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German Pages 283 [298] Year 2009
Norbert Fischer (Hg.)
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 1 | Von den Anfängen bis zur Reformation
Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1922-0 (Band 1) ISBN 978-3-7873-1923-7 (Band 2) ISBN 978-3-7873-1929-9 (Bände 1 u. 2)
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Inhalt
Vorwort zum ersten Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Norbert Fischer DIVERSI DIVERSA PATRES SED HIC OMNIA DIXIT Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rainer Warland Das älteste Bildnis des hl. Augustinus?
Zum Wandmalereifragment eines spätantiken Autors im Lateran . . . . . . . . . . . .
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Karla Pollmann Von der Aporie zum Code
Aspekte der Rezeption von ›De Genesi ad Litteram‹ bis auf Remigius von Auxerre († 908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einführung (19) | 2. Chronologische Analyse im Überblick (20) | 3. Schlußfolgerungen (35)
Christian Göbel Fides und ratio bei Anselm (1033 – 1109) und Augustinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Anselms ›intellectus fidei‹ (39) | 2. Augustinische Grundlagen (40) | 2.1 Augustins persönlicher Denkweg zwischen ›intellegere‹ und ›credere‹ (42) | 2.2 Systematische Hinweise (43) | 3. Ausgewählte Motive des Verhältnisses von Vernunft und Glaube bei Anselm und Augustinus (48) | 3.1 Zum Vernunft- und Glaubensbegriff (48) | 3.2 Zur Begrenztheit der menschlichen Vernunft (53) | 3.3 Zur ›metaphysischen Naturanlage‹ des Menschen (55) | 3.4 Vom Verstehen des Glaubens zum Ein-Sehen seines Gegenstandes (58) | 4. Zur Möglichkeit eines Gottesbeweises aus der Reflexion über ›fides‹ und ›ratio‹ (62) | 4.1 Anselm (63) | 4.2 Augustinus (64) | 4.3 Kritische Zusammenschau (66)
Lenka Karfíková Zur Rezeption Augustins bei Peter Abaelard (ca. 1079 – 1142) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Autobiographie (71) | 2. Die Trinitätslehre (72) | 3. Theologie der Liebe (75) | 4. Erbsünde und Gnade (78) | 5. Die Ethik der Absicht (80)
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inhalt
Andreas E.J. Grote »In arca quaedam ad Christum, quaedam ad ecclesiam referuntur« (c. Faust. 12,39)
Zur Rezeption von Augustins Arche-Exegese bei Hugo von St. Viktor (1097 – 1141), Petrus Johannis Olivi (1247/48 – 1296/98) und Aegidius Romanus (1245 – 1316) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung (85) | 2. Augustinus (88) | 3. Hugo von St. Viktor (93) | 4. Petrus Johannis Olivi (98) | 5. Aegidius Romanus (101) | 6. Zusammenfassung (103)
Dieter Hattrup Augustinus im ekstatischen Denken Bonaventuras (1217/18 – 1274) . . . . . . . . . . . . 105 1. ›De Scientia Christi‹ [1254] (108) | 2. ›Itinerarium‹ [1259] (116) | 3. ›Hexaëmeron‹ [1273] (119)
Thomas Fliethmann Augustinische Akzente in der Gotteslehre des Thomas von Aquin (1224/25 – 1274) 127 1. Augustinus als Autorität in der ›sacra doctrina‹ (129) | 2. Augustinus in der Gotteslehre der ›Summa Theologiae‹ (131) | 2.1 Gott als Ursache des endlichen Guten (132) | 2.2 Gott verursacht das Gute durch seinen Willen (134) | 2.3 Die Person des Heiligen Geistes als trinitarische Verankerung der Gabe des Guten (136) | 3. Augustinus – ein Lehrer des Thomas von Aquin? (139)
Hannes Möhle Der Augustinismus des 13. Jahrhunderts als Herausforderung für die Augustinusrezeption des Johannes Duns Scotus (1265 – 1308) . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die Illuminationslehre (142) | 2. Die doppelte Wahrheit (145) | 3. Die Kritik des Johannes Duns Scotus (147) | 4. Scotus’ Widerlegung Heinrichs (149) | 5. Erkenntnis ohne besondere Erleuchtung (152)
Johannes Brachtendorf Meister Eckhart (1260 – 1328) und die neuplatonische Transformation Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Das Verhältnis von Gott und Welt (158) | 2. Inhaerere Deo (163) | 3. Die Theorie des Geistes (165) | 4. Das Bild Gottes (167) | 5. Der dreifaltige Gott und die Einheit der Gottheit (171) | 6. Der mystische Aufstieg (173)
Rudolf Kilian Weigand Wissen von Augustinus deutsch?
Die Rezeption der Schriften des Kirchenlehrers in deutscher Literatur des Spätmittelalters. Ein kursorischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
inhalt
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VII
1. Rezeptionsspuren im frühen und hohen Mittelalter (177) | 2. Popularisierung im 13. und 14. Jahrhundert (180) | 2.1 Verdeutschung des ›Speculum historiale‹ (182) | 2.2 Verwertung im ›Renner‹ des Hugo von Trimberg (183) | 2.3 Augustinus in den Predigten Taulers (189) | 2.4 Spruchsammlungen und Kompilationswerke (191) | 3. Späte Vollübersetzungen und Ausblick (193)
Hermann Schnarr ›Docta ignorantia‹ als Augustinische Denkfigur bei Nikolaus von Kues (1401 – 1464) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Kurze Charakterisierung der Wertschätzung von Augustinus durch Nikolaus von Kues (195) | 2. Die Paradoxie im Begriff ›docta ignorantia‹ (196) | 3. Die Quellen des Begriffs ›docta ignorantia‹ für Nikolaus von Kues (197) | 4. ›Docta ignorantia‹ bei Augustinus (199) | 5. ›Docta ignorantia‹ bei Bonaventura (199) | 6. Die erkenntnistheoretische Entwicklung des Begriffs ›docta ignorantia‹ bei Nikolaus von Kues (201) | 7. Zusammenfassender Vergleich des Gedankens der ›docta ignorantia‹ bei Augustinus, Bonaventura und Nikolaus von Kues (208)
Markus Wriedt Produktives Mißverständnis?
Zur Rezeption der Theologie des lateinischen Kirchenvaters Augustinus im Werk Martin Luthers (1483 – 1546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Einleitung (211) | 2. Der spätmittelalterliche Augustinus (213) | 3. Luther und Augustinus (215) | 4. Luthers Verständnis der Tradition (217) | 5. Zusammenfassung und Ausblick (222)
Richard augustin Sokolovski Augustinus als matrix omnium conclusionum bei Cornelius Jansenius (1585 – 1638) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Vita Incognita des Cornelius Jansen (225) | 2. Der ›Augustinus‹: Janus des Jansenius (228) | 3. Augustinus – matrix omnium conclusionum (228) | 4. Matrix sein (229) | 5. Die letzte Wahrheit (230) | 6. Fröhliche Wissenschaft (230) | 7. Kunst des Lebens (231) | 8. Sola gratia (232) | 9. Eine verurteilte Theologie (233) | 10. Textus Receptus (233) | 11. Unerträgliche Leichtigkeit des Seins (235)
Erich Naab Katholische Verteidigungen
Beobachtungen zum Augustinismus nach Bajus (1513 – 1589) und Jansenius (1585 – 1638) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Die bajanische Vorlage (240) | 2. Potenz und Wille in der Augustinerschule (242) | 3. Ausblick: Der sittlich gute Akt (248)
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inhalt
Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Vorwort zum ersten Band
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er Text des Bibliotheksdistichons unter dem berühmten Fresko aus der alten Lateran-Bibliothek, das in den vorliegenden Band aufgenommen wurde und ikonographisch untersucht wird, hat den Wortlaut: DIVERSI DIVERSA PATRES SED HIC OMnIA DIXIT / ROMANO ELOQUIO MYSTICA SSENSA TONANS. Übersetzen könnte man: Einige Väter sagen dies, andere jenes, dieser aber hat alles gesagt, in römischer Beredsamkeit tief gründende Erfahrungen verkündend. Zwar hat Augustinus, auf den das Distichon gemünzt sein mag, nicht ›alles‹ gesagt, wie der Text meint. Daß er im Vollzug und im Bedenken seines Lebens um Grundfragen gerungen und viel zu ihnen gesagt hat, war ihm selbst gut bekannt, sonst hätte er mit den Retractationes, in denen er seine Werke einer Selbstrezension unterzog, nicht diese singuläre Literaturgattung eröffnet. Und so spricht das Distichon nicht gerade zaghaft von der Bedeutung des abgebildeten Autors. Augustinus hat viel und viel Beachtetes gesagt, das über viele Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag gelesen und aufgenommen wird. Um zur Deutlichkeit dieser unbestrittenen Tatsache beizutragen, sind hier Beträge gesammelt und herausgegeben, deren größten Teil die Autoren zunächst im Rahmen eines Symposions in der Akademie des Bistums Mainz vorgetragen haben (vom 18. – 20. Januar 2008). Zur Abrundung der Thematik sind nachträglich einige zusätzliche Beiträge erbeten worden. Angesichts der immensen Wirkungsgeschichte Augustins enthalten die beiden Bände, die aus dem Symposion erwuchsen, nur Ausschnitte eines Spektrums, auch wenn es das Ziel des Herausgebers war, Darstellungen wesentlicher Spuren der Augustinus-Rezeption bei Autoren zu erbitten, die ihrerseits wirksam waren und weiter beachtenswert sind. Der vorliegende erste Band bietet Beiträge zur Wirksamkeit Augustins von deren Beginn bis zur Reformation, ein zweiter Band behandelt sie vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart. Das Werk Augustins hat bis auf den heutigen Tag zunehmend sein Potential erwiesen, originäres Denken zu initiieren und zu befruchten. Verfehlt sind die Versuche, diesem Autor entweder das Verdienst für die unterschiedlichen (förderlichen) Ergebnisse dieser Anverwandlungen zuzusprechen oder ihn für die (schädlichen) Wirkungen als Schuldigen haftbar zu machen. Rezipienten sind mitverantwortlich für das, was sie rezipieren. Zwar mag das Corpus Augustinianum für das Mittelalter zunächst als Bildungsgut gewirkt haben. Ein Lehrer des Abendlandes wurde Augustinus aber vermutlich erst durch die Echtheit und die Ruhelosigkeit seiner Suche, die auch seine Leser zu originärem Denken antrieb, das diese jedoch selbst zu vertreten haben.
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vorwort
Das seit 1989 unter der Herausgeberschaft und Leitung von Cornelius Mayer erscheinende Augustinus-Lexikon blendet die Wirkungsgeschichte Augustins aus, bietet aber fortschreitend ein Fundament, von dem aus auch die Wirkungsgeschichte gründlicher untersucht werden kann. Diese Wirkungsgeschichte möglichst breit zu dokumentieren und zu erfassen, ist die Aufgabe eines internationalen Projekts, das Karla Pollmann unter dem Titel The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine (430 – 2000) leitet und betreibt. In diesem Kontext mögen die vorgelegten Beiträge förderliche Hinweise, aber auch zu diskutierende Auslegungen enthalten. Herzlich danke ich allen Mitarbeitern, die Beiträge zur vorliegenden Publikation geliefert haben, in der die riesige Wirkungsgeschichte Augustins wenigstens facettenhaft präsentiert werden soll. Neben der Darstellung bekannter Stationen der Augustinus-Rezeption gibt es Bezugnahmen, die auch ausgewiesenen Kennern kaum bekannt sind. Die Begegnung mit Spuren und Spiegelungen von Augustins Denken mögen heute von besonderem Interesse für das geistige Leben des Abendlandes sein, das sich erneut in einer kritischen Phase befindet, so wie es in seiner Geschichte schon oft schweren Bedrohungen ausgesetzt war. In dieser Situation stellt sich die Aufgabe der besonnenen Wiederaneignung einer Grundquelle der abendländischen Tradition, die derzeit wieder in der Gefahr steht, zu versiegen oder durch gewollten Traditionsbruch verschüttet zu werden. Karl Rahner hat einmal notiert (unveröffentlichter Text im Karl-Rahner-Archiv, München, Signatur: KRA IV A 102 (1926): Psychologisches beim Hl. Augustin): »Es gab wohl noch nie einen größeren Abschnitt in der Geistesgeschichte des Abendlandes seit den Tagen Augustinus, in der dieser große Denker unmodern gewesen wäre und nicht unmittelbar oder mittelbar in Philosophie und Theologie irgendwie das Denken befruchtete.« Die vorgelegten Beispiele aus der überreichen Wirkungsgeschichte Augustins sind im Blick auf ihren Gehalt, ihre Methode und ihre leitenden Intentionen unterschiedlich. Der Herausgeber hatte nicht die Absicht, diese Unterschiede gleichzuschalten und einen Monismus der Methoden (und noch weniger der Intentionen) zu befördern, zumal die Unterschiedlichkeit der Perspektiven die Vielfalt zu beachtender Züge im Werk Augustins vergegenwärtigt, die über die Jahrhunderte hin durch die unterschiedlichen Zugangsweisen sehr unterschiedlicher Leser Augustins (und Rezipienten Augustinischen Gedankenguts) entfaltet wurden und hervorgetreten sind. Dazu paßt Augustins These, die er im Blick auf die Schriftinterpretation vorgetragen hat und die schon für die Heiligen Schriften eine Fülle höchst wahrer Auslegungsmöglichkeiten behauptet (conf. 12,35: »tanta copia verissimarum sententiarum, quae de illis verbis erui possunt«). Mein herzlicher Dank gilt den Mitarbeitern am Lehrstuhl für Philosophische Grundfragen der Theologie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, meinem Assistenten Dr. Jakub Sirovátka und meiner Sekretärin Anita Wittmann, für
vorwort
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die Hilfe bei der Planung und Durchführung des Projekts und danach bei der Druckvorbereitung, der Diplom-Theologin Theresia Maier für die sorgfältige Durchsicht des Textes und für die Endfassung des Anhangs, den wissenschaftlichen Hilfskräften, die an den Korrekturen und der Erstellung des Literaturverzeichnisses beteiligt waren, zunächst cand. phil. Oliver Motz, sodann cand. theol. Sarah Hairbucher und cand. theol. Stefanie Teich. Oliver Motz hat zudem das vom Herausgeber in Rom digital fotografierte Fresko für die Drucklegung bearbeitet. Für die Erlaubnis, dieses Fresko zu fotografieren und zu publizieren, sei dem Rektor der Pontificia Universitas Lateranense, dem Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Rino Fisichella, herzlich gedankt. Im vorliegenden ersten Band wird das Fresko in einer von Oliver Motz (in Absprache mit Rainer Warland) behutsam digital restaurierten Form präsentiert (S. XII), um einen möglichst treffenden Eindruck des Zustandes zu vermitteln, den es um das Jahr 600 hatte. Den Mitarbeitern des Würzburger Zentrums für Augustinus-Forschung, seinem Leiter, Professor Dr. Cornelius Mayer OSA, PD Dr. Christof Müller, Dr. Andreas E. Grote und besonders dem Diplom-Theologen Guntram Förster danke ich für manche bereitwillig gegebene Hilfe. Das von Cornelius Mayer herausgegebene Corpus Augustinianum Gissense erwies sich in seiner zweiten Auflage wiederum als unverzichtbare Grundlage der Arbeiten. Texte Augustins und deren Siglen sind diesem Werk entnommen. Meinem Assistenten Dr. phil. Jakub Sirovátka danke ich für zahlreiche Gespräche und für einige wichtige Hinweise zur Sache. Für die oft erprobte Zusammenarbeit bei der Ausrichtung des Symposions gilt der Dank des Herausgebers dem Direktor der Akademie des Bistums Mainz, Professor Dr. Peter Reifenberg. Zu danken ist auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung dieses Symposions. Schließlich sei dem Meiner Verlag für die inzwischen bewährte Zusammenarbeit herzlich gedankt. Eichstätt / Wiesbaden, im Januar 2009
Norbert Fischer
Wandmalerei unterhalb der Kapelle Sancta Sanctorum beim Lateran (Foto von Norbert Fischer, digitale Restaurierung von Oliver Motz)
DIVERSI DIVERSA PATRES SED HIC OMNIA DIXIT Einleitung des Herausgebers
»[…] de divinis scribentem legentes proficiunt. sed ego arbitror plus ex eo proficere potuisse, qui eum et loquentem in ecclesia praesentem audire et videre potuerunt« (Possidius: Vita Augustini 31,9: ›Gewinn hat, wer liest, was er zum Göttlichen schreibt. Mehr Gewinn aber hatte, wer ihn, wenn er in der Gemeinde sprach, unmittelbar hören und sehen konnte‹).
Augustins literarisches Werk wurde seit seiner Entstehung in der Kultur des Abendlandes – von Anfang an und über die vielen Jahrhunderte bis in die Gegenwart – wie wenige andere beachtet. Augustinus hat unterschiedlichste Leser zu eigenem Denken, zur Reflexion des Lebens und zur Ausarbeitung eigener Werke angeregt, vor allem auf den Gebieten der Philosophie und der Theologie, die in den vorgelegten Bänden zu seiner Wirkungsgeschichte exemplarisch zur Sprache kommen, aber auch auf den Gebieten der schönen Künste, die hier unbeachtet bleiben.1 Ihn als ›divus Augustinus‹ gleichsam zu vergöttlichen, der Kritik zu entheben und die Signatur seiner Werke mit Weihrauch zu vernebeln, besteht – wie bei Menschen überhaupt – kein Anlaß. Blinde Verehrung, zu der Menschen neigen, um ihrer eigenen Existenz samt deren Problemen zu entrinnen, fällt mit Recht dem Vergessen anheim und hat besonnenen Lesern nichts zu sagen. Ebenso ephemer – und in ihrer naseweisen Angestrengtheit lächerlich – sind Versuche, einen Autor wie Augustinus zu diskreditieren und Leser vor ihm zu warnen, obwohl er bis zu seinem Ende um die zu bedenkende Sache gerungen und seinen Lesern Stoff zum Denken gegeben hat. Die vorgelegten Beiträge sollen hingegen zeigen, wie sich Leser, die an menschlichen Grundfragen orientiert waren, auf Texte Augustins einließen und ihnen Beachtung schenkten. Beispiele für falsche Verehrung oder irreführende Angriffe sind in den beiden Bänden, die Augustinus als richtungsweisenden Lehrer des Abendlandes vorstellen, nur beiläufig erwähnt. Ein anderer Lehrer des Abendlandes, den schon Augustinus als maßgebend anerkannt hat, war Platon, der Interpreten schriftlicher Texte aufge1 Hier sei – unter Nichtbeachtung anderer Arbeiten – nur auf zwei Texte verwiesen; zuerst auf Johannes Schaber OSB: Spuren des Kirchenvaters Augustinus in der Musik des 20. Jahrhunderts (zwei Teile). Knappe ausgewählte Hinweise zu den Erwähnungen der Confessiones in der deutschsprachigen schöngeistigen Literatur sind angeführt und kurz kommentiert von Norbert Fischer: Einleitung (Tusculum), 787 – 794. Vgl. dort auch die einleitenden hermeneutischen Überlegungen, bes. 781 – 787.
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norbert fischer
fordert hat, sie sollten aus ›eigener Kenntnis der Wahrheit‹ imstande sein, ›das Geschriebene als minderwertig zu erweisen‹ (Phaidros 278c: ei4dw1@ ü> to1 a4lhje2@ […] au4to1@ dunato1@ ta gegramme2na fau/la a4podeîxai). Platon fordert von den Interpreten positiv, vorgegebene Texte möglichst stark (von ihrer Intention her) auszulegen, nicht wie Einbrecher in Werke einzudringen, um diese zu destruieren und triumphierend auszuschlachten, was bei inzwischen verstorbenen Autoren umso leichter zu bewerkstelligen ist, als diese nicht mehr selbst in der Lage sind, solche Angriffe abzuwehren. Obwohl Hans-Georg Gadamer mit der folgenden Passage nicht auf Augustinus zielt, gilt die in ihr ausgesprochene Annahme auch für ihn (WuM 2): »Daß im Verstehen dieser großen Denker Wahrheit erkannt wird, die auf anderem Wege nicht erreichbar wäre, muß man sich eingestehen«. Dieser Annahme hätten die meisten Autoren zugestimmt, auf die Augustinus Einfluß hatte und die hier als Beispiele für die philosophisch-theologische Wirkungsgeschichte Augustins ins Auge gefaßt werden. Der vorliegende erste Band bietet Untersuchungen zur Wirkungsgeschichte Augustins vom Beginn seiner literarisch faßbaren Rezeption bis in die Reformationszeit. Der zweite Band beginnt mit der Neuzeit und führt bis in die Gegenwart. Welcher Schatz, welche Herausforderung und welche Bürde den Nachkommen mit dem Corpus Augustinianum überliefert war, ist nicht sofort nach Augustins Tod deutlich gewesen, obwohl der Autor mit den Retractationes eine anspruchsvolle, ja heikle Literaturgattung eröffnet hatte (wie schon mit seinen Confessiones, deren literarische Gattung ohne wirkliches Vorbild war) und obwohl sein Schüler Possidius trotz des Einbruchs der Vandalen dafür gesorgt hat, daß wir heute im Besitz seiner Schriften sind, vermutlich, weil er ahnte, welche Bedeutung diesem Nachlaß einst zukommen könnte. Als Schatz darf die literarische Hinterlassenschaft Augustins zum Beispiel gelten, weil bei ihm Gott und Seele vor dem Hintergrund des faktischen Lebens in das Zentrum des Denkens treten, wodurch Endlichkeit, Innerlichkeit und Transzendenz in neuer Weise zum Thema werden. Als Herausforderung mochte sie gelten, weil sein Denken systematisch nicht kohärent darstellbar ist, was zum Beispiel in der notwendigen, theoretisch unauflösbaren Spannung von Freiheit und Gnade zum Ausdruck kommt, in der sich die Ruhelosigkeit des menschlichen Herzens erweist.2 Eine Bürde ist sie, weil Augustinus zuweilen in der Attitüde des 2 Vgl. civ. 5,10: »quocirca nullo modo cogimur aut retenta praescientia dei tollere voluntatis arbitrium aut retento voluntatis arbitrio deum (quod nefas est) negare praescium futurorum; sed utrumque amplectimur, utrumque fideliter et veraciter confitemur; illud, ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus.« Also ist die Annahme der beiden konträren Positionen erforderlich. Anderslautende Stellen sind von hier aus zu interpretieren; z. B. nat. et gr. 47: »sed putat fortasse ideo necessarium esse Christi nomen, ut per eius evangelium discamus quemadmodum vivere debeamus, non etiam ut eius adiuvemur gratia, quo bene vivamus.« Vgl. Norbert Fischer: Zum heutigen Streit um Augustinus. Sein literarisches Werk als Schatz, als Bürde und als Herausforderung des Denkens.
