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German Pages 212 Year 1972
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 182
Recht und Kontrollfunktion der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag Von
Gertrud Witte-Wegmann
Duncker & Humblot · Berlin
GERTRUD WITTE ·WEGMANN
Recht und Kontrollfunktion der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag
Schriften
zum öffentlichen B a n d 182
Recht
Recht u n d K o n t r o l l f u n k t i o n der Großen, K l e i n e n u n d Mündlichen Anfragen i m Deutschen Bundestag
Von Dr. Gertrud Witte-Wegmann
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1972 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1972 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 026594
Vorwort
Die Arbeit lag i m Promotionsverfahren der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vor. Die Materialsammlung wurde i m wesentlichen Ende 1967 abgeschlossen. Wichtige Geschäftsordnungsänderungen und herausragende politische Ereignisse wurden jedoch noch bis Mitte 1970 berücksichtigt. Das Entstehen der Arbeit hat Herr Professor Dr. Ulrich Scheuner stets großzügig gefördert. Für seine Anleitung und für die Unterstützung, die ich jahrelang bei zahlreichen Stellen der Verwaltung des Deutschen Bundestages erfahren habe, danke ich auch an dieser Stelle recht herzlich. Zu Dank verpflichtet bin ich auch Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme der Arbeit i n sein Verlagsprogramm und dem Direktor der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Herrn Professor Dr. Helmut Quaritsch, für die Gewährung eines Zuschusses zu den Druckkosten. Gertrud
Witte-Wegmann
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
11
Erstes Kapitel: Geschichtlicher Überblick über das Fragerecht der Abgeordneten im deutschen Parlamentarismus
14
I. Geschichte des Interpellationsrechtes zum Jahre 1912 IL Die Geschäftsordnungsänderung
im deutschsprachigen
Raum bis 15
des Jahres 1912
18
1. Die Interpellationen
18
2. Die K l e i n e n Anfragen
25
III. Interpellationen Republik
und Kleine
Anfragen
im Reichstag
der
Weimarer 30
1. Die Geschäftsordnungsänderung v o m Dezember 1922
30
2. Die beschränkte Wiedereinführung der mündlichen Beantwortung von K l e i n e n Anfragen
32
3. Die Geschäftsordnungsänderung unter der Regierung B r ü n i n g
34
I V . Zusammenfassung
37
Zweites Kapitel: Geschäftsordnungsrecht und Handhabung der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag 40 I . Große Anfragen 1. Abweichungen gegenüber den des Reichstages
41 Geschäftsordnungsbestimmungen 41
2. Das geltende Geschäftsordnungsrecht
43
3. Einzelheiten aus der Praxis
46
4. Große Anfragen — selbständige Anträge — Mißtrauensvoten
47
IL Kleine Anfragen
49
1. Die E n t w i c k l u n g zur geltenden Geschäftsordnungsbestimmung . .
49
2. Die Neufassung des § 110 i m Jahre 1970
52
3. Zusammenfassung
53
Inhaltsverzeichnis
8 III. Mündliche
Anfragen
54
1. Die E i n f ü h r u n g der Fragestunde i m Deutschen Bundestag
54
2. Die Richtlinien f ü r die Fragestunde v o m 29. J u n i 1960
62
3. Ä n d e r u n g durch die Kleine Parlamentsreform v o m J u n i 1969
68
4. Geltendes Geschäftsordnungsrecht
75
5. Der Geschäftsgang der Mündlichen Anfragen
76
6. Die A k t u e l l e Stunde
77
IV. Einzelne Rechtsfragen
79
1. Z u r Antwortpflicht der Regierung
80
2. Der zulässige I n h a l t von Anfragen u n d die Grenzen des parlamentarischen Anfragerechtes
83
a) Geschäftsordnungsbestimmungen
84
b) „Inadmissable Questions" i m britischen Unterhaus
85
c) K r i t e r i e n f ü r Zulässigkeitsbeschränkungen u n d Grenzen des Anfragerechtes i m Deutschen Bundestag aa) Z u r Bundeskompetenz bb) Z u r Dreiteilung der Staatsgewalt cc) Geheime Angelegenheiten
87 88 89 90
3. Die gerichtliche Nachprüfbarkeit von A n t w o r t e n der Bundesregierung
93
a) Die Nachprüfbarkeit von A n t w o r t e n der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht
95
b) Die Nachprüfbarkeit von A n t w o r t e n der Bundesregierung durch die Verwaltungsgerichte 98 aa) öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher A r t innerhalb der Rechtsmacht der Verwaltungsgerichte 98 bb) Unzulässigkeit der öffentlich-rechtlichen Widerrufsklage auf G r u n d der parlamentarischen Redefreiheit 101 cc) Ergebnis 109
Drittes Kapitel: Die Kontrollfanktion der Anfragen I. Die parlamentarische 1. K o n t r o l l e -
Exekutivkontrolle
Aufsicht
2. Rechtskontrolle u n d politische K o n t r o l l e
110 110 112
3. Die K o n t r o l l e der Regierung i n ihren verschiedenen Funktionen . . 113 4. Die K o n t r o l l m i t t e l des Bundestages
114
Inhaltsverzeichnis II. Kontrolle
durch Große Anfragen
117
1. Gegenstand, Anlaß u n d zahlenmäßige E n t w i c k l u n g
117
2. Die Beratung der Großen Anfragen und die Anträge zu ihnen
125
3. Das K o n t r o l l v e r h a l t e n von Regierungs- u n d Oppositionsparteien — F o r m u n d Intensität der K o n t r o l l e n 128 a) A u f t e i l u n g der Großen Anfragen zwischen Regierungs- u n d Oppositionsparteien 129 b) Formulierung, Begründung u n d Anlaß der Großen Anfragen . . 133 c) Das unterschiedliche Parteiverhalten bei der Beratung Großen Anfragen 4. Die Kontrollbedeutung der Debatten III. Kontrolle
durch Kleine
Anfragen
der
136 146 149
1. Gegenstand, K o n t r o l l f o r m u n d zahlenmäßige E n t w i c k l u n g
150
2. Die Fragesteller
158
3. Die Kontrollintensität
160
IV. Kontrolle
durch Mündliche
Anfragen
161
1. Zahlenmäßige Entwicklung, Gegenstand u n d Parlamentspraxis .. 161 2. Mündliche Anfragen als K o n t r o l l m i t t e l für den einzelnen Abgeordneten 184 3. Die K o n t r o l l e der Regierung a) K o n t r o l l e der Regierung als politisches Führungsorgan
189 190
b) K o n t r o l l e der Regierung als Leitungs- u n d Aufsichtsorgan der Exekutive 193 c) Ministerverantwortlichkeit u n d Auslese einzelner Regierungsmitglieder 195
4. Intensität u n d E f f e k t i v i t ä t der K o n t r o l l e n
197
Schlußbetrachtung
201
Literaturverzeichnis
205
A b k î i r z u n gs verzeichni s Abi. Abst. Ani. Ann. AO AöR Aussch. BR BT DJT DNV DÖV Drucks. DVB1 FAZ GGO GGOII GO KR LB Mat. NF Org.-Aussch. PVS StenB Ü b erw. Umdr. WDStRl Verhandl. WRV ZfP
Ablehnung Abstimmung = Anlagen = Annahme = Arbeitsordnung = A r c h i v des öffentlichen Rechts = Ausschuß = Bundesrat Bundestag = = Deutscher Juristentag = Deutsche Nationale Volkspartei = Die öffentliche V e r w a l t u n g = Drucksachen = Deutsches Verwaltungsblatt = F r a n k f u r t e r Allgemeine Zeitung = Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien = Besonderer T e i l der GGO = Geschäftsordnung (aGO = alte Geschäftsordnung) = Kaiserreich = Lehrbuch = Materialien (zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages) = Neue Fassung = Organisationsausschuß = Politische V i e r t e l j ahresschrift = Stenographische Berichte = Überweisung — Umdruck — Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer = Verhandlungen = Weimarer Reichsverfassung = Zeitschrift f ü r P o l i t i k = =
Einleitung Das Scheitern der Weimarer Republik ist oft auf die Widersprüchlichkeit ihrer Verfassung zurückgeführt worden, auf die Hineinnahme des dem amerikanischen Typ entlehnten äußerst starken Präsidenten 1 und auf die Schwächung der Regierung, die gleichsam „eingeklemmt" gewesen sei zwischen präsidentieller Bestellung und parlamentarischem Mißtrauen 2 . Diese These von der unausgleichbaren inneren Spannung der Weimarer Verfassung ist sicherlich nicht unrichtig; es darf jedoch nicht übersehen werden, daß diese Spannung gefährlich erst wurde durch mangelnde A k t i v i t ä t des Reichstages, dem i n einer auf die Monarchie zurückschauenden Zeit die Verwurzelung und Integrationskraft fehlte und der „die i h m i n der Verfassung zugeschriebene Macht nie wirklich erreichte" 3 . Seine Tendenz des Ausweichens vor der Verantwortung ist nicht so sehr auf eine mangelhafte Verfassung, als auf eine mangelhafte Handhabung dieser Verfassung zurückzuführen 4 . Bemühungen, aus den Fehlern von Weimar zu lernen, dürfen somit nicht nur an der Verfassung selbst ansetzen, sondern müssen die Verfassungswirklichkeit i m Auge haben 5 . Sie müssen sich einer Verfassungswirklichkeit zuwenden, wie sie sich nicht zuletzt i n der Geschäftsordnung und Geschäftspraxis der Parlamente widerspiegelt. Denn Geschäftsordnungsänderungen und Wandlungen der parlamentarischen Arbeitsweise stellen gewissermaßen Signale dar für tieferliegende strukturelle Veränderungen i m Staate 6 . Z u Recht betonte schon Hatschek 7 , daß Verfassungsformen heute nicht durch Revolutionen gewandelt werden, sondern daß der Parlamentsbrauch das Schicksal so mancher von ihnen bestimmt. 1 Vgl. dazu Löwenstein, Der Staatspräsident, AöR 1949, Bd. 75 (NF Bd. 36), S. 181 ff. 2 Sternberger, Parlamentarische Regierung u n d Parlamentarische Kontrolle, i n : PVS, 5. Jg. (1964), Heft 1, S. 8. 8 Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, 3. Aufl., S. 34. 4 Ä h n l i c h auch Scheuner, DÖV1957, S. 633. 5 Vgl. auch Friesenhahn, i n : Parlament u n d Regierung, W D S t R L H. 16, S. 13: „ H e i l u n d U n h e i l liegen nicht i n den verfassungsrechtlichen Institutionen, sondern darin, w i e das V o l k v o n ihnen Gebrauch zu machen versteht." 6 Scheuner, i n : Parlament u n d Regierung, W D S t R L Heft 16, S. 125. 7 Parlamentsrecht, 1915, Bd. 1, S. 15.
12
Einleitung
Dennoch wendet sich die deutsche Staatsrechtslehre auch heute nur fast ausschließlich den positiven Verfassungsbestimmungen zu. Die unter der Decke des Grundgesetzes sich entwickelnden Formen von Einwirkung und Anregung zwischen Parlament und Regierung und die verschiedenartigen Kontrolleinwirkungen auf die Exekutive finden bedauerlicherweise noch zu wenig Beachtung 8 » 9 . Dabei kommt gerade i n den hochentwickelten Ländern, die i n zunehmendem Maße Verwaltungsstaaten werden, der Kontrolle von Regierung und Verwaltung ein erhöhtes Gewicht zu. Angesichts der weiteren Ausdehnung und des wachsenden Machteinflusses der Exekutive, ihres Übergewichts an Information und Sachkunde und ihres Vorsprungs durch langfristige Planung w i r d die Aufgabe ihrer Kontrolle zu einem Problem, das dem der politischen Willensbildung und Gesetzgebung an Bedeutung nicht nachsteht 10 . Die Frage, ob die durch Verfassung und Geschäftsordnung festgelegten Kontrollinstrumente dieser Aufgabe faktisch noch gerecht werden, ist von größter Wichtigkeit. Die vorliegende Arbeit behandelt die i n der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geregelten Kontrollinstrumente der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen. Obwohl die Geschichte gerade des parlamentarischen Fragerechtes i n Deutschland zeigt, welch hohe Bedeutung Geschäftsordnungen und Parlamentspraktiken für die Verfasfungswirklichkeit i n einem Staate haben können 1 1 , gibt es bisher weder eine Untersuchung über die Geschichte des Fragerechts i m deutschen Parlamentarismus, noch eine Darstellung des geltenden Rechts und der Kontrollbedeutung der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen. I m folgenden w i r d deshalb zunächst ein historischer Überblick über die Entwicklung des Fragerechts i m deutschen Parlamentarismus gegeben, sodann gilt es, das geltende Geschäftsordnungsrecht einschließlich noch offener Rechtsfragen darzustellen; i n einem abschließenden Kapitel soll schließlich versucht werden, die politische Bedeutung — insbesondere die Kontrollfunktion — der Anfragen auszuloten. 8 Ebenso: Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane f ü r das Verfassungsleben, i n : Rechtsprobleme i n Staat u n d Kirche, Festgabe f ü r R. Smend, S. 304; vgl. auch Scheuner, Politische Koordination i n der Demokratie, i n : Die moderne Demokratie u n d i h r Recht, Festschrift f ü r G. Leibholz, Bd. I I , S. 899 ff. 9 Dagegen beginnen Vertreter der politischen Wissenschaften sich stärker diesem Themenkreis zuzuwenden; vgl. v o r allem: Ellwein/Görlitz, Parlament u n d Verwaltung, 1. T e i l : Gesetzgebung u n d politische Kontrolle, Stuttgart 1967. H i e r läge ein interessantes Arbeitsgebiet f ü r die heute zu Recht immer mehr geforderte interdisziplinäre Forschung. 10 Vgl. dazu v o r allem Leibholz, Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments, i n : Macht u n d Ohnmacht der Parlamente (1965), S. 57 ff. 11 Vgl. dazu auch Bernau, Die verfassungsrechtliche Bedeutung v o n Geschäftsordnungen oberster Staatsorgane, Diss. Göttingen 1955.
Einleitung
Daß bei der Fülle des Materials — allein i n der 5. Wahlperiode beispielsweise wurden mehr als 10 000 Mündliche Anfragen gestellt — eine erschöpfende Untersuchung der Parlamentspraxis und Kontrolleffizienz der Anfragen nicht möglich war, liegt auf der Hand. Andererseits ist wegen der Schwergewichtsverlagerung auf diese Fragen auf eine Auseinandersetzung m i t Staats- und Parlamentarismustheorien verzichtet worden.
Erstes Kapitel Geschichtlicher Ü b e r b l i c k ü b e r das Fragerecht der A b g e o r d n e t e n i m deutschen P a r l a m e n t a r i s m u s 1 Während die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages seit dem Jahre 1952 drei verschiedene Arten von Anfragen kennt — die Große Anfrage, die regelmäßig zur Debatte i m Plenum führt, die Kleine A n frage, die schriftlich eingereicht und schriftlich beantwortet w i r d und die Mündliche Anfrage i n der sog. Fragestunde —, kennt die Geschichte des deutschen Parlamentarismus ursprünglich nur die Große Anfrage, die sog. Interpellation. I h r Wesen und ihren Zweck hat schon i m Jahre 1848 der Abgeordnete Baumstark i n der preußischen Nationalversammlung recht gut formuliert, indem er sagte: „Eine Interpellation k a n n erstens erfolgen i n der Absicht auf Erlangung w i r k l i c h ernster Aufklärungen des Landes durch Minister, indem m a n einem Minister Gelegenheit gibt, über wichtige obschwebende Fragen des Tages u n d der Gesetzgebung f ü r die Z u k u n f t uns Aufschluß zu geben, damit dadurch das ganze Land, das unsere Verhandlungen liest, davon Kenntnis nehmen könne. Der zweite Zweck der Interpellation ist, daß dieselbe oder die Reihe der I n t e r pellanten, die Herren Minister u n d auch die ganze Versammlung selbst stets wachsam erhalte über jede Angelegenheit, sowohl über die Zeitfragen als auch über Fragen wegen der ferneren Gesetzgebung 2 ."
A u f diese Weise wurde das Wesen und die politische Bedeutung der Interpellation recht klar hervorgehoben, nämlich einmal als Informationsmittel für die Öffentlichkeit über wichtige anstehende politische Fragen und zum anderen als Kontrollmittel des Parlaments gegenüber der Regierung. 1 Eine besondere Untersuchung darüber gibt es bisher nicht, sondern n u r einige wenige Einzeldarstellungen, vgl. insbesondere: Hatschek, Das Interpellationsrecht i m Rahmen der modernen Ministerverantwortlichkeit, Leipzig 1909; Bekermann, Die wichtigsten M i t t e l der parlamentarischen Kontrolle i m Deutschen Reich, England u n d Frankreich, Diss. Heidelberg 1910; Köster, Das parlamentarische Interpellationsrecht des Reichs u n d der Länder, Diss. H a m burg 1929 u n d Hoppe, Die K l e i n e Anfrage i m Deutschen Reichstage, Diss. K i e l 1930. 2 Zit. nach Hatschek, Interpellationsrecht, S. 105,106.
I . Geschichte des Interpellationsrechtes bis zum Jahre 1912
15
I. Geschichte des Interpellationsrechtes im deutschsprachigen Baum bis zum Jahre 1912 Das Interpellationsrecht kommt aus Frankreich. Erste Keime für diese formelle, feierliche Anfrage gab es dort schon i n der Verfassung des Jahres 1791, i n der ein Fragerecht der Kammer durch das Medium ihres Präsidenten und eine Antwortpflicht der Minister vorgesehen war 1 » 2 . Von Frankreich fand das Interpellationsrecht Eingang i n den deutschsprachigen Kaum, wo man es freilich zu „temperieren" trachtete. Die deutsche Interpellation ist aus dem preußischen Recht hervorgegangen. Zwar fand sich i n der provisorischen Geschäftsordnung, die das Staatsministerium am 22. M a i 1848 der preußischen Nationalversammlung vorlegte, noch keine Bestimmung über die Interpellationen. Daß man sie gleichwohl für zulässig hielt, zeigt ein am 29. M a i 1848 angenommener Antrag Parisius, demzufolge die Interpellationen wie Anträge behandelt werden sollten 3 . Dieser Antrag Parisius setzte also wie selbstverständlich ein Interpellationsrecht des Parlaments voraus. Auffallend ist nur, daß man zu dieser Zeit offensichtlich noch keinen entscheidenden Unterschied zwischen Anträgen und Anfragen sah. So mußten die Interpellationen, wenn das Haus es nicht anders bestimmte, wie die Anträge an die Abteilungen zunächst zur Prüfung verwiesen werden, was den Geschäftsgang der Interpellationen sehr schleppend machte 4 . Dieses Übel beseitigte die definitive Geschäftsordnung der preußischen Nationalversammlung, die in der Sitzung vom 26. Juni 1848 angenommen wurde. Sie enthält i n den §§ 28, 29 — soweit ersichtlich — die ersten positiven Bestimmungen über das Interpellationsrecht i m deutschsprachigen Raum: „§28 Interpellationen an die Minister müssen bestimmt formuliert, schriftlich angekündigt u n d durch die Tagesordnung zur Kenntnisnahme der Versammlung gebracht werden. Sie bedürfen der Unterstützung v o n 25 Mitgliedern. E r k l ä r t sich der Minister zur Beantwortung der Frage bereit, so w i r d an dem Sitzungstage, welcher v o n i h m dazu bestimmt ist, den Interpellanten zunächst die Einleitung seiner Interpellation verstattet. Ist der Interpellant oder ein M i t g l i e d der Versammlung der Ansicht, daß die v o n dem Ministerium erteilte A n t w o r t die Frage nicht erschöpft habe, so ist darüber das Wort gestattet, ohne daß eine Diskussion über den materiellen Gegenstand der Interpellation stattfinden darf. 1
Bekermann, Diss. S. 63/64. Über die weitere E n t w i c k l u n g des Interpellationsrechtes i n Frankreich, vgl. Aschauer, Die parlamentarische K o n t r o l l e der Regierung, Diss., S. 22 - 24. 3 Hatschek, Interpellationsrecht, S. 104. 4 Hatschek, a.a.O., S. 104. 2
16
. K a p . : Geschichtlicher Überblick
§29 I n dringenden Fällen können sowohl Anträge als Interpellationen i m Laufe einer Sitzung ohne vorherige A n k ü n d i g u n g eingebracht werden, wenn die Versammlung nach erfolgter Unterstützung solches beschließt 5 ."
Ein Vorteil dieser Geschäftsordnungsregelung lag — wie gesagt — vor allem darin, daß Interpellationen nicht mehr wie Anträge behandelt wurden. Eine Interpellation bedurfte — u m überhaupt gestellt werden zu können — deshalb nicht mehr der Genehmigung der Versammlung, sondern nur noch der Unterstützung von 25 Mitgliedern. Damit wurde sie zu einem Informations- und Kontrollmittel auch für Minderheiten 6 , dessen Wirksamkeit allerdings dadurch eingeschränkt wurde, daß eine Parlamentsdebatte über den eigentlichen Gegenstand der Anfrage nicht gestattet war. Die Erleichterung der Einbringung von Interpellationen brachte aber zugleich Nachteile m i t sich; von dem Interpellationsrecht wurde nämlich jetzt ein so großer Gebrauch gemacht, daß dadurch die parlamentarische Arbeit erheblich verzögert und gehemmt wurde, und zwar trotz des Verbots einer Diskussion über den materiellen Gegenstand der Interpellation. Verständlich ist deshalb die Erklärung des preußischen Abgeordneten von Kleist-Retzow i m Jahre 1849: „Nichts, das kann ich aus Erfahrung versichern, während ich i n der ganzen Zeit i m Volk gelebt, hat der Nationalversammlung mehr geschadet, als die Behandlung der Interpellationen und dringlichen A n träge 7 ." Die Bemühungen i n der Folgezeit gingen nun vor allem dahin, die Zahl und Zeitdauer der Interpellationen einzudämmen, indem man die Möglichkeit zur Debatte weiter beschränkte. Die Frankfurter Nationalversammlung, die ebenfalls ein Interpellationsrecht gekannt hatte, hatte die auf die Ministerantwort folgende Diskussion nur noch i n dringenden Fällen und auch dann nur nach Genehmigung durch die Versammlung zugelassen8, die Viehbahnsche Geschäftsordnung der preußischen 2. Kammer aus dem Jahre 1849 Schloß sie 5
Zit. nach Hatschek, Interpellationsrecht, S. 104/105. Z u beachten ist allerdings, daß eine Diskussion über die Interpellation n u r stattfinden konnte, w e n n der Minister sie beantwortete, nicht aber, w e n n er die A n t w o r t verweigerte. 7 StenB über die Verhandl. der 2. K a m m e r f ü r Preußen 1849, Bd. I, S. 14 — zit. nach Hatschek, Interpellationsrecht, S. 107. 8 Z u m Interpellationsrecht i n der Frankfurter Nationalversammlung, vgl. ausführlich Ziebura, Anfänge des deutschen Parlamentarismus, i n : Festgabe f ü r E. Fraenkel, S. 185 ff. (230 ff.). β
I I . Die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912
17
schließlich völlig aus. Damit wurden die Interpellationen zur einfachen Frage degradiert 9 . Der Grund für diese radikale Beschränkung eines parlamentarischen Rechts w i r d nicht zuletzt i m Druck der öffentlichen Meinung zu suchen sein. Diese hielt die Praxis des Interpellationsrechts i n der Berliner und Frankfurter Nationalversammlung für schlecht und war „leicht geneigt, alle Schuld an dem mißglückten Verfassungswerke der weitausgedehnten Übung dieses Rechtes zuzuschreiben" 10 . Erst 1862 wurde i n Preußen das Interpellationsrecht wieder erweitert und die Debatte zugelassen. Die Initiative zu dieser Geschäftsordnungsänderung war von liberalen Abgeordneten ausgegangen. I n den vorausgegangenen Beratungen war von ihnen vor allem darauf hingewiesen worden, daß die Interpellationen ohne Debatten meist i m Sande verlaufen und ohne allen Erfolg geblieben waren 1 1 . U m Mißbräuche zu verhindern, verlangte die Geschäftsordnung jedoch nunmehr für die Debatte über die Anfragen einen Antrag von mindestens 50 Mitgliedern, während für die Einbringung von Interpellationen 30 Unterschriften erforderlich waren 1 2 . Die zeitraubende Besprechung der Interpellationen war also gegenüber der Einbringung an erschwerte Voraussetzungen gebunden. Diese preußischen Bestimmungen über das Verfahren bei Interpellationen wurden vom Norddeutschen Bund 1 3 und später i m Deutschen Kaiserreich 14 fast wörtlich übernommen 15 . Lediglich i n der Adresse bestand ein Unterschied: Wurden i n Preußen die Interpellationen „an die Minister" gerichtet, so war i m Reich laut § 32 GO RT (KR) der Bundesrat Adressat 9
Bekermann, Diss., S. 64. Hatschek, Interpellationsrecht, S. 107. 11 Auch i n der Frankfurter Nationalversammlung waren die Interpellationen meist erfolglos geblieben, vgl. Ziebura, i n : Festgabe f ü r E. Fraenkel, a.a.O., S. 231, der auf einen Anspruch des damaligen Handelsministers Duckwitz h i n weist, wonach dieser die Interpellationen i n einer Schublade sammelte u n d so lange aufbewahrte, bis ihre Gegenstände veraltet oder vergessen waren. 12 I m preußischen Herrenhaus mußten die Interpellationen außer v o m I n t e r pellanten v o n mindestens 20 Mitgliedern unterzeichnet sein; die Besprechung erfolgte bei einem A n t r a g v o n mindestens 30 Mitgliedern. — I n beiden Häusern w a r also die Besprechung gegenüber der Einbringung erschwert. 13 Vgl. Geschäftsordnung f ü r den Reichstag v o m 12. J u n i 1888, abgedruckt bei: Bonnard, Les Règlements des Assemblées législatives de la France depuis 1798, Paris 1926, S. 504 ff. 14 Vgl. §§ 32, 33 der Geschäftsordnung des Reichstages (GO RT) v o m Jahre 1876. 15 Da die Reichsverfassung n u r ein Petitionsrecht (Art. 23), nicht aber ein Interpellationsrecht vorsah, w u r d e n die Geschäftsordnungsbestimmungen über die Interpellationen zum T e i l als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen, vgl. Jellinek, Verfassungsänderung u n d Verfassungswandlung (1906), S. 25; Pereis, Reichstagsrecht (1903), S. 65. 10
2 Witte
18
. K a p . : Geschichtlicher Überblick
der Interpellationen, die dann allerdings vom Reichskanzler beantwortet werden mußten 1 6 . Diese Regelung ist — bezüglich des Bundesrates als Adressaten — verfassungsrechtlich nicht uninteressant. Der Bundesrat i m Deutschen Kaiserreich nahm zwar gegenüber dem Reichstag die Stellung der Regierung ein 1 7 und stand i h m aus als Exekutivorgan (Verordnungsrecht u. dgl.) gegenüber. Er unterlag jedoch — auch i n seiner Eigenschaft als Exekutivorgan — nicht der Kontrolle des Reichstages18 . Man könnte aus dieser Regelung einmal entnehmen, daß zu dieser Zeit die Kontrollfunktion der Anfragen noch nicht klar erkannt wurde 1 9 , oder aber, daß man versuchte, den Bundesrat m i t den Anfragen unter die Kontrolle des Reichstages zu bringen. Beide Annahmen werden jedoch nicht zuletzt durch die parlamentarische Praxis und die wenig später erfolgte Geschäftsordnungsänderung widerlegt. I n der Praxis wurden die Interpellationen nämlich i m allgemeinen nur an den Reichskanzler gerichtet 20 . Dieser war ja nicht nur der dem Reichstag allein verantwortliche Minister, sondern zugleich auch der Vorsitzende des Bundesrates und hatte somit eine Vermittlerstelle zwischen Reichstag und Bundesrat inne. Die Geschäftsordnung des Reichstages aus dem Jahre 1912 sah auch den Bundesrat nicht mehr als Adressaten von Interpellationen an, sondern bestimmte, daß die Anfragen an den Reichskanzler zu richten seien 21 .
II. Die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912 1. Die Interpellationen
Waren die Interpellationen i n den ersten Jahrzehnten des Kaiserreiches noch ziemlich bedeutungslos, so nahmen sie gegen Ende des Kaiserreiches an politischem Gewicht zu und wurden zu einem M i t t e l schar16 § 32 GO R T lautete: „Interpellationen an den Bundesrat müssen, bestimmt formuliert u n d von 30 Mitgliedern unterzeichnet, dem Präsidenten des Reichstages überreicht werden, welcher dieselben dem Reichskanzler schriftlich m i t teilt u n d diesen i n der nächsten Sitzung des Reichstages zur Erklärung darüber auffordert, ob u n d w a n n er die Interpellationen beantworten werde. E r k l ä r t der Reichskanzler sich zur Beantwortung bereit, so w i r d an dem von i h m bestimmten Tage der Interpellant zu deren näherer Ausführung verstattet." 17 Meyer-Anschütz, L B , § 121, S. 480. 18 Meyer-Anschütz, L B , § 128, S. 502 A n m . 6. 19 Es ist interessant, daß Laband, der die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen immer n u r als unwesentlichen Nebenzweck angesehen hat, diese GO-Regelung — soweit ersichtlich — nie zur Stützung seiner These herangezogen hat. 20 Vgl. dazu den Bericht der verstärkten GO-Kommission i m Jahre 1912, R T (KR) A n i . Bd. 255, Drucks. Nr. 1425, S. 8654. 21 Vgl. zu den Diskussionen zu diesem P u n k t den Bericht der GO-Kommission, a.a.O., S. 8654/8655.
I I . Die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912
19
fer K r i t i k an der Regierung. Die öffentliche Meinung, die nach 1848 die Interpellationen noch als Hemmnis für eine sachgerechte Regierungstätigkeit angesehen hatte, erblickte i n ihnen nun ein M i t t e l der Geltendmachung parlamentarischer Rechte. Auch die Wissenschaft beschäftigte sich m i t dem Fragerecht des Parlaments. 1897 verfaßte Rosegger eine Schrift über „das parlamentarische Interpellationsrecht" und 1909 veröffentlichte Julius Hatschek, der anerkannte Sachkenner des Parlamentsrechtes, auf Wunsch der Geschäftsordnungskommission des Reichstages eine umfassende Studie über „Das Interpellationsrecht im Rahmen der modernen Ministerverantwortlichkeit". Das zu dieser Zeit starke Interesse der Wissenschaft und der öffentlichen Meinung an der Ausgestaltung des parlamentarischen Anfragerechtes ist ~ wie schon der Titel der Studie von Hatschek zeigt — zurückzuführen auf die damals lebhaft diskutierte Frage einer parlamentarischen und gerichtlichen Ministerverantwortlichkeit. Die bis dahin nur als Gehilfen des Reichskanzlers bezeichneten und fungierenden Staatssekretäre 1 sollten — vor allem nach den Vorstellungen der Reichstagslinken — zu selbständigen Reichsministern erhoben werden. Kanzler und Minister sollten dem Reichstag verantwortlich sein und ihre Verantwortlichkeit sollte vor einem Staatsgerichtshof geltend gemacht werden können 2 . — Der konkrete Anlaß für diese öffentliche Diskussion über die seit langem geforderte Ministerverantwortlichkeit 3 muß wohl i n einem Interview Kaiser Wilhelm II. m i t dem englischen General Stuart Wortley gesehen werden 4 . Dieses Interview war, obwohl es wegen der politisch 1
Vgl. das sog. Stellvertretergesetz aus dem Jahre 1878. Hatschek, Staatsrecht, Bd. I, S. 719. Vgl. vorher auch die Monographie von M o h l aus dem Jahre 1837 m i t dem T i t e l „Die Verantwortlichkeit der Minister i n Einherrschaften m i t Volksvertretung", die sich allerdings n u r m i t der gerichtlichen Verantwortlichkeit der Minister befaßt u n d eine politische Ministerverantwortlichkeit nicht einmals als theoretische Möglichkeit erörtert. 3 Das Verlangen nach einer Ministerverantwortlichkeit w a r an sich nicht neu. Es hatte sich i m wesentlichen schon hinter der v o n einer Minderheit auf dem konstituierenden Reichstag gestellten Forderung nach einem kollegialisch organisierten Gesamtministerium verborgen (vgl. v. Mohl, Reichsstaatsrecht, S. 402-404). A l l e diesbezüglichen Bestrebungen waren i n den ersten Jahrzehnten des Kaiserreiches jedoch immer wieder am Widerstand der verbündeten Regierungen u n d am Widerstand Bismarcks gescheitert. Fürchteten die verbündeten Regierungen eine Schwächung des Bundesrates, so sah Bismarck i n der Schaffung eines Reichskabinetts zu Recht den entscheidenden Schritt auf dem Wege zu dem von i h m abgelehnten Parlamentarismus. Erst als Bismarck abgesetzt w a r u n d sich die politische Zusammensetzung des Reichstages zu Beginn des neuen Jahrhunderts leicht zu ändern begann, begann auch die Frage der Ministerverantwortlichkeit den Reichstag wieder lebhafter zu beschäftigen. 4 So auch Gebhardt, Handbuch der Deutschen Geschichte, 8. Aufl., Bd. I I I , S. 302, 303 - sowie Hatschek, Staatsrecht, Bd. I, S. 719 u n d Hoppe, Diss., S. 33 A n m . 132. 2
2»
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1. Kap.: Geschichtlicher Überblick
ungeschickten u n d t a k t l o s e n Ä u ß e r u n g e n des K a i s e r s z u r V e r ö f f e n t l i c h u n g u n g e e i g n e t w a r , a m 28. 10. 1908 i m D a i l y T e l e g r a p h erschienen; das A u s w ä r t i g e A m t h a t t e es n i c h t beanstandet, der Reichskanzler, F ü r s t v o n B ü l o w , es n i c h t w e i t e r p e r s ö n l i c h g e p r ü f t 5 . Das Erscheinen i n der englischen Z e i t u n g h a t t e tagelange erregte Reichstagsdebatten z u r F o l g e ; die V e r t r e t e r fast a l l e r p o l i t i s c h e n P a r t e i e n f o r d e r t e n d a b e i k l a r e gesetzl i c h B e s t i m m u n g e n ü b e r die V e r a n t w o r t l i c h k e i t des Reichskanzlers 6 » 7 . S o w e i t die P o l i t i k e r d a b e i a u f eine V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g u n d eine gesetzliche E i n f ü h r u n g d e r M i n i s t e r v e r a n t w o r t l i c h k e i t abzielten, k o n n t e n sie sich a l l e r d i n g s n i c h t durchsetzen 8 . Z a h l r e i c h e A n t r ä g e jedoch, die sich i m B e r e i c h des Geschäftsordnungsrechtes b e w e g t e n u n d v o r a l l e m a u f eine E r w e i t e r u n g des I n t e r p e l l a t i o n s r e c h t e s zielten, w u r d e n e i n e r e r w e i t e r t e n 5 Vgl. dazu ausführlich die Monographie v o n Schüßler, Die Daily TelegraphAffaire, Fürst Bülow, Kaiser W i l h e l m u n d die Krise des Zweiten Reiches, 1908, Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft, Heft 9 (1952). 6 Die wichtigsten teilweise auf Verfassungsänderung, teilweise auf Änderung der Geschäftsordnung zielenden Anträge finden sich i n : R T (KR) A n i . Bd. 240 Drucks. Nr. 129, S. 774 R T (KR) A n i . Bd. 250 Drucks. Nr. 1036, S. 5831 ff. RT (KR) A n i . Bd. 250, Drucks. 1055, S. 6022 R T (KR) A n i . Bd. 250 Drucks. Nr. 1063,1064, S. 6024, 6025 7 Fürst v o n B ü l o w hatte nach Veröffentlichung des Kaiser-Interviews sein Abschiedsgesuch eingereicht, w a r aber — auf persönlichen Wunsch des Kaisers — zunächst i m A m t geblieben (vgl. die E r k l ä r u n g v o n Bülows v o r dem Reichstag i n Beantwortung einer Interpellation, R T (KR) StenB Bd. 233, S. 5395). Wenige Monate nach der „ D a i l y Telegraph-Äff aire" jedoch brach der B ü l o w Block aus Konservativen, Nationalliberalen u n d Freisinnigen auseinander. B ü l o w konnte seine Vorstellungen zur Reichsfinanzreform nicht durchsetzen u n d erhielt am 14. 7.1909 seinen Abschied bewilligt. Damit w a r zum ersten M a l — wenigstens nach außen h i n — ein Reichskanzler wegen einer parlamentarischen Niederlage zurückgetreten (Gebhardt, I I I . , a.a.O., S. 304). 8 Nach einem A n t r a g v o m 30.11.1908, den 51 Abgeordnete verschiedener Fraktionen eingebracht hatten, sollte A r t . 17 der Verfassung des Deutschen Reiches durch Hinzufügen neuer Vorschriften v o r allem wie folgt abgeändert werden: A r t . 17 a „Der Reichskanzler oder dessen S t e l l v e r t r e t e r . . . sind f ü r ihre Amtsführung dem Reichstage verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit erstreckt sich auf alle Handlungen des Kaisers, welche die innere u n d äußere P o l i t i k des Reichs zu beeinflussen geeignet sind." A r t . 17 b
„Die Erhebung der Anklage erfolgt durch einen Beschluß des Reichstages, der v o n einer Mehrheit v o n zwei D r i t t e l n der gesetzlichen A n z a h l der Abgeordneten gefaßt w i r d . " A r t . 17 c „Die Anklage erfolgt wegen Verletzung der Reichsverfassung sowie wegen schwerer Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Reichs durch pflichtwidrige Handlungen oder Unterlassungen." A r t . 17 d „ Z u r Verhandlung u n d Entscheidung über die Anklage w i r d ein Staatsgerichtshof f ü r das Deutsche Reich am Reichsgericht zu Leipzig errichtet." Vgl. R T (KR) Bd. 250 Drucks. Nr. 1063; S. 6024.
I I . Die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912
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Geschäftsordnungskommission überwiesen, die sich am 7. 12. 1908 konstituierte. Diese Kommission hat die Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Informations- und Kontrollmittel so gründlich und eingehend erörtert, wie es bis dahin und seitdem wohl i n keinem deutschen Parlament geschehen ist 9 . Sie war es auch, die Julius Hatschek m i t der Studie über das Interpellationsrecht betraute. Entgegen der Auffassung von Laband, der die Interpellation als ein „Pseudorecht" bezeichnet hatte, sie „staatsrechtlich . . . völlig wirkungslos und ohne alle Bedeutung" fand 1 0 , erblickte Hatschek i n ihr ein — auch staatsrechtlich 11 — bedeutsames Kontrollmittel des Parlaments gegenüber der Regierung. Seine These war, daß i n dieser Kontrollfunktion die „Hauptbedeutung" der Interpellation liege 12 , und daß sie somit das geeignete M i t t e l zur Geltendmachung der Ministerverantwortlichkeit sei. Laband hat dieser Auffassung noch i m gleichen Jahr i n einem Aufsatz i n der Deutschen Juristen-Zeitung energisch widersprochen 13 . Zwar gestand er zu, daß i n der Formulierung der Interpellationen und auch i n der Diskussion zugleich K r i t i k enthalten sein könne. Dies sei aber „keineswegs wesentlich und nur ein gelegentlicher Nebenzweck". Das wesentliche Ziel jeder Frage bestehe darin, „eine Antwort, eine Mitteilung, eine Auskunft, eine Belehrung zu erhalten 14 . Sie habe deshalb m i t der Geltendmachung der Ministerverantwortlichkeit nichts zu tun 1 5 . Diese Meinung Labands ist zumindest durch die politisch-historische Entwicklung überholt worden. Schon ein Jahr später (1909) meint Bekermann 1 6 feststellen zu können, daß i m Laufe der Entwicklung der Interpellation diese sich immer „von einem zweiseitigen Vorgange zwischen Minister und Kammer zu einem 9
Vgl. R T (KR) A n i . Bd. 255 Drucks. Nr. 1425; S. 8630 - 8716. Staatsrecht, 4. Aufl., S. 284; ebenso noch: 5. Aufl. (1911), S. 307. Das Interpellationsrecht w a r nach seiner Meinung nichts weiter als „die a l l gemeine, recht vielen Menschen zukommende Fähigkeit, an die Regierung Fragen zu stellen" (a.a.O., S. 207). Vgl. dazu: Huber, Verfassungsgeschichte I I I , S. 903, A n m . 8, der diese Bemerkung Labands zum Anlaß f ü r eine scharfe K r i t i k am Rechtspositivismus nimmt. 11 Die u. U. hohe politische Bedeutung der Interpellation hatte auch Laband erkannt. Seine Auffassung v o n der staatsrechtlichen Wirkungslosigkeit der großen Anfrage begründete er m i t dem Hinweis, daß die Regierung zu einer A n t w o r t auf eine solche Frage rechtlich nicht verpflichtet sei. 12 Interpellationsrecht, S. 148. 13 DJZ 1908, Sp. 677 - 681. 14 a.a.O., Sp. 678. 15 a.a.O., Sp. 679. 16 Diss. S. 67. 10
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1. Kap. : Geschichtlicher Überblick
überwiegend einseitigen Kontrollakt der Kammer" entwickelt habe. Da die M i t w i r k u n g des Ministers nicht erforderlich sei — es könne auch ohne seine A n t w o r t debattiert werden —, sei die Interpellation nicht mehr i n erster Linie Frage, d. h. M i t t e l zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses, sondern Kontrollakt des Parlaments i n Form einer öffentlichen Debatte. „Es dünkt uns" — schreibt er wörtlich — , „daß lediglich die Auffassung der Interpellation als Antrag auf Debatteeröffnung ihren Charakter und Bedeutung als Kontrollmittel richtig hervorhebt, und daß sie nicht nur dem Wesen dieser Institution entspricht, aber auch dem Empfinden der öffentlichen Meinung Rechnung trägt, die in den Interpellationen eine ausgesprochene Waffe der K r i t i k , der Beurteilung und Aburteilung sieht." Die Frucht dieser wissenschaftlichen Diskussion über das Interpellationsrecht und des regen Interesses der Öffentlichkeit war die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912 17 » 18 . Diese brachte nicht nur — wie später zu zeigen sein w i r d — die Einführung der Kleinen Anfragen, sondern gestaltete auch die Interpellationen zu einem noch wirksameren Kontrollmittel aus. So konnte von jetzt an der Reichstag eine Debatte über den Gegenstand der Interpellation auch dann beschließen, wenn der Reichskanzler eine Erklärung darüber, wann er antworten wolle, nicht abgab, oder wenn er die Beantwortung mehr als 2 Wochen hinausschob 19 . Entscheidend und einschneidend war, daß von jetzt an Interpellationen mit Mißbilligungsanträgen gegenüber dem Kanzler verbunden werden konnten. Nach § 33 a der Geschäftsordnung war es möglich, bei der Besprechung einer Interpellation Anträge zustellen, „welche die Feststellung verlangen, daß die Behandlung der den Gegenstand der Interpellation bildenden Angelegenheit durch den 17 Reichstagsdebatte am 3. M a i 1912 (RT [KR] StenB Bd. 285, S. 1653). A b stimmung am 8. M a i 1912, Bd. 285, S. 1747 D ff. 18 Bei den Reichstagswahlen dieses Jahres hatte es einen großen Linksrutsch gegeben. Die Sozialdemokraten errangen 110 Reichstagsmandate gegenüber 93 des Zentrums, 44 der Nationalliberalen, 41 der Fortschrittler u n d n u r 58 der beiden Konservativen Parteien. Die Regierung Bethmann-Hollweg w a r damit i n einem schwierigen Zwiespalt zwischen den Konservativen u n d der p o l i t i schen L i n k e n geraten u n d mußte Zugeständnisse machen. 19 Vgl. § 33 GO. Dieser lautet: „ A n die Beantwortung der Interpellation oder die Ablehnung ihrer Beantwortung schließt sich die sofortige Besprechung an, falls mindestens 50 anwesende Mitglieder dies verlangen. Der Ablehnung der Beantwortung der Interpellation steht es gleich, w e n n der Reichskanzler eine bestimmte Erklärung, ob er die Interpellation beantworten wolle, nicht abgibt. Falls keiner der Interpellanten widerspricht, darf die Besprechung auch i n einer späteren Sitzung erfolgen. Schließt sich die Besprechung an die Ablehnung an, so erhält zunächst der Wortführer der Interpellation das Wort. Durch Beschluß des Reichstages k a n n die sofortige Besprechung auch dann zugelassen werden, w e n n der Reichskanzler eine bestimmte Erklärung, w a n n er die Interpellation beantworten wolle, nicht abgibt oder die Frist zur Beantw o r t u n g auf mehr als zwei Wochen v o m Tage ihrer Einbringung an bemißt. Der Beschluß muß spätestens i n der drittnächsten Sitzung gefaßt werden."
I I . Die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912
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Reichskanzler der A n s c h a u u n g des Reichstages e n t s p r i c h t oder daß sie i h r nicht entspricht"20. D u r c h die M ö g l i c h k e i t d e r M i ß b i l l i g u n g s a n t r ä g e b e i der D i s k u s s i o n v o n I n t e r p e l l a t i o n e n w u r d e der E i n f l u ß des P a r l a m e n t s u n d d e r p o l i t i schen P a r t e i e n gegenüber d e r monarchischen R e g i e r u n g e r h e b l i c h v e r stärkt21. D i e R e g i e r u n g B e t h m a n n - H o l l w e g h a t diese E n t w i c k l u n g offensichtl i c h g e s p ü r t ; dennoch m e i n t e sie, i h r e verfassungsmäßigen Rechte d u r c h die ausdrückliche F e s t s t e l l u n g z u w a h r e n , „daß die Geschäftsordnung einseitiges Recht n u r f ü r den Reichstag u n d seine Mitglieder schafft u n d daß daher die . . . Abänderungen der Geschäftsordnung weder eine Erweiterung der verfassungsmäßigen Rechte des Reichstages noch eine Beschränkung der verfassungsmäßigen Rechte des Kaisers, der verbündeten Regierungen u n d des Reichskanzlers herbeiführen u n d deswegen auch irgendwelche staatsrechtlichen Konsequenzen f ü r die Stellung des Reichskanzlers gegenüber dem Reichstag nicht haben k ö n n e n " 2 2 . A u c h die m e i s t e n R e i c h s t a g s m i t g l i e d e r w e h r t e n sich i n d e r entscheidend e n Reichstagssitzung v o m 3. M a i 1912 dagegen, i n dieser Geschäftsordn u n g eine v e r d e c k t e V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g z u sehen. So e r k l ä r t e b e i spielsweise d e r Z e n t r u m s a b g e o r d n e t e G r ö b e r als B e r i c h t e r s t a t t e r der Geschäftsordnungskommission : „ W e n n i n der Presse — nicht i m Reichstag — die Behauptung aufgestellt worden ist, daß durch die Anträge über die kurzen Anfragen u n d die I n t e r pellationen eine Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen Reichstag u n d verbündeten Regierungen beabsichtigt oder wenigstens tatsächlich b e w i r k t werde, so sind das Phantasien der betreffenden Zeitungsartikelschreiber, die eine Unterlage i n unseren Anträgen nicht finden. Es k a n n i m Ernste gar nicht die Rede davon sein, daß w i r i m Wege einer Abänderung unserer Geschäftsordnung über die materiellen Bestimmungen der Reichsverfassung verfügen könnten u n d hier eine Änderung der Verfassung auf einem Umwege herbeizuführen beabsichtigten 2 3 ." U n d d e r sozialdemokratische A b g e o r d n e t e L e d e b o u r m e i n t e : „ F ü r meine Partei möchte ich n u r erklären, daß w i r , w e n n w i r auf G r u n d der politischen E n t w i c k l u n g unseres Vaterlandes es f ü r notwendig halten, die Machtbefugnisse des Reichstages i n einer dieser Entwicklung entsprechenden 20 Z u dieser bewußt m i l d e n Formulierung des Mißtrauensantrages vgl. die Ausführungen des Berichterstatters, des Abgeordneten Gröber (Z) StenB Bd. 285, S. 1675. 21 I n diesem Sinne schon Laband i m Jahre 1909: „Jedenfalls wäre eine solche, dem französischen Recht nachgebildete Einrichtung eine Etappe auf dem Wege zur Macht des Reichstages u n d ein Gelegenheitsbeschluß, über die Erhaltung oder den Sturz des Reichskanzlers eine Entscheidung zu treffen." DJZ 1909, Sp. 688. 22 So Staatssekretär Dr. Delbrück i m Namen der verbündeten Regierungen zu Beginn der Reichstagsdebatte über die neuen Geschäftsordnungsbestimmungen am 3. 5.1912, R T (KR) StenB Bd. 285, S. 1954 A . 23 R T (KR) StenB Bd. 285, S. 1654 C.
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1. Kap. : Geschichtlicher Überblick
Weise zu vergrößern, dann den direkten Weg des Antrages auf Verfassungsänderung beschreiten,... daß w i r aber nicht auf Umwegen eine Machterweiter u n g zu erreichen suchen 2 4 ." T r o t z dieser a u s d r ü c k l i c h e n V e r w a h r u n g e n seitens der A b g e o r d n e t e n der M i t t e u n d d e r L i n k e n w u r d e d u r c h die G e s c h ä f t s o r d n u n g s ä n d e r u n g des Jahres 1912 de facto eine s t a r k e M a c h t e r w e i t e r u n g des P a r l a m e n t s e r z i e l t ; es w u r d e d a m i t i m W e g e der G e s c h ä f t s o r d n u n g s b e s t i m m u n g s ä n d e r u n g z u m i n d e s t e i n T e i l dessen erreicht, w a s 1908/09 i m Wege der f ö r m l i c h e n V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g n i c h t g e l u n g e n w a r , n ä m l i c h die E i n flußmöglichkeiten d e r p o l i t i s c h e n P a r t e i e n u n d des P a r l a m e n t e s gegenüber der monarchischen Regierung zu verstärken. Ganz k l a r e r k a n n t e das d e r d e u t s c h k o n s e r v a t i v e A b g e o r d n e t e K r e t h , der erläuterte: „Das ist eben der grundlegende Unterschied i n der Auffassung der Dinge zwischen den Herren v o n der L i n k e n u n d uns v o n der Rechten, daß w i r der Ansicht sind, daß tatsächlich der Erfolg erreicht w i r d , daß die Rechte des Reichstages auf Kosten der A u t o r i t ä t der Regierung erweitert werden, u n d w e n n der H e r r Berichterstatter gemeint hat, das wären n u r Stimmen i n der Presse gewesen, die zum Ausdruck gebracht hätten, es sollten die Reichstagsrechte erweitert werden, so, meine Herren, ist es doch auffällig, daß seit drei Jahren i n der liberalen u n d sozialdemokratischen Presse i m m e r ganz deutlich zum Ausdruck gebracht ist, daß eben die ganze A k t i o n , die anknüpfte an die Novemberdebatte i m Jahre 1908, darauf gerichtet sein müsse, die Reichstagsrechte zu erweitern 2 5 ." S p e z i e l l z u d e n M i ß t r a u e n s a n t r ä g e n b e i der B e s p r e c h u n g v o n I n t e r pellationen meinte K r e t h : „ W i r halten diesen Schritt f ü r den ersten auf dem Wege zur parlamentarischen Herrschaft, denn er beeinträchtigt nicht n u r das Recht des Bundesrates, seine Ansicht frei zu sagen u n d nach seinen Entschlüssen zu handeln, sondern auch das Recht des Kaisers, allein zu wählen u n d zu bestimmen, ob ein Reichskanzler bleiben oder gehen soll 2 6 ." W i e r i c h t i g diese A n s i c h t K r e t h s w a r , zeigte sich schon e i n J a h r später, 1913, b e i d e r Z a b e r n - I n t e r p e l l a t i o n des Reichstages 2 7 . N a c h d e m h i e r d e m K a n z l e r m i t 293 gegen 54 S t i m m e n 2 8 die M i ß b i l l i g u n g des Reichstages ausgesprochen w u r d e , versuchte m a n m i t s t a r k e m p a r l a m e n t a r i s c h e n u n d öffentlichen Druck, i h n z u m R ü c k t r i t t zu zwingen. 24
R T (KR) StenB Bd. 285, S. 1657 D. R T (KR) StenB Bd. 285, S. 1659 C. R T (KR) StenB Bd. 285, S. 1681 B. 27 Anlaß dafür w a r ein verhältnismäßig unbedeutender M i ß g r i f f eines jungen Offiziers gegenüber einem elsässischen Rekruten i n der Garnison Zabern. Diese Handlungsweise des Offiziers löste Demonstrationen u n d T u m u l t e seitens der Bevölkerung aus, denen die örtlichen Zivilbehörden nicht nachdrücklich genug entgegengetreten waren. Darauf hatte der örtliche Regimentskommandeur Truppen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, was empörte K r i t i k hervorrief (vgl. Huber, Dokumente I I , S. 442). 28 Gegen den A n t r a g stimmten n u r die konservativen Fraktionen. 25
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Zwar vermochte sich der Kanzler hier noch — gestützt durch den Kaiser — des Druckes zu erwehren. Doch sah er schon recht deutlich die „Herrschaft des „Parlaments" auf sich zukommen. Wörtlich erklärte er: „Das ganze Haus ist damals (bei der Einführung des Mißbilligungsantrages — d. Verf.) der Ansicht gewesen, daß dieser A n t r a g ein I n t e r n u m des Reichstages ist, u n d heute w o l l e n Sie m i t einem M a l durch den Antrag, der an eine I n t e r pellation geknüpft w i r d , einen Druck ausüben, sei es auf die Entscheidung des Kaisers, sei es auf die Entscheidung des Reichskanzlers; meine Herren, das ist eine Veränderung unserer verfassungsrechtlichen Zustände. Das bedeutet die Aufrichtung der Herrschaft des Parlaments 2 9 ." 2. Die Kleinen Anfragen
Neben der Möglichkeit der Mißtrauensanträge bei der Besprechung von Interpellationen brachte die wichtige Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912 auch die Einführung der Kleinen Anfragen. Erstmalig hatte schon i m Jahre 1873 der Reichstagsabgeordnete Lasker vorgeschlagen, das Verfahren bei den Interpellationen durch Vorschalten von kurzen Anfragen zu vereinfachen 30 . Diese kurzen Anfragen, die als „Bemerkungen" bezeichnet wurden, sollten sich nach der Vorstellung von Lasker gleichsam i m Vorfeld der feierlichen Interpellationen bewegen und ein vereinfachtes Frageverfahren darstellen. Dieser Zweck sollte erreicht werden durch den Ausschluß der Diskussionsmöglichkeit. Da aber gerade diese Beschränkung vom Plenum abgelehnt wurde, verursachten auch die Bemerkungen große Debatten. Der Zweck, ein vereinfachtes Frageverfahren zu erreichen, wurde durch sie also nicht erreicht. U m die Idee selbst wurde es i n der Folgezeit still. Jede Änderung, insbesondere jede Erweiterung der Kontrollmöglichkeiten, bedeutete ja eine Stärkung des Parlaments, die der Regierung — insbesondere Bismarck — nicht genehm war. Aber auch die Mehrheit des Parlaments fürchtete eine Zuständigkeitserweiterung des Reichstages, sei es auf Grund der noch nicht vergessenen Erfahrungen der Jahre 1848/49, sei es auf Grund einer konservativen politischen Einstellung, sei es, w e i l man jede Erschwerung der Regierungstätigkeit vermeiden wollte. Erst i n den Jahren 1907 und 1908 wurde die Diskussion u m die Einführung eines weiteren Anfragerechtes wieder lebhafter. Es war dies die Zeit, i n der auch über das Interpellationsrecht und dessen Ausgestaltung und Bedeutung viel gesprochen und geschrieben wurde. Anlaß dafür war — wie gezeigt — die damals lebhaft diskutierte 29 30
R T (KR) StenB Bd. 291, S. 6282 Β (9.12.1913). R T (KR) StenB Bd. 27, S. 88; vgl. auch Hoppe, Diss. S. 31.
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Frage der Ministerverantwortlichkeit, genau gesagt, der immer mehr aufkommende Wunsch nach Schaffung einer dem Reichstag verantwortlichen Regierung. Dieses hinter der Diskussion um das Anfragerecht stehende Ziel 3 1 ist von den konservativen Abgeordneten i n der dann i m Dezember 1908 einberufenen verstärkten Geschäftsordnungskommission des Deutschen Reichstages offensichtlich erkannt oder zumindest gespürt worden. Da sie aus ihrer politischen Grundeinstellung heraus gegen eine Machterweiterung des Parlaments waren, brachten sie — neben einigen anderen — verfassungsrechtlich nicht unerhebliche Bedenken gegen die Einführung eines weiteren Informations- bzw. Kontrollrechtes vor. Sie meinten insbesondere, daß die Kleinen Anfragen nicht i m Wege der Geschäftsordnungsänderung, sondern nur durch eine ausdrückliche Verfassungsänderung eingeführt werden könnten. Die Verfassung sähe nämlich ein Informationsrecht des Parlaments nicht vor. Nach Sinn und Zweck der Reichsverfassung habe das Parlament grundsätzlich nur gesetzgeberische, nicht aber verwaltungsmäßige Befugnisse. Eine Schaffung oder Erweiterung von Informationsrechten und Kontrollbefugnissen des Parlaments auf dem Gebiet der Exekutive bedeute aber eine einschneidende Kräfteverschiebung zwischen Parlament und Regierung und sei deshalb nur i m Wege der Verfassungsänderung zu erreichen 32 . Diese Meinung, die zu einem Zeitpunkt durchaus vertretbar war, i n dem es noch nicht eine dem Reichstag verantwortliche Regierung gab — und das Stell Vertretergesetz des Jahres 1878 hatte diesen Zustand trotz Zugeständnissen i m Grunde zementiert — wurde jedoch nicht von der Mehrheit der Abgeordneten i m Ausschuß geteilt. Diese Abgeordneten wiesen vor allem darauf hin, daß der Reichstag von vornherein — trotz fehlender Verfassungsbestimmungen — die Zuständigkeit zur Stellung von Anfragen für sich i n Anspruch genommen hatte. Das dauernd ausgeübte Interpellationsrecht zeige, daß eine Kontrollbefugnis des Parlaments über die Exekutive allgemein anerkannt sei. Verfassungsrechtliche Bedenken könne man nur dann haben, wenn man die Regierung zu einer Beantwortung der Anfragen zwingen wolle — gerade das sei aber von keiner der Parteien vorgesehen 33 . 31 „Der Zweck der I n s t i t u t i o n der Kleinen Anfragen s e i . . . die Rechte des Parlaments auf K o n t r o l l e der Regierung zu stärken." (So ein Bericht der v e r stärkten GO-Kommission, R T [KR1 A n i . Bd. 255 Drucks. Nr. 1425, S. 8656). 32 I n diesem Sinne noch — bei der entscheidenden Reichstagsdebatte v o m 3. 5.1912 — der deutschkonservative Abgeordnete K r e t h unter Hinweis auf A r t . 23: „Die Exekutive i m Reiche u n d die Überwachung der Exekutive der Einzelstaaten, soweit sie zur Zuständigkeit des Reiches gehört, w i r d . . . ausgeübt v o m Kaiser u n d v o m Bundesrat, nicht v o m Reichstag." R T (KR) StenB Bd. 285, S.1679 C. 33
R T (KR) A n i . Bd. 255 Drucks. Nr. 1425, S. 8643.
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Da diesen Standpunkt die große Mehrheit der Abgeordneten einnahm, ließen die Konservativen ihren grundsätzlichen Widerstand schließlich fallen, zumal w o h l auch sie einsahen, daß man durch die Einführung der Kleinen Anfragen den parlamentarischen Apparat einfacher und elastischer gestalten konnte 3 4 . Dennoch sind bei der Diskussion u m die einzelne Ausgestaltung des Anfragerechtes auch immer wieder grundsätzliche Bedenken vorgetragen worden. Die ursprünglichen Befürworter der Einführung von Kleinen Anfragen gingen von den Einrichtungen des englischen Parlaments aus 35 . Nach dem Kommissionsantrag Nr. 2 sollte dabei die Kleine Anfrage i m wesentlichen so ausgestattet sein, wie es auch heute die Mündliche Anfrage i n der Fragestunde des Deutschen Bundestages ist: Jedes Mitglied des Reichstages sollte befugt sein, zu Beginn einer jeden Sitzung kurze tatsächliche Anfragen über die Angelegenheiten der inneren und äußeren Politik an den Reichskanzler zu richten. Die Absicht und der Text der Anfrage sollten spätestens am Tage vorher schriftlich dem Präsidenten mitgeteilt werden, welcher wiederum dem Reichskanzler davon Mitteilung zu machen hatte. Bei der Frage sollten Schlußfolgerungen, Anführung von Beispielen und Angriffe jeder A r t unzulässig sein, ebenso auch Debatten i m Anschluß an die Frage. Der Anfragende sollte nur zur tatsächlichen Berichtigung das Wort erhalten können. Eine Verpflichtung des Reichskanzlers zur Beantwortung der Frage wurde abgelehnt 36 . Ein anderer Vorschlag der Kommission verlangte die Unterstützung der Anfrage durch mindestens 15 Reichstagsmitglieder 37 und weist so Ähnlichkeiten m i t der heutigen Kleinen Anfrage i m Bundestag auf. Uneinigkeit herrschte darüber, ob auch jeder „lokale Schmerz" aus einem Wahlkreis zum Inhalt einer Anfrage gemacht werden dürfe. Der Meinung, daß man die Anfragen auf allgemeine Angelegenheiten beschränken sollte, stand die Auffassung gegenüber, daß die Kleinen Anfragen gerade als Entlastung der Interpellationen gedacht seien und deshalb auch Ausdruck von „Spezialinteressen" sein dürften 3 8 . Heftig diskutiert wurde auch darüber, ob Anfragen, die ein schwebendes Gerichts-, Verwaltungs- oder Disziplinarverfahren beträfen, für unzulässig zu erklären seien. U m auf jeden Fall Eingriffe i n die richterliche Unabhängigkeit zu vermeiden, wollten einige Abgeordnete diese Be34
Hoppe, Diss. S. 36. Hoppe, Diss. S. 34. Vgl. auch Berichterstatter Abg. Gröber i n der R T Sitzung v o m 3. M a i 1912, StenB Bd. 285, S. 1655 C u n d 1956 D sowie u. a. die Abg. Ledebour, a.a.O., S. 1658 A u n d Kreth, a.a.O., S. 1660 A . 36 So i m wesentlichen der § 33 d nach dem Kommissionsantrag Nr. 2, vgl. Hoppe, Diss. S. 34. 37 So Kommissionsantrag, Nr. 3. 38 R T (KR) A n i . Bd. 255, Drucks. Nr. 1425, S. 8660. 35
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1. Kap. : Geschichtlicher Überblick
schränkung ausdrücklich aufgenommen wissen 39 , sie vermochten sich jedoch i m Ergebnis nicht durchzusetzen. Obwohl nun über alle diese Fragen ausführlich gesprochen worden w a r 4 0 und man schließlich einen Kommissionsantrag 41 erarbeitet hatte, verfiel dieser i n der Endabstimmung gegen 7 Stimmen der Ablehnung. Worauf nun dieses negative Abstimmungsergebnis zurückzuführen ist, ist heute nicht mehr klar zu ermitteln. Neben K r i t i k an Einzelheiten der Ausgestaltung scheint auch noch einmal die ablehnende Haltung gegenüber der Institution als solcher von Einfluß gewesen zu sein. Infolge der Ablehnung des Kommissionsantrages beschäftigte sich der Reichstag vorerst nicht mehr m i t dem Recht der Kleinen Anfragen. Dadurch blieb auch der ausführliche Bericht der Geschäftsordnungskommission zunächst ohne Folgen. I n den folgenden Jahren gingen aber wieder zahlreiche Anträge auf Einführung der Kleinen Anfragen ein. 1910 wurde wiederum eine verstärkte Geschäftsordnungskommission für diese Angelegenheit einberufen, und als sich nach den Reichstagswahlen i m Januar 1912 das Stärkeverhältnis der Parteien erheblich verändert hatte, wurde die so lange angestrebte Geschäftsordnungsänderung m i t der Umgestaltung der Interpellationen und der Einführung der Kleinen Anfragen endlich Wirklichkeit 4 2 » 4 3 . 39 Sie fürchteten, daß sich der Kanzler sonst durch die Ablehnung der Beantw o r t u n g ein O d i u m aufladen könne, vgl. R T (KR) A n i . Bd. 255, Drucks. Nr. 1425, S. 8684, vgl. auch Ausführungen des Abg. Graf Westarp, RT (KR) StenB Bd. 259, S.1047. 40 Vgl. zu den einzelnen Bedenken nochmal den deutschkonservativen Abg. K r e t h i n der späteren Reichstagsdebatte v o m 3. M a i 1912, R T (KR) StenB Bd. 285, S. 1659 Β f. 41 R T (KR) A n i . Bd. 255, Drucks. Nr. 1425, S. 8693/94. 42 I n der entscheidenden Reichstagsdebatte am 3. M a i 1912 wehrte sich die Rechte noch einmal gegen die Einführung eines neuen Fragerechts i n der v o r gesehenen Form. So erklärte der deutschkonservative Abgeordnete K r e t h zu den K l e i n e n Anfragen: „ H i e r ist es doch ganz offensichtlich, daß die Rechte des Reichstages erweitert werden, u n d zwar einseitig auf dem Wege über die Geschäftsordnung. Der Reichstag verlangt, daß an 2 Tagen der Woche der Herr Reichskanzler oder sein Stellvertreter hier zu erscheinen haben u n d außerhalb der Tagesordnung Rede u n d A n t w o r t zu stehen haben." (RT [KR] StenB Bd. 285, S. 1659 C.) Dagegen hielten die Abgeordneten der M i t t e u n d der L i n k e n die neue Regel u n g f ü r verfassungsrechtlich unbedenklich. I h r e etwas formaljuristische Betrachtungsweise w i r d deutlich aus den Ausführungen des nationalliberalen Abg. List (Eßlingen), der ausführte: „Es ist doch nicht abzusehen, inwiefern die Möglichkeit, an die Regierung diese Frage zu richten u n d von der Regierung diese Frage beantwortet zu bekommen, Wirkungen i n der A r t haben sollte, daß die staatsrechtlichen Verhältnisse irgendwie verschoben werden. Die Rechte des Reichstages u n d die Rechte der Regierung beruhen auf der Verfassung. I n die materiellen Bestimmungen dieser Verfassung greifen w i r i n gar keiner Weise ein, w e n n w i r dem Reichstag i n seiner Geschäftsordnung ein neues Fragemittel gegenüber der Regierung an die Hand geben." (a.a.O., S. 1661 D.)
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D i e geschäftsordnungsmäßige A u s g e s t a l t u n g d e r K l e i n e n A n f r a g e e n t sprach d a b e i fast g e n a u d e n Vorschlägen, die die G e s c h ä f t s o r d n u n g s k o m m i s s i o n des J a h r e s 1908 n a c h i h r e n g r u n d l e g e n d e n S t u d i e n ausgearbeitet hatte. D i e K l e i n e n A n f r a g e n k o n n t e n danach v o n jedem einzelnen Reichstagsm i t g l i e d g e s t e l l t w e r d e n . Sie w a r e n a n d e n Reichskanzler z u r i c h t e n u n d s c h r i f t l i c h einzureichen, § 31 a G O R T (KR). F ü r i h r e m ü n d l i c h e B e a n t w o r t u n g d u r f t e die erste S t u n d e i n d e n S i t z u n g e n a m D i e n s t a g u n d F r e i t a g j e d e r Woche v e r w e n d e t w e r d e n 4 4 . D i e F r a g e s t e l l e r w a r e n d a b e i nach der R e i h e n f o l g e des E i n g a n g s i h r e r A n f r a g e n a u f z u r u f e n . E i n e D i s k u s s i o n ü b e r die A n t w o r t des Reichskanzlers w a r u n z u l ä s s i g ; l e d i g l i c h z u r E r g ä n z u n g u n d B e r i c h t i g u n g der A n f r a g e k o n n t e d e r F r a g e s t e l l e r das W o r t e r l a n g e n (§ 31 b ) 4 5 . A u ß e r d e m w a r es d e m F r a g e s t e l l e r f r e i g e s t e l l t , j e d e r zeit z u e r k l ä r e n , daß er sich m i t e i n e r s c h r i f t l i c h e n A n t w o r t begnüge (§ 31 c ) 4 6 . 43 Annahme der neuen GO-Bestimmungen: 56. Sitzung (8. M a i 1912) : R T (KR) StenB Bd. 285, S. 1747 D ff. 44 Dazu der Berichterstatter, Abg. Gröber: „Die mündliche F o r m der Behandlung der Anfragen m i t dem A u f r u f i n bestimmten Sitzungen ist dagegen i n der Kommission bei verschiedenen Mitgliedern auf erhebliche Bedenken gestoßen. M a n hat i n dem mündlichen Verfahren insbesondere die Gefahr erblickt, daß n u n Anfragen öffentlich behandelt werden könnten, die vielleicht m i t Rücksicht auf die politische Gesamtlage, namentlich, w e n n es sich u m Fragen der auswärtigen P o l i t i k handelt, besser nicht i n der Öffentlichkeit behandelt w ü r d e n . . . " „Die Mehrzahl der Kommission hat sich aber f ü r das mündliche Verfahren entschieden, das sie neben dem schriftlichen Verfahren wahlweise zur Verfügung stellt, u n d hat sich dafür auf die guten Erfahrungen, die m a n i m ganzen i n England damit gemacht habe, berufen." (StenB Bd. 285, S. 1655 D, 1656 D). 45 Z u der jetzt angenommenen Regelung vgl. den Berichterstatter, Abg. Gröber: „ M a n hat ferner i n der Kommission das Bedenken geltend gemacht, daß unter Umständen durch die v o n der Kommission i n ihren Vorschlägen zugelassene Ergänzung der Frage u n d Berichtigung plötzlich vielleicht neue Fragen aufgeworfen werden könnten, die n u r einen losen Zusammenhang m i t der ursprünglichen Angelegenheit haben. »Ergänzung der Frage' — das läßt einen weiten Spielraum zu; es ist eine formelle Schranke nicht gezogen, kann auch w o h l k a u m m i t Sicherheit gezogen werden. Sobald m a n Ergänzungen der Anfragen zuläßt, hat es j a der Fragesteller i n der Hand, vielleicht m i t einer recht harmlosen, niedlichen Frage anzufangen u n d m i t einer komplizierten u n d unangenehmen Frage eine Ergänzung zu machen. Wenn der H e r r Reichskanzler oder sein Stellvertreter m i t t e n i n den sog. Ergänzungen der Fragen v o r Dinge gestellt w i r d , die es f ü r i h n höchst unangenehm machen könnten, sowohl w e n n er schweigt, als wenn er antwortet, so haben manche Mtiglieder der Kommission darin ein besonderes Bedenken gesehen." (StenB Bd. 285, S. 1656 B.) 48 Dazu der Berichterstatter, Abg. Gröber: „Die Kommission w a r vollständig darin einig, daß gegen ein schriftliches Verfahren Bedenken nicht bestehen. Gerade das schriftliche Verfahren hat seine großen Vorteile f ü r kleinere Angelegenheiten, namentlich f ü r lokale Wünsche u n d Interessen, die sonst, wenn sie nicht i m Wege der Anfrage erledigt werden können, vielleicht zu weitläufige Auseinandersetzungen bei der Etatberatung geben. M a n erspart auf diese Weise sich u n d dem Reichskanzler u n d seinen Staatssekretären manche zeitraubende Audienzen." (a.a.O., S. 1655 D.)
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1. Kap. : Geschichtlicher Überblick
Insgesamt waren damit die Kleinen Anfragen i n der A r t einer heutigen Fragestunde geregelt, wenn auch die Möglichkeit zu Zusatzfragen durch andere Abgeordnete noch nicht gegeben w a r 4 7 .
I I I . Interpellationen und Kleine Anfragen im Reichstag der Weimarer Republik Die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912 mit der Ausgestaltung des Interpellationsrechtes und der Einführung der Kleinen Anfragen bedeutet einen Höhepunkt i n der Geschichte des parlamentarischen Fragerechts. Die einzelnen Bestimmungen waren i n den Sitzungen der Geschäftsordnungskommission der Jahre 1908/09 und i n der entscheidenden Reichstagssitzung vom 3. Mai 1912 so gründlich besprochen worden, daß ihre unveränderte Übernahme durch den Reichstag der Weimarer Republik von daher nicht erstaunt 1 . Andererseits ist es natürlich bemerkenswert, daß ein Parlament, dem zum ersten M a l eine parlamentarisch verantwortliche Regierung gegenüberstand, die Informations- und Kontrollrechte unverändert aus einer Geschäftsordnung übernahm, die noch unter der Geltung einer Verfassung angenommen war, die eine parlamentarisch verantwortliche Regierung nicht gekannt hatte 2 . 1. Die Geschäftsordnung vom Dezember 1922
Erst Anfang des Jahres 1921 setzte der Reichstag wieder einen Ausschuß ein, der auf Grund der Erfahrungen aus den ersten Parlamentsjahren unter der Weimarer Reichsverfassung Vorschläge zur Revision der fast unverändert übernommenen Geschäftsordnung des Reichstages des Kaiserreiches ausarbeiten sollte 3 » 4 47 Die Sozialdemokraten waren m i t ihrem Vorschlag, Zusatzfragen durch alle Mitglieder des Hauses zuzulassen, i n der Geschäftsordnungskommission nicht durchgedrungen (vgl. dazu: Abg. Ledebour, StenB Bd. 285, S. 1658 A). 1 Überhaupt w a r die GO des Deutschen Reichstages durch die Deutsche Nationalversammlung der Weimarer Republik fast unverändert übernommen worden, vgl. dazu: Poetzsch, V o m Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, JöR Bd. 13 (1925), S. 109. 2 I n diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Weimarer Nationalversammlung m i t A r t . 54 W R V das stärkste Kontrollmittel, nämlich den Mißtrauensantrag, durch den der Reichskanzler u n d jeder einzelne Minister zum Rücktritt gezwungen werden konnte, i n die Verfassung selbst aufnahm. 3 Den Beratungen des Ausschusses lag ein E n t w u r f des Zentrumsabgeordneten Dr. Spahn zugrunde. 4 „Der Ausschuß ließ sich bei seiner Arbeit v o n dem Gedanken leiten, die Geschäftsordnung den Zeitverhältnissen anzupassen. V o r allem sollten darin die großen u n d vermehrten Aufgaben Ausdruck finden, die die Weimarer Verfas-
I I I . Anfragen i m Reichstag der Weimarer Republik
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Ursache für die Einsetzung dieses Ausschusses war nicht zuletzt die Tatsache, daß durch Überhandnehmen der Interpellationen und Kleinen Anfragen die Regierungs- und Parlamentsarbeit erheblich gehemmt wurde 5 . M i t der neuen Geschäftsordnung 6 , die beinahe 2 Jahre später, am 12. 12. 1922 vom Reichstag angenommen wurde und am 1. 1. 1923 i n K r a f t trat, strebte man deshalb dahin „durch Beschränkung der Interpellationen u n d Kleinen Anfragen der Regier u n g die E r f ü l l u n g ihrer sonstigen Aufgaben zu erleichtern, durch Begrenzung der Redezeit eine Beschleunigung der Arbeiten des Reichstages herbeizuführen u n d durch die Erhöhung der Disziplinarbefugnisse des Reichstagspräsidenten einer Obstruktion der parlamentsfeindlichen Oppositionsparteien w i r k s a m zu begegnen" 7 » 8.
Das Verfahren bei den Interpellationen wurde dabei wenig verändert. Interpellationen mußten bei der Einbringung nach wie vor von 30 M i t gliedern des Reichstages unterzeichnet sein (§ 55 GO) 9 . Allerdings bestand auf Grund der neueingefügten Bestimmung des § 88 GO die Möglichkeit, die Redezeit bei der Besprechung auf Vorschlag des Ältestenrates zu beschränken. Eine Verbindung von Interpellationen m i t Mißbilligungsanträgen sah die Geschäftsordnung nicht mehr vor, da die Reichsverfassung ja i n A r t . 54 eine eigene weitreichende Bestimmung über den Mißtrauensantrag aufgenommen hatte. Einschneidender als bei den Interpellationen versuchte man bei den Kleinen Anfragen, deren Anzahl zu drosseln. Vor allem die Tatsache, daß die Kleinen Anfragen von jedem einzelnen Abgeordneten eingebracht werden konnten und normalerweise mündlich i m Plenum beantwortet werden mußten, hatte i n der Vergangenheit eine große Verzögerung der Reichstagsarbeit zur Folge gehabt. sung dem Reichstag gebracht hat", so der spätere Berichterstatter, Abg. Schmidt (Sachsen), bei der Begrüßung v o r dem Plenum, R T (WRV) StenB Bd. 357, S. 8965 Β (266. Sitzung, 14 November 1922). 5 Vgl. dazu den schriftlichen Bericht des Geschäftsordnungsausschusses: RT (WRV) Bd. 374 A n i . Nr. 4411, Erläuterung S. 4867. 6 RGBl. 1923, Nr. 9, S. 101. 7 Z i t a t aus: Thamm, Diss., S. 11. 8 Der K P D - A b g . Eichhorn bezeichnete die neue Geschäftsordnung deshalb als ein „Statut zur Vergewaltigung der M i n o r i t ä t " , R T (WRV) StenB Bd. 357, S.8977 C. 9 E i n Änderungsantrag der Kommunisten auf Herabsetzung der Z a h l auf 15 (Fraktionsstärke) wurde abgelehnt; m a n befürchtete eine weitere Häufung v o n Interpellationen u n d damit eine Verzögerung der Reichstagsarbeit, vgl. Thamm, Diss., S. 15.
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1. Kap.: Geschichtlicher Überblick
Die neue Geschäftsordnung sah deshalb eine Unterstützung jeder Kleinen Anfrage durch 15 Abgeordnete von (§ 60) 10 . Auch wurde die schriftliche A n t w o r t zur Regel gemacht. Nur wenn diese während 2 Wochen nicht erfolgt war, konnte der Präsident die Kleine Anfrage auf die Tagesordnung setzen (§ 61). Eine Besprechung der A n t w o r t der Reichsregierung war jedoch auch dann nieht vorgesehen (§ 62). Durch diese radikale Beschränkung, durch die die Fragestunde des Kaiserreiches praktisch abgeschafft und durch ein völlig anders geartetes und weniger schlagkräftiges Kontrollinstrument ersetzt wurde, ging die Zahl der Kleinen Anfragen stark zurück. Auch wurde seit Beginn des Jahres 1923 keine Anfrage mehr mündlich beantwortet. Da somit der Anreiz zu Kleinen Anfragen für die meisten Abgeordneten weggefallen war, nahm als Gegenstück die Zahl der Interpellationen und Anträge i n starkem Maße zu. 2. Die beschränkte Wiedereinführung der mündlichen Beantwortung von Kleinen Anfragen
I m Jahre 1925 und erneut gegen Ende des Jahres 1928 stellte der A b geordnete Freiherr von Rheinbaben 11 i m Geschäftsordnungsausschuß den Antrag auf Wiedereinführung der mündlichen Beantwortung Kleiner Anfragen 1 2 . Dies sollte nach seinem Vorschlag zunächst auf dem Gebiet der auswärtigen Politik gelten, da hier eine öffentliche enge Fühlung zwischen Parlament und Regierung besonders erforderlich sei. Die schnell wechselnden außenpolitischen Situationen und vereinzelte gegen deutsche Interessen gerichtete Falschmeldungen machten nach seiner Ansicht eine schnelle präzise Stellungnahme der deutschen Regierung notwendig. Offiziöse Verlautbarungen der Regierung könnten nur ein Notbehelf sein, da ihr Widerhall i n der Presse und ihre Durchschlagskraft i n der öffentlichen Meinung i m Laufe der Zeit immer geringer geworden seien. Das gleiche gelte von Erklärungen der Minister und des Pressechefs i n der täglichen Pressekonferenz, deren Wirkung zudem noch dadurch beeinträchtigt werde, daß jede Zeitung sich das Recht vorbehalte, sie verschieden zu kommentieren bzw. überhaupt nicht zu erwähnen. Es sei deshalb zu fordern, daß die Regierung zumindest bei 10 Der E n t w u r f des Geschäftsordnungsausschusses hatte sogar eine U n t e r stützung v o n 30 Abgeordneten gefordert (RT [WRV] Bd. 374, Drucks. Nr. 4411, S. 4860 u n d 4867). Dagegen wandten sich v o r allem die kleinen Fraktionen (Mindestfraktionsstärke 15 Abgeordnete), f ü r die der KPD-Abgeordnete Eichhorn v o n einer ,,glatte(n) Rechtlosmachung der kleinen Fraktionen" sprach, StenB Bd. 357, S. 8977 D. 11 M i t g l i e d der Deutschen Volkspartei. 12 Vgl. Bericht des Geschäftsordnungsausschusses R T (WRV) A n i . Bd. 435, Drucks. Nr. 909.
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Kleinen Anfragen außenpolitischen Inhalts mündlich vor dem Plenum und damit vor der Öffentlichkeit antworten könne. Auch der an den Ausschußberatungen teilnehmende Außenminister Dr. Stresemann unterstrich die Notwendigkeit einer für die Regierung freigestellten mündlichen Beantwortung. Er wies dabei auf kurz zuvor geäußerte unrichtige Behauptungen des französischen Ministerpräsidenten bezüglich großer Summen angeblich deutscher Propagandamittel hin; diesen Ausführungen hätte sofort und öffentlich entgegengetreten werden müssen 13 . Auffallend bei der Begründung des Antrages auf Wiedereinführung der mündlichen Beantwortung der Kleinen Anfragen ist also folgendes: Die mündliche Beantwortung sollte nicht zur Pflicht für die Regierung gemacht werden, sondern ihr als politische Möglichkeit an die Hand gegeben werden. Durch die Wiedereinführung der mündlichen Beantwortung der Kleinen Anfragen sollte nicht eine verschärfte Kontrollmöglichkeit für das Parlament geschaffen werden, sondern der Regierung eine Plattform gegeben werden, u m rasch i n der Öffentlichkeit wichtige politische Erklärungen abgeben zu können. Zwar hatte nach A r t . 33 Abs. 3 WRV i. V. m. § 97 GO jeder Minister das Recht, außerhalb der Tagesordnung jederzeit i m Reichstag das Wort zu ergreifen; da hierbei jedoch auf Antrag von nur 30 Abgeordneten eine Besprechung erfolgen mußte, bedeutete eine solche Rede jeweils einen großen Zeitverlust. Abgesehen davon konnten die ministeriellen Ausführungen i n der Debatte natürlich von der Opposition angegriffen oder zumindest zerredet werden. Dieser Zustand, der von der Regierung und den Regierungsparteien als Übel empfunden wurde, sollte durch die für die Regierung freigestellte mündliche Beantwortung der Kleinen Anfragen beseitigt werden. Die vorgesehene Abänderung des Rechtes der Kleinen Anfragen bedeutete also i n Wirklichkeit eine Erweiterung der Rechte der Regierung. Hierauf wiesen dann auch i n der Reichstagsdebatte über den Bericht des Geschäftsordnungsausschusses am 21. 3. 1929 verschiedene Abgeordnete hin 1 4 . Der kommunistische Abgeordnete Stöcker erkannte klar, daß es der Regierung nun möglich sei, bei einer Regierungspartei Anfragen zu „bestellen", wenn sie wünsche, öffentlich, ohne anschließende Debatte, zu politischen Fragen Erklärungen abzugeben 15 . 13 14 15
R T (WRV) A n i . Bd. 435, Drucks. Nr. 909, S. 2. R T (WRV) 4. Wahlp., 60. Sitzung 21. 3.1929, StenB Bd. 424, S. 1589 - 1591. StenB Bd. 424, S. 1590 A , B.
