilhabe an einem freien politischen Willensbildungsprozess, der über das Institut der öffentlichen Meinung zugleich auf die Staatsorgane zurückwirkt. Unter rechtsstaatlichen Auspizien bewirkt die Öffentlichkeit vor allem eine Begrenzung und Begründung staatlicher Herrschaft im Interesse eines grundrechtlichen Freiheitsraumes. Insofern ist staatliche Öffentlichkeit zugleich Voraussetzung für die persönliche Entfaltung des Menschen in Relation zur gesellschaftlichen Gemeinschaft und damit die Basis für die Ausübung der grundrechtlich verbürgten Kommunikationsfreiheiten. (12) Aufgrund der essentiellen Bedeutung für die vorgenannten Verfassungsprinzipien lässt sich der Gedanke staatlicher Öffentlichkeit im Wege der Deduktion zu einem allgemeinen Verfassungsgrundsatz verdichten, der grundsätzlich die gesamte Staatstätigkeit adressiert und bindet. In der Folge stellen sich Einschränkungen staatlicher Öffentlichkeit als begründungsbedürftige Ausnahme dar. Dieser allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz beansprucht unmittelbare Geltung und kann daher zur Begründung von konkreten Öffentlichkeitsgeboten (etwa in Bezug auf Ausschüsse) grundsätzlich herangezogen werden. Im hier relevanten Bereich der Legislative ist jedoch Art. 42 Abs. 1 GG als spezielle Ausprägung dieses Verfassungsgrundsatzes primär maßgeblich. Dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz selbst kommt mithin nur eine Reservefunktion zu. (13) Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG bezieht sich unter Anwendung gängiger juristischer Auslegungsmethoden jedoch grundsätzlich nur auf das Plenum und umfasst gerade nicht die parlamentarischen Ausschüsse. Bereits der Wortlaut spricht gegen eine Anwendbarkeit auf Ausschüsse, da dort, wo im Grundgesetz vom „Bundestag“ die Rede ist, üblicherweise die Plenarversammlung gemeint ist. Ebenso stützen systematische Erwägungen wie die ansonsten übliche textliche Unterscheidung zwischen „dem Bundestag“ und „seinen Aus-
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schüssen“ (vgl. Art. 42 Abs. 3 GG) sowie eine z. T. explizite Normierung der Ausschussöffentlichkeit (vgl. Art. 44 Abs. 1 GG) im Umkehrschluss eine exklusive Anwendbarkeit der Norm auf das Plenum. Dem entspricht auch das verfassungshistorische Verständnis der Ausschussöffentlichkeit. Schließlich stimmt auch der Telos von Art. 42 Abs. 1 GG mit den vorstehenden Auslegungsaspekten überein, da eine öffentlichkeitswirksame Darstellung funktional allein dem Plenum vorbehalten ist, während sich die Ausschüsse auf eine vorbereitende Detailarbeit beschränken. Dieses eindeutige Auslegungsergebnis steht gleichermaßen einer rechtfortbildenden Erstreckung von Art. 42 Abs. 1 GG auf Ausschüsse entgegen. (14) Etwas anderes ergibt sich allerdings für die abschließende Delegation plenarersetzender Entscheidungsbefugnisse auf Ausschüsse, die etwa im Rahmen parlamentarischer Beteiligungsrechte des EU-Ausschusses sowie der Mitwirkung des Haushaltsausschusses am Vollzug des Haushaltsgesetzes bzw. an Maßnahmen unter den Eurorettungsschirmen ESM und EFSF punktuell erfolgt. Hier handeln die Ausschüsse nicht lediglich als vorbereitende Beschlussorgane, sondern vielmehr abschließend und stellvertretend für das Gesamtparlament. Eine öffentliche Behandlung der betreffenden Vorlagen erfolgt in dieser Sonderkonstellation nicht. Da es sich bei der Delegation plenarersetzender Entscheidungsbefugnisse auf Ausschüsse um eine vornehmlich nach Inkrafttreten des Grundgesetzes aufgekommene Parlamentspraxis handelt, die eine Regelungslücke bedingt, und der Ausschuss in dieser Konstellation in Stellvertretung des Gesamtparlaments gleichsam als „der Bundestag“ handelt, ist der Weg frei für eine analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG. (15) Dasselbe gilt für die ohne vorherige Überweisung durch das Plenum wahrgenommene Kontrolltätigkeit der Ausschüsse in Ausübung des 1969 in die Geschäftsordnung eingefügten Selbstbefassungsrechts. Dieses erlaubt zwar formal keine verbindliche Beschlussfassung einzelner Ausschüsse für das Gesamtparlament. Gleichwohl erfolgt die in diesem Kontext ausgeübte Regierungskontrolle – als gesamtparlamentarische Aufgabe – durch den Ausschuss ebenfalls eigenverantwortlich und abschließend. Zudem kommt ihr de facto eine erhebliche Außenwirkung zu. Die Bedeutung der im Rahmen des Selbstbefassungsrechts möglichen Formulierung eines Standpunkts des Ausschusses zu einem bestimmten Regierungshandeln steht sonstigen rechtlich unverbindlichen Instrumenten der laufenden Regierungskontrolle (in Form schlichter Parlamentsbeschlüsse) in ihrer tatsächlichen politischen Wirkmacht in nichts nach. (16) Generelle Rückausnahmen vom verfassungsrechtlichen Gebot der Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 GG wären jedoch grundsätzlich infolge einer Begrenzung durch kollidierendes Verfassungsrecht denkbar. Insofern kann die zur Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte entwickelte
