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German Pages 320 Year 2016
Olga V. Artamonova »Ausländersein« an der Hauptschule
Pädagogik
Olga V. Artamonova, geb. 1986, forscht zu den Themen Ethnizität, Schule und Mehrsprachigkeit in Hamburg.
Olga V. Artamonova
»Ausländersein« an der Hauptschule Interaktionale Verhandlungen von Zugehörigkeit im Unterricht
Die vorliegende Arbeit wurde 2015 von der Philologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen. Die Veröffentlichung erscheint mit finanzieller Unterstützung der FAZIT-Stiftung.
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Inhalt
Danksagung | 9 Einleitung | 11
Teil I. Makrotheoretischer Kontext der Zugehörigkeitsprozesse im Bildungswesen 1. Exkurs zum migrationsschulischen Kontext Deutschlands | 17 1.1 Migrationshintergrund als Faktor des schulischen Misserfolgs | 17 1.2 Heterogenität, Kulturkapital und »sprachliches Reinheitsgebot« | 23 1.2.1 Zum Kulturkapital bei Bourdieu | 23 1.2.2 Bildungsungleichheit: Soziolinguistische Perspektive | 27 1.2.3 Zum »monolingualen Habitus« | 28 1.3 Hauptschule: »Sammelbecken für Verlierer« | 32 1.4 Zielsetzung und Fragestellung | 34
2. Zugehörigkeitshervorhebung, -zuschreibung und -bewertung | 37 2.1 Wie lässt sich Zugehörigkeit erkennen? | 37 2.2 Grenzziehung und die Suche nach Anschluss | 39 2.3 »Mitgliedschaftskategorisierung«: Kognitive Herstellung der Zugehörigkeit | 40 2.4 Kommunikative Hervorbringung der Zugehörigkeit im Gespräch | 49 2.5 Komponenten der Zugehörigkeit | 52 2.6 Stil und kommunikative Sozialwelten | 56 2.7 Stile und Zugehörigkeit | 60 2.8 Zugehörigkeit in Jugendinteraktionen | 61 2.9 Riskanter Humor als Differenzbearbeitungsstrategie | 64 2.9.1 Konversationelle Humorpraktiken als Beziehungsindikator | 65 2.9.2 Riskante Humorstile als In-Group-Indiz | 67 2.9.3 Frotzeleien als In-Group-Aktivitäten | 68
3. Methoden einer hauptschulischen Fallstudie: Ethnographie und Konversationsanalyse | 73 3.1 Zu den ethnographischen Fallstudien | 73 3.2 Ethnographie der Fallstudie | 77 3.2.1 Teilnehmende Beobachtung | 77 3.2.2 Ethnographisches Wissen im schulischen Alltag | 79 3.3 Konversationsanalyse im schulischen Setting | 81 3.4 Konversationsanalyse im Unterrichtskontext: Initiierung-Antwort-Evaluation | 84 3.5 Kontextualisierung der Zugehörigkeitsarbeit: Soziolinguistische Ansätze | 85 3.6 Ethnographisches Vorgehen: Feldarbeit | 87 3.6.1 Der Zugang zum Feld | 89 3.6.2 Ablauf der Feldarbeit | 93 3.6.3 Erworbene Materialien | 93 3.6.4 Integration in die Gruppe: Persönlicher Einsatz | 94 3.6.5 Die Rolle von Facebook | 95 3.7 Überblick: Sprachen und Ethnizitäten in der Klasse | 96 3.8 Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Schule | 98 3.9 Ethnographische Porträts | 99 3.9.1 Porträts der Lehrpersonen | 99 3.9.2 Porträts der Schüler | 100 3.10 Unterrichtsgestaltung | 103 3.11 Spiel als gruppenbildende Aktivität | 104 Resümee Teil I | 106
Teil II. Zugehörigkeitsherstellung und interaktionale Bearbeitung von Differenzen in H7 4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer multiethnischen Klasse | 109 4.1 Situative Identitäten interaktiv hergestellt | 109 4.2 Kanakistanische Identität: Zur Fremd- und Selbstbezeichnung der Klasse | 112 4.3 Interaktional (ko-)produzierte Normalitäten | 124
5. Interaktionale Bearbeitung der ethnischen Zugehörigkeiten | 145 5.1 Prozesse der Konstruktion von Anderssein | 145 5.1.1 Externe Herstellung von Fremdheit | 145 5.1.2 Die Herstellung des eigenen Andersseins: Spiel mit Hyperstereotypen | 152 5.2 Herkunftshervorbringung als Disziplinarmaßnahme | 159
5.3 Gefühlsmanagement und Nachverbrennungen als Verarbeitung der gesichtsbedrohlichen Angriffe | 168 5.4 (Kumpel-)Sprechstil: Vergemeinschaftungsversuch | 187
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen | 195 Resümee Teil II | 208
Teil III. Mehrsprachige Realitäten der Schüler und ihre Realisierung in (außer‑)Schulischen Kontexten 7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht | 217 7.1 Mehrsprachigkeit als polykulturelles Selbstverständnis | 217 7.2 Ausübung der Mehrsprachigkeit in schulischen Räumen | 219 7.2.1 Code-Switching im Unterricht: »Ausländisch« in der Nebenkommunikation | 224 7.2.2 Das Ausländisch der Lehrer: Annäherungsversuch | 239
8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer« | 243 9. Die virtuellen linguistischen Landschaften der Schüler: Dissens-Diskurs | 259 9.1 Ausbau der multikulturellen virtuellen Landschaften | 262 9.2 Ausbau der mehrsprachigen virtuellen Landschaften | 267 9.2.1 Das Deutsch der Russlanddeutschen | 268 9.2.2 Türkisch und »Basteleien« | 274 9.2.3 Lingala: Virtuoses Polylanguaging | 275 Resümee Teil III | 282
Zusammenfassung | 283 Abkürzungsverzeichnis | 287 Anhang 1 | 289 Die Transkriptionskonventionen nach GAT 2 | 291 Bibliographie | 293
Danksagung
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die mich im Laufe meiner Promotion unterstützt haben. Mein besonderer Dank geht an meine Betreuerin, Prof.in Dr. Helga Kotthoff, die für mich ein neues, spannendes Forschungsfeld eröffnete, mich kontinuierlich mit neuen Ideen inspirierte und mich immer wieder förderte. An meinen Zweitbetreuer, Prof. Dr. Volker Hinnenkamp, geht ebenfalls mein besonderer Dank für die Forschungsmotivation und seine wertvolle akademische Betreuung. Ohne die wissenschaftliche Expertise und die Anregungen meiner Betreuerin und meines Betreuers wäre diese Arbeit nicht entstanden. Selbstverständlich geht ein großer Dank an die Schüler und Lehrer der Hauptschule, an der ich mehrere spannende Monate verbracht habe. Insbesondere danke ich den Schülern für ihr Vertrauen, unsere täglichen Gespräche und den Spaß, den wir gemeinsam hatten. Ebenso geht mein Dank an die Hanns-Seidel-Stiftung, die meine Promotion finanziell förderte und mich der Bayerischen Kultur ein Stück näher brachte. Weiterhin bedanke ich mich bei dem Open Society Institute, das mir ermöglichte, die Problematik der schulischen Inklusion und Exklusion im internationalen Vergleich zu beobachten und mein wissenschaftliches Netzwerk auszubauen. Für die Übersetzungskunst und persönliche Unterstützung bedanke ich mich herzlich bei Neal Suleimanova, Vincent Fungula, Olanrewaju Daniel Salaja und Jide Salau. Für die geduldige und aufwendige Korrektur bedanke ich mich bei Christine Huber. Meinen besonderen Dank widme ich Dr. Christian Brandl, der mir bei jedem Schritt dieser Arbeit zur Seite stand und mich immer wieder ermutigt hat.
Einleitung Aus der Nachbesprechung mit dem russischen Hauptschüler Ruslan: »Die Lehrer denken, diese Asylanten sind, bestehen zu neunzig Prozent aus Unterbemitleideten.«
Die kulturellen und sprachlichen Biografien moderner Schüler werden durch kontinuierlichen Informationsfluss aus der ganzen Welt beeinflusst. Migrationsbewegungen, Internet, Bildungs- und Arbeitsmobilität verändern die Lebenswelten der Jugendlichen andauernd. Obwohl die Migrationsprozesse und der damit gekoppelte Kulturaustausch seit mehreren Jahrhunderten im Alltag der Europäer präsent waren, ist erst jetzt die Zeit gekommen, in der man von »Superdiversität« (Vertovec 2007) auf allen Lebensebenen spricht. Die Superdiversität bringt zahlreiche Vorteile mit sich: freie Handelszonen, homogenisiertes EU-Recht, Tourismus, freie Arbeits- und Bildungsmobilität, Wirtschaftskooperationen sowie die Verbesserung der internationalen Beziehungen. Besonders bemerkbar machen sich die Charakteristika der Superdiversität in großen Stadtgebieten (London, Paris, Berlin, Hamburg etc.), in denen sich ethnische sowie sprachliche Diversität in ihrer vollen Pracht auslebt. Ethnische und kulturelle Diversität bringt den Ausbau der linguistischen Diversität oder Mehrsprachigkeit mit sich. Durch Globalisierungsprozesse entstehen neue Sprachentwicklungen, die die moderne Linguistik versucht, mit Konzepten wie beispielsweise »crossing« (Rampton 1995b), »polylanguaging« (Jørgensen 2008b) oder »translanguaging« (Creese/Blackledge 2010), analytisch zu fassen. Außerdem unterliegen die sogenannten Nationalsprachen ebenfalls deutlichen Veränderungen: z.B. in Hybridformen (Hinnenkamp/ Meng 2005) oder Stilisierungen unterschiedlicher Art. Im Kern von Superdiversität und Mehrsprachigkeit liegt eine komplett neue Vision der Identitätsfrage einzelner Gesellschaftsmitglieder. Die alte Gleichung, in der sich Nationalität, Ethnizität und Sprache gegenseitig komplettieren, gilt für viele nicht mehr. Kaum noch eine Stadt der Welt kann den Anspruch erfüllen, monoethnisch und monosprachlich zu sein. Deutschland
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ist ein multiethnisches, mehrsprachiges Land Europas, in dem zahlreiche Ethnien und Kulturen täglich interagieren. Die gesellschaftliche Partizipation einzelner Bürger und ihre persönliche Entwicklung innerhalb des Staates hängen mit der Verteilung der intellektuellen Güter sowie mit der Bewertung des individuellen Kapitals innerhalb des staatlichen Systems zusammen. Eine zentrale Rolle in der Verteilung des Wissens und der damit verbundenen Qualifikationen übernimmt die Schule. Eine Reihe alarmierender internationaler Studien (IGLU, PISA s.u.) untersuchte das deutsche Schulsystem, in dem sie eine deutliche Interdependenz zwischen dem Schulmisserfolg und der sozialen Schichtzugehörigkeit feststellten. In den Fokus gerieten zum größten Teil Schüler mit Migrationshintergrund, die öfter als alle anderen Kinder auf den Hauptschulen und Sonderschulen landen. Deutsche Erziehungssoziologen (Gomolla/Radtke 2002) argumentieren, es sei institutionelle Diskriminierung, die zu solchen Ergebnisse führt und die Gesellschaft nach Ethnizität und Sprachkompetenzen spaltet. Sie waren zwar in der Lage zu identifizieren, an welchen Stellen (bspw. Übergänge zu Sekundarstufe, Empfehlungsschreiben, Einschulung etc.) die Institutionen ihre »unauffällige« Selektion durchführen und welche Zusammensetzung sich in den Schulklassen deswegen bildet. Wie der Umgang mit Ethnizität und anderen Differenzen im Unterricht selbst abläuft, ist jedoch so gut wie nicht erforscht. Begleitend zu den Fragen nach der Relevanz von Ethnizität, steht die Frage nach den Sprachkenntnissen derjenigen Schüler, die in ethnisch heterogenen Milieus aufwachsen. Ihre Sprachbiografien sind reich an Wendepunkten, die zum Teil politisch, zum Teil wirtschaftlich oder sogar familiär bestimmt werden. Im Kontrast zur Internationalisierung zahlreicher Lebensbereiche in der freien Wirtschaft bleibt die Schule eine geschlossene Institution, die durch ihre Normierungsabläufe die Prinzipien des monolingualen Habitus (Gogolin 1994) bewahrt und verteidigt. Dabei übernimmt die Sprache und ihre Verwendung die Rolle eines symptomatischen Indizes in der Interaktion und kann auf unterschiedliche Identitäts- und Gruppenzugehörigkeiten verweisen (Hausendorf 2000). Wie dies in schulischen Räumen realisiert wird, ist ebenfalls wissenschaftlich nicht eindeutig. Weder Soziologie noch Erziehungswissenschaft waren bis jetzt in der Lage, den interaktiven Umgang mit Ethnizität und Mehrsprachigkeit am Beispiel authentischer Daten aus dem Unterricht systematisch zu analysieren oder mindestens zu präsentieren. Diese Phänomene kann lediglich die Teilnahme am schulischen Alltag selbst klären. Dies wird im Rahmen der vorliegenden Fallstudie versucht. Der Zugang zum Aufenthaltsfeld Schule scheint unter deutschen Forschern als schwierig betrachtet zu werden – insbesondere unter Linguisten. Einzelne Fallstudien berichten über das schulische Tagesgeschehen (Kalthoff 1997; Breidenstein/Kelle 1998; Tillmann/Holler-Nowitzki/
Einleitung
Holtappels/Meier/Popp 2000; Breidenstein 2006; Zaborowski/Meier/Breidenstein 2011) und sind erziehungswissenschaftlich geprägt (Gender, Disziplin, »Wohlerzogenheit«1, Erklärungsmuster etc.). Keine dieser langfristigen Ethnographien setzt sich mit der ethnischen Heterogenität oder mit Fragen der Mehrsprachigkeit auseinander. Langfristige, linguistische Fallstudien an Schulen sind im deutschen Raum kaum zu finden (vgl. Rampton 2006a für Großbritannien; Jørgensen 2008b für Dänemark). Da die Schule eine der entscheidendsten Stufen in der Positionierung einzelner Gesellschaftsmitglieder ist, lohnt es sich durchaus, die schulischen Prozesse näher zu betrachten und zu problematisieren. Ein besonderes Interesse dieser Untersuchung besteht darin, die Interaktionen im Laufe einzelner Unterrichtsstunden zu analysieren. Dafür eignet sich die Form der langfristigen Fallstudie, die repetitive Mikroprozesse und Tagesabläufe im Feld im Detail registriert. Mittels einer Methodenkombination von Ethnographie, Gesprächsanalyse und soziolinguistischen Ansätzen wird der Umgang mit ethnischer Heterogenität in der Schule sowie ihrer Variablen (u.a. Aussehen, Sprache, Herkunft, Kultur, Verhalten) beschrieben und analysiert, was bisher in der deutschen Linguistik kaum durchgeführt wurde. Dies bestimmt das primäre Ziel der Arbeit: Eine auf langfristige Beobachtung ausgerichtete schulische Fallstudie vorzustellen, die mit soziolinguistischen Mitteln arbeitet und Einblick in die kommunikativen Praktiken der Schule ermöglicht. Der Blickwinkel der Beobachtung konzentriert sich dabei auf die Frage des Umgangs mit ethnischer Diversität (für Zielsetzung und Fragestellung siehe Kapitel 1.4.). Die vorliegende Fallstudie basiert auf einer schulischen Ethnographie in einer hessischen Hauptschule. Im Laufe eines siebenmonatigen Feldaufenthalts wurde ein komplexes, multidimensionales Korpus kreiert. Es besteht erstens aus den Angaben in dem Fragebogen »Herkunft und Sprache«, der von den Schülern selbst ausgefüllt wurde und Informationen über ihre Herkunft und die von ihnen in unterschiedlichen Domänen (Schule, Elternhaus, Freundschaftscliquen) gesprochenen Sprachen liefert. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Korpus sind die Feldnotizen, die im Laufe der Ethnographie gesammelt wurden und das ethnographische Beobachten in schriftlicher Form festhalten. Zentraler Bestandteil des Korpus sind die Tonaufnahmen aus dem Unterricht sowie aus den Pausen. Die so gewonnenen Daten ermöglichen ein konversationsanalytisches Vorgehen. Außerdem nimmt die Analyse Bezug auf klärende Gruppennachbesprechungen mit einzelnen Schülern: Diese wurde in informellen Settings durchgeführt und liefern Informationen über persönliche Einstellungen der Schüler zu dem Unterrichtsgeschehen. Schließlich widmet sich die Studie noch Online-Daten, die ich in Form von Screen-Shots auf der informellen Domäne Facebook gesammelt habe. Die simultane Be1 | Kalthoff (1997).
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obachtung der Gruppe im realen Alltag sowie in der Online-Community ermöglichte einen tieferen Einblick in die sprachlichen, kulturellen und identitätsbezogenen Aspekte der Klasse. Durch eine sich gegenseitig ergänzende Kombination der unterschiedlichen Datenarten gewinnt die Analyse eine facettenreiche Perspektive. Die Struktur der Fallstudie ist primär datengeleitet und gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil der Studie (Kapitel 1, 2, 3) bietet einen kurzen Exkurs in die Problematik der kontroversen schulischen Debatte Deutschlands (Kapitel 1). Ergänzend werden zentrale theoretische Ansätze mit Bezug auf Kategorisierung und Zugehörigkeit diskutiert (Kapitel 2). Anschließend skizziere ich die methodische Vorgehensweise im Laufe der Fallstudie (Kapitel 3) sowie das Beobachtungsfeld selbst. Den zweiten Teil (Kapitel 4, 5, 6) der Arbeit widme ich der Frage der situativen, interaktionalen Bearbeitung von Differenzen. Die Frage der Gruppenidentität der untersuchten Klasse und ihre Bedeutung in Interaktionen werden im Kapitel 4 dargestellt. Darauffolgend steht die ethnische Zugehörigkeit im Zentrum der Diskussion (Kapitel 5). Die Auseinandersetzung mit gesichtsbedrohenden Kategorisierungen nach Aussehen und ihrer interaktiven Herstellung schließt sich an (Kapitel 6). Der dritte Teil der Fallstudie eröffnet eine Diskussion über die sprachliche Vielfalt der untersuchten Schüler. Zuerst werden die Sprachkontaktphänomene (Code-Switching, Code-Mixing) im Unterricht sowie die allgemeine Sprachpolitik der Schule diskutiert (Kapitel 7). Danach präsentiere ich die Interaktionsdynamiken, die sich im Ethikunterricht entwickeln (Kapitel 8). Schließlich gehe ich zur informellen Sprachdomäne der Schüler – der Onlinekommunikation auf Facebook – über, um eine umfassende Vorstellung über die sprachlichen Möglichkeiten der Schüler zu gewinnen (Kapitel 9). Die Fallstudie bietet den Hauptschülern Raum, selbst zur Sprache zu kommen. In 87 Beiträgen spielen sich kurze Szenen aus dem Schulunterricht ab, die in komprimierter Form Wissensstrukturen über den Schulalltag und Unterrichtsrealitäten offenlegen. Diese werden durch episodische, begleitende Nachbesprechungen mit einzelnen Schülern ergänzt.
Teil I. Makrotheoretischer Kontext der Zugehörigkeitsprozesse im Bildungswesen
1. Exkurs zum migrationsschulischen Kontext Deutschlands
1.1 M igr ationshintergrund als F ak tor des schulischen M isserfolgs Deutschland wird erst seit 1998 politisch als »Einwanderungsland« definiert (Cindark 2010: 52). Die Bildung und andere Sektoren des deutschen Sozialsystems werden allmählich dieser »neuen« Entwicklung angepasst und reformiert. Wie sich schulische Bildung bundesweit im Bezug auf Migrationsprozesse entwickelt, ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Diskussion dieser Arbeit. Durch Studien wie PISA (Programme for International Student Assessment) und IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) konnten die soziale Umgebung sowie Integration von Migrantenfamilien in Relation zu Schulerfolg gesetzt werden. In diesem kurzen Exkurs-Kapitel biete ich eine Übersicht über die Situation der Institution (Haupt-)Schule in Deutschland, die durch Migrationsprozesse eine hohe Dynamik entwickelt. Auf die PISA-Ergebnisse sowie auf den Status und die Positionierung der Migrantenschüler im schulischen System wird hier detailliert eingegangen. Gegenwärtig beträgt die Anzahl der Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik Deutschland ca. 15.300.000 Menschen, was 19 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht (Kühn 2007: 99). Diese politisch-ethnographische Entwicklung übt großen Einfluss auf die Schülerschaft aus: In einigen Regionen Deutschlands weisen bis zu 50 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund auf (Fereidooni 2011: 18). Deshalb können die Schule und die Lehrerschaft das Phänomen der hohen Heterogenität in ihrem professionellen Alltag nicht übersehen. Interkulturalität, Mehrsprachigkeit und Multiethnizität im schulischen Kontext sind keine neuen Prozesse für deutsche Schulen (vgl. Hinnenkamp 1998). Allein die Geschichte des letzten Jahrhunderts ist eine der Migration: Über 1,2 Millionen »ausländische Wanderarbeiter« waren in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland beschäftigt (Ottmer 2005). Im Jahr 1944 be-
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trug die Zahl der Ausländer (darunter waren Zwangs- und Zivilarbeiter bzw. Kriegsgefangene) 7,7 Millionen (Herbert 2003: 193). Mit der Anwerbung der »Gastarbeiter« aus der Türkei, Griechenland, Spanien, Marokko, Portugal, Tunesien und Italien von Anfang der 1950er bis Ende der 1970er Jahre stiegen die Zahlen der Gastarbeiter deutlich: Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten in Deutschland zwischen 14 bis 20 Millionen Gastarbeiter (Cindark 2010: 57). Man erkennt an diesen Zahlen, dass das Phänomen der Migration und die daraus folgenden Ergebnisse (ausländische Schüler und ihre sozio-politische Partizipation sowie Karrierechancen) in der Bundesrepublik Deutschland eine lange Geschichte haben. Auch durch politische Prozesse verändert sich die Landesbevölkerung Deutschlands. Laut OECD-Untersuchung von 2013 war Deutschland neben Großbritannien eines der wenigen Länder, das im Laufe der letzten Wirtschaftskrise an menschlichem Kapital gewonnen hat: Die Arbeits-/Krisenzuwanderung aus Spanien, Griechenland und Italien erhöhte sich auf ca. 44.000 Migranten (OECD 2013: 23). Insgesamt kamen in der Krisenzeit 116.000 Migranten nach Deutschland (OECD 2013: 26). Neben der Wirtschaftszuwanderung erlebt Deutschland auch die Einflüsse der Welt- sowie der EU-Politik: So wurden in Deutschland von 1995 bis 2013 71.242 Asylanträge gestellt (UNHCR Juni 2013), davon 11.177 allein im August 2013 (BAMF 2013: 3). Ende 2012 lebten rund 590.000 Flüchtlinge (BAMF 2013: 3) in der Bundesrepublik Deutschland. Diese neuen Bevölkerungsgruppen haben in Deutschland ein Recht (und die Pflicht) auf schulische Ausbildung1 und beeinflussen dementsprechend den schulischen Alltag sowie die Verteilung des wirtschaftlichen und kulturellen Kapitals im Land. Außerdem verändern sich die Migrationsregelungen in der EU sowie in der BRD, was unmittelbare demographische Folgen mit sich bringt, so zum Beispiel bei der Freizügigkeit für EU-Bürger, die sich in allen EU-Ländern bewerben dürfen und von der Öffnung des Arbeitsmarkts profitieren. Des Weiteren verlängerte Deutschland 2013 die Aufenthaltserlaubnis ausländischer arbeitsuchender Studienabsolventen von 12 auf 18 Monate (OECD 2013: 52). Deutschland schafft ein sehr günstiges Milieu für junge Wissenschaftler sowie für Beschäftigte in »Mangelberufen«: Das geschieht z.B. durch die europäische blue-card-Regelung, die hoch qualifizierten Bürgern aus Drittländern den Aufenthalt in der EU sichert 2 (OECD 2013: 54).
1 | Dieses Recht regeln mehrere internationale Abkommen/Konventionen sowie das Nationalgesetz der BRD: z.B. Art. 28 UN-Kinderrechtskonvention, Art. 21 GG. Ausführlich in Harmening (2005). 2 | Siehe »Blaue Karte in Deutschland« http://www.bluecard-eu.de/blaue-karte-eudeutschland/ (Stand: 05.05.2014).
1. Exkurs zum migrationsschulischen Kontext Deutschlands
Je höher der Migrationsverkehr in der EU und in Deutschland ist und je häufiger man mit Interkulturalität im Alltag konfrontiert wird, desto erstaunlicher wirken die Ergebnisse der internationalen Studien, die sich mit der Korrelation zwischen dem Bildungs(miss)erfolg und dem Migrationshintergrund in den Schulen der Gegenwart beschäftigen. Nach OECD-Einschätzung machen die »Migrantenkinder« zwischen 15 und 20 Prozent der Schülerschaft in Deutschland aus (OECD 2009: 68), was bedeutet, dass jeder fünfte Schüler im Klassenzimmer einen Migrationshintergrund aufweist. Die Migrationsbewegungen bringen neue Prozesse und Phänomene mit sich, aufgrund derer sich alle Sektoren der Gesellschaft neu orientieren müssen. Um den Umgang mit kulturellen Differenzen, den daraus folgenden Herausforderungen und notwendigen Kompetenzen zu verstehen, ist es wichtig, sich einen großen komparativen Überblick zu verschaffen: Dafür gehe ich kurz auf die PISA-Ergebnisse der letzten Jahre sowie auf die Befunde deutscher Soziologen ein. Die letzten PISA-Studien legten einen Zusammenhang zwischen der sozialwirtschaftlichen Lage der Schüler und ihrer Herkunft in Deutschland offen (OECD 2009: 72): »Schüler mit Migrationshintergrund schneiden um 56 PISA-Punkte schlechter ab als gleichaltrige Einheimische« (OECD 2009: 72). Ein Paradigmenwechsel im Bereich der schulischen Leistungsuntersuchungen und Beurteilung fand nach der PISA-Studie 2000 statt. Man zog nun institutionelle Diskriminierung als Hintergrund in Betracht, anstatt wie früher die Schüler und ihre Familien auf Grund ihrer Kultur, für den schulischen Misserfolg verantwortlich zu machen (Fereidooni 2011: 20). In dieser Zeit erkannte man andere Mechanismen, die für die Verteilung des intellektuellen und kulturellen Kapitals in der deutschen Gesellschaft verantwortlich sind (s.u.). Art. 2 Abs. 1 des GG garantiert die freie Entfaltung der Persönlichkeit eines jeden Bürgers Deutschlands: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.« Da die Schule eine staatliche Einrichtung ist, muss diese Entfaltung an dieser Institution realisierbar und für jeden problemlos zugänglich sein. Für Maas (2005) bedeutet die Entfaltung den optimalen Ausbau des Wissens, der Fertigkeiten, die in die Schule mitgebracht werden, also insbesondere des sprachlichen Wissen, wie es im familialen Kontext erworben und auch außerfamilial weiter entfaltet worden ist – gegebenenfalls auch als nicht-deutschsprachiges Wissen. (Maas 2005: 100)
Um die erfolgreiche Entfaltung jeder Persönlichkeit zu gewährleisten, vermittelt die Schule das curriculare Wissen der Lehrpläne. Gleichzeitig vermittelt sie jedoch das Wissen, das Quehl (2002) »heimliches« Curriculum nennt. Das heimliche Curriculum ist das Wissen über die gesellschaftlichen Strukturen und Ordnungen, das an der Schule rekonstruiert wird und als Ergebnis die Prozesse eines institutionellen Rassismus in ihrer Funktion unterstützt
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(Quehl 2002: 168). Schule präsentiert dementsprechend eine Machtstruktur, die für die soziale Positionierung und Wissensverteilung einzelner Personen in modernen Gesellschaften besonders verantwortlich ist. Heller und MartinJones (2001) definieren die Macht eines Schulsystems (Bildungsstrukturen) wie folgt: we […] understand education as a key site because of its possibilities for the construction and application of processes of symbolic domination, that is, domination that works because it masks its concrete sources, that works because it appears not to work, that works by convincing all participants in an activity, that the rules that are, in fact defined by one group are natural, normal, universal, and objective, and that it is in everyone’s interests to accept those rules. One if the objectives of education, in this view, is to construct hegemonic discourses and to ensure their acceptance. Education is in this way deeply about social order. (Heller/Martin-Jones 2001: 6)
Deutsche Pädagogen und Erziehungswissenschaftler schreiben der modernen Schule die Funktion einer »gesellschaftlichen ›Basisinstitution‹ zu« (FaustSiehl et al. 1996: 14): Die Schule als ganze ist ein sozialer Raum, der für die dort lernenden Kinder überschaubar sein und Orientierung vermitteln muß und dabei ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit erwecken sollte. (Garlichs/Leuzinger-Bohleber 1999: 187)
Im Kontrast dazu wird die deutsche Schule im öffentlichen sowie im wissenschaftlichen Diskurs als sehr selektiv bezeichnet. Die Position der Migrantenkinder ist besonders kritisch: Viele von ihnen landen in den Haupt- und Sonderschulen. Das Risiko, auf eine Sonder- oder »Förderschule« überwiesen zu werden, ist unter Migrantenkindern doppelt so hoch wie das anderer Kinder (Auernheimer 2006: 8). Als Faktor des Schulmisserfolgs wird die Schichtzugehörigkeit oft durch einen weiteren Aspekt der sprachlichen Sozialisation begleitet: Wegen der starken Abhängigkeit des Schulerfolgs von Sozialschicht und Sprachvermögen, die von der deutschen Schule bisher nicht gelockert wird, sind Migrationsjugendliche von der Ungleichheit der Bildungschancen besonders stark betroffen. (Auernheimer 2006: 8)
Der Selektionsprozess im dreigliedrigen Schulsystem führt zu einer deutlichen Überrepräsentation von »Ausländern« unter den Schülern ohne Schulabschluss, den Haupt- und Sonderschülern, den vom Schulbesuch Zurückgestellten und den Sitzenbleibern (Radtke 2008a: 661). Gleichzeitig sind die »Ausländer« bei Gymnasiasten und bei den erfolgreichen Übergängen in die
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Berufsausbildung unterrepräsentiert: »Jeder vierte ausländische Jugendliche verbleibt in der Warteschleife der beruflichen Grundbildungslehrgänge, 21 Prozent sind selbst davon ausgeschlossen, 37 Prozent bleiben für immer ohne einen Berufsabschluss« (Auernheimer 2006: 17). Wenn man sich die bundesweite Statistik der höchsten Schulabschlüsse in Deutschland unter der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund anschaut, stellt man fest, dass die Anzahl der Schüler ohne Schulabschlüsse unter den Migrantenkindern dreifach und vierfach so hoch wie die der deutschen Schüler ist (Statistisches Bundesamt 2012). Als zentrale Erklärungen für die benachteiligende Selektion an (deutschen) Schulen wird heutzutage institutionelle Diskriminierung genannt (siehe Esser 2006; Fereidooni 2011; Gomolla/Radtke 2002). Unter diesem Begriff wird die »Ungleichbehandlung von Personen durch das ›organisatorische Handeln zentraler gesellschaftlicher Institutionen wie z.B. des Bildungs- und Ausbildungssektors‹« verstanden (Fereidooni 2011: 23; Gomolla 2006: 169). Eine ausführliche Definition der institutionellen Diskriminierung bietet Alvarez (1979) an: [Institutionelle Diskriminierung] is a set of social processes through which organizational decision making, either implicitly or explicitly, results in a clearly identifiable population receiving fewer psychic, social, or material reward per quantitative and/or qualitative unit of performance than a clearly identifiable comparison population within the same organizational constraints. (Alvarez 1979: 2)
Die Benachteiligung von bestimmten Gruppen entsteht also durch die kollektiven Entscheidungen der institutionellen Akteure: So wie zum Beispiel durch offene und unausgesprochene Verfahrensvorschriften, Routinen, Programme, Lehrpraxen und »Handlungswissen der Fachkräfte, mit ihren Kommunikationsformen« (Fereidooni 2011: 23; Gomolla 2006). Die Kommunikationsformen, die in der Hauptschule mit hohem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund herrschen, bilden den Fokus dieser Fallstudie. Was die Untersuchung und das Erkennen solcher Prozesse erschwert, ist, dass diese Prozesse von den Institutionen und dem Personal »normalisiert« werden: Der institutionelle (schulische) Habitus stellt Erwartungen an die Schülerschaft, die sie aus mehreren Gründen nicht erfüllen kann, so der Befund Radtkes: Die moderne Schule […] ist in der Tat uninteressiert an Nationalität, es geht ihr vielmehr um Normalität, d.h. um Erwartungen, die sie an die Ausfüllung der Schülerrolle als Mitgliedschaftsbedingung hat, die überproportional häufig von Migrantenkindern nicht erbracht werden können. (Radtke 2008a: 667)
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Auf diese Weise werden solche Normalisierungsverfahren zum gewöhnlichen Alltag und von daher auch »selbstverständlich« und »gewohnt« (Hall 2001: 165). Im Laufe seiner qualitativen Untersuchung stellt Radtke fest, dass die moderne Schule eine Abweichung von der Norm im Selektionsverfahren (Selektions- und Allokationsentscheidungen) als einen Maßstab verwendet und dabei ethnische Merkmale für die Begründung und Erklärung ihrer Entscheidungen benutzt. Dabei werden »Plausibilität und Legitimation […] durch Attribuierung von kulturspezifischen Merkmalskonstellationen erzeugt« (Radtke 2008b: 75). Ethnizität wird nicht nur zum Grund der Überweisung/Zuordnung zu einer bestimmten Schulart (d.h. häufig zur Hauptschule), sondern auch zur Ressource weiterer diskriminierenden Praxen. So werden Migrantenkinder beispielsweise auf Sonder- oder Förderschulen überwiesen, um die »bestehenden schulischen Kapazitäten erhalten zu können« oder um die Schulschließung zu vermeiden (Fereidooni 2011: 25). Eines der stärksten Aussortierungskriterien an der deutschen Schule sind die deutschen Sprachkenntnisse, da die Sprache eine »Schlüsselkompetenz« für erfolgreiches Lernen bedeutet (Quehl 2002: 181). Die Beurteilung der Lernleistungen fällt den Lehrern schwer, da sie zwischen Leistungskompetenz und Sprachverständnis nicht unterscheiden können (Krämer 2008: 284). Häufig werden die kognitiven Fähigkeiten (zum Beispiel in Mathematik und Naturwissenschaften) aufgrund mangelnder oder »nicht schulgerechter« Deutschkenntnisse schlecht bewertet (Krämer 2008: 284). Neben der Sprachkompetenzeinschätzung verwendet die Lehrerschaft für die Begründung der Misserfolge der Migrantenkinder in ihrer Schulkarriere Aspekte, die außerschulische Kontexte in Betracht ziehen: beispielsweise den muttersprachlichen Familienkontext, die soziale Integration der Familie, mangelnde Schulbildung der Eltern, Motivationsmangel, fehlende/falsche Elternunterstützung, psychologische Belastungen, islamischer Fundamentalismus, Sprachdefizite, fehlende Kindergartenzeiten, Mentalitätsunterschiede, Selbstsegregation der Eltern, oder inadäquate Bildungsaspiration der Eltern (Gomolla/Radtke 2007: 270-274; Fereidooni 2011: 123-128). Diese Daten wurden von Gomolla und Radtke durch Interviews mit der Lehrerschaft erhoben. Im Allgemeinen werden die »ausländischen« Schüler unter dem Begriff »Problembehandlung« stigmatisiert und als eine homogene Gruppe behandelt. Gogolin (2011) fasst das wie folgt zusammen: Die Aussagen über die ›Fremden‹ basieren auf einer Kreation von Gemeinsamkeiten, die für bildungsrelevant erachtet werden: gemeinsame nichtdeutsche Staatsbürgerschaft, gemeinsame Zugehörigkeit zu einer nach dem Pass ermittelten ›fremden‹ Kultur, Ethnie und Sprache. (Gogolin 2011: 54)
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Zusätzlich verfügen die Lehrer über common sense, der durch den medialen Diskurs konstruiert und vermittelt wird. Viele Meinungsumfragen sowie Medienanalysen weisen fremdenfeindliche Einstellungen gegenüber der Migrantenbevölkerung nach, wie das folgende Beispiel zeigt: Stadtteile mit hohem Ausländeranteil sind Problemstadtteile, Schulen mit vielen Migrantenkindern sind schwierig, Ausländerkinder in der Klasse hemmen den Lernfortschritt der deutschen Kinder. (Hamburger 2005: 8)
Die politischen und medialen Debatten über »Ausländer« und »Integration« beeinflussen ebenso ihren Umgang mit den Schülern (Quehl 2002: 175 f.). Eine solche Verantwortungsverlagerung seitens der Lehrerschaft weist darauf hin, dass sie nicht in der Lage ist, die Folgen eigener Entscheidungen und Praktiken adäquat zu bearbeiten: Es kann kein Zweifel daran sein, dass innerschulische, nicht zuletzt im Unterricht selbst liegende Mechanismen an dem Effekt mitwirken, der sich als ethnische Selektion durch das Schulwesen abbildet. Die Schulen vermögen es offenbar nicht, durch ihr Unterrichts- oder sonstiges Angebot negative Konsequenzen der staatlichen, sprachlichen oder kulturellen Herkunft eines Kindes auszugleichen. (Gogolin 2002: 163)
Viele dieser Aspekte werden in der vorliegenden Studie im Unterricht sichtbar und dienen tatsächlich als Begründung für die Attribution von Leistungsschwäche.
1.2 H eterogenität, K ulturk apital und »sprachliches R einheitsgebot« 3 1.2.1 Zum Kulturkapital bei Bourdieu Berücksichtigt man alle oben genannten Aspekte der letzten gesellschaftlichen Entwicklungen im postindustriellen Deutschland, so stellt man fest, dass der Schulalltag durch hohe Heterogenität und die daraus resultierende Mehrsprachigkeit geprägt ist. Heterogenität bezieht sich im Allgemeinen auf Unterschiede in mehreren Bereichen und ist einer der zentralen Begriffe des pädagogischen Diskurses. Heterogenität wird jedoch häufig im Kontext der Beseitigung der Ungleichheiten und Ermöglichung des Zugangs zu höherer Bildung und Wissen als Ausübung des demokratischen Rechts diskutiert. Im deutschen Schulkontext wird der Begriff »Heterogenität« häufig als Synonym 3 | Gogolin 1998: 77.
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für Schulen verstanden, vor allem für Hauptschulen »in ökonomisch randständigen Gebieten, die hauptsächlich von Kindern aus einkommensschwachen Familien und mit Migrationshintergrund besucht werden – in denen aber eher die Homogenität ungünstiger Bildungsvoraussetzungen und ein Übermaß an strukturellen Mängeln das Problem sind« (Gomolla 2009: 21). Bei der Verteilung der Chancen, des Wissens und der Positionen innerhalb einer heterogenen Bevölkerung (Schulen, Klassen) übernimmt die Schule als staatliche Institution eine entscheidende Rolle: Sie verteilt das ökonomische, soziale und kulturelle Kapital und bestimmt seinen Wert in der Gesellschaft (Bourdieu 1983). Unter »Kapital« versteht Bourdieu eine »akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Material oder in verinnerlichter, ›inkorporierter‹ Form« (Bourdieu 1992b: 49). Dieser Gedanke leitet der Soziologe von der Grundannahme ab, die gesellschaftliche Welt sei »akkumulierte Geschichte« (Bourdieu 1992b: 49). Die sogenannte »Akkumulation« von Kapital benötigt Zeit und wird nicht chaotisch oder systemlos generiert: Dem Kapital wohnt eine Überlebenstendenz inne; es kann ebenso Profite produzieren wie sich selbst reproduzieren oder auch wachsen. Das Kapital ist eine der Objektivität der Dinge innewohnende Kraft, die dafür sorgt, daß nicht alles gleich möglich oder gleich unmöglich ist. […] Die zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebene Verteilungsstruktur verschiedener Arten und Unterarten von Kapital entspricht der immanenten Struktur der gesellschaftlichen Welt, d.h. der Gesamtheit der ihr innenwohnenden Zwänge, durch die das dauerhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestimmt und über die Erfolgschancen der Praxis […] entschieden wird. (Bourdieu 1992b: 50)
In seinem Versuch, die Reproduktionsweisen des Bildungssystems theoretisch begreif bar zu machen, führt Bourdieu vier Kapitalarten ein: das ökonomische Kapital, das kulturelle Kapital, das soziale Kapital und das symbolische Kapital. Das ökonomische Kapital ist »unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts« – was nahezu der wirtschaftswissenschaftlichen Kapitalart entspricht (Bourdieu 1992b: 52). Seine besondere Aufmerksamkeit widmet Bourdieu der Bedeutung des kulturellen Kapitals, da genau diese Kapitalart den entscheidenden Unterschied in der gesellschaftlichen Ansehens-Hierarchie ausmacht. Drei Formen des kulturellen Kapitals werden dabei vorgestellt: objektiviertes kulturelles Kapital, inkorporiertes kulturelles Kapital, und institutionalisiertes kulturelles Kapital. Das objektivierte kulturelle Kapital wird »durch materielle Träger objektiviert« und ist damit in Geld konvertierbar und übertragbar wie ökonomisches Kapital (Bourdieu 1992b: 59). Kulturelle Güter – Bücher, Gemälde, Schriften etc. – bzw. ihre Nutzung kann jedoch lediglich durch inkorporiertes Kulturkapital erfolgen (Bourdieu 1992b: 60).
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Eine weitere Form des Kulturkapitals – das inkorporierte Kulturkapital– ist körpergebunden und wird, ähnlich wie der Habitus (s.u.), als Produkt eines Verinnerlichungsprozesses betrachtet und dadurch zum Teil des Bewusstseins und der Körperlichkeit »inkorporiert« (Jurt 2012: 26; Bourdieu 1992b: 55). Gemessen wird das inkorporierte Kulturkapital in der Gesamtdauer der Ausbildung und an seinem »Seltenheitswert«: »Dieser Seltenheitswert wird erhalten, weil nicht alle Familien über die Mittel verfügen, um ihre Kinder über die obligatorische Schulpflicht hinaus ausbilden zu lassen« (Jurt 2012: 26). Hier lässt sich die Verbindung zwischen dem ökonomischen und dem kulturellen Kapital deutlich betrachten: Es kostet Zeit und Geld, möglichst früh mit dem Bildungsprozess anfangen zu können. Das institutionalisierte Kulturkapital existiert in Form von institutionell verliehenen Titeln und Ausweisen (Titel als »Zeugnis für kulturelle Kompetenz«, Bourdieu 1992b: 61). Diese sollen »dauerhaft und rechtlich« den Wert erstellter Zeugnisse bestätigen bzw. garantieren, was wiederum zur Umwandlung von kulturellem Kapital in ökonomisches dient (Bourdieu 1992b: 61 f.). Das soziale Kapital spielt eine zentrale Rolle in der Frage der Zugehörigkeit und der Güter- sowie Machtverteilung in der Gesellschaft. In Bourdieus Sinne ist das Sozialkapital »die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind« (Bourdieu 1992b: 63). Dieses Kapital beruht auf der Gruppenmitgliedschaft (Familie, Netzwerk, Clan etc.) und dem materiellen/symbolischen Tausch zwischen eigenen Mitgliedern (Bourdieu 1992b: 63). Die Gruppenbeziehungen müssen ebenfalls gepflegt werden, was wiederum Zeit kostet. Schließlich kommt das symbolische Kapital mittels gesellschaftlicher Anerkennungsakte zustande: Diese Kapitalart ist den anderen drei Kapitalarten übergeordnet und verleiht den gesellschaftlichen Akteuren einen gewissen Grad von Ansehen oder Prestige (Jurt 2012: 24). Die Berücksichtigung aller vier Kapitalarten und ihrer gegenseitigen Interdependenz ermöglicht Bourdieu die Erklärung der selbstreproduzierenden Natur des Bildungswesens bzw. des ungleichen Zugangs zur Bildung: »ein Individuum [kann] die Zeit für die Akkumulation von kulturellem Kapital nur so lange ausdehnen […], wie ihm seine Familie freie, von ökonomischen Zwängen befreite Zeit garantieren kann« (Bourdieu 1992b: 59). Durch die ungleichmäßige Verteilung dieser Kapitalarten entsteht gesellschaftliche Heterogenität sowie eine Ungleichheit der Möglichkeiten, sich in einer Gesellschaft frei zu bewegen oder neu zu orientieren: D. h., derjenige Teil des Profits, der in unserer Gesellschaft aus dem Seltenheitswert bestimmter Formen von kulturellem Kapital erwächst, ist letzten Endes darauf zurückzuführen, daß nicht alle Individuen über die ökonomischen und kulturellen Mittel ver-
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»Ausländersein« an der Hauptschule fügen, die es ihnen ermöglichen, die Bildung ihrer Kinder über das Minimum hinaus zu verlängern, das zu einem gegebenen Zeitpunkt für die Reproduktion der Arbeitskraft mit dem geringsten Marktwert erforderlich ist. (Bourdieu 1983: 57 f.)
Bourdieu spricht von unterschiedlichen Kräften, die für die Überwindung der sozial-strukturellen Grenzen sowie der eigenen habituellen Gewohnheiten in der Schule seitens eines Individuums eingesetzt werden müssen: Die Schulbildung orientiert sich aber so stark an der Elitenkultur, dass ein Kind aus kleinbürgerlichem und mehr noch aus bäuerlichem oder Arbeitermilieu mühsam erwerben muss, was Kinder der gebildeten Klasse mitbekommen: Stil, Geschmack, Esprit, kurz, die Leichtigkeit und Lebensart, die dieser Klasse, da es ihre eigene Kultur ist, natürlich sind. Für die einen bedeutet Elitekultur eine teuer erkaufte Eroberung, für die anderen ein Erbe. (Bourdieu/Passeron 1971: 42)
Die vier obengenannten Kapitalarten sind interdependent. Die Summe dieser Kapitalarten konstruiert den Habitus, der das weitere Agieren einer Person strukturiert. So werden die Grenzen und die Möglichkeiten des menschlichen Verhaltens durch habituelle Wahrnehmung, Denkweise und alltägliche Praktiken beeinflusst: Als Vermittlungsglied zwischen der Position oder Stellung innerhalb des sozialen Raumes und spezifischen Praktiken, Vorlieben, usw. fungiert das, was ich »Habitus« nenne, das ist eine allgemeine Grundhaltung, eine Disposition gegenüber der Welt, die zu systematischen Stellungnahmen führt. (Bourdieu 1992c: 31)
Dementsprechend werden die Vorlieben, Denkschemata und der Geschmack des Habitus, vom »sozialen Raum« also, in dem man aufwächst sowie von dem Kapitalzugang abhängig. Individuelle Sozialisierung führt zur Strukturierung bestimmter Denkschemata des jeweiligen Individuums sowie zu »Grenzen seines Hirns, die er nicht überschreiten kann«, weswegen »für ihn bestimmte Dinge einfach undenkbar« zu sein erscheinen (Bourdieu 1992c: 33). Die Schule übernimmt eine Schlüsselfunktion bei der Verteilung des Kulturkapitals und reproduziert die sozialen Schichten bzw. die gesellschaftlichen Ungleichheiten, »da sie die Legitimation für berufliche Perspektiven schafft« (Sturm 2013: 9). Konstruktion und Reproduktion der Differenzen als Kernelement der Heterogenität sind nicht abgeschlossen, sondern sind Bestandteil jeder menschlichen Interaktion (West/Fenstermaker 1995: 9). Diese Differenzen sind keine statischen Merkmale, sondern immer wieder erneuerbare und re-definierbare Eigenschaften, die in einer konkreten Interaktion situativ relevant werden, was die vorliegende Studie demonstrieren wird. Heterogenität ist das Ergebnis des Vergleichsprozesses einer Eigenschaft mit der (gesellschaft-
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lichen/schulischen) Norm (Sturm 2013: 9-19). Geschlecht, sozio-ökonomischer Stand, Ethnizität, Aussehen, Alter und diverse weitere Faktoren übernehmen die Rolle der Distinktionslinien im Differenzierungsprozess in der Schule (siehe Sturm 2013). Die »migrationsbedingte Heterogenität« nach Nohl (2010: 156) ist lediglich die Entstehung eines neuen Milieus innerhalb des Nationalstaates. Dieses Milieu erzeugt aus der pädagogischen Perspektive einen »die Differenz akzeptierenden Habitus« (Hirschauer/Kullmann 2010: 351 f.).
1.2.2 Bildungsungleichheit: Soziolinguistische Perspektive In Ergänzung zu Bourdieus kultursoziologischer Perspektive beschäftigt sich die Soziolinguistik u.a. mit den Gesprächspraktiken, die bei der Frage nach der Bildungsungleichheit ins Zentrum der Analyse geraten. Bernstein (1971) arbeitet den Begriff des »Sprachcodes« heraus, indem er die Sprachpraktiken klassen- bzw. schichtspezifisch untersucht. Als Soziolinguist verbindet er die Sprachpraktiken mit der gesellschaftlichen Umgebung, in der sie erworben und ausgeübt werden: […] the form of the social relation or, more generally, the social structure generates distinct linguistic forms or codes and these codes essentially transmit the culture and so constrain behavior. (Bernstein 1971: 122)
Nach Bernsteins Theorie ist der Gebrauch des »Kodes« klassenspezifisch und symbolisiert dementsprechend die Schichtzugehörigkeit des Sprechers. Bernstein unterscheidet zwischen dem »elaborierten Sprachkode« der Oberschicht, der u.a. komplexere syntaktische Strukturen, Explizitheit und grammatikalische Korrektheit beinhaltet, sowie dem »restringierten Sprachkode« der Unterschicht, der durch kurze, unvollständige Sätze und einen geringeren Wortschatz gekennzeichnet ist (Bernstein 1964: 58 f). Die Sprecher der Mittelschicht verfügen nach Bernsteins Auffassung über beide Kodes gleichzeitig. Der Kontext wird in Bernsteins Analyse zu einer Variable, die außerhalb der Interaktion geschaffen wird und in der Zeit der Interaktion eine bestimmende, übergeordnete Rolle übernimmt: »Social class position regulates the occupational function, the intrafamilial and interfamilial relationships, and responsiveness to school« (Bernstein 1972: 480). Die Kontextualisierungshinweise im Laufe einer Interaktion sowie die gemeinsam ko-produzierten Kontexte bleiben von Bernstein unberücksichtigt: Beide Aspekte werden erst später von Gumperz (2000) und Auer (1986, 1992) durch das lokale Kontextualisierungsverfahren nachgeholt. Eine ähnliche soziale »Symptomatik« der Kodeverwendung beschreibt Bourdieu in den »verborgenen Mechanismen der Macht«:
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»Ausländersein« an der Hauptschule Die Gruppen (und insbesondere die sozialen Klassen) sind immer zu einem Teil Artefakte: Sie sind das Produkt der Logik der Repräsentation, die es einem biologischen Individuum […] erlaubt, im Namen der ganzen Gruppe zu sprechen, die Gruppe wie »einen Mann« sprechen und marschieren zu lassen, glauben zu machen – und zuallererst die Gruppe, die sie repräsentieren –, daß die Gruppe existiert. (Bourdieu 1992d: 85)
Sowohl Bourdieu als auch Bernstein sehen die Schichtzugehörigkeit als eine bestimmende Kraft der Sozialisation, die das Sprachverhalten eines Individuums determiniert. Daraus resultiert die Inkongruenz der »Codes« und ihrer Anwendungsbereiche: Die Schüler aus niedrigeren Schichten werden in der Schule mit einem neuen Sprachkode konfrontiert, der in ihrer alltäglichen Umgebung nicht praktiziert wird (vgl. Bourdieu 1966/2006: 30). Dieser wird von der Lehrerschaft jedoch nicht automatisch zum »Kulturkapital« gezählt. Diese Sprachkodediskrepanzen und ihre Bewertung seitens des Schulsystems führen zur Reproduktion der gesellschaftlichen Benachteiligung der Kinder aus niedrigeren Sozialschichten und reproduzieren dadurch die bereits existierenden Schichten: Die Theorie Bernsteins […] bot so eine Erklärung für die Tatsache, dass die schulischen Leistungen von Unterschichtkindern gegenüber Mittelschichtkindern stark abfallen: Schulerfolg ist offensichtlich an das Beherrschen des elaborierten Codes gebunden, so dass Kinder der Unterschicht, die in ihrer familiären Sozialisation nur den restringierten Code erwerben, durch diese Sprachbarriere systematisch benachteiligt sind. (Birkner 2002: 236)
Bourdieus und Bernsteins Thesen formulieren eine Makrostruktur der Schichtenreproduktion. Keiner der beiden Wissenschaftler bietet jedoch empirische Belege aus realen Unterrichtsinteraktionen, sodass die Verarbeitung der unterschiedlichen Sprechkodes im Unterrichtskontext ungeklärt blieb. Deswegen blieben auch die kommunikativen Mechanismen der Bildungsbenachteiligung der unteren Sozialschichten im institutionellen Setting unerforscht. Damit beschäftigen sich die Bereiche der Ethnomethodologie, der Ethnographie der Kommunikation und der Konversationsanalyse, die kommunikative Praktiken durch die Mechanismen der Kontextualisierung und Mitgliedschaftskategorisierung als situativ und lokal betrachten (siehe Kapitel 2).
1.2.3 Zum »monolingualen Habitus« Eng gekoppelt mit der Anerkennung der (sozialen) Heterogenität steht die Anerkennung der Mehrsprachigkeit an der modernen Schule sowie ihre Ausübung. Ethnische Heterogenität ermöglicht sehr häufig die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu sprechen und zu verstehen. Ähnlich wie durch den »kulturellen Habitus« werden die Akteure der sozialen Räume durch den »monolingualen
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Habitus« (Gogolin 1994) beeinflusst. Dabei wirkt der monolinguale Habitus strukturierend auf den Umgang mit Mehrsprachigkeit und Sprachen im Allgemeinen: Grounded in past experience and yet affecting the way that agents act, habitus is both a product of history and part of what produces history […] it consists of what we have called the schematic aspects of practice, both in language and in the social context of practice. Unlike grammar, but much like an ideology, habitus is highly differentiated according to the actor’s place in society. Not all people who speak the same language share the same routinised dispositions to perceive objects in the same way or to engage in verbal practices the same way. The concept of habitus, then, makes three contributions to a description of verbal practice: (1) it incorporates the phenomenon of habituation, which builds regularity at the level of action without relying on conceptual rules; (2) it integrates both linguistic and non-linguistic aspects of practice, thereby avoiding the reification of language isolated from context; (3) being dispositions, it is perspectivally centered rather than projecting into action the view-from-nowhere common to rule-based systems. (Hanks 1996: 239)
Eine der zentralen Funktionen der Schule ist die Sicherung der Sprachnormen einer Gesellschaft, die durch habituelle Wahrnehmung und Denkrahmen definiert werden. In diesem Feld agiert die Schule als primäre Ressource der Normenherstellung und deren Bewahrung sowie der Vermittlung der Nationsideologien, die in einer (National-)Sprache kodiert werden: First […], schools adopt a model of language as the property of a nation, that is, a whole and bounded entity that corresponds to a whole, homogeneous, and bounded people. […] Second, schools operate with a cultural model of knowledge as something contained within the individual mind that must therefore be overtly monitored by teachers. (Heller/Martin-Jones 2001: 10)
De Beaugrande (1997) spricht von »linguistic human rights«, die in den modernen Gesellschaften sowie Schulsystemen nicht anerkannt und als Folge ignoriert werden (Beaugrande 1997: 110-114). Besonders der Muttersprachunterricht wird in den Schulen Prozessen der Standardisierung und sprachlicher Reinheit (language purism) nahezu gleichgestellt: In theory, presenting the »standard language« as a set of teachable »facts« and »correct usages« again seeks authoritative and rational standards; in practice, the standards soon become authoritarian and irrational […] by treating language as a predetermined set of »correct« formal options and patterns, yet without having any reliable consensus about the standards of »correctness«. The »incorrect« usages which the »standard language« is claimed to exclude are often precisely the ones actually used by native speakers in widespread ordinary communication. (Beaugrande 1997: 111)
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Circa 100 Sprachen sind in Deutschland lebendig (Gogolin 2005: 1). Darunter sind nicht nur die Minderheitssprachen zu verstehen (wie z.B. Dänisch, Nordfriesisch, Saterfriesisch, Sorbisch), sondern auch Sprachen der großen Migrationsgruppen wie Polnisch, Russisch, Türkisch und Sprachen des ehemaligen Jugoslawiens. Dies wird durch Deutsch als institutionelle Sprache und Englisch als Pflichtfremdsprache an den meisten deutschen Schulen ergänzt. Dementsprechend besitzt jeder deutsche Schüler unterschiedliche Kompetenzen in mindestens zwei Sprachen. Da laut Statistik jeder fünfte Schüler im deutschen Schulsystem einen Migrationshintergrund aufweist, ist davon auszugehen, dass jeder fünfte Schüler mit anderen Sprachkulturen im (außer‑) schulischen Bereich aufwächst. Nicht zu übersehen ist jedenfalls der Einfluss der Massenmedien, die ihre Sendungen in verschiedenen Sprachen anbieten: Türkisch, Russisch, Französisch, Englisch etc. Auch Facebook und andere Internetressourcen sind mehrsprachig und für jeden frei zugänglich. Die sprachliche Vielfalt begleitet die postmoderne Schülerschaft täglich im außerschulischen Bereich ihres Lebens (Hu 2003). Im Kontrast dazu geht die Schule in Deutschland mit den verfügbaren Fähigkeiten ihrer Schüler auf ihre eigene Weise um: Ausländische Kinder werden in Deutschland als eine in sich homogene Gruppe wahrgenommen, »die der ebenso homogen gedachten Mehrheit deutschsprachiger Schüler_innen« gegenübersteht (Busch 2013: 170). Die Mehrsprachigkeit wird oft als Hindernis für den Schulerfolg, Herausforderung für das Bildungssystem und als Überforderung für jeden einzelnen Schüler angesehen (Gogolin 2005: 1-13). Dabei herrscht in der Gesellschaft die Überzeugung, daß es gut, richtig und im Bildungsprozeß zumindest über weite Strecken dringend nötig sei, die Sprache(n) rein zu halten. Leicht kann beobachtet werden, daß es sehr wenig wohlgelitten ist, wenn es Lernenden nicht stets gelingt, die ›eigene‹ Sprache und die ›fremde(n)‹ säuberlich zu trennen. Die Fähigkeit, in diesem Sinne Sprachkontakt zu meiden, gilt oft geradezu als Ausweis für tadelloses Sprachvermögen (oder einen im Gelingen befindlichen Lernprozeß). (Gogolin 1998: 71)
Zum Beispiel bezüglich der Einschulung spricht Hamburger (2005) vom »unveränderlichen Topos« in der deutschen Schule, dass Migrantenkinder über nicht ausreichende Sprachkenntnisse verfügen: Dieser Topos ist gegen empirische Differenzierung immunisiert, weil er vor allem die Ungleichheit der Berechtigungen gegen Veränderungen resistent macht: Die einen haben das Recht, über die Kompetenz der anderen evaluative Feststellungen zu treffen, und die Anderen müssen prinzipiell nachweisen, dass dies nicht der Fall ist. (Hamburger 2005: 9)
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Im Kontrast dazu bestätigt Gogolin, dass »sprachliches Grenzgängertum« ein gewöhnliches Merkmal der Alltagspraxis der Mehrsprachigen sei (Gogolin 1998: 75). Der im deutschen Schulsystem herrschende »monolinguale Habitus« schreibt der Schule eine institutionelle (deutsche) Sprache zu (Gogolin 1994): Wir führen dies darauf zurück, daß der Unterricht sich weitgehend auf die unausgesprochene – habitualisierte – Vorannahme einer prinzipiellen Homogenität in der Schülerschaft stützt. Genauer gesagt, beruhen die Lehr-Routinen auf der impliziten Voraussetzung, daß Kinder ›normalerweise‹ dieselben sprachlich-kulturellen Erfahrungen in den Unterricht mitbringen; daß Kinder ›normalerweise‹ einsprachig in einsprachiger Umwelt aufgewachsen seien. Jenseits aller Berücksichtigung von Differenz in einer offenen, pluralen Gesellschaft – etwa im Hinblick auf soziale Lage oder Geschlecht – ist die stillschweigende Annahme der Üblichkeit des Aufwachsens in ›einer Sprache und Kultur‹ in unseren Gesellschaften und Schulen nach wie vor weitgehend ungebrochen. Die höchst unterschiedlichen Lebenserfahrungen und Lebensumstände in den faktisch multikulturellen und vielsprachigen westeuropäischen Gesellschaften scheinen für die Schule unsichtbar zu sein, da sie sich auf den Mythos von sprachlich und kulturell unifizierten Nationalstaaten stützt. (Gogolin/Kroon 2010: 10)
Das Festhalten an der Normalvorstellung, dass die Einsprachigkeit in der Schule der Normalfall sei, und die Obsession von der sprachlichen Reinheit in den Institutionen bezeichnet Gogolin als »monolingualen Habitus«, der in den modernen westeuropäischen Gesellschaften und insbesondere an ihren Institutionen »tiefsitzend« und »durchgehend sichtbar und wirksam« sei (Gogolin/Kroon 2010: 10). Daraus resultiert ebenfalls das pädagogische Agieren der Lehrerschaft: Die Lehrer behandeln ihre mehrsprachigen Schüler, als seien sie einsprachig (Gogolin/Kroon 2010: 15). Das heißt, dass die Erwartungen, die an die Schülerschaft gestellt werden, auf der Annahme beruhen, dass sie über ein »einheitliches und identisches Sprachgefühl« wie das des Lehrers verfügen (Gogolin/Kroon 2010: 17): »Deutsch wird so unterrichtet als könnten alle Deutsch« (Kotthoff 2007a: 500).4 4 | Gogolin bringt ein Beispiel aus einer niederländischen Fallschule: »Es gehörte zur Routine der Lehrerinnen unserer niederländischen Fallschule, bei orthographischen Übungen die Regel anzubringen: ›Höre genau zu; wenn Du gut zuhörst, hörst Du, wie man schreibt.‹ Dieser Hinweis ist als paraphrasierte Anwendung einer ›didaktischen Grundregel‹ zu verstehen, die in der konventionellen niederländischen Lehrerausbildung vermittelt wird und die auf die relative Lauttreue der niederländischen Sprache rekurriert (Sturm, 1992). Freilich erscheint der Hinweis in der Lehrerinnen-Anweisung in einer trivialisierten, und daher irreführenden Form, denn bekanntermaßen ist die Annahme einer Identität von Laut- und Schreibzeichen linguistisch falsch“ (Gogolin/Kroon 2010: 17).
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Dabei werden die anderen Sprachen der Schülerschaft wenig als kulturelles, soziales oder ökonomisches Kapital geschätzt oder überhaupt wahrgenommen. Die vorliegende Studie bestätigt einen ähnlichen Umgang mit den sprachlichen Ressourcen der Schülerschaft und bietet einige Beispiele des Umgangs mit der linguistischen Vielfalt einer Hauptschulklasse an.
1.3 H aup tschule : »S ammelbecken für V erlierer « Im Fokus dieser Fallstudie steht eine Hauptschulklasse. Daher ist es sinnvoll, sich das öffentliche politisch-soziale Image der Hauptschule anzuschauen. Überdies finden die Leitmotive der öffentlichen Diskussion über diese Schulart ihren interaktiven Niederschlag im Klassendiskurs, im Unterricht sowie auf dem Schulhof. Seit mehreren Jahren wird die Hauptschule im deutschen Kontext mit dem Stempel »Bildungssackgasse« stigmatisiert. »Ungeliebte Schule: Weniger Schüler, hoher Ausländeranteil, schlechte Berufsperspektive«, »Der Abstieg«, »Schulmodell in der Sackgasse«, »Hat die Hauptschule eine Zukunft?«, »Hauptschule – Ein Weg in die Sackgasse« – so lauten die Titel in vielen Zeitungen, die über die Hauptschule der Gegenwart berichten. Der negativ-geladene politisch-gesellschaftliche Diskurs und die damit verbundenen Perspektiven übertragen sich auch auf das Klassenzimmer und reproduzieren sich im Alltagsumgang mit den Schülern dieser Schulart (vgl. Auernheimer 2006: 12). Unter dem Druck dieses negativen Vorbehalts befinden sich nicht nur die Schüler und ihre Eltern, sondern auch die Lehrerschaft, die in ihrer beruflichen Sozialisation nicht qualifiziert wird, mit der Heterogenität, die in einer Einwanderungsgesellschaft entsteht, korrekt umzugehen (Auernheimer 2006: 12). In dem »Sammelbecken für Verlierer« (Frankfurter Rundschau vom 22.04.2005) sind überproportional viele Schüler »mit Versagenserlebnissen in ihrer bisherigen Schullauf bahn, aus schwierigen Familienzusammenhängen, mit Migrationshintergrund« vertreten (Rösner 2007: 16). Die Ausbildung, die die »Verlierer« in der Hauptschule bekommen sollten, wird von ihnen häufig als »lästige und nutzlose Zeitverschwendung« bezeichnet, begründet durch die niedrigen und aussichtslosen Einstiegschancen auf dem Arbeitsmarkt (Rösner 2007: 17). Aussichtslosigkeit im beruflichen und im sozialen Leben wird sowohl innerhalb der schulischen Wände als auch außerhalb der Institution intensiv thematisiert. Die Hauptschulen verfügen außerdem über ein besonders »schwieriges Milieu«, was die Entfaltung der intellektuellen und sozialen Kompetenzen nicht fördert. Teil dieses Milieus ist die Kriminalität, die den Hauptschülern häufig zugeschrieben wird (Rösner 2007: 17). Dieser Aspekt findet seine Bestätigung auch in meiner Forschung. Kriminelle Zuschreibungen sind keine Seltenheit bei der lokalen Identitätsbildung und wer-
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den oft selbst von den Lehrern in die Klassendiskussion eingeführt. Ein anderes Merkmal dieses Milieus ist mangelnde Disziplin und Gewaltbereitschaft der Schüler. 2006 stellt Baumert das »schwierige Milieu« der Hauptschule in folgendem Kommentar dar: Rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler haben mindestens eine Klasse wiederholt. Ebenso viele Schüler stammen aus Migrantenfamilien, in denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird. 40 Prozent der Eltern verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Fast ein Drittel der Familien ist von Arbeitslosigkeit betroffen. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern, die in den vergangenen Monaten Schuleigentum beschädigt haben oder gegenüber anderen Personen tätlich geworden sind, liegt bei 40 Prozent, und das Fähigkeits- und Leistungsniveau der Schulen ist extrem niedrig. (Baumert et al. 2006: 160)
Immer mehr und immer häufiger wird Hauptschule als »Restschule« bezeichnet und dadurch auch stigmatisiert. In diese »Reste«-Kategorie fallen nicht nur zahlreiche ethnische Minderheiten mit ihren Sprachschwierigkeiten, sondern auch lernschwächere oder verhaltensauffällige Schüler sowie Kinder aus »subproletarischen Schichten« (Rösner 2007: 33). Dadurch entsteht in der Hauptschule der unter allen weiterführenden Bildungsgängen höchste schulische Heterogenitätsgrad. In Bezug auf Arbeitsperspektiven der Hauptschulabsolventen sind die Prognosen der Sozial- sowie Erziehungswissenschaft sehr pessimistisch: Als Zukunftsbeschäftigung wird häufig – auch von Seite der Schüler – behauptet, dass viele Hauptschulabsolventen zukünftige Harz-IV-Empfänger sind (Rösner 2007: 32). Zusammengefasst befindet sich Deutschland im Epizentrum der wirtschaftlichen, der politischen und der Bildungs-Migration. Seine Schülerschaft ist durch ethnische sowie kulturelle Heterogenität und Mehrsprachigkeit gekennzeichnet. Kritische Positionen in der Hierarchie der schulischen Abschlüsse übernehmen Schüler mit Migrationshintergrund, die an bestimmten Übergangsstellen, teilweise aufgrund der institutionellen Diskriminierung, aussortiert werden. Die Rolle des »Sammelbeckens« übernimmt die Hauptschule, in der sich ein polyethnisches, mehrsprachiges Milieu ausbildet. Wie mit diesen Entwicklungen an der Institution »Hauptschule« umgegangen wird, soll die vorliegende Arbeit auf ethnographische und soziolinguistische Art darstellen. Trotz ausreichender wissenschaftlicher Hinweise auf institutionelle Diskriminierung an deutschen Schulen bleibt diese Institution eine »black-box« für die Forscher (Baker/Lenhardt 1988). Durch Datenschutzgesetze wird der Zugang zum schulischen Feld erschwert, was viele Arten der Datengewinnung fast unmöglich macht. Außerdem ist die Bereitschaft der Lehrerschaft, einem fremden Forscher Zugang zum Unterricht zu gewähren,
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sehr niedrig (siehe dazu Kapitel 3). Ethnographische und linguistische Studien an deutschen Schulen erscheinen dementsprechend immer noch sehr selten. Meistens handelt es sich um Interviewstudien mit der Lehrerschaft oder um Laborstudien (zur Fallstudienübersicht siehe Kapitel 3). In wenigen Fällen werden Interviews mit der Schülerschaft außerhalb der Schule geführt. Besonders gering ist die Anzahl der Studien, die über die Interaktionen im Schulunterricht berichten.
1.4 Z ielse t zung und F r agestellung Die vorliegende Fallstudie setzt sich das Ziel, die bis jetzt unbekannten und wenig dokumentierten Kommunikationsabläufe an einer höchst stigmatisierten Institution – der Hauptschule – am Beispiel einer Hauptschulklasse zu dokumentieren, zu kategorisieren und zu analysieren. Diese Arbeit bringt jedoch keine repräsentativen Forschungsergebnisse hervor, da es sich hier um eine Fallstudie einer einzelnen siebten Klasse handelt. Besonderes Interesse widmet diese Studie der Frage der Zugehörigkeitsverhandlungen auf mehreren Ebenen der Schülerinteraktionen. Aufgrund der ethnischen Heterogenität in der untersuchten Klasse ist es höchst interessant zu registrieren, wie situative (kurzfristige) und langfristige Mitgliedschaft(en) in den Klasseninteraktionen (d.h. auf der Mikroebene des gesellschaftlichen Diskurses) sowie außerhalb des Unterrichts verhandelt werden. Die linguistischen Mittel der Mitgliedschaftszuschreibung werden identifiziert und analysiert. Ihre Relevanz und ihre Auswirkungen auf die Identitätsbildung der Klasse sollen am Beispiel der Klasseninteraktionen thematisiert werden. Außerdem wird versucht, die am häufigsten thematisierten Distinktionslinien zu erkennen und ihre Mittel zu identifizieren. Diesbezüglich steht die Frage der Differenzen und der Zugehörigkeitszuschreibungen im Fokus der Aufmerksamkeit. Zentral für die Fragestellung bleibt die Kategorie »Ethnie« und ihre Hervorbringung in den Unterrichtsinteraktionen. Wie wird diese ethnische Zugehörigkeit hervorgehoben? Welche kommunikativen Ziele werden erreicht, indem man seine eigene oder die fremde ethnische Zugehörigkeit thematisiert? Wie werden andere Differenzen (bspw. das Aussehen) interaktiv bearbeitet? Auf diese Fragen wird in Teil II detailliert eingegangen. Darüber hinaus soll die Arbeit Einblick in die sprachlichen Realitäten der Hauptschüler verschaffen (Teil III). Für die Analyse ziehe ich sowohl offizielle Unterrichtsinteraktionen als auch informelle Online-Daten heran. Dies ermöglicht die Breite der Sprachregister einzelner Schüler kontrastiv zu den schulischen Interaktionen zu betrachten. Schließlich liefert die vorliegende Studie Informationen über eine Feldarbeit in der Schule, die nicht in einem
1. Exkurs zum migrationsschulischen Kontext Deutschlands
Laborsetting durchgeführt wurde. Die Beobachterin bietet Informationen aus der eigenen Felderfahrung, die eine Reihe Hindernisse und Feldspezifika mit sich bringen. Zuerst werden jedoch die theoretischen Ansätze der Zugehörigkeitszuschreibungen diskutiert.
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2. Zugehörigkeitshervorhebung, -zuschreibung und -bewertung
2.1 W ie l ässt sich Z ugehörigkeit erkennen ? Diese Arbeit wurde zunächst unter dem Schwerpunkt »Exklusions- und Inklusionsprozesse im schulischen Umfeld« konzipiert. Im Laufe der empirischen Studie und der Datenanalyse stellte sich jedoch heraus, dass Exklusion und Inklusion viel gröbere und hauptsächlich soziologisch und pädagogisch ausgerichtete Begriffe sind (vgl. Schwohl/Sturm 2010), auf deren Mikroebene die Prozesse der kommunikativen Zugehörigkeitsherstellung liegen. Um herauszufinden, ob und wie ethnische, kulturelle oder sogar sprachliche Zugehörigkeit im schulischen Kontext hervorgehoben wird, benötigt man ein theoretisches Instrumentarium, das ermöglicht, die gesuchte Zugehörigkeit in der Interaktion zu erkennen, und deswegen viel kleinere Prozesse und Praktiken unter die Lupe nehmen soll. Zunächst ist es zentral zu identifizieren, wie sich die Prozesse der Zugehörigkeit und ihrer Zuschreibung in einer Interaktion erkennbar und verfolgbar machen. Dafür müssen interaktive Aktivitäten, die soziale Ordnung und die sozialen Identitäten näher unter die Lupe genommen werden. Auf der Oberfläche der Interaktion betrachtet sind das die sozialen Identitäten, die in sozialen Räumen oder in ihren Lebenswelten situativ miteinander interagieren. Ihre situativen oder kontinuierlichen Interaktionen bildet die sogenannte Gesellschaftsordnung (Baker 1997), in der alle weiteren Interaktionsaufgaben ausgeführt werden. An der Empirie aus dem schulischen Kontext lässt sich die Konstituierung der Gesellschaftsordnung leicht erkennen. Beispielsweise wendet sich Baker (1997) der Frage der Kategorisierung im schulischen Gespräch zu. Sie untersucht, wie Lehrer und Schuladministration ihre Schüler und ihre Leistungen im Gespräch kategorisieren und skalieren. Im Schulmeeting wird das neue Leistungssystem aktualisiert. Dabei führt die Administration der Schule »tickets« für gutes und schlechtes Verhalten ihrer Schüler ein. Entsprechend dieser »tickets« wird die Schülerschaft bestraft oder bekommt bestimmte Privilegien. Baker analysiert, wie die Lehrer Rationalität
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und Kategorien in situ im Gespräch herstellen und aktualisieren. Die lokale Moral und »rule-making practices« werden hauptsächlich lokal produziert und entsprechend des existierenden Systems angepasst. Die Gesellschaftsordnung (»social order«) wird praktisch interaktiv und lokal re- und ko-produziert. Des Weiteren ist zu beachten, dass es die sozialen Identitäten sind, die an der Interaktion teilnehmen. Eine Richtung aus dem interaktionslinguistischen Bereich mit Bezug auf Zugehörigkeit beschäftigt sich mit dem Konzept der sozialen Identitäten (im Sinne von Henri Tajfel). Im Unterschied zum essenzialistischen Gedanken, dass kollektive Identitäten (s.u.) und Sprachen unmittelbar interdependent sind, widmet sich die Interaktionale Soziolinguistik der Frage wie soziale Identitäten in der Interaktion ko-konstruiert werden: We customarily take gender, ethnicity, and class as given parameters and boundaries within which we create our own social identities. The study of language as interactional discourse demonstrates that these parameters are not constants that can be taken for granted but are communicatively produced. Therefore to understand issues of identity and how they affect and are affected by social, political, ad ethnic divisions we need to gain insights into the communicative processes by which they arise. (Gumperz/CookGumperz 1982: 1)
Le Page (1985) spricht von einer Wahl jedes Individuums (Sprechers) über seine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe: Le Page claims that our socio-stylistic choices are made in order to conform to the behaviour of those social groups we wish to be identified with,« he »foregrounded the individual as an actor who – within certain limits – chooses his or her affiliations and expresses them symbolically through language«, »a speaker ›projects‹ an image of him- or herself when s/he wishes to identify with a (real or imagined) social reference group. (Auer 2007: 4 f.)
Soziale Identitäten benötigen Verstärkung (reinforcement) seitens der anderen. Bekommt der Sprecher eine Verstärkung, so wird sein Verhalten regulärer oder fokussierter (Auer 2007: 5). Zusammengefasst wird soziale Identität wie folgt definiert: social identity is conceived as a social and cultural co-construction […], emerging in communicative events through a dynamic and continuous process of mutual categorization, attribution, and negotiation of a bundle of features made relevant for specific social contexts. (Bierbach/Birken-Silverman 2007: 122)
Kommunikation enthält dementsprechend dynamische »acts of identity« (Le Page/Tabouret-Keller 1985). Soziale Identitäten schreibt man sich gegenseitig
2. Zugehörigkeitsher vorhebung, -zuschreibung und -bewer tung
zu. Dies erfolgt unter der Beachtung der sozialen Kontexte (s.u.), die für die Interaktion für relevant gehalten werden.
2.2 G renzziehung und die S uche nach A nschluss Nicht nur der Kontext gewinnt an Bedeutung im Laufe einer Interaktion, sondern auch die Bedeutung einzelner Wörter wird von Hester (1994) lokal und situativ betrachtet: Membership categorization devices or collections are therefore to be regarded as in situ achievements of members’ practical actions and practical reasoning. Categories are ›collected‹ with others in the course of their being used. In turn, then, this means that the ›collection‹ to which a category belongs is constituted through its use in a particular context; it is part and parcel of its use on that way. Its recognizability is part of the phenomena itself. What ›collection‹ that category belongs to, and what the collection is, are constituted in and how it is used this time. (Hester 1994: 242)
Wörter werden dementsprechend in einem Gespräch nicht in ihrer allgemeinen Bedeutung, sondern in einer lokalen, situativen Bedeutung verwendet und verstanden. Diese Bedeutung kreieren und decodieren Sprecher in situ und nicht im Allgemeinen. Diese Verlagerung der Deutungsprinzipien eines Gesprächs vom Globalen (wie ursprünglich bei Sacks s.u.) zum Situativen (Hester 1994; Housley/Fitzgerald 2002) verengt sich auf die Deutung eines Gesprächs unter Betrachtung des Kontextes und der lokalen und situativen (gelegentlichen) Wortbedeutungen. Dabei werden die sogenannten »natürlichen Kollektionen« (Housley/Fitzgerald 2002: 69) gemieden. Das Konzept der Zugehörigkeit besteht dementsprechend aus mehreren theoretischen Elementen: Fragen der Gruppenbildung, sozialer Identitäten und sozialer Welten. Ziehung und Markierung der Distinktionslinien sind die wichtigsten Bestandteile der Zugehörigkeitsherstellung. Betrachtet man Zugehörigkeitsprozesse aus soziologischer oder linguistischer Perspektive, so stellt man fest, dass sich im Kern dieser Prozesse der Aspekt der Grenze und der Entfernung von dieser bzw. der Annäherung an diese Grenze befindet. Außer des Bestandteils »Grenze« (oder »Grenzlinie«) beinhaltet das Konzept der Zugehörigkeit zusätzlich eine Gruppe der Menschen oder Eigenschaften, nach deren Zugehörigkeit gestrebt wird. Diese Gruppe ist eine abstrakte Bezeichnung, die in geisteswissenschaftlichen Theorien unterschiedliche Namen trägt. Die moderne Pädagogik beispielsweise – die dem vorliegenden Thema nahe steht – arbeitet häufig mit dem Begriff des Milieus. Nohl (2010) beispielsweise bezeichnet gesellschaftliche Faktoren als unterschiedliche Milieus und
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knüpft dadurch an eine Deutung von Bourdieus Konzept des Habitus an. Im Zentrum der pädagogischen Debatte steht die »natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit«: In der Pädagogik kollektiver Zugehörigkeit geht es nicht nur um ethnisch konnotierte Kulturen, sondern auch um weitere – generationelle, geschlechtsspezifische, regionale und andere kollektive Einbindungen – und zwar im Plural. (2010: 145)
Die kollektiven Erfahrungen werden innerhalb einer Kultur gesammelt und erlebt, die Nohl als Milieu bezeichnet: »Kultur als das praktische Leben innerhalb kollektiver Zugehörigkeit bezeichne ich als Milieu« (Nohl 2010: 148). Diese Milieus müssen jedoch nicht homogen und gleich sein, sondern sie sind in den meisten Fällen heterogen und mehrdimensional: Sie [die Mehrdimensionalität der Milieus] erstreckt sich unter anderen auf die adoleszenz-, geschlechts-, generations-, migrations-, schicht- sowie bildungsspezifischen Erfahrungsdimensionen. Solche Erfahrungsdimensionen überlagern bzw. überlappen innerhalb eines jeden Milieus einander. (Nohl 2010: 159)
Die Suche nach Anschluss an eine Gruppe, Ethnie oder Kultur erfordert unterschiedliche Mechanismen der Zuschreibung und Bewertung der (eigenen) Position in einer Gruppe oder Gesellschaft sowie die Bewertung und Zuschreibung der Positionen der Anderen. Wie Zugehörigkeit kommunikativ und kognitiv bearbeitet wird, versucht der folgende Theorieteil mithilfe der grundlegenden und bisherigen Forschungsergebnisse zusammenzufassen. Da diese Arbeit im Gebiet der Soziolinguistik konzipiert wird, setze ich mich im theoretischen Teil mit den Aspekten der Gruppenbildung und Zugehörigkeitsverhandlungen aus zwei Perspektiven auseinander. Zuerst blicke ich auf die Forschungsergebnisse der Kategorien und der Gruppenbildung aus ethnomethodologischer Perspektive, indem ich den Mechanismus »Membership Categorization Device« kurz skizziere. Ich setze dann meine Betrachtungen mit anderen theoretischen sowie empirischen Ergebnissen aus dem Fach der Soziolinguistik fort, wobei einige Beispiele zur Herstellung von Zugehörigkeit sowie ihrer Zuschreibung und Bewertung mit sprachlichen Mitteln gegeben werden.
2.3 »M itgliedschaf tsk ategorisierung «: K ognitive H erstellung der Z ugehörigkeit Menschen nehmen sich in ihrem Alltag nicht nur als einzelne Individuen, sondern als Mitglieder unterschiedlicher oder gleicher sozialen Gruppen wahr (Hausendorf 2000). Diese sozialen Gruppen zeichnen sich durch ihre eigenen
2. Zugehörigkeitsher vorhebung, -zuschreibung und -bewer tung
Aktivitäten, Interessen und Eigenschaften aus. Im Prozess der Feststellung einer Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit spricht man in der modernen Soziologie von sozialen Identitäten, das heißt von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Auf die Frage, wie soziale Identitäten und Gruppen entstehen, und wie sie von anderen Gesellschaftsmitgliedern wahrgenommen werden, versucht die Theorie der Mitgliedschaftskategorisierung zu antworten. Diese ist insoweit für die Frage der Zugehörigkeit relevant, da sie die kognitive Wahrnehmung der Sprecher mit ihren registrierbaren, sprachlichen Erscheinungen, die an der Oberfläche einer Interaktion beobachtbar werden, zusammenbringt und analysierbar macht. Außerdem erweist sich diese Analyse dann als produktiv, wenn es um die Erforschung sozialer Gruppen und des sozialen Wissens innerhalb der Gruppe geht (Housley/Fitzgerald 2002: 74-76). Eine Schulklasse ist eine soziale Gruppe, die über ihr alltägliches Wissen und ihre internen Gruppendynamiken verfügt. Ein intensives wissenschaftliches Interesse an Mechanismen der Zugehörigkeit äußert sich in den Arbeiten des amerikanischen Soziologen und Ethnomethodologen Harvey Sacks, der sich in den 1970er Jahren dafür interessierte, wie soziale Wirklichkeiten in Interaktionen konstruiert werden. Als Resultat seiner Forschung konzipierte er die Mitgliedschaftskategorisierung, die bis heute als Basis für die Analyse der sozialen Zugehörigkeitszuordnungen in der Interaktion gilt. Die Präsenz bestimmter Kategorien im Gespräch ist ein grundlegendes Konzept des Zuordnungsprozesses und wird als übergreifendes, kognitiv-ethnomethodologisches Konstrukt für die weitere Diskussion und Analyse dieser Arbeit fungieren. Sacks isoliert die Existenz eines Sets, das aus einer Gruppe an Kategorien besteht (Sacks 1992a: 40). Jede Kategorie des Sets klassifiziert eine Population (Gruppe): Diese Kategorien nennt Sacks »Member’s categories« (Sacks 1992a: 40). Als Beispiel für die Sets erwähnt Sacks solche wie Geschlecht, Rasse, Religion oder auch Beruf (occupation). In jedem Set findet man mehrere Kategorien, die jedes Mitglied der Bevölkerungsgruppe charakterisieren können (Sacks 1992a: 40). Diese Kategorien sind mit verbreitetem gesellschaftlichen Wissen über bestimmte Gruppen gefüllt und sind deshalb »reich an Inferenzen«: When you get some category as an answer to a ›which‹-type question [Which type of set are you?], you can feel that you know a great deal about the person, and can readily formulate topics of conversation based on the knowledge stored in terms of that category. (Sacks 1992a: 41)
Eine weitere Charakteristik der Kategorisierung sagt, dass jedes Mitglied, egal zu welcher Kategorie es gehört, ein Vertreter (representative) dieser Kategorie ist (Sacks 1992a: 41). Dabei ist es wichtig zu betonen, dass unter Kategorien nicht organisierte Gruppen verstanden werden, sondern diese Kategorien übergrei-
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fend sind und sowohl innerhalb der organisierten Gruppen als auch außerhalb davon existieren (Sacks 1992a: 41). Sacks beschäftigte sich damit, wie Sprecher aus einer breiten Palette der verfügbaren Kategorien nur bestimmte selektieren, und wie sie diese den anderen in der Interaktion zuschreiben und sie thematisieren. Er stellt fest, dass sich die Gesellschaft im kontinuierlichen Prozess der gegenseitigen sozialen Kontrolle befindet: a class of social control devices [...] has as its basis that members of the society are constantly engaged in monitoring events; on the one hand by reference to whether something that has happened is something that they’re accountable for, and on the other hand to find out what is getting done by members of any of the other categories. (Sacks 1992a: 42)
Aus dem Konzept der »gegenseitigen Kontrolle« entsteht auch der Aspekt der Perspektive (perspective), der besagt, dass die Kategorisierung des Anderen nicht nur denjenigen Anderen charakterisiert, sondern auch den Sprecher selbst (vgl. Sacks 1992a: 45). Von der Perspektive des Sprechers hängt auch die Selektion und Anwendung der jeweiligen Kategorien ab (Sacks 1992a: 46). Die Perspektive des Sprechers und die gegenseitige gesellschaftliche Kontrolle sind jedoch nicht allein zentrale Faktoren für Inferenzen, die man im Prozess der Kategorisierung gewinnen kann. Es soll auch andere Wege geben, die den Interaktanten helfen, bestimme Kategorien und das begleitende Wissen zu erschließen. Als Hilfe bietet Sacks die »double-set classes« an: Viele der von ihm erwähnten Klassen (classes) sind durch soziale Stigmatisierung binär (male/female, child/adult, old/young, rich/poor etc.). Aus seiner Sicht entstehen viele Konfliktarten und Revolutionen aufgrund dieser binären Kategorien (Sacks 1992a: 47 f.). Für die Analyse der Kategorisierungsprozesse führt Sacks den Mechanismus der »inference-making machine« ein: »It can deal with and categorize and make statements about an event it has not seen« (Sacks 1992a: 115 f.). Die wichtigste Aufgabe dieses Mechanismus ist, dass er in der Lage ist, die Events als eine Sequenz zu erkennen und sie wiederherzustellen (vgl. Sacks 1992a: 115 f.). Die Aufgabe jedes Menschen im Laufe seiner Sozialisation ist, jemanden zu produzieren, der sich so verhält, dass bestimmte Kategorien dafür ausreichen, etwas über ihn zu verstehen und zu wissen (Sacks 1992a: 117). Mittels der inference-making machines funktioniert Sacks zentrale Erfindung membership categorization device: »collections of categories for referring to persons, with some rules of application« (Sacks 1992a: 238). In einer späteren Korrektur bietet Sacks eine ausführlichere Definition:
2. Zugehörigkeitsher vorhebung, -zuschreibung und -bewer tung Any collection of membership categories, containing at least a category, which may be applied to some population containing at least a member, so as to provide, by the use of some rules of application, for the pairing of at least a population member and a categorization device member. A device is then a collection plus rules of application. (Sacks 1992a: 246)
Als typische collections bezeichnet er das Geschlecht und die Rasse. Die collection »Geschlecht« zum Beispiel beinhaltet zwei Kategorien – »male« und »female«. Zwei Regeln müssen erfüllt werden, damit der Kategorisierungsprozess stattfinden kann. Die erste Regel lautet »the reference satisfactoriness«: »A single category from any membership categorization device can be referentially adequate« (Sacks 1992a: 246). Das bedeutet, dass für die Zugehörigkeitszuschreibung selbst nur eine Kategorie ausreicht. Das zweite Regel ist die der Konsistenz: It holds that if you are categorizing some population of persons – if a member is categorizing some population of persons – then if they’ve used one category from some collection for the first person they’re going to categorize, they may – it is legitimate, permissable [sic] – to categorize the rest of the population by the use of the same or other categories of the same collection. (Sacks 1992a: 239)
Als Resultat fungiert die »consistency rule« als eine Maxime (WahrnehmungsEinschränkung) für den Zuhörer: Wenn er zwei Kategorien im Gespräch hört, die aus der gleichen Kollektion stammen, dann versteht er sie entsprechend als Teile der gleichen Kollektion (Sacks 1992a: 239). Den letzten und zugleich sehr wichtigen Bestandteil des Kategorisierungsprozesses stellt Sacks in Lecture 8 unter »category-bound activities« vor. Das Verhalten der Mitglieder wird in Sacks’ Beobachtungen an bestimmte Kategorien gebunden (siehe sein bekanntes Beispiel »The baby cried. The mommy picked it up«, Lecture 1,2; spring 1996): What I mean by this is, there are a great many activities which are done by some particular category of persons, or several categories of persons, where the categories are categories from these membership categorization devices. (Sacks 1992a: 241)
Die kategoriegebundenen Aktivitäten erhalten unterschiedliche Positionierungen unter den Kollektionen: es entstehen unterschiedliche Positionierungen von collections – einige sind höher, die anderen sind niedriger – die dem Sprecher helfen, das Verhalten der anderen zu loben oder zu kritisieren, indem er dieses Verhalten (oder die Person selbst) einer niedrigeren oder höheren Kollektion zuschreibt (Sacks 1992a: 241).