3 Witte
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1. Kap. : Geschichtlicher Überblick
Vor allem der Abgeordnete Schultz (Bromberg) (DNV) wandte sich gegen den Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses. Er meinte, durch die frühere schriftliche Beantwortung seien die Kleinen Anfragen aus der Öffentlichkeit verbannt und i n die Dunkelkammer der Bürokratie verwiesen worden. Durch die freigestellte mündliche Beantwortung werde jedoch ihr ursprünglicher Zweck i n sein Gegenteil verkehrt. Wörtlich sagte er: „ I h r ursprünglicher Zweck w a r doch, daß sie ein K a m p f m i t t e l des Parlaments gegen die Regierung sein sollte. U n d n u n verlangen Sie v o m Reichstag, daß er die Sache umkehren u n d aus dem K a m p f m i t t e l des Reichstages gegen die Regierung ein K a m p f m i t t e l der Regierung f ü r sich allein machen solle. Von der Regierung ganz allein soll es abhängen, ob eine Kleine Anfrage hier i n der Öffentlichkeit verhandelt w i r d . . . Das ist eine capitis diminutio des Reichstages. Es ist eine Pflicht der Selbstachtung des Reichstages..., daß er einer solchen Vorschrift nicht z u s t i m m t 1 6 » 1 7 . "
Dennoch wurde der Vorschlag der Geschäftsordnungskommission m i t Mehrheit angenommen. Während § 61 als Regelfall die schriftliche Beantwortung beibehielt, lautete § 62 nunmehr i m ersten Satz: „Je nach Bedarf kann die erste Stunde einer Sitzung zur Beantwortung verwendet werden", wies also damit auf die Möglichkeit der mündlichen Beantwortung hin 1 8 . 3. Die Geschäf tsordnungsänderung unter der Regierung Brüning
Die letzte Änderung des parlamentarischen Anfragerechtes unter der Geltung der Weimarer Verfassung erfolgte 1931 i m Zuge weit einschneidenderer Geschäftsordnungsänderungen. A u f Antrag 1 9 von einigen der Regierung nahestehenden Abgeordneten verschiedener Fraktionen 2 0 wurde damals vor allem eine Reform bei den Finanzvorlagen angestrebt sowie eine einschränkende Regelung bei den Mißtrauensvoten nach A r t . 54 WRV i. V. m. § 54 GO RT durchgesetzt 21 . 16
StenB Bd. 424, S. 1589 D. Gegen diese Ausführungen wandte sich noch einmal der Abg. Freiherr v. Rheinbaben, der erklärte: „Zunächst ist es doch so, daß seit 1919 sich an dem Verhältnis v o m Parlament zur Regierung einiges gegen früher geändert hat, u n d ich k a n n als Berichterstatter auch das nicht unwidersprochen lassen, daß der H e r r Kollege Schultz diese Einrichtung der Kleinen Anfragen n u n allgemein als K a m p f m i t t e l überhaupt bezeichnet hat." (StenB Bd. 424, S. 1590 C.) 18 R T (WRV) StenB Bd. 424, S. 1591 A . 19 A n t r a g v o m 4. 2.1931, R T (WRV) A n i . Bd. 449, Drucks. 698. 20 Federführend w a r das Zentrum m i t den Abgeordneten Dr. Bell, Esser (Euskirchen), Gerig u n d Wegmann (Oldenburg). 21 § 54 Abs. 2 GO R T erhielt folgende Fassung: „ E i n A n t r a g der feststellen w i l l , ob der Reichskanzler, die Reichsregierung oder einzelne Mitglieder der Reichsregierung das nach A r t . 54 der Reichsverfassung erforderliche Vertrauen besitzen oder nicht, darf n u r i n der Fassung eingebracht werden: ,Der Reichstag entzieht dem Reichskanzler (der Reichsregierung, dem Reichsminister) das Vertrauen'." 17
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N e b e n diesen g r a v i e r e n d e n G e s c h ä f t s o r d n u n g s ä n d e r u n g e n w a r die N e u f a s s u n g des I n t e r p e l l a t i o n s p a r a g r a p h e n v o n g e r i n g e r e r B e d e u t u n g . D e n n o c h spiegelt auch sie die a l l g e m e i n e Tendenz dieser Geschäftsordn u n g s ä n d e r u n g des Jahres 1931 w i d e r , n ä m l i c h d e n b e i n a h schon v e r z w e i f e l t e n V e r s u c h der R e g i e r u n g s p a r t e i e n , sich gegen die r a d i k a l e u n d zersetzende O p p o s i t i o n v o n l i n k s u n d rechts z u r W e h r z u setzen 2 2 . Interpellationen u n d Kleine A n f r a g e n w a r e n i n den letzten Jahren z u n e h m e n d v o n K o m m u n i s t e n u n d N a t i o n a l s o z i a l i s t e n als M i t t e l z u r O b s t r u k t i o n der Parlamentsarbeit benutzt w o r d e n 2 3 . Das P a r l a m e n t d i e n t e i n d e n D e b a t t e n ü b e r die A n f r a g e n n i c h t selten als P l a t t f o r m f ü r ö f f e n t l i c h e D e k l a m a t i o n e n u n d H e t z r e d e n , d u r c h die Regierung u n d Justiz diskriminiert, Andersdenkende angegriffen u n d die B e v ö l k e r u n g a u f g e w i e g e l t w e r d e n s o l l t e 2 4 . Damit w u r d e n positive Vertrauensanträge ausgeschlossen. Z u r verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit dieser Geschäftsordnungsänderung vgl. Bernau, Diss., S. 176 ff. (179, 180) u n d Schneider, i n : Festgabe f ü r R. Smend, a.a.O., S. 312. 22 I n der Fraktionssitzung des Zentrums am 12.1.1931 hatte Dr. Bell u. a. folgende Möglichkeiten der „Verschärfung" der Geschäftsordnung vorgeschlagen: a) Beschimpfungen sind schärfer zu ahnden b) Widerruf v o n Beleidigungen c) Verhinderung des Terrors bei Abstimmungen d) Mißbrauch der Vertrauens- u n d Mißtrauensanträge . . . vgl. Nr. 648, S. 3, der noch unveröffentlichten Protokolle der Zentrums-Fraktionssitzungen (eingesehen beim damaligen Protokollführer des Zentrum, M i n i ster a. D. August Wegmann, Oldenburg). 23 Darauf spielte w o h l der Abg. Dr. B e l l an, der f ü r die Antragsteller i m Reichstag erklärte: „Der Schutz der Minderheit u n d der Opposition darf nicht so w e i t getrieben werden, daß dadurch der Mehrheitswille lahmgelegt u n d folgeweise das Parlament aktionsunfähig gemacht w i r d . " U n d der Abgeordnete Lemmer (DSt) meinte beschwörend: „Die politischen Kräfte, die hinter diesem Staat stehen, haben die verdammte Pflicht u n d Schuldigkeit, diesen Staat aktionsfähig zu erhalten. Wenn der staatsverneinende Radikalismus glaubt, den Mechanismus unseres Staates lahmlegen zu können, dann haben w i r die Pflicht, uns gegen solche Obstruktionen des heutigen Staates m i t allen M i t t e l n zur Wehr zu setzen." R T (WRV) 5. Wahlp. 21 Sitzung 9. 2.1932, StenB Bd. 444, S. 793 A bzw. S. 817 A , B. 24 Die der eigentlichen Frage vorausgehende Sachverhaltsschilderung w a r oft lOmal so lang w i e die Frage selbst. Sie enthielt häufig hetzerische oder beleidigende Äußerungen u n d Deklamationen. Vgl. ζ. B. die am 3. 2.1931 (am Tage vor der Antragstellung) von Abgeordneten der N S D A P eingebrachte Interpellation, die m i t den Worten begann: „Seit Wochen u n d Monaten hetzen die marxistischen Parteien ganz offen zum Bürgerkrieg, w e i l sie befürchten, daß die nationalsozialistische Freiheitsbewegung auf legalem Wege i n den Besitz der politischen Macht i n den Gemeinden, i n den Ländern u n d i m Reich gelangen k ö n n t e . . . Durch die Rechtsprechung der Gerichte, die es z.B. fertigbringen, Nationalsozialisten wegen des Besitzes eines Schlagringes zu vielmonatiger Gefängnisstrafe zu verurteilen u n d Marxisten wegen M i t f ü h r u n g v o n Revolvern freizusprechen, w i r d dieser gesetzwidrige Zustand begünstigt u n d werden Nationalsozialisten geradezu für vogelfrei erklärt. 3*
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1. Kap.: Geschichtlicher Überblick
Diesem Mißbrauch suchten die Antragsteller durch ihren Ergänzungsvorschlag zu § 55 (und entsprechend § 60) GO entgegenzuwirken. Danach sollten Große und Kleine Anfragen nur noch Tatsachen enthalten dürfen, die zur Kennzeichnung der gewünschten Auskunft notwendig waren. Interpellationen und Kleine Anfragen, deren Texte über die Angabe des Sachverhaltes hinaus eine Beurteilung enthielten, sollten ebenso unzulässig sein, wie solche, durch deren Inhalt der Tatbestand einer strafbaren Handlung begründet wurde. Der Reichstagspräsident sollte Anfragen, die gegen diese Bestimmungen verstießen, zurückweisen können. Gegen seine Entscheidung war eine Beschwerdemöglichkeit an den Ältestenrat vorgesehen. I n der Reichstagsdebatte über diese Vorschläge, die, w e i l i n ihr auch über die anderen schwerwiegenden Geschäftsordnungsänderungen diskutiert wurde, äußerst turbulent war 2 5 , wehrten sich vor allem kommunistische, deutschnationale und nationalsozialistische Abgeordnete gegen die vorgesehene Einschränkung des Interpellationsrechtes. Ihren nicht i n allen Punkten ungerechtfertigten Argumenten 2 6 , die insbesondere u m die Beschränkung der Oppositionsrechte kreisten, entzogen sie allerdings schon dadurch den Boden, daß sie durch ihr ungezügeltes Auftreten und ihre diskriminierenden Schmähreden die Notwendigkeit der Einschränkung des Fragerechtes selbst demonstrierten. So äußerte der NSDAP-Abgeordnete Dr. Franck I I i n aufreizender Weise: „ W a r u m haben Sie denn Sorge, daß i n diesen Interpellationen irgendwelche Beleidigungen gegen ihre höchst werten Minister enthalten sein s o l l e n ! . . . W a r u m kommen heute i m politischen K a m p f die persönlichen Beleidigungen vor? Weil w i r heute den K a m p f führen müssen gegen Persönlichkeiten, denen man häufig n u r i n der Form einer Beleidigung die wirkliche Würdigung ihrer Person ins Gesicht schleudern k a n n 2 7 . "
Und auf das Verbot strafbarer Formulierungen i m Text der Interpellationen eingehend: „ W e n n w i r . . . i n der Form einer Interpellation irgendwie das landesverräterische Verhalten eines Ministers kritisieren, dann würde auch die Interpellation einen Landesverrat, d. h. einen strafbaren Tatbestand, enthalten. Dann müßten w i r also m i t der Möglichkeit rechnen, daß bei engherziger Auslegung, die w i r v o n Ihnen gewöhnt sind, diese Interpellation einfach nicht zugelassen w i r d . Das W i r fragen die Reichsregierung: Sind i h r diese an Anarchie grenzenden Verhältnisse, die, w e n n ihnen nicht Einhalt getan w i r d , zwangsläufig zu einer noch nicht dagewesenen Entladung der innenpolitischen Spannungen führen müssen, bekannt?" (RT [WRV] A n i . Bd. 449, Drucks. 691.) 25 Sie dürfte dem Protokoll nach viele Stunden lang gedauert haben, vgl. StenB Bd. 444, S. 781 - 828. 28 Vgl. z . B . die Einwendungen des Deutschnationalen Graef (Thüringen), insbes. gegen die Einschaltung des Ältestenrates, a.a.O., S. 800 C. 27 a.a.O., S. 805 B, C.
I V . Zusammenfassung
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zeigt wieder die Richtung der ganzen A n t r ä g e . . . Glauben Sie m i r : . . . unsere Interpellationen besagen n u r den rein sachlich wiedergegebenen Tatbestand. Dafür aber, daß dieser Tatbestand zum H i m m e l stinkt, können w i r nichts, dafür sind Sie verantwortlich. A l l e diese Anträge haben Sie n u r eingebracht, um, w i e wiederholt festgestellt, die Opposition i n diesem Hohen Hause restlos mundtot zu machen 2 8 ." T r o t z dieser l e i d e n s c h a f t l i c h e n A u s f ü h r u n g e n v o n l i n k s u n d rechts, n a h m e n die d e r R e g i e r u n g nahestehenden A b g e o r d n e t e n i n einer v o n der O p p o s i t i o n b o y k o t t i e r t e n A b s t i m m u n g 2 9 die vorgeschlagenen Geschäftso r d n u n g s ä n d e r u n g e n e i n s t i m m i g an 30 » 3 1 > 3 2 . 2 J a h r e später w u r d e n sie selbst — u n d d i e s m a l g e w o l l t u n d w i r k u n g s v o l l — p a r l a m e n t a r i s c h „ m u n d t o t " gemacht.
I V . Zusammenfassung Ü b e r b l i c k t m a n die Geschichte des p a r l a m e n t a r i s c h e n A n f r a g e r e c h t e s i n D e u t s c h l a n d b i s z u r E r s t i c k u n g des p a r l a m e n t a r i s c h e n L e b e n s u n t e r d e r H i t l e r - D i k t a t u r , so l ä ß t sich folgendes feststellen: Das I n t e r p e l l a t i o n s r e c h t h a t u r s p r ü n g l i c h eine verfassungsrechtliche G r u n d l a g e n i c h t gehabt, g l e i c h w o h l h a b e n die P a r l a m e n t e i n B e r l i n u n d F r a n k f u r t es v o n a l l e m A n f a n g a n f ü r sich i n A n s p r u c h g e n o m m e n . D i e einzelne A u s g e s t a l t u n g u n d H a n d h a b u n g dieses Rechtes h a t d a b e i j e w e i l s e i n e n s t a r k e n E i n f l u ß a u f die V e r f a s s u n g s w i r k l i c h k e i t gehabt. V o n d a h e r i s t es n i c h t e r s t a u n l i c h , daß b e i j e d e r A b ä n d e r u n g der Geschäfts28
StenB Bd. 444, S. 805 C, D. Vgl. dazu die Begründung des KP-Abgeordneten Stöcker, die auf die Demonstrationswirkung des Boykotts hinweist, a.a.O., S. 827 D. 30 Abstimmung: R T (WRV) 5. Wahlp. 21. Sitzung, 9. 2.1931, StenB Bd. 444, S. 827 D, 828 A . 31 Vgl. zu dieser GO-Änderung auch Schneider i n Festgabe f ü r R. Smend, a.a.O., S. 311. 32 Der § 55 über das Interpellationsrecht lautete jetzt folgendermaßen: „ I n t e r pellationen an die Reichsregierung sind dem Präsidenten schriftlich einzureichen. Sie müssen knapp u n d sachlich gefaßt u n d v o n 30 Mitgliedern unterzeichnet sein. Sie dürfen n u r Tatsachen enthalten, die zur Kennzeichnung der gewünschten A u s k u n f t notwendig sind. Interpellationen, durch deren I n h a l t der Tatbestand einer strafbaren Handlung begründet w i r d oder die parlamentarisch unzulässige Wendungen oder über die Angabe des Sachverhaltes hinaus eine Beurteilung enthalten, sind unstatthaft Der Präsident hat Interpellationen, die gegen die vorstehenden Bestimmungen verstoßen, zurückzuweisen. Über eine Beschwerde gegen die Entscheidung des Präsidenten entscheidet endgültig der Ä l t e s t e n r a t . . . Die Unterzeichner gelten als Interpellanten, soweit sie nicht als Unterstützer gekennzeichnet sind." I n § 60 (Kleine Anfrage) erhielten die beiden letzten Sätze folgende Fassung: „Sie müssen v o n 15 Mitgliedern unterstützt sein. I m übrigen gelten die Bestimmungen des § 55 Abs. 1 u n d 2." 29
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1. Kap. : Geschichtlicher Überblick
Ordnungsbestimmungen über das Fragerecht den Antragstellern von ihren Gegnern der V o r w u r f des Eingriffs i n die Verfassung gemacht wurde. Die höchste Bedeutung erreichte das parlamentarische Anfragerecht gegen Ende des Kaiserreiches. Durch die Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912, die die Möglichkeit der Verbindung von Interpellationen m i t Mißtrauensanträgen gegenüber dem Reichskanzler brachte und zusätzlich die Kleinen Anfragen einführte, wurden die Parlamentsrechte erheblich erweitert. Es wurde damals durch eine Geschäftsordnungsänderung de facto erreicht, was kurz zuvor i m Wege der förmlichen Verfassungsänderung nicht gelungen war, nämlich die Regierung gegenüber dem Parlament politisch verantwortlich zu machen. Die Einführung der Kleinen Anfragen i m Jahre 1912 ist darüber hinaus als Schaffung eines Kontrollrechtes für den einzelnen Abgeordneten von großer Bedeutung. Durch die Geschäftsordnungsregelung, die eine mündliche Beantwortung der Kleinen Anfragen vorsah und dem Fragesteller die Möglichkeit zu einer „Ergänzung" seiner Frage — also zu einer „Zusatz"» oder Vertiefungsfrage — einräumte, wurde schon damals eine A r t Fragestunde geschaffen, wie sie i n ganz ähnlicher Form rund 40 Jahre später i m Deutschen Bundestag — dann allerdings dem britischen Vorbild folgend — eingeführt worden ist. Die Entwicklung des Interpellationsrechtes und der Kleinen Anfragen unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung w i r d gekennzeichnet durch die Versuche der Regierung, diese Rechte der Zahl und dem Inhalt nach einzuschränken. Die Geschäftsordnung des Jahres 1922 ließ die Einbringung Kleiner Anfragen durch einzelne Abgeordnete nicht mehr zu und machte darüber hinaus die schriftliche A n t w o r t zur Regel. Sie schaffte damit die i m Kaiserreich faktisch geltende Fragestunde ab und ersetzte sie durch ein anders geartetes, weniger schlagkräftiges Kontrollinstrument. Die beschränkte Wiedereinführung der mündlichen Beantwortung Kleiner Anfragen i m Jahre 1929 erfolgte auf Wunsch der Regierung und erweiterte lediglich deren Rechte. Der Regierung wurde nämlich ein Wahlrecht zwischen schriftlicher und mündlicher Beantwortung gegeben; sie konnte ihr unangenehme Anfragen schriftlich beantworten und damit i n etwa i n der „Dunkelkammer der Bürokratie" 1 verschwinden lassen, während sie bei ihr genehmen Fragen mündlich vor dem Parlament und damit vor der Öffentlichkeit antworten konnte. Die Gefahr „bestellter" Anfragen wurde durch diese Geschäftsordnungsänderung erhöht. Gegen Ende der Weimarer Zeit wurden die Anfragen von Kommunisten und 1 So der deutschnationale Abg. Schultz (Bromberg) vor dem Reichstag, R T (WRV) StenB Bd. 424, S. 1589 C (21. 3.1929).
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Nationalsozialisten zunehmend zur öffentlichen Hetze und zur Obstruktion der Parlamentsarbeit mißbraucht. Dadurch sah sich die Parlamentsmehrheit gezwungen, parlamentarisch unzulässige Wendungen und wertende Stellungnahmen i m Text der Interpellationen und Kleinen Anfragen ausdrücklich für unzulässig zu erklären. Insgesamt gesehen ist die Entwicklung des Fragerechts i n der Weimarer Zeit nicht von der entscheidenden Bedeutung, die die letzten Jahre des Kaiserreiches ausgezeichnet hatte. Sie ist aber insofern wichtig, als sie deutlich macht, daß Interpellationen und Kleine Anfragen nicht nur ein bedeutsames M i t t e l zur „Herrschaft des Parlaments" 2 und zur Kontrolle der Exekutive sind, sondern bei mißbräuchlicher Ausnutzung auch zu einer Gefahr für Demokratie und Parlamentarismus werden können.
2 So schon bei der Zabern-Interpellation des Reichstages des Kaiserreiches i m Jahre 1913 der damalige Kanzler von Bethmann-Hollweg v o r dem Plenum, R T (KR) StenB Bd. 291, S. 6282 B.
Zweites
Kapitel
Geschäftsordnungsrecht u n d H a n d h a b u n g der Großen, K l e i n e n u n d M ü n d l i c h e n A n f r a g e n i m Deutschen Bundestag Der Deutsche Bundestag, der am 7. September 1949 zum ersten M a l zusammentrat, arbeitete zunächst nach der Geschäftsordnung des Deutschen Reichstages vom 31.12.1922. I n der 1. Bundestagssitzung hatte sich ein vorläufiger Geschäftsordnungsbeschluß konstituiert 1 , dessen Berichterstatter, der Abgeordnete Dr. von Brentano, dem Bundestag schon i n der 5. Sitzung, am 20. September 1949, die fast unveränderte „sinngemäße" Übernahme der alten Reichstags-Geschäftsordnung als vorläufige Geschäftsordnung für den Deutschen Bundestag empfohlen hatte 2 . Mehr als 2 Jahre lang arbeitete der Bundestag nach dieser vorläufigen Geschäftsordnung, die für das Anfragerecht zunächst keine Änderung gebracht hatte 3 » 4 . Erst i n der Sitzung am 6. 12. 1951 gab sich der Bundestag nach langen Vorüberlegungen und Beratungen i m Geschäftsordnungsausschuß5 eine endgültige Geschäftsordnung 6 , die zum 1. Januar 1952 i n K r a f t trat. Diese brachte für das parlamentarische Fragerecht als Neuerung die Einführung der Fragestunde 7 . Das Recht der Großen und 1 I h m gehörten je 3 Vertreter der CDU/CSU u n d der SPD, 2 Vertreter der F D P u n d je 1 Vertreter aller übrigen Fraktionen u n d Gruppen an; vgl. B T StenB I ( = 1. Wahlp.), S. 6 A . 2 B T StenB I, S. 19 C. 3 Z u den wenigen sonstigen Änderungen, vgl. B T Drucks. 1/18. 4 Schon bald ergab sich aber i n der Praxis eine Abweichung bei den Kleinen Anfragen, f ü r deren Einbringung m a n nicht mehr — w i e i m Reichstag — 15, sondern n u r noch 10 Unterschriften verlangte (vgl. § 60 des bundestagsinternen hektographierten Manuskripts der vorl. GO m i t dem Stand v o m 1. 8.1950). — Diese Abweichung erklärt sich durch die damalige Herabsetzung der Mindest fraktionsstärke auf 10 Abg. (gegenüber 15 i m RT) u n d w a r somit durch die „sinngemäße" Übernahme der R T - G O gedeckt. Die heute geltende B T - G O hat den Gedanken der Anpassung der K l e i n e n Anfragen an die Mindestfraktionsstärke i n den Wortlaut übernommen (vgl. § 110). 5 Vgl. dazu die umfangreichen unveröffentlichten B T - i n t e r n e n Materialienbände Bd. I u n d I I m i t insgesamt über 700 S. 6 B T Drucks. I 2550 zu 2550. Berichterstattung u n d Abstimmung: B T 1. Wahlp. 179. Sitz. (6.12.1951), StenB I, S. 7411 Β ff. 7 Vgl. dazu Berichterstatter Ritzel, B T StenB I , S. 7413.
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Kleinen Anfragen dagegen wurde gegenüber dem des Reichstages der Weimarer Republik nur unwesentlich verändert. Auch i n späteren Jahren — die Geschäftsordnung w i r d zu Beginn jeder neuen Wahlperiode i n der Regel fast unverändert übernommen — erfolgte keine Änderung bei den Großen und Kleinen Anfragen. Erst i m Zuge der kleinen Parlamentsreform i m Jahre 19698 und einer hauptsächlich redaktionellen Überarbeitung durch den Geschäftsordnungsausschuß i n den Jahren 1969/709 wurden einige kleine Veränderungen vorgenommen.
I. Große Anfragen 1. Abweichungen gegenüber den Geschäftsordnungsbestimmungen des Reichstages
Auffallend bei der Regelung der Großen Anfragen i n der Bundestagsgeschäftsordnung des Jahres 1951 ist zunächst eigentlich nur die Tatsache, daß dieses Kontrollmittel — trotz einer mehr als 100jährigen Parlamentstradition — nicht mehr als Interpellation bezeichnet wird. I m Weimarer Reichstag hatte man noch die Meinung vertreten, daß es sich bei den Interpellationen u m „mehr" als u m Anfragen, nämlich u m eine „öffentliche Auseinandersetzung m i t der Regierung" handle 1 . Den „ k r i tischen Beigeschmack" 2 , den das Wort Interpellation' enthalte, hielt man bei der Bezeichnung ,Anfrage' für nicht entsprechend wiedergegeben. — Der Deutsche Bundestag hat sich über diese Bedenken hinweggesetzt. Bei der Begründung der neuen Geschäftsordnung führte der Abg. Dr. Mende als Mitberichterstatter des Geschäftsordnungsausschusses i n seinem schriftlichen Bericht zu dieser Frage lediglich aus: „§ 103 (jetzt: § 105 — d. Verf.) entspricht m i t einer redaktionellen Änderung § 55 aGO. A n Stelle der Bezeichnung ,Interpellation' ist das deutsche Wort,Große A n frage' getreten 3 » 4 ." 8 Vgl. dazu B T Drucks. V/4373 u n d die Beschlußfassung v o m 18. 6.1969 i n StenB V/S. 13293 Β ff. sowie BGBl. 1969 I, S. 779. 9 Vgl. dazu B T Drucks. VI/521 u n d die Beschlußfassung v o m 6. 5.1970, StenB VI/S. 2497 D, 2498 A . Der Bundestagspräsident hatte zuvor m i t Schreiben vom 27.11.1969 den Vorsitzenden des Ausschusses gebeten, die Geschäftsordnung i n der seinerzeit geltenden Fassung i m Ausschuß überprüfen zu lassen, da i n i h r offenbar Widersprüche u n d Unstimmigkeiten enthalten seien u n d einige Bestimmungen m i t der ständigen Praxis nicht mehr i n Übereinstimmung stünden. 1 So Bericht des GO-Ausschusses v o m 26. 5.1922, R T (WRV) A n i . Bd. 374, Aktenstück Nr. 4411, S. 4867 C. 2 So schon Rosegger, Interpellationsrecht 1907, S. 14, vgl. auch Thamm, Diss., S. 12. 3 B T StenB I, S. 7449 Β (schriftl. Bericht).
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Eine weitere — und zwar materielle — Abänderung gegenüber der Reichstagsgeschäftsordnung erfolgte bei der Regelung der Besprechung von Großen Anfragen. Während hierfür früher ein Antrag von 50 A b geordneten erforderlich war, die Besprechung also gegenüber der Einbringung an erschwerte Voraussetzungen gebunden war, ließ die Bundestagsgeschäftsordnung vom Dezember 1951 für die Debatteeröffnung einen Antrag von nur 30 Abgeordneten genügend sein. Der Geschäftsordnungsausschuß hatte über diesen Punkt ausführlich diskutiert und war dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die gleiche Anzahl von A b geordneten, die eine Große Anfrage einbringen könnte, auch die Möglichkeit haben müsse, eine Debatte darüber herbeizuführen 5 . Vom Vertrauen i n eine vernünftige Handhabung des Anfragerechtes durch die Bundestagsabgeordneten spricht auch die Tatsache, daß eine Begründung der Großen Anfragen ausdrücklich für zulässig erklärt wird. Die noch 1931 i n die Reichstagsgeschäftsordnung aufgenommene Formulierung, wonach Interpellationen keinen strafbaren Inhalt, parlamentarisch unzulässige Wendungen oder unnötige Beurteilungen enthalten durften, ist nicht übernommen worden 6 . Auch die Unterscheidung zwischen Fragestellern und Unterstützern ist weggef allen. Eine weitere Nuancierung ist eingetreten bei der Ausschußüberweisung. Konnten früher nach § 57 GO RT die Interpellationen als solche zur Beratung an einen Ausschuß überwiesen werden, so w i r d nach der neuen Bundestagsgeschäftsordnung nicht die Große Anfrage selbst, sondern der bei der Beratung gestellte Antrag an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. 4 Diese redaktionelle Änderung t r i t t zum 1. M a l i n Erscheinung — ohne daß eine längere Diskussion darüber stattgefunden zu haben scheint — i n § 96 des Entwurfes f ü r eine endgültige GO v o m 27.11.1950, Mat. Bd. I , S. 258. 5 GO-Ausschuß, 1. Wahlp. Prot. d. 75. Sitz. (22.1.1951), Mat. Bd. I, S. 319. Vgl. den Wortlaut des Protokolls zu dem damaligen § 97 (heute 106): „ H i e r t r i t t der Ausschuß i n eine längere Diskussion darüber ein, ob das Recht, nach der Beantwortung der Großen Anfrage durch die Regierung, die Besprechung zu verlangen, v o n 50 oder v o n 30 Mitgliedern verlangt werden kann. Es w i r d ausgeführt, daß eine Große Anfrage von 30 Mitgliedern unterzeichnet werden muß u n d die gleiche A n z a h l auch das Recht haben müßte, die Besprechung der Anfrage zu verlangen. I m übrigen haben i m Zusammenhang m i t der Großen Anfrage 30 Mitglieder das Recht, bei der Besprechung einen A n t r a g zu stellen. Andererseits w i r d vermerkt, daß nicht die gleiche Anzahl v o n Abgeordneten, die die Große Anfrage einbringen, ihre Besprechung verlangen können dürfen, da dadurch i n der Praxis jede Große Anfrage besprochen werden kann, ohne daß es einer erhöhten Unterstützung durch 50 Mitglieder bedarf. Der Ausschuß beschließt gegen 2 Stimmen die Z a h l ,30' statt ,50' zu setzen." 6 Sie fehlt schon i n der vorläufigen Bundestagsgeschäftsordnung nach dem Stand v o m 1. 8.1950.
I.
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I m übrigen ist aber das Recht der Großen Anfragen durch die Geschäftsordnung des Jahres 1951 gegenüber der Weimarer Zeit nicht verändert worden. Eine Änderung der Geschäftsordnungsbestimmungen des Jahres 1951 über die Großen Anfragen erfolgte erst i m Jahre 1969. I m Zuge der Kleinen Parlamentsreform vom 18. Juni 19697 beschloß der Bundestag, die erforderliche Anzahl der Fragesteller bei den Großen Anfragen m i t W i r kung vom 1. Oktober 1969 an entsprechend der Fraktionsmindeststärke zu regeln 8 . Danach müssen Große Anfragen — ebenso wie die Kleinen Anfragen — von so viel Abgeordneten eingebracht werden, wie der Mindestfraktionsstärke entspricht. Das gleiche gilt für die Anträge, die bei der Beratung der Großen Anfragen gestellt werden 9 . Die Mindestfraktionsstärke ist durch Beschluß des Bundestages vom 27. März 196910 auf 5 Prozent der Mitglieder des Bundestages heraufgesetzt worden. Das sind derzeit 26 Abgeordnete. Durch eine weitere Geschäftsordnungsänderung vom Mai 1970 wurde festgelegt, daß die Große Anfrage vor der mündlichen Beratung i m Plenum von der Bundesregierung schriftlich zu beantworten ist 1 1 . 2. Das geltende Geschäftsordnungsrecht
I n dem Instrumentarium der Bundestagsgeschäftsordnung sind Große Anfragen das Mittel, das es gestattet, „von der Bundesregierung mündlich Aufklärung über wichtige politische Fragen zu verlangen, eine zeitlich nicht begrenzte Aussprache herbeizuführen und Anträge i m Zusammenhang m i t der Großen Anfrage zu stellen" 1 2 . Nach § 105 sind Große Anfragen von mindestens 30 18 — ab 1. 10. 1969 von mindestens so viel Abgeordneten, wie einer Fraktionsstärke entspricht — , schriftlich beim Bundestagspräsidenten einzureichen. Dabei 7
B T 5. Wp., 240. Sitzung, StenB V/S. 13293 Β ff. i . V . m . Drucks. V/4373. Die Begründung dafür lautete: „ A u f Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses hat der Deutsche Bundestag i n seiner 225. Sitzung v o m 27. 3.1969 das Quorum f ü r die B i l d u n g einer F r a k t i o n heraufgesetzt. Da das nunmehrige Quorum f ü r die B i l d u n g einer F r a k t i o n nahe an die Z a h l 30 herankommt, hielt es der Ausschuß f ü r sinnvoll, i n den Bestimmungen, i n denen ein Quorum von 30 Mitgliedern des Deutschen Bundestages festgelegt war, jeweils die Zahl 30 durch die Mindestfraktionsstärke zu ersetzen." (Drucks. V/4373 unter I I 2, S. 6.) 9 Drucks. V/4373, S. 21, N r . 25. 10 5. Wp. 225. Sitz., StenB V/S. 12363 D i. V. m. Drucks. V/40081. 11 Beschluß v o m 6. 5.1970, StenB VI/S. 2497 D, Bekanntmachung v o m 22. 5. 1970 i n BGBl. 1970 I, S. 626, § 106. 12 Trossmann, Parlamentsrecht, S. 149. 13 E i n Änderungsantrag der Kommunisten i m Geschäftsordnungsausschuß, Große Anfragen auch f ü r einzelne Abg. zuzulassen, wurde abgelehnt, GOAusschuß, 1. Wp., 124. Sitz (27.11.1951), S. 8. 8
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
müssen sie bestimmt gefaßt sein, können jedoch eine kurze schriftliche Begründung enthalten. I n der Adresse sind die Großen Anfragen an die Bundesregierung zu richten. Es ist somit nicht möglich, sie an einzelne Minister zu adressieren; vielmehr entscheidet die Bundesregierung selbst, wer für sie die Große Anfrage beantwortet 1 4 . Die beim Bundestagspräsidenten eingegangene Große Anfrage ist von diesem an die Bundesregierung weiterzuleiten m i t der Aufforderung, zu erklären, ob und wann sie antworten werde (§ 106). Der Geschäftsgang ist dann folgender: Der Präsident übersendet die Große Anfrage gem. § 6 Abs. 1 GGO I I 1 5 an das Bundeskanzleramt. Vom Bundeskanzleramt w i r d die Anfrage an das federführende Ministerium weitergeleitet, es sei denn, daß sie wegen ihrer politischen Bedeutung vom Bundeskanzler oder seinem Stellvertreter selbst beantwortet werden soll (§ 6 Abs. 1S. 2 GGO II). Ist die Bundesregierung — entweder der Kanzler oder der federführende Minister — zur Beantwortung an einem bestimmten Tage bereit, so hat sie ein dementsprechendes Schreiben an den Bundestagspräsidenten zu senden (§ 6 Abs. 4 GGO II). Dieser veranlaßt dann, wenn die schriftliche A n t w o r t vorliegt, daß die Große Anfrage auf die Tagesordnung gesetzt w i r d (§ 106 GO). Gehen Große Anfragen so zahlreich ein, daß sie die ordnungsgemäße Erledigung der Geschäfte gefährden, so kann der Bundestag nach § 109 GO die Beratung darüber auf einen bestimmten wöchentlichen Sitzungstag beschränken 16 . Wenn die Große Anfrage auf die Tagesordnung einer Plenarsitzung gesetzt ist, erhält zunächst einer der Anfragenden das Wort zur Begründung der Anfrage (§ 106 Abs. 3 GO). Darauf erteilt ein Mitglied der Bundesregierung mündlich die A n t w o r t 1 7 . Es folgt dann eine Aussprache 18 14 Trossmann, Parlamentsrecht, S. 149. Vgl. dazu auch Hennis, Der Deutsche Bundestag 1949 - 1965, i n : Der Monat, H. 21 (1966), S. 31, der diese Regelung aus rechtspolitischen Gründen stark kritisiert. — Verfassungsrechtlich ist diese Regelung dagegen nicht anzugreifen. 15 A l s GGO I I w i r d allgemein der besondere T e i l der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien bezeichnet. 16 Diese bestimmten wöchentlichen Sitzungstage w u r d e n i m Reichstag „Schwerintag" genannt, da diese Einrichtung v o n dem damaligen Präsidenten, Graf Schwerin, eingeführt worden ist — so der Abg. Löbe (SPD) i m Geschäftsordnungsausschuß (1. Wp., 75. Sitz., 22. 2.1951, Mat. Bd. I, S. 320). 17 Normalerweise w i r d die A n t w o r t v o m zuständigen Minister gegeben. Wegen der Vertretung der Bundesminister v o r dem Bundestag vgl. § 14 GO d. BReg. „ I s t ein Bundesminister verhindert, so w i r d er i n der Regierung durch den dazu bestimmten Bundesminister, als Leiter einer obersten Bundesbehörde durch den Staatssekretär oder bei dessen Behinderung durch die dazu bestimmten Beamten seines Ministeriums vertreten." Z u r rechtlichen Einordnung der GO d. BReg. als einer Verfassungssatzung vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt i m Bereich der Regierung, B e r l i n 1964, S. 116 ff. 18 Die Geschäftsordnung spricht grundsätzlich n u r v o n einer „Beratung" der Großen Anfragen, i n der Parlamentspraxis haben sich aber Ausdrücke wie „Aussprache" oder „Debatte" durchgesetzt.
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über die Antwort, wenn mindestens 30 — ab 1. 10. 1969 mindestens 26 — anwesende Abgeordnete das verlangen (§ 106 S. 4 GO). Finden sich nicht so viele Parlamentarier, die eine Debatte 1 8 fordern, so ist die Große Anfrage m i t der Beantwortung durch die Regierung erledigt. I m anderen Fall muß die Debatte 1 8 direkt i m Anschluß an die Beantwortung stattfinden und kann gegen den Willen der Anfragenden nicht vertagt werden 19 . Nach § 28 GO kann die Beratung einer Großen Anfrage m i t der anderer Beratungsgegenstände verbunden werden. Zulässig ist es weiterhin, zu einer Großen Anfrage Anträge einzubringen. Allerdings ist dies nur dann möglich, wenn eine Beratung der Großen Anfrage, d. h. eine Parlamentsdebatte, stattfindet und wenn die gestellten Anträge von mindestens 30 — ab 1. 10. 1969 von mindestens soviel Abgeordneten, wie einer Fraktionsstärke entspricht — unterstützt werden (§ 107 S. 1 GO). Für die Erledigung dieser Anträge bei der Besprechung von Großen Anfragen sieht die Geschäftsordnung drei Möglichkeiten vor: einmal die sofortige Beratung und Beschlußfassung über diese A n träge, zum anderen die Ausschußüberweisung und zum dritten die sofortige Beratung, aber Verschiebung der Abstimmung darüber auf den nächsten Sitzungstag (§ 107 S. 2 GO). Die Verschiebung der Abstimmung auf den nächsten Sitzungstag setzt einen Beschluß des Bundestages voraus. Soll die Abstimmung über den Antrag u m mehrere Sitzungstage verschoben werden, so ist dafür — da insoweit eine Abweichung von der Geschäftsordnung vorliegt — eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erbringen 2 0 . Für den Fall, daß die Bundesregierung überhaupt oder für die nächsten 2 Wochen 21 die Beantwortung einer Großen Anfrage ablehnt, sieht die Geschäftsordnung (§ 108 GO, § 6 Abs. 5 GGO II) folgendes Verfahren vor: 19 So zumindest nach einer Auslegung des GO-Ausschusses, 2. Wp., 30. Sitz., 10.12.1956: „Der Ausschuß stellte fest, daß eine Vertagung der Beratung der Großen Anfrage n u r i m Einverständnis m i t den Anfragenden erfolgen kann. I n der Beratung muß mindestens einem Redner der Anfragenden das Wort erteilt werden." Vgl. auch Lechner-Hülshoff, § 106 A n m . 3. § 30 Abs. 2 GO, demzufolge 30 anwesende Abgeordnete einen Vertagungsantrag stellen können, w i r d also insoweit eingeschränkt durch das Minderheitenrecht nach § 106, vgl. auch 36. - 40. Sitz, des GO-Ausschusses (2. Wp.) v o m 9. - 13. 7.1957. 20 So auch Trossmann, Parlamentsrecht, S. 51. 21 Die 2-Wochen-Frist des § 108 ist ebenso w i e die des § 110 I I 2 GO nach § 187 Abs. 1 B G B zu berechnen. Danach darf der Tag, an dem die Anfrage bei der Bundesregierung eingeht, nicht mitgerechnet werden. Die Frist beginnt erst am folgenden Tag u n d endigt m i t A b l a u f desjenigen Tages, der diesem i n der Benennung entspricht. Gemäß § 125 GO B T erfolgt die A n t w o r t der Bundesregierung noch rechtzeitig, w e n n sie am Tag nach Fristablauf gegeben w i r d .
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Der Bundestag kann i n einem solchen Fall die Große Anfrage von sich aus auf die Tagesordnung setzen. Auch ohne Ministerantwort kann dann über den Gegenstand der Anfrage beraten werden, wenn sich mindestens 30 — ab 1. 10. 1969 mindestens soviel Abgeordnete, wie einer Fraktionsstärke entspricht — dafür aussprechen. Vor der Beratung erhält — wie auch sonst — einer der Anfragenden das Wort zur Begründung. Bei der Debatte kann nach A r t . 43 GG die Anwesenheit von Regierungsmitgliedern verlangt werden. 3. Einzelheiten aus der Praxis
Die i n vielen Punkten aus der Reichstagsgeschäftsordnung übernommene Regelung des Rechtes der Großen Anfragen hat sich i m Bundestag bewährt. Wo sich Schwierigkeiten ergaben, haben sie sich i n 15jähriger parlamentarischer Übung mehr oder weniger von selbst erledigt. Lästig war zunächst die von der Geschäftsordnung vorgeschriebene Unterzeichnung der Großen Anfragen durch 30 Abgeordnete. Schon bald aber nach Inkrafttreten der neuen Geschäftsordnung vertrat der Geschäftsordnungsausschuß die Ansicht, daß bei den größeren Fraktionen die Unterschrift eines Abgeordneten mit dem Zusatz „und Fraktion" als ausreichend angesehen werden müsse 22 · 23 . Diese Auffassung hat sich i n der Praxis lange durchgesetzt, zumal die Großen Anfragen — worauf später einzugehen sein w i r d — normalerweise eben von ganzen Fraktionen und nur selten von interfraktionellen oder sonstigen Abgeordnetengruppen eingebracht werden. Fast kein Gebrauch gemacht w i r d i n der Praxis von der i n § 106 S. 2 GO vorgesehenen Möglichkeit, wonach die Bundesregierung dem Bundestagspräsidenten einen bestimmten Sitzungstag vorschlagen kann, an dem sie zur Beantwortung der an sie gerichteten Großen Anfrage bereit sei. Normalerweise teilt die Bundesregierung dem Bundestagspräsidenten nur ihre generelle Bereitschaft zur Beantwortung mit, oder sie gibt den Zeitpunkt an, von dem an sie i n der Lage ist, die A n t w o r t zu erteilen. I m Ältestenrat w i r d dann vereinbart, wann die Große Anfrage auf die Tagesordnung gesetzt w i r d 2 4 . Die mündliche A n t w o r t der Bundesregierung w i r d schon seit Jahren i n der Regel 1 - 3 Tage vor der Debatte schriftlich veröffentlicht 2 5 — seit Mai 1970 ist dies nun auch i n § 106 GO ausdrücklich vorgeschrieben —, 22 GO-Ausschuß, 1. Wp., 132. Sitz. (24.1.1952) u n d 135. Sitz. (9. 2.1952) i m Hinblick auf selbständige Anträge nach § 97 GO. 23 Bei kleinen Fraktionen mußten zu der Unterschrift „ X u n d Fraktion" noch weitere Unterschriften hinzugefügt werden, bis die notwendige Z a h l 30 erreicht war. Nach dem 1.10.1969 ist diese Unterscheidung gegenstandslos. 24 Trossmann, Parlamentsrecht, S. 149.
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die Parteien geben bereits vorher an, welches ihre Hauptsprecher sein werden. Die i n § 109 der Geschäftsordnung vorgesehene mögliche Beschränkung der Beratung von Großen Anfragen, die wohl noch auf die zeitweilig schlechten Erfahrungen i m Kaiserreich und i n der Weimarer Republik zurückzuführen ist, hat sich i n der Praxis des Deutschen Bundestages bisher als überflüssig erwiesen. Das Parlament hatte bis jetzt keinen Anlaß, von dieser Beschränkungsmöglichkeit wegen zu zahlreich eingehender Großer Anfragen Gebrauch zu machen. Auch die Regelung des Verfahrens für den F a l l der Ablehnung einer Beantwortung durch die Bundesregierung ist bis zum heutigen Tage erst ein einziges Mal bedeutsam geworden. Als wichtig erwies sich i n der Praxis die Bestimmung des § 107 GO, die die Überweisung von Anträgen an die einzelnen Ausschüsse regelt. Die vorläufige Geschäftsordnung hatte hier wiederholt zu Schwierigkeiten Anlaß gegeben, da sie vorsah, daß die Interpellationen als solche — und nicht die gestellten Anträge — an die Ausschüsse zu überweisen seien. Die Ausschüsse hatten geschäftsordnungsmäßig aber nicht die Möglichkeit, auf Grund einer ihnen überwiesenen Interpellation einen Antrag zu formulieren 2 6 . Diesem Übel hat die neue Geschäftsordnung durch die klare Formulierung des § 107 abgeholfen. I n der Parlamentspraxis w i r d von der Möglichkeit der Antragstellung und der Überweisung dieser Anträge an die Ausschüsse lebhaft Gebrauch gemacht. 4. Große Anfragen — selbständige Anträge — Mißtrauensvoten
Zu unterscheiden sind die Großen Anfragen und die Anträge bei Großen Anfragen von den selbständigen Anträgen nach § 97 GO. Diese zerfallen i n 2 Gruppen, nämlich i n die Anträge, die einen Gesetzentwurf enthalten und solche, die keinen Gesetzentwurf enthalten. Unter letzteren sind Anträge materiellen Inhalts zu verstehen, die formell i n keinem Zusammenhang m i t einem anhängigen Beratungsgegenstand stehen und die daher selbständig auf der Tagesordnung erscheinen. I h r Gegenstand 25 Vgl. ζ. B. die Meldung der F A Z v o m 11.11.1969, S. 1: „ A m M i t t w o c h w i r d der Bundestag über eine Unterzeichnung des Atomsperrvertrages durch die Bundesregierung hart u n d lang debattieren. M a n rechnet m i t einer viele Stunden dauernden Aussprache über die am M o n t a g v e r ö f f e n t l i c h t e A n t w o r t der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Opposition zu diesem Thema. Die ersten Sprecher der Opposition werden die Abgeordneten Birrenbach u n d Stoltenberg sein." (Sperr, v. Verf.) 26 Vgl. zu diesen Schwierigkeiten, BT-Präsident Dr. Ehlers i m Plenum am 10. 5. u n d 26. 9.1951, B T StenB I/S. 5604 Β u n d S. 6649 B. Seit der kleinen Parlamentsreform v o m J u n i 1969 können sich die Ausschüsse auch v o n sich aus, d. h. ohne Überweisung durch das Plenum, m i t einzelnen Themen beschäftigen.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
sind i n der Regel Ersuchen an die Bundesregierung und insofern haben sie Ähnlichkeit m i t den Großen Anfragen. Der Unterschied w i r d aber ersichtlich aus der Eingangsformel der selbständigen Anträge. Diese müssen nämlich m i t den Worten beginnen: „Der Bundestag wolle beschließen." Selbständige Anträge sind also auf einen Beschluß des Bundestages gerichtet. Nach der Begründung durch einen der Antragsteller und einer Aussprache i m Plenum 2 7 kann ein Mehrheitsbeschluß gefaßt werden, i n dem die Bundesregierung u m eine Auskunft oder bestimmte Handlung ersucht wird. Demgegenüber sind Große Anfragen nicht auf einen Beschluß des Bundestages, sondern direkt auf eine A n t w o r t der Bundesregierung gerichtet. Diese A n t w o r t kann dann allerdings — unter den oben genannten Voraussetzungen — i m Plenum diskutiert werden. Ging es kleineren Gruppen von Abgeordneten vor allem darum, eine öffentliche Debatte oder einen Parlamentsbeschluß über einen bestimmten Punkt herbeizuführen, so wählte sie dafür — zumindest bis zum Jahre 1969 — besser das M i t t e l des selbständigen Antrages. Denn dieser bedarf grundsätzlich nur der Unterschrift von soviel Abgeordneten, als zur Bildung einer Fraktion erforderlich sind — bis zum 27. 3. 1969 waren das lediglich 15 Abgeordnete — ; außerdem kann er sofort beraten werden, auch wenn er nicht auf der Tagesordnung steht und selbst wenn er nicht einmal gedruckt vorliegt (§ 99 Abs. 1 und 2 GO). Durch einen selbständigen Antrag kann also eine Gruppe von soviel Abgeordneten, wie der Fraktionsmindeststärke entspricht, i n kürzester Zeit eine Debatte i m Plenum herbeiführen und — bei Unterstützung durch die Mehrheit des Hauses — die Bundesregierung auch — wie bei den Großen Anfragen — zu Auskünften über bestimmte Fragen veranlassen 28 . 27 Möglich — u n d i n der Praxis häufig u n d bedeutungsvoll — ist auch die Ausschußüberweisung, vgl. § 97 GO. Z u weiteren Einzelheiten, s. Trossmann, Parlamentsrecht, S. 227 f. 28 Der Unterschied zwischen Großer Anfrage u n d selbständigem A n t r a g hat einmal den GO-Ausschuß des Bundestages ausführlich beschäftigt. Anlaß daf ü r w a r ein v o n der F r a k t i o n der Föderalistischen U n i o n (Zusammenschluß v o n Bayernpartei u n d Zentrum m i t insgesamt 21 Abg.) am 9.1.1952 unter Drucks. 1/2976 eingebrachter A n t r a g folgenden Inhalts: „Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung w i r d aufgefordert, den Bundestag über Grundsätze u n d Richtlinien zu unterrichten, nach denen über die Frage des deutschen Verteidigungsbeitrages u n d dessen Kosten zur Zeit verhandelt w i r d . " Der DP-Abg. Ewers meinte hierin eine Große Anfrage sehen zu müssen, auf die die Bundesregierung erst später zu antworten brauche. Z u r Diskussion u m diesen P u n k t vermerkt das Ausschußprotokoll folgendes: „ I n der Diskussion w i r d festgestellt, daß der Unterschied zwischen einer Großen Anfrage u n d einem A n t r a g nicht immer k l a r getrennt werden kann. Eine Große Anfrage sei ein Minderheitsrecht v o n 30 Abgeordneten, die auch erst
II.
l e
Anfragen
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V o n d e n s e l b s t ä n d i g e n A n t r ä g e n s i n d die A n t r ä g e z u unterscheiden, die nach § 107 G O b e i d e r B e r a t u n g v o n G r o ß e n A n f r a g e n g e s t e l l t w e r d e n k ö n n e n . Diese s i n d — anders als die selbständigen A n t r ä g e — akzessorischer N a t u r u n d h a b e n deshalb d e n C h a r a k t e r v o n E n t s c h l i e ß u n g s anträgen29. M i ß t r a u e n s v o t e n 3 0 gegen d e n B u n d e s k a n z l e r k ö n n e n i n d e r F o r m dieser Entschließungsanträge zu Großen A n f r a g e n nicht eingebracht werden, s o n d e r n n u r als selbständige A n t r ä g e . D e n n d a die G e s c h ä f t s o r d n u n g die R e g e l u n g des M i ß t r a u e n s v o t u m s (§ 98) zwischen d e r B e s t i m m u n g ü b e r selbständige A n t r ä g e (§ 97) u n d d e n V o r s c h r i f t e n ü b e r d e r e n B e r a t u n g (§ 99) a u f g e n o m m e n h a t , i s t m i t T r o s s m a n n 3 1 d a v o n auszugehen, daß diese M i ß t r a u e n s v o t e n n u r i n d e r F o r m eines s e l b s t ä n d i g e n A n t r a g s eingeb r a c h t w e r d e n k ö n n e n . A u ß e r d e m geht aus § 98 A b s . 2 S. 2 G O h e r v o r , daß e i n M i ß t r a u e n s v o t u m a u f der T a g e s o r d n u n g stehen m u ß . Das i s t b e i A n t r ä g e n z u G r o ß e n A n f r a g e n jedoch gerade n i c h t d e r F a l l .
I I . K l e i n e Anfragen 1. Die Entwicklung zur geltenden Geschäftsordnungsbestimmung Ü b e r die A u s g e s t a l t u n g des Rechtes der K l e i n e n A n f r a g e n i s t i m O r ganisations- u n d i m Geschäftsordnungsausschuß des Bundestages b i s z u m I n k r a f t t r e t e n der neuen Geschäftsordnung eingehend diskutiert w o r d e n 1 . A n l a ß u n d G r u n d d a f ü r w a r die Tatsache, daß m a n n a c h engdiskutiert werden kann, w e n n die Regierung zur Beantwortung aufgefordert worden ist u n d die Anfrage dann auf der Tagesordnung steht, während ein A n t r a g schon v o n 15 Mitgliedern des Bundestages eingebracht u n d als solcher i m Plenum diskutiert werden kann, jedoch zur Verabschiedung eines Beschlusses (führt), d. h. der Zustimmung einer Mehrheit des Hauses bedarf. I m übrigen stände bei der Beratung des Antrages — Drucks. Nr. 2976 — nicht der Verteidigungsbeitrag selbst, sondern n u r der A n t r a g m i t dem Ersuchen an die Regierung zur Unterrichtung des Bundestages zur Debatte." GO-Aussch., 1. Wp., 29 Vgl. (24.1.1952). dazu Trossmann, Parlamentsrecht, S. 91/92: „Entschließungsanträge 132. Sitz. sind Anträge v o n Mitgliedern des Hauses, die zu einem Tagesordnungspunkt eingebracht werden u n d darauf abzielen, die Auffassungen u n d die Wünsche des Hauses zu diesem Beratungsgegenstand zum Ausdruck zu bringen, ohne eine rechtlich bindende sachliche Entscheidung zu treffen . . . V o n selbständigen Anträgen, die keinen Gesetzentwurf enthalten, unterscheiden sie sich nicht durch den Inhalt, sondern durch ihren akzessorischen Charakter." 80 V o n den Mißtrauensvoten zu unterscheiden sind die einfachen M i ß b i l l i gungsanträge, deren Zulässigkeit i m Bundestag umstritten ist, die aber unbestritten eine rechtliche W i r k u n g nicht entfalten. H ä l t m a n sie f ü r zulässig, so können sie als Entschließungsanträge zu Großen Anfragen eingebracht werden. 31 Parlamentsrecht, S. 150. 1 Vgl. insbesondere die 6. Sitzung des Organisationsausschusses am 29.11. 1949, Mat. Bd. I, S. 30 b u n d 30 c sowie folgende Sitzungen des Geschäftsordnungsausschusses : 4 Witte
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
l i s c h e m V o r b i l d eine F r a g e s t u n d e i m deutschen P a r l a m e n t e i n f ü h r e n w o l l t e u n d zunächst m e i n t e , dies m i t e i n e r U m g e s t a l t u n g des Rechtes der K l e i n e n A n f r a g e n e r r e i c h e n z u k ö n n e n 2 . I m E r g e b n i s h a t m a n sich a l l e r d i n g s d a n n doch d a z u entschieden, die F r a g e s t u n d e als neues p a r l a m e n t a r i s c h e s I n f o r m a t i o n s - u n d K o n t r o l l i n s t r u m e n t n e b e n die G r o ß e n u n d K l e i n e n A n f r a g e n z u stellen. Das Recht d e r K l e i n e n A n f r a g e n i s t d e m e n t s p r e c h e n d i n d e r a m 6. 12. 1951 beschlossenen G e s c h ä f t s o r d n u n g des Bundestages gegenüber d e n i m Reichstag g e l t e n d e n B e s t i m m u n g e n e n d g ü l t i g n u r u n w e s e n t l i c h verändert worden 3. N a c h w i e v o r sah die G e s c h ä f t s o r d n u n g die K l e i n e n A n f r a g e n als e i n M i t t e l v o r , das es e i n e r k l e i n e r e n G r u p p e v o n A b g e o r d n e t e n gestattete, v o n d e r R e g i e r u n g s c h r i f t l i c h A u s k u n f t ü b e r b e s t i m m t bezeichnete T a t sachen 4 z u v e r l a n g e n . N e u w a r l e d i g l i c h , daß die K l e i n e n A n f r a g e n n i c h t m e h r d e r G e s c h ä f t s o r d n u n g z a h l e n m ä ß i g genau angegebenen A b g e o r d n e t e n eingebracht w e r d e n m u ß t e n 5 , s o n d e r n daß liche Z a h l der F r a g e s t e l l e r i n R e l a t i o n z u r F r a k t i o n s s t ä r k e den w a r 6 :
v o n einer i n Anzahl von die e r f o r d e r gesetzt w o r -
35. Sitz. (10. 5.1950), Mat. Bd. I, S. 186 75. Sitz. (22. 2.1951), Mat. Bd. I, S. 320 98. Sitz. (11. 6.1951), Mat. Bd. I I , S. 401 100. Sitz. (19. 6.1951), Mat. Bd. I I , S. 404 109. Sitz. (13. 7.1951), Mat. Bd. I I , S. 451 110. Sitz. (14. 7.1951), Mat. Bd. I I , S. 457. 2 So v o r allem i n der 6. Sitzung des Organisationsausschusses am 29.11.1949, Mat. Bd. I, S. 30 b u n d 30 c; vgl. zu diesem P u n k t i m übrigen die unter I I I folgenden Ausführungen über die Einführung der Fragestunde. 3 Vgl. dazu auch den schriftlichen Bericht des Mitberichterstatters des GOAusschusses, des Abg. Dr. Mende, B T StenB I/S. 7449 C. Die endgültige Formulierung ist i m wesentlichen auf einen SPD-Antrag v o m 6.11.1951 (BT Drucks. 1/ zu 2550, S. 31) zurückzuführen. 4 E i n A n t r a g der F D P - F r a k t i o n v o m 16.12.1949 (BT Drucks. 1/347), Kleine Anfragen auch über „gesetzgeberische Absichten der Bundesregierung" zuzulassen, hat sich i m Ergebnis nicht durchgesetzt, d. h., ist zumindest nicht i n den Wortlaut aufgenommen worden. 5 Genau genommen w u r d e n sie bis dahin eigentlich von einzelnen Abgeordneten gestellt u n d lediglich durch 15 (im Reichstag) bzw. 10 (im Bundestag) weitere Abgeordnete unterstützt. Da die Unterscheidung zwischen Fragestellern u n d Unterstützern aber praktisch überflüssig war, hat sie der Bundestag — genau w i e bei den Großen Anfragen — nicht übernommen. 6 Bei der 1. Beratung der neuen GO i m GO-Ausschuß hatte m a n beschlossen, die bis dahin notwendige Unterstützung jeder Kleinen Anfrage durch 10 Abgeordnete wegfallen zu lassen u n d die Kleine Anfrage als schriftliches — i m Gegensatz zur Fragestunde als mündliches — Informationsmittel f ü r jeden einzelnen Abgeordneten zuzulassen (GO-Ausschuß, 1. Wp., 75. Sitz., 22. 2.1951, Mat. Bd. I/S. 320). Bei der 3. Beratung (110. Sitz., 14. 7.1951, Mat. Bd. II/S. 454) jedoch erscheint dann i m Protokoll — ohne Angabe v o n Gründen — die heute geltende Formulierung, wonach n u r soviel Abgeordnete, als einer Fraktions-
I I . Kleine Anfragen
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„Mitglieder des Bundestages i n einer Zahl, die einer Fraktionsstärke entspricht 7 , k ö n n e n . . . A u s k u n f t i n Kleinen Anfragen verlangen." D i e i m Reichstag 1929 e i n g e f ü h r t e u n d i m B u n d e s t a g d u r c h die v o r läufige G e s c h ä f t s o r d n u n g zunächst ü b e r n o m m e n e B e s t i m m u n g , w o n a c h die R e g i e r u n g die K l e i n e n A n f r a g e n — w e n n sie es w o l l t e — auch m ü n d l i c h b e a n t w o r t e n k o n n t e , i s t 1951 n i c h t ü b e r n o m m e n w o r d e n . A l l e r d i n g s f ü h r t e m a n d a m a l s eine neue u n d bis h e u t e g ü l t i g e R e g e l u n g ein, w o n a c h j e d e r der F r a g e s t e l l e r , der m i t der s c h r i f t l i c h e n B e a n t w o r t u n g einer K l e i n e n A n f r a g e n i c h t z u f r i e d e n ist, diese F r a g e i n der F r a g e s t u n d e e r n e u t v o r b r i n g e n k a n n . A u c h d a n n , w e n n eine K l e i n e A n f r a g e n i c h t i n n e r h a l b v o n 14 T a g e n b e a n t w o r t e t w o r d e n ist, k a n n sie f ü r die F r a g e s t u n d e e r n e u t eingebracht w e r d e n . I n s g e s a m t l a u t e t e § 110 G O ü b e r die K l e i n e n A n f r a g e n b i s z u m J a h r e 1970 w i e f o l g t : „(1) Mitglieder des Bundestages i n einer Zahl, die einer Fraktionsstärke entspricht, können v o n der Bundesregierung A u s k u n f t über bestimmt bezeichnete Tatsachen i n K l e i n e n Anfragen verlangen. Die Fragen sind dem Präsidenten m i t kurzer Begründung schriftlich einzureichen. (2) Der Präsident setzt die zugelassenen Fragen auf die Tatgesordnung, sobald die Bundesregierung zur Beantwortung bereit ist. Ist der Abgeordnete m i t der schriftlichen Beantwortung nicht zufrieden oder erfolgt keine Beantwortung innerhalb v o n 14 Tagen, so k a n n er seine Frage i n der Fragestunde erneut vorbringen 8 ." stärke entspricht, eine Kleine Anfrage einbringen können. Damit w a r die Kleine Anfrage nicht n u r durch die Schriftlichkeit des Verfahrens, sondern auch durch die Vielzahl der Fragesteller von der Mündlichen Anfrage i n der Fragestunde abgegrenzt. 7 Die Mindestfraktionsstärke betrug lange Zeit 15 Abg., vgl. dazu B T - B e schluß v o m 26.10.1965. Durch Beschluß des Bundestages v o m 27. 3.1969 (StenB V/S. 12363 D i. V. m. Drucks. V/4008) ist sie heraufgesetzt worden auf mindestens 5 Prozent der Mitglieder des Bundestages. Das sind derzeit 26 Abgeordnete. β Die Formulierung: „ I s t d e r Abgeordnete m i t der schriftlichen Beantwortung nicht zufrieden, . . . so k a n n er s e i n e Frage i n der Fragestunde erneut vorbringen", schien fälschlicherweise noch davon auszugehen, daß Kleine A n fragen w i e i m Reichstag u n d zunächst i m Bundestag n u r von einem Abgeordneten gestellt u n d durch andere Abgeordnete lediglich unterstützt werden. Dieser einzelne Fragesteller allein könnte dann seine Kleine Anfrage i n der Fragestunde erneut vorbringen. Eindeutig i n diesem Sinne: GO-Ausschuß, 1. Wp., Prot, der 100. Sitz., S. 4, Mat. Bd. I I , S. 404; ebenso: Ritzel-Koch, § 110 A n m . 1 f.: „Die Frage k a n n i n der Fragestunde erneut vorgebracht werden, wenn d e r Anfragende m i t der schriftlichen Beantwortung nicht zufrieden ist." Sehr mißverständlich auch Dr. Mende als Mitberichterstatter des GO-Ausschusses: „Neu ist, daß der einzelne Abgeordnete die Frage i n der Fragestunde erneut vorbringen kann, w e n n er m i t der Beantwortung nicht zufrieden i s t . . . Hier ist eine U n t e r s t ü t z u n g durch weitere Abgeordnete nicht notwendig"; B T StenB I/S. 7449 C (Sperr, v. Verf.). I n W i r k l i c h k e i t w a r w o h l gemeint u n d gewollt, daß jeder der mindestens 15 Fragesteller die Frage i n der Fragestunde erneut vorbringen kann. So auch Trossmann, Parlamentsrecht, S. 168. 4*
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Diese Formulierung der Geschäftsordnung gab von Anfang an die i m Bundestag herrschende und allgemein gebilligte Übung des Rechtes der Kleinen Anfragen nur unvollkommen wieder. I n der Praxis wurden die Kleinen Anfragen entgegen dem Text der Geschäftsordnung nicht auf die Tagesordnung von Plenarsitzungen gesetzt, sondern i n einem rein schriftlichen Verfahren 9 — die A n t w o r t wurde als Drucksache an die Parlamentarier verteilt — erledigt. Gemäß einer Vereinbarung i m Ältestenrat aus dem Jahre 195010 wurde lediglich i n den amtlichen Mitteilungen, die ohne Verlesung i n den stenographischen Sitzungsbericht des Plenums aufgenommen werden, bekanntgegeben, daß die schriftliche A n t w o r t der Bundesregierung eingegangen ist und unter welcher Drucksachennummer sie verteilt ist 1 1 . Bei dieser Parlamentsübung war es nur folgerichtig, wenn der Geschäftsordnungsausschuß schon gegen Ende der 2. Wahlperiode vorschlug, den Abs. 2 S. 1 des § 110 GO i n Anpassung an die Praxis wie folgt neu zu fassen: „(2) Die A n t w o r t der Bundesregierung erfolgt schriftlich. Sie w i r d als Drucksache an die Abgeordneten verteilt u n d als amtliche M i t t e i l u n g ohne Verlesung i n den stenographischen Bericht aufgenommen 1 2 ."
Über diesen Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses ist allerdings i m Plenum nicht abgestimmt worden; er ist sinngemäß erst bei der Neufassung des § 110 i m Jahre 1970 wieder aufgegriffen worden. I n der Praxis hielt man sich auch nicht streng an die Bestimmung, daß i n Kleinen Anfragen nur über „bestimmt bezeichnete Tatsachen" Auskunft verlangt werden kann: auch Kleine Anfragen, die sich nicht auf Tatsachen bezogen, wurden zugelassen. 2. Die Neufassung des § 110 im Jahre 1970
Wegen der Widersprüchlichkeit zwischen Geschäftsordnungsregelung und tatsächlicher Handhabung der Kleinen Anfragen schlug der Geschäftsordnungsausschuß des 6. Deutschen Bundestages i m Frühjahr 1970 i m Zuge der Neufassung der Geschäftsordnung 13 folgende Neufassung des § 110 GO vor, die vom Plenum einstimmig gebilligt 1 4 wurde: „(1) Soviel Mitglieder des Bundestages, w i e einer Fraktionsstärke entspricht, können v o n der Bundesregierung Auskunft über bestimmt bezeichnete 9
So schon GO-Ausschuß, 1. Wp., 100. Sitz. (19. 6.1951), Mat. Bd. I I , S. 404. Vereinbarung v o m 23. 2.1950 (vgl. dazu neuerdings: Drucks. VI/521, S. 6). 11 Vgl. dazu auch § 8 GGO I I . 12 GO-Ausschuß, 2. Wp., 36. - 40. Sitz. (9. - 13. 7.1957), Lechner-Hülshoff, § 110 A n m . 1. 13 Über den Anlaß zu dieser Neufassung, vgl. 2. Kapitel, A n m . 5. 14 Beschlußfassung v. 6. 5.1970, StenB VI/S. 2497 D, 2498 A . 10
II.
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Anfragen
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Bereiche i n Kleine Anfragen verlangen. Die Fragen sind dem Präsidenten schriftlich einzureichen; sie können kurz begründet werden. (2) Der Präsident teilt der Bundesregierung die Fragen m i t u n d fordert sie auf, die Fragen schriftlich zu beantworten. Sind die Fragesteller m i t der Beantwortung nicht zufrieden oder erfolgt keine Beantwortung innerhalb v o n vierzehn Tagen, so können die Fragesteller ihre Fragen als Mündliche Anfragen nach den Richtlinien f ü r die Fragestunde (§ 111) oder als Große Anfragen (§ 106) an die Bundesregierung r i c h t e n 1 5 » 1 6 . " Diese N e u f a s s u n g des § 110 G O g i b t die seit l a n g e m geübte H a n d h a b u n g der K l e i n e n A n f r a g e n g u t w i e d e r . N e u e i n g e f ü h r t i s t m i t i h r die B e s t i m m u n g , daß u n z u r e i c h e n d oder n i c h t r e c h t z e i t i g b e a n t w o r t e t e K l e i n e A n f r a g e n n i c h t n u r als M ü n d l i c h e , s o n d e r n auch als Große A n f r a g e n e r n e u t a n d i e B u n d e s r e g i e r u n g gerichtet w e r d e n k ö n n e n 1 7 . D i e V o r s c h r i f t , daß n u r „ v o n der B u n d e s r e g i e r u n g " A u s k u n f t i n K l e i n e n A n f r a g e n v e r l a n g t w e r d e n k a n n , w i r d i n der P r a x i s n i c h t i m m e r s t r e n g beachtet: auch K l e i n e A n f r a g e n , die d i r e k t a n d e n z u s t ä n d i g e n Bundesminister gerichtet w u r d e n , sind bisher beantwortet w o r d e n 1 8 . 3. Zusammenfassung F a ß t m a n Geschäftsordnungsrecht u n d P a r l a m e n t s p r a x i s b e i d e n K l e i n e n A n f r a g e n zusammen, so l ä ß t sich folgendes feststellen: I n K l e i n e n A n f r a g e n k ö n n e n soviel Abgeordnete, w i e der jeweiligen F r a k t i o n s m i n d e s t s t ä r k e e n t s p r i c h t , v o n der B u n d e s r e g i e r u n g A u s k u n f t ü b e r b e s t i m m t e bezeichnete Bereiche v e r l a n g e n . D i e K l e i n e n A n f r a g e n w e r d e n s c h r i f t l i c h eingereicht u n d s c h r i f t l i c h b e a n t w o r t e t . D i e s c h r i f t liche A n t w o r t d e r B u n d e s r e g i e r u n g w i r d als Drucksache a n die A b g e o r d n e t e n v e r t e i l t . A u f d e r T a g e s o r d n u n g v o n P l e n a r s i t z u n g e n erschein e n die K l e i n e n A n f r a g e n — i m Gegensatz zu d e n G r o ß e n u n d M ü n d 15
BGBl. 1970 I, S. 627. Die Begründung des Ausschusses zu dieser Neuformulierung lautet wie folgt: „ I n Absatz 1 schlägt der Ausschuß vor, das W o r t »Tatsachen4 durch das W o r t gereiche 4 zu ersetzen, da sich die Anfragen nicht i m m e r auf Tatsachen beziehen müssen bzw. beziehen können. I n Satz 2 empfiehlt der Ausschuß, von der bisherigen Verpflichtung zu einer kurzen Begründung abzusehen, da es Fragen gibt, die keiner Begründung bedürfen, sich vielmehr aus sich selbst verstehen. Die Neufassung des Absatzes 2 geht auf die Vereinbarung i m Ältestenrat v o m 23. Februar 1950 zurück, wonach lediglich i n den amtlichen Mitteilungen, die ohne Verlesung i n den Stenographischen Bericht aufgenommen werden, bekanntzugeben ist, daß die A n t w o r t der Bundesregierung eingegangen ist u n d unter welcher Drucksachennummer sie verteilt w i r d . Die Beibehaltung der Frist soll dem anfragenden M i t g l i e d des Bundestages die Möglichkeit einräumen, nach Verstreichen der Frist zu versuchen, auf dem einen oder anderen Wege eine A n t w o r t zu erhalten." (Drucks. VI/521, S. 6.) 17 Trossmann, Parlamentsrecht, S. 168, weist darauf hin, daß bis zum Jahre 1967 v o n der Möglichkeit, nicht rechtzeitig beantwortete Kleine Anfragen als Mündliche Anfragen erneut zu stellen, kein Gebrauch gemacht worden ist. 18 Trossmann, Parlamentsrecht, S. 168. 16
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
liehen Anfragen — nicht; es w i r d lediglich i n den amtlichen Mitteilungen, die ohne Verlesung i n den Stenographischen Bericht aufgenommen werden, bekanntgegeben, daß die A n t w o r t der Bundesregierung eingegangen ist und unter welcher Drucksachennummer sie verteilt wird. Von den Großen Anfragen unterscheiden sich die Kleinen Anfragen damit i n folgenden Punkten: — Kleine Anfragen werden schriftlich beantwortet und können nicht zu einer Aussprache i m Plenum führen. — Es ist nicht möglich, Anträge zu ihnen zu stellen. Bis zum 27. März 1969 unterschieden sich die Kleinen Anfragen auch noch dadurch von den Großen Anfragen, daß sie von nur 15 Abgeordneten eingebracht werden mußten, während für die Großen Anfragen 30 Unterschriften erforderlich waren. Nachdem aber durch Beschluß des Bundestages vom 27. 3. 196919 die Fraktionsstärke auf eine Zahl entsprechend 5 % der Mitgliederzahl des Bundestages heraufgesetzt worden ist — derzeit sind das 26 Abgeordnete — und durch einen weiteren Beschluß des Bundestages vom 18. Juni 196920 auch die Großen A n fragen m i t Wirkung vom 1. 10. 1969 an von soviel Abgeordneten, wie der Fraktionsmindeststärke entspricht, eingebracht werden müssen, ist dieser Unterschied weggefallen. Der Geschäftsgang der Kleinen Anfragen innerhalb der Bundesregierung, der i m wesentlichen dem der Großen Anfragen entspricht 21 , ist i n den §§ 7 und 8 GGO I I geregelt.
I I I . Mündliche Anfragen 1. Die Einführung der Fragestunde im Deutschen Bundestag 1
Der Gedanke an eine Fragestunde i n der Form, daß Regierungsmitglieder vor dem Plenum auf kurze Fragen von einzelnen Abgeordneten mündlich Rede und A n t w o r t zu stehen haben, tauchte i m Bundestag 19
StenB V/S. 12363 i. V. m. Drucks. V/4008. StenB V/S. 12393 ff. i. V. m. Drucks. V/4373. 21 Allerdings gilt folgende Besonderheit: Greift der Gegenstand Kleiner A n fragen i n die Geschäftsbereiche mehrerer Ministerien ein, so vermerkt der Ressortminister bei seiner schriftlichen A n t w o r t i n der Regel, daß sie i m Einvernehmen m i t einem anderen Geschäftsbereich gegeben w i r d (vgl. dazu § 7 Abs. 2 GGO I I : „ V o n der Mitzeichnung anderer Ministerien ist der Eile wegen regelmäßig abzusehen. Muß ein anderes M i n i s t e r i u m zustimmen, ist das so schnell w i e möglich (ζ. B. durch Fernsprecher) zu veranlassen u n d auf dem E n t w u r f zu vermerken)." Sieht sich das Ministerium nicht i n der Lage, die A n t w o r t innerhalb der Frist von 14 Tagen zu erteilen, so bittet es bei dem Anfragenden u m Fristverlängerung. Es ist Gepflogenheit, sie bis zu 2 oder 3 Wochen zu gewähren (vgl. Schäfer, Der Bundestag [1967], S. 236). 20
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schon kurz nach seiner Konstituierung i m Jahre 1949 auf. Realisiert aber wurde diese Idee erst bei Annahme der endgültigen Geschäftsordnung i m Dezember 1951. Schon am 29. November 1949 hatte sich zum ersten M a l ein Bundestagsausschuß m i t der Institution der Fragestunde beschäftigt. Vor dem Organisationsausschuß 2 berichteten damals die Abgeordneten Lisa Korspeter (SPD) und W i l l y Max Rademacher (FDP) über einige Einrichtungen des englischen Parlaments, die sie 1947 gelegentlich einer Englandreise auf Einladung des Politikers Steven K i n g H a l l kennengelernt hatten. A u f Wunsch des Ausschusses3 schilderten sie dabei besonders eindringlich die Fragestunde des englischen Parlaments, die sog. „Question Time". Das Protokoll der 6. Sitzung des Organisationsausschusses vermerkt i n diesem Zusammenhang „wertvolle Anregungen" und fährt dann fort: „Dieses Verfahren (die Fragestunde — d. V.) weist eine Reihe von Vorzügen auf; die Abgeordneten haben die Möglichkeit, sich über Fragen, die ζ. B. aus der Bevölkerung ihrer Wahlkreise an sie herangetragen werden, jederzeit zu informieren u n d die Abstellung v o n Mißständen einzuleiten; die Opposition, die außerhalb der V e r w a l t u n g steht, k a n n sich stets durch diese Einrichtung über die Zustände i m L a n d u n d i n der V e r w a l t u n g unterrichten 4 ."
Allerdings spürte der Organisationsausschuß auch gleich die ersten Schwierigkeiten, die er vor allem i n der „Existenz der Landtage", i n der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik also, erblickte. Man sah, daß es Fragen gab, die sich der Bundeskompetenz entzögen und befürchtete daraus entstehende Differenzen. Insgesamt aber war man „einstimmig" der Ansicht, „daß die Schaffung und lebhafte Benutzung von Fragestunden i m Bundestag i m Interesse der demokratischen Entwicklung liegt". Bei der anschließenden Prüfung der vorläufigen Geschäftsordnung fand man, daß sie keiner wesentlichen Änderung bedürfe, u m die „Question Time" i n ähnlicher Form auch i m Deutschen Bundestag einzuführen. Man erwog lediglich eine Abänderung der Kleinen Anfragen, die von jetzt an für jeden einzelnen Abgeordneten ermöglicht werden sollten. § 61 aGO, der die schriftliche Erledigung der Kleinen Anfragen zur Regel 1 Vgl. hierzu u n d zum folgenden insbesondere die Studie v o n Schindler: „Die Fragestunde des Deutschen Bundestages", i n : PVS, 7. Jg., H. 3 (Nov. 1966), S. 407 ff. 2 Z u r Frage der Kompetenz des Organisationsausschusses i n bezug auf geschäftsordnungsändernde Vorschläge stellte der Ausschuß selbst fest, daß er sie „auch bis i n Einzelheiten ausarbeiten kann, sie aber dann als Anregung an den Geschäftsordnungsausschuß weitergeben muß". Org.-Ausschuß, 1. Wp., K u r z p r o t o k o l l d. 5. Sitz., 22.11.1949, Mat. Bd. I, S. 30 a. 3 Org.-Ausschuß, 1. Wp., 5. Sitz., 22.11.1949, Mat. Bd. I , S. 30 a. 4 Org.-Ausschuß, 1. Wp., K u r z p r o t o k o l l 6. Sitz., 29.11.1949, Mat. Bd. I, S. 30 b.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
gemacht hatte, sollte i m Hinblick auf eine bevorzugt mündliche Beantwortung geändert werden 5 . Zusammenfassend glaubte man, „die A n näherung an das englische Vorbild würde also erreicht durch die Ermöglichung der ,Kleinen Anfragen' auch für den einzelnen Abgeordneten, durch Verkürzung der Fristen und Begünstigung der mündlichen Beantwortung". Der Ausschuß beschloß sodann, „ i n diesem Sinne eine Empfehlung an den Geschäftsordnungsausschuß zu richten" 6 . Es ist historisch interessant und „entbehrt nicht der Ironie" 7 , daß der Organisationsausschuß m i t dieser Empfehlung unter Berufung auf das britische Vorbild die Umgestaltung der Kleinen Anfragen zu einem Kontrollinstrument vorschlug, wie es ganz ähnlich schon der Reichstag i m Deutschen Kaiserreich gekannt hatte (GO von 1912), daß also seine Empfehlung i m wesentlichen dahin ging, jene Beschränkungen der Kleinen Anfragen aufzuheben, die i m Jahre 1922 nach langen Überlegungen i n die Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages aufgenommen worden waren 8 . Denn, während die Regelung der Kleinen Anfragen i m Kaiserreich der Fragestunde englischen Vorbilds sehr nahe kommt, hatte man 1922 — wegen des starken Überhandnehmens dieses Instituts 9 — die Fragestunde bis zur Funktionsunfähigkeit eingeschränkt. Durch das damals — 1922 — eingeführte vorwiegend schriftliche Verfahren und die vorgeschriebene Unterstützung von 15 Abgeordneten war ein völlig andersgeartetes parlamentarisches Informations- und Kontrollinstrument geschaffen worden. Indem der Organisationsausschuß jetzt empfahl, die Kleinen Anfragen wieder für den einzelnen Abgeordneten zu ermöglichen und die mündliche Regierungsantwort zu begünstigen, kehrte er — ohne es allerdings zu wissen 10 — i m wesentlichen zur Regelung des Kaiserreiches zurück. 5 Folgende neue Fassung schlug m a n f ü r den § 61 GO v o r : „Die zugelassenen Fragen teilt der Präsident unverzüglich der Bundesregierung m i t . Bringt der Fragesteller nicht besonders zum Ausdruck, daß i h m schriftliche Beantwortung genügt, so setzt der Präsident die Frage zur mündlichen Beantwortung auf die Tagesordnung, sobald es die Bundesregierung wünscht, spätestens aber eine Woche nach Eingang der Frage bei der Bundesregierung." 6 Vgl. zum Ganzen: Org.-Ausschuß, 6. Sitz., a.a.O., S. 30 b u n d c. 7 Schindler, a.a.O., S. 408. 8 So auch Trossmann, i n : Ernst Deuerlein (Hrsg.), Der Reichstag, Bonn 1963, S.137 - 140. 9 Vgl. dazu oben K a p i t e l 1 I I I 1. 10 V o n irgendwelchem Einfluß auf die Bundestagsfragestunde ist die Regelung des Kaiserreiches offensichtlich nicht gewesen. Die Geschäftsordnung v o m Jahre 1912 hat nämlich dem Ausschuß nicht vorgelegen, sondern n u r die des Jahres 1922. Auch w i r d i n keinem Sitzungsprotokoll des Organisations- oder Geschäftsordnungsausschusses auf die Fragestunde des Reichstages auch n u r m i t einem W o r t Bezug genommen. — Vielmehr erklärte das M i t g l i e d des Geschäftsordnungsausschusses, der Abg. Dr. Mende, am 29.4.1952 u m 17.20 U h r
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Allerdings waren seine Änderungsvorschläge nicht so weitreichend wie die Geschäftsordnungsbestimmung des Kaiserreiches und kaum geeignet, dem englischen Vorbild zu entsprechen. Da nämlich die mündliche Beantwortung der Anfragen nur begünstigt, nicht aber verpflichtend gemacht werden sollte, hätte sich die Regierung ihr immer durch eine beschleunigte schriftliche Erledigung innerhalb von 1 Woche entziehen können. A u f Grund der Anregung durch den Organisationsausschuß beschäftigte sich schon 14 Tage später, am 14. Dezember 1949, der Geschäftsordnungsausschuß m i t der Einführung einer Fragestunde i m Deutschen Bundestag 11 . Gleichsam zur Information vermerkt eingangs das Protokoll über diese Sitzung: „ B e i der Fragestunde handelt es sich u m die Übertragung einer Übung, die i m englischen Parlament u n d i n einzelnen deutschen Ländern bereits m i t bestem Erfolg angewendet w i r d . Sie soll der Verlebendigung des parlamentarischen Lebens dienen u n d liegt i m Interesse des Parlaments, der einzelnen Abgeordneten u n d der Regierung."