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Kap. 6: Zusammenfassung in Thesen
Dogmatik auch auf weitere uneingeschränkt gewährleistete Verfassungsgehalte wie die parlamentarische (Ausschuss)Öffentlichkeit übertragen werden. Als potentiell öffentlichkeitsbegrenzende Verfassungsrechtswerte kämen prima facie die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages sowie vom Staatswohl bzw. von Individualrechtsgütern getragene Geheimnisschutzinteressen in Betracht. Eine Einschränkung des Öffentlichkeitsgebots im Interesse kollidierenden Verfassungsrechts hat sich im konkreten Fall jedoch strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren. Im Rahmen der plenarersetzenden Beschlusstätigkeit von Ausschüssen käme eine verfassungsrechtliche Kollisionslage von vornherein nur unter dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Arbeits- und Funktionsfähigkeit in Frage. Staatliche und private Geheimnisschutzinteressen sind im Falle europapolitischer Stellungnahmen zu öffentlichen Unionsdokumenten durch den EU-Ausschuss sowie bei der konkreten Tätigkeit des Haushaltsausschusses im Rahmen des Haushaltsvollzugs bzw. im Kontext von ESM und EFSF ersichtlich nicht tangiert. Weiterhin ist bereits sehr fraglich, ob die parlamentarische Funktionsfähigkeit durch die Öffentlichkeit der Ausschussberatungen überhaupt eine tatsächliche Beeinträchtigung erfährt. Jedenfalls im Rahmen einer gebotenen Güterabwägung müsste die Funktionsfähigkeit gegenüber dem andernfalls vollständig entwerteten Öffentlichkeitsgebot zurücktreten. Im Kontext der Regierungskontrolle auf Basis des Selbstbefassungsrechts ist dagegen im Interesse staatswohlbezogener Geheimnisschutzbelange eine generelle Einschränkung der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit statthaft. Dies ergibt sich aus dem überragenden Gewicht insbesondere der Verfassungswerte der inneren und äußeren Sicherheit des Staates, hinter denen letztendlich die Grundrechtsverwirklichung einer Vielzahl Individuen steht. Konkret betrifft diese Rückausnahme von der Ausschussöffentlichkeit die regelmäßig sicherheitsrelevante Tätigkeit des Auswertigen Ausschusses, Verteidigungsausschusses und Innenausschusses (in Angelegenheiten der inneren Sicherheit). (17) Über die analoge Anwendbarkeit von Art. 42 Abs. 1 GG hinaus kann sich eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Ausschussöffentlichkeit partiell auch aus einer direkten Anwendung des allgemeinen Verfassungsgrundsatzes der Öffentlichkeit staatlichen Handelns ergeben. Dieser bedarf als ungeschriebener Rechtssatz von erheblicher Abstraktionshöhe der dogmatisch sauberen Konkretisierung zu einer Rechtsregel. Maßgeblich für die Annahme einer konkreten Rechtspflicht sind insoweit vor allem die Bedeutung des konkret behandelten Beratungsgegenstandes im Sinne der Wesentlichkeitsrechtsprechung sowie die Relevanz des jeweiligen staatlichen Organs für die demokratische Willensbildung und rechtsstaatliche Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns als teleologische Grundlagen des Öffentlichkeitsgebots. In Bezug auf die reguläre Ausschusstätigkeit steht einer solchen Verdichtung
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des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes jedoch der vorbereitende Charakter der Ausschusssitzungen entgegen. Die für die demokratische Willensbildung und rechtsstaatliche Nachvollziehbarkeit maßgebliche Vermittlungsleistung wird vielmehr vorrangig in der parlamentarischen Vollversammlung geleistet. Somit ist die Herleitung eines Verfassungsgebots grundsätzlicher Ausschussöffentlichkeit auf dieser Basis nicht möglich. (18) Etwas anderes gilt allerdings dort, wo der Bundestag im Anschluss an die nichtöffentliche Ausschussberatung von Gesetzesvorlagen im Plenum sowohl in zweiter als auch in dritter Lesung auf eine mündliche Aussprache verzichtet. In dieser Konstellation hat die abschließende diskursive Behandlung der Vorlage allein im Ausschuss stattgefunden, während sich das Plenum seiner Vermittlungsfunktion vollständig entzogen hat. Diese Vorgehensweise widerspricht zum einen dem Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG immanenten Mindestmaß mündlicher Beratung, welches vorsieht, dass jedenfalls zu Beratungsgegenständen von wesentlicher Bedeutung eine signifikante tatsächliche