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rechthaberischen Rhetors Thesen vertritt (angeregt von biblischen Texten, z. B. im Blick auf die Erbsündenlehre und deren Folgen für die ungetauften Kinder), die mit Gerechtigkeit und Liebe unvereinbar sind. Weil Augustins Werk bis heute als zu bewahrender Schatz, als denkerisch anspruchsvolle Herausforderung und als lästige Bürde begegnet, ist es angebracht, einen Blick auf die Wirkungsgeschichte dieses Lehrers des Abendlandes zu werfen. Sofern Augustinus sich weigerte, Autoritäten blind zu folgen, widerspricht es dem Geist seiner Werke, deren Thesen, die Wandel und Widerspruch in sich bergen, zu fraglosen Vorgaben zu stilisieren.3 So genügt ihm bei der Beantwortung der Frage, was schlecht zu handeln heiße, nicht die Auskunft, Handlungen seien schlecht, weil sie vom Gesetz verboten seien; vielmehr vertritt er die konträre These, das Gesetz verbiete Handlungen, weil sie schlecht seien (lib. arb. 1,6): »non sane ideo malum est quia vetatur lege, sed ideo vetatur lege, quia malum est.« Gegen bloße Autoritätsgläubigkeit arbeitet er unermüdlich an der Suche nach vernünftiger Argumentation.4 Zwar zeigt er sich überzeugt, erst durch das Hören der Botschaft der Heiligen Schriften auf den Weg zum ›wahren Leben‹ gelangt zu sein, den er zuvor auf seinen Irrwegen mit eigener Kraft gesucht hatte;5 doch beharrt er bei seiner Absicht, auch verstehen zu wollen, was er gehört und gläubig angenommen hat. Sein Leitspruch lautet folglich (conf. 11,3): »audiam et intelligam«. Zudem betont er, daß ihm der Glaube nicht ohne kritische Vorüberlegungen zugeflogen war. Seinen Weg, den er in den Confessiones beschreibt, konnte er nämlich nur gehen, nachdem ihn das Beispiel Christi als eines sterblichen, aber heiligen Menschen überzeugt hatte. Gottes Wort (die Weisung der Gerechtigkeit und Liebe) hatte er zwar gehört, es habe ihn aber wenig beeindruckt, solange er es nicht als gelebte Botschaft glauben konnte (conf. 10,6): »et hoc mihi verbum tuum parum erat si loquendo praeciperet, nisi et faciendo praeiret.« Die Botschaft der reinen Liebe konnte ihn erst im Vertrauen darauf überzeugen, daß sie zu leben und kein Wortgeklingel war. An sich mag es kein Fehler sein, Thesen gelegentlich hartnäckig zu verteidigen; Augustins Wille zum Sieg (z. B. vera rel. 85: »invicti esse volumus et recte«) zeichnet sich aber auch durch sehr befremdliche Seiten aus (z. B. in den Auseinandersetzung mit Julian). Zum Siegeswillen Augustins vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL), XV. 4 Bloß hypothetische Imperative wie die Goldene Regel (vgl. lib. arb. 1,6) weist er als unzulänglich zurück und sucht weiter nach einem unbedingt gebietenden Imperativ (vgl. lib. arb. 1,15): »ut omnia sint ordinatissima.« 5 Vgl. die Skizzierung seines Wegs der Suche im zehnten Buch der Confessiones, der ihn auf den Weg nach innen führte, dann aber zu einer ›Inversion der Aktivität‹, die im Wendepunkt des zehnten Buches zur Sprache kommt (10,38): »vocasti et clamasti et rupisti surditatem meam, coruscasti, splenduisti et fugasti caecitatem meam, fragrasti, et duxi spiritum et anhelo tibi, gustavi et esurio et sitio, tetigisti me, et exarsi in pacem tuam.« Zum Aufstieg nach innen und zur Inversion der Aktivität vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL), bes. XL – LXIV. Vgl. zum Hintergrund auch Norbert Fischer; Dieter Hattrup (Hg.): Irrwege des Lebens. Augustinus: ›Confessiones‹ 1 – 6. 3
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Daß Augustinus später von manchen Lesern nur noch als ›Lehrer der Gnade‹ betrachtet wurde, ist als eine schädliche Verengung des Blicks auf Teile seines späten Werkes zurückzuweisen.6 Obwohl die großen mittelalterlichen Denker, wie auch der vorliegende Band zeigt, nicht dazu neigten, den Kirchenvater explizit der Kritik auszusetzen, entsprachen sie, indem sie sich nicht auf Pfade führen ließen, die sie für verfehlt hielten, auf höhere Weise seinen Intentionen. Der erste Band zur Wirkungsgeschichte Augustins enthält Untersuchungen ab deren Beginn und reicht bis zum Übergang zur Neuzeit (nämlich den AugustinusDeutungen, wie Martin Luther und Cornelius Jansen sie entfaltet haben) und endet mit deren Nachklang auf katholischer Seite. Im ersten Abschnitt der Wirkungsgeschichte fungierte das Corpus Augustinianum auch als ein bedeutsames Vehikel eines Grundbestands antik-christlicher Bildung, besonders vermittelst der von Augustinischem Gedankengut geprägten Sentenzen des Petrus Lombardus (1095/ 1100 – 1160), die den Eindruck erwecken konnten, Augustinus ›habe alles gesagt‹, und deren Kommentierung bis zum Ende des Mittelalters zum Standard theologischer Universitäts-Laufbahnen gehörte (als eine Art Habilitationsschrift) und schon dadurch das geistige Milieu stark einfärbte.7 Ablehnende Bemerkungen zu Augustinus, der im Bereich der westlichen Kirche als überragende Autorität und als Garant für ein einvernehmliches Verhältnis zur Philosophie galt, waren in einer Zeit, in der die arabische Aristoteles-Kommentierung eine für die Kirche äußerst schwierige Situation heraufbeschworen hatte, wenigstens nicht opportun.8 Gleichwohl folgten die Leser Augustins nicht blind den Vorgaben, sondern gingen – besonders deutlich sichtbar z. B. bei Petrus Abaelardus 6 Zur Integration der späten Exzesse in ein Gesamtbild vgl. Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Denkens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik, bes. 268 – 295: Der praktische Weg zum höchsten Gut und die Dialektik von Freiheit und Gnade; weiterhin: Freiheit und Gnade. Augustins Weg zur Annahme der Freiheit des Willens als Vorspiel und bleibende Voraussetzung seiner Gnadenlehre; und: Zur Gnadenlehre in Augustins Confessiones. Philosophische Überlegungen zu ihrer Problematik. 7 Vgl. Sententiae in IV libris distinctae; dieses Werk ist in zwei Redaktionen von 1150 bis 1158 entstanden; vgl. dazu Otto Baltzer: Die Sentenzen des Petrus Lombardus. Ihre Quellen und ihre dogmengeschichtliche Bedeutung; Friedrich Stegmüller: Repertorium commentariorum in Sententias Petri Lombardi (2 Bände); außerdem Marcia Colish: Peter Lombard (2 Bände). Zur Bedeutung Augustins im späteren Mittelalter vgl. auch Meredith J. Gill: Augustine in the Italian Renaissance. Art and Philosophy from Petrarch to Michelangelo. 8 Papst Gregor IX. beklagte im Brief vom 19. 3. 1227 an die Pariser Theologen das Eindringen des Aristotelismus; er fürchtete, daß dessen Verfechter die von den Vätern gesetzten Grenzsteine (»positos a Patribus terminos«) mißachteten und zur ›philosophischen Lehre von den natürlichen Dingen‹ übergingen (»ad doctrinam philosophicam naturalium«; er meint die Philosophie des Aristoteles, deren Auslegung in der Art der arabischen Aristoteles-Interpreten der kirchlichen Theologie gefährlich zu werden drohte), die er nicht nur für ›leichtfertig, sondern für gottlos‹ hielt (der Brief findet sich in DH 824); vgl. dazu Norbert Fischer: Einleitung des Heraus-
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und Thomas von Aquin – mit eigenem, zum Teil mit ausgesprochen selbständigem Urteil an die überlieferten Thesen Augustins heran, allerdings ohne den Versuch zu machen, die Spannungen und Widersprüche im Werk Augustins zu thematisieren oder gar Lösungsmodelle für sie zu entwickeln. In voller Schärfe traten die Probleme zutage, nachdem zu Beginn der Neuzeit – auch unter Berufung auf Augustinus – eine Gnadenlehre entfaltet worden war, die für die Freiheit der Willensentscheidung keinen Platz mehr ließ und so in einen klaren Widerspruch zu der im Werk Augustins (äußerlich betrachtet) unklaren Thesenlage trat.9 Die Darstellungen zur Augustinus-Rezeption in den über tausend Jahren nach seinem Tod enden mit einem Beitrag, in dem sich die katholische Seite wieder an diesen Autor herantastete. Karla Pollmann nennt ›eruditio‹ als Maßgabe, unter der Augustinus zunächst rezipiert wurde. Eine Grundlage der frühen Augustinus-Rezeption war – neben den Retractationes – die Biographie des Possidius († nach 437), der fast vierzig Jahre mit Augustinus zusammengelebt hatte.10 Der Beitrag verfolgt Stationen der frühen Augustinus-Rezeption exemplarisch an De Genesi ad litteram. Erwähnt werden Salvian von Marseille (etwa 400 bis 480) und die Rezeption von De Genesi in Dichtungen (Claudius Marius Victorius, Dracontius, Avit). Ausführlicher wird Eugippius († nach 530) dargestellt, der in Augustins Werken die orthodoxen Positionen des christlichen Glaubens sehe. Obwohl für Cassiodor (etwa 485 – 580) die erstmals bei ihm greifbare Apostrophierung Augustins als ›pater‹ signifikant sei, gebrauche er De Genesi ad litteram als ›Steinbruch‹, um sein eigenes systematisches Anliegen zu stützen. Gregor der Große (540 – 604) habe Augustinus bewundert und ihn für die Herausforderungen seiner Zeit fruchtbar gemacht. Isidor von Sevilla (570 – 636) habe De Genesi für seine kompilierenden Interessen benutzt. Obgleich Beda Venerabilis (672/3 – 735) Augustins Autorität anerkannt habe, habe er es vermieden, ihm in allem zu folgen. Für Wigbod, der um 775 – 800 für Karl den Großen einen Katenen-Kommentar zum Oktateuch verfaßt habe, sei Augustinus in der Genesis-Katene die Hauptquelle gewesen. Nach Alkuin († 804) werden Claudius von Turin († 827) und Hrabanus Maurus (784 – 856) als gute Augustinuskenner genannt. Johannes Scotus Eriugena (810 – 877) habe die Theorie der Simultanschöpfung und der ›prigebers; in ders. (Hg): Kant und der Katholizismus. Stationen einer wechselhaften Geschichte, 1. Mit der Tradition der Väter ist die überragende Bedeutung Augustins gemeint, wie sie in den Sentenzen des Petrus Lombardus hervortritt. 9 Luther war ja kein Augustinus-Forscher und schrieb De servo arbitrio, ohne Augustins De libero arbitrio zu nennen (wohl auf Grund seiner Fixierung auf das gleichnamige Werk des Erasmus von Rotterdam); Luther denkt wohl im Rahmen der Polemik, in der Augustinus Julian von Aeclanum zu diskreditieren trachtet, indem er diesem die These des ›servum arbitrium‹ unterstellt, weil wahre Freiheit nur durch Gnade möglich sei (c. Iul. 2,23): »hic enim vultis hominem perfici, atque utinam dei dono, et non libero, vel potius servo propriae voluntatis arbitrio«. 10 Wilhelm Geerlings (Hg.): Possidius. Vita Augustini, 14.
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mordiales causae‹ von Augustinus übernommen, gehe aber über Augustinus hinaus. Den Schluß bildet Remigius von Auxerre († 908), der häufig aus De Genesi ad litteram zitiert habe. Karla Pollmann belegt die bald hervortretende Autorität Augustins, die aber nicht zu sklavischer Gefolgschaft geführt habe. Christian Göbel untersucht in seinem Beitrag zur Augustinus-Rezeption des Anselm von Canterbury das Verhältnis von Glaube und Vernunft, von Theologie und Philosophie. Dieses Verhältnis wird nicht auf einer formalen Meta-Ebene oder in propädeutisch-vorthematischen Voraussetzungen diskutiert, sondern als das theologisch-philosophische Denken selbst charakterisiert. Der Beitrag durchmißt das vielschichtige Beziehungsfeld von Glaube und Vernunft mit Bezug auf zwei seiner bedeutendsten Anreger, auf Augustinus und seine Wirkung auf seinen großen ›Schüler‹ in der Scholastik, Anselm von Canterbury. Im Ausgang von Augustinischen und Anselmischen Motiven der Enzyklika Fides et Ratio von Papst Johannes Paul II. (1998) wird das Verhältnis von Glaube und Vernunft bei Anselm mit Blick auf die Hauptwerke Monologion, Proslogion und Cur Deus Homo beleuchtet. Im letzten Kapitel fragt der Autor, wie die zentralen Überlegungen zur Rolle der Vernunft in Glaubensfragen zu einem eigenen Entwurf im Kernbereich der philosophischen Gotteslehre führen, nämlich als Vernunftweg zu Gott oder ›Gottesbeweis‹, der in einer ›kosmologischen‹ Rekonstruktion vorgetragen wird, da auch das »alethologische Argument« prinzipiell auf dem kosmologischen Grundgedanken gründe. Lenka Karfíková versteht Abaelard als originalen und kühnen Autor, der zwar nicht alle Lösungen, aber doch die Fragen Augustins akzeptiert habe, auf die Abaelard eigene Antworten sucht. Konkret geht es um die trinitarische Theologie, die Soteriologie, die Gnadenlehre und die Ethik. Die christliche Existenz wird im Sinne Augustins als Freiheit ausgelegt, in der Gebote nicht aus Furcht, sondern aus Liebe erfüllt werden. Letztlich werde sie aber nicht als sittliche Möglichkeit des Menschen verstanden, sondern als Gnade Gottes, der allein dem Menschen Gefallen am sittlich Richtigen schenken könne. So komme es in der späten Gnadenlehre Augustins zu einer (höchst problematischen) Relativierung jeder menschlichen Moral überhaupt. Ohne Hilfe der göttlichen Gnade sei eine gute Tat nach dem späten Augustinus in Gottes Augen wertlos, sofern sie eben nicht durch die Liebe motiviert ist, die nur Gott selbst schenken könne. Wo Augustinus eine solche extreme Gnadentheologie ausführe, beschränke sich Abaelard auf ihre rein ethische Anwendung, in der die Gnadenlehre als der ursprüngliche Kontext beiseite gelassen wird. Andreas E.J. Grote beginnt mit der Geschichte der Exegese zur Arche Noah, stellt Augustins Exegese in diesen Kontext und betrachtet dazu die mittelalterliche Rezeption dieser Exegese im Spannungsfeld von literalem und allegorischem Schriftsinn. Damit werden sowohl wesentliche Züge der Schriftdeutung Augustins faßbar als auch die Art von deren Aufnahme im Mittelalter. Die Untersuchung der Rezeption von Augustins Deutung der Arche-Noah-Episode beginnt bei Hugo von St. Viktor,
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den schon Zeitgenossen als ›alter Augustinus‹ bezeichneten, geht dann weiter zum Franziskaner-Spiritualen Petrus Johannis Olivi und führt zu Aegidius Romanus, dem Haupt der sogenannten ›Augustiner-Schule‹. Dieter Hattrup stellt das Denken des Johannes Bonaventura als ekstatisch gesteigerten Augustinismus dar und sieht Bonaventura positiv durch Franziskus von Assisi zu diesem Denken stimuliert, negativ durch Aristoteles. Das Begreifen von Philosophie und Wissenschaft kehre Bonaventura um in das Ergriffensein der Ekstase: »In comprehensivo cognoscens capit cognitum, in excessivo vero cognitum capit cognoscentem.« In De Scientia Christi von 1254 findet Dieter Hattrup die Grundlage von Bonaventuras Denken, das dieser bis zuletzt in den Ansprachen des Hexaëmeron (1273) mit polemischer Heftigkeit verteidigt habe. Thomas Fliethmann schränkt das übergroße Feld der Augustinus-Rezeption bei Thomas von Aquin auf die Betrachtung der ›Gotteslehre‹ ein. Er geht von der Annahme aus, daß Thomas die Augustinischen Vorgaben aufgenommen, weitergeführt, oder auch, wie zum Beispiel beim Erbsündenthema, still und nachdrücklich uminterpretiert hat. Ausgangspunkt ist die trotz der Bedeutung des Aristoteles bleibende Rolle des Neuplatonismus im Denken des Thomas, der nicht nur Sachthemen Augustins aufnehme, sondern sie präzisiere, korrigiere und neu forme, wobei die Intentionen unter gewandelten wissenschaftstheoretischen Vorgaben weitergeführt werden. Augustinus werde bis in die Trinitätslehre hinein zur Absicherung des neuplatonischen Stranges der Gotteslehre herangezogen, gemäß dem die Schöpfung auf Gott als das höchste Gut (summum bonum) bezogen ist und von ihm seine eigene, geschaffene bonitas empfängt. Hannes Möhle sieht die Augustinus-Rezeption des Johannes Duns Scotus vom geistesgeschichtlichen Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Lehren des vorchristlichen Philosophen Aristoteles geprägt. Scotus stehe vor der Herausforderung, Augustins Gedankengut, das ihm vor allem in der Vermittlung durch Heinrich von Gent gegenwärtig sei, in eine tragfähige Synthese mit den Ansprüchen der Aristotelischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie zu bringen. Wie der Vergleich mit Heinrich zeigt, folge Scotus in erster Linie den Vorgaben des Aristoteles, wenn er etwa die Reichweite und die Grenzen menschlicher Erkenntnis bestimmt. Einschlägige Lehrstücke Augustins, besonders dessen Betonung einer göttlichen Illumination, lehne Scotus der Sache nach ab, wie der Vergleich mit Heinrich lehre. Die Autorität, die Scotus Augustinus zuschreibt, führe aber dazu, die sachliche Ablehnung eher in Gestalt einer Akzentverschiebung und Umdeutung Augustinischer Gedanken zu kleiden, die Scotus gegenüber Heinrich als wahre Augustinus-Deutung begreife. Der sachliche Vergleich mit der Augustinus-Rezeption Heinrichs lasse das Maß erkennen, in dem sich Scotus von den Lehren des Kirchenvaters entferne, wenn anders die einschlägigen Vorgaben des Aristotelischen Denkens nicht zu erfüllen sind.