„Nach eingehender Debatte" 1 2 kam der Ausschuß dahin überein, die Einführung der Fragestunde zu befürworten und den Ausschußvorsitzenden Ritzel (SPD) zusammen m i t dem Berichterstatter Mayer (FDP) u m Formulierungsvorschläge zu bitten. Desweiteren beschloß man, zur nächsten Beratung über diesen Punkt den Präsidenten des Bayerischen Landtages einzuladen, da man i n München bereits m i t Erfolg eine Fragestunde praktizierte. Infolge der Überlastung des Ausschusses aber — i h m oblag ja die Vorbereitungsarbeit für die gesamte neue Geschäftsordnung — gingen die Beratungen über die endgültige Ausgestaltung der Fragestunde nur langsam vorwärts 1 3 . Erst fast ein Jahr später, Anfang Oktober 1950, beschäftigte sich der Geschäftsordnungsausschuß wieder ausführlicher m i t dieser Frage. Die i m N W D R : „Neu u n d erstmalig i m deutschen Parlamentsrecht ist die Einführ u n g der Fragestunde." Insofern ist also Johnson (Questions i n the Bundestag, i n : Parliamentary Affairs, V o l 16, Nr. 1, S. 22 ff. [23]) zumindest mißverständlich, w e n n er meint: "One should not, however, exaggerate the outside influences. I t is w o r t h noting, that there was a precedent i n German parliamentary history for oral questions, which no doubt made their introduction i n 1952 a l l the more acceptable." 11 GO-Ausschuß, 1. Wp., 7. Sitz., 14.12.1949, Mat. Bd. I, S. 27. 12 So das Protokoll, das i m übrigen leider keine Einzelheiten angibt. 13 Zwischenzeitlich w u r d e n i m Ausschuß zahlreiche Referate über andere i n - u n d ausländische Parlamentsgeschäftsordnungen gehalten. Berichte über Fragestunden w u r d e n dabei m i t Interesse zur Kenntnis genommen, vgl. ζ. B. 10. Sitz., 12.1.1950, bezüglich der Fragestunde i m Schweizer Parlament u n d 14. Sitz., 2.2.1950, bezüglich d. bayr. Fragestunde.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
M i t g l i e d e r des Ausschusses f u h r e n d a m a l s nach M ü n c h e n , u m d o r t einer F r a g e s t u n d e des B a y e r i s c h e n L a n d t a g e s b e i z u w o h n e n . H i e r ü b e r b e r i c h tete später der Ausschuß Vorsitzende R i t z e l (SPD) v o r d e m P l e n u m : „ I c h glaube, unter den Teilnehmern des Ausschusses gibt es niemandem, der nicht v o n der Möglichkeit begeistert gewesen ist, i n freier Rede u n d Gegenrede einen nach unserem Wunsch u n d W i l l e n rechtzeitig vorher informierten M i nister i n ein Gespräch zu v e r w i c k e l n 1 4 . " N a c h dieser Ä u ß e r u n g Ritzels zu u r t e i l e n u n d nach d e n P r o t o k o l l e n der Ausschußsitzungen, d i e b i s d a h i n ausschließlich „ E i n s t i m m i g k e i t " oder „ Ü b e r e i n s t i m m u n g " verzeichnen, scheint es gegen die E i n f ü h r u n g der F r a g e s t u n d e selbst g r u n d s ä t z l i c h e B e d e n k e n n i c h t gegeben zu haben15»16. A l l e r d i n g s t a u c h t e n b e i der E n d e 1950 b e g i n n e n d e n u n d E n d e 1951 v e r s t ä r k t e n r e d a k t i o n e l l e n A r b e i t b a l d einige W i d e r s t ä n d e a u f : Es zeigte sich, daß die e i n z e l n e n P a r t e i e n durchaus v o n u n t e r s c h i e d l i c h e n V o r s t e l l u n g e n b e z ü g l i c h der e i n z u f ü h r e n d e n m ü n d l i c h e n A n f r a g e n ausgingen. Je nach R e g i e r u n g s - u n d O p p o s i t i o n s z u g e h ö r i g k e i t v e r s u c h t e n die A b g e o r d n e t e n die F r a g e s t u n d e z u beschränken oder z u e r w e i t e r n . I m H e r b s t 1950 legte der Geschäftsordnungsausschuß-Vorsitzende R i t z e l (SPD) d e m Ausschuß e r s t m a l i g d e n E n t w u r f e i n e r e n d g ü l t i g e n G e s c h ä f t s o r d n u n g v o r 1 7 . Dieser e n t h i e l t — n e b e n der fast u n v e r ä n d e r t e n 14
BT, 1. Wp., 179. Sitz., 6.12.1951, StenB I, S. 7413 D. Ä h n l i c h Johnson (in: Parliamentary Ä f f airs, a.a.O., S. 23): "Apparently the consensus of opinion was i n favour of the innovation. However there are no detailed reports of the proceedings i n committee either. This means that there is really no evidence to show w h a t arguments weighted most heavily i n favour of the experiment, and what, i f any, opposition there was. F r o m the point of v i e w of the historian this is a p i t y . . . " 16 Ritzel selbst berichtet allerdings viele Jahre später: „ A l s der Deutsche Bundestag v o r Jahren nach englischem V o r b i l d die Fragestunde einführte, fand dieser Beschluß durchaus nicht die ungeteilte Zustimmung. Manche Minister empfanden es als eine Zumutung, auf kurz vorher eingereichte Fragen der Abgeordneten v o r aller Öffentlichkeit zu antworten. Sie liebten die dem anfragenden Abgeordneten möglichen zwei Zusatzfragen durchaus nicht, denn i n diesen Zusatzfragen können immer Probleme i n Frageform i n Erscheinung treten, zu deren Beantwortung n u r ein Minister i n der Lage ist, der sein Thema v o l l k o m m e n beherrscht u n d keines Souffleurs bedarf", — i n : SPD-Pressedienst v o m 29.11.1963. Schindler (a.a.O., S. 408) folgert daraus, es sei „doch von w e n i gen Mitgliedern der C D U - F r a k t i o n u n d v o n Regierungsvertretern gegen die Fragestunde opponiert (worden), je mehr ihre Realisierung näherrückte". Die Ansicht Schindlers ist — w i e noch zu zeigen sein w i r d — sicher richtig, soweit sie Opposition gegen die geschäftsordnungsmäßige Ausgestaltung der Fragestunde betrifft. Gegen die Einführung dieses Instituts selbst scheint es jedoch i m GO-Ausschuß keine grundsätzlichen Bedenken gegeben zu haben, da diese sonst w o h l doch i m Protokoll vermerkt worden wären. Die oben zitierten Ausführungen Ritzels i m SPD-Pressedienst lassen außerdem den Schluß zu, daß es sich bei ihnen n u r u m die Wiedergabe von K r i t i k handelt, die erst nach Einführung u n d Praktizierung der Fragestunde auftauchte. 17 E n t w u r f einer GO f ü r den Deutschen Bundestag v o m 27.11.1950, GOAusschuß, 66. Sitz., 15.1.1951, A n i . 1, Mat. Bd. I, S. 235 ff. 15
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Regelung der Großen und Kleinen Anfragen — zum ersten Mal eine selbständige Vorschrift über die Fragestunde. Ritzel hatte dabei darauf verzichtet, die Kleinen Anfragen, wie es der Organisationsausschuß vorgeschlagen hatte, zu einer „Question Time" zurechtzustutzen; vielmehr schlug er vor, das Recht der Großen und Kleinen Anfragen i m wesentlichen unverändert beizubehalten und zusätzlich eine Fragestunde einzuführen. Eingefügt i n den Geschäftsordnungsabschnitt über Pflichten und Rechte der Abgeordneten lautete die von i h m vorgeschlagene Formulierung wie folgt: „§21 Jeder Abgeordnete ist berechtigt, kurze mündliche Anfragen an die Bundesregierung zu richten. Hierzu soll je nach Bedarf, mindestens jedoch einmal i m Monat, jeweils die erste Stunde eines v o m Ältestenrat vorzuschlagenden Sitzungstages zur Verfügung stehen. Der Gegenstand der mündlichen Anfrage k a n n vorher dem zuständigen Bundesminister mitgeteilt werden. Die A n t w o r t der Bundesregierung soll ohne weitere Aussprache zur Kenntnis genommen werden 1 8 ."
Über diese Fassung beriet der GO-Ausschuß i n seiner 66. Sitzung am 15. Januar 195119. Er beschloß dabei, die Formulierung des § 21 S. 3 insoweit abzuändern, als bei „Spezialfragen örtlichen Charakters" die vorherige Bekanntgabe der Anfrage an den Minister grundsätzlich zu fordern sei. Aus der Kannvorschrift wurde insoweit eine Sollvorschrift 2 0 ' 2 1 . Nachdem der Geschäftsordnungsausschuß bei der 2. Beratung der neuen Geschäftsordnung den Charakter der Fragestunde als einer Stunde mündlicher Anfragen i m Gegensatz zu den schriftlichen Kleinen Anfragen abgegrenzt hatte 2 2 , beschloß er bei der 3. Beratung 2 3 , die Sollvorschrift bezüglich der vorherigen Information des Ministers auf alle Fragen auszudehnen. Der Minister sollte also über alle i n der Fragestunde zu stellenden Fragen vorher informiert werden 2 4 . Die nach dieser Beratung vorgeschlagene Formulierung lautete: 18 Es ist interessant, daß diese Fassung als § 21 unter dem Abschnitt V (Pflichten u n d Rechte der Abgeordneten) erscheint, während die Großen u n d K l e i n e n Anfragen erst w e i t später i n der GO unter einem eigenen Abschnitt V I I (§ 96 ff.) folgen. 19 Mat. Bd. I, S. 232. 20 § 21 S. 3 lautete danach w i e folgt: „Der Gegenstand der mündlichen A n frage soll, w e n n es sich u m Spezialfragen örtlichen Charakters handelt, vorher dem zuständigen Bundesminister mitgeteilt werden." 21 Eine weitere i n dieser Sitzung vorgeschlagene Änderung, wonach f ü r die Fragestunde die ersten beiden Stunden eines monatlichen Sitzungstages zur Verfügung stehen sollten, ist später bei der 3. Beratung wieder zurückgenommen worden. 22 GO- Ausschuß, 100. Sitz., 19. 6.1951, Mat. Bd. I I , S. 404. 23 GO-Ausschuß, 110. Sitz., 14. 7.1951, Mat. Bd. I I , S. 457. 24 I n England w u r d e die vorherige M i t t e i l u n g der Frage an den Minister lange als „a matter of courtesy" angesehen. 1888 wurde sie dann durch die erste
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
„§ 101 a 2 5 Mündliche Anfrage — Fragestunde Jeder Abgeordnete ist berechtigt, kurze mündliche Anfragen an die Bundesregierung zu richten. Hierzu sollen je nach Bedarf, mindestens einmal i m M o nat, eine Stunde eines v o m Ältestenrat vorzuschlagenden Sitzungstages zur Verfügung stehen. Der Gegenstand der mündlichen Anfrage soll vorher dem zuständigen Bundesminister mitgeteilt werden. Die A n t w o r t der Bundesregierung soll ohne weitere Aussprache zur Kenntnis genommen werden." M i t dieser F o r m u l i e r u n g „ w a r die u r s p r ü n g l i c h m i t d e r F r a g e s t u n d e verbundene V o r s t e l l u n g einer u n m i t t e l b a r e n u n d fristlosen Befragung der R e g i e r u n g s m i t g l i e d e r a u f g e g e b e n " 2 6 . A u s d e r m ü n d l i c h e n A n f r a g e w a r p r a k t i s c h eine s c h r i f t l i c h e g e w o r d e n , die l e d i g l i c h m ü n d l i c h b e a n t wortet werden mußte. B e i d e m T a u z i e h e n u m die e n d g ü l t i g e F o r m u l i e r u n g , das k u r z v o r V e r a b s c h i e d u n g d e r n e u e n G e s c h ä f t s o r d n u n g i m H e r b s t 1951 einsetzte, stießen die R e g i e r u n g s f r a k t i o n e n - C D U / C S U , F D P u n d D P - noch w e i t e r i n dieser R i c h t u n g v o r . Sie v e r l a n g t e n eine U m w a n d l u n g der S o l l - i n eine I s t - , d. h. p r a k t i s c h : i n eine M u ß Vorschrift. I h r Ä n d e r u n g s antrag lautete: „Der Gegenstand der mündlichen Anfrage ist vorher dem zuständigen B u n desminister mitzuteilen. Die A n t w o r t der Bundesregierung ist ohne weitere Besprechung zur Kenntnis zu nehmen 2 7 ." D e m g e g e n ü b e r v e r l a n g t e die i n der O p p o s i t i o n stehende S P D die B e i b e h a l t u n g der S o l l - V o r s c h r i f t . V o r a l l e m aber w o l l t e sie die M ö g l i c h k e i t v o n Z u s a t z f r a g e n i n d e n G e s c h ä f t s o r d n u n g s t e x t a u f g e n o m m e n wissen. I h r Ä n d e r u n g s a n t r a g v o m 6. 11. 1951 l a u t e t e i n d e m entscheidenden Punkt: „Der Gegenstand der mündlichen Anfrage soll minister mindestens 24 Stunden vorher mitgeteilt Bundesregierung ist ohne weitere Besprechung zur können kurze Zusatzfragen zu dem begreifenden fragenden gestellt w e r d e n 2 8 . "
den zuständigen Bundeswerden. Die A n t w o r t der Kenntnis zu nehmen, doch Gegenstand v o n dem A n -
Die unterschiedlichen Änderungsanträge v o n Regierungs- u n d Opposit i o n s f r a k t i o n e n spiegeln eine gegensätzliche Tendenz w i e d e r . W ä h r e n d die S P D d i e R e g i e r u n g d u r c h eine k u r z f r i s t i g e (24 Std. !) B e f r a g u n g u n d „Standing Order" zur Pflicht gemacht: „Notices of questions shall be given by members i n w r i t i n g to the Clerk at the Table, w i t h o u t reading them v i v a voce i n the House, unless the consent of the Speaker to any particular question has been previously obtained" (vgl. Chester u. Bowring, Questions i n Parliament, Oxford 1962, S. 17, 21 u n d 289). 25 Schon bei der 2. Beratung am 19. 6.1951 hatte m a n beschlossen, die Regel u n g der Fragestunde aus Abschnitt V der GO herauszunehmen u n d — systematisch zutreffend — als § 101 a an die Bestimmung über die K l e i n e n Anfragen anschließen zu lassen. 26 Schindler, Dipl.-Arb., S. 409. 27 BT, Z u Drucks. I / N r . 2550, S. 32, Mat. Bd. I I , S. 556. 28 Z u B T Drucks. 1/2550, S. 32.
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durch zusätzliche Zusatzfragen i n die Enge wollte treiben können, suchten die Regierungsparteien ihrer Regierung jedes unvorhergesehene Risiko nach Möglichkeit zu ersparen. Bei der abschließenden Beratung der Änderungsanträge i m Geschäftsordnungsausschuß wurde ein Kompromiß ausgearbeitet, der einerseits als Soll-Vorschrift die schriftliche Einreichung der mündlichen Anfrage mindestens 3 Tage vor der Fragestunde vorsah, andererseits aber dem Fragesteller die Möglichkeit zu mündlichen Zusatzfragen i n der Fragestunde eröffnete 29 . Dieser Kompromiß Vorschlag, der laut Protokoll „den Wünschen der Antragsteller weitgehend Rechnung" 30 trug, wurde m i t einer geringfügigen redaktionellen Änderung am 6. Dezember 1951 bei der Abstimmung über die neue Geschäftsordnung dem Bundestagsplenum vorgelegt und i n einer en-bloc-Abstimmung m i t Mehrheit angenommen 31 . Er enthielt die bis 1970 gültige Formulierung des § 111 GO: „Jeder Abgeordnete ist berechtigt, kurze mündliche Anfragen an die Bundesregierung zu richten. Hierzu soll je nach Bedarf, mindestens jedoch einmal i m Monat, eine Stunde eines v o m Ältestenrat vorzuschlagenden Sitzungstages zur Verfügung stehen. Der Gegenstand der mündlichen Anfrage soll dem zuständigen Bundesminister mindestens 3 Tage vorher mitgeteilt werden. Die A n t w o r t der Bundesregierung ist ohne weitere Beratung 3 2 zur Kenntnis zu nehmen, doch können notwendige Zusatzfragen zu dem betreffenden Gegenstand v o n dem Anfragenden gestellt werden."
Durchgesetzt hatte sich also eine Fassung, die die von der SPD vor allem geforderte Möglichkeit zu Zusatzfragen expressis verbis aufgenommen hat, wenn sie auch nur Zusatzfragen von dem Fragesteller selbst zuließ. Beibehalten wurde auch die Soll-Vorschrift bezüglich der vorherigen Informierung des Ministers. Eine ausdrückliche Verpflichtung zur vorherigen Bekanntgabe der Anfrage, wie sie von den Regierungsparteien gefordert worden war, wurde also nicht statuiert. Andererseits war durch 29
Z u B T Drucks. 1/2550 S. 32. Protokoll der 124. Sitz. (27.11.1951), des GO-Ausschusses, Mat. Bd. I I , S. 571; vgl. auch den schriftlichen Bericht des Berichterstatters Dr. Mende: Z u B T Drucks. 1/2550, S. 8. 31 BT, 1. Wp., 179. Sitz., 6.12.1951, StenB I/S. 7438 D. 32 I n der Fassung des GO-Ausschusses hatte es „Besprechung" geheißen. Das w a r jedoch — der neuen Sprachregelung folgend — i n „Beratung" abgeändert worden (vgl. auch die entsprechende Formulierung bei den Großen A n fragen!). Z u dem parlamentarischen Sprachgebrauch vgl. Strätling, Wie entsteht ein Bundesgesetz?, 7. Aufl., S. 29. Trossmann, Parlamentsrecht, S. 52, definiert wie folgt: „Der Begriff Beratung umfaßt bei Gesetzesentwürfen u n d sonstigen selbständigen Anträgen a) die Begründung, b) die Aussprache, c) die Berichterstattung, w e n n Ausschußüberweisung erfolgte u n d d) die Abstimmung. Bei Großen Anfragen umfaßt der Begriff Beratung die Begründung, die A n t w o r t der Bundesregierung u n d die Aussprache. I n § 106 S. 4 u n d § 108 S. 2 GO ist der Ausdruck Beratung allerdings gleichbedeutend m i t dem Ausdruck Aussprache." Das gleiche muß f ü r § 111 GO gelten. 30
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
die Soll-Vorschrift gewährleistet, daß die vorherige Benachrichtigung des Ministers mehr als nur ein A k t der Höflichkeit ist. Die Frist zur Benachrichtigung der Regierung von dem Gegenstand der Anfrage wurde — den Wünschen der Regierungsparteien entgegenkommend — m i t mindestens 3 Tagen verhältnismäßig großzügig angesetzt. Endgültig aufgegeben wurde durch sprünglich wohl gehegte Vorstellung bereiteten mündlichen Befragung des lichen Anfragen sind i n Wirklichkeit mündlich beantwortet werden.
die neue GO-Bestimmung die urvon einer unmittelbaren, unvorzuständigen Ministers. Die Mündschriftliche Fragen, die lediglich
2. Die Richtlinien für die Fragestunde vom 29. Juni 1960
Obwohl die Bestimmung des § 111 GO, die mit der neuen Geschäftsordnung am 1. Januar 1952 i n K r a f t trat, seitdem bis 1970 unverändert i m Geschäftsordnungstext verblieben ist, ist sie durch die i n den Jahren 1960 und 1969 vom Bundestag beschlossenen „Richtlinien für die Fragestunde" i n wesentlichen Punkten ergänzt und abgeändert worden 3 3 . Schon bald nach Einführung der Fragestunde zeigte sich, daß die an dieses kleinste und handlichste parlamentarische Kontrollmittel geknüpften Erwartungen sich nur teilweise erfüllten. Man hatte bei der Einführung der Fragestunde vor allem geglaubt, durch sie die Parlamentsarbeit lebendiger gestalten zu können. Darüber hinaus hatte man gehofft, dem einzelnen Abgeordneten mit der Möglichkeit zu mündlichen A n fragen eine schnelle Orientierungshilfe an die Hand zu geben, damit die Zahl der Anträge und Großen Anfragen herabzudrücken und den Geschäftsgang des Bundestages zu entlasten 34 . Diese Hoffnungen wurden jedoch zum Teil enttäuscht. Die gleichzeitig erwartete Verlebendigung und Entlastung der Parlamentsarbeit trat in33 Z u r rechtlichen Problematik der Regelung von Geschäftsordnungsangelegenheiten außerhalb der kodifizierten Geschäftsordnung vgl. K . F. A r n d t , Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie u n d autonomes Parlamentsrecht, B e r l i n 1966, S. 90 ff. (91). - Bei den Richtlinien für die Fragestunde handelt es sich jedoch nicht u m eine Regelung außerhalb der Geschäftsordnung, sondern u m eine Ergänzung der Geschäftsordnung. 34 Vgl. dazu den schriftlichen Bericht des Mitberichterstatters, Abg. Dr. Mende, zur Einrichtung der Fragestunde (Zu B T Drucks. 1/2550, S. 12) sowie — fast gleichlautend — das B u l l e t i n der Bundesregierung v o m 13.12.1961: „ M a n verspricht sich v o n diesen Fragestunden eine schnelle Orientierungsmöglichkeit der Abgeordneten. Zahlreiche, aus dem Wahlkreis sich ergebende örtliche oder regionale Angelegenheiten könnten, so verspricht m a n sich, damit einfacher u n d schneller erledigt werden als bisher. Gleichzeitig hofft man, dadurch den Geschäftsgang des Bundestages zu entlasten, w e i l viele Anträge und Große Anfragen wegfallen. Darüber hinaus erhofft m a n sich eine Verlebendigung des Parlamentarismus u n d eine engere Verbindung zwischen Legislative u n d Exekutive. Außerdem können falsche Informationen schnell richtiggestellt u n d damit Mißverständnisse beseitigt werden."
I I I . Mündliche Anfragen
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folge vieler Umstände nicht ein. Schuld daran war nicht nur die starke Arbeitsüberlastung der ersten Bundestage, sondern auch die noch sehr unvollkommene Handhabung der Fragestunde 35 . Diese war zum Teil schon durch rein äußerlich ungünstige Gegebenheiten bedingt. So gab es damals i m Plenarsaal und an der Regierungsbank noch keine Mikrophone. Fragesteller und antwortender Minister mußten nach vorn an das Rednerpult treten, u m dort ihre regelmäßig bis i n den Wortlaut hinein vorformulierten Fragen und Antworten abzulesen. Ihre reine Privatunterhaltung oder Leseübung dort vorne trug der Fragestunde — nicht zu Unrecht — die spöttische Bezeichnung „Kasperletheater" ein 3 6 . Vor allem aber die Tatsache, daß normalerweise nicht mehr als nur 1 Mal i m Monat genau 1 Stunde 3 7 für die Mündlichen Anfragen bereitgestellt wurde, war sehr geeignet, die Fragestunde bei Presse und Abgeordneten i n Mißkredit zu bringen. Es gingen nämlich weit mehr Mündliche Anfragen ein, als i n einer Stunde erledigt werden konnten. Das wiederum hatte zur Folge, daß die nicht erledigten Fragen entweder verfielen 38 oder schriftlich beantwortet wurden 3 9 . Zwar konnten sie auch zur nächsten Fragestunde erneut eingebracht werden, hatten dann aber — nach so langer Zeit — häufig jede Aktualität verloren. Verbesserungsvorschläge seitens des Geschäftsordnungsausschusses vermochten sich nicht durchzusetzen 40 , und die Verständigung des Ältestenrates dahin35 Z u r Handhabung der Fragestunde von 1952 - 1960 vgl. die sehr gründliche — auch Pressestimmen wiedergebende — Darstellung von Schindler, i n : PVS, 7. Jg., H. 3 (Nov. 1966), S. 414 ff. 36 Schindler, a.a.O., S. 418. 37 Vgl. dazu den BT-Präsidenten Ehlers i n der 1. Fragestunde am 23.1.1952 (StenB I/S. 7941 B, C): „Nach der Geschäftsordnung ist f ü r die Behandlung dieser Anfragen die Dauer von einer Stunde vorgesehen. W i r werden die Behandlung nach 1 Stunde abbrechen, selbst w e n n die Anfragen noch nicht erledigt sind. Ich stelle also fest, daß w i r 13 U h r 37 m i t der Behandlung der A n fragen beginnen." „ D a m i t präjudizierte der Bundestagspräsident f ü r alle künftigen Fragestunden, daß die Geschäftsordnungsformulierung ,eine Stunde' keine Institution bezeichnet, sondern die Dauer der Fragestunde von haargenau 60 M i n u t e n angibt." (Schindler, a.a.O., S. 414.) 38 So nach einer Vereinbarung des Ältestenrates, wonach „Fragen, die dadurch nicht erledigt werden, daß die Fragestunde vorher abläuft, nicht automatisch auf die nächste Sitzung gesetzt werden, da w i r sonst i m Laufe der Zeit zu einer unübersehbaren Menge von Fragen kämen" (BT-Präsident Ehlers vor dem Plenum am 20. 3.1952, StenB I/S. 8570 C). 39 Vorschlag v o n BT-Präsident Ehlers am 28. 5.1952, StenB I/S. 9436 C. 40 Vgl. hierzu die Kontroverse zwischen dem Geschäftsordnungsausschußvorsitzenden Ritzel u n d BT-Präsident Ehlers i n der 200. Plenarsitzung am 20. 3. 1952, StenB I/S. 8575 D — 8576 B, i m Anschluß an eine der ersten Fragestunden. Ritzel (zitiert § 111 GO): „Daraus ergibt sich doch ganz klar, daß das Schwergewicht auf die Formulierung ,je nach Bedarf' zu legen ist u n d daß der W o r t laut ,mindestens jedoch einmal i m Monat' eine Sicherungsmaßnahme dahin-
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
gehend, „ d a ß i n e i n e r F r a g e s t u n d e k ü n f t i g e i n A b g e o r d n e t e r n i c h t m e h r als d r e i F r a g e n s t e l l e n d a r f " 4 1 , w a r n i c h t geeignet, das Ü b e l a n der W u r z e l zu t r e f f e n . A u ß e r d e m ü b e r s a h m a n , daß die E i n r i c h t u n g der F r a g e s t u n d e speziell f ü r W a h l k r e i s f r a g e n m e i s t n i c h t dazu b e i t r u g , die P a r l a m e n t s a r b e i t l e b e n d i g e r z u gestalten. B e i d e n w e n i g e n p o l i t i s c h e n oder sonstigen a k t u e l l e n u n d a l l g e m e i n i n t e r e s s i e r e n d e n F r a g e n aber w a r es n i e m a n d e m außer d e m F r a g e s t e l l e r m ö g l i c h , d u r c h gezielte Z u s a t z f r a g e n i n die D i s k u s s i o n einzugreifen. So v e r l o r e n A b g e o r d n e t e , Presse u n d Ö f f e n t l i c h k e i t z u n e h m e n d das Interesse a n d e r Fragestunde. Z a h l r e i c h e V e r b e s s e r u n g s b e m ü h u n g e n , insbesondere d u r c h d e n V o r sitzenden des Geschäftsordnungsausschusses, R i t z e l 4 2 , b l i e b e n — m e i s t u n t e r H i n w e i s a u f die s t a r k e Ü b e r l a s t u n g des P l e n u m s 4 3 — fast 8 J a h r e l a n g n a h e z u ohne j e d e n E r f o l g . N u r einige Ä u ß e r l i c h k e i t e n w u r d e n v e r bessert: D u r c h die I n s t a l l i e r u n g v o n M i k r o p h o n e n i m P l e n a r s a a l u n d a n d e r R e g i e r u n g s b a n k w u r d e das w e n i g schöne Schauspiel v o n F r a g e steller u n d Regierungsvertreter v o r n a m Rednerpult beendet44, u n d d u r c h d e n V e r z i c h t a u f die V e r l e s u n g d e r o h n e h i n v o r f o r m u l i e r t e n u n d der R e g i e r u n g bereits b e k a n n t e n A n f r a g e n k o n n t e — w e n n auch u n t e r w e i t e r e r A u f g a b e der P u b l i z i t ä t s w i r k u n g — w e n i g s t e n s eine leichte gehend sein soll, daß eine Fragestunde mindestens einmal i m Monat angesetzt w i r d . Aber i m übrigen muß die Fragestunde bei gewissenhafter Interpretation der Geschäftsordnung je nach Bedarf angesetzt werden! I n diesem Sinne hat der Ausschuß f ü r Geschäftsordnung am 14. März nach eingehender Diskussion beschlossen, dem Ältestenrat zu empfehlen, darauf Rücksicht zu nehmen, daß die von den Abgeordneten gestellten Fragen erledigt werden müssen, ehe sie veraltet sind u n d darauf hinzuwirken, daß mehr als eine Fragestunde i m Monat abgehalten w i r d , da der Bedarf größer i s t . . . " Ehlers: „ . . . W i r haben uns gerade heute morgen (im Ältestenrat — d. V.) dahin entschlossen, v o r Ostern außerhalb der üblichen Reihe eine weitere Fragestunde anzusetzen. Ich muß n u r folgendes s a g e n . . . , daß ich es f ü r höchst inopportun halte, nicht erledigte Fragen auf eine nächste Fragestunde zu übernehmen. Erstens ist das, w e n n ich nicht ganz falsch unterrichtet bin, i m englischen Unterhaus, das uns ein gewisses V o r b i l d f ü r diese Fragestunde gegeben hat, ebenfalls nicht üblich. Zweitens widerspricht es aber auch dem Sinn; denn der Sinn einer Fragestunde k a n n n u r sein . . . , daß während dieser Fragestunde Abgeordnete aus dem Hause auftreten, u n d i n dieser Stunde Fragen stellen u n d A n t w o r t e n bekommen k ö n n e n . . . " 41 BT-Präsident Ehlers v o r dem Plenum am 20. 3.1952, StenB I/S. 8570 C. 42 Vgl. ζ. B. die Reformvorschläge i m SPD-Pressedienst v o m 25.1.1956. 43 So ζ. B. BT-Präsident Gerstenmeier am 7.12.1955 v o r dem Plenum: „Der A b l a u f der Fragestunde hat uns seit einigen Wochen Sorge gemacht, w e i l die f ü r die Beantwortung der gestellten Fragen zur Verfügung stehende Zeit zu den eingehenden Fragen i n keinem Verhältnis s t e h t . . . Dem Ältestenrat ist es leider nicht möglich, f ü r die Fragestunde mehr Zeit zur Verfügung zu stellen, solange der Bundestag u n d insbesondere das Plenum m i t anderen Vorlagen i n einer Weise überhäuft ist, wie es bis jetzt der F a l l ist" (StenB II/S. 6192 B, C). 44 Die Aufstellung v o n Mikrophonen i m Plenarsaal erfolgte schon i m Dezember 1953, die Beantwortung v o n der Regierungsbank aus dagegen wurde erst i m November 1959 (StenB I I I / S . 4807 B, C) eingeführt.
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Straffung erreicht werden 4 5 . Die Zusammenstellung der Fragen nach Sachgebieten schuf dazu eine bessere Übersichtlichkeit. Diese Verbesserungen, die übrigens zum Teil erst i m November 1959 eingeführt wurden, konnten jedoch — ebenso wie die gleichzeitig beschlossene Verteilung der Fragestunde auf 2 aufeinanderfolgende Sitzungstage — keine grundlegende Reform der Fragestunde herbeiführen 4 6 . Diese erfolgte erst gut ein halbes Jahr später durch die vom Ältestenrat ausgearbeiteten und am 29. Juni 1960 vom Bundestag beschlossenen 19 „Richtlinien für die Fragestunde" 47. I n diese Richtlinien sind zahlreiche der vor allem von Seiten der SPD, aber auch vom Ältestenrat 4 8 vorgeschlagenen Verbesserungen eingegangen. Sie brachten eine Reform der Fragestunde vor allem i n folgenden Punkten: Jede Plenarsitzung hat seitdem m i t einer Fragestunde zu beginnen (Nr. 3). Fragen von offensichtlich dringendem öffentlichen Interesse können noch bis spätestens 12 Uhr mittags am Tage vor einer Fragestunde eingereicht werden (Nr. 9). Einzelfragen aus dem Bereich der Bundespolitik sind ausdrücklich für zulässig erklärt (Nr. 5) und Zusatzfragen sind für alle Mitglieder des Hauses gestattet (Nr. 15). Insgesamt lauten die 19 „Richtlinien für die Fragestunde" vom 29. Juni I960 wie folgt: „1. Jeder Abgeordnete ist berechtigt, kurze Mündliche Anfragen an die B u n desregierung zu richten. Die Anfragen sind dem Präsidenten (Antragsannahmestelle) i n dreifacher Ausfertigung einzureichen. 2. E i n Abgeordneter darf zu den Fragestunden einer Woche nicht mehr als drei Mündliche Anfragen einreichen. 3. Jede Plenarsitzung beginnt m i t einer Fragestunde. 4. Wenn es die Z a h l der eingegangenen Anfragen erfordert, w i r d auch am Donnerstag jeder Plenarwoche eine Fragestunde angesetzt. Der Präsident k a n n n auch i n dritten Wochen am M i t t w o c h u n d Donnerstag jeweils eine 45
BT, Sitz, v o m 7.12.1955, StenB II/S. 6192 C. Z u den wenigen Änderungen v o m November 1959 vgl. BT-Vizepräsident Jäger, B T , Sitz, v o m 11.11.1959, StenB I I I / S . 4807 B, C. 47 BT, StenB I I I / S . 6960 D. 48 Der Ältestenrat hat die Aufgabe, den Bundespräsidenten bei der Führung der Geschäfte zu unterstützen, insbesondere eine Verständigung zwischen den Fraktionen über den Arbeitsplan des Bundestages herbeizuführen (vgl. § 14 Abs. 1 GO). Er besteht aus dem Bundestagspräsidenten, seinen Stellvertretern (Vizepräsidenten) u n d weiteren Mitgliedern des Bundestages, die von den Fraktionen dem Präsidenten schriftlich benannt werden u n d deren Anzahl i n jeder Wahlperiode neu festgesetzt w i r d (in der 5. Wp. waren es 20 Abgeordnete), vgl. § 13 S. 1 u. 2 GO. Durch die kleine Parlamentsreform v o m J u n i 1969 sind Vorstand u n d Ältestenrat des Bundestages zu einem einheitlichen Lenkungsorgan zusammengef aßt worden. 46
5 Witte
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag Fragestunde ansetzen, w e n n es die Z a h l der vorliegenden Anfragen erford e r t 4 9 . Die zusätzlichen Fragestunden beginnen jeweils u m 14.30 Uhr.
4. Die Fragestunde darf 60 M i n u t e n nicht überschreiten. 5. Zulässig sind Einzelfragen aus dem Bereich der Verwaltung, soweit die Bundesregierung u n m i t t e l b a r oder mittelbar verantwortlich ist u n d Einzelfragen aus dem Bereich der Bundespolitik 5 0 . 6. Die Anfragen müssen kurz gefaßt sein u n d eine kurze Beantwortung ermöglichen. 7. Eine Frage darf n u r eine konkrete Frage enthalten. Sie darf nicht i n mehreren Unterfragen unterteilt werden. 8. Anfragen, die den N u m m e r n 1 - 7 nicht entsprechen, gibt der Präsident zurück. Sie werden i n die Liste der Anfragenden zur Fragestunde erst aufgenommen, w e n n der Präsident sie f ü r zulässig erklärt hat. 9. Die Anfragen müssen so rechtzeitig eingereicht werden, daß sie der Bundesregierung drei Tage v o r der Fragestunde, i n der die Beantwortung stattfinden soll, zugestellt werden können. Es müssen eingehen a) Anfragen, die am M i t t w o c h oder Donnerstag beantwortet werden sollen, am vorangehenden Freitag bis 17 Uhr. b) Anfragen, die am Freitag beantwortet werden sollen, am vorangehenden Montag bis 17 U h r . Der Präsident k a n n ausnahmsweise Anfragen, v o n offensichtlich dringendem öffentlichen Interesse f ü r die Fragestunde zu lassen, w e n n sie spätesten bis 12 U h r mittags am Tag v o r einer Fragestunde i h m vorgelegt w e r den. Nr. 2 bleibt unberührt. 10. Die Anfragen werden nach Ressort zusammengestellt. 11. Der Präsident bestimmt, i n welcher Reihenfolge die Anfragen aufgerufen werden. 12. Anfragen, die i n den Fragestunden einer Woche nicht beantwortet werden, werden von der Bundesregierung schriftlich beantwortet 5 1 . 49 Bei dieser Regelung ist zu berücksichtigen, daß es jährlich selten mehr als 40 Plenarsitzungen des Bundestages gibt (gegenüber ca. 130 i m britischen Unterhaus). Nach einem sog. „Drei-Wochen-Turnus" sollten Plenarsitzungen damals regelmäßig n u r am M i t t w o c h (und ggfs. Donnerstag) der 1. u n d 2. „Tagungswoche" stattfinden, die 3. Woche dagegen sitzungsfrei u n d f ü r Ausschußsitzungen vorbehalten bleiben. Die Donnerstage i n Tagungswochen waren ebenfalls für Ausschußsitzungen vorgesehen. Jeweils nach 3 Wochen wiederholte sich der Turnus. Z u r Zeit kennt der Bundestag keine sog. dritten Wochen, d. h. Wochen, die n u r f ü r Ausschußsitzungen vorgesehen sind. „Es besteht jedoch Einverständnis darüber, daß darunter jetzt Arbeitswochen zu verstehen sind, an denen ausnahmsweise keine Plenarsitzungen stattfinden. Ob der Präsident i n solchen Wochen Fragestunden ansetzt, obliegt allein seinem pflichtgemäßen Ermessen." (Trossmann, Parlamentsrecht, S. 113.) 50 Gemäß Vereinbarung i m Ältestenrat v o m 15. M a i 1962 sind Fragen, die Tagungsordnungspunkte der laufenden Sitzungswoche betreffen, nicht zulässig. Dies soll auch gelten, w e n n nach einer Vereinbarung i m Ältestenrat f ü r diesen Tagungsordnungspunkt auf Begründung u n d Aussprache verzichtet wird. 51 Hiervon w i r d i n der Praxis durch den BT-Präsidenten gelegentlich eine Ausnahme gemacht. Vgl. z.B. die M i t t e i l u n g des BT-Präsidenten v o m 23.11.
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13. Jeder Abgeordnete k a n n bei Einreichung seiner Anfragen erklären, daß er m i t der schriftlichen Beantwortung einverstanden ist. Auch dann ist er nicht berechtigt, mehr als drei Anfragen zu den Fragestunden einer Woche zu stellen. Zusatzfragen zu schriftlichen A n t w o r t e n sind nicht zulässig. Es bleibt dem Abgeordneten überlassen, diese Fragen als selbständige Anfragen zur Fragestunde der nächsten Woche einzubringen. 14. E i n Abgeordneter ist berechtigt, w e n n die Anfrage mündlich beantwortet w i r d , bis zu zwei Zusatzfragen zu stellen. Auch bei Zusatzfragen darf es sich nur u m eine einzelne, nicht unterteilte Frage handeln. Zusatzfragen dürfen keine Feststellungen oder Wertungen enthalten. 15. Der Präsident k a n n weitere Zusatzfragen durch andere Mitglieder des H a u ses zulassen. Sie sollen i h m v o r Beginn der Fragestunde angekündigt w e r den 5 2 . Die ordnungsgemäße A b w i c k l u n g der Fragestunde darf nicht dadurch gefährdet werden. 16. Zusatzfragen müssen i n einem unmittelbaren Zusammenhang m i t der Hauptfrage stehen. 17. Der Präsident r u f t die N u m m e r der Anfrage u n d den Namen des anfragenden Abgeordneten auf. Anfragen dürfen n u r aufgerufen werden, wenn der anfragende Abgeordnete anwesend ist, oder dem Präsidenten mitgeteilt hat, welches Mitglied des Hauses i h n v e r t r i t t . Ist der Anfragende nicht anwesend u n d ist auch kein Vertreter benannt, w i r d die Anfrage von der Bundesregierung schriftlich beantwortet. 18. Ist der zuständige Bundesminister oder sein Vertreter nicht anwesend, w i r d die Anfrage zu Beginn der Fragestunde aufgerufen, i n der er oder sein Vertreter anwesend ist. 19. Anfragen, bei denen sich der Fragesteller m i t schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt hat, werden i n den Sitzungsbericht zusammen m i t der schriftlich erteilten A n t w o r t aufgenommen. Die Anfragen u n d die schriftlich erteilten A n t w o r t e n erscheinen i n dem Sitzungsbericht an der Stelle, an der sie erscheinen würden, w e n n die Anfrage mündlich beantwortet worden wäre. A n t w o r t e n u n d Anfragen, die von der Bundesregierung wegen Abwesenheit des Fragestellers nicht beantwortet werden konnten, werden i n der Anlage zum Sitzungsbericht abgedruckt 5 3 ." 1965: „Die i n dieser Woche nicht erledigten Fragen werden i n den Fragestunden der nächsten Woche beantwortet." 52 Diese Bestimmung, die einer spontanen Handhabung der Zusatzfragen entgegenstehen würde, ist i n der Praxis nie beachtet worden. Vgl. dazu auch Johnson, i n : Parliamentary Ä f f airs, a.a.O., S. 25: "Oddly enough, the Standing Order requires that supplementaries should be notified beforehand to the President. Enforcement on this rule w o u l d obviously destroy the point of supplementaries, and i n fact since a r u l i n g of the President i n September, 1960, i t has become a dead letter." 53 Über die Behandlung v o n Mündlichen Anfragen während der Sommerpause entscheidet der BT-Präsident i m Einvernehmen m i t dem Ältestenrat. Sie werden i n der Regel schriftlich beantwortet. 5*
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2. Kap.:
echt u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Durch die Richtlinien für die Fragestunde vom 29. 6. 1960 wurden nahezu alle Bedenken gegen die bis dahin geübte Praxis der Mündlichen Anfragen ausgeräumt und geschäftsordnungsmäßig recht gute Bedingungen für den Ablauf der Fragestunde geschaffen. Lediglich die i n Ziff. 15 der Richtlinien vorgesehene vorherige Ankündigung von Zusatzfragen zu Beginn der Fragestunde war problematisch, da sie einer spontanen Handhabung der Zusatzfragen entgegenstehen würde. Diese Bestimmung ist jedoch — m i t Billigung des Bundestagspräsidenten — i n der Praxis nie angewandt worden 5 4 . 3. Änderung durch die Kleine Parlamentsreform vom Juni 1969
Gegen Ende der 4. Wahlperiode machte den Fraktionen das Überhandnehmen der Anzahl der Mündlichen Anfragen stark zu schaffen. U m dennoch eine möglichst weitgehende mündliche Behandlung der Anfragen zu gewährleisten, brachte die Fraktion der SPD am 1. A p r i l 1965 einen Antrag ein, der — unter Abänderung der Richtlinien für die Fragestunde — vor allem die Möglichkeit zu zusätzlichen Fragestunden ermöglichen sollte 55 . Der bisherige Punkt 1 der Richtlinien sollte folgende Formulierung erhalten: „Jede Plenarsitzung beginnt m i t einer Fragestunde. Wenn es die Z a h l der eingegangenen Fragen erfordert, werden besondere Plenarsitzungen zur E r ledigung der mündlichen Anfragen angesetzt."
Ferner schlug man vor, die Ziffer 12 der Richtlinien insoweit zu ergänzen, daß die i n einer Woche nicht zu beantwortenden Fragen schriftlich von der Bundesregierung beantwortet werden können, „sofern der Fragesteller nicht ausdrücklich eine mündliche Beantwortung i n der nächsten Fragestunde verlangt". Schließlich beantragte die SPD-Fraktion, die Richtlinien u m einen weiteren Punkt zu ergänzen, der folgenden Wortlaut erhalten sollte: „ T r i t t der Bundestag f ü r eine längere Zeit als zwei Wochen nicht zusammen, so k a n n jeder Abgeordnete Fragen an die Bundesregierung stellen, die innerhalb der i n Nr. 9 vorgesehenen Frist schriftlich beantwortet werden u n d i n den ersten Sitzungsbericht nach der Sitzungspause aufgenommen werden. E i n A b geordneter darf nicht mehr als drei Fragen f ü r 2 sitzungsfreie Wochen stellen."
Dieser Antrag der SPD-Fraktion wurde i n der 187. Sitzung der 4. Wahlperiode vom Plenum an den Geschäftsordnungausschuß überwiesen 56 , der jedoch, kurz vor Ende der Wahlperiode, nicht mehr die Zeit fand, ihn zu behandeln. I n der 5. Wahlperiode wurde der Antrag zunächst nicht wieder eingebracht, wie es nach der Geschäftsordnung erforderlich ist, wenn 54 55 56
Vgl. dazu auch Johnson, i n : Parliamentary Ä f f airs, Vol. 16, S. 25. A n t r a g v o m 1.4.1965, Drucks. IV/3262. StenB IV/S. 9446 D.
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über einen Antrag aus der vorhergehenden Wahlperiode abgestimmt werden soll. I n der Praxis allerdings setzten sich die Vorschläge weitgehend durch. Fragestunden wurden i n der 5. Wahlperiode nicht nur zu Beginn jeder Plenarsitzung abgehalten, sondern — soweit erforderlich — auch an sitzungsfreien Tagen, insbesondere an sitzungsfreien Nachmittagen 57 . Trat der Bundestag für längere Zeit nicht zusammen, ζ. B. i n der Sommerpause, so bestimmte der Ältestenrat, daß die Fragen schriftlich zu beantworten und i n einer Bundestagsdrucksache zu veröffentlichen seien 58 . Dennoch wurde der Bundestag der vielen Mündlichen Anfragen kaum Herr. Vor allem gegen Ende der 5. Wahlperiode, vor den Bundestagswahlen 1969, setzte ein großer Ansturm auf die Fragestunde ein. Wahlkreisfragen standen dabei i m Vordergrund. Nachdem zeitweilig bis zu 189 Fragen für die Fragestunden einer Woche eingebracht wurden, von denen jeweils ein beträchtlicher Teil zumindest nicht mündlich erledigt werden konnte, beschäftigte sich der Ältestenrat des Bundestages wiederholt m i t einer Reform der Fragestunde. U m die Jahreswende 1968/1969 schlugen die parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Frehsee, und der CDU/CSU, Rasner, i m Anschluß an Ältestenratssitzungen vor, die Fragestunden durch Zurückdrängen der lokalbezogenen Anfragen und der Zusatzfragen zu entlasten 59 . Hiergegen wandte sich jedoch energisch der SPD-Abgeordnete Dr. Apel, selbst Abteilungsleiter beim Europäischen Parlament. I m offiziellen Pressedienst seiner Partei erklärte er: „ H i e r w i r d wieder einmal deutlich, w i e wenig sich einzelne Spitzenkräfte des Bundestages der eigentlichen Aufgabe dieses Hauses bewußt sind. Der Bundestag ist eben nicht n u r eine Maschine zur Produktion v o n Gesetzen, die v o m Ältestenrat u n d den Fraktionsgeschäftsführern so gut geölt u n d gepflegt w i r d , daß sie schnell u n d ohne Reibungsverluste arbeitet. Unser Parlament muß vor allem die Sorgen u n d Wünsche unseres Volkes artikulieren u n d durch die K o n trolle aller gesellschaftlichen K r ä f t e u n d bürokratischen Apparate die staatsbürgerlichen Freiheiten sichern. 57 So z . B . die 192. Sitzung des B T am Nachmittag des 24.10.1968 (StenB V/ S. 1041 ff.) u n d die 195. Sitzung am Nachmittag des 14.11.1968 (StenB V/ S. 10527 ff.), deren einziger Tagesordnungspunkt jeweils eine Fragestunde war. 58 Vgl. ζ. B. die Amtliche M i t t e i l u n g des Ältestenrates v o m 2. J u l i 1965, betr. Einreichung v o n Fragen während der Sommerpause: „ F ü r die Einreichung von Fragen während der Sommerpause ist i m Ältestenrat folgende Vereinbarung getroffen worden: Z u r Sitzung am 23. J u l i k a n n jeder Abgeordnete gem. Ziff. 2 der Richtlinien f ü r die Fragestunde drei Mündliche Anfragen einreichen, die jedoch schriftlich beantwortet werden. Sperrfrist f ü r die Einreichung dieser Fragen ist Freitag, der 15. Oktober, 17 U h r . Fragen u n d A n t w o r t e n werden jeweils i n einer Drucksache zusammengestellt, die i n den Amtlichen Mitteilungen angezeigt w i r d . " 59 Vgl. die Meldungen i n den Stuttgarter Nachrichten v o m 10.12.1968 u n d i n den Bremer Nachrichten v o m 14.1.1969,
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Dafür ist die Fragestunde ein wesentliches Element. Sie k a n n f ü r unser L a n d eine größere Bedeutung haben als eine E r k l ä r u n g der Bundesregierung oder eine lange Plenardebatte. Sie ist v o r allem Instrument der f o r m a l e n ' Abgeordneten, u m ihren Anliegen u n d den Sorgen ihres Wahlkreises schnell Gehör zu verschaffen. So ist die Fragestunde wichtig f ü r ein Mindestmaß an Chancengleichheit i m Parlament u n d f ü r ein direktes Verhältnis zwischen den Bürgern u n d dem Deutschen Bundestag. Aus diesem Grunde muß endlich alles »Geweine' über den Zeit- u n d Kostenaufwand f ü r die Fragestunden aufhören. Eine Reform der Fragestunde müßte dagegen noch mehr Möglichkeiten f ü r die individuelle Entfaltung der Abgeordneten geben. — Falls der Ältestenrat etwas anderes w i l l , gibt es n u r eine A n t w o r t : ,Backbencher aller Bundesländer vereinigt Euch' 6 0 ." Diese M a h n u n g des S P D - A b g e o r d n e t e n f r u c h t e t e jedoch nicht. I m Gegenteil, die f ü h r e n d e n A b g e o r d n e t e n a l l e r F r a k t i o n e n , insbesondere die M i t g l i e d e r e i n e r v o m n e u e n B u n d e s t a g s p r ä s i d e n t e n v o n Hassel e i n b e r u f e n e n Kommission zur Parlamentsreform, d r a n g e n w e i t e r a u f eine E n t l a s t u n g der Fragestunden durch Zurückdrängen der lokalbezogenen F r a g e n u n d der Z u s a t z f r a g e n . A l s sich der Deutsche B u n d e s t a g a m 27. M ä r z 1969 z u e i n e r großen D e b a t t e ü b e r P r o b l e m e der P a r l a m e n t s r e f o r m z u s a m m e n f a n d , e r k l ä r t e der A b g e o r d n e t e Genscher v o n der oppositionellen F D P : „Meine Damen u n d Herren, w e n n w i r über Fragen der Parlamentsreform sprechen, müssen w i r , glaube ich, der Fragestunde u n d ihrer Reform erhebliche Bedeutung beimessen. So, w i e i m Augenblick die Fragestunde betrieben w i r d , denaturieren w i r selbst, aber auch die Bundesregierung, ein hervorragendes Recht des einzelnen Parlamentariers. Wenn vorgeschlagen w i r d , Fragen von lokaler Bedeutung auf den Weg der schriftlichen Beantwortung zu verweisen, so unterstützen w i r das 6 1 ." F e r n e r schlug d e r F D P - A b g e o r d n e t e v o r , z u r w e i t e r e n V e r l e b e n d i g u n g d e r P a r l a m e n t s a r b e i t eine sog. politische F r a g e s t u n d e e i n z u f ü h r e n . D i e sen Vorschlag, d e n e r z u v o r schon w i e d e r h o l t v o r der Presse e r l ä u t e r t h a t t e 6 2 , b e g r ü n d e t e er w i e f o l g t : „ I c h glaube, daß w i r weiter zu einer Belebung der Fragestunde kommen könnten, w e n n w i r die erste Fragestunde jeder Woche zu einer politischen Fragestunde machen, i n der Fragen beantwortet werden, die erst i m Parlament mündlich gestellt werden. Das bedeutet, daß Bagatellfragen, Fragen, bei denen ein gewisses Detailwissen erforderlich ist, von vornherein ausgeschlossen sind. Hier k a n n es n u r darum gehen, aktuelle politische Fragen sofort durch die M i t glieder der Bundesregierung beantworten zu lassen . . . Das bedeutet aber, daß die gesamte Bundesregierung i m Parlament anwesend ist u n d daß die abwesenden Mitglieder der Bundesregierung durch den Regierungschef selbst vertreten werden 6 3 ." 60 SPD-Pressedienst (Tagespol.) v o m 15.1.1969 (P/XXIV/10), vgl. dazu auch die Meldung der Stuttgarter Zeitung v o m 16.1.1969. 61 B T 5. Wp., 225. Sitz., StenB V/S. 12366 A . 62 Vgl. Stuttgarter Nachrichten u n d Stuttgarter Zeitung v o m 3. 2.1969. 63 B T 5. Wp., 225. Sitz. (27. 3.1969), StenB V/S. 12366 C.
I I I . Mündliche Anfragen
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I m A n s c h l u ß a n diese große P l e n u m s d e b a t t e v o m M ä r z 1969 beschäft i g t e sich d i e schon z u v o r v o m B u n d e s t a g s p r ä s i d e n t e n e i n b e r u f e n e K o m m i s s i o n z u r P a r l a m e n t s r e f o r m w i e d e r u m m i t einer R e f o r m d e r F r a g e stunde. I h r e Vorschläge sowie zahlreiche A n t r ä g e d e r e i n z e l n e n F r a k t i o n e n w u r d e n i m Geschäftsordnungsausschuß w e i t e r b e r a t e n 6 4 . A m 12. J u n i 1969 6 5 l e g t e d a n n der Geschäftsordnungsausschuß — n e b e n z a h l r e i c h e n a n d e r e n V o r s c h l ä g e n z u r P a r l a m e n t s r e f o r m — 20 v ö l l i g n e u f o r m u l i e r t e R i c h t l i n i e n f ü r die F r a g e s t u n d e v o r , die e i n G r o ß t e i l a l l e r z u v o r geäußerten R e f o r m v o r s c h l ä g e a u f g e g r i f f e n u n d die i n e i n e r großen D e b a t t e ü b e r die sog. K l e i n e P a r l a m e n t s r e f o r m a m 18. J u n i 1969 b e i n u r einer S t i m m e n t h a l t u n g e i n s t i m m i g a n g e n o m m e n w u r d e n 6 6 . S i n n u n d Tendenz d e r n e u e n R i c h t l i n i e n b e g r ü n d e t e der schriftliche B e r i c h t des Geschäftsordnungsausschusses w i e f o l g t : „ B e i der Neufassung gingen die Kommission u n d der Ausschuß v o n der Überlegung aus, daß die Fragestunde ein bedeutendes M i t t e l parlamentarischer K o n trolle darstellt, ihren politischen Wert allerdings einbüßen müßte, wenn soviel Fragen gestellt würden, daß sie i n den vorgesehenen Fragestunden nicht mehr ordnungsgemäß beantwortet werden können. Aus diesem Grunde schlägt der Ausschuß vor, daß jeder Abgeordnete i n einer Sitzungswoche n u r zwei Fragen — allerdings jede i n zwei Unterfragen geteilt — stellen darf. Fragen v o n offenbar lokaler Bedeutung sollen nach den Vorstellungen des Ausschusses nicht mehr i n der Fragestunde behandelt, sondern schriftlich beantwortet w e r d e n 6 7 . " Diese l e t z t g e n a n n t e Ä n d e r u n g s o l l d a d u r c h e r r e i c h t w e r d e n , daß i n N r . 15 d e r R i c h t l i n i e n d e r B u n d e s t a g s p r ä s i d e n t e r m ä c h t i g t w i r d , F r a g e n offenbar lokaler Bedeutung auf den Weg der schriftlichen B e a n t w o r t u n g zu v e r w e i s e n . I n d e m B e r i c h t des Ausschusses h e i ß t es dazu: „Durch diese Verweisungsmöglichkeit soll die Fragestunde zugunsten v o n Fragen überregionaler Bedeutung entlastet werden. Der Ausschuß sieht hierin keine Beeinträchtigung des Fragerechts des Abgeordneten u n d der damit i n der Regel f ü r seinen Wahlkreis verbundenen Publizität. E r geht vielmehr von der Erfahrung aus, daß auch schon bisher nicht über den Bundestag gerichtete 64
Vgl. dazu Drucks. V/4373, S. 4. Drucks. V/4373. 66 B T 5. Wp., 240. Sitz., StenB V/S. 13293 Β (13323 C). Neben der Reform der Fragestunde brachte die Kleine Parlamentsreform u. a. noch folgende Änderungen: — Zusammenfassung von Vorstand u n d Ältestenrat des Bundestages zu einem einheitlichen Lenkungsorgan, das die Parlamentsarbeit bis zu 3 Monate vorausplanen soll, — den Z w a n g zur freien Rede m i t kurzen Redezeiten, — eine Erweiterung der Befugnisse der Ausschüsse, die das Recht erhalten haben, sich v o n sich aus, d. h. ohne Überweisung durch das Plenum, m i t einzelnen Themen zu beschäftigen u n d die i m Einzelfall beschließen können, daß die Öffentlichkeit zugelassen w i r d . 67 Drucks. V/4373, S. 13. 65
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
schriftliche Anfragen an die zuständigen Fachminister u n d deren A n t w o r t i n der lokalen Presse ihren Niederschlag gefunden haben 0 8 ." N e b e n diesen einschneidenden Ä n d e r u n g e n s t e l l t N r . 8 d e r n e u e n R i c h t l i n i e n — d e r i m w e s e n t l i c h e n d e r a l t e n N r . 18 e n t s p r i c h t — k l a r , daß das F r a g e r e c h t eines A b g e o r d n e t e n n i c h t d a d u r c h eingeschränkt w e r d e n d a r f , daß d e r z u s t ä n d i g e F a c h m i n i s t e r oder sein V e r t r e t e r i n e i n e r F r a g e s t u n d e n i c h t a n w e s e n d ist. — D e m g e g e n ü b e r w i r d i n N r . 13 d e r R i c h t l i n i e n n e u geregelt, daß die Ü b e r n a h m e v o n F r a g e n abwesender A b g e o r d n e t e n d u r c h anwesende P a r l a m e n t a r i e r n i c h t zulässig ist. I n s g e s a m t l a u t e n d i e n e u e n R i c h t l i n i e n f ü r die F r a g e s t u n d e , d u r c h die die R i c h t l i n i e n v o m J u n i 1960 abgelöst w o r d e n sind, w i e f o l g t : „ I . Das Fragerecht 1. Jeder Abgeordnete ist berechtigt, i n den Fragestunden einer Sitzungswoche bis zu zwei mündliche Fragen an die Bundesregierung zu richten. Die Fragen müssen kurz gefaßt sein u n d eine kurze Beantwortung ermöglichen. Sie dürfen keine Feststellungen oder Wertungen enthalten. Jede Frage darf i n zwei Unterfragen unterteilt sein. 2. Zulässig sind Einzelfragen aus den Bereichen, f ü r die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Fragen, die einen Tagesordnungspunkt der laufenden Sitzungswoche betreffen, sind i n dieser Woche unzulässig. Das gilt nicht, w e n n f ü r den Tagesordnungspunkt auf Begründung u n d Aussprache verzichtet w i r d . 3. Der Fragesteller ist berechtigt, w e n n die Frage mündlich beantwortet w i r d , bis zu zwei Zusatzfragen zu stellen. Auch Zusatzfragen müssen kurz gefaßt sein, eine kurze Beantwortung ermöglichen u n d dürfen keine Feststellungen oder Wertungen enthalten. 4. Der Präsident soll weitere Zusatzfragen durch andere Mitglieder des H a u ses zulassen, soweit dadurch die ordnungsgemäße A b w i c k l u n g der Fragestunde nicht gefährdet w i r d . 5. Zusatzfragen, die nicht i n einem unmittelbaren Zusammenhang m i t der Hauptfrage stehen, sind unzulässig. I I . Die Einreichung der Fragen 6. Die Fragen sind dem Präsidenten (Parlamentssekretariat) i n dreifacher Ausfertigung einzureichen. 7. Fragen, die den N u m m e r n 1 u n d 2 der Richtlinien nicht entsprechen, gibt der Präsident zurück. Sie werden i n die Liste der Fragen zur Fragestunde erst aufgenommen, w e n n der Präsident sie f ü r zulässig erklärt hat. 8. Ist der zuständige Bundesminister oder sein Vertreter nicht anwesend, so k a n n der Fragesteller verlangen, daß seine Fragen zu Beginn der Fragestunde aufgerufen werden, i n der der Bundesminister oder sein Vertreter anwesend ist; sein Fragerecht darf hierdurch nicht eingeschränkt werden. 9. Fragen müssen so rechtzeitig eingereicht werden, daß sie der Bundesregierung drei Tage v o r der Fragestunde, i n der sie beantwortet werden sollen, zugestellt werden können, spätestens jedoch bis Freitag 15 Uhr. 68
Drucks. V/4373, S. 13.
I I I . Mündliche Anfragen
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10. Der Präsident k a n n ausnahmsweise Fragen v o n offensichtlich dringendem öffentlichen Interesse (dringliche Anfragen) f ü r die Fragestunde zulassen, w e n n sie spätestens am vorhergehenden Tage bis 12 U h r mittags eingereicht werden. N u m m e r 1 der Richtlinien bleibt unberührt. Dringliche Fragen werden zu Beginn der Fragestunde aufgerufen. Liegen zum selben Fragenkreis bereits Fragen vor, werden sie ebenfalls vorgezogen u n d haben Vorrang v o r der dringlichen Frage. I I I . Die Durchführung der Fragestunde 11. I n jeder Sitzungswoche werden bis zu 3 Fragestunden durchgeführt; die Fragestunde darf 60 M i n u t e n nicht überschreiten. 12. Die Fragen werden nach den Geschäftsbereichen der Bundesregierung zusammengestellt. Der Präsident bestimmt, i n welcher Reihenfolge die Geschäftsbereiche aufgerufen werden. 13. Der Präsident r u f t die N u m m e r der Frage u n d den Namen des anfragenden Abgeordneten auf. Fragen dürfen n u r beantwortet werden, w e n n der anfragende Abgeordnete anwesend ist. Ist der Fragesteller nicht anwesend, w i r d die Frage v o n der Bundesregierung schriftlich beantwortet. 14. Fragen, die i n den Fragestunden einer Woche aus Zeitmangel nicht beantwortet werden, beantwortet die Bundesregierung schriftlich, sofern der Fragesteller nicht v o r Schluß der letzten Fragestunde seine Fragen zurückzieht. Die schriftlichen A n t w o r t e n sind i n den Sitzungsbericht aufzunehmen. 15. Fragen v o n offenbar lokaler Bedeutung k a n n der Präsident auf den Weg der schriftlichen Beantwortung verweisen. N u m m e r n 19 u n d 20 finden A n wendung. I V . Schriftliche Fragen 16. Jeder Fragesteller k a n n f ü r jede Sitzungswoche bis zu 2 Fragen an die Bundesregierung richten, die schriftlich beantwortet werden. 17. Fragen, die der N u m m e r 1 Abs. 2 u n d Nummer 2 der Richtlinien nicht entsprechen, gibt der Präsident zurück. 18. Die Fragen müssen spätestens am Freitag v o r der Sitzungswoche bis 15 U h r eingereicht werden. 19. Geht die schriftliche A n t w o r t der Bundesregierung nicht bis spätestens Donnerstag der Sitzungswoche, 15 Uhr, beim Präsidenten ein, so k a n n der Fragesteller verlangen, daß seine Frage i n der nächsten Fragestunde m ü n d lich beantwortet w i r d . Die N u m m e r 1 u n d 14 finden insoweit keine A n wendung. 20. Die eingegangenen A n t w o r t e n einer Woche werden zusammengefaßt i n einer Drucksache veröffentlicht 6 9 ."
Während i n der Plenumsdebatte über die Vorschläge zur Parlamentsreform über die neuen Richtlinien für die Fragestunde nicht diskutiert wurde, sondern diese bei nur einer Stimmenthaltung einstimmig angenommen wurden, stand ein Antrag der oppositionellen FDP auf Einführung einer wöchentlichen politischen Fragestunde u m so mehr i m 69
Drucks. V/4373, S. 21, 22.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
V o r d e r g r u n d 7 0 . D i e F D P w a r m i t diesem i h r e m V o r s c h l a g i n der K o m m i s s i o n u n d i m Ausschuß — n i c h t z u l e t z t w e g e n d e r K ü r z e der B e r a t u n g s zeit — n i c h t d u r c h g e d r u n g e n u n d b e a n t r a g t e deshalb j e t z t i m P l e n u m die E i n f ü h r u n g e i n e r N r . 11 a i n die n e u e n R i c h t l i n i e n m i t f o l g e n d e m Text: „IIa.
I n der ersten Fragestunde jeder Woche können Fragen v o n allgemeinem politischen Interesse ohne vorherige schriftliche Einreichung an die M i t glieder der Bundesregierung gestellt werden. A n dieser Fragestunde nehmen alle Mitglieder der Bundesregierung t e i l 7 1 .
T e m p e r a m e n t v o l l b e g r ü n d e t e d e r A b g e o r d n e t e Moersch diesen A n trag: „Meine Damen u n d Herren, es handelt sich, w e n n w i r v o n Parlamentsreform sprechen, sicherlich u m den wichtigsten Antrag, der hierzu i m gegenwärtigen Geschäftsgang gestellt werden k a n n — w e i l — w i e ich meine — eine sozusagen unvorbereitete Befragung der Bundesregierung — u n d zwar aller Mitglieder der Bundesregierung — zu einer erheblichen Verbesserung der Einflußmöglichkeiten des Deutschen Bundestages führen w i r d . Ich möchte Sie daran erinnern, daß etwa i m kanadischen Parlament diese Fragestunde m i t großem Erfolg ohne voher eingereichte Fragen praktiziert w i r d . Es k a n n f ü r die Regierung überhaupt nicht schwierig sein, diese Fragen, die überraschend zu aktuellen Themen kommen mögen, v o n der Regierungsbank sofort zu beantworten, u n d zwar deswegen, w e i l die Regierung das regelmäßig i n Pressekonferenzen auch tut. Was einer Regierung v o r der Bundespressekonferenz möglich ist, das muß i h r erst recht i m Parlament möglich sein, wo die Regierungsvertreter außerdem noch ihre sachverständigen Berater hinter sich zu sitzen haben 7 2 ." und weiter: „ M i r geht es darum, daß w i r i n Deutschland endlich v o n der Meinung abkommen, das Parlament sei keine aktuelle Institution. Wenn Sie das Parlament i m politischen Bereich aktualisieren wollen, müssen Sie i h m die Möglichkeit zu dieser A r t v o n Fragestunde geben, es sei denn, Sie halten i n diesem F a l l immer eine A k t u e l l e Stunde ab. Das wäre aber ein umständliches Verfahren, w e i l der Abgeordnete zunächst einmal die Informationen haben muß. Diese Informationen bekommt er durch Beantwortung v o n Fragen. E r k a n n dann anschließend i n einer kurzen Debatte noch seine Meinung dazu sagen oder einen Kommentar dazu geben. Es gibt keinen Grund, eine solche aktuelle Fragestunde nicht einzuführen, es sei denn, Sie w o l l t e n die Regierung schonen 73 ." T r o t z dieser e n g a g i e r t e n A u s f ü h r u n g e n des A b g . M o e r s c h k o n n t e sich die F D P m i t i h r e m A n t r a g a u f E i n f ü h r u n g e i n e r p o l i t i s c h e n F r a g e s t u n d e n i c h t durchsetzen. Das l a g jedoch n i c h t so sehr a n e i n e r g r u n d s ä t z l i c h e n A b l e h n u n g der E i n r i c h t u n g als solcher, als einfach d a r a n , daß die A b g e ordneten der beiden Regierungsparteien C D U / C S U u n d SPD nicht den M u t fanden, so k u r z f r i s t i g , ohne g r ü n d l i c h e s A b w ä g e n des F ü r u n d W i d e r 70 A n t r a g v o m 17. 6.1969, B T 5. Wp., 240. Sitz., A n i . 2 U m d r . 704, StenB V/ S.13406. 71 s. A n m . 70. 72 StenB V/S. 13314 D, 13315 A . 73 StenB V/S. 13315 B, C.
I I I . Mündliche Anfragen
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eine so einschneidende Neuerung zu beschließen. — Mehrere Sprecher der Regierungsparteien begrüßten den Vorschlag der FDP, meinten aber, er sei noch nicht ausdiskutiert, insbesondere sei die Regierung dazu noch nicht gehört worden. Der CDU-Abgeordnete Dichgans wies auf die starke zusätzliche Zeitbeanspruchung der Regierung h i n und gab zu bedenken, daß eine solche politische Fragestunde sehr bald zu sehr diplomatischen Antworten der Regierung führen werde. Die Regierung werde lernen, wie sie m i t freundlichen Worten etwas sage, was keine A n t w o r t sei. Da könne man besser sein Ziel m i t einer dringlichen Anfrage i n der Fragestunde erreichen, wo man i n einer Frist von nur 24 Stunden immerhin eine vorbereitete A n t w o r t erhalten könne 7 4 . Demgegenüber meinte der Abgeordnete Bauer von der SPD, die Möglichkeiten i n der Aktuellen Stunde seien ausreichend für den angestrebten Zweck 7 5 . Der CDU/CSU-Abgeordnete Dr. Schwörer befürchtete, die Einführung einer politischen Fragestunde könne bei Eindringen radikaler Gruppen i n das Parlament mißbraucht werden 7 6 , während der Abg. Rasner verfassungsrechtliche Bedenken geltend machte, da durch eine einfache Bestimmung der Geschäftsordnung ein anderes Verfassungsorgan, nämlich die Regierung, gezwungen werden solle, sich vollzählig vorm Parlament zu versammeln 77 . Aufgrund all dieser geäußerten Bedenken fand sich schließlich eine knappe Mehrheit, die der Rückverweisung des Antrages an den Geschäftsordnungsausschuß zustimmte 7 8 , was, so kurz vor den Neuwahlen, i m Ergebnis einer Ablehnung für die laufende Wahlperiode gleichkam. Die FDP hat jedoch angekündigt, diesen ihren Vorschlag auch als Regierungspartei i n der 6. Legislaturperiode weiter zu verfolgen 79 . 4. Geltendes Geschäftsordnungsrecht
I m Zuge der Neufassung der Geschäftsordnung vom 22. Mai 1970 erhielt § 111 GO folgende Fassung 80 : 74
StenB V/S. 13317 A . StenB V/S. 13323 B. 76 StenB V/S. 13316 C. 77 StenB V/S. 13320 C. 78 StenB V/S. 13323 D. 79 Vgl. die Meldung der F A Z v o m 21.10.1969, wo es dann weiter heißt: „Dieser A n t r a g (auf Einführung der politischen Fragestunde — d. Verf.) fand i m J u n i d. J. eine nicht so sehr grundsätzliche als vielmehr v o n dem M i ß v e r hältnis zwischen der Neuheit des Vorschlages u n d dem dicht bevorstehenden Ende der Legislaturperiode bestimmte Ablehnung, die den deutlichen Vermerk ,zur Wiedervorlage' trug." 80 B G B l . 1970 I, S. 627 u n d 642. 75
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
„§111 Fragestunde Jedes M i t g l i e d des Bundestages ist berechtigt, kurze M ü n d l i c h e 8 1 Anfragen an die Bundesregierung 8 2 zu richten. Das Verfahren w i r d i n den Richtlinien f ü r die Fragestunde geregelt (Anlage 2)83» 84> es." 5. Der Geschäftsgang der Mündlichen Anfragen D e r Geschäftsgang d e r M ü n d l i c h e n A n f r a g e n i n n e r h a l b der B u n d e s r e g i e r u n g i s t i n d e n §§ 9 u n d 10 G G O I I geregelt. E r e n t s p r i c h t i n w e s e n t lichen P u n k t e n dem der Großen u n d K l e i n e n Anfragen. D i e f ü r eine F r a g e s t u n d e b e i m B u n d e s t a g s p r ä s i d e n t e n eingereichten F r a g e n 8 6 w e r d e n v o n diesem i n e i n e r Drucksache z u s a m m e n g e f a ß t u n d a n das B u n d e s k a n z l e r a m t gesandt. V o n d o r t w e r d e n sie a n das f e d e r f ü h r e n d e M i n i s t e r i u m w e i t e r g e l e i t e t , es sei denn, daß d e r B u n d e s k a n z l e r oder sein V e r t r e t e r sie w e g e n i h r e r p o l i t i s c h e n B e d e u t u n g p e r s ö n l i c h b e a n t w o r t e n w o l l e n . I n j e d e m F a l l t e i l t das B u n d e s k a n z l e r a m t d e m D i r e k t o r (!) b e i m B u n d e s t a g m i t , w e r die F r a g e n b e a n t w o r t e n w i r d (§ 9 A b s . 1 GGO II). 81 Sie als „Mündliche" Anfragen zu bezeichnen, ist an sich mißverständlich, da die Anfragen schriftlich eingereicht werden müssen u n d i m Plenum auch nicht m ü n d l i c h wiederholt werden. 82 H i e r i n liegt eine Abweichung gegenüber dem bis dahin geltenden Geschäftsordnungstext des § 111 GO, demzufolge der Gegenstand der Anfrage „dem zuständigen Bundesminister" vorher mitzuteilen war. Diese Bestimm u n g führte i n der Praxis dazu, daß Mündliche Anfragen schon bei Eingabe an den zuständigen Minister gerichtet wurden. Diese — auch bei den Kleinen Anfragen gelegentlich geübte — Praxis erscheint aber nach Verfassung u n d Geschäftsordnung nicht richtig; denn nicht das einzene M i t g l i e d der Bundesregierung ist dem Bundestage verantwortlich, sondern die Bundesregierung i n ihrer Gesamtheit als Verfassungsorgan. Der Abgeordnete k a n n daher n u r die Bundesregierung befragen; wer f ü r sie antwortet, entscheidet die Bundesregierung. Z u Recht sieht deshalb auch die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien i n § 9 den Geschäftsgang über das Bundeskanzleramt vor. 83 Der Wortlaut der 1969 neuformulierten Richtlinien findet sich oben unter I I I 3. 84 Z u den Unterschieden gegenüber dem engl. Recht vgl. Johnson, i n : Parliamentary Affairs, V o l 16, S. 26 ff. 85 Z u der Frage, i n w i e w e i t einzelne Mitglieder des Bundesraies Fragen an die Bundesregierung richten können, vgl. die Kontroverse zwischen den M i n i sterpräsidenten Dr. Meyers u n d Z i n n i n der 266. Sitz, des Bundesrates, 28.2. 1964, BR StenB, S. 15 C ff. I n der L i t e r a t u r w i r d überwiegend n u r dem Bundesratsplenum als solchem u n d den Ausschüssen ein Zitierungs- u n d Fragerecht zuerkannt (so ζ. B. Maunz-Dürig, A r t . 53 Rdnr. 8). 86 Hierzu bestimmt § 5 der GO der F r a k t i o n der SPD i m Bundestag: „Fragen f ü r die Fragestunde werden über den parlamentarischen Geschäftsführer eingereicht." Ä h n l i c h auch § 13 der Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, abgedruckt bei Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, K ö l n u n d Opladen 1963, S. 459 f. Beide Regelungen entsprechen einem Wunsch des Ältestenrates (vgl. Sitzungen v o m 14. u n d 21. 2.1952 u n d v o m 20. 9.1955).
I I I . Mündliche Anfragen
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Die mündliche A n t w o r t i n der Fragestunde erfolgt durch den federführenden Minister oder seinen Staatssekretär, bei Verhinderung beider durch einen anderen Minister oder Staatssekretär (§ 9 Abs. 2 GGO II). Wenn eine Frage bereits i n einer früheren Fragestunde beantwortet worden ist, so hat das federführende Ministerium den Fragesteller darauf rechtzeitig aufmerksam zu machen (§10 Abs. 4 GGO II). Mündliche Anfragen, die wegen Abwesenheit des Fragestellers i n der Fragestunde oder wegen Zeitablaufs nicht mehr beantwortet werden konnten, sollen unverzüglich schriftlich beantwortet werden und die A n t wort an den Fragesteller gesandt werden. Abdrucke der A n t w o r t erhalten der Bundestagspräsident — und zwar i n einer vom Bundeskanzleramt jeweils festgesetzten Zahl —, das Bundeskanzleramt und die beteiligten Ministerien (§ 10 Abs. 1 und 2 GGO II). Wenn eine Mündliche Anfrage i n der Fragestunde deshalb nicht beantwortet werden kann, w e i l Fachminister und Staatssekretär verhindert sind und die Beantwortung durch einen anderen Minister oder Staatssekretär nicht zweckmäßig erscheint, ist die A n t w o r t außerhalb der Tagesordnung i n der nächsten Plenumssitzung nachzuholen ( § 1 0 Abs. 3 GGO II). 6. Die Aktuelle Stunde
Zu unterscheiden von der Fragestunde — w e i l häufig m i t dieser verwechselt — ist die sog. Aktuelle Stunde. Sie wurde am 27. Januar 196587 auf Grund eines gemeinsamen Antrages der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F D P 8 8 probeweise 89 eingeführt 9 0 . Grund und Anlaß für ihre Einführung war eine gewisse institutionelle Unzulänglichkeit der Fragestunde. Zwar war durch die Richtlinien für die Fragestunde vom Jahre 1960 der Ablauf dieser Stunde entscheidend verbessert worden, doch zeigte sich, daß i n der hier allein zulässigen Form von Frage und A n t w o r t viele aktuelle Fragen nicht zufriedenstellend behandelt werden können. Vor allem die ungleiche Ausgestaltung der Partner auf Grund der Tatsache, daß der gefragte Minister hinsichtlich der A r t und Weise seiner A n t w o r t 87
B T StenB IV/S. 7821 C, D. A n t r a g v o m 19.1.1965, B T Drucks. IV/2958. 89 Z u r „vorläufigen" Einführung der A k t u e l l e n Stunde, vgl. BT-Vizepräsident Dr. Jäger, StenB IV/S. 7821 D u n d GO-Ausschuß, 4. Wp., 8. Sitz., Prot. v. 21 1.1965. 90 Vgl. zur Einführung der A k t u e l l e n Stunde i m Bundestag u. a. folgende Zeitungsaufsätze: Hoff mann, V o l k m a r , Sternstunde f ü r Stegreif redner, i n : Frankfurter Rundschau v o m 11. 2.1965; Jansen, Wolf gang, Die A k t u e l l e Stunde, i n : Welt der A r b e i t v o m 12.2.1965; König, Dieter von, Neuer Bonner Parlamentsstil, i n : Die Tat, 12. 2.1965. 88
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2. Kap.:
echt u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
relativ ungebunden ist, der Fragesteller seine Argumente aber nur indirekt i n Frageform vortragen kann, hatte häufig Unzufriedenheit unter den Beteiligten geweckt. Die „freie Rede und Gegenrede", die Ritzel bei Einführung der Fragestunde als eines ihrer Charakteristika bezeichnet hatte 9 1 , war i n der Form von Frage und A n t w o r t praktisch nicht möglich. Andererseits war die Regierung oft unzufrieden darüber, daß bei Fragestunden über aktuelle Probleme die Auswahl der zu behandelnden Themen allein von den Fragestellern getroffen wurde, wodurch die Schwergewichte einseitig verlagert wurden. U m nun trotzdem Abgeordneten und Regierung die Möglichkeit eines kurzfristigen und auch chancengleichen Rededuells zu geben, führte man die Aktuelle Stunde i n Form einer Kurzdebatte ein 9 2 . Die „Vorläufige(n) Bestimmungen über Aussprachen zu Fragen von allgemeinem Aktuellen Interesse" 93 unterscheiden dabei eine Ac-hocAussprache „auf Antrag" und eine solche „auf Verlangen" 9 4 . Letztere hat ihren Ausgangspunkt unmittelbar i n der Fragestunde. Anknüpfend an die A n t w o r t der Bundesregierung auf eine mögliche A n frage von allgemeinem aktuellen Interesse können 30 — ab 1. 10. 1969 soviel anwesende Bundestagsmitglieder, wie der Fraktionsmindeststärke entspricht — sie direkt nach Schluß der Fragestunde verlangen. Die Aktuelle Stunde findet dann i m unmittelbaren Anschluß an die Fragestunde statt. Anderes gilt für die Ac-hoc-Aussprache auf Antrag: Ist es für eine Gruppe von Abgeordneten schon vor der A n t w o r t der Bundesregierung auf eine bestimmte Anfrage i n der Fragestunde ersichtlich, daß sie über den Gegenstand dieser Anfrage eine Aktuelle Stunde herbeiführen wollen, so können sie diese Aktuelle Stunde selbständig vor Beginn der Plenarsitzung beantragen. Ein solcher Antrag muß von mindestens soviel Abgeordneten, wie der Fraktionsstärke entspricht 95 , beim Bundestagspräsidenten eingereicht werden. Dieser setzt die Aussprache auf die Tagesordnung, wenn i m Ältestenrat Einvernehmen darüber erzielt wird. Kann sich der Ältestenrat nicht einigen, entscheidet der Bundestag mit Mehrheit über den Antrag. Die Aktuelle Stunde, die sich nicht direkt an eine Fragestunde anschließt, sondern auf Antrag stattfindet, ist also insoweit an erschwerte Voraussetzungen gebunden. 91
BT, 1. Wp., 179. Sitz., 6.12.1951, StenB I/S. 7413 D. Vgl. zum Ganzen auch Schäfer, Der Bundestag, S. 240. 93 Sie entsprechen i n der Formulierung bis auf geringfügige redaktionelle Änderungen dem interfraktionellen A n t r a g i n Drucks. I V / N r . 2958; zum W o r t laut vgl. Trossmann, Parlamentsrecht, Anlage 6, S. 369. 94 Z u weiteren Einzelheiten vgl. auch Schäfer, Der Bundestag, S. 240, und Trossmann, Parlamentsrecht, S. 12 ff. 95 Seit dem 27. 3.1969 ist die Fraktionsmindeststärke auf 1/5 der Mitglieder des Bundestages — das sind ζ. Z. 26 Abgeordnete — festgesetzt. 92
I V . Einzelne Rechtsfragen
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I n beiden Fällen — sowohl bei der Ac-hoc-Aussprache auf Verlangen als auch bei der auf Antrag — ist die Dauer der Aussprache grundsätzlich auf eine Stunde beschränkt, wobei die von Mitgliedern oder Beauftragten der Bundesregierung oder des Bundesrates i n Anspruch genommene Zeit nicht mitgerechnet wird. Kein Abgeordneter darf länger als 5 Minuten reden; die Verlesung von Erklärungen oder Reden ist ausdrücklich für unzulässig erklärt. Überschreitet die von Mitgliedern und Beauftragten der Bundesregierung sowie des Bundesrates i n Anspruch genommene Redezeit 96 30 Minuten, so verlängert sich die Dauer der Aussprache ebenfals um 30 M i nuten 9 7 . Anträge zur Sache, insbesondere Entschließungsanträge, können bei einer Aktuellen Stunde nicht gestellt werden. Die Aktuelle Stunde ist also eine Einrichtung, die i n Form einer Kurzdebatte die Möglichkeit zu einem öffentlichen Gedankenaustausch gibt, an dessen Ende nicht unbedingt eine fertige Lösung zu stehen braucht. I n der Praxis des Bundestages w i r d von dieser Möglichkeit allerdings bis jetzt noch verhältnismäßig wenig Gebrauch gemacht 98 .
I V . Einzelne Rechtsfragen Die Möglichkeit des Bundestages, durch parlamentarische Anfragen Einfluß auszuüben und die Bundesregierung zu kontrollieren, ist natürlich dann besonders groß, wenn für die Bundesregierung eine Rechtspflicht besteht, auf diese Fragen zu antworten und wenn sie wegen der 9β Wegen ihres i m Grundgesetz verankerten Rechtes auf jederzeitiges Gehör, k a n n die Redezeit der Regierungs- u n d Bundesratsmitglieder nicht beschränkt werden u n d darf auch nicht auf die den Fraktionen zustehende Redezeit angerechnet werden. Vgl. dazu BVerfGE 10/4 ff. 97 Eingeführt durch die Kleine Parlamentsreform i m J u n i 1969; vgl. Drucks. V/4373, Nr. 27, S. 22 sowie B T StenB V/S. 13323 D. 98 I n der 4. Wp. gab es 2, i n der 5. Wp. 17 A k t u e l l e Stunden. Die 6 Aktuellen Stunden des Jahres 1968 hatten folgende Themen zum Gegenstand: — betr. Auswirkungen der Getreidepreissenkungen (146. Sitz., 17.1.1968, StenB V/S. 7509 D) — betr. Studentenunruhen — Provokation u n d Störaktionen extrem radikaler Gruppen (154. Sitz., 9. 2.1968, StenB V/S. 7881 C ff.) — betr. Sternmarsch auf Bonn am 11. M a i 1968 (173. Sitz., 10. 5.1968, StenB V / S.9263 D) — betr. Einrichtung einer Bundeszentrale f ü r Öffentlichkeitsarbeit (183. Sitz., 26. 6.1968, StenB V/S. 9912 C ff.) — betr. Auffassung der Bundesregierung i n der Frage der A g r a r s t r u k t u r p o l i t i k (190. Sitz., 18.10.1968, StenB V/10028 C ff.) — betr. Vorschläge des Vizepräsidenten Mansholt zur Reform der Agrarstrukt u r p o l i t i k (205. Sitz., 12.12.1968, StenB V / S . 11130 C ff.)