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Das Wissen über die Zusammenhänge zwischen den Kollektionen und den kategoriegebundenen Aktivitäten hilft den Sprechern sowie der Gesellschaft im Allgemeinen, den Sinn für »Normen« zu entwickeln. Die Kategorie der Norm wird konstruiert und definiert durch die Bestandteile einer collection: these sets of norms, then, can operate to provide for how it is that you observe some set of activities, and see them not merely as correctly characterized by you, but as some activity correctly occurring. (Sacks 1992a: 253)
Daran sieht man, dass die Kategorien und collection sets nicht nur die Zuordnung zu einzelnen sozialen Welten und Gruppen schaffen, sondern die normative, Moral vorschreibende Rolle in einer Gesellschaft übernehmen (s.u.). Eine der prominentesten Aspekte der Membership Categorization Analyse (MCA) ist die Eigenschaft, die Sacks »Erkennbarkeit« nennt: Die Gesprächsteilnehmer beteiligen sich an der Wiedererkennungsarbeit, die als gemeinsamer Prozess und Aktion auf eine soziale Art gelöst wird: In one sense, this notion refers to the way in which social interactants orient their actions to the mutual task at hand and engage on recognition work as a means of accomplishing local social organization. This observation, argues Sacks, should inform the examination of interaction as a mutually constitutive, methodical display that is socially recognizable and recognized as part of the process of getting things done in a social way rather than a cognitive, economic, theological, telepathic or occult manner. (Housley/Fitzgerald 2002: 61)
Die Sacks’sche Tradition übernahmen und erweiterten Watson und Jayyusi, indem sie zusätzliche Funktionen und Eigenschaften der unterschiedlichen Kategorien im Gespräch (und Text) identifizierten. Einer der zentralen Befunde Watsons (1978) sind die sogenannten device-based properties. Diese sind Eigenschaften bzw. genauer formuliert ihre Zuschreibungen, die eine Kategorie in ein selbstständiges »Device« transformieren können: For example, the category ›hippy‹, being a membership category of the device ›types of youth subculture‹, could be hearably transposed into a device itself through its mapping onto certain device-based properties, e.g. smoking marijuana, wearing long hair and ascribing to unorthodox beliefs. (Housley/Fitzgerald 2002: 62)
Ein weiterer Schritt in Watsons Theorie ist die Einführung des Konzepts »incumbency« im Gespräch. Dieses Konzept deutet darauf hin, dass Identitäten und Rollen in einer Interaktion keine fixierten Eigenschaften sind, sondern interaktionale Ergebnisse und gleichzeitig Ressourcen für die Aufgabenlösung im Gespräch sind (Housley/Fitzgerald 2002: 63).
2. Zugehörigkeitsher vorhebung, -zuschreibung und -bewer tung
Auch in der Arbeit von Drew (1978) erkennt man die Neigung zur Zuschreibung spezifischer Charakteristika zu den Aktivitäten einer bestimmten Gruppe. In seinem Werk »Accusations: The Occasioned Use of Members’ Knowledge of ›Religious Geography‹« untersuchte der Forscher, wie geografische Herkunft und religiöse Ansichten die Beurteilung einer bestimmten Gruppe Interaktanten beeinflussen. Seine Analyse der Zeugenaussagen im Gericht bezüglich der Zivilunruhen in Nord Irland 1969 demonstriert, wie Religion und Geografie zu Kategorisierungsmitteln werden können: An importance of Membership Categories is that they are a conventional basis for ascribing activities (and other characteristics) to persons. Given that a person, group etc., may be characterized in an indefinite number of ways, in someone’s activity a speaker may depict that person with that category which is, conventionally, especially relevant to doing that activity. (Drew 1978: 3)
Ähnlich formuliert Lena Jayyusi (1984), die sehr präzise mit institutionellen Gesprächen – Tribunal data – arbeitet, ihre Befunde. In ihrer Untersuchung »Categorization and the moral order« erarbeitet Jayyusi eine Ergänzung zu Sacks’ category bound activities: Sie präsentiert kategorienspezifische features, die bestimmte Gruppen (und nicht nur ihre Aktivitäten) beschreiben und als zusammenhängend darstellen. Zu den Features gehören gruppenspezifische Eigenschaften, ihre Haltungen, Gewohnheiten, Fähigkeiten und Einstellungen (Jayyusi 1984: 25, 93). Attribuierung der bestimmten kategorienspezifischen Eigenschaften und Aktivitäten zu einer Person führt zur Konstruktion eines Typus: »And this ›type‹ is then used to project future actions for any particular person that is seen or made to fit the ›type‹« (Jayyusi 1984: 25). Das Wissen über den Typus, zu dem einer gehört, erlaubt ein problemloses und schnelles Vorhersagen über das Verhalten dieser Person (»prediction work«). Außerdem ist die Typus-Kategorisierung eine kollektive Kategorisierung (»collective attribute categorization«) und wird häufig für die Erklärung des Verhaltens einzelner Personen eingesetzt, ohne tatsächliche Analyse der Situation, sondern lediglich durch die Referenz zu der zuständigen Gruppe (Jayyusi 1984: 35). Die oben erwähnten Eigenschaften ( features) sind eng mit den Moral- und Normvorstellungen (»moral standards« und »moral work«) einer Gesellschaft verbunden. Das Wissen über bestimmte Gruppen und über ihre Eigenschaften führt einen dazu, zu bestimmten (logischen) Ereignissen und Beschlüssen zu kommen: Sacks’ notion of category bound actions, rights and obligations not only points out the moral features of our category concepts, but also provides thus for the very moral accountability of certain actions of omissions. His elucidation of the notion of certain categories as standardised relational pairs [...] not only uncovers features of the
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»Ausländersein« an der Hauptschule organisation of members’ conventional knowledge of the social world, but certainly demonstrates via empirical analysis, how that knowledge is both morally constitute and constitutive of moral praxis – it provides for a variety of ascriptions, discoveries, imputations, conclusions, judgements etc. on the part of mundane reasoners. (Jayyusi 1991: 240)
Moral und Werte sind für Jayyusi keine unsichtbaren Phänomene, die nicht analysierbar sind, sondern öffentlich zugängliche Realitäten, die im Alltag durch die Zuschreibung bestimmter Kategorien erneut rekonstruiert werden: ›Morality‹, ›moral values‹, ›moral positions‹, ›moral beliefs‹ are not invisibly locked into the minds and feelings of persons. Rather, they are routinely displayed and available publicly in the very same instance as intentions and beliefs. In the very display and public availability of action-intentions and beliefs, in the very performance of actions and in the very organization of talk, moral positions, values and stances are displayable and publicly available. Indeed, they may thus be ascribable to agents despite [sic] their own avowals. (Jayyusi 1984: 210)
Außerdem tritt die Arbeit der Mitglieder, die sie im Laufe einer Interaktion schaffen, in Jayyusis Forschung in den Vordergrund: Die erbrachten Leistungen der Gesprächsteilnehmer – die Prozesse der Bewertung und Zuschreibung im Gespräch – bezeichnet sie als »methodic achievements on the part of members« (Jayyusi 1984: 35), was den Aspekt der Prozessualität der Zugehörigkeitszuschreibung betont. Vorläufig zusammengefasst erweitert Jayyusis Arbeit die Sackssche Theorie durch die Einführung von features (zugeschriebenen Eigenschaften) und durch den empirischen Beweis, dass die Kategorisierung hier und jetzt ihre Leistungen einbringt und als Teil der situativen Interaktion betrachtet werden muss. Hester (1994) betrachtet die Problematik der Kategorien in ähnlicher Weise wie Jayyusi und schlägt vor, jegliche Kategorisierung nur im Kontext zur Analyse zu bringen: Die lokale Herstellung und Verwendung der Kategorien steht im Zentrum der neuen Forschungsentwicklung im Feld der Membership Categorization Analyse (MCA). Im Gegensatz zu Sacksschen Untersuchungen und Analysen, die zum größten Teil de-kontextualisiert waren, spielt der Kontext für Hester eine entscheidende Rolle. »Categories in context« können nur in einem Kontext von Teilnehmern verstanden und geschaffen werden, indem der Kontext nicht auferlegt ist, sondern von beiden (oder mehreren) Gesprächsteilnehmern geschaffen wird (Hester 1994: 219-242; Housley/Fitzgerald 2002: 68). Die Wortwahl wird ebenfalls situativ bestimmt und gedeutet. Zusätzlich zu dieser situativen Komponente wird der Kontext des Gesprächs durch eine Institution beeinflusst, in der sich die Sprecher befinden, oder deren Rollen sie
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im Moment des Sprechens erfüllen. Im Kontext der institutionellen Gespräche weisen Drew und Heritage (1992) auf das Folgende hin: Lexical choice is a significant way through which speakers evoke and orient to the institutional context of their talk. Numerous studies have documented the incidence of ›lay‹ and ›technical‹ vocabularies in such areas as talk and medicine, and it is clear that the use of such vocabularies can embody definite claims to specialised knowledge and institutional identities. (Drew/Heritage 1992: 29)
Der letzte Teil dieses Kommentars verbindet die lexikalische Wortwahl mit dem Konzept der Identitätsdefinierung und Bestimmung des Wissens über die jeweilige Gruppe und Kategorie, was für die vorliegende Forschung einen kognitiven Meilenstein darstellt. Das Wissen, Institutionen, Identitäten und gesprochene Sprache betrachten Drew und Heritage als interdependent und sich gegenseitig ko-konstruierende Elemente im Gespräch. Die MCA kann in der Erforschung und Analyse sozialer Gruppen und des sozialen Wissens produktiv eingesetzt werden (Housley/Fitzgerald 2002: 7476). Die letzten Studien im Feld der sozialen Strukturierung demonstrieren, dass soziale Kategorien (Schicht, Geschlecht, Rasse), ihre Konfigurationen und Bedeutungen situativ und interaktional geschaffen werden (Boden/Zimmerman 1991). Außerdem wird MCA in den Fragen der sozialen Organisation des Wissens als Methode eingesetzt (Housley/Fitzgerald 2002: 75). Die letzten Entwicklungen im MCA-Feld befassen sich mit den Fragen der Sinnfindung und ihrer Stellung zur Kultur. Hester und Eglin (1997) beziehen sich auf den Aspekt der Kultur, der in Sacksscher Logik auch als »inference making machine« fungierte. Die Forscher bestehen darauf, dass Kultur oder kulturelles Wissen nicht nur als Ressource für eine Deutung des Geschehens im Gespräch dient, sondern auch als Ko-Komponente einer Interaktion in situ: inference making [...] provides for the local social organization of facts, observations and relevances of a particular set of conditions and predicated inferences. The cultural inference machine becomes, therefore, an instance and manifestation of culture-inaction rather than culture as a cultural backdrop upon which social action is constituted and realized. (Housley/Fitzgerald 2002: 79)
Housley und Fitzgerald gehen in ihrer Forschung weiter und stellen fest, dass nicht nur Kultur allein, sondern auch Normalitätskategorien in der Kommunikation interaktiv hergestellt werden. Sie sprechen von »norms-in-action« gleichzeitig mit der »culture-in-action« (Housley/Fitzgerald 2009). Die Normalitätsregelungen und Moralprinzipien eines Gesprächs und seiner Teilnehmer werden mit mehrschichtigen Kategorisierungsmitteln erreicht:
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»Ausländersein« an der Hauptschule The methods and configurations through which such normative regulation is interactionally accomplished include specific forms of category configuration that are recognizable resources for members in their attempts to constitute opinion, make evaluations, promote specific world views, assess practices and thereby constitute local configurations of moral organization and sense. (Housley/Fitzgerald 2009: 346)
Dementsprechend kann die Untersuchung der Kategorienzuschreibungsprozesse einen Einblick in die Normalitätsvorstellungen einer Gruppe oder einzelner Sprecher verschaffen. Diese Untersuchung nennen Housley und Fitzgerald moral relational devices (Housley/Fitzgerald 2009: 358). Im schulischen Kontext wurde MCA von Mazeland und Berenst (2008) in den Niederlanden für die Analyse der Platzvergabe der Schüler nach Schultyp angewendet. Sie untersuchten, wie Kategorisierung der einzelnen Schüler im situated activity system interaktional funktioniert. Im Laufe der Gruppenbesprechung entwickeln die Lehrer ein gemeinsames Repertoire, das die Beschreibung und die Allokation der Schüler in die bestimmten höheren oder niedrigeren Schulstufen erlaubt. Dies verläuft durch die Verneinung ihrer Kompetenzen und durch Beschreibungen ihrer Niveaus mit der Angabe ihrer Lern- bzw. Fähigkeitsgrenze, wie z.B. she is absolutely not a HAVO pupil vs. she is a good MAVO pupil: Assessments of the type not a HAVO pupil judge a pupil by denying his capability to become an incumbent of the higher school-type category. Assessments of the type a good MAVO pupil evaluate a pupil by asserting a quality ranking within the lower schooltype category. (Mazeland/Berenst 2008: 73)
Schließlich ist es wichtig an der Stelle die Bedeutung der ethnomethodologischen (und kognitiven) Aspekte der Zugehörigkeit zusammenzufassen. Die »sichtbare« Ebene bzw. die Ebene der sinnlich wahrnehmbaren Prozesse (Kommunikation) ist diejenige, die in dieser Arbeit untersucht wird. Die Berücksichtigung der »unsichtbaren« Ebenen ist jedoch ebenfalls notwendig, um die kognitive Natur der Zugehörigkeit und der Kategorisierung zu verstehen. Zusammengefasst stehen im Hintergrund der kommunikativen Hervorbringung der Zugehörigkeit mehrere Schichten der kognitiven Kategorisierungsprozesse. Das menschliche Bewusstsein nimmt die einzelnen Personen als Zugehörige unterschiedlicher Gruppen, Identitäten und dementsprechend Kategorien wahr. Außer »natürlichen Kategorien« verfügt die kognitive Wahrnehmung über das Wissen gruppenspezifischer (-charakteristischer) Aktivitäten, deren Zuschreibung eine Person zum Mitglied einer bestimmten Gruppe macht. Außer diesen Aktivitäten (activity-bound categories) verfügt der Kategorisierungsprozess über das Wissen über die Merkmale einer Gruppe, die sie und ihre Mitglieder ebenfalls charakterisieren und zuordnen. Kategorisie-
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rungsprozesse fungieren oft als normative und moralvorschreibende Prozesse in der Kommunikation und sorgen für die Verteilung der Macht sowie für die »richtige« Positionierung einzelner Mitglieder in der Gesellschaft. Schließlich werden die kommunikativen Kategorisierungs- und Zugehörigkeitsprozesse interaktiv und situativ betrachtet, was die Mehrdimensionalität solcher Interaktionen erklärt.
2.4 K ommunik ative H ervorbringung der Z ugehörigkeit im G espr äch Dieser Abschnitt bietet in Ergänzung zum vorigen eine Übersicht über das theoretisch-kommunikative Instrumentarium der Zugehörigkeitsforschung. Linguistische Untersuchungen und ihre bisherigen Ergebnisse werden kurz dargestellt. Sprachgebrauch kann ein schwächeres oder stärkeres, bewußt und sogar strategisch eingesetztes oder wenig steuerbares und sogar gänzlich unkontrollierbares Indiz bzw. Symptom für Gruppenzugehörigkeit sein: Aufgrund von Jargon, Fachsprache und spezieller Register [...], Stimme, Aussprache und Dialekt, auch schon durch den akzentfreien Gebrauch der Muttersprache [...] ist es möglich, auf Zugehörigkeit zu schließen. (Hausendorf 2000: 36)
Alle Komponenten, die von Hausendorf aufgelistet werden, betonen die symptomatische Funktion der Sprache für den Sprecher und erklären ihre Natur: Sie ist ein »Herkunftsindikator« (Kallmeyer 1994: 2) in einer Interaktion. Die (sozio-) linguistische »Herkunft« wurde auf mehreren Ebenen und unter unterschiedlichen Aspekten erforscht. Stereotypisierung war einer der ersten Versuche, Kategorisierung aus linguistischer Perspektive zu beschreiben. Die Studie von Quasthoff (»Soziales Vorurteil und Kommunikation« (1973)) untersucht dieses Phänomen an der »Oberfläche« einer Interaktion und gibt dem sprachlichen Konzept »Stereotyp« eine ausführliche Definition: Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf soziale Gruppe oder einzelne Personen als deren Mitglieder gerichteten Überzeugung. Es hat die logische Form eines Urteils, das in ungerechtfertigt vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotionalwertender Tendenz, einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder abspricht. (Quasthoff 1973: 28)
Diese Definition bietet einzelne strukturelle Komponenten, die für die weitere Forschung auf dem Gebiet der kommunikativen Zugehörigkeit verwendet wurden: »soziale Gruppen«, »Mitglieder«, »Urteil« und »Vereinfachung« (spä-
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ter verglichen mit »Reduktion« und »Otherization«). Alle diese Komponenten stehen im Hintergrund der Kategorisierungen im Gespräch (s.u.) (Hausendorf 2000). Hier erkennt man ebenfalls die Komponenten von Sacks und Jayyusi: »Bestimmte Eigenschaften« und »Verhaltensweisen«, die zugeschrieben werden. Quasthoff unterscheidet vier Vorurteilstypen, die in Interaktionen registriert und systematisiert wurden. Der erste Typ ist die »Grundform«: Der Deutsche ist fleißig (Quasthoff 1973: 290). Dieser Typ besteht aus Sätzen, die »der Form nach Aussagecharakter haben, Sätze, in denen einer Gruppe als Subjekt eine Eigenschaft oder Verhaltensweise als Prädikat zugesprochen wird« (Quasthoff 1973: 290). Der zweite Typ ist für Sätze charakteristisch, die mit einer Beschreibung mittels »modallogischer Mittel« (»mit eingeschränkten Indikatoren«) argumentieren, deren Gültigkeit begrenzt ist, wie z.B.: Der niedersächsische Mensch gilt als wortkarg (Quasthoff 1973: 290). Der dritte Typ beinhaltet eine persönliche (subjektive) Stellungnahme und schränkt damit den Geltungsbereich der Aussage ein: Ich habe den Eindruck, daß die Amerikaner unserer Geistigkeit nicht entfernt gewachsen sind (Quasthoff 1973: 291). Der vierte Typ umfasst Sätze, in denen ein explizites Stereotyp zum Ausdruck kommt: Er ist Jude, aber er ist sehr nett (Quasthoff 1973: 291). Mit ihrer Arbeit initiierte Quasthoff großes linguistisches Interesse an der Untersuchung von Alltagsdiskursen, die zu unterschiedlichen diskriminierenden Sprechstilen und Interaktionen im Allgemeinen führten (s.u.). Weitere Forschung auf diesem Gebiet führten Graumann und Wintermantel (1989) durch, indem sie sich mit der Frage der Diskriminierung im Gespräch und ihrer Funktionen auseinandersetzten. Ihre Arbeit »Discriminatory Speech Acts« definiert mehrere Funktionen der Diskriminierung im Gespräch: Separating (we vs. they), Distancing (them over there, die da), Accentuating (durch die Betonung der Unterschiede: white vs. black), Evaluating (non-Aryian, un-American, rest of the world) und Fixating (Nationalitätszuschreibung als Verhaltenserklärung: She is Turkish) (1989: 184-186). Im gleichen Feld befinden sich die diskursanalytischen Arbeiten von van Dijk (»Prejudice in Discourse« (1984), »Communicating Racism« (1987)), die sich mit ethnischen und rassistischen Vorurteilen gegenüber »Migranten« im interkulturellen Milieu Amsterdams auseinandersetzen. In seiner Untersuchung haben sich mehrere Facetten von »Prejudiced Talk« herauskristallisiert: Es gibt stabile, populäre Themen (Lebensbereiche), in denen ethnische/rassistische Vorurteile besonders häufig auftreten. Darunter sind die Folgenden zu finden: official policies, education, rights and duties, work and (un)employment, contacts and information sources, social problems (van Dijk 1984: 66-69). Mittels Diskursanalyse stellt van Dijk fest, dass diese Themen in einem Gespräch unter »Einheimischen« am häufigsten als vorurteilsgenerierend auftauchen (van Dijk 1984: 69-71). Van Dijk konzen-
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trierte sich auf Gespräche über dritte Personen und Gruppen der Anderen. Deswegen wurden seine Befunde immer in der »they are«-Form formuliert (speaking »about ethnic minority groups«), wie z.B.: »they are dirty«, »they are aggressive«, »they are criminal« usw. (van Dijk 1984: 70). Außerdem analysierte van Dijk Narrationen einzelner Personen, die er ebenfalls nach »Problemfeldern« klassifiziert hat. Die populärsten Vorurteilsthemen mit Bezug auf »Migranten« sind Aggressivität, Gewalttätigkeit, deviantes (kulturelles) Verhalten, Kriminalität und Schmutzigsein (»being dirty«) (van Dijk 1984: 101). Als wissenschaftliches Ergebnis seiner Studie nennt van Dijk Strategien, die im diskriminierenden, stereotypisierten Gespräch oder einer solchen Narration am häufigsten verwendet werden: Dazu zählen semantische, stilistische (rhetorische) und pragmatisch-konversationelle Strategien (van Dijk 1984: 115-152). Ähnliche Untersuchungen führten Wodak et al. (1990) auf dem Gebiet der diskurshistorischen Studien (Textanalyse) zum Nachkriegsantisemitismus im öffentlichen und halb-öffentlichen Diskurs durch. Wodak et al. untersuchen Antisemitismen und deren sprachliche Äußerungsformen im Kontext der »Affäre Waldheim« 1. Ähnlich wie in van Dijks Forschung kristallisieren sich einzelne Stereotypenthemen heraus, die im Antisemitismusdiskurs regelmäßig rekonstruiert werden: die jüdische Weltverschwörung, Geschäftstüchtigkeit, Ehrlosigkeit, Vorurteile aus christlicher Tradition und Faulheit (Wodak et al. 1990: 128-135). Die Zuschreibung dieser Eigenschaften und Kategorisierung der Juden als Sondergruppe (»outsiders«) dient der Ablenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit vom wichtigen politischen Inlandsgeschehen (Wodak et al. 1990: 336). Dadurch wird eine Grenze zwischen »wir«- und »Juden«-Diskursen gezogen: Dieser Wir-Diskurs erlaubt dann [...] Angriffe gegen die Feindgruppe. Die Outsider werden einerseits als bedrohlich und mächtig erlebt, anderseits als unehrenhaft und verlogen. (Wodak et al. 1990: 336)
Eine spätere diskursanalytische Studie von Matuschek/Wodak/Januschek (1995) untersuchte den fremdenfeindlichen Diskurs der Differenz in Österreich in Bezug auf eine rumänische Minderheit. Als Kern dieser Studie entstand eine Klassifizierung der Diskursebenen. Matuschek et al. fangen mit der zentralen Voraussetzung für jeden Diskurs sozialer Kategorisierung an: Gruppenbildung und Wir-Diskurs. Die Schaffung der In- und Outgroup (Kategorisierung und Typisierung der Gruppe) erfolgt durch folgende sprachliche Mittel: a) Benennung und Etikettierung, b) Vorurteilsinhalte »durch explizite [...] oder implizite Zuschreibung von (Charakter-)Eigenschaften und Verhaltens1 | Gemeint ist der Bundespräsidentschaftswahlkampf 1986 in Österreich.
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weisen« (Matuschek et al. 1995: 49 f.). Die zweite Voraussetzung ist die Schaffung des stabilen Wir-Diskurses, der durch eine a) Homogenisierung der Gruppen und b) positive Selbstdarstellung realisiert wird (Matuschek et al. 1995: 49 f.). In der Analyse unterscheiden Matuschek et al. mehrere Argumentationsstrategien, die ihre Sprecher (Verfasser) im Diskurs der Differenzen einsetzten: Schwarz-Weiß-Malerei, Abschieben vom Schuld, Sündenbockstrategie, OpferTäter-Umkehr etc. (Matuschek et al. 1995: 60).
2.5 K omponenten der Z ugehörigkeit Eine präzise und detaillierte Klassifizierung der Zugehörigkeitskomponenten im Gespräch und ihr Theoretisieren an mehreren interaktionalen Beispielen unternahm Hausendorf (2000). Seine ausführliche Studie an Beispielen aus dem Ost-West-Diskurs ist bisher eines der seltenen Werke in Deutschland, das ein kommunikatives Konstrukt für die Zugehörigkeitsanalyse anbietet. Hausendorf stellt ein dreigliedriges Modell vor, das die Zugehörigkeitshervorbringung und damit die sprachliche Kategorisierung analysierbar macht: Das Zuordnen, das Zuschreiben und das Bewerten sind grobe Schritte seines Konstrukts (siehe die Abbildungen unten): Zuordnen meint die Darstellung von Gruppenzugehörigkeit, Zuschreiben die Darstellung gruppenspezifischer Eigenschaften und Bewerten die Darstellung einer auf Gruppenzugehörigkeit und gruppenspezifische Eigenschaften und Verhaltensweisen bezogene Einstellung. (Hausendorf 2000: 23 f.)
Die drei Ebenen einer Interaktion rekonstruieren den Prozess der Zugehörigkeitsverhandlung (Abbildung 1) und bieten ein analytisches Konstrukt an. Ein zu lösendes Problem in der Interaktion ist die Herstellung der Zugehörigkeit mit der Akzentuierung eines persönlichen Aspektes, der einen Interaktanten charakterisieren kann. In diesem Prozess selektiert Hausendorf die drei wichtigsten Kommunikationsaufgaben der Sprecher: Zuordnen, Zuschreiben und Bewerten (Abbildung 2). Das Zuordnen bezeichnet Hausendorf als »Minimalanforderung«, durch die angedeutet wird, dass soziale Zugehörigkeit für die Interaktion relevant ist (Hausendorf 2000: 32). Drei Mittel des Zuordnens werden unterschieden: Anzeigen von Zugehörigkeit, Hervorhebung von Zugehörigkeit und Klärung von Zugehörigkeit (Hausendorf 2000: 32).
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Abbildung 1: Aufgaben, Mittel und Formen (Hausendorf 2002: 31) Zugehörigkeit als Kommunikationsproblem beinhaltet Aufgaben die in der Interaktion gelöst werden müssen, Mittel die zur Lösung der einzelnen Aufgaben eingesetzt werden und Formen die die einzelnen Mittel sprachlich realisieren
Abbildung 2: Zuordnen, Zuschreiben und Bewerten (Hausendorf 2002: 32) Aufgaben im Rahmen sozialer Kategorisierungen Zuordnen Darstellung von Zugehörigkeit Zuschreiben Darstellung zugehörigkeitsspezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen Bewerten Darstellung zugehörigkeitsspezifischer Einstellungen
Im Laufe der Prozesse des Zuordnens finden die Prozesse der An- und Ausgrenzung ebenfalls gleichzeitig statt: Diese Ab- und Ausgrenzung wird als eine Variante der Hervorhebung von Zugehörigkeit verstanden, bei der die Unterscheidung von Zugehörigkeiten – häufig ausdrücklich – mit der Unterscheidung von Eigenem und Fremden verknüpft wird. (Hausendorf 2000: 36)
Durch diese Prozesse etablieren sich im Laufe der Interaktion zwei polare Dimensionen – innen und außen, wir und die. In diesem Zusammenhang tritt der »Wir-Diskurs« hervor, der »immer gleichzeitig eine Gruppe der ›Anderen‹ (erzeugt), von denen man sich distanziert bzw. die man angreift« (Wodak/Nowak/Pelikan/Gruber/Mitten: 1990: 352 ff.). An mehreren Beispielen (Gesprächstranskripten) demonstriert Hausendorf, wie diese drei Schritte in Interaktionen unternommen werden, welche sprachlichen Mittel dafür herangezogen werden und wie die hervorgebrachte
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Zugehörigkeit verarbeitet wird. Unterschiedliche linguistische Mittel und ihre Kombinationen werden eingesetzt, um eine Zugehörigkeit anzuzeigen: Hausendorf unterscheidet zwischen personalen (bei uns), lokalen (in der ddr) und temporalen (zu der wendezeit) Indikatoren einer Zugehörigkeit (Hausendorf 2002: 35). Unter den Mitteln der Hervorbringung von Zugehörigkeit sind die folgenden zu finden: Klassifizierung durch Personengruppennamen (gabs da in der akademie nen jungen wessi), Typisierung durch generische Referenz (der bundesdeutsche unternehmer der is extrem karrierebewußt), Gegenüberstellung von Sprecher und Hörer (bei ihnen … aber bei uns...), Abgrenzung durch das Lexem »fremd« (also ich komm mir hier völlig fremd vor) und Hervorhebung (Apposition) (wir ostdeutschen wir...) (Hausendorf 2002: 35). Ähnlich wie Hausendorf betrachtet Birkner (2002) die Frage der Zugehörigkeit auf der sprachlichen Ebene. Für sie sind Typisierung und Kategorisierung von Zugehörigkeit »ein universelles menschliches Bedürfnis und Bestreben« (Birkner 2002: 234). Manche Wörter bekommen bei Birkner eine besondere Funktion – die Funktion der »Schibboleths«: »Schibboleth« ist in der Linguistik ein charakteristisches Sprachmerkmal, das eine eindeutige (soziale, regionale etc.) Einordnung des jeweiligen Sprechers ermöglicht. (Bussmann 1990: 66; zitiert nach Birkner 2002: 234)
So werden zum Beispiel einige Schimpfwörter oder Bezeichnungen einer Minderheit zu einer Selbstbezeichnung dieser Minderheit (wie »Kanake«). Außerdem beobachtet Birkner, wie der interaktionale Prozess »doing gender« in multikulturellen Gruppen abläuft: Es handelt sich dabei um Mädcheninteraktionen, die in ihrem Repertoire geschlechtsexklusive, maskuline Anredeformen verwenden. Dieser Prozess wird im Kontext des Gruppenstils gedeutet und fungiert als grenzziehender Distinktionsmarker (mehr zu Stil und Stilisierung s.u.). Darüber hinaus analysiert Birkner Zugehörigkeitsmerkmale in Gesprächsinteraktionen im Rahmen von Vorstellungsgesprächen zwischen West- und Ostdeutschen. Dabei setzen die Ostbewerber die Strategie der »Übersetzung« in das Gespräch ein: Sie suchen nach einer westdeutschen Entsprechung für ein ostdeutsches Wort. So nennt der Ost-Sprecher eine Reihe der Analogien für sein Lehrfach »Polytechnik«: also - das: (.) (iss:) - nah (hier) (.) dem sprachgebrauch jetzt nennt sich das techniklehre. […] technisches zeichnen. […] werkstoffkunde, (-) elektrotechnik. in dem bereich. (Birkner 2002: 250)
Entsprechend werden Wörter als aktive (Gruppen-)Stilmerkmale sowie als distanzauf bauende Elemente eines Gesprächs betrachtet.
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Eine soziologische Studie zur Gruppenbildung in der Interaktion führte Axel Schmidt (2004) in seiner Dissertation »Doing peer-group« durch. Schmidt bietet vor allem eine ausführliche theoretische Basis, die für die Untersuchung von Gruppeninteraktionen und Dynamiken übernommen werden kann. Schmidt beobachtete eine Schülergruppe in informellen Situationen und beschrieb anhand einiger Gesprächstranskripte die Praktiken der »Peers«, in denen sie interaktiv ihre eigenen Gruppenstrukturen definieren und kontrollieren; wie zum Beispiel die Herstellung interner Hierarchien und Normen, der Grenzziehung und Binnenkommunikation sowie der Abgrenzung von anderen Gruppen. Alle diese Prozesse, die interaktiv ko-konstruiert werden, sind für die vorliegende Studie ebenfalls höchst relevant. Der zentrale Befund der Studie besteht darin, dass sich die Peergroups – wie alle anderen sozialen Gruppen – durch die folgenden Prozesse reproduzieren: Außenabgrenzung, Erwartungsstrukturierung/Binnendifferenzierung und Gruppenbewusstseinsbildung (Schmidt 2004: 367). Dies findet jedoch nicht explizit, sondern im »kommunikativen Miteinander« statt. Die meisten dieser Prozesse werden in Form der Unterhaltung (Spaß- und Unterhaltungsrituale) ausgeübt und sind für das Zusammengehörigkeitsgefühl zentral: Die spezifische Form der Ritualisierung von Spaß und Unterhaltung sowie ihre Funktion als übergeordnete, handlungsleitende Orientierungsmaxime schafft zum einen einen fundamentalen, selten hinterfragten bzw. kaum hinterfragbaren Gruppenzusammenhalt sowie zum anderen eine geregelte Plattform für identitären Wettkampf. (Schmidt 2004: 367)
Durch diese »identitären Wettkämpfe« und die rituellen Scherzpraktiken wird ein bestimmter Grad der Intimisierung, Informalisierung und des Vertrauens erreicht (Schmidt 2004: 368). Die »unernste Rahmung« signalisiert, dass die Sprecher sich in einer »Welt des Spiels, des lockeren Miteinanders« bewegen (Schmidt 2004: 368). Der »Wettkampf« in Form einer Unterhaltung entspricht den individuellen Bedürfnissen sowie den Gruppenbedürfnissen der Mitglieder: Der Einzelne unterhält die Gruppe, indem er andere angreift, entlarvt, bloßstellt und/ oder sich mit ihnen in einem verbalen Schlagabtausch vor einem Publikum misst, und erhält hierfür – im Gegenzug – Statusgewinn. (Schmidt 2004: 369)
Schmidt unterscheidet eine Gruppe der Muster und Gattungen, die für Peergroup-Interaktionen charakteristisch sind. Darunter sind: Performance-Interaktionen, mit jemandem/miteinander ulken, spielerische Konflikte, Necken und Frotzeln, Spott und jemanden lächerlich machen, Lästern und Klatsch, ernsthafte Konflikte, Geschichte erzählen (Schmidt 2004: 100-119). Viele die-
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ser »Strategien« und »Muster« erkennt man in der vorliegenden Studie, trotz der Tatsache, dass die Unterrichtsgruppe sich in einer formellen Konstellation (Institution Schule) befindet.
2.6 S til und kommunik ative S ozialwelten Weitere Entwicklungen auf dem Gebiet der Differenzierung und Zugehörigkeit entstammen dem Bereich der (interpretativen) Soziolinguistik und befassen sich mit den Prozessen der Stilisierung, des kommunikativen Stils und den sozialen Welten. Die Arbeiten von Hinnenkamp/Selting (1989), Kotthoff (1989), Auer (1989), Kallmeyer (1994), Kallmeyer/Keim (1999), Keim/Schütte (2002), Dirim/Auer (2004) und Cindark (2010) nehmen die Frage des Stils und der Stilisierung unter die Lupe. Sie sehen Stil als eine »interpretative Kategorie«, die die Funktion eines Distinktionsmarkers im Gespräch übernimmt. Dementsprechend sind Stile: dynamische und in der Situation selbst immer wieder erneut hergestellte und gegebenenfalls modifizierte und auf den Rezipienten zugeschnittene – gleichwohl für diesen rekonstruierbare – Mittel der Signalisierung und Herstellung gemeinsam geteilter, relevanter sozialer und interaktiver Bedeutungen; sie sind Kontextualisierungsmittel, die kraft ihrer interpretativen »Indexe« auf die jeweils relevanten Interpretationsrahmen verweisen. (Selting/Hinnenkamp 1989: 6)
Durch einen Stil sind Zuordnungen zu bestimmten sozialen Gruppen möglich: »kulturspezifischer Stil«, »ethnischer Stile«, »gehobener high class Stil« etc. (Selting/Hinnenkamp 1989: 7). So unterscheidet zum Beispiel Kotthoff (1989) zwischen »männlichen« und »weiblichen« Stilpräferenzen in Argumentationsgesprächen sowie in der Demonstration der Wertschätzungen (Kotthoff 1989: 198 f.). Außerdem weist sie auf kulturspezifische Stilunterschiede in Argumentationsgesprächen (von »dissensmarkiert« bis »konsensmarkiert«) zwischen Amerikanern und Deutschen hin, die in mehreren Situationen gemeinsame Tendenzen (Eigenschaften) aufweisen (Kotthoff 1989: 197). Dabei untersucht Kotthoff die »stilistischen Möglichkeiten der Kulturmitglieder« und die »Beziehungsgestaltung« in situ mittels ihrer Stile. Darüber hinaus sind konversationelle Stile mit den Konzepten von Imagearbeit und face-work untrennbar verknüpft: Sie gehören sowohl zum Ausdruck einer Persönlichkeit als auch zu der Beziehung, zu ihrem Gegenüber und zum interaktiv hergestellten Situationsverständnis. (Kotthoff 1989: 188)
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Dementsprechend ist Stil nicht nur »die Bedeutung von etwas«, sondern auch »ein Mittel zu etwas«: Indem die Interaktionspartner so mit Stilen Kontextualisierungen ihrer Aktivitäten nahelegen, an denen sich Rezipienten orientieren, schaffen und reproduzieren sie soziale Realität. (Selting/Hinnenkamp 1989: 8)
Die Prozesse der Stilverwendung und seiner Kontextualisierung sind vom Alltagswissen der Interaktionspartner nicht befreit: Die Interaktionspartner bringen immer schon ihr Alltagswissen über die soziale Welt mit in die Situation: ihr Wissen über Partnerbeziehungen, über (die Kraft von) Kategorisierungen im Sinne von Status, sozialer Schicht und Klasse; ihr Wissen über Interaktionsrollen, über den »Marktwert symbolischer Kapitale« (Bourdieu) und über Macht- und Herrschaftsstrukturen; ihr Wissen über institutionelle Kommunikationsbedingungen wie auch über die Verwendbarkeit von Stilen in typisierten sozialen Kontexten – Wissensbestände, die sich in die konkrete Produktion und Interpretation kommunikativer Praxis ›übersetzt‹ finden. (Selting/Hinnenkamp 1989: 9)
Die Inszenierung typischer Sinnfiguren in der Interaktion erfolgt durch Stilisierungsprozesse: »›Stilisierung‹ meint die Repräsentation, Induzierung, Inszenierung etc. sozial typisierter und interpretierter Sinnfiguren in der Interaktion« (Selting/Hinnenkamp 1989: 9). Die Stilisierung wird häufig in Prozessen der Ab- und Ausgrenzung erkennbar. Hinnenkamp analysiert Fälle der »ethnischen Stilisierung«, die den Charakter der »sozialen Sortierung« aufweisen. Dabei unterscheidet er zwischen Kategorisierungsprozessen und Stilisierung: »Stilisierung bezeichnet den Weg und die Prozesse und die dabei verwendeten Mittel zu einer Gestalt, die ganzheitlich subsumiert« (Hinnenkamp 1989: 259). Darüber hinaus sind Stilisierungen auch »gesellschaftliche ›Gestalter‹, sie sind somit Reproduzenten der sozialen, inklusive der (inter-) ethnischen Ordnung« (Hinnenkamp 1989: 288). Das Konzept der Stilisierung wird später durch eine detaillierte empirische Untersuchung von »sozialen Identitäten und Welten« in der Interaktion erweitert (s.u.). Dabei sind Prozesse der Stilisierung oder des Stils mit sozialen Identitäten in mehrfacher Sicht verbunden: »speakers may re-create their own social identity by drawing on linguistic materials taken from various groups and rearranging them into a new ›style‹« (Auer 2007: 6). Dies wird dann als »stylistic performance« bezeichnet (Auer 2007: 6). Dementsprechend ist der Stil ein »Ausdruck der sozialen und kulturellen Identität« der Sprecher (Keim/Schütte 2002: 10). Eckert (2000) spricht von Konstruktion der sozialen Identitäten als
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»Ausländersein« an der Hauptschule a process of bricolage – an appropriation of local and extra-local linguistic resources in the production not just of a pre-existing persona but of new twists on an old persona. (Eckert 2000: 214)
So wie soziale Identitäten sind kommunikative Sozialstile ebenfalls dynamisch, da die Akteure von Sozialwelten immer wieder neues Material in ihr kommunikatives und soziales Verhalten inkorporieren und andere Elemente wiederum ablegen. (Cindark 2010: 22)
Dazu muss betont werden, dass Stile sich am häufigsten als Kontraste zu den Normalformen der Sprechvariationen erkennen lassen: Stil als eine spezifisch geprägte Art und Weise, sprachlich zu handeln und Texte zu formulieren, wird in der Regel erst durch Stilunterschiede erkennbar, z.B. durch die stilistische Variation innerhalb einer Gemeinschaft oder durch den Unterschied zwischen Normalformen kommunikativen Verhaltens in verschiedenen Gemeinschaften. (Kallmeyer 1995c: 6)
Stilformen sind wichtige Bestandteile in Prozessen der (Selbst-)Repräsentation und der »sozialen Präsenz« in politischen und kulturell-politischen Auseinandersetzungen verschiedener »sozialer Welten« (Kallmeyer 1995a: 6). »Sozialwelten« definiert Kallmeyer wie folgt: [Das Konzept der Sozialwelten] basiert darauf, daß eine Menge von Individuen zur Bearbeitung sozialer Bedürfnisse kooperiert; die problembezogenen Aktivitäten, die einen situationsübergreifenden »Arbeitsbogen« bilden, motivieren den Aufbau von Netzwerken, die Rekrutierung von Mitarbeitern, die Beschaffung von Ressourcen, die Einrichtung von internen und externen Arenen für die Auseinandersetzung um Ressourcen, Normdebatten und Selbstdarstellung, die Ausbildung von Verhaltensstilen (insbesondere von modellhaften, besonders erfolgreichen Verhaltensweisen) und die Entwicklung eines spezifischen Sinnsystems (Normen, Kategorien für erfolgreiches, richtiges Handeln). (Kallmeyer 1995a: 19)
Außerdem werden die Funktionen der Abgrenzung sowie der Eingrenzung des Stils von Soeffner (1995) besonders stark betont: Eine Person, die einen Stil produziert, zeigt damit an, daß sie sich in Distanz zu sich selbst und ihrer sozialen Umgebung setzt, d.h. daß sie auch sich selbst beobachtend und interpretierend gegenübertritt. ›Stil‹ wird so zu einem Ausdrucksmittel und zu einer Darstellungsform sozialer Abgrenzung. Er veranschaulicht ›Mitgliedschaft in...‹ und ›Ab-
2. Zugehörigkeitsher vorhebung, -zuschreibung und -bewer tung grenzung von...‹ durch bewußte Präsentation und Stilisierung seines Selbst für interpretierende andere (Beobachter). (Soeffner 1995: 81)
Dadurch werden Prozesse der Positionierung innerhalb der Gruppe sowie die der außenstehenden Nicht-Mitglieder kommunikativ behandelt. Stilistische Merkmale können zu Abgrenzungsmerkmalen werden. Wie Keim/Schütte (2002) dazu argumentieren, werden dann gerade die Merkmale aus dem alltäglichen Repertoire hervorgehoben, die in besonderer Weise in Kontrast gesetzt werden können zu Merkmalen anderer Welten, gegen die man sich aktuell abgrenzt. Das heißt: zur Hervorhebung von Zugehörigkeit bzw. Nicht-Zugehörigkeit können je nach Anlass, Auslöser und Kontrastkategorie andere Merkmale verwendet werden. (Keim/Schütte 2002: 13)
Die Komponenten des kommunikativen Stils sozialer Welten sind vielschichtig. Unter zentralen Aspekten der kommunikativen Stile unterscheiden Keim/ Schütte Folgende: »die Ausprägung von bestimmten pragmatischen Regeln des Sprechens« (Regelung der sozialen Distanz und Nähe), »die Verwendung unterschiedlicher sprachlicher Ressourcen« (Sprachenvarietäten), »die Ausprägung eines Systems sozialer Kategorien« (s.o.), »die Bevorzugung bestimmter Kommunikationsformen und Genres«, »die Bevorzugung einer bestimmten Sprachästhetik, […] Lexik, Metaphorik und prosodischer Merkmale« und »bestimmter Kleidung« sowie Gegenstände »zum Ausdruck von Geschmack« (Keim/Schütte 2002: 14 f.). Alle diese Aspekte (sowie ihre Kombinationen) führen zu kommunikativer Stilbildung und zur Herstellung eines homogenen Gruppenbilds. Berücksichtigt man alle Aspekte der kommunikativen Stilbildung, so stellt man fest, dass die Auseinandersetzung mit diesen Aspekten dort hilfreich zu sein scheint, wo es sich hauptsächlich um eine Gruppenanalyse und ihre internen sowie externen Grenzbewahrungssysteme handelt. Dementsprechend sind Stile und Stilisierungspraktiken gruppen- und situationsspezifische Zugehörigkeitselemente. Mit dem Ansatz der kommunikativen Stile untersuchten interaktionale Soziolinguisten die Fragen der Hierarchie in Arbeitsgruppen und in Berufswelten im Allgemeinen (Schmitt 2002), die Problematik der Normen in den medial geprägten Welten (Günther/Schmidt 2002; Holly 2002) sowie die sozialen Stile der Öffentlichkeit und Privatheit (Kotthoff 2002b; Schwitalla 2002).
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2.7 S tile und Z ugehörigkeit Eine besonders große Rolle spielt die Analyse der kommunikativen Stile in der Migrationsforschung bzw. in der Migrationslinguistik. Eine Reihe der jüngeren linguistisch-ethnographischen Studien im Bereich Migration und Sprache (Stils und Sprachvarietäten) wie Dirim/Auer (2004), Cindark (2010) und Keim (2007) befassen sich mit den Fragen des Sprachgebrauchs, insbesondere der Stilbildung (z.B. crossing, code-switching, code-mixing) von Migrantengruppen in informellen Kontexten in Deutschlands Großstädten (Hamburg, Mannheim). Dirim/Auer (2004) untersuchten den Gebrauch des Türkischen unter Jugendlichen, die sich zum Teil noch in der schulischen Ausbildung befanden. Sie stellen fest, dass die meisten Jugendlichen (aus türkischen, deutschen und anderen ethnischen Gruppen) über fließende Deutsch- und Türkischkenntnisse verfügen, gleichzeitig jedoch einen deutschen Ethnolekt – den »Türkenslang« – situativ im Alltag sprechen. Neben der Entwicklung von neuen Kommunikationsstilen, die aus der Neben-Verwendung des Deutschen und Türkischen resultieren – code-switching und code-mixing – bildet sich in multikulturellen (Jugendlichen-)Milieus ein neuer Ethnolekt des Deutschen heraus: Für unsere Informanten ist vielmehr entscheidend, einen sozial-kommunikativen Stil zu beherrschen und aktiv einsetzen zu können, der den Wechsel und die Vermischung, manchmal sogar Verschmelzung der beiden Kontaktsprachen Deutsch und Türkisch impliziert. (Dirim/Auer 2004: 27)
Die Verwendung des »Türkenslangs« ist ethnisch übergreifend und hat starke Verbindung mit dem Stadtviertel, in dem dieser sozial-kommunikative Stil als Zugehörigkeitsmerkmal fungiert (Dirim/Auer 2004: 227 f.). Das Stadtviertel übernimmt dementsprechend eine organisierende Funktion, die Rolle des Kontextes und der »natürlichen« Grenzen oder des »Bezugspunktes«. Mit den dynamischen Prozessen der Zugehörigkeitsmerkmale unter ethnischen Gruppen beschäftigt sich Keim (2007), indem sie Kommunikation und Lebenswelt der »Powergirls« (Schulmädchen im Alter zwischen 15 und 22 Jahren) in Mannheim beobachtet und analysiert. Die Gruppe lebt ebenfalls in einem Stadtteil mit hohem Migrantenanteil. Keim beobachtet die deutschtürkischen Mädchen in ihrem Alltag und verfolgt ihr Kommunikationsverhalten in Bezug auf ihre sozial-schulische Karriere. Charakteristisch für die Alltagsinteraktionen der Gruppe ist eine Mischsprache aus Deutsch und Türkisch. Im Mittelpunkt der Analyse steht der (emanzipatorische) kommunikative Stil der türkischen »Powergirls« (Selbstbezeichnung), der durch das Mixing zum zentralen Kommunikationsmittel innerhalb der Gruppe wird: »[E]s ist Sym-
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bol für die Eigenständigkeit der Gruppe und bildhaftes Zeichen für die sozialkulturelle Abgrenzung zu beiden Bezugswelten« (Keim 2007: 466). Bei dem Mixingprozess handelt es sich um eine heterogene Sprachform [...], mit sprecherinnenabhängig habitualisierten Mixing-Mustern, die sich u.a. in Abhängigkeit des sozialen Hintergrunds der Sprecherinnen herausgebildet haben. (Kinscherf-Atanasov 2007: 54)
Die Entwicklung der schulischen Karriere und der »Orientierung an neuen Leitbildern« der Mädchen findet eine Reflexion in dem kommunikativen Stil der Gruppe: Er nähert sich dem deutschen Pol (Kinscherf-Atanasov 2007: 53-64). Ähnlich geht Cindark (2010) an das Thema des kommunikativen Sozialstils unter türkischen Studenten heran. In seiner Fallstudie untersucht Cindark die Stile, die im großen städtischen Raum Mannheim von den Migranten der zweiten Generation gesprochen werden. In der Studie etabliert sich der »emanzipatorische Stil«, der durch provozierte Rassismen, rassistische Ironisierung und durch das Aufgreifen von Rassismen gekennzeichnet wird (Cindark 2010: 189-191). Außerdem kontrastiert Cindark die Argumentationsweisen der »akademischen Europatürken« mit der Argumentationsart der »emanzipatorischen Migranten« sowie ihre Sprechstile. Beide Stilarten haben einen Abgrenzungscharakter und entsprechen den Sozialwelten der untersuchten Gruppen. Die Abgrenzung von den anderen Sozialwelten verläuft parallel mit den kommunikativen Zugehörigkeitszuschreibungen zu der eigenen Sozialwelt (Cindark 2010: 238).
2.8 Z ugehörigkeit in J ugendinter ak tionen In der wissenschaftlichen Literatur findet man nur wenige linguistische Arbeiten, die sich mit der Frage der Zugehörigkeit und den Sprachpraktiken (z.B. Stilisierung oder »Crossing«, s.u.) im schulischen Umfeld auseinandersetzen. Viel häufiger werden Jugendgruppen mit Migrationshintergrund in ihren informellen Situationen und Lebenswelten ethnographisch-linguistisch untersucht. In einer dieser Untersuchungen beobachtet Rampton (1995a, 1998) die Prozesse des »Crossings«, die sich in einer multiethnischen Gruppe Jugendlicher abspielen. The term ›language crossing‹ (or ›code-crossing‹) refers to the use of a language which isn’t generally thought to ›belong‹ to the speaker. Language crossing involves a sense of movement across quite sharply felt social or ethnic boundaries, and it raises issues of legitimacy that participants need to reckon within the course of their encounter. (Rampton 1998: 1)
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Rampton demonstriert, wie die britischen Jugendlichen unterschiedlicher ethnischer Herkünfte durch die Verwendung der »fremden« Codes/Sprachen ihre identitäre Zugehörigkeit regulieren und redefinieren. Dabei werden die meisten »Codes« als Out-Group-Aktivitäten realisiert und dienen oft als antirassistische Praktiken in der Clique. Das zentrale Merkmal des »Crossing« bleibt jedoch die Tatsache, dass die Gruppensprecher die »Codes« anderer ethnischer bzw. sprachlicher Gruppen übernehmen und sie situativ verwenden. Beispielsweise sprechen die weißen Jugendlichen situativ afroamerikanisches Englisch, um eine Affiliation zur Hip-Hop Kultur herzustellen. Die untersuchte Sprechergruppe spricht abwechselnd »Creole«, »Panjabi« and »Asian English« und kreiert dadurch eine neue »deracinated« Ethnizität (Rampton 2001b: 8, s.u.). Später veröffentlichte Rampton (2006a) in seiner Arbeit über die kommunikativen Praktiken der Londoner Schülerschaft eine ausführliche Studie aus dem schulischen Feld. Sein Werk »Language in Late Modernity: Interaction in an urban school« untersucht die Interaktionen britischer Schüler an der Central-High-School in und außerhalb des Klassenzimmers. Für die Auswertung seiner Daten bietet er ethnographische Beschreibungen der jeweiligen sozio-kulturellen Milieus an, in denen sich seine Schüler befinden. Ein wichtiger Standpunkt seiner Studie ist die Rolle der Sprache in situ. Dabei widmet Rampton sein besonderes Interesse den Interaktionen, in denen Gruppenzugehörigkeit, Alter, Ethnizität, Religion etc. ein besonderes Gewicht haben und als kommunikative »Währung« agieren (Rampton 2006b: 55). Rampton beobachtet mehrfache Code-Switching- und Language-CrossingAktivitäten im Alltag der multiethnischen Schule. Er stellt fest, dass ethnische Zugehörigkeit – entgegen der früheren Auffassung – keine wichtige Distinktionslinie im Schulalltag mehr ist. Die mehrsprachige, multiethnische Klasse teilt gemeinsames Interesse an Popkultur und dieses Interesse ist trans-ethnisch (Rampton 2006b: 56-58). Außerdem teilt die Klasse einen gemeinsamen Peergroup-»Code« – die deutsche Schulfremdsprache –, die gruppenspezifisch und »sicher« ist. Für die Schüler ist Deutsch keine Muttersprache und kann deswegen keinem der Schüler als »natürlich« zugeschrieben werden. Dies ermöglicht einen freien Zugang zur Sprache und garantiert ihren Sprechern einen sicheren Grad an Neutralität: […] if you play around with languages that do belong to the people around you, there’s a risk that you’ll be accused either of expropriation or racist mockery, but with an ethnically neutral language like German, you’re relatively safe. (Rampton 2006b: 60)
Rampton argumentiert, dass modernes curriculares Wissen unvorhersehbare, mobile Ressourcen für identitätsbildende Prozesse bietet, und dass die klassischen Polaritäten high/low, classical/old, elite/mass keine aktuellen Klassifizie-
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rungskategorien mehr sind (Rampton 2006b: 60). Darüber hinaus registriert Rampton mehrere Stilisierungsprozesse durch die Verwendung unterschiedlicher Sprachvarietäten, d.h. Akzente im Englischen. Seine Informanten stilisieren (übertreiben) situativ »Posh«- und »Cockney«-Akzente. Das Wechseln zwischen den Varietäten findet dann statt, wenn die Schüler sich zu folgenden Themen äußern: Sexualität, Territorium, Verstand, Emotion und Verhalten (Rampton 2006b: 64). Situativ wurden stilisiertes Posh und Cockney ebenfalls unterschiedlich eingesetzt: Stylised posh and Cockney featured in sound-play, self-talk, response-cries, greetings, taunts, commands rebukes and summonses. And they were used to address, mock and caricature teachers, to fetishise particular individuals and to portray a variety of social types. […] Cockney was associated with solidarity, vigour, passion and bodily laxity, which posh was tied to social distance, superiority, constraint, physical weakness and sexual inhibition. (Rampton 2006b: 64)
In Ramptons späterer Forschung (2011) entfalten sich neue Facetten der Stilisierung von englischen Varietäten. Stilisierungen von Posh/Cockney und Creole-/ Asian-English werden nicht nur in Abhängigkeit von Themenbereichen situativ gesprochen, sondern sie tragen linguistische Indizien der sozialen Schichtzugehörigkeit mit sich. Laut Rampton wird soziale Klasse im Gespräch kontinuierlich rekonstruiert: »collective socio-historical schemas are continuously reconstituted within the flows and contingencies of situated activity« (Rampton 2006a: 344). Das Wechseln zum stilisierten Cockney bezeichnet Rampton wie folgt: »it becomes more accurate to describe their stylisation as ›spotlighting‹ or ›illuminating‹ elements of a structure that they already inhabited« (Rampton 2011: 1239). Dabei gewinnt Creole seine neue Rolle als gemeinsamer Code, der von den Schülern unterschiedlicher ethnischer Hintergründe bevorzugt wurde. In den letzten Untersuchungen Ramptons kristallisieren sich contemporary urban vernaculars heraus – eine Zusammenstellung aus »stylisation, crossing and a range of meta-pragmatic practices alongside routine speech« (Rampton 2013: 73). Im theoretischen Kontext stellt Rampton die vernaculars in folgender Weise dar: sets of linguistic forms and enregistering practices (including crossing and stylisation) that • have emerged, are sustained and are felt to be distinctive in ethnically mixed urban neighbourhoods shaped by immigration and class stratification, • hat are seen as connected-but-distinct from the locality’s migrant languages, its traditional non-standard dialect, its national standard and its adult second language
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»Ausländersein« an der Hauptschule speaker styles, as well as from the prestige counter-standard styles circulation in (sometimes global) popular culture, • that are often widely noted and enregistered beyond their localities of origin, represented in media and popular culture as well as in the informal speech of people outside. (Rampton 2013: 73)
Die meisten Daten von Rampton wurden aus Jugendgesprächen aus urbanen Kontexten entnommen. Diese gewinnen ihre Merkmale und Stilmittel nicht nur aus den unterschiedlichen »de-lokalisierten« ethnischen Sprachpraktiken, sondern auch aus der Popkultur.
2.9 R isk anter H umor als D ifferenzbearbeitungsstrategie In Milieus hoher Mehrsprachigkeit und Interkulturalität werden unterschiedliche Differenzierungsstrategien kommunikativ eingesetzt. Eine besondere Rolle bei der Verarbeitung der Unterschiede im Alltag einer interkulturellen Gruppe – z.B. einer Schulklasse – spielt Scherzkommunikation. Spielerischer, komischer oder sogar ironischer Umgang mit ethnischen sowie kulturellen Differenzen ist eine aktiv eingesetzte Strategie innerhalb stark heterogener (Migrations-)Milieus (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013), deren Mitglieder kontinuierlich über eigene sowie fremde Zugehörigkeiten und Nicht-Zugehörigkeiten verhandeln. Humoristischer Umgang mit Aspekten der Interkulturalität sowie der Migration und Mehrsprachigkeit im öffentlichen Diskurs Deutschlands ist kein tabuisiertes Thema mehr. Das beweisen zahlreiche Comic-Shows sowie Standup-Comedians im medialen Diskurs. Im Kontrast dazu ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Bedeutung des komischen Umgangs mit Migration im deutschen Raum wenig entwickelt (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 10). Dabei hat der humoristische Zugang zum Thema der Migration hohe gesellschaftliche Bedeutung: Er behandelt die Fragen der Zugehörigkeit, die der Ex- sowie Inklusion im sozialen Leben einer Mehrheitsgesellschaft (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 10). Der humoristische Diskurs kann die Positionierung der Minderheiten in der Gesellschaft verorten, Kritik an gesellschaftlichen Regeln und der Mehrheitsgesellschaft ausdrücken sowie der Selbstverortung der Migrantengruppen im öffentlichen Kontext dienen (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 9). Außerdem ist der komische Diskurs ein Raum der Überlegung und der Analyse der Unterschiede, die die Migration mit sich bringt: sowohl für die Migranten selbst als auch für die Personen ohne Migrationshintergrund (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 9 f.). Die Humorpraktiken über den Migrationsalltag eröffnen den Raum für die im Allgemeinen gesellschaftlich tabuisierten Themenbereiche wie Ethnizität,
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Rasse und Herkunft. Humor und seine Praktiken übernehmen hier eine »quasi-therapeutische« Funktion: Hier spielt Humor als Mittel der Erfahrungsverarbeitung sowie Grenzverhandlung und -überschreitung eine oftmals unterschätzte Rolle; er dient der Gestaltung und Artikulation von Differenzen, feinen Unterschieden, von Erfahrungen der Ausgrenzung und Benachteiligung, aber auch des gewitzten Vorpreschens, und spielt eine Rolle in der Zugehörigkeits- und Anerkennungsverhandlung in Migrationsgesellschaften und transnationalen sozialen Räumen […]. (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 14)
Die Differenzen werden durch solche Praktiken nicht nur zur Formulierung gebracht, sondern auch »flexibilisiert, unterwandert und/oder ad absurdum geführt« (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 14). Dabei werden die Formulierungen relativ vage gehalten. Die Prinzipien, die im ernsthaften Diskurs notwendig sind, werden suspendiert (z.B. Höflichkeitsnormen (s.u.), Kotthoff/ Jashari/Klingenberg 2013: 17). Stattdessen bedienen sich die Interaktanten an lokalisierten Kontexten, die durch einen vagen spielerischen Rahmen gekennzeichnet werden (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 17). Besonders die Fragen der sozialen Positionierung in den neuen Gesellschaften können im scherzhaften Modus zum Ausdruck gebracht werden (Kotthoff/Jashari/Klingenberg 2013: 26). Eine der zentralen soziolinguistischen Funktionen der Scherzkommunikation ist ihre indikative Funktion, die Gruppenkultur – inklusive ihrer Normen, Erwartungen und Moralvorstellungen – zu charakterisieren (Kotthoff 1996a: 8 f.; Kotthoff 1996b: 149 f.). Der Status der In-Group-Beziehungen, das Wissen übereinander sowie die Gruppenmitgliedschaften werden in Scherzaktivitäten ebenso wie in anderen interaktiven Humorpraktiken einer Gruppe kontinuierlich situativ ausgehandelt (Kotthoff 1996b: 145 f.). Darüber hinaus interagieren in Scherzaktivitäten soziale Identitäten, die die gruppenspezifischen Beziehungen immer wieder (re-/ko-)konstruieren sowie kommunizieren (Kotthoff 1996b: 145 f.). Außerdem erlauben »Scherzaktivitäten [...] Rückschlüsse auf die Sozial-, Gefühls- und Wertestruktur der Beteiligten« (Kotthoff 1996b: 147, 182). Dementsprechend eröffnet man den Zugang zu sozialen Identitäten sowie zu ihren Lebenswelten, wenn man die konversationellen Humorpraktiken einer Gruppe unter die Lupe nimmt (Kotthoff 1998: 11).
2.9.1 Konversationelle Humorpraktiken als Beziehungsindikator Gruppenhumoraktivitäten unterschiedlichster Ausprägungen – insbesondere in Form von Frotzeleien (s.u.) – finden in situativen sowie konstanten Beziehungskonstellationen statt. Beziehungspolitik innerhalb der Gruppen kann anhand der ausgeübten Humoraktivitäten erforscht werden. Die Fragen der
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Höflichkeit, des Umgangs miteinander und der Imagearbeit werden erkennbar, wenn man sich mit konversationellen Regeln und dem allgemeinen Geschehen in komischen Interaktionen vertraut macht. Prozesse der Inklusion und der gleichzeitig entstehenden Exklusion werden ebenfalls während der ausgeübten Humoraktivitäten ausgehandelt. Distanzierungs- sowie Vergemeinschaftungsprozesse werden durch Humor und seine Variationen gekennzeichnet (Kotthoff 1998: 286-346; Günthner 1996: 100). Kotthoff (1996c) kommt zu dem Fazit, dass soziale Beziehungen innerhalb der Gruppe anhand von konversationellen Humorpraktiken diagnostiziert werden können. Hierarchien, verbaler Höflichkeitsgrad sowie Selbstpositionierung in der Gruppe können sich mittels konversationeller Datenanalyse (ergänzt durch ethnographisches Wissen) der Humoraktivitäten offenbaren (Kotthoff (1996c: 299). Beispielsweise können Höflichkeitsnormen in humoristischen Konversationen gebrochen werden, was Informalität und Vertrautheit signalisieren kann (Kotthoff 1998: 285). Höfliche und unhöfliche Scherzaktivitäten sowie Lachen können inklusiv sowie exklusiv auf die Anwesenden wirken, was einen bestimmten Grad an situativer Solidarität erschafft oder entsprechend zum Ausschluss einiger Anwesender aus der Gruppe führt (Kotthoff 1998: 286). Diese Phänomene werden in den Sequenzen des Frotzelns besonders erkennbar (s.u.). Im Rahmen des Image-Managements arbeitet Kotthoff (1998) mit markierter Höflichkeit (abgeleitet und erweitert vom Höflichkeitsmodell von Brown und Levinson (1978)), mit deren Hilfe unterschiedliche Prozesse der Beziehungspolitik gesteuert werden. Ihr zentrales Argument stützt sich auf die folgende Erkenntnis: Negative Höflichkeit ist sicher in vielen Kulturen ein Index für Distanz und positive Höflichkeit für weniger Distanz. Scherzhafte Verletzungen von Höflichkeitsregeln sind ein Index für eine noch vertrautere Stufe im Umgang miteinander, die man Familiarität nennen kann. (Kotthoff 1998: 299)
Dementsprechend wird der Grad der Höflichkeit in der Gruppe interaktional und situativ immer wieder neu ausgehandelt: »Die komisierten Unhöflichkeiten scheinen Spaß zu machen. Im gemeinsamen Gelächter reagiert die Gruppe als Gruppe und reproduziert sich damit« (Kotthoff 1998: 316). Soziale Beziehungen sowie Gruppendynamik werden ebenfalls in Humoraktivitäten ausgehandelt: Machtpositionen, Solidarität, Symmetrie und Asymmetrie, Formalität und Informalität werden kontinuierlich (re-/ko-)konstruiert (Kotthoff 1998: 320). Die komisierten Unhöflichkeiten in Form von Frotzeleien können hoch gesichtsbedrohend wirken und beeinflussen dadurch bestimmte Distanzie-
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rungsverfahren zwischen den Sprechern sowie innerhalb der Gruppe. Bei Frotzeleien ist beispielsweise Folgendes zu beobachten: Je stärker sich die in den Frotzeleien thematisierten Sachverhalte der Wirklichkeit annähern, ›einen wunden Punkt treffen‹ und somit die Spielebene verlassen, desto gefährlicher und gesichtsbedrohlicher werden sie. (Günthner 1996: 100)
Gesichtsbedrohende Frotzeleien, die im Weiteren detailliert dargestellt werden (s.u.), treten in den Daten des untersuchten Klassenzimmers besonders zahlreich auf. Gleichzeitig fungieren »riskante« Humorstile als Index der engen Zusammengehörigkeit innerhalb der Gruppe.
2.9.2 Riskante Humorstile als In-Group-Indiz Riskanter Humor beinhaltet Scherzpraktiken über politisch »sensible« Bereiche wie Religion und Ethnizität. Unter engen Bekannten und in informellen Freundeskreisen beobachtet man häufig politisch inkorrekte Scherzaktivitäten, die unter anderen Umständen (z.B. in formellen Situationen und an öffentlichen Institutionen) als rassistisch oder diskriminierend wahrgenommen werden würden. Ob solche Scherze und Aussagen zu Exklusion oder Inklusion der Sprecher führen, entscheidet die langfristige Diskursgeschichte der Gruppe der Interaktanten (Kotthoff 2010c). Ethnische Klischees und kulturelle Stereotypen gehören in interethnischen Gruppen häufig zum Alltagshumorrepertoire: »Indem man mit Klischees spielt, kann man sich darüber erheben« (Kotthoff 2010c: 151). Durch solche Praktiken werden Lebenserfahrungen der Migranten sowie anderer Minderheiten verarbeitet. Allerdings bekommt nicht jeder die Legitimität, sich im riskanten Humorstil zu äußern. Diese Legitimität erwirbt man durch die eigene Migrationsherkunft und die dementsprechend gemeinsam geteilten Alltagserfahrungen, durch die kulturelle Zugehörigkeit zu einer (in Deutschland) fremden Kultur oder auch durch Freundschaft (Kotthoff 2010c: 151). Die Humorstile in multiethnischen (multikulturellen) Gruppen weisen oft die Tendenz zu offensiven Sprechpraktiken auf: Die Praktiken können sich dann in einer Bandbreite von Anspielungen bis hin zu verbalen Angriffen bewegen (Kotthoff 2010c: 174 f.). Die Gruppenmitglieder geben jedoch an, dass solche Humorpraktiken öffentlich sein müssen, damit sie nicht verletzend wirken: Im Zweiergespräch könne man so nicht scherzen, wenn man nicht als Rassist gelten wolle. Dann müsse eine Art von rituellem Gleichgewicht herrschen. Alle müssen sozusagen mal ihr Fett abbekommen. (Raymond 2014, zitiert nach Kotthoff 2010c: 169 f.)
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Solche Praktiken werden von den Gruppenmitgliedern als »Ausweis von Zusammengehörigkeit« bezeichnet: »Zusammengehörigkeit kann durch Erlaubnis zum riskanten Scherz demonstriert werden« (Kotthoff 2010c: 175). Ethnischer und religionsbezogener Humor bleibt jedoch ein riskantes Spiel, bei dem auch persönliche Geschmacksgrenzen unterschiedlich verlaufen. Was der eine wegsteckt oder kontert, mag die andere in derselben Konstellation als Unverschämtheit und Beleidigung empfinden. (Kotthoff 2010c: 175)
2.9.3 Frotzeleien als In-Group-Aktivitäten Frotzeln (eng. »teasing«) ist das zentrale kommunikative Muster, das in der untersuchten Klassenkommunikation zur Verarbeitung der Unterschiede am häufigsten eingesetzt wird. In der deutschsprachigen Literatur findet man auch die Begriffe »Necken« sowie »Pflaumereien«, die von Frotzeleien nicht immer abgegrenzt werden können und über fließende situativ-definierte Übergänge verfügen. Kotthoff (1998) definiert »Necken« als »harmloseres Frotzeln« (Kotthoff 1998: 349). Pflaumereien sind aus ihrer Beobachtung gesichtsbedrohlicher als Neckereien und Frotzeleien und »werden optimalerweise spaßig gekontert« (Kotthoff 1998: 349). Durch seine vage doppeldeutige Natur (Ernst vs. Spiel) erlaubt das Frotzeln einen spielerischen Umgang mit höchst sensiblen bis tabuisierten Themen des Alltags (Kotthoff 2013: 1996b; Günthner 1996) – z.B. Sexualität, Aussehen, Geschlecht, intellektuelle Fähigkeiten, Ethnizität, Religion etc. Frotzeläußerungen beziehen sich häufig auf die vorherigen Äußerungen oder Handlungen des Frotzelobjekts und bezeichnen diese als abweichend oder nicht-normkonform. Außerdem sind Frotzeleien gesichtsbedrohende Sprachaktivitäten (Günthner 1996: 91), die einen hohen Vertrautheitsgrad innerhalb einer Gruppe voraussetzen. Frotzeleien werden in den »sozialen Interaktionsgeschichten der Beteiligten« kontextualisiert und müssen entsprechend ihrer Rahmen rezipiert werden (Günthner 1996: 99). Sie können als Indikator des geselligen Gruppenklimas dienen. Auf der anderen Seite ist eine vertrauliche Atmosphäre eine notwendige Voraussetzung für solche Praktiken (Kotthoff 1998: 43). Dementsprechend erkennt man Frotzelaktivitäten, die durch soziale Nähe konstituiert werden, hauptsächlich in intimen, eng vertrauten Gemeinschaften wie Familien, Freundeskreisen und bei Paaren: Frotzeln repräsentiert damit einen »Vergemeinschaftungsmechanismus ersten Ranges« (Günthner 1996: 100; Kotthoff 1998: 38-41), in dem man sich als In-Group bestätigt (Kotthoff 1998: 40). Die spielerisch angegangenen Differenzen gewinnen durch den vorhandenen humoristischen Modus ihre Akzeptanz (Kotthoff 1998: 41).
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Zwei wichtige Elemente konstruieren das Frotzeln: Zum einen beinhaltet es eine verbale Provokation (Vorwurf, Kritik, Angriff), zum anderen wird es durch seine spielerische Art ausgezeichnet (Kotthoff 1998: 112-114; Günthner 1996: 81). Der Grenzbereich zwischen dem Ernstgemeinten und dem Spielerischen ist sehr vage und hängt von mehreren situativen sowie persönlichen Wahrnehmungsfaktoren ab. Diesen Charakter erkennt man deutlicher in der Definition von »teasing«: [...] a peculiar combination of friendliness and antagonism. The behaviour is such that in any other social context it would express and arouse hostility; but it is not meant seriously and must not be taken seriously. There is a pretence of hostility and a real friendliness ... any serious hostility is prevented by the playful antagonism of teasing, and this in its regular repetition is a constant expression or reminder of that social disjunction which is one of the essential components of the relation, while the social conjunction is maintained by the friendliness that makes no offence at insult. (Radcliffe-Brown 1952: 91 f.)
Die Grundstruktur des Frotzelns bestimmen die Teilnehmer ebenso wie die kommunikative Struktur der Frotzelsequenz. Günthner (1996) unterscheidet drei zentrale Interaktionsrollen innerhalb der Frotzelsequenz: das Frotzelsubjekt (der Initiator sowie der Produzent der Sequenz), das Frotzelobjekt (derjenige, über den gefrotzelt wird) und das Frotzelpublikum (Günthner 1996: 83). Da die vorliegende Studie in einer größeren Runde (d.h. mehr als 25 Personen) durchgeführt wurde, ist die Rolle des Publikums besonders wichtig: Es entscheidet den Verlauf sowie den Ausgang der Frotzelaktivität in mehreren Sequenzen. Dementsprechend ist die Reaktion des Publikums keineswegs nur rezipierend, sondern hoch involvierend. Was die kommunikative Struktur der Frotzelsequenz betrifft, so wird sie in drei Komponenten aufgeteilt: die Frotzeläußerung, die Reaktion des Frotzelobjekts und die Publikumsreaktion (Günthner 1996: 83 f.). In der Frotzeläußerung wird Kritik oder Vorwurf an das Frotzelobjekt aufgrund seines abweichenden Verhaltens ausgesprochen. Die Reaktion des Frotzelobjekts variiert und kann in folgenden Formen zum Ausdruck kommen: Lachen mit und ohne Zurückweisen, Weiterspinnen der Spielmodalität, Retourkutschen, Ignorieren und ernste Reaktionen (in Form von Rechtfertigung) (Günthner 1996: 84). Das Publikum weist ebenfalls eine breite Palette an Reaktionsmöglichkeiten auf: Lachen, Aufgreifen der Spielmodalität, ernsthafte Reaktionen (Günthner 1996: 84). Beide, das Frotzelobjekt sowie das Publikum, können über den Ausgang und den Verlauf der Frotzelsequenz entscheiden. Frotzeleien, die mittels verbaler Provokationen Kritik und Vorwürfe an die Objekte des Frotzelns sowie an ihr Verhalten (oder ihre Denkweise) beinhalten, würden unter gewöhnlichen Umständen als Beleidigung verstanden wer-
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den. Als kommunikative Gruppenaktivitäten in einer vertrauten Gesellschaft zählen sie allerdings zu den Alltagspraktiken, die gruppenbildend fungieren. Frotzelaktivitäten nähern sich den »performance«-Aktivitäten (wie »duelling«) an und müssen »im richtigen Moment auftreten und auf situativ-lokale Phänomene schlagfertig Bezug nehmen« (Günthner 1996: 85): Frotzeleien machen […] eine vorausgehende Äußerung zu einer virtuell problematischen und angreifbaren Aktivität, indem sie diese mittels der Frotzelei als »abweichend, übertrieben, nicht den Erwartungen entsprechend« darstellen, […] d.h. sie folgen nicht nur inkriminierten Äußerungen, sondern »konstruieren« diese. […] Häufig indiziert das Frotzelobjekt zugleich sein Erstaunen über die entdeckte, deviante Eigenschaft und behandelt sie als »neue Entdeckung, die plötzlich ans Licht kommt«. (Günthner 1996: 91)
Da die Frotzeläußerung in eine scherzhafte Inszenierung verpackt wird, wird und muss diese in gleicher spielerischer Modalität rezipiert werden. Das ist die Hauptvoraussetzung an das Publikum sowie an das Frotzelobjekt. Diese Modalität sorgt auch dafür, dass das Frotzelsubjekt mit seiner Äußerung »unbestraft davonkommt« (Günthner 1996: 92). Das Frotzelobjekt steht vor allem vor der Wahl, an dem Spiel mitzuspielen oder eine »beleidigte Leberwurst« und »Spielverderber« zu sein. Die Unterhaltung des Publikums erfolgt auf Kosten des Frotzelobjekts und kann durch die Reaktion der »Zuschauer« gesteuert werden. Bemerkt man eine Art Unterstützung aus dem Publikum, so kann ein »teaming up« mit den Zuschauern stattfinden (Günthner 1996; Kotthoff 1998: 41). In diesem Fall beobachtet man eine bestimmte Solidarisierung zwischen dem Frotzelsubjekt und dem Publikum. Reagiert das Publikum auf die Frotzeläußerung ignorant oder abweisend, so spricht man von Solidarisierung mit dem Frotzelobjekt und von »teaming up« mit ihm. So bewirkt zum Beispiel das Lachen aus dem Publikum oder sogar die aktive Teilnahme an dem Frotzeln aus dem Publikum die Zuspitzung der Situation auf Kosten des Frotzelobjekts und signalisiert damit, dass die Frotzelei unterstützt und genossen wird (Günthner 1996; Kotthoff 1998: 41). Unterschiedliche sprachliche Indikatoren werden eingesetzt, um den spielerischen Rahmen des Frotzelns zu signalisieren: Sie reichen von Lachpartikeln und extrem hohen Tonhöhen, ironisch-negativen Bewertungen, Wiederholungen, gemeinplatzartigen Redensarten bis zu Übertreibungen mittels fiktiver Welten, Registerwechsel und durch übertriebenen Ernst (Kotthoff 1996b; 1998: 121). Das Gelingen der Frotzelsequenz zeichnet sich durch hohe Schlagfertigkeit aus: Das Frotzelsubjekt muss in der Lage sein, seinen Konter möglichst schnell zu äußern. Günthner (1996) bietet einen idealen Verlauf für gelungenes expandiertes Frotzeln – eine Retourkutsche – an:
2. Zugehörigkeitsher vorhebung, -zuschreibung und -bewer tung Eine ideale Lösung für das kommunikative Dilemma, in das das Frotzelobjekt manövriert wird, ist also eine Replik, die die doppelte Modalität von Konfrontation und Spiel fortsetzt. (Günthner 1996: 97)
Eine weitere Möglichkeit, um das Frotzeln zu expandieren und zuzuspitzen, ist das sogenannte »Abdriften in kleine fiktionale Welten« (Günthner 1996: 97). Dabei werden Beispiele und ihre Formulierungen in Form hyperbolischer Übertreibungen und fiktiver Zuschreibungen präsentiert. Kotthoff (1996b) spricht von »Fiktionalisierung der Geschichte«, die den Raum für die »spielerischen Phantasieelemente« öffnet (Kotthoff 1996b: 155) sowie von den »Spielen mit fremden Welten«, in denen fiktionale, hyperbolisierte Diskurse in situ stilisiert werden (Kotthoff 1996b: 177-179; Kotthoff 1998: 348). Häufig entspricht eine Frotzeläußerung der rhetorischen Gedankenfigur der »Ironie« (Günthner 1996). Das Grundprinzip der ironischen Kommunikation bezieht sich auf die Bewertungskraft zwischen Gesagtem und dem Gemeintem: Das Gesagte wird einer anderen Person oder Gruppe attribuiert, die anwesend oder abwesend sein kann. Der Sprecher will die Kluft zwischen zwei möglichen Perspektiven auf den Gegenstand sichtbar werden lassen. Er distanziert sich von einer Position, die er verfremdend (meist übertrieben) wiedergibt. (Kotthoff 2002b: 447)
Kotthoff kommt zu dem Fazit, dass in der Ironie primär die Kluft kommuniziert wird zwischen der Bewertung der ironischen Sprecherin und einer an andere delegierten Bewertung. Man kann durchaus mit Ironie auch positive Bewertungen ausdrücken, indem man sie negativ ausdrückt. (Kotthoff 2002b: 448)
Als mögliche Reaktion auf eine ironische Aussage kann eine Frotzelsequenz erzeugt werden (Kotthoff 2002b: 445). Dabei werden außerdem die Normen allgemeiner Höflichkeit verlassen, da man damit signalisiert, dass »das Fundament der Beziehung fest genug ist, um kleine Frechheiten auszuhalten« (Kotthoff 2002b: 459). Zusammengefasst agieren Frotzeleien in vertrauten Gruppengemeinschaften als Grenzsicherungsmechanismen. Je geringer die Distanz zwischen den Sprechern ist, desto »aggressiver« und »frecher« können die Angriffe aussehen. Durch Frotzelaktivitäten schaffen die Interaktanten eine sichere, jedoch flexible, »Pufferzone«, in der »ein Vorwurf, eine Kritik, eine Irritation etc. thematisiert doch gleichzeitig mittels der Spielmodalität zurückgenommen« werden können (Günthner 1996: 102). Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich der Prozess der Zugehörigkeitshervorbringung und ihrer Bearbeitung als mehrschichtig und
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mehrdimensional enthüllt. Auf der kognitiven Ebene operiert man mittels ethnomethodologischer Konstrukte wie der Membership Categorization. Das Konstrukt bietet soziale Kategorien, die als feste »Denkmuster« in den Interaktionen Zugehörigkeiten hervorbringen und formulieren. Mit den Kategorien zusammenhängend agieren gruppenspezifische Eigenschaften ( features) sowie die ebenfalls gruppenspezifischen Aktivitäten (category-bound activities), die bestimmte soziale Gruppen beschreiben und sie dadurch bestimmten Kategorien zuordnen. Außerdem ermöglicht der ethnomethodologische Ansatz durch die Analyse der Kategorisierungspraktiken den Einblick in die Moral- sowie Normenvorstellungen innerhalb einer Gruppe. Diese Konstrukte liegen im Kern der sozialen Zugehörigkeitszuschreibungen und sind grundlegend für das Verstehen der weiteren Kategorisierungen, die auf anderen Interaktionsebenen stattfinden. Auf der »sichtbaren« Kommunikationsebene einer Interaktion erkennt man drei zentrale Schritte der Zugehörigkeitshervorhebung – Zuordnen, Zuschreiben und Bewerten –, die in der Interaktion nicht zwingend gleichzeitig oder in dieser Reihenfolge auftauchen. Dabei offenbaren sich Prozesse der Abund Ausgrenzung, die als Variation des Zuordnens zu betrachten sind. Auf der »sichtbaren« Ebene interagieren soziale Identitäten, die innerhalb ihrer sozialen Welten ihre eigenen, nur für sie charakteristischen (Jugend-)Sprechstile ausbauen. Diese spiegeln die globalen Migrationsprozesse weltweit wider und sind am häufigsten in urbanen multiethnischen Gebieten zu beobachten. Diese Sprechstile bedienen mehrere Gruppenbedürfnisse wie z.B. Abgrenzung von anderen Gruppen (der Erwachsenen, der »Einheimischen«) sowie die Bewahrung eigener Grenzen. Eine gut erforschte Strategie des Umgangs mit Differenzen innerhalb heterogener Gruppen sind der Humor und seine Variationen. Riskanter ethnischer Humor ist ein Beispiel dafür, wie ethische oder kulturelle Unterschiede in der Interaktion bearbeitet werden können. Aspekte der Höflichkeit werden bei Mitgliedern mit hohem Vertrauensgrad gelockert und schaffen eine produktive Atmosphäre für »riskante« Humorpraktiken, wie zum Beispiel Frotzeleien. Frotzelaktivitäten sind höchst gesichtsbedrohend und setzen eine enge (Freundschafts-)Beziehung zwischen den Interaktanten voraus. Solche Praktiken dienen dabei der Vergemeinschaftung der Gruppe sowie der Rekonstruktion der Machtpositionen in ihr. Unter Berücksichtigung dieser theoretischen Ansätze wende ich mich im Weiteren den methodischen Aspekten von Mitgliedschaften und Zugehörigkeiten in meiner Feldarbeit sowie in der Datenanalyse zu.
3. Methoden einer hauptschulischen Fallstudie: Ethnographie und Konversationsanalyse Dieses Kapitel widme ich der methodischen Rahmung der Fallstudie, die ich für den Datenerwerb sowie für ihre Bearbeitung und Analyse einsetzte. Das zentrale Instrumentarium der (ethnographischen) Konversationsanalyse, ergänzt durch eine Ethnographie der Feldarbeit, werden im Folgenden detailliert beschrieben, zusammengefasst und durch die eigene Felderfahrung erweitert.
3.1 Z u den e thnogr aphischen F allstudien Ausführliche Untersuchungen schulischer Abläufe in Deutschland sind immer noch eine Seltenheit. Außergewöhnlich selten sind Studien mit soziolinguistischem Schwerpunkt, die durch eine kontinuierliche, langfristige Ethnographie zustande kommen. Zum größten Teil sind es Erziehungswissenschaftler und Soziologen, die sich mit Fragen von Schulphänomenen auf der wissenschaftlichen Makroebene auseinandersetzen (Gogolin 1994, 2000; Gomolla/Radtke 2007; Esser 2006). Ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten hier Aspekte der Heterogenität der Schülerschaft und der allgemein herrschenden Alltagspraktiken (vgl. Monolingualer Habitus, Institutionelle Diskriminierung, Sprache und Migration). Sozialwissenschaftler und Pädagogen gewinnen in der letzten Zeit viele Impulse durch die internationalen PISA- sowie IGLU-Studien, die eine Korrelation zwischen Herkunft und schulischem Erfolg feststellen konnten (siehe Kapitel 1). Diese operieren jedoch oft mit statistischen Daten, die mittels quantitativer Methoden ausgewertet werden und deswegen kaum Einblick in die zwischenmenschlichen, kommunikativen Handlungen im institutionellen Setting ermöglichen können. Die Makrostudien aus dem internationalen und deutschen Kontext schildern lediglich die Ergebnisse der Schulpraktiken, liefern jedoch keinerlei Informationen über das Unterrichtsgeschehen sowie über das situative Handeln in Lehr-Lernprozessen, das zu diesen Ergebnissen führt. Dafür benötigt man
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den Zugang zu authentischen Daten, die in der natürlichen Umgebung der Sprecher erworben wurden. Dies wird hauptsächlich durch langfristige Feldaufenthalte sowie durch eine präzise, multiperspektivische Datenanalyse ermöglicht (Horstkemper/Tillmann 2003: 48). Dafür eignen sich Fallanalysen, bei denen eine »intensive Betrachtung mikroanalytischer Prozesse« (Horstkemper/Tillmann 2003: 48) im Zentrum steht: Die darin [in der Schule] ablaufenden Prozesse sollen in ihrer Komplexität erfasst werden, die Wirklichkeit möglichst dicht und nachvollziehbar beschrieben und dabei eine multiperspektivische Sichtweise entfaltet werden. (Horstkemper/Tillmann 2003: 46)
Fallstudien über schulische Prozesse an deutschen Schulen sind ebenfalls begrenzt in ihrer Anzahl, ihrer Methodik und ihren Daten sowie in der Spezifik der Untersuchungsinteressen. Am häufigsten sind Studien mit fachdidaktischen Fragestellungen zu finden: Interkulturelle Kommunikation im Unterricht, Forschung zu Didaktik und Curriculum, Forschung zur Lehrerpersönlichkeit, Lehrerprofessionalität etc. Ebenso oft fokussieren sich die Fragestellungen der einzelnen Fallstudien auf die »Problemidentifikation« (Gewalt, Leistungsversagen, Integrationsprobleme), was ihrer explorativen Funktion entspricht (Horstkemper/Tillmann 2003: 52) (vgl. Hericks/Kunze/Meyer 2004; Broome/Haag 2004; Combe/Kolbe 2004). Dabei bemerken Horstkemper/Tillmann, dass viele der Publikationen über einzelne Schulen dem Kriterium »einer wissenschaftlichen Betrachtung mit ›fremden Augen‹« nicht entsprechen (Horstkemper/Tillmann 2003: 45). Viele Fallstudien aus dem erziehungswissenschaftlichen Bereich thematisieren Aspekte schulischer Strukturen und deren Reformierungen sowie unterschiedliche Schulformen (Hamburger/Dick/Heck/Idel/Stauf 2001; Tillmann/Bussigel/Philipp/ Rösner 1979). Die Datenbasis besteht dabei oft aus Einzel- oder Gruppen-Befragungen sowie aus Gesprächsprotokollen. Nur einzelne Fallstudien entstehen aus langfristigen ethnographischen Feldbeobachtungen. 1995 führen die Bildungsforscher Krappmann und Oswald eine Ethnographie des Alltags von Schulkindern durch. Die Beobachter protokollierten und analysierten soziale Interaktionsprozesse unter Kindern im Grundschulalter. Die Beobachtungen erfolgten an sieben Klassen Berliner Schulen. In Ergänzung zu den Beobachtungsprotokollen wurden semistrukturierte Befragungen der Kinder durchgeführt. Die Datenbearbeitung erfolgte mittels elektronischer Kodierung, die im Anschluss statistisch ausgewertet wurde. Der Schwerpunkt der Studie lag in der Untersuchung der sozialen Beziehungen zwischen den »Peers« (Aushandlungen, Kooperation in der Schule, Geschlechterrollen). Kalthoff (1997) führte eine ausführliche ethnographische Fallstudie an einer deutschen Internatsschule durch. Das Internat lebt nach einem gere-
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gelten Ablauf und ist durch institutionelle Regeln gekennzeichnet. Im Laufe seines langen Feldaufenthalts (9 Monate) registriert der Ethnograph die Alltagsabläufe der Institution und beschreibt die interaktive Konstruktion von Wissen, die schulische Bewertung, Beziehungsprozesse (Geschlechterrollen), die Ordnungsherstellung sowie die soziale Konstruktion der Wohlerzogenheit. Viel Aufmerksamkeit widmet er den strukturspezifischen Elementen wie Zeit, Ordnung, Kontrolle und Raum. Kalthoff arbeitet mit der dichten Beschreibung und bezieht sich auf Beobachtungen im Feld. Ein Jahr später entsteht die Ethnographie von Breidenstein und Kelle (1998), die der Tradition von Kalthoff entspricht und die Geschlechtszugehörigkeit als Schwerpunkt untersucht. Die Daten wurden in der Bielefelder Laborschule erworben. Dabei wurden die Lehrkräfte über die Forschungsfragen der Untersuchung informiert (Breidenstein/Kelle 1998: 27). Die Beobachter besuchten die Schule zwei Mal wöchentlich für jeweils zwei Stunden. Aufgrund des »Laborcharakters« der Bielefelder Laborschule weichen die Räume, die Unterrichtszeiten sowie die Leistungsbeurteilung deutlich von »realen« Schulen ab. Es handelt sich um einen großen Unterrichtsraum mit wenigen Türen und kaum Wänden (Breidenstein/Kelle 1998: 22 f.). Die Zeiteinheit ist ebenfalls anders: Statt 45 Minuten wird eine ganze Zeitstunde unterrichtet (Breidenstein/Kelle 1998: 25). Darüber hinaus bekommen die Schüler der Laborschule keine Noten, was die Leistungshierarchie in der Gruppe »weniger präsent« macht (Breidenstein/Kelle 1998: 25). Die Ethnographen arbeiten ebenfalls mit ethnographischer Protokollierung, und zwar mit der dichten Beschreibung des Alltagsgeschehens, erweitert durch einzelne Interviews. Die Ethnographie mit dem Schwerpunkt »Schülergewalt als Schulproblem« von Tillmann/Holler-Nowitzki/Holtappels/Meier/Popp (2000) untersucht Fragen der Schülergewalt an mehreren hessischen Schulen. Die Forscher erhoben ihre Daten mittels standardisierten Befragungen, ergänzt durch eine qualitative Fallstudie, bei der hauptsächlich mit Interviews gearbeitet wurde (Tillmann/Holler-Nowitzki/Holtappels/Meier/Popp 2000: 61). Die Daten wurden statistisch bearbeitet und mittels eines Statistik-Programms ausgewertet. Als Ergebnis der Studie entstanden Vorschläge zur Gewaltprävention an Schulen. 2006 führt Breidenstein eine weitere Ethnographie der Schule mit dem pädagogischen Schwerpunkt »Schülerjob« durch. Das Projekt arbeitet mit verschiedenen, kombinierten Daten: Feldprotokolle, Tonaufnahmen, Videoaufnahmen, Einzel- und Gruppeninterviews. In der Datenauswertung wurde ein Kodierverfahren mit sequenzanalytischen Verfahren kombiniert (Breidenstein 2006: 33). Der Fokus der Untersuchung liegt auf den Praktiken des »Schülerjobs« (Gruppenarbeit, Partnerarbeit, Einzelarbeit, Klassenarbeit etc.). Die Ethnographen arbeiten mit Videobildern und Gesprächsausschnitten, die diese diversen Unterrichtsaktivitäten illustrieren. Die Arbeit hat eine erziehungswissenschaftliche und soziologische Ausrichtung.