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Johannes Brachtendorf behandelt die nicht leicht zu bestimmende Beziehung Meister Eckharts zu Augustinus, der in Eckharts Texten häufiger zitiert wird als jeder andere Autor. Einerseits versuche Eckhart auf vielen Gebieten, seine Grundpositionen durch die Autorität des Kirchenvaters abzusichern. Dieser Versuch betreffe vor allem den Seinsbegriff, die Deutung des ›inhaerere Deo‹ als Lebensziel des Menschen, die Theorie des menschlichen Geistes, die Lehre vom Bild Gottes, die Trinitätslehre und schließlich die Konzeption des mystischen Aufstiegs. Andererseits zeige ein genauer Vergleich, daß Eckhart Augustinus auf neuplatonische Positionen hin zurückbiege, von denen der Kirchenvater selbst sich gelöst hatte. Eckhart denke wieder stärker in den Bahnen des Neuplatonismus als Augustinus. Insofern sei Eckharts Augustinus-Rezeption durch eine neuplatonische Transformation des Kirchenvaters gekennzeichnet. Rudolf Kilian Weigand untersucht die frühe Aufnahme Augustinischer Gedanken in deutschsprachigen Werken. Auch wenn bereits unter sehr frühen Zeugnissen des Deutschen eine Augustinus-Predigt übersetzt sei (Sermo 76 in den MonseeWiener Fragmenten), bleibe die Kenntnis des Kirchenvaters in der deutschen Sprache im frühen und hohen Mittelalter marginal. Erst ab dem 13. Jahrhundert seien deutsche Texte zu fassen, deren Augustinus-Verwertungen die Popularisierung von Gedanken des Bischofs von Hippo vorantreiben. Als Beispiel wird das gereimte didaktische Großwerk Renner des Hugo von Trimberg angeführt. Über das Schrifttum der deutschen Mystik (Eckhart, Tauler) seien dann im 14. Jahrhundert breite Kreise mit Augustinischem Gedankengut versorgt worden. Allerdings fehlten in dieser Zeit noch immer umfassende Übersetzungsunternehmungen, die sich erst für das 15. Jahrhundert nachweisen ließen. Hermann Schnarr widmet sich der Vorgeschichte der Cusanischen Wortverbindung ›docta ignorantia‹ (gelehrtes oder belehrtes Nichtwissen). Er zeigt, wie Augustinus und der von diesem geprägte Bonaventura den Begriff ›docta ignorantia‹ jeweils in einer auf bestimmte Bereiche der Gotteserkenntnis beschränkten Weise gebrauchen. Nikolaus von Kues dehne den Begriff auf den gesamten Bereich menschlichen Erkennens aus. Als er wegen dieser scheinbar dem Aristotelischen Wissenschaftsverständnis widersprechenden Erkenntnistheorie von dem Heidelberger Theologie-Professor Johannes Wenck von Herrenberg angegriffen wurde, habe Nikolaus seine Theorie des Nichtwissens zu verteidigen versucht – und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf den Kirchenvater Augustinus und dessen Verwendung des Begriffs ›docta ignorantia‹. Markus Wriedt zeigt, wie Luther den Augustinismus des Spätmittelalters – wenn auch nicht ausschließlich, so doch ganz wesentlich – durch seinen Orden kennengelernt und übernommen hat. Die Theologie der Augustiner spiegele die ganze Bandbreite der Augustinus-Rezeption des Spätmittelalters wider. Angesichts dieses diffusen Befundes könne man jene Form der Augustinus-Rezeption kaum so bela-
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sten, um in ihr jene entscheidende Initiation zu erblicken, die Luther auf seinen weiteren Weg zur Reformation leitete. Nach eigenem Bekunden hat die seelsorgerliche Zuwendung des Johann von Staupitz (1465 – 1524) Luther für die Wahrnehmung von dessen antipelagianischer Gnaden- und Rechtfertigungslehre sensibilisiert. Daneben seien aber auch andere theologische Zeitströmungen für die Entwicklung des theologischen Profils des jungen Luther von gleichberechtigter Bedeutung gewesen. Augustinus sei gleichwohl für Luther eine, wenn nicht phasenweise die unbezweifelbar auch von den Gegnern anerkannte Autorität, die ihn in seiner Auslegung des Evangeliums bestärkt und die damit entscheidende reformatorische Einsichten ermöglicht habe. Luther habe Augustinus als Inbegriff katholischer Orthodoxie gesehen, die sich freilich je neu im Licht der Heiligen Schrift zu bewähren hatte. Richard Sokolovski beginnt mit dem Hinweis, daß Cornelius Jansenius weder als Professor noch als Theologe noch als Bischof in die Geschichte eingegangen ist, obgleich er doch Professor der Heiligen Schrift, Theologe zu Löwen und Bischof von Ypern war. Sogar sein persönlicher Name sei diesem Augustinuskenner des 17. Jahrhunderts weggenommen und durch einen Allgemeinbegriff ersetzt worden: Jansenismus. Sein Meisterwerk Augustinus, in dem Jansenius den grandiosen Versuch unternommen habe, die Gnadenlehre des Augustinus als die einzig plausible und kirchlich rezipierte Theologie für das 17. Jahrhundert auszulegen, sei ein nie gelesenes Buch geblieben. ›Augustinus – matrix omnium conclusionum‹, so laute das Motto des Cornelius Jansenius. Die Methode, derer die Lektüre Augustins bedürfe, wende Jansenius auf die gesamte Gnadentheologie des Doctor gratiae an: Innerlich müsse das Werk des Lehrers des Abendlandes gemäß seiner eigenen theologischen Entwicklung gelesen werden; äußerlich verstehe er Augustinus als Rettungsanker gegen die Ambivalenz der kirchlichen Tradition. Die Widersprüchlichkeit der Augustinus-Rezeption wie der kirchlichen Überlieferung überhaupt deute er als ›labyrinthus quaestionum‹. Den Augustinus des Jansenius legt Richard Sokolovski als den ersten katholischen Versuch der Neuzeit aus, mit Hilfe des Kirchenlehrers Augustinus aus der Finsternis und Gefangenschaft des Labyrinths in das Licht und in die Freiheit der göttlichen Gnade zu gelangen. Erich Naab behandelt Enrico Noris (1631 – 1704), Fulgencio Bellelli (1675 – 1742) und Gianlorenzo Berti (1696 – 1766) als die Hauptverteter der sogenannten jüngeren Augustinerschule, die modifizierend Ansätze des Michael Bajus und Cornelius Jansenius aufnehmen, um gegen die neuzeitliche Konstruktion einer reinen, sich selbst genügenden und gottlosen Natur die stete Beziehung des geschaffenen Geistes zu seinem transzendenten Ziel zu wahren. Die Diskussion fokussiere sich auf die Fragen des Urstandes, bestimme die Bedeutung der Gnadentheorie und wurzele im Gottesverständnis. In der Auseinandersetzung mit den innerkatholischen Gegnern werde die Unterscheidung zwischen einer potentia absoluta und ihrer Ausgestaltung
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als potentia ordinata gebraucht (und so die Möglichkeit einer reinen Natur nicht einfach bestritten). Der Verfasser achtet darauf, welche Bedeutung dieser Differenz gegenüber den Vorgängern im Denken der Augustiner zukommt, und zeigt auf, wie sie versuchen, die Transzendenz Gottes nicht durch die Scheidung zwischen Natur und Gott, sondern durch die Gnade und Einung mit ihm auszudrücken. Im Entwurf von Juan Martínez de Ripalda SJ (1594 – 1648) werde zwar die natura pura erschreckend deutlich entwickelt, aber in der Situation des Menschen nach dem Sündenfall in der Intention Augustinischer Theologie, doch unter scholastischem Gewand, mit der Annahme einer universalen initialen Gnade wiederum weitgehend neutralisiert.11 Rückblickend läßt sich die ›eruditio‹, die durch die Sentenzen des Petrus Lombardus institutionalisiert war, als wichtiges Merkmal der mittelalterlichen AugustinusRezeption festhalten. Wo Augustinus über diesen Gesichtspunkt hinaus aufgenommen wurde, sind die von ihm ausgehenden Impulse keineswegs unterwürfig oder autoritätsgläubig übernommen worden. Bemerkenswert ist vielmehr, wie eigenständig die großen Leser Augustins im Mittelalter mit dessen Texten umgegangen sind. Noch bemerkenswerter scheint allerdings, daß Augustinus, nachdem sich der Traditionsbruch der Neuzeit ereignet hatte und die Berufung auf tradierte Autoritäten vollends obsolet geworden war, zunehmend als ernstzunehmender Denker anerkannt worden ist, auch in Kontexten, in der seine Bedeutung als ›Kirchenvater‹ von geringerer Bedeutung war, beispielsweise bei den Begründern der ›Phänomenologischen Philosophie‹.12 Die fortbestehende Beachtung Augustins wird im zweiten Band dargetan, in dem Augustinus als Lehrer des Abendlandes vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart ins Auge gefaßt wird. Wie immer man die AugustinusDarstellung von Karl Jaspers in ihrer spröden, oft uneinheitlichen Art beurteilen mag: Es ist ein deutliches Zeichen für das geistige Klima des 20. Jahrhunderts, daß Jaspers Augustinus als einen der »fortzeugenden Gründern des Philosophierens« hervorhebt, zu denen er ansonsten nur Platon und Kant rechnet.13 11 Vgl. Hermann-Josef Sieben SJ: Der Beitrag der Jesuiten zur Überwindung des extremen Augustinismus im 17. Jahrhundert, der mit dem Augustinismus des Cornelius Jansenius beginnt (186 – 196), dann die kontroversen Diskussionen der Jesuitentheologen vor 1640 behandelt (196 – 204) und mit Diskussionen zur Autorität Augustins von Jesuitentheologen nach 1640 schließt, die an Heftigkeit heutigen Diskussionen nicht nachstehen (204 – 216). 12 Vgl. dazu den Beitrag von Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Begegnungen mit Augustinus in den Phänomenologien von Edmund Husserl (1859 – 1938), Max Scheler (1874 – 1928) und Martin Heidegger (1889 – 1976); in Band II: Von Descartes bis in die Gegenwart. 13 Vgl. Die großen Philosophen, 229; bes. 231: »Wer Platos, Augustins, Kants Werke liest, macht die Erfahrung der Produktivität des Denkens selber, die Erfahrung dessen, was Kant sagt: man könne nicht Philosophie, sondern nur Philosophieren lernen.« Zu Augustinus: 319 – 396. Mit Recht betont Jaspers (333): »Augustinus denkt fragend.« Seine Resümees sind oft ein wenig nebulös (334 f.): »Die Zeit wird erst durch das fragende Erdenken, was sie sei, als Geheimnis
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Ein Grund, aus dem Augustinus sich ganz unterschiedlichen Lesern zur Lektüre aufdrängen konnte, sind auch die sehr unterschiedlichen Aufgaben, denen er sich in seinen Schriften stellt.14 Augustinus hat zunächst hartnäckig den Weg zur Wahrheit und zum seligen Leben gesucht und auch Irrwege nicht gescheut. Nach der ›Bekehrung‹ wollte er seine Leser zum Mitgehen auf dem von ihm gefundenen Weg der Wahrheit antreiben, der ihn selbst zum Lob Gottes geführt hatte.15 Eine wichtige Frucht des Antriebs, Gott zu loben, den er selbst von Gott empfangen zu haben glaubte (conf. 1,1: »tu excitas, ut laudare te delectet«), sind die Confessiones, die Augustinus in den Retractationes besonders hervorgehoben und ausdrücklich als ›excitationes‹ verstanden hat. Dort sagt er, daß die dreizehn Bücher seiner Bekenntnisse zunächst den Blick auf das Schlechte und auf das Gute an ihm richten und dabei Gott als gerecht und gut loben, sodann Geist und Sinn des Menschen auf Gott hin antreiben – was sie bei ihm schon bewirkt hätten, als er diese Bücher schrieb und es jetzt noch täten, wenn er sie wieder liest.16 Es mag sein, daß Augustins eigener Denkweg, sofern er von den Fragen nach Gott und der Seele bestimmt war, in den Confessiones seinen gültigen Ausdruck gefunden hat, der in den späteren Werken keine wirkliche Wandlung, sondern nur noch seine Ausgestaltung hinsichtlich neuer Kontexte erfahren hat. Insbesondere durch das Amt des Bischofs sah Augustinus sich gedrängt, sich anderen Aufgaben zu widmen, nämlich der Auslegung der Heiligen Schriften17 und ganz fühlbar. Aber ich denke es, um durch dies Geheimnis selbst mich des Sinns der Ewigkeit, Gottes Ewigkeit und der eigenen, in der die Zeit getilgt ist, zu vergewissern.« Er trägt eine antithetische Charakterisierung Augustins vor (387): »Er ist ein chaotischer Mensch, darum begehrt er die absolute Autorität, – er neigt zum Nihilismus, darum bedarf er absoluter Garantie, – er bleibt in der Welt ohne wirkliche Bindung, weder an eine Frau, noch an Freunde, darum sucht er Gott ohne Welt.« Andererseits sagt er (ebd.): »Solche Gegensatzpsychologie ist vielleicht auf einer Ebene klärend, aber auf ihr wird der Ernst Augustinischen Denkens nicht erreicht.« 14 Hinweise zu Augustins Wirkung in der Neuzeit gibt Band II (vgl. dort auch die Einleitung des Herausgebers). 15 Vgl. z. B. conf. 1,1; 10,4; dazu Norbert Fischer: Einleitung (SwL), XXXI – XXXIII; XXXV; XXXVII; XCI. 16 Vgl. retr. 2,6,1: »confessionum mearum libri tredecim et de malis et de bonis meis deum laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellectum et affectum interim quod ad me attinet, hoc in me egerunt cum scriberentur et agunt cum leguntur.« Bemerkenswert ist, daß die Confessiones im systematisch orientierten Denken des Hochmittelalters im Hintergrund blieben, daß sie mit dem Aufkommen der spirituell ausgerichteten ›devotio moderna‹ in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit traten und in der neueren Philosophie, besonders seit dem Beginn ihrer phänomenologischen Ausrichtung, auch denkerisch als zentraler Text beachtet wurden. 17 Diese Auslegung war – im Gegensatz zur heute vorherrschenden Exegese – stark von philosophischen und spirituellen Motiven und einer allegorischen Methode bestimmt. Als Beispiel, daß diese Exegese auch heute noch positive Resonanz findet, vgl. Ludger Schwienhorst-
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der systematischen Reflexion der Inhalte der Glaubensbotschaft (z. B. De trinitate).18 Dabei begab er sich in zuweilen unerbittliche Debatten mit abweichenden Lehren (z. B. Contra Iulianum)19 oder betrieb als beredter Advokat die Abwehr feindlicher Angriffe gegen die christliche Kirche (z. B. De civitate dei).20 Die Unterschiedlichkeit der Gesichtspunkte, die Augustinus zum Denken, Lehren und Schreiben bewegt haben, spiegelt sich in einer facettenreichen, teils auch widersprüchlich scheinenden Wirkungsgeschichte, deren Untersuchung nicht nur historischen Interessen dient, sondern auch Anregungen zur sachgemäß reflektierten Lektüre seiner Werke gibt, sofern sie von Blickverengungen zu befreien vermag, die endlichen geschichtlichen Situationen immer anhaften.
Schönberger: Augustins Auslegung von Genesis 1 in Confessiones 11 – 13 und die moderne Bibelwissenschaft. 18 Vgl. dazu z. B. Johannes Brachtendorf: Gott und sein Bild. Augustins De Trinitate im Spiegel gegenwärtiger Forschung. Basil Studer: Augustinus. De Trinitate. Eine Einführung. 19 Vgl. Mathjis Lamberigts: Julian von Aeclanum und seine Sicht der Gnade: Eine Alternative? (mit weiteren Literaturangaben). 20 Vgl. z. B. Christoph Horn: Augustinus. De civitate dei; zur Bedeutung der ihn prägenden Last des Bischofamtes vgl. Gerhard May: Augustin als Prediger, Seelsorger und Bischof.
Das älteste Bildnis des hl. Augustinus? Zum Wandmalereifragment eines spätantiken Autors im Lateran von Rainer Warland
In den verwinkelten Substruktionen der Kapelle Sancta Sanctorum beim Lateran stieß Philippe Lauer bei Ausgrabungen des Jahres 1900 auf das Wandmalereifragment eines spätantiken Autorenbildes (Abb. re.).1 Die zwischenzeitlich restaurierte und neu fixierte Malerei befindet sich an schwer zugänglichem Ort, in einem niedrigen Querstollen, und es ist höchst zweifelhaft, ob sich der originale Bauzusammenhang noch klären lassen wird (Gesamthöhe der Malerei ca. 260 cm, Maße des Figurenfeldes 140 x 120 cm). Vermutlich handelt es sich um Räume des päpstlichen Archivs beim Lateran. Von Papst Zacharias (741 – 752) wird berichtet, daß dieser bei seinen umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen des päpstlichen Palastes beim Lateran auch Baumaßnahmen ›ante scrinium sanctum‹ durchführen ließ.2 Weitere Wandmalereifragmente, die im Kontext des Autorenbildes angetroffen wurden, zeigen einen zweizeiligen lateinischen Titulus, ferner einen Tondo mit Inschrift sowie den Dekor einer Nische mit einem radschlagenden Pfau.3 Alle Fragmente wurden von Wilpert in seinem kapitalen Werk zu den Mosaiken und Malereien der Spätantike bekannt gemacht. Giovanni Tabanelli, der Mitarbeiter Wilperts, fertigte eine zeichnerische Kombination der Malereifragmente an und ordnete sie in einen mehrzonigen, ho1 Grundlegend sind folgende Veröffentlichungen: Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV. bis XIII. Jahrhundert. Fig. 37, IV Taf. 140 – 141; Fabrizio Bisconti: L’Affresco del S. Agostino; Maria Andaloro: La Pittura Medievale a Roma 312 – 1431; Philippe Lauer: Les fouilles du Sancta Sanctorum. 2 Vgl. Liber Pontificalis I,432; dazu zuletzt Bisconti: L’Affresco del S. Agostino, 62; ferner Manfred Luchterhandt: Päpstlicher Palastbau und höfisches Zeremoniell unter Leo III. 3 Zum Typus der Nische, dekoriert mit einem radschlagenden Pfau, vgl. Jean-Pierre Sodini: Les paons de saint-Polyeucte et leurs modèles.
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hen Wandaufbau ein (Abb. li.).4 In der Gesamtwirkung und der spezifischen Typologie dieser Schmuckfelder muß es sich um einen spätantiken Bibliotheksraum gehandelt haben, der höchsten Repräsentationsbedürfnissen gerecht wurde. War Lauer noch zurückhaltend bei der Zuschreibung des Autorenbildes, so trat Joseph Wilpert in einem Aufsatz von 1931 nachdrücklich für die Identifizierung als Augustinus ein. Er sah den überragenden Autor der spätantik-lateinischen Literatur hier im römischen Archiv erstmals mit veristischen Bildnismerkmalen wiedergegeben.5 Augustinus von Hippo (354 – 430) hatte damit die individuelle Physiognomie eines Mannes in fortgeschrittenem Alter erhalten, mit markanter hoher Stirnglatze, das gerundete Gesichtsfeld gerahmt von einem Bart. Und dennoch, die ebenso gelehrte wie suggestive Beweisführung von Wilpert muß vor der heutigen Denkmälerdiskussion relativiert werden. Das Autorenbild behält seinen bildgeschichtlichen Wert, doch die Authentizität des lebensnahen Porträts kann nicht aufrechterhalten werden. Wilpert verwies auf Siegelbilder und Bildnistafeln, deren Gebrauch im Schriftverkehr spätantiker Autoren literarisch bezeugt ist. Augustinus selbst erwähnt in einem Brief ein solches beglaubigendes Ringbild (ep. 59,2: »hanc epistulam signatam misi anulo, qui exprimit faciem hominis adtendentis in latus«). Erhalten ist davon freilich nichts und das Kleinformat läßt spezifische Porträtmerkmale nicht zu. Stattdessen sind es andere Bildnisgattungen, in denen verläßliche Porträts spätantiker Zeitgenossen zu erwarten wären. Dies sind hochrechteckige Bildnistafeln (›tabulae imaginis‹), auf die der fälschlich »rechteckiger Nimbus« genannte Rahmen um die Köpfe historischer Personen der Spätantike und des Frühmittelalters hinweist.6 In der Theodotuskapelle von Santa Maria Antiqua in Rom war der rechteckig gerahmte Kopf des Stifters separat gearbeitet und mit Stiften in die Wandmalerei eingefügt.7 Noch verbreiteter war der Bildtypus der Imago clipeata, der schildgerahmten Bildnisbüste, die als Porträtträger diente. Die Clipeus-Serie der frühchristlichen Päpste in der 1823 niedergebrannten Paulus-Basilika in Rom bot eine solche offiziöse BildJoseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien IV, Fig. 37. Joseph Wilpert: Il piu antico ritratto di S. Agostino. 6 Gerhart B. Ladner: Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelalters. 7 Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien II, 191; ferner Arno Rettner: Dreimal Theodotus? Stifterbild und Grabstiftung in der Theodotus-Kapelle von Santa Maria Antiqua in Rom. 4 5
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nisfolge der Amtsträger.8 Auch das Clipeus-Porträt des nordafrikanischen Bischofs Quodvultdeus, der vor den Vandalen geflüchtet war, gehört in diese Bildnisgattung. In der Bischofsgruft von S. Gennaro in Neapel gehört sein Mosaikbildnis über dem verehrten Grab zu den wenigen verläßlichen Zeugnissen spätantiker Porträts.9 Als Bildargument für Wilperts Interpretationsansatz bleibt allein das frühmittelalterliche Zeugnis des Boethius-Diptychons aus dem Jahr 487 n. Chr. in Brescia.10 Auf den Innenseiten (Abb. o.) ist dort eine frühmittelalterliche Eintragung mit der übergreifenden Rubrizierung »Quo deo offerimus« erhalten, unter der die Namen der verstorbenen Bischöfe links und die der lebenden Bischöfe und Gläubigen rechts Maria Andaloro: La Pittura medievale a Roma 312 – 1431, 97 – 121. Umberto M. Fasola: Le catacombe di S. Gennaro a Capodimonte, 154 Taf. XII. 10 Richard Delbrueck: Die Consulardiptychen und verwandte Denkmäler. Studien zur Spätantiken Kunstgeschichte 2, Nr. 7, 103 – 106 Abb. 1; San Salvatore di Brescia. Materiali per un museo I. Nr. VIII 03, 176 – 177 (Giovanni Vezzoli). 8 9
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zum liturgischen Gedenken (›in diptychis‹) der Kanongebete aufgelistet sind. Zusätzlich wurden über den Namen der Verstorbenen links das Bild der Auferweckung des Lazarus eingefügt, über den Lebenden dagegen drei Brustbilder von lateinischen Bischöfen als Autoritäten und Vorbilder im kirchlichen Amt. Diese sind in Beischriften als Hieronymus, Augustinus und Gregor benannt. Augustinus ist hier also nicht als spätantiker Autor, sondern als Bischof mit Casel und liturgischem Codex charakterisiert. Tatsächlich kehren in seinem Bild typologische Merkmale der Lateranmalerei wieder: die gerundete Kopfform mit der markanten hohen Stirn, in der noch ein letztes Haarbüschel auszumachen ist. Es fehlt der Bart des römischen Wandbildes. Die Malerei des Diptychons ist nach 604, dem Tod Gregors des Großen, ins 7. oder 8. Jh. anzusetzen. Neu in die Diskussion kann an dieser Stelle das Augustinusbild des Egino-Codex (Berlin, Staatsbibliothek Ms. Phillips 1676) eingeführt werden.11 Der Codex, der vor 799 im Auftrag des Bischofs Egino von Verona angefertigt wurde, enthält eine Predigtsammlung unterschiedlicher Autoren für kirchliche Festtage (»Sermones legendi in festivitatibus ecclesiae«). Das herkömmliche Bildproömium der vier Evangelistenbilder wird dabei neuartig umgeformt und mit vier bischöflichen Autoritäten besetzt. Von spätantiken Vorbildern geprägt thronen diese, von Klerikern umringt, unter Arkaden, die mit Muschelkalotten gefüllt sind. Augustinus (Abb. re.) macht – bemerkenswerter Weise – den Anfang (fol. 18 v). Er diktiert einem Kleriker den Text ins Buch, mit dem auch die erste Predigt des Codex beginnt, die als Predigt des Augustinus identifiziert wurde (»AUDISTIS FF KM« = Audistis fratres quemadmodum beatus evangelista hodie generationis Christi retulit sacramentum, PL 39, 1997 – 1999).12 Ihm gegenüber ist auf der geöffneten Doppelseite Leo der Große zu sehen (fol. 19 r). Später folgen als Einzelbilder Ambrosius (fol. 24 r) und Gregor (fol. 25 v). Die beiden römischen Bischöfe thronen in hieratischer Frontalität mit dem Pallium als »römischer« Insignie, die Bischöfe von Hippo und Mailand sind dagegen ins Dreiviertelprofil gewendet. Wiederum wird Augustinus, wie im Wandbild des Lateran und auf dem Diptychon in Brescia, mit hoher, freier Stirn im Typus des Philosophen gezeigt. Er ist erneut bartlos. Im Kontext der vier Kirchenväter vertritt er einen spezifischen Alterstypus des Literaten und Philosophen, des Denkers allgemein, so wie Leo der Große in seiner Frisur dem spätantik-römischen Typus des Petrus mit charakteristischer Stirntolle angeglichen wird. Fazit: worauf Wilpert gestoßen war, begründet kein veristisches Bildnis, sondern einen Eigentypus, einen geläufigen altersspezifischen Philosophentypus, der nun auf Augustinus übertragen wurde und für ihn dann offensichtlich reserviert blieb. Erst durch diese Festschreibung der Bildtradition wurde Augustinus wiedererkennbar 11 Joachim Kirchner: Beschreibendes Verzeichnis der Miniaturen und des Initialschmuckes in den Philippshandschriften, 6 – 9; Karl der Große. Werk und Wirkung, Nr. 459. 12 Christiane Mattke: Mémoire et devoirs d´un éveque, 216.