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Verweigerung der Antwort, einer unrichtigen Auskunft oder einer beleidigenden Bemerkung i m Frage- und Antwortspiel gerichtlich belangt werden kann. 1. Zur Antwortpfiicht der Regierung
Die Frage, ob und inwieweit die Bundesregierung verpflichtet ist, auf Große, Kleine und Mündliche Anfragen i m Parlament zu antworten, w i r d i n der Literatur nur beiläufig behandelt und unterschiedlich beantwortet. Eine eindeutige Position beziehen nur die Kommentatoren zur Geschäftsordnung des Bundestages, Ritzel-Koch 1 und Lechner-Hülshoff 2 , die beide — ohne nähere Begründung — eine Antwortpflicht der Regierung verneinen. Demgegenüber scheinen sämtliche Kommentatoren zum Grundgesetz eine Antwortpflicht der Regierung unter Hinweis auf A r t . 43 I GG zu bejahen 3 . Sie gehen nämlich davon aus, daß das Recht der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen, wie es i n der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt ist, lediglich als eine „Konkretisierung" des Zitierungsrechtes des A r t . 43 I GG anzusehen sei 4 . Diesem Zitierungsrecht des A r t . 43 aber, demzufolge der Bundestag die Anwesenheit des einzelnen Bundesministers verlangen kann, entspreche „die Verpflichtung des Zitierten auf Fragen ,Rede und Antwort' zu stehen (sog. Interpellationsrecht)" 5 . Komme der Minister dieser Pflicht nicht nach, begehe er eine Verfassungsverletzung. Dieser Ansicht kann nur insoweit, als sie sich auf das Zitierungsrecht des Grundgesetzes bezieht, zugestimmt werden. Es ist i n der Tat zutreffend, daß eine bloße Anwesenheit der zitierten Bundesminister ohne aktive Teilnahme an den Sitzungen dem Sinn und Zweck des A r t . 43 I GG widersprechen würde. W i r d das Erscheinen eines Ministers m i t Mehrheit 1
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (1952), § 106 A n m . 1 a. I n : Parlament u n d Regierung, § 106 GO B T A n m . 1. 3 v. Mangoldt-Klein, A r t . 43 I I I 2 (im Anschluß an: Anschütz, WRV, 14. Aufl., A n m . 1 zu A r t . 33); Maunz-Dürig, A r t . 43, Rnr. 8; Schmidt/Bleibtreu-Klein, A r t . 43, Rdnr. 1 u. 3; Giese, A r t . 43, Erl. I I ; Schneider, i n : Bonner Kommentar, A r t . 43, Erl. I I 2; vgl. i m übrigen auch: Nawiasky, Grundgedanken, S. 89, u n d beiläufig B V e r f G i n BVerfGE 13/125 = N J W 1961, S. 1913. 4 So wörtlich: Maunz-Dürig, A r t . 43 Rdnr. 1 a. E.; vgl. auch: v. MangoldtK l e i n , A r t . 43 I I I 2; Schmidt/Bleibtreu-Klein, A r t . 43, Rdnr. 1. - Schneider, i n : Bonner Kommentar, A r t . 43, Erl. I I 2 u n d Hamann, A r t . 43, Erl. 1, bezeichnen das Zitierungsrecht des A r t . 43 direkt als Interpellationsrecht. 5 Maunz-Dürig, A r t . 43, Rdnr. 8. Noch weitgehender das B V e r f G i n BVerfGE 13/125 = N J W 1961, S. 1913: „ A n t w o r t e n der Bundesregierung auf mündliche Fragen i n der F r a g e s t u n d e . . . gehören i n den Rahmen des Frage- u n d I n t e r pellationsrechtes des Parlamentes, das den Mitgliedern der Bundesregierung die v e r f a s s u n g s r e c h t l i c h e V e r p f l i c h t u n g auferlegt, auf Fragen Rede u n d A n t w o r t zu stehen." (Sperr, v. Verf.). 2
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verlangt, so kann dieser seiner Pflicht nicht dadurch genügen, daß er sich zu einem bloßen stummen Dabeisitzen bereitfindet, auf gestellte Fragen aber jegliche A n t w o r t verweigert. Erscheinungspflicht i n A r t . 43 I GG bedeutet also Äußerungspflicht, wobei es dem Minister nach zu Recht herrschender Meinung allerdings überlassen bleiben muß, den Umfang der Informationen selbst zu bestimmen 6 . Unzulässig erscheint es jedoch, aus dieser Äußerungspflicht des zitierten Bundesministers eine generelle Pflicht der Regierung abzuleiten, jede parlamentarische Anfrage zu beantworten. Diese Ableitung geht nämlich von der Prämisse aus, daß das parlamentarische Fragerecht lediglich eine Konkretisierung des i m Grundgesetz geregelten Zitierungsrechtes sei; diese Prämisse ist jedoch unrichtig. Wie der historische Überblick gezeigt hat, hat das parlamentarische Fragerecht eine eigene, lange, bereits i m Zeitalter des Konstitutionalismus einsetzende Tradition. Es wurde von den Abgeordneten schon i n Anspruch genommen, als sei es ein i n der Verfassung geregeltes Zitierungsrecht noch gar nicht gab. — Schon deshalb kann es schwerlich als dessen Konkretisierung angesehen werden. Darüber hinaus verkennt eine weitgehende Gleichsetzung von Zitierungs- und Fragerecht ihre unterschiedlichen Verfahrensvoraussetzungen. Gem. A r t . 43 I i. V. m. A r t . 42 I I 1 GG ist ein Mitglied der Regierung nur dann gehalten, vor dem Plenum zu erscheinen und Rede und A n t w o r t zu stehen, wenn ein Mehrheitsbeschluß des Hauses vorliegt 7 . Gerade dieser Mehrheitsbeschluß aber ist bei Anfragen, die, wie die mündlichen Fragen i n der Fragestunde, schon von einem einzigen Abgeordneten gestellt werden können oder sonst von 5 °/o der Abgeordneten einzubringen sind, grundsätzlich nicht gefordert. Es ist somit nur folgerichtig, wenn auch die Geschäftsordnung des Bundestages das Verfahren bei der Herbeirufung eines Ministers nach A r t . 43 GG an völlig anderer Stelle (§ 4'6 GO BT) und völlig getrennt von dem Verfahren bei den Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen (§ 105 ff. GO BT) regelt. Die formellen Voraussetzungen für das Einbringen von parlamentarischen Anfragen sind weit weniger streng. Es ist deshalb nicht richtig, das i n der Geschäftsordnung geregelte Fragerecht als eine Konkretisierung des i m Grundgesetz verankerten 6 v. Mangoldt-Klein, A r t . 43 I I I 2; etwas enger Maunz-Dürig, A r t . 43, Rdnr. 8: „Allerdings ist dem Zitierten das Recht der Antwortverweigerung zuzugestehen, w e n n er dafür wichtige Gründe (Geheimhaltung u. a) hat." 7 Maunz-Dürig, A r t . 43, Rdnr. 2; A r n d t , K . F., Pari. Geschäftsordnungsautonomie u n d autonomes Parlamentsrecht (1966), S. 112; vgl. auch § 46 GO B T : „Jeder Abgeordnete k a n n die Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung beantragen. Der A n t r a g bedarf der Unterstützung v o n 30 anwesenden Abgeordneten. Über den A n t r a g entscheidet der Bundestag m i t einfacher Mehrheit."
6 Witte
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2. Kap.:
echt u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Zitierungsrechtes anzusehen8. Vielmehr ist das Fragerecht ein autonomes Parlamentsrecht m i t eigener Tradition, aber ohne positive verfassungsrechtliche Verankerung. Als solches vermag es die Regierung nicht zur Beantwortung von Fragen zu verpflichten, denn ein autonomes Parlamentsrecht begründet keine Bindungswirkungen gegenüber anderen Staatsorganen. I m gewaltenteilenden Rechtsstaat sind — worauf K . F. A r n d t 9 zu Recht hinweist — „die gegenseitigen Rechte und Pflichten und die Einwirkungsmöglichkeiten der Staatsorgane untereinander auf der Ebene des Verfassungsrechts festgelegt". Da eine solche verfassungsrechtliche Regelung — wie dargelegt — i n Art. 43 GG nicht gegeben ist, könnte selbst eine ausdrückliche Geschäftsordnungsbestimmung die Regierung nicht verpflichten, auf parlamentarische Anfragen zu antworten 1 0 . Daß i m übrigen auch der Bundestag selbst nicht von einer A n t w o r t pflicht der Regierung ausgeht, ergibt sich ganz klar aus der von i h m verabschiedeten Geschäftsordnung. Die Formulierung i n § 106 GO „Erklärt sich die Bundesregierung zur Beantwortung i n einer bestimmten Sitzung bereit, . . . " und vor allem i n § 109 GO „Lehnt die Bundesregierung überhaupt oder für die nächsten 2 Wochen die Beantwortung einer Großen Anfrage a b , . . . " ergeben eindeutig, daß das Parlament der Regierung ein Wahlrecht hinsichtlich der Beantwortung von Großen Anfragen einräumen w i l l 1 1 . Gerade die genaue Verfahrensregelung für den Fall der Nichtbeantwortung einer Großen Anfrage geht offensichtlich von der rechtlichen und faktischen Möglichkeit der Antwortverweigerung aus 12 . 8
Ebenso: A r n d t , K . F., a.a.O., S. 113. a.a.O., S. 112. 10 Auch aus den allgemeinen Grundsätzen einer parlamentarischen Demokratie läßt sich, w i e Trossmann (Parlamentsrecht, S. 151) es neuerdings versucht, eine Pflicht der Bundesregierung zur Beantwortung der i h r gestellten Fragen nicht ableiten. Das ergibt sich schon daraus, daß es i m parlamentarischen System durchaus rechtens ist, wenn Minister u n d Abgeordnete sich i m politischen K a m p f aller parlamentarischen M i t t e l u n d Spielregeln bedienen, wozu auch gehört, daß der eine Partner sich i n Schweigen hüllt, der andere aber v e r sucht, daraus politisches K a p i t a l zu schlagen. — I m übrigen k a n n das Parlament eine A n t w o r t i m m e r durch einen Mehrheitsbeschluß nach A r t . 43 I i. V. m. A r t . 42 I I GG erzwingen, so daß eine Obstruktion seitens der Regierung gar nicht möglich ist. 11 Ganz eindeutig i n diesem Sinne auch der CDU-Abgeordnete Rasner für die Mündlichen Anfragen: „ . . . natürlich steht es i m Recht der Bundesregier u n g — w i r waren allezeit darüber einig — die A n t w o r t überhaupt zu verweigern oder zu sagen: ,ob w o h l das Haus sie f ü r dringend ansieht, möchten w i r bei der Bedeutung der Sache sie nicht heute, sondern morgen 4 oder ,im Auswärtigen Ausschuß' oder ,in zwei Tagen beantworten'." (StenB IV/S. 7156 C, D.) Ebenso BT-Vizepräsident Dr. Jäger i n der gleichen Sitzung: „ I c h . . . muß . . . dem Bundeskanzler bestätigen, daß er nach der Geschäftsordnung das Recht hat, die Beantwortung v o n Fragen grundsätzlich zu verweigern." (StenB I V / S. 7156 D.) 12 I n dem bisher einzigen Fall, i n dem die Bundesregierung die Beantwort u n g einer Großen Anfrage abgelehnt hat, ist genau nach der Geschäftsordnung verfahren worden, d. h., es wurde auch ohne eine A n t w o r t debattiert, u n d 9
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Sie zeigt andererseits aber auch, daß es für die Regierung aus politischen Gründen i n der Regel ratsam ist, jede Anfrage zu beantworten. Denn 2 Wochen nach Eingang einer Großen Anfrage beim Bundestagspräsidenten kann der Bundestag von sich aus diese Anfrage auf die Tagesordnung setzen, wenn sie bis dahin von der Bundesregierung nicht beantwortet worden ist (§ 108 GO). Eine Parlamentsdebatte über eine Anfrage aber, bei der die Regierung die A n t w o r t schuldig bleibt, bedeutet für diese normalerweise einen nicht unerheblichen politischen Prestigeverlust. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Bundesregierung zwar politisch zumeist gehalten, rechtlich aber nicht verpflichtet ist, auf die Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen i m Bundestag zu antworten 1 3 . Nur wenn ein Mehrheitsbeschluß des Hauses es verlangt, muß ein Minister vor dem Parlament erscheinen und Rede und A n t w o r t stehen (Art. 43 I GG). Selbst dann aber kann er den Umfang der Informationen selbst bestimmen 14 . 2. Der zulässige Inhalt von Anfragen und die Grenzen des parlamentarischen Anfragerechtes
Da die Bundesregierung zwar — wie oben gezeigt wurde — rechtlich nicht verpflichtet ist, die an sie gerichteten Anfragen zu beantworten, da sie sich aber andererseits durch die Nichtbeantwortung leicht ein gewisses Odium auflädt und sich politischen Nachteilen aussetzt, ist es wichtig, zu wissen, ob es Anfragen gibt, die wegen ihrer Form oder ihres Inhalts die Anfrage wurde dann später erneut eingereicht. (Anfrage: betr. K r a n k e n versicherung, Lohnfortzahlung u n d Kindergeld, Drucks. IV/153; Debatte: Sitz, v o m 22. 2.1962, StenB IV/S. 479 ff.) 13 Ä h n l i c h auch — f ü r den Reichstag — Köster, Diss., S. 18: „Es entspricht daher den Bedürfnissen des politischen Lebens, diese Antwortpflicht n u r als eine politische Verpflichtung anzusehen." Vgl. auch den B T - A b g . Genscher (FDP): „Es ist auch das Recht der Regierung, auf eine bestimmte Frage ohne Begründung die A n t w o r t zu verweigern, w e n n sie das i n einer bestimmten Situation f ü r richtig hält. Sie w i r d sich natürlich sehr genau fragen, ob die Verweigerung dieser A n t w o r t i n der Öffentlichkeit eventuell nachteilige Folgen hat." (StenB V/S. 13322 B.) Vgl. auch V G K ö l n i n DVB1. 1965, S. 885: „Ob u n d i n w i e w e i t . . . das Parlament sich Anfragen beantworten läßt, unterliegt seiner politischen Entscheidung." 14 Wie weitgehend theoretisch eine Erörterung der Antwortverpflichtung der Regierung ist, zeigt schon das Z i t a t des Abgeordneten Gröber i m Reichstag des Kaiserreichs (3. 5.1912): „Denn . . . auch bei diesen kurzen Anfragen, . . . die insbesondere aus dem Vorgang des englischen Parlaments entnommen sind, zeigt uns die Praxis i n England, daß dort die Minister auch verstehen, eine A n t w o r t zu geben, die inhaltlich wenig oder nichts enthält, also es verstehen, sich u m ein Eingehen auf die Sache herumzudrücken. Ja, m a n sagt einzelnen englischen Ministern nach, daß sie w i r k l i c h eine ausgezeichnete Fertigkeit i n der A b l e h nung eines sachlichen Eingehens auf die Anfragen zu entwickeln verstehen . . . Also auch i n England, wo das I n s t i t u t der Anfragen i n seiner Entwicklung auf eine lange Zeit zurückblicken kann, w i r d eben auch m i t Wasser gekocht." (RT K R StenB Bd. 285, S. 1655 C.) 6*
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
absolut unzulässig sind und die deshalb vom Bundestagspräsidenten nicht an die Regierung weitergeleitet werden dürfen. a) Geschäftsordnungsbestimmungen I n den „Richtlinien für die Fragestunde" vom Jahre 1960 ist zum ersten M a l der Versuch unternommen worden, den zulässigen Inhalt von Anfragen näher zu präzisieren. „Zulässig sind Einzelfragen" — heißt es da „aus dem Bereich der Verwaltung, soweit die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist, u n d Einzelfragen aus dem Bereich der B u n despolitik".
Bei den Großen Anfragen kennt die Geschäftsordnung keinerlei Begrenzung; Kleine Anfragen dagegen sollen sich nach dem bis 1970 gültigen Text der Geschäftsordnung lediglich auf „bestimmt bezeichnete Tatsachen" beziehen können. Die fast völlig fehlende inhaltliche Begrenzung der Anfragen durch die Geschäftsordnung entspricht deutscher Parlamentstradition. Bei den äußerst gründlichen Beratungen i n der Geschäftsordnungskommission des Jahres 190915 hatte man gerade über diesen Punkt ausführlich diskutiert. Abgeordnete, die damals ausdrücklich einzelne Beschränkungen i n den Geschäftsordnungstext aufgenommen wissen wollten, beispielsweise das Verbot des Eingriffs i n ein schwebendes Gerichts-, Verwaltungs- oder Disziplinarverfahren, konnten sich i m Ergebnis nicht durchsetzen. Man sah schon damals die Gefahr „unendliche(r) Geschäftsordnungsdebatten" auf sich zukommen und wies zu Recht auf die i m Verhältnis zum englischen Speaker sehr viel schwächere und weniger unabhängige Stellung des deutschen Parlamentspräsidenten hin 1 6 . Einzig bei der Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1931 ist der Versuch unternommen worden, das Interpellationsrecht ausdrücklich inhaltlich zu begrenzen. Damals wurden die Sätze aufgenommen: „Interpellationen dürfen n u r Tatsachen enthalten, die zur Kennzeichnung der gewünschten A u s k u n f t notwendig sind. Interpellationen, durch deren I n halt der Tatbestand einer strafbaren Handlung begründet w i r d oder die parlamentarisch unzulässige Wendungen oder über die Angabe des Sachverhaltes hinaus eine Beurteilung enthalten, sind unstatthaft."
Diese — wie oben gezeigt — ausgesprochen zeitbedingte Bestimmung ist aber nicht von Dauer gewesen; i n der Hitlerzeit faktisch außer Kraft gesetzt, ist sie auch durch die Geschäftsordnung für den Bundestag vom Dezember 1951 nicht übernommen worden.
15 16
R T (KR) Bd. 255, Drucks. 1425, S. 8660 ff. Vgl. auch Hoppe, Diss., S. 38.
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b) „Inadmissable Questions' ' im britischen Unterhaus Wegen der fast völlig fehlenden inhaltlichen Begrenzung des Fragerechts i m deutschen Parlamentsrecht erscheint es nützlich, einen Blick auf das britische Parlamentsrecht zu werfen, das ja immer wieder als Vorbild für die Ausgestaltung auch des deutschen Fragerechtes gedient hat. Das britische Parlament hat i m Laufe seiner langen Geschichte das Fragerecht durch zahlreiche Vorschriften beschränkt oder zumindest reglementiert. Diese Regeln befinden sich allerdings nicht i n den „Standard Orders" des Unterhauses, sondern sind i n mehr als einem Jahrhundert aus den Anweisungen des Speakers und den Praktiken des Hauses entstanden und einer ständigen Wandlung unterworfen 1 7 . Das neueste Parlamentsrecht von M a y 1 8 erwähnt allein noch 29 „examples of inadmissable questions" und Chester/Bowring 19 berichten von einem „Manual" aus dem Jahre 1959, das 18 Regeln über Form und Inhalt von A n fragen enthalte. Da die bei beiden Autoren angeführten Beispiele eine bunte Mischung von formellen und materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen bzw. -verboten enthalten, und da die Handhabung dieser Regeln durch den Speaker sich ζ. T. von Jahr zu Jahr ändert, ist es äußerst schwierig, einige verbindliche Aussagen über Ausschließungsgründe und Grenzen des parlamentarischen Anfragerechtes i n England zu machen. M i t einigem Vorbehalt lassen sich heute aber vor allem folgende zwingende Ausschließungsgründe aufzählen: a) Gerichtssachen „sub judice" 2 0 b) offensichtliche Geheimsachen i n nationalem Interesse 21 c) Angelegenheiten bestimmter privilegierter Personenkreise (der Krone und des Richterstandes) 22 17 Vgl. Chester, D. N. u n d Bowring, Nona, Questions i n Parliament, Oxford 1962, S. 187: "Notwithstanding the tremendous variety i n the form, purpose and character of Questions, starred and unstarred, there are l i m i t s to the k i n d that can be asked. There is, however, nothing i n the Standing Orders of the House that gives any indication of these limits. The whole of the procedure about w o r d i n g and subjectmatter, form u n d content, is contained i n the innumerable rulings given during more than a century by M r . Speaker and i n the accepted conventions and practice of the House." 18 May, Erskine, The L a w , Privileges, Proceedings and Usage of Parliament, 17. Aufl., London 1964, S. 352 - 355. 19 a.a.O., S. 188. 20 "Reflecting on the decision of a court of law, or being l i k e l y to prejudice a case which is under t r i a l including a case tried by court-martial before confirmation", May, a.a.O., S. 352/53, Nr. 6. 21 "Seeking information about matters w h i c h are i n their nature secret, such as decisions or proceedings of the Cabinet or Cabinet committees, advice given to the Crown b y L a w Officers, etc.", May, S. 352, Nr. 5. 22 Die Fragen dürfen nicht einmal den Namen eines Mitgliedes der königlichen Familie erwähnen.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
d) Angelegenheiten einzelner Personen oder Personengruppen, deren Persönlichkeitsrechte durch Aussagen und Anspielungen i n der Form von einfachen Charakterisierungen bis zü verleumderischen Beleidigungen verletzt werden e) Angelegenheiten, i n denen das Parlament nicht wirksam entscheiden kann, wie ζ. B. innere Angelegenheiten ehemaliger Kolonien nach Erlangung ihrer Selbständigkeit f) Angelegenheiten, i n denen das Parlament sich Kompetenzbeschränkungen auferlegt und Kontrollbefugnisse auf andere selbständige Organe übertragen hat (ζ. B. Angelegenheiten, die einer „royal commission" oder einem „parliamentary committee" überwiesen wurden) 2 3 und g) Angelegenheiten, die außerhalb der Ministerverantwortlichkeit 2 4 liegen, wie die Tagesfragen aus der laufenden Verwaltungsarbeit der Selbstverwaltungskörperschaften und öffentlichen Anstalten, ζ. B. der nationalisierten Industrien und der „boards" der öffentlichen Gesundheitspflege und der Sozialversicherung 25 . Die übrigen Beispiele unzulässiger Fragen betreffen i n der Hauptsache formelle Unzulässigkeiten 26 , wie ζ. B. das Verbot von lediglich rhetorischen und ironischen Fragen. Ehemals Mißbrauch, heute Übung, ist der T y p der „Sperrfeuerfragen" (barrage of questions), wobei 1 0 - 2 0 n u r geringfügig voneinander abweichende Fragen zum gleichen Gegenstand eingebracht werden u n d durch ebensoviele Zusatzfragen noch erweitert u n d vertieft werden.
Entscheidenden Einfluß auf die Behandlung von Anfragen hat der Speaker 27 , dem die letzte Entscheidung über die Zulässigkeit der Fragen 23 "Dealing w i t h matters referred to a royal commission, or w i t h matters before a parliamentary committee, or w i t h matters w i t h i n the jurisdiction of the chairman of a select committee or the authoritees of the House." May, a.a.O., S. 353, Nr. 8. 24 Z u r individuellen Ministerverantwortlichkeit i n England, vgl. Ritter, G., „Die Kontrolle v o n Regierung u n d V e r w a l t u n g i n Großbritannien", i n : Festgabe f ü r Ernst Fraenkel, S. 294 (295). 25 „Die Minister u n d ihre parlamentarischen Vertreter (parliamentary secretaries) müssen hier n u r dann Rede u n d A n t w o r t stehen, w e n n sie gesetzlich für die betreffende Materie verantwortlich sind, was je nach der die Nationalisier u n g begründenden gesetzlichen Ermächtigung verschieden sein kann. I n der Regel sind sie f ü r den täglichen Routinebetrieb i n der Geschäftsführung nicht verantwortlich." Loewenstein, Staatsrecht u n d Staatspraxis von Großbritannien, Bd. I, S. 295, vgl. auch Ritter, a.a.O., S. 304/305 u n d die dort zitierte L i t e ratur. 26 A l s Grundsatz g i l t : "The purpose of a question is to obtain information or press for action, and i t should not be i n effect a short speech, or limited to giving information, or framed so as to suggest its o w n answer or convey a particular point of v i e w ; questions of excessive length have not been permitted." May, a.a.O., S. 351. 27 Z u r dominierenden u n d äußerst unabhängigen Stellung des Speakers vgl. neuestens, Loewenstein, a.a.O., S. 215 - 220.
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o b l i e g t . U n t e r seiner A u t o r i t ä t u n d n a c h d e n W e i s u n g e n des C l e r k s p r ü f t das T a b l e O f f i c e die F r a g e n a u f i h r e Z u l ä s s i g k e i t h i n s i c h t l i c h „ w o r d i n g and subject-matter, form u n d content"28. W i e s c h w i e r i g diese Z u l ä s s i g k e i t s p r ü f u n g o f t i s t u n d w i e groß u n d m a n c h m a l v i e l l e i c h t auch p r o b l e m a t i s c h d a b e i die E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t e n des Speakers sind, zeigt folgende E r k l ä r u n g des f r ü h e r e n Speakers C l i f t o n B r o w n a u f eine Geschäftsordnungsfrage des d a m a l i g e n A b g . Churchill: „Meine Verantwortung besteht zunächst darin, darauf zu achten, daß die Frage den Regeln entspricht. Eine Frage ist regelwidrig, w e n n sie nicht die Verantwortlichkeit eines Ministers betrifft. Damit fängt es erst einmal an! N u n gut: eine Frage k o m m t zum Table; der Table meint, die Frage betrifft keine ministerielle Verantwortlichkeit; dann k o m m t die Sache zu m i r — aber gewöhnlich werde ich übergangen, u m Ärger aus dem Wege zu gehen. Immerhin, es k o m m t vor, daß m i r die Sache auf den Tisch kommt, dann muß ich eine E n t scheidung (ruling) treffen. Nehmen w i r einmal an, es handelt sich u m eine Frage über das Transportwesen oder eine andere über die verstaatlichten Unternehmen. Ich habe mich zu fragen, ob es sich u m eine Sache i m Zusammenhang m i t der inneren V e r w a l t u n g des Unternehmens handelt oder ob eine Ministerverantwortlichkeit dabei eine Rolle spielt. Es fällt m i r nicht ein, u n d ich b i n nicht willens, mich m i t Sachen abzugeben, die m i t der Eisenbahn, den Fluggesellschaften, überhaupt m i t Angelegenheiten der verstaatlichten Industrien zusammenhängen. Was m i r ü b r i g bleibt, ist allein, zum Minister zu gehen oder i h n anzurufen, u m i h n zu fragen, was er v o n dem F a l l hält, ob das eine Sache ist, die seine Verantwortung betrifft. So u n d nicht anders w i r d das gemacht. Was weiß ich schon über diese Betriebe, u n d k a n n m a n v o n m i r verlangen, bei allen derartigen Fragen zu entscheiden, ob sie i n Ordnung sind oder nicht, ob hier die Ministerverantwortlichkeit angesprochen w i r d oder nicht? Ich muß mich u m die Regeln kümmern, wonach n u r ordnungsmäßige Fragen auf die Tagesordnung gesetzt werden dürfen. D a r u m : wenn ein Minister sagt, die Angelegenheit läge außerhalb seiner Verantwortung, dann weist der Table die Frage zurück. Ich hoffe, damit ist der Standpunkt sonnenklar 2 9 ." c) Kriterien für Zulässigkeitsbeschränkungen und Grenzen des Anfragerechtes im Deutschen Bundestag V e r s u c h t m a n , die Z u l ä s s i g k e i t s r e g e l n des englischen U n t e r h a u s e s heranzuziehen, u m daraus K r i t e r i e n f ü r Z u l ä s s i g k e i t s b e s c h r ä n k u n g e n i m deutschen B u n d e s t a g zu g e w i n n e n , so ergeben sich d a b e i n i c h t u n e r h e b liche S c h w i e r i g k e i t e n . Diese s i n d e i n m a l b e d i n g t d u r c h die i n diesem P u n k t fast v ö l l i g fehlende p a r l a m e n t a r i s c h e T r a d i t i o n Deutschlands, z u m a n d e r e n aber auch d u r c h die sehr v i e l w e n i g e r s t a r k e u n d w e n i g e r u n a b h ä n g i g e P o s i t i o n des deutschen B u n d e s t a g s p r ä s i d e n t e n i m V e r h ä l t n i s z u 28
Chester/Bowring, a.a.O., S. 187. Aus einem Hansard-Bericht des Jahres 1948 f ü r das britische Unterhaus, übersetzt von der wissenschaftl. Abteilung des Deutschen Bundestages. (Fundstelle: — ohne genauere Zitatangabe — wissenschaftl. A b t e i l u n g des Deutschen Bundestages). 29
2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
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der des englischen Speakers 30 . Ein politisch stark engagierter Parteimann, wie es der deutsche Parlamentspräsident ist, kann einfach nicht die Unabhängigkeit und Leichtigkeit haben, die erforderlich ist bei der Handhabung so diffiziler Zulässigkeitsregeln, wie sie das britische Unterhaus kennt. Natürlich kann er offensichtlich beleidigende Fragen oder zusammenhanglose Zusatzfragen als unzulässig zurückweisen, aber immer wieder w i r d er bei der Entscheidung über die materielle Zulässigkeit von Anfragen dem V o r w u r f der Parteilichkeit ausgesetzt sein. Das ist insbesondere deshalb nicht auszuschließen, als Zulässigkeitsvoraussetzungen nur schwer genau normiert werden können und immer auslegungsbedürftig bleiben werden. Vor mehr als 40 Jahren hat Hatschek 31 es versucht, Schranken des Interpellationsrechtes aufzuzeigen. Er fand sie i n der Kompetenz des Reiches und i n der Dreiteilung der Staatsgewalt. Zur Reichszuständigkeit schrieb er: „ D a der Reichstag n u r innerhalb seiner Kompetenz, die wieder durch die Reichskompetenz gegeben ist, handeln darf, so darf er auch n u r Interpellationen verhandeln, welche Gegenstände betreffen, die nach A r t . 6 ff. R V zur Kompetenz des Reiches gehören."
Und die Dreiteilung der Staatsgewalt wollte er durch folgende Regeln gewahrt wissen: „a) Der Reichstag darf nicht i n die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Gerichte mittels einer Interpellation eingreifen. b) Der Reichstag darf nicht auf dem Wege der Interpellation eine authentische Gesetzesinterpretation herbeiführen wollen. c) Der Reichstag soll nicht durch die Einbringung v o n Interpellationen »bestellte Arbeit' leisten. Das heißt: die Interpellation soll eine Geltendmachung der parlamentarischen Kontrolle gegenüber der Exekutive darstellen, nicht aber dazu dienen, ein zwischen der Regierung u n d einer Parlamentspartei abgekartetes Spiel zu fördern."
Diesen von Hatschek aufgestellten Grundregeln, die sich aus der Reichs- bzw. Bundeszuständigkeit und der Gewaltenteilung herleiten, w i r d auch für den Bundestag i m Grundsatz zuzustimmen sein. I m Einzelnen gilt jedoch folgendes: aa) Zur Bundeskompetenz Eine Beschränkung der Anfragen ausschließlich auf Gegenstände, die der Bundeskompetenz unterliegen, begegnet insofern Bedenken, als es auch Angelegenheiten gibt, für die die Bundesregierung zwar nicht unmittelbar, wohl aber mittelbar verantwortlich ist. Auch diese Angelegen30
Vgl. Loewenstein, a.a.O., S. 215 - 220. Hatschek, Deutsches u n d preußisches Staatsrecht, 1. A u f l . (1922), S. 662 f. u n d 2. A u f l . (1930), S. 745, 746. 31
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heiten können — wie i n Ziff. 2 der Richtlinien für die Fragestunde vom Juni 1969 ausdrücklich geregelt — i n Anfragen an die Bundesregierung herangetragen werden. — Fragen, die Gegenstände betreffen, die zur ausschließlichen Kompetenz der Länder gehören, sind unzulässig. Soweit aber durch eine geschickte Formulierung gleichzeitig die Verantwortlichkeit der Bundesregierung angesprochen wird, etwa i n dem Sinne: „Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, u m auf die Länder einzuwirken, damit . . . " sind die Fragen zulässig. Allerdings müßte der Bundestagspräsident i n einem solchen Fall — insbesondere bei Zusatzfragen i n der Fragestunde — darüber wachen, daß nur über diese Einwirkungsmöglichkeit der Bundesregierung, nicht aber über die der ausschließlichen Länderkompetenz unterliegende Sache selbst gesprochen wird. bb) Zur Dreiteilung der Staatsgewalt Legislative — Exekutive Folgt man dem klassischen Begriff der Gewaltenteilung, so wäre — wie Hatschek es fordert — eine von der Regierung beim Parlament bestellte Anfrage unzulässig. Eine solche Verbotsnorm würde jedoch — abgesehen von ihrer praktischen Undurchführbarkeit — nicht mehr dem heutigen Verständnis der Gewaltenteilung entsprechen. Das Grundgesetz hat den Grundsatz der Gewaltenteilung nicht streng durchgeführt, sondern kennt zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen 32 . Gerade i m Verhältnis Parlament — Regierung (Legislative — Exekutive) gilt eher der Grundsatz der Gewaltenverschränkung als der der -trennung 3 3 : Regierungsmitglieder sind i n der Regel zugleich Abgeordnete (sollen es nach heutigem Demokratieverständnis auch sein!), Abgeordnete werden als parlamentarische Staatssekretäre m i t Aufgaben der Exekutive betraut. Angesichts dieser dem Grundgesetz nicht widersprechenden — der Verfassungswirklichkeit aber durchaus entsprechenden — Gewaltenverschränkung zwischen Legislative und Exekutive sind parlamentarische Anfragen, die von der Regierung bei Abgeordneten oder Fraktionen bestellt worden sind, nicht als unzulässig anzusehen, wenngleich sie dem historischen Kontrollcharakter der Anfragen widersprechen. Legislative — Justiz Da nach A r t . 92 i. V. m. A r t . 97 Abs. 1 GG die rechtsprechende Gewalt ausschließlich den Richtern anvertraut ist, können Abgeordnete des Bundestages nicht von der Regierung i m Wege der Anfrage authentische Gesetzesinterpretationen verlangen. 32
Vgl. dazu Schmidt-Bleibtreu-Klein, GG, A r t . 20, Rdnr. 14. A . A r n d t (MdB) - DVB1. 1965, S. 954 - spricht v o n einer äußerst w e i t gehenden Integration des Bundestages i n die Bundesregierung, die v o r allem aus A r t . 43 Abs. 2 GG abgeleitet werden könne. 33
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echt u n d Handhabung d e r A n f r a g e n i m Bundestag
.Fraglich ist, ob Anfragen über ein schwebendes Gerichtsverfahren zulässig sind. I n der Hegel scheitert die Zulässigkeit solcher Fragen schon an dem unter aa) aufgestellten Grundsatz der Bundeskompetenz, soweit die Justiz nämlich ausschließlich Ländersache ist. Darüber hinaus könnten solche Fragen jedoch auch gegen den i n A r t . 97 Abs. 1 GG aufgestellten Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit verstoßen. Bedenkt man, daß Antworten auf parlamentarische Anfragen von der Bundesregierung grundsätzlich i n der Öffentlichkeit abgegeben werden, so erhellt, daß sie als amtliche Äußerungen der Regierung eine große Breitenwirkung i n der Öffentlichkeit haben. Wegen dieser großen Publizitätswirkung und des amtlichen Charakters der Antworten der Regierung sind A n fragen, die ein schwebendes Gerichtsverfahren betreffen, durchaus geeignet, dieses Verfahren zu beeinflussen und damit die Unabhängigkeit der Richter zu beeinträchtigen. Das gilt insbesondere auch dann, wenn es sich u m Verfahren vor solchen Gerichten handelt, deren Richter — wenigstens zum Teil — durch das Parlament gewählt werden. Parlamentarische Anfragen über ein schwebendes Gerichtsverfahren sind deshalb auch unter dem Gesichtspunkt des A r t . 97 Abs. 1 GG unzulässig 34 » 35 . cc) Geheime Angelegenheiten Außer den von Hatschek aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen für parlamentarische Anfragen ist zu überdenken, inwieweit Anfragen über geheime Angelegenheiten unzulässig sind. Daß es Anfragen gibt, die wegen des geheimen Charakters der i n ihnen angesprochenen Angelegenheiten, nicht geeignet sind, vor dem Plenum und damit vor der Öffentlichkeit verhandelt zu werden, liegt auf der Hand 3 6 . Sie werden i n der Praxis meist durch den zuständigen Minister 34 a. A . — allerdings ohne Begründung — Köster, Diss., S. 15: „Es liegt aber m. E. noch keine unmittelbare Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit vor, w e n n die Regierung über ihre Einstellung zu noch nicht rechtskräftigen Urteilen oder, falls ein U r t e i l noch nicht ergangen ist, über ihre Einstellung zu dem bisherigen Verlauf eines Verfahrens u n d die hierzu zu ergreifende Maßnahme befragt w i r d . " 35 Offen gelassen wurde die Frage v o m Staatssekretär i m Bundesjustizministerium, Dr. Bülow, der auf eine Frage zur Einstellung der Bundesregierung über ein sehr mildes, noch nicht rechtskräftiges Strafurteil des Amtsgerichts Bonn u. a. erklärte: „Die Frage könnte sachgemäß n u r der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen b e a n t w o r t e n . . . Ich glaube, es ist sehr schwer, v i e l l e i c h t s o g a r u n z u l ä s s i g , i n einem Fall, der noch i n der Schwebe ist u n d die Gerichte beschäftigt, sachlich zu dem I n h a l t des Verfahrens Stell u n g zu nehmen!" (StenB IV/S. 7264 D ; Sperrung v. Verf.) 36 Vgl. hierzu etwa die Ausführungen von Bundeskanzler Brandt i n der 6. Wp., als er auf Fragen von oppositionellen Abgeordneten über seinen Brief an den 1. Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Gomulka, erklärte: „ K e i n Bundeskanzler, w i e i m m e r m a n diesen Vorgang, so wie er gelaufen ist. beurteilt, k a n n i m Grundsatz auf die Möglichkeit verzichten, auch
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i m entsprechenden Fachausschuß unter Ausschluß der Öffentlichkeit beantwortet; manchmal erhält der fragende Abgeordnete auch eine schriftliche Antwort, die einen Hinweis auf die Vertraulichkeit der Angelegenheit enthält 3 7 . Schon dieses i n der Praxis eingeschlagene Verfahren zeigt, daß es bei Anfragen über geheime Angelegenheiten nicht so sehr u m ihre grundsätzliche Unzulässigkeit, sondern u m die Unzulässigkeit ihrer öffentlichen Behandlung geht. Es ist deshalb zu klären, wer darüber zu befinden hat, ob eine Angelegenheit geheim und eine Behandlung vor dem Plenum deshalb nicht nur nicht opportun, sondern sogar unzulässig ist. Geht man — wie oben ausgeführt — davon aus, daß die Bundesregierung grundsätzlich nicht verpflichtet ist, auf parlamentarische Anfragen zu antworten, so ließe sich daraus folgern, daß die Frage, ob Parlament oder Regierung über den Geheimnischarakter einer Anfrage zu befinden habe, bedeutungslos sei, da die Regierung ohnehin nicht zu antworten brauche. — Eine solche Argumentation übersieht jedoch — außer den politisch nachteiligen Folgen für eine Regierung, die nicht antwortet — auch die rechtlichen Konsequenzen, die eine Antwortverweigerung der Regierung bei an sich zulässigen Fragen nach sich zieht: das Parlament kann i n einem solchen Fall nämlich nach seiner Geschäftsordnung (zumindest bei den Großen Anfragen gem. § 108 GO) die Frage von sich aus auf die Tagesordnung setzen und öffentlich über ihren Gegenstand beraten 38 . Würde nun die Regierung das Recht haben, über den Geheimnischarakter einer parlamentarischen Anfrage und damit über deren Zulässigkeit oder Unzulässigkeit selbst zu entscheiden, so hätte sie es i n der Hand, durch eine Unzulässigkeitserklärung die dem Parlament nach der Geschäftsordnung zustehenden Rechte und Möglichkeiten zu zerschlagen, da diese für inhaltlich unzulässige Fragen nicht gelten können. Das Parlament hätte dann insbesondere nicht mehr die Möglichkeit nach § 109 GO, die Anfrage von sich aus auf die Tagesordnung zu setzen und darüber öffentlich zu beraten. Daß aber die Regierung einseitig durch eine Erklärung die dem Parlament zustehenden Rechte außer Briefe zu schreiben, v o n denen aus Gründen der Staatsräson Öffentlich nicht Kenntnis gegeben w i r d . " (6. Wp., 48. Sitz., StenB S. 2418 D.) 37 Vgl. hierzu die Meldung der F A Z v o m 20.1.1970 über die schriftliche A n t w o r t m i t Vertraulichkeitsvermerk der Bundesregierung auf eine Anfrage des Abg. Moersch über Starfighter-Verluste u n d Verteidigungsbereitschaft. 38 Darüber hinaus k a n n das Parlament i n jedem F a l l einen Mehrheitsbeschluß nach A r t . 43 GG fassen u n d damit den zuständigen Minister zwingen, v o r dem Parlament zu erscheinen u n d Rede und A n t w o r t zu stehen. I n einem solchen F a l l gesteht allerdings die L i t e r a t u r dem zitierten Minister einhellig das Recht zu, den Umfang der Information selbst zu bestimmen u n d die A n t w o r t aus wichtigen Gründen — insbesondere aus Geheimhaltungsgründen — ganz zu verweigern, vgl. Maunz-Dürig, A r t . 43, Rdnr. 8 u n d v. Mangoldt-Klein, A r t . 43 I I I 2.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
K r a f t setzen könnte, kann nicht rechtens sein, da eine entsprechende Verfassungsbestimmung nicht vorliegt 3 9 . Es ist deshalb grundsätzlich davon auszugehen, daß nicht die Regierung, sondern — wie auch bei den anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen — das Parlament selbst durch seine(n) gewählten Vertreter (Bundestagspräsident, Präsidium oder Zusammenschluß von Vorstand und Ältestenrat) über den Geheimhaltungscharakter einer Anfrage zu entscheiden hat. Allerdings dürfte dieses Problem — wie der oben zitierte Ausspruch des Speakers des britischen Unterhauses zeigt — weitgehend theoretischer Natur sein, da der Bundestagspräsident (— oder auch ein Kollektivorgan — ) i n der Regel nicht i n der Lage ist, selbst über den Geheimhaltungscharakter einer Angelegenheit zu entscheiden. Er w i r d sich deshalb bei potentiell geheimen Angelegenheiten m i t dem zuständigen M i nister ins Benehmen setzen und dessen Argumentation i n der Regel folgen. Läßt der Parlamentspräsident eine Anfrage aber zu, so kann die Regierung, wenn sie der Ansicht ist, die angesprochene Angelegenheit sei geheim, die Frage zwar entweder gar nicht oder aber i m Ausschuß unter Ausschluß der Öffentlichkeit oder schriftlich m i t Vertraulichkeitshinweis beantworten — sie kann dadurch aber nicht die dem Parlament nach seiner Geschäftsordnung zustehenden Rechte beschneiden. Zusammenfassend ist damit zu den materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen parlamentarischer Anfragen folgendes festzuhalten: Große, Kleine und Mündliche Anfragen i m Bundestag sind dann unzulässig, — wenn sie Angelegenheiten betreffen, für die die Bundesregierung auch nicht mittelbar verantwortlich ist, — wenn durch sie von der Regierung eine authentische Gesetzesinterpretation erlangt werden soll, — wenn sie ein schwebendes Gerichtsverfahren betreffen und — wenn sie mündliche Auskunft über Angelegenheiten verlangen, die der Geheimhaltung unterliegen. Über die Einhaltung der materiellen — ebenso wie der formellen — Zulässigkeitsvoraussetzungen hat der Bundestagspräsident, gegebenenfalls unterstützt durch das aus dem ehemaligen Ältestenrat und Vorstand zusammengesetzte Organ, zu wachen. Zu berücksichtigen bleibt, daß alle Regeln, vor allem über formelle Zulässigkeitsvoraussetzungen, stark 39 Einwirkungsmöglichkeiten der Staatsorgane untereinander müssen auf der Ebene des Verfassungsrechtes festgelegt sein; vgl. auch K . F. A r n d t , Pari. Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht (1966), S. 112.
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echtsfragen
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d e n S t r ö m u n g e n d e r Z e i t u n d d e n G e g e b e n h e i t e n des A u g e n b l i c k s u n t e r w o r f e n sein w e r d e n , w i e das auch i m b r i t i s c h e n U n t e r h a u s der F a l l ist. U m sie i m deutschen B u n d e s t a g w e i t e r z u e n t w i c k e l n u n d d u r c h g r e i f e n d a n z u w e n d e n , w ä r e es w ü n s c h e n s w e r t , d e m A m t des B u n d e s t a g s p r ä s i d e n t e n e i n noch höheres A n s e h e n z u verschaffen u n d seinen T r ä g e r zu g r ö ß t m ö g l i c h e r p a r t e i p o l i t i s c h e r U n p a r t e i l i c h k e i t zu v e r p f l i c h t e n 4 0 . 3. Die gerichtliche Nachprüfbarkeit von Antworten der Bundesregierung V o n h o h e r B e d e u t u n g f ü r das p a r l a m e n t a r i s c h e A n f r a g e r e c h t i s t die n e u e r d i n g s a u f G r u n d v o n 2 a k t u e l l e n F ä l l e n a u f g e w o r f e n e Frage, i n w i e w e i t A n t w o r t e n der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen des Bundestages v o n Verfassungs- oder V e r w a l t u n g s g e r i c h t e n nachgep r ü f t werden können. I n dem ersten Fall, der i m Jahre 1961 i m Wege der Organklage an das B u n desverfassungsgericht herangetragen wurde, begehrte die Deutsche Friedensunion (DFU) die Feststellung, daß eine A n t w o r t des Bundesinnenministers i n der Fragestunde des Deutschen Bundestages gegen A r t . 21 GG verstoße 41 . Der Organstreitigkeit lag folgender Sachverhalt zugrunde: F ü r die Fragestunde des Deutschen Bundestages i n der Sitzung am 10. Februar 1961 hatte ein Abgeordneter eine Frage eingebracht, m i t der er u m eine Übersicht über die kommunistische T a r n - u n d Hilfsorganisationen u n d ihre Publikationsm i t t e l bat 4 2 . I n seiner mündlichen A n t w o r t v o r dem Plenum zählte der damalige B u n desinnenminister zunächst eine Reihe kommunistischer T a r n - u n d Hilfsorganisationen sowie kommunistisch beeinflußter Organisationen auf u n d fuhr dann fort: „ I c h weise ferner auf diejenigen Vereinigungen hin, m i t deren H i l f e der Kommunismus sich eine Plattform verschaffen möchte, u m i n den Parlamenten des Bundes, der Länder u n d der Gemeinden wieder Fuß zu fassen u n d v o n dort Einfluß auf das politische Leben i n der Bundesrepublik zu gewinnen. A u f der Bundesebene ist dies die Deutsche Friedensunion . . , " 4 3 Gegen diese Äußerung wandte sich die wenige Monate zuvor auf Bundesebene gegründete Deutsche Friedensunion (DFU) an das Bundesverfassungsgericht u n d begehrte Feststellung, daß die angegriffene A n t w o r t gegen A r t . 21 GG verstoße. Sie wies u. a. darauf hin, daß auf G r u n d der Äußerung des Bundesinnenministers die Schulbehörde der Freien u n d Hansestadt Hamburg sich geweigert habe, der D F U Versammlungsräume zur Verfügung zu stellen. I n dem anderen Fall, der i m Jahre 1964 dem Verwaltungsgericht K ö l n 4 4 u n d 2 Jahre später i n der Berufungsinstanz dem OVG Münster 4 5 vorlag, wandte 40 Z u m A m t des Bundestagspräsidenten, vgl. Kleinschnittger, Die rechtliche Stellung des Bundestagspräsidenten, Diss. Münster 1963. Z u r politischen Neutralisierung des Präsidentsamtes vgl. Partsch, AöR 1961, Bd. 86 (NF Bd. 47), S. 1 ff. (31 ff.). 41 BVerfGE 13/123 = N J W 1961, S. 1913. 42 B T Drucks. III/2462 = B T StenB I I I / S . 8117 B. 43 B T StenB I I I / S . 8117 C, D. 44 DVB1.1965, S. 882 ff.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
sich ein Kläger gegen die schriftliche A n t w o r t auf eine Kleine Anfrage i m Deutschen Bundestag. A m 23. Oktober 1962 hatte die Bundestagsfraktion der SPD auf G r u n d eines Zeitungsartikels eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung betr. Rüstungsaufträge des Bundesverteidigungsministeriums gerichtet 4 6 . I n dieser Anfrage, die unter Benennung v o n bestimmten Personen u n d unter Angabe ζ. T. genau bezeichneter Rüstungsaufträge des Bundesverteidigungsministeriums diesem gegenüber indirekt den Verdacht von Auftragsschiebereien aussprach, fand sich u. a. folgende Frage: „Welche Vorfälle haben d i e , D r i t t e Bekanntmachung über die Vergabe öffentlicher Aufträge i m Bereich des Bundesministers f ü r Verteidigung' v o m 6.1.1961 veranlaßt?" I n Vertretung des Ministers beantwortete der Staatssekretär i m Bundesverteidigungsministerium diese Frage. I n seiner schriftlichen A n t w o r t , die als Bundestagsdrucksache 47 an die Parlamentarier verteilt wurde, schrieb er u. a.: „Der zweite F a l l ist der F a l l Conrad. Über diesen F a l l schwebt ein Rechtsstreit. Ich möchte es m i r daher versagen, diesen K o m p l e x hier i m einzelnen darzulegen. Jedenfalls k a n n m i t Sicherheit gesagt werden, daß C. allein von der zuvor erwähnten F i r m a 492 000 D M an Provision erhalten hat. Da begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, daß Informationen f ü r die V e r öffentlichung, auf die sich die Fragesteller beziehen, von diesem Lobbyisten stammen, w i r d folgender Brief des Rechtsanwaltes Dr. Augstein wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung zur Kenntnis gebracht.. Sodann wurde der Brief des Rechtsanwaltes Dr. Augstein, der ein Bruder des Herausgebers des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" ist, wörtlich wiedergegeben u n d i m Anschluß daran von dem Staatssekretär weiter ausgeführt: „Der Bundesminister der Verteidigung w a r überzeugt u n d ist noch heute überzeugt, daß i h m m i t diesem Brief mitgeteilt werden sollte, der Spiegel besitze Material über den Minister, das er n u r dann nicht bekanntgeben werde, w e n n der Minister i n der Sache C. Entgegenkommen zeige." Diese A n t w o r t w u r d e unter anderem i n einer großen Tageszeitung v e r öffentlicht. C. erhob Klage v o r dem Verwaltungsgericht K ö l n gegen die Bundesrepublik Deutschland m i t der Begründung, die A n t w o r t enthalte ehrenrührige u n d bewußt wahrheitswidrige Angaben. Er, der Kläger, verlange daher die Wiederherstellung seiner v o m Minister angegriffenen Ehre, deren Verletzung andauere. Der Kläger beantragte, die beklagte Bundesrepublik zum Widerruf der Behauptungen zu verurteilen.
Beiden Fällen, der Organstreitigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht und der Klage vor dem Verwaltungsgericht, ist gemeinsam, daß sich die Betroffenen (die Antragstellerin bzw. der Kläger) gegen die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage wandten. Unterschiede bestehen darin, daß es sich bei den angegriffenen Äußerungen einmal u m eine mündliche A n t w o r t i n der Fragestunde, das andere M a l u m eine schriftliche A n t w o r t auf eine Kleine Anfrage han45 46 47
DVB1.1967, S. 51 ff. B T Drucks. IV/676. B T Drucks. IV/685.
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delte und daß einmal ein dem Parlament angehörender Minister, das andere M a l aber ein beamteter Staatssekretär antwortete. Beide Fälle wurden unterschiedlich entschieden — das Bundesverfassungsgericht hat die Organstreitigkeit für unzulässig, das OVG Münster die verwaltungsrechtliche Klage, anders als die Vorinstanz 4 8 , für zulässig erachtet. A u f die Gründe w i r d i m einzelnen i n der folgenden Untersuchung einzugehen sein. a) Die Nachprüfbarkeit von Antworten der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht Für die Nachprüfbarkeit von Antworten der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht ist angesichts der durch das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) genau festgelegten Zuständigkeit dieses Gerichts ein enger Rahmen gesteckt. Als Verfahrensarten, bei denen eine Nachprüfung von Äußerungen der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht denkbar erscheint, kommen nur die Organstreitigkeiten nach A r t . 93 Ziff. 1 GG, § 13 Ziff. 5 BVerfGG und die Verfassungsbeschwerde nach §§ 90, 91 BVerfGG i n Betracht. Da die Verfassungsbeschwerde gem. § 90 Abs. 2 BVerfGG die Erschöpfung des Rechtsweges voraussetzt, kann sie hier ausgeschieden werden; die entsprechenden Fälle sind i n erster Linie bei der Untersuchung der Zulässigkeit verwaltungsrechtlicher Klagen zu berücksichtigen. Bei den Organstreitigkeiten ist zunächst der Fall denkbar, daß sich der Bundestag, eine Fraktion oder auch die Fragesteller der Anfrage 4 9 wegen der Antwortverweigerung oder einer angeblich unrichtigen Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch die Bundesregierung an das Bundesverfassungsgericht wenden. I h r Antrag wäre gem. A r t . 64 Abs. 1 BVerfGG nur dann zulässig, wenn sie geltend machen könnten, durch die Antwortverweigerung oder die unrichtige Antwort i n ihren ihnen durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet worden zu sein. Da jedoch, wie oben bereits festgestellt, die Bundesregierung — vom Fall der Zitierung nach A r t . 43 Abs. 1 GG abgesehen — verfassungsrechtlich nicht verpflichtet ist, auf parlamentarische Anfragen zu antworten, steht weder den Fragestellern noch einer Fraktion oder dem Parlament ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Antworterteilung oder richtige Be48 V G K ö l n i n DVB1. 1965, S. 882 ff. m i t A n m . v o n Bettermann, DVB1. 1965, S. 886 ff. u n d A r n d t , DVB1.1965, S. 954 ff. 49 Z u r Beteiligtenfähigkeit i n Organstreitigkeiten vgl. § 13 Ziff. 5, zur Parteifähigkeit § 63 BVerfGG.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
antwortung zu 5 0 . Für eine Organstreitigkeit fehlt es deshalb insoweit schon an den i n § 64 Abs. 1 BVerfGG normierten Voraussetzungen. Denkbar ist jedoch weiterhin der Fall, daß die Bundesregierung durch den Inhalt ihrer A n t w o r t i n andere durch das Grundgesetz geschützte Rechte oberster Bundesorgane, insbesondere des Bundestages oder der Parteien 5 1 , eingreift. Hierauf berief sich i n dem vom Bundesverfassungsgericht i m Jahre 1961 entschiedenen F a l l 5 2 die Deutsche Friedensunion (DFU), als sie geltend machte, eine Äußerung des Innenministers i n der Fragestunde des Bundestages habe sie i n ihren durch das Grundgesetz geschützten Rechten als Partei verletzt. Die Äußerung, sie, die DFU, zähle zu den Vereinigungen, m i t deren Hilfe der Kommunismus sich wieder eine Plattform verschaffen möchte, bedeute nämlich einen Verstoß gegen das Parteienstatut des A r t . 21 GG. Auszugehen ist bei Fällen dieser A r t gem. § 64 Abs. 1 BVerf GG von der Frage, ob die beanstandete ministerielle A n t w o r t — sei sie mündlich oder schriftlich erfolgt — überhaupt eine Maßnahme darstellt, die geeignet ist, i n die grundgesetzlich geschützten Rechte der antragsberechtigten Organe und Beteiligten (ζ. B. der Parteien) einzugreifen, ob sie also überhaupt popentiell Kompetenzen des Antragstellers beeinträchtigen kann 5 3 . Eine A n t w o r t auf eine parlamentarische Anfrage ist i n der Regel eine Tatsachenauskunft, zum Teil auch eine Meinungsäußerung. Durch eine solche Meinungsäußerung, aber auch durch eine unrichtige Tatsachenbehauptung, kann ein Privatmann i m Einzelfall möglicherweise i n seinen Rechten, insbesondere seiner Ehre, verletzt werden; denkbar ist auch eine sittenwidrige Schädigung oder ein Eingriff i n den Gewerbebetrieb durch eine bewußt falsche oder zum Boykott aufrufende parlamentarische Äußerung. Daß aber ein unmittelbarer Eingriff i n grundgesetzlich geschützte Rechte oberster Bundesorgane durch eine bloße Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung eines Regierungsmitgliedes erfolgen könne, erscheint kaum denkbar. Eine tatsächliche und unmittelbare Kompetenzbeeinträchtigung oder -gefährdung w i r d i n der Regel durch legislative oder administrative Maßnahmen erfolgen, eine bloße Meinungsäußerung ist dafür grundsätzlich nicht ausreichend. Zwar liegt es nicht daran, daß die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage etwa nur 50
Eine Verletzung v o n Rechten, die lediglich aus der Geschäftsordnung hergeleitet werden, ist f ü r eine Organklage nicht ausreichend (BVerfGE 1/S. 147; Maunz-Sigloch-Schmidt/Bleibtreu-Klein, BVerfGG, § 64, Rdnr. 5). Sie läge aber auch bei einer Antwortverweigerung nicht vor, da die Geschäftsordnung die Möglichkeit der Antwortverweigerung durchaus vorsieht. 51 Die Parteifähigkeit v o n Parteien i m Organstreitverfahren ist v o m Bundesverfassungsgericht i n ständiger Rechtsprechung anerkannt, vgl. zuerst BVerfGE 1/S. 209, Leits. 4. 52 BVerfGE 13/S. 123 = N J W 1961, S. 1913. 53 Vgl. dazu Maunz-Sigloch-Schmidt/Bleibtreu-Klein, § 64 Rdnr. 10.
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ein „parlamentsinterner Vorgang" wäre, der eine „rechtliche Außenwirkung nicht erzeugt" — wie es das Bundesverfassungsgericht i n mißverständlicher A r t betont 5 4 ; vielmehr ist die A n t w o r t als bloße Meinungsäußerung oder Tatsachenauskunft objektiv nicht geeignet, grundgesetzlich geschützte Rechte und Kompetenzen oberster Bundesorgane zu verletzen oder unmittelbar zu gefährden. Insofern ist sie — wie Bettermann es ausgedrückt hat 5 5 — nicht rechtserheblich, denn sie hat keinen Einfluß auf den verfassungsrechtlichen Status. Das Bundesverfassungsgericht betont i n der Urteilsbegründung über die Organklage der DFU: „Weder der Bundesminister des I n n e r n noch die Bundesregierung hat . . . die verfassungsrechtliche Möglichkeit, v o n sich aus die Antragstellerin an der Ausübung der i n A r t . 21 G G umschriebenen Rechte u n d Pflichten zu hindern. Erstreckt sich das Verbotsurteil der K P D nicht auf die Antragstellerin — u n d dies ist weder v o m Bundesminister des I n n e r n noch v o n der Bundesregierung i m vorliegenden Verfahren behauptet worden — so genießt die Antragstellerin das Parteienprivileg des A r t . 21 Abs. 2 GG, d. h., bis zu einer etwaigen E n t scheidung des Bundesverfassungsgerichts k a n n niemand rechtlich geltend m a chen, daß die Deutsche Friedens-Union verfassungswidrig sei 5 6 ."
Selbst eine ausdrückliche Erklärung eines Regierungsmitgliedes i m Parlament, eine bisher nicht verbotene Partei sei verfassungswidrig und falle beispielsweise unter das KPD-Verbot, würde schwerlich schon als unmittelbare Gefährdung der i n A r t . 21 GG geschützten Rechte der Parteien angesehen werden können. Soweit auf Grund dieser Äußerung eine Verwaltungsbehörde administrative Maßnahmen gegen die Partei ergreift, liegt ein unmittelbarer Eingriff dieser Behörde vor, eine „ i n eigener Verantwortung getroffene Entscheidung, gegen die allenfalls die allgemeinen Rechtsmittel i m Verwaltungsstreitverfahren ergriffen werden können" 5 7 . Es ist m i t h i n festzuhalten, daß eine A n t w o r t der Regierung auf parlamentarische Anfragen als bloße Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung grundsätzlich nicht geeignet ist, die verfassungsrechtlich geschützten Kompetenzen und Rechte oberster Bundesorgane zu verletzen oder unmittelbar zu gefährden. Für eine Organklage gegen schriftliche oder mündliche Antworten der Rundesregierung fehlt deshalb schon das i n § 64 Abs. 1 BVerfGG normierte Rechtsschutzbedürfnis, w e i l eine A n t 54
I n der Organstreitigkeit der D F U ; BVerfGE 13/S. 125 (unten). I n der A n m e r k u n g zu dem U r t e i l des Verwaltungsgerichtes K ö l n betr. die verwaltungsrechtliche Nachprüfung v o n A n t w o r t e n der Bundesregierung, DVB1.1965, S. 867. 56 BVerfGE 13/S. 126 = N J W 1961, S. 1913. 57 So das B V e r f G bezüglich der Weigerung der Schulbehörde der Freien u n d Hansestadt Hamburg, der Deutschen Friedens-Union Versammlungsräume zur Verfügung zu stellen, nachdem der Bundesinnenminister sie als kommunistisch beeinflußt bezeichnet hatte (NJW 1961, S. 1913). 55
7 Witte
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2. Kap.:
echt u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
wort auf parlamentarische Anfragen nicht als rechtserhebliche Maßnahme i m Sinne dieser Vorschrift angegeben werden kann 5 8 . b) Die Nachprüfbarkeit von Antworten der Bundesregierung durch die Verwaltungsgerichte Ist eine Äußerung eines Mitgliedes der Bundesregierung bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen auch nicht geeignet, die verfassungsmäßigen Rechte anderer oberster Bundesorgane zu verletzen, so ist es doch andererseits — wie der oben dargestellte Fall Conrad gezeigt hat — durchaus denkbar, daß durch eine ministerielle Äußerung i n die Rechte von Einzelpersonen oder Organisationen eingegriffen wird. Erwähnt der zuständige Minister beispielsweise i n seiner Antwort den Namen einer Privatperson i n einem negativen Zusammenhang, so mag sich der Betroffene i n seinem Ruf geschädigt und i n seiner Ehre verletzt fühlen. Die Frage, ob i n einem solchen Fall dem Betroffenen der Weg zu den Verwaltungsgerichten offensteht und eine öffentlich-rechtliche W i derrufsklage zulässig ist, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, sowohl für den Betroffenen als auch für die Praxis des parlamentarischen Fragerechtes. aa) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher A r t innerhalb der Rechtsmacht der Verwaltungsgerichte Daß die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch einen Vertreter der Bundesregierung ein hoheitlicher Vorgang ist, dürfte keinen Bedenken unterliegen. Hoheitlich bleibt dieser Vorgang auch dann, wenn die A n t w o r t Wirkungen über das Parlament hinaus zeitigt und sich ein Privatmann durch die ministerielle Äußerung i n seinen Rechten verletzt fühlt. Bei der Klage eines Bürgers auf Widerruf einer für das Parlament abgegebenen Erklärung eines Vertreters der Bundesregierung handelt es sich also u m eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. des § 40 VwGO 5 9 . 58
10.
I m Ergebnis ebenso: Maunz-Sigloch-Schmidt-Bleibtreu-Klein, § 64, Rdnr.
59 Sowohl der B G H (BGHZ 34/S. 99, 108 ff., GZS) als auch das B V e r w G (BVerwGE 14/S. 323, 328) erkennen an, daß bei Ehrenkränkungen durch einen Beamten i m hoheitlichen Bereich der öffentlichen V e r w a l t u n g der V e r w a l tungsrechtsweg gegeben ist. Die f ü r die A m t s f ü h r u n g des Beamten verantwortliche Körperschaft k a n n dabei je nachdem durch eine verwaltungsrechtliche Anfechtungs- oder Leistungsklage zum Widerruf gezwungen werden. Ist allerdings der v o m Beamten erhobene V o r w u r f unbeschadet seiner Z u rechnung zur A m t s f ü h r u n g so sehr Ausdruck einer persönlichen Meinung oder Einstellung, daß die Widerrufserklärung als eine unvertretbare, persönliche Leistung des Beamten erscheint, so ist der Rechtstsreit gegen den Beleidiger persönlich zu führen (BGH Ζ 34/S. 107). — Soweit die Äußerungen n u r gelegentlich einer hoheitlichen Tätigkeit gefallen ist u n d der Amtsführung nicht zugerechnet werden kann, ist eine privatrechtliche Streitigkeit anzunehmen.
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Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher A r t , da es hier nicht u m die Kompetenz und Abgrenzung von Organen der Verfassung geht, sondern u m eine von einem klagenden Privatmann behauptete, i h m gegenüber begangene Rechtsverletzung der öffentlichen Gewalt 6 0 . Obwohl also die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO gegeben sind und obwohl außerdem A r t . 19 Abs. 4 S. 2 zusätzlich eine subsidiäre Rechtsweggarantie enthält, könnte bei Klagen der vorliegenden A r t jeder Rechtsweg ausgeschlossen sein, wenn man m i t der Rechtsprechung und herrschender Lehre anerkennt, daß es rechtswegfreie Hoheitsakte gibt 6 1 . Ohne i m einzelnen auf die umfangreiche Literatur zu dieser Frage einzugehen und ohne die verschiedenen Abgrenzungs- und Definitionsversuche i m einzelnen gegeneinander abzuwägen, läßt sich doch sagen, daß ein gerichtsfreier Hoheitsraum — wenn er bejaht w i r d — grundsätzlich nur für solche Handlungen und Entscheidungen der Regierung anerkannt wird, denen ein staatspolitisches Element innewohnt 6 2 . Ein solches staatspolitisches Element w i r d nur bei den die Politik betreffenden Führungsentscheidungen angenommen 63 . Die schriftliche oder mündliche Beantwortung einer Anfrage i m Bundestag kann demnach i m Einzelfall ein rechtswegfreier Hoheitsakt sein, dann nämlich, wenn durch die Anfrage politische Richtungskontrolle 64 ausgeübt wird, die Regierung also i n ihrer Rolle als politisches Führungsorgan angesprochen w i r d und dementsprechend antwortet 6 5 . I n einem solchen Fall wäre also der Verwaltungsrechtsweg — trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 40 VwGO — nicht gegeben. Soweit die Regierung dagegen über Mißstände i n der Verwaltung oder überhaupt i n ihrer Funktion als Leitungs- und Aufsichtsorgan der 60 Vgl. hierzu Wolff, Verwaltungsrecht I I I , § 170 I I c 1: „Eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher A r t liegt n u r vor, w e n n Auslegung oder Anwendung eines Verfassungssatzes nicht lediglich eine Vorfrage, sondern den K e r n des Rechtsstreites bildet. Sie liegt jedoch nicht schon deshalb vor, w e i l die V e r letzung eines Grundrechts oder eines anderen Verfassungsprinzips seitens eines Trägers öffentlicher V e r w a l t u n g durch eine Zivilperson gerügt w i r d . " Vgl. auch Eyermann-Fröhler, V w G O , 3. Aufl., § 40 Rdnr. 63. 61 Vgl. dazu u.a.: Scheuner, Der Bereich der Regierung, i n : Festschrift für Smend, S. 253ff. (291 ff.); Loening, Regierungsakte u n d Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVB1. 1951, S. 233 ff., sowie die Kommentarliteratur zu A r t . 19 I V GG. 62 B V e r w G E 2/36 (38). 63 OVG B e r l i n i n JZ 1953, S. 644; O V G Münster i n D Ö V 1965, S. 774 u n d i n DVB1.1967, S. 51, sowie Loening, a.a.O., S. 233. 64 Z u r Unterscheidung zwischen politischer Richtungskontrolle einerseits u n d Leistungs- u n d Sachkontrolle andererseits, vgl. Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft i n Deutschland, 1. Aufl., S. 608 f. 65 So auch Leitsatz 1) der Entscheidung des OVG Münster i n dem oben angeführten F a l l Conrad: „Die Beantwortung einer Kleinen Anfrage i m Bundestag u n d i h r begehrter Widerruf können gerichtsfreie Hoheitsakte sein." (DVB1. 1967, S. 51.)
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Exekutive gefragt wird, kann ihre A n t w o r t nicht ein gerichtsfreier Hoheitsakt sein. Liegen demnach bei Klagen gegen ehrenkränkende Antworten von Vertretern der Bundesregierung grundsätzlich die Voraussetzungen des § 40 VwGO vor, so fragt sich doch, ob das Klagebegehren i n diesem Ausnahmefall nicht die „Rechtsmacht der Verwaltungsgerichte" überschreitet, w e i l ein stattgebendes Urteil i n das „Kräftespiel von Bundesregierung und Bundestag" einwirken würde, indem es die Bundesregierung zur Abgabe einer Widerrufserklärung verpflichten müßte, die der Bundestag entgegenzunehmen hätte 6 6 . — Hierbei ist jedoch zu beachten, daß Urteile der Verwaltungsgerichte häufig Eingriffscharakter haben und trotzdem zulässig sind. Durch kassatorische und kondemnatorische Entscheidungen üben die Verwaltungsgerichte nicht etwa administrative, sondern rechtsprechende Gewalt aus 67 . — Allerdings würde ein Verwaltungsgerichtsurteil, das eine Regierung zur Regierungstätigkeit verpflichten würde, unzulässig sein 68 . Bei der A n t w o r t eines Ministers auf eine parlamentarische Anfrage handelt es sich jedoch i n der Regel nicht u m einen gerichtsfreien Hoheitsakt (Regierungsakt), so daß auch die Verurteilung zum Widerruf dieser A n t w o r t nicht als ein unzulässiger Eingriff i n Regierungstätigkeiten angesehen werden kann. Vielmehr handelt es sich dabei u m eine Verurteilung zur Richtigstellung einer i m Rahmen der vollziehenden Gewalt abgegebenen Äußerung der Regierung. Das Gericht übt dabei nicht eine Tätigkeit aus, „die allein dem Parlament als dem politischen Kontrollorgan gegenüber der Regierung obliegt" 6 9 , sondern es prüft eine von einem Privatmann behauptete, i h m gegenüber begangene Rechtsverletzung eines Exekutivorgans nach. Dazu reicht die Rechtsmacht der Verwaltungsgerichte durchaus aus. Ob der Bundestag zur Entgegennahme des m i t der Klage begehrten Widerrufs bereit ist oder nicht, ist unbeachtlich. Da er zur Entgegennahme der Richtigstellungserklärung nicht verurteilt wird, kann schon von daher ein un66 So etwa das V G K ö l n i n dem F a l l Conrad (DVB1. 1965, S. 884, Sp. 2). Z u r weitgehenden gegenseitigen Integration von Bundestag u n d Bundesregierung u n d den daraus zu ziehenden Folgerungen f ü r die pari. Redefreiheit, vgl. A. A r n d t , i n : DVB1.1965, S. 965 u n d unten unter bb). 67 Ebenso: Bettermann i n der A n m . zum U r t e i l des V G K ö l n , DVB1. 1965, S.886. 68 Aus diesem Grunde ist j a insbesondere das I n s t i t u t des gerichtsfreien H o heitsaktes bzw. Regierungsaktes entwickelt worden. Z u den Grenzen der V e r waltungsgerichtsbarkeit vgl. auch Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 1960, S. 8 ff. 69 So aber das V G K ö l n , a.a.O., S. 885. Das V G fährt wörtlich fort: „Das Gericht würde m i t einer Sachaufklärung praktisch die Ergänzungsfragen stellen, denen das allgemein zur Kontrolle der Bundesregierung als Verfassungsorgan berufene Parlament aus politischen Erwägungen nicht nachgegangen ist. I m Ergebnis käme es damit i n die Rolle eines Kontrollorgans der Regierung auf dem Gebiet der parlamentarischen Verantwortung, während seine Aufgabe n u r die Kontrolle der V e r w a l t u n g ist."
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zulässiger E i n g r i f f i n seine Rechte n i c h t v o r l i e g e n . V i e l m e h r w i r d d u r c h e i n stattgebendes U r t e i l l e d i g l i c h die B u n d e s r e g i e r u n g 7 0 v e r p f l i c h t e t , die W i d e r r u f s e r k l ä r u n g v o r d e m B u n d e s t a g abzugeben. D a i h r e M i t g l i e d e r gem. A r t . 43 A b s . 2 G G z u a l l e n S i t z u n g e n des P a r l a m e n t e s Z u t r i t t h a b e n u n d d o r t j e d e r z e i t g e h ö r t w e r d e n müssen, ist die A b g a b e d e r b e g e h r t e n W i d e r r u f s e r k l ä r u n g durchaus m ö g l i c h . bb) U n z u l ä s s i g k e i t der ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n W i d e r r u f s k l a g e auf G r u n d der parlamentarischen Redefreiheit Reicht also die Rechtsmacht der V e r w a l t u n g s g e r i c h t e g r u n d s ä t z l i c h aus f ü r das K l a g e b e g e h r e n eines B ü r g e r s , der d e n W i d e r r u f e i n e r i h n b e l e i d i g e n d e n p a r l a m e n t a r i s c h e n Ä u ß e r u n g eines R e g i e r u n g s m i t g l i e d e s e r strebt, so f r a g t sich doch, ob die ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e W i d e r r u f s k l a g e n i c h t i n e i n e m solchen F a l l a u f G r u n d des I n d e m n i t ä t s p r i v i l e g s 7 1 des A r t . 46 Abs. 1 G G unzulässig ist72. 70 Z u beachten ist allerdings, daß nicht die Bundesregierung als Organ Beklagte ist, sondern die Bundesrepublik Deutschland als Körperschaft, der die Amtsführung der Minister zuzurechnen ist. 71 Die durch A r t . 46 Abs. 1 GG gewährleistete parlamentarische Redefreiheit w i r d v o n der h. M . als Indemnität bezeichnet, während die i n A r t . 46 Abs. 2 - 4 enthaltenen Privilegien als I m m u n i t ä t bezeichnet werden. Darüberhinaus w i r d der Begriff I m m u n i t ä t auch als Oberbegriff f ü r alle i n A r t . 46 enthaltenen Privilegien gebraucht. — v. M a n g o l d t - K l e i n (Art. 46 I I 3 a - c) unterscheiden — an sich exakter — zwischen der Verantwortungs-Immunität (Verantwortungsfreiheit) des A r t . 46 Abs. 1 u n d der Verfolgungs-Immunität (Verfolgungsfreiheit, Unverfolgbarkeit) des A r t . 46 Abs. 2 - 4 GG. Als Oberbegriff w i r d auch hier das Wort I m m u n i t ä t gebraucht. Die folgenden Ausführungen folgen aus Gründen der K l a r h e i t der Terminologie der h. M . 72 Es w i r d hier vorausgesetzt, daß der Indemnitätsschutz des A r t . 46 Abs. 1 GG zur Unzulässigkeit der ö - r Widerrufsklage führt. (Das O V G Münster, DVB1. 1967, S. 53, erwägt demgegenüber offenbar einen generellen Ausschluß des Verwaltungsrechtsweges, ohne das allerdings näher zu begründen.) Die Frage, welche A u s w i r k u n g e n die Indemnität f ü r den Verwaltungsprozeß hat, ist bisher i n Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r nicht erörtert worden, w e i l sie Voraussetzt, daß m a n auch Regierungsmitgliedern den Indemnitätsschutz zuerkennt — eine Ansicht, die bisher n u r v o n A d o l f A r n d t , DVB1. 1965, S. 954, vertreten w i r d . I m Strafprozeß w i r d die Indemnität v o n der h. M . als persönlicher Strafausschließungsgrund angesehen u n d damit als ein Umstand, der nicht prozessual, sondern materiell einer Verurteilung entgegensteht; vgl. statt aller: Schönke-Schröder, StGB, 13. Aufl., § 11 Rdnr. 4; — zu den Schwierigkeiten einer Grenzziehung zwischen Strafausschließungsgründen u n d Prozeßvoraussetzungen bei „unrechtsneutralen u n d schuldunabhängigen Strafausschließungsgründen" vgl. Stree, i n JUS 1965, S. 465 f., der auch darauf hinweist, daß hier letztlich das „Rechtsgefühl" bzw. Zweckmäßigkeitserwägungen entscheiden. Der T e x t der Grundgesetzbestimmung, der v o m Ausschluß der gerichtlichen Verfolgbarkeit spricht, deutet insgesamt eher auf einen Ausschluß der prozessualen Verfolgbarkeit hin. Deswegen werden auch zivilrechtliche Unterlassungsklagen wegen Äußerungen von Abgeordneten i m Parlament v o n der h. M. als unzulässig angesehen, w e n n der Indemnitätsschutz eingreift; vgl. Anschütz, 14. Aufl., A r t . 36, S. 229 A n m . 1 ; Bockelmann, Die Unverfolgbarkeit der Abge-
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Das würde voraussetzen, daß die Grundgesetzbestimmung des A r t . 46 Abs. 1 GG, die ausdrücklich nur Abgeordnete wegen ihrer Äußerungen i m Parlament von jeglicher gerichtlichen Verantwortung freistellt, auch auf Minister und Staatssekretäre anwendbar wäre. Diese Ansicht w i r d von Adolf A r n d t vertreten 7 3 . Er meint, unter den Schutz des Art. 46 Abs. 1 GG, der die parlamentarische Redefreiheit garantiere, müßten nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die Mitglieder der Bundesregierung fallen. Das folge einmal schon daraus, daß i n einer parlamentarischen Demokratie fast alle Regierungsmitglieder zugleich auch Abgeordnete seien. Beantworte deshalb ein Minister, der gleichzeitig Parlamentarier sei, eine Anfrage i m Plenum, so müsse ihn der Schutz des A r t . 46 Abs. 1 GG ohnehin treffen. Dieses Schutzes könne die Bundesregierung nicht dadurch verlustig gehen, daß sie einen, dem Parlament nicht angehörenden Minister auf Anfragen antworten lasse. Bundestag und Bundesregierung seien nämlich — wie das Recht der Regierung auf jederzeitiges Gehör gem. A r t . 43 Abs. 2 GG zeige — äußerst weit ineinander integriert. Es könne deshalb i n bezug auf den Schutz der parlamentarischen Redefreiheit kein Unterschied zwischen den Mitgliedern der Regierung und den Abgeordneten gemacht werden. Dieser Ansicht von Arndt, die eine über den Text des Grundgesetzes hinausgehende Ausweitung der Indemnität bezweckt, könnte dann gefolgt werden, wenn sie auf Grund der historischen Anlässe oder infolge der Veränderung der tatsächlichen verfassungsrechtlichen Gegebenheiten dem Sinn der Vorschrift entspricht und geboten erscheint und durch den Willen des Verfassungsgesetzsgebers noch gedeckt ist bzw. diesem Willen nicht widerspricht. Die Bestimmung des A r t . 46 Abs. 1 GG, die ausdrücklich nur Abgeordnete von jeglicher gerichtlichen Verantwortung freistellt, ist historisch bedingt. Sie geht sachlich auf die fast gleichlautende Vorschrift des A r t . 36 WRV zurück; diese wiederum hat ihre Vorläuferin i n Art. 30 der Verfassung des Kaiserreichs. Grund für die Einführung des Immunitätsrechtes i m Zeitalter der Konstitutionellen Monarchie 74 war die Furcht vor tendenziösen Verfolgungen seitens des Monarchen und der Wunsch nach Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Parlamentes 75 . ordneten nach deutschem Immunitätsrecht, Göttingen 1951, S. 40 u n d 48; w o h l auch O L G Karlsruhe, N J W 1956, S. 1840. M a u n z - D ü r i g (Art. 46 Rdnr. 22) betonen ausdrücklich, daß die Bezeichnung des A r t . 46 Abs. 1 als Strafausschließungsgrund zu eng sei u n d daß man besser v o m Ausschluß der Verfolgbarkeit spreche. 73 DVB1. 1965, S. 954 (Anm. zu dem U r t e i l des V G K ö l n i m F a l l Conrad). 74 I n England wurde das Indemitätsrecht schon i m Jahre 1689 durch die ,Bill of Rights' eingeführt. 75 Merten, Die I m m u n i t ä t der Abgeordneten, CIVIS, V I . Jg., Nr. 55, S. 11.
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Diese Gründe spielen i n einer demokratischen Republik, i n der eine Eingriffsmöglichkeit von dynastischer Seite nicht besteht und i n der die Gefahr der Verfolgung politischer Gegner durch extreme Regierungen äußerst gering ist, natürlich nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch wurde m i t ihnen i n der Weimarer Zeit noch das Immunitätsrecht begründet. So schreibt ζ. B. Erdmann noch i m Jahre 1926: „Die Parlamentsverhandlungen gegen äußere Angriffe zu schützen, hat zwar schon das RStGB unternommen . . . A l l e i n diese Vorschriften genügen nicht zur Sicherung der Ungestörtheit der Parlamentsverhandlungen. Der F a l l ist sehr w o h l denkbar, daß extreme Regierungen wegen der politischen Tendenz i h r unangenehme Volksvertreter infolge ihrer i m Parlament gebrauchten Äußerungen oder auch wegen gewisser außerhalb der parlamentarischen Tätigkeit begangener Handlungen verhaften oder sonst irgendwie verfolgen lassen, lediglich aus politischer Ranküne, d. h., u m dadurch sich den Weg zu weiterer machtpolitischer Betätigung frei zu machen u n d ihre Herrschaftsgelüste zu befriedigen. Es ist daher erforderlich, daß die Rechtsordnung bzw. die V e r fassung privilegierende Sondervorschriften statuiert 7 6 ."
Aus der Tatsache, daß die ,Väter des Grundgesetzes' diese „privilegierenden Sondervorschriften" fast wörtlich aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen und dabei den Indemnitätsschutz ebenfalls ausdrücklich auf Abgeordnete beschränkt haben, könnte der Schluß gezogen werden, daß auch sie den Schutz der parlamentarischen Redefreiheit begründen wollten m i t der Furcht vor extremen Regierungen und dem Wunsch nach Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Parlaments 77 . Die Bemerkungen von Dr. Katz i m Organisationsausschuß des Parlamentarischen Rates — bei den A r t . 59, '60 und 61 des Entwurfes (heute A r t . 46 GG) handele es sich u m die „üblichen Immunitätsbestimmungen" — läßt i n der Tat einen solchen Schluß zu 7 8 . Wenn aber A r t . 46 Abs. 1 GG vornehmlich als Schutz gegen die Regierung gedacht war und ist, so w i r d klar, daß ein Mitglied dieser Regierung, soweit es als ihr Vertreter handelt, dieses Schutzes nicht bedarf 7 9 . Es kann dann keinen Unterschied machen, ob ein Minister zugleich Abgeordneter ist oder nicht, da er bei Handlungen i m Namen der Regierung i n keinem 76 Erdmann, Die Parlamentsprivilegien der deutschen Reichs- u n d Landtagsabgeordneten, Diss. Erlangen 1926, S. 12. 77 I m Parlamentarischen Rat ist über eine Begründung der Indemnität so gut w i e gar nicht gesprochen worden; vgl. die unergiebigen Protokolle der 2. und 6. Sitzung des kombinierten Ausschusses f ü r die Organisation des Bundes und f ü r Verfassungsgerichtshof u n d Rechtspflege (im folgenden: Organisationsausschuß), Prot. S. 86 ff. 78 Neue Gesichtspunkte i m Parlamentarischen Rat brachte lediglich der SPDVertreter Heiland vor, der die Bedeutung der Immunitätsbestimmungen i n ihrer Schutzfunktion gegenüber Hetzkampagnen durch „destruktive politische K r ä f t e " sah. Seine Äußerungen bezogen sich aber w o h l eher auf den I m m u n i tätsschutz des späteren A r t . 46 Abs. 2 - 4 GG als auf die Indemnität des A r t . 46 Abs. 1 GG. 79 Ebenso: (im Hinblick auf A r t . 36 WRV) Ibert, Die berufliche I m m u n i t ä t der Abgeordneten, Diss. K i e l 1933, S. 85.