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Schließlich veröffentlichen Zaborowski/Meier/Breidenstein (2011) ihre ethnographischen Studien zur Bewertungspraxis am Gymnasium und der Sekundarschule. Die Beobachter sind an den Praktiken der Bewertung sowie des Schulerfolgs interessiert. Die Analyse ist erziehungswissenschaftlich geprägt und arbeitet mit klassischen Feldprotokollen, ergänzt durch kleine Unterrichtsaudiomitschnitte. Die Untersuchung liefert Beobachtungen aus Leistungsbewertungspraktiken. Im soziolinguistischen Fach sind – abgesehen von Rampton (2006) (siehe Kapitel 1) – schulische Fallstudien eher eine Ausnahme. Baradaronossadat beispielsweise arbeitet in »Jugendsprache im Deutschunterricht« (2010) mit Befragungen einzelner Interaktanten. Sequenzanalytische Studien mit ethnographischer Basis sind kaum bekannt. Wichtige konzeptuelle bzw. methodische Vorschläge in diesem Bereich machte Redder (1982), die versuchte, die Kommunikation an der Institution Schule mittels ausführlicher Partitur-Transkripte zu analysieren. Redder weist auf die »flüchtige« Natur des Schulgeschehens (Redder 1982: IX) hin, das mittels ausführlicher Transkripte beschreibbar und analysierbar wird: […] um einen wirklichen Eindruck von der Komplexität des Unterrichtsgeschehens, von seinem Reichtum und von seiner Lebendigkeit zu bekommen, sind Transkripte sehr gut geeignet. Viele Nebenaktivitäten der Schüler zum Beispiel nimmt man selbst vor dem Videoschirm kaum zu Kenntnis. Ein sorgfältiges Transkript hingegen enthält diese Schülertätigkeiten in der gleichen Weise, wie das Gespräch zwischen dem Lehrer und dem Schüler, der »dran« ist. […] Das Transkript ist viel ausführlicher und authentischer als Notizen und kurze Aufzeichnungen, Gedächtnisprotokolle oder sonstige Protokolle von Unterricht. […] Linguisten können anhand des transkribierten Materials Untersuchungen von sprachlichem Handeln in Institutionen vornehmen, sie können das Vorkommen sprachlicher Ausdrücke, syntaktischer Formen, argumentativer Strukturen studieren. (Redder 1982: IX)
In ihrem Buch präsentiert Redder drei dokumentierte Unterrichtstranskripte aus drei Fächern: Biologie, Deutsch und Mathematik. Es folgt allerdings keine Sequenzanalyse. Diese Tradition setzen moderne Linguisten aus Flensburg (Projekt FLECC, Jäkel 2010) fort, die ihr Korpus aus dem authentischen Englischunterricht (39 Stunden) »leserfreundlich« transkribierten und als Grundlage der Englischlehrerausbildung benutzen. Die Transkripte bieten jedoch keine ethnographischen Informationen zu den Interaktanten. Außerdem handelt es sich um ein Projekt von Studierenden, die über die Absichten der Tonaufnahmen informiert wurden. Schließlich wurden die Transkripte der einzelnen Stunden von den Studierenden selbst angefertigt. Eine Analyse der einzelnen Unterrichtseinheiten liegt ebenfalls nicht vor.
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Eine Reihe kurzer Sequenzanalysen präsentieren Bräuer/Ossner (2011) im Sammelband »Kommunikation und Interaktion im Unterricht«. In den Fokus der Aufmerksamkeit geraten didaktische Interessen des Unterrichts: professionelle Kompetenzen (Vogt 2011), Aufgabenerklärung im Unterricht (Spreckels 2011), sprachliche Anforderungen im Fachunterricht (Harren 2011) und mündliches Argumentieren (Krelle 2011). Die gesprächsanalytischen Untersuchungen bieten jedoch nur wenig ethnographisches Wissen über die Sprecher und haben einen starken didaktischen Untersuchungsschwerpunkt. Außerdem werden Sprachregister sowie Zugehörigkeitsaspekte nicht thematisiert. Diese Lücke versuchen Becker-Mrotzek/Vogt (2009) in ihrer Arbeit zur Unterrichtskommunikation zu füllen. Die Forscher untersuchen den Unterricht als kommunikativen Prozess. In den Fokus der Aufmerksamkeit geraten Interaktionen im Klassenzimmer, sprachliche Mittel sowie die gemeinsam konstruierte soziale Wirklichkeit des Unterrichtsgeschehens (Lingnau 2010: 55). Die Forscher betonen die zahlreichen analytischen Möglichkeiten, die Video- und Tonaufnahmen im Unterricht mit sich bringen, wie beispielsweise Rückschlüsse auf kognitive Prozesse und die interdisziplinäre Arbeit. Aufgrund des Mangels an gesprächsanalytischen, linguistischen Studien zur Unterrichtskommunikation mit Fokus auf Ethnizität und Sprachverwendung, widme ich mich nun der detaillierten Beschreibung der Ethnographie und der begleitenden Methoden meiner Fallstudie.
3.2 E thnogr aphie der F allstudie 3.2.1 Teilnehmende Beobachtung Nach der Übersicht über die bisher durchgeführten Interaktionsstudien auf dem Gebiet der Schulforschung gehe ich im Folgenden auf die Grundannahmen der Ethnographie und ihre Bedeutung für den Erwerb interaktionaler Daten sowie die Analyse und ihre Auswertung ein. Deppermann (2000) betont drei zentrale Merkmale der Ethnographie: a) Sie geht »primär explorativ und fallbezogen« vor, b) sie sucht die Untersuchten »im natürlichen Kontext ihrer Lebensumstände« auf und c) sie stützt sich auf unstrukturierte Daten (Deppermann 2000: 103). Eine kurze Zusammenfassung dieser Eigenschaften dient zur Begründung der methodischen Vorgehensweise der vorliegenden Fallstudie. Teilnehmende Beobachtung ist die zentrale Methode einer Datenerhebung im natürlichen Kontext der Alltagspraktiken (Lüders 2012: 384). Die Ethnographie untersucht die Frage, »wie die jeweiligen Wirklichkeiten praktisch ›erzeugt‹ werden; es geht ihr also um die situativ eingesetzten Mittel zur Konsti-
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tution sozialer Phänomene aus der teilnehmenden Perspektive« (Lüders 2012: 390): Ethnographie vermittelt eine weitreichende Kenntnis der Lebensumstände und der Vorstellungssysteme der beobachteten Population. Sie zeigt das soziale Referenzsystem der Beteiligten auf und erschließt ihr Hintergrundwissen. Erst damit ist eine notwendige Voraussetzung für die angemessene Interpretation ihrer Äußerungen gegeben. (Kallmeyer 1995b: 12)
Der Beobachter konzentriert sich auf die »sozialen Wirklichkeiten« und »Praktiken«, die für die Beobachtungsobjekte habituell und selbstverständlich sind. Gleichzeitig versucht der Beobachter, die Praktiken und die sozialen Wirklichkeiten möglichst neutral und distanziert zu verstehen und zu erklären: Es ist deshalb ganz unvermeidlich, dass ethnographische Forschung »das weitgehend Vertraute […] betrachtet, als sei es fremd, es wird nicht nachvollziehend verstanden, sondern methodisch ›befremdet‹: es wird auf Distanz zum Beobachter gebracht«. (Amann/Hirschauer 1997: 12. Zitiert nach Lüders 2012: 390)
Darüber hinaus untersucht Ethnographie normalerweise einzelne Fälle (case studies), diese jedoch sehr detailliert (Atkinson/Hammersley 1994: 248). Agar (1986) betont die Rolle und die Herkunft des Ethnographen für die Interpretation des Beobachteten, indem er darauf besteht, dass die Herkunft eines Ethnographen seine »Eindrücke« über die fremde Kultur beeinflusst: »Ethnographers set out to show how social action in one world makes sense from the point of view of another« (Agar 1986: 12). Dabei lernen wir, dass »ethnographies can differ because of different cultural backgrounds of ethnographers« (Agar 1986: 14). Außerdem steht im Zentrum der Ethnographie die Suche nach unbekannten Praktiken und Phänomenen (»attention to the exotic«) (Agar 1986: 20). Die Aufmerksamkeit des Beobachters wird erst dann geweckt, wenn er mit dem Unbekannten konfrontiert wird: When the different traditions are in contact, an ethnographer focuses on the differences that appear. Expectations are not met; something does not make sense; one’s assumption of perfect coherence is violated. (Agar 1986: 20)
»Überraschungen« im Feld bezeichnet Agar als breakdowns. Der Prozess der Breakdown-Bearbeitung ist dreischrittig: breakdown-resolution-coherence (Agar 1986: 23-32). Durch diesen Prozess gewinnt der Ethnograph Verständnis des Unbekannten. Im Laufe der Resolution erlebt der Beobachter eine Veränderung seines Wissens und erreicht dadurch die Kohärenz (das Verstehen des Unbekannten).
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Drei folgende Aspekte sind für die teilnehmende Beobachtung charakteristisch: ein längerer Feldaufenthalt (Teilnahme am Gruppenalltag), eine flexible Forschungsstrategie und ethnographisches Protokollieren (Agar 1986: 391). Die Ethnographie geht davon aus, dass die Lebenswelten und lokalen Praktiken nur durch längere Feldaufenthalte adäquat erforscht werden können (Amann/ Hirschauer 1997: 21). Nur durch dauernde Teilnahme ist es für den Forscher möglich, eine Insiderperspektive, zu gewinnen. Unter diesen Aspekt fallen auch die einzelnen Schritte der Feldarbeit: Kontaktaufnahme, Feldzugang, Hindernisse und Aufbau des Vertrauens. Eine besondere Rolle spielt der Zugang zum Feld. Allein das Wissen über den Zugang zum Feld und die begleitenden Hindernisse sind an sich schon Teil der Ethnographie (Lüders 2012: 392). Eine flexible Forschungsstrategie ist für die Beobachtung im Feld entscheidend. Ein Teil der Aufenthaltsstrategie eines Beobachters besteht darin, sich möglichst gut den »situativen Gelegenheiten anzupassen« (Lüders 2012: 393). Die Forschungspraxis trägt dementsprechend einen situationsabhängigen Charakter. Außerdem passt sich der Forscher den Lebensformen, den institutionellen Regeln und den beteiligten Subjekten an (Lüders 2012: 393). Die flexible Vorgehensweise eröffnet dem Beobachter eine breite Palette an Forschungsmethoden: Gespräche in natürlichen Gruppen, aktuelle Dokumente, Video- sowie Tonaufnahmen. Schließlich gehören ethnographische Protokolle zu den klassischen Datengrundlagen auf dem Feld. Die Protokollierung während der teilnehmenden Beobachtung gilt keineswegs als identische Repräsentation der Wirklichkeit, sondern als eine »deutende Darstellung« und »rekonstruierende Konservierung« (Bergmann 1985: 308) der beobachteten Praktiken ex post. Dank ihrer explorativen Natur, der Fallbezogenheit und dem Datenerwerb in natürlicher Umgebung ist die Ethnographie eine geeignete Methode zur Erfassung der sozial-kulturellen Kontexte und deren Bedeutungen im schulischen Alltag.
3.2.2 Ethnographisches Wissen im schulischen Alltag Um einen tieferen Einblick in die Lebenswelten der Hauptschüler zu gewinnen, habe ich die ethnographische Gesprächsanalyse als zentrale Methode der Fallstudie ausgewählt. Eine wichtige Rolle übernimmt dabei das im Feld gewonnene ethnographische Wissen. Das ethnographische Wissen wird bei der ethnographischen Gesprächsanalyse als methodisches »Hilfsmittel« eingesetzt, um die Wissensvoraussetzungen für die Interpretation der erworbenen Daten und ihre Auswertung zu erfüllen (Deppermann 2000: 96, 104). Deppermann skizziert mehrere Einsatzstellen, in denen ethnographisches Wissen fruchtbar werden kann. Zunächst ermöglicht das ethnographische Wissen eine Sensibilisierung auf Phänomene, die nicht unbedingt für jeden Hörer als »präsent« erscheinen (Deppermann 2000: 108). Bestimmte Phänomene erfor-
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dern Aufmerksamkeit und Vorwissen, damit sie überhaupt vom Forscher registriert werden. Darüber hinaus ermöglicht das Feldwissen die Schließung von Interpretationslücken, die unter unterschiedlichen Umständen entstehen: bei der Sprecherzuordnung (Gruppengespräche), bei der Referenzklärung (Bezug auf Insider-Wissen von Orten, Personen, Ereignissen etc.) und wenn Fachsprachen oder exotische Gruppensprachen gesprochen werden (Lexik und Semantik) (Deppermann 2000: 109). Außerdem schützt das ethnographische Wissen vor möglichen Fehlinterpretationen, die durch reine, ethnographiefreie Konversationsanalyse entstehen können (Deppermann 2000: 110). Der zentrale Vorteil der Methode ist die Möglichkeit der Vertiefung von Interpretationen: Interpretationen, die ohne ethnographisches Wissen gewonnen wurden, mögen vollkommen richtig sein. Sie können aber trotzdem oft durch ethnographisches Wissen um weitere Aspekte ergänzt werden, die Sinnbezüge von Äußerungen erkennen lassen, die sonst nicht offenbar werden (Schegloff 1992). Dies betrifft ganz allgemein Inferenzen, vor allem biographischer oder gruppengeschichtlicher Art ([…] Anspielungen auf Eigenheiten einer Person, implizite Bewertungen in Hinblick auf Normen und Werte des Milieus oder »intertextuelle« Verweise auf Medienprodukte, Genres oder frühere Kommunikationsereignisse), aber auch Motivationen für Handlungen, die aus eben solchen geschichtlichen, institutionellen oder anderen Restriktionen und Gründen entstehen. (Deppermann 2000: 110)
Dieser Vorteil, den das ethnographische Wissen in die Interpretation einbringt, ist der einzige Weg, Gruppendynamiken im Alltag zu erforschen und sie richtig zu interpretieren. Normenvorstellungen innerhalb der Gruppe (hier: der Schulklasse), Bewertungen einzelner Handlungen sowie der Interaktanten selbst werden mittels Ethnographie zugänglich und damit auch wirklichkeitsnah sowie adäquat interpretierbar. Letztlich erleichtert das im Feld erworbene Wissen die Wahl der Kriterien für die Entscheidung zwischen Interpretationen: Das entsteht dadurch, dass vieles in Gruppenkonversationen nicht explizit gesagt wird, dabei jedoch vieles gemeint werden kann: Dies ist deshalb möglich […], weil die Teilnehmer davon ausgehen, dass die Interaktionspartner über geteiltes Wissen, Beurteilungen und Wahrnehmungen verfügen, die Aufzeigeleistungen überflüssig machen. (Deppermann 2000: 112)
Kalibrierung von Interpretationen (Generalisierbarkeit der Ergebnisse) und ihre Validierung (Typikalität und Repräsentativität der Analyseereignisse) stehen ebenfalls in direktem Zusammenhang mit ethnographischem Wissen, das zum größten Teil bestimmt, inwieweit die im Feld beobachteten Phänomene und Praktiken sowie ihre »Gültigkeit« repräsentativ und typisch sind (Deppermann 2000: 112-115). Das Ziel der ethnographischen Gesprächsanalyse
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sieht Deppermann darin, das durch Feldarbeit (mit entsprechenden Feldaktivitäten) gewonnene ethnographische Wissen mit dem »unwissenden« Blick der Konversationsanalyse zu vereinen und dadurch ein realistisches Bild über das Geschehen zu erschaffen (Deppermann 2000: 117). Mit Rücksicht auf die oben präsentierten Möglichkeiten, die die Kombination der beiden methodischen Ansätze – ethnographischer Feldarbeit sowie der Gesprächsanalyse – mit sich bringt, werde ich in meiner schulischen Fallstudie mit ethnographischer Gesprächsanalyse arbeiten, um mein Feld-Wissen mit gesprächsanalytischen Mitteln möglichst nah aneinander zu bringen. Im Folgenden wende ich mich den Grundlagen der Gesprächsanalyse und ihrer schulischen Relevanz zu.
3.3 K onversationsanalyse im schulischen S e t ting Eine der Stärken der Gesprächsanalyse ist, dass sie erlaubt, Zugehörigkeiten und ihre Relevanz in der Interaktion empirisch rekonstruierbar (Levinson 1983: 85) und analysierbar zu machen (Hausendorf 2007: 407). Kategorisierungsprozesse und Zugehörigkeitszuschreibungen, die im Zentrum des Forschungsinteresses der vorliegenden Studie liegen, werden in der Kommunikationsforschung als »durch die Teilnehmer selbst konversationell zu ›lösendes‹ Problem« betrachtet (Hausendorf 2007: 408). Für die empirische Analyse der Zugehörigkeit ist es laut Hausendorf (2007: 407) zwingend: • Zugehörigkeit [unterschiedlicher Art] als eine kommunikative Konstruktion zu rekonstruieren, • Zugehörigkeit an der Oberfläche sprachlicher Erscheinungsformen der Kommunikation nachzuweisen und • Zugehörigkeit als eine Schritt für Schritt bzw. Zug um Zug aufgebaute sequentielle Struktur zu beschreiben (Hausendorf 2007: 407).
Um dies zu gewährleisten, wurde die ethnographische Gesprächsanalyse für die Datenanalyse dieser Fallstudie ausgewählt. Zunächst setze ich mich mit den zentralen Prinzipien der Konversationsanalyse und ihren Möglichkeiten detaillierter auseinander. Die Konversationsanalyse (KA) widmet sich der empirischen Untersuchung der sozialen Interaktion zunächst »als einem fortwährenden Prozess der Hervorbringung und Absicherung sinnhafter sozialer Ordnung« (Bergmann 2012: 525). In der KA wird Theorienbildung vermieden: conversational analysis […] is a rigorously empirical approach which avoids premature theory construction. […] [The method is] essentially inductive; search is made for recurring patterns across many records of naturally occurring conversations. (Levinson 1983: 286 f.)
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Ziel des Ansatzes ist, die Handlungsabläufe in der Interaktion zu registrieren und zu analysieren. Dabei achtet die KA besonders auf die »sinnhafte Strukturierung und Ordnung eines ablaufenden Geschehens und der Aktivitäten« (Bergmann 2012: 525), die sich in einer Interaktion erkennen lassen. Prinzipiell interessiert sich die KA für Gespräche und Interaktionen in ihren »natürlichen«, alltäglichen (habituellen) Konstellationen. Im Fokus der Analyse stehen soziale Formen und gesellschaftliche Prozesse (Bergmann 2012: 529). Die Kontextualität einer Interaktion ist innerhalb der KA eine umstrittene Frage. Sie sieht die Interagierenden als »kontextsensitive Akteure«, die mittels ihres habituellen Wissens das Geschehen und das Handeln analysieren und interpretieren sowie ihre Aussagen kontextentsprechend formulieren (Auer 1986). Da es nicht immer einfach ist, die momentane Relevanz des Geschehens zweifelfrei zu diagnostizieren, arbeitet die KA mit dem so genannten sequenziellen Kontext, in dem jede Äußerung für die darauffolgende Äußerung eine Art »kontextuelle[s] Environment« schafft, in dem die Handlung ihre Bedeutung bekommt und entsprechend interpretiert werden kann (Bergmann 2012: 529). Eine besondere Rolle im sequenziellen Prinzip der KA spielt die Gestaltung von Interaktionsbeiträgen (recipient design) (Schegloff 1984). Dieses Prinzip besagt, dass »die Handelnden bemüht sind, ihre Äußerungen spezifisch auf ihre jeweiligen Handlungspartner – und deren Vorwissen – zuzuschneiden« (Bergmann 2012: 529). Der sequenzielle Auf bau des Gesprächs steht im Zentrum der Konversationsanalyse, die anhand der Kollektion der Fälle versucht, die generativen Prinzipien für ein repetitives Phänomen zu rekonstruieren – was der »machinery« bei Sacks entspricht (Bergmann 2012: 532). Deppermann (2000, 2001) fasst die wichtigsten Prinzipien der KA zusammen. Dabei unterscheidet er Folgende: Handlungscharakter (Bearbeitung der Aufgaben und Probleme in der Interaktion), Methodizität (Beachtung der routinierten Methoden des Handelns), Sequenzialität (Sequenzieller Ablauf, Design), Interaktivität (Herstellung der Gesprächsstrukturen) und Reflexivität (Wichtigkeit und Gültigkeit des relevanten Kontexts) (Deppermann 2000: 98). Ein wichtiger Aspekt der KA ist die Beachtung des sequenziellen Ablaufs und des Rederechtsmanagements in der Interaktion. Sacks selbst offeriert einige Merkmale des sequenziellen Auf baus einer Konversation und das Prinzip des Rederechtsmanagements. Hier lauten die zentralen Regeln: 1. People talk one at a time. 2. Speaker change recurs. 3. Sequences that are two utterances long and are adjacently laced may be ›paired‹ activities. 4. Activities can be required to occur at ›appropriate‹ places. 5. Certain activities are ›chained‹ (Zusammenfassung zitiert nach Silverman 1998: 103)
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Die Interaktanten befinden sich im Laufe einer Interaktion im ständigen Prozess der gegenseitigen Koordinierung (local management system) (Levinson 1983: 297). Diese Koordinierung äußert sind nicht nur im recipient design (s.o.), sondern auch in der Reihenfolge der Sprecher. Die Sprecher verteilen die Sprecherreihenfolgen und koordinieren ihre eigene Partizipation am Gespräch (z.B. mittels Reparatur). Diese Koordinierung realisiert sich in Form der aufeinanderfolgenden Redezüge. Diese können in Form von Adjazenzpaaren (Frage-Antwort) auftreten: Turns display gross organizational features that reflect their occurrence in a series. They regularly have a three-part structure: one which addresses the relation of a turn to a prior, one involved with what is occupying the turn, and one which addresses the relation of the turn to a succeeding one. (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974: 722)
Eng gekoppelt an den Prozess des turn-taking ist die Reparatur. »Repair mechanisms« (Nachfragen, Klärungen, Konkretisierungen) sind wichtige Bestandteile einer Sequenz und haben eine »reparierende« Funktion (Silverman 1998: 122 f.). Sie demonstrieren die Interdependenz der Sprecher und signalisieren ihre Partizipation sowie ihre Aufmerksamkeit. Ein weiteres Element der KA sind »actions«, die in einer Interaktion erledigt werden. Unterschiedliche Aufgaben werden mit Konversationsmitteln gelöst: Schegloff (2007) erklärt die Aufgabenformulierung im Gespräch als »action formation«: that is, what the practices of talk and other conduct are which have as an outcome the production of a recognizable action X; that is, that can be shown to have been recognized by co-participants as that action by virtue of the practices that produced it. (Schegloff 2007: 7)
Schegloff (2007) fasst die häufigsten Aktivitäten als Beispiele zusammen: »asking, answering, disagreeing, offering, contesting, requesting, teasing, finessing, complying, performing, noticing, promising, [...] inviting, announcing, telling« (Schegloff 2007: 7). Die Aufgaben sind nicht immer eindeutig. In vielen Fällen kann eine Sequenz mehrere Aktivitäten beinhalten: z.B. kann der Sprecher durch dieselbe Sequenz dem anderen gleichzeitig zustimmen sowie seine Aussage bestätigen (Schegloff 2007: 8). Kotthoff (2010) unterscheidet folgende Ebenen der Interaktion: Situation, »turns«, Sprechhandlungen, TCU (turn constructional units), Aktivitätstypen, Gattungen, Stile und die Rahmung einer Interaktion. Dabei betont Kotthoff (2010) die streng empiriebezogene Natur der Konversationsanalyse, die sich bei der Untersuchung und selbst bei der Registrierung der Sprechstile sowie der schulischen Aktivitätstypen als äußerst effizient erweisen kann. Bis jetzt
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wurde in Deutschland im schulischen Alltag nur wenig mit dem konversationsanalytischen Ansatz gearbeitet (vgl. Becker-Mrotzek/Vogt 2009; Vogt 2010). Dabei weist Kotthoff darauf hin, dass solche Studien und ihr Datenzugang sowohl für die Lehrerausbildung als auch für die Deutschdidaktik im Allgemeinen von großer Bedeutung sein können.
3.4 K onversationsanalyse im U nterrichtskonte x t : I nitiierung -A nt wort-E valuation Unterricht wird von Pädagogen, Kommunikationswissenschaftlern und Linguisten als »kommunikatives Ereignis« definiert, das in bestimmten institutionellen Rahmen eine besondere Form annimmt (Vogt 2010: 123). Mehan (1979) unternimmt in »Learning lessons« einen ethnomethodologischen Versuch, die Kommunikationsabläufe an einer Schule zu registrieren und zu beschreiben. Mittels ethnomethodologischer Gesprächsanalyse beschreibt er das institutionsspezifische dreischrittige Sequenzmuster: Initiierung-Antwort-Evaluation (IAE) (Mehan 1979: 49). Dieses Sequenzmuster bildet zwei aneinander geknüpfte Adjazenzpaare (Mehan 1979: 49). Ebenfalls konversationsanalytisch untersucht Vogt (2010) den Deutschunterricht und das Handeln eines Lehrers und seiner Schüler. Er weist auf zahlreiche institutionelle Faktoren hin, die die Konversation und das Handeln der Interaktanten im Unterricht beeinflussen: Altersunterschied, offizielle Rahmenbedingungen, Zeitrahmen (45 Minuten), starker Inhaltsbezug (fachspezifisches Handeln), Räumlichkeit (Klassenzimmer), Verteilung der Schüler im Raum (Sitzordnung) etc. (Vogt 2010: 129). Unterricht ist eine Art der institutionellen Interaktion und weist dementsprechend die dafür spezifischen Eigenschaften auf: »distribution of knowledge, access to conversational resources, and to participation in the interaction« (Drew/Heritage 1992: 49). Der Lehrer kontrolliert den turn-taking-Prozess im Klassenzimmer, verteilt die Aufgaben, verfügt über das Fachwissen, korrigiert die Schüler und koordiniert die Eröffnung sowie die Schließung der Sequenzen (Gardner 2013: 593). Obwohl der von Mehan beschriebene Sequenzauf bau eher ein vom Lehrer dominiertes Modell darstellt, sind solche Gesprächsmuster keine Seltenheit in modernen Schulen (Gardner 2013: 596 f.). In der Initiierung-Antwort-Evaluation-Sequenz (IAE-Sequenz) ist der letzte turn (Evaluation) am interessantesten: It is used by teachers to perform complex pedagogical actions, such as breaking into component parts a question that students have problems with, steering the direction of a sequence toward his/her objective, providing clues for more desired answers, or managing the class. (Gardner 2013: 598)
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Allerdings können die Sequenzstrukturen immer dann variieren und von der IAE-Struktur abweichen, wenn die Schüler paarweise oder gruppenweise miteinander arbeiten. In solchen Arbeitsweisen regeln die Schüler das turn-taking selbst, ohne dass der Lehrer die Koordination übernehmen muss (Gardner 2013: 598). Im Unterricht unterliegt die Reparatur ebenfalls einigen minimalen Abweichungen vom klassischen Reparaturablauf: Die Lehrer korrigieren (»repair«)1 die Fehler ihrer Schüler auf eine direktere Weise als im ordinären, nicht schulischen Kontext. Außerdem treten other-initiation und other-repair in Unterrichtsinteraktionen viel häufiger als in ordinären Alltags-Konversationen auf (McHoul 1990).
3.5 K onte x tualisierung der Z ugehörigkeitsarbeit : S oziolinguistische A nsät ze Ethnographie und Konversationsanalyse in Traditionen der interaktionalen Soziolinguistik (ergänzt durch Linguistik und kulturanthropologische Ansätze) sind besonders geeignet für die Erforschung interkultureller Interaktionen und von Interaktionen heterogener (multiethnischer) Gruppen, da sie die Interdependenz und den Zusammenhang zwischen Sprache, Kultur und Kommunikation bearbeiten (Gumperz 1999: 453). Die Absicht der interaktionalen Linguistik ist to show how individuals […] use talk to achieve their communicative goals in real life situations by concentrating on the meaning making processes and taken-for-granted background assumptions that underlie the negotiation of shared interpretations. (Gumperz 1999: 454)
Die Suche nach Mitteln von »meaning making« in der Interaktion resultierte in der Entwicklung neuer Konzepte im Feld der interkulturellen Kommunikation. Eine Situation, in der sich die Sprecher befinden, ist nicht einfach vorgegeben, sondern wird von den Gesprächsteilnehmern kontinuierlich ko-konstruiert (Kotthoff 2010a). Im Laufe der Situation erledigen die Interaktanten ihre Aufgaben, d.h., sie lösen ihre kommunikativen Probleme. Die Kontexte, in denen diese Abläufe realisiert werden, spielen eine wichtige Rolle für die Inferenzen und den kompletten Auf bau des Gesprächs. Um an der kommunikativen (Re-/Ko-)Produktion der gesellschaftlichen Ordnung adäquat teilzunehmen und sie situativ re- und ko-konstruieren zu 1 | MacBeth (2004) unterscheidet repair und correction in der KA eines Unterrichts. Dabei ist correction ein Subteil des repairs (MacBeth 2004: 705).
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können, verfügen Interaktanten über soziales Wissen, das seine Anwendung im Prozess der konversationellen Inferenzziehung2 (»conversational inference«) in einer Konversation findet (Gumperz 1982). Dementsprechend geht Gumperz in seiner Analyse der interethnischen/interkulturellen Begegnungen davon aus, dass jede Interaktion in ihrem soziokulturellen Kontext zu analysieren und zu interpretieren ist. Gumperz betrachtet den Kontext einer Interaktion als Prozess, der soziokulturell »gefärbt« ist: The identification of specific conversational exchanges as representative of socio-culturally familiar activities is the process I have called ›contextualization‹ [...]. It is the process by which we evaluate message meaning and sequencing patterns in relation to aspect of the surface structure of the message, called ›contextualization cues‹. (Gumperz 1982: 162)
Basierend auf der Funktion der Kontextualisierungshinweise im Prozess der kommunikativen Inferenzziehung, fasst Gumperz (1992) die Kontextualisierung wie folgt zusammen: speakers’ and listeners’ use of verbal and nonverbal signs to relate what is said [...] to knowledge acquired through past experience, in order to retrieve the presuppositions they must rely on to maintain conversations involvement and access to what is intended. (Gumperz 1992: 230)
Dementsprechend ist Kontextualisierung ein gemeinsam hergestellter und gegenseitig unterstützter Prozess der Interpretation und der Sinnmachung in einer Interaktion mittels »contextualization cues«, die sich auf soziokulturelles Wissen stützen. Wie viel von dem Kontext schon da ist und wie viel davon in der Interaktion unmittelbar (ko-)kreiert wird, untersuchte u.a. Hinnenkamp (1987). Er führt das ethnomethodologische Konzept »brought along« und »brought about« in das Feld der interaktionalen Soziolinguistik ein (Hinnenkamp 1987: 143-145): I would like to introduce here the dualistic concept of taking into account what is locally »brought about« through joint effort against and complementary to that which is »brought along« in terms of their emergent and prestructured groundedness into the actual encounter. […] properties like biological facts […] are mostly unquestionable »brought alongs«, whereas the possible exploitation of this property as a resource to
2 | »Conversational inference […] is the situated or context-bound process of interpretation, by means of which participants in an exchange assess others’ intentions, and on which they base their responses«. (Gumperz 1982: 153)
3. Methoden einer Fallstudie: Ethnographie und Konversationsanalyse various other »brought alongs«, will certainly constitute a »brought about« […] by way of a joint social activity. (Hinnenkamp 1987: 144 f.)
Dabei verfügt eine Interaktion über mehrere Kontextualisierungsschichten, die erst mittels detaillierter Mikroanalyse und unter Berücksichtigung der Kontextualisierungshinweise – »brought alongs« und »brought abouts« – ans Licht kommen. Zusammengefasst sind Konversationsanalyse und Feldarbeit, aus der die empirischen Daten entstehen, für die Erforschung der kommunikativen Alltagspraktiken im schulischen Umfeld gut vereinbar: Das ethnographische Wissen, das die Ethnographie durch den langfristigen Feldaufenthalt zur Verfügung stellt, kann die Konversationsanalyse an Beispielen aus den Tonaufnahmen bzw. den Transkripten rekonstruieren und daraus folgend bestimmte Praktiken klassifizieren und zur Analyse stellen. Die konkretere Vorgehensweise während der Feldarbeit – Aufzeichnungen, Rolle und Position des Beobachters, Eingriff in das Feld, Aufklärung der Teilnehmer sowie die Form von Beobachtung – wird im folgenden Abschnitt ausführlich beschrieben.
3.6 E thnogr aphisches V orgehen : F eldarbeit Ethnography is not just a process of resolving schemas. If it were, I doubt many of us would do it. Human understanding works in mysterious ways, the fieldwork experiences have meanings that go far beyond one’s »official« researcher role. But part of what ethnographers do is detached, analytic, and systematic, and it is this part that is most at stake when they draw back from the personal nature of the experience and concern themselves with a public presentation of a coherent view of a »humanscape« that is new to the eyes of the reader. That is what an ethnographic language is for. (A gar 1986: 58)
Schulische Ethnographie mit längeren Beobachtungszeiten ist in Deutschland immer noch eine Seltenheit (Tertilt 1996: 11). Diese Fallstudie hingegen folgt der Tradition von Tertilt (1996), Kalthoff (1997) und Breidenstein (2006), deren Beobachtungen durch längere Feldaufenthaltszeiten gekennzeichnet waren. Tertilt untersucht eine türkische Gruppe der zweiten Einwanderergeneration in Frankfurt, die über eine interne Subkultur verfügt und die als »illegitime Kinder« der deutschen Gesellschaft angesehen werden. Tertilt verfolgt das
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Ziel, die Lebensformen, Überzeugungen und Verhaltensweisen der Gruppe kulturanthropologisch darzustellen, indem er als Ethnograph an dem Leben der Gruppe aktiv teilnimmt (Tertilt 1996: 9). Mittels Ethnographie deckt Tertilt den Zusammenhang zwischen »Bandendelinquenz« und dem gesellschaftlichen Status der Migrantenkinder auf (Tertilt 1996: 10). Innerhalb von zwei Jahren nimmt der Forscher an zahlreichen Veranstaltungen (inklusive der Gefängnisbesuche) der Gruppe teil und führt Interviews sowie Gruppengespräche mit den Mitgliedern. Tertilt betont die Wichtigkeit der teilnehmenden Beobachtung für seine Fragestellung und erwähnt nicht nur die »natürliche Umgebung« der Mitglieder, sondern auch die Positionierung des Ethnographs: Auf diesem Weg nimmt der Forscher jedoch nicht nur die Rolle des distanziert Beobachtenden ein, sondern gerät selbst in die Rolle dessen, der beobachtet wird und der sich mit der kritischen Wahrnehmung seiner Arbeit durch die Untersuchten auseinandersetzen muß. (Tertilt 1996: 11)
Um »volle« Einsicht in die Gruppe und ihre Lebenswelt zu gewinnen, widmet Tertilt einen Teil seiner Beobachtung der Untersuchung der familiären Situation der Bandenmitglieder. Er besucht die Familien und erkundigt sich über das Familienleben der Gruppenmitglieder (Tertilt 1996: 143-161), da dieses unmittelbare Auswirkungen auf die Gruppendynamik und die interne Kultur ausübt. In meiner Ethnographie werfe ich ebenfalls einen kurzen Blick in die familiäre Situation einzelner Schüler, um die Frage der Mehrsprachigkeit und die der ethnischen Heterogenität in der Familie zu beleuchten (s.u.). Tertilts Studie fand in informellen Konstellationen statt: vor einem Bürgerhaus, in Kneipen, bei Sportaktivitäten oder zu Hause bei den Jugendlichen. Im Gegensatz dazu ist das Beobachtungsfeld »Schule«, ihre soziale Welt, Praktiken und Umgangsformen für die Ethnographen unter regulären Umständen sehr gut bekannt. Jedes Mitglied der modernen Gesellschaft machte in irgendeiner Weise seine Erfahrung mit und innerhalb dieser Institution. Dies ist sowohl Vor- als auch Nachteil dieses Aufenthaltsfeldes: Unter idealen Bedingungen sollte der Ethnograph einen »Befremdungs«-Prozess (Amann/ Hirschauer 1997) unterlaufen. Quasthoff (2002) spricht von der besonderen Komplexität der Feldarbeit mit mehreren Beteiligten (Quasthoff 2002: 82). Eine Schulklasse ist ein klassisches Beispiel einer solchen Feldarbeit. Dabei handelt es sich um 24 bis 25 Sprecher, die zum Teil gleichzeitig und mit häufigen Überlappungen am Gespräch teilnehmen. Besonders kritisch sind die Positionierung der Tonaufnahmegeräte, die Positionierung der Sprecher, ihre Bewegungen im Raum (die Sprecher bleiben nicht stationär), ihre Entfernung vom Gerät, Nebengeräusche, Turns, Stimmencharakteristika (d.h. wie laut/leise gesprochen wird) etc.
3. Methoden einer Fallstudie: Ethnographie und Konversationsanalyse
Außerdem wäre es ohne teilnehmende Ethnographin unmöglich, die Stimmen und Äußerungen richtig zuzuordnen. Da die Schule immer noch als »Blackbox« der Gesellschaft gilt und da es im wissenschaftlichen Kontext Deutschlands nur sehr wenige linguistischen Arbeiten aus der Schule gibt, widme ich der Beschreibung der Ethnographie viel Raum und Aufmerksamkeit. Außerdem beschreibe ich die Ethnographie besonders detailliert, da es auffällt – wenn eine schulische Ethnographie betreibt –, dass der Zugang zum Feld durch eine fast unüberwindbare Resistenz der Lehrerschaft im öffentlichen Raum erschwert wird. Sehr genau diskutiere ich im Ethnographie-Kapitel die Gewinnung der Daten sowie das persönliche Kapital des Ethnographen (s.u.), das im Feld eingesetzt werden muss. Diese werden in der bisherigen schulischen Ethnographie kaum beschrieben. Außerdem ist es wichtig zu betonen, dass die Studie nicht von einer Institution oder Arbeitsgruppe durchgeführt wurde, sondern von der Ethnographin allein. Dieser Aspekt erschwerte und erleichterte den Aufenthalt gleichzeitig (s.u.).
3.6.1 Der Zugang zum Feld Die Auswahl der Schule sowie der allgemeine Zugang zum Feld waren die zentralen Herausforderungen der Studie. Kalthoff spricht von Erzeugung der Kreditwürdigkeit mit Übergang in die Vertrauenswürdigkeit (Kalthoff 1997: 20). Beides wird am Anfang jeder Feldarbeit erkämpft und soll im Laufe des Gesamtaufenthalts immer wieder neu bestätigt werden. Dies gilt sowie für die Lehrerschaft bzw. Schulleitung als auch für die Akzeptanz unter den Schülern. Verschiedene Telefonate mit der Schulleitung unterschiedlicher Schulen führten zunächst zu keinen Ergebnissen. Kontaktiert wurden lediglich Realund Hauptschulen. Als Ablehnungsgründe wurden »hohe Beschäftigung der Schule« sowie »unklare Forschungsfragestellung« genannt. Mit der »hohen Beschäftigung« meinten die Schulleiter die zahlreichen laufenden pädagogischen Projekte, die sowohl von unterschiedlichen Behörden als auch von jungen Lehramtsstudenten durchgeführt werden. Die Schule schien mit der »Wissenschaft und Beobachtung« überfordert zu sein. Der zweite Ablehnungsgrund war mein linguistisches Erkenntnisinteresse, das für die Lehrerschaft sowie für die Schulleitung nicht nachvollziehbar war. Keiner der Schulleiter hatte ähnliche Erfahrungen in seiner Schule gemacht. Die Lehrerschaft ist damit ausgelastet, die Lehramtsstudenten sowie die Referendare auszubilden. Innerhalb von zwei Monaten habe ich einzelne Telefonate mit fünf Schulen durchgeführt. Lediglich eine von ihnen stimmte zu. Ich bekam einen Klassenlehrer der achten Realschulklasse als »Betreuer«, der mir im Schulalltag mit seiner Hilfe zur Seite stand. Mehrere Etappen des Feldzugangs mussten am Anfang überwunden werden:
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1. Erwerb der Schulleitungserlaubnis, im Unterricht anwesend zu sein, 2. Erwerb der Lehrpersonenerlaubnis, im Unterricht anwesend zu sein, 3. Erwerb der Lehrpersonenerlaubnis, im Unterricht Tonaufnahmen zu machen, 4. Erlaubnis der Eltern, Forschung in der Klasse ihrer Kinder zu machen, 5. Kooperation der SchülerInnen zu gemeinsamer Zusammenarbeit. Im Folgenden werden diese Etappen und ihr Ablauf detailliert beschrieben. Nach der Zusage des Klassenlehrers der Realschulklasse konnte ich in seiner Klasse meine Beobachtung mit dem Feldjournal durchführen und ein paar Notizen machen. Nach zwei Wochen wurde deutlich, dass seine Klasse »zu homogen« ist: Die meisten Schüler sind deutscher Ethnizität. Vier der Schüler haben einen Migrationshintergrund: zwei Russen, ein Pole und eine Schülerin aus Hawaii. Alle vier wurden in Deutschland geboren und sprachen akzentfreies Deutsch. Außerdem herrscht im Unterricht fast immer »produktive Ruhe«: Es wird kaum untereinander gesprochen, was unter anderem daran liegt, dass der Klassenlehrer immer für Disziplin sorgt. Die meisten Schüler befinden sich schon in der Pubertät und sind deshalb im Unterricht und auf dem Schulhof auf »eigene« Interessen fokussiert. Es bestehen diverse Freundschaftspaare, die hauptsächlich unter sich bleiben oder die Vertrautheit miteinander suchen. Intensiver Kontakt mit den Schülern war für mich unmöglich: Selbst in den Hofpausen waren die Schüler mit ihren privaten Aktivitäten (private Gespräche, Telefonate, Rauchen etc.) beschäftigt. Außerdem hatten die meisten von ihnen schon eine Liebesbeziehung in der Schule und verbrachten die ganze Pausenzeit zusammen mit ihren Partnern. Wie ich später feststellen konnte, bekam ich eine der besten Klassen in der Realschule zugewiesen: Der Klassenlehrer arbeitet eng mit der Schulleitung zusammen und seine Schüler zeigten überdurchschnittliche Leistungen. Aus diesen und weiteren Gründen scheiterte mein erster Versuch, eine multiethnische Klasse zu beobachten. Durch diese Kontaktaufnahme wurde mir jedoch der Zugang in die Schule ermöglicht. In einem Unterricht der Realschulklasse lernte ich eine Referendarin, Frau Brandt, kennen, die sich für meine Studie sehr interessierte. Als junge Englischlehrerin unterrichtet sie in einer Hauptschulklasse, in der auf eine sehr »spezielle Weise« kommuniziert wird. Frau Brandt erzählte, dass die Schüler der erwähnten Klasse sich gegenseitig mit diskriminierenden Namen beschimpfen: Einer der neuen russischen Schüler nannte einen anderen »Kanake«, da er Türke ist. Seitdem herrsche ein interethnischer Krieg in der Klasse. Zu dem Zeitpunkt war mir das Wort »Kanake« noch nicht geläufig und es war mir damals noch nicht klar, welch enorme Rolle dieser Begriff in meiner Studie spielen würde. Frau Brandt lud mich freundlicherweise in ihren Unterricht ein. Es handelte sich um eine siebte Hauptschulklasse, die alle erwünschten
3. Methoden einer Fallstudie: Ethnographie und Konversationsanalyse
Voraussetzungen dieser Fallstudie erfüllt: Sie ist multiethnisch und mehrsprachig. Im Unterricht wird viel kommuniziert, und zwar in mehreren Sprachen. Die Gruppe ist ethnisch bunt gemischt und zeigte mir gegenüber viel Interesse: In den Pausen kamen sowohl Fragen zu meiner Studie wie auch zu meiner Person auf (woher ich komme, wo ich arbeite etc.). Den Klassenlehrer dieser Klasse – Herrn Müller – kannte ich schon aus meiner Zeit in der Realschulklasse, in der er mir als Chemielehrer begegnete. Herr Müller demonstrierte eine offene Einstellung gegenüber meiner Studie und erwies sich als sehr kooperativer Lehrer. Seit diesem Tag wechselte ich die Klasse und blieb für die nächsten sieben Monate in der »H7«. Die zweite Etappe, in der ich die Erlaubnis der Lehrer einholen musste, war ebenfalls erschwert, da Herr Müller nicht der einzige Lehrer ist, der die H7 unterrichtet: Es gibt noch einen Geschichtslehrer, eine Deutschlehrerin, eine Englischlehrerin, eine Ethiklehrerin und einen Erdkundelehrer. Für meine Beobachtung war es wichtig, in allen Stunden wenigstens ein Mal anwesend zu sein. Es war besonders wichtig, die SchülerInnen auch mit anderen Lehrpersonen zu beobachten, um zu sehen, wie ihr Verhalten in Abhängigkeit von dieser variiert. Diese Vermutung hat sich im weiteren Verlauf ebenfalls bestätigt. Die meisten Lehrpersonen haben mich während der ersten Stunde gar nicht bemerkt und dachten, ich wäre eine der Schülerinnen. Erst nachdem ich sie bezüglich meiner teilnehmenden Beobachtung ansprach, bekam ich eine sehr überraschende Reaktion: Fast alle von ihnen meinten, sie würden das für »unnötig« halten, hätten aber »im Prinzip« nichts dagegen. Die meisten von ihnen waren während der ersten Stunden sehr zurückhaltend und kontrollierten ihren Lehrstil sehr präzise. Erst nach zwei bis drei Wochen konnte man merken, dass ich für sie fast unsichtbar geworden war und dass sie sich nicht mehr bedroht fühlten. Ich entschied mich von vorneherein für die aktive Rolle als Ethnographin, da ich in der Klasse einen sehr guten Kontakt und Akzeptanz seitens der Schüler gewinnen konnte. »Observer as participant« (Gold 1958) bzw. »teilnehmende Ethnographin« war meine zentrale Positionierung, die zu sehr regem Austausch mit den Schülern führte. Die Teilnahme an dem Alltagsgeschehen fungierte ebenfalls als Beziehungsindikator zwischen der Lehrerschaft und mir sowie in meiner Kommunikation mit den Schülern. Im Unterricht konnte ich den Schülern ab und zu helfen und kam den Lehren zu Hilfe bzw. half den Schülern im Fach Englisch. Ende der vierten Woche erreichte meine Beobachtung den »Gewöhnungseffekt« (Quasthoff 2002: 84), indem die Lehrerschaft sowie die Klasse mich als Bestandteil des Klassenzimmers betrachteten. In dieser Phase wurden keine Tonaufnahmen durchgeführt.
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Die Einführung der Tonaufnahmegeräte löste großen Widerstand aus. Die meisten Lehrer verbaten, Tonaufnahmen während ihres Unterrichts zu machen. Das Tonaufnahmegerät wurde als irritierend und störend bezeichnet. Die letzte komplizierte Etappe, die es zu meistern galt, war die Erlaubnis der Eltern. Sie mussten eine Einverständniserklärung für die Einladung ihrer Kinder zum Interview sowie für die Tonaufnahmen von ihren Kindern unterschreiben. Ausnahmen waren zwei Schülerinnen, die zu einer geschlossenen religiösen Gruppe gehören. Ihre Eltern haben keine Erlaubnis für meine Tonaufnahmen gegeben. Aus dem Grund waren meine Tonaufnahmegeräte nur dort platziert, wo die zwei Mädchen nicht zu hören waren. Anzumerken ist jedoch, dass die zwei Mädchen russischer Abstammung sind und aus Kasachstan kommen. Beide Mädchen haben mir aus eigener Initiative und mit viel Neugier verschiedene Fragen gestellt haben (woher ich komme, wie das Leben in Kasachstan ist etc.). Von sich selbst erzählten sie auch relativ viel. Die Dokumentierung ihrer Äußerungen wurde jedoch seitens der Eltern »streng verboten«. Den Schülern im Klassenzimmer wurde gesagt, dass ihre Stimmen mittels eines Geräts aufgenommen werden und dass ich Interviews mit ihnen durchführen möchte. Dieser Faktor hat sie sehr begeistert und war entscheidend, um die Erlaubnis von ihren Eltern zu bekommen. Die Kinder überzeugten die Eltern selbst, indem sie ihnen klarmachten, dass die Tonaufnahmen notwendig sind. Die Begeisterung, ein Forschungsobjekt zu sein (also ein »InterviewStar« zu sein), half mir während der gesamten Forschung. Die Schüler hatten eine aktive spielerische Einstellung zu der Studie und kooperierten deswegen sehr aktiv und mit Freude. Die letzte Etappe war der Zugang zu den Schülern und die Gewinnung ihres Vertrauens sowie die »Erzeugung der Kreditwürdigkeit« unter ihnen. In meinen ersten Wochen der Beobachtung machte ich einen großen methodischen Fehler: Ich wurde während der Pausen von den LehrerInnen in das Lehrerzimmer eingeladen. Die Schüler beobachteten, wie ich mich mit ihren LehrerInnen freundlich unterhielt und im Lehrerzimmer saß. Dementsprechend bekam ich in den ersten Wochen keinen privaten Zugang zu der Klasse. Ich wurde der Gruppe des Lehrpersonals zugeordnet und bekam deswegen zunächst kein Vertrauen seitens der Schüler. Nach kurzer Analyse änderte ich meine Position im Feld und verbrachte seit diesem Tag jede Sekunde mit der Klasse auf dem Schulhof. Zusammengefasst erwies sich der Zugang zum Feld »Schule« als sehr problematisch. Erschwert durch die Formalitäten sowie die persönlichen Einstellungen der Lehrerschaft und der Eltern, ist der Zugang zu den Daten und den Schülern eine Kommunikationsherausforderung. Die Erhebung von »festen« Daten wie Tonaufnahmen stieß auf großen Widerstand, was bei mir eine noch intensivere wissenschaftliche Neugier erzeugte.
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3.6.2 Ablauf der Feldarbeit Die Beobachtung und das Aufzeichnen von Tonaufnahmen startete im März 2011 und endete im November 2011, d.h., sie umfasst 7 Monate (ohne Schulferien). In diesem Zeitraum besuchte ich drei unterschiedliche Klassen: eine achte Realschulklasse, eine achte Hauptschulklasse und eine siebte Hauptschulklasse, sodass ich einen Überblick über die 7. und 8. Stufe der Hauptund Realschule bekommen konnte. In der vorliegenden Arbeit wird lediglich die Kommunikation aus der Hauptklasse H7 untersucht und analysiert, da ich dort den längsten Aufenthalt hatte und Interaktionen aufzeichnete. Während der intensiven Feldarbeit in der H7 nahm ich an jeweils vier3 Tagen pro Woche an allen Unterrichtsstunden teil. Während der Beobachtung in der Klasse H7 führte ich ein Feldjournal, in dem ich meine kurzen Protokolle verschriftlichte. Meine Beobachtung führte ich sowohl im Unterricht als auch in den Hofpausen durch. Die institutionelle Kommunikation im Unterricht und die informelle Kommunikation auf dem Hof sind sehr unterschiedlich (Vokabular, Umgangsformen, Adressformen). Im Unterricht wurden mehrere Klassenbesprechungen/Konversationen mithilfe digitaler Tonaufnahmegeräte aufgenommen, die in den unterschiedlichen Ecken des Klassenzimmers deponiert wurden. Die Unterrichtstonaufnahmen habe ich durch Gruppenbesprechungen (á 2 bis 3 Schüler) erweitert. Insgesamt besuchte ich ca. 224 Unterrichtseinheiten. In den Pausen nutzte ich die Möglichkeit, die SchülerInnen über die Geschehnisse im Unterricht bzw. außerhalb des Unterrichts zu befragen (Nachbesprechungen). Die gesammelten Hintergrundinformationen (Eltern und ihre Herkunft, Traditionen in der Familie, Sprachen in der Familie, Haushaltssituation etc.) erweiterten mein Wissen über fast jeden Schüler der Klasse und dienten zum Teil als ethnographisches Wissen für die Interpretation bei der Gesprächsanalyse.
3.6.3 Er worbene Materialien Die folgenden Materialien wurden während der Feldarbeit erworben: über 100 Stunden in-class Tonaufnahmen4, ausgefüllte Fragebögen zum Thema »Herkunft und Sprache«, ein 66-seitiges Feldjournal mit Protokollen, 3 Gruppennachbesprechungen (2 bis 3 SchülerInnen, circa 4,5 Stunden), Screenshots aus Facebook, erworben durch die Mitgliedschaft in der Klassen-Facebook-Gruppe.
3 | Mit seltenen Ausnahmen. 4 | Diese wurden entsprechend der GAT-2 Konventionen transkribiert (Selting at al. 2009).
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Die Tonaufnahmegeräte wurden an verschiedenen Tagen an unterschiedlichen Orten platziert. Während des Unterrichts lagen sie auf den Tischen der SchülerInnen. In den Pausen durften die SchülerInnen sie auf den Hof mitnehmen. Für die Untersuchung wurden zwei Geräte verwendet: Eines lag immer in der ersten Reihe, um die Rede des Lehrers aufzunehmen und den ganzen Unterrichtsablauf zu verfolgen; das zweite Gerät lag in der mittleren Reihe, sodass die Kommunikation zwischen den SchülerInnen aufgenommen werden konnte. Es ist wichtig zu erwähnen, dass man auf diesen zwei Geräten unterschiedliche Tonaufnahmen erhält. Das Gerät, das in der ersten Reihe lag, ermöglichte das Nachvollziehen der Unterrichtsstruktur. Das zweite Gerät lieferte die Zwischenkommunikation der Schüler sowie ihre Partizipation an den Klassendiskussionen. Die Möglichkeit, das Gerät eingenständig von den Schülern tagsüber aufzubewahren, wurde von eben diesen als Spiel wahrgenommen, was ihnen besondere Freude bereitete – so die Aussagen der Schüler. Als Beobachterin wählte ich einen Platz in der letzten Tischreihe, sodass ich eine gute Übersicht über das Geschehen im Unterricht bekam und für die Lehrpersonen trotzdem als Mitglied der Klasse wahrgenommen werden konnte. Das erleichterte meine Integration in die Klasse innerhalb der ersten Tage und förderte den »Gewöhnungseffekt«. In den Pausen ging ich gemeinsam mit den SchülerInnen auf den Hof und blieb mit ihnen während der Pausenzeit draußen. Dort spielten wir gemeinsam Tischtennis (s.u.), tranken unsere Getränke und besprachen das Alltagsgeschehen.
3.6.4 Integration in die Gruppe: Persönlicher Einsatz Eine sehr wichtige Rolle im Prozess des Kontaktauf baus mit der Klasse spielte Facebook. Das moderne soziale Netzwerk verband den größten Teil der Klasse mit mir. Innerhalb von ein paar Stunden war ich mit jedem zweiten Schüler der Klasse befreundet. Es wurden Videos, Bilder, Fotos und Kommentare geteilt, »geliked« und kommentiert. Innerhalb von wenigen Tagen wurde ich in die geschlossene Klassengruppe eingeladen, in der man über die Schule, den Schulalltag sowie übereinander und über die Lehrpersonen aktiv diskutiert. Auf dem Schulhof besprachen wir unsere Facebook-»Posts« und die geteilten Videos. Über diese Facebook-Aktivitäten wurde ich schnell zum Insider. Eine kurze Bemerkung möchte ich jedoch über individuelle Faktoren machen, die den Prozess meiner Eingliederung in die Gruppe ermöglicht haben. Das Alter und das Aussehen der Ethnographin hatte auf diesem speziellen Feld eine immense Bedeutung: Ich kleidete mich so wie die Schüler und blieb dadurch für sie und für die Lehrer unauffällig. Auch wenn das unwichtig zu sein scheint, spielten meine Körpergröße (1,65) und mein Kleidungsstil eine immense Rolle: Meine »Unsichtbarkeit« brachte mich auf die Kommunikationsebene der Schüler. All diese Alltagsfaktoren, die an sich wenig wissenschaftli-
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che Begründung zu haben scheinen, haben den Prozess meiner Eingliederung in die Gruppe deutlich beschleunigt und erleichtert. Sehr schnell wurde ich als Insiderin wahrgenommen: Mit mir wurde über die LehrerInnen, über private Liebes- und Freundschaftsbeziehungen sowie über Familienprozesse gesprochen. Ein sehr wichtiger Faktor beim Eingliederungsprozess war meine eigene Herkunft als Ausländerin. Die SchülerInnen stellten sehr schnell fest, dass ich nicht deutscher Herkunft bin und eine andere Muttersprache als Deutsch habe. Wie die meisten SchülerInnen, die auch einen Migrationshintergrund haben, teilte ich mit ihnen eine »gemeinsame« Mentalität des Nicht-Deutschseins und mir wurde attribuiert »Bescheid zu wissen«, wie man als Ausländer in Deutschland lebt. Mit vier anderen Schülern könnte ich in den Pausen sogar Russisch sprechen, was das Vertrauen der Gruppe mir gegenüber ebenfalls erhöht hat. Unterschiedliche Sprachen sprechen zu können gilt in der Gruppe nicht nur als selbstverständlich, sondern ist ein Zeichen von Coolness (siehe 5.1.1). Um an dem Gruppenleben teilnehmen zu können, ist es fast eine Voraussetzung, eine »exotische« Sprache zu sprechen. Als Zeichen der Gruppenzugehörigkeit und Akzeptanz genoss ich ein gewisses »Protektorat« durch die Schüler gegenüber den Schülern anderer Klassen. An dieser Stelle müssen ethische Fragen geklärt werden: Durch die Teilnahme am Klassenalltag wurde ich Zeugin einiger Praktiken, die nicht im Fokus der Studie stehen. Private Geschichten der Lehrer sowie der Schüler, organisierte Schlägereien der Schüler außerhalb des Unterrichts, Gewaltauseinandersetzungen im schulischen bzw. außerschulischen Raum, die Haushaltssituation der einzelnen Familien sowie das Abschreiben bei den Klausuren betrachte ich als vertraulich.
3.6.5 Die Rolle von Facebook Wie bereits oben beschrieben, spielte Facebook in der ersten Phase der Forschung eine wichtige Rolle. Von dem Moment an, als ich die meisten SchülerInnen als Facebook-Freunde hatte, konnte ich ihr Vertrauen und ihre Sympathie schneller gewinnen. Nach ein paar Tagen wurde ich von den SchülerInnen in eine interne geschlossene Facebook-Gruppe der Klasse eingeladen. In dieser Gruppe werden die Schule, die Lehrerschaft sowie andere Schulalltagsprozesse hemmungslos und zensurlos besprochen. Aus den SchülerInnenmeinungen und Kommentaren, die auf dieser Seite gepostet wurden, konnte ich die Eindrücke und Einstellungen der Gruppe besser beobachten, registrieren und nachvollziehen. Wenn die Klasse z.B. einen Konflikt im Unterricht erlebte, konnte ich dazu schon am gleichen Abend mehrere Meinungen der MitschülerInnen auf Facebook lesen.
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Zusätzlich wurden die meisten Einstellungen der SchülerInnen gegenüber ihren Lehrpersonen auf deren Seite veröffentlicht. Herr Müller steht im Fokus der Diskussion und wird häufig in negativen Kontexten besprochen. Auch die zwei neuen Lehrer werden auf der Seite detailliert kritisiert. Der Zugang zu dieser Gruppe, meine Beobachtung der Posts und Kommentare in dieser geschlossenen Community waren Zeichen des Vertrauens der SchülerInnen mir gegenüber. Eine Facebook-Seite zu haben, wird außerdem als »cool« angesehen und nivelliert dadurch teilweise den Altersunterschied, so die Aussagen der Schüler. Ein anderer wichtiger Aspekt meines Kontakts mit den SchülerInnen über Facebook war die Möglichkeit, ihre Privatsphäre und zum Teil auch ihre Identitätsarbeit online zu beobachten: Ruslan und Sasha posten jede Woche russische Videos auf ihren Seiten. Aslan und Kayrat veröffentlichen Bilder aus ihrem türkischen Sportverein und mehrere Videos auf Türkisch. Bilder, Songs, Links zu verschiedenen Nachrichten über ihre Herkunftsländer – diese Identitätsarbeit findet auf Facebook ununterbrochen statt. Viele Kommentare werden auf Türkisch oder Russisch, aber auch auf Urdu publiziert. Mehrsprachige Kommentare sind ebenfalls nicht selten. Auf Facebook finden vielseitige Identitätsprozesse statt, die durch Besonderheiten der Jugendsprache und der Mehrsprachigkeit gekennzeichnet sind. Letztendlich ist Facebook ein perfektes Werkzeug für die kontinuierliche Beobachtung einer Gruppe nach der Begegnung im offiziellen Kontext, da man das weitere Leben der Schüler weiterhin mitverfolgen kann. Auch für die Phase der Transkriptionsanalyse war dieses Werkzeug sehr hilfreich – falls ich eine Sequenz schlecht oder unvollständig verstanden habe (z.B. InsiderWitze oder türkische Ausdrücke), konnte ich mich immer fragend an meine SchülerInnen wenden. Zusammengefasst spielte Facebook eine wichtige Rolle im Prozess des Kontaktauf baus mit meinen »Forschungsobjekten«. Auch viele zusätzliche Informationen wären nicht enthüllt worden bzw. unklar geblieben, wenn dieses Werkzeug nicht zur Verfügung gestanden hätte (zur ausführlicheren Darstellung der Facebook-Community siehe Kapitel 9).
3.7 Ü berblick : S pr achen und E thnizitäten in der K l asse Für den Einstig in das sprachliche Milieu der Klasse präsentiere ich zunächst eine kurze Zusammenfassung der Soziologie der Klasse mit dem Fokus auf den Sprachen und Ethnizitäten der Gruppe. Die Klasse hat 24 SchülerInnen im Alter zwischen 12 und 14 Jahren und besteht zu einem Drittel aus Mädchen und zu zwei Dritteln aus Jungen. Die Hauptschulklasse H7 ist eine multiethnische Klasse. Für die Soziologie der Gruppe füllten die SchülerInnen den Fragebogen »Herkunft und
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Sprache« aus (siehe Anhang 1). In dem Fragebogen teilten die SchülerInnen mit, dass ihre Eltern oder sie selbst die folgenden Länder als Herkunftsländer haben: Afghanistan, Angola, Deutschland, Griechenland, Italien, Kasachstan, Kurdistan, Marokko, Pakistan, Polen, Russland, Spanien, Türkei und die USA. Nur ein Schüler (Ruslan) wurde nicht in Deutschland, sondern in Russland geboren. Alle anderen sind in Deutschland geboren und wohnen somit bereits ihr ganzes Leben hier. Zu der Frage, was die SchülerInnen als ihre »gefühlte Heimat« empfinden, haben nur 7 der 24 »Deutschland« angegeben, die anderen bezeichneten das »Herkunftsland ihrer Eltern« als die »gefühlte Heimat«. Diese Statistik, nach der die gefühlte Heimat nicht Deutschland ist, wird in den meisten Interaktionen in der Klasse bestätigt: Viele SchülerInnen kultivieren ihre ausländische Herkunft und spielen mit dieser Identität in vielen Situationen des schulischen Alltags. Zusätzlich zu der Multiethnizität in der Klasse bestätigte der Fragebogen ebenfalls die Mehrsprachigkeit der Gruppe. Aus der Beobachtung im Unterricht und in den Pausen ließen sich Türkisch, Russisch, Spanisch und Urdu – neben Englisch und Deutsch – als zusätzliche Sprachen in der zwischenpersönlichen Interaktion erkennen. Diverse Situationen im und außerhalb des Unterrichts demonstrierten multilinguale Kompetenzen der SchülerInnen nicht nur in der eigenen Muttersprache, sondern auch in den Sprachen ihrer MitschülerInnen. Beispielsweise existiert ein bestimmtes Repertoire an Schimpfwörtern auf Russisch und Türkisch, das nicht nur von den Russen und Türken verwendet wird, sondern auch von SchülerInnen anderer Sprachgruppen (Afghanen, Deutsche, Armenier). Laut Fragebogen sprechen die SchülerInnen zusätzlich zu Deutsch und Englisch noch Afghanisch, Berberisch (Arabisch), Kurdisch, Marokkanisch, Pakistanisch (Urdu), Polnisch, Russisch, Spanisch und Türkisch. Nicht nur die Klasse enthält mehrere Ethnien und Sprachen, sondern auch viele der Familien der SchülerInnen sind multiethnisch und mehrsprachig: Viele Eltern stammen aus dem Ausland und haben einen Partner/Ehepartner aus einem anderen Land. Viele SchülerInnen sprechen mehr als eine Fremdsprache: So hat zum Beispiel die Schülerin Ella einen marokkanischen Vater und eine spanische Mutter; daher kann sie Spanisch sprechen und auch vieles auf Arabisch verstehen. Außerdem lebte sie zusammen mit einem Französisch sprechenden Stiefvater und lernte dadurch vieles auf Französisch. Auf diese Weise erleben viele der Schüler die Mehrsprachigkeit als Alltag und nehmen ihre Sprachkenntnisse als Normalität wahr.
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3.8 U mgang mit M ehrspr achigkeit in der S chule Die Angaben, die die SchülerInnen selbst in dem Fragebogen machten, repräsentieren das linguistische Spektrum, in dem ihr Alltag zu Hause abläuft. Außer diesen direkten Angaben muss noch einiges an dem Aspekt »Mehrsprachigkeit« detaillierter unter die Lupe genommen werden, nämlich die Frage der gelebten Mehrsprachigkeit in der Schule. Wie mehrere Sprachen auf einem Schulhof und im Unterricht koexistieren und interagieren, wird hier kurz beschrieben. Am auffälligsten sind einige kleinere Cliquen, die die gleiche Ethnizität oder das gleiche Herkunftsland haben. Zum Beispiel gibt es eine Gruppe afrikanischer SchülerInnen, die in den Pausen zusammenbleibt und eine Mischung aus mehreren Sprachen (Portugiesisch, Deutsch, Französisch, Englisch) spricht. Eine andere sprachliche Gruppe machen Russisch sprechende SchülerInnen aus. Aus unterschiedlichen Herkunftsländern (Kasachstan, Russland, Ukraine) kommend, teilen sie ihre gemeinsame (Mutter-)Sprache. Auf Russisch wird hauptsächlich untereinander in den Pausen gesprochen. Viele russische Schimpfwörter sind häufig auf dem Schulhof zu hören. Im Unterricht wird die russische Sprache für Geheiminformationen in der Nebenkommunikation verwendet: Lästern, nach Kaugummi fragen, Lehrer und Schüler kritisieren etc. Russisch sprechen gilt in der Klasse als cool und gefährlich (»kriminell«). Dieses Image entwickelte sich aus dem Verhalten von Sasha, der als der »Obercoolste« in der Klasse gilt (mehr dazu in den folgenden Kapiteln). Eine andere große sprachliche Gruppe machen die türkischen SchülerInnen aus. Ähnlich wie bei den Russen wird häufig auf Türkisch geschimpft. Auch die Nebenkommunikation mit den Freunden im Unterricht und in den Pausen findet häufig auf Türkisch statt. Russen und Türken dominieren in der Kommunikation in der Klasse: Sie werden häufig gefragt, äußern sich oft und gerne und nehmen an den Diskussionen fast immer teil. Wie schon erwähnt, existiert in der Klasse ein bestimmtes »Vulgärrepertoire«, das viele russische und türkische Schimpfwörter enthält. Auch die SchülerInnen anderer Sprachgruppen verwenden dieses Repertoire in den Klassendiskussionen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die SchülerInnen der untersuchten Klasse in einem reichen multilingualen Milieu leben, in dem sich mindestens drei Sprachen täglich treffen: Deutsch, Englisch und die eigene Muttersprache, die zu Hause oder in der Schule gesprochen/gehört/verstanden wird. Der institutionelle Umgang mit diesem »Reichtum« ist jedoch überraschend: Die SchülerInnen berichten, dass die Lehrer ihnen streng verbieten, ihre Muttersprachen in der Schule zu sprechen. Die Argumentation besteht laut Aussagen der Schüler darin, dass man in der Schule nur Deutsch reden soll, da man sich in Deutschland befindet. Als Bekräftigung dieser Argumentation wurden Russland und die Türkei genannt, in deren Schulen man nur Russisch bzw.
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Türkisch spricht und keine anderen Sprachen. Als ganz wichtig erwies sich, im Unterricht nur Deutsch zu reden. Das bestätigen Beispiele der »gegenseitigen Kontrolle« im Unterricht ebenfalls: Es wird selbst von den Schülern betont, dass man im Unterricht Deutsch sprechen soll. Was man in den Pausen unter sich spricht, wird kaum kontrolliert, jedoch registriert: Die Lehrer und viele Schüler wissen Bescheid, dass manche der türkischen Schüler in den Pausen Türkisch miteinander sprechen. Außerdem berichten die Schüler über Sanktionen gegen die fremden »Muttersprachler«: Die Strafe dafür, beim Sprechen der eigenen Muttersprache in der Schule durch eine Lehrperson erwischt zu werden, besteht darin, die Schulordnung, die aus mehreren Seiten besteht, abschreiben zu müssen. Diese Prozedur wurde laut Aussagen der SchülerInnen in der Klasse schon mindestens zweimal durchgeführt.
3.9 E thnogr aphische P ortr äts 3.9.1 Porträts der Lehrpersonen An dieser Stelle werden die Lehrpersonen, die in dieser Arbeit in den Transkriptionen und Episoden auftreten, kurz skizziert. Außerdem stelle ich die Beziehung der SchülerInnen zu jedem Lehrer/jeder Lehrerin dar. Dies dient der besseren Verständlichkeit des Verhaltens in den dargestellten Interaktionen sowie der allgemeinen Interpretation der Sequenzen. Herr Müller (ungefähr 57 Jahre alt) arbeitet seit zwei Jahren als Klassenlehrer in dieser Klasse. Er unterrichtet überwiegend naturwissenschaftliche Fächer: Mathematik, Physik, Chemie, Arbeitslehre, Biologie und auch Sport. Außer Chemie und Sport finden alle dieser Fächer im Klassenraum statt. Mit dem Klassenlehrer verbringen sie die meiste Zeit, da Mathematik und Chemie am häufigsten auf dem Stundenplan zu finden sind. Herr Müller gilt in der Klasse als sehr direkter, ironischer, disziplinierter und strikter Lehrer. Die meisten SchülerInnen haben gemischte Gefühle in Bezug auf seine Person: Manche finden ihn unpassend ironisch bis diskriminierend und rassistisch, die anderen schätzen seine Fähigkeit, Disziplin in der Klasse zu schaffen sowie seinen Humor und empfinden ihn als einen sympathischen Lehrer, mit dem man »Spaß haben kann«. Herr Müller hat als Klassenlehrer direkten Kontakt zu allen Eltern der Klasse, was ihm die Möglichkeit gibt, die SchülerInnen damit ab und zu zu disziplinieren. Er telefoniert oft mit den Eltern oder kontaktiert sie auf eine andere Weise (Post, E-Mail, Schulpost, Hausbesuche). Durch diesen engen Kontakt zu den Eltern schafft er eine sehr strenge Disziplin, die für diese Klasse nicht charakteristisch ist – was man in den Stunden der anderen Lehrer erkennen kann. Innerhalb der Schüler-Lehrer-Beziehung be-
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steht wenig Vertrauen. Über viele Prozesse/Konflikte erzählen sie dem Lehrer nichts. Oft spricht der Klassenlehrer individuelle familiäre Verhältnisse seiner Schüler (»deine Eltern sprechen kein Deutsch«, »ich rufe das Sozialamt an«, »ich habe deine Eltern noch nie gesehen«) im Unterricht an. Auch die Leistungen der Schüler werden nicht selten vor der ganzen Klasse besprochen. Die Beurteilung seiner Persönlichkeit fällt unterschiedlich aus: Auf der einen Seite schätzen viele Schüler seinen Humor und seine strenge Art, die sie für »notwendig in dieser Klasse« halten, auf der anderen Seite fühlen sich manche häufig beleidigt. Frau Wagner (ungefähr 58 Jahre alt) ist Deutschlehrerin. Sie unterrichtet ebenfalls seit zwei Jahren in dieser Klasse. Sie arbeitet »Hand in Hand« mit Herrn Müller, so die Aussage Herrn Müllers. Frau Wagner und Herr Müller teilen ähnliche Ansichten über Disziplin und zum Teil über den Unterrichtsstil. Frau Wagner unterrichtet genauso wie Herr Müller viele Stunden in der Klasse und ist aus diesem Grunde die zweitwichtigste Lehrperson der Klasse. Deutsch ist häufig Zentralthema der Klassendiskussion; deshalb ist die Stunde von Frau Wagner für diese Forschungsarbeit von großer Bedeutung. Außerdem ist Deutsch eines der Prüfungsfächer am Ende des Schuljahres. Frau Wagner ist »streng, aber fair« – so bezeichnen sie die meisten Schüler. Deutsch als Fach wird kaum gemocht. Die Lehrerin demonstriert klare Sympathien in der Klasse: Ruslan und Aslan sind die beliebtesten Schüler. Frau Wagner schenkt den beiden sehr viel Aufmerksamkeit. Die beiden nutzen das aus, indem sie über Frau Wagners »unlustige/uncoole Witze« immer laut mitlachen und ihr immer mit Technik und anderen organisatorischen Fragen helfen, um als Gegenleistung gute Noten und persönliche Sympathie von ihr zu bekommen, wie die Nachbesprechung mit Aslan und Ruslan ergeben hat. Frau Gallee (ungefähr 45 Jahre alt) ist Ethiklehrerin. Sie ist relativ streng und sorgt ebenfalls oft für Disziplin während der Stunde. Außerdem legt sie sehr großen Wert auf formelle Disziplin: d.h. keine Kaugummis, keine Cola, kein Aufstehen ohne Erlaubnis etc.
3.9.2 Porträts der Schüler Im Folgenden werden kurze Porträts der zentralen SchülerInnen aus der untersuchten Hauptschulklasse präsentiert. Dieser Teil der Ethnographie dient dem besseren Verständnis des Verlaufs innerhalb der analysierten Interaktionen sowie der intensiveren Personifizierung der Sequenzen. 7 der 25 SchülerInnen wurden aufgrund ihrer Erscheinungsfrequenz und der Signifikanz in den Sequenzen ausgewählt. Aslan, Fahrid, Kayrat, Ruslan, Sasha, Ella und Alice sind am häufigsten an den Gesprächen beteiligt und besitzen die höchste Visibilität in der Klasse. Sie sind außerdem am »auffälligsten« unter allen anderen SchülerInnen, da sie alle »ausländischer Herkunft« sind und deutliche »aus-
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ländische Merkmale« im Aussehen aufweisen: dunkle Haare, dunkle Augen oder dunkle Haut. Alle Schüler sind zwischen 12 und 14 Jahren alt. Aslan ist türkischer Herkunft. Er wird in der Klasse häufig als »dumm« dargestellt. Seine Persönlichkeit ist jedoch sehr fröhlich und sympathisch, was ihn zum beliebtesten Schüler der Klasse macht. Aslan hat ein sehr gutes Gefühl für Humor und ist immer hilfsbereit. Außerdem erfüllt er die Rolle des Klassenclowns, über den oft gelacht wird. Aslan spielt in der Fußballmannschaft der Schule und interessiert sich für Fußball im Allgemeinen. Sein Traum ist, ein erfolgreicher Fußballer zu werden. Zusätzlich trainiert er regelmäßig in einem lokalen türkischen Box-Club. Kayrat und Ruslan sind seine besten Freunde in der Klasse. Aslan spricht fließend Türkisch und fährt regelmäßig mit seiner Familie in die Türkei in den Urlaub. Fahrid ist pakistanischer Herkunft. Sein Image ist das eines »fetten, langsamen und dummen« Pakistaners. Er ist deutlich übergewichtig, was oft zum Frotzelthema wird. Fahrid wird in seinem Agieren und seinen Reaktionen als langsam bezeichnet. Außerdem hat er häufig Schwierigkeiten, den Humor in der Klasse nachzuvollziehen, weswegen er oft von den Lehrpersonen und den SchülerInnen ausgelacht wird. Fahrids Eltern kommen aus Pakistan und sprechen kaum Deutsch. Deswegen kommen sie selten zu den Elternabenden und kommunizieren mit dem Klassenlehrer nur mit großen Schwierigkeiten. Im privaten Gespräch gibt Fahrid an, dass er sich deswegen sehr schämt. Fahrid ging früher in die Realschule, wurde aber im letzten Jahr auf die Hauptschule verwiesen. Er hat sehr gute Englischkenntnisse sowie viel Spaß am Englischlernen. Er ist sehr fleißig und fertigt seine Hausaufgaben immer an. Er hat keine besten Freunde in der Klasse, wird jedoch situativ in die Gruppenarbeit aufgenommen. Er besucht wöchentlich eine Islam-Schule, was er keinem seiner Klassenkameraden oder dem Klassenlehrer erzählt. Als Grund dafür gibt er die Befürchtung an, dass diese Information zum Frotzelthema werden könnte und sein Image in der Klasse noch intensiver beschädigen könnte. Zu Hause spricht er mit der Familie Urdu. Die Familie pflegt Beziehungen zu der restlichen Familie in Pakistan und fährt in den Ferien regelmäßig dorthin. Kayrat ist türkischer Herkunft. Seine Familie kommt aus derselben Stadt der Türkei wie Aslans Familie, was ihre enge Freundschaft sehr beeinflusst. Kayrat ist ebenso wie Aslan extrovertiert, wird jedoch auch für »dumm« gehalten. Er hat in den meisten Fächern schlechte Noten und muss häufig nachsitzen. Kayrat und Aslan sprechen in den Pausen und als Nebenkommunikation im Unterricht häufig Türkisch. Ruslan ist russischer Herkunft. Er ist der einzige Schüler in der Klasse, der nicht in Deutschland, sondern in Russland geboren wurde. Er kam mit zwei Jahren nach Deutschland und ist hier groß geworden. Ruslan ist gemeinsam mit Ella Klassensprecher. Er hat in der Klasse sowie unter Lehrpersonen ein sehr positives Image. Ruslan ist fleißig, verantwortungsvoll, respektvoll,
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hilfsbereit und humorvoll. Von den Lehrpersonen und von der Klasse wird er sehr geschätzt. Obwohl er das Vertrauen vieler LehrerInnen genießt, bleibt er immer ein treues Mitglied der Klasse und ist nie ein »Verräter«. Er engagiert sich gern und nimmt oft an verschiedenen extra-curricularen Aktivitäten teil. Seine Herkunft ist ihm sehr wichtig, was er explizit im Alltag präsentiert: Er trägt beispielsweise häufig ein T-Shirt, auf dem seine russische Heimatstadt dargestellt ist. Ruslan spricht Russisch und fährt in den Ferien regelmäßig nach Russland. Sasha ist ebenfalls russischer Herkunft. Er gilt als der »coolste« und der »frechste Typ« der Klasse. Sasha verbrachte nur ein Jahr in dieser Klasse. Dann wurde er von der Schule verwiesen und musste in eine andere Hauptschule gehen, von der im Klassenraum immer als »Sonderschule« gesprochen wurde. Sasha hat einen sehr gemeinen Humor: Er macht häufig rassistische und sexistische Witze über andere SchülerInnen und Lehrpersonen. Sasha hat den Status eines »coolen« Schülers, der keine Grenzen und Autoritäten anerkennt. Viele seine Mitschüler mögen ihn und bezeichnen ihn als intelligent. Sasha hat in den meisten Fächern gute Noten. Zum Beispiel ist er in Mathematik der Beste in der Klasse. Sein größtes Problem ist sein asoziales Verhalten. Sasha zeigt den anderen gegenüber keinen Respekt und ist sehr laut im Unterricht. Beleidigungen und »Deine Mutter«- Witze sind ebenfalls Teil seines Repertoires. Er spricht fließend Russisch. Besonders häufig setzt er Russisch in den Interaktionen mit den anderen russischen Schülern (und auch mit mir) ein. In den meisten Fällen sind das »Geheimnisinformationen« als Nebenkommunikation im Unterricht oder russische Schimpfwörter, die außer ihm und noch ein paar Leuten keiner versteht. Seine russische Identität ist in den meisten Interaktionen in der Schule deutlich präsent. In den meisten Stunden – außer in denen des Klassenlehrers – hat er Disziplinarprobleme. Viele Lehrpersonen haben sich über sein Verhalten beim Schulleiter beschwert, was dazu führte, dass er die Schule Ende des Jahres verlassen musste. Mit den Eltern spricht er zu Hause Russisch. Ella ist arabisch-marokkanisch-spanischer Herkunft. Ihre spanische Mutter heiratete einen Marokkaner. Ella ist etwas übergewichtig, weswegen sie manchmal von den Klassenkameraden gehänselt wird. Auch der Klassenlehrer erlaubt sich Kommentare über ihre Figur. Ella ist neben Ruslan zweite Klassensprecherin. Sie gilt als sehr verantwortungsvolles, nettes, hilfsbereites Mädchen. Sie organisiert gerne schulische und außerschulische Aktivitäten und ist im Allgemeinen sehr sozial engagiert. Als beste Schulfreundin hat sie Alice. Ella spricht Arabisch und Spanisch. Zu Hause wird eine Mischung aus Französisch (der zweite Mann ihrer Mutter sprach Französisch), Berberisch, Arabisch, Spanisch und Deutsch gesprochen. Die Eltern haben eine enge Beziehung zu Spanien und Marokko und fliegen häufig in den Ferien dorthin.
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Sie bekommen oft Besuch von den Großeltern oder Tanten beider Seiten der Eltern, wodurch sich Ella in ständiger Sprachenabwechslung befindet. Alice ist angolanischer Herkunft und ist damit die einzige schwarze (dunkelhäutige) Schülerin in der Klasse. Gemeinsam mit Ella engagiert sie sich bei diversen schulischen Aktivitäten. Sie hat mittelmäßige Noten und ist Mitglied einer »afrikanischen« Gruppe in der Schule: Alice, mehrere ihrer Schwestern und auch andere »afrikanische« SchülerInnen bleiben in den Pausen auf dem Schulhof häufig unter sich. Fast immer ist Ella auch Mitglied dieser Gruppe, die sich »braune Schülerinnen« nennt. Dabei beziehen sich die Schülerinnen auf ihre Hautfarbe und nicht auf eine politische Einstellung. Zu Hause spricht Alice Portugiesisch und einen angolanischen Dialekt. Wie man schnell erkennt, ist der Alltag der Schüler höchst interkulturell und mehrsprachig. Die Bereitschaft, sich immer anzupassen – kulturell sowie sprachlich –, ist eine Schlüsselvoraussetzung in den Prozessen der Kontaktaufnahme sowie für das Überleben im schulischen und privaten Alltag.
3.10 U nterrichtsgestaltung Wie in jeder Institution ist der Arbeitsablauf in der Schule strukturell definiert. Einen Teil meiner Aufmerksamkeit möchte ich an dieser Stelle der Lernatmosphäre in der Klasse widmen. Ein großer Unterschied zwischen einer Realschulklasse und einer Hauptschulklasse liegt in der Lernatmosphäre und dem Umgang mit den SchülerInnen. In der Realschulklasse, in der ich die ersten zwei Wochen verbrachte, herrschten sehr großzügige Disziplinregeln: Die Schüler konnten sich im Raum frei bewegen, während der Stunde kurze, leise Nebenkonversation miteinander führen und das Klassenzimmer unter Angabe eines Grundes problemlos kurz verlassen. Die beobachtete Hauptschulklasse »genießt« eine andere Lernatmosphäre, die klaren Regeln folgt. Am Anfang der Stunde müssen die SchülerInnen ihren Lehrer stehend und in Ruhe mit einem »Gu-ten-Mor-gen-Herr-Müller« begrüßen. Das ist ein deutlicher Kontrast zur Realschulkasse, in der sofort nach dem Klingeln von den Aufgaben und Themen des Unterrichts erzählt wird. Die RealschülerInnen müssen weder aufstehen, noch den Lehrer stehend begrüßen. Auf die Frage an den Klassenlehrer der Realschulklasse R8, warum die SchülerInnen nicht aufstehen, sagte der Lehrer: »Ich verstehe nicht, wozu man das macht. Im weiteren Leben brauchen die Schüler das nicht.« Nach der Begrüßung in der Hauptschulklasse sagt Herr Müller »Setzen« oder »Setzt euch!«. Jeder Schultag fängt mit der Prüfliste an, in der die Namen derjenigen SchülerInnen aufgeschrieben werden, die am Tag davor oder früher ihre Hausaufgaben nicht angefertigt haben. Mit der Anweisung »So, Hausaufgaben raus!« fängt der Alltag der H7 an. Für jede nicht gemachte Haus-
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aufgabe bekommen die SchülerInnen ein paar Seiten Strafarbeit zum Abschreiben. Die Personen, die ihre Strafarbeit am jeweiligen Tag nicht vorzeigen können, bekommen doppelt so viele Seiten zum Abschreiben. Jeden Morgen zeigen die SchülerInnen ihre gemachten Hausaufgaben in allen Fächern zusammen mit der Strafarbeit. Außerdem hat der Lehrer – hauptsächlich nach eigenem Ermessen – die Option, ein paar SchülerInnen nachsitzen zu lassen. Das geschieht normalerweise aus disziplinären Gründen und es wird ebenfalls jeden Tag Gebrauch davon gemacht. Die Nachsitzstunden finden jeweils in der sechsten und siebten Stunde statt. Diese zwei wichtigen Instrumente – Strafarbeiten und Nachsitzen – sind ein wesentlicher Teil des Lehrprozesses in dieser Klasse und bestimmen die Lernstimmung der Schüler. Wenn Herr Müller nach den Hausaufgaben fragt, geht er normalerweise durch die Klasse und schaut sich die Aufgaben an. Manchmal bleibt er an seinem Arbeitsplatz sitzen und fragt die komplette Klasse, ob sie für die heutigen Stunden bereit sind. Die SchülerInnen, die heute ihre Hausaufgaben nicht dabei haben, müssen sich in dieser Runde freiwillig melden. Die, die sich nicht sofort gemeldet haben und es verschwiegen haben, bekommen, nachdem sie erwischt wurden, zusätzliche zehn Seiten zum Abschreiben. Obwohl man den Schülern die Möglichkeit anbietet, sich freiwillig zu melden, spricht Herr Müller einige Personen direkt an: Am häufigsten unterstellt er z.B. Fahrid und Aslan, dass sie nichts gemacht haben und nichts zum Vorzeigen haben. Im Weiteren sorgen folgende Aussagen für Disziplin in der Klasse: Schnauze! und Klappe halten! Außerdem wird in der Klasse immer für gute Manieren gesorgt. Jeder, der im Klassenzimmer gähnt, ohne seinen Mund mit der Hand zugedeckt zu haben, muss vor die Klasse treten und 20 bis 30 Kniebeugen machen. Dabei zählt die ganze Klasse die einzelnen Kniebeugen mit. Besonders peinlich und demütigend ist diese Praxis für solche Schüler wie Fahrid und Alex. Fahrid ist, wie bereits erwähnt, übergewichtig und physisch nicht besonders gut trainiert. Alex ist sehr klein und hat fast keine Kraft dafür. Im Laufe dieser Tortur bekommen diese Schüler noch zusätzliche kritisierende Kommentare seitens der Klasse sowie auch vom Lehrer zu hören. Im Allgemeinen gelten im Unterricht – besonders in der ersten Stunde beim Klassenlehrer – sehr klare (Disziplin-)Regeln. Der Umgang mit den Schülern ist direkt, kurz, konsequent und kompromisslos.
3.11 S piel als gruppenbildende A k tivität Eine wichtige Beobachtung habe ich auf dem Schulhof gemacht: In den Pausen gehen die meisten Schüler (nur die Jungen) auf den Hof, um dort als Gruppe Tischtennis zu spielen. In diesen Momenten agiert die Klasse als Gruppe, die plötzlich sehr homogen wird: Es existieren keine inter-ethnischen Konflikte,
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die im Unterricht normalerweise zu finden sind. Obwohl jeder in diesem Spiel für sich selbst spielt, ist der Gruppengeist deutlich zu erkennen. Die Schüler lächeln einander an, lachen miteinander, helfen einander, den Ball nicht zu verlieren. Türken, Russen, Pakistaner und Deutsche spielen friedvoll Tischtennis, ohne auch nur ansatzweise zu beachten, dass sie doch sehr unterschiedlich sind. In diesen Momenten entwickelt die Stimmung der Gruppe eine sehr positive Dynamik. Gleichzeitig spielen nicht alle SchülerInnen der Klasse mit: Dies passiert aus verschiedenen situativen Gründen – einige reden mit mir, die anderen haben keinen Schläger dabei, weitere haben wiederum keine Lust. Die, die nicht spielen, stehen jedoch trotzdem neben dem Tisch und beobachten ihre Mitschüler mit Begeisterung. Auch wenn sie gerade nicht beim Spielen sind, gehören sie trotzdem, auch räumlich, zu dem spielenden Tisch, der nur von der H7 besetzt wird. Diese Momente des Spiels auf dem Hof sind ein wichtiger Aspekt der Gruppenbildung. Im Tischtennisspiel gibt es keine Nationalitäten oder Sprachen, es gibt keine sichtbaren Unterschiede, die einen aus der Gruppe aussortieren könnten. Selbst der Faktor der körperlichen Größe und Stärke ist in diesem Spiel nahezu unwichtig – selbst der übergewichtige, langsame Fahrid und der sehr kleine Alex spielen jedes Mal gerne und problemlos mit. Das liegt vermutlich daran, dass der Fokus der Schüler auf das Gewinnen, Mithalten und Zusammensein gelegt wird. So, wie die Schüler während des Tischtennisspiels miteinander interagieren, waren sie sonst selten zu sehen. Durch die gemeinsamen Aktivitäten wurde das Gruppenzugehörigkeit erzeugt. Das Ethnographie-Kapitel enthüllt die zentralen Beobachtungen im Laufe der Feldarbeit in der Hauptschulklasse sowie in der Schule im Allgemeinen. Die Darstellung der multiethnischen Umgebung sowie der Mehrsprachigkeit der Schüler ist eine Voraussetzung für das weitere adäquate Verstehen und die Interpretation der ausgewählten Sequenzen. Mit dem erworbenen Wissen über die familiäre Umgebung, die polykulturell und mehrsprachig ist, kann man die Dramatik des Geschehens im Unterricht erst adäquat einschätzen. Die Gewinnung des ethnographischen Wissens sowie der Daten wäre ohne teilnehmende Beobachtung nicht möglich. Der Zugang zu dem Feld der Beobachtung, als wichtiger Bestandteil der Ethnographie selbst, erwies sich als sehr problematisch und zeitaufwendig. Kurze Porträts der Lehrer sowie der Schüler stellen zusätzliche wichtige Informationen über die Sprecher zur Verfügung und veranschaulichen dadurch die in den Transkripten präsentierten Situationen. In den weiteren Kapiteln gehe ich auf die kritischsten Praktiken, die im Laufe der Beobachtung registriert wurden, näher ein.
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R esümee Teil I Teil I bietet einen Einstieg in die Zugehörigkeitsdiskussion im schulischen Kontext Deutschlands unter Berücksichtigung der Migration sowie der damit verbundenen ethnischen und sprachlichen Diversität. Dabei stellen viele erziehungswissenschaftliche sowie soziologische Studien einen engen Zusammenhang von Herkunft und Bildungsmisserfolg fest. Dieser kann durch Mechanismen der institutionellen Diskriminierung sowie durch den immer noch durchgesetzten monolingualen Habitus in den Bildungseinrichtungen wie Schule erklärt werden. Dabei übernimmt eine stark stigmatisierte Schulform – Hauptschule – eine besondere Rolle in dem Aussortierungsverfahren der Schüler mit dem so genannten Migrationshintergrund. Welchem Umgang ethnische und sprachliche Diversität an dieser Schulform ausgesetzt werden, untersuchten deutsche Soziolinguisten bis jetzt noch kaum. Die theoretischen Komponenten der Zugehörigkeit, die für diese Fallstudie zentral ist, sind vielschichtig. Ausgehend von den (sozialen) Mitgliedschaftskategorien (nach Sacks 1992a, b), übergeht die Zugehörigkeitstheoretisierung in das dreigliedrige System von Hausendorf (2000): Hervorbringung, Zuschreibung und Bewertung der Zugehörigkeit. Diese können an der Oberfläche einer Interaktion beobachtet werden. Nebst dieser drei wichtigen Komponenten, betrachtet die Studie unterschiedliche kommunikative Sprechstile als Zugehörigkeitsindizen. Somit übernehmen viele jugendsprachliche Interaktionsmittel – rassistischer Humor, (ethnisierte) Frotzelsequenzen, Ironie, rassistische Anredeformen – eine gruppenspezifische, stilbildende Funktion, die eine Gruppenzusammengehörigkeit kennzeichnen. Um die Frage der Zugehörigkeit im Kontext einer Hauptschule zu untersuchen, arbeitet die ethnographische Fallstudie mit einer Kombinierung unterschiedlicher Methoden. Die durch aktive teilnehmende Beobachtung auf dem Feld gewonnenen Daten werden der ethnographischen Gesprächsanalyse ausgesetzt. Dies erfolgt in Kombination mit ethnographischem Wissen, das in Form von Beobachtungsnotizen festgehalten wurde. In Ergänzung erfolgt die Datenanalyse mit Berücksichtigung des soziolinguistischen Kontextualisierungsverfahren.