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und aus dem Typus generierte sich im Laufe der Bildgeschichte Individualität. Das Wandmalereifragment des Lateran wird insgesamt durch Konventionen und Requisiten spätantiker Bibliotheksausstattungen geprägt. Das Autorenbild bezieht seine Aura von einem bildmächtigen Klappstuhl, der den Sitzenden raumhaltig umfängt, dabei aber in unterschiedliche Ansichtsseiten auseinanderfällt. Details des Stuhles, wie die gebogenen Beine des scherenartigen Klappmechanismus, die weich einschwingenden Armlehnen, die andernorts mit kopfstehenden Delphinen dekoriert sein können, und die schirmartige, geschwungene Lehne greifen erneut Requisiten des Philosophenbildes auf. Als Beispiele kann das Carrand-Diptychon im Bargello in Florenz aus dem 5. Jh. mit einem lehrenden Paulus genannt werden.13 Im Wandbild des Lateran wendet sich der Autor im Redegestus mit vorgestreckter Rechter und einem Rotulus in der geschlossenen Linken an den Betrachter. Wegen des Wechsels vom Rotulus zum Codex, der sich in der Spätantike vollzieht, ist nun dem Autor zusätzlich ein Pult mit einem geöffneten Codex beigestellt. Der für den Betrachter einsehbare Schriftspiegel, mit breiten Binnenrahmen, läßt die Herkunft des spätantiken Buches von den Diptychen mit eingefügten Blättern erkennen. Noch ein anderes Nebenmotiv spricht die Aufmerksamkeit des Betrachters an: eine voluminöse Gewandbahn des Palliums stülpt sich an ihrem Ende zu einem großförmigen Trichter auf und öffnet der Figur eine Zugangsseite, die mit der Schulterachse und der Neigung des Kopfes zum Betrachter hin korrespondiert. Auch die Disproportion der weit vortretenden Stuhlbeine folgt derselben Absicht. Die effektheischende Inszenierung, die die gesamte Komposition in eine aufsteigende Diagonale einspannt, spricht für eine bewußte Berechnung der Figur auf die Unteransicht. Der prominente Autor war, wie schon die Rekonstruktion von Tabanelli zu Recht vermutete, der höchste Teil einer raumhohen Wanddekoration. 13 Kathleen J. Shelton: Roman Aristocrats, Christian Commissions: The Carrand Diptych, 166 – 180 Taf. 28. Es ließe sich für die Stuhlformen auch auf Autorenbilder des Wiener Dioskurides und des Rabbula-Codex in Florenz verweisen, beide 6. Jh.
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Eine derartige Figur muß als Bestandteil eines ausgeklügelten Raumkonzeptes verstanden werden. Die Figur, die zu ihrer rechten Seite von einer Wandkante begrenzt wurde, eröffnete eine Raumflucht zu ihrer Linken, in die sie mit ihrer Sitzhaltung hinführte. Die Figur diente demnach als Blickfang für den Eintretenden und zugleich als Wegweisung und Orientierung zum Auffinden der Literatur. Bibliotheksbestände unterlagen in der Antike einer sorgfältig durchdachten Aufstellung. Selbst in der Privatbibliothek einer spätantiken Landvilla, von der Apollinaris Sidonius berichtet (Epistula II, 9 an Donidius), waren die Bücher der spätantiken Autoren nach literarischen Gattungen geordnet, und nicht etwa nach Kriterien wie »heidnisch« oder »christlich«. Die Schriften des Augustinus standen in dieser spätantiken Villa neben denen des Varro und die des Prudentius bei denen des Horaz.14 Im Bibliothekssaal des Lateran verwies das Bild des Augustinus auf die lateinischen Autoren. Die Lesung und Interpretation der Inschrift unter der Autorenfigur ist nach Wilpert wie folgt: DIVERSI DIVERSA PATRES sed hic OMNIA DIXIT ROMANO ELOQVio MYSTICA SSENSA TONANS
Verschiedenes haben die Väter geschrieben; doch dieser hier hat in lateinischer Sprache alles behandelt, mystische Sentenzen mit Donnerstimme verkündend.15 Ob es weitere Figuren gab und wer diese waren, kann dagegen nicht mehr entschieden werden. Aus der Bibliothek des Papstes Agapet (535 – 536) beim Clivus Scauri am Hang des Caelius ist eine Inschrift überliefert, die eine Reihung von derartigen Autorenbildern vermuten läßt (ebd.): »Die ehrwürdige Schar der Heiligen sitzt hier in langer Reihe und lehrt die geheimnisvollen Aussprüche des göttlichen Gesetzes«. Daß aber gerade Augustinus an hervorgehobener Stelle den Anfang einer derartigen Autorenreihe machen konnte, stützt nachdrücklich das Beispiel des Egino-Codex. Mit dem Wandmalereifragment in den Gewölben der Kapelle Sancta Sanctorum beim Lateran ist somit die letzte Spur eines bedeutenden spätantiken Bibliothekssaales aus dem spätantiken Rom überkommen. Stilistisch und ikonographisch weist die Malerei in das 6. Jh.
14 Gaius Sollius Apollinaris Sidonius: Poems and letters: in two volumes. I,453 – 455: »Die Bücher waren so angeordnet, daß sich die religiöse Erbauungsliteratur in der Nähe der Damenstühle befand, während sich um die Sitze für die Herren Hauptwerke der lateinischen Literatur befanden. Unter letzteren befanden sich bestimmte Werke einzelner Autoren, deren Stil Ähnlichkeiten aufweist, obwohl sie unterschiedlichen Glaubens sind; denn es war üblich, Autoren ähnlicher Kunstfertigkeit zu lesen: hier Augustinus, dort Varro, hier Horaz, dort Prudentius« (Übersetzung A.L. de la Iglesia, Freiburg). 15 Joseph Wilpert: Die römischen Mosaiken und Malereien I, 150.
Von der Aporie zum Code 1 Aspekte der Rezeption von Augustins ›De Genesi ad Litteram‹ bis auf Remigius von Auxerre († 908) von Karla Pollmann
1. Einführung
Augustins umfangreicher ›Wörtlicher Kommentar zur Genesis‹ (De Genesi ad Litteram), der etwa in den Jahren von 404 bis 414 entstand, ist wohl eines seiner am wenigsten erforschten Hauptwerke.2 Dies ist nicht nur an sich gesehen auffallend, sondern steht auch in eklatantem Gegensatz zu der signifikanten Rezeption, derer sich dieses Werk von Anfang an und bis in die jüngere Gegenwart erfreut. Diese Rezeptionsgeschichte soll im folgenden von ihren Anfängen bis in die Karolingerzeit hinein skizziert werden, ein Zeitraum, dem für die Augustinus-Rezeption bisher nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird.3 Dabei soll im Mittelpunkt die Frage stehen, welche Funktionen dieses Werk für eine Reihe seiner Rezipienten bis zur Karolingerzeit haben kann und was dies für deren Einstellung zu tradierten Texten allgemein, zu religiösen nichtbiblischen Autoritäten im besonderen sowie zu ihrer eigenen Position in der Geschichte der Weitergabe, der Erklärung oder der Generierung von Wissen bedeutet. Es soll dabei nicht um den ›materialen‹ Aspekt der Überlieferung dieses Werkes in Handschriften gehen.4 Diese Analyse steht im Zusammenhang mit einem größeren interdisziplinären und internationalen Projekt zur Augustinus-Rezeption, das von mir in St Andrews geleitet wird.5 Rezeption wird hier als die Aufnahme und das Weiterwirken eines Werkes ab dem Tode eines Autors definiert.6 Daher werden weder Reaktionen von Zeitgenos1 Im Sinne von »System verabredeter Zeichen«; vgl. den Titel des faszinierenden Buchs von Thomas O’Loughlin: Teachers and Code-breakers: The Latin Genesis Tradition, 430 – 800. 2 Vgl. die wenigen, allerdings in der Tat ungenügenden Literaturangaben bei Wilhelm Geerlings: Augustinus – Leben und Werk. Eine bibliographische Einführung, 141. 3 So fehlt er z. B. in Volker Henning Drecoll: Augustin Handbuch, 557 ff. (›D. Aspekte der Wirkungsgeschichte‹) nach dem Jahr 529 gänzlich. 4 Für einen knappen, hilfreichen Überblick hierzu vgl. Roland J. Teske: Genesi ad litteram (De-), 124 f. 5 Vgl. Karla Pollmann; David Lambert: After Augustine. A Survey of His Reception from 430 to 2000, und www.st-and.ac.uk/classics/after-augustine für weitere Details. Das Projekt wird vom britischen Leverhulme Trust großzügig unterstützt. 6 Peter Lebrecht Schmidt: Rezeptionsgeschichte und Überlieferungsgeschichte der klassischen lateinischen Literatur.
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sen Augustins zu dessen Lebzeiten auf dieses Werk noch der Sonderfall der Selbstrezeption Augustins in seinen Retractationes am Ende seines Lebens berücksichtigt, wo er betont, daß in De Genesi ad litteram mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben werden.7 2. Chronologische Analyse im Überblick
Possidius († nach 437), der fast vierzig Jahre als Schüler und Freund mit Augustinus zusammenlebte, verfaßte kurz nach Augustins Tod, zwischen 431 und 437,8 eine Biographie über Augustins Leben, der auch ein Indiculum mit einer (nicht vollständigen) Liste der von Augustinus verfaßten Werke angefügt ist. Dieses historisch wichtige Verzeichnis hat Possidius in zehn Abteilungen gegliedert. De Genesi ad litteram libri duodecim figuriert unter dem Abschnitt X.: »Item diversi libri et tractatus vel epistulae ad utilitatem studiosorum omnium conscriptae« (›Ferner verschiedene zusammengestellte Bücher und Abhandlungen oder Briefe zum Nutzen aller Studierwilligen‹).9 Possidius betrachtet den Genesis-Kommentar also als ›neutral‹ und als mit der binnenchristlichen Absicht der Belehrung der Gläubigen geschrieben, was zu dem universalen Anspruch des Kommentars paßt, der zwar ständig Gegner und Einwände im Sinn hat, aber nur sehr selten konkrete Kritiker beim Namen nennt.10 Salvian von Marseille (etwa 400 bis 480), Angehöriger der Oberschicht und später Presbyter von Marseille, verfaßte ein Hexaëmeron, also einen Kommentar zum biblischen Sechstagewerk, der aber verloren ist. In seinen übrigen Schriften taucht De Genesi ad litteram nicht auf, was angesichts von deren ganz anders gelagerter Thematik nicht weiter verwundert. Interessanterweise läßt sich die Rezeption von De Genesi ad litteram in der Dichtung beobachten, und zwar besonders in Claudius Marius Victorius’ Alethia (entstanden um 420 bis 430), in dem pseudo-hilarianischen Metrum in Genesin (wohl zwischen 440 und 461 entstanden11), in den De laudibus dei des Dracontius, sowie in Avits († 528) Bibelepos De spiritalis historiae gestis, geschrieben nach Dracontius’ De laudibus dei.12 Hingegen findet Augustinus in Venantius Fortunatus († nach 600) zwar mehrere Male namentliche Erwähnung, aber De Genesi ad litteram ist 7 Gn. litt. 2,24,1; vgl. Karla Pollmann: ›Alium sub meo nomine‹: Augustine between His Own Self-Fashioning and His Later Reception. 8 Wilhelm Geerlings (Hg.): Possidius. Vita Augustini, 14. 9 Wilhelm Geerlings (Hg.): Possidius. Vita Augustini, 123, 156. 10 Karla Pollmann: Augustine, Genesis and Controversy, 211, 213 f. 11 Gottfried Eugen Kreuz (Hg.): Pseudo-Hilarius, Metrum in Genesin. Carmen de Evangelio. Einleitung, Text und Kommentar, 129. 12 Claude Moussy; Colette Camus (Hgg.): Dracontius. Louanges de Dieu. Livres I – II: Moussy (28 f.) datiert die Veröffentlichung von laud. überzeugend nach 496.
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weder für seine Prosa noch für seine Gedichte faßbar, wiederum wohl aus thematischen Gründen.13 In den davor genannten Fällen ist stets eine sehr unabhängige Rezeption charakteristisch, wobei Augustins Gedankengut der übergeordneten poetischen Absicht angepaßt wird und nicht umgekehrt. Marius Victorius betont im Zusammenhang mit seiner dichterischen Paraphrase der Schöpfungsgeschichte das Paradox von Gottes arbeitsamer Ruhe am siebten Tag (Alethia 171 – 194), was auf De Genesi ad litteram zurückgeht (5,20,41: »quod [sc. deus] consummaverit omnia opera sua in die sexto«). Jedoch folgt Victorius, als einer der ersten Zeugen, der Vulgata-Übersetzung von Genesis 2,2 ›die septimo‹, und nicht wie Augustinus der Vetus Latina,14 weswegen Victorius wesentlich dezidierter als Augustinus Gottes ›Arbeit‹ für den siebten, anstatt für den sechsten Tag betont. Victorius behält die Kontrolle über seine intellektuellen Quellen, und besonders die Freiheit, Augustinus zu gebrauchen, aber ihm nicht notwendigerweise zu folgen.15 Auch das anonyme Metrum in Genesin zeichnet sich durch einen selbstbewußten Umgang mit Augustinus aus, indem es z. T. exegetischen Traditionen folgt, die Augustinus explizit ablehnte (z. B. die Auffassung, daß die Doppelung der Erschaffung des Menschen in Genesis 2 lediglich eine genauere Darstellung als Genesis 1 darstelle; so Metrum 111 – 124, gegen Gn. litt. 6,1,1 – 6,11), oder Problematisches einfach wegläßt (z. B. streicht es die Tageszählung). Dagegen folgt das Metrum Augustinus aber in seiner Erklärung der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes als Zeichen dafür, daß sie seine Gefährtin sei (Metrum 124; Gn. litt. 9,13,23),16 sowie in der Betonung der schrittweisen Verschlechterung der Menschheit nach dem Sündenfall (Metrum 170 – 184; Gn. litt. 11,35,48).17 Dagegen ist die im Metrum vertretene Auffassung von Gottes schaffender Tätigkeit als Simultanschöpfung nicht nur bei Augustinus zu finden.18 13 Auch das karolingische Lehrgedicht De creatione mundi des Wandalbert von Prüm (um 850) enthält sowohl Elemente, die mit Augustinus übereinstimmen, als auch solche, die ihm widersprechen. Direkte Abhängigkeit von Gn. litt. ist nicht eindeutig zu erkennen. 14 Bonifatius Fischer (Hg.): Genesis. Vetus Latina, 34 f.; an anderen Stellen redet Augustinus aber durchaus vom siebten Tag. 15 Daniel D. Nodes: The Seventh Day of Creation in »Alethia« of Claudius Marius Victor, 64 – 67, 69, damit Pieter Frans Hovingh modifizierend (Claudius Marius Victorius. Alethia, I,188), der eine stärkere auch inhaltliche Abhängigkeit des Victorius von Augustinus postulierte. Nodes betont (70), daß eine weitere wichtige Konzeption Augustins, nämlich die notwendige aktive Rolle von Gottes Gnade für die Erneuerung des Menschen, bei Victorius aufgenommen wird. 16 Ähnlich betont Avit (spir. 1,183 f.) die mit der Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes verbundene gegenseitige Treue, geht aber in 1,184 f. mit der Erwähnung, daß der Mann dafür seine Eltern verlasse (nach Gen 2,24), über Augustinus hinaus, der in Gn. adv. Man. 2,13,19 bekennt, mit diesem Vers außer im prophetischen Sinn nichts anfangen zu können. 17 Vgl. für all dies ausführlicher Gottfried Eugen Kreuz (Hg.): Pseudo-Hilarius, Metrum in Genesin. Carmen de Evangelio, 102 – 122. 18 Vgl. Johannes Zahlten: Creatio Mundi. Darstellungen der sechs Schöpfungstage und naturwissenschaftliches Weltbild im Mittelalter, 92, was zu ungenau ist; vgl. Metrum 9: ›exorta repente‹; Ambrosius: Hex. 1,3,8 f.; Augustinus: Gn. litt. 4,33 f.; Marius Victorius: Aleth. Prec. 22 f.
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Einige Handschriften nennen bezeichnenderweise Augustinus als den Verfasser der De laudibus dei des Dracontius.19 Wenngleich es wenig hilfreich und zu allgemein ist, den Ton dieses Gedichts als ›Augustinisch‹ zu bezeichnen, so finden sich in der Tat Themen in diesem Gedicht, die auf Augustinus, und darunter eben auch De Genesi ad litteram, zurückführbar sind.20 De Genesi ad litteram ist in folgender Hinsicht relevant: Gottes Ruhe am sechsten bzw. siebten Tag bedeutet nicht seinen Kontaktabbruch mit der Schöpfung, sondern seine immerwährende sorgende Präsenz (laud. 1,427: »non obliviscitur«; Gn. litt. 4,12,22 f.). Gottes Liebe will die Existenz und die Permanenz seiner Schöpfung (laud. 1,605: »irrevocabile munus«; Gn. litt. 1,6,12; 1,8,14). Es gab die Möglichkeit einer unschuldigen Sexualität im prälapsarischen Paradies (laud. 1,444 f.; Gn. litt. 9,3,6; 11,1,3; s. auch civ. 14,23 f.). Während eine exegetische Tradition ab Jesus Sirach 25,33 (»a muliere initium factum est peccati, et per illam omnes morimur«) gerne der Frau die Schuld am Sündenfall gibt, betonen Augustinus (Gn. litt. 11,42,58 f.; civ. 14,11.13) und, im Anschluß an ihn, Dracontius (laud. 1,542 f.) die gleichberechtigte Komplizenschaft und Sünde der ersten Menschen, die zu ihrer Vertreibung aus dem Paradies führte. Bei Avit findet sich z. T., wie bei Marius Victorius, eine Bevorzugung der Vulgata (z. B. spir. 1,126 ›inspirat‹ als Übersetzung von Gen 2,7 ™nefÚshsen), im Gegensatz zu Augustinus, der der Vetus Latina folgt und deshalb ›(suf)flavit‹ schreibt (Gn. litt. 7,1,2), wo er sich auch explizit gegen das in einigen Codices enthaltene ›(in)spiravit‹ entscheidet.21 Dagegen charakterisiert Avit die Schlange als ›altior astu‹ (spir. 2,118), gegen ›callidior‹ in der Vulgata, aber im Anschluß an Augustinus (Gn. litt. 11,2,4). Avit läßt Gott von Wetterzeichen sprechen (spir. 1,62 ff.), die der Mensch beachten soll, was Augustinus ausdrücklich unter die nützlichen Künste rechnet (Gn. litt. 2,14,29).22 Bei Avit findet sich dieselbe asyndetische Aufzählung von vier Sinnen, die organisch mit dem Gesicht verbunden sind (spir. 1,82 – 86), während allein der fünfte Sinn, der Tastsinn, sich über den gesamten Körper erstreckt – wie bei Augustinus (Gn. adv. Man. 1,24,42 und Gn. litt. 7,17,23 – 18,24).23 Avit erklärt das Öffnen Claude Moussy; Colette Camus (Hgg.): Dracontius. Louanges de Dieu, 73, 112 f. Claude Moussy; Colette Camus (Hgg.): Dracontius. Louanges de Dieu, 73 f. 21 Vgl. Nicole Hecquet-Noti (Hg.): Avit de Vienne, Histoire Spirituelle. Introduction, texte critique, traduction et notes, 145 Anm. 4. Wandalbert: De creatione mundi 161 (MGPoet II [1880] 619) hat analog ›inspirans‹. Interessanterweise bietet Eugippius: Excerpta 38 (CSEL 9/1, 227) »et inspiravit sive insufflavit«, was auf Gn. litt. 6,11,19 »et inspiravit sive sufflavit« zurückgreift. 22 Vgl. Metrum in Genesin 88 – 93, das aber viel weiter geht; vgl. Eugen Kreuz (Hg.): PseudoHilarius, 108 – 110), weswegen Avit dies zur Absicherung von Gott selber sagen läßt. 23 Nicole Hecquet-Noti (Hg.): Avit de Vienne, 138 Anm. 7; Ian Wood: Avitus of Vienne the Augustinian Poet, 266 (der aber die Parallele aus Gn. adv. Man. übersieht). Woods Behauptung, daß Gn. litt. Avits theologische Hauptquelle in spir. ausmacht (263), bedarf der Überprüfung; auch die These, daß spir. 4 und 5 weniger anspruchsvoll sind als spir. 1 – 3, da nun Gn. litt. als direkte Quelle wegfällt (269), bedarf der Differenzierung. Einen hervorragenden Fortschritt für Buch 3 erzielt Manfred Hoffmann: A.E. Avitus, De spiritalis historiae gestis Buch 3. 19 20
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der Augen aus Genesis 3,7 (wie Gn. litt. 11,31,40 f.) als symbolisch für die Erkenntnis von Gut und Böse (spir. 2,265 f.). Er gebraucht (spir. 2,303) wie Augustinus (Gn. litt. 11,28,35) und Eugippius (Excerpta 35; CSEL 9/1, 219, 19 – 21) die aus Latium stammenden Marser, die seit der Antike für ihre magischen Kräfte bekannt waren, als Illustration für das Böse.24 Er scheint Augustinus vor allem für inhaltlich gelehrte Details benutzt zu haben, aber manchmal durchaus auch für ernstere theologische Themen,25 wie z. B. die Überzeugung, daß die giftigen und wilden Tiere bereits im Rahmen des ursprünglichen Schöpfungsaktes geschaffen wurden (spir. 3,320 – 322; Gn. litt. 3,15,24; ebenso Marius Victorius: Aleth. 1,353).26 Im Anschluß an Genesis 3,18 folgern sowohl Augustinus (Gn. litt. 8,10,19 – 23) als auch Prudentius (ham. 247 – 250), Marius Victorius (Aleth. 1,514 f.) und Avit (spir. 3,160 f.), daß der Ungehorsam des Menschen gegenüber Gott den Ungehorsam der Materie gegenüber dem Menschen zur Folge hat. Im Gegensatz zu Augustinus und Marius Victorius, den Avit durchgängig benutzt, akzentuiert Avit aber anders: Die verschlechterte Lebensweise des Menschen ist bei ihm nicht so sehr eine Strafe Gottes als vielmehr eine notwendige Konsequenz.27 Augustinus (Gen.adv.Man. 2,21,32; Gn. litt. 3,12,20) sowie Avit (spir. 3,170) betonen, daß die ersten Menschen nach dem Sündenfall den Tieren gleichgestellt werden. Das Scriptorium des Eugippius († nach 530) in seinem Kloster in Castellum Lucullanum bei Neapel stellt eine der ersten Stufen der Produktion lateinischer Bücher in Italien dar, von der deutliche Spuren erhalten sind.28 Einige der ältesten erhaltenen Handschriften, die De Genesi ad litteram überliefern, stammen von einer Handschrift aus der Bibliothek des Eugippius ab und enthalten die Kapitelüberschriften, die Eugippius in De Genesi ad litteram einfügte.29 Für die Unterweisung seiner klösterlichen Gemeinschaft verfaßte Eugippius nach 511 die sogenannten Excerpta ex operibus Sancti Augustini, welche 348 Auszüge aus einigen Werken Augustins (CSEL 9/1,1 »de nonnullis operibus«) enthalten, die einen Umfang von wenigen Zeilen bis zu über zehn CSEL-Seiten haben können. In einer Widmungsepistel an Proba, die dem Werk vorangestellt ist, rechtfertigt Eugippius sein Vorgehen mit dem Hinweis auf die überragende Stellung Augustins in Vergangenheit und Gegenwart, nicht etwa aufgrund seiner Stellung als Bischof oder seiner Heiligkeit, 24 Vgl. Nicole Hecquet-Noti (Hg.): Avit de Vienne, 227 (Anm. 3); Ian Wood: Avitus de Vienne, 267 – 269, geht von der Möglichkeit aus, daß der Schlangenkult der Marser bis ins 7. Jh. überlebt haben könnte. 25 Was sich manchmal bei Avit in der bewußten Wahl eines einzigen Wortes niederschlagen kann, s. z. B. Nicole Hecquet-Noti (Hg.): Avit de Vienne, 192 Anm. 4. 26 Ausführlicher Manfred Hoffmann: A.E. Avitus, 218 – 222. 27 Manfred Hoffmann: A.E. Avitus, 123 f. 28 Michael M. Gorman: Eugippius and the origins of the manuscript tradition of Saint Augustine’s De Genesi ad Litteram, 11. 29 Michael M. Gorman: Eugippius and the origins, 15, 19.