Aussprache im Plenum stattfinden muss. Eine nur formal öffentlich stattfindende Sitzung, in deren Rahmen keine Aussprache erfolgt oder Reden allenfalls zu Protokoll gegeben werden, stellt dagegen ein Aliud zu einer Erörterung auf Basis von Rede- und Gegenrede dar. Parallel zu dieser Wertung kommt aufgrund des Fortfalls der Öffentlichkeit im Plenum der Anschauung der tatsächlich stattfindenden Erörterung der Vorlage im Ausschuss vor dem Hintergrund der demokratischen Willensbildung und rechtsstaatlichen Nachvollziehbarkeit des Staatshandelns die entscheidende Bedeutung zu. Sie stellt nunmehr faktisch die Instanz dar, in der sich die abschließende, interfraktionelle Erörterung des Beratungsgegenstandes vollzieht. Je weniger mithin eine tatsächliche Diskussion im Plenum stattfindet, desto relevanter wird die Ausschusssitzung unter demokratisch-rechtsstaatlichem Blickwinkel. Im Ergebnis setzt der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz daher ein erforderliches Gesamtniveau öffentlich-mündlichen Erörterung von Gesetzesvorlagen im parlamentarischen Verfahren voraus. In der Sonderkonstellation des vollständigen Verzichts auf eine abschließende Plenaraussprache, lässt sich in der Folge der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz zu einer konkreten Rechtsregel verdichten, welche grundsätzlich die Öffentlichkeit der Ausschussberatung gebietet. III. Inhaltliche Reichweite der verfassungsrechtlichen Ausschussöffentlichkeit (19) Soweit die Ausschussöffentlichkeit aus einer analogen Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG folgt, richtet sich die inhaltliche Reichweite der verfassungsrechtlich gebotenen Ausschussöffentlichkeit gleichermaßen nach den Vorgaben dieser Norm. Allerdings ist hierbei den funktionalen Besonderheiten des Ausschusswesens – vermittelt über den verfassungsrechtlichen
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Topos der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Ausschüsse – Rechnung zu tragen. Die Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG setzt im Gewand der Sitzungsöffentlichkeit zunächst eine allgemeine räumliche Zugänglichkeit der Ausschusssitzungen voraus. Gleichwohl steht die Norm der administrativen Handhabung und Begrenzung des Zugangs sowie dem Ausschluss etwaiger Störer im Interesse parlamentarischer Funktionsfähigkeit nicht entgegen. Fernerhin umfasst die Sitzungsöffentlichkeit ein subjektives Zugangsrecht zu den Sitzungen obligatorisch öffentlicher Bundestagsausschüsse, welches aus der abwehrrechtlichen Dimension der Informationsfreiheit in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Ausschussöffentlichkeit folgt. Ein solches steht nicht gerechtfertigten Eingriffen in die grundsätzlich freie Zugangsmöglichkeit zu den Ausschusssitzungen entgegen. Denkbare Eingriffskonstellationen stellen etwa die (verfassungswidrige) geschäftsordnungsrechtliche Normierung einer Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen im (analogen) Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG, eine zu Unrecht erfolgte Teilnahmeversagung unter Berufung auf Kapazitätsgründe oder ein fehlerhafter Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG dar. Das subjektive Zugangsrecht lässt sich Bedarfsfall auf dem Verwaltungsrechtsweg durchsetzen. (20) Hierneben tritt ergänzend der Gewährleistungsgehalt der Berichterstattungsöffentlichkeit aus den Ausschüssen, welcher zum einen ein Mindestmaß amtlicher Berichterstattung durch den Bundestag selbst und zum anderen die grundsätzliche Zulässigkeit einer nichtamtlichen medialen Berichterstattung verbürgt. Mit Blick auf die amtliche Berichterstattung ergibt sich ein verfassungsrechtlicher Mindeststandard, dem die Verpflichtung des Ausschusses zur Anfertigung und Veröffentlichung von Inhaltsprotokollen zwingend öffentlicher Ausschusssitzungen innewohnt, denen der Beratungsverlauf in seinen wesentlichen Zügen entnommen werden kann. Eine Pflicht zur stenografischen Protokollierung oder Anfertigung von Videoaufzeichnungen bzw. Echtzeitübertragen der Sitzungen folgt aus dem verfassungsrechtlichen Minimalgehalt hingegen nicht. In Ansehung der nichtamtlichen Berichterstattung ergibt sich aus Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog zudem die Pflicht zur grundsätzlichen Zulassung der Berichterstattung mit medienspezifischen Mitteln; etwa in Gestalt der Anfertigung von Film- und Tonaufnahmen. (21) Des Weiteren impliziert die Ausschussöffentlichkeit analog Art. 42 Abs. 1 GG eine materiell-inhaltliche Komponente, die Mindestanforderungen an die Nachvollziehbarkeit der Verhandlungen statuiert. Dies bedingt zum einen die Anforderung, dass sich interessierte Personen in die jeweils zu beratenden Vorlagen tatsächlich einarbeiten können und gebietet daher eine rechtzeitige Vorankündigung der Sitzung sowie die Veröffentlichung der Drucksachen bzw. begleitenden Unterlagen. Überdies setzt der materielle Gehalt