Teil II. Zugehörigkeitsherstellung und interaktionale Bearbeitung von Differenzen in H7
Der zweite Teil der Fallstudie bietet einen empirischen Einblick in den kommunikativen Alltag sowie in die interaktionale Kultur der H7. Die Fragen der ethnischen Zugehörigkeit, der Gruppenidentität sowie der Selbst- und Fremdbezeichnung im Schulkontext stehen im Fokus der Analyse. Im Folgenden präsentiere ich die Rahmen der Interaktionen in der Klasse, die mehrfach kommunikativ re- und ko-konstruiert werden. Anhand der Gesprächsdaten analysiere ich die Prozesse der situativen Identitätsbildungen, die Sprechstile der Interaktanten sowie die interaktionale Normalisierung einzelner kommunikativer Praktiken. Die Besonderheiten des interaktiven Umgangs mit hoch sensiblen Themen wie Ethnizität, Rasse und Religion/Kultur im Unterricht, die gleichzeitig als Differenzlinien dienen, werden ebenfalls anhand der Gesprächsdaten illustriert.
4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer multiethnischen Klasse 4.1 S ituative I dentitäten inter ak tiv hergestellt An dieser Stelle werden die interaktionalen Rahmen der Alltagskommunikation der H7 kurz skizziert. Dafür widme ich mich der Frage nach den situativen Identitäten und ihrer Bedeutung in Gruppeninteraktionen. Es soll geklärt werden, unter welchen identitären Selbst-/Fremdbezeichnungen und Annahmen – falls es solche überhaupt gibt – die meisten Unterrichtsinteraktionen verlaufen. Unter Identität wird in der Alltagssprache Unterschiedliches verstanden: Selbst- und Fremdbilder, Rollen, Selbstdefinitionen etc. Zentral und übergreifend für alle diese Begriffe sind die Eigenschaften, die jeder Einzelne aufweist (Pätzold 2012: 9). Diese Eigenschaften werden durch sprachliche Mittel beobachtbar und dementsprechend beschreibbar und analysierbar (Pätzold 2012: 9). Soziologisch wird Identität als »soziale Aufgabe« konzipiert und dadurch auch an das Konzept der »Rolle« geknüpft (Pätzold 2012: 13). Die Rollen sind keine gesellschaftlich vorgegebenen Verhaltensregeln oder Erwartungen, sondern sie werden »vielmehr im Kommunikationsprozess zwischen Subjekten ausgehandelt und dabei individuell gestaltet« (Tillmann 1995: 135). Das psychische Konzept der Identität beinhaltet in sich außerdem die Fähigkeit zur Selbstanalyse: Mead (1993) beschreibt dies als »Fähigkeit, reflexiv aus sich selbst herauszutreten und sich damit selbst zum Objekt zu werden« (Tillmann 1995: 136). Diese Fähigkeit wird jedoch lediglich im Kontakt und in der Interaktion mit anderen Personen entwickelt: Erst in der Begegnung mit einem Anderen ist es allerdings möglich ein Modell für diese »Außenperspektive« zu finden, die man dann auch selbst einnehmen kann. [...] Das Selbstbild kann nur entstehen, wenn ich eine Fremdreferenz finde, auf deren Einschätzung ich schließen kann. (Pätzold 2012: 14)
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Darüber hinaus ist die Identität nie ein stabiler Parameter. Man unterscheidet zwischen der sozialen und persönlichen Identität. Die »Ich-Identität« wird durch die permanente Aufgabenlösung definiert, in der sich die Person im kontinuierlichen Wechsel zwischen sozialer und persönlicher Identität befindet (Pätzold 2012: 15). In der Zeit der Moderne und Multikulturalität spricht man von Identität und der Arbeit daran als »Herausforderung«: In der traditionellen Gesellschaft waren Individuen unlöslich mit der Kollektivität verbunden, der sie durch Geburt angehören. In der modernen Gesellschaft erleben sich Menschen vor allem als einzelne, die im Prinzip unabhängig von andern ihre Lebenskunst festlegen. (van der Loo et al. 1992: 162, zitiert nach: Pätzold 2012:15) Moderne Pädagogen betonen ausdrücklich die Selbstdefinition der Jugend als Sondergruppe im Identitätsbildungsprozess. Identität als Aufgabe wird also nicht nur als persönliche Wahl oder als persönlicher sozialpsychologischer Prozess, sondern auch als eine pädagogische Aufgabe angesehen (Pätzold 2012: 18 f.). Die Analyse in dieser Arbeit basiert auf der soziolinguistischen Annahme, dass Menschen die sozialen Identitäten interaktiv herstellen und reproduzieren werden (Spreckels/Kotthoff 2007; Tajfel 1982): Social identity will be understood as that part of the individuals’ self-concept which derives from their knowledge of their membership of a social group (or groups) together with the value and emotional significance attached to that membership. (Tajfel 1982: 2)
Selbst solche traditionell »festen« Kriterien wie Ethnizität, Nationalität, Geschlecht und Körperform verlieren ihre Eigenschaft als »natürliche« Parameter einer Identität (Keupp 2002: 87). Elkind (1990) spricht von »patchwork identitites«, die aus mehreren individuellen »patches« bestehen, die sich situativ unterschiedlich bemerkbar machen. Die soziale Kategorisierung ermöglicht Prozesse der Zuschreibungen und dementsprechend der Platzierungen einzelner Individuen (oder Gruppen) in die jeweiligen Kategorien und Gruppen (Goffman 1963). Die Kategorisierungen liegen dementsprechend im Kern von Diskriminierungsprozessen. Wie jedoch schon im theoretischen Teil angedeutet, können Zuschreibungen als gruppenbildende Prozesse ablaufen und demzufolge die enge Freundschaft und das Vertrauen zwischen den Sprechern bestätigen. Eng gekoppelt an die Zuschreibungen sind Stereotypisierungen, die durch Kategorisierungsprozesse zum Ausdruck kommen (Kotthoff 2007a). Sie bedienen gleichzeitig das Bedürfnis, die soziale Umgebung in ihrer Komplexität psychisch zu verarbeiten, sowie das Bedürfnis, sich selbst sowie die anderen »passend« zu platzieren
4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer Klasse
(Kotthoff 2007a). Lakoff (1987) beschreibt die Funktion der Stereotypen folgendermaßen: [social stereotypes] are used in reasoning and especially in what is called ›jumping to conclusions‹. […] Stereotypes are used in certain situations to define expectations, make judgments, and draw inferences. (Lakoff 1987: 85)
Schule und ihre identitätsbildende Funktion wurden von Wortham (2006) untersucht. Im Laufe seines einjährigen Aufenthalts im Klassenzimmer untersucht Wortham wie Argumentationsstrategien, akademisches Lernen und soziale Identitäten im Verhältnis zueinanderstehen. Er kommt zu dem Fazit, dass diese zum größten Teil von sozialen Identitäten, Machtverhältnissen sowie von zwischenpersönlichen Beziehungen abhängig sind (Wortham 2006: 2). Wortham registriert, wie zwei Schüler durch die Argumentationsstrategie eines Lehrers zu den »beasts« der Klasse gemacht werden. Dabei werden soziale Identitäten der Schüler ins Gespräch gerufen: Das akademische Lernen überlappt mit den sozialen Identitäten der Schüler. Obwohl die Klassifizierungsprozesse im Klassenzimmer situativ verlaufen, spricht Wortham von kontinuierlicher, systematischer Entwicklung, durch die sich die sozialen Identitäten der Schüler entfalten. Eine wichtige Rolle spielen die sogenannten »models of identity«, die innerhalb der Gesellschaften historisch entstanden sind: Models of identity spread over time and space, through many types of events, but even the most widespread are only used by a particular subset of people in a given time place. Furthermore, models of identity change as they move across time and space, and they are applied in contingent, sometimes unpredictable ways in actual events of identification. (Wortham 2006: 8)
Wortham zeigt an seinen empirischen Unterrichtsbeispielen, wie diese historischen Identitätsmodelle lokal rekonstruiert werden. Dies wird erst im Laufe der kontinuierlichen, langfristigen Beobachtung möglich. In seiner Studie verwenden die Lehrer sowohl die einzelnen Schüler und auch ihre sozialen Eigenschaften (z.B. Geschlecht und Lernfähigkeiten) als Beispiele im akademischen Gespräch: Die Schüler werden als Beispiele (»participant examples«) für das curriculare Wissen herangezogen. Solche Praktiken bezeichnet Wortham als »personalized pedagogy« (Wortham 2006: 22). In diesen Prozessen überlappt das akademische Lernen mit der Arbeit der sozialen Identitäten. Die Ausbeutung der sozialen Identitäten der Schüler durch Analogien sowie durch die situativen Zuschreibungen, die die Lehrpersonen einsetzten, führten zu Stigmatisierung der Schüler als »promising girl« und »unpromsising boy« innerhalb des Schulsystems. Diese Praktiken führen zu Exklusionsprozessen (»ironic disempowerment«) innerhalb der Klasse, wo die beobachteten Schüler
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Tyisha und Maurice kontinuierlich als Beispiele der gesellschaftlichen Machtungleichheit agierten (Wortham 2006: 274 f.). Welche identitätsbildenden Prozesse und Zuschreibungen in der H7 zum kommunikativen Alltag zählen, beschreibt der darauffolgende Abschnitt.
4.2 K anakistanische I dentität : Z ur F remd - und S elbstbezeichnung der K l asse Kulturelle und ethnische Zuschreibungen sind zentrale Elemente der Identitätsbildungsprozesse der H7. Im Folgenden wird keineswegs beansprucht, eine gemeinsam geteilte, übergreifende Klassenidentität zu rekonstruieren, sondern es wird gezeigt, in welchen kommunikativen Rahmen und unter welchen »Regeln« einzelne Schüleridentitäten bearbeitet werden. In Analogie zu Worthams »models of identity« stelle ich im folgenden Abschnitt den Modus der alltäglichen Interaktionen der Klasse vor, die sozial-historisch bedingt zu sein scheinen. In der Phase der teilnehmenden Beobachtung fiel mir auf, dass das Wort »Kanake« im Schuldiskurs häufig auftaucht. Die Schüler sowie einige Lehrpersonen benutzen »Kanake« und »Kanakistan« oft in verschiedenen Formen und Sätzen. Der Duden definiert das Wort folgendermaßen: 1. Ureinwohner der Südseeinseln, besonders Neukaledoniens; 2. Meist: Ausländer, Angehöriger einer anderen, fremden Ethnie (diskriminierendes Schimpfwort); 3. (umgangssprachlich abwertend) verachtenswerter, hassenswerter Mensch (oft als Schimpfwort)1 Da es in der Klasse keine französischstämmigen Schüler gibt, wären nur die Definitionen unter 2. und 3. möglich. Die Bezeichnung Kanake hat demnach eine stark negativ geladene, rassistische Konnotation ausländisch und »verachtenswert« zu sein. Dies wurde jedoch in der untersuchten Klassenkommunikation nicht bestätigt. Die H7 und ihre zwei Lehrpersonen (der Klassenlehrer und die Deutschlehrerin) geben diesem Wort eine ganz individuelle Bedeutung, die sich nur intern im Kontext der zwischenpersönlichen Interaktionen korrekt und adäquat verstehen lässt. Der Begriff Kanake besitzt im deutschen medialen sowie gesellschaftlichhistorischen Diskurs heute spezielle Konnotationen. Zuerst wurde der Begriff im Laufe der Gastarbeiteranwerbung in den 1960er Jahren von Rassisten in Bezug auf alle Ausländer in Deutschland verwendet (Deppermann 2007: 325 f.). 1 | Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/Kanake (Stand 05.05.2014).
4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer Klasse
Die zentralen sprachlichen Kriterien für »Kanakesein« sind eine gesprochene Sprache, die nicht Deutsch ist, begleitet von einigen kulturellen Praktiken, die historisch bedingt sind, sowie das »fremde Aussehen« (s.u.). Zaimoglu (1995) präsentiert kurze Biografien/Interviews einiger Migranten, die seit mehreren Jahren in Deutschland sesshaft sind und immer noch wie Ausländer wahrgenommen werden. »Kanake« – die ironische Selbstbezeichnung des Autors – ist aus seiner Sicht ein »Etikett«, das die zweite und dritte Generation der Türken bezeichnet und dadurch die Gruppe und ihre Mitglieder als in sich homogene Gesellschaft darstellt (Zaimoglu 1995: 9-18). In »Kanak Sprak« schildert Zaimoglu die gesellschaftlichen Hindernisse, die auf dem Weg zur Akzeptanz sowie zur Integration der Ausländer (d.h. in diesem Fall der ethnischen Türken) in der deutschen Gesellschaft liegen. In kurzen biografischen Darstellungen enthüllen sich zahlreiche Integrationsschwierigkeiten, begleitet von Beschreibungen der kulturellen Unterschiede. Der Leitfaden der Diskussion lautet: »Den Fremdländer kannst du nimmer aus der Fresse wischen« (Zaimoglu 1995: 23). Durch seine Portraits eröffnete Zaimoglu eine öffentliche Diskussion, die in den Medien vorher stark tabuisiert war. Die Forschung greift den Terminus auf. Die heutige Soziolinguistik konzentriert sich auf die linguistischen Charakteristika von »Kanak Sprak« (Deppermann 2007; Dirim/Auer 2004; Kallmeyer/Keim 2003) sowie ihre Stilisierungen in den Medien (Kotthoff 2004; Androutsopoulos 2001). Im Kontrast zu Zaimoglu registrieren moderne Sprachwissenschaftler die Verwendung von Kanak Sprak nicht lediglich durch türkische Sprecher, sondern auch durch Jugendliche unterschiedlicher ethnischer Hintergründe. Dementsprechend ist »Kanake« weder eine ethnische noch eine nationalstaatliche Bezeichnung, sondern ein Gruppenbegriff zur Selbstbezeichnung und Indexikalisierung von Menschen unterschiedlicher Herkünfte. Deppermann (2007) skizziert die kulturellen Identitätseigenschaften, die den »Kanaken« in medialer sowie gesellschaftlicher Diskussion zugeschrieben werden. Neben äußerlichen Merkmalen (z.B. Kleidungsstil) sind stereotypische Verhaltensmuster in der Beschreibung zu finden: They [Kanaken] are aggressive and violent […] They […] [are always] looking for trouble without a cause. […] They perform dismally at school. Intellectual, educational deficits and disadvantages that go along with them, such as bad marks in school, having to repeat classes or difficulties in finding estimated jobs, [are seen by German adolescents] […] as compensation and revenge for their own physical inferiority. Kanaken [are] […] often associated with drug-dealing and petty crimes. (Deppermann 2007: 330-332)
Die Bezeichnung hat bis hierhin zwei Begrenzungsparameter: Damit werden hauptsächlich Jugendliche und wiederum nur männliche Sprecher bezeichnet (Deppermann 2007: 326).
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Sprachlich kennzeichnet sich die »Kanak Sprak« als Produkt von »Crossing« (ähnlich wie bei Rampton 1995a). Ihre linguistischen Eigenschaften wurden an medialen Beispielen (Comedy-Sendungen) sowie in Alltagsgesprächen (Deppermann 2007) untersucht. Dabei sind Abweichungen vom Standarddeutschen auf mehreren Ebenen zu finden: Phonetik, Prosodie, Syntax, Lexik, Semantik, Phraseologie etc. Außerdem wird das Sequenzschema (turns, openings-greetings etc.) ebenso beeinflusst (Deppermann 2007: 329 f.). Dabei bleibt »Kanak Sprak« nur für eine begrenzte Domäne reserviert und wurde bis jetzt hauptsächlich in informellen Gesprächen registriert (Deppermann 2007: 350). Zusammengefasst besitzt »Kanak Sprak« medial-gesellschaftlich folgende Konnotation: Stylized Kanaksprak has low prestige as code of a stigmatized out-group, and it is seen to be indexical of negative characteristics, such as showing off, violence, lack of civilization, intelligence and verbal competence. (Deppermann 2007: 350)
Mit Berücksichtigung des medial-gesellschaftlichen Diskurses über »Kanaken« und ihre Sprache wende ich mich als Nächstes der Kanaken-Bezeichnung in der untersuchten Klasse zu. Erste Informationen über die untersuchte Klasse lieferte ein Gespräch mit einer Englischlehrerin, die in dieser Klasse ihre ersten Erfahrungen als Referendarin gemacht hat. Sie teilte mir ihre Eindrücke über die Klasse mit: Diese multiethnische Klasse sei sehr unruhig und immer konfliktbereit. Es gäbe einen neuen russischen Schüler (Sasha), der an seinem ersten Tag in der Klasse einen türkischen Schüler (Aslan) als »Kanaken« bezeichnete. Dies habe einen großen Konflikt zwischen den Schülern ausgelöst. Wie die teilnehmende Beobachtung bestätigte, wird der Begriff »Kanakistan« sehr häufig im Schulalltag in Situationen wie der folgenden erwähnt. Der Lehrer macht einem Schüler einen disziplinären Vorwurf wie z.B. warum hast du deine Jacke in der Klasse an? Wir sind hier nicht in Kanakistan! Nachdem der Klassenlehrer diesen Ausspruch mehrmals in Diskussionen äußerte, lernten die Schüler, dass sie ihn ebenfalls in ähnlichen Situationen verwenden können, so die Aussage aus einer Nachbesprechung. Datum 1 stammt beispielsweise aus einer Deutschstunde. Die Lehrerin bittet einen Schüler (Fahrid) seine Jacke auszuziehen: Datum 1. Kanakistan. (27.10.2011) Lehrerin (L), Kayrat (K) 01 L: mach deine JAcke aus. 02 K: wir sind hier nicht in kaNA!kistan würde herr 03 müller sagen.
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Ein anderer Schüler (Kayrat), der türkischer Herkunft ist, ergänzt seinen Kommentar in Zeile 2: wir sind hier nicht in kaNAkistan. Damit verdeutlicht er, dass sich die Klasse nicht im imaginären Land »Kanakistan« befindet. Außerdem hebt er hervor, dass dieser Spruch nicht von ihm, sondern von dem Klassenlehrer stammt, womit er seine Aussage legitimieren möchte: würde herr müller sagen. Kayrat ist selber »ausländischer« Herkunft, was ihn jedoch nicht davon abhält, diese Aussage zu wiederholen. Er kommentiert außerdem das Verhalten von einem anderen ausländischen Schüler (Fahrid, Pakistaner). Solche Praktiken verlaufen in Form eines interaktionalen Spiels, in dem alle Beteiligten darauf aufpassen, dass man sich bloß nicht in Kanakistan befindet. Keiner äußert sich gegen die Aussage und keiner versucht sich dabei zu verteidigen. Jeder in der Klasse sorgt dafür, dass das Image der Klasse nicht durch den Stempel »Kanakistan« beschädigt wird. Dies beruht nicht nur seitens der Lehrer, sondern auch seitens der Schüler auf gegenseitiger, kontinuierlicher Kontrolle. Schlechte Manieren oder Mangel an Manieren werden hier in direkte Verbindung mit Kanakistan gebracht. Ein anderes Beispiel kommt aus dem Englischunterricht. Marcelle (Spanier) stellt dem türkischen Schüler Aslan die Frage, warum er seine Jacke anhat: Datum 2. Wie asozial. (24.11.2011) Marcelle (M), m (mehrere) 01 M: (spricht Aslan an) GEIl:: (-) 02 wieso hast du deine JAcke überhaupt an? 03 m: (? ?) 04 M: wie A!sozial, 05 (? ?) wir sind hier nicht in kaNAkistan.
Aslan reagiert auf die Frage wortlos und zieht seine Jacke unverzüglich aus. An diesem Beispiel erkennt der Beobachter, wie widerstandslos die Schüler sich verhalten, wenn sie mit diesem Spruch angesprochen werden: Es folgt kein Widerspruch und keine Konfrontation mit dem Sprecher. Selbst im Unterricht, der nicht von ihrem Klassenlehrer gegeben wird, sondern im Deutsch- oder Englischunterricht, betrachten die Schüler diesen Vorwurf als Verhaltensregel, dem zweifellos gefolgt werden muss. Die Angst, in der Öffentlichkeit einen Teil der »kanakistanischen Identität« zugeschrieben zu bekommen, ist in der Klasse deutlich spürbar. Außerdem sind die Schüler präzise Beobachter und suchen nach jeder Möglichkeit, eine Verhaltensanweisung dieser Art zu geben. Marcelle präsentiert ein Argument dafür, warum man keine Jacke in der Klasse anhaben darf: wie A!sozial. wir sind hier nicht in kaNAkistan. Hier folgt die erste Zuschreibung sowie die Bewertung der kanakischen Identität: asoziales Verhalten, Mangel an Manieren. Demnach folgt aus diesem Kommentar,
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dass in der Klassendiskussion angenommen wird, dass asoziales Verhalten ein wichtiges Kriterium für die »Kanakenzugehörigkeit« ist. Wer sich damit nicht identifizieren möchte, sollte die Regeln deshalb lieber befolgen. In diesem Rahmen verläuft die Klassenkommunikation sehr häufig: Es wird täglich gegenseitig beobachtet, abgeschätzt, verglichen und festgestellt, ob man sich wie in Kanakistan verhält oder nicht. Darauf folgen »Verhaltenssanktionen« und entsprechende Eigenschaftszuschreibungen wie beispielsweise »asozial«. Aus detaillierten Nachbesprechungen mit den Schülern wurde ersichtlich, wie die Wörter »Kanake« und »Kanakistan« in den täglichen Klassendiskurs gekommen worden sind. Alice, eine Schülerin dieser Klasse, erzählt: Datum 3. Nachbesprechung. (06.12.2011) Alice (A) 01 A: naJA:; 02 hat er ma=so ein SPRUCH, 03 hat er mal von so einem SCHÜler ge:=gehört. 04 seitdem verWENdet er das auch. 05 der meinte so+der meint so er will damit 06 SCHÜler ärgern.
Alice bezieht sich auf den Klassenlehrer Herrn Müller. Den Spruch habe er von einem Schüler aus einer anderen Klasse gehört und seitdem werde das Wort von ihm auch gerne in seiner eigenen Klasse benutzt. Andere Lehrer, zum Beispiel die Deutschlehrerin, verwenden die Aussage »wir sind hier nicht in Kanakistan« ebenfalls häufig. Zusammengefasst kreieren die Interaktanten im Unterricht das imaginäre Land »Kanakistan«, das einen Diskursrahmen für den jeweiligen situativen Bedarf schafft und den Schülern entsprechende Eigenschaften und kategorienspezifische Aktivitäten zuschreibt. Außer »Kanake« und »Kanakistan« wird der Diskurs in dieser Klasse durch zusätzliche kulturelle Symbole erweitert, die ihre Identität als Klasse ergänzen. Diese zählen ebenfalls zu dem Kanakistan-Muster. Wie schon im Datum 2 demonstriert, gehört asoziales Verhalten primär zum Kanakesein. Etliche andere Details vervollständigen diese Identität: Symbole wie Esel und Eselskarren, Mekka, Osten, das Zuckerfest, Ramadan, fliegende Teppiche und das Beten werden Teil der kategorienspezifischen Eigenschaften und Aktivitäten der Kanaken. Durch die Zuschreibung dieser kategorienspezifischen Eigenschaften und Aktivitäten kreieren die Sprecher eine besondere Gruppenidentität der Klasse. Interessanterweise weisen die zugeschriebenen Eigenschaften und Aktivitäten der kanakistanischen Identität häufig deutliche Ähnlichkeit mit den Merkmalen muslimischer Kultur und islamischer Religion auf (Mekka, Beten, Ramadan, Zuckerfest). Obwohl es in der Klasse nur drei Türken, zwei Afgha-
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nen und einen Pakistaner gibt (insgesamt 6 Muslime, der Rest der Klasse ist christlich oder atheistisch), ist der Visibilitätsgrad von Muslimen in den Interaktionen sehr hoch: So wird z.B. über islamische Kultur am häufigsten gefrotzelt. Datum 4 stammt aus der Klassenbesprechung während eines Unterrichts. Der Lehrer erklärt den Weg zum gemeinsamen Klassentreffen in der Stadt. Der beschriebene Weg befindet sich nicht weit weg von der Schule. Kayrat will wissen, ob man dort zu Fuß hingeht oder mit dem Bus hinfährt. Datum 4. Esel. (08.11.2011) Kayrat (K), Alex (A), Lehrer (L), m (mehrere) 01 K: ach LAUfen wir dann, 02 A: ne (.) wir FLIE!gen. 03 L: (atmet tief ein, wirkt enttäuscht)(9.0) soll ich 04 MAma anrufen(-)? 05 ob sie einen Esel(? ?)zur verfügung stellt? 06 K: nein; 07 L: du ZIEHST ihn aber; 08 m: hahahahahahahhahahahaha 09 L: würde dann auch PASsen.
Auf Kayrats Frage (er ist türkischer Herkunft), ob man zu Fuß hinlaufen soll, reagiert ein anderer Schüler, Alex, mit Spott. Dies wird in Zeile 2 illustriert: ne wir fliegen. Schon in dieser Zeile wird angedeutet, dass die Diskussion in einen humoristischen/ironischen Modus übergeht – es wird gehänselt. Der Lehrer, der in Zeile 3 auch in die Diskussion einsteigt, atmet laut und tief ein und zeigt dadurch seine tiefe Enttäuschung, die jedoch für diesen Lehrer charakteristisch ist. Die 9 Sekunden lange Pause in seiner Rede bekräftigt seine Enttäuschung und dient als Vorbereitungsphase für einen weiteren Kommentar: soll ich MAma anrufen, ob sie einen Esel (? ?) zur verfügung stellt? Mit diesem Kommentar fügt der Lehrer ein Kultursymbol ein, das aus seiner Sicht der Alltagskultur in Kayrats Familie entspricht: In seiner türkischen Familie reitet man auf einem Esel. Nicht nur Kayrat ist Teil dieser imaginären Kultur, sondern auch seine ganze Familie (soll ich MAma anrufen). Nachdem Kayrat in Zeile 6 schon schnell und kurz nein gesagt hat, hört der Lehrer mit seinen spöttischen Angriffen nicht auf. du ZIEHST ihn aber vervollständigt der Lehrer seine Argumentation. Kayrat wird für den Transport der Klasse mithilfe eines Esels folgendermaßen verantwortlich gemacht: würde dann auch PAssen. Aus dieser Logik folgt, dass Kayrat sich besonders gut für die Rolle des Eselstreibers eignet, weil er sich mit Eseln auskennt (seine Familie beschäftigt sich mit Eseln – so des Lehrers Logik) und weil er alleine diesen Vorschlag gemacht hat.
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Solche Passagen finden in den meisten Fällen in spielerischer Form statt: Über Ethnizität, Religion oder »Kanakesein« wird nicht immer direkt gesprochen. Durch solche subtilen, spielerischen (humoristischen) Rahmen ist es für einen fremden Beobachter fast unmöglich zu bestimmen, ob solche Sequenzen ernsthafte Kritik beinhalten oder lediglich den Spaßfaktor erhöhen sollen. Der einzige Weg, der zur adäquaten Deutung solcher Passagen führt, ist eine kontinuierliche Beobachtung im Feld. Dadurch entpuppen sich die Interaktionsmodi als situative Sprechstile, die durch eine kurze Beobachtung völlig falsch interpretiert werden könnten. So findet dieser sarkastische Angriff auf Kayrat zum Beispiel in dem Moment statt, in dem er eine aus der Sicht des Lehrers dumme Frage stellt, die für den Rest der Klasse selbstverständlich klar ist. Statt die Frage von Kayrat mit einem kurzen ja zu beantworten und dadurch die unnötige Diskussion zu beenden, nutzt der Lehrer die Möglichkeit, eine disziplinäre Fantasiekonstruktion über Kayrat zu produzieren und ihn vor der Klasse auszulachen (Zeile 8, die Klasse lacht). Dabei geht das Frotzeln auf Kayrats Kosten. In diesem Datum spielt der Lehrer mit der symbolischen Zuschreibung – Esel [...] passt zu dir –, die als Bestandteil der Klassenidentität fungiert. Diese zugeschriebene Gruppenidentität beruht auf imaginären Kultursymbolen und Kulturpraktiken, die den Nahen Osten (Türkei, Pakistan, Iran) als hinterwäldlerischen Ort beschreiben und als Herkunftsort der Kanaken definieren. Zu bemerken ist, dass solche Sequenzen in den meisten Fällen der Unterhaltung der Klasse dienen und dementsprechend häufig von Lachen begleitet werden. Eine ähnliche Prozedur erlebt der pakistanische Schüler Fahrid im Mathematikunterricht. Der Mathematiklehrer teilte Fotos aus, die ein Fotograf am Vortag gemacht hatte. An diesem Tag mussten sich die Schüler mit ihren Eltern entscheiden, ob sie die Bilder behalten möchten. Falls die Bilder nicht erwünscht waren, mussten die Schüler die Fotos an den Lehrer zurückgeben. In der Mathematikstunde wurden die Bilder dann eingesammelt. Der Lehrer fragt, wer die Fotos nicht behalten möchte und sie zu Hause vergessen hat. Während der Diskussion herrscht eine angespannte Atmosphäre, weil der Lehrer verärgert ist. Die Schüler schweigen und bleiben sehr leise, um vom Lehrer nicht angesprochen zu werden. Statt jeden Schüler nach den Bildern zu befragen, wendet sich der Lehrer jedoch sofort an Fahrid. Datum 5. Fotos. (06.05.2011) Lehrer (L), Fahrid (F), Kayrat (K) 01 L: wer ist da NOCH(-)fahrid? 02 F: ich hab ich wollte gestern ABgeben(-)(? ?). 03 ich wollt sie JETZT abgeben, ich; 04 L: dann machst du machst du nach der STUNde. 05 is gar kein proBLEM.
4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer Klasse 06 K: (? ?) 07 L: ja ich WEIß. 08 mir is es egAl!. 09 (9.0) 10 ANrufen zu hause; 11 und SAG, 12 sie [Eltern] sollen sich aufn Esel setzen; 13 hier RUNterfahren. 14 (10.0) ((in der Klasse herrscht Stille))
Nachdem Fahrid bestätigt, dass er die Bilder an diesem Tag abgeben wird (Zeile 2-3), gibt ein anderer türkischstämmiger Schüler (Kayrat) zu, dass er die Bilder nicht dabei hat. In diesem Moment reagiert der Lehrer auf die Aussage von Kayrat, indem er eine Lösung für das Problem des Schülers vorschlägt: ANrufen zu hause – und sag sie sollen sich aufn Esel setzen – hier RUNterfahren. Dieser Vorschlag illustriert die zugeschriebene Identität dieser Klasse, die seitens des Lehrers sowie der Schüler übernommen und akzeptiert wird. In der Referenz sie sollen... impliziert der Lehrer, dass sich Kayrats Eltern genauso wie die Eltern von Aslan und Fahrid gut mit dem Eselstreiben auskennen und den Esel als Haupttransportmittel benutzen. Die Vorstellung des Lehrers, dass die Schüler in seiner Klasse aus Familien und Kulturen kommen, die sich zu Hause hauptsächlich mit primitiven/ traditionellen Aktivitäten beschäftigen, bildet einen Interaktionsrahmen im Unterricht. Diejenigen Schüler, die eine muslimische Zugehörigkeit aufweisen, werden aufgrund der angenommenen Rückständigkeit ihrer Herkunftsländer zu Zielobjekten der Angriffe. Anders gesagt: Der Lehrer imaginiert, dass man in Pakistan, Afghanistan und in der Türkei immer noch so lebt, wie man vor Hunderten von Jahren dort gelebt hat. Deshalb herrschen in den Familien dieser Schüler die gleichen Bedingungen, wie in den damaligen Gesellschaften ihrer Herkunftsländer. Diese frei erfundenen Vorstellungen über muslimische, türkische, pakistanische usw. Kulturen überträgt der Lehrer auf seinen Umgang mit der Ethnizität und Identität der Schüler. Gleichzeitig wird aus den Aussagen des Lehrers deutlich, dass er sich über die Nachrichten aus den Regionen (Türkei, Pakistan) gut informiert. Regelmäßig erwähnt er in Unterrichtsbeispielen in Arbeitslehre (AL) und in den Pausen Nachrichten aus der Türkei und Pakistan sowie aus Afghanistan. Der Kontrast zwischen den modernen Erkenntnissen aus den Nachrichten und diesen primitiven Bildern, die er in den Klassendiskussionen schafft, weist darauf hin, dass diese primitiven Bilder wie das des Eseltreibens von ihm künstlich konstruiert werden. Er operiert also mit imaginären Kulturattributen, die er situativ ausdenkt, zuschreibt und bewertet und führt damit die meisten Unterrichtskon-
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versationen dieser Art ad absurdum, was den Unterhaltungseffekt für das Publikum erzeugt. Dabei ist wichtig, den spielerischen Interaktionsrahmen genauer zu definieren. Der Rahmen ist durch den Ausbau des ironischen Modus gekennzeichnet. Die kulturspezifischen Zuschreibungen und Anspielungen verlaufen nicht nach einem zufälligen Muster, sondern folgen Regeln der interaktionalen Ironiekonstruktion. Um die weiteren Sequenzen Herrn Müllers adäquat deuten zu können, muss man wissen, dass Äußerungen mehrere Bedeutungsschichten haben. Genau mit diesen unterschiedlichen Bedeutungsschichten spielt der Lehrer in seiner Klasse. Um Ironie verstehen zu können, muss man in der Lage sein, diese Bedeutungsschichten zu erkennen: Man kann diesem Typus indirekten Sprechens [Ironie] nur Sinn zuordnen, wenn man generelle Haltungen des Sprechens inferieren kann, und diese Haltung dann gleichzeitig zum Ausgangspunkt nimmt, auch seine momentanen Intentionen und Ausdrucksformen zu erschließen. […] Bei dieser hochinferentiellen Diskursstrategie attributiert der Ironiker dem Objekt der Ironie Haltungen, Bewertungen, Einstellungen […] und distanziert sich gleichzeitig selbst davon. (Kotthoff 2007b: 1 f.)
Demnach ist Ironie eine der Strategien zur Differenzmarkierung bzw. zur Hervorhebung von Unterschieden auf eine implizite Art (Kotthoff 2007b: 2). Daraus ergeben sich auch die Voraussetzungen für die adäquate Ironieverarbeitung: Die Interaktanten müssen die »doppelkodierte Interaktionsform« erkennen können und dabei zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten unterscheiden (Kotthoff 2007b: 2, 8). Neben dieser Voraussetzung ist der Beziehungsstatus der Interaktanten sowie das gemeinsam geteilte Wissen ebenfalls ein wichtiges Kriterium für die Ironieproduktion und ihre Rezeption: Je höher der Grad an geteiltem Wissen, umso mehr Bezüge können im Gespräch hergestellt werden, umso anspielungshafter kann die Kommunikation laufen. (Kotthoff 2007b: 2)
Dies trifft auf die Konstellation der Sprecher im Unterricht zu: Die Klasse kennt sich mehrere Jahre und hat Herrn Müller bereits seit zwei Jahren als Klassenlehrer. Die imaginären, ironischen Kreationen Herrn Müllers beruhen auf dem gemeinsam geteilten Vertrauen und Wissen innerhalb der Gruppe. Dass der Ironierahmen geteilt wird, lässt sich an dem häufigen begleitenden Lachen der Schüler erkennen. Darüber hinaus ritualisiert sich der Ironierahmen durch seine repetitive Erscheinung im Unterrichtskontext und wird deswegen in seiner »bissigen« Wirkung halbwegs abgemildert. An dieser Stelle möchte ich außerdem die beziehungsindikative Funktion der Ironie betonen: Der Lehrer formulierte alle Ironieaussagen in meiner Anwesenheit, was ich
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sowohl als Indiz als auch als Resultat meiner erfolgreichen Integration in die Gruppe betrachte. Datum 6 illustriert eine Situation, in der der Lehrer deutlichen Bezug auf das moderne Geschehen in der Region Pakistans nimmt und dies durch eigene ironische Fantasien erweitert. Der Lehrer gibt Hausaufgaben und weist auf die zu bearbeitende Seite hin. Die Seitenzahlen stehen ganz klein gedruckt in der oberen Ecke, was Fahrid verwirrt. In den Zeilen 1-2 erklärt der Schüler, dass die notwendigen Seiten in seinem Buch fehlen. Datum 6. Seite. (04.05.2011)(63)(03:58:20) Fahrid (F), Alex (A), Danil (D), Christian (C), Mahmed (M), Lehrer (L), mehrere (m). 01 F: herr MÜLler(-)? 02 bei meinem buch FEHLT die seite nummer 03 elf=hundertelf. 05 L: ja. 06 F: ist hundertZWÖLF. 07 A: hast du AUFgeschrieben? 08 H: OOOH:. 09 m: FA:Rhat. hahahahahahahahahahahahah 10 L: also diese drei wochen in PAkistan, 11 m: hahahahahahahahahahahahahahahahah 12 L: fahrid (-) fehlt sie IMmer noch? 13 F: ÄH? 14 L: fehlt sie IMmer noch(-)ja? 15 A: hahahahahahahahahahahahahaha 16 immer noch nicht kaPIERT eh. 17 m: hahahahahahahahahahahahahahahahahaha 18 L: ja (-) das ist FAhrid. 19 zurück in die STEIN!zeit ja. 20 (0.4)nein (-) ich wollte nur mal SAgen, 21 da wo sie den bin laden geFUNden haben, 22 ist SECHzig kilometer außerhalb von islamabad. (-) 23 und da sagen die(-)im RUNDfunk(-), 24 circa zwei Autostunden.(-) 25 also für sechzig kilometer fährt man in PAkistan 26 eben; 27 und das ist in der nähe der HAUPTstadt;(-) 28 fahren die ZWEI: stunden. 29 C: BOAH:. 30 M: eh des ist aber in albanien AUCH so; 31 L: das fahr=das fahr ich hier mi_m_FAHR!rad.
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»Ausländersein« an der Hauptschule 32 M: in alBAnien zum beispiel braucht man für hundert 33 kilometer den ganzen TAG. 34 m: (diskutieren) 35 L: ach weiß ich+fahr+ was machen die (? ?)? 36 ham_die n_ESELSkarren oder was?
Der Lehrer und die Klasse sind schon daran gewöhnt, dass Fahrid häufig zusätzliche Erklärung benötigt. In den Zeilen 9 und 11 wird über Fahrid gelacht. In Zeile 10 kommt die Erklärung des Lehrers für die Unaufmerksamkeit von Fahrid: also diese drei Wochen in Pakistan. Fahrid war drei Wochen lang in Pakistan, wo er in den Sommerferien seine Großeltern besucht hat. Über seine Reise wird in den Pausen häufig gesprochen. Diesen Aspekt benutzt der Lehrer, um Fahrids Unfähigkeit, die Seite zu finden, zu erklären. In den Zeilen 9-17 wird viel auf Kosten von Fahrid gelacht. Der Lehrer versucht nicht, die Frage zu beantworten oder zu zeigen, wo genau sich die Seitennummern im Buch befinden. Ganz im Gegenteil, er frotzelt weiter auf Kosten von Fahrid (Zeile 14): fehlt sie immer noch? Letztendlich kommt Herr Müller in Zeile 19 zu dem Urteil: zurück in die STEINzeit. Fahrids Ferienurlaub in Pakistan habe seine Denkfähigkeiten beeinflusst: Er sei nicht mehr in der Lage, elementare Aufgaben – wie Seitennummer zu finden – zu lösen. Dies impliziert, dass die pakistanische Gesellschaft drei Wochen lang ihren negativen Einfluss auf Fahrid ausgeübt hat. Dabei wird Pakistan der Steinzeit gleichgestellt. Zur Unterstützung seines Arguments präsentiert Herr Müller im Abschnitt 20-28 die aktuellen Nachrichten aus dem Radio, die als Beispiel der Zurückgebliebenheit Pakistans dienen sollen. Aus der Erzählung folgt, dass man in Islamabad zwei Stunden mit dem Auto brauche, um eine Strecke von sechzig Kilometern zu fahren. Danach folgt ein Gegenbeispiel des Lehrers, dass er in Deutschland die gleiche Strecke mit dem Fahrrad fährt. Für die Gegenüberstellung verwendet der Lehrer territoriale Markierer hier und da. Im Anschluss steigt ein anderer Schüler, Mahmed, in die Diskussion ein und erwähnt Albanien als ein ähnliches Beispiel für schleppenden Verkehr. Der Lehrer ignoriert jedoch das Beispiel von Mahmed und fragt Fahrid weiter, warum die Lage in Pakistan so schlecht sei (Zeile 36): ham_die n_ESELSkarren oder was? Hier erkennt man wieder das zugeschriebene, imaginäre Kulturelement – den Esel –, der in allen beschriebenen Herkunftsländern angeblich gerne als Fortbewegungsmittel genutzt wird. In Datum 6 erkennt man, dass der Lehrer sich regelmäßig über die Nachrichten aus dem Nahen Osten informiert. Er präsentiert jedoch in den »passenden Momenten« die Elemente einer primitiven Kultur (vgl. den Esel in diesem Kapitel) als realistische Merkmale der vorherrschenden Kulturen in den Herkunftsländern seiner Schüler. Er kreiert eine neue, übergreifende Kultur, an die sich die Schüler seiner Klasse halten, und die als Kriterium für asoziales/
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soziales Verhalten im Alltag gilt. Wer sich asozial verhält (die Jacke anhat) oder wer etwas langsam oder falsch versteht, wird sofort als Zugehöriger Kanakistans kategorisiert und bekommt eine Liste von zugeschriebenen Eigenschaften. Mehrere weitere Beispiele von Merkmalen der gemeinsamen Kultur der Klasse (oder »kanakistanischer Zugehörigkeit«) wurden in der Phase der teilnehmenden Beobachtung registriert. Außerdem erzählen die Schüler selbst von den Zuschreibungen, die die Lehrer bezüglich ihrer imaginären, kulturellen Identität vornehmen. Fahrid z.B. erzählt über seinen Klassenlehrer: herr müller macht doch immer witze über MEKka oder osten. Oder der türkische Schüler Aslan spricht von seinem Mathematiklehrer: der meint, was machst du? betest du jetzt? soll ich dir den TEPpich ausrollen? Auch die Erwähnung religiöser Aktivitäten (betend auf dem Teppich sitzen, Zuckerfest und Ramadan feiern) in negativer und verspottender Konnotation ist nicht selten. Alle diese Merkmale schaffen eine Abgrenzungsidentität, die sich als Fantasieland »Kanakistan« bezeichnen lässt. Aus den Daten 1-6 kann man zusammenfassen, dass die Klasse über eine gemeinsame Abgrenzungsidentität verfügt, die situativ aufgerufen wird. Die Eigenschaften der kanakistanischen Identität umfassen: asoziales Verhalten, schlechte Manieren, dumm und/oder langsam sein oder denken und schlechtes/falsches Agieren in Alltagssituationen. Sprachliche Schwierigkeiten werden ebenfalls angesprochen. Diese Eigenschaften und Aktivitäten beruhen auf der Vorstellung der Schüler sowie der Lehrer über die Herkunftsländer der Klassenmitglieder. Sie sind imaginär und stark stereotypisiert. Zuschreibungen und Bewertungen der kulturellen Eigenschaften verlaufen häufig im spöttischen Modus und tragen den Charakter des Frotzelns oder einer Frotzelsequenz. Der Ironierahmen, in dem das Fantasieland geschaffen wird und in dem die entsprechenden Eigenschaften und Aktivitäten zugeschrieben werden, deutet auf die Annäherungsprozesse hin, die der Lehrer anstrebt: Durch seine riskanten Fantasien versucht er, mit seinen Schülern eine In-Group-Beziehung herzustellen. Die zugeschriebene Abgrenzungsidentität »Kanaken« wird nicht zur Selbstbezeichnung. Der Begriff wird von den Schülern als negativ und abwertend wahrgenommen, wie die Nachbesprechungen gezeigt haben. Die »kanakistanische Identität« wird lediglich als Schimpfwort und als beleidigende Kategorie verstanden. Die Schüler der H7 bezeichnen sich selbst in den meisten Gesprächen als Ausländer. Datum 7. Nachbesprechung. (18.10.2011)(50:00) Aslan (A), Ruslan (R) 01 A: also in X-schule sind voll viele RUssen (.) 02 kurden und so, 03 R: TÜRken,
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A: also von GANzschule, XX-schule hatte tausend schüler oder so, R: ja (.) bestimmt MEHR. fünfundsiebzig proZENT oder so. A: haben wir tausend SCHÜler, und da sagen wir mal wir habn SIEbenhundert ausländer und drei deutsche. R: ja (.) ungeFÄHR. A: ja. R: also nicht AUSländer, immigRANten. hehe
In der Nachbesprechung erklären Ruslan und Aslan die ethnische Zusammensetzung der Schule: Die meisten Schüler haben einen Migrationshintergrund. Diese Schüler werden als Ausländer bezeichnet. Als Alternativbezeichnung korrigiert sich Ruslan (Zeile 14-15), indem er erkennt, dass seine Selbstbezeichnung »politisch unkorrekt« klingen könnte, und bietet eine »korrekte« Bezeichnung: Immigranten. In den Alltagspraktiken im Feld bestätigte sich der Gebrauch von Ausländer als Selbstbezeichnung. Selbstironisch bezeichnen sich die Schüler manchmal als Asylanten, dies jedoch nur als ironische Anspielung: Datum 8. Nachbesprechung. (01:02) Ruslan (R) 01 R: die lehrer denken diese asyLANten sind=bestehen zu 02 neunzig prozent aus unterbemitleideten.2
4.3 I nter ak tional (ko -) produzierte N ormalitäten Die Diskussion über Normalitäten im schulischen Alltag ist ein grundlegender Aspekt des Zugehörigkeitsprozesses. Was innerhalb der Schule und der Klasse für »normal« gehalten wird, welche Regeln erfüllt werden müssen, um als »normal« wahrgenommen zu werden, was unter »normal« in der Interaktion verstanden wird und wie über das »Normale« gesprochen wird – die Beantwortung dieser Fragen gibt eine Übersicht über die Normalitätspraktiken des schulischen Alltags und eröffnet die Diskussion über die Normen-Skala, auf der sich die einzelnen Schüler kontinuierlich bewegen. Die Abweichung von der Normalität kann zum Verursacher der gesellschaftlichen Exklusion 2 | Insider Begriff für nicht intelligent (abgeleitet von »minderbemittelt«).
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werden. Im Kontrast dazu wird Zugehörigkeit zum »Normalfall« in der Gesellschaft als Voraussetzung für individuelle Partizipation und Inklusion betrachtet. Schule als normierende Institution der Gesellschaft erzeugte die Neugier mehrerer Soziologen (Bourdieu, Foucault), die diese Struktur als eine der Schlüsselinstitutionen der Machtverteilung definierten. Nachfolgend wird versucht, die interaktive Normalitätsherstellung im Alltag der H7 zu analysieren. »Normalität« und »Normalsein« sind Begriffe, mit denen man im schulischen Diskurs täglich operiert. Sowohl die Schüler als auch die Lehrpersonen verwenden das Adjektiv »normal« oder »unnormal« in unterschiedlichsten Kontexten. Welches Verhalten, welche Denkweise und welche Interaktionspraktiken in der Klassenkommunikation als »nicht normal« oder »anders« (engl. other) bezeichnet werden, untersucht dieser Abschnitt. Im Weiteren werden die theoretischen Annahmen des Normalitätsdiskurses, die für das Verständnis der empirischen Beispiele funktional notwendig sind, kurz skizziert. Die zentralen Begriffe in der Normalitätsdiskussion formulierten Pierre Bourdieu (Habitus und Hysteresis-Effekt) und Jürgen Link (sechs Ungleichungen über Normalität). »Habitus« bei Bourdieu bestimmt »Anlage, Haltung, Erscheinungsbild, Gewohnheit, Lebensweise« eines Individuums (Schwingel 1995: 54). Laut Bourdieu wird die Umgebung in der Denkweise und dem Verhalten der Menschen verkörperlicht und beeinflusst dadurch ihre Einstellungen zur Lebensorganisation (Bourdieu 1982: 277-355). Die »Leib gewordene Gesellschaft« (so deutet Bourdieu den »Habitus«) fungiert als »Generator« der Handlungen, Wahrnehmungen und Beurteilungen einer Gesellschaft (Bohn/Hahn 2003: 258). Bourdieu definiert »Habitus« als Dispositionssystem auf folgende Weise: Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken, mit anderen Worten: als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen. (Bourdieu 1976: 165)
Aus seiner Sicht ist jeder Akteur »gesellschaftlich determiniert«: Habitus ist […] gesellschaftlich […] bedingt, d.h., er ist nicht angeboren, sondern beruht auf (individuellen und kollektiven) Erfahrungen, […] »er gewährleistet die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen«. (Schwingel 1995: 56)
Schule als gesellschaftliche Institution, die von den sozialen Akteuren (Bürgern, Lehrern) strukturiert und kreiert wird, genauso wie Schulprogramme und schulische Umgangsnormen sind Resultate individueller und kollektiver Erfahrungen und Handlungsschemata. Habitus ist das »Produkt einer Geschichte«, die die Lehrer sowie die Schüler »verkörperlichen« (Bourdieu 1989:
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406). Dementsprechend sind die Beurteilungen in Schüler-Lehrer-Interaktionen Produkte der gemeinsamen sozialen Geschichte, die in den Akteuren (d.h. den Lehrern und Schülern) verkörperlicht wurden. Die Beurteilungen, die die Lehrer oder Schüler im institutionellen Kontext der untersuchten Klasse zeigen, können Bourdieus Perspektive zum Teil soziologisch aus mit dem »Hysteresis«-Effekt erklärt werden: Bourdieu geht davon aus, daß im Habitus die Tendenz verankert ist, sich vor Krisen und Infragestellungen zu schützen. Er schafft sich ein Milieu, an das er weitgehend vorangepaßt ist, eine relativ konstante Welt von Situationen, die geeignet sind, seine Dispositionen zu verstärken. (Bohn/Hahn 2003: 260)
Schüler und Lehrer, die über einen unterschiedlichen kulturellen Habitus verfügen, erleben den »Hysteresis-Effekt«, der ihre verkörperlichten inneren Welten schützt und rekonstruiert, während sie im schulischen Milieu in verschiedene kulturelle Konflikte geraten. Der Drang, eigene Werte und Normalitätsvorstellungen zu beschützen, ist die Bestrebung nach Wiederherstellung des bekannten, sicheren Milieus. Das Wissen über den Habitus anderer Person ermöglicht eine Reihe von Manipulationsmodellen sowie an Interaktionsmustern. Bourdieu geht davon aus, dass »wer den Habitus einer Person kennt, der spürt oder weiß intuitiv, welches Verhalten dieser Person versperrt ist« (Bourdieu 1989: 64). Dementsprechend spielt das Wissen über den fremden Habitus eine wichtige Rolle in den Interaktionen der Individuen mit einem unterschiedlichen kulturellen Habitus. So kann zum Beispiel das Wissen über den kulturellen Habitus der eigenen Schüler (Wissen über das Herkunftsland, die Sozialisation ihrer Eltern etc.) die Kommunikation zwischen zwei Parteien (Schüler und Lehrer) deutlich verändern. In analoger Weise kann Ignoranz oder Nichtakzeptanz eines abweichenden Habitus Interaktionen ebenfalls deutlich beeinflussen. Mit der Frage der Normativität und Normalität beschäftigte sich Jürgen Link, der Normalität als »modernes Dispositiv« definiert, das sich erst in den letzten Jahrzehnten in der Gesellschaft etablierte (Link 2006: 357 f.). Links Strategie bei der Normalitätsdefinition ist die Widerlegung der am meisten verbreiteten Täuschungen bezüglich Norm und Normalität. »Sechs Ungleichungen« präsentiert der Forscher auf der Suche nach der Definition des Dispositivs. Die erste Ungleichung stammt aus der etymologischen Begriffsverwirrung der Wörter »Norma« (lat.) und »Normalis« (neulat.). Ersteres trägt die Bedeutung einer Regel in sich und füllt das Wort »Normativität« mit Leben im Sinne von »Regel« (Link 2006: 33-35). Zweiteres (»Normalis«) bedeutet »Norm« und »normal« und produziert den Komplex des Normalen im Sinne von »sicher« und »akzeptabel« (Link 2006: 33-35). Dementsprechend lautet die erste Ungleichung: Normalität ≠ Normativität.
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Die zweite Ungleichung lautet wie folgt: Normalität ≠ Alltagsroutine/Alltäglichkeit. Die Behauptung, dass die Normalität der Alltäglichkeit und der Kultur gleichgestellt ist, wie von Gerhard Schulze behauptet wurde, wird von Link folgenderweise widerlegt: Solche Alltage verdanken sich aber nicht einer immer schon gegebenen Ressource »Normalität«, sondern sind das Resultat von Normalisierungen moderner Wachstumsprozesse, etwa von Produktion und Konsum. (Link 2006: 35 f.)
Also betrachtet er den Alltag in der modernen Gesellschaft nicht als Normalität, sondern als Resultat der Normalisierungsprozesse, die in dieser Gesellschaft objektiv stattfinden. Die dritte Ungleichung ist: Normalität ≠ Bio-Homöostase. In dieser Ungleichung ist Normalisierung gleich der »Angleichung an natürliche Parameter« (Link 2006: 36). Dagegen präsentiert Links Untersuchung »Versuch über den Normalismus« Argumente dafür, dass das Normale eine »strikt soziokulturelle und historische, erst in der Moderne seit dem 18. Jahrhundert emergente Kategorie« ist (Link 2006: 36). Die vierte Ungleichung befasst sich mit der Gegenüberstellung von Normalität mit industrieller Normung: Normalität ≠ Kybernetik/Technokratie generell. Die Prozesse der Kybernetik, der Technokratie, der industriellen Normung sowie der sozialen Normierung und Disziplinierung werden in dieser Ungleichung den Prozessen der Normalisierung und der Normalität gegenübergestellt. Laut Link setzt »Normalisierung im Sinne von Normal-Machung [...] zwar Industrialismus und damit Normung voraus, ist aber nicht mit ihr identisch« (Link 2006: 37). Die fünfte Ungleichung stellt der Normalität ästhetische Banalität gegenüber. Das Banale wird durch »massenhafte Reproduktion« »automatisiert« (Link 2006: 38). Laut Link ist nicht jede Banalität normalistisch. Seine Studie zeigt, dass es zu den strukturellen Konstituenten der »postmodernen« Kunst und Literatur gehört, die ästhetische Opposition gegen den Normalismus aufzugeben und die normalistische Massenkultur gleichzeitig zu bedienen und zu verfremden. (Link 2006: 38)
Die letzte Ungleichung postuliert, dass Normalität keine konstruierte soziale Wirklichkeit ist. Link zweifelt an Gerhard Schulzes These, dass »die Aufmerksamkeit sich stets primär auf auffällige Ereignisse im Wahrnehmungsfeld richtet« (Link 2006: 38):
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»Ausländersein« an der Hauptschule Wahrnehmungspsychologisch ergibt sich daraus jedoch, dass wir für das, was unser Leben im Wesentlichen ausmacht, das Normale nämlich, viel weniger Aufmerksamkeit erübrigen als für das Außergewöhnliche. (Link 2006: 38)
Link geht davon aus, dass man die Normalität nicht mit einem »stabilen Hintergrund« gleichstellen darf: Die anthropologisch gültige Akzentuierung der Wahrnehmung eines ›verfremdenden‹ Ereignisses gegen stabilen Hintergrund ist enorm relativ: Starrt jemand müde und zerstreut auf eine Bücherwand, so wird er eine sich bewegende Fliege als ›Revolution‹ wahrnehmen. Wäre es aber sinnvoll, die Bücherwand nun als normal und die Fliege als anormal zu etikettieren? (Link 2006: 39)
Als Zusammenfassung der sechs Ungleichungen Links lässt sich das Folgende sagen: »Die Normalität [wird] nicht als ahistorische, jederzeit parate, anthropologisch konstante Kategorie auf[gefasst], sondern als historisch spezifische, von der westlichen Moderne nicht ablösbare Emergenz seit dem 18. Jahrhundert«; »Normalitäten sind niemals statische (sich identisch reproduzierende), sondern stets dynamische (historisch stark variable und evoluierende), soziale Gegenstände«; »Normalität ist kein biologisches, sondern ein rein soziokulturelles Phänomen;« Normalität ist »keine panchronisch-ahistorische Gegebenheit wie etwa »Alltäglichkeit«, sondern eine spezifisch moderne Erscheinung, die verdatete Gesellschaften als ihr »historisches Apriori« […] voraussetzt«; sie ist auch »kein langweiliges Regime ästhetischer Banalität im weitesten Sinne – allerdings auch kein ›flächendeckendes‹ Konkurrenz-Konzept zu »Moderne«; sie ist »keine »Formation« von der Art »Industrialismus«, »Kapitalismus«, »Bürokratismus«, sondern ein spezifisches, partielles Diskurs- und Dispositiv-Netz«; sie ist »kein anderer Name für technokratisch-kybernetische Regulierung mittels statistischer Dispositive […] ganz allgemein, sondern eine selektiv-strategische Benutzung von Statistik zwecks Ver-Sicherung und Um-Verteilung des Fortschritts«; »im Gegensatz zu scheinbaren etymologischen Evidenzen ist Normalität schließlich und vor allem nicht gleich Normativität, von der sie sich seit dem 18. Jahrhundert abgezweigt hat«. (Link 2006: 39 f., 351-361)
Werner Sohn stellt im Bezug auf Normalität und Normalisierungsprozesse das Konzept der Lebensmatrix vor. Er behauptet, dass es für die moderne Gesellschaft selbstverständlich sei, »auf der Matrix der historisch geschaffenen Normalität zu denken, zu fühlen, zu handeln und zu urteilen. Die Normalität ist nichts Äußeres, wir sind es selbst, die diese garantieren und mit Verschiebungen reproduzieren, wenn wir etwa unsere Identität im
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Vergleich mit anderen auf historisch strukturierten Skalen verorten und die historisch homogenisierten Vergleichsfelder von Intelligenz, Arbeitsleistung [...] als ›naturgegeben‹ begreifen. (Sohn 1999: 27) Laut Sohn wird Normalität »durch [ein] Ensemble von institutionalisierten und nicht institutionalisierten Praktiken garantiert und (re-)produziert« (Sohn 1999: 10). Er sieht das Leben als Matrix, in der man durch Disziplin und Normalisierungswissen ein Vergleichsfeld schafft (Sohn 1999: 23). Auf diesem Vergleichsfeld schätzt und stuft man sich gegenseitig ein: »Das Individuum ist der Strich auf einer Skala, welche die mengenmäßige Verteilung des Individuellen repräsentiert« (Sohn 1999: 23). Schule schafft und unterstützt dieses Vergleichsfeld kontinuierlich und sorgt dafür, dass bestimmte Normen (sprachliche Normen, Verhaltensnormen etc.) bewahrt und rekonstruiert werden. Die Vorstellungen über Normalität werden im schulischen Alltag kontinuierlich geäußert und rekonstruiert. Schüler, ihre Eltern und ihre Lehrpersonen verfügen über ihren eigenen, persönlichen kulturellen Habitus. Im Falle einer multikulturellen Klasse stoßen diese unterschiedlichen Individuen mit ihrem jeweiligen Habitus aufeinander. Mehrsprachigkeit, Multiethnismus und Multikulturalität werden in der untersuchten Klasse täglich erlebt und bearbeitet. Sie funktionieren in den untersuchten Interaktionen als Katalysatoren für Gesprächsthemen, deren Schwerpunkt auf Ethnizität, Hautfarbe und anderen biologischen sowie kulturellen Variablen liegt. Abweichungen vom »Normalfall« eines deutschen Schülers – sofern es ihn überhaupt gibt – lösen häufig eine Sequenz aus, in der sich die Sprecher mit der Thematik auseinandersetzen. An den folgenden Beispielen wird illustriert, wie die Abweichungen vom Normalfall registriert werden und wie die Differenzen bearbeitet werden. In Datum 9 erklärt Herr Müller im Chemieunterricht die Funktionen von Blutplättchen und die Bildung von Schorf. Datum 9. Chemie. (08.11.2011) Lehrer (L), Aslan (A) 01 L: und in diesen fibrinfäden verfängt sich= verfangen 02 sich die BLUTplättchen; 03 (6.0)und das GANze ist dann ja dicht, 04 das nennt man SCHORF(.)okay? 05 (4.0) 06 A: JO:. 07 L: aber bei den TÜRken weiß ich jetzt nicht; 08 aber so norma=norMAlerweise funktioniert das 09 so(.)ja. 10 A: ja. 11 L: ja? 12 oKAY (.) alles klar.
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Nach der Erklärung des Prozesses folgt keine verbale Beteiligung der Schüler, sondern eine vier sekündige Pause. Die fachliche Erklärung verläuft im ernsten, unpersönlichen Modus. Der Lehrer wendet sich an die gesamte Klasse. In Zeile 6 meldet sich ein türkischer Schüler, Aslan, mit einem jo:. Da die Pause nach der Erklärung des Lehrers zu lange dauert und die Schüler keine deutliche verbale Bestätigung des Themenverstehens demonstrieren, greift Herr Müller zu der Möglichkeit, Aslan zu einer Diskussion zu provozieren. In den Zeilen 7-8 bezieht sich der Lehrer auf den Vergleich (Kontrastierung) zwischen Türken und dem »Normalfall«: aber bei den TÜRken weiß ich jetzt nicht; aber so norma-norMAlerweise funktioniert das so. Herr Müller stellt die Türken frotzelnd den Normalen gegenüber. Diese Aussage schließt Türken aus der Normalität aus und kategorisiert sie automatisch als andere/besondere und vom Normalität abweichende Individuen. Das Ganze verläuft wie üblich im humoristischen Modus. Der Lehrer äußert spöttisch seine Zweifel an der Normalität der Türken (d.h., bei Türken solle sich der Schorf anders bilden), indem er die folgende Verunsicherungskonstruktion bildet: aber, ...weiß ich jetzt nicht, ...normalerweise. Aber dient als Gegenüberstellungsöffnung (Normalität versus Türken), weiß ich jetzt nicht expliziert die Unsicherheit (sowie die Ironie) des Lehrers in seinen Kenntnissen, und anschließend bietet er seine Lösung mit Verallgemeinerung – normalerweise funktioniert das so. Diese Sequenz verläuft ebenfalls im ironischen Ton – mit dem Gesagten wird das Gegenteil gemeint, was lediglich zur Unterhaltung der Klasse sowie der Provokation von Aslan dient. Die Verunsicherung von Aslan ist nur deswegen realisierbar, da er über ein Merkmal verfügt, das ihn von »normalen« (deutschen) Schülern unterscheidet – seine nicht-deutsche Ethnizität. Das Türkischsein ist eine Voraussetzung für die Thematisierung der Normalität und für die Feststellung jeglicher Abweichungen vom Standard. Diese ethnische Anspielung wird durch Aslan nicht abgestritten, sondern er versucht sein Desinteresse und seine Ignoranz zu demonstrieren, indem er mit seinem kurzen ja (Zeile 8) das Thema von seiner Seite aus beendet. Diese Reaktion kann als Gesichts- und Gefühlsmanagementstrategie (zu Gefühlsmanagement siehe 5.3.) gedeutet werden, die Aslan vor weiteren Angriffen schützen soll. Der hier präsentierte Fall demonstriert, dass Normalität und die Abweichung von der Norm in der H7 manchmal auf Kosten der Schüler bestimmt werden und dazu dienen, einen Ironierahmen zu schaffen. Die Kategorisierung als »normal« und »nicht normal« erfolgt durch die Kontrastierung in Form einer Gegenüberstellung in dem Satz: »Türken sind anders als normal, folglich sind Türken nicht normal«. Dabei spielen ethnisierende Kontexte die entscheidende Rolle: Das »brought about« (Hinnenkamp 1987) von ethnischer Herkunft bekommt plötzlich seine Relevanz in einem rein fachlichen Kontext des Chemieunterrichts. Dieser kontextuelle Hinweis signalisiert den Interak-
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tanten außerdem, dass es sich in situ um eine ritualisierte, humoristische Anspielung handelt. Betrachtet man die Sequenz nach Hausendorfs Zugehörigkeitsmodell (s.o.), so sind die folgenden kommunikativen Schritte zu erkennen: Zuerst wird die Ethnizität im Gespräch hervorgerufen (brought about), d.h., sie wird dadurch thematisiert und Aslan und die anderen Türken der Klasse werden der Gruppe »Türken« zugeordnet. Anschließend bekommt die Kategorie »Türken« unter Auslassung einer Zuschreibung eine Bewertung, die in Form der Kontrastierung mit dem »Normalfall« erfolgt – aber so norma=norMAlerweise funktioniert das so. Fraglich bleiben die Aufgaben (in Hausendorfs Sinne), die in dieser Interaktion von der Seite des Lehrers gelöst werden müssten. Welche Aufgaben Herr Müller innerhalb derartiger Interaktionen zu erledigen versucht, lässt sich erst nach einer intensiveren Auseinandersetzung mit den anderen Beispielen aus dem Feld verdeutlichen. In den oben dargestellten Beispielen könnten die hergestellten Zugehörigkeiten die Aufgaben der Ironie erfüllen: Sie präsentieren nicht nur die Kritik an den anderen Interaktanten auf eine implizite Weise, sondern regeln auch die Beziehung innerhalb der Gruppe. Damit sind die Frotzelpraktiken eine Art Testverfahren, um den Beziehungsstatus zu überprüfen. Zunächst ist zentral zu erkennen, dass die Ethnizität eine reiche und leicht erreichbare Ressource zur (ironischen) Markierung der Normalität der Schüler ist. Datum 9 arbeitet explizit mit den klassischen Distinktionsmarkern wie dem Adverb normalerweise und der Konjunktion aber: Dabei arbeiten die Sprecher ausdrücklich mit dem Stamm Norm-. Solche Beispiele sind häufig und durch die Ableitungen von Norm- leicht identifizierbar. Normalitätsverhandlungen verlaufen im institutionellen Kontext jedoch häufig viel subtiler, verpackt in eine Form, die viel raffinierter ist. Das nächste Datum stammt aus einer Chemiestunde, in der gefragt wird, welche Blutkörperchen es gibt. Datum 10. Die Türken nicht. Chemie. (08.11.2011) Lehrer (L), Aslan (A), Danil (D), Carl (C,) mehrere (m) 01 L: blut (-) wenn man_s abnimmt wird geTRENNT. 02 wir habn ROte blutkörperchen, 03 >? 04 A: WEISS; 05 H: WEIße; 06 L: ja: und was NOCH welche? 07 wir haben NOCH eine fraktion; 08 ?: ähm:. 09 A: (spricht mit dem Nachbarn)°krebs°, 10 L: (guckt auf Aslan) >. 12 m: hehehehehehehehehehehe 13 (3.0)
Zuerst fragt der Lehrer, welche Blutkörperchen es außer den weißen und den roten im Blut gibt. Der Anfang der Interaktion verläuft wiederum im ernsten, fachlichen Modus des Chemieunterrichts. Der Lehrer wartet ab, bis die Schüler selbst auf die richtige Antwort kommen. Das passiert jedoch nicht, was den Lehrer dazu bewegt, ein neues Diskussionsfenster zu öffnen, um die Diskussion anzufeuern. Die Eröffnung dieses Fensters verläuft am häufigsten im spöttischen Modus. Dieser Modus verändert die Regeln der Diskussion, in der gegenseitige Angriffe – mit Berücksichtigung der institutionellen Hierarchie – bis zu einem bestimmten Grad erlaubt sind und antizipiert werden. Herr Müller schaut auf den türkischen Schüler Aslan und spricht ihn mit folgender Aussage an: die TÜRken nicht, die türken nicht. Dadurch bildet der Lehrer eine Verneinung der Wahrscheinlichkeit, dass das türkische Blut über die gleichen chemisch-/physikalischen Eigenschaften verfügt. Türkisches Blut sei anders und deshalb könne Aslan auch die Frage nicht richtig beantworten, da er selber Türke ist. Hier beobachtet man wiederum die Erschaffung eines »kontrafaktischen Spielrahmens« (Kotthoff 2007b: 11), der die Rezeption der darauffolgenden Sequenz bestimmt: Die Absurditäten dienen zur Herstellung von Ironie. Die Erwartung an Aslans Leistung ist ebenso minimal – diese Botschaft wird Aslan und der Klasse vermittelt. Aslan ist Türke und deshalb kann er von den Blutkörperchen der »normalen« Menschen nichts wissen. In dieser Sequenz wird im Vergleich zu dem Datum 9 nicht expliziert auf Normalität oder Normalsein hingewiesen. Stattdessen wurde eine Verneinung der Zugehörigkeit (du bist nicht Deutsch, deshalb bist du ganz anders) formuliert. Dies fungiert als Distinktionsmarker in der Interaktion – zugehörig oder nicht-zugehörig zur normalen Ethnizität (vgl. Datum 9, in dem der Distinktionsmarker des Normalseins zum Kriterium wird). Wieder wird Aslans Ethnizität als »brought about« kontextualisiert: Seine ethnische Zugehörigkeit gewinnt innerhalb der Sequenz an Bedeutung. Der spöttische Modus des Gesprächs ist für jeden Interaktanten offensichtlich und wird dementsprechend als Spaß wahrgenommen, was man an dem gemeinsamen Lachen sieht (Zeile 12). Die Selektion eines türkischen Schülers aus der Gesamtklasse hat viel mit der Visibilität seiner Ethnizität zu tun. Der Lehrer wählt einen bestimmten Schüler, macht ihn »sichtbar« und führt ihn vor der Klasse vor. Aslan wird nach seinen »nicht-normkonformen« Eigenschaften (Türkischsein, Anderssein) selektiert und zum anderen abgestempelt. Die Zuordnung Aslans zu der Kategorie »Türke« trägt einen situativen Charakter, der jedoch im Klassenkontext eine lange Geschichte hat. Aslans Ethnizität wird mehrfach am Tag auf unterschiedliche Weisen thematisiert.
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Ähnlich wie in Datum 9 lässt sich im zweiten Datum (10) nicht deutlich feststellen, welche kommunikativen Aufgaben (abgesehen von der Unterhaltungsfunktion der Ironie) in dieser Interaktion seitens des Lehrers gelöst werden müssen. In beiden Beispielen kommt die Herstellung der ethnischen Kategorie direkt nach dem Schweigen der Klasse oder in Situationen, in denen das Wissen oder Verstehen der Schüler geprüft wird. Dementsprechend kann die ethnische Zugehörigkeit dann aktiviert (»brought about«) werden, wenn ein Bedarf an Reaktion und Diskussionspartizipation entsteht. In beiden Beispielen werden die ethnischen Identitäten der Schüler als nicht-normkonforme Eigenschaft im Unterricht an einer deutschen Schule bearbeitet. In beiden Fällen sind die »fremden« ethnischen Identitäten in situ hervorgebracht und könnten vom fremden Beobachter als Diskriminierung oder Rassismus gedeutet werden. Die nächste Sequenz stammt ebenfalls aus dem Chemieunterricht, in dem das Thema »Trennmethoden« diskutiert wird. Der Chemielehrer fragt, was passiere, wenn man ein Gemisch aus Flüssigkeit und Sand verdunsten lässt (Zeile 1-7). Datum 11. Dreckteilchen. Chemie.(1.11.2011)(85)(37:00) Lehrer (L), Mahmed (M), Aslan (A), mehrere (m) 01 L: also(-)wir haben eine(--)ein geMISCH; 02 wo_ne flüssige PHAse drin ist; 03 und die flüssigkeit wollen wir halt im grunde 04 genommen WEG haben. 05 und wenn wir lufttemperaTUR haben; 06 können wir eben flüssigkeit ver_DUNsten lassen. 07 was bleibt denn unten DRIN? 08 A: WASser. 09 L: (enttäuscht) WASser. 10 un=un=und die=die DRECKteilchen die fliegen dann 11 durch die gegend oder was ja? 12 A: ne: SCHMUTZ ist drin. 13 M: schmutz UNten. 14 L: ja in der türkei ist alles ANders; 15 WEIß ich; 16 aber ich will_s nur verSTEhen. 17 M: schmutz ist UNten (.) die geht nicht weg. 18 L: kurdistan (erst) RECHT. 19 m: hahahahahahahahahahahaha 20 A: hohoho der belabert sich SELber. 21 L: so, 22 (9.0) (der Lehrer wirkt enttäuscht)
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»Ausländersein« an der Hauptschule 23 ja wollen wir jetzt BEten oder was? 24 m: hahahahahahahahahahahahah
Der Anfang der Diskussion verläuft wie in den meisten Fällen im fachlichen Kontext der Chemie. Die erste Meldung kommt von Aslan, der vermutet, dass Wasser nach dem Verdunsten im Glas bleibt, und die Sandpartikeln dagegen verdunsten. Der Lehrer geht mit Aslans Antwort in ironischer Form um, indem er die Aussage (Zeile 10-11) mit einem Frotzeln bezweifelt: un=un=und die=die DRECKteilchen die fliegen dann durch die gegend oder was ja? Bereits diese Aussage beinhaltet Züge einer Absurdität, was auf die Eröffnung eines neuen kontrafaktischen Interaktionsrahmens hindeutet, in dem die natürlichen chemischen Gesetze nicht mehr gelten. Als Reaktion korrigiert sich Aslan und gibt die richtige Antwort ne: SCHMUTZ ist drin (Zeile 12). Gleichzeitig meldet sich ein anderer Schüler, Mahmed (kurdischer Herkunft), in Zeile 13 schmutz ist UNten. Der Lehrer ignoriert jedoch die richtigen Antworten von Mahmed und Aslan und redet weiterhin lediglich mit Aslan. Hier öffnet der Lehrer ein paralleles Dialogfenster, an dem nur er und Aslan sich beteiligen. Parallel dazu existiert auch ein offizielles Unterrichtsfenster, in dem die ganze Klasse interagiert und in dem Aslan im Vordergrund steht. In diesem Moment wird das Unterrichtsfenster in den Hintergrund geschoben, die ironisch-absurde Konversation mit Mahmed tritt dagegen in den Vordergrund (Zeile 18). Die restliche Klasse übernimmt die Rolle des Publikums. In den Zeilen 14-15 macht der Lehrer einen letzten Kommentar über Aslans Fehler bezüglich der Trennmethoden: ja in der türkei ist alles ANders; WEIß ichaber ich will_s nur verSTEhen? Der Lehrer ruft Aslans ethnische Zugehörigkeit hervor, um seinen Fehler damit zu begründen. Hier wird das Adverb anders verwendet, das eine ähnliche abgrenzende und distinktive Funktion wie das normalerweise aus dem früheren Datum ausführt. In der Sequenz wird Aslan aus der ganzen Klasse heraus als Mitglied einer anderen ethnischen Gruppe kategorisiert und weiterhin als solcher behandelt. Seine Fähigkeiten (sein Wissen) werden zunächst ironisiert mit dem ethnisierten Maß definiert (»du kommst aus der Türkei«) und danach genauso distinktiv interpretiert und bewertet (»dort ist alles anders«). Auf diese ironische Weise verdeutlicht der Lehrer Aslan, dass nicht er selbst an seinem Wissensmangel schuld sei, sondern seine Ethnie und sein Herkunftsland, was auf offensichtlichen Absurditäten beruht. In diesem Beispiel wird das Herkunftsland als Distinktionsmarker für die Interaktion gewählt und fungiert als »brought-about«-Kontextualisierung (Hinnenkamp 1987). Außer der Referenz auf das Land wird auch das abgrenzende Adverb anders angewandt. Diese zwei Elemente führen dazu, dass Mahmed an dem Gespräch nicht mehr teilnimmt, und aus der Diskussion komplett aussteigt.
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Der Lehrer schließt das Dialogfenster mit Aslan dadurch, dass er Mahmeds richtige Antwort bestätigt und den Rest der Klasse zur weiteren Diskussion einlädt. In Zeile 18 kommt diese Bestätigung: kurdistan (erst) RECHT. Obwohl zunächst der Dialog mit Aslan und anschließend auch der Rahmen des ethnisierten, ironischen Gesprächs bereits geschlossen wurden, verwendet der Lehrer weiterhin das gleiche Muster mit Mahmed. Er bestätigt die Richtigkeit, indem er statt den Namen des Schülers zu sagen (wie etwa: »Mahmed hat recht«) – sein Herkunftsland Kurdistan in das Gespräch einbringt. Mahmeds Herkunft erhält in dieser Sequenz eine besondere Bedeutung. In diesem Fall dient das »brought about« nicht nur der Markierung der ethnischen Unterschiede, sondern betont die Positionierung der Schüler in situ. Da der Lehrer zuerst mit einem türkischen Schüler sprach und von ihm enttäuscht wurde, könnte behauptet werden, dass der Lehrer eine solche Gegenüberstellung (»Türkei versus Kurdistan«, parallel zu »richtige Antwort versus falsche Antwort«) als Provokation für die Schülerkonkurrenz initiiert. In dem Fall würde das bedeuten, dass die Lehrperson das Hochspielen ethnischer Zugehörigkeit nutzt, um die Schüler zueinander in Konkurrenz zu bringen. In dieser Sequenz agieren Herkunftsländer repräsentativ für Schüler und sind Distinktionsmarker für »Zuckerbrot und Peitsche« – Verteilung im Unterricht (s.u.). Im elften Datum erkennt man, wie schmal die Grenze zwischen spöttischem Angriff und politischer Diskriminierung ist. Die gleiche Sequenz im öffentlichen Kontext unter Erwachsenen hätte völlig andere Reaktion und würde als politisch unkorrekt bis rassistisch wahrgenommen. Die Deutung solcher Praktiken fordert deshalb hohe Sensibilität im Feld sowie großes Vertrauen innerhalb der Gruppe. Selbstverständlich muss die Beobachterin ebenfalls in der Lage sein, den in der Gruppe zugelassenen Ironiegrad zu erlernen und ihn rechtzeitig zu erkennen, um die Interaktionsdynamiken angemessen deuten zu können. Datum 12 stammt aus dem Mathematikunterricht, wo zwischen den Schülern und dem Klassenlehrer der Termin für den Biologietest vereinbart wird. Datum 12. Test. Mathematik.(16.03.2011) Lehrer (L), Kayrat (K), Fahrid (F), mehrere (m) 01 L: dann schreiben wir den BIOtest in der dritten 02 stunde okAY? 03 ?: (? diskutieren ?) 04 K: was SCHREIben wir jetzt? 05 ENGlisch(-)englisch? 06 F: können wir das MORgen? 07 L: MORgen (.) nö. 08 dann sind anna und sabine nicht DA. 09 (? ?)das ist ein ENGlischvokabeltest, 10 eeh aah °h(atmet schnell aus, zeigt, dass der Test
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»Ausländersein« an der Hauptschule 11 einfach ist) 12 mach nicht so viel WIND. 13 in pakistan machen sie FÜNF tests am tag. 14 deswegen bist du nach DEUTSCHland gekommen na? 15 m: hahahahahahahahahahhahaha
Der Mathematiklehrer macht den Vorschlag, den Test am gleichen Tag in der dritten Stunde zu schreiben. Kayrat fällt ein, dass die Klasse an diesem Tag aber auch einen Englischtest schreiben wird. Aus diesem Grund fragt Fahrid, ob es möglich sei, den Test einen Tag später zu schreiben. Der Lehrer präsentiert seine Argumentation in den Zeilen 7-8. Der erste Grund, den Test an diesem Tag zu schreiben, sei, dass zwei andere Schülerinnen am kommenden Tag nicht da sind. Der zweite Grund ist, dass Englischvokabeltests sehr simpel und deshalb nicht anstrengend für die Schüler sein sollten. Danach adressiert der Lehrer Fahrid persönlich (Zeile 12), indem er einen stereotypisierten Ironierahmen eröffnet: mach nicht so viel WIND. in pakistan machen sie FÜNF tests am tag. deswegen bist du nach DEUTSCHland gekommen na? Fahrid wird ähnlich – wie Aslan in Datum 11 – zu Unterhaltungszwecken als Mitglied der pakistanischen Ethnie angesprochen. Seine Ethnizität wird hervorgebracht, was das weitere Gespräch ethnisierend kontextualisiert. Andere Charakteristika seines Individuums (Geschlecht, Alter, Tätigkeit als Schüler, Interessen usw.) treten in der Aussage zurück. Allein seine Herkunft wird in das Gespräch implementiert, um die absurde Argumentation des Lehrers zu ermöglichen. Dabei geht der Lehrer wie üblich in den fiktionalen Rahmen über, in dem er frei entscheiden kann, welche Zustände in pakistanischen Schulen herrschen. Dabei bleibt er in seinen Fantasien durch seine völlig übertypisierten Vorstellungen vom Nahen Osten begrenzt. Seine Ironie beruht auf offensichtlichen Übertreibungen (»fünf Tests am Tag«), die zum Absurden tendieren. Er greift wieder ein Element seiner imaginierten Welt im Nahen Osten heraus und präsentiert es dem Publikum. Dies ist außerdem auch ein Element der »kanakistanischen Kultur« sowie Charakteristikum eines »Kanaken«: Ein Kanake meidet schwere Arbeit und flüchtet deswegen nach Deutschland auf der Suche nach einem einfachen Leben. Die letzte Bemerkung führt die Diskussion ad absurdum und beinhaltet die ursprüngliche Funktion der Ironie – die der impliziten Kritik. Der Lehrer weist Fahrid frotzelnd darauf hin, dass man in Pakistan fünf Tests am Tag schreibt, und Fahrid aufgrund dessen nach Deutschland ausgewandert sei. Dabei ist anzumerken, dass Fahrid in Deutschland geboren wurde und er selbst keine Migrationsgeschichte hat. Seine Eltern wanderten aufgrund von Kriegsumständen aus Pakistan nach Deutschland aus. Durch die Aussage in den Zeilen 8-9 betont der Lehrer die ausländische Herkunft Fahrids und betreibt dadurch einen »Otherization«-Prozess, der dazu führt, dass Fahrid dem
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Rest der Klasse als Kontrast gegenübergestellt wird. In situ wird Fahrid durch eine Frotzelsequenz in seiner Heimat zum Ausländer gemacht. Durch die Gegenüberstellung von Pakistan und Deutschland versucht der Lehrer, Fahrid dazu zu überreden, den Test zu dem von ihm vorgegebenen Datum zu schreiben. Zuerst arbeitet der Lehrer mit allgemeinen, objektiven Gründen und bleibt dafür innerhalb des ernsthaften Unterrichtsrahmens: Erstens seien andere SchülerInnen am nächsten Tag nicht da; zweitens sei der Englischtest simpel. Doch diese Gründe reichen nicht aus, es wird nicht abgewartet, ob der Schüler zustimmt oder nicht. Stattdessen spitzt er die Äußerung durch eine absurde Logik zu. Der Lehrer greift sofort auf die Herkunft zurück und setzt den Schüler in Kontrast zu den restlichen Schülern sowie auch zu ganz Deutschland, indem er pakistanische Schulverhältnisse fiktionalisiert und dadurch wiederum kritisiert. Zusammengefasst deutet er die Alltagsschwierigkeiten im vermeintlichen Herkunftsland spöttisch als Grund für die Immigration. Für den Schüler bedeutet das durch die Hervorbringung seiner vermeintlich ausländischen Herkunft und die negative Zuschreibung zu seiner Kultur (»die pakistanische Schule ist viel anstrengender als die deutsche«) jedoch einen situativen Ausschluss aus der Normalität. Die Frotzeldynamiken haben eine doppelte Wirkung: Einerseits sind die Frotzelsequenzen eine Annäherungsaktion innerhalb der Gruppe und dienen der Vergemeinschaftung ihrer Mitglieder, andererseits werden dadurch die ethnischen Differenzen repetitiv sichtbar gemacht. Die Sequenz 13 findet ebenfalls im Chemieunterricht statt. Hier werden Stoffeigenschaften besprochen. Der Chemielehrer fragt in Zeile 2, welchen Gefrierpunkt Wasser hat. Datum 13. Gefrierpunkt. Chemie.(25.10.2011)(77)(32:50) Lehrer (L), Aslan (As), Alex (A), mehrere (m) 01 L: eine stoffEIgenschaft ist der geFRIERpunkt zum 02 beispiel. 03 welchen gefrierpunkt hat WAsser? 04 As: minus [äh 05 L: [achtundzwanzigtausendzweiundzwanzig grad. 06 m: hahahahahahahahahahaha 07 As: a: ACHT minus irgendwas. 08 L: ja genau (.) und in der türkei wahrscheinlich im 09 grunde genommen ähm plus DREI. 10 M: bei null grad fü: oder bis: plus fünf: vier grad 11 flüssig oder so (-) und danach wird_s HART. 12 L: ((atmet laut mit Enttäuschung aus)) 13 °dir wird vieles hart°. 14 jaja.
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m: hahahahahaahahahahahah L: hehe macht mich jetzt nicht FERtig(.) du; jetzt so (--) ej jetzt A!lex; A: bei NULL grad. L: bei NULL grad genau. da null grad in UNSEREM BREI!TENGRAD ja? also MEEreshöhe jetzt hier ähm null grad ist ehaber türkei ist wahrscheinlich ANders (.) plus ja. As: ja. L: also ob Ararat und so ja? As: ja (-) plus zwei grad. L: ja geNAU (0.1) wahrscheinlich ja, und jetzt dadurch dass es jetzt im grunde genommen da ERDbeben gab wahrscheinlich plus drei: zwei komma fünf? As: ja:. L: ja KLAR; As: zwei komma VIERL: zwei komma VIER? SU!per (.) alles klar ja.
Wie in den meisten Fällen entwickelt sich diese Sequenz aus einem ernsthaften fachlichen Rahmen (Chemiestunde) heraus. Auf die Frage des Lehrers versucht Aslan (türkischer Herkunft), mit seinem unsicheren minus äh zu antworten. Statt den Schüler zu korrigieren, ergänzt der Lehrer Aslans falsche Antwort mit einer ironischen Anspielung (Zeile 5), indem er eine absurde Lösung vorschlägt. Das löst bei den meisten Schülern Lachen aus (Zeile 6). Dadurch wird das Publikum in die Performance eingeladen: Es kann mitbestimmen, wie der weitere Verlauf der Sequenz aussehen wird. In Zeile 7 versucht Aslan seine Antwort zu korrigieren – ACHT minus irgendwas –, was wiederum nicht die richtige Lösung ist. Auf Aslans Antwort reagiert der Lehrer sofort mit einer Hypothese: ja genau und in der türkei wahrscheinlich im grunde genommen ähm plus DREI. Aslans türkische Herkunft wird aktiviert, um seinen Fehler zu rechtfertigen. Die Ethnizität des Schülers wird kontextualisiert und fungiert als ein von der Gruppe akzeptierter Beleg für Dummheit – jedoch nur im Ironierahmen. Der Lehrer schafft den Ironierahmen durch die in dieser Klasse standardisierte Einführung absurder Annahmen, laut denen in der Türkei andere physikalische und klimatische Regeln gelten. Nachdem Alex (Zeile 19) die richtige Antwort gibt, wendet sich der Lehrer wieder Aslan zu: bei NULL grad, genau. da null grad in UNSEREM BREITENGRAD! ja? also MEEreshöhe jetzt hier ähm null grad ist eh aber türkei ist wahrscheinlich ANders plus ja. Er akzentuiert in UNSEREM BREITENGRAD und
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deutet dadurch (unser) an, dass er von Deutschland und nicht von der Türkei spricht. Das Possessivpronomen fungiert in diesem Beispiel als Distinktionsmarker und erzeugt die unsichtbare Grenze zwischen den beiden Ländern sowie zwischen dem Lehrer und Aslan. In dieser Sequenz agieren die Sprecher als Repräsentanten ihrer »Herkunftsländer«. Dabei wurden beide in Deutschland geboren. Der Lehrer schließt seine Aussage mit der Rückkehr zu der absurden Idee, dass in der Türkei alles anders sei. Er adressiert sich an Aslan und sucht nach Bestätigung seinerseits – plus ja?–, um Aslans Antwort ad absurdum zu führen und um dadurch auch die Inkompetenz des Schülers vor dem Publikum zu bestätigen. Im Gegensatz zu vielen anderen Sequenzen dieser Art (Frotzelsequenzen) steigt Aslan aus dieser Situation nicht aus. Nachdem er versteht, dass er mit seiner Antwort falsch liegt, was ihm die Aussagen des Lehrers sowie das Lachen der Klasse signalisieren, akzeptiert Aslan die Spielregel des Ironierahmens und bestätigt die Behauptungen des Lehrers, dass in der Türkei alles anders sei (Zeile 23). Aslan kontert die spielerischen Angriffe des Lehrers, indem er seinen absurden Behauptungen zustimmt und sie zusätzlich erweitert: ja (-) plus zwei grad (Zeile 25); zwei komma vier– (Zeile 32). Aslan übernimmt die ihm von dem Lehrer zugeschriebene Rolle des türkischen Vertreters und sichert dadurch sein Image in der Klasse als das eines schlagfertigen Schülers, der eine Frotzelsequenz fortsetzen kann. Er arbeitet ebenfalls mit den absurden Gefriertemperaturen und bleibt dadurch im kontrafaktischen Spielraum der Diskussion. Die Verwendung des Pronomens unser und wiederum des Adverbs anders fungieren hier in diesem Datum als Distinktionsmarker. Ein klarer Unterschied zwischen der Türkei und Deutschland, zwischen hier und dort, wird mithilfe dieser Elemente fiktionalisiert. In diesem Fall wird die Normalität spöttisch verneint: Die allgemeinen physikalischen Gesetze gelten in der Türkei nicht. Somit herrscht die Normalität lediglich in Deutschland. Die Gegenüberstellung der Türkei und unserem Breitengrad bezieht wiederum ethnische Zugehörigkeit in die Argumentation mit ein. Erstens wird Aslan dadurch »zum Anderen« gemacht. Zweitens führt die situative Hervorbringung seiner ethnischen Herkunft zur Bewertung der physikalischen Gesetze in der Türkei. Aslans Reaktion kann als Teil der Gesichtsarbeit gedeutet werden. Die Rolle des Publikums darf hier ebenfalls nicht übersehen werden: Es übt Druck auf beide Sprecher aus und signalisiert seine Präsenz durch das Lachen. Das letzte Gespräch stammt aus dem Arbeitslehreunterricht (AL). Der Klassenlehrer bespricht den Elternabend mit der Klasse. Fahrids Eltern kommen nie zu den Elternbesprechungen. Aus diesem Grunde entsteht auch dieses Gespräch.
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»Ausländersein« an der Hauptschule Datum 14. Elternabend. AL.(01.11.2011)(57)(02:49:30) Lehrer (L), Fahrid (F), Kayrat (K) 01 L: so FAHrid (.). 02 ich glaub ich brauch jetzt NICHT zu sagen, 03 dass es zu HAUse im grunde genommen ähm einiges an 04 argumentation zu dieser LEIStungsstärke 05 (? ?)zu hause gibt. 06 (? ?)keiner erSCHEINT ne? 07 F: DOCH isch glaub ich [muss= 08 L: [hm ich glaube ich mache hier 09 kein religiON, 10 F: NEIN. 11 L: doch (.) ganz gewiss. 12 (-)sonst setz ich euch auf den Esel, 13 dann karr ich uns nach PAkistan. 14 verSPREch ich dir. 15 F: NEIN. 16 L: das GIBT_S nicht. 17 deine eltern noch NIE gesehen. 18 K: hahahahahahaha 19 L: na(-) und das ist kein grund weil dass sie kein 20 DEUTSCH können. 21 so funktioNIERT_s nicht. 22 ja? 23 sonst rufe ich nämlich AN; 24 und weißt du WO? 25 soziAL!amt. 26 das geht dann ganz SCHNELL; 27 es gibt dann finanzielle EINschnitte. 28 mein ich ERNSThaft. 29 MACH ich nicht. 30 und dann läuft(? ?) SIE. 31 (?ist nicht in Berlin versteckt. es gibt_s?) 32 so geht das NICHT. 33 deutschland ist ein soziAles land, 34 hier gibt_s GRENzen. 35 leben ist ein NEHmen und gEben. 36 K: der spruch war GUT. 37 L: das müssen im grunde genommen auch unsere 38 MITbürger irgendwie verstehen.