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sondern aufgrund seiner Gelehrsamkeit (CSEL 9/1,15 – 17: »praeclarum fuisse et esse […], cum divina et humana eruditione mirabilem«).30 Dies würde durch bedeutende Kirchenmänner bestätigt, die die Lektüre von Augustins Werken als trostreich im Kampf gegen Gegner der Kirche empfanden und die Bedeutung seiner Werke wohl mit ihrer Autorität bestätigten (CSEL 9/1, 1,19 – 2,1: »sua probabiliter auctoritate firmantes«). Eugippius ist sich also der Rolle prominenter und mächtiger Leser im Rezeptionsprozeß deutlich bewußt. Die Anordnung der Auszüge orientiert sich nicht an der chronologischen Abfassung von Augustins Werken, wie er sie selber in seinen Retractationes proklamiert, sondern sie soll die verschiedenen Stufen der Heilsgeschichte, wie sie aus der Bibel deutlich werden, vom Beginn der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht erhellen. Auffallend ist das exegetisch (nicht dogmatisch-systematisch) orientierte Interesse (CSEL 9/1,2,7 f.: »catholica divinae legis explanatio«), da Augustins Passagen zumeist herangezogen werden, um eine heilsgeschichtlich relevante Bibelstelle zu erläutern. Daß Eugippius seine Excerpta als Einheit auffaßt (CSEL 9/1,3,4: »in unum corpus redacta«), wird auch an deren Rahmung durch Passagen aus Augustinus deutlich, die die Liebe (›caritas‹) als das die Heilsgeschichte durchwaltende Prinzip markieren. In De doctrina christiana 1,39 – 44 erklärt Augustinus, daß die Grundlage und das Ziel aller Bibelauslegung die Liebe zu Gott und den Mitmenschen sei. Die entsprechende Rahmung der Excerpta macht auch aus dieser Perspektive deutlich, daß ihr Anliegen exegetisch ausgerichtet ist. Eugippius bietet vor jedem Exzerpt eine (mehr oder weniger korrekt) zusammenfassende Überschrift seines Inhalts und eine Stellenangabe. Die Auszüge aus Augustins Werken sollen Fragen beantworten, die der Leser an die Bibel stellen könnte; die Bibelstellen als solche werden aber z. T. nicht eigens zitiert. Es ist auffallend, daß Eugippius z. B. bei der Erklärung von Genesis sowohl allegorische Auslegungen aus den Confessiones und De civitate dei anführen kann, als auch die anders gearteten Erklärungen aus De Genesi ad litteram.31 Eugippius betrachtet somit Augustins Werke als repräsentativ für die orthodoxen Positionen des christlichen Glaubens und sieht dessen gesamte schriftliche Hinterlassenschaft als ein mehr oder weniger kohärentes Ganzes an, aus dem er nach Belieben zitieren kann.32 Die Excerpta sind gleichsam eine ganz aus Augustinus zusammengestellte Proto-Katene, die nach Eugippius eventuell auch durch spätere Redaktoren erweitert werden kann, vorausgesetzt, daß die abschließenden Abschnitte zur ›caritas‹ ihren Ort behalten (CSEL 9/1, 4, 3 – 6). Eugippius macht 30 Gelehrsamkeit (›eruditio‹) ist der Gesichtspunkt, unter dem Augustinus durch das Mittelalter hindurch als Autorität benutzt werden wird; vgl. Douglas Gray: I. Saint Augustine and Medieval Literature: Part I, 22. 31 Interessanterweise zitiert er nicht aus Gn. adv. Man. 32 Gegen Paul-Irénée Fransen: D’Eugippius à Bède le Vénérable. À propos de leurs florilèges augustiniens, 189, liest Eugippius Augustins Werke eben nicht um ihrer selbst willen.
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immer wieder deutlich, daß es sich um Auszüge handelt, die dem Leser Appetit auf mehr Lektüre über seine Excerpta hinaus machen sollen.33 Er preist Augustinus ausdrücklich als überragende Autorität, dessen nahtlose und ausschließliche Verwendung als des Repräsentanten christlicher Positionen eine besondere, exklusive Auffassung von Augustins Denken kreiert bzw. widerspiegelt. Eugippius kann in diesen Exzerpten manchmal Sätze der Vorlage auslassen, Satzanfänge modifizieren, um Übergänge zu kaschieren, oder sogar die Reihenfolge von Sätzen ändern.34 Aber generell ist seine Zitiermethode so exakt, daß er manchmal Fehler seiner Vorlage kritiklos übernimmt und sein Text als Spiegel von Autographen mancher Werke Augustins gelten kann.35 Eugippius zitiert vierzehn Auszüge aus De Genesi ad litteram, alle im Zusammenhang mit Fragen zur Schöpfungsgeschichte, sechs aus Buch 11 (zu Fragen des Ursprungs des Bösen, des Wesens des Teufels bzw. der Schlange), fünf aus Buch 8 (zum Baum der Erkenntnis, zu Providenz, zum Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen), sowie je einmal aus Buch 1 (der komplexe Charakter der Genesis-Erzählung mit ihren verschiedenen Bedeutungsebenen), 6 (die Erschaffung des ersten Menschen und die ›rationes seminales‹) und 10 (Levi und Abraham). Allgemein auffallend ist die relativ geringe Anzahl von Exzerpten zu Fragen der Gnadenlehre. Cassiodor (etwa 485 – 580) verwendet De Genesi ad litteram weder in seinen Variae noch in seinen Enarrationes in Psalmos. Das Werk war jedoch in seiner Bibliothek vorhanden, was aus Institutiones 1,1,4 und 2 praef. 3 deutlich wird (geschrieben in mehreren Versionen von ca. 530 bis nach 56236). Er führt er aus, daß De Genesi ad litteram durch den ›disertus atque cautissimus disputator‹ Augustinus mit nahezu enzyklopädischer Gelehrsamkeit verfaßt wurde (Inst. 1,1,4: »doctrinarum paene omnium decore vestivit«). Ferner habe Augustinus mit Gottes Hilfe ein Thema, welchem sich bereits Basilius und Ambrosius ruhmreich gewidmet hätten,37 zu neuen Höhen geführt (»longe in aliam summitatem Domino largiente perduxit«), was ein besonders schwer zu erreichendes Ziel sei. In Buch 2 seiner Institutiones (mit dem Untertitel Über weltliche Gelehrsamkeit) zeigt Cassiodor, dem Programm von Augustins De doctrina christiana 2 folgend,38 den Wert mancher weltlicher Wissenschaften für Christen auf. Dazu gehört auch die Arithmetik, da die Schöpfung nicht in heillosem Durcheinander, sondern in geordneten Zahlenproportionen erschaffen Vgl. Paul-Irénée Fransen: D’Eugippius à Bède le Vénérable, 188 f. Vgl. Paul-Irénée Fransen: D’Eugippius à Bède le Vénérable, 189. 35 Erneut bestätigt durch Michael Gorman: Eugippius and the origins, 25, der den Wert des Eugippius aber für Gn. litt. wegen mehrerer erhaltener früher MSS relativiert. 36 James W. Halporn; Mark Vessey: Cassiodorus. Institutions of Divine and Secular Learning. On the Soul, 23 f., 39 – 41. 37 Nämlich in ihren jeweiligen Werken, die beide den Titel Hexaëmeron tragen. 38 Karla Pollmann: Doctrina christiana. Untersuchungen zu den Anfängen christlicher Hermeneutik mit besonderer Berücksichtigung von Augustinus, De doctrina christiana, 150 f., 192 – 195. 33 34
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worden sei (Inst. 2 praef. 3). Hier verweist Cassiodor abschließend auf eine ausführliche Darlegung dieses Themas in Augustins De Genesi ad litteram Buch 4: »unde pater Augustinus in libro quarto de Genesi ad Litteram minutissime disputavit«. Signifikant ist die Apostrophierung Augustins als ›pater‹, ein Zeichen seiner besonderen Autorität, was in der Zeit Cassiodors zum ersten Mal greifbar wird.39 Ferner ist bemerkenswert, daß Cassiodor hier weder direkte noch indirekte Zitate aus De Genesi ad litteram anführt. Zwar berufen sich beide Autoren (Gn. litt. 4,1,1.; Cass. Inst. 2 praef. 3; 2,4,1) auf Weisheit 11,21 (»omnia in numero, mensura et pondere fecisti«), doch geht es Cassiodor im Zusammenhang darum, die Arithmetik als ein den gesamten Schöpfungsbau durchwaltendes Prinzip herauszuheben. Dies ist Erweis des göttlichen Ursprungs der Schöpfung im Gegensatz zu den chaotischen Werken des Teufels; ferner ist so auch eine begrenzte Erkenntnis ihrer Prinzipien für den Menschen möglich.40 Dies führt er dann weiter aus (Inst. 2,4: De Arithmetica), wobei der Schwerpunkt aber auf einer nicht spekulativen Darstellung der verschiedenen Typen von Zahlen und deren Eigenschaften liegt, woran sich ein kurzer Exkurs zur biblischen Numerologie der Zahlen 1 bis 7 anschließt (2,4,8). Das Kapitel schließt mit der Bemerkung: »et ut res summae atque omnipotentissimae intellegantur, numerus nobis necessarius invenitur«. Weder deckt sich all dies direkt mit dem in der Praefatio Angekündigten, noch stimmt es wirklich mit dem überein, was Augustinus in De Genesi ad litteram 4 unternimmt. Dort geht es im wesentlichen um eine spiritualisierende Auslegung der Zahlen 6 und 7 im Zusammenhang mit dem Problem, wie das Sechstagewerk und der Tag der Ruhe überzeugend erklärt werden können. Dabei kommt es Augustinus besonders darauf an, sein Konzept der Simultanschöpfung mit dem der biblischen sechs Tage (4,33,51 – 34,55), sowie auch das Problem der Ruhe Gottes am letzten Tag mit der Tatsache seiner kontinuierlichen Schöpfungstätigkeit im Johannes-Evangelium 5,17 (4,11,21 – 12,23) zu vereinbaren. Abschließend kann man sagen, daß Cassiodor also entweder De Genesi ad litteram 4 nicht zur Gänze gelesen hat oder ihm die Erwähnung von Augustinus als Autorität zur generellen Unterstützung seiner grundsätzlichen Ausführungen zu Nutzen und Wichtigkeit der Arithmetik dringlicher erschien als eine präzise faktische Übereinstimmung mit dem von Augustinus tatsächlich Ausgeführten. Obgleich in Cassiodors Traktat De anima (entstanden um 538) Augustins De quantitate animae die Hauptquelle darstellt, greift Cassiodor u.a. auch mehrere Male auf De Genesi ad litteram zurück, allerdings ohne dieses Werk ausdrücklich als Quelle zu benennen. Dies liegt am kompilatorisch-didaktischen Charakter von De anima; nichtsdestotrotz ist Augustinus die einzige Autorität, die dort namentlich Vgl. Karla Pollmann: Re-appropriation and Disavowal: Pagan and Christian Authorities in Cassiodorus and Venantius Fortunatus, 292. 40 Dies ist ebenfalls ein Augustinischer Gedanke (z. B. Gn. litt. 4,3,7), was Cassiodor aber nicht explizit sagt. 39
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genannt wird (anim. 9, s. u.; 11). Cassiodor folgt Augustinus in der Bestimmung der Seele als spirituell (anim. 4; Gn. litt. 7,21,27 – 29) und nicht körperlich (ibid.), sowie in der Feststellung ihrer Einzigartigkeit in ihrer Annahme eines Körpers (anim. 4, wobei in Gn. litt. 7,27,38 aber die Freiwilligkeit der Seele in dieser Hinsicht diskutiert wird) und in der Verneinung der Behauptung, die Seele stamme von Erde, Wasser, Luft oder Feuer ab (anim. 4; Gn. litt. 7,21,27). An letzterer Stelle rekombiniert er Aussagen Augustins um der Knappheit und Deutlichkeit willen, indem er die Verneinung der Abstammung der Seelen von den vier Elementen beibehält, die bei Augustinus erwähnte Quintessenz aber wegläßt, sondern unmittelbar eine an De quantitate animae 1,2 anklingende Aussage anschließt, daß die Seele eine einfache und einzigartige Substanz habe. Harmonisierung von Augustins Aussagen ist das Ziel, wenn Cassiodor den Sehvorgang des Auges damit erklärt, daß eine spirituelle Kraft der Seele (anim. 11: »vis animae spiritalis«) nicht allzu weit entfernte Gegenstände berühre. In De Genesi ad litteram sagt Augustinus aber, daß ein Strahl körperlichen Lichts (4,34,54: »corporeae lucis est radius«) dies tue, was sich nicht so recht mit der auch von Augustinus proklamierten Unkörperlichkeit der Seele vereinbaren läßt. Bemerkenswerterweise ist sich Cassiodor der Unsicherheit Augustins bezüglich des Ursprungs der Seele bewußt. So hebt er einmal Augustins Skrupel in dieser Hinsicht als lobenswertes Beispiel hervor, wobei er ihn hier außergewöhnlicherweise ausdrücklich beim Namen nennt, wieder mit dem Autoritätsepitheton ›pater‹: »unde Pater Augustinus, religiosissima dubitatione laudandus, nihil temere dicit esse firmandum, sed in ipsius esse secreto sicut et alia multa sunt quae nosse non potest nostra mediocritas« (anim. 9).41 Cassiodor folgt Augustinus auch, wenn er hervorhebt, daß die Seele bei besonderer Konzentrationsanstrengung zu bestimmten Formen der Geistesabwesenheit neigt, die sich körperlich äußern. Interessanterweise demonstrieren die beiden Autoren dies aber anhand unterschiedlicher Beispiele: Augustinus (Gn. litt. 7,20,26) schildert, daß jemand, der beim Gehen tief in Gedanken versunken ist, entweder plötzlich stehen bleibt oder an dem Haus, das er eigentlich anstrebte, vorbeigeht. Cassiodor dagegen (anim. 10) beschreibt körperliche Symptome der Gedankenversunkenheit wie Schweigen, gesenkte Augen, sowie den temporären Verlust von Hör-, Geschmacks- oder Geruchssinn. Diese Änderung der Beispiele bei Cassiodor hat ihre Ursache darin, daß für sein Anliegen in De anima die körperlichen Sinne allgemein eine wichtige Rolle spielen (z. B. auch in anim. 11); er strebt also eine thematisch-argumentative Geschlossenheit an, die bei Augustinus so nicht gegeben ist. Cassiodor gebraucht De Genesi ad litteram als ›Steinbruch‹, um sein systematisches Anliegen zu unterstützen, und zwar in De anima 3 (Quare anima dicatur), 4 41 Vgl. James W. Halporn; Mark Vessey: Cassiodorus, 260 (Anm. 54), wo auf lib. arb. 3,56 – 59, Gn. litt. 10 allgemein, sowie ep. 143 und 166 als Zeugnisse für Augustins Zweifel verwiesen wird.
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(De definitione animae), 5 (De qualitate animae), 9 (De origine animae), 10 (De sede animae) und 11 (De positione corporis). Jedoch sind in den bei Cassiodor anklingenden Passagen aus De Genesi ad litteram (Bücher 4, 7, und 10) die übergeordnete Intention sowie der unmittelbare Kontext anders: Buch 4 will das Sechstagewerk erklären (s. o.); Buch 7 hat eigentlich die Erklärung von Genesis 2,7 (Einhauchen des göttlichen Odems) zum Ziel, wobei der aporetische Charakter dieser Untersuchung hervorgehoben wird (7,28,43); Buch 10 ist ein Exkurs, der die Entstehung und potentielle Weitergabe der Seele, auch im Lichte der Frage der Erbsünde, klären will, wobei der Mangel an Evidenz aus Bibeltexten betont wird (10,10,17). Am besten sind die Zersplitterung und die den ursprünglichen Kontext vernachlässigende Resystematisierung bei Cassiodor durch thematische Kompilationen, Exzerpte oder Anthologien aus Augustins Werken denkbar, wie sie z. B. bei Eugippius greifbar sind (s. o.). Ob Cassiodor De Genesi ad litteram auch selber teilweise oder zur Gänze gelesen hat, ist nicht einwandfrei feststellbar. Wesentlich ist weiter die Tatsache, daß, was bei Augustinus als tentativ-aporetisches Gedankenexperiment mit teilweise spekulativem Charakter intendiert war, hier nun teilweise als verfestigtes, unhinterfragtes Wissen erscheint. Gregor der Große (540 – 604) war ein großer Bewunderer Augustins und machte ihn gerne für die Herausforderungen seiner eigenen Zeit fruchtbar.42 Der direkte Gebrauch von De Genesi ad litteram ist jedoch meines Wissens wenig erkennbar. Es gibt keine wörtlichen Zitate, nur an einigen Stellen scheint Gregor von Argumenten aus De Genesi ad litteram beeinflußt zu sein, gibt sie aber in eigenen Worten wieder, oft sehr pointiert und elegant.43 Hier benutzt Gregor allgemein das Augustinische Konzept der Simultanschöpfung in Verbindung mit einer andauernden Schöpfungstätigkeit Gottes, um Hiob 40,10 zu erklären: »ecce Behemoth, quem feci tecum«. Er löst also den Gedanken Augustins aus seinem ursprünglichen Zusammenhang, um ihn für ein auslegerisches Problem in einer anderen biblischen Schrift fruchtbar zu machen. Andere Aussagen, wie z. B., daß der Mensch nach dem Fall der Sterblichkeit unterworfen wurde (Moralia 25,3,4), sind verbreitetes christliches Gedankengut und nicht eindeutig auf Augustinus zurückzuführen. Ähnliches gilt, wenn Gregor sich, wie Augustinus in De Genesi ad litteram, für ein historisch-lite42 Vgl. jüngst Katharina Greschat: Feines Weizenmehl und ungenießbarer Spelzen. Gregors des Großen Wertschätzung augustinischer Theologie. 43 Moralia 32,12,16: »rerum quippe substantia simul creata est, sed simul species formata non est«, widerspricht aber z. B. Gn. litt. 2,11,24: »in principio fecit deus caelum et terram, nihil aliud his verbis quam materiae corporalis informitatem insinuare voluisse, eligens eam usitatius appellare quam obscurius, si tamen tardo intellectui non subrepat, ut, materiam et speciem quia verbis scriptura separat, conetur haec duo etiam tempore separare, tamquam prius fuerit materia et ei temporis intervallo interposito postea sit addita species, cum deus haec simul creaverit materiamque formatam instituerit, cuius informitatem usitato, ut dixi, vocabulo vel terrae vel aquae scriptura praedixit.«
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rales Schriftverständnis ausspricht (Moralia 1,56; Hom. in Ev. 40,1; Hom. in Ez. 1,6,7; 2,3,18). Gregors Anthropologie ist von Augustinus beeinflußt, hauptsächlich durch De civitate dei.44 Die Festellung, daß der Mensch in Gehorsam ohne Mühe zur ewigen Seligkeit gelangt wäre (Moralia 35,14,28), geht auf De Genesi ad litteram zurück (8,13,29). Moralia 24,6,11 (»ibi mens ex immenso fonte infusione superni roris aspergitur«) klingt an De Genesi ad litteram an (12,26,54: »ibi beata vita in fonte suo bibitur unde aspergitur aliquid huic humanae vitae«), aber der Kontext der Visionen ist ein anderer, da Augustinus von der ewigen Gottesschau am Ende der Zeit spricht, während es Gregor um eine kurze diesseitige Gottesschau geht, die uns unsere Unvollkommenheit nur noch mehr bewußt macht. Isidor von Sevilla (570 – 636) verfügte über eine breite Kenntnis von Augustins Schriften, einschließlich De Genesi ad litteram, die er für seine kompilierenden Interessen benutzte. Es überrascht nicht, daß sein Umgang mit den Quellen eher centonenhaft anmutet und häufig die ursprüngliche polemische oder aporetische Intention einer Aussage Augustins der neuen Funktion der enzyklopädischen Information weichen muß.45 Eine der wenigen Ausnahmen hierzu findet sich bezüglich der Frage, ob die Sterne eine Seele hätten (De rerum natura 27): Aneinandergereihte Texte46 beantworten dies tentativ mit Ja, wobei der aporetische Charakter der hier zitierten Augustinus-Passage erhalten bleibt und ›sanctus Augustinus‹ ausdrücklich genannt wird.47 Isidor beschließt diesen Abschnitt sogar mit der hypothetischen Frage, was mit den Seelen der Sterne nach der Auferstehung geschehen würde, so die Sterne denn Seelen hätten, womit er selbst über den spekulationsfreudigen Augustinus hinausgeht. Generell war Isidor aber in guter patristischer Tradition streng gegen astrologischen Aberglauben (Etym. 3,27,1 – 2). In De natura rerum 14,2 kombiniert er zu der Frage der in Genesis 1,7 erwähnten Wasser über dem Firmament Ambrosius, Hexaëmeron 2,3,9.12 und De Genesi ad litteram 2,5,9, um deren Plausibilität mit Gottes Allmacht zu erhärten.48 In seinen Etymologiae (8,11: ›Über pagane Götter‹) greift er mehrmals auf De Genesi ad litteram zurück: In 8,11,16 rekurriert er, stark paraphrasierend, auf 2,17,37, daß Dämonen manchmal ein den Menschen überlegenes Wissen bezüglich der Wirklichkeit haben. In 8,11,17 greift er Katharina Greschat: Die Moralia in Job Gregors des Großen, 85 f. Katherine N. MacFarlane: Isidore of Seville on the Pagan Gods (Origenes VIII. 11), 9 – 11; Jacques Fontaine: Isidore de Seville et la culture classique dans l’Espagne wisigothique, 476, 479, mit Anm. 3, 518 und 686 mit weiteren Beispielen (zur Kugelgestalt des Himmels, zu den unregelmäßigen Bewegungen mancher Gestirne, über den Zusammenhang der Lichtintensität der Gestirne und ihrer Entfernung von der Erde, sowie über die Beschaffenheit der Seele). 46 Aus Gen.litt. 2,18,38; Hieronymus: In ECCL. 1,6; Vergil: Aen. 3,284 und 6,725 f. 47 Isidor nennt hier, wie noch zweimal in De natura rerum, ›(sanctus) Augustinus‹ ausdrücklich als Quelle. 48 Thomas O’Loughlin: Teachers and Code-breakers: The Latin Genesis Tradition, 430 – 800, 196 f. 44 45
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betreffs der möglichen körperlichen Beschaffenheit von Dämonen vor und nach ihrem Fall auf 3,10,15 zurück, wieder relativ eigenständig formulierend, vielleicht sogar frei aus dem Kopf.49 Zum Teil zitiert er aber nahezu wörtlich, wie etwa zur Platonischen Vorstellung eines inneren Feuers, das sich nicht nur auf die Augen sondern auch alle anderen Sinnesorgane des Menschen ausbreitet (in Etym. 2,17,67 aus Gn. litt. 7,13,20). Isidor nennt hier in der Regel nie die Namen der von ihm als Quellen benutzten Autoren. In den sein Lebenswerk krönenden50 Sententiae greift Isidor siebenmal auf De Genesi ad litteram zurück (je einmal auf Buch 1, 8 und 9, je zweimal auf Buch 4 und 11), wieder jeweils ohne Namensnennung der Quelle.51 Hier ist der normative Charakter der Zitate besonders eindrücklich, die als definitionsartige Sentenzen unter Mißachtung des ursprünglichen Zusammenhangs zur moralisch-theologischen Belehrung des Lesers in der konzisen Form einer ersten Summa theologica präsentiert werden:52 Im Falle von De Genesi ad litteram, um das Wesen der Engel zu erhellen, die Unnatur des ›malum‹ einzuprägen, die notwendigen von den möglichen Ereignissen innerhalb des Weltenlaufs zu unterscheiden, den Teufel als vor der Erschaffung des Menschen Gefallenen sowie die Kreatur als Gott ähnlich aber nicht in der Essenz verwandt zu definieren. Beda Venerabilis (672/3 – 735) ist sich in seinem Kommentar zur Genesis (Libri Quattuor in Principium Genesis, CCL 118A) der gewaltigen Fülle von bereits vor ihm verfaßten gewichtigen und wortreichen Genesis-Kommentaren bewußt. Daher fühlt er sich im Prolog zu diesem Kommentar (CCL 118A, 1) verpflichtet, für seine intendierten Leser von diesen Schätzen zu pflücken (›decerpere‹) und aus ihnen zu sammeln (›colligere‹), als Hilfe für den Anfänger (›rudis lector‹), damit er dadurch unterwiesen zu einer fortgeschrittenen Lektüre der Hl. Schrift emporschreiten (›ascendere‹) kann. Beda sagt, daß er im folgenden z. T. in den Worten der anderen Quellen, z. T. in seinen eigenen, z. T. unter Angabe der Quelle, z. T. nicht, die Genesisverse erklären wird. Auffallend ist hier das fragmentierte Verständnis von Tradition, wobei die pädagogische Zielsetzung eine Mischung von allem (inklusive eigenem) erlaubt und es auf eine saubere Trennung der Quellen nicht ankommt. Dieser pick-and-choose-Ansatz53 macht es natürlich leicht, einen Autor sozusagen 49 Katherine N. MacFarlane: Isidore of Seville on the Pagan Gods (Origenes VIII. 11), 14. Jacques Fontaine: Isidore de Seville et la culture classique dans l’Espagne wisigothique, 382 Anm. 4 illustriert anhand von Augustins Ausführungen zur Vollkommenheit der Zahl Sechs, daß dies von Isidor z. T. wohl auswendig und z. T. ganz präzise zitiert wird. 50 Pierre Cazier (Hg.): Isidorus Hispalensis Sententiae, XIV – XIX. 51 Augustinus ist nach Gregor dem Großen die zweitwichtigste Quelle in den Sententiae, wobei hauptsächlich seine Confessiones, in der Regel nicht Wort für Wort, aufgegriffen werden, Pierre Cazier (Hg.): Isidorus Hispalensis Sententiae LV – LVII. 52 Pierre Cazier (Hg.): Isidorus Hispalensis Sententiae, X – XIII. 53 Vgl. auch Bedas Collectio ex opusculis sancti Augustini in epistolas Pauli Apostoli; andere Beda zugeschriebene ›Katenen‹ sind aber nicht von ihm, vgl. Anm. 55.