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
F a l l den Schutz der parlamentarischen Redefreiheit i n Anspruch nehmen kann 8 0 . I n neuerer Zeit haben vor allem Leibholz 8 1 und Bockelmann 82 darauf hingewiesen, daß das gesamte Immunitätsrecht schon lange nicht mehr allein aus der Gegensätzlichkeit der Legislative zur (monarchischen) Exekutive und rechtsprechenden Gewalt gedacht werden könne, sondern i m Zuge der Entwicklung zum Repräsentativsystem als eine Ergänzung der Repräsentation des Volkes durch das Parlament zu verstehen sei 83 . Den Abgeordneten, als den nach der Intention der Verfassung über den täglichen Interessenkämpfen und -gegensätzen stehenden Repräsentanten des Volkes, werde durch das Immunitätsrecht, insbesondere die Indemnität, die Möglichkeit gegeben, frei von sachfremden Rücksichten zu handeln, wodurch zugleich ihre Würde unterstrichen werde 8 4 . Sieht man den Repräsentationsgedanken als entscheidende Begründung und Rechtfertigung des gesamten Immunitätsrechtes an, so können Gründe dafür angeführt werden, den Indemnitätsschutz des A r t . 46 Abs. 1 GG auch auf Regierungsmitglieder zu erstrecken. Denn die meisten von ihnen sind zugleich gewählte Abgeordnete und die übrigen werden über den vom Parlament gewählten Kanzler ins Kabinett berufen. Das Volk betrachtet sie gleichermaßen als seine Repräsentanten. Berücksichtigt man darüber hinaus i n diesem Zusammenhang die von A r n d t m i t Recht hervorgehobene weitgehende Integration von Parlament und Regierung 85 , so spricht einiges dafür, die Indemnität nicht nur den A b geordneten, sondern auch den Regierungsmitgliedern zuzugestehen, soweit sie am parlamentarischen Meinungsbildungsprozeß teilhaben 86 . 80 I m Ergebnis ebenso: Abg. Dr. Mende als Berichterstatter des Geschäftsordnungsausschusses i n seinem schriftlichen Bericht f ü r das Plenum, 6.12.1951, B T StenB I, S. 7451 A . — I m Anschluß an Hubrich (Parlamentarische Redefreiheit) u n d v. B a r (Die Redefreiheit der Mitglieder der gesetzgebenden V e r sammlung) unterscheidet Mende zwischen den Äußerungen, die ein M i t g l i e d der Bundesregierung i n seiner Eigenschaft als Minister u n d solchen, die er i n seiner Eigenschaft als Abgeordneter getan hat. N u r bei den letztgenannten Äußerungen könne A r t . 46 Abs. 1 GG eingreifen. Ebenso: Maunz-Dürig, A r t . 46, Rdnr. 8. 81 I n : Das Wesen der Repräsentation u n d der Gestaltwandel der Demokratie, 3. Aufl., S. 170 f. 82 Die Unverfolgbarkeit der Abgeordneten nach deutschem Immunitätsrecht, a.a.O., S. 16 ff. (im Anschluß an die Verfassungslehre v o n Carl Schmitt). 83 w ö r t l i c h schreibt Leibholz: „Ohne I m m u n i t ä t würde der Abgeordnete zu einem gewöhnlichen' Statsbürger gestempelt werden, würde v o r allem die Selbständigkeit, die gerade zum Wesen der politisch dezidierenden, repräsentativen Volksvertretung gehört, verloren gehen." a.a.O., S. 171. 84 So auch Rinck, Die Indemnität der Abgeordneten i m Bundesstaat des Bonner Grundgesetzes, i n JZ 1961, S. 248 ff. 85 Vgl. dazu auch Scheuner, Politische Koordination i n der Demokratie, i n : Die moderne Demokratie u n d i h r Recht, Festschrift f ü r Leibholz, Bd. I I , S. 899 f. (916 f.). 86 Den Gesichtspunkt der weitgehenden Integration v o n Parlament u n d Regierung würde das Bundesverfassungsgericht i n diesem Zusammenhang
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So weitgehende Schlußfolgerungen können jedoch — wenn überhaupt — nur dann aus dem Repräsentationsgedanken abgeleitet werden, wenn dieser heute als das w i r k l i c h Kennzeichnende i m Wesen des Parlamentarismus angesehen werden kann und deshalb dem Immunitätsrecht einen eigenen, von historischen Anlässen unabhängigen, Inhalt zu geben vermag. — Das w i r d jedoch allgemein — auch von Leibholz und Bockelmann — bezweifelt; denn die Entwicklung des Parlamentarismus ist über das Repräsentativsystem i m eigentlichen Sinne des Wortes hinausgegangen. Die Abgeordneten i n einem parlamentarischen Regierungssystem westlicher Prägung sind nicht i n erster Linie repräsentative Vertreter des Volkes, sondern i n der Hauptsache Exponenten einer politischen Partei, von der sie weitgehend abhängig sind. Die neuzeitlichen Volksvertretungen repräsentieren aus diesem Grunde nicht unmittelbar das Wählervolk, sondern vielmehr die politische Gliederung dieses Volkes i n Parteien. Ein faktisch weitgehender Fraktionszwang bestimmt die parlamentarischen Diskussionen, deren Ergebnisse i n der Regel vorher festliegen und die dadurch viel von ihrem schöpferischen Charakter verlieren. Damit ist die repräsentative Funktion der Abgeordneten und des Parlaments als Fundament für die Rechtfertigung des Immunitätsrechtes „brüchig" geworden 87 ; die Folgerungen, die aus dem Prinzip der Repräsentation abgeleitet werden, sind fragwürdig 8 8 . Keinesfalls kann deshalb allein aus dem Repräsentationsprinzip eine so weitgehende Folgerung, wie die der Erstreckung des Indemnitätsprivilegs des A r t . 46 Abs. 1 GG auch auf Regierungsmitglieder, gezogen werden 8 9 . Ist aber das Immunitätsrecht i n seiner Gesamtheit heute nur noch schwer zu begründen und zu rechtfertigen, so muß versucht werden, für jedes der beiden Privilegien des A r t . 46 GG getrennt eine Erklärung zu finden. Für die Privilegierung des A r t . 46 Abs. 1 GG bietet sich hier die w o h l nicht f ü r tragend ansehen. I n seiner Entscheidung zur Redezeit der Regier u n g (BVerfGE 10, S. 4 ff.) sieht es durchaus noch ein Spannungsverhältnis zwischen Regierung u n d Parlament u n d hält es von daher f ü r vertretbar, daß beide unterschiedliche Rechte haben. Wörtlich f ü h r t es aus (S. 17) : „Wenn auch i n einer parlamentarischen Demokratie die Auffassungen der Regierung i n der Regel m i t denen der Parlamentsmehrheit harmonisieren, u n d w e n n auch, w i e hier, alle Regierungsmitglieder gleichzeitig Abgeordnete sind, so bleibt doch ein Spannungsverhältnis zwischen dem Parlament als dem Gesetzgebungsu n d obersten Kontrollorgan u n d der Regierung als der Spitze der Exekutive bestehen. Dieses Spannungsverhältnis rechtfertigt ein zeitlich unbeschränktes u n d grundsätzlich unbeschränkbares Recht der Regierung, ihren Standpunkt i m Parlament darzulegen u n d zu verteidigen." 87 Rinck, JZ 1961, S. 249. 88 Bockelmann, a.a.O., S. 19. 89 i m Ergebnis anerkennt das auch Leibholz (a.a.O., S. 171): „Diese I m m u n i tät, die dem Abgeordneten i m Repräsentativsystem zukommt, . . . gehört aber nicht zwangsläufig i m Sinne eines formalen K r i t e r i u m s zum Begriff der Repräsentation. Sie ist n u r ein accidens nicht ein essentiale. N u r so erklärt es sich, daß es auch Repräsentanten (wie z . B . die Regierungen) gibt, die dieses erhöhten Rechtsschutzes e n t b e h r e n . . . "
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2. Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
Möglichkeit an, diese Bestimmung heute ausschließlich als verfassungsrechtliche Gewährung eines allgemeinen — von gerichtlicher Verantwortung freien — parlamentarischen Rederechtes zu begreifen, das den parlamentarischen Meinungsbildungsprozeß i n besonderer Weise abschirmen und schützen soll. Eine solche Interpretation des A r t . 46 Abs. 1 GG ist — gemessen an den historischen Anlässen — zunächst restriktiv. Vergleicht man die Grundgesetzbestimmung des A r t . 46 Abs. 1 GG m i t ihrer Vorgängerin i n der Weimarer Reichsverfassung, so spricht vieles dafür, daß diese Restriktion vom Grundgesetzgeber gewollt ist. Denn gegenüber A r t . 36 WRV ist die Indemnität des Bundestagsabgeordneten dadurch eingeschränkt, daß sie nicht mehr für alle „ i n Ausübung seines Berufs" getanen Äußerungen gilt, sondern nur für solche Äußerungen gewährt wird, die der Abgeordnete i m Bundestag oder einem seiner Ausschüsse getan hat. Damit ist aus der hauptsächlich personen-, bzw. berufsbezogenen Privilegierung des A r t . 36 WRV ein mehr sach- und verfahrensbezogenes Privileg geworden: Nicht weil er Abgeordneter ist, ist die Äußerung eines Parlamentariers frei von gerichtlicher Verantwortung, sondern nur weil und soweit er diese Äußerungen i m Bundestag getan hat. Es ist deshalb richtig, wenn man Art. 46 Abs. 1 GG nicht i n erster Linie als personengebundenes Privileg der Abgeordneten ansieht, sondern die Bedeutung und Rechtfertigung dieser Grundgesetzbestimmung heute vorrangig i n der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der parlamentarischen Redefreiheit erblickt. Betrachtet man m i t h i n die Indemnität weniger als Abgeordneten- als als Parlamentsprivileg 9 0 , so erscheint es folgerichtig, auch die Mitglieder der Regierung an dieser Privilegierung teilhaben zu lassen, da auch sie sich i m Parlament am Meinungsbildungsprozeß beteiligen. Eine Unterscheidung dahingehend, ob eine ministerielle Äußerung i n der Eigenschaft des Sprechers als Regierungsmitglied oder als Abgeordneter erfolgt, ist nämlich nicht nur praktisch häufig unmöglich, sondern erscheint — bei der heute weitgehenden Integration und Koordination von Parlament und Regierung — auch unverständlich. Wenn man den Gewaltenteilungsgrundsatz heute nicht mehr als starre Funktionentrennung, sondern als Gegen- und häufig auch Zusammenspiel politischer Kräfte ansieht, so ist schwer einzusehen, warum den Mitgliedern der Regierung i n der parlamentarischen Diskussion nicht die gleichen Privilegien zustehen sollen wie den Abgeordneten, warum beispielsweise i n den Debatten über Große Anfragen und beim Frageund Antwortspiel i n der Fragestunde nur die Abgeordneten, nicht aber die Minister, vor gerichtlicher Verantwortung geschützt sein sollen. Das der Regierung zustehende unbeschränkte Rederecht wäre illusorisch, wenn zwischen ihren Mitgliedern und den Abgeordneten i n der parlamentarischen Auseinandersetzung keine „Waffengleichheit" herrschte. 90
So auch Koellreutter, Deutsches Staatsrecht 1952, S. 192.
I V . Einzelne Rechtsfragen
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Versteht man also Art. 46 Abs. 1 GG nicht mehr i n erster Linie als ein personengebundenes Privileg, sondern als die verfassungsrechtliche Gewährung der parlamentarischen Redefreiheit, so erscheint angesichts der i m parlamentarischen Regierungssystem äußerst weitreichenden Integration von Parlament und Regierung und bei Berücksichtigung des Gedankens der Repräsentation eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Regierungsmitglieder vom Sinn des Privilegs her geboten. Zwar entspricht eine solche Einbeziehung der Regierungsmitglieder nicht den historischen Anlässen und Motiven bei Einführung dieses Privilegs i m Zeitalter der konstitutionellen Monarchie, w e i l man damals die Indemnität zum Schutz der Parlamentarier gerade gegenüber der Regierung und der von ihr teilweise abhängigen 3. Gewalt verstehen und begründen wollte. Bei der heute weitgehend vollzogenen Entwicklung zum Rechtsstaat jedoch können diese historischen Anlässe keine Rolle mehr spielen. Denn die Staatsanwaltschaft als Teil der Justiz und einzig dem Legalitätsprinzip unterworfen ist kein Machtinstrument i n der Hand der Regierungen mehr, sondern ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. Vor allem aber muß die Exekutive selbst — bedingt durch den weitgehenden Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit — m i t einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Handlungen rechnen. Eine Regierung kann also nicht mehr Parlamentarier wegen ihrer Äußerungen i m Parlament verhaften lassen und damit ausschalten, vielmehr muß sie selbst einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Äußerungen gewärtig sein. — Damit sind die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten, die zur Einführung des Indemnitätsprivilegs als Schutzmittel des Parlaments gegenüber der Regierung führten, weggefallen. Der Entwicklung zum Rechtsstaat entspricht es heute weit mehr, die parlamentarische Redefreiheit nicht mehr als Privileg der Abgeordneten gegenüber Regierung und Justiz zu verstehen, sondern eher als eine Einschränkung der Befugnisse der 3. Gewalt i m parlamentarischen Raum, i m Verhältnis zu Abgeordneten und Regierung 91 . Die Einbeziehung der Regierungsmitglieder und ihrer Vertreter i n den Indemnitätsausschuß des A r t . 46 Abs. 1 GG widerspricht auch nicht dem ausdrücklichen und erklärten Willen des Grundgesetzgebers. Bei der Übernahme der Immunitätsbestimmungen aus der Weimarer Reichsverfassung i n das Grundgesetz ist — wie oben dargestellt — über diese Fra91 V o n dieser Interpretation des A r t . 46 Abs. 1 GG her läßt sich die Auffassung des V G K ö l n (DVB1. 1965, S. 884, Sp. 2) aufrechterhalten, die V e r w a l tungsgerichte dürften nicht i n das „Kräftespiel von Bundesregierung u n d B u n destag" einwirken. Würde m a n Verwaltungsklagen eines Privatmannes gegen Erklärungen der Regierung f ü r zulässig erachten, so würde die Regierung dem Parlament häufig keine volle A u s k u n f t geben können aus Sorge, daß etwaige Äußerungen v o r die Verwaltungsgerichte gezogen würden. Insofern würde durch die Möglichkeit einer Klage gegen die Regierung zugleich i n die K o n t r o l l rechte des Parlaments eingegriffen.
1 0 8 2 .
Kap.: Recht u n d Handhabung der Anfragen i m Bundestag
gen nicht gesprochen worden. Gut 2 Jahre später scheint dagegen das Problem erstmals i m Geschäftsordnungsausschuß des Bundestages angesprochen worden zu sein. Eine ausdrückliche Einbeziehung der Regierungsmitglieder i n die Indemnität hielt man dort offenbar nicht für notwendig — ohne sie deswegen grundsätzlich abzulehnen. I n seinem schriftlichen Bericht für das Plenum führte der Berichterstatter Dr. Mende aus: „ B e i der Unverantwortlichkeit des A r t . 46 Abs. 1 GG w i r d theoretisch zu unterscheiden sein, ob das M i t g l i e d der Bundesregierung i n seiner Eigenschaft als Minister oder als Abgeordneter gesprochen hat (Hubrich, Parlamentarische Redefreiheit, S. 56, v. Bar, Die Redefreiheit der Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung, S. 258). F ü r die Praxis dürften die Grenzen dieser Unterschiede fließend sein, zumal das M i t g l i e d der Bundesregierung sich auf die Wahrung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) berufen k a n n (RG St 4/193) 92 ."
Offensichtlich ging man also davon aus, den Mitgliedern der Bundesregierung stünde für alle Äußerungen i m Parlament der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB zur Seite 93 . Bei der für diesen Rechtfertigungsgrund erforderlichen Güterabwägung sah man offenbar i n der Regel — wenn nicht sogar grundsätzlich — das Rederecht der Regierungsmitglieder als überwiegend gegenüber den Interessen potentieller Geschädigter an. Bei einer so weitgehenden Anerkennung einer parlamentarischen Redefreiheit aber erscheint es nur noch als eine mehr formale Frage, ob man die Regierungsmitglieder i n den Schutz des A r t . 46 Abs. 1 GG einbezieht oder ihnen ein nicht näher definiertes allgemeines parlamentarisches Rederecht zuerkennt, das ihre Äußerungen nach § 193 StGB als rechtmäßig erscheinen läßt. Es kann deshalb angenommen werden, daß die Einbeziehung der Regierungsmitglieder den Indemnitätsschutz des A r t . 46 Abs. 1 GG zumindest nicht dem Willen des Grundgesetzgebers widerspricht. Festzuhalten ist somit, daß A r t . 46 Abs. 1 GG als „Parlamentsprivileg" 9 4 analog auch für Regierungsmitglieder gilt 9 5 . Da diese Grundgesetzbestim92 B T StenB I/S. 7451 A . Bei diesem Bericht ist zu berücksichtigen, daß der Abg. Dr. Mende kurz zuvor eine Dissertation über das Immunitätsrecht geschrieben hatte u n d sich deshalb der Problematik bewußt war. Der m i t zahlreichen wissenschaftlichen Anmerkungen versehene Bericht scheint insgesamt eher eine Zusammenfassung der wissenschaftlichen Meinungen zu enthalten als die Wiedergabe einer Diskussion i m Geschäftsordnungsausschuß. 93 Demgegenüber w i l l Helle, Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, N J W 1961, S. 1896 ff. (1900) parlamentarische Äußerungen von Regierungsmitgliedern als „Äußerungen i m engen Kreise" grundsätzlich als rechtmäßig ansehen — eine bei der starken A u ß e n w i r k u n g dieser Äußerungen u n haltbare Ansicht. Richtig ist dagegen der Ansatzpunkt v o n Helle, daß Äußerungen v o n M i n i stern i m Parlament nicht anders behandelt werden können, als Äußerungen v o n Abgeordneten, u n d daß m a n deshalb die Regierungsmitglieder nicht auf den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB verweisen sollte. 94 Koellreutter a.a O. S 192 95 Ebenso: A . A r n d t , DVB1. 1965, S. 954 f.; i m Ergebnis w o h l auch Helle, N J W 1961, S. 1900. a . A . OVG Münster, DVB1. 1967, S. 51 (Leits. 4); Bettermann,
I V . Einzelne Rechtsfragen
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mung heute als verfassungsrechtliche Gewährung einer parlamentarischen Redefreiheit anzusehen ist, sind i n ihren Schutz selbst alle diejenigen einzubeziehen, die — ohne Regierungsmitglieder oder Abgeord-^ nete zu sein — an den parlamentarischen Diskussionen teilnehmen, seien sie Mitglieder des Bundesrates, beamtete Staatssekretäre i n der Fragestunde oder Sachverständige i m Ausschuß. M i t A. A r n d t ist davon auszugehen, daß allen am parlamentarischen Meinungsbildungsprozeß Beteiligten das Recht der freien Rede i n ähnlicher Weise zustehen muß, wie etwa den Beteiligten (Rechtsanwalt, Staatsanwalt) i m Gerichtsverfahren 9 6 . Auch für schriftliche Äußerungen gilt seit jeher der Immunitätsschutz 97 ; das hat Bedeutung vor allem für die Kleinen Anfragen, die ja — entgegen dem bis 1970 geltenden Text der Geschäftsordnung — i n der Praxis grundsätzlich nicht mündlich, sondern schriftlich beantwortet werden 9 8 . cc) Ergebnis I m Ergebnis ist deshalb festzustellen, daß für Klagen einzelner Privatpersonen auf Widerruf von parlamentarischen Äußerungen, die einzelne Regierungsvertreter bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen abgeben, zwar der Verwaltungsrechtsweg grundsätzlich gegeben ist, die Klagen aber auf Grund der auch den Regierungsvertretern zuzubilligenden und durch A r t . 46 Abs. 1 GG gewährleisteten parlamentarischen Redefreiheit unzulässig sind.
DVB1. 1965, S. 886 f. - Auch Bockelmann (a.a.O., S. 16, A n m . 22) u n d Leibholz (a.a.O., S. 171) halten eine Erstreckung des Immunitätsrechtes auf Regierungsmitglieder f ü r „indiskutabel" (Bockelmann), unterscheiden allerdings nicht k l a r genug zwischen den Privilegien des A r t . 46 Abs. 2 - 4 u n d dem des A r t . 46 Abs. 1 GG. 96 A r n d t , DVB1.1965, S. 955. 97 Vgl. ζ. B. Schönke-Schröder, StGB § 11 I I I . 98 Auch i n den oben dargestellten F a l l Conrad handelte es sich u m die Widerrufsklage gegen eine schriftliche A n t w o r t auf eine Kleine Anfrage — das haben die m i t dem F a l l befaßten Gerichte u n d auch A . A r n d t offenbar nicht gesehen u n d bei ihren Argumentationen nicht berücksichtigt.
Drittes Kapitel
D i e K o n t r o l l f u n k t i o n der A n f r a g e n I. Die parlamentarische Exekutivkontrolle 1 Eine Untersuchung über die Frage, inwieweit die Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen i m Deutschen Bundestag i n der Praxis als w i r k sames Kontrollinstrument des Parlaments gegenüber der Regierung angesehen werden können, setzt an sich zunächst eine Definition des Begriffes Kontrolle und eine Abgrenzung der Kontrollfunktion gegenüber anderen Funktionen der parlamentarischen Anfragen voraus. Dennoch soll hier nicht m i t einer exakten begrifflichen Abgrenzung begonnen werden, da sie die nachfolgende Untersuchung u. U. unnötig einengen und i m Ergebnis dazu führen könnte, daß spezifische Kontrollmomente der Anfragen außer acht blieben. Immerhin soll i m folgenden zunächst gleichsam ein Rahmen abgesteckt werden, um vor der Einzeluntersuchung die Vielschichtigkeit des Kontrollbegriffs und die Mannigfaltigkeit der Kontrollmöglichkeiten aufzuzeigen. 1. Kontrolle — Aufsicht
Das Recht und die Pflicht des Bundestages, die Regierung und Administration zu kontrollieren, wurde vom Grundgesetz ursprünglich an keiner Stelle erwähnt 2 , gleichwohl aber immer — neben der Gesetzgebung — zu den Hauptaufgaben eines jeden Parlaments gerechnet 3 . Die Schweize1 Der Erscheinung der Kontrolle hat vor allem Löwenstein (Verfassungslehre, 2. Aufl., 1969) breiten Raum gewidmet. Vgl. dazu u. a. auch: Leibholz, Die K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments, 1965 u n d Scheuner, Verantwortung u n d Kontrolle i n der demokratischen Verfassungsordnung, i n : Festschrift f ü r G. Müller, 1970, S. 379 ff. Aus der Schweizer Lehre sind als besonders wichtig zu erwähnen: Eichenberger, Die politische Verantwortlichkeit der Regierung i m schweizerischen Staatsrecht, i n : Festschrift f ü r H. Huber, S. 108 ff.; ders., Die Problematik der politischen K o n t r o l l e i m Verwaltungsstaat, i n : Schweizerische Juristenzeitung, 62. Jg. (1965), S. 269 ff. u n d Bäumlin, Die Kontrolle des Parlaments über Regierung u n d Verwaltung, i n : Zeitschrift f ü r schweizerisches Recht, N F Bd. 85, S. 165 ff. 2 Heute spricht der 1956 eingeführte A r t . 45 b GG über den Wehrbeauftragten von der Aufgabe des Parlamentes zur „Ausübung der parlamentarischen K o n trolle". 3 Als 3. Hauptaufgabe des Parlamentes bezeichnet Ehmke (Militärischer Oberbefehl u n d Parlamentarische Kontrolle, i n : ZfP, N F Bd. I, S. 337) „die
I. Die parlamentarische Exekutivkontrolle
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rische Bundesverfassung bezeichnet diese parlamentarische Überwachungstätigkeit als „Oberaufsicht" 4 , während sich i n der wissenschaftlichen Literatur gewöhnlich die Bezeichnung „Kontrolle" dafür findet. Gelegentlich w i r d allerdings zwischen beiden Begriffen unterschieden, wobei unter Kontrolle eine rezeptive, negative und repressive Tätigkeit verstanden wird, die Aufsicht dagegen als aktiv, positiv und produktiv bezeichnet wird 5 » Es ist einzuräumen, daß diese funktionelle Unterscheidung von der sprachgeschichtlichen Bedeutung des Wortes Kontrolle her gerechtfertigt erscheint. Das Wort ist aus dem spätmittelalterlichen Latein über das Französische („contre-rôle") i n die deutsche Sprache eingegangen. Ursprünglich bedeutet es soviel wie Gegen- oder Doppelregister, meint also die Gegenzeichnung einer Rechnungsführung durch eine 2. Person 7 . Von daher erklärt sich die Bedeutung von Kontrolle als nachträgliche Überprüfung. Daneben versteht man unter Kontrolle weiterhin auch die „beobachtende Verfolgung von Betätigungen der Exekutive m i t dem Z i e l . . . , den Kontrollierenden ins B i l d zu setzen über das, was sich tatsächlich zuträgt" 8 . Man kann insoweit von begleitender oder informativer Kontrolle sprechen. Durch sie soll beim Kontrollierten das Bewußtsein wachgehalten werden, daß er beobachtet wird, wodurch i n erheblichem Maße korrektes Verhalten bewirkt werden kann. I n unserem umfassendere Unternehmen heute auch i m
Jahrhundert hat das Wort Kontrolle jedoch noch eine Bedeutung gewonnen. Wie sich in den Ausdrücken „ein oder einen M a r k t kontrollieren" zeigt, w i r d kontrollieren Sinne von beeinflussen oder sogar beherrschen gebraucht 9 .
Kontrolle bedeutet heute also nicht mehr nur eine nachträgliche Überprüfung bereits geschehener Vorgänge m i t der Folge der Korrektur oder E n t w i c k l u n g der großen L i n i e n der P o l i t i k u n d die Auseinandersetzung u m diese v o r der Öffentlichkeit". 4 A r t . 85 Ziff. 11. 5 So G. Giese, Beaufsichtigung i m Arbeitsvorgang, i n : Verwaltung, hrsg. von Morstein M a r x (Berlin 1965), S. 316. 6 M a n könnte auch sagen, daß unter Aufsicht normalerweise die Überwachung durch einen übergeordneten Partner verstanden w i r d , während K o n trolle mehr die wechselseitige Überprüfung durch ebenbürtige Partner meint. 7 Kreft, Die parlamentarische K o n t r o l l e der Verwaltung, Diss. Münster 1953, S. 1. 8 So Eichenberger, i n : Schweizerische Juristenzeitung, 62. Jg. (1965), S. 270. 9 Diese Erweiterung des Kontrollbegriffs scheint aus dem angelsächsischen Sprachgebrauch zu kommen. „Control" bedeutet dort nämlich Einflußnahme i m weitesten Sinne; vgl. auch Berliner Modellstudie S. 1, K r e f t , Diss., S. 1. Z u r Bedeutung von kontrollieren als „leiten, lenken, steuern" vgl. auch Vogel, K o n trolliert der Bundestag die Bundesregierung?, S. 28,29.
112
3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Sanktion und nicht nur eine begleitende Überwachung, sondern auch eine vorhergehende Beeinflussung des Kontrollierten, eine vorgängige M i t w i r k u n g 1 0 . Es gibt also nachträgliche, gleichzeitige und vorgängige Kontrollen, korrigierende, informierende und dirigierende 11 . Diese verschiedenen Arten der Kontrolle können i n verschiedenen Kontrollvorgängen vorkommen, sie können sich aber auch überschneiden und i n einem einzigen Kontrollakt gegenüber der Exekutive enthalten sein. Kontrolle ist dabei entweder direkter Einfluß oder — durch Beschränkung des Machteinflusses anderer Aktoren — indirekte Einflußnahme 1 2 .
2. Rechtskontrolle und politische Kontrolle
Durch eine wirksame Kontrolle w i r d die Regierung gezwungen, ihr Handeln i n bezug auf Ausführung und Intention vor einem Gegenüber zu verantworten 1 3 . Diese Verantwortung und der auf sie zielende Kontrollakt können rechtlicher oder politischer A r t sein. Die Unterscheidung zwischen rechtlicher und politischer Verantwortung kam i n der konstitutionellen Monarchie auf. Als rechtliche Verantwortung wurde diejenige bezeichnet, die durch eine Minister anklage vor einem besonderen Gerichtshof geltend gemacht werden konnte; unter politischer Verantwortung verstand man diejenige, deren Geltendmachung dem Parlament oblag. Unterscheidungskriterium war also — und ist bis heute — die Justitiabilität 1 4 . Aus diesem Unterscheidungskriterium der Justitiabilität darf allerdings nicht gefolgert werden, daß die politische Kontrolle — i m Gegensatz zur rechtlichen — sanktionslos sei. Denn wenn auch die politische Verantwortlichkeit — und damit die auf sie zielende Kontrolle — von der haftungs- und strafrechtlichen zu unterscheiden ist, so ist sie doch nicht sanktionslos. Sie hat vielmehr, worauf Bäumlin hingewiesen hat 1 5 , Sanktionen eigener A r t , die — wie etwa der Rücktritt einer Regierung oder eines Ministers nach einem beim Kontrollakt sichtbar gewordenen Fehler — ihrer spezifisch staatsrechtlichen Funktion entsprechen. 10
So auch Scheuner, i n : Festschrift f ü r Gebhard Müller, S. 396. Eichenberger, a.a.O., S. 270. 12 Berliner Modellstudie, S. 2. 13 Das Grundgesetz verwendet den Begriff der Verantwortung i n den A r t . 28 Abs. 2, 34, 46 u n d 65 i n jeweils sehr unterschiedlicher Bedeutung. Die politische Verantwortung ist allein i n A r t . 65 angesprochen. 14 Gehring, Parlament - Regierung - Opposition, 1969, S. 26. 15 I n : Zeitschrift f ü r schweizerisches Recht, N F Bd. 85, S. 165 ff. (244). 11
I. Die parlamentarische Exekutivkontrolle
113
Indes unterscheiden nicht allein die Sanktionen, sondern auch die unterschiedlichen Maßstäbe, an denen sie sich orientiert 1 6 oder die verschiedenen Funktionen 1 7 , die sie wahrnimmt, die politische von der rechtlichen Kontrolle. Sie zielt ihrem Wesen nach auf Mitgestaltung und Fortentwicklung der Polis, des Gemeinwesens. I h r geht es, auch wenn sie Einzelfälle des Verwaltungshandelns aufgreift, u m die „Typizität für das Ganze des politischen Geschehens" 18 . Sie hat sich am Allgemeinwohl 1 9 zu orientieren und nicht, wie die richterliche Kontrolle, vorwiegend am Schutz des Einzelnen u m seiner selbst willen 2 0 . Von daher gesehen kommt der politischen Kontrolle der Regierung durch das Parlament eine hervorragende Bedeutung zu 2 1 . Zwar ist das eigentliche Gegenüber, vor dem sich i n einer Demokratie die Regierung politisch verantworten muß, letztlich das Staatsvolk. Indessen kann das Volk selbst heute — m i t Ausnahme der Wahlhandlung — eine aktive und wirksame Kontrolle nicht mehr ausüben 22 ; es bedient sich dazu der von i h m gewählten Organe, insbesondere des Parlaments und seiner Ausschüsse. 3. Die Kontrolle der Regierung in ihren verschiedenen Funktionen
Das Parlament kann die Regierung in ihren verschiedenen Funktionen kontrollieren. Die Regierung ist ja nicht nur die Spitze einer großen Exekutive, sondern zugleich auch das politische Führungsorgan; das Parlament kann sie somit i n dieser ihrer Rolle als politisches Führungsorgan 16 Hierauf stellt Gehring, a.a.O., S. 27, ab; ähnlich auch Scheuner, i n : Festschrift für Gebhard Müller, S. 392. 17 So Bäumlin, a.a.O., S. 244. 18 Bäumlin, a.a.O., S. 244. 10 V o n daher r ü h r t auch das Unbehagen gegenüber politischen K o n t r o l l e i n flüssen von Verbänden, Interessengruppen u n d Organen der öffentlichen M e i nung. Dem Parlament k o m m t hier eine wichtige Ausgleichs- u n d Integrationsf u n k t i o n zu. 20 Aus diesem Grunde ist es gut, daß die w e i t ausgebaute Verwaltungsgerichtsbarkeit i n der Bundesrepublik zahlreiche der Aufgaben w a h r n i m m t , die i n den skandinavischen Ländern der parlamentarische Ombudsmann zu erfüllen hat. 21 Z u r besonderen Bedeutung der parlamentarischen Kontrolle gegenüber der richterlichen vgl. Bäumlin, a.a.O., S. 240 ff. E r weist darauf hin, daß Tendenzen, die das H e i l allein beim ,Richterstaat' suchen, i m Grunde auf einem „negativen Pathos gegen P o l i t i k u n d Staat" beruhen. 22 So Bäumlin, a.a.O., S. 240, der wörtlich ausführt: „Eine These, die das heute noch verfechten wollte, wäre so unrealistisch, daß es sich nicht lohnt, sich m i t i h r auseinanderzusetzen." Allerdings hat diese These heute neue K r a f t i n antiautoritären u n d volksdemokratischen Denkformen gefunden. Daß diese i n utopischen Vorstellungen führen u n d die Gefahr des Umschlags i n autoritäre Formen i n sich bergen, hat neuerdings wieder Scheuner (in: Festschrift f ü r G. Müller, S. 385) hervorgehoben. Vgl. zu dieser Problematik grundlegend auch: E. Fraenkel, Die repräsentative u n d die plebiszitäre Komponente i m demokratischen Verfassungsstaat, 1958, S. 7 ff.
8 Witte
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
wie auch i n ihrer Rolle als Aufsichts- und Leitungsorgan der Exekutive kontrollieren 2 3 . Demgemäß unterscheidet Eschenburg 24 zwischen politischer Richtungskontrolle einerseits und Sach- bzw. Leistungskontrolle andererseits. Die Sachkontrolle ist nach dieser Terminologie ausschließlich orientiert an einem Objekt, ζ. B. der Sicherung von Bahnübergängen, die Leistungskontrolle richtet sich entsprechend auf die tatsächliche Leistung; sie soll darauf achten, daß die Beamten vernünftig, sorgfältig, zuverlässig und objektorientiert arbeiten. Der Sach- bzw. Leistungskontrolle gegenüber steht die Richtungskontrolle, der es u m die Überprüfung und Steuerung der politischen Richtung der Regierung geht. W i r d die Regierung als politisches Führungsorgan angesprochen, so ist i n der Regel eine solche politische Richtungskontrolle intendiert; richtet sich eine parlamentarische Kontrollmaßnahme gegen sie als Aufsichts- und Leitungsorgan der Exekutive, so kann man von einer beabsichtigten Sach- oder Leistungskontrolle ausgehen. Allerdings ist diese Sach- und Leistungskontrolle — nach dem oben Dargelegten — immer insofern auch politisch, als sie sich gegen eine parlamentarisch verantwortliche Regierung richtet und auch bei der Prüfung des Einzelfalls am Allgemeinwohl zu orientieren hat. Sie kann vom Parlament i m Einzelfall auch aus parteipolitischen Gründen betrieben werden und i m Laufe des Kontrollaktes gegebenenfalls i n eine politische Richtungskontrolle umschlagen. Zu berücksichtigen ist weiterhin noch, daß der Regierung i m Laufe der Zeit auf Grund ihrer Rolle als Spitze der Exekutive die Funktion eines Hilfsorgans der Legislative zugewachsen ist; da das Parlament seine gesetzgeberischen Aufgaben häufig nicht mehr ohne den Verwaltungsapparat der Regierung verrichten kann, muß es die Regierung für seine Aufgaben i n Anspruch nehmen. Parlamentarische Kontrollen, die diese Dienstleistungsverpflichtung der Regierung gegenüber der Legislative zum Inhalt haben, können sowohl Leistungs- als auch politische Richtungskontrollen sein. I n der Regel aber läßt sich feststellen, daß die Regierung als politisches Führungsorgan der Richtungskontrolle, als Leitungs- und Aufsichtsorgan der Exekutive aber der Sach- bzw. Leistungskontrolle unterliegt. 4. Die Kontrollmittel des Bundestages
Die umfangreichen Kontrollaufgaben des Parlamentes erfordern verschiedenartige Kontrollmittel. 23 Als Aufsichtsorgan der Exekutive ist die Regierung verantwortlich für das sachlich u n d disziplinarrechtlich korrekte Verhalten der Beamten; unter ihre Leitungsfunktion fällt ihre Verordnungs- u n d Anordnungstätigkeit, ihre V e r antwortung f ü r die recht- u n d zweckmäßige A n l e i t u n g des Verwaltungsvollzuges. (Vgl. dazu auch die Berliner Modellstudie, Die Interpellation als parlamentarisches Kontrollinstrument, S. 34 ff.) 24 Staat u n d Gesellschaft i n Deutschland (1963), S. 608 ff.
I. Die parlamentarische Exekutivkontrolle
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Faßt man den Kontrollbegriff — wie oben — so weit, daß man darunter sämtliche korrigierenden, informierenden und dirigierenden Maßnahmen versteht, so muß man folgerichtig fast jede Tätigkeit des Parlamentes als Kontrolltätigkeit ansehen 25 . I m Gesetzgebungsverfahren 26 kann das Parlament ebensogut Kontrolleinflüsse ausüben wie bei Etat- 2 7 und Ausschußberatungen, bei öffentlichen Hearings, bei der Besprechung von Regierungserklärungen und Anträgen aus der Mitte des Parlamentes. Dennoch hat sich der Bundestag eine Reihe besonderer Kontrollmittel geschaffen. Bei ihnen ist die Kontrolle der Exekutive nicht nur gelegentlicher Nebenzweck, sondern Hauptfunktion. Fast alle diese Kontrollinstrumente wurden übernommen aus den Verfassungen, Geschäftsordnungen und -praktiken früherer Parlamente. Von daher ist es verständlich, daß sie nicht so sehr eine dirigierende Einflußnahme ermöglichen wollen, sondern daß sie — auch der ursprünglichen Wortbedeutung von Kontrolle entsprechend — angelegt sind auf die begleitende und vor allem nachträgliche Überprüfung der Tätigkeit der Exekutive. Diese Kontrollmittel sind heute allerdings zu verstehen auf dem Hintergrund einer Verfassung, deren Anliegen die Schaffung und Erhaltung einer möglichst starken Regierung war und ist, die weder den Sturz des Kanzlers durch ein m i t Mehrheit angenommenes einfaches Mißtrauensvotum zuläßt, noch eine Ministerverantwortlichkeit m i t der Folge der Ministeranklage kennt. Als das noch immer schärfste parlamentarische Kontrollinstrument, das auch i m Grundgesetz selbst geregelt ist, muß das Recht des Bundestages auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen angesehen werden (Art. 44 GG). Schon ein Viertel der Bundestagsmitglieder können das Parlament zur Durchführung eines solchen Untersuchungsverfahrens verpflichten m i t dem Ziel, Tatbestände von öffentlichem Interesse aufzuklären, insbesondere die Gesetzlichkeit und Lauterkeit einzelner Regierungs- und Verwaltungsmaßnahmen nachzuprüfen 28 . Gegenüber all den anderen parlamentarischen Informations- und Kontrollmitteln hat dabei die parlamentarische Enquête „den Vorteil . . . , daß sich das Parlament 25 Ä h n l i c h Vogel, K o n t r o l l i e r t der Bundestag die Bundesregierung?, S. 29: „Die Möglichkeit zu kontrollieren ist überall gegeben, wo das Parlament der Regierung Richtlinien des Handelns vorschreiben k a n n u n d wo das Parlament Auskunft verlangen kann. Fast alle oben skizzierten Aufgaben des Parlaments bieten hierzu grundsätzliche Möglichkeiten." 26 Das Gesetzgebungsverfahren untersucht unter dem Aspekt der Parlamentskontrolle neuerdings Aschauer, Die parlamentarische Kontrolle der Regierung, Diss. Bonn 1967, S. 1 ff. 27 Z u r Budgetkontrolle vgl. Kreft, Diss., S. 25 - 57. 28 Z u m Untersuchungsgegenstand vgl.: Partsch, Empfiehlt es sich, Funktion, S t r u k t u r u n d Verfahren der pari. Untersuchungsausschüsse grundlegend zu ändern?, 45. DJT, Bd. I, S. 15 A n m . 22.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
nicht auf Regierungsauskünfte zu verlassen braucht, sondern sich selbst aus primären Erkenntnisquellen die gewünschten Auskünfte zu beschaffen vermag" 2 9 . Die Beweiserhebung i n grundsätzlich öffentlicher Verhandlung bei entsprechender Anwendbarkeit der strafprozessualen Beweiserhebungsvorschriften und die Verpflichtung der Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Rechts- und Amtshilfe dienen dem Ziel einer weitgehenden Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes durch das Parlament und einer hinreichenden Unterrichtung der Öffentlichkeit. Ebenfalls i m Grundgesetz geregelt ist das Recht des Bundestages, durch Mehrheitsbeschluß die Anwesenheit der Mitglieder der Bundesregierung bei Plenums- und Ausschußsitzungen zu verlangen (Art. 43 GG). Dieses sog. Zitierungsrecht des Parlamentes, dem nach herrschender Meinung eine Antwortverpflichtung der Regierung entspricht, soll dem Parlament weitere Möglichkeiten informierender Kontrolle erschließen. I m Unterschied zum Verfahren i m Untersuchungsausschuß sind die Parlamentarier hier allerdings wesentlich von Inhalt und Umfang der Regierungsinformationen abhängig. Nur i n der Geschäftsordnung des Bundestages geregelt ist das parlamentarische Fragerecht, das allerdings auf eine eigene lange Parlamentstradition zurückblicken kann. Große, Kleine und Mündliche A n fragen, die i m folgenden auf ihre Kontrollbedeutung untersucht werden sollen, gehören wegen ihrer leichten Handhabung zu den am häufigsten angewandten Kontrollmitteln i m Bundestag 30 . Als weiteres Kontrollinstrument ist das Petitionsüberweisungsrecht des Parlamentes zu erwähnen. Indem das Parlament die Petitionen einzelner Bürger entgegennimmt, untersucht und „zur Kenntnisnahme", „als Material", zur „Erwägung" oder sogar „zur Berücksichtigung" an die Exekutive überweist (vgl. § 113 Abs. 2 a GO BT), vermag es deren Tätigkeit zu überprüfen. Das gilt bei den Überweisungen „zur Berücksichtigung" auch dann, wenn man mit der herrschenden Meinung 3 1 eine Bindungswirkung gegenüber der Exekutive verneint. A l l e i n die Möglichkeit, die Exekutive zur erneuten Überprüfung ihres Handelns zu veranlassen, rechtfertigt es, das Petitionsüberweisungsrecht unter die Kontrollmittel des Parlamentes zu rechnen. 29
Partsch, a.a.O., S. 192. Nicht zu den besonderen K o n t r o l l m i t t e l n des Bundestages gerechnet w e r den i n der einschlägigen L i t e r a t u r normalerweise die selbständigen Anträge nach § 97 GO, obwohl sie, w i e oben — S. 62 — gezeigt, große Ähnlichkeit zu den Großen Anfragen aufweisen. Allerdings sind sie von ihrer ursprünglichen Bedeutung her mehr auf eine dirigierende Einflußnahme gerichtet. V o n daher fallen sie nicht unter den bisher gebräuchlichen Kontrollbegriff der informierenden u n d sanktionierenden Kontrolle. 31 Vgl. statt aller: Maunz-Dürig, A r t . 17, Rdnr. 74. 30
I I . Kontrolle durch Große Anfragen
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Für ein beschränktes Gebiet — das Sachgebiet der Verteidigung und hier auch nur für den Grundrechtsschutz — hat der Verfassungsgesetzgeber ein völlig neues Kontrollinstrument geschaffen, den Wehrbeauftragten (Art. 45 b GG). Dem schwedischen Vorbild folgend, soll der Wehrbeauftragte die Kontrolle des Parlaments auf dem besonders der A u f merksamkeit bedürftigen Bereich der Wehrverwaltung verschärfen. Zwar hat er kein formelles Untersuchungsrecht wie die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, doch kann er die Amtshilfe ziviler Behörden (§ 4) und verschärft die Amtshilfe des Bundesministers für Verteidigung und der i h m unterstellten Dienststellen und Personen i n A n spruch nehmen (§ 3 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. 6. 1957). Dadurch vermag er auf dem i h m zugewiesenen Bereich der Grundrechtskontrolle das Parlament von eigenen Untersuchungen zu entlasten. Andererseits begibt sich das Parlament durch die Übertragung von Kontrollaufgaben auf die einzelne Person des Wehrbeauftragten und den hinter i h m stehenden Verwaltungsapparat i m Grunde seiner diesbezüglichen eigenen Kontrollaufgaben zugunsten einer Behörde. M i t dem Untersuchungs-, Zitierungs-, Frage- und Petitionsüberweisungsrecht und m i t der Institution des Wehrbeauftragten sind die eigentlichen Kontrollmittel des Bundestages genannt. Daß sich die Kontrolltätigkeit des Bundestages nicht auf die Anwendung dieser M i t t e l beschränken muß, wurde bereits gesagt. I I . Kontrolle durch Große Anfragen 1. Gegenstand, Anlaß und zahlenmäßige Entwicklung
W i l l man klären, welcher A r t die m i t Hilfe der Großen Anfragen durchgeführten Kontrollen sind, so ist nach ihrem Gegenstand zu fragen. Der Gegenstand der Anfragen bestimmt die „Rolle", i n der die Bundesregierung angesprochen und kontrolliert wird. Da die Großen Anfragen — bis zum Jahre 1952 noch als Interpellationen bezeichnet — immer als besonders „feierliches" und eben „großes" Informations- und Kontrollinstrument angesehen worden sind, liegt der Schluß nahe, daß durch sie vor allem politische Richtungskontrolle ausgeübt wird. Diese Annahme erweist sich bei näherer Untersuchung als i m wesentlichen richtig. Die Tatsache, daß Große Anfragen bis zum 1. 10. 1969 von mindestens 30 Abgeordneten eingebracht werden mußten 1 und normaler1 A b 1.10.1969 müssen sie v o n einer Anzahl von Abgeordneten, die der Fraktionsmindeststärke entspricht, eingebracht werden. Das sind ζ. Z. 26 Abgeordnete (5 °/o der Mitglieder des Bundestages).
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
weise zur großen öffentlichen Debatte i m Plenum führen, hat i m Laufe der Zeit dazu geführt, daß i m Regelfall ihr Gegenstand ihrer feierlichen Form entspricht; der Frageinhalt bezieht sich weniger auf den lokal oder persönlich begrenzten Einzelfall, als auf die großen Linien der Politik. Dennoch gibt es in der Praxis des deutschen Bundestages einige bemerkenswerte Besonderheiten. So w i r d die Vermutung, daß vor allem i n der 1. Legislaturperiode des Bundestages (1949 - 1953), i n der es noch i n besonderem Maße galt, politische Weichen zu stellen, besonders viele, die politische Grundrichtung betreffende Große Anfragen gestellt worden seien, nicht bestätigt. Zwar gab es unter den i n dieser Periode besonders zahlreichen Großen Anfragen auch etliche m i t hochpolitischem Inhalt, zwar sprachen wohl die meisten Anfragen damals auch die Regierung i n ihrer Rolle als politisches Führungsorgan und nicht als Spitze der Exekutive an, doch betraf der Gegenstand dieser Anfragen i n der Regel weniger generelle politische Grundentscheidungen, als bestimmte i n der Nachkriegszeit besonders brennende Einzelfragen. Die ersten 10 von insgesamt 160 i m 1. Bundestag eingebrachten Großen Anfragen sind besonders bezeichnend dafür: 1. Euler u. Gen. betr. Abschluß der Entnazifizierung, 8. 11. 1949, Drucks. I/172 2 2. SPD betr. Reichseigene Industriebetriebe, 15. 11. 1949, Drucks. I/200 3 3. SPD betr. Hilfe für i n Frankreich verurteilte deutsche Kriegsgefangene, 9.12.1949, Drucks. 1/303 4. SPD betr. KB-Leistungsgesetz, Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen, 9.12.1949, Drucks. 1/344 5. SPD betr. Investitionen i m Gebiet der Bundesrepublik, 18. 1. 1950, Drucks. 1/403 6. SPD betr. Neufestsetzung der Kohlenpreise, 18. 1. 1950, Drucks. 1/404 7. Höfler und Fraktion der CDU/CSU betr. Deutsche Gefangene i n Jugoslawien, 18.1.1950, Drucks. 1/411 8. Dr. Buccerius und Fraktion der CDU/CSU betr. Ausweisung aus dem Bundesgebiet, 20.1.1950, Drucks. 1/426 9. CDU/CSU betr. Zurückhaltung von 400 000 Deutschen i n der Sowjetunion, 20.1.1950, Drucks. 1/432 10. SPD betr. Grundsätze bei der künftigen Vergebung von Aufträgen für die Einrichtung der vorläufigen Bundeshauptstadt, 7. 2. 1950, Drucks. 1/524. 2 Abgesetzt von der Tagesordnung auf A n t r a g der Interpellanten, 18. Sitz., StenB I/S. 449 D. 3 Vorläufig zurückgestellt auf Wunsch der Interpellanten i m Ältestenrat.
I I . Kontrolle durch Große Anfragen
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Vielleicht m i t Ausnahme der unter lfd. Nummern 4 und 5 angeführten Großen Anfragen der SPD, betraf keine dieser Großen Anfragen im eigentlichen Sinne Grundsatzprobleme (Richtlinienfragen) aus den großen politischen Sachgebieten. I n der 1. Wahlperiode wurden durch Große Anfragen hauptsächlich Einzelfragen und -probleme herausgegriffen. Die später so häufigen Fragen zu generellen Problemen der Energie-, Sozial- oder Landwirtschaftspolitik gab es kaum noch i n dieser Form; stattdessen wurde gefragt nach dem Grund für die Erhöhung des Kohlepreises (Drucks. 1/404), nach den Wartegeldern und Pensionen heimatvertriebener Beamter (Drucks. 1/692), nach der Zuckerversorgung i m Bundesgebiet (Drucks. 1/1351). Diese Themenstellung läßt darauf schließen, daß i n der 1. Wahlperiode die eigentlichen richtungsgebenden Entscheidungen i m Gesetzgebungsverfahren fielen und dort so ausgiebig diskutiert wurden, daß Große A n fragen über die gleichen umfassenden Themenkreise als nicht unbedingt erforderlich erschienen. Die Anfragen griffen stattdessen Einzelprobleme heraus, die i m Gesetzgebungsverfahren nicht, noch nicht oder nicht ausreichend behandelt worden waren oder dort nicht behandelt werden konnten, die aber oft schnell und ad hoc gelöst werden mußten. Zahlreiche Anfragen waren zudem — wie die oben angeführten Beispiele zeigen — bedingt durch typische Nachkriegszeitprobleme. Oft w u r den dabei Fragen gestellt, die kaum lösbar waren, bei denen die Fragesteller aber immer wieder die Aufmerksamkeit und Anteilnahme von Regierung, Parlament und Öffentlichkeit hervorrufen wollten. Bezeichnend sind i n diesem Zusammenhang vor allem die wiederholten Großen Anfragen nach den deutschen Kriegsgefangenen i m Ausland 4 . 4 A l s Beispiel sei die — nach der vorläufigen Geschäftsordnung noch als „Interpellation" bezeichnete - Große Anfrage der CDU/CSU v o m 20.1.1950 (Drucks. 1/432) zitiert: „Nach einer E r k l ä r u n g des Amtes der Amerikanischen Hochkommission, Abteilung Berlin, werden noch insgesamt etwa 400 000 deutsche Kriegsgefangene insgeheim als Arbeitssklaven unter Verletzung internationaler A b machungen i n der Sowjetunion zurückgehalten. Der Bericht gibt der Befürchtung Raum, daß die UdSSR beabsichtigt, diese 400 000 Menschen zu behalten u n d ihre Existenz abzuleugnen. Diese Nachricht beunruhigt auf tiefste — zumal i m Zusammenhang m i t dem seit einiger Zeit festgestellten Aufhören der Heimkehrertransporte aus, der Sowjetunion — das deutsche Volk, das seit Jahren vergeblich auf die Heimkehr v o n hunderttausend seiner unglücklich i n Rußland gefangen gehaltenen Söhne u n d Töchter wartet. Z u r E r w i r k u n g der endlichen Heimkehr unserer Gefangenen i n der Sowjetunion, zur Unterrichtung aller politischen u n d moralischen Autoritäten i n der Welt über i h r beklagenswertes Schicksal darf kein möglicher Schritt unterlassen werden. Ist die Bundesregierung i n der Lage, über die von i h r bei der Hohen A l l i i e r t e n Kommission i m Sinne des Protestes gegen dieses ungeheuerliche Unrecht u n d i m Sinne der Unterrichtung der Welt unternommenen Schritte Auskunft zu geben? Bonn, den 20. Januar 1950."
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Nicht nur an die Regierung, sondern gleichzeitig an die Weltöffentlichkeit gerichtet, waren diese Großen Anfragen nicht nur Frage, sondern zugleich Aufruf. I h r Sinn bestand nicht so sehr darin, die Regierung um Antworten zu ersuchen oder sie zu kritisieren, als sie zu ermahnen, noch mehr zu tun. Unter den insgesamt 160 i m ersten Bundestag eingebrachten Großen Anfragen waren Fragen über Spezialprobleme oder über örtlich oder persönlich begrenzte Einzelprobleme zwar häufiger als i n den späteren Wahlperioden, dennoch aber insgesamt selten. Selbst die wenigen, scheinbar äußerst speziell, provinziell oder unwichtig erscheinenden Fragen, wie die über die Arbeitslosigkeit i m Grenzgebiet Kleve (Drucks. 1/712), über die Beschlagnahme von Kraftfahrzeugen i n der sowjetisch besetzten Zone (Drucks. 1/2791) oder über die Rapsbeimischung und Verrechnung (Drucks. 1/4352) erweisen sich bei näherem Hinsehen als von einiger Bedeutung. Die Arbeitslosigkeit i m Kreise Kleve hatte damals wegen der Grenzlage des Gebietes überregionale Bedeutung, die willkürliche Beschlagnahme von P k w und L k w i n der SBZ brachte westdeutschen Unternehmern nach den Angaben der Fragesteller Millionenschäden, und hinter der Frage über die Rapsbeimischung steckten einige, zu der damaligen Zeit nicht ganz unwichtige Probleme der landwirtschaftlichen Subventionspolitik. Dennoch betrafen solche Großen Anfragen i m Grunde Gegenstände und Sachverhalte, für die das Instrument der Großen A n frage als zu groß und feierlich erscheint. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn derartige Anfragen häufig zurückgenommen (so die über die Rapsbeimischung), von der Tagesordnung abgesetzt (so die über die A r beitslosigkeit i n Kleve) oder i n eine Kleine Anfrage umgewandelt wurden (so die über die Beschlagnahme von Kfz. i n der SBZ). Zusammenfassend ist festzuhalten, daß i n der 1. Wahlperiode des Deutschen Bundestages durch Große Anfragen eine Fülle zum Teil ausgesprochen wichtiger Einzelprobleme i n sachlicher Form angesprochen wurde. Fragen, durch die eine generelle politische Richtungskontrolle ausgeübt wurde, gab es dagegen kaum. Die Entwicklung in den nächsten Wahlperioden ist dadurch gekennzeichnet, daß der Gegenstand der Großen Anfragen sich immer mehr den großen politischen Sachgebieten — und dort den Grundsatzfragen — zuwandte. Dieser zunehmenden Konzentration auf wenige politische Grundprobleme entsprach ein starker zahlenmäßiger Rückgang der Großen Anfragen, wie er aus folgender Übersicht deutlich w i r d :
I I . Kontrolle durch Große Anfragen
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Große Anfragen 1. Wp. (1949 2. Wp. (1953 3. Wp. (1957 4. Wp. (1961 5. Wp. (1965 -
1953) 1957) 1961) 1965) 1969)
= 160 = 97 = 49 = 355 (34) = 45 (45)6
Gegenüber der 1. Wahlperiode reduzierte sich also die Anzahl der eingebrachten Großen Anfragen bis zur 4. Wahlperiode u m mehr als 75 %. Erst i n der 5. Wahlperiode ist wieder ein leichter zahlenmäßiger Anstieg zu verzeichnen. Den Gegenstand der Großen Anfragen bildeten i n der 4. Wahlperiode fast nur noch die Grundsatzfragen der großen politischen Sachgebiete, wie die der Gesundheits-, Sozial-, Energie-, Agrar-, Entwicklungs- und vor allem Wissenschaftspolitik. A l l e i n 8 der insgesamt 35 Großen A n fragen beschäftigen sich m i t generellen Problemen der Wissenschaftsund K u l t u r p o l i t i k (Drucks. IV/154, 158, 233, 735, 1315, 1829, 2611 und 3168)7. Recht deutlich w i r d der Unterschied zur 1. Wahlperiode, wenn man die ersten 10 Anfragen der 4. Wahlperiode denen der 1. Wahlperiode gegenüberstellt: 4. Wahlperiode: 1. SPD betr. Schutz der Gesundheit gegen radioaktive Strahlung, 21.11.1961, Drucks. IV/26 2. SPD betr. Krankenversicherung, Lohnfortzahlung und Kindergeld, 30.1.1962, Drucks. IV/153 3. CDU/CSU betr. Entwicklung von Wissenschaft und Forschung, 30. 1. 1962, Drucks. IV/154 4. SPD betr. Förderung der wissenschaftlichen Forschung, 30. 1. 1962, Drucks. IV/158 5. SPD betr. Auswirkungen des Bundesbaugesetzes und sonstiger Maßnahmen der Bundesregierung auf die Baulandpreise, 21. 2. 1962, Drucks. IV/212 5 Mitgezählt sind jeweils auch die wenigen später zurückgenommenen oder nicht beantworteten Großen Anfragen. Die Zahlen entsprechen den Angaben der Sachregister des Bundestages f ü r die einzelnen Wahlperioden. 6 Die i n K l a m m e r n angegebenen Zahlen werden zitiert nach Kaiser, Teach-in der Spezialisten oder F o r u m dei* Nation, i n : Die Zeit v o m 9.1.1970. F ü r die 4. Wp. ist hier die 2mal eingebrachte Große Anfrage der SPD betr. K r a n k e n versicherung, Lohnfortzahlung u n d Kindergeld offensichtlich n u r l m a l gezählt. 7 Auffallend ist, daß sich n u r eine Große Anfrage ausgesprochen der Außenp o l i t i k zuwandte (SPD betr. das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinigten Staaten von A m e r i k a u n d zur Sowjetunion, Drucks. IV/1608). Diese Anfrage wurde i m übrigen noch später zurückgenommen, vgl. B T 110. Sitz., StenB IV/S. 5033 D.
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3. Kap.: Die K o t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
6. S P D b e t r . K r a n k e n v e r s i c h e r u n g , L o h n f o r t z a h l u n g u n d K i n d e r g e l d , 22. 2.1962, D r u c k s . I V / 2 1 5 8 7. F D P b e t r . k u l t u r p o l i t i s c h e A u f g a b e n des Bundes, 2. 3. 1962, Drucks. IV/233 8. S P D b e t r . M a ß n a h m e n der B u n d e s r e g i e r u n g a u f d e m G e b i e t der E n e r g i e - u n d K o h l e w i r t s c h a f t , 4. 2.19'62, D r u c k s . I V / 2 9 7 9. S P D b e t r . E n t w i c k l u n g s p o l i t i k Drucks. IV/542
der B u n d e s r e g i e r u n g , 26. 6. 1962,
10. S P D b e t r . U m s a t z s t e u e r - S y s t e m r e f o r m , 26. 6.1962, D r u c k s . I V / 5 4 2 I m Gegensatz z u r 1. W a h l p e r i o d e w u r d e n h i e r n i c h t E i n z e l p r o b l e m e , s o n d e r n d u r c h w e g generelle G r u n d s a t z f r a g e n angesprochen. D i e R e g i e r u n g , als politisches F ü h r u n g s o r g a n , sollte i h r e V o r s t e l l u n gen u n d P l ä n e a u f d e n großen p o l i t i s c h e n Sachgebieten offenlegen. Besonders k e n n z e i c h n e n d f ü r die n u n m e h r ü b l i c h e F o r m der G r o ß e n A n f r a g e n ist die a m 30. J a n u a r 1962 u n t e r D r u c k s . I V / 1 5 3 eingebrachte Große A n f r a g e d e r S P D b e t r . K r a n k e n v e r s i c h e r u n g , L o h n f o r t z a h l u n g und Kindergeld: „ U n t e r Bezugnahme auf die Regierungserklärung v o m 29. November 1961 fragen w i r die Bundesregierung: I. Neuregelung der Krankenversicherung u n d Lohnfortzahlung 1. Welche Pläne hat die Bundesregierung für einen Ausbau der Gesundheitsvorsorge, v o n Vorsorgekuren u n d freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen? 2. Beabsichtigt die Bundesregierung, wiederum a) die Einführung v o n Kostenbeteiligungen bei der ärztlichen Behandlung, b) die Erhöhung v o n Kostenbeteiligungen bei Abgabe von Arznei- u n d Heilmitteln, c) die Einführung v o n Kostenbeteiligungen bei Krankenhauspflege vorzuschlagen? 3. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, u m a) die wirtschaftliche Benachteiligung der Arbeiter u n d bestimmter Gruppen v o n Angestellten i m Krankheitsfall zu beseitigen u n d eine volle Lohnfortzahlung einzuführen, b) bei Einführung der vollen Lohnfortzahlung einen Ausgleich f ü r Betriebe m i t weniger als 50 Beschäftigten zu schaffen? Würde zur Erleichterung eines solchen Ausgleichs eine Bereitstellung öffentlicher M i t t e l i n Aussicht genommen werden? 4. W a n n ist etwa m i t der Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Neuregelung der sozialen Krankenversicherung u n d zur Lohnfortzahlung i m Krankheitsfall zu rechnen? 8 Die Anfrage entspricht i m Wortlaut der unter lfd. Nr. 2 angeführten Großen Anfrage der SPD v o m 30.1.1962. Da diese seinerzeit v o n der Bundesregier u n g nicht beantwortet worden war, brachte die SPD sie unter neuer Drucks.Nr. erneut ein.
I I . Kontrolle durch Große Anfragen
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I I . Neuregelung des Kindergeldrechtes 1. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, u m die Einkommensgrenze von 600,— D M monatlich bei der Gewährung von Kindergeld f ü r Zweitkinder zu beseitigen? 2. Welche Pläne hat die Bundesregierung zur Neuregelung der Finanzierung der Kindergeldgewährung u n d insbesondere hinsichtlich einer Entlastung der Betriebe bei der A u f b r i n g u n g der M i t t e l zur Gewährung des K i n d e r geldes für D r i t t - u n d Mehrkinder? 3. Welche Pläne hat die Bundesregierung f ü r den Ausbau der Kindergeldgewährung u n d zur Beseitigung von Anrechnungshärten? 4. W a n n ist etwa m i t der Vorlage des Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Kindergeldrechtes zu rechnen? Bonn, den 30. Januar 1962
Ollenhauer u n d Fraktion."
Hier w i r d ganz eindeutig politische Richtungskontrolle i m eigentlichen Sinne getrieben und versucht, von der Regierung — damals eine Koalitionsregierung aus CDU/CSU und FDP — eine sozialpolitische Gesamtkonzeption zu erfragen. Die Regierung w i r d ganz offensichtlich als politisches Führungsorgan und gleichzeitig als Hilfsorgan der Legislative angesprochen. Nur ganz wenige Große Anfragen der 4. Wahlperiode wandten sich Einzelfragen zu. Selbst Anfragen wie etwa die der CDU/CSU betr. die Situation der alten Menschen (Drucks. IV/1955) oder die der SPD betr. Preissteigerungen i m Berufsverkehr (Drucks. IV/2518) betrafen i m Grunde Angelegenheiten eines größeren Personenkreises bzw. Probleme von überregionaler Bedeutung. — Als ausgesprochene Einzelfallfrage gab es lediglich — aus aktuellem Anlaß — die Große Anfrage der SPD betr. Wiederaussetzung der Gebührenerhöhungen bei der Deutschen Bundespost (Drucks. IV/2519). M i t zunehmender Tendenz der Parteien, durch Große Anfragen nur Grundsatzprobleme aus den großen politischen Ressorts anzusprechen, ist eine gewisse „Institutionalisierung" dieses Kontrollmittels zu beobachten. Die Grundsatzfragen — vor allem der K u l t u r - und Wissenschafts-, Energie- und Sozialpolitik — werden fast regelmäßig i n jährlichem Turnus angesprochen. Ausdrücklich betonte das i n der 4. Wahlperiode einmal der SPD-Abgeordnete Dr. Frede, der i n einer großen Wissenschaftsdebatte des Bundestages ausführte: „Die sozialdemokratische F r a k t i o n hat seit 1956 — w i r haben hier die Protokolle, Sie können sie sich alle anschauen — jährlich eine Große Anfrage zur Wissenschaftspolitik eingebracht 9 ."
Ähnlich wies der SPD-Abgeordnete Arendt i n einer Energiedebatte des Plenums i m Jahre 1963 auf 10 Große Anfragen seiner Fraktion zu diesem Gegenstand h i n 1 0 . 9 10
B T 4. Wp., 60. Sitz., 13. 2.1963, StenB IV/S. 2707 C. B T 4. Wp., 71. Sitz., 29. 3.1963, StenB IV/S. 3262 D u n d 1275.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Offensichtlich haben die Fraktionen sich daran gewöhnt, die Großen Anfragen als „das" M i t t e l anzusehen, u m „die" jährliche große Debatte herbeizuführen. Regelmäßig ist vor allem die jährliche Kulturdebatte an einer Großen Anfrage „aufgehängt" worden. Nicht selten werden diese turnusmäßig wiederkehrenden Großen A n fragen allerdings auch unter Bezug auf eine Regierungserklärung oder i m Zusammenhang m i t geplanten oder schon eingebrachten Gesetzentwürfen gestellt und zum Teil auch zusammen m i t diesen beraten 11 . Aber es gibt manchmal auch mehr aktuelle Anlässe als Begründung für Große Anfragen. So diente beispielsweise i n der 4. Wahlperiode die Wiederaufnahme sowjetischer Atomwaffenversuche i n der Atmosphäre als Begründung für eine Große Anfrage betr. Schutz der Gesundheit gegen radioaktive Strahlung (Drucks. IV/26); eine Entschließung des Ministerrates i m Europaparlament zur Koordinierung der Energiewirtschaftspolitik wurde als Grund für eine Große Anfrage über Grundsatzprobleme der Energie- und Kohlewirtschaft (Drucks. IV/297) angegeben. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß es neben diesen offiziell angegebenen Begründungen und Anlässen versteckt häufig auch andere, meist parteipolitische, Anlässe für Große Anfragen gibt. So dürfte der Anlaß der oben erwähnten energiewirtschaftlichen Großen Anfrage der SPD nicht nur die bezeichnete Entschließung des europäischen Ministerrates gewesen sein, sondern ebenso sicher auch die damals bevorstehende Landtagswahl i m „Kohle-Land" Nordrhein-Westfalen 12 . Ebenso wurde eine Große Anfrage der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP über die gemeinsame Agrarpolitik i n der EWG (Drucks. IV/742) sicherlich nicht nur — wie angegeben — aus Anlaß von EWG-Verhandlungen eingebracht, sondern w o h l auch wegen der wenige Monate später anstehenden Landtagswahlen i n Niedersachsen 18 . 11 So wurde ζ. B. i n der 4. Wahlperiode die Große Anfrage der SPD v o m 26. 6.1962 u n d der F D P v o m 25.10.1962 betr. die Reform der deutschen U m satzsteuer (Drucks. IV/548 u n d IV/684) m i t mehreren Gesetzentwürfen der Bundesregierung zum gleichen Gegenstand beraten (vgl. B T 4. Wp., 61. Sitz., 15. 2.1963, StenB IV/S. 2787 Β ff.) ; die Beratung einer energiepolitischen Großen Anfrage der SPD v o m 5. 3.1963 (Drucks. IV/1029) fand zusammen m i t der E r sten Beratung eines Gesetzes zur Förderung der Rationalisierung i m Steinkohlenbergbau (Drucks. IV/1080) statt, vgl. BT, 4. Wp., 71. Sitz., 29. 3.1963, StenB IV/S. 3251 u n d eine agrarpolitische Große Anfrage der FDP, CDU/CSU v o m 15.11.1962 (Drucks. IV/742) wurde zusammen beraten m i t je einem Gesetzentwurf der SPD u n d der CDU/CSU, FDP betr. die Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe f ü r L a n d w i r t e (Drucks. IV/901 bzw. 904) u n d dem Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gem. §§ 4 u n d 5 des Landwirtschaftsgesetzes (Drucks. IV/940 zu IV/940). 12 Vgl. dazu die Ausführungen des Abg. Arendt, Wattenscheid (SPD) i n der Debatte über die Große Anfrage, B T 30. Sitz., 16. 5.1962, StenB IV/S. 1259 D. 13 Vgl. dazu Abg. Dr. Effertz (FDP) i n der Debatte über die Anfrage, B T 4. Wp., 60. Sitz., 13. 2.1963, StenB IV/S. 2731 D.
I . Kontrolle durch
e Anfragen
125
Ausgesprochen aktuelle Tagesereignisse werden dagegen fast nie zum Anstoß für Große Anfragen. Diese sind — wegen der zumindest 2wöchigen Beantwortungsfrist für die Regierung, die i n der Praxis meist noch weit überschritten w i r d 1 4 — ein zu schwerfälliges Kontrollinstrument. Eine A n t w o r t kann dann schneller i n der Fragestunde, eine Debatte eher i n der Aktuellen Stunde und eine Entschließung des Bundestages besser durch einen selbständigen Antrag erreicht werden. Zusammenfassend ist damit festzustellen, daß bei starkem zahlenmäßigem Rückgang der Großen Anfragen von 160 i n der 1., über 97 i n der 2., 49 i n der 3. auf 35 in der 4. Wahlperiode der Gegenstand der Großen Anfragen sich von speziellen und auch aktuellen Einzelproblemen ab und den großen, der eigentlichen politischen Richtungskontrolle des Parlaments unterliegenden Sachgebieten zugewandt hat. Dabei ist eine gewisse Institutionalisierung i n dem Sinne festzustellen, daß allgemeine Grundsatzfragen bestimmter Themenkomplexe, wie etwa der Wissenschafts-, Energie- und Sozialpolitik, i n einem ziemlich regelmäßigen Rhythmus immer wieder angesprochen werden. Aktuelle Tagesereignisse werden dagegen fast nie zum Gegenstand Großer Anfragen. Diese Feststellungen gelten i m wesentlichen auch für die 5. Wahlperiode, i n der allerdings ein leichter zahlenmäßiger Anstieg der Großen Anfragen zu verzeichnen ist 1 5 . Das Ausscheiden der FDP aus der Regierung und die Bildung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD hat auf die Themenstellung der Großen Anfragen keinen erkennbaren Einfluß gehabt 16 . 2. Die Beratung der Großen Anfragen und die Anträge zu ihnen
Gemeinsam ist fast allen Großen Anfragen — insbesondere der späteren Wahlperioden —, daß sie jeweils nicht so sehr und ausschließlich auf eine A n t w o r t der Regierung abzielen, als auf die Herbeiführung einer 14 So wurde beispielsweise die erwähnte Große Anfrage der SPD zur Reform der deutschen Umsatzsteuer v o m 26. 6.1962 (Drucks. IV/548) erst fast ein halbes Jahr später, nämlich am 15. 2.1963 beantwortet (StenB IV/S. 2787 ff.). 15 Seit Beginn der Wahlperiode bis zum 1.12.1967 — also i n gut 2 Jahren — w u r d e n bereits 27 Große Anfragen destellt gegenüber 20 i n der entsprechenden Zeit der 4. Wahlperiode. Insgesamt w u r d e n i n der 5. Wp. 45 Gr. Anfragen behandelt. 16 Gegenstand der Großen Anfragen seit Bildung der Großen K o a l i t i o n (1.12. 1966-1.12.1967): Situation der K i n d e r i n der B R D (Drucks. V/1198), A t o m waffensperrvertrag (V/1650), Studienreform (V/1742), Sportpolitik (V/1860), Lage der deutschen L u f t - u n d Raumfahrtindustrie (V/1869), Entwicklungshilfep o l i t i k der BReg. (V/1978), sektorale u n d regionale S t r u k t u r p o l i t i k (V/1988), Verteidigungspolitik (V/2016), Verteidigungskonzeption der B R D (V/2025), Verteidigungspolitik (V/2041), Lage der Landwirtschaft (V/2099), Wissenschaftsförderung u n d Wissenschaftsplanung (V/2132), E W G - M a r k t o r d n u n g f ü r Milch u n d Milchprodukte (V/2133), Entwicklungspolitik (V/2144), zukünftige Steuerp o l i t i k (V/2208) u n d Sportpolitik (V/2264).
126
3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
großen öffentlichen Aussprache über den Fragepunkt. Große Anfragen, die nicht zu einer Debatte i m Plenum führen, gibt es faktisch nicht mehr 1 7 . Ganz offensichtlich w i r d die Große Anfrage nicht mehr so sehr als Frage, d. h. als M i t t e l zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses, verstanden, als als Antrag auf Debatteeröffnung und somit als Kontrollakt des Parlaments i n Form einer öffentlichen Aussprache. Während bis zur 5. Wahlperiode die Anzahl der Großen Anfragen von Wahlperiode zu Wahlperiode abnahm, wurden die Aussprachen über sie immer länger. Es gibt nur noch wenige Große Anfragen, bei deren Beratung i m Plenum nur 1 Sprecher jeder Fraktion redet. Diese Entwicklung erscheint als eine Folge der zunehmenden Konzentration der Großen Anfragen auf die großen politischen Sachgebiete, deren Komplexität jeweils eine längere Debatte der Experten erfordert. Hiermit hängt auch zusammen, daß jeweils mehrere Große Anfragen i n einer Wahlperiode zusammen m i t Gesetzentwürfen, Anträgen oder Berichten der Bundesregierung zum gleichen Gegenstand beraten werden. Neben der Länge und Intensität der Aussprachen i m Anschluß an die Beantwortung der Großen Anfragen ist auch das Anwachsen der Zahl der Entschließungsanträge zu Großen Anfragen bemerkenswert. Zu den insgesamt 35 Großen Anfragen der 4. Wahlperiode wurden beispielsweise allein 31 Anträge nach § 107 GO eingebracht. Die starke Zunahme auch dieser Entschließungsanträge deutet ebenfalls hin auf die Tendenz des Parlaments, den Gegenstand der Großen Anfragen gründlich zu besprechen und auch neue Anregungen zu berücksichtigen; denn i n der Praxis des Bundestages werden die Anträge — wenigstens i n letzter Zeit — i n der Mehrzahl an die einzelnen Fachausschüsse zur Beratung überwiesen 18 . Die Ausschüsse ihrerseits formulieren zum Teil wieder 17 I n der 2. Wahlperiode gab es n u r 5 Große Anfragen, die keine Debatte hervorriefen (Berliner Modellstudie, S. 136), i n der 4. Wahlperiode w a r es sogar n u r noch eine. (Es handelte sich u m die gegen Schluß der Wahlperiode eingebrachte Große Anfrage der SPD über den Deutschlandfunk, die i n der letzten ordentlichen Plenarsitzung auf G r u n d einer interfraktionellen Vereinbarung von der Tagesordnung abgesetzt wurde, B T 4. Wp., 196. Sitz., StenB I V / S. 10031 C.) 18 V o n den insgesamt 31 Anträgen zu Großen Anfragen i n der 4. Wahlperiode beispielsweise w u r d e n allein 24 an die Ausschüsse überwiesen; n u r 7 wurden sofort vollinhaltlich zur A b s t i m m u n g i m Plenum gestellt. I n der Praxis des Bundestages sieht das so aus, daß der amtierende BT-Präsident — nach v o r heriger A b s t i m m u n g m i t den Fraktionen — die Ausschußüberweisung v o r schlägt. Vgl. z.B. BT-Vizepräsident Dr. Jaeger i n der Sitzung am 15.3.1962: „ D a m i t ist die Aussprache über die drei Großen Anfragen geschlossen. W i r haben n u n noch die Anträge zu verabschieden. Ich rufe zunächst den A n t r a g der F r a k t i o n der SPD Umdruck 43 auf u n d schlage Ihnen vor, den A n t r a g unter Ziffer 1 dieses Umdrucks an den Gesamtdeutschen Ausschuß — federführend — sowie an den Kulturausschuß — mitberatend — u n d die Anträge unter den übrigen Ziffern n u r an den Kulturausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht, es ist so beschlossen . . S t e n B IV/S. 755 C.
I . Kontrolle durch
e Anfragen
127
eigene Entschließungsanträge, durch die die Bundesregierung zu einer bestimmten politischen Marschrichtung aufgefordert w i r d oder auch u m weiteres Informationsmaterial angegangen wird, das i m Rahmen der mündlichen A n t w o r t auf eine Große Anfrage nicht gegeben werden kann. So wurden beispielsweise i n der 4. Wahlperiode i m Anschluß an zwei Große Anfragen der SPD betr. die Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Drucks. IV/154 und IV/735) mehrere Entschließungsanträge der einzelnen Fraktionen eingebracht und an den Ausschuß für K u l t u r und Publizistik überwiesen; dieser Ausschuß wiederum forderte — nach Beratung der Anträge — den Bundestag auf, von der Bundesregierung einen zusammenfassenden Bericht über Stand und Zusammenhang aller Maßnahmen des Bundes zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung bis zu einem genau festgelegten Datum zu verlangen (Drucks. IV/1247). Auf einen entsprechenden Beschluß des Bundestages hin, veröffentlichte die Bundesregierung dann am 18. 1. 1965 — IV2 Jahre nach dem festgelegten Termin! — den angeforderten „Bundesbericht Forschung I " (Drucks. IV/2963) und gab auf insgesamt 210 Seiten umfassend Auskunft über alle Bundesmaßnahmen zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Damit erhielten die Abgeordneten eine gute Übersicht und eine wichtige Arbeitsunterlage i n die Hand. Nicht alle Anträge zu Großen Anfragen werden jedoch an die Ausschüsse überwiesen; zu einem geringen Teil werden sie auch sofort nach der Beratung der Großen Anfragen i m Plenum zur Abstimmung gestellt und dienen dann i n der Regel dazu, die Meinung des Parlamentes zum Fragegegenstand festzustellen und die A n t w o r t der Bundesregierung entweder zu billigen oder zu kritisieren. Wiederholt sind durch die Beratung und Beschlußfassung über solche Anträge zu Großen Anfragen wichtige politische Grundsatzentscheidungen gefallen: Zu einer Großen Anfrage der FDP 1 9 i n der 3. Wahlperiode betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucks. III/230), die i n Verbindung m i t einer Großen Anfrage der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucks. III/238) in 4 aufeinanderfolgenden Plenumssitzungen (18.-21. Sitzung) beraten wurde, w u r den beispielsweise allein 14 Entschließungsanträge eingebracht. Durch Besteht Uneinigkeit darüber, ob ein A n t r a g überhaupt einem Ausschuß überwiesen werden soll oder sofort zur A b s t i m m u n g gestellt werden soll, so w i r d zunächst darüber abgestimmt. W i r d die Ausschußüberweisung von der M e h r heit abgelehnt, so w i r d über den A n t r a g als solchen abgestimmt, vgl. hierzu BT-Vizepräsident Dr. Dehler i n der Sitzung am 16.5.1962, B T StenB I V / S. 1298 A , B. 10 Die FDP stand i n der 3. Wahlperiode zusammen m i t der SPD i n der Opposition.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
diese Anträge, die zum Teil an die Ausschüsse überwiesen, zum Teil aber auch direkt angenommen oder abgelehnt wurden, wurde faktisch die gesamte Politik der Bundesregierung auf dem Gebiet der Deutschlandund Rüstungspolitik festgelegt 20 . Nicht immer führen die Anträge zu Großen Anfragen zu so weittragenden Ergebnissen. Die Tatsache, daß sie i n der Mehrzahl nicht sofort zur Abstimmung gestellt werden, deutet hin auf die allgemein zu beobachtende Tendenz, wonach m i t Großen Anfragen nicht so sehr eine Ad-hocKontrolle des Einzelfalls, als vielmehr eine ständige Diskussion um die großen politischen Grundsatzfragen erreicht werden soll. Die Vielzahl der Anträge, die an die Fachausschüsse zur Beratung überwiesen werden, dient dabei zur Vertiefung des i n den Fragen angesprochenen Problemkreises und zu weiteren Anregungen. Zusammenfassend ist damit folgendes festzuhalten: Gemeinsam ist fast allen Großen Anfragen, daß sie nicht so sehr auf eine A n t w o r t der Bundesregierung drängen, als eine öffentliche Debatte über den Gegenstand der Frage herbeiführen wollen. Vor allem i n den letzten Wahlperioden führten nahezu alle Großen Anfragen zu einer — meist längeren — Beratung i m Plenum. Auffallend ist weiterhin die starke Zunahme auch der Entschließungsanträge zu Großen Anfragen. Indem diese Anträge allerdings i n der Mehrzahl an die Fachausschüsse zur Beratung überwiesen werden, dienen sie nicht so sehr einer unmittelbaren Kontrolle der Regierungsantw o r t als einer Vertiefung der Sachdiskussion der Experten i m Fachausschuß. 3. Das Kontrollverhalten von Regierungs- und Oppositionsparteien — Form und Intensität der Kontrollen
I n einem parlamentarischen Regierungssystem, i n dem, wie i n der Bundesrepublik Deutschland, die Regierung normalerweise von der Mehrheit des Parlamentes bestimmt und getragen wird, das Kabinett also — wie Sternberger 21 es einmal ausgedrückt hat — „nichts anderes als die Führung der parlamentarischen Mehrheitspartei" ist, i n einem solchen System liegt die Annahme nahe, daß eine parlamentarische Regie20 Anträge — u. a. — : FDP, betr. B i l d u n g einer Viermächtearbeitsgruppe Gesamtdeutschland, Umdr. 33 — Überw. 3. Ausschuß; SPD, betr. Atomwaffenverzicht f ü r die Bundeswehr, U m d r . 37 — A b i . i. namentl. Abst.; SPD, betr. Aufnahme von Verhandlungen m i t der Regierung der Volksrepublik Polen über die V e r w i r k l i c h u n g des Planes einer atomwaffenfreien Zone i n Europa, Umdr. 38 — Überweisung 3. Ausschuß; FDP, betr. Viermächteverhandlungen über einen Vertrag f ü r Gesamtdeutschland, Umdr. 40 — Überw. 3. Ausschuß usw. Beratung aller Anträge: 21. Sitz., StenB I I I / S . 1152 ff. 21 Parlamentarische Regierung u n d Parlamentarische Kontrolle, i n PVS, 5. Jg. (1964), H. 1, S. 18.