4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer Klasse
Diese Sequenz findet vor der gesamten Klasse statt. In Zeile 12-13 äußert der Klassenlehrer eine klare Bedrohung: sonst setz ich euch auf den Esel, dann karr ich uns nach PAkistan. Diese Bedrohung richtet sich an Fahrids Familie, die zu den Elternbesprechungen nicht erscheint. Der Lehrer verwendet wieder das Symbol »Esel« aus seiner imaginären Welt, was aus seiner Sicht die Kultur Pakistans und Kanakistans gleichzeitig repräsentiert. Außerdem schickt der Lehrer Fahrids ganze Familie in sein Herkunftsland. Über Fahrids Familie wird lediglich als pakistanische Familie gesprochen und nicht als »reguläre« deutsche Familie. Sie wird dadurch also kulturell und ethnisch kontextualisiert. In den Zeilen 23-27 bedroht der Lehrer Fahrids Familie mit dem Anruf beim Sozialamt weiter. Die Interaktion verläuft nicht in einem humoristischen Rahmen: Sie geht in direkte Kritik an Fahrids Verhalten über. Das Apogäum seiner Argumentation ist die Feststellung: deutschland ist ein soziAles land, hier gibt_s GRENzen. Als Garant für die Richtigkeit der Aussagen des Lehrers und zur Verstärkung seiner Argumente werden Deutschland und sein Sozialsystem erwähnt. Dadurch geht die Diskussion aus dem schulischen Kontext (»Elternabend«) in den soziopolitischen über. Ab diesem Moment wird Fahrids Familie und die pakistanische Kultur dem deutschen Sozialstaat gegenübergestellt. Fahrid wird in die Position gebracht, in der er die Verantwortung für die Missachtung der deutschen Schulregeln seitens seiner Eltern übernehmen muss. Der Grenzmarker hier weist wiederum auf die situative Nichtzugehörigkeit Fahrids und seiner Familie hin. Hier gibt_s Grenzen ist eine Erinnerung für Fahrid, dass er sich in Deutschland befindet und dass sein Verhalten (und das Verhalten seiner Eltern) den Normalitätsvorstellungen in Deutschland nicht entspricht. Hier erkennt man die Moral vorschreibende Rolle situativer Zugehörigkeitszuschreibungen. Die Moralvorstellungen eines deutschen Lehrers werden in dieser Sequenz ernst geäußert und als Erziehungsmaßnahmen im Unterricht angewandt. In der Diskussion schreibt der Lehrer sich selbst eine Zugehörigkeit zu: Von einem Klassenlehrer wird Herr Müller zu einem deutschen Bürger, dessen Aufgabe darin besteht, die Pflichten der Eltern zu sichern. Er lokalisiert das Gespräch in Deutschland und platziert sich in den Punkt der Grenzkontrolle: Er bewahrt die Sicherheit der deutschen Regeln und bestimmt, welches Verhalten diesen Regeln entspricht. Fahrids Zugehörigkeit zu Pakistan und der pakistanischen Kultur wird in dieser Diskussion als Abgrenzungsinstrument ausgebeutet. Durch ein lokalisierendes hier, die Gegenüberstellung von Pakistan und Deutschland und durch den normativen Hinweis hier gibt’s Grenzen wird Fahrid aus Sicht des Lehrers von der Normalität seines Verhaltens ausgeschlossen. Als Fazit gilt Fahrids Familie als »nicht normenkonform«, »nicht zugehörig«, also nicht in die deutsche Gesellschaft »passend«.
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Die Moral dieser Rede kommt zu folgendem Schluss (Zeile 37-38): das müssen im grunde genommen auch unsere MITbürger irgendwie verstehen. Fahrids Eltern werden als Mitbürger kategorisiert und werden in der Frage nach sozialem Engagement und Verantwortung an die deutsche Gesellschaft angeschlossen. Damit besteht Herr Müller darauf, dass Fahrids Eltern ihre bürgerlichen Pflichten als Eltern erfüllen müssen. Kontrovers ist jedoch die Wortwahl des Lehrers bezüglich der pakistanischen Eltern Fahrids. Der Duden schlägt die folgende Definition des Wortes »Mitbürgers« vor: »jemand, der dem gleichen Staat angehört oder der in der gleichen Stadt, am gleichen Ort lebt, wohnt.«3 Der Lehrer schließt die Eltern also an den gemeinsamen Staat an. Darüber hinaus schlägt der Duden Adjektive vor, die in der deutschen Sprache am häufigsten gemeinsam mit dem Wort »Mitbürger« verwendet werden, unter diesen sind: »jüdisch«, »ausländisch«, »türkisch«, »muslimisch« und andere. Daraus folgt, dass der Lehrer die Eltern von Fahrid zwar an die Gesellschaft anschließen möchte (»sie müssen gesellschaftliche Partizipation zeigen«), es jedoch dadurch, dass er sie zu den »Mitbürgern« zählt (siehe Hinnenkamp 1989), zu ihrem expliziten Ausschluss kommt. Pakistanische Eltern sind dementsprechend dem deutschen Sozialstaat gleichzeitig zugehörig und nicht zugehörig. Auf jeden Fall werden diese Eltern als anders kategorisiert. Außerdem wird die Kategorisierung der Eltern als Mitbürger im Sinne von Ausländern dadurch bestätigt, dass Herr Müller das Adverb auch begleitend verwendet, was darauf hinweist, dass es sich um mindestens zwei kontrastierte Gruppen handelt: »Mitbürger« und »die anderen (normalen?) Bürger«. Zusammengefasst wird der Aspekt der Normalität sowie der Vorstellungen über Normkonformes Verhalten in den Unterrichtsinteraktionen vielschichtig, explizit und implizit kommuniziert. Dabei verläuft die Herstellung der Differenzen und Abweichungen von Normalität oft im ironischen Rahmen. Die spielerischen Nichtnormalitäten verpackt der Lehrer in Frotzelsequenzen, die auf Gruppenvertrauen beruhen. In diesen Sequenzen kreiert er fiktionale Maßstäbe der Normalität und verwendet dafür unterschiedliche Distinktionsmarker. Ethnische und kulturelle Zugehörigkeit, die Herkunft der Eltern sowie das Herkunftsland der Schüler sind die häufigsten Mittel, die den Kontext solcher Sequenzen als »brought abouts« charakterisieren und vordefinieren. Moral und schulische Normen werden ebenfalls in kontrastiven Argumentationssequenzen (hier vs. da; Deutschland vs. Pakistan; Mitbürger vs. Bürger; deutscher Breitengrad vs. türkischer Breitengrad) in situ konstruiert. Oft sind diese Argumentationsstrategien durch standardisierte Absurditäten und kulturelle Stereotype gekennzeichnet. An den Beispielen wird deutlich, dass die Herkunft der Schüler zu unterschiedlichen Zeitpunkten an Bedeutung gewinnt und somit eine reiche Ressource für Normalitätsvergleiche darstellt. 3 | Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/Mitbuerger (Stand 05.05.2014).
4. Die imaginäre Welt der Kanaken: Zugehörigkeitszuschreibungen in einer Klasse
Besonders kritisch ist die Referenz auf die ethnischen Eigenschaften einzelner Schüler, da diese inhaltlich sehr vage ist und im öffentlichen Diskurs Deutschlands als sehr sensibel bis tabuisiert behandelt wird. Falls die vorhandenen Stereotypen nicht ausreichen sollen, kann der Lehrer immer auf die Praktiken seiner fiktionalen Welt, die dazu tendieren, seine ironische Argumentation zu einer kompletten Absurdität zuzuspitzen, zurückgreifen. Dementsprechend zählen die Praktiken der ethnischen Kontextualisierung in frotzelhafter Form in der H7 zu den üblichen Tagesabläufen. Die Reduzierung der einzelnen Schüler auf ihre »Herkunftsländer« innerhalb einer Frotzelsequenz hat ebenfalls einen regelmäßigen Charakter. Die Partizipation des Publikums (d.h. der Klasse) ist kooperierend und die Außenstehenden somit aktiv involviert. Alle diese Faktoren »legalisieren« die Ethnisierungsprozesse in den Unterrichtsinteraktionen zu einem hohen Grad: Durch die spöttische Umhüllung wird die Schärfe der Kritik und der Ethnisierung erheblich abgemildert und dementsprechend auch als Spaß bearbeitet. An dieser Stelle lassen sich die Prozesse der Zuschreibungen und Bewertungen von ethnischer Zugehörigkeit als sehr dynamische Praktiken beobachten. Die hergestellten Nichtnormalitäten sind ebenfalls ko-konstruierte Kategorien, die im Unterricht routinisiert bearbeitet werden. Diese tragen keinesfalls eine diskriminierende Wirkung, sondern dienen der Vergemeinschaftung der Gruppe. Durch die Häufigkeit ihrer Verwendung und durch ihre Thematisierung verlieren riskante Frotzeleien an ihrer »bissigen« Wirkung und fungieren genau in Gegenrichtung. Die offensichtlich stereotypischen Charakteristika anderer Länder sowie ihrer angeblichen »Bewohner« konstruieren die Frotzelrahmen, innerhalb denen die Gruppenmitgliedschaften ausgehandelt werden. Dieser Rahmen funktioniert allerdings lediglich unter der Bedingung, dass alle ihre Teilnehmer daran beteiligt sind und die Bedeutung des Rahmens sowie seine Grenzen teilen. Zusammengefasst verleiht die vage Natur des Frotzelns sowie die multiethnische Zusammensetzung der H7 der Gruppe die Möglichkeit, die Diversität der Klasse in Form von Frotzeln auszuhandeln. Die Fähigkeit, die Frotzeleien sowie die Ironie im Allgemeinen zu verstehen, ist die Voraussetzung für die erfolgreiche Mitgliedschaft innerhalb der Gruppe. Die konstruierten Nichtnormalitäten – trotz des scheinbar abgrenzenden Namens – sind spielerische Kategorien, mit deren Hilfe Zugehörigkeit und Vergemeinschaftung hergestellt und gesichert werden. Dabei ist der Aspekt des Vertrauens nicht zu ignorieren: Das Vertrauen ist sowohl das Indiz als auch das Ergebnis der oben beschriebenen riskanten kommunikativen Praktiken. Im Weiteren werde ich die Ethnisierungsprozesse näher unter die Lupe nehmen und versuchen herauszufinden, welche Funktionen Ethnizität und ihre Zuschreibungen im Unterricht außerdem übernehmen können.
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5.1 P rozesse der K onstruk tion von A nderssein 5.1.1 E xterne Herstellung von Fremdheit Ethnizität bzw. ethnische Zugehörigkeit ist ein soziologisches Konzept, das häufig dem biologischen Konzept der Rasse gegenübersteht. An dieser Stelle ist es zentral zu definieren, was die moderne Soziologie unter »ethnischen Gruppen« versteht: [Ethnische Gruppen sind] solche Menschengruppen, welche aufgrund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird. (Weber 1964: 307)
Dementsprechend spricht man von ethnischer Identifikation, die sich aus der ethnischen Zugehörigkeit entwickelt: [Ethnische Identifikation ist] die Art und Weise, in der Personen mit einer gemeinsamen Referenz auf ihre ethnische Herkunft sich zu einem oder mehreren sozialen Systemen in Beziehung setzen und in der sie wahrnehmen, dass andere sie in Relation zu diesen Systemen bringen. (Radtke 2008a: 654)
Gilroy (1987) spricht vom »ethnischen Absolutismus«, der davon ausgeht, dass Ethnizität eine der wichtigsten Beschreibungskategorien eines Individuums sei: Ethnic absolutism [states that] ethnicity is the most important part of a person’s social identity and […] this is fixed during their early years of socialisation. (Gilroy 1987; in Rampton 2006b: 51)
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In der modernen soziolinguistischen Forschung zeigt Rampton, dass Ethnizität lediglich situativ eine entscheidende Rolle in den Interaktionen übernimmt: In the course of their [people’s] everyday affairs, ethnicity, gender and other identities move unpredictably in and out of focus according to circumstances. (Rampton 2006b: 54 f.)
Rampton schreibt der Hervorbringung dieser Kategorien die Funktionen einer symbolischen Währung zu, die unter unterschiedlichen situativen Umständen eingesetzt wird. Der Einsatz dieser Währung wird unterschiedlich begründet, wie beispielsweise unter folgenden Umständen: Where the discourses and material effects of language group membership, age, ethnicity, religion, etc. have currency (circulating in local, national and global networks, impacting on the distribution of material and symbolic resources), Where these categorizations are relevant to the participants, classifying and rating them differently, where the participants may need, want or happen to orient actively to these categories and their associations. (Rampton 2006b: 55)
Zusammengefasst stellt man fest, dass Ethnizität ebenso wie Geschlecht oder Alter eine Kategorie ist, die in situ aktiviert wird, um eigene oder fremde Positionierungen in der Interaktion zu bearbeiten. In den in diesem Feld beobachteten und registrierten Alltagsroutinen findet man keine Beispiele für explizite Rassismen. Im Unterschied dazu sind Fälle ethnisierter Diskussionen zahlreich. Diese verknüpfe ich nicht nur mit den Mechanismen der Kategorisierung und den Zugehörigkeitszuschreibungen, sondern auch mit den kommunikativen Rahmen der »Otherization«-Prozesse (Holliday 2004). Der Alltag einer multiethnischen Klasse bietet an vielen Stellen Möglichkeiten, die Kategorie »Anderssein« zu thematisieren. Dieses Anderssein wird in der erforschten Gruppe überwiegend aus dem Winkel einer ethnischen Zugehörigkeit gesehen und bearbeitet. Nicht nur externe Prozesse von Exotisierung (Angriffe seitens der Lehrerschaft oder der Mitschüler) finden in der Gruppe statt, sondern auch Prozesse der Self-Otherization sind häufig zu beobachten. Dabei werden seitens der Lehrer (unnötige) ethnische Anspielungen auf Kosten der Schüler und ihrer Herkunft gemacht. Dies verpacken sie entweder in Form eines Frotzels (was sich nicht immer erkennen lässt), oder in Form einer ironischen Anspielung, die für die Schüler ebenfalls nicht immer zugänglich ist. Interne Lehrer-Schüler-Beziehungen auf Freundschaftsbasis (aus der Sicht des Lehrers) oder einer institutionellen Hierarchiebasis (aus der Sicht der Schüler) erlauben den Lehrern, in der Klasse ethnisch geladene OtherizingKommunikation zu führen. Auf der anderen Seite haben die Schüler oft selbst
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die Möglichkeit, sich gegenseitig als anders darzustellen. In dieser Situation befinden sich die Schüler jedoch auf einem gleichen Hierarchieniveau und haben mehr Angriffs-/Verteidigungsfreiheit als in der Lehrer-Schüler-Situation. Auch Prozesse der Self-Otherization sind nicht selten zu finden. Meistens thematisieren die Self-Otherizing-Sequenzen ethnische Merkmale, die eine bestimmte Konnotation von »Coolsein« oder »Uncoolsein« zu haben scheinen. Ethnizität als self-otherizing-Kategorie nähert sich der Bedeutung der »kommunikativen Währung« (nach Rampton), mit deren Hilfe Coolness »gekauft« werden kann. An dieser Stelle muss die Bedeutung von Coolness in der H7 erläutert werden: In der vorliegenden Studie kann man unterschiedliche Bedeutungen dieses Konzept beobachten, da »Coolness« lokal produziert und bewertet wird. Es gibt jedoch durchaus Bestandteile, die fast immer als Grundbestandteile von »Coolness« bestehen bleiben. »Cool sein« bzw. »cool bleiben« ist eine der Strategien der Gesichtsarbeit (siehe Kapitel 6), eine Art »Maske«, die dem Sprecher erlaubt, seine Positionierung in der Gruppe zu sichern. In der H7 kann man von interaktiven Aspekten der Coolness sprechen: Bestimmte kommunikative Fähigkeiten können als cool oder uncool gelten. Eine dieser Fähigkeiten ist kommunikative Schlagfertigkeit: Derjenige, der angegriffen wird – in Form von Kritik oder ironischer Anspielung –, muss möglichst schnell und treffend kontern. Das lässt sich hauptsächlich in informellen Konstellationen (bspw. in den Pausen) unter den Schülern beobachten. So sind verbale »Battles« im Sinne von »Deine Mutter ist …« in den Pausen zu hören. So ein Battle findet vor der gesamten Klasse statt und kann schwere Imageschäden verursachen, falls nicht rechtzeitig und geschickt gekontert wird. »Geschickt kontern« heißt in der H7, eine Frotzel- oder Angriffssequenz möglichst witzig fortzusetzen oder gegen den Angreifer selbst zu drehen. Eine weitere Option wäre, dem Angreifer mit physischem Angriff (»Du kassierst gleich Schläge«, »Ich haue dir aufs Maul«) zu drohen. Die letzte Option tritt dann ein, wenn das Angriffsopfer nicht geschickt kontern kann. In diesem Fall setzt man eine »Schutzmaske« auf, indem man dem Angreifer und dem Publikum seine Ignoranz und Gleichgültigkeit zeigt. Man tut also so, als ob man keine Schmerzen empfindet. Auf keinen Fall darf man zeigen, dass man beleidigt oder verletzt ist, da dies als Zeichen eigener Schwäche gilt (vgl. Kotthoff 2011b). Außerdem gehört zu Coolness die Fähigkeit, sich etwas zu trauen bzw. etwas zu wagen, das die Machtkonstellation oder die herrschenden Normen nicht erlauben: Ein Beispiel dafür ist, dem Lehrer offen zu sagen, dass jemand im Alter von 13 Jahren starke Alkoholgetränke (Wodka) konsumiert und sogar in die Schule mitbringt. Anders gesagt zählt unter den Schülern also eine gewisse Risikobereitschaft den Autoritäten gegenüber ebenfalls als Coolnessbeweis. Otherization als kommunikativer Rahmen basiert auf Unterschieden und der Gegenüberstellungen dieser Unterschiede. Exotisierung ist gleichzeitig
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ein Prozess der Gegenüberstellung und ihr Ergebnis. Der Unterschied funktioniert als Kriterium, um die Person anders zu behandeln oder andere Erwartungen an die Person zu stellen. Holliday bietet folgende Definition des Prozesses an: [Otherization is] the process that we undertake in ascribing identity to the Self through the often negative attribution of characters of the Other. (Holliday 2004: 180)
Er listet mehrere Otherization-Kriterien auf, die bei diesem Prozess infrage kommen: The ›foreign Other‹ [...] refers not only to different national but also to any group of people perceived as different – perhaps in terms of so-called ethnicity, religion, political alignment, class or caste, or gender. (Holliday 2004: 23)
Der Mechanismus von »Otherization« erklärt sich dadurch, dass man den Anderen als primitiver und simpler sehen kann und ihn dementsprechend auch behandeln kann: Otherization is based on the assumption that the cultural Other is not as complex or as sophisticated as the cultural Self, and that the Other can therefore be reduced to essential and often negative characteristics. (Holliday 2004: 23)
Das Zutrauen und die Erwartungen in der Klasse sowie der Umgang mit den Differenzen, die durch die multiethnische Zusammensetzung der Klasse entstehen, verläuft oft im Rahmen der Konstruktion eines entwerteten Anderen. Wie man in der untersuchten Klasse mit dem »Anderssein« umgeht, wird im folgenden Kapitel mithilfe diverser Beispiele aus dem Feld dargestellt. Datum 15 stammt aus einer Unterrichtsstunde im Fach Deutsch. Die Lehrerin, Frau Wagner, bietet den Schülern im Deutschunterricht an, ein deutsches Worträtsel zu lösen. Datum 15. Deutscher Witz. Deutsch. (03.11.2011) Lehrerin (L), Aslan (A), Christian (C), Ruslan (R), Danil (D). 01 L: hast du ne ahnung wer der erste DICHter war (-) 02 der durchs LAND zog? 03 R: mark TWAIN? 04 L: CHRIS!tian. 05 C: christian SCHMIDT!(spielt mit eigenem Namen) 06 L: NEIN::(-)ein DICH!ter nE!bel zOg durchs lAnd. 07 R: oh::: (-)der war GUT.
5. Interaktionale Bearbeitung der ethnischen Zugehörigkeiten 08 A: ach SO::. 09 H: frau WAGner? 10 L: ihr müsst ja auch mal n_DEUTSCHN witz kennenlernen.
In den Zeilen 1-2 fragt Frau Wagner, ob die Schüler wissen, wer der erste Dichter war, der durchs Land zog. Das Rätsel ist ein Wortspiel, das in Zeile 6 von der Lehrerin selbst erklärt wird. Auf die Frage der Lehrerin geben die Schüler unterschiedliche Antworten, wie Mark Twain und Christian Schmidt (der Name eines Schülers). Nach den erfolglosen Vorschlägen der Schüler gibt die Lehrerin selbst die richtige Antwort. Darauf wird mit der war GUT und mit ach SO reagiert. Diese Reaktion wird mit einer humoristischen Intonation präsentiert, was an den Gesichtsausdrücken zu erkennen ist.1 Zum Schluss macht die Lehrerin folgende Bemerkung: ihr müsst ja auch mal n_DEUTSCHN witz kennenlernen. Mit der Aussage impliziert die Lehrerin, dass die Schüler über wenige linguistisch-kulturelle Kenntnisse im Deutschen verfügen. Damit weist sie darauf hin, dass die Schüler die Kompetenzen, einen deutschen Witz zu kennen oder zu verstehen, nicht unbedingt aufweisen. Zusätzlich fügt sie mal in ihren Satz ein, was auf eine Unregelmäßigkeit des Deutschkompetenzerwerbes der Schüler hinweisen könnte. Diese Aussage spiegelt die Wahrnehmung der Klasse durch die Lehrerin teilweise wider: Die Klasse braucht mehr Deutschkompetenzen und durch solche Witze bekommt sie zusätzliche Fähigkeiten, die für das Leben in der deutschen Kultur erforderlich sind. Der Prozess, der in diesem Datum verläuft, ist ein Beispiel der Differenzkonstruktion im monolingualen und monokulturellen Deutschunterricht. Es ist zu bezweifeln, ob Frau Wagner das Gleiche sagen könnte, wenn sie den Unterricht in einer ethnisch-homogenen, deutschen Klasse gehalten hätte. Dieser Kommentar ist relevant, weil die Klasse multikulturell und mehrsprachig ist. Aus diesem Kommentar ist ersichtlich, dass die Lehrperson daran erinnert, dass sich die Schüler in einer anderen Sprachkultur befinden. Sie sind in der Lage, türkische, russische, pakistanische etc. Witze zu verstehen, aber die deutschen nicht unbedingt (ihr müsst mal auch – also sowohl die türkischen als auch die deutschen Witze verstehen können). Die Schüler werden als eine besondere Art »Anderer« kategorisiert: anders als die »normalen« Schüler anderer Klassen, in denen man den Witz selbstverständlich verstanden und sogar gekannt hätte. Es muss an der Stelle angemerkt werden, dass keiner der 1 | Aus einer Nachbesprechung mit Ruslan und Aslan erklärt sich das Verhältnis zwischen Frau Wagner und der Klasse: Ruslan und Aslan finden die Witze der Deutschlehrerin nicht witzig. Sie geben zu, dass sie über ihre Witze im Unterricht absichtlich lachen, damit sie weiterhin als Lieblingsschüler gelten. In dem oben beschriebenen Datum findet man genau so eine Episode, in der sich Aslan und Ruslan sehr laut über den Witz amüsieren und den Witz auch aktiv loben.
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Schüler über den Witz lacht. Daraus könnte Frau Wagner schließen, dass die Klasse den Witz selbst nach der angebotenen Lösung nicht verstehen kann. In diesem Datum erkennt man einen simplen Mechanismus der Hervorbringung der Differenzen bzw. Fremd-Zugehörigkeiten. Die Hervorbringung des Nicht-Deutschseins schreibt den Schülern einen Mangel an Kenntnissen der deutschen Witzkultur zu und dementsprechend den Bedarf, ihre Kompetenzen zu erweitern. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass es in der Klasse auch Deutsche gibt. Situativ und lokal wird in dieser Sequenz eine Ausländerinsel innerhalb einer deutschen Schule in Deutschland gebaut (ähnliche Prozesse verlaufen im Ethikunterricht, siehe Kapitel 8). Datum 16 präsentiert den Prozess der Exotisierung, der im AL-Unterricht in humoristischer Form des Verdachts stattfindet. Der AL-Lehrer fragt nach einem gelben oder grünen Marker (Zeile 1-2). Die Schüler bieten unterschiedliche Farben an: lila, blau, grün, pink. Im Endeffekt entscheidet sich der Lehrer für den Gelben. Datum 16. Marker. AL. (06.05.2011)(01:16) Lehrer (L), Fahrid (F), Kayrat (K), Christian (C), Aslan (A) mehrere (m) 01 L: hat jemand einen MARker von euch? 02 gelben marker oder einen GRÜnen marker? 03 A: JA. 04 K: michael hat_s hier (-) PINK. 05 L: michael hat PINK? 06 C: ein LIla marker; 07 A: hahahahahahahahahahahahahahahahaha 08 L: oKAY. (0.4) 09 K: oder BLAU. 10 L: dann nehme ich BLAU. 11 GELB ist am liebsten. 12 danke(-)gelb.(nimmt Fahrids Marker) 13 A: LIla gibt_s auch; 14 L: NEIN. 15 ich hab mit GELB angefangen; 16 ich mit gelb angefangen (-) DANke. 17 (riecht am Marker, lächelt und guckt auf Fahrid 18 misstrauisch) 19 m: hahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahah 20 L: hier muss ich AUFpassen du. 21 F: ist kein (? ?). (lächelt) 22 L: ne(-)(? ?)nicht; 23 aber wo du jetzt in PA!kistan warst(-)da-
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F: ist auch keine BOMbe drin. (lächelt) L: bist du sicher dass es hier=wie das hier beNUTZT wird? A: hahahahahaha als BOM!be. L: nein NICHT als bombe; sondern (? ?)(-)DAnke ne;
Den Marker bekommt der Lehrer von dem pakistanischstämmigen Schüler Fahrid. Fahrids Eltern kommen aus Pakistan und Fahrid selbst war vor ein paar Wochen in Pakistan zu Besuch bei seinen Großeltern. Seine Ferien in Pakistan wurden im Unterricht und in den Pausen intensiv von den Lehrern und Schülern thematisiert. Nachdem der Lehrer seinen Marker in die Hand nimmt, führt er ihn zu seiner Nase und riecht demonstrativ und mit einem Lächeln im Gesicht daran. Darauf reagieren die Schüler unverzüglich mit lautem Lachen (Zeile 19). Der Lehrer kommentiert das Geschehen: hier muss ich AUFpassen du. Der Lehrer deutet sein Misstrauen und seinen Verdacht gegenüber Fahrid an. Fahrid versucht sofort, sich zu verteidigen: ist kein (Zeile 21). Der Lehrer spielt sein Spiel jedoch weiter: aber wo du jetzt in PA!kistan warst (Zeile 23) und erwähnt Fahrids Herkunftsland mit Bezug auf den Marker. Nachdem Fahrid seine Sommerferien in Pakistan verbracht hat, bekommt der Marker neue, »gefährliche« bzw. »terroristische« Eigenschaften. Daher muss der Lehrer jetzt »aufpassen«. Fahrid unterstützt die absurde Logik des Lehrers, akzeptiert den Verdacht, dass der Marker gefährlich sein könnte und beruhigt den Lehrer folgenderweise: ist auch keine BOMbe drin (Zeile 24). Der Lehrer setzt seine Behauptung fort, indem er Fahrid fragt, ob er sich sicher sei: bist du SIcher dass es hier wie das hier benutzt wird? (Zeile 25). Er möchte wissen, ob Fahrid nach drei Wochen in Pakistan noch weiß, welche Funktion ein Marker hat: Damit soll etwas markiert und nicht bombardiert werden. Ein anderer Schüler, Aslan, steigt mit dem Vorschlag in die Diskussion ein, dass Fahrid den Marker als Bombe benutzen kann, da er vor Kurzem in Pakistan war: hahahaha als BOMbe! (Zeile 26). Der Lehrer beendet die Sequenz mit seinem DAnke ne (Zeile 28). Die Sequenz verläuft ausnahmsweise nicht im fachlichen Kontext, sondern während der selbstständigen Arbeit der Schüler – sie lösen ihre Aufgaben individuell. Trotzdem findet das Gespräch im Laufe des Unterrichts statt. Die Frage des Lehrers hat zunächst keinen spielerischen Modus. Erst nachdem der passende Marker gefunden wurde, eröffnet der Lehrer einen Frotzelrahmen. Fahrid und sein Marker werden zu Frotzelobjekten gemacht. Das Publikum ist ebenfalls eingeschaltet und nimmt an dem Geschehen aktiv teil. Die Stichpunkte der Diskussion – Bombe und Pakistan – ziehen die Aufmerksamkeit der Klasse an. Der Lehrer überträgt Fahrids Ferienland Pakistan auf Fahrids Marker und seine neuen Eigenschaften. Jedes Objekt, das Fahrid besitzt, kann als Instru-
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ment der Herstellung von Anderssein gelten: Alles kann als Bombe verwendet werden und alles kann gefährlich sein. Fahrid wird auf spielerische Weise zu einem pakistanischen Terroristen gemacht, der in den Markern Sprengstoff nach Deutschland schmuggelt. Der Auslöser dafür ist die Ferienzeit, die Fahrid in Pakistan verbracht hat. Holliday behauptet, selbst unsere Erwartungen an die Reaktion des Anderen können distinktiv (»otherizing«) wirken (Holliday 2004: 194). So erkennt Fahrid allein an den nicht-verbalen Signalen des Lehrers (Lächeln, demonstratives Riechen an dem Marker), dass Herr Müller dadurch einen bestimmten Verdacht gegenüber ihm als Pakistaner bekommt. Die Tatsache, dass der Lehrer seinen Verdacht aufgrund des Herkunftslandes von Fahrid äußert, weist darauf hin, dass er Fahrid als einen distinktiv anderen Schüler wahrnimmt und dass ihm die fremden Eigenschaften Fahrids bewusst und sichtbar sind. Mit dem Frotzelangriff geht Fahrid ungewöhnlich erfolgreich um. Er verteidigt sich und kontert die Angriffe so gut er kann. Normalerweise schweigt er oder gibt keinerlei Reaktion. Hier schafft Fahrid es, selbst eine Frotzelsequenz fortzusetzen (Zeile 24: ist auch keine BOMbe drin), was bei dem Publikum als besonders geschickt ankommt. Dabei demonstriert Fahrid Schlagfertigkeit gegenüber dem Lehrer und zeigt außerdem die Fähigkeit, auf eigene Kosten lustig zu sein. Er entkommt dem gesichtsbedrohenden Angriff und leitet ihn geschickt um, sodass das Publikum sich ebenfalls amüsieren und unterhalten kann. Die Bereitschaft der Unbeteiligten, einen Spruch auf Fahrids Kosten zu machen, ist ebenfalls vorhanden: Aslan (Zeile 26) steigt in den Dialog ein. Hier wird deutlich, dass sogar physische Gegenstände, die kulturell und ethnisch kontextualisiert werden, die Eigenschaften ihrer Besitzer symbolisch übernehmen können. Frotzelsequenzen, in denen Fahrid zum Terroristen gemacht wird, fordern kontinuierliche Schlagfertigkeit des Schülers. In einer alltäglichen Routinehandlung – wie einen Marker auszuleihen – wird Fahrid zum Anderen gemacht. Dies erfolgt unter der Beobachtung sowie mit der Unterstützung des Publikums.
5.1.2 Die Herstellung des eigenen Andersseins: Spiel mit Hyperstereotypen Nicht nur die Lehrer sind an dem interaktiven Prozess der Herstellung von Anderssein beteiligt. Auch gegenseitige Angriffe unter den Schülern gehören zum Alltag. Eine für diese Klasse typische Situation bildet Datum 17 ab. Im Deutschunterricht liest die Lehrerin ein Diktat vor. Im Laufe des Vorlesens wird die Lehrerin von Aslan (türkischer Herkunft) mit seinem NOCHmal; das haben sie zu SCHNELL gelesen (Zeile 3-4) unterbrochen.
5. Interaktionale Bearbeitung der ethnischen Zugehörigkeiten Datum 17. Türkentempo. Deutsch. (03.11.2011) (17:57) Lehrerin (L), Aslan (A), Kayrat (K), mehrere (m) 01 L: (liest einen Diktat vor) in einer solchen 02 gefährlichen situation kommt es schon einmal VOR:, 03 dass der [RAD:fahrer04 A: [NOCHmal; 05 das haben sie zu SCHNELL gelesen. 06 K: oh: (-) dieses TÜR!kentempo. 07 m: hahahahahahhahahhahahahahahahahahah
Aslan bittet die Lehrerin um eine Wiederholung. Daraufhin reagiert sofort ein anderer türkischer Schüler Kayrat (sein bester Freund): oh: (-) dieses TÜR!kentempo. Aslan und Kayrat sind gute Schulfreunde, deshalb ist der spielerische Modus der Bemerkung zweifellos vorhanden. Die sofortige Reaktion von Kayrat spiegelt die gegenseitige Kontrolle in der Gruppe wider: Es wird kontinuierlich sehr genau zugehört und aufgepasst. Die Hervorbringung der ethnischen Zugehörigkeit von Aslan eröffnet einen ethnisierenden Rahmen, in dem seine Aussage nicht gesichtsbedrohlich wirkt, sondern lediglich der Unterhaltung auf Aslans Kosten dient. In dieser Aussage indiziert Kayrat das Anderssein von Aslan und stellt ihn dadurch dem Rest der Klasse gegenüber. Diese Aussage charakterisiert außerdem die Imagearbeit seitens Kayrats: Wer Sprüche auf Kosten der anderen machen kann, gilt vor der Klasse als cool. Aslan wird als Türke kategorisiert und dadurch auf seine ethnische Zugehörigkeit reduziert. Dazu schreibt Kayrat dem ethnisch-kulturellen Türkentempo eine negative Konnotation zu, die sich lediglich im situativen Kontext des Unterrichts verstehen lässt: Aslan schreibt viel zu langsam und diese kategorienspezifische Aktivität verdankt er seiner Ethnizität. Außerdem spielt Kayrat in dieser Sequenz mit seiner eigenen Ethnizität und bietet sie als Basis für Otherization. Damit die gegenseitigen Exotisierungsangriffe den adäquaten Effekt erbringen und nicht als beleidigend wahrgenommen werden, setzen solche Praktiken die gleiche Ethnizität sowie Freundschaft zwischen den Sprechern voraus. Die Reaktion der Klasse bestätigt, dass der spielerische Interaktionsrahmen von den Schülern geteilt wird, und dass solche Aussagen von Aslan und Kayrat längst Gewohnheit sind. Das Datum 18 dokumentiert eine Sequenz der »Self-Otherization«, in der der Schüler Sasha (russischer Herkunft) seine Ethnizität in den Vordergrund der Diskussion stellt. Die Situation in Datum 18 findet im Physikunterricht statt. Der Lehrer, Herr Müller, erkennt einen dunklen Fleck auf dem Boden und bringt ein paar Chemikalien in den Klassenraum, um diesen Fleck zu entfernen. Der Fleck ist jedoch sehr hartnäckig, worüber sich der Lehrer vor der Klasse ärgert (Zeile 1-3).
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»Ausländersein« an der Hauptschule Datum 18. Alkohol. Physik. (11.11.2011) (02:13) Lehrer (L), Sasha (S), Alex (A), m (mehrere) 01 L: ich hab das schon n_PAAR mal gemacht; 02 ich weiß immer noch NICHT, 03 ich weiß nie was ich da geNOMmen hab. 04 ob ich ALkohol genommen hab oder05 S: WOD!ka? 06 wenn sie wollen ich hab noch eine WODkaflasche. 07 hahahahahahahahahahahah 08 A: `ha`ha(sarkastisch) 09 L: (ignoriert Sasha, verlässt das Zimmer ohne 10 Kommentar) 11 m: (die Klasse schweigt)
Der Lehrer erinnert sich daran, dass er den gleichen Fleck schon mal vom Boden entfernt hat. Leider weiß er nicht mehr, was für ein Lösungsmittel er beim letzten Mal dafür verwendet hatte. Sasha macht den Vorschlag, Wodka zu verwenden. Er assoziiert das Wort Alkohol in den Worten des Lehrers (Zeile 4) mit dem »Nationalgetränk« der Russen. Da er selbst russischer Herkunft ist, weist er zusätzlich darauf hin, dass er eine Flasche dabei hat. Dieser Akt von Self-Otherization und dementsprechend der Hervorbringung der eigenen Ethnizität, indem Sasha sich der Gruppe als stereotypischen Russen präsentiert, funktioniert in dieser Klasse häufig als Souveränitätsbeweis: Ein cooler Russe ist so frech, dass er vor dem Lehrer über Alkohol spricht und seinen Wodka immer dabei hat. In der Hervorbringung seiner Ethnizität kategorisiert sich Sasha selbst als Russe und ergänzt dies durch eine kategorienspezifische Aktivität – immer Wodka dabei zu haben. Dabei bilden der Russe und der Wodka eine gemeinsame Kategorie. Normalerweise lacht die Klasse über diese Frechheit von Sasha und über seine »Russen-Sprüche«. Sasha lacht über seine eigene Coolness (Zeile 7), die er in dieser Aussage verpackt und erwartet die übliche Reaktion der Klasse in solchen Situationen: dass die Schüler mitlachen. In dieser Situation lacht jedoch keiner mit. Im Gegenteil: Die Klasse bleibt still, nur Alex lacht sarkastisch mit fallender Intonation (Zeile 8). Diese Reaktion der Klasse ist mittels ethnographischen Wissens zu erklären: Zu dem Zeitpunkt, als diese Situation stattfand, war in der Schule bereits bekannt, dass Sasha aufgrund seines auffallenden, asozialen Verhaltens, Ende des Schuljahres auf eine andere Schule gehen muss. Seit diesem Tag gilt Sasha nicht mehr als cooler Typ, sondern als Problemschüler. In diesem Datum fungiert das Spiel mit der Selbsthypertypisierung als Weg zum Coolsein. Der »Russe« spielt nicht nur mit der eigenen Ethnizität, sondern mit ihrer übertriebenen Variation: dem Hyperstereotyp. Alex beutet
5. Interaktionale Bearbeitung der ethnischen Zugehörigkeiten
den russischen Hypertypus aus, indem er zu hochstigmatisierten Stereotypen greift. In der Kreation eines »Hypertypus« werden bestimmte Eigenschaften und Merkmale der Interaktanten »gezielt zugespitzt«, sodass die Ironie der Aussage offensichtlich und durchschaubar wird: »Ein möglicher Diskriminierungseffekt wohnt dem [Hypertypus] zwar inne […], kann aber genau mit der Absicht des Durchschaut-Werden-Wollens dargeboten werden« (Kotthoff/Stehle 2014: 218). Dabei kennzeichnet eine gewisse Vagheit die Interpretation von Hyperstereotypisierungen: Trotz der Kontextualisierungshinweise auf Hyperstereotypisierung (z.B. absurde Logik, ausgedachte Kulturpraktiken) kann der Rezipient in einer gewissen »Rahmungs-« und deswegen auch Deutungsunsicherheit landen (Kotthoff/Stehle 2014: 226 f.). Das Coolsein (gekoppelt mit Frechsein) wird in dieser Sequenz durch Hervorbringung der eigenen Hyperstereotypen und durch die Aktivitätszuschreibung – Wodka dabei haben – erreicht. Nicht nur die Tatsache, dass Sasha seinen Vorschlag dem Lehrer gegenüber so locker macht, ist provokativ, sondern auch die Beteuerung, dass er immer Wodka dabei hat, ergänzt eine coole Identität. Self-Otherization erfolgt in diesem Fall durch Selbst-Hyperstereotypisierung und soll das Image vom Schüler als einem Typen rekonstruieren und sichern. Hier klaffen die zwei unterschiedlichen Dimensionen dieser Ethnizität auseinander: Zum einen die »echte« russische Ethnizität, die dem Sprecher die notwendige Autorität für die riskante Aussage verleiht, und zum anderen die hyperstereotypisierte, die sich leicht erkennen lässt und der Imagearbeit in der Gruppe dient. Im Kontrast zu Datum 17 beschreibt Datum 19 eine Self-Otherization-Sequenz, die auf Kosten der Sprecher selbst abläuft und dabei die involvierten Sprecher in eine riskante Situation bringt. Laut Rampton (2006b) soll die »ausgepackte Währung« (in dieser Sequenz die russische Ethnizität) zugunsten des Sprechers gehen (s.o.); ansonsten ergibt sich aus der Hervorbringung der eigenen Ethnizität kein Profit, womit die Ausbeutung der Kategorie (Ethnizität) nutzlos erscheint. Die Sequenz stammt aus der AL-Stunde, in der die Schüler das Thema »Taschengeld in meiner Familie« besprechen. Die Aufgabe ist, ein Interview mit dem Partner zu diesem Thema zu präsentieren. Sasha und Alexander (beide russischer Herkunft) stellen sich vor die Klasse und präsentieren ihr Interview, indem sie es laut vorlesen. Schon in der Vorbereitungsphase wird der Aspekt der kulturellen Identität (Rubel vs. Euro) seitens des Lehrers spielerisch hervorgehoben (Zeile 5). Dies ist nur deshalb möglich, da Alexander und Sasha gleicher ethnischer Herkunft sind: sprecht ihr von RUbel oder von euro? Mit dieser Aussage definiert der Lehrer den Rahmen des Geschehens: Ab diesem Moment interagieren zwei Russen vor der Klasse und präsentieren ihre Ergebnisse in ihrer Nationalwährung Rubel. Der ethnisierte Kontext ist zwar spielerisch vorgegeben, erfordert jedoch die Anpassung der Schüler sowie die Akzeptanz der Spielregeln ihrerseits.
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»Ausländersein« an der Hauptschule Datum 19. Taschengeld. AL. (04.05.2011)(63)(02:31:40) Lehrer (L), Sasha (S), Alexander (A), mehrere (m) 01 L: schön (-)AUF geht_s so:02 S: müssen wir das mit TAschengeld vorlesen; 03 derjenige der GELD bekommt gell? 04 mit dem GELD? 05 L: sprecht ihr von RUbel oder von euro? 06 S: (-)EU!ro hahahahahahahaha 07 m: hahahahahahahahahah 08 A: liest du DEINS? 09 S: nein DU!. 10 L: so(-)oKAY; 11 A: mach mal DEINS!. 12 S: nein DEINS!. 13 also (-) das ist derjenige der taschengeld 14 beKOMMT; 15 (?von dem machen a:: das lesen wir dann VOR??) 16 L: ja KLAR. 17 S: ja (-) also DEINS!. 18 (hustet laut, signalisiert den Dialoganfang) 19 halLO. 20 wir müssen interview mit ihnen machen herr PEters. 21 alexander bekommst du jeden monat TAschengeld? 22 A: ja (.) pro monat zwanzig EUro. 23 S: wie GEHT es wenn du jeden monat zwanzig euro 24 bekommst? 25 A: EIgentlich ganz gut; 26 ähm(-)ich komme auch damit KLAR. 27 S: für was gibst du dein geld AUS? 28 A: ähm(-)fürs ESsen (.) kleidung (.); 29 also alles was man so BRAUCHT. 30 S: ähm(-) wie viel SPARST du im monat? 31 A: eigentlich GAR net. 32 S: so: könntest du dir vorstellen MEHR taschengeld zu 33 bekommen? 34 wenn ja für welche ZWEcke würdest du es ausgeben? 35 A: nein,(-)kann ich mir NICHT vorstellen. 36 S: das war ein INterview mit alexander peters. 37 m: (geben Applaus) 38 L: für klaMOTten? 39 kleidung wird AUCH gekauft? 40 S: also(-)der hat jetzt das TRINken nicht vorgelesen;
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weil sie wissen ja wir kaufen immer WODka. L: ja okay (.) aber KLEIdung muss auch davon gekauft werden? du hast die kleidung SELber zu kaufen? A: äh ne (-) eigentlich nicht IMmer. aber MEIStens. S: aber die WODka schon. m: hahahahahahahahhahahahaahahahahahahahahhaah L: und deswegen kauft= reicht_s nur für die KURze hose ja? m: hahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahaha L: ja:: fünf euro mehr hätte es für die LANge gereicht ja. A: also ich kaufe net IMmer so: ähm= L: ne BRAUCHST du auch nicht.(-) du hast doch nur WODka drinnen. A: ne also (-) ich kaufe nicht immer selbst die KlEIdung. L: ja.
Die Vorstellung des Dialogs verläuft im offiziellen, fachlichen Unterrichtsrahmen. Nach dem Applaus der Schüler klärt der Lehrer die Frage, ob die »Klamotten« ebenfalls von den Taschengeldern gekauft werden müssen (Zeile 38-39). Die Frage richtet sich ursprünglich an Alexander. Statt Alexander die Möglichkeit zu geben, auf die Frage des Lehrers zu antworten, springt Sasha in die Diskussion ein und fängt an, das Thema »Coole Russen« zu rekonstruieren (Zeile 40-41): also der hat jetzt das TRINken nicht vorgelesen weil sie wissen ja wir kaufen immer WODka. Der Rahmenwechsel vom ernsten Modus zum stereotypisch-spielerischen wird seitens des Lehrers zunächst ignoriert (42-43): Im Moment geht es für den Lehrer um das Sachliche. Sasha nutzt die Situation des Podiums (die Schüler stehen vor der Klasse), um zu witzeln und dabei souverän zu wirken. Er verfremdet sich selbst sowie seinen Partner in der Interaktion und steigt damit in ein riskantes Spiel ein. Sasha wiederum operiert mit den symbolischen, stereotypisierten Attributen aus der Kategorie »Russische Kultur« – »immer Wodka kaufen«. Obwohl Alexander sich der Diskussion enthält, wird er zum »Komplizen« von Sashas Taten – Sasha spricht von wir und konstruiert damit eine »russische Bande«. Der Lehrer bleibt bei seiner Frage und ignoriert die Aussage von Sasha zunächst. Stattdessen wiederholt er seine Frage an Alexander (Zeile 44). Alexander antwortet auf die Frage nur kurz und wird sofort von seinem Freund ergänzt: aber die WODka schon (47). Da Sasha seine Coolness in der Diskussion weiterhin inszeniert, bekommt er von den Zuschauern Unterstützung in Form
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von Lachen (Zeile 48). Der Schüler weicht souverän vom Unterrichtsdiskurs ab. Als noch keiner wusste, dass er wegen seines abweichenden Verhaltens Ende des Jahres auf eine andere (Sonder-)Schule gehen muss, war das eine gewöhnliche Reaktion der Klasse auf Sashas Aussagen. Wäre die Diskussion an dieser Stelle beendet, so hätte diese mit hyperstereotypisierten Anspielungen geladene Sequenz Sashas Image aufgewertet. Nun übernimmt jedoch der Lehrer die Angreiferrolle und dreht das Spiel um. Bevor mit der Analyse fortgefahren werden kann, muss zum Verständnis des weiteren Abschnitts einiges erläutert werden: Diese Episode wurde im Mai dokumentiert und aufgenommen. Das Wetter an dem dargestellten Tag war noch sehr kühl. Die meisten Schüler trugen warme Jacken, Pullis und lange Hosen. Es gilt in der Jugendkultur aber häufig als »stylish«, wenn man leicht angezogen ist und dadurch auch schlanker wirkt. An diesem Tag im Mai hatte Alexander eine kurze Jeanshose an. Aus diesem Grunde spricht der Lehrer Alexanders Bekleidung an (Zeile 49): und deswegen kauft= reicht_s nur für die KURze hose ja? Herr Müller akzeptiert die Spielregel der Schüler und setzt die Frotzelsequenz fort: Er erklärt alles, was in der Umgebung von Sasha und Alexander »schief läuft«, mit intensivem Wodkakonsum. Diese Aussage des Lehrers richtet sich gleichzeitig gegen Alexander und seine Outfitentscheidung, die ad absurdum geführt wird: Der Wodkakonsum erfordert viel Geld von den Schülern, deshalb reicht das Geld nicht für eine lange Hose aus. Der Unterhaltungsgrad wird ebenfalls erfolgreich erreicht: Das Publikum belohnt die Russen und den Lehrer mit lautem Lachen (Zeile 52). Der Lehrer attackiert Alexander weiter: ja:: fünf euro mehr hätte es für die LANge gereicht ja:. Alexander unternimmt den Versuch, sein Gesicht noch zu retten (Zeile 54): also ich kaufe net immer so:- ähm. Der Lehrer rundet die Argumentation ab, indem er auf den symbolischen Wodka zurückgreift: ne BRAUCHST du auch nicht. du hast doch nur WODka drinnen. Die absurde Logik der Diskussion ist abgerundet: Der Russe braucht keine lange Hose, da er Wodka intus hat, der ihn von der Kälte schützt. In diesem Datum definiert Herr Müller den ethnisierten Diskussionsrahmen des Geschehens dadurch, dass er am Anfang der Dialogpräsentation spielerisch das kulturelle Merkmal »Rubel« einführt. Sasha nutzt seinerseits die Gelegenheit, sich auf das »Aufmerksamkeitspodium« zu stellen. Dafür wendet er die Self-Otherization-Strategie an, indem er sich selbst und Alexander ethnisch hypertypisiert. Herr Müller nutzt den von Sasha vordefinierten Kontext, um die Machtverteilung vor der Klasse wiederherzustellen. Im Kontrast zu den Erwartungen Sashas entwickelt sich dieses Gespräch in eine Frotzelsequenz, die auf Sashas und Alexanders Kosten abläuft und in der Öffentlichkeit vor den Peers einen Imageschaden verursacht. Zusammengefasst präsentieren die Sequenzen in diesem Abschnitt Episoden der Exotisierung und der Self-Otherization mittels Hervorbringung der
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ethnischen (kulturellen) Zugehörigkeit sowie ihrer hyperstereotypisierten Variationen in der Interaktion. Hier fungiert die »echte« Ethnizität als Ressource für die darauf auf bauende Hyperstereotypisierung. Der russische Schüler führt in die Interaktion den Hypertypus eines stereotypischen, immer betrunkenen Russe ein und versucht damit, seine Popularität in der Klasse zu steigern. Dabei lässt sich der Hypertypus durch seine Klischeehaftigkeit und seine Häufigkeit leicht identifizieren und dementsprechend adäquat interpretieren. Einige dieser Prozesse werden seitens der Lehrpersonen initiiert: In diesen Fällen haben sie häufig das Ziel, den Schüler einer anderen Kultur (Deutschland vs. Ausland) oder Ethnizität (Deutsch vs. andere Ethnizität) gegenüberzustellen und entwickeln sich dadurch zu einer Machtverteilungsstrategie. Eine viel offensichtlichere Intention der Herstellung von Fremdheit und der Ausbeutung der Hypertypen ist ein hoher Unterhaltungseffekt, der wiederum der Vergemeinschaftung der Gruppe dient und die eigene Zugehörigkeit zu der Klasse sichert. Viele der OtheExotisierungsprozesse werden seitens der Schüler initiiert: Dabei handelt es sich um Imagearbeit sowie um »Punktesammeln« (Coolness) mittels der exotischen »Währung« – z.B. durch Ethnizität oder »Hyperethnizität«. Das riskante Spiel kann sich jedoch jederzeit wenden und statt Imagepflege einen Imageschaden verursachen, indem die Frotzeleien auf Kosten der Sprecher realisiert werden. An dieser Stelle ist zu bemerken, dass Ethnizität mit allen ihren Ableitungen in den oben analysierten Interaktionen eine reiche, leicht erreichbare Ressource für die Herstellung der unterschiedlichsten Mitgliedschaften darstellt. Allein die Möglichkeit, die eigene oder fremde Ethnizität zum Hypertypus zu machen, beruht auf einer Gruppenzusammengehörigkeit, die kontinuierlich wiederhergestellt und dadurch auch gesichert wird. In welchen weiteren Funktionen die Hervorhebung der ethnisierten Kontexte vorkommt, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.
5.2 H erkunf tshervorbringung als D isziplinarmassnahme Nicht selten werden Ethnizität und Herkunft der einzelnen Schüler in den Konstellationen der Machtverteilung und Disziplinwiederherstellung im Unterricht eingesetzt. Häufig beinhalten die Sequenzen eine Koppelung von Ethnizität und einer negativen Zugehörigkeitszuschreibung. Dieser Abschnitt analysiert diejenigen Unterrichtssequenzen, in denen die kognitiven oder physischen Fähigkeiten der Sprecher mit ihrer Herkunft oder Ethnizität in Verbindung gesetzt werden. Außerdem wird erläutert, wie die fachlichen Inhalte des Unterrichts mittels Zugehörigkeitszuschreibungen erklärt werden. Bei der genannten Koppelung lässt sich ein präferiertes Muster erkennen: Im Fall eines Fehlers wird der Herkunft der einzelnen Schüler die Eigenschaft »Dummheit« zugeschrieben. So kommt es beispielsweise in Mathematik oft
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vor, dass die Schüler im Laufe des Rechnens vergessen, die jeweiligen Einheiten neben dem Ergebnis zu nennen (wie z.B. 70 km/h). Wenn Herr Müller in den Heften seiner Schüler fehlende Einheiten bemerkt, kommentiert er dies unverzüglich folgendermaßen: 01 L: es geht um zentiMEter; 02 und nicht um türkische BAbys.
Dieser Kommentar richtet sich an Aslan, der aus der Türkei kommt und vergessen hat, die Einheit des Wertes aufzuschreiben. Als Vorwurf gegenüber Aslans Unaufmerksamkeit und seiner Vergesslichkeit hört man auch: 01 L: was kriegst du dann RAUS? 02 kilometer in IStanbul oder was.
In einer ähnlichen Situation, in der Aslan in Mathematik statt einer geraden Linie eine etwas schräge Linie in seinem Heft zeichnet, reagierte Herr Müller folgendermaßen: 01 L: hast du n_TÜRkisches lineal genommen?
In den drei Beispielen erkennt man ein repetitives Muster: Die Herkunft wird dann zum hervorgebrachten Merkmal, wenn ein Schüler auf Misserfolg egal welcher Art stößt. Ähnlich geht der Lehrer mit Fahrids Fehlern um. In Fahrids Fall wird Pakistan zum »brought about« und kontextualisiert damit das Misslingen des Schülers. 01 L: was IST es. 02 pakistanische LIra?
Fahrid und Aslan geraten am häufigsten in die Kontexte solcher Kommentare. Die Herkunftsländer ihrer Eltern werden für zahlreiche Missverständnisse und Misserfolge der Schüler verantwortlich gemacht. Dabei ist nochmals anzumerken, dass Deutschland das Herkunftsland aller Schüler bis auf Ruslan ist. Einer der häufigsten Sprüche, der Disziplin in der Klasse herstellen soll, lautet: 01 L: wir sind nicht in der türkei auf dem baSAR!
Dieser Kommentar richtet sich nie an die Gesamtklasse, sondern lediglich an Kayrat und Aslan, wenn einer von ihnen sich zu laut verhält oder in sei-
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ner Nebenkommunikation zu laut redet, also nur dann, wenn sie gegen disziplinäre Regel verstoßen. Interessant ist, dass dieser Kommentar dem zuvor vorgestellten »Wir sind hier nicht in Kanakistan«-Spruch auffällig ähnelt. Der Kanakistan-Spruch richtet sich häufig an alle Schüler der Klasse. Im Kontrast dazu richtet sich der Bezug auf die Türkei oder Pakistan sehr individualisiert an einzelne konkrete Schüler: Kayrat, Aslan oder Fahrid, je nach dem Kontext. Dadurch erkennt man den selektiven/individualisierten Charakter dieser Aussagen. Dass Sprüche dieser Art einen disziplinierenden Charakter tragen, erkennt man an der Reaktion des Publikums. Die disziplinierenden Aussagen erzeugen selten eine Frotzelsequenz und dementsprechend kaum Lachen seitens des Publikums, d.h. der Schüler. Sie werden lediglich als Fehlerindikator wahrgenommen und eröffnen im Anschluss eine korrigierende Wirkung: Der Fehler wird unverzüglich behoben. Das erste ausführliche Beispiel stammt aus einer Mathematikstunde bei Herrn Müller. Die Schüler sollen die Mathematikhausaufgaben und ihre Lösungen vorlesen. Der Nächste, der an der Reihe ist, ist Fahrid, der erst vor einer Woche aus Pakistan zurückgekehrt ist, wo er in den Ferien seine Großeltern besucht hatte. Datum 20. Doping. Mathematik. (04.05.2011) (23:14) Lehrer (L), Fahrid (F), Sandro (S), Kayrat (K) x-ist eine mathematische Variable 01 L: so: Fahrid; 02 F: neun iks NÄCHste03 L: WIE neun x nächste? 04 ?: hahahahahahahahahahahaha 05 S: hä? (überrascht) 06 F: iks plus ACHT mal iks07 ?: wir haben das schon VORgelesen gehabt. 08 L: ja äh (.) da kann ich nicht09 K: schon VORgelesen (? ?). 10 L: WEIßT du, 11 bist du in pakistan geDOPT worden oder was? 12 JUNge ha? 13 jetzt haben sie oSAma bin laden, 14 jetzt fängst DU an zu laufen. 15 so (.) AUF!gehts.
Als Fahrid an der Reihe ist, verwechselt er die Beispiele und liest eine Aufgabe vor, die unmittelbar davor bereits vorgelesen wurde. In Zeile 3 meldet sich Herr Müller: Er versucht, sich im Text zu orientieren. Auch die Schüler sind verwirrt über Fahrids Antwort (Zeile 5). Letztendlich meldet sich ein weiterer
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Schüler aus der Klasse (Zeile 7) und teilt mit, dass die Aufgabe schon vorgelesen wurde. Als Herrn Müller klar wird, dass Fahrid nicht genügend aufpasst und dass er bei dem falschen Beispiel ist, beginnt er, Fahrid seine Kritik (Zeile 11-14) entgegenzubringen. Als Erklärung für Fahrids Unaufmerksamkeit hebt er seine Herkunft hervor. In den Wochen der Ferien, die der Schüler in dem Herkunftsland seiner Eltern verbracht hat, muss er gedopt worden sein (Zeile 11), was die Tatsache erklären würde, warum er im Unterricht falsche Antworten gibt und keine Aufmerksamkeit zeigt. Herrn Müllers Wissen zufolge muss man annehmen, dass man in Pakistan leichten Zugang zu Dopingsubstanzen bekommt. Das ist somit ebenfalls Teil der imaginären kanakistanischen Identität, die sich an solchen Analogien bereichert und erweitert. Durch die Doping-Thematisierung wird der pakistanischen Herkunft Kriminalität und leichte Zugänglichkeit zu Drogen zugeschrieben. In Datum 20 erkennt man, wie schnell ein schulischer Fehler die Hervorbringung von (vermeintlicher) Herkunft erzeugt. Genauso schnell verläuft die Deutung des »falschen Verhaltens«: Das kriminelle Urlaubsland sei an dem Aufmerksamkeitsmangel des Schülers schuld. Dieser Spruch übt jedoch in erster Linie seine disziplinäre Funktion aus: Fahrid findet die richtige Stelle im Buch und liest die richtige Aufgabe vor. Eine weitere Eigenschaft der disziplinären Vorwürfe ist ihre kompakte Form: Sie werden kurz und schnell formuliert, sodass die Schüler sich kaum verteidigen können. Darüber hinaus illustriert das Datum oberflächliche Kenntnisse des Lehrers über die »Herkunftsländer« seiner Schüler: In den Nachrichten wurde gerade erst die Militäroperation gegen Osama bin Laden gezeigt, in der er ermordet wurde. Der Lehrer bemerkt ironisch, dass man kurz gehofft hatte, dass alle Probleme Pakistans mit dem Tod von bin Laden gelöst wurden. Es gibt jedoch noch Fahrid, der für neue Probleme in der Region sorgt (13-14). Hier ist wiederum eine deutliche Extremzuschreibung der terroristischen Eigenschaften zu Pakistan sowie zu Fahrid zu erkennen (vgl. das Beispiel mit dem Marker s.o.). Die Analogie zu bin Laden und die Begründung von Fahrids Unfähigkeiten durch seine Herkunft sind charakteristische Merkmale der Disziplinherstellung in dieser Klasse. Humoristische Anspielungen, die auf die »Herkunftsländer« der Schüler zurückgreifen oder stereotypische Extremzuschreibungen im Kern ihrer Kritik haben, sind die häufigsten Modelle der Ordnungs- und Disziplinherstellung in dieser Gruppe. Das nächste Datum präsentiert ein weiteres Modell dafür, wie Kontrolle und disziplinäre Vorwürfe auf Kosten der Schüler ausgeübt werden. Die Sequenz dokumentiert ein Gespräch im Mathematikunterricht bei Herrn Müller. Im Laufe des Unterrichts sammelt Herr Müller die Strafaufgaben derjenigen Schüler ein, die am Tag zuvor keine Hausaufgaben vorzeigen konnten. Der Lehrer überprüft an seinem Arbeitsplatz die Richtigkeit des Geschriebe-
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nen. Aslans Arbeit wird geprüft. Herr Müller schaut sich die Arbeit kurz an, guckt auf Aslan, der in der ersten Reihe sitzt, atmet tief und enttäuscht aus und schüttelt dabei seinen Kopf. Ein vorwurfsvoller Blick folgt. Datum 21. Strafarbeit. (27.10.2011)(52)(35:00) Lehrer (L), Aslan (A) 01 A: WAS denn? (lächelt) 02 L: ja(.)jetzt sprechen wir mehr DAdrüber. 03 A: das sind ZEHN seiten; 04 ich hab die geSCHRIEben. 05 L: ja (.) die SEIten=, 06 die SEITENzahl stimmt;(0.3) 07 LEsen kann man sie nur nicht. 08 aber das MAchen wir schon(.)ne? 09 das MAchen wir schon hehehe. 10 A: hahahahahahahahahahahaha 11 L: ja ja.(0.4) 12 oder soll das TÜRkisch gewesen sein? 13 A: hahahahahahahahaha
Da Aslan Herrn Müller die ganze Zeit beobachtet, reagiert er unverzüglich auf die nonverbale Reaktion des Lehrers (Zeile 1). Herr Müller kündigt an, dass er über diese Arbeit detaillierter sprechen möchte (Zeile 2). Aslan verteidigt seine Arbeit mit folgenden Argumenten: das sind ZEHN seiten, ich hab die geSCHRIEben. Aus seiner Sicht ist die Aufgabe richtig ausgeführt. Herr Müller lässt sich jedoch nicht irreführen. Die Seiten von Aslan sind leider von sehr schlechter Qualität und man kann kaum entziffern, was auf dem Blatt geschrieben wurde. Der Lehrer bestätigt, dass die Seitenzahlen zwar stimmen (Zeile 6), und betont, dass man sie jedoch leider nicht lesen kann (Zeile 7). Der Lehrer sieht darin jedoch kein Problem: Für diese schlechte Arbeit gibt er Aslan zusätzliche Aufgaben in Form von zusätzlicher Strafarbeit (Zeile 8-9): aber das MAchen wir schon. Aslan und dem Lehrer wird in dem Moment klar, welche Konsequenzen diese schlechte Arbeit haben wird, weshalb sie beide zu lächeln bzw. zu lachen beginnen (Zeile 9-10). Obwohl die Folgen, die auf Aslan zukommen werden, sowohl den beiden als auch der ganzen Klasse bekannt sind, stützt Herr Müller seine Maßnahmen mit einem Spruch über Aslans Sprachkultur: oder soll das TÜRkisch gewesen? Diese Anspielung geht auf Kosten von Aslan und dient hauptsächlich der Unterhaltung des Publikums. Zusätzlich hat dieser Spruch die Funktion eines »kicks«, der das Verhalten und die Arbeitsweise von Aslan verbessern soll. Herr Müller spielt mit dem offensichtlich absurden Gedanken, dass Aslans unlesbare Schrift Türkisch sein könnte, was die Frage erklären soll, warum er das nicht lesen kann.
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Eine ähnliche Anspielung gegenüber dem russischen Schüler Ruslan ist in der dritten Sequenz dokumentiert. Datum 22 stammt aus einer Diskussion im Chemieunterricht. Herr Müller wiederholt alle Trennmethoden, die es in der praktischen Chemie gibt. Nach ein paar richtigen Antworten meldet sich Ruslan mit dem Vorschlag, Wasser solle abgekocht werden. Datum 22. Abkochen. Chemie. (01.11.2011)(38:00) Lehrer (L), Ruslan (R) 01 L: SAG mal- (0.1) 02 ABkochen. (0.3) 03 was(.)ne(.)ABkochen ist nicht klar. 04 ABkochen nicht klar. 05 ich habe ich denke(.)ich WEIß was du meinst, 06 aber ABkochen ist nichts, 07 ist KEIne trennmethode. 08 stell doch VOR, 09 stell doch was du dir VORstellst, 10 sprich das noch mal AN. 11 was (? ?) was willst du ABkochen, 12 was willst du MAchen? 13 R: ja(.) mit zum beispiel (.) bei dem SALZwasser-(? ?) 14 L: ja(.) aber salzwasser kochst du ja nicht AB.(0.2) 15 du meinst verDUNsten; 16 kann das SEIN? 17 R: ja:; 18 L: also (.) wenn du ABkochen meinst, 19 meinst du verDUNsten. 20 ist das, ist das kyRILlisch oder was das ist. 21 also ABkochen im grunde genommen macht keinen sinn, 22 verDUN!sten.
Herr Müller registriert die Antwort von Ruslan zwar als richtig, jedoch gleichzeitig als noch nicht völlig klar. In den Zeilen 1-7 erklärt er, dass Abkochen keine richtige Trennmethode sei. Trotzdem ist es sehr wahrscheinlich, dass er nachvollziehen kann, was Ruslan meint: ich denke (.) ich WEIß was du meinst. Hier lässt sich ein klassisches Beispiel der lexikalischen Klärung im Fachunterricht beobachten: Ein Schüler mit Migrationshintergrund ist auf der Suche nach der richtigen Bezeichnung für die Trennmethode »Verdunsten«. In den nächsten Zeilen bietet Herr Müller Ruslan an, seine Vorstellungskraft zu nutzen und zu beschreiben, was genau man macht, wenn man etwas abkocht, sodass die Inhalte des Begriffs abkochen geklärt werden (Zeile 8-12). Ruslan nennt als Beispiel Salzwasser, das abgekocht werden soll. Aus der Erklärung
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des Schülers schließt Herr Müller, dass er tatsächlich verdunsten meint. Ruslan bestätigt den Vorschlag des Lehrers (Zeile 17). Obwohl sich die Situation mit diesem Missverständnis aufgeklärt hat, ergreift Herr Müller die Möglichkeit, einen disziplinären Kommentar auf Ruslans Kosten zu formulieren: 18 L: also (.) wenn du ABkochen meinst, 19 meinst du verDUNsten. 20 ist das, ist das kyRILlisch oder was das ist.
Herr Müller formuliert seine erste Aussage wie ein Postulat, in dem man seine Ironie nicht überhören kann. Zum Schluss erfolgt die Auflösung der sprachlichen Schwierigkeiten des Schülers: Schuld daran sei Ruslans Sprachkultur. Die Erklärung für Ruslans Fehler liegt – wie im früheren Fall bei Aslan – nicht darin, dass er in Chemie nicht aufpasst oder seine Aufgaben nicht rechtzeitig anfertigt, sondern darin, dass er Russe ist und seine Gedanken nicht immer richtig ins Deutsche »übersetzen«/übertragen kann. Ähnlich wie im Beispiel mit Aslan erkennt man auch hier, wie wichtig die eigene Herkunft und Sprachkultur in der Argumentation dieser Klasse sind. Herkunft und Muttersprache können in jeder Diskussion als Argument eingesetzt werden. Besonders häufig wird auf die Weise in disziplinären Konflikten oder bei Fehlermeldungen argumentiert. Hervorzuheben ist außerdem die Tatsache, dass Kyrillisch selbstverständlich keine Sprache ist, sondern ein Zeichensystem des russischen Alphabets, was das Absurde und dadurch auch das Ironische an Herrn Müllers Argument ausmacht. Das nächste Datum stammt aus einer Chemiestunde. In der Diskussion über die Trennmethoden in Chemie fragt der Lehrer, was gewährleistet sein muss, damit in einer Mischung aus Sand und Wasser der Sand nach unten absackt. Datum 23. Türkischer Sand. Chemie. (08.11.2011)(90)(31:10) Aslan (A), Lehrer (L) 01 L: was (0.4) ist notwendig damit sich der SAND nach 02 unten begibt? 03 A: hm (-) das muss (.) hm wie heißt das [wort 04 L: [TÜRkischer 05 sand sein? 06 A: NEIN [das muss also bei (.) heißes wasser oder so 07 sein08 L: [ne? 09 A: und dann bildet sich DRECK. 10 L: genau DAS.
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Während seiner Antwort zögert Aslan kurz und signalisiert, dass ihm das richtige/passende Wort im Moment fehlt. In der Sekunde, in der er eine kurze Pause macht, um sich an das Wort zu erinnern, schlägt Herr Müller sofort eine Antwort vor: das muss türkischer Sand sein. Da Aslan mit seiner Antwort nicht schnell genug war, benutzt der Lehrer sofort seine disziplinäre »Peitsche«, die Aslan zu einer schnelleren Überlegung stimulieren soll und ihm zusätzlich vermittelt, dass er vielleicht keine richtige Antwort geben kann, weil »türkischer Sand« in diesem Fall als absurdes Beispiel dient. Die nächste Sequenz demonstriert eine der Episoden, in der der disziplinäre Kommentar ein hohes gesichtsbedrohendes Potenzial besitzt und eine Koppelung von Ethnizität und Disziplin beinhaltet: In Arbeitslehre bespricht die Klasse das Thema »legale und illegale Arbeiter in Deutschland«. Während der Stunde haben der Lehrer und die Schüler mehrere Beispiele von Schwarzarbeit diskutiert. Im Anschluss an die Diskussion bekommen die Schüler die Aufgabe, einen Text im Buch selbstständig zu lesen und zu bearbeiten. Nach einigen Minuten meldet sich Fahrid mit der Frage, was Schwarzarbeit sei. Datum 24. Schwarzarbeit. AL. (01.04.2011) (01:04) Lehrer (L), Fahrid (F), mehrere (m) 01 F: was IST denn schwarzarbeit? 02 L: (schreit) das ist wenn er schwarze HAAre hat, 03 m: hahahahahahahahhahahahahahaahahahahahahhaah 04 L: aus PAkistan kommt, 05 und in DUNkelheit arbeitet. 06 DAS ist schwarzarbeit. 07 m: hahahahahahahahahahahahahahahahahahahahah
In dem Moment, als Fahrid Herrn Müller diese Frage stellt, befindet sich der Lehrer in der Mitte des Raums, wo er einem anderen Schüler mit seiner Frage hilft. Fahrids Frage kommt für Herrn Müller unerwartet, da »Schwarzarbeit« in der vorangehenden Diskussion schon sehr detailliert besprochen wurde. Herr Müller findet jedoch eine »passende« Antwort für Fahrid: das ist wenn er schwarze HAAre hat. Hier erkennt man sofort die Anspielung auf Fahrids Aussehen und somit auf seine ausländische Herkunft. Die Klasse kennt Herrn Müller gut und kann seine Ironie frühzeitig erkennen und nachvollziehen. Deshalb folgt das laute Lachen des Publikums direkt nach dem ersten Satz (Zeile 3). Der Lehrer setzt die Erklärung des Begriffs fort, indem er die Definition mit einem neuen Merkmal erweitert: aus PAkistan kommt. Hier ist Fahrids Herkunft noch einmal gezielter spezifiziert. Der Lehrer beendet seine Definition mit dem letzten Detail: und in DUNkelheit arbeitet. In Dunkelheit arbeiten ist eine der Imagekomponenten, die das Bild des hinterwäldlerischen Pakistans erweitert. »Zurück in die Steinzeit«, »Eselskarren«, »schlechte Stra-
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ßen« das sind alles die Bilder, mit denen der Lehrer Pakistan beschreibt. Die imaginären Arbeitsbedingungen in Pakistan – im Dunklen arbeiten – vervollständigen diese Liste mit der Annahme, dass man dort in diesem Stadium der kulturellen Evolution noch keine Vorstellung von Beleuchtung am Arbeitsplatz hat. Die fachliche Begriffserklärung geht er in dieser Sequenz humoristisch an. Dabei spielt er auf die Herkunft und die Ethnizität des Schülers an. Neu in diesem Beispiel ist der riskante Übergang: Im Unterschied zu den früheren Beispielen bettet er Fahrids Aussehen in die sarkastische Aussage ein. Seine äußeren Merkmale – dunkle Haare – sind der Ausgangspunkt, der alle weiteren lexikalischen Ableitungen des Lemmas schwarz- verbindet. Mit seiner fachlichen Frage zum Begriffsinhalt greift Fahrid ein »reichlich geladenes« Lemma auf, das für die Frotzelangriffe perfekt geeignet ist: schwarze Haare, Schwarzfahren, Schwarzarbeit, schwarze Blutkörperchen (s.u.). Das alles sind Begriffe, die im Deutschen oft negativ konnotiert sind. Dementsprechend werden in dieser einen Aussage mehrere Aspekte bearbeitet: Fahrid bekommt einen disziplinären Vorwurf, dass er zu wenig Aufmerksamkeit zeigt; die Rollen- sowie Machtverteilung im Klassenzimmer wird wiederhergestellt (LehrerSchüler-Hierarchie); das Publikum bekommt seine »Portion Unterhaltung« auf Fahrids Kosten. Allein die fachlich-pädagogische Aufgabe wird nicht erfüllt: Fahrid bekommt keine Begriffserklärung. Nach ein paar Minuten erklärt Fahrids Nachbar ihm leise, was unter Schwarzarbeit zu verstehen ist. Hier sieht man deutlich, welche Funktion äußerliche Eigenschaften für die Fremdkategorisierung übernehmen können und wie schnell die Sprecher vom Äußeren zum Inhaltlichen übergehen können: Allein dunklere Haare werden als eindeutige, feste, fremdkategorisierende Eigenschaft behandelt. Die Episoden, die in diesem Kapitel kurz analysiert wurden, beschreiben ein Modell der Disziplinwiederherstellung sowie die Lösung fachspezifischer Fragen (abkochen, Schwarzarbeit) in H7. »Dumme« Fragen, Mangel an Aufmerksamkeit und Mangel an Disziplin fungieren häufig als Auslöser für beißende Kommentare seitens des Lehrers gegenüber seinen Schülern (vgl. das Beispiel »Türkentempo«, siehe 5.1.2.). Die disziplinären Vorwürfe oder Kommentare beruhen auf ethnischen Hypertypisierungen und häufig auf teilweise fiktiven, negativen ethnischen Zuschreibungen. Zum Vergleich betone ich an dieser Stelle, dass die deutschen Schüler der Klasse ebenfalls regelmäßig ähnliche disziplinäre Kommentare bekommen: Diese thematisieren dann ihre ungewöhnliche Frisur oder komische Kleidung. Ethnische Zugehörigkeit und Herkunft sind mit einem Haarstyling, das man morgens ändern kann, oder mit einem Hemd, das man jederzeit ausziehen kann, nicht vergleichbar. Ethnische Zugehörigkeit, die manchmal äußere Eigenschaften bestimmt (z.B. dunkle Augen und Haare), kann nicht leicht geändert werden und wird zum festen Merkmal des Äußeren.
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Zusammengefasst werden in den präsentierten Sequenzen Praktiken der Koppelung von Herkunft und Misserfolg unterschiedlicher Art dargestellt. Ethnizität und »abweichendes Verhalten« tragen kontinuierlich eine negative Konnotation und werden miteinander in Verbindung gebracht. In diesen Sequenzen registrierte ich selten Verteidigungsversuche der Schüler. Stattdessen formuliert der Lehrer die Vorwürfe als disziplinäre Kommentare, die im Moment ihrer Äußerung kaum Disput auslösen. Die fachlichen Fragen, die aufgrund von Unaufmerksamkeit oder fremdsprachiger Sozialisation entstehen, werden teilweise mittels Hervorbringung der Herkunftszugehörigkeit der Schüler und ihrer hyperbolisierten Formen gelöst. Welchen riskanten Grad ethnische Anspielungen im Klassenzimmer erreichen können und wie diese seitens der Schüler im Unterricht sowie außerhalb dessen bearbeitet werden, analysiert der nächste Abschnitt.
5.3 G efühlsmanagement und N achverbrennungen als V er arbeitung der gesichtsbedrohlichen A ngriffe Die bisherigen, zahlreichen Feldbeispiele illustrieren, wie häufig Fragen der Ethnizität sowie der Herkunft im Klassenzimmer thematisiert werden. Ethnische Zugehörigkeit sowie die national-kulturelle Herkunft sind in der öffentlichen Diskussion immer noch hochsensible Aspekte der eigenen Identität. Wie schon im theoretischen Teil angedeutet, werden die Thematiken von »Rasse« und Herkunft in unterschiedlichen Formaten, wie z.B. in der Fernsehkomik, mit humoristischen Mitteln bearbeitet. Dabei weiß man aus der Humorforschung (Kotthoff 1998, 2002b, 2004, 2010, 2011a, 2013), dass Frotzeleien und andere beißende Humorpraktiken unter Freunden einen gewissen Grad an Vergemeinschaftung in der Gruppe signalisieren können. Im Folgenden versuche ich zu zeigen, wie schmal die Grenze zwischen ethnischen (humoristischen) Anspielungen und Diskriminierung in der H7 ist. In Ergänzung zu den Unterrichtssequenzen biete ich den Schülern hier die Möglichkeit, ihre Gefühle und Wahrnehmungen bezüglich dieser gewagten Humorpraktiken innerhalb sowie außerhalb des Unterrichts selbst zu äußern, indem ich kurze Ausschnitte aus den Nachbesprechungen mit einzelnen Schülern, die zu Frotzelobjekten im Unterricht wurden, darstelle. In den Situationen direkter verbaler Gesichtsbedrohungen entscheiden die Interaktanten selbst über ihr eigenes Gefühlsmanagement. Hier beziehe ich mich auf die Strategien, die Hochschild (1990) in institutionalisierten (geschäftlichen) Interaktionen analysiert. In Serviceberufen (bei Hochschild z.B. Flugbegleitung) ist das Personal dazu verpflichtet, ein kontinuierliches Gefühlsmanagement zu betreiben, da der Ausdruck eigener »echter« Gefühle als »unpassend« erscheint und mit der Servicekultur der Firma nicht
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übereinstimmt. Im Prozess des Managements müssen die Interaktanten ihre Gefühle/Reaktionen entsprechend anpassen, sodass es zur »Enteignung der Gefühle« und dadurch zur »Entfremdung vom eigenen Selbst« kommen kann (Hochschild 1990: 17): Sie [die Gefühlsarbeit] verlangt das Zeigen oder Unterdrücken von Gefühlen, damit die äußere Haltung gewahrt bleibt, die bei anderen die erwünschte Wirkung hat […]. (Hochschild 1990: 30 f.)
Hochschild geht davon aus, dass wir beim Fühlen »latente Gefühlsnormen anwenden […], die uns als Richtschnur für die in bestimmten Situationen jeweils erwarteten Emotionen dienen« (Hochschild 1990: 30 f.): Vermittels dieser Standards bringen wir zum Ausdruck, was in beliebigen Situationen oder Rollen »geschuldet« ist. Im Interaktionsverlauf nehmen wir aufeinander Rücksicht. In unseren Interaktionen zahlen wir manchmal angemessene Preise, manchmal zu viel oder zu wenig, wir spielen mit der Bezahlung, wir erkennen unsere Schulden an, geben vor zu zahlen oder akzeptieren, was einer anderen Person gefühlsmäßig gebührt. (Hochschild 1990: 41 f.)
Die Ergebnisse des Gefühlsmanagements in der Öffentlichkeit und in institutionellen Kontexten können jedoch aufgrund der ungleichen Hierarchiepositionierung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (Hochschild 1990: 41 f.). Ungleiche Machtverteilung innerhalb der Schule kann das Gefühlsmanagement der Schüler ebenfalls deutlich »deformieren«: Dabei stehen sie vor der Wahl: Entweder zeigen sie ihre »echten« Gefühle und geraten in Gefahr, sich lächerlich zu machen (als »beleidigte Leberwurst« vor Mitschüler dazustehen); oder sie sichern ihr Gesicht, indem sie mitlachen oder gar keine Gefühle bzw. Reaktion zeigen. Die Möglichkeit, einen Angriff seitens des Lehrers entsprechend kontern zu können, ist sehr gering, da sie sich institutionell auf unterschiedlichen Hierarchiestufen befinden: Institutionen steuern unsere Gefühle, vergleichbar einem Bauern, der seinem Arbeitspferd Scheuklappen anlegt, damit es seinen Blick nach vorne richtet. (Hochschild 1990: 66)
Der Machtfaktor beim Gefühlsmanagement in hierarchischen Strukturen wie denen der Schule spielt eine entscheidende Rolle, da mit sinkendem sozialen Status eines Interaktanten seine Gefühle weniger beachtet werden (Hochschild 1990: 142):
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»Ausländersein« an der Hauptschule Aus der Beziehung zwischen Status und gesellschaftlichem Umgang mit Gefühlen folgt, daß Menschen in den unteren Regionen der Statushierarchie, wie etwa Frauen, Farbige und Kinder, keinen Schutzschild gegen die mangelnde Berücksichtigung ihrer Gefühle besitzen. (Hochschild 1990: 144)
Berücksichtigt man das Gefühlsmanagement als eine Strategie der Verarbeitung von Frotzelangriffen in der Öffentlichkeit, so wird die Diskrepanz der Schülerreaktionen im Unterricht bzw. außerhalb davon nachvollziehbar. Um etwas über dieses unsichtbare, ausgeblendete Gefühlsmanagement und die wahren Einstellungen zum Unterrichtsgeschehen zu erfahren, führte ich mit den Schülerinnen und Schülern Nachbesprechungen durch, die ich in Form von informellen (Gruppen-)Dialogen organisierte. Schwitalla betont die Wichtigkeit solcher Nachgespräche für Ethnographen, denen sie »Aufschlüsse über die untersuchte soziale Welt« geben: Meistens wechseln dieselben Personen in einem Nachgespräch die Art ihrer interaktiven Präsenz: Sie sprechen offen aus, was sie vorher nur gedacht haben; sie zeigen Gefühle, die sie vorher verborgen haben […]. (Schwitalla 2006: 246, 230)
Dabei übernehmen die Sprecher im Nachgespräch manchmal neue Rollen, die vorher – im Laufe der besprechenden Interaktion – nicht möglich waren. So wird beispielsweise aus einer fremden Zuhörerin (»overhearer« nach Goffman 1981: 132) eine aktive Sprecherin/Teilnehmerin: Die Ethnographin wechselt im Nachgespräch die Rolle der schweigenden Beobachterin im Unterricht zur aktiven, »anerkannten« Sprecherin in einem Dialog (Schwitalla 2006: 231). Die Nachgespräche können eine wichtige Funktion übernehmen: Sie bringen die Aspekte zum Ausdruck, die durch ihr aktives Gefühlsmanagement sowie durch ihre komplexe Gesichtsarbeit während einer Ethnographie oder durch die Gesprächsanalyse nicht unbedingt adäquat einschätzbar sind. In den vorliegenden Beispielen aus dem Unterricht handelt es sich um die gesichtsbedrohlichen (Frotzel-)Angriffe seitens einer Lehrperson, die im Unterricht nicht immer gekontert werden können. Dies hat unterschiedliche Gründe, wie die institutionelle Hierarchie, den Altersunterschied, die Gefahr, vor der Gruppe das eigene Gesicht zu verlieren, die Angst vor weiteren Angriffen oder einer Strafe und viele andere. Goffman sieht eine solche Trennung der gezeigten und der tatsächlich empfundenen Gefühle als ein »Erfordernis sozialen Handelns«: […] eine ökologische Trennung zwischen dem, was für andere sichtbar ist und deshalb die Orientierung an bestimmten Standards des Anstandes, des Respektes usw. beinhaltet, und dem, was abgeschirmt ist und daher relativ frei ist. (Goffman 1974: 212)
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In solchen Konstellationen können die Angriffsopfer zu einer Strategie greifen, die Goffman (1974) in »Relations in Public« als »Nachverbrennungen« (»afterburn«) bezeichnet. Goffman meint damit eine nachträgliche Behandlung einer Konfliktsituation durch die Person, die sich beleidigt oder angegriffen fühlt: Er [der Betreffende] führt das aus, was man eine »Nachverbrennung« nennen könnte – ein Protest, der heimlich geäußert wird, während die Zielscheiben dieses Protests den Schauplatz verlassen. (Goffman 1974: 212)
In den in der Studie durchgeführten Nachgesprächen handelt es sich um »elaborierte, dialogische Nachverbrennungen«, für die das Folgende gilt: Wenn es einem Opfer einer Faceverletzung nicht gelungen ist, sich direkt nach dem Übergriff gegen den Angreifer erfolgreich zu wehren, kann dieser in einem anschließenden Gespräch versuchen, sein Gesicht zumindest gegenüber den Zeugen [der Ethnographin und den Mitschülern] der Faceverletzung zu wahren. Damit können auch die mit dem Angriff verbundenen Themen in einer anderen Weise besprochen werden. (Schwitalla 2006: 233)
Anhand folgender Beispiele widme ich meine Aufmerksamkeit dem Vergleich der Schülerreaktionen auf Frotzelsequenzen im Klassenzimmer und ihrer Reflexion über diese Prozesse in der Nachbesprechung. Zwei Aspekte wurden bei der Durchführung der Nachbesprechungen mit den H7 Schülern berücksichtigt: Erstens wurden die Gespräche außerhalb des Schulgeländes durchgeführt, sodass die notwendige Distanz zu den Lehrpersonen gesichert blieb; zweitens fanden die Nachgespräche nach einigen Monaten der teilnehmenden Ethnographie statt, sodass der notwendige Gewöhnungseffekt in Kraft getreten und das Vertrauen zur Beobachterin bereits vorhanden war. Die erste Sequenz stammt aus dem Chemieunterricht, der von dem Klassenlehrer geführt wird. Der Lehrer schreibt die Physikhausaufgaben an die Tafel. Eine davon lautet folgendermaßen: »Wie schnell ist das Licht (in der Türkei)?«. Ein paar Sekunden später fügt Herr Müller den Kommentar »für Kayrat« an der Tafel hinzu. Die komplette Aufgabe sieht dann wie folgt aus: »Wie schnell ist das Licht (in der Türkei)? (für Kayrat)«. Die Schüler schreiben die Aufgaben von der Tafel in ihre Hefte. Datum 25. Licht. (11.03.2011)(01.05)(01:18:00) Sasha (S), Johann (J), Fahrid (F), Kayrat (K), Henry (H), Lehrer (L), mehrere (m) 01 S: hehehehehehehehehehehehehehe 02 J: hä?
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?: (liest vor) wie schnell ist die SONnen(? ?)m: (? ?) F: hej (-)wie schnell ist das LICHT (-fin der türkei>. H: ganz LA:NGsa:m. K: [ (? ?) is_ne ECHte frage? m: [ (? ?) ?: das is_ne FANGfrage. ?: mmm K: hehehehehe L: ja jetzt kannst du überLEgen (-) weißt du? jetzt PAkistan; ihr seht ja FAHrid ne, da muss alles LANGsamer sein. ?: hahahahahahahaha F: ich bin gestern vom stadtschloss hierhe=hierHER gelaufen. S: [OOOOOOOOOOOOOOOOOOOOH? m: [OOOOOOOOOOOOOOOOOOOOH? (Schüler geben Applaus und jubeln mit Ironie) H: (? ?)wäre ich noch da gewesen wäre er MITgefahren. K: hehehehehe (4.0) L: so (.) okAY. (12.0) (nach 12 Minuten Unterricht) K: wie schnell IS_es eigentlich? S: ein un= halb [sieben und= L: [in der türKEI ist sie=aaa(.h); m: (? ?) L: A(.h) H: . K: °drei jahre° hehe. L: es hängt davon ab wie viel Esel ihr vorne vospannt. m: hahahahahahahahhahahahahaha L: ja:. K: wie schnell IST dann licht? L: mmm: ?: hehehehehehehehe F: in DEUTSCH!land. (3.0) J: is=doch alles GLEICH fAhrid.
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(3.5) L: es kommt darauf an ob da RAmadan ist und so(? ?); oder zuckerfest(.)ZU!ckerfest. also da haste viel enerGIE; da geht_s eben AB? m: hahahhahahahahahahahahahahaha L: °ja(.h)°. K: äh wie schnell ist ein licht (.) für mich ist das SCHWER. ?: is=SCHWER ?: wie SCHNELL? (1.0) L: so: also ich hab unterschiedliche koPIEqualitäten; äh ich möchte was dazu SAgen. °eben WAR_S°(3.0)und:(--) da möcht=ich gleich mal bisschen was erGÄNzen; (6.0) ich hab dir beWUSST die dunklere gegeben wegen deiner HAUTfarbe weisste? K: MIR? m: hahahahahahahahahahahahahahahaha
In Datum 25 wird demonstriert, wie die imaginäre, ethnisierende Kontextualisierung einer fachlichen Diskussion konstruiert wird. Die Physikaufgabe wird ethnisch geladen und durch die Spezifizierung des Adressaten – also der Einfügung von Kayrats Namen – individualisiert. Diese Aktion zeigt, wie problemlos Herkünfte und Ethnizitäten der H7 aufgerufen werden können: Sie liegen an der leicht-erreichbaren Konversationsoberfläche und sind für den Lehrer sowie für die anderen Schüler immer zugänglich. In diesem Fall ist darüber hinaus wichtig, dass die Ergänzung der Schrift an der Tafel in zwei Schritte aufgeteilt wird: Zunächst wird die Türkei genannt und nach einer Minute folgt Kayrats Vorname in Klammern. Die Türkei setzt den kontextuellen Rahmen der weiteren Diskussion, wobei das Frotzelobjekt durch den Namen des Schülers selektiert und allein vor die »vorgehaltene Waffe« gestellt wird. Diese Aktion hat die Funktion des »Zeigefingers« (Hinnenkamp 1989), der sich auf eine bestimmte, »gemeinte« Person richtet. Diese Aktion engt den Kontext des Physikfaches nicht nur auf das Fachliche, sondern auf das imaginäre Ethnische ein. Die Reaktion der Schüler – das Lachen (Zeile 1) – signalisiert nicht nur die Tatsache, dass die Schüler den spielerischen Rahmen der Aktion verstehen, sondern auch dass sie solche Praktiken gewohnt sind. Kayrat äußert sich zu der Situation zuerst gar nicht. Einer der Schüler vermutet, das sei eine Fangfrage. Diese Fangfrage richtet sich jedoch nicht an die ganze Klasse, sondern
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hat einen klaren Adressaten – Kayrat. Hier muss erwähnt werden, dass Kayrat Schwierigkeiten in naturwissenschaftlichen Fächern hat, was der kompletten Klasse bekannt ist, da seine Leistungen häufig zum Diskussionsthema gemacht werden. Also richtet sich die Frage ganz gezielt und mit der Unterstellung an Kayrat, dass der Schüler durch die Fangfrage definitiv verwirrt wird. Da der ethnisierte Kontext der Diskussion von der Seite des Lehrers schon vorgegeben wurde, kommt der Beitrag der Schüler zu dem Thema »Türkei« unverzüglich (Zeile 7): ganz LA:NGsa:m. Diese Antwort richtet sich an zwei Objekte gleichzeitig: an die Türkei und an Fahrid, der rein zufällig eine klärende Frage gestellt hat und damit in die Diskussion eingestiegen ist. Herr Müller gibt zuerst keinerlei Kommentar und macht seinerseits eine Pause. Dies führt dazu, dass die Verwirrung der Schüler steigt und dass die Spannung deutlich zunimmt. Henrys Kommentar ganz langsam erweitert den vom Lehrer vorgegebenen Kontext: Die Türkei steht im Fokus der Aufmerksamkeit und wird zum Diskussionsthema. Für den Lehrer und die Klasse ist unverkennbar, dass die Diskussion auf Kayrats Kosten verlaufen wird. Die Zuschreibung langsam hat in diesem Fall eine sarkastische Übertragung, die sich nicht nur auf das Land, sondern viel eher auf Kayrats oder auch Fahrids Denkfähigkeiten erstreckt. In der Sequenz ist es problematisch, Henrys sarkastische Note zuzuordnen, da sowohl Kayrat als auch Fahrid in der Klasse als langsam und nicht intelligent gelten. Der Lehrer richtet den spielerischen Kontext für Kayrat ein, der sich jedoch in dem Moment kaum meldet (man erkennt lediglich sein Lachen und zwei klärende Fragen danach, ob die Frage ernst gemeint wird). Per Zufall meldet sich Fahrid und wird dadurch nicht nur zum Frotzelobjekt, sondern mehr noch zum Frotzelopfer. Der ethnisierte Kontext richtet sich gegen Fahrid: Herr Müller greift zur Möglichkeit, Fahrid in die Diskussion miteinzubeziehen und richtet sich an die Klasse: 12 L: ja jetzt kannst du überLEgen (0.1) weißt du? 13 jetzt PAkistan; 14 ihr seht ja FAHrid ne, 15 da muss alles LANG!samer sein.