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auch gegen seine Intention zu gebrauchen. Zum Beispiel vertritt Augustinus in De Genesi ad litteram, wie bereits erwähnt, die These von der Simultanschöpfung; dieser stimmt Beda nicht zu, der auf einem tatsächlichen Ablauf der sechs Tage insistiert. Dies hindert ihn aber nicht daran, Augustinus sehr häufig zu zitieren, am häufigsten De Genesi ad litteram. Dabei akzeptiert Beda das Anliegen dieses Werkes, daß die Bibel historische Bedeutung hat, aber er ist mehr noch an Allegorie interessiert, dabei Stellen bei Augustinus ausnutzend, wo dieser ebenfalls allegorisiert.54 Obgleich Beda Augustins Autorität anerkennt, fühlt er sich nicht verpflichtet, ihm in allem zu folgen, schon gar nicht in zentralen Theorien wie der Simultanschöpfung. Wigbod verfaßte um 775 – 800 für Karl den Großen einen stark kompilatorischen Katenen-Kommentar zum Oktateuch, die Quaestiones in Octateuchum.55 Abgesehen von der Kommentierung zu Genesis 1 – 3 basiert diese Katene nahezu ausschließlich auf Isidors allegorischen Kommentaren.56 Das einzige Werk Augustins, das er direkt zitiert, ist De Genesi contra Manichaeos, während er aus De Genesi ad litteram zwar häufig schöpft, aber indirekt durch mittelalterliche Florilegien, nämlich durch De sex dierum creatione (PL 93,207 – 234), einen Kommentar zu Genesis 1 – 3, in dem allegorische Auslegungen aus Isidor in der Regel durch literale Erklärungen aus De Genesi ad litteram vorbereitet werden, ferner durch das Exhymeron, eine irische Epitome von De Genesi ad litteram aus dem späten 7. Jh., und schließlich durch den Dialogus quaestionum LXV (PL 40,733 – 752, auch unter dem Titel Quaestiones Orosii et responsiones sancti Augustini), ein sehr beliebtes Florilegium, das in 65 Fragen und Antworten nahezu ausschließlich aus Augustinus schöpft.57 Die beiden letzteren Werke wurden von Wigbod als von Augustinus selbst verfaßt angesehen.58 Es verwundert angesichts dieser Quellenlage nicht, daß in der Auslegung von Genesis 1 – 3 bei Wigbod die literale Auslegung zwei Drittel einnimmt.59 Die Form des Kommentars ist ein Lehrdialog aus Fragen und Antworten, was seine pädagogische Funktion reflektiert. Sein Anspruch war enzyklopädisch, Augustinus ist in der Genesis-Katene mit Abstand die Hauptquelle, aber Wigbod rekurriert auch auf andere christliche Autoren, besonders Hieronymus und Isidor, sowie christliche Dichter.60
Joseph F. Kelly: Bede’s Use of Augustine for His Commentarium in principium Genesis, 193. PL 93,233 – 430 der gesamte Kommentar als Pseudo-Beda; PL 96,1101 – 1168 lediglich der Kommentar zu Gen 1 – 3 unter dem richtigen Autor Wigbod; vgl. Michael Gorman: The Encyclopedic Commentary on Genesis Prepared for Charlemagne by Wigbod, 175. 56 Michael Gorman: The Encyclopedic Commentary on Genesis Prepared for Charlemagne by Wigbod, 176. 57 Micheal Gorman: The Commentary on Genesis of Claudius of Turin and Biblical Studies under Louis the Pious, 313. 58 Michael Gorman: The Encyclopedic Commentary on Genesis, 178 – 182, 185, 193. 59 Michael Gorman: The Encyclopedic Commentary on Genesis, 185. 60 Michael Gorman: The Encyclopedic Commentary on Genesis, 179, 183 f. 54 55
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Alkuin († 804) ist in seiner katenenartigen Exegese ebenfalls als relativ unoriginell verschrieen, was sich erst in jüngerer Zeit etwas zu ändern beginnt.61 In seinen Quaestiones in Genesim (wohl um 796 entstanden) konzentriert er sich im Wesentlichen auf historisch-literale Aspekte der Genesis-Auslegung,62 die als Einführung zu Genesis dienen sollen.63 Dabei ist Alkuin z. T. erstaunlich eigenständig, da rund die Hälfte der Fragen zu Genesis 1 – 3 nicht auf patristische Quellen zurückzugehen scheinen.64 Offensichtlich hatte er kein Textexemplar von De Genesi ad litteram zur Verfügung, sondern zitiert aus diesem Werk durch Bedas Genesis-Kommentar,65 während er z. B. De Genesi contra Manichaeos und De civitate Dei aus erster Hand zitiert. Claudius von Turin († 827) ist in seiner Synthese, die auch eigenes Gedankengut enthält, relativ selbständig. Er war ein guter Augustinuskenner und schrieb Kommentare zu vielen biblischen Büchern, die auch zu einem Gutteil aus Kompilationen früherer Autoren, besonders Beda und Isidor, bestehen, aber eine eigenständige Struktur aufweisen.66 Wie bei Wigbod, haben seine Kommentare die pädagogische Form der ›quaestiones et responsiones‹, worin aber abhandlungsartige Exkurse eingefügt sind. Claudia Italiani hat herausgearbeitet, daß Claudius’ Kommentar zu Königen eine Vielzahl von Quellen hat, aber in den Exkursen alleine Augustinus verwendet wird.67 Ferner sollen die Kommentare besonders wichtige oder kritische Punkte des Bibeltextes behandeln und eine Lektüre der AT-Schriften im Lichte des NT ermöglichen.68 Zur Erklärung von Elijahs Auffahrt in den Himmel (2 Kg 2) zitiert Claudius (PL 50,1182D – 1183B) den gesamten Abschnitt aus De Genesi ad litteram 9,6,11. Zur Erklärung, daß Gott Ezechiel fünfzehn zusätzliche Lebensjahre gibt (2 Kg 20,6), greift Claudius (PL 50,1199A – B) auf einen Teil von De Genesi ad litteram 6,17,28 zurück, woran er aber eine unaugustinische mystische Auslegung der Zahl 15 anschließt. In seinem Genesis-Kommentar (PL 50,893 – 104869), der literale und allegorische Auslegung verbinden soll, vermeidet er, wie Wigbod, den direkten Gebrauch von De Genesi ad litteram und rezipiert es durch die Exzerptsammlungen Intexuimus, einen größtenteils auf De Genesi ad litteram basierenden wisigothischen Genesis-Kommentar aus dem 7. Jh.,70 und Quaestiones Orosii et responsiones AuguVgl. bes. Michael Fox: Alcuin the Exegete: the evidence of the Quaestiones in Genesim. Michael Fox: Alcuin the Exegete, 41. 63 Michael Fox: Alcuin the Exegete, 51: »a primer for the literal interpretation of Genesis«. 64 Michael Fox: Alcuin the Exegete, 42 f., 48. 65 Michael Fox: Alcuin the Exegete, 48, 51. 66 Michael Gorman: The Commentary on Genesis of Claudius of Turin, 317 f. 67 Claudia Italiani: La tradizione esegetica nel commento ai Re di Claudio di Torino, 73. 68 Claudia Italiani: La tradizione esegetica, 67. 69 Eine ungenügende ›Ausgabe‹, vgl. Michael Gorman: The Commentary on Genesis of Claudius of Turin, 307, mit Ergänzungen 323 – 329. 70 Michael Gorman: The Commentary on Genesis of Claudius of Turin, 308, 313. 61 62
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stini (= Dialogus quaestionum LXV, s.o.).71 Im Gegensatz zu Wigbod, dem die Kompilation patristischer Exegeten am Herzen lag, wollte Claudius primär den Bibeltext besser verstehen, wofür er auch patristische Quellen in Anspruch nahm.72 Hrabanus Maurus (784 – 856) griff in seinem Kommentar zu Genesis (PL 107,439 – 670) hauptsächlich auf Hieronymus, Beda und Isidor zurück. Augustinus figuriert mit relevanten Passagen aus seinen Quaestiones in Heptateuchum, aber De Genesi ad litteram wird nicht aus erster Hand zitiert.73 Hrabanus hatte aber wenigstens eine ungefähre Vorstellung von dessen Inhalt, da er dessen Lektüre als vorbildliches und sein eigenes Werk übertreffendes Beispiel für eine historisch-literale Auslegung von Genesis empfiehlt (MGH epist. 5, n. 39, 476). Was aber seinen eigenen Gebrauch von Augustins exegetischem Werk anbelangt, verließ er sich auf die Synthesen anderer,74 im Falle von De Genesi ad litteram siebenmal auf diejenige von Bedas Collectio ex opusculis sancti Augustini in epistulas Pauli Apostoli.75 Diese indirekte Rezeption, die gemessen an der unglaublichen Zahl von Quellen bei Hrabanus verschwindend gering ist, soll hier nicht eigens behandelt werden. Johannes Scotus Eriugena (810 – 877), der große karolingische Denker, ist in seinem Meisterwerk Periphyseon u. a. um eine Auseinandersetzung mit fundamentalen theologischen Anliegen seiner Vorgänger bemüht. So übernimmt er die Theorie von der Simultanschöpfung und auch die ›primordiales causae‹ (›Keimkräfte‹ oder ›Entstehungsgründe‹) von Augustinus, der die stoisch-neuplatonische Theorie der ›primordiales causae‹ dazu gebraucht hatte, um zu erklären, warum sich die gesamte Schöpfung simultan ereignen konnte und sich doch erst im Laufe der Zeit entfaltet und offenbart (z. B. in Gn. litt. 6,10,17). Dort gebraucht er auch den ebenfalls bei Eriugena verwendeten Terminus ›primordiales causae‹,76 während er an anderen Stellen andere Ausdrücke verwendet. Augustins Überlegungen zu diesem 71 Michael Gorman: The Commentary on Genesis of Claudius of Turin, 317, der 286 aber die direkte Lektüre von Gn. litt. nicht ausschließen will, und 320 vermutet, daß Gn. litt. vielleicht in der Privatbibliothek des Claudius vorhanden war. 72 Fundamental hierfür ist Michael Gorman: The Commentary on Genesis of Claudius of Turin, 317 – 319. 73 Silvia Cantelli Berarducci: Hrabani Mauri Opera Exegetica 1, 184; 2, 453 – 480. 74 Silvia Cantelli Berarducci: Hrabani Mauri Opera Exegetica 1, 194. 75 Silvia Cantelli Berarducci: Hrabani Mauri Opera Exegetica 3, 1349. Alle Stellen figurieren in Hrabans Kommentaren zu Paulusbriefen und gehen auf Gn. litt. Buch 2, 4, 5, 10, 12 je einmal, und zweimal Buch 11 zurück. 76 Dies ist Gangolf Schrimpf (Das Werk des Johannes Scottus Eriugena im Rahmen des Wissenschaftsverständnisses seiner Zeit. Eine Hinführung zu Periphyseon, 260 ff.) entgangen, wodurch manche seiner folgenden Überlegungen obsolet werden. Die Rezeption gerade dieses Terminus wurde durch das entsprechende Exzerpt bei Eugippius (CSEL 9/1, 226, 3) begünstigt. Bei Augustinus und Eugippius steht aber ›quasi primordiales causae‹, während bei Eriugena ›quasi‹ nicht mehr vorkommt. Wiederum haben wir es also mit einer Verschiebung vom Spekulativen hin zum Affirmativen zu tun.
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Konzept sind systematisch nicht ganz in sich geschlossen; z. B. sind die ›primordiales causae‹ nicht geschaffen, sondern ewig, existieren aber dennoch in der geschaffenen Materie. Eriugena geht über Augustinus hinaus, und unter Zuhilfenahme der griechischen philosophischen Tradition gelingt es ihm das erste Mal, eine systematisch geschlossene Erklärung zu entfalten, wie die Entstehungsgründe zu ihren Wirkungen fortschreiten: Die ›primordiales causae‹ sind sowohl ewig als auch geschaffen, sie sind göttliche Ideen als Prinzipien der Schöpfung und zugleich deren Manifestationen.77 Im Gegensatz zu Augustinus ist Eriugena die historische Auffassung des Paradieses aber ein Greuel. Er faßt das Paradies ganz intellektualistisch auf; hierfür nutzt er unterschiedliche Aussagen in verschiedenen Werken Augustins aus, um damit Augustinus sozusagen gegen sich selbst auszuspielen und in sein eigenes (Eriugenas) intellektualistisch-immaterialistisches Weltbild einfügen zu können.78 Augustinus folgend und noch weiter ausdifferenzierend besteht Eriugena auf einer strengen Scheidung von ›sapientia‹ und ›scientia‹ als verschiedenen Wegen zur Wahrheit. Generell setzt sich Eriugena methodisch systematischer und organischer als z. B. Beda mit Augustins Werk auseinander. Aber im Resultat, d.h. der Anverwandlung Augustins für seine Zwecke, ist er nicht so weit von Beda entfernt. Remigius von Auxerre († 908) produzierte »perhaps the most original of all Carolingian commentaries on Genesis«.79 Es handelt sich dabei nicht um ein einfaches Florilegium, obgleich er Quellen, oft nicht wörtlich, zitiert, in der Regel ohne sie zu identifizieren. De Genesi ad litteram wird fast fünfzigmal zitiert (einmal aus Buch 5, je dreimal aus Buch 1 und 2, je fünfmal aus Buch 3, 8 und 9 sowie 24 mal aus Buch 11), was seinen Grund darin hat, daß Remigius dort, wo seine Hauptquelle Hrabanus Maurus keine Literalauslegung bietet, diese aus Augustinus bezieht; denn Remigius’ Ziel ist eine durchgängig wörtliche Erklärung des gesamten Buches Genesis.80 Seine intendierte Leserschaft ist fortgeschritten und gebildet (CCCM 136, 3,14 – 4,19). Augustins De Genesi ad litteram verarbeitet er für Genesis 1 – 3; die paraphrasierten Abschnitte können bis zu zwanzig Zeilen umfassen. Die meisten, aber nicht alle der von Remigius verwendeten Passagen finden sich in Eugipps Excerpta, manche finden sich auch in Beda, Wigbod, Hrabanus Maurus und/oder Claudius von Turin. 77 Gangolf Schrimpf: Das Werk des Johannes Scottus Eriugena, 263, 268; Dermot Moran: The Philosophy of J.S. Eriugena, 262 – 268; Robert D. Crouse: Primordiales Causae in Eriugena’s Interpretation of Genesis: Sources and Significance, 214 – 216, der aber etwas zu wenig auf die Unterschiede eingeht. 78 Dermot Moran: The Philosophy of J.S. Eriugena, 115. Eriugena hat auch das Anliegen, Augustinus und griechische Denker zu harmonisieren: vgl. Brian Stock: Observations on the Use of Augustine by J.S. Eriugena, 219. 79 Michael Gorman: The Encyclopedic Commentary on Genesis, 201. 80 Burton Van Name Edwards (Hg.): Remigii Autissiodorensis Expositio Super Genesim, XLVII f.; LII.
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Manche Zitate aus De Genesi ad litteram haben aber offenbar keine feststellbare Zwischenquelle, nämlich die Erklärungen der verschiedenen Tierbezeichnungen in Genesis 1,24 (aus Gn. litt. 3,11,16 f. in Remigius p. 24,514 – 525), die Frage, warum in Genesis 1,25 Gott die Tiere segnet, aber nicht die zuvor geschaffenen Pflanzen (aus Gn. litt. 3,13,21 in p. 25,549 – 558), die Möglichkeit lustfreier sexueller Aktivität vor dem Fall (aus Gn. litt. 9,10,16 – 18 in p. 46,1052 – 47,1063), sowie die ›Etymologie‹ von ›Eva‹ (aus Gn. litt. 11,38,51 in p. 64,1464 – 1469). Dagegen ist die Betonung, daß Gott in Genesis 3,9 Adam nicht aus Ignoranz nach seinem Verbleib fragt (p. 58,1319), trotz der Parallele in De Genesi ad litteram (11,34,45) gegen Edwards durch Bedas Genesis-Auslegung (CCL 118A,63,2023 f.) vermittelt denkbar. Bemerkenswert ist, daß – ganz im Sinne Augustins – ›literal‹ (also historisch-faktisch zutreffend) manchmal bedeutet, daß eine Stelle übertragen aufgefaßt werden muß, z. B. in Genesis 3,7 das Öffnen der Augen der ersten Menschen, was nicht physiologisch zu verstehen ist (p. 56,1269 – 1277, über Hrabanus und Beda auf Gn. litt. 11,31,40 – 42 zurückgehend). Auf der anderen Seite kann Remigius aber auch Passagen Augustins mit einer Aussage aus einem anderen Autor verbinden, der eine Theologie vertritt, die derjenigen Augustins entgegensteht; z. B. wird im Anschluß an Genesis 3,14 die Verfluchung der Schlange als auf den Teufel gemünzt erklärt (p. 60,1364 – 1369, über Hrabanus und Beda auf Gn. litt. 11,36,49 zurückgehend). Im Anschlußsatz wird dann jedoch nach der lateinischen Version des Flavius Josephus erklärt (Historiae antiquitatis Iudaicae 1,1,4), daß die Schlange, die zuvor nicht giftig war, durch diese Verwünschung ihr Gift erhielt, was ein unaugustinischer Gedanke ist (vgl. Gn. litt. 3,15,24).