I I . K o n t r o l l e durch Große Anfragen
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rungskontrolle i n der Regel nicht durch das ganze Parlament erfolgt, sondern hauptsächlich durch die i n der Opposition stehenden Fraktionen m i t ihren Abgeordneten. Beim Kontrollinstrument der Großen Anfragen müßte sich die Richtigkeit dieser These i n mehrfacher Hinsicht erweisen; einmal i n der Zahl der von Regierungs- und Oppositionsparteien eingebrachten Anfragen, dann i n der Formulierung der Frage- und Antragstexte und schließlich und vor allem i n dem unterschiedlichen Kontrollverhalten der einzelnen Parteivertreter vor, während und nach den anschließenden Parlamentsdebatten. Nachweisversuche und Untersuchungen sollen i m folgenden — unter fallweiser Berücksichtigung der übrigen Wahlperioden — vor allem an Hand der Großen Anfragen i n der 4. Wahlperiode (1961 - 1965) geführt werden. I n dieser Legislaturperiode gab es nur noch 3 Fraktionen i m Deutschen Bundestag, von denen CDU/CSU und FDP m i t insgesamt 301 Abgeordneten die Regierungskoalition bildeten, der die SPD m i t 215 A b geordneten als Opposition gegenüberstand. a) Aufteilung der Großen Anfragen zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Regierungsparteien wurde der überwiegende A n t e i l der Großen Anfragen i n der 4. Wahlperiode — nämlich 24 von 35 — von der oppositionellen SPD gestellt. Nur 2 Große Anfragen brachte die CDU/CSU-, 5 dagegen die FDP-Fraktion ein; weitere 3 Große Anfragen stellten die Fraktionen der Regierungskoalition gemeinsam, während eine Große Anfrage von einer Abgeordnetengruppe aus CDU/CSU- und FDP-Parlamentariern unterzeichnet wurde. Übersicht Große Anfragen
Regierungskoalition CDU/CSU + F D P 11 = 3 1 , 4 %
insgesamt 3 5
Aufteilung , insgesamt 11 11
4. Wahlperiode
der Großen Anfragen n n T T / n C T T
CDU/CSU 2 * = 18 2 % /o
innerhalb
„ „ FDP 5 = 455Vo ö /ο
Opposition SPD 24 = 68,6 °/o
der
Regierungskoalition ,
+ 3 =
CDU/CSU F D P 2 1 Z 0/o
interfraktion. Abg. Gruppe 1 = Q 0/o
Aus diesen Zahlen läßt sich mehreres ersehen: Einmal w i r d klar, daß die Opposition m i t fast 70 °/o den überwiegenden A n t e i l aller Großen Anfragen stellte, zum anderen fällt auf, daß innerhalb der Regierungskoalition die FDP als kleinerer Koalitionspartner aktiver war als die vor allem die Regierung stüzende CDU/CSU-Fraktion, und schließlich muß 9 Witte
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
berücksichtigt werden, daß von 35 Anfragen nur eine einzige nicht von einer geschlossenen Fraktion, sondern von einer Abgeordnetengruppe eingebracht wurde. Eine von Regierungs- und Oppositionsparteien gemeinsam formulierte Große Anfrage gab es nicht. Das Überwiegen der oppositionellen Großen Anfragen zeigt sich durchgehend i n allen Wahlperioden 22 . Ganz auffallend sind die Zahlenverhältnisse i n der 3. Wahlperiode (1957 - 1961), i n der die CDU/CSU die absolute Mehrheit innehatte und zusammen m i t der kleinen DP (16 Abg.) die Regierung bildete. Hier wurden von den insgesamt 49 Großen Anfragen allein 44, also rund 90 %, von der SPD/FDP-Opposition eingebracht. Etwas andere Verhältnisse zeichnen sich lediglich seit Bildung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD i m Dezember 196623 ab. I n dem ersten Jahr seit Bestehen dieser Großen Koalition wurden 16 Große A n fragen gestellt, von denen die Abgeordneten der oppositionellen FDP lediglich 5 einbrachten. Diese verhältnismäßig geringe Anzahl von oppositionellen Großen Anfragen w i r d allerdings verständlich bei Berücksichtigung der Tatsache, daß die FDP als alleinige Oppositionspartei m i t 50 Abgeordneten nur rund 10 % aller Bundestagsparlamentarier stellte. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß sämtliche 5 Großen Anfragen der FDP erst i n der 2. Jahreshälfte eingereicht wurden, was darauf hindeutet, daß die Fraktion sich erst langsam an ihre Rolle als alleinige Oppositionspartei gewöhnen mußte und i n Zukunft wahrscheinlich aktiver sein wird. — Das Zahlenmaterial der Großen Koalition ist also bisher weder für diese selbst noch erst recht für die übrigen Wahlperioden repräsentativ. Die für die 4. Wahlperiode des weiteren getroffene Feststellung, daß innerhalb der Regierungskoalition der kleinere Koalitionspartner mehr Große Anfragen stellt als die größere Fraktion, läßt sich für die übrigen Wahlperioden so generell nicht bestätigen. Für die 3. Wahlperiode konnten insoweit überhaupt keine Feststellungen getroffen werden, da der damalige alleinige Koalitionspartner der CDU/CSU, die DP, nur über 16 Abgeordnete verfügte und damit geschäftsordnungsmäßig allein nicht i n der Lage war, Große Anfragen einzubringen. Gleiches gilt für den BHE (27 Abgeordnete) i n der 2. Wahlperiode. I n dieser 2. Wahlperiode spalteten sich darüber hinaus noch die der Regierungskoalition angehörenden Fraktionen des BHE und der FDP und gingen mit dem jeweils größeren Teil ihrer Abgeordneten zur Opposition über, so daß auch von daher 22 F ü r die 2. Wahlperiode vgl. die Angaben der Berliner Modellstudie, S. 136, wonach 28 Große Anfragen v o n den Koalitionsparteien u n d 56 von der Opposit i o n eingebracht wurden, 4 Große Anfragen wurden von Regierung u n d Oppositionsparteien gemeinsam gestellt (berücksichtigt werden hier n u r die t a t sächlich behandelten Großen Anfragen!). 23 W a h l des Kanzlers der Großen Koalition, B T 5. Wp., 77. Sitz., 1.12.1966, StenB V/S. 3539 ff.
I . K o n t r o l l e durch
e Anfragen
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exakte Ermittlungen erschwert sind 2 4 . I n der 1. Wahlperiode wurden kaum Große Anfragen von den Fraktionen der damaligen Regierungskoalition als solchen gestellt, stattdessen gab es eine große Anzahl von Großen Anfragen aus — oft interfraktionellen — Abgeordnetengruppen heraus. Bei diesen Großen Anfragen standen weniger die Fraktion und die Fraktionszugehörigkeit als der Gegenstand der Anfrage i m Vordergrund, so daß auch aus ihnen aussagekräftige Schlüsse über das Verhalten der Fraktionen nicht gezogen werden können. Erst m i t Reduzierung der Anzahl der Fraktionen, zunehmender Verallgemeinerung und „Politisierung" der Großen Anfragen und damit Hand i n Hand gehender Zunahme der von ganzen Fraktionen eingebrachten Großen Anfragen, lassen sich einigermaßen verbindliche Aussagen über das Verhalten der einzelnen Fraktionen innerhalb der Regierungskoalition machen. Da dieser Zustand erst zu Beginn der 3. Wahlperiode (1955) erreicht war, i n dieser Wahlperiode aber der kleinere Partner der Regierungskoalition geschäftsordnungsmäßig nicht i n der Lage war, Große Anfragen einzubringen, können bisher nur die Zahlen der 4. Wahlperiode herangezogen werden; diese zeigen ein eindeutiges Überwiegen der Großen Anfragen des kleineren Partners i n der Regierungskoalition. I m ersten Jahr seit Bestehen der Großen Koalition (1. 12. 1966 - 1. 12. 1967) hat dagegen der größere Partner, die CDU/CSU, mehr Große Anfragen als ihr zahlenmäßig kaum weniger starker Koalitionspartner, die SPD, eingebracht 25 . M i t einiger Vorsicht ist deshalb vielleicht die Aussage der 4. Wahlperiode über die größere Kontrollaktivität des kleineren Koalitionspartners dahingehend zu präzisieren, daß innerhalb der Regierungskoalition jeweils diejenige Fraktion am eifrigsten ist, der am meisten an der Demonstration ihrer Eigenständigkeit liegt oder die u m die Durchsetzungsmöglichkeit ihrer eigenen Vorstellungen innerhalb der Regierungskoalition fürchten muß und deshalb die öffentliche Aussprache vor dem gesamten Plenum sucht. I n der Regel w i r d das der kleinere Koalitionspartner sein. Die weitere für die 4. Wahlperiode getroffene Feststellung, wonach es i n der Zeit von 1961 - 1965 nur eine einzige Große Anfrage von einer interfraktionellen Abgeordnetengruppe gab und keine, die von Regierungs- und Oppositionsparteien gemeinsam formuliert war, erscheint als eine Folge der zunehmenden Konzentration der Großen Anfragen auf politische Grundsatzfragen, die jeweils mit der Fraktion abgestimmt werden müssen. I n den ersten beiden Wahlperioden, i n denen solche politischen Grundsatzprobleme seltener angesprochen wurden, gab es häufig 24
Vgl. dazu Berliner Modellstudie, S. 44 f. Große Anfragen i m 1. Jahr seit B i l d u n g der Großen K o a l i t i o n aus CDU/ CSU u n d SPD: Insgesamt 16, davon CDU/CSU 6, SPD 3, CDU/CSU + SPD 2, F D P 5. 25
*
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Große Anfragen, die von — oft interfraktionellen — Abgeordnetengruppen und nicht von Fraktionen eingebracht wurden. Vor allem aber gab es i n diesen ersten Bundestags] ahren wiederholt auch Große Anfragen unter Beteiligung von Regierungs- und Oppositionsparteien, ja manchmal sogar von allen Fraktionen des Hauses gemeinsam 26 » 27 . Solche gemeinsamen Großen Anfragen wurden i n den letzten Wahlperioden nicht mehr eingebracht; stattdessen ist zu beobachten, daß die Fraktionen jetzt gleichzeitig eigene Große Anfragen zum gleichen Gegenstand einbringen, u m damit ihre Unabhängigkeit und politische Selbständigkeit gegenüber den anderen Parteien zum Ausdruck zu bringen 2 8 . Zusammenfassend gilt folgendes: Ohne Berücksichtigung der Kontrollintensität der einzelnen Großen Anfragen kann zunächst rein formal festgestellt werden, daß i n allen Wahlperioden bis zur Gründung der Großen Koalition i m Dezember 1966 die Oppositionsparteien — trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit — von dem Kontrollinstrument der Großen Anfrage einen weit größeren Gebrauch gemacht haben als die die Regierung stützenden Fraktionen. Die Tatsache, daß Große Anfragen von fraktionsinternen oder interfraktionellen Abgeordnetengruppen, die i n der 1. Wahlperiode noch häufig waren, immer seltener werden, erscheint als eine Folge des zunehmend politischen Inhalts der Großen Anfragen; da die Anfragen politische Grundsatzfragen berühren, müssen sie jeweils m i t der ganzen Fraktion abgestimmt werden. Das schon seit Jahren zu beobachtende völlige Ausbleiben von gemeinsam formulierten Großen Anfragen der Regierungs- und Oppositionsparteien zeigt eindeutig, daß es den Fragestellern i n der Regel nicht auf eine gemeinsame Haltung des Parlaments gegenüber der Regierung ankommt, sondern auf das Herausstellen der politischen Unterschiede 26 Vgl. i n der 1. Wahlperiode ζ. B. die Großen Anfragen v o n CDU/CSU, SPD, DP, BP betr. U f i - A u k t i o n i n Wiesbaden, Drucks. 1/1590 (Anlaß w a r die von der Hohen Kommission ohne M i t w i r k u n g deutscher Stellen angeordnete Veräußer u n g von F i l m t i t e l n aus der früher reichseigenen Ufi) ; CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP, Ζ betr. Auslieferung u n d Hinrichtung von Deutschen, Drucks. 1/1599; CDU/CSU, SPD, FDP, FU, DP betr. die v o n den Besatzungsmächten i n der BRep. beschlagnahmten Filmtheater, Drucks. 1/3028 — sowie die zahlreichen v o n kleineren Regierungs- u n d Oppositionsfraktionen gemeinsam eingebrachten Großen Anfragen. 27 F ü r die 2. Wahlperiode vgl. die Angaben der Berliner Modellstudie, S. 136, wonach 4 Große Anfragen v o n Regierung u n d Oppositionsparteien gemeinsam eingebracht wurden. 28 So i n der 4. Wahlperiode die gleichzeitigen Großen Anfragen der CDU/ CSU, SPD u n d F D P zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Fragen der K u l t u r p o l i t i k (Drucks. IV/154, 158, 233), der FDP u n d der SPD betr. Umsatzsteuer-Systemreform (Drucks. IV/548, 684), der CDU/CSU, FDP u n d der SPD zur Energiepolitik u n d zur Lage des Steinkohlenbergbaus (Drucks. I V / 2695, 2721).
I . Kontrolle durch
e Anfragen
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zwischen Regierung und Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits. Diese Tendenz w i r d besonders deutlich auch an der Tatsache, daß die Fraktionen neuerdings häufig eigene Große Anfragen zum gleichen Gegenstand einbringen, ohne sich zu einer gemeinsam formulierten Anfrage entschließen zu können. b) Formulierung,
Begründung und Anlaß der Großen Anfragen
Die höhere Anzahl von oppositionellen Großen Anfragen ist zwar Ausdruck einer größeren Kontrollaktivität der Opposition — sie besagt jedoch noch nichts über A r t und Intensität dieser Kontrollen. Hierüber können Formulierung und Begründung der Anfragen einigen Aufschluß geben, vor allem aber das Verhalten der Parteivertreter vor, i n und nach den anschließenden Debatten. Die zunehmende Tendenz unter den Parteien, m i t Großen Anfragen nur Grundsatzprobleme der großen politischen Ressorts anzusprechen, hat eine zunehmende Versachlichung schon der Fragetexte zur Folge gehabt. I m Wortlaut deklamatorisch-anklägerische Große Anfragen sind i m Laufe der Jahre selten geworden. Sie gab es vereinzelt i n den ersten Wahlperioden, wie etwa die folgende Große Anfrage der oppositionellen SPD vom 29. 5.1952 (Drucks. 1/3418) zeigt: Betr. Schreiben des Bundeskanzlers v o m 16. M a i 1952 an Christian Fette. „ I n seinem an den Bundesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Christian Fette, gerichteten Schreiben v o m 16. M a i 1952 hat der Bundeskanzler unter Hinweis auf die Maßnahmen, durch die der Deutsche Gewerkschaftsbund f ü r ein einheitliches u n d fortschrittliches Betriebsverfassungsgesetz kämpft, u. a. ausgeführt: , . . . Die A n k ü n d i g u n g gewerkschaftlicher K a m p f maßnahmen fällt zeitlich zusammen m i t der aus der Sowjetzone kommenden Drohung, das Zustandekommen des Deutschlandvertrages u. a. durch Ausrufung des Generalstreikes i n der Bundesrepublik zu verhindern. Weitere Kreise des deutschen Volkes werden das zeitliche Zusammenfallen unter diesen Umständen nicht f ü r einen bloßen Z u f a l l h a l t e n . . / W i r fragen die Bundesregierung: W i l l die Bundesregierung durch eine so grundlose u n d unsachliche Bezichtigung die Einheitsgewerkschaft der deutschen Arbeitnehmer i n der öffentlichen Meinung der freien Welt verdächtigen u n d den K a m p f des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen jede A r t von Totalitarismus, insbesondere gegen das Sowjetsystem, erschweren? Bonn, den 29. M a i 1952 Ollenhauer u n d F r a k t i o n "
I m Gegensatz hierzu sind die Großen Anfragen der letzten Wahlperioden — insbesondere der 4. — i m Wortlaut fast nie anklägerisch. Wenn sie anklagen, dann der Sache nach; ihre Kontrolle besteht darin, daß sie sachliche Fragen — oft i n Form einer Anregung — stellen.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Das g i l t v o r n e h m l i c h f ü r die o p p o s i t i o n e l l e n G r o ß e n A n f r a g e n . D i e A n f r a g e n d e r R e g i e r u n g s p a r t e i s i n d z u m T e i l eher d e k l a m a t o r i s c h , eher A u f f o r d e r u n g a n die R e g i e r u n g , ö f f e n t l i c h B e r i c h t ü b e r i h r e L e i s t u n g e n zu erstatten. E r k e n n b a r w i r d dieser U n t e r s c h i e d insbesondere d a n n , w e n n R e g i e r u n g s - u n d O p p o s i t i o n s p a r t e i e n — w i e n e u e r d i n g s h ä u f i g — gleichz e i t i g Große A n f r a g e n z u m gleichen G e g e n s t a n d e i n b r i n g e n . Das sei h i e r a n H a n d v o n 2 G r o ß e n A n f r a g e n aus d e r 4. W a h l p e r i o d e d o k u m e n t i e r t , die beide P r o b l e m e der F ö r d e r u n g v o n Wissenschaft u n d F o r s c h u n g i n d e r B u n d e s r e p u b l i k z u m I n h a l t h a t t e n u n d g l e i c h z e i t i g eingebracht wurden: 1. Große Anfrage der Regierungsparteien CDU/CSU v o m 30.1.1962 (Drucks. IV/154) „Die Selbstbehauptung des deutschen Volkes hängt letztlich v o n seiner geistigen u n d kulturellen K r a f t ab. I n der europäischen Einigung gewinnen k u l turpolitische Gesichtspunkte eine immer größere Bedeutung. Der politische u n d wirtschaftliche Zusammenschluß i n den verschiedenen Organisationen erfordert die M i t w i r k u n g der Wissenschaft u n d einen allgemeinen kulturellen Beitrag des deutschen Volkes. Die Durchführung der Entwicklungshilfe, v o n der ein wesentlicher T e i l B i l dungshilfe sein muß, stellt gleichfalls i n steigendem Maße Anforderungen an die kulturelle u n d insbesondere wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der B u n desrepublik. W i r fragen die Bundesregierung: 1. Welche Maßnahmen sind bereits getroffen, u m die Entwicklung von Wissenschaft und Forschung i n der Bundesrepublik den nationalen u n d internationalen Erfordernissen anzupassen? 2. Welche weiteren Maßnahmen hält die Bundesrepublik gegenwärtig f ü r vordringlich? Bonn, den 30. Januar 1962
D r
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Frakt i
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2. Große Anfrage der oppositionellen SPD v o m 31.1.1962 (Drucks. IV/158) „ W i r fragen die Bundesregierung: 1. I n welcher Weise ist die Bundesregierung bereit, den Vorschlag zu unterstützen, B e r l i n zu einem internationalen Zentrum der wissenschaftlichen Forschung auszugestalten? 2. Wie soll eine Koordinierung der Förderung der wissenschaftlichen Forschung innerhalb der Bundesregierung gewährleistet werden? 3. Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Bundestag einen Vorschlag für ein Gesetz zu A r t . 74 Nr. 13 GG vorzulegen? 4. Hat die Bundesregierung die Absicht, die staatliche Auftragsforschung auszuweiten? Bonn, den 31. Januar 1962
, , „ , ,. M Ollenhauer u n d Fraktion"
W ä h r e n d also die R e g i e r u n g s p a r t e i e n C D U / C S U nach e i n e r d e k l a m a torischen E i n l e i t u n g nichts anderes v e r l a n g t e n als e i n e n L e i s t u n g s b e r i c h t ü b e r bereits getroffene M a ß n a h m e n u n d eine generelle E r k l ä r u n g ü b e r
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zukünftige Pläne 2 9 , forderte die Oppositionspartei klare Antworten auf präzise gestellte Fragen. I m Gegensatz zur Regierungspartei wollte sie es offensichtlich nicht der Regierung überlassen, selbst den Umfang der Informationen zu bestimmen. Auch der kleinere Partner i n der Regierungskoalition zeigte sich k r i tisch gegenüber der Regierung, wie folgende Ausschnitte aus der noch kurz vor der anstehenden Debatte eingebrachten Großen Anfrage der Freien Demokraten deutlich machen: 3. Große Anfrage der F D P v o m 2. 3.1962 (Drucks. IV/233) „ W i r fragen die Bundesregierung: 1. W a r u m hat die Bundesregierung den einstimmigen Beschluß des B u n destages v o m 1. J u l i 1960 nicht ausgeführt, m i t dem sie aufgefordert wurde, ,die Verhandlungen m i t den Ländern über die Abgrenzung der Aufgaben i m kulturellen Bereich möglichst bald abzuschließen u n d dem Bundestag über das Ergebnis dieser Verhandlungen bis zur Einbringung des Haushalts 1961 schriftlich zu berichten?' 4. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, u m die rechtliche, besoldungsmäßige u n d soziale Stellung deutscher Dozenten u n d Lehrer sowie ihre berufliche E n t w i c k l u n g während ihrer Auslandstätigkeit u n d bei ihrer Rückkehr zu sichern? «
Aus dem Gesagten und Zitierten w i r d deutlich, daß sich auch aus dem Text der Anfragen eine, wenn auch nur leichte, Tendenz ablesen läßt, wonach die Opposition — und innerhalb der Regierungskoalition der kleinere Partner — kritischer eingestellt sind gegenüber der Regierung als die große Regierungsfraktion. Allerdings ist dieser Unterschied in der Regel nicht so augenfällig, wie i n dem oben angeführten Beispiel. Insgesamt zeichnen sich die Großen Anfragen der letzten Wahlperioden durch große Sachlichkeit und größtenteils auch durch präzise Fragestellung aus. Dabei steht die große Regierungspartei den anderen Parteien kaum nach — allerdings ist ihren Großen Anfragen i n der Regel weniger ein kritischer Unterton anzumerken, als denen der Opposition oder denen des kleineren Koalitionspartners. Hinsichtlich des angesprochenen Themenkreises ist zwischen den Großen Anfragen der Regierungs- und Oppositionsparteien ein Unterschied nicht festzustellen. Es hat sich i m Gegenteil — wie bereits hervorgehoben — bei den Fraktionen mehr oder weniger die Gewohnheit heraus29 Einzelne — auch kritische — Punkte u n d Anregungen wurden i n 2 E n t schließungsanträgen zur Großen Anfrage aufgenommen (Umdr. 44 u n d 45), die auf Wunsch der Antragsteller aber nicht i m Plenum zur A b s t i m m u n g gestellt, sondern an die zuständigen Fachausschüsse überwiesen w u r d e n u n d sich damit mehr oder weniger außerhalb der Öffentlichkeit erledigten. (Überw.: StenB IV/S. 755 C.)
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
gebildet, häufig gleichzeitig, aber nicht zusammen, eine Große Anfrage zum gleichen, oft jährlich wiederkehrenden Thema einzubringen. Manchmal versucht die Opposition allerdings, bestimmte der Regierung zu diesem Zeitpunkt oder dem Inhalt nach besonders unangenehme Große Anfragen zu stellen. So ist beispielsweise die Krise i m Kohlenbergbau von der oppositionellen SPD wiederholt, vor allem auch vor Landtagswahlen i n Nordrhein-Westfalen, zum Anlaß für energiepolitische Große Anfragen genommen werden. Eine beträchtliche Unruhe i n der Öffentlichkeit, i n den Verbänden und Parteien über das Ausbleiben einer Neuregelung und Verbesserung i n der Kriegsopferversorgung war Anstoß zu einer Großen Anfrage über diese Probleme 30 , und zu Beginn der 4. Wahlperiode nutzte die SPD die nicht unerheblichen Differenzen zwischen den Regierungsparteien CDU/CSU und FDP i n Fragen der Sozialpolitik aus, u m hierüber eine entsprechende Große Anfrage 3 1 an die Regierung zu richten. Demgegenüber scheinen die Großen Anfragen der großen Regierungsparteien zu den gleichen oder ähnlichen Themen wenigstens zum Teil mit der Tendenz eingebracht zu werden, der Regierung die Möglichkeit einer öffentlichen Rechtfertigung zu geben. Diese unterschiedlichen Beweggründe von Regierungs- und Oppositionsparteien können jedoch am ehesten aus dem unterschiedlichen Verhalten der Parteivertreter i n den Parlamentsdebatten abgelesen werden. c) Das unterschiedliche Parteiverhalten bei der Beratung der Großen Anfragen Die öffentliche Beratung der Großen Anfragen und der Antworten der Regierung gibt der Opposition die Möglichkeit, Kontrolle i n der Form öffentlicher K r i t i k an der Regierung zu üben — K r i t i k über eine nicht rechtzeitige oder unvollständige Beantwortung der Großen A n fragen, K r i t i k vor allem wegen der politischen Behandlung der angesprochenen Sachprobleme und K r i t i k schließlich auch i n mehr spektakulärer Form, m i t dem Ziel, breite Wählerschichten aus dem Regierungslager i n das der Opposition zu ziehen. Spätestens 2 Wochen nach Einreichen einer Großen Anfrage beim Bundestagspräsidenten können die Fragesteller verlangen, daß ihre Große Anfrage auf die Tagesordnung einer Plenumssitzung gesetzt wird. Wenn diese Frist i n der Praxis auch häufig u m viele Wochen überschritten w i r d 3 2 , so können die Fragesteller doch i m Einzelfall auf das Einhalten 80
Drucks. IV/882, Anfrage v o m 9.1.1963. Drucks. IV/153, Anfrage v o m 30.1.1962. 32 I n der 4. Wp. w u r d e n die Großen Anfragen meistens erst nach 6 - 8 Wochen beantwortet, ζ. T. sogar erst nach fast einem halben Jahr (so ζ. B. die Große 81
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dieser F r i s t d r ä n g e n , eine D e b a t t e e r z w i n g e n u n d d a m i t die R e g i e r u n g u. U. i n nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten bringen. Das w a r z. B . — w i e schon o b e n e r w ä h n t — der F a l l b e i d e r z u B e g i n n d e r 4. W a h l p e r i o d e v o n d e r o p p o s i t i o n e l l e n S P D eingebrachten G r o ß e n Anfrage betr. Krankenversicherung, Lohnfortzahlung u n d Kindergeld (Drucks. IV/153), b e i der d i e O p p o s i t i o n s p a r t e i d a r a u f bestand, daß die A n f r a g e schon n a c h 3 W o c h e n a u f die T a g e s o r d n u n g gesetzt w u r d e . A l s d i e R e g i e r u n g sich nach A b l a u f dieser F r i s t außerstande sah z u a n t w o r t e n , e r g r i f f die O p p o s i t i o n die Gelegenheit, u m eine P l e n u m s d e b a t t e h e r b e i z u f ü h r e n u n d h i e r i n das A u s b l e i b e n der R e g i e r u n g s a n t w o r t ausf ü h r l i c h u n d v o r a l l e r Ö f f e n t l i c h k e i t z u k r i t i s i e r e n . — D a b e i e r k l ä r t e der S P D - A b g e o r d n e t e D r . S c h e l l e n b e r g u. a.: „ F ü r die Verweigerung einer A n t w o r t auf unsere Große Anfrage gibt es n u r eine Erklärung, nämlich die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien über die Grundlagen unserer Sozialpolitik. W i r Sozialdemokraten sind jedoch der Auffassung, daß die weitere Gestaltung unserer Sozialpolitik, die das Schicksal von M i l l i o n e n Menschen angeht, unter diesen Meinungsverschiedenheiten nicht leiden darf. (Beifall bei der SPD) W i r dürfen es deshalb nicht zulassen, daß sich die Bundesregierung einer klaren A n t w o r t auf klare Fragen e n t z i e h t . . . Meine Damen u n d Herren! Die Bundesregierung hat sich heute einer Beantw o r t u n g unserer Fragen zu den Grundlagen unserer Sozialpolitik entzogen. Deshalb überreiche ich namens meiner Fraktion dem H e r r n Präsidenten erneut die Große Anfrage der Sozialdemokratischen Partei zu diesen Grundproblemen unserer Sozialpolitik. (Beifall bei der SPD) . . . Ich hoffe, daß unser Schritt die Meinungsbildung i n I h r e r eigenen F r a k t i o n u n d zwischen den Fraktionen der Regierungsparteien fördern w i r d . (Sehr gut! bei der SPD) Meine Damen u n d Herren, es ist doch — ich darf das ganz freimütig sagen — eine Tatsache, daß Sie sich i n der Regel erst unter dem Druck v o n I n i t i a t i v e n der Sozialdemokraten zu I h r e n sozialpolitischen Auffassungen u n d dann v i e l leicht sogar zu I n i t i a t i v e n durchzuringen pflegen. (Sehr gut! bei der SPD, Abg. Ruf: da bilden Sie sich etwas Falsches ein!) W i r geben bei unserer erneuten Großen Anfrage über die i n der Geschäftsordnung vorgesehene Frist v o n 14 Tagen hinaus der Bundesregierung eine weitere Frist v o n v i e r Wochen, damit sie ihre A n t w o r t über ihre Auffassung zu den Grundproblemen unserer Sozialpolitik geben k a n n . . . 3 3 ." Diese K r i t i k d u r c h d e n o p p o s i t i o n e l l e n Sprecher, v e r s t ä r k t noch d u r c h d e n d e m o n s t r a t i v e n B e i f a l l seitens d e r ganzen F r a k t i o n , w u r d e i n ä h n l i c h e r F o r m w i e d e r l a u t , als b e i n a h 4 M o n a t e nach d e m e r n e u t e n E i n Anfrage der SPD zur Umsatzsteuer-Systemreform, Drucks. IV/548, die am 26. 6. 1962 3 3 eingebracht u n d erst am 15. 2.1963 beraten wurde). B T 4. Wp., 16. Sitz., 22. 2.1962, StenB IV/S. 486 C, D, 487 A .
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
bringen der Großen Anfrage diese endlich wieder auf der Tagesordnung einer Plenarsitzung erschien. Der SPD-Abgeordnete Rhode sah sich dabei zu dem Ausruf veranlaßt: „Die heutige Debatte geht v o n der bisher einmaligen Erfahrung dieses Hohen Hauses aus, daß es mehrfacher u n d über Monate hinziehender. Versuche bedurft hat, u m die Bundesregierung zu einer A n t w o r t auf diese Große Anfrage zu bewegen. Ich w i l l gleich vorweg sagen, daß w i r darin ein Verhalten sehen, das zur Not vielleicht noch v o m Buchstaben der Geschäftsordnung gedeckt sein mag; m i t dem I n h a l t u n d den Verpflichtungen des Amtes eines parlamentarisch verantwortlichen Ministers ist diese mehrfache Verweigerung eine(r) A n t w o r t auf wichtige Sachfragen nicht i n Übereinstimmung zu bringen. (Beifall bei der S P D ) . . . 3 4 ."
Die K r i t i k der Abgeordneten der Opposition betraf also hauptsächlich die Tatsache, daß die Regierungskoalition offensichtlich nicht i n der Lage war, sich auf eine gemeinsame sozialpolitische Grundkonzeption festzulegen. Die Opposition suchte deshalb die Regierung unter Zeitdruck zu Initiativen zu zwingen, indem sie eine große Parlamentsdebatte herbeiführte und hierin die mangelnde Einigkeit der Regierungsparteien vor der Öffentlichkeit demonstrierte. Neben die K r i t i k über das Fehlen einer fachpolitischen Gesamtkonzeption trat dabei der Druck, eine solche Konzeption zu entwickeln. Korrigierende Kontrolle wurde damit zu dirigierender. Natürlich sind solche oppositionellen Maßnahmen nur dann von besonderem Erfolg gekrönt, wenn neben den Druck der Oppositionspartei der Druck der Öffentlichkeit tritt. — Das erkannte auch der SPD-Sozialexperte Dr. Schellenberg, wenn er i n der zweiten Debatte über die sozialpolitische Große Anfrage erklärte: „ M i t Interesse stellen w i r fest, daß der H e r r Bundesarbeitsminister sich heute zu einer w e n n auch außerordentlich dürftigen Beantwortung unserer Großen Anfrage bereit gefunden h a t . . . W i r gehen w o h l nicht fehl i n der Annahme, daß das m i t dem außerordentlich ungünstigen Eindruck zusammenhängt, den das Verhalten der Bundesregierung i m allgemeinen u n d das des H e r r n Bundesministers i m besonderen — am 22. Februar — i n der Öffentlichkeit hervorgerufen hat 3 5 ."
Neben der Möglichkeit, die Regierung durch öffentlichen Druck und Zeitdruck, nämlich durch schnelles Herbeiführen einer Parlamentsdebatte, zur Entwicklung und Vorlage von Gesamtkonzeptionen und zu verbindlichen Aussagen zu bewegen, bedient sich die Opposition — wie bereits erwähnt — der Möglichkeit, die Regierung durch sich ständig wiederholende Große Anfragen zum gleichen Thema zu Initiativen zu zwingen. I n den Parlamentsdebatten über diese Großen Anfragen spart sie dabei i m Einzelfall nicht m i t öffentlicher K r i t i k . So eröffnete beispielsweise der 34 35
B T 4. Wp., 35. Sitz., 15. 6.1962, StenB IV/S. 1449 C. B T 4. Wp., 35. Sitz., 15. 6.1962, StenB IV/S. 1452 B.
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S P D - A b g e o r d n e t e A r e n d t (Wattenscheid) die B e g r ü n d u n g e i n e r energiep o l i t i s c h e n G r o ß e n A n f r a g e seiner F r a k t i o n v o r d e m P l e n u m m i t d e n Worten: „Die Tatsache, daß i n diesem Hohen Hause auf Veranlassung der sozialdemokratischen F r a k t i o n zum 10. M a l eine Energiedebatte stattfindet, spricht nicht f ü r die Regierung. I m Gegenteil, die Häufigkeit solcher Aussprachen zeigt, daß es trotz mannigfacher Krisenerscheinungen auf dem deutschen Energiemarkt i n den letzten fünf Jahren u n d trotz zahlreicher sporadischer Eingriffe der Bundesregierung nicht gelungen ist u n d daß die Bundesregierung nicht willens war, ein energiepolitisches Konzept vorzulegen, u m diesen nicht unwesentlichen Zweig unseres Wirtschaftslebens i n Ordnung zu b r i n gen. — Es hat i n der Vergangenheit, wie ich sagte, an Eingriffen nicht gefehlt. Aber alles, was geschah, geschah sporadisch, geschah zu spät u n d w a r zu wenig durchgreifend u n d ohne klare Vorstellung über das anzustrebende Ziel. Aus diesem Grunde bleibt unsere Feststellung v o m 16. M a i des vergangenen Jahres heute gültig: Was i n der Bundesrepublik auf dem Gebiet der Energiewirtschaft geschah, das w a r alles mögliche, n u r w a r es keine klare Energiepolitik 3 6 ." und weiter: „ W i r fragen heute m i t allem Nachdruck die Bundesregierung, ob sie endlich bereit ist, dem Parlament mitzuteilen, welches die Grundlagen ihrer Energiewirtschaftspolitik sind. W i r müssen deshalb so nachdrücklich fragen, w e i l i n der Vergangenheit weder durch Taten noch durch Erklärungen sichtbar geworden ist, welches Z i e l die Bundesregierung anstrebt. Wenn es uns heute der Herr Bundeswirtschaftsminister auch nicht sagt, müssen w i r den Eindruck gewinnen, daß er es nicht sagt, w e i l er es selbst nicht weiß 3 7 ." Diese K r i t i k e r l ä u t e r t e A r e n d t d a n n noch w e i t e r a n B e i s p i e l e n u n d Ä u ß e r u n g e n aus der V e r g a n g e n h e i t . Das H e r a n z i e h e n v o n E r e i g n i s s e n aus d e r V e r g a n g e n h e i t , ü b e r h a u p t das S i c h - B e r u f e n a u f f r ü h e r e V e r s p r e c h u n g e n u n d A n k ü n d i g u n g e n u n d das Z i t i e r e n v o n v o r a u s g e g a n g e n e n R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g e n s i n d i m ü b r i gen gängige M i t t e l o p p o s i t i o n e l l e r K r i t i k , v o r a l l e m b e i d e n r e g e l m ä ß i g w i e d e r k e h r e n d e n G r o ß e n A n f r a g e n . H i e r w i r d i n s o w e i t eine gewisse Stetigkeit u n d Beständigkeit oppositioneller K o n t r o l l e u n d K r i t i k erreicht. B e i der M e h r z a h l d e r D e b a t t e n ü b e r Große A n f r a g e n i n d e n l e t z t e n J a h r e n a l l e r d i n g s h i e l t sich die K r i t i k durchaus i n G r e n z e n u n d m ü n d e t e m e i s t e i n i n A n r e g u n g e n u n d A u f f o r d e r u n g e n a n die R e g i e r u n g . V o r a l l e m die i n der 4. W a h l p e r i o d e h ä u f i g e n D e b a t t e n ü b e r Große A n f r a g e n z u r W i s s e n s c h a f t s p o l i t i k w a r e n i n der Regel w e i t eher e i n „ k u l t i v i e r t e s K u l t u r g e s p r ä c h " 3 8 oder Fachgespräch v o n E x p e r t e n , als e i n gezielter K o n t r o l l a k t des P a r l a m e n t e s oder d e r O p p o s i t i o n gegenüber der Regie3e 37 38
B T 4. Wp., 71. Sitz., 29. 3.1963, StenB IV/S. 3262 C. a.a.O., S. 3262 D. Bundesinnenminister Höcherls, B T StenB IV/S. 754 B.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
r u n g . N i c h t z u U n r e c h t b e t o n t e e i n m a l der C D U / C S U - A b g . D r . B a l k e die G e f a h r dieser D e b a t t e n „ i n r e i n e n Ä s t h e t i z i s m u s a u s z u a r t e n " 3 9 . K r i t i k u m d e r K r i t i k w i l l e n , d e s t r u k t i v e u n d b ö s w i l l i g e K r i t i k gab es k a u m i n d e n l e t z t e n W a h l p e r i o d e n . I n d e r 4. W a h l p e r i o d e w u r d e n der R e g i e r u n g — m i t A u s n a h m e e i n i g e r E n e r g i e d e b a t t e n u n d d e r bereits m e h r f a c h e r w ä h n t e n B e r a t u n g ü b e r die F r a g e n v o n K r a n k e n v e r s i c h e rung, Lohnfortzahlung u n d Kindergeld — überhaupt n u r einmal w i r k l i c h h a r t u n d l a u t s t a r k Pflichtverstöße v o r g e w o r f e n . Das w a r b e i einer D e b a t t e ü b e r eine große A n f r a g e der S P D z u r K r i e g s o p f e r v e r s o r g u n g 4 0 · 4 1 , i n der es auch a n e i n i g e r D e m a g o g i e n i c h t fehlte. A n l a ß f ü r die Große A n f r a g e u n d die i h r folgende D e b a t t e w a r das A u s b l e i b e n eines Z w e i t e n Gesetzes z u r Ä n d e r u n g u n d E r g ä n z u n g des Kriegsopferrechtes, u m dessen V o r l a g e b i s E n d e N o v e m b e r 1962 der B u n d e s t a g die B u n d e s r e g i e r u n g durch einen vorausgegangenen u n d m i t M e h r h e i t angenommenen A n t r a g ersucht h a t t e u n d dessen E i n b r i n g e n diese zunächst auch a n g e k ü n d i g t , d a n n aber w e g e n S c h w i e r i g k e i t e n i m H a u s h a l t i m m e r w i e d e r aufgeschob e n h a t t e . Gegen das A u s b l e i b e n dieses Gesetzes w a r e n v o r a l l e m die Kriegsopfer verbände S t u r m gelaufen 42, u n d ihren A r g u m e n t e n u n d A n 39
B T StenB IV/S. 2713 B. B T Drucks. IV/882, Anfrage v o m 9.1.1963. Beratung: 4. Wp., 63. Sitz., 8. 3. 1963, StenB IV/S. 2928 ff. 41 Ellwein/Görlitz (Parlament u n d Verwaltung), die die Kontrolltätigkeit des Bundestages i m Jahre 1963 unter den Kategorien a) Richtungskontrolle, b) Gesetzesverstöße u n d Pflichtverletzung, c) K r i t i k an Ermessensentscheidungen u n d d) Anregungen, Fragen, Hinweise untersuchen, ordnen diese Große A n frage als einzige unter b) = Gesetzesverstöße u n d Pflichtverletzung ein (S. 203). Unter c) werden die Großen Anfragen der SPD u n d FDP zur Umsatzsteuersystemreform eingestuft, während 6 Große Anfragen des Jahres 1963 der Richtungskontrolle zugeordnet werden (S. 201 - 202). Wie problemreich i m übrigen gerade bei den Großen Anfragen diese Unterscheidungskriterien sind, zeigt schon die Tatsache, daß die Verfasser selbst einräumen müssen, daß die A n fragen jeweils auch Kontrollmomente der anderen Kategorien enthalten. 42 So berichtete beispielsweise die Deutsche Zeitung, K ö l n , schon am 11.12. 1962 — also wenige Tage nach A b l a u f der Frist Ende November — : „Der V e r band der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen u n d Sozialrentner Deutschlands (VdK) hat Bundesarbeitsminister B l a n k sein Mißtrauen bekundet u n d gefordert, B l a n k i n der neuen Bundesregierung abzulösen. ,Mit Empörung' hatten zuvor Hauptvorstand u n d Verbandsausschuß des V d K auf einer gemeinsamen Sitzung i n Würzburg festgestellt, daß es i n nahezu 18 Jahren nach Kriegsende nicht gelungen sei, die Kriegsopferversorgung ,nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten befriedigend' zu regeln. Die Hauptschuld daran gibt der Verband Minister Blank, der seinen »mangelnden guten Willen' abermals gezeigt habe, indem er den klaren A u f t r a g des Parlaments nicht entsprochen habe, bis zum 30. November einen Gesetzentwurf zur Neuordnung des Kriegsopferrechtes vorzulegen. Unbeschadet derüberbrückungszahlung v o n 30 °/o einer Monatsrente fordert der V d K die Bundestagsfraktionen auf, i n Sachen des Zweiten Neuordnungsgesetzes m i t W i r k u n g v o m 1. Januar 1963 i n i t i a t i v zu werden." Vgl. u. a. auch den Sozialpolitischen Presse- u n d Informationsdienst des Reichsbundes der Kriegs- u n d Zivilbeschädigten, Sozialrenter u n d Hinterbliebenen v o m 9.1.1963, i n dem v o n einer „große(n) Empörung" der Kriegsopfer die Rede ist. 40
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e Anfragen
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regungen war die SPD m i t ihrer Großen Anfrage i m wesentlichen gefolgt. Auch innerhalb der Regierungsfraktionen hatte es einige erhebliche Meinungsverschiedenheiten und Unstimmigkeiten hierüber gegeben, die dazu geführt hatten, daß eine Gruppe der CDU/CSU u m das VdK-Vorstandsmitglied, die Abg. Frau Dr. Probst, einen eigenen Gesetzentwurf einreichte 43 und der größte Teil der FDP-Fraktion wenig später ein Gleiches tat 4 4 . A u f diesem Hintergrund wurde die am 9. Januar 1963 von der SPD eingebrachte Große Anfrage am 8. März 1963 i m Plenum beraten 45 . Angeheizt durch eine lautstarke Kampagne der Kriegsopferverbände i n den letzten Wochen vor der Debatte sparte dabei die Opposition nicht m i t erheblicher K r i t i k gegenüber der Regierung. Vor allem der damalige Arbeits- und Sozialminister Blank, der i n einer äußerst kurzen Beantwortung der Großen Anfrage lediglich einige Grundzüge künftiger Ä n derungen und Ergänzungen des Kriegsopferrechtes ohne Terminangabe angekündigt hatte, wurde von der Opposition sehr stark attackiert. Zum Teil wurde sogar seine Amtsablösung gefordert 46 . Ein SPD-Abgeordneter sprach von einem „schwarzen Tag für die deutschen Kriegsopfer" 4 7 , ein anderer meinte die Konzeptionen des Ministers als „Armenhausvorstellungen des 17. Jahrhunderts" bezeichnen zu müssen 48 . I h r Fraktionskollege, der niederbayerische SPD-Abgeordnete Fritsch, rief sogar demagogisch aus: „ . . . es bleibt der Tatbestand, daß diese Bundesregierung u n d die sie tragenden Parteien die Schuld daran haben, daß 18 Jahre nach Beendigung des letzten Krieges die deutschen Kriegsopfer noch nicht annähernd ausreichend versorgt sind u n d daß der Passion des deutschen Soldaten u n d seiner Angehörigen während zweier Weltkriege der Leidensweg des Ringens u m eine menschenwürdige Versorgung i m Frieden hinzugefügt wurde. Es bleibt der T a t bestand, daß die deutschen Kriegsopfer i n a l l den bitteren Jahren der Nachkriegszeit das Bitterste, nämlich zum Verlust von Leben u n d Gesundheit hinzu die Enttäuschung über einen Staat, zu tragen hatten, der trotz Möglichkeiten u n d Mahnungen, sie am Ende der Anspruchsberechtigten gehen l i e ß . . . 4 9 ."
Gegenüber so harter und spektakulärer K r i t i k an der Regierung durch die Opposition mußten sich die Abgeordneten der Regierungsparteien nach unserer Ausgangsthese eindeutig hinter „ihre" Regierung stellen. 43 A n t r a g : Gesetzentwurf zur Änderung u n d Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes (Zweites Neuordnungsgesetz) der Abg. Frau Dr. Probst, Maucher, Dr. Lohr, Maier (Mannheim) u n d Gen., Drucks. IV/1030, v o m 5. 3.1963. 44 A n t r a g v o m 6. 3.1963, Drucks. IV/1033. 45 B T 4. Wp., 63. Sitz., 8. 3.1963, StenB IV/S. 2928 D f. 46 Vgl. dazu die Erwiderung des CDU-Abg. Stingi i n der Debatte, a.a.O., S.2934 D. 47 Abg. Bazille (SPD), a.a.O., S. 2948 C. 48 Abg. Höhmann (Hessisch Lichtenau), (SPD), a.a.O., S. 2951 B. 49 a.a.O., S. 2935 A , B.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
D a ß das selbst i n e i n e m i m R e g i e r u n g s l a g e r so u m s t r i t t e n e n K o m p l e x , w i e d e m v o n Z e i t p u n k t u n d U m f a n g der V e r b e s s e r u n g d e r K r i e g s o p f e r v e r s o r g u n g w e i t g e h e n d geschah, zeigt die R i c h t i g k e i t unserer These. So gab f ü r die C D U / C S U i h r S o z i a l e x p e r t e S t i n g i i n der D e b a t t e die b e zeichnende E r k l ä r u n g ab: „ W i r behandeln eine Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion. Die Bundesregierung hat die Große Anfrage beantwortet. Meine F r a k t i o n n i m m t dazu folgende Stellung ein . . . Wir, meine Damen u n d Herren, sind von der Regierungserklärung, die der Herr Bundesarbeitsminister eben abgegeben hat, befriedigt 5 0 ." A u f die D i f f e r e n z e n i n d e n eigenen R e i h e n eingehend, m e i n t e er: „ . . . ich gebe diese Stellungnahme ungeachtet dessen ab, daß eine kleine Gruppe aus unserer F r a k t i o n einen eigenen I n i t i a t i v a n t r a g eingebracht hat, (Bravo-Rufe bei der SPD) was w i r bedauern, w e i l w i r meinten, daß intensive m i t Aussicht auf Erfolg begonnene Gespräche noch eine breitere Basis hätten finden lassen. (Zurufe v o n der SPD: Bedauert das die Fraktion?) 5 1 " D e n a n g e g r i f f e n e n A r b e i t s m i n i s t e r B l a n k , seinen F r a k t i o n s k o l l e g e n , verteidigte S t i n g i m i t den Worten: „ D a n n haben Sie gesagt, daß Herr Minister B l a n k v o m H e r r n Bundeskanzler hätte nach Hause geschickt werden sollen. Das ist Ihre Methode der Polem i k . Damit wollen Sie draußen wieder den Eindruck erwecken: die Bundesregierung hätte j a Geld, der Finanzminister würde j a Geld geben, aber dieser Blank, der nimmt's j a nicht. Das ist beinah verleumderisch, muß ich schon sagen.. , 5 2 ." A u c h der C D U - A b g e o r d n e t e M a u c h e r s t e l l t e sich h i n t e r seine Regier u n g , o b w o h l er z u d e n „ R e b e l l e n " i n n e r h a l b der F r a k t i o n gehörte, die d e n G e s e t z e n t w u r f der R e g i e r u n g n i c h t a b g e w a r t e t u n d e i n e n eigenen G e s e t z e n t w u r f eingebracht h a t t e n . A l l e r d i n g s zeigte er V e r s t ä n d n i s f ü r die O p p o s i t i o n , w e n n er die S i t u a t i o n w i e f o l g t c h a r a k t e r i s i e r t e : „ W e n n m a n weiter die Frage aufwirft, was getan werden kann, so ist es ganz selbstverständlich — ich billige das der Opposition zu —, daß die Opposit i o n i n manchen Fragen andere Anträge stellt als die Regierung. Herr Kollege Riegel, Sie wissen es doch ganz genau aus der Zeit, wo w i r beide Landtagskollegen waren, wo ich i n der Opposition w a r u n d Sie i n der Regierung, wo w i r v o n der Opposition auch eine andere Meinung hatten. (Abg. Riegel: W i r haben w i r k l i c h etwas verbessert!) I h r mußtet eben i n der Regierung, w e i l die M i t t e l nicht da waren, i m L a n d tag von Baden-Württemberg, einen A n t r a g ablehnen, wo w i r i n der Opposition waren u n d i h r dort i n der Verantwortung. Ich mache das n u r deutlich, damit man sieht, wie die Dinge i m allgemeinen aussehen 53 ." 50 51 52 53
a.a.O., S. 2932 a.a.O., S. 2932 a.a.O., S. 2934 a.a.O., S. 2942
A. A. D. C.
I . Kontrolle durch
e Anfragen
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Ganz klar zeigt sich i n diesen Worten des Abg. Maucher, daß Regierung und Regierungsparteien praktisch völlig gleichgesetzt werden („wir"), und die Verteidigung der angegriffenen Regierung durch ein Mitglied der Regierungsparteien als selbstverständlich angesehen wird. Auch die Freien Demokraten als kleinere Partner i n der Regierungskoalition griffen die von ihnen mitgetragene Regierung nur äußerst vorsichtig an. Einer ihrer Sprecher verteidigte sie sogar ausdrücklich gegen die zum Teil demagogischen Angriffe seitens der Opposition 54 . Der FDPAbgeordnete Dr. Rutschke, der wenige Tage zuvor noch maßgeblich an dem eigenen Gesetzentwurf der Freien Demokraten zur Kriegsopferversorgung mitgewirkt hatte und wenige Tage später i n einer Zeitung erklären sollte: „Ich habe nie m i t einer Konzeption des Bundesarbeitsministers i n Kriegsopferfragen übereingestimmt, denn bis dato war mir eine solche nicht bekannt. Die bisherigen Auffassungen des Ministers Blank habe ich sogar scharf kritisiert 5 5 ." — Auch er beschränkte sich in der Debatte — neben äußerst sachlichen Vorschlägen und Überlegungen — auf die vorsichtige Formulierung: „Leider hat die Regierung, was auch ich bedauere, f ü r das Zweite Neuordnungsgesetz noch keinen genauen T e r m i n genannt. Auch w i r sind der Meinung, daß m a n n u n endlich einen T e r m i n festlegen sollte . . . 5 6 > 5 7 ."
Dieses Zusammenstehen der Fraktionen der Regierungskoalition und die starke Verteidigung der Regierung vor allem durch die große Regierungsfraktion zeigt sich fast durchgehend in allen Debatten über Große Anfragen der Opposition. Hat der oppositionelle Sprecher die Anfrage seiner Fraktion i n mehr oder weniger kritischen Formulierungen begründet und hat der zuständige Minister die A n t w o r t der Regierung gegeben, so beginnt der Sprecher der Regierungsparteien — i h m stand bis vor kurzem grundsätzlich das erste Wort zu 5 8 — seine Ausführungen fast immer unter dem Motto: 54
Abg. Dorn, a.a.O., S. 2949 C, D. I n : Rhein-Zeitung Koblenz v o m 12. 3.1963. Dr. Rutschke fährt dann aber fort: „ I n der Bundestagsdebatte v o m 8. 3. habe ich allerdings verschiedene V o r schläge, die B l a n k zum T e i l zum ersten M a l kundgegeben hat, als positiv bezeichnet." 56 B T StenB IV/S. 2941 D. 57 Den Ausgang der Debatte, gegen deren Schluß der Bundesfinanzminister noch eindringlich auf die äußerst gespannte Haushaltslage hingewiesen hatte, bezeichneten die Kriegsopferverbände als „ v ö l l i g unbefriedigend" bzw. „außerordentlich dürftig" u n d kündigten gleichzeitig erhebliche Kampfmaßnahmen an (vgl. Die Welt, Essen, v o m 4. 3.1963, Frankfurter Neue Presse v o m 12. 3. 1963). — E i n gutes halbes Jahr später, als die Bundesregierung unter ihrem neuen Kanzler, Prof. Erhard, wegen der unvermindert schlechten Haushaltslage einen Zweistufenplan zur Kriegsopferversorgung vorlegte, wurden die Proteste der Verbände noch sehr v i e l lauter u n d mündeten schließlich am 11. Dezember 1963 i n einen riesigen Protestmarsch Tausender von Kriegsopfern auf die Bundeshauptstadt Bonn. 58 Vgl. dazu kritisch Hennis, Der Deutsche Bundestag 1949 - 1965, i n : Der Monat, Aug. 1966, S. 32. 55
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
„ W i r stellen uns hinter die A n t w o r t der Bundesregierung 5 9 ." oder „ W i r sind v o n der Begierungserklärung . . . befriedigt 6 0 ."
K r i t i k der großen Regierungsfraktion an ihrer eigenen Regierung gab es kaum i n den Debatten. Sie wurde i n der 4. Wahlperiode nur einmal wirklich laut bei einer von den Regierungsparteien FDP, CDU/CSU selbst eingebrachten Großen Anfrage zur Agrarpolitik (Drucks. IV/Nr. 742). Diese Anfrage wurde zusammen m i t je einem Gesetzentwurf der SPD und der Regierungsparteien zur Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (Drucks. IV/Nr. 901 bzw. 904) und dem sogenannten Grünen Bericht der Bundesregierung 61 (Drucks. IV/Nr. 940 zu IV/940) beraten. I n der Debatte 62 , die wenige Monate vor den Landtagswahlen i n Niedersachsen stattfand, sprach dabei der CDU/CSU-Sprecher deutlich seine Unzufriedenheit m i t der Regierung aus. Allerdings tadelte er nicht so sehr die A n t w o r t auf die Große Anfrage seiner Fraktion als den eine Woche zuvor von der Bundesregierung veröffentlichten und zusammen m i t der Anfrage beratenen Grünen Bericht der Bundesregierung: „ N u n hat der H e r r Bundeslandwirtschaftsminister dem Hohen Hause den Grünen Plan vorgelegt u n d begründet. Ich möchte dazu ganz k l a r u n d eindeutig feststellen, daß dieser Grüne Plan nach meiner u n d meiner Freunde Meinung nicht ausreicht. Wenn i m Grünen Plan eine Einnahmenminderung u m 900 M i l lionen D M ausgewiesen w i r d , k a n n man nicht erwarten, daß die L a n d w i r t schaft i n der Bundesrepublik m i t einer zusätzlichen Hilfe v o n 240 M i l l i o n e n D M ihre Betriebsrechnung ausgleicht... D a r u m bedauert die CDU/CSU-Fraktion, daß das Kabinett dem Vorschlag unseres Bundesministers Schwarz, eine Aufstockung des Grünen Plans u m 400 M i l l i o n e n D M vorzunehmen, noch nicht beigetreten i s t . . , 6 3 ."
Bei dieser K r i t i k durch einen Sprecher der Regierungsparteien handelte es sich offensichtlich u m die K r i t i k einer starken Interessengruppe i n der Regierungsfraktion, die vor allem wegen der nahenden Landtagswahlen i n Niedersachsen spektakulär i m Namen der Partei nach außen getragen wurde. Gleichzeitig versuchte dabei der Agrarexperte der großen Regierungspartei seinem eigenen Minister und Interessenvertreter innerhalb der Bundesregierung den Rücken zu stärken 64 . 59 So beispielsweise der CDU/CSU-Abgeordnete Dr. Burgbacher i n einer Energiedebatte des Bundestages am 29. 3.1963, StenB IV/S. 3282 C. 60 So der CDU/CSU-Abgeordnete Stingi i n einer sozialpolitischen Debatte am 8. 3.1963, StenB IV/S. 2932 A . 61 Es handelt sich hierbei u m den Bericht der Bundesregierung gem. §§ 4 u n d 5 Landwirtschaftsgesetz. 62 B T 4. Wp., 60. Sitz., 13. 2.1963, StenB IV/S. 2720 D. 63 B T StenB IV/S. 2725 D, 2726 B. 64 Es ist n u r natürlich, daß die Opposition sogleich i n diese Kerbe schlug. Für sie erklärte i h r Abgeordneter Dr. Schmidt (Gellersen): „ H e r r Kollege Struve hat sehr harte K r i t i k an verschiedenen Dingen geübt. Aber, H e r r Struve, diese
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Insgesamt gab es allerdings solche Debatten, i n denen Mitglieder der Großen Regierungsfraktion öffentlich die Unzufriedenheit m i t ihrer eigenen Regierung aussprachen, äußerst selten i n den letzten Wahlperioden. Da der überwiegende Teil der Großen Anfragen von der Opposition gestellt wurde, beschränkten sich die Großen Regierungsparteien CDU/CSU i n der Regel darauf, sich geschlossen hinter „ihre" Regierung zu stellen und sie gegen oppositionelle Angriffe zu verteidigen. Auch bei den von ihnen selbst eingebrachten Großen Anfragen ging es ihnen i n der Debatte fast immer eher darum, die Regierung zu rechtfertigen und ihre Leistungen zu demonstrieren, als ihre Unterlassungen zu tadeln. Nicht ganz so geschlossen und eindeutig hinter die Regierung stellte sich bei den Debatten über die Großen Anfragen der 4. Wahlperiode der kleinere Partner i n der Regierungskoalition. Zwar verteidigte auch er die von i h m mitgetragene Regierung bei scharfer K r i t i k seitens der Opposition — insbesondere bei gleichzeitigen Angriffen auf das Koalitionsbündnis — , doch schien i h m mitunter die günstige öffentliche Darstellung der eigenen Vorstellungen und Initiativen wichtiger zu sein. I m allgemeinen identifizierte er sich nicht i n dem Maße m i t der Regierung, wie es die große Regierungsfraktion tat. Insgesamt ist damit festzuhalten, daß bei der Mehrzahl der Debatten über Große Anfragen trotz Fehlens von scharfer K r i t i k eine Frontenstellung zwischen der Regierung und den großen Regierungsparteien einerseits und der Opposition andererseits festzustellen war. Während die Opposition i n der Regel die Regierung angriff, verlegte sich vor allem die große Regierungsfraktion auf die Verteidigung der Regierung. Eine gemeinsame Haltung des Parlaments gegenüber der Regierung gab es faktisch nicht, wenn auch sachlich i m Einzelfall Einigkeit darüber bestand, daß die Regierung für den gerade angesprochenen Zweck mehr Geld bereitstellen oder besondere Initiativen ergreifen sollte. Immer wieder versuchten aber auch in solchem Fall die Sprecher der Regierungsparteien das Verhalten ihrer Regierung zu rechtfertigen und verständlich zu machen. Bei einigen der Debatten — insbesondere auf dem Gebiet der K u l t u r - und Wissenschaftspolitik — war allerdings eine nicht unbeträchtliche Aufweichung der Fronten zwischen den Abgeordneten der Regierungs- und Oppositionsparteien festzustellen. Diese Debatten bargen dafür die Gefahr i n sich, zu relativ unverbindlichen Fachgesprächen der Experten zu werden.
v o n Ihnen so sehr kritisierten Auffassungen finden Sie doch i n I h r e r eigenen Regierung. Da müssen Sie ansetzen. Es hat keinen Zweck, das hier auf der Tribüne zu sagen. Gehen Sie i n I h r eigenes Kabinett u n d räumen Sie diese Schwierigkeiten u n d diese verschiedenen Auffassungen aus." (StenB IV/S. 2728
B.)
10 Witte
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen 4. Die Kontrollbedeutung der Debatten
A u f f a l l e n d b e i d e n D e b a t t e n ü b e r die G r o ß e n A n f r a g e n i s t die T a t sache, daß die F r a k t i o n e n i n d e r Regel sehr geschlossen a u f t r e t e n . I h r e A b g e o r d n e t e n h a b e n n i c h t selten die D i s k u s s i o n s b e i t r ä g e z u d e n einzeln e n F r a g e p u n k t e n schon v o r h e r u n t e r sich a u f g e t e i l t u n d s c h r i f t l i c h ausgearbeitet, die politische u n d taktische M a r s c h r i c h t u n g ist festgelegt u n d A b g e o r d n e t e , die i n i h r e r A n s i c h t v o n diesem K o n z e p t abweichen, m e l d e n sich i n der Regel n i c h t zu W o r t . Dieses v o r d e n D e b a t t e n a b g e s t i m m t e u n d festgelegte V e r h a l t e n der F r a k t i o n e n h a t z u r Folge, daß die A u s s p r a c h e n e r h e b l i c h a n L e b e n d i g k e i t , Spontaneität u n d Überraschungseffekten verlieren. Viele Abgeordnete b l e i b e n deshalb d e n B e r a t u n g e n f e r n 6 5 . D i e P a r t e i v e r t r e t e r gehen v o n v o r n h e r e i n d a v o n aus, daß i h r e A r g u m e n t e a u f i h r e p o l i t i s c h e n Gegner ohne E i n f l u ß b l e i b e n . Selbst b e i l e b h a f t e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n entsteht d e r E i n d r u c k , daß sie n i c h t m e h r der Ü b e r z e u g u n g des p o l i t i s c h e n Gegn e r s 6 6 oder der g e m e i n s a m e n M e i n u n g s b i l d u n g 6 6 dienen, s o n d e r n nahezu ausschließlich d e r eigenen R e c h t f e r t i g u n g gegenüber d e m W ä h l e r 6 6 . D i e R e d e n w e r d e n „ z u m F e n s t e r h i n a u s " gehalten, die D i s k u s s i o n v e r b l a ß t zur bloßen Deklaration 67. 65 Bei der Großen Anfrage der SPD i n der 4. Wp. betr. Verbraucherschutz u n d Verbraucheraufklärung (Drucks. IV/1386) beispielsweise w a r die SPD-Fraktion so schwach vertreten, daß sie allein überhaupt nicht i n der Lage war, eine Debatte herbeizuführen, CDU-Abgeordnete mußten zur Hilfe kommen (StenB IV/S. 4530 A). Schon vorher hatte der Präsident u m Ruhe f ü r die Abgeordnete, die die Anfrage begründete u n d für den Minister bitten müssen, da beide soviel Detailangaben machten, daß die wenigen anwesenden Abgeordneten unruhig wurden. Der Präsident ermahnte beide Redner, lebendiger zu sprechen u n d weniger abzulesen (S. 4517 D u n d 4524 D). 66 Schneider, Diskussion u n d Evidenz i m pari. Regierungssystem, i n : Das Parlament v o m 7. 2.1968, Beilage 6/68, S. 3 ff. (6) unterscheidet i n diesem Sinne zwischen dem agonalen, dem symbuleutischen u n d dem deklaratorischen Diskussionsprinzip. I n der agonalen Diskussion geht es u m die Durchsetzung des individuellen Standpunktes, „eine notwendig werdende Entscheidung w i r d herbeigeführt durch argumentierendes Überzeugen der Gegner". — Unter der symbuleutischen Diskussion versteht Schneider „ein wechselweises lautes Denken der Beteiligten auf ein bestimmtes, gemeinsam zu erreichendes Ergebnis zu", w o bei die Einzeläußerung sich versteht „als Beitrag zu einer Lösung, die nach Überzeugung der Beteiligten als gemeinsame gilt". — Z u r deklaratorischen Diskussion k o m m t es nach Schneider dann, „ w e n n die Fronten so verhärtet sind, d a ß . . . v o n vornherein feststeht, daß die Argumente auf die anderen M e i nungsträger ohne W i r k u n g bleiben; die Diskussion verblaßt zur bloßen Deklaration, bleibt aber ein Evidentmachen der widersprechenden Argumente u n d ist i n ihrer W i r k u n g gegebenenfalls auf Außenstehende berechnet". 67 I n diesem Sinne schon M a x Weber, Parlament u n d Regierung i m neugeordneten Deutschland, 1918, S. 47: „Reden, die ein Abgeordneter hält, sind heute keine persönlichen Bekenntnisse mehr, noch v i e l weniger Versuche, die Gegner umzustimmen, sondern sie sind amtliche Erklärungen, welche dem L a n d ,zum Fenster hinaus' abgegeben werden."
I . Kontrolle durch
e Anfragen
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I n dieser deklaratorischen Funktion der Debatten über die Großen Anfragen liegt jedoch ein heute noch möglicher und von den Fragestellern auch intendierter Kontrolleffekt 6 8 . Da die Großen Anfragen i n ihrer überwiegenden Anzahl Probleme ansprechen, die der politischen Richtungskontrolle des Parlaments unterliegen, dienen die Debatten dazu, die unterschiedlichen Anschauungen der Parteien i n den politischen Grundsatzfragen evident zu machen oder fehlende Konzeptionen anzuprangern und dadurch einen Meinungsbildungs- und Kontrollprozeß zwischen der Öffentlichkeit einerseits und Parlament und Regierung andererseits i n Gang zu setzen. Der eigentliche Kontrollprozeß zwischen Parlament und Regierung, bzw. Regierung und Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits, erfolgt nicht i n den Debatten, sondern vor und nach ihnen. Da die Regierungsparteien es sich nicht leisten können und wollen, ihre eigene Regierung vor der Öffentlichkeit anzugreifen, müssen sie sich vor der öffentlichen Beratung mit ihren Vertretern i n der Regierung auf eine gemeinsame Konzeption einigen. Ähnliches gilt für die Opposition, die, u m die Wirkung ihrer K r i t i k i n der Öffentlichkeit zu steigern, Wert auf ein möglichst geschlossenes Auftreten ihrer Abgeordneten legt und dieses deshalb i n Sitzungen vor der Debatte vorbereitet. Die eigentlichen Beratungen über die Großen Anfragen finden deshalb vor den Debatten i n den Fraktionssitzungen und Sitzungen der Fraktionsarbeitskreise statt. Die Fragesteller bestimmen dabei durch den Inhalt und die Formulierung ihrer Anfrage das genaue Thema dieser fraktionsinternen Aussprachen. Sie können sie auch unter Zeitdruck setzen, indem sie auf einer möglichst schnellen Anberaumung der öffentlichen Debatte bestehen. I n den großen und kleinen fraktionsinternen Sitzungen vor der öffentlichen Debatte erfolgt die eigentliche Diskussion über den jeweiligen Fragekomplex; hier werden erste Kompromisse geschlossen, erste Entscheidungen gefällt; hier werden auch die Argumente der Interessenverbände 69 abgewogen, und hier versuchen die Experten i n den Parteien die übrigen Abgeordneten zu unterrichten und von ihren Ansichten zu über68 Vgl. etwa die Ausführungen des FDP-Abgeordneten Schultz i n der Debatte über eine wehrpolitische Große Anfrage seiner Fraktion: „Unsere Große Anfrage, die w i r gestellt haben, ist ein weiterer Beitrag, u m die internen Probleme der Bundeswehr i n dieses Haus u n d damit auch i n die Öffentlichkeit zu verlagern." B T 4. Wp., 153. Sitz., StenB IV/S. 7586 B. 69 Z u m Einfluß der Verbände vgl. die Einzelfallstudien v o n Varain, Parteien u n d Verbände (Köln 1964) u n d Stammer, Verbände u n d Gesetzgebung (Köln 1965); allgemein: Breitling, Die Verbände i n der Bundesrepublik (Meisenheim 1955), Hans Huber, Staat u n d Verbände (Tübingen 1958), Hennis, Verfassungsordnung u n d Verbandseinfluß, PVS 1961, S. 23 ff., Wittkämper, Grundgesetz u n d Interessenverbände (Köln 1963) u n d Lindemann, Das antiquierte Grundgesetz (Hamburg 1966), S. 133 ff.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
zeugen. Bei den Regierungsfraktionen findet hier auch — insbesondere, wenn finanzielle Auswirkungen i n Frage stehen — ein erster Ausgleich zwischen den Wünschen der Partei und den Möglichkeiten der Regierung statt. Bei einer Koalition gilt es anschließend noch, die Ansichten der Koalitionsfraktionen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Das Ergebnis der internen Beratungen w i r d i n der öffentlichen Debatte deklaratorisch dem politischen Gegner und der Öffentlichkeit vorgetragen. Soweit eine wirkliche Diskussion oder eine Interessenausgleichung zwischen Regierung und Regierungskoalition einerseits und Opposition andererseits möglich ist, findet sie nicht eigentlich i n der öffentlichen Debatte statt, sondern i n den anschließenden Sitzungen der Parlamentsausschüsse. Die i n den letzten Wahlperioden zahlreich eingebrachten A n träge zu Großen Anfragen eröffnen dazu die Möglichkeit; sie werden ja in der Regel nicht sofort zur Abstimmung gestellt, sondern an die Ausschüsse zur Beratung überwiesen und ermöglichen dort eine interfraktionelle Aussprache über die angesprochenen Fragen. Die Tatsache, daß die Debatten über die Großen Anfragen heute i n der Regel rein deklaratorische Diskussionen zwischen Regierung und Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits sind, ist m i t h i n für die parlamentarische Kontrollbedeutung der Großen Anfragen nicht nur ein Negativum. Insoweit hat sich der Kontrollprozeß nämlich nur verlagert: er findet statt i n den fraktionsinternen Diskussionen vor und i n den interfraktionellen Ausschußberatungen nach der Debatte. Die öffentliche Debatte setzt dabei einen Fixpunkt, bis zu dem die fraktions- und koalitionsinterne Auseinandersetzung i m wesentlichen abgeschlossen sein muß. I m übrigen hat die Aussprache i m Plenum die Bedeutung, daß i n ihr die Parteien ihre Vorstellungen und Argumente öffentlich darlegen und damit einen Meinungsbildungsprozeß auch i n der Öffentlichkeit i n Gang setzen. Allerdings leidet dieser öffentliche Meinungsbildungsprozeß darunter, daß i n den Plenarreden meist nur die fertige Entscheidung der Fraktionen mitgeteilt wird, nicht aber die innerfraktionellen Diskussionen und die Kontroversen, die vor dieser Entscheidung erst noch beglichen werden mußten. Die nicht selten aalglatten offiziellen Fraktionserklärungen, die deshalb häufig uninteressant sind, geben zu wenig und undifferenzierte Argumente für eine breite öffentliche Diskussion. A n der eigentlichen Diskussion aber und dem eigentlichen Kontrollgeschehen, das hinter den verschlossenen Türen der Ausschüsse und Arbeitskreise stattfindet, ist die Öffentlichkeit nicht beteiligt. Das Auseinanderfallen von Diskussionen und Öffentlichkeit verhindert deshalb eine weitergehende Kontrollwirkung der Großen Anfragen.
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Anfragen
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I I I . Kontrolle durch Kleine Anfragen Die Kleinen Anfragen stellen — wie schon ihr Name sagt — gegenüber dem feierlichen Instrument der Großen Anfragen ein kleineres „parlamentarisches Geschütz" dar. Eingeführt i m Reichstag des Kaiserreiches m i t der wichtigen Geschäftsordnungsänderung des Jahres 1912 haben sie seitdem ein wechselvolles parlamentarisches Geschick gehabt, das für ihre Kontrollfunktion nicht ohne Bedeutung war. Zeitweilig wurden sie wie eine vorweggenommene Fragestunde behandelt, konnten also von jedem einzelnen Abgeordneten eingebracht werden und wurden dann mündlich vor dem Plenum beantwortet; zu anderen Zeiten dagegen verlangte man für jede Kleine Anfrage die Unterstützung von 10 oder 15 anderen Abgeordneten und machte ihre schriftliche Beantwortung zur Regel, i n der Hoffnung, damit den Gebrauch dieses Kontrollinstruments einzuschränken und so die parlamentarische Arbeit zu entlasten. Auch die Beratungen i m Ersten Bundestag vor Inkrafttreten der neuen Geschäftsordnung am 1. 1. 1952 waren von diesen unterschiedlichen Tendenzen bestimmt. Da man damals — die eigene Parlamentstradition nicht kennend — die Fragestunde des britischen Unterhauses i n den Bundestag übernehmen wollte, verfiel man zunächst darauf, dies m i t einer Umgestaltung des Rechtes der Kleinen Anfragen zu erreichen, die ja i n der Tat i m Reichstag des Kaiserreiches wie mündliche Anfragen behandelt worden waren. Als sich die Parlamentarier i m Ergebnis aber doch dazu entschlossen, die Fragestunde als neues Informations- und Kontrollinstrument neben den Kleinen Anfragen einzuführen, machten sie letztere zu einem rein schriftlichen Informationsmittel. Allerdings unterließen sie es, die Geschäftsordnung insoweit abzuändern. So kommt es, daß § 110 GO bis zum Jahre 1970 davon sprach, daß Kleine Anfragen auf die Tagesordnung von Plenarsitzungen gesetzt werden, während sie i n Wirklichkeit schriftlich i n Form einer Bundestagsdrucksache beantwortet werden und nie auf der Tagesordnung erscheinen. Die erforderliche Unterschrift von soviel Abgeordneten, wie der Fraktionsmindeststärke entsprechen — bis zum 27. 3. 1969 waren das 15 Abgeordnete, von da an 5 °/o der Mitglieder des Bundestages = 26 — , soll offensichtlich ein zu starkes Überhandnehmen dieses Informations- und Kontrollmittels verhindern. Seitdem seit dem 1. 10. 1969 auch die Großen Anfragen von Abgeordneten i n einer Zahl, die der Fraktionsmindeststärke entspricht, einzureichen sind, unterscheiden sich die Kleinen Anfragen i m wesentlichen nur noch durch die Schriftlichkeit des Verfahrens von den Großen A n fragen.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen 1. Gegenstand, Kontrollform und zahlenmäßige Entwicklung
Die Schriftlichkeit des Verfahrens bei den Kleinen Anfragen, insbesondere der Ausschluß der mündlichen Beantwortung und der öffentlichen Beratung i m Plenum, bestimmt naturgemäß den Gegenstand der Kleinen Anfragen. Allerdings erscheint die Ausgestaltung des Rechtes i n der Geschäftsordnung des Bundestages insoweit leicht widerspruchsvoll. Einmal legt nämlich die geforderte hohe Zahl von Abgeordnetenunterschriften den Schluß nahe, daß bei den Kleinen Anfragen ausgesprochen personengebundene oder lokalbegrenzte Fragen ausgeschieden werden sollen; zum anderen könnten dagegen durch das rein schriftliche Verfahren „außerhalb" des Plenums gerade solche sehr speziellen Fragen, die für andere Abgeordnete nicht von Interesse sind, gefördert werden. Hinzu kommt, daß die Geschäftsordnung bei den Kleinen Anfragen — i m Gegensatz zu den Großen und Mündlichen Anfragen — den Gegenstand näher präzisiert hat, indem sie die Kleinen Anfragen als Mittel bezeichnet, m i t deren Hilfe die Abgeordneten „Auskunft über bestimmt bezeichnete Bereiche" erhalten können. Dieser Bezeichnung und Einstufung der Kleinen Anfragen lediglich als Auskunftsmittel widerspricht i n etwa die Bezeichnung als An-Frage, da diesem Wort — i m Gegensatz zu dem Wort „Frage" — über die Informationsbedeutung hinaus ein k r i tischer Unterton anhaftet. Der somit nicht ganz eindeutigen Konzeption des Parlaments beim Aufstellen der Geschäftsordnungsbestimmungen über die Kleinen Anfragen entspricht die bunte Vielfalt der i n diesen Anfragen angesprochenen Themen. Für sie mag folgende Übersicht instruktiv sein, die aus den mehr als 1100 Kleinen Anfragen der ersten 3 Wahlperioden folgende beispielhaft heraushebt: I n der 1. Wahlperiode wurden nach Inkrafttreten der neuen Bundestagsgeschäftsordnung unter anderem Kleine Anfragen gestellt: betr. Unbezahlte Handwerkerrechnungen f ü r Lieferungen u n d Leistungen an ehemalige Dienststellen des Deutschen Reiches (Drucks. 1/2985) betr. Unterrichtung der diplomatischen Vertretungen über das Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für die i m Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Drucks. 1/3447) - oder betr. Schutz der K l e i n - u n d M i t t e l m ü h l e n (Drucks. 1/3889).
I n der 2. Wahlperiode gab es unter anderem Kleine Anfragen: betr. Korruptionsfälle i m Zusammenhang m i t Besatzungsbauten i n der Pfalz (Drucks. 11/437) betr. Durchführung der Hypothekengewinnabgabe i m Lastenausgleichsgesetz (Drucks. 11/673) - u n d betr. Verkehrsgefährdung am Autobahnübergang über das Wiedbachtal (Drucks. 11/2077).
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Anfragen
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I n der 3. Wahlperiode wurden Kleine Anfragen gestellt: betr. A n k a u f v o n Fiatflugzeugen veralteten Typs durch die Bundesregierung (Drucks. III/81) betr. Förderung des Einsatzes von Familienpflegerinnen u n d Dorfhelferinnen (Drucks. III/227) betr. Erhebung des Wirtschafts- u n d Sozialrates der Vereinten Nationen über Nationalparks u n d äquivalente Schutzgebiete (Drucks. III/2965) — u n d betr. Eingreifen des Presse- u n d Informationsamtes i n den Wahlkampf (Drucks. III/3004).
Schon diese wenigen Beispiele zeigen die ungeheure Vielfalt der i n den Kleinen Anfragen aufgegriffenen Themen, die sich jeder Schematisierung entziehen. Betrachtet man jedoch den Inhalt der Kleinen Anfragen i m Zusammenhang m i t den Intentionen der Fragesteller und der Kontrollfunktion ihrer Anfragen, so lassen sich doch immerhin einige Schwerpunkte aufzeigen. Hierfür kann zunächst eine Übersicht einigen Aufschluß geben, die die Kleinen Anfragen nach Ressorts aufschlüsselt, d.h., nach den Bundesministerien, von denen sie beantwortet wurden. Diese Zusammenstellung sieht für die 4. Wahlperiode folgendermaßen aus: insgesamt: 308 Kleine Anfragen davon schriftlich beantwortet: 300 Diese 300 Kleinen Anfragen verteilten sich wie folgt auf die einzelnen Ressorts: Bundesminister des I n n e r n Bundesminister des Auswärtigen Bundesminister f ü r Verkehr Bundesminister f ü r Ernährung, Landwirtschaft u n d Forsten Bundesminister f ü r Gesundheitswesen Bundesminister der Finanzen Bundesminister der Justiz Bundesminister der Verteidigung alle übrigen (einschl. Bundespresseamt)
48 46 31 29 27 22 21 13 63
A n dieser Übersicht fällt auf, daß zwar die meisten Kleinen Anfragen i n die Zuständigkeit der sog. „klassischen" Ministerien fielen, daß aber andererseits auch eine auffallend große Zahl Kleiner Anfragen vom Verkehrs· und auch vom kleinen Gesundheitsministerium beantwortet w u r den. Während sonst i n der Regel Kleine Anfragen für das gleiche M i nisterium wegen der Ressortbreite nach Inhalt und auch Funktion sehr unterschiedlich sind — i n die Zuständigkeit des Innenministeriums fielen beispielsweise neben den zahlreichen Fragen zur Beamtenbesoldung (Drucks. IV/275, 2215, 2277, 2406, 2587, 3205) unter anderen Fragen über das Vorschlagswesen i n der Bundesverwaltung (Drucks. IV/299), über den zivilen Bevölkerungsschutz (Drucks. IV/151, 990, 2629) über die Wettbewerbslage zwischen Presse und Rundfunk und Fernsehen (Drucks.
152
3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
IV/1385) und über die Studentenförderung nach dem Honneffer Modell (Drucks. IV/1749) —, zeigt sich bei den Kleinen Anfragen, die vom Verkehrs« und Gesundheitsministerium beantwortet wurden, eine verhältnismäßig große Übereinstimmung i n Gegenstand und Ziel: sie wurden i n ihrer überwiegenden Anzahl eingebracht, u m auf Mißstände i m Land und Belästigungen der Bevölkerung hinzuweisen und u m Anregungen zu deren Beseitigung zu geben. Bezeichnend für diese A r t von Kleinen Anfragen, die es vor allem i m Zuständigkeitsbereich des Verkehrs- und Gesundheitsministeriums, aber auch bei anderen Ressorts gibt, ist folgende Kleine Anfrage der Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal), Bading, Margulies und Genossen betr. Sicherheit i m Straßenverkehr: „ W i r fragen die Bundesregierung: Wie beurteilen die zuständigen Stellen die Hinweise, daß die Stoßstangen der Kraftfahrzeuge 1. i n ihrer F u n k t i o n als Aufprallschutz bei Unfällen das wichtigste, aber leider rückständigste Detail am Kraftfahrzeug sind, 2. meistens weder den genügenden Abstand v o m Fahrzeug haben, noch ausreichend verankert sind u n d 3. aus besserem Material durchaus so verformbar u n d elastisch gebaut w e r den könnten, daß sie gegenüber den bisherigen Vorrichtungen bei einem A u f p r a l l das Vielfache auffangen würden 1 ?"
Kennzeichen dieser A r t von Anfragen ist, daß sie i m Grunde i n erster Linie keine Informations-, sondern informierende Fragen sind. Die Bundesregierung w i r d nicht, wie es § 110 GO vorsieht, u m Auskunft über Tatsachen gebeten, sondern ihr werden Tatsachen oder Ansichten vorgetragen — sie w i r d informiert — und dann — zum Teil nur noch rhetorisch — u m ihre Meinung zu dem Vorgetragenen gefragt. Die Bedeutung dieser Anfragen liegt m i t h i n nicht i n einem Auskunftsverlangen, sondern darin, daß die Bundesregierung aufmerksam gemacht wird, daß ihr ein Anstoß gegeben wird. Man kann insoweit von i m weitesten Sinne dirigierender Kontrolle sprechen. Zum Teil verdichten sich dabei die A n regungen auch zu konkreten Vorschlägen: „ W i r fragen die Bundesregierung: W a n n w i r d der Bundesminister f ü r Verkehr zum Schutze v o n Wasserversorgung oder Heilquellen v o r schädlichen E i n w i r k u n g e n durch wassergefährdende Stoffe entsprechend der v o m Bundestag eingefügten u n d am 26. Dezember 1964 i n K r a f t getretenen Ermächtigung nach § 6 Absatz 1 Nr. 4 des Straßenverkehrsgesetzes eine Rechtsverordnung über die Beschaffenheit der Beförderungsbehälter, über etwaige Verkehrsbeschränkungen sowie über das Verhalten i m Straßenverkehr u n d nach einem Schadensfall erlassen?" (Drucks. IV/3697)
Bei dieser A r t von Anfragen ist recht häufig — wie die o. a. Kleine A n frage zeigt — neben der Anregung zugleich ein kritischer Unterton zu 1
Drucks. IV/585.
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Anfragen
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spüren. Die Regierung w i r d nicht nur aufgefordert, etwas zu tun, sondern gleichzeitig auch gerügt, w e i l sie es noch nicht getan hat. Dirigierende und korrigierende Kontrolle gehen insoweit ineinander über, ohne daß für den Außenstehenden immer erkennbar ist, welche A r t der Kontrolle von allem intendiert ist. Kleine Anfragen dieser A r t , i n denen die Regierung i n zugleich dirigierender und korrigierender Form vor allem als Hilfsorgan der gesetzgebenden Körperschaft angesprochen wird, sind sehr häufig i n allen Ressorts. Hier zeigt sich, daß die Parlamentarier die zu regelnden Sachverhalte sehen und auch eigene Vorstellungen entwickeln, sich selbst aber nicht i n der Lage fühlen, die Gesetzentwürfe auszuarbeiten. Fragen wie „ W a n n k a n n damit gerechnet werden, daß dem Bundestag ein Gesetzentw u r f zugeleitet w i r d , der sicherstellt, daß . . . "
kommen immer wieder vor, wobei die Anfragen teils mehr als Anregung, teils mehr als Anmahnung bei Versäumnis gedacht sind. Auch Kleine Anfragen, die eine Abänderung bestehender Gesetze anregen oder eine unterlassene Änderung rügen, sind nicht selten. Fragen über sehr spezielle oder lokal eng begrenzte Angelegenheiten werden dagegen nicht oft gestellt. Hier w i r k t sich die Vorschrift aus, die die Unterschrift von soviel Abgeordneten fordert, wie der Fraktionsmindeststärke entspricht. Wenn es Kleine Anfragen über lokale Probleme gibt, betreffen sie meist einen etwas größeren Raum, wie etwa i n der 4. Wahlperiode die Kleinen Anfragen über Rationalisierungsmaßnahmen der Deutschen Bundesbahn i m Eifelgrenzraum (Drucks. IV/7) oder über die Ortsumgehungen bei der Β 9 (Drucks. IV/2192). Diese lokal bezogenen Fragen bekommen dabei durch die Unterschrift von früher mindestens 15, heute mindestens 26 Abgeordneten ein stärkeres Gewicht. Auffallend ist, daß es eine große Anzahl von Kleinen Anfragen gibt, die u m die europäischen Organisationen kreist. Dabei geht es den Fragestellern, die i n aller Regel Mitglieder der Beratenden Versammlung des Europarates, der Westeuropäischen Union oder des Europaparlamentes sind, vor allem darum, die i n diesen Gremien geleistete Arbeit sichtbar zu machen und bei der Bundesregierung auf die Durchführung von Empfehlungen und die schnelle Vorbereitung der Ratifizierung von Konventionen zu drängen. Als bezeichnend für diese A r t von Kleinen Anfragen sei die folgende Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hubert, Höfler und Genossen vom 15. 11. 1961 (Drucks. IV/17) betr. Ratifizierung von Übereinkommen des Europarates zitiert: „ W i r fragen die Bundesregierung: 1. Ist die Prüfung der Rechtsförmlichkeit des Zustimmungsgesetzes zu dem am 15. Dezember 1958 unterzeichneten Europäischen Übereinkommen über den
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Austausch therapeutischer Substanzen menschlichen Ursprungs abgeschlossen, u n d bis w a n n k a n n m i t der Zuleitung einer entsprechenden Gesetzesvorlage an den Deutschen Bundestag gerechnet werden? 2. Welches ist der Stand der Ratifizierung des am 28. A p r i l 1960 unterzeichneten Abkommens über die vorübergehende zollfreie E i n f u h r v o n medicochemischem Gerät f ü r Krankenhäuser zu diagnostischen Zwecken u n d als kostenlose Leihgabe?"