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der Ausschussöffentlichkeit auch die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Debatte selbst voraus, wobei freilich der funktionalen Besonderheit Rechnung zu tragen ist, dass in den Ausschüssen Detailberatungen zu teils komplizierten Fachthemen stattfinden und somit ein erhebliches Vorwissen vorausgesetzt werden darf. Schließlich umfasst der Gedanke der materiellen Nachvollziehbarkeit ein Verbot geheimer Sachabstimmungen, da durch diese das Handeln der Volksvertreter im Parlament für die Bürger in erheblichem Umfang intransparent werden würde. Geheime Wahlen sind indes als Ausnahmefall zur tatsächlichen Vertrauensbegründung durch den Wahlakt im Interesse politischer Stabilität zulässig. (22) Im Hinblick auf die aus einer direkten Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes folgende Ausschussöffentlichkeit kann hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite weitgehend auf die zu Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG analog entwickelten Grundsätze verwiesen werden. Zwar stellt diese Norm lediglich eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes dar. Da jedoch sowohl Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG als auch der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz eine ähnliche Abstraktionshöhe aufweisen und auf Basis derselben teleologischen Gesichtspunkte näher konkretisiert werden, ist nicht ersichtlich, dass die Öffentlichkeitspflicht nach dem allgemeinen Grundsatz eine grundlegend geringere Reichweite aufweist. Dem entspricht auch, dass der allgemeine Öffentlichkeitsgrundsatz ein Gesamtniveau parlamentarischer Öffentlichkeit gebietet, sodass im Falle der Etablierung einer konkreten Rechtsregel der Ausschussöffentlichkeit aufgrund des teilweisen Wegfalls der Plenaröffentlichkeit der Erstgenannten eine vergleichbare Reichweite zukommen muss. Eine Abweichung ergibt sich allerdings aus dem Umstand, dass die Ausschussöffentlich nach dem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz auf einem vollständigen Verzicht auf die mündliche Erörterung im Plenum basiert. Das insofern gebotene Mindestmaß tatsächlicher mündlicher Erörterung von Beratungsgenständen im Plenum erfordert jedoch allein eine signifikante abschließende Aussprache. Demgemäß kann auch im Ausschuss nicht mehr gefordert werden. Im Ergebnis hat daher verfassungsrechtlich zwingend nur eine mündliche Schlussberatung im Ausschuss zu erfolgen. Eine vollständige Öffnung sämtlicher vorbereitender Sitzungen ist dagegen nicht erforderlich. (23) Ein Ausschluss der Ausschussöffentlichkeit im Einzelfall richtet sich im analogen Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 GG folgerichtig nach den Voraussetzungen von Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG. Für Öffentlichkeitspflichten aufgrund direkter Anwendung des allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatzes kann jedoch gleichermaßen eine Orientierung an diesen Voraussetzungen erfolgen. Insofern ist nicht ersichtlich, dass der Ausschussöffentlichkeit in Gemäßheit des allgemeinen Grundsatzes ein geringeres Gewicht zukommt und damit ein Ausschluss unter erleichterten Bedingungen mög-
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lich wäre. Der Öffentlichkeitsausschluss erfordert neben der explizit in Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG normierten Verfahrensvorgabe der Zweidrittelmehrheit auch eine kursorische Begründung sowie das Vorliegen eines die Nichtöffentlichkeit gebietenden materiellen Grundes in Form eines Rechtsguts von Verfassungsrang. In der Praxis kommen diesbezüglich wiederum Staatswohlbelange und grundrechtlich verwurzelte Geheimnisschutzinteressen in Betracht. (24) Der Verstoß eines parlamentarischen Beschlusses gegen das Verfassungsgebot der Ausschussöffentlichkeit hat schließlich – infolge der herausgehobenen Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes für die rechtsstaatliche Demokratie – grundsätzlich dessen Nichtigkeit zur Folge. Sofern es sich allerdings um Gesetzesvorlagen oder sonstige Beschlussgegenstände mit Außenwirkung handelt, ist einschränkend zu beachten, dass im Interesse der Rechtssicherheit allein evidente Verstöße gegen die Verfahrensvorgabe der Ausschussöffentlichkeit die weitreichende Nichtigkeitsfolge zu rechtfertigen vermögen. Solange die zwingende Ausschussöffentlichkeit mithin nicht durch den verfassungsändernden Gesetzgeber bzw. durch die Verfassungsrechtsprechung eindeutig anerkannt wird, ist von einem solchen evidenten Verfassungsverstoß nicht auszugehen. IV. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Schlussfolgerungen (25) Die vorstehend bezeichneten verfassungsrechtlichen Vorgaben werden durch die geschäftsordnungsrechtliche Normierung einer fakultativen Ausschussöffentlichkeit in § 69 Abs. 1 GO-BT nur unzureichend umgesetzt. Dieser statuiert die Nichtöffentlichkeit als Grundregel und stellt Ausnahmen hiervon in das Ermessen des betreffenden Ausschusses, ohne der partiellen verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgebote zu gedenken. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 69 Abs. 1 GO-BT und der Systematik des Geschäftsordnungsrechts kommt auch eine verfassungskonforme Auslegung nicht in Betracht. Dieses Defizit wird durch die Möglichkeit erweiterter öffentlicher Ausschussberatungen sowie öffentlicher Anhörungssitzungen nicht kompensiert, da diese desgleichen keine obligatorische Ausschussöffentlichkeit vorsehen und – im Falle der Anhörungen – nur einen eng umgrenzten Teil der Ausschusstätigkeit abbilden. Verschiedene Formen parlamentarischer Erklärungsöffentlichkeit von Ausschüssen stellen schließlich kein funktionales Äquivalent, sondern ein Aliud zur verfassungsrechtlich gebotenen Verhandlungsöffentlichkeit dar. Sie können die Unzulänglichkeit von § 69 Abs. 1 GO-BT folglich allenfalls abmildern. (26) Mit Blick auf den Umfang der Ausschussöffentlichkeit sind die Parlamentspraxis und die Vorgaben des Geschäftsordnungs- bzw. Hausrechts des Bun-
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destages dagegen in weiten Teilen verfassungskonform und damit zur Umsetzung einer hypothetisch erweiterten Ausschussöffentlichkeit geeignet. So wird im hinreichenden Maße für eine tatsächliche Zugänglichkeit der Ausschüsse gesorgt. Die hausordnungsrechtlichen Zugangsvoraussetzungen sowie die geschäftsordnungsrechtlichen Vorgaben für den Ausschluss von störenden Zuschauern entsprechen dabei den Vorgaben des Grundgesetzes. Dagegen ist die Maßgabe eines Inhaltsprotokolls als Teil amtlicher Berichterstattung aus zwingend öffentlichen Ausschusssitzungen in § 73 GO-BT insofern nur unzureichend umgesetzt, als diese Norm für den Umfang der Protokollierung von Ausschusssitzungen keine zwingenden Vorgaben macht. Ferner wären die Voraussetzungen für den Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall im Zuge der notwendigen Reform von § 69 GO-BT an die Maßgaben des Art. 42 Abs. 1 GG anzupassen. In ihrer derzeitigen Form fehlt der Norm insofern ein Hinweis auf das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit sowie eines materiell-rechtlichen Ausschlussgrundes. (27) Abseits dieser Mindestanforderungen für eine Reform besteht für den Bundestag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie ein verfassungspolitischer Gestaltungsspielraum für die Einführung weitergehender Ausschussöffentlichkeit, der negativ lediglich durch kollidierende Staatswohlbelange und Interessen Einzelner begrenzt wird. Allgemeine Erwägungen der Funktionsfähigkeit stehen einer grundsätzlichen Öffnung der Ausschusstätigkeit verfassungsrechtlich indes nicht entgegen. Eine Einschränkung des Gestaltungsspielraums ergibt sich konkret zum einen hinsichtlich der Tätigkeit des Auswärtigen Ausschusses, des Verteidigungsausschusses sowie des Innenausschusses (in Angelegenheiten der inneren Sicherheit). Zudem bestehen Grenzen möglicher Ausschussöffentlichkeit auch in Bezug auf die Erörterung von Immunitätsangelegenheiten und Petitionen (mit Ausnahme öffentlicher Petitionen). Im Rahmen der rechtspolitischen Diskussion um die Ausschussöffentlichkeit wird zur Ausfüllung des verbleibenden Spielraums die grundsätzliche Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit vorgeschlagen. Klassischerweise wird hiergegen das Argument einer drohenden Beeinträchtigung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Ausschüsse aufgrund einer politischen Aufladung der bisher sachlichen und kollegialen Arbeitsatmosphäre, einer künftig verminderten Kompromissbereitschaft der Abgeordneten, des vermehrten Aufkommens selbstdarstellerischer Fensterreden sowie einer zu befürchtenden Diskussionsflucht in informelle Beratungsgremien vorgebracht. Ferner werden ein mangelndes gesellschaftliches Interesse am Inhalt der Ausschussberatungen sowie die Gefahr einer Verschlechterung der Außenwirkung des Parlaments aufgrund einer Informationsüberflutung und infolge einer als unzureichend wahrgenommenen Ausschussarbeit angemahnt.