3. Schlußfolgerungen
Die im vorigen gebotene überblicksartige Analyse verschiedener Möglichkeiten der Rezeption von De Genesi ad litteram machen eine Anzahl von rezeptionsgeschichtlich wichtigen Aspekten deutlich: Auffallend ist die Breite der rezipierten Passagen, die nicht auf wenige besonders beliebte Stellen beschränkt sind. Ab Cassiodor, Gregor dem Großen und Isidor läßt sich ein Einschnitt beobachten, ein Übergang von der anspruchsvollen spätantiken Rezeption komplizierter theologischer Konstrukte in der Dichtung und in den ausdrücklich als ›Appetitanreger‹ erklärten Exzerpten des Eugippius hin zu einer den aporetischen Charakter von De Genesi ad litteram, der von Augustinus wiederholt betont wird, ignorierenden, enzyklopädischen Sicherheit. Das gewaltige Werk wird gerne durch Exzerpte rezipiert, was zwar nicht überrascht, aber den ursprünglichen Kontext noch unkenntlicher macht. Auffallenderweise können andere Werke direkt zitiert werden, wie De Genesi adversus Manichaeos, das viel kürzer ist als De Genesi ad litteram, aber auch De civitate dei, obgleich dies noch umfangreicher ist als De Genesi ad litteram. Passagen aus De Genesi
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ad litteram werden auch zur Erklärung anderer als ursprünglich intendierter Bibelstellen verwendet (z. B. bei Gregor dem Großen oder Claudius von Turin), und ihre Reihenfolge kann geändert werden (z. B. bei Remigius von Auxerre). Zudem können sie mit anderen Quellen kombiniert werden, so daß Augustins Gesamtintention oder übergeordnete Theologie verlorengeht. Dadurch wird eine systematisch präsentierte Masse an Wissen geschaffen, das für absolut verbindlich und wahr gehalten wird und das später die Grundlage für einen neuartigen Umgang mit Autoritäten der Vergangenheit bildet.81
81 Die Ergebnisse meiner Analyse decken sich im wesentlichen mit den vorzüglichen Bemerkungen bei Thomas O’Loughlin: Teachers and Code-breakers, 318 f., der diese Entwicklung eindrücklich als den Übergang von der urbanen theologischen Spekulation der Spätantike hin zum systematischen Denken der Scholastik und der Verfestigung eines mittelalterlichen Weltbildes charakterisiert.
Fides und ratio bei Anselm (1033 – 1109) und Augustinus von Christian Göbel
Anselm von Canterbury darf in einer Darstellung der Wirkungsgeschichte Augustins nicht fehlen. Aus der intensiv erforschten Geistesverwandtschaft sei hier ein Motiv herausgegriffen, das beide nachhaltig geprägt haben: das Verhältnis von fides und ratio und seine Implikationen wie der thematisch verwandte alethologische Gottesbeweis. Glaube und Vernunft – oder Denken, Einsicht, Wissen – bestimmen das Grundverständnis der christlichen Theologie, insbesondere in ihrem Verhältnis zur Philosophie, aus der sie in vielerlei Hinsicht erwachsen ist und vor der sie ihre Grundannahmen rechtfertigen muß, will und kann. So impliziert die Frage nach fides und ratio die Frage nach dem Verhältnis der Disziplinen Theologie und Philosophie. Historisch nahm sie seit Paulus und den Kirchenvätern oft apologetische Formen an, als Verteidigung der Glaubenslehre gegen die heidnisch-säkulare Vernunft und zugleich als Vernunft-Vorbereitung Nichtgläubiger für die Aufnahme der christlichen Bekenntnisse (praeambula / praeparatio fidei), hat aber stets auch der Selbsterkenntnis des Glaubens gedient. Zuletzt hat das katholische Lehramt das Verhältnis im Lehrschreiben Fides et Ratio von 1998 (= FR) von Johannes Paul II. eigens thematisiert und als innere Verwandtschaft charakterisiert. Systematisch bietet die Enzyklika Erläuterungen zum epistemologischen Status des Glaubens, bringt aber auch die besondere Wertschätzung des Papstes für die Philosophie zum Ausdruck, die er als Professor unterrichtet hatte. Zugleich wird den vielfältigen historischen Beziehungen zwischen Theologie und Philosophie Rechnung getragen. Unter anderem wird auf die Wandlungen verwiesen, die die Philosophie durch ihre christliche Aufnahme erfuhr, aber auch an ihrer propädeutischen Rolle festgehalten, durchaus im Sinn der mittelalterlichen Bestimmung als ancilla theologiae – doch mit dem Kant’schen Zusatz, daß diese Magd der Theologie ›die Fackel vorVgl. zuletzt Reinhold Rieger: Anselm. Die Titelbegriffe fides und ratio wurden nach der Enzyklika stellvertretend für das vielschichtige Verhältnis gewählt und wären im Einzelnen zu präzisieren. Doch geht es uns nicht um Detailanalyse der Vollzüge, Termini, Entwicklungslinien bei Augustinus und Anselm. Hinweise geben die entsprechenden Artikel in AL, vgl. John Rist: Faith and Reason; Andreas Hoffmann: Hermeneutische Fragen; Richard W. Southern: Saint Anselm, 123 – 127. Das ist Kernthema der Fundamentaltheologie. Unter den einschlägigen Lehrbüchern sei, aufgrund des besonderen Interesses an Anselm, nur verwiesen auf Hansjürgen Verweyen: Gottes letztes Wort.
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trägt‹. In Fides et Ratio kehrt auch auf neue Weise ein Aspekt wieder, der von Anfang an bedeutsam war: das Gespräch des Christentums ›mit der Welt‹. Die Vernunft ist nicht nur Maßstab und Richterin, sondern auch gemeinsame Basis im Menschsein, auf der mit anderen Kulturen auch über Religion und Glaube in den Dialog zu treten ist. Dies ist der Kirche heute in neuer Offenheit bewußt. In der Enzyklika ist Anselm mit seiner ›Interpretation des intellectus fidei‹ (FR 42) ein herausragendes Beispiel der Suche des Glaubenden nach Erkenntnis. Nie zuvor wurde ihm vom Lehramt eine so herausgehobene Rolle zugestanden (FR 14, 42). Doch Anselms Beispielhaftigkeit gründet in seiner Anknüpfung an die Augustinische Tradition. Fides et Ratio ist insgesamt von Augustinischer Theologie geprägt. Das wird zwar nicht immer ausdrücklich gemacht; doch nennt Fides et Ratio 40 Augustinus als erste große Synthese philosophischen und theologischen Denkens, und das doppelte Wechselverhältnis zwischen Glaube und Vernunft wird in Kapitel 2 und 3 mit den Augustinischen Worten credo ut intellegam und intellego ut credam überschrieben. Auch im Apostolischen Schreiben Augustinus von Hippo (1986) hatte Johannes Paul II. seine Hochschätzung für den Heiligen mit dessen Entwurf einer christlichen Philosophie aus der Harmonie von Vernunft und Glaube begründet (Nr. 3, 13 f.), wobei beiden, je nach ›Zeit oder Bedeutung‹, ›Primat‹ zukomme. In der Augustinischen Tradition wird das Motiv nicht nur auf einer formalen Meta-Ebene oder im Sinn propädeutisch-vorthematischer Voraussetzungen diskutiert, sondern es charakterisiert und konstituiert auch theologisches Denken selbst. Von einem ersten Überblick über das Verhältnis von Glaube und Vernunft bei Anselm in Kapitel 1, vor allem in den Hauptwerken Monologion (= M), Proslogion (= P) und Cur deus homo (= CDH), geht unser Blick auf Augustinus in Kapitel 2; dort werden – in Auswahl – zahlreiche der über das ganze Werk verstreuten, oft sich wiederholenden Stellen herangezogen. In Kapitel 3 werden ausgewählte Motive in einer Zusammenschau von Anselm und Augustinus vertieft. Kapitel 4 verfolgt schließlich, wie bei beiden die Überlegungen zur Rolle der Vernunft in Glaubensfragen zu einem eigenen Entwurf im Kernbereich der philosophischen Gotteslehre führen: als Weg der Vernunft zu Gott (Gottesbeweis). Gegenstand des Beitrags ist ein Doppelverhältnis: systematisch das von fides und ratio, historisch das von Augustinus und Anselm – im Kontext der systematischen Frage. Vgl. Der Streit der Fakultäten A 26 (= AA 7,28); Zum ewigen Frieden B 69 (= AA 8,369). FR 77 meidet den Begriff der ancilla aufgrund der Autonomie beider Disziplinen. Eine Auswahl aus sol., vera rel., util. cred., f. invis. mit Kommentar bietet Onorato Grassi: Aurelio Agostino. Um deren Konturen zu schärfen, wurde methodisch eine oft getrennte Darstellung gewählt, anstatt in einer Detailsynopse beider Denker den Stufen des Wegs von Glaube und Einsicht nachzugehen; der Einfluß Augustins auf Anselm wird damit genauso deutlich. Für den deutschen Text Augustins wurde – in Erwartung der Gesamtausgabe des Tübinger Augustinus-
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1. Anselms ›intellectus fidei‹
Anselms Ausgangspunkt ist der Glaube. Es geht ihm aber um dessen vernünftige Durchleuchtung: ratio fidei (P Prooemium). Die Leitformel ›sola ratione‹, ›mit der bloßen Vernunft‹ oder bloß mit Hilfe der Vernunft zu verfahren, Vernunftnotwendigkeit bzw. Vernunftgründe (›rationis necessitas‹, ›rationes necessariae‹) zu suchen (M Prolog, 1; P Prooemium; CDH Praefatio, I 20.25, II 13.22 u. a.), bedeutet keine grundsätzliche Abkehr von den auctoritates (Schrift, Väter, Magisterium). Die Originalität seines theologischen Strebens ist eher methodisch. Zwar formuliert Anselm im Prolog des Monologion den Anspruch, daß darin »nichts durch die Autorität der Schrift zur Überzeugung gebracht wird«, und sagt in der späten Epistola de incarnatione verbi 6: »Was wir im Glauben von der göttlichen Natur und ihren Personen annehmen, kann mit notwendigen Gründen dargelegt werden, ohne auf die Autorität der Schrift zurückzugreifen.« Es geht ihm aber um eine Dialektik zwischen Glauben und Denken, der zumindest die Autorität der Bibel und die grundsätzlichen Glaubens-Daten (als Denk-Vorgaben) bleiben. Als Voraussetzung des weiteren Denkwegs umfaßt ›Glaube‹ nicht nur die persönliche Glaubenserfahrung; auch sein Gegenstand ist (ontisch) der Erkenntnis vorgeordnet. So heißt es am Schluß von Cur deus homo (II 22): »Ich sehe ein, daß bewiesen ist, was im Neuen und Alten Testament enthalten ist«. Und zu Beginn (CDH I 1): »Die rechte Ordnung verlangt, daß wir die Tiefen des christlichen Glaubens zuerst glauben, ehe wir es wagen, sie mit der Vernunft durchzudiskutieren«. Es gibt einen ontisch-noetischen Stufenweg von den Glaubensdingen zur Glaubenserfahrung und zur Erkenntnisanstrengung (wobei erstere faktische Möglichkeitsbedingungen der letzteren sind). Anselm betont aber das Einsehen, das am Ende von Cur deus homo steht, und mahnt, überhaupt den Weg der Reflexion zu gehen. Der Glaubende soll »verstehen, was er glaubt« (CDH I 1.8); in rationaler Durchdringung wird er zu den GlaubensZentrums – auf verschiedene klassische Übersetzungen zurückgegriffen (BKV, Carl Johann Perl, Hans Urs von Balthasar u. a.), z. T. modifiziert. Wesentliche Textgrundlage war die lat.-ital. Ausgabe der Opera Omnia. Anselm wird nach der kritischen Edition von Franciscus Salesius Schmitt und nach dessen dt.-lat. Ausgaben zitiert, CDH auch in eigener Übersetzung unter Rückgriff auf Hans Zimmermann (http://12koerbe.de/pan/curdeus.htm). Zu Anspruch und Methode Anselms vgl. Giulio D’Onofrio: Anselmo d’Aosta, 484 – 514; zum Disput über die Bedeutung der auctoritates für Anselm zuletzt David S. Hogg: Anselm of Canterbury, 162 – 165. Im selben Kapitel stellt Anselm auch fest, daß »was von den heiligen Vätern bereits gesagt wurde, genügen dürfte«. Er selbst stellt sich den Glaubensfragen noch einmal, um sie ›allen verständlich‹ zu machen. Mehr noch, es bedarf eigener Begründung, wenn die Ausführungen einer ›geheiligten Autorität‹ entgegenstehen (I 3). Zugleich ist klar, daß es sich dabei nur um ›scheinbare‹ Widersprüche handeln wird. Grundsätzlich bleibt ›falsch‹, was »der Heiligen Schrift ohne Zweifel widerspricht« (CDH I 18). Es geht nie um ein Vernunfturteil über diese.
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daten, von denen er ausging, zurückgeführt, aber bereichert um Einsicht. Diesen Reflexionsweg des Glaubens nennt Fides et Ratio 73 eine Zirkelbewegung. Dafür steht die Zentralformel der Anselm’schen Gottsuche fides quaerens intellectum, der ursprüngliche Titel von Proslogion (Prooemium; unter diesem Motto steht auch CDH; M hieß ursprünglich exemplum meditandi de ratione fidei): der Glaube auf der Suche nach Einsicht. Anselm ist einer, »der einzusehen sucht, was er glaubt« (P Prooemium), dankt aber auch Gott dafür, wenn er zur Einsicht gelangt ist (P 4). Vernunftgründe sind nicht einmal dazu nötig, um »Glauben zu stärken, sondern um den schon Befestigten mit der Einsicht in die Wahrheit zu erfreuen« (CDH II 15, vgl. I 1). Erkenntnis und die Freude daran kommen zum Glauben hinzu. Damit bleibt eine Priorität des Glaubens, zeitlich wie sachlich: »denn ich suche nicht einzusehen, damit ich glaube, sondern ich glaube, damit ich einsehe« (P 1, vgl. CDH I 1). Ziel ist der reflektierte Glaube dessen, »was uns der katholische Glaube zu glauben befiehlt« (CDH I 25). Doch Anselm betont mit Nachdruck die Autonomie der Vernunft, die »einen vernunftgemäß festen Untergrund der Wahrheit aufzuzeigen hat« (CDH I 4). Der Glaube ist Ausgangspunkt auch philosophischer Reflexion. Anselms Schriften wollen in sich durch die ›Notwendigkeit der Vernunft‹ wirken und die »Klarheit der Wahrheit offen sehen lassen« (M Prologus; CDH Praefatio). Sogar spezielle Themen der christlichen Theologie wie das Trinitätsgeheimnis, Erlösung und Menschwerdung Christi (›übernatürliche Wahrheiten‹) sind mit Vernunftgründen darlegbar (CDH I 2). Die Einsicht soll so sein, ›als ob‹ man kein vorhergehendes Wissen um die Glaubensgeheimnisse hätte (CDH Praefatio; I 21), unter methodischer Ausblendung der Bibel und ›remoto Christo‹ (CDH Praefatio) oder ›als ob Christus nicht sei‹ (CDH II 10).
2. Augustinische Grundlagen
Dieser Zugang führt zu Augustinus als Grund, auf dem nicht nur Anselm steht, sondern die ganze spätere Theologie. Im folgenden werden zugleich die geistigen Hintergründe Anselms sowie die thematische Frage vertieft. Die gesamte Theologie des Mittelalters steht in Augustins Tradition, besonders hinsichtlich der Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft. Anselm fühlt sich ›innerlich FR 73 spricht von einer Kreisbewegung (im Lateinischen allerdings ›progressio‹); Hans Waldenfels: ›Mit zwei Flügeln‹, 29 präzisiert im Sinn der Spirale oder Ellipse. Dazu z. B. Klaus Kienzler: Glauben und Denken bei Anselm von Canterbury; Ingolf U. Dalferth: Fides quaerens intellectum; Mechthild Dreyer: Fides quaerens intellectum (mit Bezug auf die Augustinischen Hintergründe). Vgl. z. B. die klassische Darstellung von Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken.
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verwandt‹ und verweist in der Einleitung zum Monologion, in dem er dann im Sinn des sola ratione auf alle weiteren Autoritätsbelege verzichtet, namentlich auf Augustinus, der ›alles so herrlich‹ dargelegt habe (M Prologus). Anselms Werke zeigen direkte Abhängigkeiten, z. B. Monologion (und Proslogion) von De trinitate und Proslogion von den Soliloquia und den Confessiones. Allerdings wird Augustinus insgesamt nur sechsmal genannt; Gründe dafür dürften der eigene methodische Anspruch, aber auch die tiefe Prägung selbst sein, die ›durch isolierende Zitate‹ gemindert wäre. Anselm entwickelt auch »seine für die Scholastik maßgebliche Konzeption einer christlichen Philosophie, die einen Ausgleich zwischen Vernunft und Glauben anstrebt, unter ausdrücklicher Berufung auf Augustinus«. Die kritische Edition identifiziert zahlreiche (nicht alle) Augustinusbezüge. Neben den für unser Thema relevanten Stellen bietet die Epistola de incarnatione verbi (bes. Kap. 1) eine knappe Darstellung von Anselms Auffassung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft und bezieht sich dabei auf Augustinus (ep. 120; Io. ev. tr. 28,7; 29,6; trin. 7,12), der in Kapitel 6 explizit als ›Autorität‹ in Glaubensfragen genannt wird (allerdings nicht speziell zur Frage nach fides und ratio). Die Abhängigkeit wird noch deutlicher, wenn wir Augustins Überlegungen zu Glaube und Vernunft anhand ausgewählter Textstellen näher betrachten. Das Doppelmotto von ›intellegere‹ und ›credere‹, deren Wechselverhältnis die Lehramts-Theologie bis heute prägt, ist von Jesaja 7,9 inspiriert und findet sich in Sermo 43,4 ff. Dem Wunsch der Menschen nach Sicherheit in Glaubensdingen, d. h. nach rationaler Überzeugung, nach dem Grundsatz: »Alle Menschen wollen verstehen, nur wenige glauben«, stellt Augustinus das »crede ut intellegas« entgegen. Anselms Wertung von Proslogion 1 (»denn ich suche nicht einzusehen, damit ich glaube, sondern ich glaube, damit ich einsehe«) findet sich wörtlich bei Augustinus (u. a. in Io. ev. tr. 29,6), wird aber in die Erkenntnis eines Wechselspiels überführt (s. 43,9): »intellege ut credas, crede ut intellegas«, freilich mit klar zugewiesenen Be Franciscus Salesius Schmitt: Einführung (CDH), VIII. Allerdings bemüht sich Anselm um einen Ausgleich des Platonisch-Augustinischen und Aristotelisch-Boethischen Denkens; zum Streit um den Augustinischen Neuplatonismus bei Anselm (zwischen Franciscus Salesius Schmitt und Kurt Flasch) vgl. zuletzt Reinhold Rieger: Anselm, 579 f. Vgl. z. B. Klaus Kienzler: Gott ist größer, 102 ff. Reinhold Rieger: Anselm, 574 nach Richard W. Southern: Saint Anselm, 72 f. Uwe Neumann: Augustinus, 134. Aus M, P, CDH: das sind z. B. M 1 = trin. 8,4 f. M 64 = s. 52,23. M 64/65 = trin. 15,57 ff. M 66 = Io. ev. tr. 18,10. P Prooemium = trin. 15,2. P 1 = s. 43,7 – 9; s. 89,4; s. 212,1; Io. ev. tr. 60,9; trin. 8,8; ep. 120,3. P 2 = conf. 7,6. CDH I 1 = ep. 120,4.6. CDH I 18 = Gn. litt. 4,40; civ. 11,9 u. a.; Gn. litt. imp. 31. CDH II 8 = trin. 13,23. In der Septuaginta-Übersetzung »nisi credideritis, non intellegetis«, dazu Wilhelm Geerlings: Jesaja 7,9 bei Augustinus; vgl. s. 118,1; 212,1; Io. ev. tr. 27,7; 29,6; 40,9; ep. 120,3; doct. chr. 2,17; trin. 8,8; util. cred. 22; ep. 120,3; ord. 2,26 u. a.
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reichen (›mein Wort/Gottes Wort‹), nicht im Horizont irgendeiner Erkenntnis, sondern des besonderen Erkenntnisbereichs der göttlichen (Heils)Dinge, die »der Geist allein nicht erkennen kann«. Das Doppelmotto kann insgesamt über Denken und Leben Augustins stehen; es hat verschiedene Bedeutungen, die an den Zuordnungen von Glaube und Einsicht festzumachen sind und mit der mehrfachen Bedeutung des ut korrespondieren, das final oder schlicht konsekutiv sein kann.
2.1 Augustins persönlicher Denkweg zwischen ›intellegere‹ und ›credere‹
Das Verhältnis von Glaube und Vernunft ist bei Augustinus zuerst eine persönlichbiographische Beziehung. Das unterscheidet ihn von Anselm, der von Beginn an auf dem sicheren Grund der Glaubensüberzeugungen steht. 1. In der Rückschau zeigt sich das Verhältnis zwischen Glaube und philosophischer Vernunfteinsicht vor der Bekehrung als intellego ut credam: Die Suche nach Einsicht (in das Sein und seinen Sinn), die Augustinus umtreibt, führt ihn von Philosophie zu Philosophie, letztlich aber zum Christentum. Zum Glauben gekommen, kann er sie als die von Gott angeregte Suche nach Gott verstehen: Dort findet das ›cor inquietum‹ seine Ruhe (conf. 1,1; vgl. 10,8). Gott selbst ruft das Erkenntnisstreben hervor (trin. 15,51). Wie Justin oder Clemens versteht er das Christentum als ›wahre Philosophie‹ (c. Iul. 4,72); der ›wahre Philosoph‹ ist der, der ›Gott liebt‹ (civ. 8,1). Seine ruhelose Suche erscheint als wahres itinerarium mentis in Deum. Freilich setzt das ein besonderes Verständnis von ›Erkennen‹ als natürliche Theologie voraus (z. B. aus der Schönheit und Zweckgerichtetheit der Welt), das erst aus der Glaubensperspektive möglich ist. 2. Auch als Glaubender bewahrt sich Augustinus den philosophischen Geist, ein fundamentales Zutrauen zur Kraft der menschlichen Vernunft, die sogar imstande ist, tiefere Glaubenswahrheiten wie die Trinität einzusehen. Schließlich war er selbst div. qu. 35,2. Danach kann man zur Wahrheit gelangen, indem man sein Leben Gott weiht, oder auf dem ›philosophischen‹ Weg, die ›Zeichen‹ in der Welt interpretierend, also durch Aktivität der Vernunft, die aber nicht dem Glauben äußerlich, sondern innerlich ist. – Zu den verschiedenen Gegenständen des ›Glaubens‹ (im religiösen und nicht-religiösen Sinn) vgl. div. qu. 48. Das Motiv (Bonaventura) hat Etienne Gilson: Introduction a l’étude de Saint Augustin, 12 ff. auf Augustinus angewandt. Ladislaus Boros bietet eine Textauswahl dazu (vgl. Aurelius Augustinus, bes. 132 ff.). Also aus den ›Werken‹; s. z. B. ep. 120,12; en. Ps. 118,27,1; conf. 10,57; vera rel. 52.75 f.; lib. arb. 2,43; trin. 13,24 u. a. So deutet FR das intellego ut credam in Kap. 3. Natürliche Theologie kann ›natürlicher Glaube‹ sein, im Sinn von Franciscus Salesius Schmitt: Einführung (M), 17 (zur Rationalität Anselms, abgegrenzt von übernatürlichem Glauben und mystischer Erleuchtung oder bloßer Annahme der Schrift): ein Glaube an Gott aus Vernunftgründen.