Gerade diese kleinen Anfragen über den Stand der Ratifizierung von europäischen Konventionen kommen wiederholt vor. M i t ihnen wollen die Abgeordneten erreichen, daß die von ihnen i n den europäischen Organisationen ergriffenen Initiativen nicht durch ein zu langsames A r beiten der nationalen Exekutive verschleppt werden. Die Regierung w i r d dabei zugleich als Hilfsorgan der Legislative und als Leitungsorgan der Exekutive angesprochen. Unter den zahlreichen Kleinen Anfragen fällt weiter eine Gruppe von Anfragen auf, deren Kennzeichen es ist, daß sie Probleme ansprechen, deren relative Geheimhaltung geboten erscheint. Aus dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums gehören hierzu die Fragen über A n gelegenheiten des Verfassungsschutzes, wie ζ. B. die i n der 4. Wahlperiode äußerst brisanten Fragen über die Telefon- und Postüberwachung (Drucks. IV/1485, 1571), über die Behandlung des Falles Frenzel 2 (Drucksache IV/594, 632) sowie mehrere Anfragen i m Zusammenhang m i t der sog. Spiegelaffäre (Drucks. IV/755, 845, 1061). Aus dem Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums können i n diesem Zusammenhang genannt werden die wiederholten Kleinen Anfragen betreffend den sog. Epstein-Artikel 3 (Drucks. IV/1064, 1407) und betreffend die Entführung und Rückführung von Oberst Argoud 4 (Drucks. IV/1067, 1261, 1468), während beispielsweise aus dem Verteidigungsressort die Kleinen Anfragen über Rüstungsaufträge und Auftragsschiebereien (Drucks. IV/676), über die Behandlung des Falles Barth (Drucks. IV/1059) und über Flugzeugunfälle bei der Bundeswehr (Drucks. IV/2688) als signifikant hervorgehoben werden können. Insgesamt kann gesagt werden, daß bei Angelegenheiten, die zwar nicht geheim, deren allzu große Verbreitung i n der Öffentlichkeit jedoch nicht immer opportun erscheint, wie ζ. B. bei Fragen über Angelegenheiten des Verfassungsschutzes oder der Geheimdienste, auch bei Fragen über Einzelheiten der Landesverteidigung und der Rü2 Es handelte sich dabei u m einen SPD-Bundestagsabgeordneten, der M i t glied des Verteidigungsausschusses gewesen w a r u n d 1962 als tschechoslowakischer Spion entlarvt wurde. 3 Es handelte sich dabei u m die Veröffentlichung von geheimen Berichten deutscher Auslandvertretungen an das Auswärtige A m t durch den amerikanischen Journalisten Epstein i n der der Regierung nahestehenden Zeitung „Rheinischer M e r k u r " v o m 31. 8.1962. 4 Der französische Staatsbürger u n d Politiker Argoud w a r am 25. 2.1963 — wahrscheinlich v o m französischen Geheimdienst — unter Verletzung der Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland aus München entführt worden.
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stung, a l l e F r a k t i o n e n d a z u neigen, die A u s k u n f t m i t H i l f e der K l e i n e n A n f r a g e n z u e r b i t t e n . Z w a r w e r d e n diese F r a g e n k o m p l e x e z u m T e i l auch — v o r a l l e m seit der 4. W a h l p e r i o d e — i n der F r a g e s t u n d e angesprochen, doch s i n d K l e i n e A n f r a g e n a u f diesen G e b i e t e n a u f f a l l e n d häufig. I h r r e i n schriftliches V e r f a h r e n , das eine v e r m i n d e r t e P u b l i z i t ä t b e d i n g t , scheint d e n F r a g e s t e l l e r n besonders g u t geeignet z u sein. E r s t a u n l i c h e r w e i s e g i l t das sogar selbst dann, w e n n d e n F r a g e n politischer, j a sogar p a r t e i p o l i t i s c h e r Z ü n d s t o f f i n n e w o h n t u n d auch d i e d u r c h die Presse u n t e r r i c h t e t e Ö f f e n t l i c h k e i t s t a r k i n t e r e s s i e r t ist. A l s B e i s p i e l h i e r f ü r sei eine A n f r a g e v o n C D U / C S U - A b g e o r d n e t e n z u m F a l l des S P D Abgeordneten Frenzel zitiert: „Der frühere Bezirksvorsitzende der pfälzischen Sozialdemokraten, Bögler, hat schon v o r Wochen die Behauptung aufgestellt, m i t an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sitze i n der SPD-Parteispitze ein Ostagent. Er hat diesen V o r w u r f m i t dem Hinweis begründet, daß er den Parteivorstand der SPD bereits 1957 auf Grund persönlicher Beobachtungen v o r Frenzel gewarnt habe, daß i h m die persönliche Konfrontierung m i t Frenzel verweigert worden sei u n d daß sein Bericht v o m Parteischiedsgericht nicht ordnungsgemäß behandelt, sondern i n der Schublade des Parteivorsitzenden Ollenhauer verschwunden sei. Die SPD hat daraufhin erklärt, die f ü r die Sicherheit der Bundesrepublik verantwortlichen Stellen seien damals über die Wahrnehmungen Böglers i n formiert u n d u m Amtshilfe gebeten worden. Offensichtlich sind die Anschuldigungen, die Bögler gegen Frenzel erhoben hat, v o r dem Parteischiedsgericht der SPD nicht einmal offiziell verhandelt worden. W i r fragen die Bundesregierung: 1. Sind dem Bundesamt f ü r Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt oder dem Bundesnachrichtendienst die Wahrnehmungen Böglers v o n der SPD offiziell mitgeteilt worden? Wenn ja, was ist erfolgt, oder w a r u m ist nichts unternommen worden? 2. . . . 3. Hat die Bundesregierung oder ein f ü r die Sicherheit der Bundesrepublik zuständiges Organ v o n der SPD verlangt, daß sie aus staatspolitischen Geheimhaltungsgründen die Stelle, der die Wahrnehmungen Böglers mitgeteilt worden sind, verschweigt, oder bestehen Gründe dagegen, diese Stelle öffentlich zu nennen? Bonn, den 10. September 1962" 5 , 6 5
Drucks. IV/632. Bezugnehmend auf eine vorausgegangene Kleine Anfrage v o n CDU/CSUAbgeordneten zum F a l l Frenzel reichte der SPD-Ab geordnete Dr. Mommer f ü r die Fragestunde am 9. Oktober 1962 folgende mündliche Anfrage ein: „Ist es richtig, daß der H e r r Bundesverteidigungsminister bei der Landesgruppe der CSU i n der F r a k t i o n der CDU/CSU die Einbringung einer Kleinen Anfrage betreffend Auslieferung des deutschen Verräters Frenzel an die Tschechoslowakei angeregt u n d empfohlen hat, durch die bis dahin ein streng vertraulicher Vorgang einer größeren A n z a h l von Abgeordneten ohne Vertraulichkeitsbeschränkung bekanntgegeben wurde u n d i n die Öffentlichkeit gekommen ist?" (Drucks. IV/655.) — Der damalige Bundesverteidigungsminister Strauß beantwortete diese Anfragen schriftlich (!) u. a. wie folgt: „Die Bundesregierung hat 6
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Wenn auch durch solche A r t von Anfragen i m Einzelfall hochpolitische Angelegenheiten berührt werden konnten, so geht es bei den Kleinen Anfragen doch fast immer u m Einzelfragen und nicht u m generelle politische Grundsatzprobleme. Nicht die Richtungskontrolle, sondern die Sach- und Leistungskontrolle steht i m Vordergrund. Als politisches Führungsorgan i n den großen politischen Richtlinienfragen w i r d die Regierung i n der Regel nicht durch Kleine, sondern durch Große Anfragen kontrolliert; diese bieten, w e i l sie regelmäßig zu einer Debatte i m Plenum führen, eine bessere Form der Auseinandersetzung. Während bei den Großen Anfragen deutlich die Tendenz der Konzentration auf diese politischen Richtlinienfragen — und damit Hand i n Hand gehend, ein starker zahlenmäßiger Rückgang — zu beobachten ist, gibt es bei den Kleinen Anfragen weder eine auffallende Veränderung i m Gegenstand noch eine eindeutige A u f - oder Abwärtsentwicklung i n der zahlenmäßigen Entwicklung zu verzeichnen. Die Anzahl der Kleinen A n fragen stieg i n den ersten 3 Wahlperioden zunächst leicht an, u m dann i n der 4. Wahlperiode auf den bisherigen Tief- und i n der 5. Wahlperiode auf den bisherigen Höchststand zu klettern. Übersicht Kleine 1. Wp. (1949 2. Wp. (1953 3. Wp. (1957 4. Wp. (1961 5. Wp. (1965 -
Anfragen
1953) 1957) 1961) 1965) 1969)
= = = = =
7
355 377 411 3088 (308) 488 (465)9
Das beständige — wenn auch nur leichte — Anwachsen der Zahl der Kleinen Anfragen i n den ersten 3 Wahlperioden ist w o h l ζ. T. m i t der gleichzeitigen starken Abnahme der Großen Anfragen zu erklären. Diese haben sich ja — wie oben hervorgehoben — von Jahr zu Jahr mehr von Einzelfragen ab- und den großen politischen Richtlinienfragen zugewandt. Kehrseite dieser Konzentrierungstendenz bei den Großen A n keine Möglichkeit festzustellen, ob Abgeordnete auf eigene Initiative oder auf fremde Veranlassung eine parlamentarische Anfrage stellen. Ich habe die Kleine Anfrage betreffend Auslieferung des Fr. nicht veranlaßt." 7 Die Zahlen folgen den Sachregistern des Bundestages f ü r die einzelnen
Wahlperioden. Mitgezählt sind hier auch die — wenigen — K l e i n e n Anfragen, die von den Fragestellern zurückgenommen wurden, auf deren Beantwortung verzichtet wurde oder deren A r t der Erledigung aus den Bundestagsregistern nicht ersichtlich ist. 8 V o n diesen 308 K l e i n e n Anfragen w u r d e n 3 zurückgenommen, bei 2 weiteren verzichteten die Fragesteller auf eine Beantwortung, 1 erledigte sich durch mündliche Unterrichtung. Bei 3 weiteren Kleinen Anfragen ist das „Ob" u n d die A r t der Erledigung aus den BT-Drucksachen u n d dem Sachregister nicht ersichtlich. 9 Die i n K l a m m e r n zitierten Zahlen f ü r die 4. u n d 5. Wp. werden angegeben v o n Kaiser, i n „Die Zeit" v o m 9.1.1970.
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fragen scheint — neben dem Anwachsen der Zahl der Mündlichen A n fragen — die Zunahme der Kleinen Anfragen zu sein; da diese nicht zu einer Beratung i m Plenum führen, konnten sie offensichtlich Fragekomplexe, deren parlamentarische Besprechung den Fragestellern nicht erforderlich erschien, von den Großen Anfragen übernehmen. Schwer zu erklären erscheint dagegen auf den ersten Blick die relativ geringe Anzahl von Kleinen Anfragen i n der 4. Wahlperiode, da i n diesem Zeitraum auch die Zahl der Großen Anfragen weiter abnahm. Vielleicht w i r d hier aber zum ersten Mal die Fragestunde bedeutsam. Seit ihrer Einführung am 1. Januar 1952 hatte sie sich zunächst nicht so recht durchsetzen können; erst m i t Verabschiedung der neuen Richtlinien gegen Ende der 3. Wahlperiode, die unter anderem die Möglichkeit von Zusatzfragen gebracht hatten, nahm die Fragestunde, wie i m einzelnen noch zu zeigen sein wird, stark an Bedeutung zu. Dieser steigenden Bedeutung entsprach ein zahlenmäßiger Anstieg der Mündlichen Anfragen von einer Wahlperiode zur anderen um mehr als das Dreifache 10 . Ausfluß davon könnte die gleichzeitige Abnahme der Kleinen Anfragen i m 4. Bundestag gewesen sein. — Allerdings wäre dann nicht recht verständlich, warum i n der 5. Wahlperiode die Anzahl der Kleinen Anfragen auf ihren bisherigen Höchststand kletterte, während sich gleichzeitig auch die Zahl der Mündlichen Anfragen wiederum verdoppelte 11 . So mag die geringe Anzahl von Kleinen Anfragen i n der 4. Wahlperiode auch mit der politischen Konstellation i n dieser Wahlperiode zusammenhängen, zumal auch die Anzahl der Großen Anfragen i n der 4. Wahlperiode ihren Tiefstand erreichte. Zusammenfassend ist damit festzuhalten: Bei einem Schnitt von rd. 350 - 450 Kleinen Anfragen pro Wahlperiode sind die i n ihnen angesprochenen Themenkreise ungeheuer vielfältig. Lediglich Fragen über lokal oder persönlich eng begrenzte Einzelfälle einerseits und über große politische Grundsatzprobleme andererseits sind relativ selten. Grund hierfür ist einmal die i n der Geschäftsordnung vorgeschriebene Unterschrift von mehreren Abgeordneten und zum anderen die Schriftlichkeit des Verfahrens, die eine Plenumsdebatte ausschließt. Nach der Geschäftsordnung sind die Kleinen Anfragen als Informationsmittel gedacht. I n der parlamentarischen Praxis gehen sie jedoch häufig über ein bloßes Auskunftverlangen heraus. Oft sind sie als A n 10 I n der 3. Wahlperiode w u r d e n 1538, i n der 4. dagegen 4896 Mündliche A n fragen gestellt: vgl. hierzu auch BT-Präsident Dr. Gerstenmeier i n der 196. Sitzung der 4. Wp. (StenB IV/S. 10032 B, C), der zu diesem Zeitpunkt allerdings f ü r die 4. Wp. n u r 4717 Mündliche Anfragen nennt. 11 Kaiser, i n „Die Zeit" v o m 9.1.1970, gibt f ü r die 5. Wp. 10 480 Mündliche Anfragen an.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
regung oder Anstoß gedacht; Mißstände i m Land und Belästigungen und Gefahren für die Bevölkerung werden aufgezeigt und Vorschläge zu ihrer Beseitigung gemacht; auch werden praktische Erfahrungen und Forschungsergebnisse der Wissenschaft vorgetragen mit der Empfehlung an die Regierung, daraus Konsequenzen zu ziehen. Nicht selten gehen dabei Anregung und K r i t i k an der Regierung ineinander über. Eine andere große Gruppe von Kleinen Anfragen dient direkt und unmittelbar der Kontrolle der Exekutive. Hauptansatzpunkt ist dabei das immer wieder gerügte zu langsame Arbeiten der Exekutive, vor allem bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen, aber auch bei der Anfertigung von Berichten und der Abgabe von Stellungnahmen. Die Regierung w i r d dabei gleichzeitig i n ihrer Rolle als Leitungs- und Aufsichtsorgan der Exekutive und als Hilfsorgan der Legislative angesprochen und kontrolliert. K r i t i k an sonstigen einzelnen Mängeln i n der Verwaltung, insbesondere an einem unkorrekten Verhalten von Ministern und Beamten ist dagegen relativ selten. Sie gab es zwar i n der 4. Wahlperiode beispielsweise bei den Fragen zur Spiegelaffäre oder über Rüstungsaufträge i m Bereich des Verteidigungsministeriums — doch zeigt sich, daß die Parlamentarier für solche Anfragen i n der Regel überfordert sind. Die Exekutive ist zu groß und unübersichtlich geworden, als daß die Abgeordneten noch den für eine intensive Kontrolle notwendigen Überblick über die internen Verhältnisse der Verwaltung hätten. So kommt es, daß Kleine Anfragen i n diesem Bereich, wenn es sie überhaupt gibt, häufig durch Recherchen i n der Presse vorbereitet wurden. 2. Die Fragesteller
Der Feststellung, daß die Kleinen Anfragen i n ihrer überwiegenden Anzahl nicht grundsätzliche Richtlinienfragen der Großen Politik betreffen, entspricht die Tatsache, daß die Fraktionen des Bundestages hier bei weitem nicht so geschlossen auftreten wie bei den Großen Anfragen. Während i n der 4. Wahlperiode mit einer Ausnahme alle Großen A n fragen von geschlossenen Fraktionen gestellt wurden, wurden bei den Kleinen Anfragen nur gut ein Drittel — nämlich 108 von 308 — ausschließlich von einer Fraktion eingebracht. Hinzu kommen allerdings noch 29 12 Kleine Anfragen, die zwar von einer Abgeordnetengruppe gestellt wurden, die aber den Zusatz „und Fraktion" tragen 13 . 12 Diese Z a h l wurde nach dem Sachregister des Bundestages für die 4. Wahlperiode errechnet. Sie mag i n Wirklichkeit etwas höher liegen, da die Sachregister bei der E r w ä h r u n g des Zusatzes „ u n d F r a k t i o n " nicht ganz zuverlässig sind. 13 Da nach der Arbeits- bzw. Geschäftsordnung der beiden großen F r a k tionen des Bundestages die K l e i n e n Anfragen znächst i m Fraktionssekretariat eingereicht werden (§13 A O CDU/CSU) bzw. dem Fraktionsvorstand vorgelegt werden müssen (§ 5 GO SPD), können sie dort leicht m i t dem Zusatz „ u n d
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Alle übrigen Anfragen dagegen — d. h., weit mehr als die Hälfte der Kleinen Anfragen i n der 4. Wahlperiode — wurden ausschließlich von Abgeordnetengruppen eingebracht. Es ist bezeichnend, daß diese Abgeordnetengruppen sich i n der Mehrzahl aus Parlamentariern der Regierungsparteien zusammensetzten, während bei den Kleinen Anfragen ganzer Fraktionen mehr als 90 °/o (127 von 137) von der oppositionellen SPD gestellt wurden. Die Oppositionspartei und ihre Mitglieder versprechen sich offenbar von einem möglichst geschlossenen Auftreten einen stärkeren Kontrolleffekt, während die Mitglieder der Regierugnsparteien bei ihren größtenteils parteipolitisch neutralen Kleinen Anfragen eine Unterstützung seitens der Fraktionen nicht für erforderlich halten. I n der Gesamtzahl aller Kleinen Anfragen sind keine großen Unterschiede i n der A k t i v i t ä t zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien festzustellen. Die Berliner Modellstudie errechnet sogar für die 2. Wahlperiode ein leichtes Überwiegen der Kleinen Anfragen von Abgeordneten der Regierungsparteien 14 . Nicht zu Unrecht führt sie das auf das rein schriftliche Verfahren bei den Kleinen Anfragen zurück, durch das sich kaum ein „parteipropagandistischer Effekt" erzielen lasse. Aus dem gleichen Grunde ist es auch erklärlich, daß es eine bemerkenswert hohe Anzahl von Kleinen Anfragen gibt, die von Parlamentariern der Regierungs- und Oppositionsparteien gemeinsam eingebracht werden. I n der 4. Wahlperiode dürften es fast 2 0 % aller Kleinen Anfragen gewesen sein. Wiederholt schlossen sich ζ. B. die Mitglieder der europäischen Parlamente, also der Beratenden Versammlung des Europarates, der Westeuropäischen Union und des Europaparlamentes i n Straßburg, ohne Rücksicht auf ihre Fraktionszugehörigkeit, zusammen, u m Kleine Anfragen zu formulieren, die i m Zusammenhang m i t ihrer europäischen Parlamentstätigkeit standen 15 . Vor allem aber sticht bei den Kleinen Anfragen aus interfraktionellen Abgeordnetenkreisen eine Gruppe u m die Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU), Bading (SPD) und Margulies bzw. Dr. Imle (FDP) i n die Augen. Bei diesen Abgeordneten handelt es sich u m die Vorstandsmitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft; ihre Anfragen wurden praktisch i m Namen dieser Organisation und ihrer Mitglieder eingebracht. Da i n der 4. Wahlperiode allein 30 — das sind F r a k t i o n " versehen werden, zumal w e n n noch Unterschriften fehlen, oder wenn die Bedeutung der Anfrage unterstrichen werden soll. I n der Praxis des 4. B u n destages gab es solche Zusätze — m i t ganz wenigen Ausnahmen — n u r bei der SPD-Fraktion. 14 a.a.O., S. 83. Das Verhältnis betrug 180 :146 zugunsten der Regierungsparteien. 15 Vgl. auch Schäfer, Der Bundestag, S. 237.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
rund 10 % aller Kleinen Anfragen — von den Vorstandsmitgliedern der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft eingebracht wurden (zum Vergleich: die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP stellten nur 10 Kleine Anfragen!), muß kurz auf Aufgabe und Tätigkeit dieser A r beitsgemeinschaft eingegangen werden: Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft ist ein freier Zusammenschluß von ca. 300 Abgeordneten des Bundestages und der Länder, die es sich gem. A r t . 2 Abs. 2 ihrer Statuten vor allem zur Aufgabe gemacht hat, ,,a) durch persönliche u n d sachliche Zusammenarbeit unter den Mitgliedern der verschiedenen Parlamente u n d Fraktionen die Voraussetzungen zu schaffen, u m zu I n i t i a t i v e n auf den Gebieten zu gelangen, die sich als gemeinsame Aufgabe anbieten; das gilt besonders f ü r die Sicherung der notwendigen Lebensgrundlagen und eine Mensch u n d N a t u r gerecht werdende Nutzung u n d Erhaltung der natürlichen Hilfsquellen; b) eine enge Verbindung zur Wissenschaft zu halten u n d deren Erkenntnis f ü r die Parlamentarische Arbeit nutzbar zu machen; c) zur Entwicklung v o n Recht u n d Organisation der parlamentarischen I n s t i tutionen beizutragen; d) i m Dienste gemeinsamer I n i t i a t i v e n alle notwendigen Unterlagen zu sammeln, auszuwerten u n d bereitzustellen; e) die Arbeit ihrer Mitglieder durch fachliche Hinweise zu unterstützen u n d den gegenseitigen Austausch von Unterlagen u n d Erfahrungen zwischen den Parlamenten zu fördern 1 6 ."
Da die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft i m übrigen über eigene Räume und einen eigenen, wenn auch kleinen, hauptamtlichen Mitarbeiterstab verfügt, bietet sie den Abgeordneten, die bis zum Jahre 1969 außer ihren Fraktionsbüros und einigen wenigen wissenschaftlichen Mitarbeitern der Fraktionen und des Bundestages kaum über technische und wissenschaftliche Hilfsmittel verfügten, gute Arbeitsmöglichkeiten für ein interfraktionelles Vorgehen. Sowohl nach Anzahl wie nach Inhalt sind die Kleinen Anfragen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft von nicht zu unterschätzender Wirkung. Sie stellen insbesondere einen großen Teil derjenigen Anfragen dar, die i n die Zuständigkeit des Verkehrs- und des Gesundheitsministeriums fallen, und die i n der Frage häufig zugleich auch eine Anregung für die Bundesregierung enthalten. 3. Die Kontrollintensität
Da hinter allen Kleinen Anfragen jeweils eine Gruppe von mehreren Abgeordneten — häufig noch aus verschiedenen Fraktionen — steht, bekommen die Anfragen auch gegenüber der Regierung ein starkes Ge16 Statuten der I P A i. d. F. v o m 31. Januar 1967 (Drucks. Nr. 414, zu 414 u n d 434), abgedruckt i n : Recht u n d Organisation der Parlamente I I , S. 300101.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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wicht. Sie werden i n der Regel Punkt für Punkt und äußerst gründlich und erschöpfend beantwortet. Für die Kontrollintensität ist es dabei von besonderer Bedeutung, daß die Kleinen Anfragen entweder von ganzen Fraktionen oder — noch häufiger — von Abgeordnetengruppen eingebracht werden, die speziell an dem Fragekomplex ein großes Interesse haben und sich meist auch durch gute Sachkenntnis auszeichnen 17 . W i r d eine Kleine Anfrage unrichtig oder vor allem unzulänglich beantwortet, so w i r d das von den Fragestellern i n der Regel gemerkt; sie gehen dann durch erneute Anfragen der Sache weiter nach. Es ist erstaunlich, festzustellen, wieviel Kleine A n fragen mehrmals eingebracht und wieviel Themen und Sachverhalte wiederholt angesprochen wurden, sei es, weil die erste A n t w o r t aus bestimmten Gründen nicht erschöpfend sein konnte oder sei es, daß sie unrichtig oder unvollständig war. — Zum Teil soll durch das wiederholte Einbringen von Kleinen Anfragen zum selben Thema allerdings auch ein — vor allem politischer — Druck ausgeübt werden (als Beispiel wären i n der 4. Wahlperiode die wiederholten Anfragen zur Beamtenbesoldung zu nennen!) — während es andererseits Kleine Anfragen gibt, bei denen sich zwischen den Fragestellern und dem zuständigen Ministerium eine A r t schriftlicher Fachdiskussion ergibt, wie es i n der 4. Wahlperiode bei den zahlreichen Anfragen zum Problem der Sicherheit i m Straßenverkehr der Fall war. Insgesamt ist festzuhalten, daß die Kontrollintensität der Kleinen A n fragen recht hoch zu veranschlagen ist. Dies ist einerseits auf die Schriftlichkeit des Verfahrens und die dadurch bedingte Sachlichkeit und Gründlichkeit zurückzuführen und andererseits auf das starke Interesse und die i n der Regel große Sachkenntnis der i n Gruppen zusammengeschlossenen Fragesteller.
IV. Kontrolle durch Mündliche Anfragen 1. Zahlenmäßige Entwicklung, Gegenstand u n d Parlamentspraxis 1
Gemessen an den Zahlen sind die Mündlichen Anfragen das bei weitem beliebteste Kontrollmittel der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Die Zahl der Mündlichen Anfragen steigt von Wahlperiode zu Wahlperiode. Folgende Übersicht demonstriert das i n aller Deutlichkeit: 17 V o n der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft beispielsweise ist bekannt, daß sie vor dem Einbringen einer Kleinen Anfrage zunächst ausreichend Material über den Fragenkomplex sammelt u n d dadurch ihre Mitglieder i n die Lage versetzt, die A n t w o r t der Regierung sachverständig zu prüfen. 1 Während i m 2. K a p i t e l unter I I I 2 u. 3 i m wesentlichen die Entwicklung des Rechtsinstituts der Fragestunde aufgezeigt wurde, soll i m folgenden mehr die praktische Handhabung u n d politische Entwicklung unter dem Gesichts-
1
Witte
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen Anzahl der Mündlichen
1. Wp. (1949 2. Wp. (1953 3. Wp. (1957 4. Wp. (1961 5. Wp. (1965 -
1953) 392 1957) 1069 1961) 1538 (1375) 1965) 4896 (4786) 1969) (10480)2
Anfragen
(Einführung der Fragestunde i m Dezember 1951) (Neugestaltung der Fragestunde i m J u n i 1960)
Das stetige Anwachsen der Zahl der Mündlichen Anfragen i n den ersten 3 Wahlperioden zeigt, daß dieses erst gut 2 Jahre nach der Konstituierung des Deutschen Bundestages eingeführte Kontrollmittel zunehmend ins Bewußtsein der Abgeordneten drang. Hinzu kommt, daß nach und nach die technischen Möglichkeiten für den Ablauf der Fragestunde verbessert wurden. Auffallend an der zahlenmäßigen Übersicht ist vor allem der überwältigende Anstieg der Zahl der Mündlichen Anfragen von der 3. zur 4. Wahlperiode, wo sie um mehr als das Dreifache zunahm, u m sich dann i n der 5. Wahlperiode nochmals zu verdoppeln. Grund hierfür ist offensichtlich die Neugestaltung der Fragestunde i m Jahre 1960. Durch die damals verabschiedeten Richtlinien für die Fragestunde waren ja u. a. Einzelfragen aus dem Bereich der Bundespolitik ausdrücklich für zulässig erklärt worden; den Abgeordneten war außerdem die Möglichkeit eingeräumt worden, Fragen von offensichtlich dringendem öffentlichen Interesse noch bis 12 Uhr mittags am Tag vor einer Fragestunde einzureichen. Vor allem aber hatten die Richtlinien allen Abgeordneten des Bundestages die Möglichkeit zu Zusatzfragen eingeräumt und darüber hinaus vorgeschrieben, daß jede Plenarsitzung m i t einer Fragestunde zu beginnen hat. Folge dieser Neugestaltung der Fragestunde war offensichtlich der außergewöhnlich starke Anstieg der Zahl der Mündlichen Anfragen i n der 4. und 5. Wahlperiode, der die Worte von Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaier bestätigt: „ W i r haben die Fragestunde 1952 eingeführt. Daraus ist zunächst nichts Attraktives geworden. Dann haben w i r uns 1960 daran gemacht, diese Sache energischer zu betreiben u n d auch die technischen Erfordernisse dafür gep u n k t der Kontrollbedeutung der Mündlichen Anfragen dargestellt werden. Die Untersuchung folgt dabei hauptsächlich einer Auswertung des Sachregisters des Bundestages sowie einer Auswertung der Presse f ü r die Jahre 1960 - 1970. 2 Die Zahlen beruhen auf mündlichen Auskünften der wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Bundestages. Sie stimmen f ü r die ersten 3 Wahlperioden überein m i t den v o n Schindler i n PVS, 7. Jg., S. 426 u n d i n seiner Dipl.-Arb. gemachten Angaben. Die i n K l a m m e r n angegebenen Zahlen werden von Kaiser i n der Zeitung „Die Zeit" v o m 9.1.1970 zitiert. Die geringfügigen Unterschiede dürften darauf beruhen, daß i m ersten F a l l alle eingereichten Fragen (einschließlich später zurückgezogener u n d nicht erledigter), bei Kaiser aber n u r die tatsächlich erledigten Fragen berücksichtigt werden. Eine genaue Überprüfung ist nicht möglich, da sich aus dem Sachregister des Bundestages n u r die Anzahl der Fragestunden, nicht aber die der Mündlichen Anfragen zusammenstellen läßt.
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schaffen. Ich würde sagen: Das Instrumentarium ist heute da; m a n braucht sich n u r seiner zu bedienen 3 ."
Das ständige Anwachsen der Zahl der Mündlichen Anfragen bereitete und bereitet auf der anderen Seite aber dem Bundestag auch nicht unerhebliche Schwierigkeiten, da die vielen Anfragen i n den zur Verfügung stehenden allgemeinen Plenarsitzungen meist nicht erledigt werden können 4 . So begann man i n der 4. Wahlperiode damit, eigene Plenarsitzungen nur für Fragestunden anzuberaumen — ein Unterfangen, das sich bei der ohnehin großen zeitlichen Überbelastung der Abgeordneten nicht nur positiv auswirkt, da viele Abgeordnete diesen „Sonder-Fragestunden", ebenso wie den morgens früh liegenden Fragestunden, fernblieben 5 . M i t dem Anstieg der Zahl der Mündlichen Anfragen erfolgte also i m Schnitt nicht eine stärkere Teilnahme an den Fragestunden. Die an die Einführung der Mündlichen Anfragen i m Dezember 1951 geknüpfte Hoffnung auf eine Verlebendigung der Parlamentsarbeit durch die Fragestunden erfüllte sich nur i n bescheidenem Rahmen. Die Lebendigkeit der ersten Fragestunde am 23. 1. 1952 und das ihr entgegengebrachte starke Interesse der Abgeordneten und der Öffentlichkeit war schon nach wenigen Wochen verebbt. Ein Grund dafür war die nur mangelhafte Handhabung der Mündlichen Anfragen, die nicht zuletzt auf die nur unzureichende Geschäftsordnungsregelung zurückzuführen war. Vor allem die fehlende Möglichkeit zu Zusatzfragen für andere Abgeordnete bewirkte, daß die Fragestunden zu Lesestunden degradierten, i n denen Fragesteller und Regierungsmitglieder ihre bis ins einzelne vorformulierten Fragen und Antworten ablasen, ohne daß andere Abgeordnete auch nur die Möglichkeit hatten, einzugreifen. Daneben wirkten sich auch die lange Zeit fehlenden technischen Möglichkeiten wie Mikrophone an der Regierungsbank und i m Plenarsaal negativ aus. Während der technische Ablauf der Fragestunde schon bis zum Jahre I960 nach und nach verbessert werden konnte, wurden die Mängel der Geschäftsordnung durch die i m Juni 1960 beschlossenen Richtlinien für die Fragestunde i m wesentlichen beseitigt. I n der Tat wurden die Fragestunden nach dem Juni 1960 — wenigstens zum Teil — lebhafter und interessanter. Grund dafür war insbesondere die nunmehr eingeräumte Möglichkeit zu Zusatzfragen für alle Abgeordneten des Bundestages. 3
I n : Der Spiegel, Nr. 38/1964, S. 34. I m Schnitt w u r d e n i n den 60er Jahren wöchentlich 8 0 - 120 Mündliche A n fragen gestellt. Vgl. dazu auch die Ausführungen des Bundestagsabgeordneten Dr. Mommer, i n : F A Z v. 16. 3.1966. 5 A m 27. 5.1966 berichtete die Rhein-Zeitung Koblenz unter der Überschrift: „ K a u m einer da" von einer Fragestunde, deren Beginn n u r 14 von 519 Bundestagspolitikern („neun der CDU/CSU, vier der SPD u n d ein FDP-Abgeordneter") gefolgt seien. 4
11*
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
I n der ersten Fragestunde, die entsprechend den neuen Richtlinien abgewickelt wurde — am 28. 9. I960 6 —, zeigte sich das i n aller Deutlichkeit: neben den 19 Mündlichen Anfragen wurden allein noch 39 Zusatzfragen gestellt und abgehandelt. Die lebhafteste Diskussion schloß sich dabei an an eine vom Bundesminister für Wohnungsbau zu beantwortende Anfrage über Herstellungskosten und Verbreitung der sog. „Wohnfibel", Zu dieser Frage wurden außer den 2 Zusatzfragen des Fragestellers noch insgesamt 10 weitere Zusatzfragen von anderen Abgeordneten des Hauses eingebracht. Dabei zeigte sich, daß die Abgeordneten der Opposition es geschickt verstanden, die ursprüngliche Frage nach Kosten und Auflage der Wohnfibel durch Zusatzfragen u m einiges zu erweitern und daß sie dabei gleichzeitig ihre K r i t i k an der Regierung i n Frageform vorzutragen wußten. Die Abgeordneten der Regierungsparteien suchten dem angegriffenen Minister ihrerseits durch Zusatzfragen weitere Argumente zuzuspielen. Folgende Ausschnitte 7 aus der lebhaften Diskussion seien als Beispiel für diesen neuen Stil der Fragestunde zitiert, der auch i n der Presse lebhaften Beifall fand. „ D r . Brecht (SPD) : Halten Sie die Unterrichtung u n d die A u f k l ä r u n g der M i e ter auf G r u n d der herausgegebenen ,Wohnfibel' f ü r v ö l l i g ausreichend u n d sind Sie der Meinung, daß die Mieter n u n i n genügender Weise wissen, was es m i t den Mietbeihilfen auf sich hat? Lücke, Bundesminister f ü r Wohnungsbau: Nein! Ich werde bemüht bleiben, i m Rahmen einer weiteren umfangreichen Aufklärungsaktion dafür zu sorgen, daß die noch bestehenden Unklarheiten beseitigt werden. Präsident
Dr. Gerstenmaier:
Noch eine Zusatzfrage, H e r r Abg. Dr. Brecht! (Unruhe) — Meine Damen u n d Herren, dieses Verfahren funktioniert nur, wenn nicht alle durcheinander reden. Ich muß aufpassen. Jetzt hat zu einer letzten Zusatzfrage der Abg. Dr. Brecht das Wort. Dann k o m m t der Kollege Baier u n d dann der Kollege Seuff e r t . . .
Baier (Mosbach) (CDU/CSU): H e r r Minister, darf ich, nachdem an der Herausgabe der ,Wohnfibel' so v i e l K r i t i k geübt worden ist, folgendes fragen: Ist es anderweitig auch üblich, daß seitens der öffentlichen H a n d i n bestimmten Fällen i n der Öffentlichkeit Aufklärungs- u n d Informationsarbeit geleistet wird? Lücke: Ich k a n n die Frage n u r m i t Ja beantworten. Ich blicke etwas neiderfüllt auf den ,Hessen-Spiegel', der i n dieser bekannten Aufmachung erschienen ist u n d etwas umfangreichere Aufklärungsarbeit leisten konnte, als ich es m i t der,Wohnfibel' vermocht habe. (Lachen bei der SPD) Seuff ert (SPD): Haben Sie, H e r r Minister, bemerkt, daß Ihre kostspielige Wohnfibel fehlerhafte Berechnungen u n d Darstellungen enthält, zum Beispiel . . . ? β 7
3. Wp., 124. Sitz., StenB I I I / S . 7162 a ff. StenB I I I / S . 7168 D ff.
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Lücke: H e r r Kollege Seuffert, das betrifft n u r einen T e i l der Auflage. Ich habe das bemerkt u n d sofort richtig g e s t e l l t . . . Wittrock (SPD): H e r r Bundeswohnungsbauminister, sind die offensichtlichen u n d der Öffentlichkeit nicht verborgen gebliebenen Mängel dieser sogenannten Wohnfibel darauf zurückzuführen, daß die zuständigen Herren Ihres Hauses m i t großer Intensität an die Ausarbeitung der Gesetzeskommentare zu diesem Gesetz herangehen mußten? Lücke: Ich k a n n die Frage m i t Nein beantworten, w e i l die Anfertigung von Kommentaren außerhalb der Dienstzeit erfolgt. (Lachen bei der SPD) Schmitt-Vockenhausen (SPD): H e r r Bundeswohnungsbauminister, w e n n das nicht der G r u n d f ü r die V e r w i r r u n g war, was w a r dann der G r u n d f ü r die Verwirrung? Lücke: Eine Fernsehsendung, die, so glaube ich, die Situation verantwortungslos u n d einseitig dargestellt hat. Der ,Wert' der Fernsehsendung wurde dadurch unterstrichen, daß sie m i t geringfügigen Kürzungen einige Tage später i m ostzonalen Gebiet ausgestrahlt worden ist. Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU): Herr Bundeswohnungsbauminister, haben Sie den Eindruck, daß die Interessenverbände der Wohnungswirtschaft ihrerseits alles getan haben, u m zu einer positiven A u f k l ä r u n g der Bevölkerung i m Sinne des Gesetzes beizutragen? Lücke: Nicht alle Interessenverbände haben das getan. V o r allem hat der Deutsche Mieterbund sich bemüht, die V e r w i r r u n g zu vergrößern. (Beifall bei der CDU/CSU) Neumann (SPD): H e r r Bundesminister, wie erklären Sie sich die Tatsache, daß Ihre Herren genügend Zeit hatten, Privatkommentare herauszugeben, während Sie v o r h i n erklärten, daß es aus zeitlichen Gründen nicht möglich war, zeitig genug von A m t s wegen die Mieter zu unterrichten? Lücke: Ich habe erklärt, daß die Kommentare nach Feierabend geschrieben worden sind, (Zurufe von der SPD) u n d dazu sind die Beamten berechtigt."
Diese erste Fragestunde nach den neuen Richtlinien — insbesondere das oben i n Ausschnitten dargestellte lebhafte Frage- und Antwortspiel m i t dem Wohnungsbauminister — fand begeisterte K r i t i k i n der Presse. Die SPD schrieb i n ihrem Pressedienst: „ M a n w i r d sagen müssen, daß der Bundestag m i t dieser Reform ein gutes Werk getan hat . . . K r i t i k e r werden vielleicht einwenden, daß m a n trotz des lebhaften Gesprächs i n der Sache nicht sehr v i e l Neues erfahren habe u n d daß ein Lob dieser Diskussion ein Lob des Gesprächs u m des Gesprächs w i l l e n sei. Wer so spricht, i r r t , denn es besteht nach diesem Anfang die berechtigte Aussicht darauf, daß k ü n f t i g auch materiell wichtigere Themen i n rascher Frage u n d A n t w o r t gründlicher u n d besser geklärt werden als nach dem bisherigen Verfahren 8 ." 8
SPD-Pressedienst v o m 29. 9.1960.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Diese Erwartung des SPD-Pressedienstes trog jedoch ziemlich weitgehend. Grund dafür war die Tatsache, daß die Abgeordneten nur selten materiell wichtigere Themen aufgriffen. I m Gegenstand der Mündlichen Anfragen brachte die Neugestaltung der Fragestunde nämlich zunächst kaum eine Änderung. Wie bis zum Jahre I960 wurden auch nachher i n der Fragestunde hauptsächlich Wahlkreisfragen und spezielle Probleme der Abgeordneten behandelt. Diese Fragen regten die anderen Abgeordneten nicht zu Zusatzfragen 9 an, so daß die Fragestunden langweilig wurden. Von der ihnen durch die Richtlinien vom Juni 1960 ausdrücklich eingeräumten Möglichkeit zu „Einzelfragen aus dem Bereich der Bundespolitik" machten die Abgeordneten nur zögernd Gebrauch. Erst zwei Jahre nach Verabschiedung der neuen Richtlinien, am 27. Juni 196210, fand eine Fragestunde statt, i n der erstmals ausführlich politische Richtlinienfragen angesprochen wurden: die erste sog. Europafragestunde. Diese Fragestunde ist einmal wegen ihrer aktuellen außenpolitischen Thematik, zum anderen aber auch wegen der vollen Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten der Fragestunde schon jetzt i n die Parlamentsgeschichte eingegangen 11 , obwohl sie nur wenig konkrete Ergebnisse gebracht hat. Anlaß für sie war ein kurz bevorstehender Besuch des damaligen Bundeskanzlers Adenauer in Frankreich, bei dem die Abgeordneten der Opposition eine Überbetonung der deutsch-französischen Freundschaft auf Kosten der atlantischen Beziehungen, insbesondere auf Kosten des britischen Beitrittsgesuchs zur EWG befürchteten. Um diese ihre Befürchtungen öffentlich i m Parlament zur Sprache zu bringen, konnten die Abgeordneten wegen der kurzen Zeitspanne bis zum Staatsbesuch nicht zu dem sonst für diese Angelegenheiten üblichen Mittel der Großen Anfrage greifen. Sie bedienten sich deshalb der Fragestunde, 9
Zeitweilig w u r d e n Ende der 60er Jahre allerdings auch bei Wahlkreis- und sonstigen speziellen Fragen auffallend v i e l Zusatzfragen gestellt. So k a m es vor, daß i n einer Freitagssitzung des Bundestages i n der frühmorgentlichen Fragestunde allein je 9 Abgeordnete Zusatzfragen über Tütenmilch und über das Palais Beauharnais i n Paris stellten; 11 Abgeordnete sahen sich sogar veranlaßt, Zusatzfragen über den Neubau einer Nebenerwerbsstelle für heimatvertriebene L a n d w i r t e vorzutragen. Die Presse fand heraus, daß hier das M i t tel der Zusatzfrage i n unangenehmer Weise zu einem Erschleichen von Diäten mißbraucht wurde. Da die Tagesdiäten von damals r u n d 60,— D M an Freitagen n u r noch ausgezahlt werden, w e n n die Abgeordneten sich noch nach 17 U h r i n die Liste eintragen oder aber i m Laufe des Tages i m Plenum das Wort ergreifen, nutzten die Abgeordneten die morgentliche Fragestunde, u m sich durch Zusatzfragen eine frühere Heimfahrt ohne Diätenausfall zu verschaffen. (Vgl. dazu: W. Henkels i n Wiesbadener K u r i e r v. 20. 3.1968.) 10 4. Wp., 36. Sitz., StenB IV/S. 1482 D ff. 11 Die Bedeutung der Europafragestunde u n d ihre Ähnlichkeit m i t der b r i t i schen Question-Hour hat vor allem Johnson, i n : Parliamentary Ä f f airs, Vol. 16, S. 29 ff. hervorgehoben.
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und zwar i n einer i m Bundestag bis dahin ungebräuchlichen Form, die i m britischen Parlament als „barrage of questions" bezeichnet w i r d und die das Einbringen mehrerer inhaltlich aufeinander abgestimmter Mündlicher Anfragen durch mehrere Abgeordnete der gleichen Fraktion oder Koalition meint. Insgesamt 10 Mündliche Anfragen brachten führende Abgeordnete der Opposition zu den Grundsatzproblemen der Europapolitik ein 1 2 : Ollenhauer: Erler: Dr. Schmidt (Frankfurt) : Dr. Deist:
Dr. Mommer: Mattick: Metzger: Wehner: Birkelbach: Frau Dr. Hubert:
betr. B e i t r i t t Großbritannien zu den Europäischen Gemeinschaften betr. Assoziierung europäischer Neutraler m i t der E W G betr. Gefahren durch einseitige Zusammenarbeit der drei großen Mitglieder der Gemeinschaft betr. Stellungnahme des 4. Internationalen Kongresses der Europäischen Bewegung zur Stellung der Organe der Gemeinschaft betr. Allgemeine, unmittelbare Wahlen des Europaparlaments betr. Politische S t r u k t u r der als Vollmitglieder i n die EWG aufzunehmenden Länder betr. Europaparlament u n d demokratische parlamentarische Entwicklung Europas betr. Bemerkung des Bundeskanzlers über die Gefahr des Platzens der E W G betr. Politische Einigung Europas durch periodische K o n ferenzen oder europäische Organe betr. Übertragung von Souveränitätsrechten an europäische Organe
Bundesaußenminister Schröder, der zu diesen 10 Anfragen noch insgesamt 44 Zusatzfragen von Abgeordneten aller Parteien zu behandeln hatte, entledigte sich seiner Aufgabe m i t großem Geschick. Sein Stil, die Anfragen äußerst kurz — manchmal lediglich m i t einem „Ja" oder „Nein" — zu beantworten und auch Zusatzfragen gewandt und aus dem Stegreif heraus zu erledigen, fand ungeteilte Zustimmung. Da er auch i n der Sache geschickt zu taktieren wußte und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung und der sie tragenden Parteien zu harmonisieren vermochte, war die Europa-Fragestunde für ihn ein großer persönlicher Erfolg. Darüber hinaus verhalf diese Fragestunde der Institution selbst zu einem erneuten Durchbruch. Es erwies sich einmal, daß i n Fragestunden m i t Erfolg auch hochpolitische Angelegenheiten angesprochen werden können; vor allem aber zeigte sich, daß ein gekonntes Zusammenspiel und ein freies und schlagfertiges Auftreten bei Frage, A n t w o r t und Zusatzfrage erheblich zur Verlebendigung der Parlamentsarbeit und damit auch zur Steigerung des öffentlichen Interesses beitragen kann. 12
Drucks. IV/510.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Obwohl die von der SPD aus reiner Zeitnot ausgelöste und von ihr selbst als „Experiment" 1 3 bezeichnete Europa-Fragestunde weithin als ein großer Erfolg bezeichnet wurde, vermochte sie keinen unmittelbar spürbaren Einfluß auf die folgenden Fragestunden auszuüben. Vor allem politische Richtlinienfragen wurden i n der Folgezeit kaum gestellt. Worauf das zurückzuführen ist, ist heute kaum festzustellen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß sich die Abgeordneten von solch hochpolitischen Fragestunden außer der Belebung der Parlamentsarbeit keine greifbaren Erfolge versprachen, was sowohl auf die Komplexität des Themas, als auch auf die taktische Geschicklichkeit des damaligen Außenministers zurückzuführen sein mag. — So zogen sich die Abgeordneten zurück auf häufig sehr spezielle und lokal begrenzte Einzelfragen, die ihrerseits zu äußerst gründlichen, aber nicht selten zu ausführlichen und dadurch schwerfälligen Antworten der Bundesregierung führten. Die Fragestunden büßten dadurch erneut an Lebendigkeit ein, zumal interessante Zusatzfragen selten waren. Dennoch zeigte sich schon wenige Monate später, daß die Abgeordneten i m Einzelfall durchaus i n der Lage sind, die vielfältigen politischen Möglichkeiten der Fragestunde auszuschöpfen: A u f dem Höhepunkt der Spiegel-Affäre, i m November 1962, spielten die Fragestunden nämlich eine überragende Rolle. 3 Tage lang, am 7., 8. und 9. November mußte sich die Regierung eines wahren Sperrfeuers von oppositionellen Mündlichen Anfragen i n dieser Angelegenheit erwehren. Einzelheiten und Hintergründe der Spiegel-Affäre sind bis heute — trotz zahlreicher Berichte, Dokumente und Veröffentlichungen — noch immer nicht völlig geklärt 1 4 . Anlaß waren die wegen des Verdachtes des Landesverrates von der Bundesanwaltschaft angeordnete nächtliche Besetzung der Redaktionsräume des Spiegel i n Hamburg und die Verhaftung des Spiegel-Redakteurs Conrad Ahlers durch spanische Polizei i n Malaga. Mehr als 1 Woche lang bemühte sich fast die gesamte Presse Veranlassung und Begleitumstände dieser Aktionen auszukundschaften, die zum Teil i n etwas zweifelhaftem Licht erschienen. Bundesjustizminister Stammberger (FDP) kündigte derweil seinen Rücktritt an, weil er über das Einschreiten der i h m unterstellten Bundesanwaltschaft nicht rechtzeitig unterrichtet worden sei. Die beiden Staatssekretäre i m Justizund i m Verteidigungsministerium wurden plötzlich entlassen. Obwohl bei dieser Sachlage — abgesehen von den ζ. T. diffizilen Rechtsfragen —, 13
Vgl. Aachener Nachrichten v o m 26. 6.1962. Eine kurz zusammenfassende, gute Analyse der Spiegel-Affäre u n d ihrer Hintergründe gibt Eschenburg, Die Affäre, Die Zeit, Sonderdruck 1962; vgl. i m übrigen auch Grosser/Seifert, Die Staatsmacht u n d ihre Kontrolle, Die Spiegelaffäre, Bd. I, hrsg. v. J. Seifert, Freiburg/Br. 1966. Der Wert dieser Studie liegt v o r allem i n einer äußerst umfangreichen Dokumentensammlung, während die Analyse ζ. T. politisch einseitig erscheint. 14
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vor allem die Annahme von Ressortrivalitäten und persönlichen Animositäten unter Ministern und Beamten nahelag 15 , glaubte man i n der Presse hauptsächlich an eine persönliche Racheaktion des Verteidigungsministers Strauß gegen den Spiegel, der i h n so oft angegriffen hatte 1 6 . Damit entwickelte sich die zunächst hauptsächlich juristische Angelegenheit zu einer hochpolitischen. — Die Bundesregierung aber schwieg. Bei dieser Sachlage drangen die Rechtsexperten der SPD, die Abgeordneten A r n d t und Jahn, m i t ihrem Vorschlag, die Angelegenheit i m Rechtsausschuß zu behandeln, nicht mehr durch 1 7 , vielmehr sah sich die SPDFraktion veranlaßt, durch führende Mitglieder 18 Dringlichkeitsanfragen einzubringen. Sie wurden auf die Tagesordnung der Plenarsitzung vom 7. November 1962 gesetzt, nahmen i n der Folge jedoch, wegen der immensen Zahl von Zusatzfragen, auch noch die Fragestunden vom 8. und 9. November i n Anspruch. Die 3 Spiegel-Fragestunden 18 fanden von vornherein i n einer äußerst gereizten, zeitweise turbulenten Atmosphäre statt. Während sich die Abgeordneten der Opposition am 1. Tag von allem darum bemühten, i n zahlreichen Fragen und noch mehr Zusatzfragen Einzelheiten über interne Vorgänge und Dienstanweisungen bei der Durchsuchung der Redaktionsräume des Spiegel zu erfahren und Stellungnahmen der Regierung zu dem Umfang der Aktionen zu erhalten 1 9 , vermutete vor allem die CDU/CSU hinter allen Aktionen der SPD-Abgeordneten eine einseitige Stellungnahme für den Spiegel sowie eine Verkennung des schweren Vorwurfs des Landesverrats und den Versuch des Eingriffs i n ein schwebendes Gerichtsverfahren. So wurden selbst ziemlich nebensächliche Fragen und Antworten durch zahlreiche Zwischenrufe i n den allgemeinen Strudel der Erregung und Aufregung hineingezogen. — Da Bundestagspräsident Gerstenmaier die Fragestunde am ersten Tag nach genau 1 Stunde abbrach und das Plenum — wenn auch äußerst u n w i l l i g — zur Beratung von Haushaltsgesetzen überging, sah sich der SPDAbgeordnete Ritzel am Ende der Plenumssitzung gezwungen, i n einer 15
Eschenburg, Die Affäre, a.a.O., S. 9.
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Strauß erklärte am 3.11.1962 i m 8 - U h r - B l a t t , Nürnberg: „Nein, es ist kein Racheakt meinerseits. Ich habe m i t der Sache nichts zu tun. I m wahrsten Sinne des Wortes nichts zu tun." (Zit. n. Der Spiegel, Nr. 48/1962, S. 53.) 17 So: Friedrich Schäfer, pari. Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, i n NDR, 10.11.1962,19.45 U h r , zit. nach Schindler, Dipl. Arb., S. 127. 18 19
4. Wp., 45., 46., 47. Sitz., StenB IV/1949 Β ff., S. 2013 A ff., S. 2075 Β ff.
So fragte ζ. B. der SPD-Abgeordnete A r n d t : Inwiefern konnten die Räume aller Redakteure des »Spiegel' u n d seines Verlegers sowie die technischen E i n richtungen, wie Telefon, Fernschreiber u n d andere Apparaturen f ü r die eingeleiteten Untersuchungen v o n Bedeutung sein, so daß sie beschlagnahmt werden durften?" StenB IV/S. 1959 B.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
vom Präsidenten gemäß § 36 GO 2 0 genehmigten Erklärung, die Unterstellungen und Verdächtigungen der Regierungsparteien gegenüber den Intentionen seiner Fraktion zurückzuweisen 21 . Als daraufhin Bundeskanzler Adenauer das Wort ergriff, um vor allem noch einmal die Schwere des Vorwurfs gegen den „Spiegel" zu betonen, kam es zu zahlreichen Unterbrechungen und tumultartigen Szenen. Die sich an seine Erklärung anschließende stundenlange Debatte 22 — also keine Fragestunde — brachte die erste große politische Auseinandersetzung u m die Affäre. I n ihren teilweise tumultartigen Auswüchsen 23 steigerte sie noch die Erregung der Abgeordneten und versteifte die gegenseitigen Ressentiments. A u f diesem Hintergrund fanden die beiden folgenden und eigentlich entscheidenden Spiegel-Fragestunden vom 8. und 9. November statt. Gegen Ende der 1. Fragestunde hatte der SPD-Abgeordnete Wittrock die später sehr stark i n den Mittelpunkt gerückte Frage gestellt: „ W e r veranlaßte die spanische Polizei, den »Spiegel·-Redakteur Ahlers i n Malaga festzunehmen 2 4 ?"
Die insgesamt 32 (!) Zusatzfragen zu dieser Anfrage wurden zum größten Teil i n der Donnerstag-Sitzung behandelt. M i t ihnen begann das, was Eschenburg einen „harten, erbitterten Kampf u m die fetzenweise, stotternde Aufklärung" genannt hat, bedingt durch „Nicht-Antworten, Halbwahr-Antworten, Verschleiern und Vertuschen" 25 . Bundesinnenminister Höcherl, der gleichzeitig den plötzlich erkrankten Justizminister Stammberger vertreten mußte, war selbst i n vielen Punkten noch nicht unterrichtet. Immerhin mußte er, zunehmend i n die Enge getrieben, zugeben, daß es bei der Verhaftung von Ahlers, da Interpol nicht zuständig gewesen sei, wohl — wie i m Fall des Studienrates Zind — den „kurzgeschlossenen Verkehr zwischen den Kriminalpolizeien" gegeben habe: „Das ist, ich möchte einmal sagen, etwas außerhalb der Legalität, (Zurufe von der SPD: Aha!) aber w i r alle sind der Meinung, — (Anhaltende Zurufe u n d Lachen bei der SPD) 2 6 " 20
§ 36 GO lautet: „ Z u einer tatsächlichen oder persönlichen Erklärung k a n n der Präsident außerhalb der Tagesordnung das W o r t erteilen. Die Erklärung ist i h m auf Verlangen vorher schriftlich mitzuteilen." 21 StenB IV/S. 1980 C. 22 Eine solche Debatte ist nach § 48 Abs. 3 GO zulässig. Diese Bestimmung lautet: „Ergreift ein M i t g l i e d oder Beauftragter der Bundesregierung oder des Bundesrates das Wort außerhalb der Tagesordnung, so w i r d auf Verlangen von 30 anwesenden Abgeordneten die Beratung über seine Ausführungen eröffnet." 23 So sah BT-Präsident Gerstenmaier sich gezwungen, einen Abbruch der Sitzung gem. § 44 GO wegen störender Unruhe anzudrohen. StenB IV/S. 1986 D, 1987 A . 24 StenB IV/S. 1960 C. 25 Die Affäre, a.a.O., S. 9. 26 StenB IV/S. 2017 D.
V. Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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B u n d e s v e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r S t r a u ß , d e r n i c h t A d r e s s a t der A u s g a n g s frage gewesen w a r , h i e l t sich l a n g e Z e i t s t a r k z u r ü c k , z u m a l Bundestagsv i z e p r ä s i d e n t D r . S c h m i d persönliche F r a g e n a n i h n n i c h t z u l i e ß 2 7 . A u f eine a n I n n e n m i n i s t e r H ö c h e r l gerichtete Z u s a t z f r a g e des S P D - A b g e o r d n e t e n E r l e r , ob v i e l l e i c h t der M i l i t â r a t t a c h é Oster die F e s t n a h m e v o n A h l e r s v e r a n l a ß t h a b e n k ö n n t e , a n t w o r t e t e S t r a u ß jedoch a u f B i t t e n v o n H ö c h e r l u n d E r l e r . D a b e i f ü h r t e er u. a. aus: „ A u f dem Wege der Amtshilfe f ü r die Strafverfolgungsbehörden hat das Verteidigungsministerium (!) den Militârattaché i n M a d r i d gefragt, ob diese M i t t e i l u n g (der Sicherungsgruppe, Ahlers befände sich i n Spanien u n d der Militârattaché sei darüber unterrichtet — d. Verf.) zutreffe. Der Militârattaché bestätigte die Mitteilung. Daraufhin wurde dem Militârattaché erklärt, daß gegen Ahlers ein höchstrichterlicher Haftbefehl wegen des dringenden V e r dachts eines landesverräterischen Verbrechens vorliege . . . Der Attaché wurde i n der bei Behörden üblichen Weise angewiesen, diese Tatsache den spanischen Behörden mitzuteilen. Diese seien außerdem bereits auf dem polizeilichen Wege von dem vorliegenden Haftbefehl unterrichtet. Der Attaché sollte den spanischen Behörden den i h m bekannten Aufenthalt angeben . . . 2 8 ." B e i dieser A n t w o r t h a k t e d e r S P D - A b g e o r d n e t e D r . M o m m e r ein, w e n n er — w i e d e r u m zunächst a n d e n I n n e n m i n i s t e r g e r i c h t e t — f r a g t e : „ H e r r Minister, w e r hat die Weisung (Ahlers durch spanische Behörden festnehmen zu lassen — d. Verf.) an H e r r n Oster gegeben, das Bundeskriminalamt, die Bundesanwaltschaft oder das Bundes Verteidigungsministerium? Höcherl:
Das Bundeskriminalamt k a n n keine Weisung an H e r r n Oster geben.
Mommer: Wer w a r es also? Höcherl: Ich habe auch keine Feststellungen darüber getroffen, daß eine Weisung gegeben worden wäre. Es könnte auch keine Weisung g e b e n . . . Mommer: A b e r der Bundesverteidigungsminister könnte A u s k u n f t geben. Strauß: Würden Sie die Frage wiederholen? Ich b i n i m Augenblick gestört worden. 27 StenB IV/S. 2018 A , B . : „Metzger (SPD) : H e r r Verteidigungsminister, ich habe die Frage — Vizepräsident Dr. Schmid: H e r r Abgeordneter Metzger, befragt ist jetzt der Innenminister — . . . Metzger: Ich habe aber eine Frage an den H e r r n Verteidigungsminister (Zuruf von der M i t t e : Dann müssen Sie warten!) Vizepräsident: Dr. Schmid: W i r befragen zur Zeit den H e r r n Innenminister. Es sind noch Zusatzfragen an i h n erlaubt. Metzger: Also gut, ich habe die Frage an die Bundesregierung — Vizepräsident Dr. Schmid: Wenn der H e r r Verteidigungsminister anstatt des H e r r n Innenministers antworten w i l l , so ist das seine Sache. Aber Sie können i h n jetzt nicht befragen. (Abg. Rasner: Geht jetzt nicht!) Metzger: Ich habe die Frage an die Bundesregierung Vizepräsident Dr. Schmid: Nein, es w i r d der Innenminister befragt. Metzger: Schön, dann frage ich den H e r r n Innenminister, der j a f ü r die Dinge auch verantwortlich i s t . . 28 StenB IV/S. 2013 D, 2014 A .
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Mommer: Wer hat die Weisung an H e r r n Oster gegeben, die Festnahme v o n H e r r n Ahlers zu veranlassen? Strauß: I n der Fragestellung steckt eine Behauptung, die i n dieser Form w o h l nicht zutrifft. (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schäfer: Irgendjemand muß es doch gewesen sein! — Abg. Erler: Die haben doch den A u f t r a g nicht geträumt, H e r r Minister!) Strauß: Eine deutsche Behörde k a n n diese Veranlassung überhaupt nicht treffen, w e i l alle Maßnahmen dieser A r t nach dem i n dem jeweiligen Lande geltenden nationalen Recht v o n der nationalen Behörde getroffen werden. (Abg. Erler: Wer hat denn die spanischen Behörden aufgefordert? — Abg. Dr. Schäfer: Die Spanier haben es doch nicht von sich aus getan!) Vizepräsident Dr. Schmid : Meine Damen u n d Herren, w i r müssen Ordnung halten i n dieser Fragestunde 2 9 ."
Den SPD-Abgeordneten gelang es i n der 2. Spiegel-Fragestunde nicht mehr, eine präzisere Angabe von Minister Strauß über die Veranlassung zur Festnahme von Ahlers zu erhalten. Strauß — einmal i n das Frageund Antwortspiel hineingezogen — erklärte vielmehr gegen Ende der Fragestunde: „ I c h wäre sehr dankbar dafür, . . . w e n n die Debatte einmal darum ginge — auch i n der K r i t i k an m i r u n d meinen Mitarbeitern —, ob alle Möglichkeiten ausgenutzt worden sind, u m den Landesverrat zu verhindern, (Beifall bei der CDU/CSU) u n d nicht darum, w i e i n einem Notfall von den Dienststellen des Innenministeriums u n d v o n den Dienststellen des Verteidigungsministeriums verfahren worden ist. (Zuruf von der SPD)" 3 0
Dennoch suchten die SPD-Abgeordneten weiterhin herauszubekommen, wie es zur Verhaftung von Ahlers i n Spanien gekommen war und wer speziell m i t dem Militârattaché i n Madrid telefoniert hatte. Eine Frage i n dieser Richtung war jedoch äußerst schwierig, w e i l für die 3. Fragestunde am 9. November andere Fragekomplexe der Spiegelaffäre anstanden und somit die Gefahr bestand, daß eine Zusatzfrage über das Telefongespräch m i t dem Militârattaché wegen fehlenden Zusammenhangs m i t der Hauptfrage zurückgewiesen werden würde. Dem SPD-Abgeordneten und Fraktionsführer Erler gelang es jedoch schließlich, so geschickt eine Zusatzfrage zu formulieren, daß der Bundestagspräsident sie zuließ, obwohl i h r inhaltlicher Zusammenhang m i t der Hauptfrage nur äußerst vage war. Die Hauptfrage hatte geheißen: „ W a n n wurde das Gutachten (das die Bundesanwaltschaft beim Verteidigungsministerium f ü r die E r m i t t l u n g wegen Landesverrats angefordert hatte 29 30
4. Wp., 46. Sitz., 8.11.1962, StenB IV/S. 2013 D, 2014 D, 2015 A , B. StenB IV/S. 2019 C, D.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
173
— d. Verf.) v o m Bundesverteidigungsministerium dem Bundesjustizminister i u m zur Weiterleitung an die Bundesanwaltschaft zugestellt 3 1 ?"
Erler formulierte folgende Zusatzfrage: „ H a t nach der Weitergabe des Gutachtens v o m Bundesverteidigungsminister i u m an das Bundesjustizministerium bzw. an die Bundesanwaltschaft n u n i m Sinne der Ausführungen des H e r r n Ministers Herr Staatssekretär Hopf, der H e r r Verteidigungsminister selbst oder w e r sonst m i t dem Militârattaché i n Madrid, Oster, telefoniert u n d durch dieses Telefongespräch den ersten Anstoß zur vorläufigen Festnahme des Ehepaars Ahlers durch die spanischen Behörden unter Einschaltung von H e r r n Oster gegeben? Strauß: Abgesehen davon, daß auch hier der Zusammenhang m i t der eigentlich gestellten Frage nicht mehr zu erkennen ist, (Zustimmung bei der CDU/CSU) steckt i n dieser Frage eine Feststellung, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit ich nicht überprüfen k a n n . . . Da der Militârattaché — ich weiche dem nicht aus, das wäre eine v ö l l i g falsche Annahme oder Unterstellung — bei A n r u f den Sachverhalt nicht kennen wollte, sondern sagte: ,Ich kenne n u r die Stimme des Ministers', b i n auch ich (!) m i t i h m verbunden worden u n d habe i h m das wiederholt, was vorlag: (Zurufe v o n der SPD: Aha!) 32«
A u f diese Frage und A n t w o r t h i n wurden — i n Abweichung von der Ausgangsfrage — nur noch Fragen zu dem Telefongespräch m i t Oberst Oster gestellt. Erst als auch dieses Thema durch Zusatzfragen wieder ausgeweitet zu werden drohte, ließ der Bundestagspräsident keine weiteren Fragen mehr zu. I n den drei Spiegel-Fragestunden zeigten sich die außerordentlich großen Kontrollmöglichkeiten der Mündlichen Anfragen. Immerhin führten die intensiven Fragen zu 2 Aussagen, die zu diesem Zeitpunkt wohl kein anderes parlamentarisches oder außerparlamentarisches Kontrollinstrument hätte erreichen können: Bundesinnenminister Höcherl mußte einräumen, daß „etwas außerhalb der Legalität" verfahren worden sei, und Verteidigungsminister Strauß sah sich gezwungen, zuzugeben, daß er selbst m i t Oberst Oster telefoniert hatte. — Diese beiden Geständnisse von einer lange Zeit schweigenden Regierung erzwungen zu haben, ist der eigentliche Erfolg der Spiegel-Fragestunden. Die Möglichkeit, die Regierung m i t Zusatzfragen i n die Enge zu treiben, erwies sich hier als von hoher Kontrollbedeutung. Andererseits haben die Mündlichen Anfragen i n der Spiegel-Affäre m i t einiger Deutlichkeit die Gefahr der Fragestunde aufgezeigt, politische und sachliche Schwergewichte einseitig zu verschieben. Da allein die Fragesteller das Thema der Fragestunde bestimmen, geriet i n den Spie31 32
4. Wp., 47. Sitz., 9.11.1962, StenB IV/S. 2075 C. StenB IV/S. 2077 B, C, D.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
gel-Fragestunden beispielsweise die Tatsache, daß die einzelnen Aktionen gegen den Spiegel und seine Mitarbeiter nicht unmittelbar von der Bundesregierung, sondern von der Bundesanwaltschaft ausgegangen waren, ebenso i n den Hintergrund wie die Tatsache, daß die einzelnen Bundesministerien — einschließlich des Verteidigungsministeriums — eben gerade auf Grund und zur Durchsetzung des von der Bundesanwaltschaft erlassenen Haftbefehls tätig geworden waren. So konnte es kommen, daß ein relativ unbedeutendes Telefongespräch zwischen dem Verteidigungsminister und einem Militârattaché einseitig i n den Mittelpunkt rückte, während andererseits die zunehmend deutlicher werdenden Ressortrivalitäten, persönlichen Animositäten und Spannungen innerhalb der Regierung und der Regierungskoalition, die i n der Rücktrittsdrohung des Justizministers und der Entlassung zweier bewährter Staatssekretäre gipfelten, kaum angesprochen und gar nicht geklärt wurden 3 3 . Auch einige institutionelle Schwächen der Fragestunde wurden während der Spiegel-Fragestunden deutlich. So zeigte sich, daß bei den Zusatzfragen der „ P r ä s i d e n t . . . unmöglich i n der Lage (ist), immer scharf zu erkennen, inwiefern eine Sache i n unmittelbarem Zusammenhang m i t einer anderen steht" 3 4 . Da gerade i n der Spiegelaffäre die Zusammenhänge und der Sachverhalt äußerst komplex waren, ließ der jeweils amtierende Präsident wiederholt Zusatzfragen zu, die m i t der Hauptfrage so gut wie gar nichts mehr zu tun hatten. Andererseits wiederum w i r k t e es hemmend, wenn der Bundestagspräsident Zusatzfragen jeweils nur an den Minister zuließ, der die Ausgangsfrage beantwortet hatte. Diese nicht überzeugende Auslegung der Geschäftsordnung und der Richtlinien — Adressat der Ausgangsfrage bei den Mündlichen Anfragen ist ja nicht ein bestimmter Minister, sondern die Bundesregierung — trug dazu bei, daß vor allem Minister Strauß lange Zeit von den Abgeordneten nicht gefragt werden konnte, was dem Minister wiederum später den Vorwurf des zu langen Verschweigens wichtiger Zusammenhänge eintrug. Eine weitere Schwierigkeit lag darin, daß während der Fragestunde Mitglieder der Regierung eine Erklärung abzugeben wünschten. Da eine solche Erklärung an sich gem. Art. 43 Abs. 2 GG i. V. m. § 47 GO jederzeit zulässig ist, andererseits aber auf Verlangen von nur 30 — bzw. heute 26 — Abgeordneten zu einer unbegrenzten Aussprache i m Plenum führt, konnte dadurch die Fragestunde unterbrochen und praktisch aufgehoben werden. Bundestagspräsident Gerstenmaier wies auf diese Problematik hin und betonte: „Ich mache also jedermann auf die Konsequenzen aufmerksam (Heiterkeit) 3 5 ." 33
Vgl. auch Eschenburg, Die Affäre, a.a.O., S. 9. 34 BT-Präsident Gerstenmaier, StenB IV/S. 2076 C. 35
StenB IV/S. 1955 D ; vgl. auch StenB IV/S. 2082 B.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
175
Während der Spiegel-Fragestunden mußten die Abgeordneten der Regierungsparteien die Erfahrung machen, daß ihnen die strengen „Spielregeln" dieser Institution für eine Verteidigung der Regierung praktisch stark die Hände banden. Da sie selbst die Zusammenhänge kaum kannten, waren die Abgeordneten aus dem Regierungslager auch nicht recht i n der Lage, durch entlastende Zusatzfragen der von ihnen mitgetragenen Regierung zu Hilfe zu kommen. So empfanden viele von ihnen die Spiegel-Fragestunden als einen Mißbrauch dieser Institution, ohne sich allerdings w o h l ganz bewußt zu sein, daß die Fragestunde bei ihrer Einführung vorrangig als Kontrollmittel der oppositionellen Minderheit gedacht war. Die politisch einseitige Schwergewichtsverlagerung, die zahlreichen Unterstellungen und der größtenteils sehr hitzige und gereizte Verlauf der Spiegel-Fragestunden veranlaßten führende Abgeordnete der CDU/ CSU, sich m i t Reformplänen zu beschäftigen 36 , u m eine „Ausweitung der Fragestunde . . . zu einem »parlamentarischen Kampfinstrument' zu verhindern" 3 7 . Insbesondere wollte man erreichen, daß die Fragestunde nicht mehr zu großen Parlamentsdebatten führe. — Diese Reformpläne, größtenteils geboren aus der Enttäuschung über das — i m Gegensatz zur Europafragestunde — ungünstige Abschneiden der Regierung i n den Spiegel-Fragestunden, waren jedoch nicht näher präzisiert und schon von daher nicht realisierbar. Immerhin dürfte aber die Einführung der Aktuellen Stunde i m Bundestag — mehr als 2 Jahre später — u. a. auf Erfahrungen aus den Spiegel-Fragestunden zurückzuführen sein. Während Regierungsmitglieder und Abgeordnete der Regierungsparteien über das Verhalten der Opposition i n den Spiegel-Fragestunden erbost waren und insbesondere die Ausnutzung der Fragestunden zu einem parteipolitischen Kampfinstrument und zu persönlichen Angriffen rügten 3 8 , beschwerte sich der SPD-Abgeordnete Adolf A r n d t i n einem Brief vom 8.11.1962 an Bundestagspräsident Gerstenmaier über das Verhalten einzelner CDU/CSU-Bundesminister i n der 1. Spiegel-Fragestunde. Dabei wies er speziell auf folgende Äußerungen von Innenminister Höcherl hin: „ I c h b i n erstaunt über diese Einzelheiten u n d über diese Mitteilungen 3 9 ." „ I c h b i n zwar genauso w i e Sie pressefreundlich, aber nicht so zeitungsgläubig 4 0 ." 3e Vgl. hierzu: Deutsche Zeitung K ö l n , 9. u n d 12.11.1962, Die Welt, 12.11.1962, Westfalenpost, Hagen, 9.11.1962. 37 Westfalenpost, Hagen, 9.11.1962. 38 Vgl. z.B. Innenminister Höcherl: „Zunächst b i n ich der Meinung, daß die Fragestunde keine Treibjagd darstellt, bei der die Minister die Hasen bilden." 46. Sitz., 8.11.1962, StenB IV/S. 2016 C. 39 45. Sitz., 7.11.1962, StenB IV/S. 1958 A . StenB IV/S. 1 .
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
„Wollen Sie behaupten, daß der Ermittlungsrichter eine Vorzensur ausgeübt hätte. Ich würde m i r das an I h r e r Stelle sehr überlegen 4 1 ." „ I c h habe fast den Verdacht, daß Sie diesem Frage- u n d AntWortspiel nicht gefolgt sind. Die gleiche Frage habe ich nämlich schon einem anderen Kollegen beantwortet 4 2 ."
A r n d t schrieb dazu: „ I c h verschließe mich nicht der Ansicht, daß es Fragen gibt, die i n Fragef o r m einen A n g r i f f oder eine Unterstellung enthalten. Solche Fragen können berechtigt sein, zumal dann, w e n n der amtierende Präsident keinen Anlaß sieht, sie zurückzuweisen oder auf eine andere Fassung hinzuwirken. I n diesem F a l l hat ein Bundesminister selbstverständlich ebenso das Hecht, den A n g r i f f oder die Unterstellung m i t der nach parlamentarischer Sitte noch zulässigen Schärfe zurückzuweisen. I m m e r aber muß er zur Sache sprechen, niemals darf er über die Person des Abgeordneten Werturteile fällen. Wenn ein Bundesminister einen Abgeordneten zurechtweist, so greift er i n die Rechte des amtierenden Präsidenten ein 4 3 ."
So hatten die Spiegel-Fragestunden — trotz ihrer zweifelsfrei großen politischen Bedeutsamkeit — sowohl i m Regierungslager wie auf Seiten der Opposition einiges böses B l u t erregt. Nach den hochdramatischen Spiegel-Fragestunden kehrten die A b geordneten in den nächsten Monaten wieder zu sehr viel weniger wichtigen und bedeutsamen Mündlichen Anfragen zurück. Vereinzelt gab es Fragen oder Zusatzfragen, die sich dem Bereich des Staatsgeheimnisses näherten und deren öffentliche Behandlung die Regierung daher ablehnte 4 4 . — Sobald Fragen bedeutendere politische oder allgemeininteressierende Probleme anschnitten, wie etwa die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel oder die Einführung der Todesstrafe, berichtete auch die Presse ausführlicher über die Fragestunde. Fast genau 2 Jahre nach den Spiegel-Fragestunden — i m November 1964 — gab es wieder eine hochbedeutsame Fragestunde; sie handelte erneut über aktuelle Fragen der Außenpolitik und stellte so gewissermaßen eine Neuauflage der 1. Europafragestunde dar. — I n den Herbstmonaten des Jahres 1964 gab es nicht unbeträchtliche Differenzen innerhalb der Regierungskoalition, insbesondere der CDU/CSU, über wichtige außenpolitische Fragen. Streitpunkte waren vor allem die Multilaterale Atomstreitmacht (MLF) und der gemeinsame Getreidepreis i n der EWG. I m Hintergrund standen recht unterschiedliche Ansichten über das 41
StenB IV/S. 1959 B. A r n d t zitiert diese Stelle: „Wie können Sie behaupten, daß . . . " Diese — wie auch andere leicht abweichende, schärfere Formulierungen können entweder damit erklärt werden, daß A r n d t bei Abfassung des Briefes die Stenographischen Berichte noch nicht vorliegen hatte oder aber, daß diese Stenographischen Berichte später leicht stilistisch verbessert wurden. 42 StenB IV/S. 1960 B. 43 Dieser Brief v o n A . A r n d t wurde eingesehen i n der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Bundestages. 44 Vgl. hierzu Schindler, i n PVS, 7. Jg., S. 431.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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Verhältnis der Bundesrepublik zu Frankreich und der Politik de Gaulles. Zeitungsinterviews führender Politiker der Unionsparteien unterstrichen noch die entgegengesetzten Positionen. — Bei dieser Situation ließ es sich die oppositionelle SPD-Fraktion nicht nehmen, durch ihre führenden A b geordneten 14 Dringlichkeitsanfragen zur Außenpolitik einzubringen. Gleichzeitig stellte der CDU-Abgeordnete Dr. Stoltenberg 2 Mündliche Anfragen, i n denen er die Regierung — gleichsam zu ihrer Unterstützung — u m eine Stellungnahme zu umstrittenen außenpolitischen Äußerungen des SPD-Abgeordneten Wehner bat 4 5 . A l l e Fragen wurden auf die Tagesordnung vom 11. November 1964 gesetzt. A n diesem Tage erklärte sich jedoch der Bundeskanzler außerstande, zu antworten, da er wegen einer Reise erst eine Stunde vorher „einen ersten Entwurf" der Antworten zu Gesicht bekommen habe 46 . Die Fragen wurden daraufhin erst i n der übernächsten Sitzung, am 13. November 1964, behandelt 47 . Überraschenderweise stellte sich i n dieser Fragestunde jedoch nicht Bundeskanzler Erhard, sondern Außenminister Schröder den Fragestellern 4 8 . Dieses Zurückweichen des Kanzlers war jedoch nicht ungewöhnlich; — seit Einführung der Fragestunde hatten sowohl Dr. Adenauer wie Prof. Erhard die Tendenz gezeigt, auch politische Richtlinienfragen i n der Fragestunde nicht persönlich zu beantworten. Indem die Regierung nun Dr. Schröder die Beantwortung der ζ. T. heiklen Anfragen übertrug, obwohl er wegen seines kühlen Verhältnisses zum Frankreich de Gaulles viele Gegner i n der CDU/CSU hatte, hoffte sie offensichtlich auf eine Wiederholung seines großen Erfolges i n der 1. Europa-Fragestunde. — Dieser Erfolg wiederholte sich i n der Tat. Schröder antwortete laut ,Spiegel' „sachlich oder ironisch, immer aber kaltschnäuzig, selbstbewußt und als genauer Kenner der Materie" 4 9 . Der von i h m praktizierte Stil mag aus folgendem Frage- und Antwortspiel deutlich werden 5 0 : 45 Die Fragen lauteten: „ I s t die Bundesregierung der Ansicht, daß die Augsburger Rede des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wehner, i n der er die Frage stellte,,welche Verrücktheiten sich der französische Staatspräsident noch leistet, u m uns zu erpressen?' einen förderlichen Beitrag zur deutsch-französischen Diskussion bildet?" „ W i e beurteilt die Bundesregierung i n diesem Zusammenhang den V o r w u r f Wehners, der Bundeskanzler ,verunglimpfe verbündete Regierungen i n E u ropa, i n einer dummen, dösigen u n d schmuddeligen Weise'?" (Drucks. IV/2715 = StenB IV/S. 7225 B, 7226 D.) 46 145. Sitz., 11.11.1964, StenB IV/S. 7156 A , B. 47 147. Sitz., 13.11.1964, StenB IV/S. 7225 A ff. 48 Lediglich eine Mündliche Anfrage wurde v o m Bundeskanzler persönlich beantwortet. Es handelte sich u m eine kritische Frage über den Außenminister: „ I s t die Bundesregierung der Meinung, daß durch einen Wechsel an der Spitze des Bundesministeriums des Auswärtigen die Beziehungen zu Frankreich v e r bessert werden könnten?" Der Bundeskanzler antwortete: „Die Bundesregierung ist nicht der Meinung." (StenB IV/S. 7229 A.) 49 Der Spiegel, Nr. 47/1964, S. 32. 50 StenB IV/S. 7227 Β ff.
12 Witte
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
„Erler (SPD): Hat die Bundesregierung den Eindruck, daß der französische Staatspräsident v o n dem Verhalten der Bundesregierung während seines Besuches i n Bonn i m J u l i dieses Jahres enttäuscht worden ist? Dr. Schröder: Die A n t w o r t auf diese Frage lautet w i e folgt: Ich glaube nicht, daß es i m deutschen Interesse läge, wenn sich die Bundesregierung öffentlich zu solchen Bewertungsfragen äußern w ü r d e . . . Metzger (SPD): Wenn Sie also, wenn ich Sie recht verstehe, davon ausgehen, daß eine Enttäuschung bei der französischen Regierung unter diesen U m ständen nicht vorliegen kann, w i e erklärt sich dann das i n einem Interview des früheren Bundeskanzlers Dr. Adenauer geäußerte Urteil, das Verhalten des französischen Staatspräsidenten sei vielleicht auf eine zu kühle Behandlung durch die Bundesregierung zurückzuführen, die sich ein M a n n w i e General de Gaulle einfach nicht gefallen lasse? . . . Dr. Schröder: H e r r Kollege Metzger, Sie haben selbst das entscheidende Wort zitiert; das ist dieses »vielleicht 4 . Das zeigt, daß zutrifft, was ich gerade gesagt habe, daß es sich hier u m Bewertungsfragen handelt. Sie werden m i r einräumen wollen, daß sich die Bundesregierung nicht zu solchen Bewertungsfragen, die sie unter sich natürlich erörtern w i r d , öffentlich äußern kann. Metzger: H e r r Außenminister, sind Sie nicht der Meinung, daß dieses »vielleicht' die Bedeutung dieser Frage sogar noch unterstreicht? Dr. Schröder: H e r r Kollege Metzger, es ist ein großer Unterschied, ob die Bundesregierung hier eine Bewertung v o r n i m m t oder ob irgendein anderer deutscher Politiker, selbst w e n n n es ein sehr hochgestellter Politiker ist, (Zurufe von der SPD) dies tut. Die Bundesregierung spricht f ü r . . . das ganze deutsche Volk. Der Politiker hat den Vorzug, seine eigene Meinung manchmal unverblümter ausdrücken zu können. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Mommer (SPD): H e r r Minister, Sind Sie m i t m i r der Meinung, daß es bei den Verstimmungen mehr u m sachliche politische Meinungsunterschiede u n d nicht u m Fragen der Behandlung u n d nicht einmal u m Fragen der Personen geht? Dr. Schröder: Ich möchte mich jetzt nicht auf das Bewertungsgebiet begeben, von dem ich gerade gesagt habe, daß es nicht gut wäre, w e n n die Bundesregierung sich dazu öffentlich äußern würde. Das deutsch-französische V e r hältnis ist keineswegs p r o b l e m f r e i . . . Das Entscheidende ist n u r der Geist, in dem man an die Beseitigung von bekannten Schwierigkeiten herangeht. (Beifall bei den Regierungsparteien)."
Auffallend i n dieser 2. Europa-Fragestunde war, daß sich die Opposition hier nicht einseitig gegen die Regierung stellte, sondern eher versuchte, eine bestimmte Richtung innerhalb der Regierung gegen die andere zu stützen. Hierauf spielte der FDP-Abgeordnete Zoglmann an, als er die rhetorische Frage stellte: „ H e r r Bundesminister, darf ich Sie fragen, ob auch Sie aus dem bisherigen Verlauf der Fragestunde den Eindruck gewonnen haben, daß es die SPDF r a k t i o n unternommen hat, die Position des Außenministers i n diesem Hause zu stärken?
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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(Stürmische Heiterkeit auf allen Seiten. — Beifall bei den Regierungsparteien.) Dr. Schröder: borgen.
H e r r Kollege Zoglmann, die Motive der SPD sind m i r ver(Große Heiterkeit) 5 1 ."