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(28) Dem stehen jedoch die praktischen Erfahrungen aus der Mehrzahl der deutschen Landesparlamente, deren Ausschusssitzungen mittlerweile grundsätzlich öffentlich stattfinden, entgegen. So ist verschiedentlich empirisch belegt worden, dass es infolge der Ausschussöffentlichkeit zu keiner Verschlechterung der Arbeitseffizienz in Bezug auf die Beratung parlamentarischer Vorlagen im Ausschuss gekommen ist. Im Gegenteil haben sich belegbar z. T. öffentlichkeitsbedingte Rationalisierungseffekte des Beratungsverlaufes eingestellt. Auch hat in der Praxis weder die Kompromissfähigkeit im Rahmen der Ausschusssitzungen gelitten noch war eine Diskussionsflucht in informelle Gremien zu verzeichnen. Demgegenüber hat sich herausgestellt, dass ein signifikantes gesellschaftliches Interesse an der Ausschusstätigkeit existiert, welches sich in Form erheblicher publizistische Tätigkeit manifestierte. Die Erfahrungen sind aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit zwischen Bundestag und Landesparlamenten zumindest ein starkes Indiz dafür, dass auch im Bundestag erhebliche negative Auswirkungen infolge der Ausschussöffentlichkeit nicht zu erwarten sind. Diesen Eindruck bestätigen auch die Praxiserkenntnisse aus dem Europäischen Parlament, das wie auch der Bundestag ein Arbeitsparlament darstellt und dessen Ausschüsse weitgehend öffentlich tagen, ohne dass nennenswerte negative Folgen oder auch nur eine Kritik hieran dokumentiert wären. Vereinzelte Erfahrungen des Bundestages mit öffentlichen Anhörungen und der zeitweise regelmäßigen Öffentlichkeit des Sportausschusses widerlegen die positiven Erfahrungswerte nicht. (29) Diesen Befund stützt schließlich auch die Parlamentspraxis des britischen House of Commons. Dieses kennt mit Select Committees, welche im Wesentlichen der Regierungskontrolle dienen, und Public Bill Committees, die eine Detailberatung zu Gesetzesentwürfen gewährleisten, zwei verschiedene Ausschusstypen, die jeweils in erheblichem Umfang öffentlich verhandeln. Eine Detailanalyse diesbezüglich hat ergeben, dass eine effektive Arbeitsund Funktionswahrnehmung beider Ausschusstypen gegeben ist. Zwar lässt sich im Kontext der Regierungskontrolle eine gewisse Tendenz erkennen, Meinungsbildungsvorgängen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu vollziehen. Auch ist hinsichtlich der Gesetzgebungsausschüsse eine Neigung zur parteipolitischen Kontroverse nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Diese sind jedoch in erster Linie auf die historische Ausrichtung des Unterhauses am Typus des Redeparlaments sowie auf strukturelle Besonderheiten im Verfahrensablauf zurückzuführen und stellen gerade keine Folgen der Ausschussöffentlichkeit dar. Da das Unterhaus zudem in Bezug auf seine Stellung im Verfassungsgefüge sowie seine Parlamentsfunktionen im Wesentlichen mit dem Bundestag vergleichbar ist sowie in ähnlicher Weise wie jener im Fokus der nationalen gesellschaftlichen Öffentlichkeit steht, spricht vieles dafür, dass erhebliche negative Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit von Ausschüssen infolge der Öffentlichkeit auch im Bundestag nicht zu er-
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warten wären. Fernerhin haben die Erfahrungen aus Großbritannien mit der Übertragung von Ausschusssitzungen in Bild und Ton gezeigt, dass auch eine televisuelle Ausgestaltung der Öffentlichkeit keine erhebliche Beeinflussung der Ausschussarbeit nach sich gezogen hat. (30) Da somit die praktischen Erfahrungen mit der Ausschussöffentlichkeit rechtspolitische Bedenken weitgehend ausräumen, ist dafür zu plädieren, eine grundsätzliche Ausschussöffentlichkeit unter Einschluss von Liveübertragungen und Aufzeichnungen der Sitzungen in Ton und Bild sowie der Veröffentlichung von Mitschnitten und Inhaltsprotokollen der Sitzungen herzustellen. Hiervon sind im Interesse der Wahrung kollidierender Verfassungsrechtsgüter Abweichungsmöglichkeiten zu statuieren. Diese sollten neben Bereichsausnahmen vom Öffentlichkeitsgebot für einzelne Ausschüsse (namentlich den Auswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss, den Innenausschuss in Angelegenheiten der inneren Sicherheit, den Immunitätsausschuss sowie den Petitionsausschuss), auch eine – hinsichtlich Mehrheitsund Verfahrensanforderungen an Art. 42 Abs. 1 S. 2 und 3 GG orientierte – Ausschlussmöglichkeit im Einzelfall umfassen.