Fahrid werden absurderweise Eigenschaften wie Langsamkeit zugeschrieben, die die Lichtgeschwindigkeit in der Türkei erklären sollen. Die Überlappung des fachlichen (Physik) sowie des individualisierten, spaßigen Rahmens der Diskussion erzeugt den Unterhaltungseffekt: Die Klasse, inklusive Kayrat, lacht über die Analogie zwischen der Lichtgeschwindigkeit in Pakistan und Fahrids Langsamkeit. Das Absurde wird dadurch erweitert, dass Fahrid pakistanischer und nicht türkischer Herkunft ist: Aus dieser absurden Logik ist die Türkei mit Pakis-
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tan identisch oder zumindest sehr ähnlich. Dies bestätigt die Behauptung, dass für den Lehrer alle muslimischen Länder wie Afghanistan, Pakistan, die Türkei und der Iran– zumindest im spaßigen Kontext – identisch sind und sich geografisch sowie kulturell sehr nahe stehen. Ab diesem Moment wird Fahrid lediglich als Mitglied der pakistanischen/türkischen Kultur kategorisiert. Interessant ist, dass die Eigenschaftszuschreibung in beide Richtungen verläuft: Es wird behauptet, dass in Pakistan alles langsam sein soll, wobei Fahrids Eigenschaften gleichzeitig auf Pakistan übertragen werden. Dementsprechend ist Fahrids Verhalten gleichzeitig ein Ergebnis sowie eine Erklärung pakistanischer und türkischer Langsamkeit. Die Reaktion der Schüler als Publikum folgt unverzüglich: Es wird gelacht. Das signalisiert Fahrid, dass er zum Aufmerksamkeitsobjekt wird, was seinen Versuch der Selbstverteidigung auslöst. In Zeile 18 versucht Fahrid, sein Gesicht zu wahren, indem er seine Sportlichkeit und Fitness mit einem Beispiel belegt: 18 F: ich bin gestern vom stadtschloss hierhe=hierHER 19 gelaufen.
Interessant ist, dass Fahrid die Tatsache übersieht, dass er kein Türke ist und dass er in der Tat keinen Bezug zur Türkei und ihrer Lichtgeschwindigkeit haben kann. Stattdessen kontert er den Angriff des Lehrers mit ernsthaften »Beweisen«. Diese Reaktion fällt jedoch aus dem spaßigen Rahmen des Geschehens heraus und löst die entsprechende sarkastische Reaktion des Publikums – das Lachen – aus. Um den Angriff geschickt zu kontern, müsste Fahrid die Frotzelsequenz mit einem spaßigen Gegenangriff fortsetzen. Dafür ist Fahrid jedoch in diesem Moment nicht bereit bzw. nicht fähig dazu gewesen. Die Klasse bricht in Lachen aus (Zeile 20-21), jubelt und gibt Applaus. Besondere Freude an Fahrids misslungenem Versuch zeigt sein größter Rivale Sasha (Zeile 20): Er schreit sarkastisch vor Freude und provoziert bei der Klasse die gleiche Reaktion, die Fahrid dann ebenfalls auslacht. Die Spannungssituation spitzt sich zu: Fahrid wird dazu gedrängt, sich vor dem Publikum zu verteidigen. Dabei steht Fahrid nicht nur vor dem Lehrer, sondern auch vor seinen Klassenkameraden. Henry pariert und zerlegt Fahrids Argument, indem er erklärt, warum Fahrid zu Fuß gelaufen ist: 23 H: (? ?) wäre ich noch da gewesen wäre er MITgefaren.
Die Reaktion folgt prompt: In der Zeile 24 wird wieder gelacht. Herr Müller schließt den spielerischen Rahmen, der auf Fahrids Kosten verlief, indem er mit einem organisatorischen so (.) okay, den Unterricht fortsetzt.
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Nach 12 Minuten Unterricht wird die Frage nach der Geschwindigkeit von Kayrat wieder angesprochen: Er ist immer noch verwirrt und möchte endlich herausfinden, was die richtige Lösung der Aufgabe ist. Der Lehrer versucht in die Diskussion einzusteigen, allerdings kommt es zu Überlappungen mit den Schülern, die das Thema der Langsamkeit »nicht lassen können«: (Zeile 34, Henry) . Außerdem schlagen die Schüler falsche Lösungen vor, was den Lehrer offensichtlich enttäuscht und dazu bringt, Kayrat eine individuelle Lösung der Frage anzubieten: 36 L: es hängt davon ab wie viel Esel ihr vorne vorspannt.
Hier greift Herr Müller zu seinem beliebtesten Erklärungsmuster und bringt das kulturelle Merkmal Kanakistans – den Esel – ins Gespräch ein. Dabei spielt der Lehrer mit der imaginären, hinterweltlichen »östlichen« Kultur, aus der Fahrid und Kayrat angeblich kommen, und in der die Esel als Haupttransportmittel eingesetzt werden. Des Lehrers Schlagfertigkeit und sein beißender Humor gelten als erfolgreiche Fortsetzung der Frotzelsequenz und werden dementsprechend seitens des Publikums mit Lachen belohnt (Zeile 36). Die Schüler Kayrat und Fahrid geben nicht auf und kämpfen weiter um das fachliche Wissen (Zeile 39, 42). Es scheint so zu sein, dass sie die einzigen Schüler in der Klasse sind, die die Fangfrage nicht verstehen und deswegen weiterhin an Zweifeln leiden. Fahrid ahnt bereits, dass es sich vielleicht doch um eine Fangfrage handelt, deshalb präzisiert er seine Frage auf Deutschland. Seine korrekte Behauptung wird ebenfalls ignoriert. Es kommt keine Antwort. Endlich äußert sich Johann: 44 J: is=doch alles GLEICH fAhrid.
Es folgt keine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema, da das Fachliche bereits geklärt wurde und die Schüler sich weiterhin mit ihrer Arbeit beschäftigen. Nach drei Minuten Stille setzt Herr Müller die Frotzelsequenz fort: 46 L: es kommt darauf an ob da RAmadan ist und so(? ?); 47 oder zuckerfest(.)ZU!ckerfest, 48 also da haste viel enerGIE; 49 da geht_s eben AB?
Der Unterhaltungseffekt ist hier sehr hoch – die Klasse »lacht sich kaputt«. Der Spaßrahmen öffnet sich enorm weit. Die Frotzelsequenz wurde erfolgreich fortgesetzt. In der Anspielung bezieht sich der Lehrer auf die Symbole, die er als charakteristisch für die muslimische Kultur hält – Ramadan und Zuckerfest. Sie ergänzen die Liste der imaginären Kultur, aus der Fahrid angeblich
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stammt. Während des Zuckerfestes werden viele Süßigkeiten konsumiert und das soll, so Herr Müller, viel Energie erzeugen und die Lichtgeschwindigkeit in der Türkei beeinflussen. In dieser Sequenz wird die Argumentation wiederum ad absurdum geführt, was mit einem »Abdriften in kleine fiktionale Welten« (Günthner 1996) verglichen werden kann. Dabei werden durch Symboleinführungen »spielerische Phantasieelemente« zum Konstruieren der »fremden Welten« genutzt (Günthner 1996: 177-179; Kotthoff 1998: 348). Die Einführung der Symbole »Ramadan« und »Zuckerfest« gibt der Diskussion eine zusätzliche Facette – Ethnizität wird durch religiöse Zugehörigkeit sowie kulturelle Merkmale erweitert. In dieser Sequenz werden die fachlichen Fragen (Physik) im Unterricht mittels humoristischer Einführung von Ethnizität sowie religiöser Elemente kontextualisiert. Der Lehrer gibt den Kontext vor und entwickelt ihn mit den kooperierenden Schülern weiter. Das »Abdriften in fiktionale Welten« erfolgt durch das ad absurdum Führen der Argumentation seitens des Lehrers. Die Koppelung zwischen ethnischen/religiösen Eigenschaften und negativer Charakteristika (Langsamkeit) wird von Fahrid auf das ganze Land – die Türkei – übertragen. Der Schüler macht einen Konterversuch, der sein Gesicht vor der Klasse retten soll, der jedoch durch den sarkastischen Angriff seines Klassenkameraden schnell scheitert. Fachlich betrachtet lernt Fahrid aus dieser Situation nichts in Physik und bekommt keinen Hinweis für die Problemlösung. Stattdessen wird er als Pakistaner für die Lichtlangsamkeit in der Türkei verantwortlich gemacht. Außerdem wird sein Bild in der Klasse als langsamer, fauler Junge wiederhergestellt. Die Reaktion der Schüler in der Sequenz ist hoch relevant, da sie als Publikum mitentscheiden, wie die Sequenz weiterläuft. Jeden Kommentar von Herrn Müller unterstützen die Schüler mit ihrem Lachen. Einschließlich der türkischen Schüler äußert sich keiner gegen den Lehrer, keiner verteidigt die Türkei oder Fahrid. Es entsteht eine Solidarität des Publikums mit dem Lehrer. Ganz anders sieht die Reaktion der Schüler außerhalb des Unterrichts aus. In den Nachbesprechungen geben die SchülerInnen zu, dass sie solche Sprüche diskriminierend und beleidigend finden. Hier ist ein Ausschnitt aus einer Besprechung, die mit Fahrid geführt wurde: Datum 26. Nachbesprechung. (09.02.2012) Fahrid (F), Olga (O) 01 O: wie FINdest du es übrigens wenn herr müller solche 02 witze macht? 03 über kaNAkistan und so(.); 04 wie FINdest du es? 05 F: äh: (.) ich finde es eigentlich NICHT so gut:. (...) 06 O: findest du das LUStig?
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F: naja: nicht GANZ; ich glaub der sollte mal so was WISsen.(...) wären das nur DEUTsche würden die auch noch drüber lachen (2.0) aber; O: ihr lacht doch AUCH mit manchmal, F: MANCHmal ja:. O: ASlan und so; F: er lacht über ALLES. O: herr müller macht doch immer witze über MEKka oder OSten. F: ja:. O: einmal hat er gesagt ich rolle dich in den teppich und dann FLIEGST du. F: ja=JA. der meint was MACHST du? BEtest du jetzt? soll ich dir den TEPpich ausrollen? (...) ich verstehe nicht was daran WITzig sein soll. als ich NACHhilfe hatte in einer anderen klasse, hat er+hat er das mal geSAGT. alle haben sich KAPUTT gelacht. wieso LACHT ihr überhaupt?(...) auch wenn man ihm auch was überhaupt SAGT, dann SAGT er auch(-); wer ausgibt muss auch EINstecken können.
In dem Nachgespräch erkennt man einen »Nachverbrennungsprozess«, in dem Fahrid das kommunikative Verhalten vom Herrn Müller vorsichtig kritisiert. Aus seinen Aussagen wird deutlich, dass der Schüler erwartet, dass Herr Müller als Lehrer eigentlich wissen muss, dass man solche Witze nicht macht. Er betont außerdem den Kontrast zwischen der Reaktion seiner multiethnischen Klasse und einer nur deutschen Klasse: wären das nur DEUTsche, würden die auch noch drüber LAchen. Aus der Aussage wird klar, dass Fahrid seine eigene Klasse als nicht typisch deutsche wahrnimmt, und er hat bereits Erfahrungen aus einer anderen Klasse, in der über solche Witze gelacht wurde. Man erkennt, dass es Fahrid ganz bewusst ist, dass seine eigene Klasse anders ist: Die Situation, in einer anderen Klasse zu sitzen, war für ihn ungewöhnlich und die Reaktionen in der »homogenen« deutschen Klasse waren für ihn überraschend: wären das nur DEUTsche, würden die auch noch drüber LAchen. Die multiethnische Zusammensetzung der Klasse gehört für Fahrid zur Normalität. Diese Vorstellung stammt aus seiner Umgebung und seinem multikulturellen Alltag, in dem er mit mehreren Sprachen aufwächst. Der Schüler wird
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in seiner Klasse jahrelang trainiert, mit unterschiedlichen Ethnien zu kommunizieren. Die Situation, in der er sich unter deutschen Schülern befindet, löst bei ihm eine Konfrontation mit dem Ungewöhnlichen aus. Dem Schüler ist klar, dass seine Klasse anders ist, und dass man über Religion und Ethnizität in anderen Klassen anders kommuniziert. Hier erkennt man die Selbstpositionierung der H7 in der gesamten Schule: Der H7 ist durchaus bewusst, dass sie keine deutsche Klasse ist. Zum Schluss erklärt Fahrid die Passivität der Schüler gegenüber solchen diskriminierenden Sprüchen des Lehrers: Herr Müller folgt der fairen Regel – wer ausgibt muss auch EINstecken können. Im Nachverbrennungsprozess lassen sich die verborgenen Gefühle und Einstellungen von Fahrid erkennen: Durch die soziale Ordnung und die vorhandene Schulhierarchie kann sich der Schüler im Unterrichtsraum nicht direkt verteidigen. Unmittelbar während des Unterrichts leistet er eine intensive Gesichtsarbeit sowie ein Gefühlsmanagement, die der allgemein angenommenen Interaktionsordnung (Frotzelmodus, direkte gesichtsbedrohliche Angriffe) in der Klasse entsprechen sollen. In der Nachverbrennung signalisiert die Ethnographin, dass sie die gesichtsbedrohlichen Angriffe seitens Herrn Müllers als auffällig empfindet. Dies bringt den Schüler in eine Position, in der er die Angriffe als diskriminierend bezeichnet bzw. sie so bezeichnen kann (Zeile 5). Ihm ist eindeutig bewusst, dass solche Praktiken gesellschaftlich als unhöflich bis aggressiv und unprofessionell gedeutet werden können (Zeile 8). Für die Ethnographin, die im Unterricht normalerweise die Rolle einer Zuhörerin (»overhearer«) hat, formuliert Fahrid eine passende Reaktion, die unter gewöhnlichen Umständen angebracht wäre: Er argumentiert gegen die Frotzelpraktiken und erklärt sie für nicht witzig. Dass die »wahren« Gefühle des Schülers an die Erwartungen der Ethnographin angepasst werden, kann man an zahlreichen Zögerungen in den Antworten des Schülers erkennen. Seine Argumentation ist durch Unsicherheitskonstruktionen gekennzeichnet: 05 F: äh: (.) ich finde es eigentlich NICHT so gut:. (...) […] 07 F: naja: nicht GANZ; 08 ich glaub der sollte mal so was WISsen.(...) […] 12 F: MANCHmal ja:. […] 18 O: einmal hat er gesagt ich rolle dich in den teppich 19 und dann FLIEGST du. 20 F: ja=JA.
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Zögerungen, häufiges Pausieren und kurze Bestätigungen der Argumente der Ethnographin erwecken den Eindruck, der Schüler wäre sich über seine Gefühle nicht sicher. Der Frotzelrahmen, der in vielen Unterrichtsstunden präsent ist, hat durchaus eine verunsichernde Wirkung auf die Schüler. Darauf reagieren sie mit sehr ambivalenten Gefühlen, die situativ entsprechend angepasst werden: Im Unterricht werden die gesichtsbedrohlichen Praktiken als Frotzeln und Spaß bearbeitet, was der Gesichtsarbeit dient; im Nachgespräch werden sie als diskriminierende Aktivitäten gedeutet. In diesen zwei Daten kann man die Asymmetrie zwischen der Reaktion der Schüler im Unterricht und ihren Äußerungen im Hintergrund des Lehrprozesses, d.h. in der Nachbesprechung, betrachten. Der Lehrer kündet an, dass er für Gleichberechtigung in der Klassenkommunikation steht (wer ausgibt muss auch EINstecken können), übersieht jedoch die institutionelle Hierarchie, die ihm als Lehrer fast unbegrenzte Macht verleiht. Die Schüler befinden sich in einer subordinären Position und verfügen nicht über die Möglichkeit, sich in den gesichtsbedrohlichen Situationen gleichwertig zu verteidigen, beziehungsweise selbst auszuteilen. Dadurch werden sie häufig zu einem stimmlosen Segment der Schulkommunikation gemacht. Das zweite Beispiel aus einer anderen Chemieunterrichtsstunde eröffnet eine weitere Facette des riskanten Humors im Alltag der H7 – nämlich rassistische Anspielungen. Herr Müller möchte wissen, welche Blutkörperchen im Körper zu finden sind. Im Vordergrund der Diskussion stehen der türkische Schüler Aslan und seine Klassenkameradin Alice, die angolanischer Herkunft ist und schwarze Haut hat. Alice ist die einzige dunkelhäutige Schülerin in der Klasse. Datum 27. Blutkörperchen. Chemie. (08.11.2011) (35:22) Lehrer (L), Aslan (A), Henry (H), Alex (Al), mehrere (m) 01 L: blut (-) wenn man_s abnimmt wird geTRENNT. 02 wir habn rote blutkörperchen >? 04 A: WEIß? 05 H: WEIße. 06 J: ja: und was NOCH welche? 07 wir haben NOCH eine fraktion. 08 ?: ÄHM: 09 A: °°KREBS°°? (spricht mit dem Nachbarn) 10 L: (guckt auf Kayrat) > 12 m: hehehehehehehehe(3.0) 13 L: was NOCH? 14 ?: °°LIla°°?
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F: LIla hehehe ?: °°SCHWARZ°°? L: ROte blutkörperchen(.)WEIße blutkörperchen (-)[SCHWArze blutkörperchen. (guckt ironisch auf Aslan) A: [JA= L: oder WAT hä? F: (spricht zu dem Nachbarn)°°aber nur bei den RAUchern°°. m: hahahahahahahahahahaha A: (spricht zu dem Nachbarn)°°hat er KREBS gesagt°°? L: und+und alice hat wahrscheinlich geNÜgend schwarze körperchen oder WAS weiß ich. A: JA:. m: hahahahahahahahahahahaha A: °°KREBS ge?°°((Zu dem Nachbarn)) Al: ich glaub das sind PLÄTTchen. L: SU!per.
Herr Müller fragt nach Blutkörperchen, die es im Blut gibt, bekommt jedoch nur unzureichende Antworten. Die Klasse bleibt still und demonstriert ihr Unwissen über dieses Thema. Nachdem zwei Anteile des Blutes genannt wurden (Zeile 1-7), wartet der Lehrer auf die letzte richtige Antwort (die Plättchen). Die Antwort wird jedoch nicht formuliert. In der Klasse herrscht Stille, keiner traut sich, dem Lehrer eine Antwort zu geben (in Zeile 9 flüstert Aslan dem Nachbarn seine Vermutung krebs zu). Nach einer Pause schaut Herr Müller Aslan an und sagt (Zeile 10): >. Durch diese Aussage wird nur Aslan selektiv in das Gespräch eingeladen, wobei die ganze Klasse geschwiegen hat. Obwohl es in der Klasse nur zwei Schüler türkischer Herkunft gibt, bekommen sie außergewöhnlich viel Aufmerksamkeit und werden in den Klassendiskussionen häufig Ziel von Kommentaren. Der Visibilitätsgrad von Aslan und Kayrat wird kontinuierlich unterstützt und ausgebaut. Der Lehrer rutscht dadurch in das Ethnisierungsschema und kontextualisiert damit das fachliche Gespräch. Da die Klasse auf solche Übergänge schon trainiert wurde, folgt die gewöhnliche Reaktion des Publikums – das Lachen (Zeile 11). Jemand sagt plötzlich leise schwarz (Zeile 16), was vom Lehrer sofort in seine fachliche Argumentation integriert wird: 17 L: rote blutkörperchen(.)weiße blutkörperchen 18 (-)[SCHWArze blutkörperchen. (guckt ironisch auf 19 Aslan)
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Dabei schaut Herr Müller gezielt Aslan an, der sofort mit seinem schnellen ja reagiert, um damit den spielerischen, absurden Rahmen seinerseits zu bestätigen. Die fallende Intonation Herrn Müllers (SCHWARze blutkörperchen.) signalisiert seine Ironie sowie seine Enttäuschung darüber, dass aus dem Diskussionskontext eigentlich deutlich werden sollte, dass es keine schwarzen Blutkörperchen geben kann. In den Zeilen 26-27 hört man das ironische Urteil des Lehrers über die Kenntnisse seiner Schüler: 26 L: und+und alice hat wahrscheinlich geNÜgend schwarze 27 körperchen oder WAS weiß ich.
Alice ist, wie bereits erwähnt, schwarz. Über das Thema »Rasse« wird in der Klasse im Gegensatz zu dem Thema der ethnischen Herkunft fast nie gesprochen. Obwohl man in der Klasse im Großen und Ganzen rassistische Witze eher vermeidet, wird über den Spruch dennoch gelacht (Zeile 26). Es folgt kein Verteidigungsversuch und kein Widerspruch seitens der Schüler oder von Alice selbst. Ebenso wie Fahrid hat Alice an einer Nachbesprechung teilgenommen, in der man ihre Einstellung zu den Aussagen des Lehrers erfährt: Datum 28. Nachbesprechung. (06.12.2011)(29:00)(35:00) Alice (A), Gabi (G = Schwester von Alice), Olga (O) 01 A: dann hat er mich beLA:bert (-) und so= ja: haste du hast du dich 03 putze= 04 O: macht er kommentare über deine HAUTfarbe? 05 A: JA: er meint so+er meint so 06 ja: meint er so äh äh; 07 hast dich PUTzen lassen; 08 weil du+weil du vielleicht WEISS werden möchtest 09 und so, 10 das hat er zu MIR dann gesagt.(...) 11 so was könnte eigentlich wenn er jetzt in berLIN 12 wäre und so was von BRAUnen kindern13 wird GLAUB mir; 14 er wird NICHT überleben. 15 ich hab ähm (-)wir waren schon mal in X.2(-) und 16 die hatten feri- also wir hatten noch Ferien 17 gehabt;
2 | Eine Nachbarstadt.
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wir haben hier in Y.3 noch FErien gehabt und so; und die hatten noch KEIne äh: ferien gehabt und so. da waren sie in der SCHUle un=so. (?)und ich bin dann mit meiner TANte hingegangen; und: wir habn die [Cousine] dann so ABgeholt, und die hat uns dann= dieses mädchen hat uns da erZÄHLT, dass ihr chemielehrer verPRÜgelt wurde; weil er bra=braune= (2.0) weil er halt braune äh braune JUNGS hat belabert. und JA. und dann hat er am abend dann so richtig SCHLÄge bekommen (-)JA:. sie habn zwar ne_ANzeige bekommen, aber DAfür hat er= hat er= also is der lehrer nicht mehr auf der SCHUle glaube ich. und jetzt hat er richtig ANGST vom (? ?). O: schau ma was er immer sagt zu ASlan und so-= A: geNAU! TÜR!ke äh: immer immer soO: kaNAkistan. A: geNAU!. O: übrigens ich wollte fragen was es ähm:; hat ER das entdeckt? (0.3) A: naja: hatte ma= so ein spruch hat er mal von so einem SCHÜler ge:=gehört. seitdem verWENdet er das auch. O: immer (.)das ist fast jeden TAG. ich dachte so oh:. A: der meinte so+der meint so er will damit schüler ÄRgern. das IST kein ärger das is=beLA!bern. O: aber er= G: was is+daran ÄRger? das ist total die=der massige beLEIdigung. O: [was war die reakTION? [auf die Sprüche vom Lehrer] G: [was hat er [der Lehrer] geSAGT? A: er hat=er hat zu uns geSAGT ja:wenn wir es halt nicht MÖCHten,
3 | Die Stadt, in der sich die untersuchte Schule befindet.
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»Ausländersein« an der Hauptschule 58 sollen wir den KLASsenlehrer wechseln. 59 G: ha`ha`ha`(skeptisch) 60 A: aber wir KÖNnen keinen anderen lehrer wechseln61 weil bei dem habn wir bessere CHANcen. 62 und bei dem fühlen wir uns bisschen SIcherer. 63 und zwar (-) die beLEIdigungen, .h (-) 64 aber bei ihm ist halt BESser als bei anderen 65 lehrern. 66 (? ?) aber ich komme damit besser KLAR; 67 und mich juckt(-)das JUCKT mich nicht was er sagt. 68 er kann ruhig SO viel labern, 69 aber(-)das JUCKT mich nicht.
Alice berichtet über eine Situation, in der Herr Müller ihr gesagt hat, dass sie sich putzen lassen soll, weil sie vielleicht weiß werden möchte. Alice erzählt außerdem eine Geschichte aus der Stadt X., in der ein Lehrer verprügelt wurde, weil er sich häufig gegen »braune Jugendliche« 4 geäußert hat. Außerdem wird erläutert, dass Alice und ihre »braune Schwester« Gabi, die ebenfalls an der Besprechung teilnahm, solche Aussagen beleidigend finden. Auch über die Reaktion der Schüler auf Herrn Müllers Kommentare wird gesprochen: er hat=er hat zu uns gesagt, ja: wenn wir es halt nicht möchten sollen wir den KLASsenlehrer wechseln. Aus dieser Information erschließt sich, dass sich die Schüler bereits zu den Kommentaren seitens des Lehrers geäußert haben. Es folgte jedoch keine adäquate Reaktion: Die Schüler sollen ihren Klassenlehrer wechseln. Trotz der Aussage von Alice, dass sie die Situation nicht »juckt«, erkennt man eine intensive Auseinandersetzung der SchülerInnen mit dem Thema Rassismus. Gabi, als Zuhörerin beim Interview anwesend, ist überrascht über die kommunikativen Abläufe in der Klasse ihrer Schwester. Alice erinnert sich sofort an mehrere Geschichten aus anderen Städten und Schulen. In der Familie der Schülerin wurden mehrfach ähnliche Erfahrungen gemacht. Alice erklärt außerdem, warum die Schüler nicht auf direkte Konfrontation mit Herrn Müller gehen: Sie fühlen sich bei dem Klassenlehrer sicherer als bei den anderen. Viele Schüler schätzen, dass Herr Müller fast der einzige Lehrer ist, dem es gelingt, die Disziplin im Unterricht zu erhalten. Sie kritisieren seine strenge Art und schätzen sie gleichzeitig. In der Nachbesprechung bestätigt sich die Asymmetrie der gezeigten und gefühlten Emotionen der Schüler: Im Unterricht tolerieren sie seine gesichtsbedrohenden Angriffe und die Frotzeleien mit der Begründung, bessere Lernchancen zu bekommen; außerhalb des Unterrichts findet eine intensive Auseinandersetzung mit dem Geschehen statt, in der die 4 | »Braun« ist eine Ethnokategorie und bezieht sich auf die Gruppe der dunkelhäutigen SchülerInnen.
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»echten« Emotionen bearbeitet werden. In diesen Nachverbrennungen spielen die zwei anderen Sprecherinnen eine wichtige Rolle: Die Ethnographin wechselt in eine aktive Sprecherrolle, genauso wie Gabi, die als »Outsider« zum ersten Mal von den diskriminierenden Aussagen in der H7 hört. Diese wirken auf sie durchaus beleidigend und inakzeptabel. Entsprechend offen stellt Alice ihre Einstellungen dar, indem sie die Aussagen von Herrn Müller als »Belabern« 5 bezeichnet. Gleichzeitig merkt Alice an, dass sie sich bei dem Lehrer doch ziemlich sicher fühlt und dass sie mit seiner Art besser klarkommt, als mit der Art von den anderen Lehrern. Die Gefühle der Schülerin fallen wiederum ambivalent aus: In der Nachbesprechung, in Anwesenheit zweier externer Zuhörerinnen argumentiert sie für den diskriminierenden Charakter der Lehrersprüche; gleichzeitig fühlt sie sich auch unter diesen Umständen »sicher«. Der zweite Teil der Nachbesprechung illustriert die Argumentationsweise, die das Verhalten des Lehrers weiterhin erklären und entschuldigen soll. Datum 29. Nachbesprechung.(06.11.2011)(01:26) Alice (A), Ella (E), Olga (O), Gabi (G =Schwester von Alice) 01 A: deswegen bin ich auch keine =ich wollte gerne 02 KlASsensprecherin werden, 03 E: aber der herr MÜLler meinte so04 also du alice kannst KEIne klassensprechern werden, 05 weil es liegt an deiner HAUTfarbe und so:. 06 O: das hat er geSAGT? 07 E: ja ja das hat er geSAGT. 08 A: ja aber das hat er= aber das hat er aber 09 eigentlich GUT gemeint weil wenn ich mir=10 G: eh eh ich find es SCHEIße dass er das gesagt hat. 11 A: nein nein. 12 weil teilweise teilweise hat er das auch GUT 13 gemeint. 14 weil wenn ich jetzt=wenn ich jetzt 15 KLASsensprecherin wäre, 16 dann würde aslan mich jetzt JRden tag belabern. 17 JEden tag.
Ella berichtet über die Episode, als ihre beste Freundin Alice Klassensprecherin werden wollte. Herr Müller äußerte ein ironisches Bedenken über ihren Wunsch und meinte, sie könnte aufgrund ihrer Hautfarbe keine Klassensprecherin werden. An der Nachbesprechung nimmt Alices Schwester teil, die auf 5 | »Belabern« ist ebenfalls eine Ethnokategorie und gilt als Ausdruck für »ärgern« oder »beleidigen«.
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eine andere Schule geht und Herrn Müller lediglich aus den Erzählungen ihrer Schwester kennt. Als externe Beobachterin kategorisiert Gabi die Geschichte über ihre Schwester als unakzeptabel: 10 G: eh eh ich find es SCHEIße dass er das gesagt hat.
Überraschend folgt direkt nach dieser Aussage eine Verteidigung des Lehres durch Alice. Sie begründet die Entscheidung des Lehrers mit einer schützenden Intention: Herrn Müller war von vorneherein bewusst, dass die Position als Klassensprecherin Alice zur Zielscheibe aller möglicher diskriminierender Sprüche machen würde. Aslan, der sich häufig auf Kosten anderer amüsiert, würde Alice jeden tag beLAbern. Belabern und labern besitzen unter den Schülern/Jugendlichen der untersuchten Klasse die Bedeutung verbaler Angriffe, des Schimpfens, des Beleidigens u.Ä. Alice behauptet also, dass der Klassenlehrer die Rolle des »Retters« übernimmt und die Schülerin in dieser Situation und auf diese Weise vor möglichen Diskriminierungsattacken schützen möchte. Das nächste Beispiel demonstriert eine weitere Variante der Schülerreaktionen auf ethnische Anspielungen im Unterricht – das Schweigen. Während des Mathematikunterrichts möchte Herr Müller die Fotos des Vortags zurückhaben, die ein Fotograf gemacht und an die Schüler verteilt hatte. Die Kinder sollten sich zusammen mit ihren Eltern entscheiden, ob sie die Bilder behalten möchten oder nicht. Falls nicht, mussten sie ihre Bilder an Herrn Müller zurückgeben. Viele Schüler haben die Fotos allerdings zu Hause vergessen, weswegen die folgende Diskussion geführt wird: Datum 30. Bilder. (06.05.2011) Lehrer (L), Fahrid (F), Kayrat (K) 01 L: wer ist da noch(-)FAHrid? 02 F: ich hab= ich WOLLte gestern abgeben. 03 ich WOLLte sie jetzt abgeben=ich= 04 L: dann machst du= machst du nach der STUNde. 05 is gar kein probLEM. 06 K: (? ?) 07 L: ja ich WEIß. 08 mir is es egAl.(9.0) 09 ANrufen zu hause und sag sie sollen sich aufn Esel 10 setzen, 11 hier RUNterfahren. 12 (10.0) (in der Klasse herrscht Stille)
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Ohne dass Fahrid sich beim Lehrer meldet, spricht ihn der Lehrer selektiv an. Kayrat gibt zu, dass er die Bilder zu Hause hat, woraufhin ihm der Lehrer sofort einen Vorschlag macht: 09 10 11
ANrufen zu hause und sag sie sollen sich aufn Esel setzen, hier RUNterfahren.
Der Esel gibt in diesem Fall, ähnlich wie Ramadan und Zuckerfest in den früheren Beispielen, der Diskussion einen ethnisierten/kulturalisierten Kontext und verschiebt den Fokus vom Fachlichen auf das Ethnisch-Kulturelle. Neu in dieser Sequenz ist die Reaktion der Klasse: Nach dem Kommentar von Herrn Müller schweigt die komplette Klasse zehn volle Sekunden. Die Asymmetrie in der Kommunikation zwischen dem Lehrer und den Schülern, die durch die institutionelle Hierarchie vorgegeben ist, wird in solchen Klassendiskussionen widergespiegelt. Unterschiede zwischen den emotionalen Reaktionen der Schüler im Unterricht und außerhalb des Unterrichts offenbaren sich lediglich in den Nachbesprechungen mit den Schülern. Auf der einen Seite demonstrieren sie im Unterricht Solidarität mit dem Lehrer – und lachen zum Teil mit der ganzen Klasse über seine »geschickten« sarkastischen Frotzeleien. Auf der anderen Seite empfinden sie die Sprüche als beleidigend und diskriminierend. Die Auseinandersetzung mit ihrer Unzufriedenheit findet erst im informellen Setting statt: Das Geschehen wird unter Freunden, Klassenkameraden sowie in den Familien besprochen. Aus den Erfahrungen der anderen Schüler zeigte sich, dass sich das Problem nicht wirksam würde regeln lassen: Der Lehrer kündigt gleiche Rechte im Klassenzimmer an (wer ausgibt muss auch EINstecken können) und bietet eine offensichtlich unmögliche Lösung an (den Klassenlehrer zu wechseln). Das Gefühlsmanagement der Schüler ist höchst komplex, was die Auseinandersetzung in Form von Nachverbrennungen illustriert. Die Gefühle sowie die Einstellungen einzelner Schüler und Schülerinnen fallen ambivalent aus. Mit Auslassung einer pädagogischen Diskussion an dieser Stelle widme ich mich im Folgenden dem Plädoyer über den Sprechstil des Lehrers.
5.4 (K umpel-)S prechstil : V ergemeinschaf tungsversuch In diesem abschließenden Abschnitt wird argumentiert, dass die riskanten Frotzelaktivitäten, die zum Alltag der H7 gehören, feste Bestandteile eines Sprechstils des Klassenlehrers sind. Aus dem Blickwinkel eines Insiders tragen die frotzelhaften Praktiken keinen diskriminierenden Charakter, sondern ermöglichen eine situative Solidarisierung der Gruppe. In den zahlreichen
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ethnischen Anspielungen unternimmt der Lehrer den Versuch, kumpelhaft mit seinen Schülern zu kommunizieren. Die riskanten, ethnisierten Frotzeleien sowie die ironischen bis sarkastischen Humorpraktiken können als Index einer engen Gruppenbeziehung auftreten. Durch direkte gesichtsbedrohende Angriffe auf Kosten der anderen können Vergemeinschaftungsprozesse der Gruppe stattfinden. Der Lehrer versucht durch riskante Kommunikationsweisen, die aus der interethnischen Jugendkommunikation bekannt sind, mit den Schülern ein gemeinsames, kumpelhaftes Interaktionsniveau zu erreichen. Sein Sprechstil bereitet den meisten Schülern – häufig sogar dem Frotzelobjekt selbst – viel Unterhaltung. Der Lehrer verdient sich damit oft die Sympathien der Schüler. In den Angriffssequenzen erkennt man ebenfalls eine Solidarisierung des Publikums (der Klasse) mit dem Lehrer. Der Kumpel-Sprechstil erfüllt parallel zur Gruppenbildung eine Reihe anderer Funktionen: Disziplinherstellung, Formulierung disziplinärer Vorwürfe, Kritik, Erarbeitung von Coolness etc. Zu dem kumpelhaften Stil gehören auch sarkastisch-ironische Anspielungen, die sich teilweise dem jugendsprachlichen Register zuordnen lassen. Besonders erkennbar wird dieser Stil in der Wortwahl des Lehrers, die sich einem jugendlichen Stil nähert. So werden beispielsweise die Anreden du Penner oder du Pflegefall, die unter den Schülern selbst oft zu hören sind, von Herrn Müller in Unterrichtsauseinandersetzungen (Konflikten, Disziplinherstellung) ebenfalls verwendet. Außerdem gehört die rhetorische Frage »wollt ihr mich verarschen?« ebenfalls zu seinem stilistischen Repertoire. Die Frage signalisiert je nach Situation Empörung, Überraschung oder Unzufriedenheit mit der Leistung seiner Schüler. Dieser Stilwechsel (von dem formellen Unterrichtsstil zum informellen kumpelhaften Sprechstil) signalisiert den Schülern, dass ein Rahmenwechsel stattfindet – was jedoch manchmal zur Verwirrung der Schüler führt. Unter dem Begriff des »Rahmens« versteht Goffman eine kognitive Konstruktion für die Erklärung der »sozialen Ordnungsprinzipien« und Alltagserfahrungen. Sie ermöglicht eine adäquate Wahrnehmung des Geschehens und hilft dadurch, die Erwartungen im Laufe einer Interaktion korrekt einzuordnen und richtig zu verstehen (Goffman 1977: 19). Dem Konzept des Rahmens untergeordnet, bietet Goffman (1981) als spezifischen Typ von »Rahmen« innerhalb eines Gesprächs das Konzept des »Footing« an. »Footing« ist ein Rahmen-Typ, der innerhalb eines Gesprächs kontinuierlich rekonstruiert wird: The multiplicity of elements which may compose the social role of speaker […] plus the shifting and somewhat elastic numbers constituting the potential audience […] mean that the alignment of speaker to audience may change quite frequently and, consequently, has to be repeatedly defined and redefined. This alignment Goffman calls ›footing‹. (Burns 1992: 324)
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Durch die Veränderung oder den Wechsel des »Footings« alliiert sich der Sprecher mit den anwesenden Interaktanten und kreiert dadurch einen neuen Rahmen für die Gesprächssituation: A change in footing implies a change in the alignment we take up to ourselves and the others present as expressed in the way we manage the production or reception of an utterance. A change in our footing is another way of talking about a change in our frame for events. (Goffman 1981: 128)
Goffman unterscheidet einzelne »Signale« von Footing (im Gespräch): 1. Participant’s alignment, or set, or stance, or posture, or projected self is somehow at issue. 2. The projection can be held across a strip of behavior that is less long than a grammatical sentence, or longer, so sentence grammar won’t help us all that much, although it seems clear that a cognitive unit of some kind is involved, minimally, perhaps, a »phonemic clause«. Prosodic, not syntactic, segments are implied. 3. A continuum must be considered, from gross changes in stance to the most subtle shifts in tone that can be perceived. 4. For speakers, code switching is usually involved, and if not this then at least the sound markers that linguists study: pitch, volume, rhythm, stress, tonal quality. 5. The bracketing of a »higher level« phase or episode of interaction is commonly involved, the new footing having a liminal role, serving as a buffer between two more substantially sustained episodes. (Goffman 1981: 128)
Goffman bietet damit die Möglichkeit, den Rahmenwechsel in Form von Footing linguistisch zu analysieren. Dieser Wechsel erfolgt innerhalb des erlaubten »frame space«, worunter Goffmann Folgendes versteht: […] the degree of tolerance speakers require for the changes of frame and changes of footing they see as appropriate to the occasion, their self-conception, and the idea they have of their listeners. (Burns 1992: 346)
Durch die institutionelle Hierarchie sowie bewegliche In-Group-Dynamiken in der Klasse, gekennzeichnet durch die Häufigkeit und die Ritualisierung des Rahmenwechsels (bspw. zwischen einem kumpelhaften und offiziellen Sprechstil, zwischen ernster Fachsprache und Frotzelsequenzen), verfügt Herr Müller über einen sehr hohen Grad von »frame space«. Sein Publikum ist in der Lage, die Rahmenübergänge sehr schnell zu erkennen. Der spaßige Übergang im Unterrichtsgespräch, der »nebenbei« stattfindet, indiziert den Wechsel zum kumpelhaften Sprechstil. Dieses »Footing« realisiert der Lehrer durch
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seine Wortwahl sowie durch die Verwendung riskanter, gesichtsbedrohlicher Praktiken, die im offiziellen Unterrichtsrahmen unzulässig wären. Datum 31 illustriert, wie vertraut und spielerisch die Lehrer-Schüler-Interaktion im Unterricht werden kann und wie sich innerhalb eines fachlichen Unterrichtsrahmens ein informeller Diskussionsrahmen eröffnet. Dabei beinhaltet die Sequenz direkte Gesichtsangriffe, die im Vergleich zu den meisten bisher gezeigten Beispielen jedoch nicht ethnisiert sind. Die Diskussion findet im Chemieunterricht statt. Die Klasse bespricht die Trennmethode »Sieben«. Danil erklärt das Funktionsprinzip der Methode (Zeile 1). Datum 31. Loch. Chemie. (08.11.2011)(90)(25:00) Danil (D), Herr Müller (L),Kayrat (K), Ella (E), Ruslan (R), Alex (A), Aslan (As) 01 H: weil die steine net: (.) durch das LOCH passen. 02 L: ja (.) es liegt an der POrengröße des siebes. (-) 03 K: (-)
04 L: warum LACHT er? 05 E: hahahahahahahahahaha 06 L: HA? 07 R: LOCH. 08 die HOse offen oder was. 09 m: hahahahahahahaha 10 L: ich will=ich verSTEhe_s nicht. 11 E: hahahahaha 12 R: der meint das lOch und dann DURCHschieben. 13 (zeigt mit den Fingern) 14 H: NEIN:. 15 E: hahahahahahahaha 16 A: der is_n GANZ versauter. 17 m: hahahahahahahaha 18 As: RUSlan alleh:. 19 L: so abgefuckt ist er NICHT ruslan. 20 es kann nicht JEder so hinterfotzig- al(? ?)21 es sind nicht alle so hinterfotzig wie DU. 22 MANN: ich haue dir aufs maul. 23 SO! 24 AUF!gehts markus.
Die Erwähnung des Wortes Loch löst das Lachen eines Schülers aus. Der Lehrer kann die sexuelle Anspielung des Schülers allerdings nicht nachvollziehen bzw. nicht erkennen. In Zeile 4 eröffnet sich der neue Rahmen, in dem Herr Müller Kayrats Lachen anspricht. Ruslan erklärt mittels einer Geste (Zeile 12-
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13), warum der Schüler lacht. Darauf reagiert Alex (Zeile 16) mit der Beschreibung des Schülers: der is_n GANZ versauter. Der Lehrer steigt nun ebenfalls in die Diskussion ein und verteidigt den Schüler (Zeile 19-21). Dabei rutscht Herr Müller in den Jugendsprechstil: »abgefuckt«, »hinterfotzig«, »ich haue dir aufs maul«. Seine Sprechart nähert sich der der Schüler im informellen Kontext an. Außerdem demonstriert die Diskussion das Verhältnis zwischen dem Lehrer und seinen Schülern: Selbst sexuelle Anspielungen im Unterricht erzeugen keine große Hemmungen – sie werden humoristisch auf gleichberechtigtem Niveau geregelt. Auslöser für den neuen Rahmen ist das Lachen und das darauffolgende Missverständnis. Um den Grund für das Lachen zu klären, eröffnet der Lehrer einen spaßigen Rahmen, in dem er seinen kumpelhaften Sprechstil erfolgreich einsetzen kann. Zu betonen ist, dass das Publikum sich an der Rahmenkonstruktion durchaus aktiv beteiligt: 16 A: der is_n GANZ versauter. 17 m: hahahahahahahaha 18 As: RUSlan alleh:.
Die Schüler greifen ebenfalls zu Registern, die sie im offiziellen Unterricht normalerweise nicht anwenden. Das Ganze verläuft wie ein Spiel mit unterschiedlichen Sprechstilen, an denen die Schüler relativ risikofrei teilnehmen können. Dies ist jedoch nur innerhalb einer begrenzten Zeit sowie der gegenseitigen Toleranz des Publikums (»frame space«) und des Lehrers möglich. Im zweiten Beispiel folgt eine Sequenz, in der eine humoristische Anspielung ebenfalls im Stil der Jugendlichen verläuft. Herr Müller fragt, welche Prozedur unter »Sedimentieren« verstanden wird. Datum 32. Ich bin klein. Chemie.(08.11.2011)(90)(25:47) 01 L: was muss geWÄHRleistet sein (.), 02 damit die trennmethode absetzen (.)sedimentIEren, 03 (.)SINN macht. 04 (.)ALex? 05 (0.8) 06 L: wat MACHST du jetzt, 07 BEtest du jetzt oder was? 08 m: hahahahahahahahahaha 09 L: ich bin KLEIN(.)ha? 10 mein popo [ist KLEIN. 11 ?: [POpo ist klein. 12 L: popo ist SCHMUTZzig, 13 ist das nicht PUTzig? 14 oder so.
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»Ausländersein« an der Hauptschule 15 m: hahahahahahahahah 16 (0.5) 17 L: WAS das jetzt. 18 charles bronson geDÄCHTnisminute oder was?(-) 19 martin AUF gehts!
Der gefragte Schüler liefert keine Antwort. Nach einer langen Pause »provoziert« der Lehrer die Reaktion des Schülers (Zeile 7-8). Der Lehrer fällt abermals in den Jugendsprechstil und formuliert das bekannte Kindergebet (»Ich bin klein...«) in einen Rap-Text um. Als Hintergrundinformation muss man berücksichtigen, dass viele Schüler der Klasse die Rap-Kultur mögen und praktizieren. Der Sprechstil des Lehrers nähert sich dem Rap-Text und fungiert in situ als Übergang zum gemeinsamen Stil. Dabei wird das Rap-Lied in den fachlichen Unterrichtsablauf eingebaut: 01 L: was muss geWÄHRleistet sein (.), 02 damit die trennmethode ABsetzen (.)sedimentIEren, 03 (.)SINN macht. 04 (.)Alex? […] 19 martin AUF gehts!
Solche Stilübergänge geschehen oft im Zusammenhang von teasing oder mocking konzipiert und sind häufig gesichtsbedrohend und individualisiert. Der Kumpel-Sprechstil ist durch jugendsprachliche Lexik gekennzeichnet, die ebenfalls aus einem informellen Register stammt. Außerdem sind die Übergänge zu den gesichtsbedrohlichen Frotzeleien sowie die Ethnisierung der Diskussionskontexte ebenfalls charakteristisch für diesen Sprechstil. Der Rahmenwechsel ist nicht nur durch die Wortwahl (popo, putzig) des Lehrers gekennzeichnet, sondern auch durch den Wechsel zu einer neuen Gattung – dem Rap-Lied –, was sich nicht nur lexikalisch von der Unterrichtssprache unterscheidet, sondern auch melodisch ein anderes Muster besitzt. Der Lehrer eröffnet den neuen Rahmen auf seine gewöhnliche Art (betest du jetzt oder was?) und bringt damit seine Schüler in eine Vorbereitungsphase. Die Schüler bestätigen den spaßigen Spielrahmen durch ihr mehrfaches Lachen (Zeilen 8, 15) und sind damit an der Ko-Konstruktion des Rahmens aktiv beteiligt. Der Versuch des Lehrers, mittels des Rahmenwechsels »auf Kumpel zu machen« und die Machtverhältnisse auf diese Weise interaktional zu lockern, scheitert zum Teil. Das passiert aus dem Grund, dass die Schüler sich in einer asymmetrischen Position zum Lehrer befinden und nicht in der Lage sind, angemessen zu kontern. Die Stilübergänge des Lehrers sowie seiner Schüler
5. Interaktionale Bearbeitung der ethnischen Zugehörigkeiten
können als Bewegung auf der soziolinguistischen Skala (Blommaert 2007) betrachtet werden. Laut Blommaert haben nur wenige Gesellschaftsmitglieder Zugang zu den bestimmten Skala-Schichten, was zu Exklusionen und Benachteiligungen in Interaktionen führt: [...] some people or groups can jump scales while others cannot, and »outscaling« is a frequent power tactic: lifting a particular issue to a scale-level that is inaccessible to the other. [...] the capacity to produce a certain register affords particular power-andidentity tactics of exclusion and hierarchical ranking, and register is a powerful scalejumping instrument. [...] Jumping scales depends on access to discursive resources that index and iconicize particular scale-levels, and such access is an object of inequality. [...] Scales provide contexts with possible regulations of access. (Blommaert 2007: 6 f.)
Herr Müller befindet sich in der Position des Machthabenden und hat den Zugang zu unterschiedlichen Umgangsformen sowie Registern einer Interaktion. Er verfügt über die Möglichkeit, den stilistischen Sprung (Blommaert 2007: 6 f.) in unterschiedlichste Richtungen zu machen: Sein stilistisches Register ist durch die vorhandene Schulhierarchie viel breiter als das der Schüler. Je nach Situation kann er in seiner Rolle als Lehrer auftreten oder, wie an zahlreichen Beispielen demonstriert, in der Rolle eines Gleichartigen. Im Gegensatz dazu befinden sich seine Schüler in keiner kumpelhaften Beziehung mit Herrn Müller und können dementsprechend nicht risikofrei kontern oder zu einem beliebigen Register greifen. Die Schüler verfügen über eine geringere Mobilität auf der Skala und sind in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt. Dementsprechend reduziert ist ihre Fähigkeit, zum informellen Sprechstil zu wechseln und sich auf das Niveau des Lehrers zu platzieren. Die stilistischen Sprünge des Lehrers sind zwar unterhaltsam, jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem man selbst zum Frotzelobjekt wird. Andererseits löst die Asymmetrie individuelle Unzufriedenheit seitens der Schüler aus, die sich in ihren post-factum-Reflexionen (»Nachverbrennungen«) in den Nachbesprechungen enthüllt. In diesem Sinne sind Sprechstilübergänge, eingebettet in die häufigen Rahmenwechsel, von sehr exkludierender Natur: Sie verleihen Rechte, die überwiegend allein dem Lehrer vorbehalten sind. Kapitel 5 untersucht die Frage des Umgangs mit der ethnischen und kulturellen Diversität der H7. Die Aspekte der ethnischen Zugehörigkeit werden sehr intensiv und regelmäßig im Alltag der Schüler hervorgehoben und bewertet. Die Klasse übernimmt die Abgrenzungsidentität der »Kanaken« sowie die Kultur, die in dem imaginären Land (»Kanakistan«) angeblich existiert. Der Ausbau dieser Kultur verläuft unter der gegenseitigen Kontrolle der Schüler sowie der Lehrer (der Deutschlehrerin und des Klassenlehrers): Die Interaktanten kontrollieren kontinuierlich, ob ihr Verhalten und ihre Sprache normentsprechend sind oder nicht. Situativ spielen sie mit der Einführung von hin-
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terweltlichen Symbolen und Stereotypen wie »Eselskarren«, »Teppich fliegen«, »schlechte Straßen haben« und »Terroristen sein«. Normalitäten und Moralvorschreibungen werden ebenfalls interaktiv kokonstruiert: Dabei geraten die Herkunftsländer der Schüler (bzw. ihrer Eltern) häufig in Kontrastierung zu Deutschland. Das erfolgt am häufigsten mittels ethnisierter oder kultureller Kontextualisierung der Interaktion. Die Sprecher bringen die Herkunftsländer und Ethnizitäten situativ hervor und bewerten diese lokal. Am häufigsten beinhalten diese Kontrastierungen Absurditäten und Frotzeleien aus den »Fantasiewelten«. Diese sind oft gesichtsbedrohend und richten sich individuell gegen einzelne Schüler. Des Weiteren verläuft eine selbstständige Bearbeitung des Andersseins seitens der Schüler, die mit ihren Herkünften spielerisch umgehen. Self-Otherization-Prozesse ermöglichen die Pflege des eigenen Images als »cooler« oder »frecher«. Anderssein gilt als interaktionale Währung, die an Selbstkostenwert situativ zu- bzw. abnimmt. Der Klassenlehrer entwickelt eine eigene Strategie für den Umgang mit der kulturellen und ethnischen Diversität seiner Klasse. Er frotzelt über die Herkunftsländer der Schüler bzw. ihrer und ihre Ethnizitäten. Seine Humorpraktiken erfüllen von Disziplinherstellung bis zur Machtverteilung im Unterricht mehrere Funktionen. Die Frotzeleien sind häufig höchst gesichtsbedrohend und werden in einem besonderen Sprechstil formuliert. Dieser Sprechstil tendiert zu dem jugendsprachlichen Stil seiner Schüler: Er ist durch vulgäre und umgangssprachliche Ausdrücke gekennzeichnet. Die Absicht des Lehrers, die Konflikte und Auseinandersetzungen mit den Schülern kumpelhaft zu lösen, ist sehr unterhaltsam und wird von den Schülern in situ unterstützt. Die Machtasymmetrie, die institutionell vorgegeben ist, begrenzt jedoch die Schülermöglichkeiten, entsprechend erfolgreich zu kontern, und zwingt sie einem Gefühlsmanagement, das erst in den Nachbesprechungen rekonstruierbar wird. Inwiefern die riskanten Frotzeleien über das Aussehen einzelner Schüler eine gesichtsbedrohliche Wirkung ausüben, wird das nächste Kapitel zeigen.
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
In der H7 zählen direkte und subtile verbale Angriffe – in Form von Frotzeleien, der Ausbeutung von Stereotypen und Hypertypen oder ironischen Anspielungen – zu den üblichen Alltagspraktiken. Diese tragen, wie bereits demonstriert, zum Teil riskante Züge: Die Positionierung einzelner Mitglieder der Gruppe erfolgt durch die Fähigkeit, den spielerischen Rahmen zu erkennen, an ihm – sofern möglich – teilzunehmen, sowie dadurch, ihn adäquat zu deuten und zu bearbeiten. Wie bereits dargestellt, dienen diese riskanten Praktiken nicht nur der reinen Informationsvermittlung oder der Rekonstruktion der In-Group, sondern auch zur Regulierung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Klasse. In diesem Kapitel gehe ich der Frage einer weiteren Kategorisierung in der H7 nach, nämlich der Kategorisierung nach äußeren Merkmalen einzelner Sprecher, die einen hohen gesichtsbedrohenden Charakter aufweisen. In den zwischenmenschlichen Interaktionen bzw. in dem Beziehungsmanagement einzelner Interaktanten übernimmt das Konzept von »face« und »face-work« (Goffman 1967) eine zentrale Funktion. Laut Goffman handelt es sich um unterschiedliche »Gesichter«, die im Kommunikationsfluss miteinander interagieren: [face is] the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact. Face is an image of self delineated in terms of approved social attributes. (Goffman 1967: 5)
Dementsprechend kann das Gesicht innerhalb der Interaktionen in Form von unterschiedlichen kommunikativen Strategien angepasst werden. Dabei spricht man von »Gesichtsarbeit« (Goffman 1967: 12 f.). Brown/Levinson (1978b) erweitern Goffmans Konzept von »face« und integrieren es in ihre Höflichkeitstheorie, unter der die kommunikativen Mittel der Gesichtsarbeit verstanden werden. Brown/Levinson stellen in ihrer Theorie zwei Gesichtsarten vor, die jeder Interaktant besitzt: ein negatives
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Gesicht (»negative face«) und ein positives Gesicht (»positive face«). Unter dem negativen Gesicht verstehen sie das Bedürfnis nach Individualität und Handlungsfreiheit (Brown/Levinson 1978b: 61 f.). Mit dem positiven Gesicht meinen sie das Bedürfnis nach einem Gemeinschaftsgefühl, das bewirkt, dass man von den anderen akzeptiert und anerkannt werden möchte (Brown/Levinson 1978b: 61 f.). Brown/Levinson sind der Auffassung, dass es sich bei dem Wunsch sein Gesicht zu bewahren sowie das Gesicht der anderen dabei nicht zu verletzen um Grundbedürfnisse eines jeden Menschen handelt (Brown/Levinson 1978b: 62). In jeder Interaktion definieren die Interaktanten ihre eigenen sowie fremde Gesichter neu: Höflichkeit hilft in der Interaktion, das eigene Gesicht zu bewahren, und dabei gleichzeitig das Gesicht des anderen zu berücksichtigen (Brown/Levinson 1978b: 62). Es ist jedoch nicht immer möglich, das eigene positive oder negative Gesicht im Gespräch zu bewahren, ebenso wenig wie das Gesicht der anderen. Die Sprechakte müssen trotz allem ausgeführt werden und genau dabei kommt es häufig zu Gesichtsverletzungen. Brown/Levinson konzipieren diese unter dem Begriff der »gesichtsbedrohenden Akte« (»face threatening acts«, im Folgenden als FTA), die sowohl das negative als auch das positive Gesicht verletzen können. Die gesichtsbedrohenden Akte können unterschiedlich auftreten: offenkundig (»on record«), ganz offenkundig (»bald on record«) und nicht offenkundig (»off record«). Ein offenkundiger FTA ist ein klarer Sprechakt, aus dem die Absichten des Interaktanten leicht ablesbar sind (Brown/Levinson 1978b: 68 f.). Ein ganz offenkundiger FTA ist ein direkter Sprechakt, der Befehlscharakter aufweist. Er erfolgt üblicherweise in Interaktionskonstellationen, in denen zwischen den Sprechern eine klare Hierarchie herrscht, die den »Täter« von jeglichen Konsequenzen befreit (Brown/Levinson 1978b: 69). Eine beziehungsorientierte Alternative dazu sind die sogenannten gesichtswahrenden Sprechakte, die dem Schutz der Gesichter dienen sollen. Dafür wenden die Sprecher in ihrer Interaktion Strategien der positiven bzw. negativen Höflichkeit an: Mit positiver Höflichkeit schützt man das positive Gesicht und signalisiert damit die Nähe zum Hörer, wobei man mit negativer Höflichkeit das negative Gesicht wahrt und damit die Distanz zwischen den Interaktanten betont (Brown/Levinson 1978b: 70). Schließlich müssen die nicht offenkundigen FTAs von dem Zuhörer selbst erschlossen werden, da er dabei nicht unbedingt direkt angesprochen wird (Brown/Levinson 1978b: 69). Eine der zahlreichen Formen nicht offenkundiger FTAs ist Ironie. Sie kann in der Interaktion riskante Züge entwickeln und für das Gesicht des Hörers bedrohlich sein: [irony] requires extra processing effort, and if readers [/listeners] miss it and it is subsequently drawn to their attention, embarrassment and a sense of exclusion are the likely consequences. (Black 2006: 76)
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
Spencer-Oatey (2000) erweitert die Höflichkeitstheorie durch das Konzept von »rapport management«: This concern of rapport management […] examines the way that language is used to construct, maintain and/or threaten social relationships and […] includes the management of sociality rights as well as of face. (Spencer-Oatey 2000: 12)
Spencer-Oatey argumentiert, dass man menschliche Interaktionen hinsichtlich der Kategorien »Harmonie« und »Disharmonie« analysieren kann (Spencer-Oatey 2000: 13). Im Laufe des Rapport-Managements befinden sich Gesichtsbedürfnisse und die »sociality rights«, d.h. bspw. die persönlichen/ gesellschaftlichen Erwartungen wie Inklusion oder Exklusion, in einem dynamischen Zusammenspiel (Spencer-Oatey 2000: 14). Ebenso wie das Gesicht kann das Rapport-Management innerhalb einer Interaktion bedroht oder verletzt werden. Das kann entweder durch FTA-Prozesse oder durch die Verletzung/Missachtung der sogenannten sozialen Rechte der anderen passieren. Den Rapport realisieren Sprecher mit bestimmten kommunikativen Orientierungen, die nach Spencer-Oatey der Schlüsselfaktor für die Auswahl einer Rapport-Management-Strategie sind. Darunter sind die folgenden vier Orientierungen zu finden: rapport-enhancement (beabsichtigt die Verstärkung der vorhandenen Harmonie zwischen den Interaktanten), rapport-maintenance (beabsichtigt die Herstellung oder Sicherung der Harmonie), rapport-neglect (demonstriert mangelndes Interesse an der Qualität der Beziehung zwischen den Interaktanten), rapport-challenge (beabsichtigt eine Beeinträchtigung der Harmonie) (Spencer-Oatey 2000: 29 f.). Die Rapport-Orientierung sowie die Rapport-Management-Strategien hängen mit den Variablen »Power« und »Distanz« zusammen. Unter »Power« versteht die Soziolinguistik eine ungleiche Positionierung der Interaktanten im gesellschaftlichen System bzw. im lokalen Kontext. Im Fall der vorliegenden Studie handelt es sich um die Lehrer-Schüler-Beziehung, für die die Schule eine klare Machtasymmetrie sowie eine institutionelle Distanz (eine Art Formalität) vorgibt. Letzteres wird in H7 allerdings durchaus regelmäßig gelockert. Die Wirkung beider Variablen lässt sich daran erkennen, dass die Schüler über sehr begrenzte Möglichkeiten zu kontern verfügen. Dadurch wiederum entsteht eine dauerhafte Ungleichheit in der Gruppe. Die Höflichkeitstheorie erweitert Culpeper (2011), der sich mit Aspekten der Unhöflichkeit und ihrer Funktionen auseinandersetzt. Einer der Unhöflichkeitstypen ist die so genannte »entertaining impoliteness«, die auf Kosten des »Opfers« erfolgt und für das mithörende Publikum konzipiert ist (Culpeper 2011: 233f.). Dabei handelt es sich um fünf Vergnügungsquellen (»sources of pleasue«), die das Publikum empfinden kann: empotionale, ästhetische und voyeuristische Freude, Freude das Opfer in schlechterer Position zu beobach-
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ten und Freude sich sicher zu fühlen (Culpeper 2011: 234f.). Die letzten drei Freudearten basieren auf dem Gefühl der Schadenfreude. In der H7 führen sowohl die Schüler selbst als auch der Klassenlehrer regelmäßig gesichtsbedrohende Sprechakte aus. Die in den vorherigen Kapiteln analysierten, ethnisch geladenen Angriffe dienten überwiegend einem Zweck: der Vergemeinschaftung bzw. Solidarisierung der Klasse und der versuchten situativen Eingliederung des Klassenlehrers in die Jugendkultur seiner Schüler. Während die ethnisierten Angriffe eine hohe gesichtsbedrohende Wirkung aufweisen können, sind sie in der Klasse jedoch fast gleichmäßig verteilt, sodass jeder mal »sein Fett abkriegt«. Die Sequenzen in diesem Kapitel illustrieren hingegen Szenen, in denen lediglich zwei Schüler – Ella und Fahrid – aufgrund ihres leichten Übergewichts zur Zielscheibe gemacht werden. Die folgenden Beispiele beinhalten gesichtsbedrohende Sprechakte, die die Kategorie »Aussehen« zum Angriffsthema haben. Aussehen fungiert, genauso wie Ethnizität, als eine Variable, die ins Gespräch gerufen wird, ohne dabei im Argumentationsprozess eine rationale Funktion zu übernehmen. Unter dieser Kategorie findet man zwei wichtige Aspekte, die sich in der Diskursgeschichte der Klasse etabliert haben: »dick/fett« sein und dunklere Hautfarbe haben. Die Interaktanten schreiben diesen Aspekten zahlreiche Eigenschaften zu – nicht nur die »offensichtlichen« Eigenschaften, sondern auch die im übertragenen Sinne. So bezieht sich das »dick/fett« sein nicht nur auf das Übergewicht, sondern auch auf die angeblich damit verbundene Langsamkeit des Agierens, der Reaktion sowie der Denkweise. Der Aspekt der dunkleren Hautfarbe weist nicht nur auf das äußerliche Merkmal und die Ethnizität (siehe Beispiel »Schwarzarbeit«) hin, sondern auch auf eine angebliche mangelhafte Körperpflege. Die Episode 33 findet im Mathematikunterricht beim Klassenlehrer statt. Der Lehrer erzählt von dem ehemaligen Schüler Michael, der vor Kurzem auf eine Förderschule wechselte. Als Michael noch in dieser Hauptschulklasse war, hatte er sich von dem Schüler Fahrid ein Buch ausgeliehen. Fahrid ist überrascht über die neue Information, dass Michael nicht mehr sein Klassenkamerad ist, und wundert sich, wie er sein Buch zurückbekommen soll. Datum 33. Mathematikbuch. (27.10.2011) (52) (07:20) Lehrer (L), Fahrid (F), mehrere (m) 01 L: der michael geht in die FÖRderschule jetzt. 02 F: und mein MAthebuch? 03 L: (seufzt)LAUF hinterher. 04 m: hahahahaha 05 L: ist= wäre gut für mich und für deine fiGUR. 06 alles KLAR? (schickt Fahrid einen Luftkuss) 07 hm (.) ich habe die nase VOLL.
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
In der Sequenz versucht Fahrid, sein Problem zu benennen, und fragt den Lehrer, wie er sein Buch zurückbekommen kann. Auf diese Frage erwidert der Lehrer den Vorschlag: LAUF hinterher! Die Klasse reagiert wie üblich mit Lachen (Zeile 4). Fahrids Lachen ist auf dem Tonband nicht zu erkennen: Er hält sich aus der Konversation heraus und sagt in den nächsten 15 Minuten kein Wort. Hier ist außerdem das fachliche »Insiderwissen« von Herrn Müller zu erwähnen: Er ist der Sportlehrer der Klasse. Anschließend fügt der Lehrer eine Begründung für seinen Lösungsvorschlag hinzu (Zeile 5-6): das ist= wäre gut für mich und für deine fiGUR. alles klAR? Fahrid bekommt mit dem Kommentar über seine Figur den Hinweis, dass es keine schlechte Idee wäre, wenn er ein bisschen laufen würde. Das ist ein ritualisierter, gesichtsbedrohender Angriff in der Diskursgeschichte der H7, den Herr Müller ganz unverblümt formuliert. Die gesamte Klasse amüsiert sich über den Angriff und reagiert mit Lachen (Zeile 4). Um seinen Kommentar zu verdeutlichen und zu verstärken, wirft der Lehrer Fahrid vor der ganzen Klasse einen Luftkuss zu. Das erzeugt in der Klasse in diesem Fall jedoch kein Lachen (normalerweise lachen die Schüler bei solchen Gestiken und Sprüchen). Ganz im Gegenteil: Die Klasse wird ganz ruhig und still. Dazu fügt der Lehrer sein »ich habe die nase VOLL!« hinzu, was auf seine schlechte Laune hinweist, die er mit seiner Geste (dem Luftkuss) betonen möchte. Damit schließt er die Sequenz. Die Klasse solidarisiert sich durch ihr Lachen (Zeile 4) kurz mit dem Lehrer. Fahrids Image als »fetter, dummer Schüler« wird rekonstruiert. Der letzte Akt des Lehrers, der Luftkuss, fungiert als »Kontrollschuss« an den Schüler, der dem Lehrer einen klaren Sieg sichert. Diese Sequenz ist hoch gesichtsbedrohlich: Nicht nur durch den ritualisierten »gut für deine Figur«-Spruch (s.u.), sondern auch nicht-verbal durch eine erniedrigende Geste, den Luftkuss. Die Arbeit als Sportlehrer ermöglicht dem Lehrer die institutionelle Vergabe der Noten im Sportunterricht. Er allein ist in der Position, die Leistung und die physischen Fähigkeiten seiner Schüler zu bewerten. Diesbezüglich berichten Ella und Alice in einer Nachbesprechung, dass Herr Müller die Noten im Sport nicht nach der Leistung, sondern nach subjektiver Einschätzung des Schülerkörpers vergibt: Datum 34. Nachbesprechung.(06.12.2011)(29:25) Alice (A) 01 A: wo du davor bei uns= nicht bei uns dort in der 02 KLASse warst, 03 war_s RICHtig schlimm. 04 der hat ella nicht nach=nach ihrer LEIStung 05 bewertet sondern nach ihrer fiGUR. (–) 06 hat ihr ne_vier im SPORT gegeben.
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Ella hat, wie bereits erwähnt, ebenfalls leichtes Übergewicht und muss sich deshalb ebenfalls immer wieder Sprüche über ihr Aussehen anhören. Da die Diskursgeschichte der Klasse durch kontinuierliche Angriffe definiert wird, akzentuiere ich hier die Zeitangaben der dokumentierten Sequenzen. Die erste Sequenz wurde im Oktober 2011 aufgenommen. Die zweite Sequenz wurde im November 2011 registriert. Datum 35 stammt aus einer Diskussion, die vor dem Unterrichtsanfang stattfindet. Der Lehrer begrüßt die Schüler und weist darauf hin, dass sie im Chemieraum aus Sicherheitsgründen ihre Jacken ausziehen müssen. Alle Schüler stehen sofort auf und bringen ihre Jacken raus. Fahrid kommt am schnellsten zurück und setzt sich eilig auf den Stuhl. Dabei rutscht er aus Versehen von der Stuhloberfläche und fällt fast auf den Boden. In letzter Sekunde trifft er den Stuhl und setzt sich ganz normal auf den Stuhl, ohne gänzlich heruntergefallen zu sein. Der Lehrer und die Klasse beobachten die Situation gemeinsam. Dabei entsteht die folgende Sequenz: Datum 35. Dönerverbot. Chemie. (24.11.2011) Lehrer (L),mehrere (m) 01 L: ich SAge dir was wir jetzt machen. 02 vierzehn tage DÖnerverbot. 03 m: hahahahahahahahah 04 L: das ist in ZWEIfacher hinsicht gut. 05 erstens für deine fiGUR; 06 SO! 07 m: hahahahhahahah
Herr Müller macht einen Vorschlag, der Fahrids Leben erleichtern soll. In den Zeilen 1 und 2 bietet der Lehrer dem Schüler ein »Dönerverbot« an. Über Dönerkonsum wird in der Klasse häufig gesprochen und gefrotzelt. Diesmal fungieren der Dönerkonsum sowie das daraus resultierende Übergewicht als Erklärung für Fahrids Tollpatschigkeit. Es war im Laufe der Forschung oft zu beobachten, dass ein Spruch/Kommentar, der von einem Lehrer vor der Klasse geäußert wurde, auch mehrfach seitens Schüler Verwendung findet. Der Lehrer gibt dadurch eine Art Erlaubnis für solche Praktiken. Durch solche Abläufe entwickelt die Klasse eine gewisse Immunität gegen die tatsächliche Schärfe solcher Äußerungen: In den Nachbesprechungen geben die Schüler an, dass ihnen bewusst ist, dass Fahrid »immer gemobbt wird«, allerdings versucht keiner, ihn zu verteidigen. Die gesichtsbedrohenden Kategorisierungen nach Aussehen bearbeiten die Schüler eher mit Humor und Schweigen als mit Empathie. So erkennt man auch in den meisten gesichtsbedrohenden Sequenzen das Lachen der Klasse, die sich über
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
die Witzigkeit der Formulierungen amüsiert, und sich dementsprechend mit dem Lehrer kurz solidarisiert. Der zentrale Refrain der gesichtsbedrohenden Angriffe in der Gruppe lautet: das ist gut für deine Figur. Die Aussage wird unterschiedlich verpackt: In den meisten Fällen wird sie am Ende der Argumentation angehängt und hat damit den Charakter des »Kontrollschusses«. In dieser Sequenz verpackt Herr Müller die Aussage so, dass sie Bestandteil seiner Argumentationssequenz sein könnte. 04 L: das ist in ZWEIfacherhinsicht gut. 05 erstens für deine fiGUR; 06 SO!
In seiner Argumentation nennt der Lehrer zwei potenzielle Gründe für das Dönerverbot (Zeile 4), die er jedoch nur zu Hälfte ausformuliert. Den zweiten Grund erwähnt er nicht. Daraus kann man schließen, dass es sich nicht um zwei Gründe handelt, sondern nur um den einen – nämlich die Klasse auf Fahrids Kosten zu unterhalten und seine Positionierung in der Gruppe zu schwächen oder als schwach zu rekonstruieren. Wie häufig verläuft die Aussage im spöttischen Modus und beinhaltet eine humoristische Anspielung auf das Essverhalten Fahrids. Solche Praktiken im Unterrichtskontext sind nicht unbedingt leicht als Angriff charakterisierbar, da sie die Form eines Frotzels übernehmen. Auf Dauer bedrohen sie jedoch Fahrids (und Ellas) Gesicht und erzeugen ein Ungleichgewicht, das für alle in der Klasse offensichtlich wird. Das nächste Datum präsentiert eine Episode aus dem Mathematikunterricht. In der Klasse eine bestimmte Regel, falls einer der Schüler gähnt und seinen Mund nicht mit der Hand bedeckt. Dies gilt in der Klasse als unhöflich und »asozial« und wird vom Klassenlehrer sofort bestraft. Die Strafe sind dreißig Kniebeugen vor der Klasse und gilt für Jungen und Mädchen gleichermaßen. Die Regel selbst ist eine hoch gesichtsbedrohende, öffentliche Bestrafung, die der Lehrer – mit aktiver Kooperation seiner Schüler – vor der gesamten Klasse vorführen lässt. Dabei bewertet das Publikum die physische Leistung einzelner Schüler und amüsiert sich durchaus gerne über kleine Misserfolge des »Opfers«. Das Publikum zählt jede Kniebeuge laut mit und vergibt einzelne Kommentare: So bekommt beispielsweise ein »Schwächling«, der die vorgeschriebenen dreißig Kniebeugen nicht schafft, oft zu hören, er sei ein »Mädchen«. Dementsprechend scheint diese Aktion außerdem eine Art Maskulinitätsbeweis zu sein. In Datum 36 erwischt der Lehrer Fahrid beim Gähnen. Die anderen Schüler haben es nicht gesehen, lediglich der Lehrer nimmt das Geschehen mit Genuss wahr und goutiert die Situation.
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»Ausländersein« an der Hauptschule Datum 36. Krankengymnastik. (24.11.2011)(69)(36:46) Lehrer (L), Aslan (A), Fahrid (F), Norman (N), mehrere (m) 01 L: oh: FAHrid(-), 02 das war vom FEINsten. (ironisch) 03 das MAchen wir gleich (0.3). 04 machen wir KRANkengymnastik gleich. 05 F: eh_ich HAB doch, 06 L: ja JA. 07 eine minute SPÄter junge. 08 weil bei dir geht ALles so ein bisschen a:::. 09 (demonstriert übertrieben, wie 10 langsam Fahrid seine Hand zum Mund zieht) 11 m: hahahahahahhaahahha 12 L: schon KLAR. 13 nenene FREUNDchen; 14 das MAchen wir. 15 tue dir in MEHRfacher hinsicht gutes. 16 F: wie VIEL? 17 L: ja mach mal [ZWANzig. 18 A: [FÜNFzig. 19 ich bin heute sozial EINgestellt. 20 ?: DREIßig. 21 L: nein ZWANzig. 22 A: DREIßig. 23 (-) ist gut für deine fiGUR. 24 N: die anderen machen alle nur DREIßig. 25 L: ja(.)gut für deine fiGUR.
Der Lehrer spricht mit viel Ironie in der Stimme und bietet Fahrid an, Krankengymnastik zu machen (Zeile 1-2). In der Rede des Lehrers ist eine große Freude zu erkennen: Er genießt sein Glück, Fahrid erwischt zu haben. Der Schüler versucht sich zu verteidigen (Zeile 5), er versucht zu sagen, dass er seinen Mund bedeckt hat. Das geschah nach Meinung des Lehrers allerdings viel zu spät: ja JA, eine minute SPÄter. Es scheint dem Lehrer nicht schnell genug passiert zu sein, deshalb freut er sich über Fahrids »Gymnastikpause«. In den Zeilen 7-10 erfolgt die Begründung des Lehrers dafür, warum Fahrid den Mund zu spät bedeckt hat. 07 08 09 10
eine minute SPÄter junge. weil bei dir geht ALles so ein bisschen a:::. (demonstriert übertrieben, wie langsam Fahrid seine Hand zum Mund zieht)
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
Er schreibt Fahrid eine zusätzliche Eigenschaft zu – die angebliche Langsamkeit – und äfft ihn außerdem nach, indem er eine Parodie auf Fahrid vorspielt: In diesem Moment zieht der Lehrer seine Hand mit übertrieben langsamer Geschwindigkeit zum Mund, was demonstrieren soll, wie langsam Fahrids Reaktion ist. Auf die Situation reagieren die Schüler wie gewöhnlich mit Lachen (Zeile 11), was die Sequenz zum Fortsetzen stimuliert. Kurz zusammengefasst: Fahrid hat gegähnt, er hat seine Hand zum Mund gezogen, der Lehrer hat das Geschehen bemerkt und Fahrids Reaktion als zu langsam kategorisiert – obwohl Fahrid seinen Mund schon bedeckt und somit keine Regel gebrochen hat. Deshalb wird verhandelt, ob seine Reaktion schnell genug war. Der Lehrer ignoriert Fahrids Argumentationsversuch und setzt seine Strafmaßnahmen durch (Zeile 12-15): schon KLAR, nenene FREUNDchen, das MACHen wir, tue dir in MEHRfacher hinsicht gutes. Die »mehrfache Hinsicht« wird nicht erläutert: Allerdings kann man logisch schließen, dass der Lehrer lediglich die »Figurstraffung« meinen kann. Fahrid erkennt die Strafmaßnahme, die auf ihn zukommen wird, und erklärt sich dafür bereit, indem er sich in die Mitte des Raums begibt und sich somit vor die Klasse stellt. Der Schüler fragt nach, wie viele Kniebeugen er machen muss. Der Lehrer sagt, er sei heute »sozial eingestellt«1 und deshalb erlaubt er Fahrid, nur zwanzig Kniebeugen zu machen, statt der üblichen dreißig (Zeile 19). Fahrid, der Übergewichtige, bekommt dementsprechend eine »Strafmilderung«. Die anderen Schüler bleiben über das Schicksal ihres Mitschülers ebenfalls nicht gleichgültig und schlagen höhere Kniebeugenzahlen (Zeile 18 -22) vor. Der Lehrer besteht auf seine Wunschzahl zwanzig. In den Zeilen 22-23 steigt Aslan in die Diskussion ein: 22 A: DREIßig. 23 (-) ist gut für deine fiGUR.
Der beliebte Refrain wird durch Aslan formuliert und ein paar Sekunden später vom Lehrer bestätigt: 25 L: ja (.) gut für deine fiGUR.
Die Legitimation seitens des Lehrers bietet den Schülern eine gewisse Freiheit, dieses kommunikative Verhalten gegenüber den »Opfern« ebenfalls auszuüben. Datum 37 präsentiert eine Situation im Mathematikunterricht. Herr Müller verteilt die Arbeitsblätter, die die vorne sitzenden Schüler weitergeben müssen. Aus Versehen nimmt Fahrid statt eines Blattes zwei. Sasha, der ganz hin1 | Insider Begriff: Steht für »ausnahmeweise in netter/guter Laune« sein.
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ten in der Klasse sitzt, meldet sich beim Lehrer und teilt mit, dass ihm eines der Blätter fehlt. Datum 37. Die Seite fehlt. (1.11.2011) Sasha (S), Fahrid (F), Ruslan (R), Lehrer (L). 01 S: hier FEHLT noch? (0.4) 02 (keine Rückmeldung) 03 herr MÜller? 04 F: NEIN. 05 S: hier FEHLT noch. 06 ?: (? ?) 07 S: ach so, 08 entSCHULdigung. 09 (-) is_schon GUT. 10 R: eh ich hab dir FAHrid= 11 ich hab dir ZWEI gegeben. 12 S: eh ich hab schon= 13 F: WAS denn. 14 S: FAHrid hat_s genommen. 15 L: er hat_s zu spät bemerkt dass er das nicht essen 16 kann (-) FAHrid:. 17 m: hahahahahahahaahahaha
In den Zeilen 1-3 wird nach dem fehlenden Blatt gesucht. Sasha wendet sich an den Lehrer und an die gesamte Klasse. In den Zeilen 7-9 bekommt er sein Arbeitsblatt endlich von Fahrid durchgereicht. Sofort meldet sich der vor Fahrid sitzende Ruslan und besteht darauf, ihm zwei Blätter gegeben zu haben, weshalb es für Fahrid und Sasha hätte reichen sollen (Zeile 10-11). Fahrid reagiert laut mit abwehrendem WAS denn (Zeile 13). Sasha spricht den Lehrer an und erklärt ihm, dass Fahrid statt einem zwei Blätter genommen hat. Dazu kommentiert Herr Müller Fahrids Fehler: 15 L: er hat_s zu spät bemerkt dass er das nicht essen 16 kann (-) FAHrid:. 17 m: hahahahahahahaahahaha
Fahrids Essverhalten gilt in dieser Interaktion als Erklärung, warum er aus Versehen das zusätzliche Blatt genommen hat. Hier werden gleichzeitig mehrere zugeschriebene Eigenschaften des Schülers thematisiert: seine Figur, sein Essverhalten sowie die Langsamkeit seines Denkprozesses. Innerhalb dieser Absurdität kommt der Lehrer zu dem Fazit, dass Fahrid so dumm ist, dass er nicht in der Lage ist, zu unterscheiden, was essbar und nicht essbar ist. Die
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
Klasse solidarisiert sich durch ihr Lachen auf Kosten ihres Mitschülers mit dem Lehrer. Datum 38 beinhaltet eine weitere Variante der gesichtsbedrohenden Akte, und zwar den Aspekt der dunkleren Hautfarbe. Im Biounterricht erklärt der Klassenlehrer die Funktion der Haut und ihrer Pigmentierung, ebenfalls wie die Frage, warum einige Ethnien eine dunklere und die anderen eine hellere Hautfarbe haben. Die Sequenz wird auf Juni 2011 datiert. Datum 38. Sonnenbrand. Bio. (01.06.2011)(69)(04.12.) Ella (E),Sasha (S),Danil(D), Ruslan (R), mehrere (m). 01 L: dunkle typ=dunkle HAARtypen haben in der regel 02 auch dunkle haut. 03 helle=HElle typen ähm-(-) 04 die ANna fällt mir jetzt ein; 05 oder danil (-)genau DAnil; 06 ich denk mal, 07 du hast sicherlich im grunde genommen AUCH 08 (-) mit der sonne zu kämpfen; 09 was die HAUT angeht. 10 und wie=bist sonnenbrandgeFÄHRdet? 11 ist das richtig oder ist das NICHT richtig. 12 H: ja: MANCHmal schon. (-) 13 L: ja MANCHmal schon-(0.2) 14 es macht normalerweise nur sinn, 15 wenn die SONne scheint (-) du PFLEgefall. 16 m: hahhahahahahaahahahahahahahahahahaahhaahahahahah 17 S: im REgen hab ich mit der sonne zu kämpfen. 18 L: (0.9) dass fahrid so dunkel ist liegt nur daran 19 dass er sich nicht WÄSCHT. 20 m: hahahahahahahahahahahahahahaahahahahahah 21 E: (E und R unter sich)°was?° 22 R: °weil fahrid so dunkel ist weil er sich nicht 23 WÄSCHT.° 24 L: SO:. 25 E: ach SO:. 26 hahahahahaha 27 m: hahahahahahahahahahahahaahahahahahahahaaha 28 ?: was? 29 S: (? ?) 30 L: ella hat=hat erst mal wieder ihre fünf miNUten 31 gebraucht um es auch zu verstehen. 32 F: ja isch hab_s AUCH nicht verstanden.
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»Ausländersein« an der Hauptschule 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
L: F: L: E: S:
[NE? [sie haben zu leise geREdet. ach FAHrid. es liegt DAran= fahrid du bist so dunkel weil du disch nischt WÄSCHST. E: ja. hahahahahahahaha m: hahahahahahahahahahahahahahahahahah L: gleich kommt er wieder aufs boot mit seinem BASEballschläger. (Insider-Spruch)
Herr Müller erklärt in seinem Redebeitrag, dass die helleren Hauttypen mit den Auswirkungen der Sonne auf ihre Haut zu kämpfen haben. Als Beispiel spricht er einen russischen Schüler, Danil, an, der sehr helle Haut und hellblonde Haare hat. Nach einer kurzen Anspielung auf Danils Antwort (Zeile 13-15) wendet der Lehrer seine Aufmerksamkeit einem anderen Schüler – Fahrid – zu, der einen auffällig dunkleren Hauttyp hat. Bevor Herr Müller seinen Kommentar über Fahrids Haut macht, hält er eine neun-sekündige Pause und fährt mit deutlich leiserer Stimme fort: dass Fahrid so dunkel ist liegt nur daran dass er sich nicht WÄSCHT (Zeile 18-19). In dieser Episode wird Fahrid nicht direkt adressiert, sondern es wird in seiner Anwesenheit von ihm in dritter Person gesprochen, als ob er gar nicht da wäre. Herr Müller wechselt auch zu einem leiseren Ton, sodass nur die Schüler, die vorne sitzen (inklusive Fahrid), den Spruch hören und verstehen können. Hier handelt es sich um einen gesichtsbedrohenden Angriff auf Fahrids Aussehen. Deswegen wird die Aussage ex-trem leise formuliert, sodass sogar Ella, die in der zweiten Reihe sitzt, den Kommentar nicht heraushören kann (sie wendet sich deswegen an Ruslan). Lehrer-Kommentare dieser Art werden häufig in leiserem Ton gemacht und sind in das sogenannte Parallelgeschehen einzuordnen. Sie zählen also nicht zum offiziellen Unterrichtsgeschehen auf der zentralen Bühne. Das weist darauf hin, dass dem Lehrer durchaus bewusst ist, dass solche Kommentare unpassend sind – was ganz besonders im Unterrichtskontext gilt. Die Legitimierung von Aussagen solcher Art erfolgt zum Teil in den leisen Nebengesprächen. Auf den Spruch des Lehrers reagieren viele Schüler mit großem Lachen (Zeile 20, 26). Man erkennt auf der Aufnahme jedoch, dass nur einige der Schüler in diesem Moment mitlachen: Der Spruch war für die Klasse außergewöhnlich leise und wurde deshalb nicht von allen, sondern nur von den ersten Reihen gehört. In den Zeilen 21-22 fragt Ella Ruslan, was genau der Lehrer gesagt hat, damit auch sie das Lachen der Klasse nachvollziehen kann. Ruslan wiederholt die Worte von Herrn Müller sehr leise, was Ellas lautes Lachen auslöst (Zeile 26).
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
Fahrid beteiligt sich bis zu diesem Moment nicht an dem Geschehen: Er hat den Spruch nicht gehört und kann die Diskussion deshalb nicht verfolgen. Inzwischen reagiert der Lehrer wieder sarkastisch auf Ellas Lachen: 30 L: ella hat=hat erst mal wieder ihre fünf miNUten 31 gebraucht um es auch zu verstehen.
Ella wird in das Gespräch miteinbezogen und bekommt »ihr Fett« ebenfalls ab. Ella ist ebenso übergewichtig wie Fahrid und wird deswegen ab und zu als langsam kategorisiert. Zusammengefasst machen zwei Aspekte die Absurdität aus: Fahrids Haut sei dunkel, weil er sich nicht wasche, und Ella sei langsam, weil sie den Spruch des Lehrers nicht sofort gehört/verstanden hat. In Zeile 32 traut sich Fahrid, von dem schon eine ganze Weile die Rede ist, sich Ellas Nachfragen anzuschließen: 32 F: ja isch hab_s AUCH nicht verstanden.
Fahrid steigt auf die Bühne des Unterrichtskontextes, was für das Geschehen zur Folge hätte, dass Herr Müller seine Worte ebenfalls auf der offiziellen Unterrichtsbühne laut wiederholen müsste. Herr Müller traut sich nicht zu, den Spruch zu wiederholen und begrenzt sich auf das Folgende: 32 33 34 35
F: L: F: L:
ja isch hab_s AUCH nicht verstanden. [NE? [sie haben zu leise geREdet. ach FAHrid.
Die anderen Schüler hingegen zögern nicht und nutzen die Situation aus, um ihr eigenes Image als »Coole« zu rekonstruieren. Sasha schreit vor den ganzen Klasse: 37 S: fahrid du bist so dunkel weil du disch nischt 38 WÄSCHST.
Das wird von Ella in Zeile 39 schnell bestätigt. Ella und die Klasse brechen in lautes Lachen aus. Betont werden muss, dass Sasha ein großer Feind von Fahrid ist, und besondere Freude bei dieser Auslach-Aktion empfindet. Sasha koaliert also kurzfristig mit dem Lehrer, um seinen eigenen Status in der Gruppe als einen »frechen und coolen Russen« auf Fahrids Kosten wiederherzustellen. Ähnlich wie in den anderen Beispielen davor, legitimiert der Lehrer solche Sprüche in der Klassenkommunikation durch sein eigenes Verhalten.
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»Ausländersein« an der Hauptschule
Sasha und Aslan trauen sich die Sprüche erst dann zu wiederholen, nachdem sie durch den Lehrer ausformuliert wurden. Dass die Schüler sich nicht mit dem Opfer solidarisieren, ihn nicht verteidigen und dass das Opfer selbst nicht versucht, sich zu wehren, liegt nicht allein an der institutionellen Machtkonstellation, in der die Schüler nicht entsprechend kontern können. Ein weiterer Grund für ihr passives Verhalten liegt in einer gesichtsschützenden Strategie, die unter Jugendlichen typischerweise herrscht: »cool zu bleiben«. Diese »Coolness« in der H7 beinhaltet mehrere Aspekte und notwendige Fähigkeiten wie Spaß verstehen zu können, rechtzeitig auf Spott zu reagieren, immer schlagfertig zu sein, falls einer ausgelacht wird, Ironie adäquat deuten zu können, sowie auch dann nicht beleidigt zu sein, wenn ein Spruch unpassend ist. Kotthoff (2011b) weist darauf hin, dass Verletztheit unter den Jugendlichen »immer als Schwäche« gilt und dementsprechend dem Gesicht des Sprechers immens schaden kann (Kotthoff 2011b: 84). Wie die dargestellten Beispiele illustrieren, finden in der H7 regelmäßig gesichtsbedrohende Aktionen auf Kosten der Schüler statt. Diese realisiert der Klassenlehrer im Laufe der Unterrichtsinteraktion mit aktiver Kooperation seiner Schüler. Die Angriffe verletzen die Gesichter nicht nur kurzfristig und lokal, sondern auch auf Dauer: Situative »Opfer« werden zu langfristigen »Zielscheiben«. Die gesichtsbedrohenden Sequenzen seitens des Lehrers sowie teilweise seitens seiner Schüler könnten als Spaß gedeutet werden, der dem Ausbau der Solidarität der Klasse dienen könnte. Das ist jedoch nicht ganz der Fall. Zur Zielscheibe dieser gesichtsbedrohenden Angriffe werden immer nur die zwei selben Schüler, die sich weder adäquat wehren können, noch selbst austeilen können. Der Lehrer formuliert die Angriffe ganz offen, wobei er sie oft in eine ironisierende Form verpackt. Aus dieser gesichtsbedrohenden Strategie lässt sich erkennen, dass die Rapport-Orientierung des Klassenlehrers in diesen Sequenzen Richtung »rapport-neglect« bis »rapport-challenge« geht: Der Lehrer hat dementsprechend keine Konsequenzen zu befürchten und ist an der Herstellung bzw. Bewahrung der Harmonie nicht besonders interessiert. Das heißt aber nicht, dass eine solche Rapport-Orientierung des Lehrers tatsächlich bewusst beabsichtigt ist: Die Rapport-Absichten stimmen mit ihren Ergebnissen nicht immer überein.