Außer dem persönlichen Erfolg für den Außenminister Dr. Schröder und der Unterstützung seiner politischen Richtung durch die Opposition hatte die 2. Europa-Fragestunde eine große „politisch-institutionelle" Bedeutung, die darin lag, „daß sie die i m außerparlamentarischen Bereich — i n den Zeitungsspalten — sich zersplitternde außenpolitische Diskussion i n den Bundestag zurückgeführt hat" 5 2 . Ebenso wie die 1. Europa-Fragestunde blieb auch die 2. ein Einzelfall i m Hinblick auf die Behandlung politischer Richtlinienfragen i n der Fragestunde. Die Abgeordneten kehrten i n der Folgezeit wieder zu alltäglicheren Fragen zurück. Doch wurde die Fragestunde wiederholt auch dazu benutzt, Ereignisse oder Tatsachen, die die Öffentlichkeit stark bewegten, anzusprechen. Das geschah nicht selten ohne Rücksicht auf die Zuständigkeit der Bundesregierung. So fragte beispielsweise der ehemalige Bundesminister Dr. Wuermeling aus Bad Godesberg die Bundesregierung nach ihrer Meinung zu einem — nach Ansicht weiter Bevölkerungskreise zu niedrigen — Strafantrag der Bonner Staatsanwaltschaft i n einer Verkehr sunf allsache : „Ist dem H e r r n Bundesjustizminister die Meldung des Bonner Generalanzeigers v o m 21./22. November 1964 bekannt, derzufolge ein Bonner Staatsanwalt gegen einen Autofahrer, der wegen wesentlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (84 statt 50 km/h) ein Rentnerehepaar tödlich überfahren hat, n u r 2 Monate Gefängnis m i t Bewährungsfrist ohne Führerscheinentzug beantragt hat? Dr. Bülow, Staatssekretär i m Bundesministerium der J u s t i z : . . . Obwohl der F a l l die Justizhoheit des Landes Nordrhein-Westfalen u n d nicht die des Bundes betrifft, b i n ich ermächtigt, folgendes zu e r k l ä r e n : . . . Bausch (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, . . . h a l t e n Sie es nicht f ü r einen bedauerlichen Vorgang, daß solche Urteile gefällt werden u n d i m Lande der Eindruck entsteht, m a n könne 2 Menschen totfahren, ohne daß einem p r a k tisch etwas geschieht? Dr. Bülow: Die Frage könnte sachgemäß n u r der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen beantworten . . . Sie sehen vielleicht, daß der F a l l prek ä r ist u n d daß der Staatsanwalt 2 Monate beantragt hat, während das Gericht sogar auf 3 Monate erkannt hat. Ferner ergibt sich aus der Bedeutung dieses Einzelfalles, daß sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung eingelegt haben. Ich glaube, es ist sehr schwer, vielleicht 51 52
1*
StenB IV/S. 7238 A . Schindler, PVS, 7. Jg., S. 433.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
sogar unzulässig, i n einem Fall, der noch i n der Schwebe ist u n d die Gerichte beschäftigt, sachlich zu dem I n h a l t des Verfahrens Stellung zu nehmen 5 3 ."
Insgesamt gesehen aber blieb Gegenstand der Mündlichen Anfragen i n der Zeit nach Neugestaltung der Fragestunde 1960 bis zur Kleinen Parlamentsreform 1969 die Wahlkreisfrage oder das Spezialproblem des einzelnen Abgeordneten. So klagte der Bundestagsvizepräsident über die ermüdende Diskussion von Spezialfragen, die offen nur die Fragesteller selbst interessierten und meinte: „Es ist nicht notwendig, daß die Fragestunde des Bundestages sich zu einer Stunde der Langeweile entwikelt 5 4 ." Auch die Presse mahnte: „Gelegentlich hat m a n es bedauern müssen, daß zu viele Abgeordnete diesen eigentlichen politischen Sinn der Fragestunde verkennen u n d mehr davon ausgehen, lokale Probleme aus ihrem Wahlkreis zur Debatte stellen zu sollen. Das wiederum führte zu der Konsequenz, daß die Bundesminister sich immer häufiger durch Staatssekretäre vertreten lassen. A u f diese Weise verliert die Fragestunde mehr u n d mehr ihren politischen Sinn 5 5 ."
Vor allem vor den jeweiligen Bundestagswahlen standen Wahlkreisfragen eindeutig i m Vordergrund. U m sich vor ihren heimatlichen Wählern als besonders aktiv zu erweisen, trugen die Abgeordneten zahlreiche kleine Probleme ihres Wahlkreises i n Fragen an die Regierung heran. Das wiederum ließ die Fragestunden provinziell und uninteressant werden. So rechnete die Presse einem SPD-Abgeordneten vor, er habe m i t seiner Anfrage, ob die Bundesregierung bereit sei, darauf hinzuwirken, daß an der Ortsdurchfahrt der Β 417 i n Diez i n der Höhe des Postamtes am Fußgängerüberweg eine Verkehrsinsel angebracht werde, nicht nur eine lange, für andere Abgeordnete uninteressante Auseinandersetzung m i t dem zuständigen parlamentarischen Staatssekretär — „60 Druckzeilen i m stenographischen Dienst" — heraufbeschworen, sondern diese Frage koste, das sei „die Quintessenz dieses Unfugs", den Bund für Arbeitsanfall und Drucksachen „mehrere tausend M a r k " 5 6 . — Ähnlich erging es einem SPD-Abgeordneten aus Weiden (Oberpfalz), dem die Rhein-Zeitung Koblenz unter der ironischen Überschrift „Ziehe nie nach Vohenstrauß" vorrechnete, seine Frage über die Dauer der Postbeförderung von Vohenstrauß (Oberpfalz) nach Weiden habe einschließlich der Zusatzfragen den Bundestag 8 Minuten kostbarer Zeit gekostet 57 . Bundestagspräsident von Hassel meinte dazu i n der Fragestunde: 53
4. Wp., 148. Sitz., 2.12.1964, StenB IV/S. 7264 B, C, D. Neue Rhein-Ruhr-Zeitung, 22.4.1966; Frankfurter Allgemeine, 22.4.1966; Stuttgarter Zeitung, 23.4.1966. Anlaß f ü r diesen Stoßseufzer Schoettles w a r eine Frage zur Kontingentzuteilung bei Japanporzellan, die der Staatssekretär i m Wirtschaftsministerium i n sachlicher Form, aber äußerst trockener A m t s sprache beantwortet hatte. 55 Th. Kern, i n : Freie Presse, Bielefeld, 1. J u n i 1966. 56 W. Henkels, i n : Hannoversche Allgemeine, 26.11.1968. 57 Rhein-Zeitung, Koblenz v o m 24.4.1969. 54
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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„Es ist an sich außerordentlich interessant, die Postabholzeiten i n Weiden kennenzulernen. Aber ich glaube, daß die Frage u n d ihre Beantwortung den Geschäftsordnungsausschuß veranlassen sollte, bei der Neufassung der Richtlinien für die Fragestunde darüber nachzudenken, ob m a n diese Fragen nicht anders behandeln sollte, als heute hier geschehen 58 ."
I n der Tat veranlaßte das Überhandnehmen äußerst spezieller Fragen von lediglich lokaler Bedeutung die Kommission zur Parlamentsreform und den Geschäftsordnungsausschuß, dem Bundestag vorzuschlagen, derartige Anfragen aus der mündlichen Fragestunde herauszunehmen. Bereits am 18. Juni 1969 stimmte der Bundestag den neuen, von der Kommission und dem Geschäftsordnungsausschuß ausgearbeiteten Richtlinien für die Fragestunde zu, die dem Bundestagspräsidenten ab 1. 10. 1969 die Möglichkeit geben, Fragen von lediglich lokaler Bedeutung auf den Weg der schriftlichen Beantwortung zu verweisen. Seit Inkrafttreten dieser Richtlinien haben die Fragestunden eindeutig an Lebendigkeit gewonnen. Das mag allerdings zu einem Teil auch daher rühren, daß i m 6. Deutschen Bundestag m i t der CDU/CSU die stärkste Fraktion des Hauses i n der Opposition steht und die politischen Möglichkeiten der Fragestunde ausnutzt. Folge dieser politischer gewordenen Fragestunde ist eine nun auch hier häufiger zu bemerkende Polarisierung zwischen Regierung und Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits. Diese führte i n der 6. Wahlperiode sogar dazu, daß i n der Fragestunde ein parlamentarischer Staatssekretär seinem Minister durch gezielte Zusatzfragen zu sekundieren versuchte 59 » 60 . Die Opposition griff dieses Verhalten sogleich i n Zusatzfragen an: „Rasner (CDU/CSU) : H e r r Minister, besteht die Absicht, auch i n Z u k u n f t den Minister i m Plenum des Bundestages jeweils durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär nach seiner Meinung fragen zu lassen? (Beifall, Heiterkeit u n d Zurufe bei der CDU/CSU.) 58
B T 5. Wp., 227. Sitz., StenB V/S. 12506 C, D. I n der Ausgangsfrage hatte sich ein oppositioneller Abgeordneter danach erkundigt, w i e v i e l Referenten der Bundesministerien seit dem Regierungswechsel aus ihrem bisherigen Tätigkeitsbereich versetzt worden seien (StenB VI/S. 248 B). I m Verlaufe der insgesamt 18 Zusatzfragen, die sich an diese Frage anschlossen, stellte der parlamentarische Staatssekretär i m I n n e n m i n i sterium seinem Minister die Frage: „ H e r r Minister, können Sie bestätigen, daß auch i n der Zeit zwischen der Bundestagswahl u n d der Vereidigung der neuen Bundesregierung solche v o n den Kollegen der CDU hier m i t kritischen Bemerkungen bedachte Versetzungen v o n Referenten i n einer Reihe v o n Häusern stattgefunden haben?" (StenB VI/S. 249 D.) 60 Die Presse kritisierte dieses Verhalten w i e folgt (FAZ v. 6.11.1969): „Es m i t dem Frageflankenschutz (dessen Genscher gar nicht bedurfte) f ü r den M i n i ster so weit zu treiben, enthüllt einen erheblichen Mangel an Gefühl für das Schickliche u n d auch f ü r das taktisch Nützliche. Oder liegt es daran, daß die FDP sich dazu verurteilt sieht, ihren wenigen Abgeordneten nach Bedarf verschiedene Hüte aufzusetzen?" 50
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Genscher, Bundesminister des Innern: H e r r Kollege Rasner, ich würde es f ü r grundgesetzwidrig halten, w e n n die Rechte eines Abgeordneten i m Parlament dadurch eingeschränkt werden, daß er Parlamentarischer Staatssekret ä r ist. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU.) Koppler (CDU/CSU): H e r r Minister, . . . wären Sie bereit, m i t I h r e m Parlamentarischen Staatssekretär außerhalb des Hauses darüber zu sprechen, daß es vielleicht nicht ganz s t i l v o l l ist, wenn der Parlamentarische Staatssekretär seinen Minister befragt? Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Kollege, ich erkenne einen solchen Stilmangel nicht. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe v o n der CDU/CSU.) Mick (CDU/CSU): H e r r Minister, wenn Sie die Rechte des Parlamentarischen Staatssekretärs so verteidigen, halten Sie es dann f ü r stilvoll, w e n n i n Z u k u n f t ein Minister den anderen i n seiner Eigenschaft als Abgeordneter hier befragt? (Beifall bei der CDU/CSU.) Genscher, Bundesminister des Innern: Ich würde hier deshalb einen qualitativen Unterschied machen wollen, w e i l die Bundesminister Mitglieder der Bundesregierung sind, u n d zwar derselben Regierung 6 1 ." T r o t z dieser A u s f ü h r u n g e n des B u n d e s i n n e n m i n i s t e r s g r i f f n u r k n a p p 3 W o c h e n später sogar d e r B u n d e s k a n z l e r p e r s ö n l i c h i n die F r a g e s t u n d e ein. A l s A u ß e n m i n i s t e r Scheel d u r c h zahlreiche F r a g e n u n d Z u s a t z f r a g e n der O p p o s i t i o n z u m A t o m w a f f e n s p e r r v e r t r a g e i n w e n i g i n die Enge get r i e b e n w o r d e n w a r , g i n g B r a n d t selbst z u seinem A b g e o r d n e t e n p l a t z , u m seinem A u ß e n m i n i s t e r m i t 2 gezielten Z u s a t z f r a g e n z u H i l f e z u e i l e n 6 2 . D i e O p p o s i t i o n n a h m d e n V o r f a l l z u m A n l a ß , u m f ü r die F r a g e s t u n d e der f o l g e n d e n Woche d u r c h i h r F r a k t i o n s m i t g l i e d K ö p p l e r die F r a g e e i n z u reichen: „ H ä l t die Bundesregierung es f ü r zulässig u n d notwendig, w e n n der Bundeskanzler, der die Richtlinien der Regierungspolitik bestimmt, sich der Fragestunde als eines Instruments bedient, u m sich durch Fragen an ein anderes M i t g l i e d der Bundesregierung A u f k l ä r u n g über die der Regierungspolitik zugrunde liegenden Tatsachen zu verschaffen u n d diesem M i t g l i e d durch die Fragestellung bei der Darstellung und Interpretation der Regierungspolitik zu sekundieren 6 3 ?" Der Minister i m Bundeskanzleramt, Dr. Ehmke, antwortete darauf wie folgt: „ H e r r Kollege, die Regierung hält es nicht n u r f ü r rechtlich, sondern unter bestimmten Umständen auch f ü r politisch zulässig, daß der Bundeskanzler, der zugleich M i t g l i e d dieses Hohen Hauses ist, sich i n eine Diskussion einschaltet, die sich während einer Fragestunde des Bundestages e n t w i c k e l t . . . " 61 62 63
StenB VI/S. 250. B T 6. Wp., 14. Sitz., 27.11.1969, StenB VI/S. 516 D. Drucks. VI/104 = StenB VI/S. 606 C.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
183
Köppler insistierte: „ W ü r d e n Sie vielleicht dennoch bereit sein, H e r r Bundesminister, m i r darin zuzustimmen, daß die Fragestunde als ein Instrument des Parlaments zur Kontrolle der Regierung, möglichst i n enger Auslegung der f ü r diese Fragestunde geschaffenen Richtlinien, durchgeführt werden sollte?"
Dr. Ehmke: „ H e r r Kollege Köppler, ich b i n der Meinung, w i r sollten die Fragestunde so lebendig wie möglich gestalten 64 » 6 5 . "
Festzustellen ist damit, daß seit der kleinen Parlamentsreform vom Jahre 1969 die Fragestunden wiederum lebendiger und politischer geworden sind. Hand i n Hand damit geht eine Aufhebung der Frontstellung zwischen Parlament und Regierung: die Mündliche Anfrage ist i n vielen Fällen nicht mehr eine Waffe des Parlaments gegen die Regierung, die den Mitgliedern der Regierung nicht offenstünde, sondern ein Mittel, vor allem der Opposition, zur Herbeiführung einer A r t Diskussion, i n der sich Regierung und Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits gegenüberstehen und alle von der Möglichkeit zu Zusatzfragen, wenn erforderlich, Gebrauch machen. Zusammenfassung Versucht man abschließend zusammenfassend einiges über Entwicklung, Handhabung und Gegenstand der Fragestunde festzuhalten, so ist vor allem folgendes zu sagen: I n den Jahren 1952 bis 1960 waren die Fragestunden auf Grund fehlender technischer Möglichkeiten und Mängeln i n der Geschäftsordnung i n der Regel provinziell, uninteressant und wenig lebendig. Seitdem sie die Richtlinien vom Juni 1960 von einigen restriktiven Geschäftsordnungsregeln befreit haben, haben die Fragestunden an Bedeutung zugenommen. Das zeigt sich einmal an einem überwältigenden zahlenmäßigen Anstieg der Mündlichen Anfragen auf fast 5000 i n der 4. und auf über 10 000 i n der 5. Wahlperiode. Allerdings sind durch dieses Anwachsen der Zahl der Mündlichen Anfragen dem Bundestag 64
StenB VI/S. 606 C, D. Die Presse kritisierte das Verhalten der Bundesregierung i n der Regel ziemlich scharf: eine Handhabung der Fragestunde, die jede Frontstellung z w i schen Parlament u n d Regierung aufhebe, sei stilwidrig, w e n n nicht sogar verfassungswidrig (in diesem Sinne etwa: Christ u n d Welt v. 5.12.1969; vgl. auch: Süddeutsche Zeitung u n d Rheinische Post v o m 5.12.1969). Die F A Z meinte i n ihrer Stellungnahme „Fehlgriffe" v o m 1.12.1969: „Selbst wenn schon früher gegen dieses Gebot gesündigt worden ist: auch f ü r den Bundeskanzler muß gelten, daß das Instrument der parlamentarischen Anfrage an die Regierung eine Waffe des Parlaments gegen die Regierung ist, die den Mitgliedern der Regierung nicht zur Verfügung s t e h t . . . Die Sekundantenfrage aus dem Regierungslager i m Parlament, die es geben k a n n u n d die nicht zu verhindern ist, sollte denen vorbehalten bleiben, die Abgeordnete sind u n d nichts sonst." 65
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
und der Bundesregierung eine Menge zusätzlicher Arbeit zugeflossen, die kaum zu bewältigen ist. Die Fragestunden zu Beginn jeder Plenarsitzung reichen nicht mehr aus, u m alle eingehenden Mündlichen Anfragen — pro Woche sind es durchschnittlich 80-120 — zu erledigen; i n der Praxis müssen häufig eigene Plenarsitzungen für Fragestunden angesetzt werden. Auch inhaltlich haben die Fragestunden an Bedeutung gewonnen. Allerdings bedurfte es zunächst einer langen Anlaufzeit und einer starken K r i t i k seitens der Presse, bis die Abgeordneten vereinzelt von der neuen Möglichkeit zu politischen Richtlinienfragen Gebrauch machten. Gerade diese hochpolitischen Mündlichen Anfragen — ζ. T. lediglich aus Zeitnot eingebracht — haben der Fragestunde jedoch zu erhöhter Bedeutung und größerer Resonanz i n der Öffentlichkeit verholf en. Negativ ist zu vermerken, daß auch i n den Jahren seit der Neugestaltung der Fragestunde i m Jahre 1960 die meisten Mündlichen Anfragen i n der Hauptsache u m Wahlkreisprobleme und sonstige sehr spezielle Angelegenheiten kreisten, so daß interessante und belebende Zusatzfragen von anderen Abgeordneten als dem Fragesteller häufig ausblieben. Da außerdem die Minister sich — nicht zuletzt auf Grund dieser Tatsache — zunehmend von Staatssekretären vertreten ließen und die Antworten der Regierung überhaupt häufig allzu ausführlich und trocken waren, bestand wiederholt Anlaß, die Fragestunde als eine Stunde der Langeweile zu apostrophieren. Erst seitdem die Richtlinien vom Juni 1969 dem Bundestagspräsidenten m i t Wirkung vom 1. 10. 1969 an die Möglichkeit geben, Fragen von lediglich lokaler Bedeutung auf den Weg der schriftlichen Beantwortung zu verweisen, sind die Fragestunden lebendiger und politischer geworden. Folge davon ist eine stärkere Frontstellung zwischen Regierung und Regierungsparteien einerseits und Opposition andererseits. 2. Mündliche Anfragen als Kontrollmittel für den einzelnen Abgeordneten
Bei Einführung der Fragestunde i m Bundestag m i t der Geschäftsordnung vom 6. 12. 1951 reihte der Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses, der SPD-Abgeordnete Ritzel, die Mündlichen Anfragen unter die Minderheitsrechte ein 6 6 . I n der Tat gewinnen die Mündlichen A n fragen eine besondere Bedeutung dadurch, daß sie ein Kontrollmittel für den einzelnen Abgeordneten darstellen. Während sich bei den Großen und Kleinen Anfragen jeweils eine relativ große Zahl von Abgeordneten auf eine einzubringende Anfrage einigen muß, ist es bei den Mündlichen 66
B T 1. Wp., 179. Sitz., 6.12.1951, StenB I/S. 7413 D.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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Anfragen nach der Geschäftsordnung grundsätzlich der Initiative des einzelnen Abgeordneten überlassen, ob und was er die Regierung fragen w i l l , wann und worin er sie kontrollieren möchte. So bietet die Fragestunde theoretisch die Möglichkeit, den i m Parteienstaat des parlamentarischen Regierungssystems i n starkem Maße von seiner Fraktion abhängig gewordenen Abgeordneten wieder mehr aus dem Schatten seiner Fraktion herauszulocken, i h m eine selbständigere Stellung innerhalb von Fraktion und Parlament zu verschaffen und i h m dadurch gleichzeitig zu einer größeren Resonanz i n der Öffentlichkeit zu verhelfen. Diese — von Schindler 67 als Auslese bezeichnete — Verselbständigung und Profilierung des einzelnen Abgeordneten i n der Fragestunde ist jedoch nur zu einem geringen Teil erreicht worden. Das hat verschiedene Gründe. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist sicherlich die Tatsache, daß die Fraktionen ihren Mitgliedern die Fragestunde nicht „freigegeben" haben. Sowohl die Geschäftsordnung der SPD-Fraktion 6 8 als auch die Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion 6 9 sehen vor, daß die Mündlichen A n fragen über den parlamentarischen Geschäftsführer bzw. über das Fraktionssekretariat einzureichen sind. Wenn dieser Geschäftsgang über das Fraktionsbüro wohl auch zunächst aus Gründen technischer Erleichterung erfolgt, so schließt er doch andererseits die Möglichkeit sachlicher Einflußnahme seitens des Fraktionsvorstandes nicht aus. Zwar sieht die Geschäftsordnung der SPD-Fraktion bei den Mündlichen Anfragen — anders als bei den Großen und Kleinen Anfragen — nicht die ausdrückliche Zustimmung des Fraktionsvorstandes vor, und auch bei der CDU/ CSU-Fraktion w i r d die — mehr auf die Großen und Kleinen Anfragen zugeschnittene — Bestimmung des § 13 der Arbeitsordnung bei den 67
I n : PVS, 7. Jg., S. 407 ff. § 5 GO SPD-Fraktion lautet: „Fragen f ü r die Fragestunde werden über den parlamentarischen Geschäftsführer eingereicht. Kleine u n d Große Anfragen, Anträge u n d Gesetzesvorlagen f ü r das Plenum müssen zunächst dem Fraktionsvorstand vorgelegt werden. Der Einbringer hat das Recht, seine Eingabe i n der Sitzung des Fraktionsvorstandes zu vertreten. Lehnt der Fraktionsvorstand die Vorlage ab, so muß der F r a k t i o n auf V e r langen des Einbringers hiervon Kenntnis gemacht v/erden." 69 § 13 der Arbeitsordnung der CDU/CSU-Fraktion lautet: „1. Anträge, I n t e r pellationen u n d Anfragen, die aus den Reihen der F r a k t i o n kommen, unterliegen nachstehendem Geschäftsgang: a) Einreichen der betreffenden Vorlagen i m Fraktionssekretariat, b) von da Weiterleitung an den zuständigen Arbeitskreis, c) nach Begutachtung durch den zuständigen Arbeitskreis Vorlage u n d Besprechung i m Vorstand, d) bei Ablehnung durch den Vorstand auf Wunsch des Antragstellers Vorlage i n der Fraktionsvollversammlung, e) Abgabe an das Präsidialbüro bzw. Rückgabe an den Antragsteller bei A b lehnung, . . . (zit. nach Ellwein, a.a.O., S. 459). 68
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
M ü n d l i c h e n A n f r a g e n n i c h t s t r e n g e i n g e h a l t e n 7 0 , doch e r ö f f n e t der g r u n d sätzlich vorgeschriebene W e g ü b e r das F r a k t i o n s s e k r e t a r i a t n a t ü r l i c h die M ö g l i c h k e i t einer E i n f l u ß n a h m e . D i e F r a k t i o n e n l e g e n z u r W a h r u n g i h r e s Ansehens s e l b s t v e r s t ä n d l i c h W e r t d a r a u f , „ d a ß n i c h t eines i h r e r M i t g l i e d e r e i n u n n ü t z e s oder gar u n sinniges A n l i e g e n v o r d e n B u n d e s t a g b r i n g t " 7 1 oder sogar i n F r a g e f o r m p o l i t i s c h e A n s i c h t e n d e u t l i c h w e r d e n läßt, die n i c h t denen der P a r t e i entsprechen. D a ß die F r a k t i o n e n i n d e r T a t v o n i h r e n E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t e n b e i d e n M ü n d l i c h e n A n f r a g e n G e b r a u c h machen, b e t o n t e e i n m a l a u s d r ü c k l i c h d e r F D P - A b g e o r d n e t e Moersch, als er die N o t w e n d i g k e i t der E i n f ü h r u n g e i n e r sog. p o l i t i s c h e n F r a g e s t u n d e m i t einer u n m i t t e l b a r e n , u n v o r b e r e i t e t e n m ü n d l i c h e n B e f r a g u n g d e r M i n i s t e r u. a. m i t der B e m e r k u n g b e g r ü n d e t e : „ I c h glaube, daß das auch f ü r die Abgeordneten eine hervorragende Sache ist. Dann können nämlich nicht vorher Fraktionsvorstandssitzungen die Fragen filtrieren, w i e das jetzt gelegentlich geschehen kann. Dann k a n n jeder Abgeordnete v o n sich aus i n i t i a t i v werden, dann k a n n er einmal beweisen, was i h n politisch bewegt 7 2 ." 70
Nach einer mündlichen A u s k u n f t des CDU-Abgeordneten Varelmann reichen Mitglieder seiner F r a k t i o n Mündliche Anfragen oft direkt beim B u n destagspräsidium ein u n d lassen der F r a k t i o n lediglich eine Durchschrift zukommen. 71 Kremer, Der Abgeordnete zwischen Entscheidungsfreiheit u n d Parteidisziplin, 2. Aufl., München 1956, S. 54. 72 B T 5. Wp., 240. Sitz., 18. 6.1969, StenB V/S. 13315 D, 13316 A (Hervorh. v. Verf.). Diese Behauptung des FDP-Abgeordneten rief seinerzeit lebhafte Proteste hervor: Frehsee (SPD) : Können Sie m i r ein einziges Beispiel dafür nennen, daß i n einer Fraktionsvorstandssitzung eine Frage filtriert worden ist? Ich k a n n mich f ü r die Dauer meiner Tätigkeit i m Fraktionsvorstand nicht erinnern, daß das jemals geschehen ist. (Zurufe v o n der SPD u n d von der Mitte.) Moersch (FDP) : Ich weiß nicht, H e r r Frehsee, w i e lange Sie dabei sind. I n diesem Parlament b i n ich n u n seit 20 Jahren über die Vorgänge informiert. Ich w a r früher Berichterstatter u n d habe über solche Themen Untersuchungen geschrieben. Es soll schon irgendwann einmal passiert sein, daß ein Abgeordneter durch die Fraktionsführung i n seiner Freiheit ein bißchen beschränkt worden ist. (Zuruf von der SPD.) Wenn Sie, Herr Frehsee, das f ü r die SPD-Fraktionsführung hier expressis verbis verneinen, so wäre das ein historisches Ereignis; das sage ich Ihnen. (Zurufe v o n der SPD.) Ich glaube das jedenfalls nicht. Ich glaube vielmehr, daß sich die Fraktionsführungen., vor allem die Regierungsfraktionen, bemühen, die Dinge ein wenig zu steuern. Wenn das anders sein sollte, haben viele Kollegen i m Hause, die m i r darüber berichtet haben, offensichtlich p h a n t a s i e r t . . . Haage (München) (SPD) : H e r r Kollege, unterstellen Sie m i r u n d meinen K o l legen, daß dann, w e n n w i r der Meinung sind, daß w i r i n einer Frage der Empfehlung des Fraktionsvorstandes nicht folgen können, i n unserer F r a k t i o n soviel Loyalität herrscht, daß das getan werden kann? Moersch (FDP): H e r r Haage, ich verstehe überhaupt nicht, wieso sich jemand hier betroffen fühlen konnte. Es ist doch eine bewiesene Tatsache, daß in
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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W i r d also durch die Einflußmöglichkeiten der Fraktion die Selbständigkeit und politische Aktionsfähigkeit des einzelnen Abgeordneten i n der Fragestunde nicht unerheblich eingeschränkt 73 , so ist auf der anderen Seite auch zu berücksichtigen, daß die Abgeordneten selbst offenbar Furcht haben, sich durch politisch brisante Fragen mit ihrer Fraktion zu überwerfen und dadurch ihre politische Karriere zu gefährden. Es scheint, daß nur wenige von ihnen es wagen, gegen den Willen ihrer Partei i n der Fragestunde aktiv zu werden 7 4 . Offenbar glauben sie, daß ein eigenwilliges Verhalten sie nur i n die Rolle des Außenseiters führen würde, durch die sie die Chancen einer erneuten Aufstellung bei der nächsten Wahl verlieren könnten. Da überdies vom Blickpunkt des politischen Einflusses her ein Aufstieg i n der Parteihierarchie für einen Abgeordneten wichtiger und selbst bedeutsamer sein kann als die Reputation i n der Öffentlichkeit, kann und w i l l er es sich offenbar nicht leisten, sich i n der Fragestunde öffentlich i m Gegensatz zu seiner Fraktion zu setzen 75 . Diese aus der Stärke und dem Einfluß der Fraktionen herrührende Einstellung der Abgeordneten, dieses Arrangement zwischen i h m und der Fraktion, ist ein entscheidender Grund für das weitgehende Scheitern der Auslesefunktion der Fragestunde 76 . Nicht zu Unrecht betont Johnson i n diesem Zusammenhang: „The arrengement strengthens party machines which are already too powerf u l and must contribute to reducing the Member's reputation i n the eyes of the public as an independent agent. On this point the German parties might w e l l ask themselves whether the attitude of the B r i t i s h parties towards Questions is not more healthy, and more conducive to enlivening the proceedings 77 ."
Vermag der einzelne Abgeordnete seine aus vielerlei Gründen herrührende Abhängigkeit von seiner Fraktion i n der Regel durch seine wiederholten Fällen Fragen, die eingereicht waren, auf Intervention h i n zurückgezogen oder nachher schriftlich beantwortet wurden, obwohl sie ursprünglich mündlich beantwortet werden sollten. Das hat dann das jeweilige Regierungsinteresse oder das Führungsinteresse der Fraktion geboten. W i r wollen uns doch nicht besser machen als w i r sind. Selbstverständlich gibt es das überall." (Hervorheb. v. Verf.) (StenB V/S 13316 A - C) 73 Johnson, i n : Parliamentary Ä f f airs, Vol. 16, S. 28 meint dazu: "Whilst this system may discourage frivolous or misconceived Questions, i t has the serious disadvantage of weakening the Member's sense of personal responsibili t y for his Questions, and i t may prevent h i m from asking a question because the party caucus considers i t inopportune." 74 Schindler, Dipl. Arb., S. 188. 75 Vgl. hierzu v o r allem Kremer, Der Abgeordnete, a.a.O., insbesondere S. 23 ff. u n d 54 ff. 76 Die Meinung von Sternberger (Parlamentarische Regierung u n d Parlamentarische Kontrolle, i n : PVS, 5. Jg., S. 6 ff. [18]), wonach i n der Fragestunde der Abgeordnete „als ein einzelner m i t seinen Wahrnehmungen, m i t seinen Beschwerden u n d m i t seinen Wahlkreiserfahrungen — gegebenenfalls — plastisch aus dem Schatten des Fraktionskollektivs h e r v o r " t r i t t , k a n n bei Beobachtung der Parlamentspraxis n u r sehr beschränkt bestätigt werden. 77 a.a.O., S. 28.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Mündlichen Anfragen nicht entscheidend zu lockern, so gelingt es i h m infolgedessen auch kaum, sich m i t Hilfe der Anfragen von seiner Hinterbänkler-Stellung i m Gesamtparlament vorzuarbeiten und durch die Fragestunde zu einer profilierten, i m Land bekannten Parlamentarier-Persönlichkeit zu werden. Da i n der Regel nur politisch brisante Fragen zu größerem Renommé verhelfen, diese aber durch das weitgehende Arrangement zwischen Abgeordneten und Fraktion meist nicht von unbekannten einzelnen Abgeordneten, sondern von der Fraktion durch ihre führenden Mitglieder eingebracht werden, bleiben dem einzelnen Abgeordneten häufig nur die weniger augenfälligen Fragen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß der Abgeordnete i n der Fragestunde — bedingt durch die Geschäftsordnungsregeln — „kaum zum Reden k o m m t " 7 8 , da er ja seine schriftlich eingereichte „Mündliche" Anfrage nicht mündlich zu wiederholen hat, sondern nur zu Zusatzfragen das Wort ergreifen kann. I m übrigen liegt ohnehin innerhalb der Fragestunde i n der Regel mehr Gewicht auf der A n t w o r t des Regierungsmitgliedes als auf der Anfrage des Abgeordneten 79 . Es interessiert die Öffentlichkeit meist nicht so sehr, wer die Anfrage — beispielsweise zur Telephonabhöraffäre — stellt, sondern wie die Regierung sie beantwortet. Daß eine wesentliche Aufklärung i n den Spiegel-Fragestunden beispielsweise auf Fragen des SPD-Abgeordneten Wittrock beruhte, ist heute weit weniger bekannt, als die entsprechenden Antworten der M i nister Strauß und Höcherl. Nur durch präzise Zusatzfragen, durch ein gekonntes Frage- und A n t wortspiel, bei dem er die Regierungsmitglieder möglichst i n die Enge treibt, vermag der einzelne Abgeordnete sich i m Einzelfall einen Namen zu machen. Dieses Frage- und Antwortspiel aber ist selten, wofür der Grund wiederum i n der häufig mangelnden Aktualität und der nicht allgemein interessierenden Themenstellung der Mündlichen Anfragen liegt 8 0 . — Gibt es aber i m Einzelfall interessante und aktuelle Themen i n der Fragestunde, so erweist sich, daß die Fragen i n der Regel von bereits arrivierten und i n der Fraktion führenden Abgeordneten verfolgt werden, wie es Europa- und Spiegel-Fragestunde i n aller Deutlichkeit gezeigt haben. Gerade beim sog. „barrage of questions", bei dem so w i r k samen „Sperrfeuer" inhaltlich aufeinander abgestimmter Fragen zu Themen meist politisch hochaktuellen Inhalts, liegt ja i m Grunde nicht die Kontrollmaßnahme mehrerer unabhängiger Einzelner, sondern meist einer Fraktion vor. Diese wiederum läßt sich durch ihre führenden A b geordneten und Experten vertreten. Johnson stellt fest: 78
Ellwein, Das Regierungssystem der BRD, S. 123. Schindler, Dipl.Arb., S. 184. 80 Hier liegt vielleicht auch einer der Gründe f ü r die i m Verhältnis zu Großbritannien sehr spärliche Presseberichterstattung über die Fragestunden. 79
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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„Glancing through the reports of Question Hours one soon notices that the most frequent questioners are those w i t h some status i n the party hierarchies and w h o spezialize i n a particular field of government activity. Those who put Questions only occasionally tend to be concernd w i t h probleme of local interest 8 1 ."
So zeigt sich, daß die Fragestunde i n der Hauptsache eine weitere Auslese für bereits arrivierte „ausgelesene" Abgeordnete bewirkt. Wichtige, politisch brisante Fragen, die auch i n der Presseberichterstattung ausführlich gewürdigt werden und damit dem Fragesteller zu erhöhter Reputation verhelfen können, werden i n der Regel nur von den Experten der Parteien gestellt 82 . Die anderen unbekannteren Abgeordneten wagen sich hier — meist aus Gründen der Fraktionsdisziplin — nur selten vor. Sie stellen i n der Mehrzahl nur Fragen von lokaler oder individueller Bedeutung, durch die sie allenfalls i m Wahlkreis auf sich aufmerksam machen, i m Plenum aber und i n der Fraktion — zumal nach Einführung der schriftlichen Beantwortungsmöglichkeit — nicht bekannt werden. So erweist sich, daß die Mündlichen Anfragen zwar nach der Geschäftsordnung ein Kontrollmittel für den einzelnen Abgeordneten sind, daß sie i h m aber i n der Praxis wegen der bestehenden Abhängigkeit zur Fraktion nicht uneingeschränkte Kontrollmöglichkeiten einräumen. Vor allem bei der politischen Richtungskontrolle liegt auch i n der Fragestunde meist nicht so sehr die Kontrollaktivität eines einzelnen vor, als vielmehr die einer ganzen politischen Gruppe, meist einer Fraktion, die hier durch ihre führenden Abgeordneten und Experten aktiv wird. Als Kontrollmittel für den einzelnen haben die Mündlichen Anfragen ihre Hauptbedeutung bei den sehr speziellen und lokalbezogenen Angelegenheiten. Solche Fragen aber können — u m die Fragestunde zu entlasten und ihr zu größerer A k t i v i t ä t und Lebendigkeit zu verhelfen — neuerdings auf den Weg der schriftlichen Beantwortung verwiesen werden, spielen also i n der mündlichen Fragestunde keine Rolle mehr. 3. Die Kontrolle der Regierung
Erstaunlicherweise ist bei der Einführung der Fragestunde ihre Bedeutung als Kontrollmittel gegenüber Regierung und Administration nur von der Presse 83 , nicht aber von den Parlamentariern expressis verbis hervorgehoben worden. Die Abgeordneten sahen die Hauptbedeutung der Mündlichen Anfragen vor allem darin, durch sie die Parlaments81
I n : Parliamentary Ä f f airs, a.a.O., S. 27. I n der Berliner Modellstudie (a.a.O., S. 132) w i r d die Ansicht vertreten, daß die Fragesteller „praktisch i m Namen ihrer F r a k t i o n die Rolle des Anfragenden übernehmen". 83 Vgl. etwa die Neue Zeitung, 1.10.1951: „Das englische Beispiel zeigt, daß die Fragestunde der wichtigen K o n t r o l l f u n k t i o n des Parlaments zugute kommt." 82
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
arbeit lebendiger gestalten zu können und dem einzelnen Abgeordneten ein M i t t e l an die Hand zu geben, seine persönlichen Wünsche und Wahlkreiserfahrungen vor dem Plenum und der Öffentlichkeit an die Regierung heranzutragen. Daß damit natürlich zugleich auch eine Kontrollfunktion intendiert war, liegt auf der Hand. Schon der Organisationsausschuß hatte gemeint, m i t Hilfe der Fragestunde könne die „Abstellung von Mißständen" erreicht werden 8 4 . Auch die Bezeichnung der mündlichen Fragen als ,Anfragen deutet auf ihre Kontrollfunktion hin, da dem Wort ,Anfrage 4 i m parlamentarischen Sprachgebrauch stets ein kritischer Unterton anhaftet. Steht somit die allgemeine Intention der Abgeordneten, mit Hilfe Mündlicher Anfragen Kontrolle auszuüben, außer Zweifel, so ist doch i m Einzelfalle oft schwer auszumachen, ob und inwieweit eine Kontrolle beabsichtigt und wie erfolgreich sie ist. Was sich rein dem Wortlaut nach als ein bloßes Informationsersuchen ausgibt, kann i n Wirklichkeit ein intensiver Kontrollvorgang sein, während andererseits eine sehr kritisch klingende Frage i m Einzelfall nur rhetorische Bedeutung haben mag. Bei extensiver Interpretation des Wortes Kontrolle — d. h. bei Einbeziehung der sog. dirigierenden und informierenden Kontrolle i n den Kontrollbegriff 8 5 — ist jedoch nahezu jeder Mündlichen Anfrage Kontrollbedeutung zuzumessen 86 . a) Kontrolle
der Regierung
als politisches
Führungsorgan
Die Richtlinien- und Grundsatzfragen der Politik waren i n der Fragestunde jahrelang tabuierte Fragen. Erst seit Verabschiedung der ersten Richtlinien für die Fragestunde i m Jahre I960, die derartige Mündliche Anfragen ausdrücklich für zulässig erklären, nutzen die Abgeordneten die Möglichkeit, die Regierung auch als politisches Führungsorgan zu fragen und zu kontrollieren. Wegen der i n der Fragestunde einzuhaltenden Form von Frage und A n t w o r t ist dabei allerdings eine dirigierende Einflußnahme i m Sinne einer Modifizierung der regierungsamtlichen Richtlinien kaum möglich, kann doch der einzelne Abgeordnete seine abweichende Meinung nur i n Form einer Frage vorbringen und verbietet i h m gerade diese Frageform, i n eine gleichberechtigte Diskussion m i t dem Regierungsvertreter einzutreten. Für eine politische Grundsatz84 Org.-Ausschuß, 1. Wp., Kurzprotokoll, 6. Sitz., 29.11.1949, Mat. Bd. I, S. 30 b. 85 Vgl. dazu Eichenberger, i n : Schweizerische Juristenzeitung, 61. Jg., a.a.O., S. 269 ff. (270). 86 V o n insgesamt 1049 Mündlichen Anfragen i n der 2. Wp. bezeichnet die Berliner Modellstudie nach ausführlichen Untersuchungen n u r 127 als nicht kontrollkritisch. Als Beispiel einer nicht kontrollkritischen Frage wäre nach dieser Terminologie eine Frage zu bezeichnen, die sich etwa n u r nach der Höhe v o n Unwetterschäden erkundigt.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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diskussion ist aber auch die Fragestunde ja nicht gedacht, da hierfür die Großen Anfragen m i t ihrer Möglichkeit zur gründlichen Aussprache i m Plenum und selbst die Aktuelle Stunde i n Form einer Kurzdebatte besser geeignet sind. Immerhin ist die Fragestunde gut geeignet zu dem Zwecke, von der Regierung eine erste oder auch zusammenfassende Stellungnahme zu Fragen der Großen und aktuellen Politik zu erhalten. Durch zahlreiche Mündliche Anfragen zu dem gleichen Thema und ebensoviele Zusatzfragen kann die Regierung gezwungen werden, ihren Standpunkt immer mehr zu präzisieren und sich schließlich eindeutig festzulegen. Ein solcher Erfolg gelingt den Abgeordneten jedoch äußerst selten. — Selbst i n der vielzitierten ersten Europa-Fragestunde vermochte die Opposition weder die außenpolitischen Differenzen innerhalb des Regierungslagers wirklich deutlich werden zu lassen noch die Regierung auf eine der beiden Richtungen festzulegen 87 . Zwar konnten die Abgeordneten i n der 2. Europa-Fragestunde mehr als 2 Jahre später 88 eine stärkere Konkretisierung des Regierungsstandpunktes erreichen, insgesamt aber zeigt sich, daß die Abgeordneten i n dieser Hinsicht von dem politischen Instrument der Fragestunde noch einen sehr unvollkommenen Gebrauch machen und einen redegewandten Minister nicht eigentlich festzulegen vermögen. Vielleicht erklärt sich hieraus auch zum Teil die große Zurückhaltung der Abgeordneten und Fraktionen gegenüber politischen Richtlinienfragen i n der Fragestunde. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die Fragestunde jahrelang — eigentlich bis zum Inkrafttreten der neuen Richtlinien vom Juni 1969 — unter den zahlreichen äußerst speziellen und lokalbezogenen Wahlkreisfragen und der dadurch häufig hervorgerufenen Langeweile litt. Sie hatte zur Folge, daß sich die Minister i n der Fragestunde zunehmend durch ihre beamteten Staatssekretäre vertreten ließen, die ihrerseits — zumal bei unvorhergesehenen Zusatzfragen — nicht verantwortlich politische Aussagen machen konnten 8 9 » 9 0 . So kam es, daß die Regie87
Folgender kurzer Abschnitt aus dem Protokoll der Fragestunde mag das verdeutlichen: „Wehner (SPD) : . . . Ich w o l l t e n u r fragen, ob n u n diese unterschiedlichen A u f fassungen u n d öffentlich gegenübergestellten Auffassungen des Bundeskanzlers u n d seines Verteidigungsministers unter einen H u t zu bringen sind. Dr. Schröder (Bundesminister des Auswärtigen): H e r r Kollege Wehner, ich hoffe, Sie stimmen zu, daß ich hier eine gewisse Harmonisierung vorgenommen habe. (Große Heiterkeit. — Beifall bei den Regierungsparteien.)" 4. Wp., 36. Sitz., 27. 6.1962, StenB IV/S. 1484 f. 88 4. Wp., 147. Sitz., 13.11.1964, StenB IV/S. 7225 f. 89 Vgl. dazu auch Schäfer, Der Bundestag, a.a.O., S. 239: „ G i b t an Stelle des Ministers der Staatssekretär die A n t w o r t , so können sich die Zusatzfragen nur
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
rung wichtige politische Aussagen nur selten i n der Fragestunde, um so häufiger aber i n den zahlreichen Pressekonferenzen machte. Das hieraus resultierende schwindende Interesse der Abgeordneten und vor allem der Öffentlichkeit an der Fragestunde bedingte offenbar auf der anderen Seite wiederum eine gewisse Abstinenz der Fraktionen und Abgeordneten, sich der Mündlichen Anfragen als eines Mittels politischer Richtungskontrolle zu bedienen. Erstaunlich bleibt es allerdings, daß die Abgeordneten das M i t t e l der Fragestunde bisher nicht häufiger nutzten, u m die unterschiedlichen A u f fassungen und Ansichten einzelner Regierungsmitglieder, wie sie i n sog. Sonntagsreden und Zeitungsinterviews zutage treten, anzusprechen und anzuprangern — bieten doch die Mündlichen Anfragen wegen ihrer Möglichkeit zu Zusatzfragen hierfür geradezu ideale Voraussetzungen. Hier w i r d aber vielleicht die Tatsache bedeutsam, daß durch das Erfordernis der schriftlichen Eingabe der Anfrage mindestens 3 Tage vor der Fragestunde die Spontaneität der Abgeordneten beinträchtigt und durch die Einflußmöglichkeiten ihrer Fraktion ihre Unabhängigkeit — gerade bei politisch brisanten Fragen — beschnitten wird. Sicherlich vermöchte insoweit die von der FDP vorgeschlagene sog. politische Fragestunde m i t einer unvorbereiteten, unmittelbaren mündlichen Befragung der M i nister einige Abhilfe zu schaffen, obwohl nicht übersehen werden darf, daß eine gewisse Abhängigkeit des Abgeordneten von seiner Fraktion auch dann erhalten bleibt, wenn er seine Anfragen nicht schriftlich über das Fraktionsbüro einreicht, sondern unmittelbar mündlich i m Bundestag stellt. — Zu berücksichtigen bleibt i m übrigen auch, daß auch von der Aktuellen Stunde, die ja für politische Diskussionen an sich besser geeignet ist, jahrelang ein nur zögernder Gebrauch gemacht wurde. So wie aber die Aktuelle Stunde i n den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist auch bei den Fragestunden politischen Inhalts mit einem starken Anstieg zu rechnen. Das gilt insbesondere deshalb, als die zahlreichen Fragen von nur lokaler Bedeutung neuerdings aus der mündlichen Fragestunde herausgehalten werden können.
i n dem dadurch bedingten begrenzten Raum bewegen, denn der Staatssekretär k a n n nicht verantwortlich politische Aussagen machen, es sei denn, daß er namens seines Ministers hierzu ausdrücklich ermächtigt ist. Legt der Abgeordnete Wert auf politische Auskunft, so w i r d er seine Frage zurücknehmen, sie neu einbringen u n d sich damit die Möglichkeit verschaffen, den dann anwesenden Minister zu fragen." 00 Erst m i t Einführung des Amtes des parlamentarischenStaatssekretärs zu Beginn des Jahres 1967 w a r insoweit eine „politischere" Fragestunde möglich.
I V . K o n t r o l l e durch Mündliche Anfragen
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b) Kontrolle der Regierung als Leitungsund Auf sichtsorg an der Exekutive Fragen, i n denen die Regierung als Spitze der Exekutive angesprochen wird, sind i n ihrer Häufigkeit typisch für die Fragestunde. Dabei geht es den Fragestellern i n der Regel nicht so sehr darum, die „Verordnungsund Anordnungstätigkeit" der Regierung, ihre „recht- und zweckmäßige Anleitung des Verwaltungsvollzuges" zu überwachen 91 , als vielmehr darum, die Regierung für einzelne Fehler, Versäumnisse und Gedankenlosigkeit unterer Behörden verantwortlich zu machen. Nicht so sehr als Leitungs- als vielmehr als Aufsichtsorgan der Exekutive w i r d die Regierung angesprochen. Eine Besonderheit besteht allerdings insoweit, als die Regierung auch häufig i n der ihr i m Laufe der Zeit zugewachsenen Rolle als Hilfsorgan der Legislative gefragt wird. Da das Parlament weitgehend überlastet ist und nur über wenige Hilfskräfte verfügt, ist es immer mehr dazu übergegangen, Gesetzesvorlagen nicht selbst zu erarbeiten, sondern bei der Regierung zu bestellen. Die hieraus resultierende Dienstleistungsverpflichtung der Exekutive, für die die Regierung als Leitungsorgan verantwortlich ist, ist regelmäßig Gegenstand der Fragestunde. Fragen über den Stand von Gesetzgebungsarbeiten und die Einhaltung von angekündigten Vorlageterminen sind bei den Mündlichen wie auch bei den Kleinen Anfragen häufig. I m übrigen aber sind Fragen über örtliche und spezielle Angelegenheiten, über den Verlauf einer bestimmten Straße oder den Stand von Reparaturarbeiten, über Anschlußverbindungen der Bundesbahn und Preise i m Speisewagen, über Einzelfälle i m Sozial- und Gesundheitssektor — zumindest bis zum Jahre 1969 — bezeichnend für die Fragestunde. Die Bundesregierung w i r d auf Mißstände hingewiesen und gefragt, welche Maßnahmen zur Beseitigung sie als Leitungs- oder Aufsichtsorgan untergeordneter Behörden zu ergreifen gedenkt. Als hierfür typisch sei aus der 4. Wahlperiode folgende Mündliche Anfrage des SPD-Abgeordneten Cramer (Wilhelmshaven) zitiert: „Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zur Verhinderung eines Durchbruchs an dem nördlichen Festmachgelände der ehemaligen 3. H a feneinfahrt i n Wilhelmshaven 9 2 ?"
Die mündliche A n t w o r t des Staatssekretärs i m Bundesschatzminister i u m lautete wie folgt: „Nach den Feststellungen der Bundesvermögensverwaltung, der die U n t e r haltung der ehemaligen I I I . Hafeneinfahrt i n Wilhelmshaven obliegt, u n d der zuständigen Deichbehörden dringt unterhalb der zerstörten nördlichen Schleusenmauer Wasser i n den Innenhafen ein. A u f G r u n d dieser Feststellungen ist 91
M i t diesen Formulierungen beschreibt die Berliner Modellstudie (a.a.O., S. 88 bzw. 35) die Rolle der Regierung als Leitungsorgan der Exekutive. 92 StenB IV/S. 7266 D. 13 Witte
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
das zuständige Niedersächsische Wasserwirtschaftsamt Wilhelmshaven, dessen sich der B u n d bei Durchführung der entsprechenden Unterhaltungsarbeiten bedient, beauftragt worden, umgehend Vorschläge f ü r die notwendigen Sicherungsmaßnahmen auszuarbeiten. Der Prüfungsbericht soll i n etwa 14 Tagen vorgelegt werden. Die Bundesregierung w i r d sodann alle Sicherungsmaßnahmen auf Kosten des Bundes durchführen lassen 9 3 ."
Eine Problematik dieser meist wahlkreisbezogenen Mündlichen A n fragen liegt darin, daß die Bundesregierung — bedingt durch die föderalistische Struktur der Bundesrepublik — für einen Teil dieser Anfragen an sich nicht zuständig ist 9 4 . Der Bau von Landstraßen beispielsweise fällt ebensowenig i n die Zuständigkeit des Bundes, wie der größte Teil der kulturpolitischen Angelegenheiten 95 . Dennoch wurden solche Mündlichen Anfragen wiederholt gestellt (und meistens auch beantwortet!) — offenbar, weil sich die Fragesteller allein von der öffentlichen Behandlung i m Bundestag einen Kontrolleffekt versprachen. Der i n Oldenburg wohnende Bundestagspräsident Ehlers unterstrich das i n einem Vortrag des Jahres 1952 einmehr sehr plastisch: „ W e n n ich auf die Idee käme, mich etwa bei dem H e r r n Verkehrs- oder Innenminister über die schlechte Straßenbeleuchtung i n Oldenburg zu beschweren, dann würde der m i r m i t Recht sagen: Dafür b i n ich gar nicht zuständig, wenden Sie sich entweder an den Rat der Stadt Oldenburg, dem Sie j a selbst angehören, oder an das Niedersächsische Staatsministerium. Es hat jedenfalls den Erfolg gehabt, daß die Straßenbeleuchtung i n Oldenburg wesentlich verbessert w i r d 9 6 . "
I n welchem Ausmaße auch heute noch solche lokalbezogenen Mündlichen Anfragen, für die der Bund an sich nicht zuständig ist, gestellt werden, konnte i m Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht untersucht werden. Es fällt jedoch auf, daß die Fragesteller nicht selten durch eine geschickte Formulierung eine zumindest mittelbare Verantwortlichkeit der Bundesregierung zu begründen wissen. Werden durch die Fragestunden auch eine Reihe von Mißständen aufgedeckt und Versäumnisse der Verwaltung gerügt, so werden andererseits doch Unkorrektheiten einzelner Regierungsmitglieder oder Beamter nur selten angesprochen. Zwar können durch die Mündlichen Anfragen — wie die Fragestunden zur Spiegel-Affäre deutlich gezeigt haben — auch hier sichtbare Kontrolleffekte erzielt werden, doch kommen solche Anfragen selten vor. Größere Korruptionsfälle — wie sie beispielsweise i n der Fibag- und HS 30 Schützenpanzer-Affäre vermutet werden — 93
StenB IV/S. 7266 D, 7267 A. Nach Ziff. 5 der Richtlinien f ü r die Fragestunde sind Einzelfragen aus dem Bereich der V e r w a l t u n g n u r zulässig, „soweit die Bundesregierung unmittelbar oder n u r mittelbar verantwortlich ist". 95 Der Organisationsausschuß des Bundestages hat diese — w i e er es formulierte — aus der „Existenz der Landtage" herrührende Schwierigkeit durchaus gesehen, vgl. K u r z p r o t o k o l l der 6. Sitz., 29.11.1949, Mat. Bd. I, S. 30 b. 98 Vortrag v o m 29. 6.1952, i n : Drei Jahre Deutscher Bundestag, a.a,0., S. 13 f. 04
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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werden auch heute noch vorrangig i m parlamentarischen Untersuchungsausschuß behandelt, obwohl dieser sich i n den letzten Jahren nie zu einem einheitlichen Votum hat durchringen können. I m übrigen zeigt sich, daß weder die Abgeordneten noch die Presse, die sonst häufig Kontrollaktionen hervorruft, einen genauen Einblick haben und haben können i n die einzelnen Vorgänge und Zuständigkeiten der immer komplizierter werdenden Verwaltung und daß sie damit auch Unkorrektheiten und strafwürdige Verhaltensweisen einzelner Beamter nicht aufzudecken vermögen. Allerdings ist es andererseits wohl nicht als negativ zu werten, daß der Versuch der Parteien, die Beamtenapparate m i t ihren eigenen Leuten zu durchsetzen 97 , bis heute noch nicht zu einer i n der Fragestunde gipfelnden gegenseitigen Bespitzelung geführt hat. c) Ministerverantwortlichkeit und Auslese einzelner Regierungsmitglieder Auffallend ist, daß bei der Aufdeckung von Mißständen i n der Fragestunde die Verantwortlichkeit des Ministers als Ressortchef noch wenig zum Tragen kommt, obwohl er als Chef der Exekutive für eine unterlassene Selbstkontrolle der Exekutive an sich politisch verantwortlich ist. Daß i n der Spiegel-Affäre beispielsweise zuerst die Entfernung der beiden Staatssekretäre Hopf und Strauß verlangt und auch erreicht wurde 9 8 , nicht aber die der beteiligten Minister 9 9 , ist hierfür bezeichnend. Dennoch zeigt andererseits gerade die Spiegel-Affäre, daß die Fragestunde als Institution zur Stärkung der Ministerverantwortlichkeit durchaus geeignet ist 1 0 0 . Immerhin mußte i n der Folge der Spiegel-Fragestunden zum ersten M a l i n der Geschichte des Bundestages ein Minister aus der Regierung ausscheiden, weil er nach Ansicht eines nicht unbeträchtlichen Teils 97 Vgl. dazu auch Eschenburg, Staat u n d Gesellschaft i n Deutschland, 2. Aufl., S. 609. 98 Vgl. hierzu Eschenburg, Die Affäre, a.a.O., S. 8 A n m . 1: „ W e n n die E n t scheidung der FDP eine Entlassung von Strauß (des Ministers, d. Verf.) wegen Verletzung der Parlamentswürde u n d Parlamentsrechte durch die A r t und Weise seiner Auskunfterteilung über den F a l l Ahlers — ein Verhalten, das objektiv festgestellt werden k a n n — erreichen w i l l , so kann darin i n einer parlamentarischen Demokratie ein legitimes Anliegen gesehen werden. Es wäre dem Respekt v o r der Verfassung u n d ihrem Sinngehalt wesentlich mehr gedient, wenn es dank des Verhaltens des Bundeskanzlers u n d der Bundesregierung sowie der CDU/CSU einer solchen Entscheidung der FDP nicht bedurft hätte. Es mindert den Wert u n d die Berechtigung der FDP-Entscheidung, wenn durch diese Entscheidung die von i h r erzwungene Entfernung von Hopf und Strauß (d. Staatssekretär, d. Verf.) i n noch fragwürdigerem Licht erscheint." 99 Ob sie angemessen u n d erforderlich gewesen wäre, ist eine politische E n t scheidung, über die hier nicht zu urteilen ist. 100 Gerade w e i l das Grundgesetz keine Ministerverantwortlichkeit m i t der Folge der Ministeranklage oder der A b w a h l einzelner Minister kennt, ist es u m so wichtiger, daß das Parlament M i t t e l u n d Wege hat, u m die Verantwortlichkeit politisch geltend zu machen u n d ggf. durch politischen Druck, den Rückt r i t t eines Ministers zu erzwingen.
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der Abgeordneten und der öffentlichen Meinung vor dem Parlament nicht korrekt genug geantwortet und „die Parlamentsrechte durch die A r t und Weise seiner Auskunfterteilung" verletzt hatte 1 0 1 . Insgesamt gesehen kommt aber i n der Fragestunde die Verantwortlichkeit des jeweiligen Ministers als Ressortchef noch wenig zum Tragen; die Mündlichen Anfragen werden als M i t t e l zur Stärkung 1 0 2 einer politischen Ministerverantwortlichkeit nur unvollkommen genutzt. A u f der anderen Seite darf nicht übersehen werden, daß durch die Fragestunde de facto eine Auslese 103 der Regierungsmitglieder bewirkt wird. Durch die A r t ihres Auftretens und den Umfang ihrer Fachkenntnisse zeichnen sich die Minister positiv oder negativ aus. Vor allem bei unerwarteten Zusatzfragen können sich Fachwissen und parlamentarisches Geschick einerseits und mangelnde Kenntnis und Souveränität andererseits erweisen 104 . So beeindruckte beispielsweise Verkehrsminister Seebohm wiederholt durch eine nahezu phänomenale Kenntnis örtlicher Verkehrsverhältnisse 105 , während sich Wohnungsbauminister Lücke bei den für i h n etwas peinlichen Fragen zur ,Wohnfiber seines Ministeriums Meriten erwarb, die i h m selbst der Pressedient der Opposition bescheinigen mußte 1 0 6 . Justizminister Bucher dürfte — ebenso wie Staatssekretär von Hase 1 0 7 — die Verleihung des begehrten Karnevalsordens ,Wider den tierischen Ernst 4 , der an hervorragende Politiker der Welt mit Humor verliehen wird, nicht zuletzt seinem Witz und seiner Schlagfertigkeit i n der Fragestunde zu verdanken haben, während Innenminister Höcherl i n der Presse wegen seines Humors und seiner meisterhaften Fähigkeit zu Stegreifantworten gelobt wurde, andererseits aber auch die Neigung 101
Eschenburg, Die Affäre, a.a.O., S. 8 A n m . 1. Z u r eigentlichen Geltendmachung der Ministerverantwortlichkeit sind an sich die Mündlichen Anfragen weniger geeignet. H i e r f ü r w ä h l t man besser einen A n t r a g ; vgl. i n der 5. Wp. etwa die Anträge der F r a k t i o n der SPD betr. Ersuchen an den Bundeskanzler auf Entlassung des Bundesverteidigungsministers, K a i U w e v o n Hassel (Drucks. V/915, 14. 9.1966; Beschlußfassung 57. Sitz., StenB V/S. 2861 C) u n d betr. Vertrauensfrage des Bundeskanzlers (Drucks. V/ 1070, 31.10.1966; Beschlußfassung 70. Sitz., StenB V/S. 3296 B). Mündliche Anfragen können zur Vorbereitung solcher A k t i o n e n dienen und damit zur Stärkung der politischen Ministerverantwortlichkeit beitragen. 103 Vgl. dazu auch Schindler, i n : PVS, 7. Jg., S. 407 ff. 104 Einen längeren Bericht widmeten beispielsweise die „ K i e l e r Nachrichten" — 22. 3.1967 — der A r t u n d Weise des Auftretens der einzelnen Minister u n d Staatssekretäre i n der Fragestunde. 105 „Der langgediente Verkehrsminister pflegte die Fragesteller m i t einer solchen Fülle v o n Information, die er i m Schnellzugtempo heraussprugelte, einzudecken, daß sie meist zu Zusatzfragen nicht mehr fähig waren." Kieler Nachrichten, 22. 3.1967. los SPD-Pressedienst v o m 29. 9.1960. 107 Vgl. K i e l e r Nachrichten v o m 22.3.1967: „ A u c h Staatssekretär von Hase, der den Kanzler gewöhnlich vertritt, lieferte i n seinen A n t w o r t e n oftmals den Beweis, daß er den Aachener ,Orden wider den tierischen Ernst 4 m i t Recht trägt." 102
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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nachgesagt bekam, von unangenehmen Fragen abzulenken 108 . Größtes Prestige i n Fraktion, Parlament, Presse und Öffentlichkeit verschaffte sich Außenminister Schröder, der durch Wissen, Souveränität und Schlagfertigkeit brillierte. Er konnte sich gerade durch sein hervorragendes Auftreten i n den Fragestunden — vor allem i n den Europa-Fragestunden — lange Zeit als Außenminister halten, obwohl es gegen seine außenpolitische Konzeption massive Widerstände innerhalb seiner eigenen Partei gab 1 0 9 . Demgegenüber löste Verteidigungsminister Strauß durch sein Verhalten i n den Spiegel-Fragestunden eine neue Krise u m seine Person aus 1 1 0 . Seit 1967 ist die Fragestunde auch eine Bewährungsprobe für diejenigen Abgeordneten geworden, die m i t dem neueingeführten A m t des parlamentarischen Staatssekretärs betraut wurden und somit bei der Beantwortung der Mündlichen Anfragen Regierungsfunktionen ausüben. Durch Sachkenntnis und Gewandtheit können sie sich parlamentarische Meriten erwerben und für größere Aufgaben empfehlen 111 . 4. Intensität und Effektivität der Kontrollen
A l l e i n unter dem Gesichtspunkt der Quantität sind die Mündlichen Anfragen das bei weitem wichtigste Kontrollinstrument. Fast 5000 Mündliche Anfragen i n der 4. Wahlperiode und mehr als 10 000 i n der 5. Wahlperiode belegen deutlich, wie beliebt dieses Informations- und Kontrollmittel bei den Abgeordneten ist. Allerdings ist die Intensität der vielen durch Mündliche Anfragen ausgeübten Kontrollen nicht so hoch zu veranschlagen. Der Wortlaut der meisten Anfragen spricht mehr für ein einfaches Informationsersuchen als für ein kritisches Kontrollverhalten. „Die Regierung w i r d überwiegend nach abgeschlossenen oder laufenden Maßnahmen oder nach Plänen und Absichten gefragt, selten aber danach, warum sie dieses getan und jenes unterlassen habe 1 1 2 ." Den Abgeordneten geht es i n der Regel nicht vorrangig u m K r i t i k an Unterlassungen und Fehlern der Regierung, sondern — zumindest auf dem Verwaltungssektor — mehr u m Information, 108 Das freie Wort, Bonn, 16. 6.1962, Rheinische Post, Düsseldorf, 20.12.1962, Kölner Stadtanzeiger, 20. 3.1964. 109 So bestätigte die Süddeutsche Zeitung (14./15.11.1964) dem Außenminister i m Anschluß an die 2. Europafragestunde, es sei i h m „ein eindrucksvoller p o l i tischer Erfolg (gelungen), nachdem es i n den letzten Wochen u m seine Person u n d den v o n i h m eingeschlagenen K u r s der Außenpolitik zu massiven Auseinandersetzungen gekommen w a r " . 110 Eschenburg, Die Affäre, a.a.O., S. 10. 111 Z u m Debut der parlamentarischen Staatssekretäre Jahn u n d Benda i n der Fragestunde, vgl. Frankfurter Allgemeine, 27.4.1967. Beide Abgeordnete w u r den i m übrigen später Minister. 112 Schindler, Dipl. Arbeit, S. 164.
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Anregung, Einflußnahme. Nicht die kontrollintensive korrigierende (sanktionierende) Kontrolle steht i m Vordergrund, sondern eine informierende und vorsichtig dirigierende. Auch die Zusatzfragen werden bei weitem nicht i n ihren kontrollintensiven Möglichkeiten ausgeschöpft, was allerdings wiederum häufig auf die A r t und den Gegenstand der Mündlichen Anfragen zurückzuführen ist. Nicht zu Unrecht rügte deswegen die Presse, daß die Fragestunde „kein hochnotpeinliches Verhör" sei 1 1 3 . Dennoch ist andererseits die Effektivität der durch die Mündlichen Anfragen ausgeübten Kontrollen nicht zu unterschätzen, wenn sie auch i n der Mehrzahl nicht korrigierender, sondern informierender und dirigierender A r t sind. Entscheidende Faktoren für die Effektivität der Kontrollen sind die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Fragestunde, vor allem, da sie die Chance eines weiten Presseechos und damit einer fortwirkenden Kontrolle durch die Öffentlichkeit verbürgen. Sie zwingen den zuständigen Minister — bzw. i m Einzelfall seinen Staatssekretär — dazu, sich persönlich so m i t der angesprochenen Angelegenheit zu befassen und so i n die Materie einzudringen, daß auch auf mündliche Zusatzfragen fundierte Antworten gegeben werden können, die vor der Öffentlichkeit Bestand haben. Diese Notwendigkeit wiederum, vor allem bedingt durch die Gefahr eines negativen Presseechos und weiterer Nachforschungen durch die Öffentlichkeit, sollten das jeweilige Regierungsmitglied dazu veranlassen, ständig Sorge dafür zu tragen, daß die einzelnen Abteilungen und Referate seines Hauses gründliche und verantwortbare Arbeit leisten, u m dann i m Einzelfall sorgfältige und vertretbare Antworten vorbereiten zu können. Die Bedeutung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Fragestunde für die Kontrollwirksamkeit der Mündlichen Anfragen w i r d allerdings durch die zahlreichen Wahlkreis- und sonstigen sehr speziellen Fragen gemindert. Durch sie verliert nämlich die Fragestunde an Bedeutung und Interesse für Abgeordnete, Minister und Pressevertreter. Die dadurch verringerte Öffentlichkeit bedingt wiederum eine Minderung der Kontrolleffektivität aller anderen Mündlichen Anfragen. Hier ist durch die neuen Richtlinien vom Sommer 1969, die dem Bundestagspräsidenten die Möglichkeit geben, solche Anfragen auf den Weg der schriftlichen Beantwortung zu verweisen, allerdings eine einschneidende Verbesserung eingetreten, die die Effektivität der anderen Fragen steigern wird. — Bei den zahlreichen sehr speziellen und lokalbezogenen Anfragen w i r d zwar durch den Fortfall ihrer öffentlichen Behandlung i m Plenum i m einen oder anderen Fall der durch diese Öffentlichkeit bedingte besondere Kontrolleffekt — meist ein stärkerer Druck auf die Exekutive — sowie die Mög113
Badische Zeitung, Freiburg, 19.10.1965.
I V . Kontrolle durch Mündliche Anfragen
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lichkeit zu mündlichen Zusatzfragen wegfallen; auf der anderen Seite können zahlreiche dieser Fragen jedoch schriftlich sehr viel gründlicher und qualifizierter beantwortet werden. Auch darf nicht übersehen werden, daß ohnehin nur wenige Lokalzeitungen eigene Bonner Parlamentsredaktionen haben, die eigene Vertreter für jede Fragestunde entsenden können, so daß das Echo i n der Heimatpresse bei schriftlichen Antworten der Bundesregierung auf Wahlkreisfragen nicht unbedingt schlechter zu sein braucht. Neben der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens ist vor allem auch die kurze Beantwortungsfrist von 3 Tagen von Bedeutung für die Kontrolleffektivität der Mündlichen Anfragen. Die Kontrolle kann sehr schnell und überraschend einsetzen und der Regierung, wenn sie nicht richtig oder unzweckmäßig gehandelt hat, kaum Zeit zu Ausflüchten und Vertuschungen lassen. Die Bedeutung der Europa- und SpiegelFragestunden lag nicht zuletzt i n diesem Schnelligkeits- und Überraschungseffekt. Zwar könnte — vor allem bei speziell politischen Fragen — eine völlig unvorbereitete mündliche Befragung der Minister i m Einzelfall noch effektvoller sein — bei den auf die Kontrolle der Verwaltung gerichteten Fragen gewährleistet jedoch die vorgeschriebene schriftliche Einreichung 3 Tage vor der Fragestunde eine genauere Überprüfung der angesprochenen Angelegenheit und eine gründlichere Antwort. Bei den nicht allzu speziellen Fragen können die besten Kontrolleffekte meist durch die mündlichen Zusatzfragen erreicht werden, da diese ein gründliches Nachfassen ermöglichen und Ausflüchte und Oberflächlichkeiten der Regierung offenlegen. Wenn auch die Abgeordneten die Möglichkeiten der Zusatzfragen — wie bereits ausgeführt — bei weitem noch nicht ausschöpfen, so vermögen sie doch i m Einzelfall durch eindringliche Befragung der Regierung erstaunliche Kontrolleffekte zu erreichen. Vor allem i n der Spiegel-Affäre führten gerade die gezielten Zusatzfragen zu Ergebnissen und Eingeständnissen, die zu diesem Zeitpunkt wohl kein anderes Kontrollinstrument des Bundestages hätte erreichen können. Gerade w e i l bei den Zusatzfragen — i m Gegensatz zu den Ausgangsfragen — eine unmittelbare mündliche Befragung erfolgt, auf die sich der antwortende Minister oder Staatssekretär nicht immer ganz vorbereiten kann, können durch sie Fehler, Nachlässigkeiten und Widersprüche aufgedeckt und damit besonders gute Kontrollwirkungen erzielt werden. I m übrigen bleibt zu erwähnen, daß die durch die Mündliche Anfrage ausgeübte Kontrolle nicht systematisch, sondern zufällig, lückenhaft, punktuell ist. Darin liegt jedoch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, da eine Regierung, die nie v/issen kann, welche Fälle und Vorgänge durch
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3. Kap.: Die K o n t r o l l f u n k t i o n der Anfragen
Anfragen aufgegriffen werden, immer gehalten ist, auf die Frage „ x " i m Fall „ y " vorbereitet zu sein. Daß auch die Abgeordneten selbst, ebenso wie die Regierungsmitglieder, von der kritischen Kontrollpotenz und Effektivität der Mündlichen Anfragen und Zusatzfragen überzeugt sind, ist an mehreren Symptomen abzulesen. Die Tatsache, daß die bei weitem überwiegende Anzahl Mündlicher Anfragen von oppositionellen Abgeordneten gestellt werden 1 1 4 » 1 1 5 , spricht ebenso dafür, wie die Tendenz von Abgeordneten der Regierungsparteien, ihrer Regierung durch unterstützende Zusatzfragen zu Hilfe zu kommen. Das i m Einzelfall genau vorbereitete „Sperrfeuer" zahlreicher inhaltlich aufeinander abgestimmter Fragen und Zusatzfragen durch Abgeordnete der gleichen Fraktion zeigt darüber hinaus, daß die Fragestunde für so wichtig gehalten wird, daß sie als Kontrollmittel sogar von ganzen Fraktionen i n Anspruch genommen wird. A u f der anderen Seite zeigen die gelegentlichen, wenn auch i m Einzelfall schwer nachzuweisenden Versuche der Regierung, Abgeordnete zur Rücknahme heikler Fragen oder zumindest zum Verzicht auf ihre öffentliche Behandlung zu bewegen, daß die Regierung die kritische Kontrollfunktion der vor der Öffentlichkeit zu beantwortenden Mündlichen A n fragen nicht unterschätzt 116 . Auch lassen die Versuche führender Regierungspolitiker — vor allem nach den Spiegel-Fragestunden —, diese Institution einzuschränken, den Schluß zu, daß sich die Regierung des für sie i n der Fragestunde liegenden Risikos durchaus bewußt ist. Besonders deutlich aber zeigt sich das i n der Tatsache, daß i m Laufe der 6. Wahlperiode ein parlamentarischer Staatssekretär und sogar der Bundeskanzler selbst durch gezielte Zusatzfragen i n die Fragestunde eingriffen, u m einem i m Mittelpunkt oppositioneller Fragen stehenden Regierungsmitglied zu sekundieren.
114 Vgl. Sternberger, PVS, 5. Jg., a.a.O., S. 17, der auf bisher noch nicht v e r öffentliche Untersuchungen v o n B. Vogel hinweist. 115 Nach Angaben der Berliner Modellstudie standen i n der 2. Wp. 586 M ü n d liche Anfragen der Opposition n u r 336 v o n Abgeordneten der Regierungsparteien gegenüber. Dieses Verhältnis dürfte sich i n den späteren Wahlperioden noch mehr zu ungunsten der Regierungsparteien verschoben haben. 116 Vgl. dazu auch die Ausführungen des Abg. Moersch, StenB V/S. 13315 D, 13316 A sowie Schindler, i n : PVS, 7. Jg., a.a.O., S. 436. Z u beachten ist i n diesem Zusammenhang allerdings, daß die Bitte, auf mündliche Beantwortung i m Plenum zu verzichten, nicht selten auch deshalb gestellt w i r d , w e i l es sich bei den angesprochenen Angelegenheiten u m Fragekomplexe handelt, deren Behandlung i m Plenum, — u n d damit v o r der Öffentlichkeit —aus wichtigen Gründen der Geheimhaltung nicht opportun erscheint. Soweit die Regierung sich i n solchen Fällen bereit erklärt, i m Ausschuß zu antworten, k a n n nicht davon gesprochen worden, daß sie sich der Kontrolle durch diese Mündlichen Anfragen entziehen w i l l .
Schlußbetrachtung I n der vorliegenden Untersuchung wurde versucht, die lange Entwicklung des parlamentarischen Fragerechtes zum heute i m Bundestag geltenden Recht der Großen, Kleinen und Mündlichen Anfragen aufzuzeigen und dabei die jeweilige Kontrollbedeutung dieses Rechtes hervorzuheben. — Während Große und Kleine Anfragen gegen Ende des Kaiserreiches eine eminente Bedeutung dadurch gewannen, daß durch sie de facto eine nach der Verfassung noch nicht bestehende Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament begründet wurde, besteht heute i m Bundestag die Funktion der Anfragen i m wesentlichen darin, ständig diese Verantwortlichkeit der Regierung geltend zu machen. Große, Kleine und Mündliche Anfragen haben dabei unterschiedliche Kontrollfunktionen: M i t Hilfe der Großen Anfragen, die fast ausnahmslos von ganzen Fraktionen eingebracht werden, versuchen die Fraktionen, eine ständige Kontrolle der Regierung hauptsächlich i n den politischen Richtlinienfragen zu erreichen. Die Mehrzahl der Anfragen w i r d dabei i n ihrem Inhalt nicht so sehr durch aktuelle Tagesereignisse bestimmt — mögen diese auch zum Teil zum Anlaß für Große Anfragen genommen werden —, sondern durch bestimmte große Themenkreise, wie etwa die der K u l t u r - und Sozialpolitik, die i n einem gewissen Turnus immer wieder angesprochen werden. Ziel nahezu aller Großen Anfragen ist nicht so sehr die Erlangung einer — vorher schon schriftlich veröffentlichten — mündlichen A n t w o r t der Bundesregierung, als vielmehr das Herbeiführen von großen öffentlichen Parlamentsdebatten, i n denen insbesondere auch der Standpunkt der Fragesteller dargelegt werden kann 1 . I n diesen Debatten ist regelmäßig eine klare Frontstellung zwischen den Abgeordneten der Regierungs- und Oppositionsparteien festzustellen; die K r i t i k der Opposition — sie bringt die meisten Großen Anfragen ein — gilt gleichermaßen der Regierung wie den Regierungsparteien. Gemeinsame Aktionen des gesamten Parlaments gegenüber der Regierung gibt es bei den Großen Anfragen praktisch nicht mehr; es hat sich i m Gegenteil die Übung herausgebildet, daß die Fraktionen gleichzeitig, aber jede für sich, Große Anfragen zum gleichen Gegenstand einbringen. 1 M. Fraenkel (in: Institutionen der Verwaltungskontrolle, Nr. 570) bezeichnet solche Fragen neuerdings als „Diskussionsfragen" i m Gegensatz zu den „ I n formationsfragen", bei denen es dem Fragesteller einfach darum gehe, eine A u s k u n f t zu erhalten.
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Schlußbetrachtung
M i t Hilfe der Kleinen Anfragen, die sich durch ihr rein schriftliches Verfahren häufig unbemerkt von der Öffentlichkeit erledigen, w i r d eine anders geartete Kontrolle ausgeübt. Hier geht es nicht so sehr u m eine politische Richtungskontrolle, die zu ihrer Effizienz des Echos i n der Öffentlichkeit bedarf, sondern mehr u m eine sach- und leistungsbezogene Kontrolle, um Fachdiskussion, Anregung, Einflußnahme auf enger begrenztem Sachgebiet. Hier spielt deshalb auch die Fraktionszugehörigkeit der Fragesteller keine so große Rolle; gemeinsame Aktionen der Experten verschiedener Fraktionen sind keine Seltenheit — die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft hat hier eines ihrer Hauptarbeitsgebiete. Allerdings w i r d diese sachbezogene und häufig überparteiliche Kontrolltätigkeit des Parlaments i n Kleinen Anfragen i n Zukunft durch die nicht unbeträchtliche Heraufsetzung der Fraktionsmindeststärke i m Jahre 1969 beeinträchtigt werden. Wenn sich i n Zukunft nicht mehr nur 15 Abgeordnete, sondern 5 % der Parlamentarier — das sind derzeit 26 Abgeordnete — auf eine Kleine Anfrage verständigen müssen, so bedeutet das eine nicht unbeträchtliche Erschwerung eines interfraktionellen Vorgehens. Es muß deshalb befürchtet werden, daß i n Zukunft bei den Kleinen Anfragen die so effektvolle, weil i n der Regel rein sachbezogene Kontrolle durch die Experten verschiedener Fraktionen abnimmt zugunsten einer vorrangig an parteipolitischen Gesichtspunkten orientierten Sach- und Leistungskontrolle durch geschlossene Fraktionen. Die Mündlichen Anfragen i n der Fragestunde sind das zahlenmäßig bei weitem wichtigste aller parlamentarischen Kontrollmittel. Fast 5000 i n der 4. und mehr als 10 000 Mündliche Anfragen i n der 5. Wahlperiode belegen deutlich, wie beliebt dieses Kontrollmittel bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages ist. — Die Tatsache, daß hier der einzelne Abgeordnete initiativ werden kann und daß seine Frage vor dem Parlament und damit vor der Öffentlichkeit verhandelt wird, verschafft der Fragestunde — gerade auch i n den Augen der Öffentlichkeit — eine große Bedeutung. Diese w i r d allerdings nicht ganz durch die Realitäten gerechtfertigt: Die Parlamentspraxis zeigt, daß der Spielraum für den einzelnen Abgeordneten bei Handhabung der Mündlichen Anfragen und Zusatzfragen durch eine weitgehend eingehaltene Fraktionsdisziplin — die Mündlichen Anfragen werden über das jeweilige Fraktionsbüro eingereicht — i n etwa eingeschränkt ist, zumal bei politisch brisanten Fragen. Dem entspricht es, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl von Abgeordneten die Mündlichen Anfragen vor allem dazu benutzt, u m spezielle Sorgen aus dem eigenen Wahlkreis an die Regierung heranzutragen. Durch diese Wahlkreisfragen haben die Fragestunden i n der Vergangenheit häufig an Lebendigkeit eingebüßt, was dazu führte, daß Minister, Abgeordnete und Pressevertreter ihnen zunehmend fernblieben. Insoweit ist jedoch eine entscheidende Verbesserung erreicht worden durch die
Schlußbetrachtung
neuen Richtlinien vom Juni 1969, die dem Bundestagspräsidenten die Möglichkeit einräumen, Fragen von lediglich lokaler Bedeutung auf den Weg der schriftlichen Beantwortung zu verweisen. Diese Neuregelung w i r d dazu beitragen, die Fragestunden politischer, aktueller und interessanter zu gestalten und damit auch die übrigen Abgeordneten anreizen, von der Möglichkeit zu Zusatzfragen verstärkten Gebrauch zu machen. Angesichts der Tatsache, daß die Mündlichen Anfragen i n Wirklichkeit schriftliche Anfragen sind, da sie mindestens 3 Tage vor der Fragestunde schriftlich eingereicht werden müssen und lediglich mündlich beantwortet werden, hängt nämlich die Kontrolleffizienz der Fragestunde nicht zuletzt von einem ausgiebigen Gebrauch und einer gekonnten Handhabung der Zusatzfragen ab. Die Fragestunden i n der Spiegel-Affäre haben das recht deutlich gezeigt. — Eine weitere Verlebendigung der Fragestunden wäre zu erwarten, wenn der von der FDP gemachte Vorschlag für eine sog. politische Fragestunde mit einer unmittelbaren, unvorbereiteten Befragung der Regierung wiederauf gegriffen und durchgeführt würde. Zwar würde die Regierung bei solchen Fragestunden häufig ausweichende und hinhaltende Antworten geben und überhaupt sehr schnell lernen, wie man m i t vielen Worten möglichst wenig sagt, doch wäre auf der anderen Seite die Kontrollwirkung, die durch den Überraschungseffekt ausgelöst wird, nicht zu unterschätzen. Darüber hinaus würde durch eine solche politische Fragestunde die Bedeutung des Parlaments gegenüber der Presse, die i n den zahlreichen Pressekonferenzen oft weit besser informiert wird, nicht unbeträchtlich angehoben. Zu betonen bleibt am Ende einer Untersuchung über die Kontrollfunktion der Anfragen, daß diese nur eines der Kontrollmittel des Deutschen Bundestages sind, wenn auch das am meisten gebrauchte. Wo die Anfragen als Kontrollmittel untauglich sind, steht den Abgeordneten häufig ein anderes Kontrollmittel zur Verfügung. Allerdings ist jede wirksame Kontrolle der Regierung nicht nur abhängig von den institutionellen Möglichkeiten, sondern auch und i n besonderern Maße von der Information und Informiertheit der Parlamentarier 2 . Hier w i r d immer eine der Hauptschwierigkeiten jeder parlamentarischen Exekutivkontrolle liegen, da die Regierung ein eindeutiges „Informationsübergewicht" hat, weil sie mehr weiß und weil sie darüber hinaus den Informationsfiuß wenigstens teilweise kanalisieren kann 3 . Wenn die Anfragen nur dazu beitrügen, dieses Informationsübergewicht der Regierung nicht noch weiter anwachsen zu lassen und wenn sie nur zur Folge hätten, daß m i t den durch sie erhaltenen Informationen weitere Kontrollmaßnahmen i n Gang gesetzt würden, dann wäre ihre Notwendigkeit schon erwiesen. Da sie darüber hinaus aber — wie gezeigt — 2 3
So auch Ellwein/Görlitz, Parlament u n d Verwaltung, S. 270. Ellwein/Görlitz, a.a.O., S. 270.
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Schlußbetrachtung
noch eigene und spezifische Kontrollfunktionen haben und da sie i n besonderem Maße dazu geeignet sind, außerparlamentarische Kontrollansätze aufzugreifen, ist ihre Bedeutung i m parlamentarischen Integrations» und Kontrollprozeß nicht zu unterschätzen.
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