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Stichwortverzeichnis Allgemeines Persönlichkeitsrecht 234, 280, 332, 364, 412, 420 allgemeiner Öffentlichkeitsgrundsatz – Anwendbarkeit auf Parlamentsausschüsse 257 – dogmatische Herleitung 174 – Einschränkung des Anwendungsbereichs 285 – inhaltliche Reichweite 349 – Konkretisierung in Bezug auf Parlamentsausschüsse 260 – Verhältnis zur Spezialnormen 182 – Wegfall der Beratung im Plenum 266 Anfechtungsklage 319 Anonymisierung 365 Arbeitsbelastung des Parlaments 77, 102 Arbeitsparlament 79, 87, 111, 237, 440, 463 Arkantradition 52 Aufgabenverlagerung auf Ausschüsse 117 Aufklärung 53, 55 Auslegungsmethoden 183 Ausschluss der Öffentlichkeit 311, 317, 352, 416 – Formen der Nichtöffentlichkeit 353 – Geschäftsordnungsrecht 416 – materielle Ausschlussgründe 363 – Rechtsfolgen 368 – Voraussetzungen des Ausschlusses 357, 360 Ausschussöffentlichkeit – abschließende Beratung von Vorlagen 224, 266 – analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG 215, 221, 224
– Anwendungsbereich von Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG 188 – Ausschluss von Störern 296, 405 – Einschränkungen des Anwendungsbereichs 227, 285 – fakultative Ausschussöffentlichkeit 381, 386 – inhaltliche Nachvollziehbarkeit 342, 351, 413 – Kritikpunkte 421 – Mindestanforderungen an die mündliche Erörterung 341, 412 – Parlamentaria 301 – plenarersetzende Beschlussfassung 210, 236, 375, 417 – rechtspolitische Diskussion 19 – Reform 416, 421, 468 – Reichweite 290, 401 – Sachabstimmungen 299, 415 – Selbstbefassungsangelegenheiten 219, 247 – subjektives Recht 302 – Verfassungsgeschichte 33 – Verstoßfolgen 369 – Wahlen 298, 415 – Zugang zum Parlamentsgebäude 293, 401 Auswärtiger Ausschuss 252, 382, 417, 468 Berichterstatter (im Ausschuss) 113, 202, 238 Berichterstattungsöffentlichkeit 320, 409 – amtliche Berichterstattung 321, 409 – medienspezifische Berichterstattung 336, 412, 419 – nichtamtliche Berichterstattung 335, 412
Stichwortverzeichnis – Pflicht zur amtlichen Berichterstattung und deren Umfang 323, 325 – Verantwortungsfreiheit wahrheitsgetreuer Berichterstattung 47, 50, 338 Berufsfreiheit 336 Bild- und Tonaufnahme – datenschutzrechtliche Zulässigkeit 332 – Livestreams 326, 334, 429, 439, 448 – rundfunk- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit 325 – Video-on-Demand 322, 326, 329, 429, 448, 470 „bottom up-Kommunikation“ 108 Bundestagsausschüsse – abschließende Beratung von Vorlagen 224, 266 – Begriffsdefinition 26 – Gäste 294, 384, 430 – geschlossene Ausschüsse 252, 382, 384, 420 – plenarersetzende Beschlussfassung 210, 236, 375, 417 – Selbstbefassungsrecht 219, 247 – Verfahren 188, 197, 201, 206 – Vorbereitende Beschlussorgane 188, 264 – Zusammensetzung 197 Datenschutz 332, 334 Demokratieprinzip 131 – gesellschaftliche Integration 141 – Kommunikation 138 – Legitimation 132 – Wahl 135 Deutsches Kaiserreich, Verfassung 47, 104, 229 Digitalisierung 107 Drucksachen 203, 267, 322, 413 Effizienz 228 Eigentumsfreiheit 336 Erklärungsöffentlichkeit 291, 353, 369, 399
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Erweiterte öffentliche Ausschussberatung 389 Europäisches Parlament 439 Europäisierung 103, 436, 442 Euro-Rettungsschirm 118, 212, 240, 362, 371 Ewigkeitsgarantie 244, 253 Fensterreden 78, 97, 228, 423 Fraktionen – Arbeitsgruppen / -kreise 87, 94, 114, 205, 247 – interfraktionelle Gremien 116, 122, 205, 247 Frankfurter Nationalversammlung 44 Frankreich 38 Frühkonstitutionalismus 40 Funktionsfähigkeit siehe parlamentarische Arbeit- und Funktionsfähigkeit G-10-Kommission 26 Gebot der Staatsferne 328 Geheimhaltung siehe Nichtöffentlichkeit, Formen der Geheimschutzordnung 354, 384 Gemeinsamer Ausschuss 26 Geschäfts- bzw. Betriebsgeheimnisse 241 Geschäftsordnungsautonomie 191, 230, 293, 377 Gesetzesvorlagen, abschließende Beratung 224, 274, 392 Gesetzgebungsverfahren 147 Gewaltenteilung 68, 152, 192, 229, 246 Großbritannien 33, 57, 442 – Geschichte der Parlamentsöffentlichkeit 33 – Quellen des Parlamentsrechts 443 Hansard 37, 448 Haushaltsausschuss 210, 212, 240, 362 Hausrecht 296, 315, 402, 406 Hearings siehe öffentliche Anhörungssitzungen
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Stichwortverzeichnis