R esümee Teil II Teil II der Fallstudie untersucht Prozesse der Zugehörigkeitszuschreibungen in der H7. Ethnische Zugehörigkeit spielt eine der zentralen Rollen in den Klasseninteraktionen und wird zur situativen Währung gemacht. Mittels dieser Währung werden unterschiedlichste Kommunikationsziele erfüllt: Diszi-
6. Gesichtsbedrohende Kategorisierungen nach Aussehen
plinherstellung, Moralvorschriften, Normalitätsherstellung. Die Teilnahme am Unterricht weist darauf hin, dass unterschiedliche Zugehörigkeiten, insbesondere ethnische Zugehörigkeit, durchaus ihren Raum in den Unterrichtsinteraktionen finden. Die Klasse entwickelt eine Gruppenidentität (»Kanaken«, »Asylanten«), die im Unterricht immer wieder hergestellt wird. Die Interaktionen sind außerdem durch aktive Otherization-Praktiken gekennzeichnet. Dabei werden sowohl Fremd- als auch Selbst-Otherizations betrieben. Die Zugehörigkeitszuschreibungen erfolgen oft in einer Frotzelform und enthalten häufig riskante Motive (Hautfarbe, Herkunftsland, »Rasse«). Diese Zuschreibungen sorgen meist für Unterhaltung der gesamten Klasse. In den Nachbesprechungen offenbaren sich jedoch unterschiedlichste Einstellungen zu dem Frotzelstil. Das kann anhand der Gefühlsmanagementstrategie erklärt werden, die innerhalb des Unterrichts als eine Art »Schutzmaske« aufgesetzt wird. Dennoch geben die meisten Schüler an, dass sie den Frotzelmodus für sympathisch und witzig halten. Der Klassenlehrer, der für seine Ironie und riskante Humorpraktiken bekannt ist, hat einen Sprechstil entwickelt, der nah an einen jugendsprachlichen Sprechstil grenzt. Durch diesen Kumpelstil versucht der Lehrer, mit seinen Schülern auf dem gleichen Interaktionsniveau zu kommunizieren. Das gelingt jedoch nicht immer, da die institutionellen Hierarchien immerhin eine entscheidende Rolle spielen und den Sprechern feste Rollen zuschreiben.
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Teil III. Mehrsprachige Realitäten der Schüler und ihre Realisierung in (außer‑)schulischen Kontexten Mehrsprachigkeit in Deutschland ist wie ein Flickenteppich mit vielen Löchern. Die Löcher sind dabei die Zonen der Einsprachigkeit. Mehrsprachigkeit ist aber auch ein politischer Affront, persönlich wie institutionell; sie fordert ihre Anerkennung und ihre Normalisierung. (Hinnenkamp 2010: 32)
Im Kontrast zu dem von Gogolin beschriebenen monolingualen Habitus in der Schule plädiert Hinnenkamp (2005a, 2010) für die Anerkennung der Mehrsprachigkeit als den weltweiten Normalfall (2010: 28). Dabei stützt er seine Argumentation mit der Polylingualismusnorm (Jørgensen 2008b) und den damit verbundenen Annahmen: Sprachbenutzer setzen alle zur Verfügung stehenden linguistischen Mittel ein, um ihre kommunikativen Ziele so gut wie möglich zu erreichen, auch unabhängig davon, wie gut sie die betreffenden Sprachen beherrschen; dabei nehmen die Sprachbenutzer durchaus in Kauf – ja nutzen es sogar aus –, dass bestimmte sprachliche Merkmale als nicht zueinander passend empfunden werden. (Jørgensen 2008b: 163, zitiert nach Hinnenkamp 2010: 29)
Die mehrsprachigen Lebenswelten geraten in den Forschungsfokus der modernen Soziolinguistik, die die Sprachen und Sprachvarietäten sowie ihre Verwendung als Teil eines Aushandlungsprozesses situationsbezogen betrachtet (Hinnenkamp 2010: 26). Migrationsspezifische Prozesse wie Globalisierung, Urbanisierung, Ausbau der Diaspora etc. finden ihre Reflexion im Ausbau linguistischer Hybrid- und Mischformen (vgl. Hinnenkamp 2005b), die »polylinguale Sprachigkeit« als Voraussetzung haben (Hinnenkamp 2012). Dabei kristallisieren sich Phänomene wie Crossing, Amalgamierung, Oszillieren
und Hybridisierung heraus (Hinnenkamp 2012: 73), die durch den Sprachkontakt entstehen. Eine besondere Rolle im Ausbau von »polylingualer Sprachigkeit« wird den Sprechern aus Jugendmigrantengruppen zugeschrieben (Hinnenkamp 2005b). Die Gruppensprachen der Migrantenjugendlichen sind oft durch »Mischen« unterschiedlicher Sprachen und Stile gekennzeichnet (Hinnenkamp 2005b) und repräsentieren dadurch einen »We-Code« im Sinne von Gumperz: Soziolinguistisch reagieren die Jugendlichen mit einer Gruppensprache, einem polylingualen We-Code. Dieser spiegelt auf der einen Seite den defizitären Zugang zu den normativen sprachlichen Standardressourcen wider, auf der anderen Seite ist er Ausdruck einer bestimmten metapragmatischen Kompetenz, und stellt damit eine autonome Diskursform dar, der gegenüber der Mehrheitsgesellschaft eine exkludierende Funktion hat (Hinnenkamp 2012: 83).
Dementsprechend wird der We-Code als In-Group-Code betrachtet und dient der Abgrenzung von dem Out-Group-Code sowie des Ausbaus eines eigenen In-Group-Stils (s.u.). Diese We-Codes sind hoch indexikalisch und beinhalten Informationen über kulturelle, gesellschaftliche und migrationsspezifische Konstellationen, unter denen ihre Sprecher sozialisiert werden. So charakterisiert Hinnenkamp (2011) beispielsweise eine Chat-Kommunikation unter polylingualen Jugendlichen und ihre »Stimmen« folgendermaßen: Jede dieser Stimmen ist indexikalisch: Sie verweisen auf regionale und soziale Zugehörigkeiten, auf implizites soziohistorisches und soziolinguistisches Wissen über Sprachformen der ersten Einwanderergeneration, unter Umständen auf Foreigner Talk [...]; auf jugendsprachlichen ingroup-Talk, auf Kenntnis medialen In-Talks; sie verweisen aber auch auf Kenntnisse von Normen und normativen Ansprüchen der Mehrheitsgesellschaft, vom Bewusstsein nicht-normativen Sprechens und Schreibens. (Hinnenkamp 2011: 318)
Sprachliche Mischformen unterschiedlicher Couleur bezeichnet Hinnenkamp als »polylinguale Sprachbasteleien«, die er als eine Art »virtuoser Performance« oder des »Spiels« sieht (Hinnenkamp 2010a). Die genannten »Sprachspielereien« beobachtet er im außerschulischen Kontext der Migrantenjugendlichen und leitet daraus Fähigkeit der Jugendlichen ab, Sprachen und ihre Varietäten bei jeder Gelegenheit zu lernen: Erstaunlich ist [...], dass diese Sprachspielereien all die ihnen zur Verfügung stehenden kommunikativen Elemente souverän als Ressource ihrer Polylingualität nutzen. Die Sprachspieler zeigen dabei ein hohes normatives Bewusstsein für Sprache und Varietäten sowie Wissen über Wortbildungsprozesse. Weiterhin könnte man aus den Daten
über polylinguale Jugendliche Rückschlüsse auf die Sprachaneignungsgeschichte dieser Jugendlichen außerhalb des Schulunterrichts ziehen und stieße auf ein bislang wenig beachtetes Kompetenzprofil: Die Fähigkeit, Sprachen bei jeder Gelegenheit zu lernen, auf der Straße, aus den Medien, in alltäglichen Kommunikationssituationen – und vielleicht selbst noch in der Schule. (Hinnenkamp 2010: 32)
Die Integration dieser polylingualen Fähigkeiten und des Wissens aus den polykulturellen Lebenswelten der Jugendlichen in den schulischen Alltag scheint immer noch schwer realisierbar zu sein: Die schulischen Räume bieten keinen »Ort polylingualen Sprechens«; außerdem sei das »Bewusstsein von Potenzialen, die lebensweltliche Ressourcen außerhalb der Schule bieten, [...] nicht selbstverständlich« (Hinnenkamp 2011: 319). Dass die untersuchten Schüler ihren Alltag in mehrsprachigen Realitäten aufbauen, wird auf zahlreichen Ebenen ihrer Kommunikation sichtbar. Nicht nur die informellen Peer-Interaktionen sind dafür ein gutes Beispiel, sondern auch andere Formen der Kommunikation sind vielsagend. Beispielsweise beinhalten Unterrichtsinteraktionen Praktiken des Code-Switchings (s. u.); ihr Familienleben wird durch die Migrationserfahrung gekennzeichnet und bringt die Mehrsprachigkeit mit in den Familienalltag. Außerdem verfügen die Schüler über eine Kommunikationsdomäne, in denen sie von den Erwachsenen (Eltern und Lehrern) nicht beobachtet werden und in denen sie sich lediglich mit gleichaltrigen Jugendlichen unterhalten: Das sind vor allen Dingen soziale Netzwerke wie Facebook. In dieser informellen Domäne entwickeln sich Prozesse, die den mehrsprachigen Habitus der Schüler veranschaulichen. Unter welchen gesellschaftlichen und schulischen Bedingungen verlaufen die Prozesse der Mehrsprachigkeit, die den Alltag der Hauptschüler bestimmen? Ist es überhaupt obligatorisch, dass polykulturelle/polyethnische Gruppen wie die H7 (überall) polylingual sind? Auch wenn das die Tatsache ist, unter welchen Konstellationen geschieht das dann? Wie geht die Institution Schule mit den Merkmalen der Mehrsprachigkeit um? Die Sprecher der H7 versuchen diese Fragen mit Bezug auf die Fallstudie selbst zu beantworten. Der Alltag der H7-Klasse ist nicht nur durch polyethnische Zusammensetzung der Schüler gekennzeichnet, sondern auch durch die Selbstverständlichkeit der Mehrsprachigkeit. In H7 treffen mehrere Sprachen, Stile sowie sprachliche Hybrid- und Mischformen aufeinander. Das Interagieren dieser diversen Varietäten basiert auf mehreren Faktoren. Einer dieser Faktoren ist das »polykulturelle Selbstverständnis« (Hinnenkamp/Meng 2005). In den Fällen von Sprachkontakten kommt es häufig zu Praktiken, die gegen die Vorstellung der »Reinheit der Sprache« verstoßen. Die Sprecher, die gegen das sprachliche Reinheitsgebot (Gogolin) verstoßen, unternehmen dadurch eine Grenzüberschreitung (sofern eine solche Grenze denn existiert), die sich gegen die herrschenden gesellschaftlichen Selbstverständnisse richtet:
Wer mischt, zusammensetzt, bastardisiert etc., widerspricht, ja widersetzt sich dem – wie immer fiktiven – Reinheitsgebot. Nicht ganz zufällig verbergen sich dahinter nicht unbedingt Schwäche, Hilflosigkeit und Flickschusterei, sondern implizite wie explizite Selbstverständnisse – Identitäten, deren Träger und Trägerinnen diesen Schritt, Sprachgrenzen zu überspringen, als Antwort und Reaktion auf bestimmte sprachliche, sprachpolitische und historische Umstände, aber auch herausgefordert durch sie unternehmen. (Hinnenkamp/Meng 2005: 7)
Die Sprecher, die diesen Schritt unternehmen, verfügen über eine Art »polykulturelles Selbstverständnis« (Hinnenkamp/Meng 2005), innerhalb dessen sprachliche Hybriditäten zu ihrer Entwicklung kommen, und wodurch die Grenzen der Normvorstellungen erweitert werden. Dabei werden »unreine« Entwicklungen wie beispielsweise Kanak Sprak als »Boten der Akzeptanz einer postmodernen Juxtaposition von Sprachen, codes und gar des willentlichen Normenbruchs« gesehen (Hinnenkamp/Meng 2005: 11). Das polykulturelle Selbstverständnis wird durch den Lebensalltag konstruiert und in Migrationsmilieus kontinuierlich bearbeitet: Zwei- und mehrsprachige Kinder entwickeln ein polykulturelles Selbstverständnis, das über die Familie hinaus auf Kindergarten und Schule und in die Gesellschaft hinein wirkt. Sie lernen Deutsch simultan mit einer anderen Sprache oder sukzessiv nach einer anderen Sprache, und sie gebrauchen ihre Sprachen abwechselnd und »gemischt«. Dabei bringen sie ihre eigenen Erfahrungen mit und ihre Bewertungen von Sprachen in das Sprachenlernen ein, weil sie die Sprachen kombinieren und miteinander vergleichen. (Hinnenkamp/Meng 2005: 10)
Dieses polykulturelle Selbstverständnis bestimmt die mehrsprachige Realität der Schüler der H7 auf eine signifikante Weise. Hinnenkamp/Meng betonen die besondere Rolle der Jugendlichen in den Prozessen der neuen sprachlichen Entwicklungen: So bilden sie [die Migrantenjugendlichen] einerseits nur zugleich als eine Art intergenerative Nische innerhalb der Migranten; doch fungieren sie andererseits zugleich als eine Art Schaltstelle zwischen der eingewanderten Elterngeneration und der etablierten Mehrheitsgesellschaft. (Hinnenkamp/Meng 2005: 12)
Die mehrsprachige Realität der beobachteten Jugendlichen wird im schulischen Rahmen auf eine besondere Art »behandelt«. In diesem Teil widme ich mich der genaueren Untersuchung der Sprachpraktiken der Schüler im Unterrichtsdiskurs sowie außerhalb dessen. Zunächst nehme ich die Unterrichtspraktiken der Schüler im formellen schulischen Kontext unter die Lupe (Kapitel 7). Danach stelle ich Sprachdynamiken
dar, die sich im formellen Kontext des Ethikunterrichts abspielen (Kapitel 8). Zum Schluss analysiere ich das sprachliche Kapital der Schüler am Beispiel der virtuellen linguistischen Landschaften in der informellen Domäne Facebooks (Kapitel 8).
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht
7.1 M ehrspr achigkeit als polykulturelles S elbst verständnis Wie Mehrsprachigkeit in der schulischen Domäne im Sinne Fishmans1 bearbeitet wird und welche sprachliche Realien den Alltag der Schüler bestimmen, ist eine der zentralen Fragen der vorliegenden Studie. Dafür muss jedoch ein wichtiger Aspekt geklärt werden, und zwar unter welchen Bedingungen und in welchen situativen Konstellationen Praktiken der H7-Schüler zweisprachig oder polylingual sind. Hinnenkamp (2005b) weist auf die Notwendigkeitsnatur der Polylingualität hin. Er betont die Wichtigkeit der Sozialisierungsumgebung der Jugendlichen für ihr kommunikatives Repertoire: Die Jugendlichen wachsen unter polykulturellen und vielsprachigen Bedingungen auf und müssen für die Anforderungen, die sich aus diesen oft widersprüchlichen Konstellationen ergeben, auch ihre eigenen kommunikativen Lösungen finden. (Hinnenkamp 2005b: 90)
Dementsprechend betrachtet er die neuen Sprachspielereien der Jugendlichen als Antwort auf die umgebende Realität, in der sich die Sprecher entwickeln und in der sie täglich miteinander interagieren. In seiner Untersuchung analysiert Hinnenkamp eine Migrantenjugendgruppe, die ihr Sprechverhalten als »gemischt sprechen« bezeichnet (Hinnenkamp 2005b: 89). Eine identische Bezeichnung für ihr Sprechverhalten geben die Schüler der H7. Unter »gemischt sprechen« verstehen die Hauptschüler alle möglichen »Mischungen«: DeutschTürkisch, Deutsch-Russisch, Arabisch-Spanisch-Deutsch, Berberisch-Franzö-
1 | Fishman definiert »domains« im Bezug auf »institutional contexts and their congruent behavioral co-occurrences« (1972: 441).
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»Ausländersein« an der Hauptschule
sisch-Deutsch, Englisch-Deutsch, »Ausländisch«2-Deutsch etc. Das »Mischen« betrachtet Hinnenkamp (2005b) als Ausdrucksweise einer »transnationalen sozialen Identität« (2005b: 91). Zur Erinnerung muss an dieser Stelle wiederholt werden, dass die Schüler sich selbst sowie ihre Freunde als »Asylanten«, »Immigranten« und »Ausländer« bezeichnen (vgl. Teil II): »Gemischt sprechen« ist die Ausdrucksweise einer transnationalen sozialen Identität. Sie stellt nicht sprachliche Elemente nebeneinander, sondern mischt sie auf, komponiert sie neu, entwickelt hybride Formen und füllt damit einen bislang semantisch unbestimmten und unbesetzten Raum. [...] Sie konstruiert damit eine Identität, die gleichzeitig sowohl die zugeschriebene [...] deutsche oder türkische Zugehörigkeit als auch die Identität als deklarierter Angehöriger einer ethnischen Minderheit adaptiert, diese dabei doch gleichzeitig demontiert und damit kreativ eine neue, eigenständige Identität konstruiert bzw. hinzufügt. Insofern stellt »gemischt sprechen« einen eigenständigen hybridolektalen We-Code dar. (Hinnenkamp 2005b: 91)
In den Nachbesprechungen erklären die Schüler, dass ihre Fähigkeit zu »mischen« unterschiedlich bewertet wird: Sie selbst sehen diese Fähigkeit als Mitgliedschaftsfaktor, der in der täglichen Kommunikation unter ihren Freunden unvermeidbar ist. Das Switchen und Mischen bezeichnen sie als »ganz natürlich« und als ein »Muss«. Die Eltern sowie die Lehrer bewerten diese Fähigkeit als normabweichend und plädieren für die Reinheit der einzelnen Sprachen je nach Art der Domäne: In der Schule soll nur Deutsch gesprochen werden, zu Hause ihre Muttersprache, in der Moschee Türkisch/Urdu, mit den Verwandten Russisch/Türkisch etc. Die Familiensprachsituationen der einzelnen Schüler sind ebenfalls polylingual. Der kurdische Schüler Mahmed spricht einen kurdischen Dialekt zu Hause, Deutsch in der Schule und eine Mischung aus dem Türkischen, Kurdischen und Deutschen in seiner »kurdischen Fraktion«3. Alice spricht zu Hause einen angolanischen Dialekt (Lingála), erweitert durch Französisch und Deutsch. Ella spricht Berberisch-Arabisch und Spanisch zu Hause, Marokkanisch mit den Großeltern und Deutsch mit den Geschwistern. Alle diese Schüler und Schülerinnen bezeichnen ihr Sprechverhalten als »gemischt« und geben an, dass sie zum größten Teil »gemischt« sprechen.
2 | »Ausländisch« ist die Schülerbezeichnung für ihre Muttersprachen bzw. für alle Sprachen außer Deutsch. 3 | Herr Müllers ironische Bezeichnung für die kurdische Clique in der Hauptschule.
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht
7.2 A usübung der M ehrspr achigkeit in schulischen R äumen An der Stelle muss ich die allgemeine Situation zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in der untersuchten Hauptschule sowie in der Klasse kurz zusammenfassen, da dies für die weitere Interpretation der Sequenzen notwendig ist. Die Flure der Hauptschule sind mit Plakaten der unterschiedlichen Klassen aus der Mittelstufe dekoriert. Sie erzählen einzelne Geschichten über die Schüler, ihre Herkunft und die Kultur ihrer Herkunftsländer. Die Plakate beinhalten Bilder mit Nationalflaggen, Landschaften sowie kulturellen Merkmalen der dargestellten Länder. Überschriften in »exotischen« Sprachen und Geschichten über kulturelle Praktiken innerhalb einzelner Migrantenfamilien vermitteln den Eindruck eines Kulturdialogs innerhalb der schulischen Wände und kreieren interkulturelle, visuelle, mehrsprachige Landschaften. Im Kontrast zu dem in den Fluren dargestellten Kulturdialog berichten die Schüler über eine ganz besondere Sprachenpolitik der Schule in den Nachbesprechungen. Durch meine präzise Beobachtung des Sprechverhaltens der H7-Schüler konnte ich feststellen, dass die Schüler fließend Deutsch sprechen und dass ihre Deutschkompetenzen sich auf einem muttersprachlichen Niveau befinden. Diese Einschätzung wurde von deutschen Muttersprachlern, die die Tonaufnahmen angehört haben, bestätigt. Dass die Schüler über muttersprachliche Kenntnisse verfügen, bestätigt auch die Deutschlehrerin, die ihren Deutschunterricht methodisch entsprechend gestaltet. Dennoch lassen sich situativ, in halb-formellen Kontexten, Züge von »Kiezdeutsch« wie z.B. die Auslassung von Präpositionen oder Artikeln auch im schulischen Kontext erkennen. Früher wurde oft angenommen, dass das Kiezdeutsch lediglich für informelle Domänen reserviert bleibt. Während der Beobachtung konnte ich mehrere Sequenzen von Kiezdeutsch (vgl. Wiese 2012) in halb-formellen Situationen (Nebenkommunikation im Unterricht, in den Pausen) erkennen. Beispielsweise spricht Ruslan Aslan in der Pause folgenderweise an: Datum 39. Karstadt. Nachbesprechung. (18.10.2011) Ruslan (R) 01 R: gehen wir dann NICHT karstadt?
Oder ein weiteres Beispiel ist, wie Alice Fahrid im Unterricht »erwischt«, wodurch die folgende Sequenz entsteht. Datum 40. Milchschnitte. Deutschunterricht (25.10.2011)(1:18) (79) Fahrid (F), Alice (A)
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»Ausländersein« an der Hauptschule 01 02 03 04 05 06 07
F: du gibst IMmer milchschnitte herrn müller. ?: wenn so was MUSS. A: du gibst IMmer milchschnitte herrn müller; was das für DEUTSCH? F: du gibst herrn müller IMmer milchschnitte.(lächelt) A: geNAU. A+F: hehehehehehe
Fahrid wendet sich an seinen Mitschüler (Zeile 1). In seiner Aussage verwendet Fahrid ein syntaktisches Schema: Akkusativ+Dativ statt Dativ+Akkusativ. Außerdem fehlt in seiner Aussage der Definitivartikel die. Das wird von seiner Mitschülerin Alice unverzüglich registriert und kritisiert (Zeile 4). Fahrid reagiert darauf mit einer Korrektur. Alice übernimmt die Rolle der Lehrerin und bestätigt zum Schluss sogar die Richtigkeit von Fahrids Antwort (Zeile 6). Die beiden lachen über die Situation. Solche Elemente von Kiezdeutsch habe ich im formellen Unterrichtskontext kaum registriert. Bei dem nächsten Fall, der sich ebenfalls in der Pause abspielt, stellt Fahrid die folgende Frage an Aslan und wird dabei von der Deutschlehrerin »erwischt«, die die Pause im Klassenzimmer verbringt: Datum 41. Du gehst Praktikum. Deutsch. (03.11.2011)(59)(50:55) Fahrid (F), Lehrerin (L) 01 F: du gehst du kriegst PRAKtikum, 02 ich gehe (-) ne zurzeit KEIN praktikum. 03 L: wie HEIßT das? 04 du gehst PRAKtikum? 05 m: hahahahaha
Die Deutschlehrerin Frau Wagner korrigiert die Nebenkommunikation ihrer Schüler sogar in den Pausen. Solche Beobachtungen werden später als grammatikalische Beispiele in den Deutschunterricht integriert und dienen als Fehlerbeispiele. Wie in Datum 42, in dem Frau Wagner mit den Beispielen von Fahrid ihr Unterrichtsthema einleitet. Datum 42. Satzbau. Deutsch. (25.10.2011) Aslan (A), Frau Wagner (L), mehrere (m) 01 L: ich kann sagen ich gehe in stadtSCHLOSS, 02 ne? 03 m: hehehehe 04 L: ihr KENNT solche beispiele, 05 welche wortart FEHLT davor? 06 (--)
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht 07 08 09 10 11 12
A: L: A: L: ?: L:
isch gehe IN stadtschloss. IN stadtschloss, in DEN stadtschloss. aber BESser wäre, ich gehe ZUM stadtschloss. ZUM stadtschloss.
In der Sequenz bearbeitet die Deutschlehrerin zusammen mit den Schülern ihren »typischen« Fehler, indem sie nach der fehlenden Wortart fragt. Dabei geht sie jedoch nicht darauf ein, dass der Artikel mit der Präposition verschmilzt. In diesem Sinne integriert sie ihre Tagesbeobachtungen in den Unterricht und beseitigt die grammatikalischen Fehler – wenn auch nicht alle – ihrer Schüler konsequent. Die Kiezdeutschvorfälle im Unterricht sind jedoch keine einzelnen Besonderheiten der Sprechpraktiken der Hauptschüler. Die Schüler berichten, dass ihre Muttersprachen (Russisch, Persisch, Urdu und Türkisch) im schulischen Kontext nicht willkommen sind. Die Sprachen der Schüler mit Migrationshintergrund bezeichnen die Schüler selbst als Ausländisch. »Ausländisch« ist also jede andere Sprache als Deutsch. Im Unterricht sowie auf dem Schulhof sind unterschiedlichen Sprachen zu hören. Die Schüler erzählen, dass derjenige, der von einem Lehrer »erwischt« wird (d.h.: der Lehrer hört zufällig eine andere Sprache als Deutsch), die Schulordnung abschreiben muss. Diese besteht aus mehreren Seiten und die Strafarbeit erfordert dementsprechend einen großen Zeitaufwand. Im Folgenden erklären Ruslan und Aslan die Sprachpolitik der Schule: Datum 43. Nachbesprechung. (18.10.2011)(01:05) Aslan (A) 01 A: herr müller der hat isch glaub misch nur EIN 02 mal TÜRkisch oder andere sprache gehört, 03 die kriegen erstens DINGSda, 04 ähm die ganze SCHULordnung, 05 wenn sie das NOCHmal, 06 mehrmals zweitens zum dritten mal wiederHOlen, 07 gebe ich denen ne_ABmeldung. 08 also wir dürfen überhaupt KEIN türkisch, 09 oder überhaupt kein ausländisch sprechen. 10 er meint wir sind nicht in kaNAkistan oder so gell?
In Datum 43 stellt Aslan die allgemeine Einstellung des Klassenlehrers über die Verwendung der Muttersprachen seiner Schüler im Unterricht dar. Allein die Bezeichnung »ausländische« Sprache im schulischen Diskurs ist vielsa-
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»Ausländersein« an der Hauptschule
gend. Der Begriff hat eine polarisierende Natur: Er grenzt die deutsche Sprache von den »restlichen« gesprochenen Sprachen ab und sorgt dadurch für die »Reinheitsbewahrung« der deutschen Sprache in der Schule. Außerdem homogenisiert diese Bezeichnung alle andere Sprachen, was ihre Sprecher ebenfalls zu einer homogenen Gruppe macht. Im nächsten Datum illustrieren die Schüler Ruslan und Aslan, wie sich der Klassenlehrer zu der Verwendung des »Ausländischen« in der Schule äußert. Bei der Redewiedergabe des Lehrers versucht Ruslan den imitierten russischen Akzent des Lehrers nachzumachen: Datum 44. Nachbesprechung.(18.10.2011)(01:25) (Redewiedergabe von Herrn Müller) Ruslan (R), Aslan (A) r=rollendes R 01 R: (macht russischen Akzent nach)wir sind hier NICHT 02 in russland. 03 hier gelten ANdere regeln. 04 A: ja: (–) also denkt ihr wir sind hier in RUSSland; 05 äh wir si=wir wohnen hier in DEUTSCHland; 06 hier gibt_s REgeln.
Aus dieser Nachbesprechung wird deutlich, dass der Lehrer eine Art Parodie – vermutlich im »Neck«-Register – auf die russischen Sprecher im Unterricht aufgeführt hat. Um sein Argument zu verdeutlichen, hat er seine Aussage in eine »fremde Stimme« verpackt. Darüber hinaus ist auch interessant, was institutionell unter dem Konzept der »Muttersprache« verstanden wird. Für die interne Statistik erhebt die Schule Angaben über die sprachlichen Kompetenzen der Schüler und ihre familiäre Umgebung. Die Schüler füllen ein solches Formular aus. Dabei entsteht die folgende Sequenz. Datum 45. Fremdsprachen. AL. (09.03.2011)(00:42) Alex (A), Danil (H), Herr Müller (L), Sasha (S), m (mehrere) 01 A: was für FREMDsprache? 02 H: ENGlisch. 03 L: für DEUTsche englisch; 04 wenn du zu engländern willst (? ?) alles KLAR? 05 m: hahahahahahahahahahahahahahahahaha 06 S: dann is_ja deutsch für mich ne_FREMDsprache? 07 (3.0) herr MÜller? 08 dann ist ja deutsch FREMDsprache für mich? 09 (2.0)
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?: NEIN. A: bist du in deutschland [geBOren? L: [nein:: du bist doch hier GROß geworden. S: na oKAY. L: du bist hier GROß geworden; das würde ich nicht SAgen. DENK mal (? ?). russisch ist für dich eher eine FREMDsprache. als=als(-) als wenn du jetzt, A: zu HAuse. L: russischer ABstammung bist. du bist SIcherlich, (-) ich bin SIcher dass du im (-) besser im DEUTSCH bist als im russisch. S: keine AHnung; wie soll ich das heRAUSfinden? S: (2.0) ah ich kann nicht gut RUssisch. A: glaub ich NICHT. S: er kann nicht EIN wort russisch aussprechen; da kritisiert er mich.
Alex ist unsicher, was auf dem Formular mit »Fremdsprache« gemeint ist. Der Lehrer erklärt, dass es sich um Englisch handelt, und frotzelt vermutlich (unklare Stelle auf dem Tonband), was die Klasse zum Lachen bringt. Sasha schließt sich mit der Frage an, ob Deutsch für ihn eine Fremdsprache sei. Der Lehrer beantwortet die Frage nicht und äußert sich erst nach mehreren Sekunden zu dem Thema. Die Klasse steigt in die Diskussion mit ein. Alex schlägt das »Bodenprinzip« vor (Zeile 11), das vom Lehrer schnell unterstützt wird: Sasha ist in Deutschland groß geworden und soll dementsprechend Deutsch als Muttersprache angeben. Auch wenn Sasha »russischer Abstammung« ist, ist der Lehrer sicher, dass seine Deutschkenntnisse besser als sein Russisch sind. Sasha ist unsicher, in welcher Sprache er fließender sprechen kann (Zeile 2526). Nach kurzer Überlegung ironisiert er seine Kompetenzen im Russischen (Zeile 27), was von seinem russischen Mitschüler unverzüglich ebenso ironisch kommentiert wird (Sasha und Alex sprechen/verstehen Russisch problemlos). Sasha kontert, in dem er die Russischkenntnisse von Alex ebenfalls bezweifelt. Zwei zentrale Aspekte lassen sich hier beobachten. Erstens definiert die Schule die Muttersprachen ihrer Schüler nach dem Ort der Geburt. Zweitens sind die Schüler sich nicht eindeutig sicher, über welche Sprachkompetenzen sie auf welchem Niveau verfügen. Ihnen wird jedoch vermittelt, dass das Bodenprinzip bei der Einschätzung ihrer Sprachkompetenzen entscheidend ist.
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Zusammengefasst geht die Institution davon aus, dass die in Deutschland geborenen Kinder Deutsch auf muttersprachlichem Niveau beherrschen (sollen). Die »gefühlten« Muttersprachen werden als begleitend betrachtet. Die Prozesse der realen, spontanen Sprachverwendung sind jedoch schwer steuerbar. So lassen sich im Unterricht, auf dem Schulhof sowie in Facebook zahlreiche Interaktionen in unterschiedlichen Muttersprachen der Schüler beobachten.
7.2.1 Code-Switching im Unterricht: »Ausländisch« in der Nebenkommunikation Da die Schüler der H7 ihre Muttersprachen selbst als Ausländisch bezeichnen, arbeite ich weiterhin mit diesem emischen Begriff aus dem Feld. In der Phase der teilnehmenden Beobachtung konnte ich mehrfach Fälle von Code-Switching im Unterricht sowie auf dem Hof registrieren. Viele der Sequenzen konnte ich mithilfe meiner Russischkenntnisse entschlüsseln. Die anderen Tonaufnahmen ließen sich erst nach mehrfachem Anhören und mit einer muttersprachlichen Übersetzung verstehen. Das Switchen zum »Ausländischen« setzt voraus, dass die Sprecher über einen gemeinsamen Sprachcode – die gleiche Sprache oder ihre Varietät – verfügen. So findet man die meisten Episoden des Ausländischen in der Nebenkommunikation zwischen den Schülern gleicher Ethnizität (Russe-Russe, Türke-Türke). Zu welchen Anlässen »Ausländisch« in schulischen Räumen gesprochen wird und welche Themen die Code-Switching-Sequenzen beinhalten, zeigt sich an Beispielen aus dem Feld. Zunächst widme ich mich einer kurzen Skizzierung eines der zentralen Phänomene der Kontaktlinguistik, das sich (nicht nur, aber auch) in bilingualen Kontexten beobachten lässt – dem Code-Switching (kurz: CS). Da es sich in der vorliegenden Fallstudie um eine multilinguale Gruppe handelt, deren Sprachverhalten sehr oft Elemente des CS beinhaltet, widme ich mich zunächst den wichtigsten theoretischen Aspekten dieses Phänomens aus soziolinguistischer Perspektive. Wie bereits erwähnt, sind die Code-Switching-Prozesse für bilinguale Interaktionen zwar charakteristisch, jedoch nicht obligatorisch: Nicht alle bilingualen Sprecher betreiben im Alltag Code-Switching (Bullock/Toribio 2009: 7). Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Abgesehen von der individuellen Einstellung eines Sprechers, nicht zu switchen, können die gesellschaftliche Konstellation der Interaktion sowie situationsabhängige Impulse große Auswirkungen auf die Entscheidung haben. Die Positionierung der Migrantensprachen in der gesellschaftlichen »Sprachenhierarchie« führt ebenfalls zu der individuellen Entscheidung über das Switchen: Dabei treten u.a. Fragen nach Prestige, Inklusion, sozialer Positionierung sowie viele weitere (zum Teil auch wirtschaftlich orientierte Aspekte) auf (Heller 1988). Die oben getroffene theoretische Feststellung bestätigt sich im Feld: Nicht alle Schüler
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der H7 betreiben CS im Alltag. Viele der bilingualen Schüler geben an, dass sie ihre Muttersprachen in der Öffentlichkeit ungern sprechen. Dafür werden unterschiedliche Gründe genannt: mangelende Kenntnisse der Muttersprache, mangelndes Prestige der Sprache (Russisch/Polnisch), schlechte Assoziationen/Erfahrungen mit der Muttersprache, unerwünschte zugeschriebene Zugehörigkeiten etc. Das Konzept des Code-Switchings ist eng mit dem Begriff der Grenzziehung und seiner Markierung verknüpft. Durch CS-Praktiken werden Räume geschaffen, die nur für bestimmte Sprecher betretbar sind. Diese Sprecher übernehmen bestimmte Rollen und stehen zu anderen Sprechern in immer wieder neu definierten Beziehungen, die unter gemeinsam geteilten Konventionen ausgehandelt werden: […] codeswitching is seen as a boundary-leveling or boundary-maintaining strategy, which contributes, as a result, to the definition of roles and role relationships at a number of levels, to the extent that interlocutors bear multiple role relationships to each other. It is an important part of social mechanisms of negotiation and definition of social roles, networks and boundaries. At the same time, it is effective only where interlocutors share an understanding of the significance of the pool of communicative resources from which codeswitching is drawn. Conventions must be shared in order for their violation to have meaning. (Heller 1988: 1)
Die CS-Praktiken können jedoch nicht immer und nicht überall ausgeführt werden. Die Aufteilung von Alltagspraktiken in unterschiedliche Domänen kann das Code-Switching bestimmen und begrenzen. So kann CS beispielsweise zur gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Abstufung führen: [...] even where multiple domains exist in a community, codeswitching may be totally or relatively unavailable, because the social boundaries separating the domains are relatively impermeable. Put differently, the social consequences or crossing the barrier may be too costly for individual members of the community. (Heller 1988: 8)
Die mehrsprachigen Milieus, in denen keine CS-Prozesse verlaufen, erzeugen ebenfalls große Aufmerksamkeit (Heller 1988: 9). So kann das Kommunikationsverhalten vieles über die interne sowie externe kommunikative Politik aussagen. Wie es dazu kommt, dass man in bestimmten Domänen CS kaum oder gar nicht betreibt, verdient auch besondere Forschungsaufmerksamkeit. Als Beispiel für eine solche Domäne können Bildungseinrichtungen wie Schule genauer betrachtet werden: In educational settings in particular, CS may be received as a form of semilingualism among bilingual students and efforts have been taken to eradicate CS from the class-
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»Ausländersein« an der Hauptschule room. [...] CS may be interpreted as reflecting negatively on speakers’ cognitive abilities, social manners, etc. (Bullock/Toribio 2009: 11)
Was gesellschaftlich häufig als »sprachliche Degeneration« betrachtet wird, ist für Linguisten ein Indiz für bilinguale Professionalität (Bullock/Toribio 2009: 1): […] CS does not represent a breakdown in communication, but reflects the skillful manipulation of two language systems for various communicative functions. (Bullock/Toribio 2009: 4)
Dabei sind die Fähigkeiten und Kompetenzen in den (beiden) ausgeübten Sprachen unterschiedlich: Most bilinguals show disparate abilities in their component languages, for a myriad of reasons, including age of second language acquisition, the quality of linguistic input received, the language most used, and the status of the language in the community. (Bullock/Toribio 2009: 7)
Die Funktionen des Code-Switchings können zwischen dem Auffüllen linguistischer Lücken, dem Ausdruck eigener ethnischer Identität oder Mitgliedschaft und dem Erreichen eines bestimmten diskursiven Ziels variieren (Bullock/Toribio 2009: 2). Scotton (1988) betont das exkludierende Potenzial, das die CS-Praktiken in einer heterogenen Gruppe ausüben können. Der Übergang zu einer Sprache, die von einem Teil der Gruppe nicht gesprochen/verstanden wird, bringt eine diskriminierende Wirkung mit sich. Dabei kann das Code-Switching negative Bewertungen und Kommentare über die andere Gruppen beinhalten und signalisiert dadurch scharfe Unterschiede der Machtpositionierungen in der Gruppe (Scotton 1988: 174 f.). In solchen Konstellationen wird CS häufig als unhöflich wahrgenommen. Dabei wird den Code-Switchern »back-biting« (dt. »lästern«) vorgeworfen (Scotton 1988: 175) (s.u.). Gumperz (1982) betrachtet CS-Praktiken innerhalb einer Migrationsgesellschaft als we-codes und they-codes: Dabei übernimmt die Sprache der Minderheit die Aufgaben des In-Group-Codes und ist für informelle Aktivitäten reserviert, wobei die Sprache der Mehrheit als Out-Group-Code den formellen Aktivitäten vorbehalten ist. In realen Interaktionen ist so eine strenge Aufteilung der Codes jedoch kaum möglich: Elsewhere a variety of options occur, and as with conversations in general, interpretation of messages is in large part a matter of discourse context, social presuppositions and speakers’ background knowledge. (Gumperz 1982: 66)
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Dementsprechend werden We-Codes und They-Codes oft innerhalb derselben Interaktion registriert. Heller (1988) argumentiert, dass das CS an sich als Signal für bestimmte kontextuelle Akzente agiert, die der Sprecher entweder in den Vorder- oder in den Hintergrund schiebt: […] codeswitching provides a clear example of the ways in which individuals draw on their linguistic resources to signal changes in the different aspects of context which they wish to foreground, to make salient, thereby opening opportunities for the redefinition of social reality, exploiting or creating ambiguity in the relationships between form and context to do so. (Heller 1988: 10)
Gumperz geht in seiner Argumentation davon aus, dass die Entscheidung, CS einzusetzen oder nicht, dem Sprecher selbst überlassen wird und er sie bewusst trifft (Gumperz 1976, 1982). Neuere soziolinguistische Fallstudien zeigen jedoch, dass die CS-Praktiken und ihre Intentionen bilingualen Sprechern nicht immer bewusst sind: »some bilinguals code-switch simply because they can and oftentimes may not be aware that they have done so« (Bullock/Toribio 2009: 11; s.u.). Die Schüler der H7 berichten über ähnliche Erfahrungen. Sie erklären, dass sie Hinweise auf ihr Switching hauptsächlich von außen bekommen, z.B. durch ihre Eltern oder Lehrer. Ihr eigenes CS-Verhalten ist ihnen durchaus bekannt, jedoch nicht immer bewusst. Code-Switching ist keine chaotische oder zufällige Mischung der Sprachen, sondern verfügt über interne Mechanismen, die durch mehrere Faktoren begrenzt oder erweitert werden können. Myer-Scotton präsentiert das »MatrixLanguage Frame« (kurz: MLF) Modell, das die »Anteile« der am CS-Prozess beteiligten Sprachen bestimmt. Das Modell unterscheidet zwischen der Basissprache (»base language«) und einer Gastsprache (»guest language« oder »embedded language«) (Myer-Scotton 2006: 235). Die Basissprache gibt den Rahmen der Aussage vor, beispielsweise die grammatikalische Struktur eines Satzes. Dabei wird die Aussage mit den Lexemen der Gastsprache ausgefüllt. Zwei formelle Typen von Code-Switching haben sich in der modernen Linguistik herauskristallisiert: intra-sentential (Poplack 1980) und inter-sentential (vgl. Myers-Scotton 2006: 239). Intra-sententiales CS wird innerhalb eines Satzes platziert, sodass die grammatikalische Struktur der beiden Sprachen ungebrochen bleibt. Im Kontrast dazu ist das inter-sententiale CS an der Satzgrenze zu finden. Auer teilt CS außerdem inhaltlich in zwei große Gruppen: diskursfunktionales CS und teilnehmerbezogenes CS (Auer 1998: 4-7):4
4 | Erweitert durch »discourse-related insertions« (Auer 1998: 6).
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»Ausländersein« an der Hauptschule […] discourse-related code-switching […] [is] the use of code-switching to organize the conversation by contribution to the interactional meaning of a particular utterance (Auer 1998: 4). […] in participant-related switching, they [participants] search for an account within the individual who performs this switching, or his or her co-participants. (Auer 1998: 8)
Dabei erfüllen unterschiedliche Sprachwechsel in der Interaktion eine Reihe von Aufgaben. Aus konversationsanalytischer Perspektive fasst Auer (1995) die Typen der CS-Praktiken zusammen, indem er sich auf die Gründe des Sprachwechsels fokussiert. Diese überlappen zum Teil mit denen von Goffman: reported speech, change of participant constellation, parentheses or side-comments, reiterations (=quasi-translations), change of activity type (role shift), topic shift, language plays (puns), topicalisation (Auer 1995: 120). Diese Typen des Sprachwechsels wurden durch die neuesten Untersuchungen von Migrantengruppen und deren Sprachpraktiken durchaus erweitert. Die Fähigkeit zum Code-Switching wird häufiger als zentraler Bestandteil eines Sprechstils gesehen. Dort, wo mehrere Ethnien und Sprachen in Kontakt kommen und wo die Sprecher eine ähnliche sozial-politische Geschichte (z.B. Migration) teilen, entstehen neue Codes, die der Solidarisierung der Gruppe dienen sowie die Zugehörigkeit zu ihr sichern. Rampton (1995) betrachtet in seiner frühen Arbeit »Crossing« Punjabi und Creole als »acts of identity«: Die Verwendung dieser Sprechstile kreiert den interethnischen »common ground«, auf dem die Beteiligten über gleiche Interaktionsrechte verfügen. In Deutschland betrachten Dirim/Auer (2004) den Sprachwechsel (Deutsch-Türkisch) einer interethnischen Gruppe Jugendlicher als stilistische Ressource für die Herausbildung eines bilingualen Sprechstils. Das Alternieren zwischen dem Deutschen und dem Türkischen wird laut Studie nicht mehr ausschließlich für türkischstämmige Sprecher reserviert, sondern es wird auch von Sprechern anderer Ethnien verwendet. Dabei wird das Türkische rezipientenspezifisch »dosiert« (Dirim/Auer 2004: 153). In den Interaktionen unterscheiden Dirim/Auer zwischen dem Code-Switching und dem CodeMixing (kurz: CM) folgenderweise: Der Begriff Code-Switching ist also für die im Einzelfall (lokal) interpretierbare Verwendung des Wechsels von einer in die andere Sprache reserviert, während beim Code-Mixing die einzelnen Alternanzen unauffällig bleiben. (Dirim/Auer 2004: 158)
Die Übergänge zwischen den Sprachen erfüllen situative Absichten der jeweiligen Sprecher sowie identitätsbezogene Funktionen,
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht denn sie ermöglichen es den Jugendlichen, sich bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zuzuordnen, in denen diese Formen der Sprachalternation als soziale Stile gepflegt werden. (Dirim/Auer 2004: 158)
In der empirischen Analyse kristallisieren sich einzelne Typen und Funktionen des CS und des CM heraus. Das teilnehmerbezogene CS erfüllt eine Reihe von Interaktionsfunktionen: z.B. Darstellung der eigenen Kompetenz bzw. Demonstration aktiver oder passiver türkischer Sprachkenntnisse, Gewinnen der Aufmerksamkeit, Sicherung der Mitgliedschaft in der Gruppe, Wiedergabe eines in einer der beiden Sprachen unbekannten Wortes (Dirim/ Auer 2004: 159-169). Das diskursfunktionale CS (s.o.) bestimmt ebenfalls die Sprechsituation und erfüllt die folgenden Aufgaben: Adressatenwahl, Markierung des Themenwechsels, Markierung von Zitaten, Verstärkung und Personalisierung von Aussagen, Unterstreichen der antagonistischen Handlungen, Einführung/Übernahme der türkischen mündlichen Gattungen und innere Gliederung komplexer Redebeiträge (Dirim/Auer 2004: 169-191). Innerhalb der Code-Mixing-Elemente unterscheiden Dirim/Auer zwei Gruppen: Ad-hoc-Transfers von Inhaltswörtern, d.h. etablierte Entlehnungen und Ad-hoc-Transfers auf der einen Seite und Transfer von Diskursmarkern und Interjektionen, d.h. Anredeformen, Frageanhängsel, Verzögerungspartikel und Interjektionen aus dem Türkischen auf der anderen Seite (Dirim/Auer 2004: 192-203). Dirim/Auer fassen zusammen, dass die CS- und CM-Praktiken der beobachteten ethnisch-heterogenen Gruppen den Sprachwechselmustern anderer bilingualer Gruppen sehr nah kommen (Dirim/Auer 2004: 203). So beobachtet beispielsweise Ries (2013) bilinguale Sprecher aus dem russischdeutschen Kontext Deutschlands, indem sie die Sprachbiografien der Russlanddeutschen und ihren Sprachgebrauch mit Fokus auf Sprachwechselpraktiken analysiert. Dabei stellen sich Funktionen heraus, die den Kategorien von Dirim/Auer sehr nah kommen. Die »ausländische Sprache« findet mehrere Einsätze im schulischen Alltag und erfüllt dementsprechend einige Funktionen, die im Deutschen nicht möglich wären. Die Gemeinsamkeit dieser Funktionen liegt darin, dass sie hauptsächlich in der Nebenkommunikation verlaufen. Es wurde keine Interaktion auf Ausländisch in einer offiziellen Unterrichtsdiskussion beobachtet. In den meisten Fällen wird Ausländisch in den Pausen, auf dem Hof oder in den Momenten gesprochen, wenn der Lehrer nicht im Klassenzimmer anwesend ist. Nur wenige Fälle wurden im Beisein der Lehrer registriert: Dabei handelt es sich jedoch um Gruppenarbeiten oder um selbstständige Arbeiten, die in einer informellen Atmosphäre stattfinden und vom Lehrer nicht genau beobachtet werden. Da die meisten Nebendiskussionen zwischen zwei/drei Parteien stattfinden, werden sie sehr leise formuliert und sind deswegen für den Beobachter
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kaum dokumentierbar. Deswegen rekonstruiere ich einige der beobachteten Gespräche anhand der Feldnotizen. Die zentrale Funktion des Code-Switchings ins Ausländische in der Nebenkommunikation ist der Austausch von Geheiminformationen. Diese Funktion ist höchst selektiv und zielt darauf ab, nicht erwünschte Zuhörer auszugrenzen, so die Erklärung von Ruslan und Aslan. Die schulischen Verhaltensnormen werden dabei oft gebrochen. Das Datum 46 beispielsweise beinhaltet eine Nebendiskussion zwischen den russischen Schülern Sasha, Alex und Ruslan, die nebeneinandersitzen. Alex packt sein Kirschkaugummi aus und bietet es Sasha an. Sasha akzeptiert das Angebot. Die Zeilen 1-7 verlaufen auf Deutsch. In Zeile 8 steigt Ruslan in das Gespräch ein und bietet auf Russisch um ein Kaugummi. Alex antwortet auf Russisch und fragt nach dem Geschmack des erwünschten Kaugummis (Minze, Kirsche etc.). Nach ein paar Sekunden fragt Sasha nach einem Nachschlag (Zeile 11). Die Sequenz 8-16 beinhaltet das in der Schule verbotene Wort »Kaugummi«, denn Kaugummis sind in der Schule generell verboten, genauso wie Kaffee, Cola oder andere Softdrinks. Deswegen verläuft das Gespräch auf Russisch, sodass der Lehrer und die Mitschüler nichts davon mitkriegen können. Der Lehrer befindet sich im Klassenzimmer. Datum 46. Kaugummi. (09.03.2011)(01:02) Alex (A), Sasha (S), Ruslan (R) 01 A: willst DU? (gibt Sasha einen Kaugummi) 02 S: DANke. 03 A: die riecht voll GEIL.(--) 04 [KIRsche. 05 S: [mmmmmm. (kaut mit Genuss) 06 A: darf noch EINS? 07 S: WER. 08 R: alex ДАЙ жевачку.5 gib mir einen KAUgummi. 09 A: каКУю? WELche denn? (gibt Ruslan einen Kaugummi) 10 (...)(0.3) 11 S: (spricht Alex an) мне ТОже одну дай (–), gib mir AUCH einen(–), 12 (spricht in das Gerät) alex der links von mir 13 sitzt, 14 он мне жеВАЧку даёт. er gibt mir einen KAUgummi. 5 | Alle russischen Sequenzen wurden von der Beobachterin übersetzt.
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это так хоро= это таКОЙ хороший мальчик. es ist SO: gu= er ist so ein guter junge. я говорю поШЛИ. ich sage lass uns GEhen.
In den Zeilen 12-16 spricht Sasha in das Tonaufnahmegerät, da er weiß, dass die Beobachterin ebenfalls Russisch versteht, weshalb er sich an sie wendet. Dabei beinhaltet seine Aussage ein Code-Switching-Element: Sasha leitet den Satz auf Deutsch ein und setzt ihn auf Russisch fort. An seiner Aussprache lassen sich außerdem seine Russischkenntnisse beurteilen: Der Schüler spricht fließend, jedoch hat er Schwierigkeiten mit dem Genus der Nomen. In der Zeile 15 findet die Selbstreparatur im Russischen statt: Der Sprecher dekliniert das Adjektiv так (так (Adv.) statt такой (Adj., maskulin)) falsch. Das CodeSwitching signalisiert einen semantischen Übergang zu einem »gefährlichen« Thema. Gleichzeitig werden die selektierten Adressaten durch das Code-Switching aktiviert und angesprochen. Schließlich bleibt die restliche Klasse aus der Diskussion ausgeschlossen. Das Datum 47 findet in unmittelbarer Nähe der Beobachterin im Unterricht statt. Sasha fragt seinen Freund Ruslan, ob er mit ihm auf Russisch sprechen will. Ruslan antwortet ebenfalls auf Russisch mit dem verneinenden NET. Sasha provoziert seinen Freund zu einem russischen Gespräch (Zeile 3) und fragt, ob er Angst hätte, da die Beobachterin dabei sitzt und ebenfalls Russisch verstehen kann. In Zeile 4 antwortet Ruslan auf Deutsch – NEIN. Sasha gibt nicht auf und setzt seine Provokation auf Deutsch fort (Zeile 5-7). Darauf reagiert seine Nachbarin Ella. Ruslan erklärt Ella, dass Sasha irgendeinen Scheiß labert. In den Zeilen 12-13 verläuft die Sequenz auf Deutsch, da sie sich vor Ella abspielt, die kein Russisch versteht. Nach kurzer Pause fragt Ruslan auf Russisch, warum er Angst haben sollte. Darauf erklärt Sasha, dass Ruslan Angst vor dem Russischsprechen haben müsse, da die Beobachterin die Diskussion dann mitverfolgen könne. Datum 47. Geheimnis.(01.04./09.04.2011)(26)(34) Sasha (S), Ruslan (R) 01 S: руслан давай на РУССком. ruslan lass uns auf RUSsisch (sprechen). 02 R: НЕТ. NEIN. 03 S: чего боишься a:? hast du etwa ANGst a:? 04 R: NEIN:. 05 S: ja: jo:. 06 (-) da ist der kleine RUSlan aber traurig.
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»Ausländersein« an der Hauptschule 07 (--)боИСся a? (--)hast du ANgst a? 08 E: (? ?) 09 S: OOOOOOOOOOOOOOOOO! 10 R: der labert irgend n_SCHEIß. (spricht zu Ella) 11 (--)der labert irgend n_SCHEIß. 12 S: ICH? 13 R: JA. 14 (–) почеМУ мне бояться саша? (-) wieSO soll ich angst haben sasha? 15 S: почему что ОЛЬга тут сидит. weil die OLga hier sitzt.
Die interne Diskussion verläuft aus mehreren Gründen auf Russisch. Erstens handelt es sich um den Versuch die Schulregel, die die Verwendung von Muttersprachen verbietet, zu brechen. Zweitens fungiert das Russische als situative Einladung der Beobachterin in das Gespräch: Die Voraussetzung dafür ist der gemeinsam geteilte Sprechcode. Die Schüler äußern die Angst, dass die Beobachterin sie bei dem Lehrer verpetzt (die entsprechende Sequenz wurde in einer früheren Beobachtungsphase aufgenommen). Sashas Übergänge zwischen den Sprachcodes (RU-DE) fungieren einerseits inkludierend: Als der Schüler ins Deutsche wechselt, fühlt sich Ella sofort angesprochen und begibt sich in Dialog. Der restliche Verlauf des Gesprächs ist hingegen exkludierend und nur für drei Interaktanten zugänglich. In Datum 48 geht es ebenfalls um ein verbotenes Thema – Alkohol. Drei Russen – Ruslan, Alex und Sasha – nehmen an dem Nebengespräch im Unterricht teil. Alle drei sitzen in der letzten, d.h. der dritten Reihe im Unterricht, sodass der Lehrer sie nicht direkt sehen kann. Alex packt eine Flasche »Sprite« aus und trinkt. Dabei versteckt er sich teilweise unter dem Tisch, damit der Lehrer nichts mitbekommen kann. Trinken ist im Unterricht generell verboten. Die Schüler müssen dafür um Erlaubnis bitten. Wasser und Tee gelten als akzeptable, schultaugliche Getränke. Cola und andere Limonaden sind jedoch verboten, da sie ungesund sind. Wichtig ist, dass »Sprite« in einer durchsichtigen Flasche keine Farbe hat, was für die folgende Sequenz relevant ist. Datum 48. Wodka. (01.06.2011)(69)(03:20) Ruslan (R), Alex (A), Sasha (S). 01 A: (trinkt aus der Flasche) 02 R: (an Alex) ты ЧЁ там? was MACHST du da? 03 ты чё там ПЬЁШЬ не понял. was trinkst du da verstehe (ich) nicht.
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht 04 S: hahahahahahahahah 05 R: ты чё ал=алКАШ или чё. bist du ein ALki oder was. 06 S: hahahahahahahahaha 07 R: ВОДку пьёт. (er) trinkt WODka. 08 СТЫДно тебе? SCHÄMST du dich?° 09 A: (lächelt) 10 R: herr müller тебе разреШИЛ пить? hat herr müller dir das erLAUBT? 11 НУка убери. mach das WEG. 12 R+S+A: hahahahahahahahahaha 13 A: ээ щас как ДАМ э.(lächelt) eh ich HAUE dir jetzt eine. 14 S: hahahahahaha
Die durchsichtige Flasche mit dem farblosen Inhalt löst die Neck-Sequenz unter den drei Russen aus. Der Regelverstoß von Alex wird von seinem Kumpel Ruslan auf Russisch thematisiert. Die Frage nach dem Inhalt der Flasche löst das unverzügliche Lachen von Sasha aus, der das Geschehen beobachtet: Ihm ist klar, dass Ruslan damit Wodka meint. Alex lächelt und kontert die Angriffe nicht, da sie in diesem Kreis gang und gäbe sind. Ruslan übernimmt im Spaß die Rolle des »Moralapostels«: Er fragt Alex, ob er ein »Alki« sei und ob er sich dafür schäme. In Zeile 10 weist Ruslan auf die Schulregel hin: Das Trinken muss vom Lehrer genehmigt werden. Zum Schluss muss Alex die Flasche verstecken. Alle drei lachen laut (Zeile 12). Alex droht den beiden im Spaß mit Körpergewalt (Zeile 13). Die Sequenz beinhaltet eine Geheiminformation (Trinkverbot), die nur für die drei russischen Sprecher verständlich ist und lediglich zu ihrer Unterhaltung dienen soll. Das Neckthema ist kulturell stereotypisiert und durch das physische Objekt schnell kontextualisiert: »Was kann ein Russe schon heimlich unter einem Tisch trinken?« Alex spielt nach den angebotenen Regeln von Ruslan und kontert in einer entsprechend stereotypisierten Weise: Ein Russe kann nur mit Gewalt antworten (Zeile 13). Das Geschehen verläuft in einem spielerisch-spaßigen Modus – »Russe spielen« – und ist durch Selbstironie gekennzeichnet. Das Datum 49 wird teilweise aus den Feldnotizen rekonstruiert und findet ebenfalls im Unterricht statt. Der Lehrer befindet sich nicht im Klassenzimmer. Sasha und Ruslan laden die Beobachterin zum »Bierchen trinken« ein.
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»Ausländersein« an der Hauptschule Datum 49. Bierchen trinken? (14.03.2011)(01:06) Sasha (S), Ruslan (R) 01 S: olga(.)kommst du heute abend mit uns BIERchen 02 trinken? 03 R: olga (.)сто ГРАММ давай. olga (lass uns) hundert GRAMM (trinken). 04 S: самоГОНка. hahahaha samogonka. 05 R: самоГОночка. hahahahaha samoGOnochka. 06 wir laden dich zum WODkaglas.
Die beiden Schüler haben gute Noten bekommen und möchten an diesem Tag feiern gehen. Die Beobachterin wird ebenfalls eingeladen: Zuerst auf Deutsch auf ein »Bierchen«, danach auf Russisch auf hundert Gramm. Hundert Gramm ist im Russischen eine Metonymie für Wodka und ist eine hoch ritualisierte Einladung. Das riskante Thema des Trinkens und die Herkunft der Sprecher führen zum Code-Switching ins Russische. Sasha macht einen weiteren Trinkvorschlag – Samogonka: Samogonka ist ein illegaler, selbst gebrannter Alkohol. Ruslan leitet durch Suffigierung die Form Samogonochka (kleine Samogonka) ab. Ruslan schließt die Sequenz auf Deutsch ab: wir laden dich zum WODkaglas. Die letzte Aussage ist wiederum inkludierend und richtet sich an die ganze Klasse. Die Schüler versuchen dadurch zu zeigen, dass sie mit der Beobachterin eine kumpelhafte Beziehung haben. Außerdem verläuft die Sequenz ebenfalls im spielerisch-spaßigen Modus. Solche Code-Switching-Elemente wurden unter den türkischen Schülern ebenfalls oft beobachtet. Das Datum 50 ist ein Beispiel dafür. Die Sequenz findet im Deutschunterricht statt, in dem die Schüler selbstständig arbeiten und währenddessen das folgende Nebengespräch führen. Datum 50. Karis ma. (25.10.2011) (79)(01:31) Frau Wagner (L), Fahrid (F), Aslan (As), Kayrat (K), Matthias (M), Alice (A) hat die mama nicht (? ?) EINgepackt? 01 L: 02 F: was für MAma? 03 As: (an Kayrat)(? ?)kaRIŞma. misch dich nicht EIN. 04 E: (an Aslan)kek süsLEMe!.hehehehehe Kuchen kuRUŞma. 05 F: 06 As+K: hehehehehehe 07 F: äh (.) WAS heißt karişma?
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht 08 A: 09 F: 10 L: 11 K: 12 M: 13 14 K: 15 M: 16 K: 17 M:
(an Fahrid) was LAberst du. °WAS heißt karişma°? ich könnte den aslan heute fast LOben. aber ohne FAST. ja (.) ich sagte der soll LEIse sein, aber er REdet die ganze zeit. TÜRke! und das noch auf TÜR!kisch. ja geNAU. im DEUTSCH!unterricht.
In Zeile 3 wendet sich Aslan auf Türkisch an seinen türkischen Kumpel Kayrat und bittet ihn, sich nicht einzumischen (türk. »karişma« – dt. »misch dich nicht ein«). Gleichzeitig steigt Alice, die mit drei Schülern zusammensitzt, in das Gespräch ein und sagt auf Türkisch kek süsLEMe (Zeile 4). Alice spricht kein Türkisch, aber sie kennt ein paar Wörter und spielt situativ mit ihnen. »Kek süsleme« ist eine Art Kuchendekor. Das Wort hat sie von ihren Mitschülern gelernt. Fahrid, der nebenan sitzt, kriegt das Gespräch mit und spricht die Aussage »karişma« nach (Zeile 5), was das Lachen von Aslan und Kayrat auslöst, da Fahrid Pakistaner ist und kein Türkisch spricht. Außerdem spricht er die Aussage falsch aus. Fahrid äußert sein Interesse an der Aussage und fragt nach, was sie bedeutet. Er bekommt jedoch keine Erklärung. Das Geschehen wird von der Lehrerin registriert, die damit unzufrieden ist, dass Aslan während der schriftlichen Aufgabe eine Diskussion mit seinen Nachbarn führt (Zeile 10). Matthias und Kayrat schwärzen ihren Mitschüler an und werfen ihm vor, Türkisch im Deutschunterricht gesprochen zu haben. Die Unterhaltung auf Türkisch in Datum 50 illustriert den persönlichen Umgang der türkischen Schüler miteinander. Dieser Umgang ist nicht besonders höflich und richtet sich speziell an Kayrat. Deswegen erfolgt die Kodierung der Aussage auf Türkisch. Die zweite Funktion des Ausländischen neben der Geheimnisvermittlung ist die Vermittlung der Inhalte, die beleidigende oder vulgäre Lexik (Schimpfwörter) beinhalten und deswegen im Unterrichtskontext nicht zulässig sind. Das Datum 51 wird aus den Feldnotizen rekonstruiert. Das Gespräch findet im Unterricht zwischen Sasha und Ruslan statt. Sasha beschimpft Ruslan. Datum 51. Sie verstehen nicht. (23.03./09.04.2011)(23) Sasha (S), Ruslan (R) 01 S: муДАК!. ARSCH!loch. 02 иди ХУЙ соси. geh saug an meinem SCHWANZ.
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»Ausländersein« an der Hauptschule 03 R: (dreht sich zur Beobachterin) они не пониМАют. sie verSTEhen nicht.
Die Aussagen werden ungewöhnlich laut gemacht, was sich später erklären lässt. Die Schimpfsequenz beinhaltet höchst vulgäre Lexik, die man in Russisch sprechenden Ländern nur in den untersten Unterschichten hören kann. Die Ausdrücke sind für Straßenauseinandersetzungen unter kriminellen Jugendlichen reserviert. Für Ruslan und Sasha sind sie Teil des gegenseitigen, freundlichen Frotzelaustauschs und werden dementsprechend nicht als gesichtsbedrohlich behandelt. Die Anwesenheit der Russisch sprechenden Beobachterin zwingt Ruslan zur Erklärung: Die Mitschüler verstehen kein Russisch, deswegen sind die Sprüche nicht gefährlich. Datum 52 wird aus den Notizen rekonstruiert und beinhaltet ebenfalls das Schimpfwort Scheiße. Sasha droht Ruslan, dass er die erste Schulklasse wiederholen muss, falls er weiterhin dumme Fehler macht. Datum 52. Erste Klasse. AL (25.03.2011) Sasha (S), Ruslan (R). 01 S: willst du wieder in die erste KLASse? 02 R: первый КЛАСС. erste KLAsse. 03 S: первый КЛАСС блядь. erste KLASse scheiße.
Die beiden spielen das »Russe sein«- Spiel, zu dem es sich gehört, zu jedem Anlass auf Russisch zu schimpfen. Das nächste Datum ergänzt das Repertoire der beiden. Der Lehrer ist nicht im Raum. Sasha beschimpft seinen türkischen Mitschüler Aslan, der angeblich kein Russisch versteht. Datum 53. Schimpfen.(11.03.2011) Sasha (S) 01 S: (beschimpft Aslan) СУка. HUre. 02 (dreht sich zu Beobachterin) er verSTEHT nicht. 03 hehehehe
Die Sequenz ist eine Provokation gegenüber Aslan. Das erkennt man an der Aussage in Zeile 2, die auf Deutsch formuliert wird: Sasha spricht zu der Beobachterin absichtlich laut auf Deutsch, damit Aslan die Diskussion nachvollziehen kann und verstehen kann, dass man über ihn spricht. Das Ganze verläuft wiederum im spielerischen Modus. Die Aussage, dass Aslan das Schimpfwort nicht verstehen kann, ist nicht wahr, da er und Ruslan in einer Nachbespre-
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht
chung angeben, ein gemeinsames Repertoire an Schimpfwörtern zu teilen: Die Russen und die Türken kennen die Schimpfwörter aus beiden Sprachen. Sogar die Schüler anderer Ethnizitäten verstehen viele davon. Das Datum 54 illustriert, wie das mehrsprachige Repertoire ausgebaut wird. Die Szene spielt sich im Unterricht ab. Der Klassenlehrer hat das Klassenzimmer kurz verlassen. Die Schüler arbeiten selbstverständlich an ihren Bioaufgaben. Plötzlich fragt Danil (ein Russe) Aslan nach der richtigen Aussprache eines türkischen Wortes. Die Klasse verfolgt das Gespräch mit. Datum 54. Uludag. (11.03.2011)(01:14) Danil (D), Aslan (A), Sasha (S), Ella (E),Fahrid(F), mehrere (m). 01 D: eh ASlan aslan, 02 heißt es uluDAK oder uluDA? 03 A: ORda. 04 F: ORda. 05 D: ach SO:. 06 S: es heißt uluDAK!. 07 (? ?) 08 S: das heißt uluDAK::!. 09 E: SAsha. 10 ?: BAUM. 11 S: BAUM. 12 E: SAsha:. 13 S: leck mich am BAUM. 14 m: hehehehehehehe 15 S: was ist ARSCH? 16 ARSCH. 17 was heißt das auf TÜRkisch? 18 ?: BAUM. 19 A: aĞAÇ. 20 F: aĞAÇ. 21 S: BAUM. 22 leck mich [am BAUM alleh:. 23 E: [SAsha. 24 F: aĞAÇ heißt baum. 25 (? ?) 26 S: matthias willst du mich am BAUM lecken?
Danil interessiert sich für die Aussprache des Wortes. »Uludağ« ist sowohl ein Berg in der Türkei als auch ein Getränk, was in der Pause kurz erwähnt wurde. Aslan ist verwirrt und denkt, dass er nach dem Wort »orda« (türk. »da«) ge-
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»Ausländersein« an der Hauptschule
fragt wird. Deswegen korrigiert er Danil und gibt ihm die richtige Variante, die von seinem Nachbar Fahrid nachgesprochen wird (Zeile 4). In Zeile 6 steigt Sasha in die Diskussion ein und korrigiert schreiend alle drei Schüler: Es soll »Uludak« heißen. Ella ist als Klassensprecherin für die Ordnung in der Klasse verantwortlich und versucht Sasha mehrfach zur Ruhe zu bringen (Zeile 9, 12, 23). Sie wird jedoch ignoriert. Sasha setzt sein Wortspiel fort. Da sich diese Szene, wie gesagt, im Biounterricht abspielt, sagt plötzlich jemand »Baum«, was von Sasha unverzüglich übernommen wird: 13 S: leck mich am BAUM.
Der Schüler möchte wissen, wie man »Arsch« auf Türkisch sagt (Zeile 15-17). Er bekommt von Aslan oder Kayrat jedoch keine Antwort. Die Schüler ahnen, dass Sasha seine Türkischkenntnisse später gegen sie verwenden wird. In Zeile 18 sagt wieder jemand »Baum«, was alle beteiligten Interaktanten völlig verwirrt. Auf einmal antwortet Aslan, dass »Baum« auf Türkisch »ağaç« heißt. Fahrid bestätigt die Übersetzung. Nachdem Sasha keine Übersetzung für »Arsch« bekommt, spielt er mit dem »Baum« weiter (Zeile 21-22) und formuliert die Aussagen mit beleidigendem Potenzial. Nachdem Sasha keine erwünschte Aufmerksamkeit seitens seiner Mitschüler bekommt, greift er Matthias an: 26 S: matthias willst du mich am BAUM lecken?
Es folgt keine Reaktion. An dieser Sequenz wird deutlich, welche Macht das gemeinsam geteilte Schimpfwörterrepertoire haben kann: Durch das Beibringen von Schimpfwörtern aus der eigenen Muttersprache übergibt man »dem Feind« eine mächtige »Waffe«, die zwar spielerisch eingesetzt werden kann, dem Gegner jedoch gleichzeitig in Streitsituationen dienen kann. Interessant ist auch, dass ein allgemeines Interesse an den unterschiedlichen Sprachen und ihrem Erwerb besteht. An der Sequenz beteiligen sich Schüler unterschiedlicher sprachlicher Hintergründe: Danil ist Russe, Aslan ist Türke, Sasha ist Russe, Fahrid ist Pakistaner. Die Sprachvermittlung wird außerdem gegenseitig kontrolliert: Sasha korrigiert das Missverständnis zwischen Danil und Aslan, Fahrid bestätigt und korrigiert die Übersetzungen. Es scheint in der Gruppe zum Alltag zu gehören, unterschiedliche Aussagen und einzelne Wörter in unterschiedlichen Sprachen interaktiv voneinander zu lernen. Die dritte Funktion des Ausländischen in der Nebenkommunikation erklären die Schüler in einer Nebenbesprechung selbst. Sie geben an, dass sie ihren sprachlichen Code zum spielerischen Lästern verwenden.
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht Datum 55. Nachbesprechung. (18.10.2011) Aslan (A), Ruslan (R) 01 A: also MANchmal mach macht der ruslan mit mir extra 02 so:03 damit damit er mich ÄRgern will, 04 der redet SO. 05 ähm:(--)wie zum beispiel mit Alex, 06 der redet so mit ihm RUSsisch, 07 der LÄStert über mich, 08 eh und guckt mich dann so AN extra, 09 dann rede ich mit KAYrat [so extra türkisch, 10 R: [er redet dann mit kayrat 11 TÜRkisch. 12 A: ja manches extra so lustig zum LAchen und so:.
Die Dokumentation von Daten dieser Art war aus technischen Gründen nicht möglich: Solche Interaktionen verlaufen zum größten Teil nonverbal, was lediglich mittels Videoanalyse analysierbar wäre.
7.2.2 Das Ausländisch der Lehrer: Annäherungsversuch Nicht nur die Schüler spielen mit ihren Ausländischkenntnissen, sondern auch die Deutschlehrerin. Frau Wagner spricht etwas Russisch und setzt ihre Kenntnisse ab und zu im Unterricht ein. Das Datum 56 illustriert eine selektive Verwendung des Russischen seitens der Lehrkraft. Datum 56. Danke. Deutsch.(15.11.2011)(02:18)(62) Frau Wagner (L), Ruslan (R), mehrere (m) 01 L: ihr habt ne_VORgabe, (0.4) 02 R: das ist ja- (überreicht der Lehrerin ein Buch) 03 L: (an Ruslan) (–) спаСИбо. (–) DANke. 04 m: hehehehehehehehe 05 (...) 06 L: wie heißt das zweite TEIL? 07 herr SIdorov? 08 R: ähm- (-) 09 L: nach der EINleitung kommt de:r? 10 R: HAUPT(-)teil. 11 L: so: und jetzt überlegt sich товарищ SIdorov, herr/kamerad 12 einen ÜBergang.(lächelt)
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»Ausländersein« an der Hauptschule
Während die Lehrerin ein neues Thema erklärt, überreicht der Schüler Ruslan ihr ein Buch. Frau Wagner bedankt sich bei Ruslan rezipientenspezifisch auf Russisch. Man muss wissen, dass Ruslan Frau Wagners Lieblingsschüler ist. Das wird durch das Lachen der Klasse begleitet. Ein paar Minuten später wendet sich die Lehrerin mit der Anrede »towaritsch« an Ruslan, was mit einem Lächeln begleitet wird. Solche Einbettungen einzelner russischer Wörter tragen einen spielerischen Charakter und unterhalten in der Regel die gesamte Klasse. Außerdem sichert sich die Lehrerin dadurch die Sympathie der Schüler, insbesondere die der Russen, was aus den Nachbesprechungen folgt. Den Schülern sind die Sprachkenntnisse der Lehrerin durchaus bewusst, was dazu führt, dass sie in ihren Stunden nie auf Russisch schimpfen oder über unangemessene Themen sprechen. Das gemeinsam geteilte Wissen über die Kompetenzen im Russischen führt manchmal zu Situationen, in denen dieses Wissen von Nachteil ist. Das Datum 57 illustriert, wie die Doppeldeutigkeit einzelner Wörter zu unerwünschten Folgen führen kann. Datum 57. Deutsch. (15.03.2011)(50)(15:44) Frau Wagner (L), Ella (E) 01 L: HUI:, 02 (–-) NEIN. 03 SAGT nix.(lächelt) 04 hehehehe 05 E: hehehehe 06 L: мы не пониМАем. wir verSTEhen (das) nicht. 07 also und DANN.
Frau Wagner reagiert erstaunt auf das Geschehen im Unterricht und die Interjektion »hui«, die im Russischen eine vulgäre Bedeutung besitzt (»Schwanz«). Die Anerkennung dieser Doppeldeutigkeit in zwei Sprachen kommt jedoch etwas spät und es wird sogar von der Lehrerin selbst darauf hingewiesen (Zeile 2-3). Da die Klasse über das gemeinsam geteilte Schimpfwörterrepertoire verfügt und die russische Bedeutung von »hui« kennt, löst die Aussage der Lehrerin Lachen der Schüler aus (Zeile 6). Frau Wagner lächelt und versucht ihren Fehler schnell zu retuschieren, indem sie ebenfalls auf Russisch sagt, »wir verstehen (das) nicht«. Daraufhin setzt sie ihren Unterricht schnell auf Deutsch fort. Hier kann man ebenfalls beobachten, dass die Sequenz mit Lachen und Lächeln begleitet wird. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Code-Switching-Praktiken im schulischen Kontext durchaus aktiv ausgeübt werden. Die Verwendung des »Ausländischen« entspricht den Rahmen, die von der schulischen Sprachenpolitik
7. Polylinguale Praktiken im (monolingualen) Unterricht
vorgeschrieben werden. Ausländisch wird hauptsächlich in der Nebenkommunikation zwischen den Schülern eingesetzt. Dort übernimmt das Code-Switching unterschiedliche Funktionen: Vermittlung von Geheiminformationen, Verwendung vulgärer Lexik und »Backbiting«. Die Deutschlehrerin setzt ihre russische Sprachkenntnisse im Unterricht ein, was als Annäherungsversuch an die Schüler gedeutet werden kann. Das gegenseitige Lernen der Fremdsprachen unter den Schülern hat einen systematischen Charakter. Besonders beliebt sind dabei einzelne Schimpfwörter, die ein gemeinsames Schimpfwörterrepertoire bilden. Das tägliche voneinander Lernen scheint zur Normalität schulischen Alltag der H7-Schüler zu gehören. Das Switchen erzeugt keinerlei überraschte Reaktion oder kein Hinterfragen. Schließlich werden auch Elemente von Kiezdeutsch innerhalb der schulischen Wände sichtbar. Welche sprachlichen Praktiken sich im Unterricht der Klasse entwickeln, zeigt das nächste Kapitel detailliert.
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8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer«
In diesem Kapitel analysiere ich selektiv ungewöhnliche Interaktionsdynamiken, die sich im Ethikunterricht einer mehrsprachigen Gruppe entwickeln. Zunächst muss geklärt werden, welche Inhalte das Unterrichtsfach »Ethik« umfasst. Aus dem Bericht der Kultusministerkonferenz vom 22.02.2008 lassen sich entsprechende Ziele und Inhalte des Faches entnehmen (Hervorhebung durch die Verfasserin): 2. Ziele und Inhalte (1) Ethikunterricht dient nach den weitgehend übereinstimmenden Vorgaben der Länder der Erziehung der Schülerinnen und Schüler zu verantwortungs- und wertbewusstem Urteilen und Handeln. Er orientiert sich in seinen Zielen und Inhalten an den Wertvorstellungen, wie sie im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder sowie in deren Schulgesetzen für den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule niedergelegt sind. (2) Im Fach Ethik soll kritisches Verständnis für die in der Gesellschaft wirksamen Wertvorstellungen und Normen sowie der Zugang zu philosophischen, weltanschaulichen und religiösen Fragestellungen eröffnet werden. In einzelnen Ländern gehören dazu auch religionskundliche Kenntnisse. Ziel des Ethikunterrichtes ist die Vermittlung einer ethischen Grundbildung und die Befähigung der Schülerinnen und Schüler zu begründeter Urteilsbildung und zu verantwortlichem Handeln. (3) Der Ethikunterricht berücksichtigt die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen. Dies geschieht in Dialog und Auseinandersetzung mit den in unserer Gesellschaft wirksamen Überzeugungen und Traditionen. Daraus sollen auf dem Wege der Begründung und Reflexion tragfähige Orientierungen für Denken und Handeln gewonnen werden. Die Vermittlung bestimmter Inhalte und Denkweisen im Sinne eines geschlossenen Weltbildes mit einheitlicher Deutung von Lebens- und Sinnfragen ist nicht Sache dieses Unterrichts. (Kultusministerkonferenz 2008: 8)
Man kann zusammenfassen, dass es sich im Ethikunterricht um die Wertevermittlung einer demokratischen Gesellschaft sowie um den Dialog zwischen den Kulturen und Traditionen handelt. Das kritische Denken sowie die Kommuni-
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kationsfähigkeiten der Schüler sollen gefördert werden. Die Vermittlung von Ideen im Sinne »eines geschlossenen Weltbildes mit einheitlicher Deutung von Lebens- und Sinnfragen« ist unzulässig (Kultusministerkonferenz 2008: 8). In Ergänzung dazu lohnt es sich, die genaueren Inhalte des Ethikunterrichts der einzelnen Bundesländer anzuschauen, da die konkreten Vorstellungen darüber dort detailliert und spezifisch beschrieben werden. Als Beispiel nehme ich den Berliner »Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I«, konzipiert von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (2012) (Hervorhebung durch Unterstreichung durch die Verfasserin): Aus der Tatsache, dass Menschen verschiedene Interessen sowie unterschiedliche kulturelle Hintergründe haben, ergibt sich die Notwendigkeit, allgemein akzeptable Handlungsnormen zu begründen. Die zentrale Aufgabe der Ethik ist daher die Rekonstruktion und kritische Prüfung vorgefundener Entwürfe gelingenden Lebens, der Leitbilder und Handlungsnormen (Ethos). Dieses Nachdenken führt zu Einsichten in die Bedingungen des menschlichen Tuns. Dabei wird deutlich, dass es einerseits eine Pluralität von Wertvorstellungen und Lebensentwürfen gibt und dass andererseits eine Verständigung über einen Minimalkonsens (etwa über die Achtung der Menschenwürde) notwendig ist. Handeln steht unter argumentativen Ansprüchen und verlangt nach Gründen. Das bedeutet, bestimmte Muster des Handelns und Verhaltens zu erkennen und nur begründet abzulehnen, beurteilende Vergleiche zwischen Wertmaßstäben anzustellen und die Priorisierung bestimmter Werte zu rechtfertigen. Dadurch kann das eigene Ethos korrigiert werden. Nur ein reflektiertes Leben ist ein wirklich eigenes. (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2012: 9) […] Unsere Gesellschaft ist gekennzeichnet durch die Pluralisierung der Lebensformen, der sozialen Beziehungen und der Wertvorstellungen sowie durch das Zusammenleben von Menschen verschiedener Ethnien und Kulturen mit unterschiedlichen religiösen Vorstellungen und Weltanschauungen. Angesichts dieser Situation ist es Ziel des Ethikunterrichts, die Bereitschaft und Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu fördern, sich mit grundlegenden ethischen Problemen des persönlichen Lebens, des menschlichen Zusammenlebens sowie mit unterschiedlichen Wert- und Sinnangeboten konstruktiv unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes auseinanderzusetzen. Sie lernen, sich mit divergierenden Meinungen und unterschiedlichen Wertvorstellungen auseinanderzusetzen und entwickeln dabei Verständigung mit Anderen und Andersdenkenden. (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2012: 10) […] Der Ethik-Unterricht zielt ferner auf die Ausbildung einer dialogischen Gesprächskultur, in der Konsens angestrebt sowie Dissens akzeptiert und ausgehalten wird. In diesem Kontext setzten sich die Schülerinnen und Schüler inhaltlich mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen auseinander und entwickeln dabei ein Bewusstsein für individuelle und kulturelle Unterschiede. Hier werden Gefühle und Wertungen ausgesprochen und lebensweltlich geprägte Sichtweisen und Fragen auf Begriffe gebracht. (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2012: 11)
8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer«
Laut dem Dokument strebt das Fach Ethik in der Schule die Ausbildung eines interkulturellen Dialogs an. Als Voraussetzung dafür soll ein »Bewusstsein für individuelle sowie kulturelle Unterschiede« entwickelt werden. Wie diese Ziele im Ethikunterricht der H7 erreicht werden, zeigt sich in folgender Analyse. In der Feldarbeit stellte sich heraus, dass der Ethikunterricht in der beobachteten Schule zum »Sammelbecken der Muslime« wird. Die Ethikklasse besteht aus ca. 10 Schülern, von denen alle bis auf einen aus Familien stammen, deren Religion der Islam ist. Die Schüler sind türkischer, persischer oder arabischer Herkunft und verfügen über sehr gute Kenntnisse anderer Sprachen. Der Ethikunterricht findet parallel zum Religionsunterricht statt, weswegen die Klasse in kleinere Gruppen aufgeteilt wird. Die Themen der von mir besuchten Ethikstunden waren »Liebe« und »Freundschaft«: Die Schüler sollten die Inhalte der Konzepte begreifen und sie in unterschiedlichen Weisen diskutieren. Ein Phänomen, das sich im Ethikunterricht entwickelt hat, soll im Folgenden näher untersucht werden. Die Lehrerin des Faches Ethik, Frau Gallee, unterrichtet an der Schule nicht nur Ethik, sondern auch Deutsch, nicht in der H7. Frau Gallee hat sehr guten Kontakt zum Klassenlehrer und unterhält sich oft mit ihm über die Leistungen seiner Schüler. Im Fokus der Besprechungen stehen die sprachlichen Leistungen der Schüler. Warum die Ethiklehrerin den Sprachkenntnissen der H7-Schüler so eine große Aufmerksamkeit schenkt, versucht die folgende Analyse einzelner Sequenzen zu erklären. Datum 58. ABC. (02.11.2011) Frau Gallee (L), Said (S), Mahmed (M), Aslan (A), Kayrat (K), mehrere (m) 01 L: und ihr sollt euch MERKmale einer freundschaft 02 überlegen, 03 und die sollen jeweils mit diesen buchstaben 04 ANfangen. 05 S: (? können wir =können wir ein erstes BEIspiel 06 haben? ?) 07 L: ich gebe euch ein BEIspiel. 08 erst einmal (-)welche WORTarten brauchen wir denn 09 wenn wir SAgen, 10 es geht um merkmale einer FREUNDschaft. 11 erst hatten wir mit VErben zu tun; 12 (? ?) jetzt brauchen wir MERKmale. 13 was brauchen wir für eine WORTart? 14 MAhmed? 15 M: ADjektiven, 16 L: NEIN. (3.0)
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A: L: K: L:
NOmen? NO!men brauchen wir. oHA! (?oder machen wir mal?)= machen wir_ma HIER, wem fällt denn was mit HA ein; K: HAssen. ?: ACH: L: FREUND!schaft. A: NOmen? L: es geht um NOmen(-); A: ach SO: L: merkmale einer FREUNDschaft (-) mahmed? A: HILfe. L: hilfe aber (-)ich finde es ist BESser, A: =HILFbereit. L: und wie heißt das NOmen? ?: hilfs[LOsigkeit, A: [hilfbeREIT!schaft. L: na WUNderbar. SO! da HABN wir schon eins. K: nicht hilfbereitschaft (-)HILFS![bereitschaft; L: [HILFS!bereitschaft A: hab ich geSAGT. L: DOCH hat er gesagt. (-) das hat er bisschen verSCHLUCKT (-) ich hab_s gehört. M: (? ?) eh=LASS ihn doch. A: LASS mich doch. m: hahaha (3.0) L: SO! (-) hast du n_paar BÜcher gelesen oder (? über die ferien?), A: naJA: m: hehehe L: ALso: so habn wir hilfsbereitschaft.
In Datum 58 besprechen die Schüler das Thema »Freundschaft«. Die Aufgabe ist, ein »Freundschafts-ABC« zusammenzustellen. Jeder Buchstabe im Alphabet soll mit einem Nomen belegt werden, das mit diesem Buchstaben anfängt. In den Zeilen 1-13 fragt Frau Gallee nach einer Wortart, die für diese Aufgabe geeignet ist. Nachdem die Schüler bestimmen, dass es sich hier um Nomen handelt, fangen sie an, die Merkmale einer Freundschaft zu nennen. In Zeile 29 schlägt Aslan »Hilfe« als Merkmal einer Freundschaft vor. Frau Gallee ist
8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer«
mit dem Begriff jedoch unzufrieden und wünscht sich ein besseres Beispiel (Zeile 30): aber (-) ich finde es ist BESser. Aslan macht sofort seinen Vorschlag Hilf bereit. Da hilf bereit kein Nomen ist, fragt Frau Gallee weiter: und wie heißt das NOmen? Ein Schüler schlägt Hilfslosigkeit vor. Schließlich meldet sich Aslan mit Hilf bereitschaft (auf der Tonaufnahme wurde kein Fugenelement »s« registriert). Die Lehrerin akzeptiert das Wort als richtige Lösung und fängt an, das Wort an die Tafel zu schreiben. Kayrat fällt auf, dass Aslan statt Hilfsbereitschaft Hilf bereitschaft gesagt hat. In Zeile 37 korrigiert er Aslan in lautem Ton: nicht hilf bereitschaft (-) HILFS![bereitschaft. Frau Gallee reagiert sofort und wiederholt HILFSbereitschaft mit zusätzlicher Betonung auf dem »s«-Laut. Die Sequenz verläuft in einer Konkurrenzstimmung zwischen den Schülern: Kayrat schwärzt Aslan, seinen besten Freund, bei der Lehrerin an. In Zeile 39 versucht Aslan seine Position (hab ich geSAGT) zu verteidigen. Frau Gallee erkennt die Konkurrenz in der Interaktion zwischen den zwei Freunden und versichert Kayrat, dass Aslan das Wort mit »s« ausgesprochen hat: DOCH hat er gesagt – das es hat er bisschen verSCHLUCKT (-)ich hab_s gehört. Der »s«-Laut ist auf dem Tonband deutlich nicht erkennbar. Frau Gallee ist jedoch zufrieden, dass das erste Wort endlich an die Tafel kommt und dass die Klasse die Aufgabe verstanden hat. Obwohl Frau Gallee Aslans Antwort als richtig aufgenommen und auch aufgeschrieben hat, kommentiert sie seine Partizipation am Geschehen auf die folgende Weise: 41 L: SO! (-) hast du n_paar BÜcher gelesen oder (? über 42 die ferien?),
Daraus kann man schließen, dass es für Frau Gallee überraschend ist, dass Aslan in seinem Wortschatz über solche komplizierten und fortgeschrittenen Wörter verfügt. Das Phänomen, das im Ethikunterricht zustande kommt, lässt sich in Datum 58 leicht erkennen: Frau Gallee praktiziert in ihrem Fach Ethik Deutschunterricht. In Ethik werden hauptsächlich Fragen der deutschen Grammatik, die Aussprache sowie der Satzbau der deutschen Sprache unter die Lupe genommen und auf eine besondere Art und Weise bearbeitet (s.u.). Kommentare wie in Zeile 41, die die gute Leistung der Schüler als überraschend und ungewöhnlich kategorisieren und in Zweifel ziehen, sind keine Seltenheit im Alltag der H7. Der Klassenlehrer beispielsweise äußert sich ebenfalls ab und zu über den Fortschritt seiner Schüler in sarkastischer, beißender Form. So kommentiert er zum Beispiel Fahrids richtige und schnelle Antwort folgendermaßen: Bist du heute gedopt? Der Umgang mit den Antworten der Schüler lässt zwei »Strategien« erkennen: Wenn sie eine falsche Antwort liefern, wird ihre Herkunft und Ethnizität dafür verantwortlich gemacht;
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wenn sie eine richtige Antwort geben, wird behauptet, dass sie gedopt sind oder »außergewöhnliche Trainingsmaßnahmen« ausüben (z.B. Bücher lesen). In Datum 58 lässt sich außerdem noch ein wichtiges Merkmal der Interaktion in Ethikunterricht beobachten: Die Schüler sind hoch konzentriert. Ihre Konzentration ist stark selektiv und fokussiert auf hörbare Sprachfehler sowie auf jegliche Normabweichungen im gesprochenen Deutsch. Selbst Frau Gallee behauptet, dass das »s« in dem Wort »Hilfsbereitschaft« von Aslan verschluckt wurde. Kayrat konnte den Fehler jedoch registrieren und identifizieren. Das ist ein Signal für die intensive Konzentration auf Aspekte der Aussprache, das sich in weiteren Beispielen wiederholt. Der Grund für das selektive Hören in diesem Unterricht ist ein Vorgehen, das Frau Gallee in der Gruppe eingeführt hat. Jedes Mal, wenn sie im Unterricht einen sprachlichen Fehler hört, trägt sie ihn in ein Fehlerheft ein. Dieses Heft ist nach Monaten (Januar, Februar, März usw.) aufgeteilt. Die Fehler werden mit der Angabe des Produzenten/Sprechers als einzelnes Wort oder ganzer Satz in dem jeweiligen Monat aufgeschrieben. Am Ende eines jeden Monates werden die Aussagen ohne Angabe des »Autors« vorgelesen. Derjenige, der den Autor erraten kann, bekommt einen Kaugummi als Belohnung. Das Datum 59 ist die Fortsetzung der Diskussion aus dem Datum 58 und findet in derselben Stunde ein paar Minuten später statt. Datum 59. Raten. (08.11.2011)(89)(19:30) Frau Gallee(L), Kayrat (K) 01 L: ich schreib jetzt dann mal auf KAYrat ja? 02 K: NEIN; 03 L: aber naTÜRlich. 04 das wird ein SPAß oder? 05 obwohl eigentlich (-) ich meine er hat sich ja 06 schon geBESsert; 07 das wollen wir ja gar nicht SAgen; 08 aber es ist auch halt relativ einfach mit dem 09 RAten dann ne? 10 bei JAnuar (--) ist es alles voll (-) 11 freundbereitschaft. 12 (trägt das Wort in ihr »Fehlerheft« ein)
Ihrer eigenen Behauptung, Aslan habe das »s« verschluckt, zum Trotz, bewegt sich Frau Gallee zu ihrem Tisch und schlägt das Fehlerheft auf. Die Hilf bereitschaft wird eingetragen. Die Erklärung dafür, warum die Lehrerin den Fehler doch aufschreibt, folgt in Zeile 10: 10
bei JAnuar (--) es ist alles voll (-)
8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer«
Das Fehlerheft für den Monat Januar muss ausgefüllt werden, deswegen gilt selbst der verschluckte Laut als Fehler. Dabei überzeugt Frau Galle Aslan, dass die Notiz dem späteren Spaß in der Klasse dienen wird (Zeile 4). Die Bewertung von Aslans sprachlichen Fähigkeiten erfolgt ebenfalls: 05 06 07 08 09
obwohl eigentlich (-) ich meine er hat sich ja schon geBESsert; das wollen wir ja gar nicht SAgen; aber es ist auch halt relativ einfach mit dem RAten dann ne?