House of Commons 34, 442, 458 – Gesetzgebungsverfahren 446 – praktische Erfahrungen mit Ausschussöffentlichkeit 449 – Übertragbarkeit der praktischen Erkenntnisse 458 – Umfang der Ausschussöffentlichkeit 444 House of Lords 458 Immunitätsausschuss 212, 224, 276, 467 informationelle Selbstbestimmung 234, 281, 364 Informationsfreiheit 161, 303, 318 Innenausschuss 252, 382, 417, 468 Integrationslehre 85 Kernbereich parlamentarischer Funktionserfüllung 238 kollidierende Verfassungsrechtsgüter – Individualrechtsgüter 234, 241, 251 – parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit 228, 236, 247 – Staatswohlinteressen 231, 240, 248, 251 Kommunikationsverfassung 160, 172 konkrete Normenkontrolle 373 Landesparlamente 427 – praktische Erfahrungen mit Ausschussöffentlichkeit 430 – Übertragbarkeit der praktischen Erkenntnisse 436 – Umfang der Ausschussöffentlichkeit 427 Liberale Staatsrechtslehre 64 „many-to-many-Kommunikation“ 108 Märzrevolution 46, 71, 193 materiell-rechtliche Öffentlichkeit 342, 351, 413 Medienfreiheiten 170, 307 Meinungsfreiheit 161 Menschenbild 127
Menschenwürde 126, 146, 253, 364 Minderheitenschutz 157 Mündlichkeit parlamentarischer Verhandlungen 267, 341, 412 Nachrichtendienste 232, 248 Nichtöffentlichkeit, Formen der 353 objektive Werteordnung 172 öffentliche Anhörungssitzungen 394 öffentliche Meinung 29, 57, 64, 86, 89, 91, 137, 139, 153, 172 Öffentlichkeit – Bedeutungsverlust der Parlamentsöffentlichkeit 111 – Begriffsdefinition 29 – Bildungsmittel 61, 70 – „Führerauslese“ 69, 93 – Garant für Wahrheit und Gerechtigkeit 64 – geistesgeschichtliche Begründung 52 – Integrationsfunktion 70, 85, 93 – kommunikationstheoretische Funktionen 93 – konservative Kritik 53, 70 – Kontrollfunktion 87 – Legitimationsfunktion 90 – Partizipationsfunktion 90 – Repräsentationsfunktion 91 – Verfassungsgeschichte 33 Ordnungsgewalt 405 parlamentarische Arbeits- und Funktionsfähigkeit 228 Parlamentarischer Rat 50 Parlamentarisches Kontrollgremium 26 Parlamentsfernsehen 322, 329 Parlamentskritik 79, 81 Parlamentsreform, kleine 20, 219 Parlamentsvorbehalt 148, 262, 271 Parteienfreiheit 169 Parteienstaatslehre 84
Stichwortverzeichnis Paulskirchenparlament siehe Frankfurter Nationalversammlung Petitionsausschuss 213, 279, 420 Petitionsrecht 166 politische Parteien 75, 84, 93, 138, 167 Polizeigewalt 408 praktische Konkordanz 185, 227, 270, 345, 352 Pressefreiheit 171, 303, 323 Pressemitteilungen 354, 400 Preußische Verfassung 46 Protokolle, Sitzungen 321, 410 Public Bill Committees 16, 446, 451 Publizität 30, 54 Rationalisierung der Parlamentsdebatte 119 realitätsgerechte Verfassungsinterpretation 204 Recht am eigenen Bild 333 Rechtsfortbildung 209, 215 Rechtsstaatsprinzip 143 – effektiver Rechtsschutz 150 – faires Verfahren 154 – Gesetzesvorbehalt 146 – Gewaltenteilung 152 – Grundrechtsgewährleistung 155 – Mäßigung staatlicher Macht 155 – Rechtssicherheit, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit staatlichen Handelns 148 – Unabhängigkeit der Gerichte 154 Reden zu Protokoll 120, 224, 267, 269, 274, 284 Redeparlament 79, 86, 94, 111, 236, 442, 461 Reformerfordernis 416, 421 Reformvorschlag 468 Republik 158 Responsivität 85, 98, 100, 140 Rundfunkfreiheit 171, 303, 323, 337 Rundfunkstaatsvertrag 330
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Selbstorganisationsrecht des Bundestages 230, 325, 378 Select Committees 444, 449 Sitzungsöffentlichkeit 291, 368, 401 soziale Medien 108, 110, 121 Sozialstaatsprinzip 158 Spezialisierung 113, 115 Sportausschuss 425 Staatsstrukturprinzipien 130, 143, 158 Staatswohlinteressen 231, 240, 248, 251, 363 Störer, Ausschluss 296, 405 Struck’sches Gesetz 195, 265 Strukturwandel der Öffentlichkeit 72, 102 Strukturwandel des Parlamentarismus 75, 113 subjektives Recht auf Öffentlichkeit – Abwehrrecht 304, 308 – dogmatische Herleitung 305 – Eingriff 312 – Leistungsrecht 302, 308 – prozessuale Durchsetzbarkeit 318 Talkshows 106, 112, 121 Teilöffentlichkeit 109, 123 Topik 185 Transparenz 30 Unterhaus siehe House of Commons Untersuchungsausschüsse 27, 49, 125, 191, 216, 252 Vereinigungsfreiheit 164 Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee 50 Verfassungsgrundsätze 174, 182, 257 Verfassungsprinzipien 126, 174 Verhältnismäßigkeit 236, 273, 286, 297, 362 Verhandlungsöffentlichkeit 290 Vermittlungsausschuss 26, 237
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Stichwortverzeichnis
Verpflichtungsklage 318 Versammlungsfreiheit 164 Verstoß gegen das Gebot der Ausschussöffentlichkeit 369 – Erheblichkeitsschwelle 375 – Gesetzesbeschlüsse 371 – Nichtigkeit 370, 375 – sonstige Beschlüsse mit Außenwirkung 375 – Unvereinbarkeitserklärung 373 – Weitergeltungsanordnung 373 Verteidigungsausschuss 252, 382, 417, 468 Vertraulichkeit siehe Nichtöffentlichkeit, Formen der
Videoaufnahme siehe Bild- und Tonaufnahmen Volkssouveränität 51, 131, 243, 245 Wahlausschuss für die Richter des Bundesverfassungsgerichts 214, 281, 380, 421 Wahlprüfungsausschuss 214, 379 Weimarer Reichsverfassung 49, 194, 335, 340 Wesentlichkeitsrechtsprechung 148, 262, 271 Widerstandsrecht 142 Zuschauerraum 293, 401 Zutrittsbegrenzung 293, 315, 402