Aslan soll sich im Vergleich zu früheren Zeiten gebessert haben. Jedoch wird sein Beitrag »Hilf bereitschaft« lediglich als »Raten« kategorisiert. In Datum 58 kann man die Wortsuche von Aslan und der gesamten Klasse mitverfolgen: Zuerst wird nach dem konzeptuellen Inhalt gesucht (Hilfe), danach wird nach der richtigen Wortart gesucht (hilf bereit), zum Schluss wird das Nomen (Hilfbereitschaft) vom Adjektiv abgeleitet. Es ist zweifelhaft, dass Aslan das Wort »nur errät«. Seine sequenzielle Vorgehensweise spricht dafür, dass er das Wort erfolgreich grammatikalisch abgeleitet hat. Die hohe Ausländerkonzentration dieser Gruppe scheint die Thematik des Ethikunterrichts zum größten Teil zu bestimmen. So werden parallel zu den Fragen nach menschlichen Werten sprachliche Fehler bearbeitet. In dem Unterricht, in dem man etwas über Menschenrechte, gegenseitige Toleranz, Vielfalt und Akzeptanz lernen soll, lernt man außerdem etwas über das eigene Anderssein. In der Stunde wäre es ausreichend, die sprachlichen Fehler – falls solche auffallen – schnell zu korrigieren, um auf den Lernstoff zu fokussieren. Solche Praktiken lassen sich oft in mehrsprachigen Arbeitsgruppen beobachten, die mit der Zeit eine bestimmte Fehlertoleranz entwickeln, damit die gemeinsamen Ziele der Interaktion erreicht werden (beispielsweise in der WebKommunikation oder unter internationalen Studierenden an Universitäten). Die Fehler werden von den Interaktanten überhört und, wenn überhaupt, nur selten korrigiert. In der Schule ist der Grad der Fehlertoleranz ganz niedrig. Stattdessen erleben die Schüler in dem Land, in dem sie alle zu der zweiten oder sogar dritten Generation der Migranten zählen, DaF-Unterricht (Deutsch als Fremdsprache). Diese interaktiven Praktiken im Ethikunterricht verlaufen unter einer spezifischen Dynamik, die ich in Analogie zu »doing gender« (im Sinne von West/Zimmerman 1987 und West/Fenstermaker 1995) als »doing Ausländer« bezeichne. Unter »doing« verstehen Wissenschaftler, dass Interaktanten soziale Kategorien (z.B. ethnische Herkunft, Gender, soziale Schichtzugehörigkeit) innerhalb einer kontinuierlichen, methodischen und momentanen Interaktion (»ongoing interactional accomplishment«) herstellen, ihre Relevanz situativ
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zuschreiben und deswegen dadurch auch routinisieren (West/Fenstermaker 1995: 9). Das Gleiche übertrage ich auf die Kategorie »Ausländer«, die interaktional im Ethikunterricht ko-konstruiert wird und zur Alltagsroutine der Gruppe wird. Eine »ausländische« Sprache zu sprechen und (absichtliche) Fehler im gesprochenen Deutsch zu machen sind die zentralen Aktivitäten der Kategorie »Ausländer«. Die Einträge in das Fehlerheft sind in Form eines interaktiven Spiels gerahmt und sorgen für die Unterhaltung der Klasse: Die meisten Fehler-Sequenzen werden von Lachen begleitet. Die Schüler finden das »Spiel« unterhaltsam und nicht diskriminierend. Das Fehlerspiel bringt am Ende des Monates jedoch weiter reichende Konsequenzen als die Verteilung von Kaugummis mit sich. Die Schüler, deren Fehler aufgeschrieben werden, gewinnen in der Gruppe Popularitätspunkte. Sie können ebenfalls als »Coolness-Punkte« bezeichnet werden. Derjenige, der einen Fehler macht, wird von der Gruppe gefeiert, bejubelt und bekommt eine Menge Aufmerksamkeit – sowohl, wenn der Fehler gemeldet wird, als auch während des Vorlesens des Fehlers Ende des Monates. Das Sammeln der Popularitätspunkte wird durch das Ausländervorspielen erledigt. Auf einer Seite spielen die Schüler selbst Ausländer/Nicht-Muttersprachler. Auf der anderen Seite werden sie durch solche Praktiken künstlich zu Ausländern/Nicht-Muttersprachlern gemacht. Die Sprachkenntnisse, oder besser gesagt die in diesen Fällen vorgespielten Sprachdefizite, sind die »Währung« (Rampton 2006b: 55), mit der die Coolness-Punkte gewonnen werden. Dadurch erklärt sich auch die konkurrierende Atmosphäre, die in diesem Unterricht herrscht: Die Schüler sind sprachlich sehr kreativ, bilden neue Wortkreationen aus, experimentieren mit unterschiedlichen Morphemen, korrigieren sich gegenseitig und sorgen dafür, dass jeder Fehler gemeldet wird. Dabei ist es unwichtig, ob es sich um einen eigenen oder um einen fremden Fehler handelt: Es wird für das gemeinsame Ziel gearbeitet – das Fehlerheft auszufüllen. Diese Zielsetzung führt zu hoher Konzentration und präziser Aufmerksamkeit der Beteiligten. Darüber hinaus führt das Wortspiel dazu, dass die Schüler in ihrem Wissen und ihren Kompetenzen kontinuierlich verunsichert werden. Das illustriert das Datum 60. Das Wort »Akzeptanz« gehört zum Alltagsdiskurs der Hauptschule. In AL (Arbeitslehre), Geschichte, Deutsch und Ethik hören die Schüler der H7 das Wort »Akzeptanz« und seine Ableitungen regelmäßig. Die folgende Sequenz demonstriert, inwieweit die Schüler dieser kleinen Ethikgruppe Selbstzweifel an ihren eigenen Sprachkompetenzen entwickeln können. In Datum 60 suchen die Schüler nach einem Freundschaftsmerkmal, das mit dem Buchstabe »A« anfängt.
8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer« Datum 60. Akzeptanz. (08.11.2011)(89)(20:50) Frau Gallee (L), Ella (E), Said (S), Fahrid (F), Kayrat (K), mehrere (m) 01 E: ist akzeptanz RICHtig? 02 ?: akzepTANZ? 03 S: akzenTAbel, 04 F: akzepTIERT. 05 S: die akzepTIE!rung, 06 L: es heißt akzepTANZ. 07 ?: (? ?) 08 m: hahahahahahahaha 09 E: die akzepTIErung. 10 S: was schreibn_wir jetzt AUF? 11 K: er kann kein DEUTSCH! 12 L: ja was denn, das war FALSCH. 13 (trägt das Word in ihr »Fehlerheft« ein)
Ganz am Anfang der Debatte schlägt Ella die richtige Variante des Nomens vor: ist Akzeptanz RICHtig? (Zeile 1). Allein an dieser Aussage hört man die Zweifel der Schülerin an ihrem Wissen. Die Gruppe reagiert unverzüglich mit Vorschlägen aus der Wortgruppe »Akzeptanz«: akzeptabel (Adjektiv) und akzeptiert (Verb, 3. Person, Singular, Indikativ, Präsens). Die Annahme, dass das Wort »Akzeptanz« sowie seine Verwendung den Schüler nicht unbekannt ist, bestätigt sich damit. Dennoch ist sich keiner der Schüler sicher, welche Form aufgeschrieben werden soll. Selbst Ella, die von vorneherein die richtige Variante vorgeschlagen hatte, bietet zusätzlich den weiteren Vorschlag »Akzeptierung«. Als Resultat dieser Gruppendebatte entsteht die Substantivierung »Akzeptierung« (abgeleitet vom Verb akzeptieren). Als Frau Gallee diese Variante hört, korrigiert sie Said (Zeile 6) und bewegt sich zu ihrem Tisch, um den Fehler in das Heft zu schreiben. Obwohl die Schüler die richtige Antwort ganz am Anfang der Diskussion formuliert haben, trägt die Lehrerin die falsche Variante als Fehler ins Heft ein. Auf diese Weise wird gegenseitig eine spielerische Atmosphäre mit hohem Verunsicherungspotenzial für die Fehlerproduktion geschaffen. Kritisch betrachtet muss erwähnt werden, dass das Wort »Akzeptierung« in der Tat existiert. Der Duden gibt dazu folgende Definition: »das Anerkennen, Einverstandensein mit etwas, jemandem.«1 An diesem Beispiel erkennt man, wie unsicher die Schüler in diesem Unterrichtsfach mit ihren Sprachkompetenzen umgehen. Selbst bekannte Begriffe werden zu fremden und unbekannten gemacht. Die eigene Unsicher1 | Duden Online, http://www.duden.de/rechtschreibung/Akzeptierung. (zuletzt eingesehen am 22.07.2014.)
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heit beeinflusst außerdem die Mitschüler, die dadurch stimuliert werden, im gleichen Kontext mit den gleichen »Defiziten« zu kämpfen. Durch die kontinuierliche, gegenseitige Korrektur seitens der Lehrerin und der Mitschüler zweifeln die Interaktanten an ihren Kompetenzen und selbst sicheres Wissen wird gefährdet. Die »ausländische« Währung ist der Maßstab, an dem ausgemacht wird, wer in der Gruppe am coolsten und am lustigsten ist. Nachdem Kayrat erfährt, dass Aslan für seine Hilf bereitschaft eine Notiz im Fehlerheft bekommen hat, produziert auch er eine Reihe von »-schaft« Nomen. Er und sein Freund Aslan spielen mit dem Suffix -schaft und bilden damit neue Wörter. Dadurch entstehen folgende Kreationen: Nettbereitschaft, Spielbereitschaft, Computerbereitschaft, Nervbereitschaft, Liebbereitschaft und Fußballbereitschaft. Die Logik dieser Wortbildungen ist leicht nachvollziehbar: All das sind Freundschaftscharakteristika. Die Kreationen sorgen für große Unterhaltung der Mitschüler: Über sie wird viel gelacht. Aslan ist, was die Fehlerproduktion angeht, der zentrale »Problemfall« der Gruppe. Er macht am meisten Fehler und präsentiert sich dadurch als der coolste Schüler der Klasse. Dass sein auffälliges sprachliches Verhalten im Ethikunterricht durchaus gesteuert ist, sieht man daran, dass solche »groben« Fehler im Unterricht des Klassenlehrers kaum vorkommen. Das zentrale Beispiel dafür ist die angeblich falsche Bildung der Ich-Form vom Verb dürfen. Immer wenn Aslan im Ethikunterricht eine Bitte formuliert, hört man: 01 A: DÜRF ich (ausgehen)?
Betrachtet man im Kontrast dazu hingegen die Daten aus dem Unterricht beim Klassenlehrer, so hört man die Standardform: 01 A: darf ich AUSgehen herr müller?
So fragt Aslan beispielsweise in Mathematik oder im Biounterricht den Klassenlehrer Herr Müller, ob er auf die Toilette gehen darf. Dieses sprachliche »Chamäleon-Verhalten« wurde mehrfach lediglich während des Ethikunterrichts registriert. Dort, wo »Ausländersein« zum Kapital wird, spricht Aslan »Ausländisch« und gewinnt damit seine Popularitätspunkte. Dass die gleichen Abläufe im Unterricht des Klassenlehrers nicht realisiert werden, ist leicht erklärbar. Zum einen führt Herr Müller kein Fehlerheft. Zweitens würde Herr Müller durch solche Praktiken zusätzliche Angriffspunkte für seine Frotzeleien gewinnen und den »Spieß« gegen die Schüler wenden, was zu einem immensen Imageschaden führen könnte. Die Beobachtung aus dem Ethikunterricht führt zu der Frage, inwieweit die hohe Aufmerksamkeit für die Sprachfehler der Schüler und die kontinuierliche Korrektur im Unterricht
8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer«
seitens der Lehrerin den intendierten, falschen Sprachgebrauch im Unterricht fördern. Das Datum 61 demonstriert, wie präzise das gegenseitige Zuhören im Unterricht ist, und wie selbst die für Muttersprachler zulässigen Fehler absichtlich zugespitzt werden. In dieser Sequenz ärgert sich Aslan darüber, dass sein Vorschlag für ein Freundschaftsmerkmal von einem anderen Schüler artikuliert wurde. Aslan fühlt sich deswegen ausgenutzt und verärgert. Datum 61. Nützen. (08.11.2011) (89)(34:00) Ella (E), Aslan (A), Kayrat (K), mehrere (m) 01 A: isch hätte AUCH ne_gesagt alleh. (2.0) 02 NÜTZT misch aus. (2.0) 03 K: nützt(-)NÜTZT mich aus; [hahahahahahaha 04 ?: [frau gallee NÜTZT dich 05 aus? 06 m: hahahahahahahahahahahahahahahaha 07 K: hahaha NÜTZbereitschaft. 08 E: frau äh=frau galLEE,(-) 09 K: darf ICH sagen? 10 aslan hat gesagt NÜTZT mich aus. 11 A: das ist nicht SCHLIMM ich=schwör. 12 K: NÜTZT mich.
Aslan beklagt sich in Zeile 1, dass seine Mitschüler seine richtige Antwort vor der Klasse als ihre eigene präsentieren und deswegen von der Lehrerin gelobt werden. Aus der Sicht Aslans ist die Situation unfair und er beschwert sich daher über seine Mitschüler. Dabei spricht er das Verb ausnutzen mit einem »ü« statt mit einem »u« aus. Der Unterschied zwischen »nützen« und »nutzen« ist selbst im muttersprachlichen Kontext strittig: Beide können mit der gleichen Bedeutung verwendet werden. Obwohl sich die ganze Gruppe mit einer schriftlichen Aufgabe beschäftigt, die individuell gelöst werden muss und weshalb in der Klasse Ruhe herrscht, passen die Mitschüler sorgfältig auf. Sofort schwärzt Kayrat Aslans Fehler (Zeile 9-10) an. In der Gruppe bricht Lachen aus. Kayrat meldet nicht nur den Fehler bei der Lehrerin, sondern er neckt außerdem Aslan wegen seines Sprachgebrauchs (Zeile 3) dadurch, dass er Aslans früheres Wortspiel nachmacht und aus dem Verb ausnützen ein Nomen bildet – Nützbereitschaft. Die beiden Türken Aslan und Kayrat sind gute Freunde. In dieser Sequenz sorgt Kayrat dafür, dass so viele Fehler von Aslan wie möglich ins Heft von Frau Gallee übernommen werden. Dann kann Kayrat die Freude des Triumphes am Ende des Monats mit seinem Kumpel teilen. Aus diesem Grund fragt er Aslan vorsichtig, ob er den Fehler sagen darf (Zeile 9-10). Darüber hinaus bewegen
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Kayrat auch andere Gründe. Für einen kurzen Moment steht er ebenfalls im Rampenlicht des Geschehens: Er erkämpft sich seine Portion der Aufmerksamkeit, indem er die Lehrerin rechtzeitig informiert. An Kayrats Beteiligung sieht man, wie wichtig die Korrekturarbeit für einige Schüler dieser Gruppe ist. Selbst diejenigen, die keine Fehler machen, sorgen dafür, dass alle Fehler gehört, gemerkt und aufgeschrieben werden. Dadurch entsteht eine gegenseitige Kontrolle und eine gewisse Konkurrenz zwischen den Schülern. Wie diese Konkurrenz im Gespräch realisiert wird, stellt das Datum 62 dar. In der Ethikstunde wird über Liebe gesprochen. Die Schüler müssen beschreiben, was man empfindet, wenn man verliebt ist. Selma schlägt vor, dass man einen Kloß im Hals hat, wenn man verliebt ist und mit der geliebten Person spricht. Frau Gallee hört sich die Antwort der Schülerin an und fragt die Klasse, was diese Wendung bedeuten kann (Zeile 1-6). Dabei reagiert Aslan sehr überrascht und laut: was KLOß? WAS das?. Frau Gallee wendet sich an Selma und bittet um eine Erklärung für Aslan. Die erste Frage von Frau Gallee (Zeile 1-6) richtet sich an die ganze Klasse. Da Aslan sich als Erster dazu meldet, steht er jetzt im Fokus der Diskussion und die Erklärung der Redewendung wird für ihn allein ausformuliert. Datum 62. Kloß im Hals. (15.11.2011)(92)(43:00) Frau Gallee (L), Jinna (J), Selma (S), Aslan (A), Ella (E), Kayrat (K) 01 L: was ist denn DAmit gemeint; 02 die selma sagt gerade wenn man (-) 03 haLLO? (-) 04 wenn man mit (--)wenn man mit der person SPRICHT, 05 hat man_n KLOß im hals. 06 was ist denn DAmit gemeint. 07 A: was KLOß? (-) 08 E: hahahahahahaha 09 A: WAS das; 10 L: eh deswegen musst du für den=für den ASlan noch 11 mal genauer erklären. (-) 12 der WEIß auch nicht genau was du meinst. 13 A: (? ?) 14 K: ich WEIß das; (-) 15 L: aber die ANderen vielleicht? 16 wenn man mit der perSON redet in die man verliebt 17 ist, 18 dann hat man einen KLOß im hals. 19 was ist denn DAmit gemeint aslan? 20 K: ach ich WEIß schon.
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nein ich WEIß es. (--) ähm:: KLOß: im hals; man kann zum beispiel nicht so richtig REden, (-) ja (-) man LAbert irgendwie, [STO!ttern. [OH::: (?GAR nicht dran?) können [wir erst mal die JInna hören bitte noch mal; A: [STO!ttern. J: entweder man STOTtert oder so; (-) L: oKAY (-) oder? K: man REdet so hässlich (-) irgendwas so; A: hahahahahahahahahaha L: man REdet hässlich. (-) K: irgendwas SO. L: kannst du mir erKLÄren, kannst du mir erklären was DAmit gemeint ist; man redet HÄsslich? (geht zu ihrem Tisch,öffnet das »Fehlerheft«) das hab ich noch GAR nicht gehört.(trägt das Wort ein) A: WAS! das schreiben sie AUF? L: das schreib ich auf (-) geNAU. A: (?man hässlich REdet?) L: man redet HÄSSlich. (-) das hab ich AUCH noch nicht gehört. S: A: J: K: A: L:
Zuerst meldet sich Kayrat (Zeile 14): ich WEIß das. Frau Gallee ignoriert Kayrat und möchte erst jemand anderen hören. Diesen Anderen wählt sie selbst: was ist denn DAmit gemeint aslan? Beide Versuche von Kayrat (Zeile 20-21) werden ignoriert. Aslan überlegt sich, was »Kloß im Hals« bedeuten könnte (Zeile 23). Ohne dass Frau Gallee jemandem das Wort gegeben hat, steigt Jinna in die Konversation ein (Zeile 24) und erklärt, was diese Redewendung bedeutet. Kayrat bestätigt Jinnas Definition (Zeile 25). Die beiden – Jinna und Kayrat – werden von Aslan unterbrochen (Zeile 26). Er schreit Stottern! Kayrat und Aslan haben die Redewendung bereits verstanden und geben Signale, dass ihnen die Redewendung klar ist. Diese Antworten werden jedoch von Frau Gallee durch ihre Disziplin- und Ordnungshinweise unterbrochen (Zeile 27-28). Aslan gibt nicht auf, und wiederholt seine richtige Antwort in Zeile 29. Jinna erweitert ihre Definition mithilfe von Aslans Worten (Zeile 31). Frau Gallee bestätigt Jinnas Antwort, erwartet aber eine zusätzliche Erweiterung der Definition (Zeile 31)
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– bis Kayrat sagt: man REdet so hässlich (Zeile 33). Frau Gallee spricht Kayrats Aussage nach und versucht zu verstehen, was hässlich reden bedeuten kann. Sie bittet ihn um eine Erklärung (Zeile 37-40) und gibt an, dass sie diese Aussage noch niemals gehört hatte. Der Diskussionsverlauf deutet darauf hin, dass die Schüler die Bedeutung der Redewendung verstehen können: Ihnen ist klar, dass man beim Reden Schwierigkeiten hat. »Man redet hässlich« ist jedoch kein »schöner« Ausdruck, den sich Frau Gallee zu wünschen scheint. Die Lehrerin fragt nach einer zusätzlichen Erklärung des Ausdrucks. Der Fehler von Kayrat wird nicht korrigiert, die Lehrerin schreibt den Spruch auf und setzt den Unterricht fort. Ein paar Minuten später erkundigt sich Aslan bei Frau Gallee: 01 A: haben wir schon eine seite VOLL? 02 das ist schon GEIL!
Während der ganzen Stunde arbeiten Aslan und Kayrat daran, die Seite im Heft von Frau Gallee auszufüllen. Aslan findet diese Aktion »geil«, da es in dem Heft eine Menge Einträge von ihm gibt. Deshalb freut er sich auf das Ende des Monats, wenn er wieder mal als Coolster und Lustigster vor der Klasse stehen wird. Man erkennt in dieser Aussage auch, dass er kontinuierlich eine gewisse Kontrolle über den Stand der Dinge ausübt, so, als ob er an einem Wettbewerb teilnehmen würde. Zum Schluss der Stunde formuliert Mahmed noch eine Aussage: 01 M: das mit dem KLOßhals stimmt nicht.
Ein paar Sekunden später, nachdem die Gruppe und die Lehrerin darüber gelacht haben, kontrolliert er, ob sein Fehler registriert wurde: 02 M: haben Sie mich AUCH eingetragen?
Mahmed sorgt dafür, dass seine Aussage in die Liste der Fehler aufgenommen wird. Da das als Konkurrenz angesehen wird, reagiert Aslan unverzüglich auf Mahmeds Aussage: 03 A: hat er EXtra gelabert!
Aslan deutet an, dass Mahmeds Aussage keine spontane war, sondern ein geplanter, absichtlicher Fehler. Frau Gallee schreibt den Spruch trotzdem auf. Zusammengefasst entwickeln sich im Ethikunterricht der Gruppe Prozesse, in denen die Schüler und ihre Lehrerin die neue Kategorie »Ausländer« situativ und routiniert kreieren. Das »Doing« trägt einen interaktiven Charakter
8. Interaktionsdynamiken im Ethikunterricht: »Doing Ausländer«
und beruht auf den (vorgespielten) Sprachkenntnissen der Teilnehmer. Die Kategorie wird im Laufe des Unterrichts spielerisch behandelt, sodass die Gruppe regelmäßig ihre »Portion Spaß« bekommt. Die Lehrerin geht mit den sprachlichen Fehlern der Gruppe kreativ um, indem sie die sprachlichen »Defizite« im Unterricht anspricht. Dabei entsteht eine Dichotomie: Die Schüler bekommen Deutsch als Fremdsprache unterrichtet und geraten in ihren Kompetenzen häufig in eine Situation der kompletten Verunsicherung. Ihr erlerntes Wissen über die deutsche Sprache wird in Zweifel gezogen und kontinuierlich getestet, was von der Lehrperson sowie von den Mitschülern selbst initiiert und aufgebaut wird. Auch aktive Image-Arbeit ist in der Interaktion zu beobachten. Ausländische Ethnizität sowie »ausländische« Sprachkenntnisse sind die Währung, mit der Popularitätspunkte (Coolness-Punkte) gewonnen werden. Die Schüler provozieren und kontrollieren sich im Laufe der Interaktion gegenseitig, was sich in sehr präzisem Zuhören äußert. Sie gehen sogar gezielt kreativ mit der deutschen Sprache um: Sie bilden neue Wörter, neue Redewendungen, sogar neue Sätze und kreieren neue Nomen und Verbformen. Ihr »Ausländerkapital« steigt proportional zu der Popularität und der Coolness in der Gruppe ist.
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9. Die virtuellen linguistischen Landschaften der Schüler: Dissens-Diskurs
Virtuelle Räume sind ein fester Bestandteil im Alltag moderner Schüler. Zu Hause, unterwegs und sogar im Unterricht bleiben die Schüler vernetzt. Die Kommunikation in den sozialen Netzwerken ist zwar öffentlich zugänglich, allerdings nicht für jeden. Im Kontrast zu den Chats in Foren, die unter fiktiven Namen (»Nicknames«) geschrieben werden, sind Facebook Profilseiten und Diskussionen höchst individuell und beinhalten oft private Informationen der Benutzer (Klarname, Wohnort, Hobbys, Interessen, Informationen über Familien sowie über den Freundeskreis). Darüber hinaus können alle Interaktionsaktivitäten (Posts, Links, Uploads und Diskussionsbeiträge) individuell zurückverfolgt werden, was für die Authentizität der Posts spricht. Die virtuellen Räume von Facebook eröffnen informelle Kommunikationswelten der Schüler, die von Erwachsenen kaum kontrollierbar sind. Auf dieser internationalen Plattform treffen sich nicht nur die Schüler der H7, sondern auch ihre Freunde, die meistens im gleichen Alter (11 bis 14 Jahre) sind. Zum Teil sind die gleichaltrigen Geschwister ebenfalls Mitglieder der Community. Durch die Zusammensetzung der Interaktanten im gleichen Alter und aus der gleichen multiethnischen Schulklasse entsteht ein besonderes Sprachmilieu – das einer multikulturellen, mehrsprachigen Jugendcommunity. Um eine breitere Vorstellung über die komplexen sprachlichen Milieus der einzelnen Schüler zu gewinnen, widme ich dieses Kapitel den Interaktionen in der informellen Domäne »Facebook«. Die Facebook-Aktivitäten der Schüler und ihre »Seiten« (d.h. ihre persönlichen »Profile«) betrachte ich hier als virtuelle linguistische Landschaften, auf denen sich eine Bearbeitung des Alltagsgeschehens abspielt. Genauso wie die physischen linguistischen Landschaften (LL), sind die Facebook-Räume in den meisten Fällen öffentlich zugänglich und werden einem relativ großen Publikum angeboten, weshalb sie ebenfalls als »symbolic construction of the public space« betrachtet werden können (Ben-Rafael 2009: 41). Der soziolinguistische
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Wert der LL besteht darin, dass in ihnen gesellschaftliche Machtbeziehungen zum Ausdruck kommen: The Linguistic Landscape can inform us about and exhibit some of the underlying ideas, ideologies, conflicts and power struggles between different stakeholders. The outcome is the constructed landscape as a whole, which can be an important indicator of ongoing social change. (Gorter 2012: 11)
Im Zentrum der Aufmerksamkeit der LL-Forschung stehen die Sprachen (Schreibweisen, Varietäten etc.) und die öffentliche Sprach-/Migrationspolitik des erforschten Gebietes (Stadt, Bundesland, Region etc.) (Gorter 2012: 10). Deswegen werden die meisten Untersuchungen der LL in Großstädten durchgeführt, in denen multiple Kulturen und Sprachen aufeinandertreffen (Ivkovic/Lotherington 2009: 18). In der vorliegenden Fallstudie übernimmt die Schulklasse die Rolle einer multiethnischen Community, die online auf den informellen linguistischen Landschaften einen gemeinsamen We-Code kreiert. Die Analyse der Sprachlandschaften eröffnet einen Einblick in laufende Prozesse des Sprachgebrauchs, der Globalisierung und der Mehrsprachigkeit (Gorter 2012: 10). An besonderer Bedeutung gewinnt ein Sprachgebrauch, der das Potenzial besitzt, eine gesellschaftliche Resistenz gegen die lokalen Autoritäten und ihre Entscheidungen zu demonstrieren: The use of languages in the public sphere can be strictly regulated by the authorities, who dictate the use of certain languages and prohibit the use of others. Often the authorities try to control and steer the use of languages in the linguistic landscape and thus they develop language policies that contain detailed requirements. As the linguistic landscape can be one of the most perceivable signs of diversity in the city that authorities may use their power to give preference to certain language groups and to exclude or diminish the presence of others. (Gorter 2012: 10)
Neben Prozessen der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit Sprachpolitik beschäftigt sich die LL-Analyse mit Fragen der Identitätsbildung (Ivkovic/Lotherington 2009: 17). Diese geraten ebenso in den Fokus der Analyse der virtuellen linguistischen Landschaften (VLL): Analogous to the physical LL, the virtual LL serves to delineate the linguistic community and to mark language status in expressed power relations among the coexisting linguistic choices in the cyberspace community. The VLL describes the linguistic cyberscape just as the LL describes the linguistic cityscape. In this way, the VLL functions as an identity marker, providing choice in textual access and expression. (Ivkovic/Lotherington 2009: 19)
9. Die vir tuellen linguistischen Landschaf ten der Schüler: Dissens-Diskurs
Dementsprechend finden Aspekte des Sprachgebrauchs, der Identitäsmarkierung sowie von Machtbeziehungen in den virtuellen Sprachlandschaften ebenfalls ihren Ausdruck und Widerspiegelung. In Relation zu den Schülern agieren mehrere Parteien als dominierende (Macht-)Autoritäten: der Staat mit seinen Gesetzen und seiner Kulturpolitik, die Schule mit ihrer normierenden Funktion und die Eltern. An dieser Stelle muss erläutert werden, dass die Lehrer und die Eltern der H7 keinen Zugang zu den Schülerprofilen haben: Entweder besitzen sie kein Konto oder sie werden von den Jugendlichen nicht als Facebook-Freunde akzeptiert, so die Aussage Schüler. Das sichert den Schülern und ihren Interaktionen einen gewissen Grad an Sicherheit und Freiheit. Der Facebook-Raum ist jedoch keine ausschließlich private Zone, da die Gestaltung der einzelnen Profile sowie die Interaktionen (»Sharing«, »Likes«, Teil-Funktion, Kommentare) unter Beobachtung mehrerer Beteiligter verläuft. Mit Rückblick auf die sprachliche Situation in informellen Kontexten fasse ich die Sprachkompetenzen der Schüler kurz zusammen. In Umfragen und Nachbesprechungen wurde angegeben, dass fast die Hälfte der H7-Schüler zu Hause eine andere Sprache als Deutsch spricht. Manche geben an, dass sie zu Hause mehr als eine Sprache sprechen oder sogar Mischungen aus mehreren Sprachen. Viele von ihnen besuchen bestimmte Domänen, für die eine spezifische Sprache reserviert bleibt: eine pakistanische/türkische Moschee oder ein türkischer Sportverein. In Facebook lässt sich diese multikulturelle, mehrsprachige Realität der Schüler deutlich erkennen. Facebook fungiert als Ort, an dem eine ununterbrochene, alltägliche Identitätsarbeit unkontrolliert geleistet wird. Diese Arbeit wird in der Facebook-Öffentlichkeit mittels aktiver, kooperierender Mitwirkung der Gleichdenkenden und Gleichlebenden realisiert. Ein wichtiger Unterschied zu den bisherigen Untersuchungen zu Jugendsprachen in den neuen Medien ist, dass diese Analyse einen Bezug zu den realen Interaktanten in ihren realen Lebenswelten besitzt. Die Analyse der Online-Kommunikation erfolgt begleitend zu der realen »Live«-Kommunikation der Schüler. Im Allgemeinen sind die Communitymitglieder entweder H7Schüler oder Schüler anderer Klassen der gleichen Hauptschule, weswegen es sich bei den Interaktionen trotzdem um das gleiche schulische Milieu handelt. Zusammengefasst eignen sich virtuelle Räume für soziolinguistische Untersuchungen aus zahlreichen Gründen. Erstens ist die Authentizität der Beiträge leicht zurückzuverfolgen. Zweitens handelt es sich bei der FacebookKommunikation um nicht institutionell kontrollierte, informelle Kommunikation. Drittens ist die Untersuchung der Facebook-Interaktionen gruppenspezifisch und gruppenbegleitend (zum Kontrast vgl. Hellberg 2014), was sich ideal für den Vergleich des Sprachgebrauchs in unterschiedlichen Domänen eignet (Schule vs. Facebook).
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9.1 A usbau der multikulturellen virtuellen L andschaf ten Unausgesprochene Konflikte und Nichtübereinstimmungen mit den herrschenden Regeln und Realien des Jugendalltags finden in halb-geschützten Facebook-Räumen ihren Ausdruck. Hier werden die »verbotenen Sprachen« gesprochen sowie »fremde Kulturen« ausgelebt. So werden beispielsweise regelmäßig internationale Witze oder Selbstparodien gepostet, die den Alltag der Schüler ausmachen und die der ganzen Klasse zur Diskussion angeboten werden. Das Datum 63 wurde von Sasha auf seiner Profilseite gepostet. In dem Datum wird die Alltagssituation »Telefonieren« thematisiert, die in unterschiedlichen Sprachen und Kulturen unterschiedlich verläuft. Die standardisierte Meldung am Telefon ist durch kulturelle Aspekte gekennzeichnet: So meldet sich beispielsweise der Russe mit einem Schimpfwort (da bljad). Im Kontrast zu anderen (Sprach-)Kulturen meldet sich der höfliche Deutsche mit dem kompletten Namen und einem sehr langen Satz. Die Kontrastierung der »Ausländerkultur mit der der Deutschen ist eines der beliebtesten Motive der »Posts«. Dadurch entstehen zwei große Kulturgruppen, über die gefrotzelt, gewitzelt und gelacht wird. Dieser Post sammelte 24 »Likes« und bekam eine Bestätigung in einem Kommentar. Datum 63 (Sasha). Am Telefon Haus Telefon klingelt: Chechener: Allow? Russe: Da bljad Araber: Aaalloo? Albaner: Urno? Kurde: Rojbas? Türke: Efendim? Franzose: Allo? Engländer: Hello? Spanier: Hola? Deutscher: Heinrich-Willhelm-Dieter am Aparat, wer ist dran?? (10. Dezember 2012) Kommentare: isso ;D (21:34)
Datum 64 ist ein »Post« von Alice, in dem sie die kulturellen Unterschiede zwischen Ausländern und Deutschen thematisiert. Mit kulturellen Unterschieden wird auf der Plattform in den meisten Fällen humoristisch umge-
9. Die vir tuellen linguistischen Landschaf ten der Schüler: Dissens-Diskurs
gangen. Häufig rutschen die Bewertungen sowie die Kontrastierungen in das National-Stereotypische. Datum 64 (Alice). Therapie Habt ihr schon mal einen Ausländer bei einer Therapie gesehen?! Nein ich auch nicht. J
Ebenso zahlreich sind Posts mit Inhalten über die Herkunftskultur bzw. das Herkunftsland der Schüler: Die Schüler registrieren sich auf Seiten mit russischem/türkischem/marokkanischem etc. Inhalt oder bekommen Links von ihren Facebook-Freunden weitergeleitet. Die Inhalte werden dann in einer ethnisch heterogenen Gruppe bewertet, kommentiert, weitergeleitet, mit dem Kommentar »like« versehen. Als typisches Beispiel dient das Video (Datum 65) von Alice, auf dem sich ein Marokkaner lächerlich macht. Nicht selten sind die Posts mit Unterschriften wie »Normale Kinder & Arabische Kinder« oder »Russenstrasse« etc. versehen. In Datum 66 wird über die Sat1-Show »Die strengsten Eltern der Welt« diskutiert, in der es darum geht, deutsche Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen in ein fremdes Land zu fremden Eltern zu schicken, damit sie ihr Verhalten gegenüber ihren eigenen Eltern in Deutschland verbessern können. Alice bezweifelt, ob ein »africanisches« Kind sein Temperament und seine »Brutalegewalt« an der eigenen Mutter im vollen Maße »rauslassen« könnte. Die Schülerin zieht eine kulturelle Grenze zwischen deutschen und afrikanischen Kindern. Ihre Freundin Zarina, die afghanischer Herkunft ist, generalisiert die Aussage und überträgt sie auf alle ausländische Kinder. Der Post bekam 20 Likes aus der Community. Man erkennt hier, wie die Vergemeinschaftung, die in der multiethnischen Community betrieben wird, sowie Übereinstimmung über die Generalisierbarkeit einiger Alltagspraktiken konstruiert werden. Dadurch entsteht ein polarisierender Wir-Diskurs, in dem eine verallgemeinerte ausländische Kultur mit der deutschen in Vergleich gesetzt wird. Datum 65 (Ella). Maroccan I love Maroccan’s Das hat schon JEDER Marokkaner erlebt hahahahahahaha Datum 66 (Alice). German kidz Diese German kidz setzten ihre Brutalegewalt an ihre Müttern aus haha ich möchte gerne mal sehen wo ein africanisches Kind seine Gewalt an der Mutter raus lässt.
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Unterschiedliche Aspekte der eigenen Herkunftskulturen werden humoristisch behandelt. Im Datum 67 beispielsweise geht Mahmed mit dem religiösen Aspekt seiner kurdischen Kultur humoristisch um, indem er einen Deutschen und einen Kurden einander gegenüberstellt. In Datum 68 setzt sich Aslan mit der Aussprache von türkischstämmigen Sprechern im Deutschen auseinander. Dieser Post spiegelt die phonetischen Besonderheiten Türkisch sprechender Deutscher in der deutschen Sprache wider. Datum 67 (Mahmed). Kurde - Deutscher Deutscher: kauft sich ein Auto Kurde: kauft sich auch ein Auto Deutscher: fährt mit seinem Auto Kurde: fährt auch mit seinem Auto Deutscher: schüttet Wasser auf sein Auto Kurde: schneidet ein Stück vom Auspuff ab Deutscher fragt: »Warum machst du das?« Kurde antwortet: »Du bist katholisch und taufst dein Auto« Ich bin Kurde ich beschneide mein Auto!« (19. August 2011) Datum 68 (Aslan). Deutsch-Türkisch Yeah J hahah Guten morden Freunde Hayirli arkadaslar. Menhec-i Rabbani Deutsch - Türkisch Brötchen - burutschin Arbeitsamt – Arbayszam Kleingeld – Kilaynageld Stuttgart – Schutututgart Hauptschule – Haptşule Hausmeister – Havuzmaystir Spielen – schipilen
Ebenso häufig lassen sich jedoch monokulturelle länderspezifische Posts sehen. Zum Beispiel postet Ruslan das Video in Datum 69 mit der Überschrift »Alle die Russisch verstehen«. Die Überschrift fungiert einerseits inkludie-
9. Die vir tuellen linguistischen Landschaf ten der Schüler: Dissens-Diskurs
rend für russische Sprecher und exkludierend für nicht-russischsprachige Mitglieder der Community. Datum 69 (Ruslan). Alle die Russisch verstehn Alle die Russisch verstehn!!!!!!!! Videolink: »Böser frecher kleiner Russe« (26. Februar 2012) Datum 70 (Sasha). Russaki Russaki nachuj! J Videolink: Darf ich vorstellen: Die Jungs mit den dicksten Eiern der Welt! (14. Februar 2012)
Überschriften exkludierender Natur werden außerdem häufig auf »Ausländisch« geschrieben und dadurch an einen spezifischen Leser (recipient design) angepasst. Beispielsweise postet Sasha ein Video (Datum 70), das er auf Russisch beschriftet. Die Überschrift beinhaltet eine Gruppenbezeichnung der Russlanddeutschen (»Russaki«) mit einer vulgären Interjektion (»nahuj«). Die Überschrift ist in zweifacher Sicht exkludierend: Angesprochen werden nicht nur die Russischsprecher, sondern spezifisch die Russlanddeutschen, für die der Begriff »Rusaki« (hier mit falscher Orthografie) eine gruppenspezifische Selbstbezeichnung ist. Außerdem wird die Überschrift mit dem lateinischen Alphabet ausgeführt. Dementsprechend schneidet Sasha seine Anrede entsprechend auf sein Publikum zu: Die meisten seiner Russisch sprechenden Facebook-Freunde sind Russlanddeutsche. Die Auseinandersetzung mit ethnischen Stereotypen ist ebenfalls keine Seltenheit auf den Profilseiten der Schüler. So baut Sasha sein Image eines frechen Russe weiter aus, indem er der Facebook-Diskussion Wodka-Posts anbietet. Das Datum 71 bringt den Russen wieder mit seinem Wodka zusammen: Scheiß auf alles, Scheiß auf jeden, nimm ne vodka und scheiß aufs leben. Datum 71 (Sasha). Wodka Scheiß auf alles Scheiß auf jeden Nimm ne vodka und scheiß aufs leben
Durch ähnliche Posts löst Sasha entsprechende Reaktionen der Leser aus (Datum 72), die mit Sashas stereotypisiertem Image als »cooler Russe« spielen. So kommentiert Sasha seinen Zustand als »Tod – mit Alex«. Es geht um Sashas Zustand nach einer Party, auf der der Schüler mit seinem Freund an-
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geblich zu viel Alkohol konsumiert hat. Darauf folgt die entsprechende Diskussion, die ebenfalls ethnisch-stereotypisch konnotiert ist. Datum 72 (Sasha). Wodka-Milch Tod – mit […] (23. Februar 2013) Kommentare: Fuck-.-J sooo Tod hahah (09:20) So muss es sein..(09:29) Ne muss es ned, gestern bissien uebertrieben J (09:29) Du bist russe^^ (09:48) Da musst du die scheise weghauen wie Milch J (09:49) …aber bei zuviel milch gibt der russe auch nach,) (09:50) Haha, du idiot:D (09:56)
Nachdem Sasha zugibt, dass er es mit dem Alkohol gestern vielleicht »bissien übertrieben hat«, weist ihn sein Freund darauf hin, dass er Russe ist und dass er »die scheise« (Alkohol) wie Milch »weghauen« muss. Hier werden ebenfalls zwei Kategorien geschaffen: Russe vs. Nicht-Russe. Die entsprechende, zugeschriebene, kategorienspezifische Aktivität ist der unbegrenzte Alkoholkonsum. Sasha streitet diese Zuschreibung nicht ab, sondern setzt die stereotypische Behauptung fort, indem er erklärt, dass selbst ein Russe bei »zuviel milch« nachgeben muss. Kulturspezifische Artefakte werden ebenfalls zu Hilfe gerufen. Beispielsweise aktiviert das Bild des Kondensmilch-Sportanzugs (Datum 73) eine bestimmte Gruppe von »Zuschauern«: Russen, die die übrig gebliebenen Realien der russischen Esskultur im Ausland pflegen. Bei diesem Post wird der Einfluss der Elternhäuser unübersichtlich. Alle Kinder der H7 wurden in Deutschland geboren und können deshalb typische Essprodukte aus der Sowjetunion lediglich über die Spätaussiedlergruppe kennen. Datum 73 (Danil und Alex). Milch
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Die Kondensmilch auf dem Sportanzug ist nicht Teil der modernen, russischen Esskultur, sondern stammt aus den Zeiten der Sowjetunion und ist dementsprechend den Eltern der Schüler bekannt. Selbst die Schüler, die kein Kyrillisch lesen können (die Überschrift lautet »Sguschenoe Moloko«, dt. »Kondensmilch«), gaben dem Bild ein »Like«. Das könnte daran liegen, dass die Verpackung (Farbe, Design) standardisiert ist und jedem »russischen« Kind aus seiner Kindheit bekannt ist. Dieser Post setzt bei den Communitymitgliedern mehrere gleichzeitige Kompetenzen voraus: Erstens müssen sie über das gemeinsam geteilte kulturelle Wissen verfügen; zweitens müssen sie Russisch sprechen; drittens müssen sie Kyrillisch lesen können. Nicht jeder Russe aus der H7 ist dazu in der Lage, Kyrillisch zu lesen oder zu schreiben. In den meisten Fällen wird Russisch mittels des deutschen Alphabets phonetisch verschriftlicht, wie beispielsweise in Danils Kommentar zu dem Bild – »moloko«. Zusammengefasst kann man sagen, dass in der Facebook-Community grenzenlose multikulturelle virtuelle Landschaften kreiert werden. Diese informellen Räume werden aktiv für die Auseinandersetzung mit den kulturellen Prozessen im realen Leben genutzt. Die Vergemeinschaftungen der einzelnen ethnischen Gruppen erfolgten über das Posten von kulturspezifischen Videos und Bilder, die häufig auf eigene Kosten humoristisch gestaltet werden. Die kulturspezifischen und ethnienspezifischen Posts wirken nicht nur exklusiv, indem sie nur eine spezifische Gruppe ansprechen (z.B. Russlanddeutsche), sondern sie können von den Interaktanten ebenfalls verallgemeinert und auf »alle Ausländer« übertragen werden. An zweiter Stelle der Beliebtheitsskala der Online-Aktivitäten steht die Kontrastierung der eigenen Herkunftskultur mit der der Deutschen. Sie verläuft ebenfalls im humoristischen Modus und auf eine spielerische Art. Im Allgemeinen tragen die virtuellen Landschaften der H7-Schüler internationalen, multikulturellen und humoristischen Charakter. Welche sprachlichen Prozesse diese multikulturellen virtuellen Landschaften begleiten, wird im Folgenden untersucht.
9.2 A usbau der mehrspr achigen virtuellen L andschaf ten Die Sprachverwendung in der Community ist durch aktives Code-Switching und Code-Mixing gekennzeichnet. Besonders häufig wurden Posts auf Russisch, Lingála und Türkisch registriert. Durch eine genaue Betrachtung einzelner Posts gewinnt man einen tieferen Einblick in den informellen Sprachgebrauch der einzelnen Schüler sowie in die von ihnen gesprochenen Sprachvarietäten, insbesondere in die Verwendung des »Ausländischen«. Im Folgenden gehe ich selektiv auf einzelne Elemente der Wortkreationen der selbst ernannten »Asylanten« ein.
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9.2.1 Das Deutsch der Russlanddeutschen Eine der größten kulturellen Subgruppen innerhalb der Facebook-Gruppe der Klasse sind die Russlanddeutschen. Die Daten 74 und 75 beispielsweise richten sich an die Russlanddeutschen, die in Deutschland sozialisiert und alphabetisiert wurden: Sasha selbst kann das kyrillische Alphabet weder lesen noch schreiben. Das erkennt man daran, dass er die Wörter falsch buchstabiert. In Datum 74 findet man ein ausführliches Beispiel des Russischen, in dem Ruslan seinem ebenfalls russischem Freund Maxim zum Geburtstag gratuliert. Die Anrede erfolgt im informellen Modus und fängt auf Russisch an: »Maxim mein Bruder/Kumpel (inform.)!!! Ich gratuliere dir zu deinem Geburtstag!« (Übersetzung durch die Verfasserin). In der zweiten Zeile findet man zahlreiche grobe Rechtschreibfehler, die nicht nur durch die Transliteration verursacht wurden. Die Schreibweise der einzelnen Wörter entspricht nicht mit dem phonetischen Muster überein: /*prasdrjawljaju/ statt /pazdrawljaju/, /*raschdjena/ statt /rajdenija/. Anders gesagt, erfolgt die Übertragung auf Lautwerte des Deutschen auf eine ungewöhnliche Weise. Außerdem ist es üblich, die Rechtschreibung bei der Transliteration beizubehalten: So muss es heißen »pozdravlyayu s tvoim dnem rojdenija«. Die präpositionale Anbindung ist ebenfalls falsch: Statt na (Akkusativ) sollte es s (Instrumental) heißen. Daraus folgt, dass die Kasusbildung bei dem begleitenden Possessivpronomen (twoi statt twoim) sowie bei dem Nomen (raschdjena statt rojdenija) falsch ist und nicht dem normativen Register des gesprochenen Russischen entspricht. Die Gratulation wird schließlich auf Deutsch abgerundet: »ich stoß später auf dich an«. Datum 74 (Ruslan). Geburtstag Maxim moj bratan!!! J Ja prasdrjawljaju tebja na twoj djen raschdjena! Ich stoß später auf dich an!! Kommentare: spasibo tovarisch!!! J nje sa sto:33
Man erkennt in diesem Beispiel diejenigen sprachlichen Codes, die für hochritualisierte Bereiche/Anlässe reserviert sind, in diesem Fall die Geburtstagswünsche. Maxim – ein Russlanddeutscher – bedankt sich ebenfalls auf Russisch (spasibo) und verwendet dabei die Anrede »Towarisch« (tovarisch), die zum spielerischen Repertoire der Russen gehört. Ruslan antwortet darauf »nje sa sto« (macht nichts/bitte). Der letzte Kommentar ist phonetisch ebenfalls ungewöhnlich übertragen: /nje sa sto/ statt /ne za schto/. Der Laut з (»sa«) in
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russischer Transliteration erfolg gewöhnlicherweise mittels des Buchstaben z. Außerdem wird der Laut ш üblicherweise als »sch«, »4« oder »tsch« übertragen. Die Übertragung des Lautes з (wie in »sa«, Datum 74) scheint zum sprachlichen Code der Russlanddeutschen zu gehören, da diese in mehreren Beispielen zu sehen ist (vgl. »saj4ik« in Datum 79). Datum 75 (Sasha). Hund Sabaka♥ Kommentare: Haha sabaka J J J wer von den beiden? Du du lauch J
Auch das Datum 75 richtet sich an die Russisch sprechenden Leser. Sasha bekommt einen Hund zum Geburtstag geschenkt und postet das Bild mit dem Hund auf seiner Profilseite. Die Überschrift lautet russ. Sabaka (dt. Hund). Die phonetische Schreibweise ist korrekt, die orthografische jedoch falsch (korrekte Rechtschreibung: Sobaka). Ähnlich wie im Unterricht, bleibt Russisch für die Schimpfpassagen reserviert. Dadurch werden nicht nur rezipientenspezifische Ziele erreicht (exkludierende oder aktivierende), sondern es werden auch identitätsbildende Aktivitäten ermöglicht. In Datum 76 informiert Sasha seine Communityfreunde über die seine Reise nach Russland mit den Eltern. Die Reaktionen der Leser folgen auf Deutsch. Zum Schluss kommentiert Sasha seine Reise mit »cheraschu« (vulgär für dt. »ich fahre weiter«). Dadurch rekonstruiert Sasha seine Identität als cooler Russe, der sich in diesem Moment schon in Russland befindet. Datum 76 (Sasha). Cheraschu Kommentare: Gute reise und viel Spaß! (00:11) (13. Juli 2013) Danke J (00:12) (13. Juli 2013) Machs gut brudi J Viel spaß (00:38) (13. Juli 2013) Danke danke bro, wenn ich wieder da bin erstmal dick party! (00:40) (13. Juli 2013) Haha J (00:42) (13. Juli 2013) Gib dir (08:59) (13. Juli 2013) Sowieso J (09:12) (13. Juli 2013) Cheraschu (20:06) (14. Juli 2013)
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Zur Verwendung des Russischen kommt es außerdem in privaten Beziehungsinteraktionen wie Liebe und Sympathien. In solchen Fällen ist die Anzahl der »Likes« sehr gering. Das kann durch die hoch selektive Natur der Inhalte erklärt werden. In Datum 77 zitiert Alex ein populäres Liebeslied auf Russisch: a ti menja lubisch? (dt. »liebst du mich?«). Dieser Post setzt gemeinsames Wissen der Sprecher voraus: Anna – die Freundin von Alex – ergänzt das Lied ebenfalls auf Russisch (aga. a ti so mnoi budish? dt. »ja. Und wirst du mit mir zusammen sein?«). Darauf folgt die Ergänzung von Alex (aga. dt. »ja.«). Das Datum demonstriert nicht nur eine rezipientenspezifische Interaktion, sondern auch das gemeinsam geteilte Wissen über moderne russische Musik. Es zeigt, dass es in den Alltagsinteraktionen nicht nur um das spielerische Ausländersein geht, sondern dass die Herkunftskulturen zu Hause und unter Freunden durchaus gepflegt werden. Datum 77 (Alex). Lied A ti menja lubisch?♥ Kommentare: Aga ♥A ti so mnoi budisch? (17:55) Aga ♥(17:56)
Ein weiteres Charakteristikum der bilingualen Schüler der H7 ist ihre Kreativität bei den »Sprachbasteleien« (Hinnenkamp 2010). Betrachtet man die Interaktionen der Russen aus der H7, so stellt man fest, dass sie oft zum Mixen ihrer Codes neigen. Dadurch, dass die russlanddeutschen Jugendlichen in der Lage sind, mit den Morphemen und der Lexik der beiden Sprachen zu »basteln«, grenzen sie sich mit ihrem We-Code von den anderen Schülern ab. In Datum 78 kommentiert Sasha das Fußballspiel zwischen Borussia Dortmund (BVB) und dem FC Bayern. In der Diskussion über das Spiel kommt es zu einer »freundlichen Feindlichkeit« der Sprecher: Elena, ich hasse dich jezzt.: (((spaßik. »Spaßik« wird vom nächsten Sprecher wiederholt und mit Smileys unterstützt. Diese Interaktion verläuft lediglich unter den russlanddeutschen Jugendlichen. Die Interaktionssprache ist Deutsch. Mit dem Deutschen wird hier jedoch spielerisch und kreativ umgegangen. Dem Lexem spaß wird das russische diminutive Suffix -ik beigefügt, der das dem Wort »Spaß« eine modifizierte Bedeutung von »kleiner, nicht absichtlicher Spaß« verleiht. Weder im Deutschen noch im Russischen kann diese neue Kreation verstanden werden. Allein durch Berücksichtigung der sprachlichen Biografien der einzelnen Sprecher wird eine Deutung derartiger Interaktionen möglich. Kreationen dieser Art demonstrieren, dass den Sprechern die morphologischen Möglichkeiten bzw. die Grenzen der beiden Sprachen bewusst sind. Außerdem kreieren die
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Russen auf den VLL ihrer Schulklasse eine Subgruppe, die sich durch solche Code-Mischungen nach außen abgrenzt und nach innen vergemeinschaftet. Datum 78 (Sasha). Spaßik Was los mit euch schwaz gelben affen? :DDDDDDDDDF FC BAYERN!!! (25. Mai 2013) Kommentare: ich habe allen gesagt das bayern gewinnt! (22:08) 1:1 bro (22:10) Wart ab (22:10) :DD (22:10) BVB♥♥♥ (22:14) […] ich hass dich jezztL(( spaßik J (22:16) spaßik haha J (22:16) :DDD (22:17) Datum 79 (Sasha). Saj4ik Kommentare: ich sehe nur cap und Kippe…J (14:50) (11. Januar) Mehr brauch man auch nicht zu sehen J (14:51) (11. Januar) Du rauchs im Bad?! J (14:54) (11. Januar) Damit reißt nix auf…(14:54) (11. Januar) Beschteee saij4k J (15:06) (11. Januar) Wies9 hast du denn pulli J… fühlst dich jez fame:*xD (17:06) (11. Januar) J hab ich von […] bekommen und der pulli ist geil ♥(17:18) (11. Januar) J (17:23) (11. Januar) Süüüüska J aber trotzdem nicht Fame JJ (19:04) (11. Januar) Брось каку! Фу! Это не модно;) (10:57) (16. Januar)
Um die Möglichkeiten und die Variationen dieser Mischformen zu verdeutlichen, widme ich mich der Interaktion in Datum 79. Sasha postet das Bild, auf dem er eine Baseballcap trägt und dabei eine Zigarette raucht. Unter dem Bild ist die folgende Interaktion zu beobachten: Einer der Kommentare stammt von seiner russischen Freundin: Beschteee saij4ik (dt. »beschteee Häschen«). Beschteee (»beste«) wird zur Betonung der gruppenspezifischen Merkmale phonetisch ausgeschrieben. Die Anrede »Häschen« ist freundlich-informeller Natur. Darauf folgen Kommentare auf jugendsprachlichem Deutsch: Wies9 hast du denn pulli… fühlst dich jez fame. Fame heißt auf jugendsprachlichem Deutsch
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»cool«. Die Antwort von Sasha erfolgt auf Deutsch. Eine andere Russin macht einen weiteren Kommentar: süüüßka... aber trotzdem nicht Fame. Ähnlich wie spaßik (s.o.) wird das deutsche Adjektiv »süß« den Prozessen der Russifizierung sowie der Nominalisierung unterzogen: Aus dem Adjektiv wird ein Nomen gebildet. Zu dem Adjektiv »süß« wird das russische Nominalisierungssuffix -ka hinzugefügt. Der Kommentar wird auf Deutsch fortgesetzt. Wieder wird zum jugendsprachlichen Deutsch/Englisch gewechselt (nicht Fame). Zum Schluss der Diskussion folgt eine Russin mit einem Kommentar auf Russisch, der auf Kyrillisch verschriftlicht wird: Брось каку! Фу! Это не модно (dt. Lass die Scheisse! Iggit! Das ist nicht modisch/cool.). In dem Datum registriert man zahlreiche Sprachübergänge. Schematisch sieht die Interaktion folgendermaßen aus: Deutsch (D), Russisch (R), jugendsprachliches Deutsch (J), Deutsch der Russlanddeutschen (RD), Russisch auf Kyrillisch (RK) D D D D D+R D+J D RD+D+J RK
Die rahmende Funktion übernimmt in der Diskussion das Deutsche und ist somit »base language«. Alle weiteren Sprachbildungen werden dem deutschen Konstrukt angepasst. Diese Russeninteraktionen können außerdem gezielt exkludierende Natur haben und dienen gleichzeitig der Regelung der Machtbeziehungen in der Gruppe. Beispielsweise wird das Schimpfen zwar rezipientenspezifisch, jedoch mittels des deutschen Alphabets verfasst, sodass die Machtbeziehungen in der Community wiederhergestellt werden. Als Beispiel dient die Interaktion in Datum 80: Sie verläuft zwischen Danil und einem Russe aus seiner Clique. Danil beschimpft den Russen auf Russisch (paschol nachuj – phonetische Transliteration, dt. »verpiss dich«). Die Interaktion ist für alle in der Community sichtbar, allerdings können nur die Russen die Bedeutung der Diskussion mitverfolgen und die Schlagfertigkeit von Danil einschätzen. Datum 80 (Danil). Schimpfen
9. Die vir tuellen linguistischen Landschaf ten der Schüler: Dissens-Diskurs Manchmal sind deine Feinde besser als deine Freunde; sie stehen mit dem Messer vor dir, nicht hinter dir…. J (27. November 2012) Kommentare: Wie du die ganzen Sprüche von Facebook pages klaust und postest;D (20:27) (27. November 2012) paschol nachuj :DDD (15:36) (28. November 2012) Selber :P (15:47) (28. November 2012) :PP (18:08) (28. November 2012) Datum 81 (Ruslan) Brat Kommentare: ich bin NICHT süß -.-…..(18:27) (12. Dezember) Doooch :DD (18:28) (12. Dezember) Hehe! *^*♥(18:28) (12. Dezember) Love you tooJ (18:29) (12. Dezember) Ich hasse dich ♥(18:29) (12. Dezember) Luv u too little brat ♥c: (18:29) (12. Dezember) < 27 freunde und einer hässliger scheißkerl! (18:31) (12. Dezember)
In Ergänzung zu Datum 80 beinhaltet Datum 81 die Interaktion der Russen auf Ruslans Profilseite. Ruslan postet ein neues Profilbild. Die Diskussion beinhaltet die Beurteilung seines neuen Bildes. Hier interagieren unterschiedliche Codes, die sich schematisch folgenderweise abbilden lassen: Deutsch (D), Russisch (R), Englisch (E) D D D E D E+R D
Die Selbstverständlichkeit der englischen Sprache als Sprache der medialen Kommunikation und der Musikkultur ist ebenfalls ein Merkmal der H7-Sprecher. Viele spielerische, interethnische Kommentare werden auf Englisch verfasst, die nicht allein standardisierte Aussagen wie »I love you« beinhalten. Die Schüler zitieren die Texte englischsprachiger Künstler. Unterschiedliche einzelne Kommentare wie »how cute« oder »sweety« sind gang und gäbe. Auch
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die informelle russische Anrede brat (dt. »Bruder«, geschlechtsspezifisch für Männer) wird in den englischen Satz eingebettet.
9.2.2 Türkisch und »Basteleien« Die türkischen Schüler demonstrieren im Facebook-Raum ihre muttersprachlichen Kompetenzen ebenfalls. Oft wird die Bewertung der Profilbilder auf Türkisch realisiert. Dabei ist zu betonen, dass Türkisch überwiegend den Komplimenten vorbehalten bleibt. Datum 82 ist ein Beispiel für eine solche Bewertung. Das neue Profilbild von Aslan wird von einer seiner Freundin auf Türkisch bewertet: kivircik sacini yesinler (dt. »was für tolle Locken«). Aslan bedankt sich bei der Freundin ebenfalls auf Türkisch: sgl. (Abkürzung von sağ olun – dt. »Danke«). Ein weiteres Beispiel dafür ist in Datum 83 zu beobachten: Auch hier bekommt Aslan ein Kompliment: Vay yakisiklimm (dt. »ach mein Hübscher«). Datum 82 (Aslan). Neues Profilbild 1 Kommentare: Hahahahahahahahahahahahhahahaha (22:27) (1. März) ♥(22:27) (1. März) kivircik sacini yesinler :DD (00:21) (2. März) haha sglJ (00:22) (2. März) Datum 83 (Aslan). Neues Profilbild 2 Kommentare: Vay yakisiklimm J (20:00) (24. August 2013) Addeee Bitttte? ♥ (13:51) (27. August 2013) Bruder Ballert ♥ (18:28) (27. August 2013) Auch wenn es Gestern war, ist gut (27. August 2013)
Außerdem finden sich folgende Ausdrücke, die einen ähnlichen Inhalt haben: ablasinin yakisiklisi (dt. »du bist mein hübscher (Bruder)«) oder auch yakiyon ortagli (dt. »du siehst sehr gut aus«; wörtlich »dein Aussehen bringt die Umgebung zum Brennen, so heiß bist du«). Im letzten Beispiel erkennt man, dass das türkische Kompliment eine viel kompaktere Form annimmt, die im Deutschen in diesem Sinne nicht existiert und die wahrscheinlich aus diesem Grunde auf Türkisch ausgeführt wird. Außerdem kommt es unter den türkischen Schülern oft zu kreativen Code-Mischungen, die nicht nur das Deutsche mit dem Türkischen mischen, sondern auch Mischformen von jugendsprachlichem Deutsch und dem Türkischen beinhalten. Das Beispiel in Datum 84 illustriert, wie »fließend« die Grenzen der einzelnen Sprachen in den Schülerinteraktionen sind. Hier wird
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das Profilbild von Mahmed kommentiert, auf dem er mit seinem Bruder zu sehen ist. Datum 84 (Mahmed). Baboslar Kommentare: du playboyy nommber 1 (10:57) (27. Dezember 2013) Sowieso;)) (10:58) (27. Dezember 2013) Ooaaa scheise hahaa (10:58) (27. Dezember 2013) Hahahah (10:58) (27. Dezember 2013) Meine 2 babos-kingz J (12:49) (27. Dezember 2013) Hahaha (12:54) (27. Dezember 2013) Meine babos sohne ich liebe ouch (13:59) (27. Dezember 2013) Baboslar wir vermisst euch… (16:52) (27. Dezember 2013) Wir euch auch L (19:58) (27. Dezember 2013)
In Zeile 5 folgt der Kommentar von seinem älteren Cousin: Meine 2 baboskingz. Babo bedeutet in der Jugendsprache »Chef«. Durch die Endung »-s« wird daraus eine Pluralform gebildet. Diese Form bekommt in Zeile 8 eine türkische Pluralendung und wird zu baboslar: babo (deutsche Jugendsprache) + s (deutsche Pluralendung) + lar (türkische Pluralendung). Dadurch entsteht eine Form mit doppelter Pluralisierung.
9.2.3 Lingala: Virtuoses Polylanguaging Eines der komplexesten Phänomene der schulischen Interaktionen in der H7 ist die Fähigkeit der Sprecher zum Polylanguaging (vgl. Jørgensen 2008b). Unter polylingualer Norm versteht Jørgensen das Folgende: Language users employ whatever linguistic features are at their disposal to achieve their communicative aims as best they can, regardless of how well they know the involved languages; this entails that the language users may know – and use – the fact that some of the features are perceived by some speakers as not belonging together. (Jørgensen et al. 2011: 34)
Die Grundlage für diese »Norm« ist das reformulierte Konzept von Sprache, das Jørgensen et al. (2011), Heller (2007) und Blommaert (2010) als soziokulturelles Konstrukt definieren. Beide, Heller und Blommaert, schlagen den Begriff »resources« vor, um die modernen Interaktionspraktiken in Zeiten der Superdiversität zu beschreiben: »[Speakers] draw on linguistic resources which are organized in ways that make sense under specific social circumstances« (Heller 2007: 1). Ein ähnlicher Umgang mit sprachlichen Ressourcen lässt sich bei den H7 Sprecherinnen beobachten. Am besten lässt sich diese Fähigkeit
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am Beispiel der Interaktionen der Schülerin Alice analysieren, die mit ihrer Cousine und mit anderen angolanischen Schülerinnen, die ebenfalls die gleiche Hauptschule besuchen, kommuniziert. Alice befindet sich, wie bereits erwähnt, in einem reichen Sprachmilieu, in dem nicht nur Englisch, Deutsch und Französisch gesprochen werden, sondern auch afrikanische Sprachen (Lingala) mit ihren regionalen Dialekten aus dem Kongo und aus Angola. Alice berichtet in einer Nachbesprechung, dass sie sowohl zu Hause als auch mit den anderen »braunen kids« auf der Schule »gemischt« spricht. Da die Familieninteraktionen der Schülerin leider nicht zugänglich sind, ist es sinnvoll, sich die verfügbaren Interaktionen von Alice im Facebook-Raum genauer anzuschauen. Im Folgenden präsentiere ich drei Daten, in denen Alice ihre sprachlichen Fähigkeiten in vollem Umfang ausübt. Für den Einstieg eignet sich das Datum 85, das das sprachliche Milieu der Schülerin und ihrer Umgebung illustriert. Datum 85 beinhaltet Kommentare zu dem neuen Profilbild von Alice. Die einzelnen Sprachen und Sprachvarietäten werden begleitend gekennzeichnet. Datum 85 (Alice). African beauty Deutsch (D), Englisch (E), jugendsprachliches Deutsch (J), Lingala (L), Französisch (F), Umgangssprachliches Lingala (U) 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10
Hübschi L D You too bubi ♥ E J WUNDERSCHÖN ♥J D voll goil *-* D Danke J J♥♥ D Oh mein god voll geil *-* african beauty ♥ E D E voll schön D hihi danke bruderherz ♥ D Schöne *-*♥ D Mere Primus-! Beaute evanda hein ♥ F U
9. Die vir tuellen linguistischen Landschaf ten der Schüler: Dissens-Diskurs Mama Primus! Du bist sehr hübsch Haha mere Skol tala kk hein haha ♥ F U Haha mama Skol du weiß Bescheid 12 jolie F 11
Alice bekommt für ihr Profilbild Komplimente von unterschiedlichen Sprechern, die sich nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Lingala und Französisch äußern. Zum Schluss meldet sich die Cousine von Alice – Gabi –, die in ihrem Kommentar jugendsprachliches Lingala spricht (Zeile 10), worauf Alice ebenfalls auf Jugendlingala antwortet (Zeile 11). Dieses Datum ist jedoch keine Interaktion im Sinne von Frage-Antwort, sondern lediglich die Demonstration der sprachlichen Breite der Community-Mitglieder, für die solche Übergänge selbstverständlich sind und deswegen auch unauffällig bleiben. Eine komplexere Variante bietet das Datum 86, in dem der Interaktionsfluss mittels Polylanguaging problemlos realisiert wird. Alice veröffentlicht ein Bild, auf dem sie mit ihrer Cousine und mit ein paar anderen Freunden zu sehen ist. Darauf folgt eine Diskussion. Datum 86 (Alice). Effrakata 01 awwwr *_* am dem day war ich voll krank das weis ich noch eh to koli♥ D E D L wir sind erwachsen geworden 02 Top models ich schwöre *_*J E/D D 03 Omg wie klein ich bin:o unsre Klamotten Ballern 8)♥ E D 04 hahaha Eeh haha und ich kann mich erinnern da haben wir die alten lieder 05 von JB getanztJ D 06 genau & effrakata Jhaha D 07 haha we weJ L ja ja 08 Wer ist der ganz rechtsJ. suki voll cutee hah D L D E/F
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»Ausländersein« an der Hauptschule Haare voll schön 09 Alice ich hab dich sofort erkannt. Ba blicke nayo wana e change te hahaha D L D L F Deine blicke haben sich auch nicht verändert 10 ma sista ist die ganz rechteJ J D 11 hahahaha Yo pensa hahaJ tala kk. L Auch du neh guck mal.
Das Bild ruft den Mädchen Erinnerungen an einen Tag ins Gedächtnis, an dem sie getanzt haben, als Alice krank war. Bemerkenswert sind nicht allein die Code-Übergänge, sondern auch der Einblick in die Elternhauskultur: Die Mädchen kennen sich mit kongolesischer Musik aus. J.B. Mpiana ist ein bekannter kongolesischer Sänger und Effrakata ist ein populäres kongolesisches Lied von Koffi olomide [sic]. Die Basissprache (base language) der Interaktion ist Deutsch. Die Einbettung von Lingala verläuft oft innerhalb eines Satzes (Zeile 1, 7, 11). In Zeile 8 werden Elemente der vier Sprachen gleichzeitig nebeneinandergestellt: Auf den deutschen Satz folgt eine Personenbeschreibung. Diese Beschreibung fängt mit Lingala (suki = Haare) an, gefolgt von Deutsch (voll) und Englisch (cutee), dekliniert nach französischen Regeln (-ee als feminine Deklinationsendung bei Adjektiven). Das gleiche Muster findet sich in Zeile 9: Der erste Satz ist auf Deutsch, danach folgt ein Possessivpronomen (ba = »deine«) auf Lingala mit deutschem Subjekt (Blicke), während die Verneinung auf Lingala (nayo wana = »auch nicht«) und das Prädikat auf Französisch (e change te = »haben geändert«) realisiert werden. Die Switchings und Mischungen können hier als Sicherung der Gruppenzugehörigkeit zur Clique der »braunen Schüler« betrachtet werden. Im Kontrast dazu signalisieren die Code-Switchings im nächsten Datum thematische Übergänge und übernehmen mehrere Funktionen gleichzeitig. In Datum 87 eröffnet Alice eine Diskussion über die moderne Kindererziehung in Deutschland. Sie ist empört, dass die Kinder bereits im frühen Grundschulalter »rum knutschen«. Die einzelnen Switchings sind zur besseren Übersicht markiert. Datum 87 (Alice). Erziehung Danil (D), Alice (A), Gabi (G), Chantal (C) Eeh Eeh dies Kids heutzutage mitten beim laufen erwische ich einfach zwei 6 jährigen nackt hinter einen Gebüsch rum knutschen JJ
9. Die vir tuellen linguistischen Landschaf ten der Schüler: Dissens-Diskurs Erziehung läuft und soo... Kommentare: 01 D: Nicht Erziehung sondern Beziehung läuft bei demJ 02 G: … wie der weg gerannt ist hahahahah ahh alice das war abenteuer D eehm nein Erziehung wegen den Eltern sie erziehen 03 A: ihre kinder nicht richtig D 04 Isoo haha eeh ich hab das mädchen dann wieder gesehen die ist wieder weg gerannt XD eeh 05 ich konnte nicht mehr vorlachenJ D 06 G: Hahaha katze und maus spiel die rennen weg und wir hinterher hahahaha nzambe D L Gott 07 A: hahaa ja nh XD D 08 C: nzambe hahahahahaha krass L D Gott 09 G: das mädchen tala mabundi.. D L guck mal ihre Wangen an.. der junge erste klasse das mädchen fünfte ehh?! Wären die D schwarz haaaan schläge mit Katrin 10 11 C: wassss? Oyo kindoki to kindoki? Mdr eza normal D L F L D tze heiin!! L Das ist doch Hexerei oder? Scheiße das ist nicht normal!! wäre dieses mädchen meine tochter ehh D 12 ba mbata a lingaki ko sua tika aza na Chance ke L F L aza mundele!!!
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die Schläge die sie gekriegt hätte sie hat Glück dass sie weiß ist!!! Ah zika mawa und soo hahhahahaha nicht mal mit Chris L D lass hab Mitleid ba ko tia ye ilpili na masokoJ L sie bekommt Chilli in den Arsch reingesteckt 14 C: ba mindele zoba L dumme weiße Hahaha surtout junge wana azalaki na masoko lokola 15 G: F D L makaku hahaha eko sua ye bien L F vor allem der Junge hat einen Hintern wie ein Champanzee hahaha das wird ihm 16 bien na loch wana hahyhahaha F L D L im Popoloch richtig richtig weh tun 17 C: hahahahahhahahahahahaJ hahhahahahahahahhahahaJ eeeh isso tala masoko haha tfou 18 A: D L F guck was für ein Arsch haha du bist verrückt
Die Interaktion verläuft hauptsächlich unter den drei Sprecherinnen Alice, Gabi und Chantal, die alle zu den »braunen kids« gehören und in einem ähnlichen sprachlichen Milieu groß geworden sind. Die Diskussionseröffnung sowie die ersten Kommentare verlaufen auf Deutsch. Die Diskussion trägt zuerst einen öffentlichen Charakter. Aus diesem Grunde meldet sich auch Danil, der die Position von Alice teilt (Zeile 1). In Zeile 6 »switcht« Gabi zu Lingala, indem sie nzambe (dt. »Gott«) zur Verstärkung ihrer emotionalen Erzählung einfügt. Dieser Code wird von den beiden anderen Sprecherinnen übernommen und bestätigt (Zeile 8: Chantal wiederholt nzambe). Die Zeilen 6-18 verlaufen im Modus des Polylanguaging, wo sich die Basissprache und die einzelnen eingebetteten Codes nicht eindeutig identifizieren oder trennen lassen. In den Zeilen 11-13 erfolgt ein Übergang zur Bewertung des Verhaltens des beobachteten Mädchens. Chantal zieht eine Distinktionslinie zwischen den »weißen« und »schwarzen« Jugendlichen und deren Erziehung:
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wassss? Oyo kindoki to kindoki? D L Mdr eza normal tze heiin!! F L D L Das ist doch Hexerei oder? Scheiße das ist nicht normal!! wäre dieses mädchen meine tochter ehh D ba mbata a lingaki ko sua tika aza na L Chance ke aza mundele!!! F L die Schläge die sie gekriegt hätte sie hat Glück dass sie weiß ist!!!
Der Übergang zu Lingala (Zeile 12: ba mbata...) erfolgt innerhalb von ein und demselben Satz und markiert hier eine »riskante« Äußerung. Erstens handelt es sich dabei um einen gewalttätigen Umgang mit Kindern (Schläge), was in einem öffentlichen Facebook-Raum für Empörung sorgen kann. Zweitens zieht Chantal in ihrer Aussage eine Distinktionslinie zwischen den »braunen« und den weißen Kindern. Dabei muss man berücksichtigen, dass der FacebookRaum auch von weißen Jugendlichen sowie von ihren deutschen Mitschülern betreten wird. Die Bewertung der »Weißen« erfolgt weiterhin auf Lingala: 14 C:
ba mindele zoba L dumme weiße
Die Taktik der Sprecherinnen in diesem Datum kann als »back-biting« (dt. »lästern« Scotton 1988) gedeutet werden, da sie eine Art Deckung für das Lästern über die dritte Person (dumme weiße) darstellt. Außerdem sind die Lingala-Passagen reich an vulgärer Lexik (vgl. Zeile 13, 15, 16), was inhaltlich dem Codewechsel der Russen in der Nebenkommunikation im Unterricht (s.o.) ähnelt. Die Fähigkeit zum Polylanguaging ist in diesem Datum bei jeder der Sprecherinnen festzustellen. Die Übergänge werden nicht hinterfragt oder bewundert. Im Gegenteil die Sprecher setzten sie kooperativ fort. Auch Klärungen der einzelnen Übergänge oder Entleihungen sind nicht zu sehen, was auf die Ritualisierung solcher Praktiken innerhalb der Clique hindeuten kann.
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R esümee Teil III Teil III der vorliegenden Studie widmet sich den sprachlichen Realitäten der beobachteten Hauptschüler. Zahlreiche Faktoren beeinflussen ihren mehrsprachiger Alltag: familiäre Situation, geografische Geschichte der Eltern, Freundeskreis, neue Medien, grenzüberschreitende Kontakte und selbstredend durch schulische Praktiken. Der Alltag der Schüler fördert die Ausbildung ihrer Sprachkompetenzen entsprechend ihrer mehrsprachigen Realien. Die meisten Schüler der H7 sind mindestens bilingual. Viele von ihnen verfügen außerdem über eine dritte Sprache, die im schulischen Kontext von den Schülern selbst als »Ausländisch« bezeichnet wird. Außerdem lassen sich in den schulischen Interaktionen Elemente von Kiezdeutsch erkennen, die, wie früher angenommen, allein für informelle Interaktionen reserviert werden. Diese »Elemente« werden im Fall dieser Hauptschulklasse im Fach Ethik regelmäßig korrigiert und ausdiskutiert. Die Ethiklehrerin macht ihren Unterricht zum Deutschunterricht und beschäftigt sich mit den »Sprachproblemen« ihrer Schüler. Die Sprachmöglichkeiten sowie die Identitätsarbeit der H7 lassen sich auf den Facebook-Seiten detailliert beobachten. Frei von Erwachsenen verlaufen im Online-Kontext kommunikative Prozesse, die im realen Leben kaum möglich wären. Die Schüler setzen sich mit ihrer Realität als »Ausländer in Deutschland« auseinander. Das Andiskutieren der gesellschaftlichen Normen (deutsche Erziehung, deutsche Eltern, ausländische Kultur, deutsche Sexualität, nationale Stereotypen etc.) findet auf der Community-Seite statt. Außerdem lassen sich zahlreiche Sequenzen von Code-Switching sowie der Ausbau von Polylanguaging beobachten, was unter diesen Hauptschülern beides als selbstverständlich gilt. Kontinuierliches voneinander Lernen – sprachlich wie kulturell – gehört zur Alltäglichkeit dieser Schüler.
Zusammenfassung
Die vorliegende Fallstudie ermöglicht einen Einblick in Mikroprozesse der Schülerkommunikation. Um diese im Feld zu registrieren, mussten diverse Voraussetzungen der Fallstudie erfüllt werden: Die Studie erfasst die ablaufenden Prozesse in ihrer Komplexität und beschreibt die Wirklichkeit möglichst präzise, wodurch sich eine Multiperspektivität entfaltet. Die Ergebnisse der Fallstudie können nicht auf das komplette Feld übertragen werden, liefern jedoch Informationen über die realen Abläufe einer einzelnen Klasse aus multiplen Perspektiven. Die Studie analysiert authentische Daten, die in der natürlichen Umgebung der Sprecher erworben wurden, was ebenfalls lediglich durch langfristige Feldaufenthalte realisierbar ist. Durch aufmerksame Beobachtung sowie die Mikroanalyse der schulischen Daten konnten die sozialen Welten moderner Schüler erfolgreich untersucht werden. Außerdem konnte anhand dieser Daten die Konstruktion der lokalen Ordnung in der Gruppe erforscht und die allgemeinen Gruppendynamiken im institutionellen Setting sowie außerhalb dessen nachvollzogen werden. Diese Fallstudie arbeitet mit der ethnographischen Konversationsanalyse, die durch einzelne soziologische und soziolinguistische Ansätze erweitert wurde. Die Arbeit beschreibt alle Schritte der präzisen, nicht institutionell geleiteten Feldarbeit Schritt für Schritt. Besonders wichtig ist dabei die Tatsache, dass die Analysedaten unter realen Bedingungen im natürlichen Setting gesammelt wurden, was in der bisherigen Forschung selten der Fall ist. Die Feldarbeit liefert Informationen über den Zugang zum Feld, wobei die Institution »Schule« durchaus weiterhin als »geschlossen« charakterisiert werden kann: Der Zugang zum Feld ist durch hohe Ablehnung seitens der Lehrpersonen gekennzeichnet. Der Schwerpunkt der Studie lag in der Untersuchung der interaktiven Herstellung der Zugehörigkeit unter den Hauptschülern. Dabei verhandeln die Interaktanten (d.h. die Schüler und ihre Lehrer) über unterschiedliche Komponenten, die diese Zugehörigkeit konstruieren: Gruppenidentität, Abgrenzungsidentität, Zuschreibung und Bewertung der kategorienspezifischen Eigenschaften und Aktivitäten sowie individueller Fähigkeiten (wie z.B. erfolg-
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reiches Kontern oder »cool bleiben«). Die Schüler der H7 nehmen die Gruppenidentität »Immigranten/Ausländer/Asylanten« an, die ihnen zur Selbstbezeichnung dient. Die Klasse verfügt außerdem über die Abgrenzungsidentität der »Kanaken«, die durch eine gegenseitige Kontrolle in der Gruppe immer wieder rekonstruiert wird. Die zentrale Bedeutung in der Herstellung der Zugehörigkeiten hat die Ethnizität und ihre Variablen (Sprache, Aussehen, Herkunft, Kultur). Oft integrieren die Schüler sowie ihre Lehrer die ethnische Zugehörigkeit mit unterschiedlichen Absichten in den Unterrichtskontext: Moralvorschiften, Normalitätsherstellungen, Disziplinherstellung etc. Die H7-Klasse lebt ihren schulischen Alltag als multiethnische Gruppe, in der Differenzen unterschiedlicher Art als situative Währung behandelt werden. Mittels dieser Währung erreichen die Interaktanten ihre situativen Ziele (Vorwurf, Auslachen, Grenzmarkierung, Selbst-Exotisierung etc.). Eine wichtige gruppenbildende Zugehörigkeit ist die Zugehörigkeit zu der imaginären Welt der Kanaken. Das Land Kanakistan verkörpert alle Vorstellungen eines hinterweltlichen Landes im Nahen Osten und wird hauptsächlich dann abgerufen, wenn das Verhalten der Schüler mit den Vorstellungen des Klassenlehrers nicht übereinstimmt. Das »Abdriften in die Phantasieländer« ist zweifacher Natur: Auf der einen Seite besitzt die Zugehörigkeit zum Land Kanakistan eine abgrenzende Wirkung – keiner will als Kanake gelten –, auf der anderen Seite hat dieses »Abdriften« eine starke gruppenbildende Funktion. Die beteiligten Interaktanten sollen in der Lage sein, den Ironie-Rahmen des Phantasielandes adäquat zu deuten und innerhalb dieses Rahmens richtig zu agieren. Diese vagen Praktiken erzeugen ein vertrauensvolles Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Klasse, in der riskante, ethnisierte Anspielungen zu einem wichtigen Teil der Gruppendynamik werden. Das Spiel mit ethnischer Zugehörigkeit bietet den Schülern die Möglichkeit, ihr eigenes Gesicht innerhalb der Gruppe zu pflegen: Sie spielen locker mit stereotypisierten Hypertypen und demonstrieren dadurch die Fähigkeit, über sich selbst sowie über die anderen zu lachen. Diese Fähigkeit ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme am Gruppenalltag, die außerdem mit der Kategorie »Coolness« verbunden ist. Unter »cool sein« verstehen die H7-Schüler eine Strategie der Gesichtsarbeit, mit der man immer schlagfertig bleibt, Ironie rechtzeitig erkennt, eine Frotzelsequenz fortsetzen kann und sie – falls nicht möglich –ignoriert und keinen Schmerz oder Verletztheit zeigt. Wer »Coolness« beherrscht, sichert sich eine feste Mitgliedschaft in der Gruppe. Der Klassenlehrer hat seinen eigenen Sprechstil entwickelt, der ihm dabei hilft, mit der Heterogenität seiner Klasse erfolgreich umzugehen und seine Akzeptanz/Mitgliedschaft innerhalb der Gruppe zu sichern. Sein kumpelhafter Sprechstil beinhaltet Frotzelaktivitäten, die aus der Forschung über gute
Zusammenfassung
Freunde oder gleichaltrige Jugendliche in informellen Konstellationen bereits bekannt sind. Diese setzt er hier im formellen Unterricht ein. Dafür wechselt der Klassenlehrer zwischen dem fachlichen Unterrichtsrahmen zu einem informellen Spaßrahmen, den er hauptsächlich durch seine Wortwahl signalisiert. Der Spaßrahmen trägt zum größten Teil riskante Züge und kann von den Außenstehenden als Rassismus gedeutet werden. Doch aufgrund der längeren Beobachtung dieser Gruppendynamiken im Feld lassen sich diese Praktiken als gruppenbildende Aktivitäten deuten. In den Nachgesprächen bestätigen die Schüler, dass der Lehrer durch den Einsatz dieses Stils die Akzeptanz seiner Schüler sowie ihre Sympathie gewinnt. Die Zugehörigkeiten werden jedoch nicht nur situativ hergestellt, sondern sie werden durchaus auf längere Zeiträume übertragen: Dabei kommt es oft zur Stigmatisierung der Angriffsopfer und zu gefährlichen Gesichtsverletzungen einzelner Schüler. Durch die hierarchische Asymmetrie verfügen die Schüler nicht über die gleichen Rechte wie der Klassenlehrer. Riskante Gesichtsangriffe sind in den Cliquen der Jugendlichen bekannt, werden dort jedoch anders ausgeglichen. Im Unterricht befinden sich die Schüler in einer subordinären Position, aus der sie nicht immer entsprechend kontern können. Als Folge bleibt den Schülern nur eine Option übrig: Die gesichtsbedrohenden Angriffe »einzustecken« und eine ignorierende »Schutzmaske« aufzusetzen. Die wahren Gefühle der Schüler lassen sich in den »Nachverbrennungen« erkennen, die durchaus ambivalente Einstellungen der Schüler gegenüber den riskanten Anspielungen enthüllen. Die Ergebnisse aus dem Feld bestätigen die Annahmen eines monolingualen Habitus: Nicht deutsche muttersprachliche Kenntnisse der einzelnen Schüler mit Migrationshintergrund sind in schulischen Räumen kaum erwünscht. Im Unterricht der H7-Klasse wird intensiv an den Deutschkenntnissen der Hauptschüler gearbeitet – trotz der Tatsache, dass alle Schüler in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert sind und sich bereits in der 8. Schulstufe befinden. Außerdem lassen sich Züge von Kiezdeutsch in der Schule hören: Die Lehrpersonen nehmen diese als Fehler wahr und integrieren sie zur Fehleranalyse in ihren Unterricht. Durch das allgemeine Verbot, auf dem Schulgelände eigene Muttersprachen zu sprechen, bleiben die einzelnen Sprachen der Schüler für die Nebenkommunikation im Unterricht reserviert. Die Schüler »switchen« zu unterschiedlichen Anlässen: zur Vermittlung von Geheiminformationen, zum Schimpfen und zum Lästern. Im Allgemeinen ist die Fähigkeit zum »Switchen« ein weiteres gruppenspezifisches Merkmal der Klasse: Durch die Fähigkeit zum Code-Switchen, verfügt der Sprecher über zusätzliche Kräfte zu kontern oder Koalitionen mit den anderen Schülern zu schließen. Dadurch entstehen kleinere Gruppierungen, die mittels eines gemeinsamen Codes eine lokale Aufgabe lösen. Dabei kommt es einerseits zu Gruppierungen, anderer-
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seits jedoch zum Ausschluss der »Nicht erwünschten Zuhörer«. Außerdem lassen sich Prozesse des situativen, gegenseitigen Sprachenlernens beobachten: Der Alltag der Hauptschüler ist durch eine mehrsprachige Umgebung geprägt, in der aktiv voneinander gelernt wird. Diese Fallstudie ist in ihrer Vorgehensweise durchaus mehrdimensional: Sie betrachtet nicht nur die Unterrichtskommunikation, sondern auch außerschulische Domänen der Schüler – vor allem Facebook. Die Beobachtung des Sprachverhaltens der Schüler auf ihrer Facebook-Seite ermöglicht einen tieferen Einblick in die Sprachrealitäten der Gruppe. So liefert die FacebookCommunity Informationen über die Identitätsarbeit der Schüler als Gruppe. Auf der Seite wird eine »ausländische Identität« ko-konstruiert. Die Schüler positionieren sich als eine Ausländergruppe, die sich der deutschen Kultur gegenüberstellt. Kulturunterschiede, Erziehungskultur und Sexualität werden als kulturelle Differenzen diskutiert. Des Weiteren ist die Online-Kommunikation der Schüler durchaus polylingual. Die Fähigkeit zum Polylanguaging spiegelt die Sprachbiografien und Familiengeschichten der Jugendlichen wider. Komplexe kulturelle Wissenssysteme sowie die Selbstverständlichkeit von Mehrsprachigkeit gehören zum Alltag der Hauptschüler, die diese als Normalität leben. Zusammengefasst bietet diese Fallstudie eine empirische Untersuchung von Interaktionsdynamiken im Unterricht einer multiethnischen Klasse und ist dementsprechend ein weiterer Schritt auf dem Weg der Zugehörigkeitsuntersuchungen in institutionellen Konstellationen.
Abkürzungsverzeichnis
Abbild. – Abbildung Abs. – Absatz Adj. – Adjektiv Adv. – Adverb AL – Allgemeine Arbeitslehre Art. – Artikel BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BRD – Bundesrepublik Deutschland bspw. – beispielsweise bzw. – beziehungsweise CM – Code-Mixing CS – Code-Switching d.h. – das heißt DaF – Deutsch als Fremdsprache dt. – Deutsch et al. – et alii etc. – et cetera EU – European Union FTA – Face Threatening Act GG – Grundgesetz IAE – Initiierung-Antwort-Evaluation IGLU – Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung KA – Konversationsanalyse MCA – Membership Categorization Analysis MCD – Membership Categorization Device o.J. – ohne Jahresangabe OECD – Organization for Economic Co-operation and Development PISA – Programme for International Student Assessment s.o. – siehe oben s.u. – siehe unten sic. – so lautet die Quelle
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türk. – Türkisch u.ä. – und ähnlich u.Ä. – und Ähnliches u.a. – unter anderem UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees usw. – und so weiter vgl. – vergleiche vs. – versus z.B. – zum Beispiel
Anhang 1 F r agebogen »H erkunf t und S pr ache « Bitte notier deinen Namen nicht: dieses Formular ist anonym! Bitte beantworte die Fragen schriftlich. Welche Sprachen sprichst Du? Was ist deine Muttersprache? Welche Sprachen kannst Du verstehen? Welche Sprache sprichst Du zuhause? Welche Sprachen sprichst Du in der Schule? (in den Pausen?) Welche Sprache sprechen deine Eltern? Aus welchen Ländern kommen deine Eltern?
Die Transkriptionskonventionen nach GAT 2 (Selting at al. 2009)
[] [ ] Überlappungen und Simultansprechen °h / h° Ein- bzw. Ausatmen von ca. 0.2-0.5 Sek. Dauer °hh / hh° Ein- bzw. Ausatmen von ca. 0.5-0.8 Sek. Dauer Mikropause, geschätzt, bis ca. 0.2 Sek. Dauer (.) kurze geschätzte Pause von ca. 0.2-0.5 Sek. Dauer (-) (--) mittlere geschätzte Pause v. ca. 0.5-0.8 Sek. Dauer (0.5) (2.0) gemessene Pausen von ca. 0.5 bzw. 2.0 Sek. Dauer (Angabe mit einer Stelle hinter dem Punkt) und_äh Verschleifungen innerhalb von Einheiten haha hehe hihi silbisches Lachen ((lacht))((weint)) Beschreibung des Lachens ((hustet)) para- und außersprachliche Handlungen u. Ereignisse ( ) unverständliche Passage ohne weitere Angaben (xxx), (xxx xxx) (ein bzw. zwei unverständliche Silben) (solche) vermuteter Wortlaut = schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Sprecherbeiträge oder Segmente (latching) : Dehnung, Längung, um ca. 0.2-0.5 Sek. :: Dehnung, Längung, um ca. 0.5-0.8 Sek. akZENT Fokusakzent ak!ZENT! extra starker Akzent accelerando, schneller werdend rallentando, langsamer werdend ? hoch steigend , mittel steigend – gleichbleibend ; mittel fallend . tief fallend
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