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erst vom Christentum überzeugt, dessen Lehren zunächst denkerisch ›unglaubwürdig‹ scheinen mußten, als er seine Kompatibilität mit der Philosophie erkannte. Die ›wahre Philosophie‹ ist die ›wahre Religion‹, und zwar als Vernunftantwort auf den Appell zur Wahrheitssuche (vera rel. 8). Die ersten Begegnungen zwischen Christentum und Philosophie im Leben Augustins waren im Blick auf beide enttäuschend verlaufen: Bei Cicero, der ihn für die Philosophie begeisterte, vermißte er den ›Namen Christi‹ (conf. 3,8), konnte aber auch nicht mehr einem unreflektierten Glauben anhängen, der ihn nun zurückstieß (conf. 5,20). Dieser zunächst ungelöste Widerspruch war der biographische Ausgangspunkt seines persönlichen Wegs der Suche nach Wahrheit und Gott, der ihn durch die vielfältige philosophische Landschaft seiner Zeit führte, um endlich doch im Christentum seine Erfüllung zu finden, aber in einem reflektierten Christentum, das nicht nur auf Autoritäten hört, sondern den Glauben auch einsehen will: »audiam et intellegam« (conf. 11,5). Beim glaubenden Augustinus kehrt sich also das Verhältnis zwischen Vernunfteinsicht und (bloßem) Glauben gleichsam in das credo ut intellegam um, in eine fides quaerens intellectum. Die Mahnung, auch zu verstehen, was man glaubt, formuliert Augustinus immer wieder (z. B. trin. 15,51).
2.2 Systematische Hinweise
1. Damit beschränkt sich das Verhältnis zwischen credere und intellegere nicht auf eine bloß einseitige Vorordnung des einen vor das andere, die sich biographischchronologisch umkehrt: erst intellego ut credam, dann credo ut intellegam. Vernunft und Glauben stehen in einer thematischen Wechselbeziehung, die durch ein dreifaches Verhältnis gekennzeichnet ist: 1.) ›Wissen vor dem Glauben‹, 2.) ›Wissen im Glauben‹, 3.) ›Wissen nach dem Glauben‹. Deshalb sind bei Augustinus Stellen sowohl zur Vorordnung des Glaubens vor der Vernunft als auch der Vernunft vor dem Glauben zu finden. Zugleich ist in der Verwendung des Begriffs ›Wissen‹ ein wesentlicher Schritt zur Aufhebung der vordergründigen Widersprüche zwischen fides und ratio im Sinn Augustins getan. Dieser Weg öffnete sich nach der geistigen Wanderung vom Eklektizismus über Manichäismus und Skeptizismus zum Neuplatonismus in der Pauluslektüre (Acad. 2,5), setzte aber auch eine neue Sicht der Glaubenssätze voraus, den ›Vernunft-Glauben‹ der Ambrosianischen Schriftauslegung (conf. 5,23 f.; 6,4 ff.; util. cred. 5 f.). Das Wort wurde auch über Augustinische Passagen gestellt, z. B. s. 43,4; en. Ps. 118,18,3. Viele der im Blick auf Augustins Denk- und Glaubensbiographie genannten Stellen haben hier systematische Bedeutung. Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken, 39 – 41 (freilich bleibt das thematische Wechselverhältnis in Zeitkategorien gefaßt).
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a) Das Wissen vor dem Glauben meint Verschiedenes, z. B. ein Welt-Wissen, das zum Glauben führt, oder die rationalen Voraussetzungen des Glaubens. ›Wissen‹ als Voraussetzung des Glaubens ist für Augustinus auch ein außer-philosophisches – doch nicht unvernünftiges – Wissen um die Offenbarung, das Datenwissen ist, weil die Offenbarung historische Tatsache ist (Heilswissen). Dies ist Voraussetzung ihrer gläubigen Annahme (Io. ev. tr. 29,6). Zunächst muß äußerlich verstanden werden, was man glaubt, was das besagt, was man glaubt, z. B. Worte der Schrift. Der Glaube beginnt mit dem ›Hören‹ (Röm 10,17); also muß zumindest Sprachverständnis vorhanden sein, um Wortbedeutungen zu erfassen, aber auch Vernunft, um den Sinn einer Perikope zu verstehen. In Epistula 120,3 wird noch Jesaja 7,9 als Beleg vernünftiger Voraussetzungen des Glaubens gedeutet, der selbst vernünftig sein muß. b) Augustinus versteht den Glauben selbst als Akt der Vernunft (Wissen im Glauben). Denn »Glauben ist nichts anderes als ein zustimmendes Erkennen (Denken)«. Denken und Glauben durchdringen sich auch im Vollzug gegenseitig (praed. sanct. 5): »Man denkt im Glauben und glaubt im Denken«. Glaube ist schon ein Vernunftakt, weil er ein Urteil darüber voraussetzt, was glaubenswert ist (vera rel. 46), und ist so auf das ›Wissen vor dem Glauben‹ verwiesen. Wesentlich ist die – freie (vgl. util. cred. 23 ff.) – persönliche Zustimmung (ench. 20; vgl. FR 66, 79), und zwar nicht nur im religiösen Glauben. In den Wissenschaften ist die subjektive Annahme einfacher, weil empirisch-unmittelbare Evidenz eher ein Verstehen ermöglicht, und: »was ich verstehe, glaube ich auch« (mag. 37; s. 43,4). Die glaubende Annahme ›folgt‹ objektivem Wissen, das sie personalisiert, ist aber selbst ›wissend‹, wenn sie rational ist, nicht unreflektierte Über- und Hinnahme. Grundsätzlich betont der antike Wissenschaftsbegriff, dem Augustinus folgt, die temporale Nachordnung des Denkens in der Meinung, daß jedes Erkennen mit Glauben beginnt. Doch der christliche Glaube ist noch darin selbst Vernunftakt, weil er eine integrale Rolle auf dem Aufstiegsweg der Vernunft hat (sol. 1,12 ff.; ep. 120,3.8; s. u.). Er wird geleistet vom Menschen als Geist(›Herz‹)-Wesen, bleibt aber der Einsicht untergeordnet.
en. Ps. 44,25; 118,18,3.23,1; mag. 37; vgl. doct. chr. 2,16 ff.38 ff.60. Ähnlich en. Ps. 118,18,3 (»Es gibt Dinge, ohne deren Einsicht wir nicht glauben können, und es gibt Dinge, an die wir glauben müssen, um einzusehen«), aber mit klarem Bezug auf Heilsdinge als Wissensobjekte (die noch nicht klar zu erkennen sind). Vgl. c. litt. Pet. 3,11; c. ep. Parm. 1,11; 2,5; ep. 179,10 u. a. Dann wird auch ›verstanden‹, was z. B. den Augen ›geglaubt‹ wird (vgl. div. qu. 48); das Erfahrene wird direkt geglaubt (vgl. util. cred. 25 zur scientia). Auch das kann ›Glauben‹ bedeuten; Augustinus grenzt es aber von ›Meinen‹ u. a. ab, das durch Zweifel gekennzeichnet ist, der auf Unwissen oder Irrtum beruht (mend. 3; util. cred. 25: wohl kann Glauben zum Verstehen geführt werden, aber »niemand, der meint, versteht«). Zum cor bei Augustinus vgl. z. B. Anton Maxsein: Philosophia cordis.
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c) Das führt zum Wissen nach dem Glauben. Glaubensinhalte wollen rational durchleuchtet und intellektuell nachvollzogen, »nicht allein glaubend, sondern auch einsehend« erfaßt werden (Acad. 3,43), also nicht nur äußerlich verstehend gehört und angenommen (geglaubt), sondern in ihrem ganzen Sinn verstanden und darin umso überzeugter angenommen (›geglaubt‹) werden. Obwohl der Glaube der Einsicht temporal vorgeordnet bleibt (s. 118,1: »Der Glaube geht voran, die Einsicht folgt nach«), bedeutet die Vorordnung keinen Verzicht auf Vernunft, sondern fordert Suche nach Einsicht (sie steht im Kontext des aus s. 43,9 bekannten Doppelmottos und bezieht sich auf Christus). So gilt dem Erkenntniswert nach das andere berühmte Wort (trin. 15,2): »Der Glaube sucht, die Einsicht findet«. Es bleibt bei der Priorität des Glaubens: Weil die beim Glauben ansetzende Vernunft aber über dem bloßen Glauben steht, gründet auchder Kreis- oder Zirkelweg von Fides et Ratio in der erfüllenden Selbst-Erkenntnis des Glaubens, die Anselm als fides quaerens intellectum und Credo ut intelligam faßt. Sie führt zu einer ›Stufenfolge‹ im Verhältnis von Glaube und Einsicht (vera rel. 45): »Die Autorität fordert Glauben und bereitet den Menschen auf die Vernunft vor, die Vernunft führt zur Einsicht und Erkenntnis«. 2. Das Verhältnis von Vernunft und Glaube hat bei Augustinus meist die Form von Vernunft und auctoritas. Glaube meint neben dem Vollzug den Inhalt (vgl. trin. 13,5). Das gilt im religiösen wie nichtreligiösen Sinn. Als Vollzug ist Glaube eine Erkenntnisform, und zwar nicht nur defizitäres, nichtsicheres Wissen, sondern auch Wissen von nicht unmittelbar Gegebenem (ench. 8; ep. 147,7 ff.). Deshalb bedarf es passender ›Zeugen‹ als ›Autoritäten‹, denen man sich gläubig anvertrauen kann. So ist Glaube eine dritte Erkenntnisfakultät (neben Vernunft- und Sinneserkenntnis), die indirekte Erkenntnis im Anvertrauen an das Zeugnis anderer. Der Wilhelm Weischedel: Der Gott der Philosophen, 104. Stellenauswahl in Opera Omnia VI/2, 89 (Anm. zu div. qu. 48). Zur auctoritas vgl. Ernst Dassmann: Glaubenseinsicht – Glaubensgehorsam; Karl-Heinrich Lütcke: ›Auctoritas‹ bei Augustin; Frederick van Fleteren: Authority and Reason, Faith and Understanding in the Thought of St. Augustine. Unter den zu glaubenden Dingen wird noch einmal unterschieden zwischen Schriftdaten und Elementen theologischer Lehre (oft sind nur erstere unbedingt verpflichtend zu glauben, während bei letzteren eine gewisse Urteilsfreiheit herrscht), vgl. Eugene TeSelle: Credere, 123. Auch bei Augustinus ist Glaube ein Gegensatz von Wissen, doch anders als das Nichtwissen des Meinens; der Gegensatz hat z. B. die Form von ›scire-credere‹, ›fides/auctoritas-ratio‹, ›credere-intellegere‹ (sol. 1,8; mag. 37; ord. 2,50; Acad. 3,43 u. a.). Nach Hebr 11,1; vgl. conf. 6,7; civ. 11,3; trin. 13,6; Io. ev. tr. 111,3. Vgl. z. B. en. Ps. 118,1,3.18,3. Der Sinn steckt schon im lateinischen Vokabular Augustins, vgl. Eugene TeSelle: credere, fides, 120 f. und 1333 ff. Vgl. FR 31 ff. Das erweist sich darin, daß Menschen nicht alle Erkenntnisse, mit denen sie täglich leben, selbst verifizieren können (FR 31, s. conf. 6,7), aber auch nicht müssen. Aus der Bestimmung des Menschen als soziales Wesen werden also epistemologische Konsequenzen gezogen. Wissensfindung konstituiert auch Beziehung. Zugleich stellt der personale Charakter
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christliche Glaubensinhalt ist nun zurückzuführen auf eine göttliche Offenbarung, die nicht an das glaubende Individuum direkt ergeht. Das Heilsgeschehen, das die Apostel unmittelbar miterlebten (ep. 120,9 f.), ist den Gläubigen nur vermittelt über die Schrift zugänglich. Augustins Lehre ist also von einer ›Verflechtung von Autorität und Glauben‹ gekennzeichnet. Philosophie und bloße Vernunft stehen nie über der Autorität des Glaubens. Im Zweifel hat diese das letzte Wort. Im Rückblick bereut Augustinus, früher die freien Künste und die heidnische Philosophie zu stark gewichtet zu haben (retr. 1,3,2). Bei ›Widersprüchen‹ kommt letzte Wahrheit immer der ›Heiligen Schrift‹ zu (ep. 143,7). Und die Autoritäten des Glaubens sind nicht nur die Apostel und Verfasser der Heiligen Schrift, die »nicht geirrt haben können« (ep. 82,24), oder Christus selbst, in dem sich Gott offenbart (›bezeugt‹), sondern auch die Väter und das kirchliche Lehramt (c. ep. Man. 6). Hier ist das ut wahrhaft final: Der Glaube, der auch bedeutet, »zuerst den Nacken unter die Autoritäten der Heiligen Schrift zu beugen«, ist Bedingung, »damit man durch den Glauben zur Einsicht gelange« (pecc. mer. 1,29; vgl. util. cred. 21). Methodisch ergibt sich daraus ein expliziter Rekurs auf die Autoritäten, z. B. im unproblematischen Argumentieren mit der Schrift. Anselm geht wohl in seinem bewußt als Verzicht darauf verstandenen sola ratione über Augustinus hinaus (zumal dieser die Autorität der Schrift oft wieder nur zirkulär mit dem Glauben begründet und diesen mit der Autorität der Kirche). Doch relativiert sich der Unterschied sowohl von Anselm (dem der Glaube Ausgangspunkt bleibt, die Autoritäten haben das erste und letzte Wort) als auch von Augustinus her. Denn bei allem Vertrauen auf Schrift, Väter und Lehramt bleibt es bei dem Anspruch, deren Wort und Lehre nicht nur glaubend anzunehmen, sondern auch rational nachzuvollziehen. Die Autorität (auch des Lehramts) bekommt gerade dadurch Kraft, daß sie einsichtig ist, anstatt willkürlich Unterordnung zu fordern. Letztlich der Wahrheit (in der indirekten Erkenntnis) Anforderungen an beide Seiten: die Bereitschaft, anderen zu glauben, sowie die Bereitschaft zu Verantwortlichkeit und Wahrhaftigkeit (FR 32; vgl. ord. 2,27). Io. ev. tr. 37,6 ep. 120,9; persev. 48; zur ›fides historica‹ vgl. Eugene TeSelle: Fides, 1138. Allerdings kann das Wissen über Gott auch bei unmittelbar Gegebenem im Sinn der negativen Theologie beginnen, als Erkenntnis dessen, was Gott nicht ist (ep. 120,13; Io. ev. tr. 111,3 u. a.; s.u.). Außerdem ist der Glaube selbst unmittelbar: Er wird im eigenen Herzen als sicher erfahren (trin. 13,5; ep. 147,9 ff.). Wilhelm Weischedel: Der Gott der Philosophen, 104. conf. 10,68; 13,17 u. a.; vgl. adv. leg. 2,37. Das berühmte Wort »Ich würde auch dem Evangelium keinen Glauben schenken, wenn nicht die Autorität der Kirche dazu bewegen würde« muß jedoch im polemischen Kontext der Frage gesehen werden, wem zu glauben ist, die die Vernunft dem Glauben beantwortet. Vgl. conf. 6,7; ench. 4; c. Faust. 11,2. Doch sind auch praktisch-existentielle Kriterien von Autorität wesentlich, z. B. erweist ein gelebtes Ethos zumindest die ›Wahrhaftigkeit‹ des Glaubens (vgl. util. cred. 35).
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gründet sie in der höchsten Autorität der göttlichen Wahrheit (vera rel. 45 ff.; ord. 2,26). Augustinus stellt fest (c. ep. Man. 5), daß über allem die ›klar bewiesene Wahrheit‹ stehe; die aber sei nicht bei den Manichäern zu finden, sondern allein in der katholischen Kirche, die genau deswegen auch rational ›überzeugt‹ und Autorität ist. Er legt explizit dar (ep. 120), daß neben den Autoritäten des Glaubens notwendig an der ratio festzuhalten ist. Zwar reicht das Vertrauen auf die Autoritäten vollkommen (util. cred. 23), es gilt jedoch vor allem als ›Weg zum Heil‹ für Menschen mit ›trägerem Geisteszustand‹; wer aber in sich »das Begehren nicht zähmen kann, durch den Verstand zur Wahrheit zu gelangen«, muß ernsthaft den – mühseligen – Weg der ›wahren Vernunft‹ zur Einsicht gehen (an. quant. 12). Der Autoritätsglaube ist kein spezifisch religiöses Phänomen. Er tritt auch in der Philosophie auf. Glauben im Sinn des Für-wahr-Haltens ist aber ein durchaus geeigneter Weg zur Wahrheit, wenn man eine wahrhaft ›vortreffliche Autorität‹ findet (ebd.). Augustinus knüpft an den antiken Wissenschaftsbegriff an, wonach jedes Wissen mit dem Glauben als ›Fürwahrhalten auf Grund von Autorität‹ beginnt, von dem aus Schüler dialektisch-dialogisch zu eigenem Verstehen geführt werden. Er ist Methode der Wahrheitssuche. Freilich handelt es sich beim Ausgangsglauben um eine untergeordnete Form des Wissens, ohne eigene Einsicht. Zunächst leitet die ›Autorität zum Glauben‹, dann »gelangen wir durch unsere eigene Vernunft zur Erkenntnis« (vera rel. 14). Doch da es Bereiche gibt, in denen wir Christi als Zeugen bedürfen, um zu Wissen zu gelangen (vgl. FR 34), behält der Glaube in seiner religiösen Form einen Vorrang, den die menschliche Vernunft nicht übertreffen kann: die ›Autorität‹ des Glaubens selbst, die in Gott gründet. Hier vermittelt das ›klarste Zeugnis der göttlichen Schriften‹ ›sicherste Erkenntnis‹ (c. ep. Pel. 1,38).
Zur ›Notwendigkeit‹ beider vgl. ord. 2,29. Max Seckler: Credo ut intelligam, 1344. Vgl. Basil Studer: Die Kirche als Schule des Herrn bei Augustinus von Hippo. Vgl. ord. 2,26; Acad. 3,43; mor. 1,3. Genauer besteht erst Wahrheit; dann wird sie vom Lehrenden vermittelt, worauf der Schüler sie als wahr annimmt, um sie dann selbst einzusehen (vgl. spir. et litt. 54). Vgl. Ragnar Holte: Béatitude et Sagesse, 325.
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3. Ausgewählte Motive des Verhältnisses von Vernunft und Glaube bei Anselm und Augustinus 3.1 Zum Vernunft- und Glaubensbegriff
1. In Cur deus homo wird die Vernunft als neutrale Richterin ausdrücklich durch einen ›ökumenischen‹ Kontext bemüht: Das Christentum wird in seiner Vernünftigkeit durch andere Religionen auf die Probe gestellt (›infideles‹: CDH Praefatio, I 1). »Anselm ist seinem Wesen nach Apologet«, ›Juden‹ und ›Heiden‹ seine Adressaten (CDH II 22). Gegen den Einwand der Unvernunft des christlichen Glaubens (CDH Praefatio) muß Anselm seine ›Logik‹ darstellen. Doch die vernunftgemäße, philosophische »Rechenschaft über die Hoffnung, die in uns ist«, ist auch (und vor allem) aus einem Bedürfnis der Gläubigen erforderlich (CDH I 1 mit Bezug auf 1 Petr 3,15). So »fragen jene deshalb nach Gründen, weil sie nicht glauben, wir dagegen, weil wir glauben«; »es ist aber ein und dasselbe, wonach wir forschen« (CDH I 3) Ganz ähnlich argumentiert auch Augustinus (ebenso mit Bezug auf 1 Petr 3,15, z. B. in ep. 120,4). Die von den ›infideles‹ als Urteilsmaßstab bemühte Vernunft ist keine säkulare Vernunft im modernen Sinn, die dem Glauben prinzipiell entgegenstünde, sondern grundsätzlich theistisch. Die ›Ungläubigen‹ sind keine Überhaupt-Nicht-Gläubigen, sondern Andersgläubige (der ›insipiens‹ in P hingegen ist Atheist – aber auch unvernünftig). Ihre Einwände ergeben sich aus Erwägungen über vernünftig-angemessenes Reden von Gott. Diesen Maßstab akzeptiert Anselm ausdrücklich und macht ihn zum kerygmatischen Prinzip. Darin geht nun Einsicht dem Glauben voraus; die Glaubensfrage wird auf rationale Gründe zurückgeführt (CDH I 10, I 3). Demnach müßte jeder die vernünftigste Religion annehmen. Tatsächlich ist Anselm nicht nur überzeugt, daß die Glaubensinhalte gedacht, sondern daß sie streng logisch und gar nicht anders gedacht werden können (ep. incarn. 6). Gott steht für
Dazu Roberto Nardin: Il Cur deus homo di Anselmo di Aosta, 85 – 107. Franciscus Salesius Schmitt: Einführung. In: Anselm von Canterbury: Cur deus homo,
VIII. Franciscus Salesius Schmitt: Einführung. In: Anselm von Canterbury: Cur deus homo, X weist darauf hin, daß CDH zuerst für »die mönchische Umgebung Anselms und überhaupt für Christen verfaßt ist«. Mitbrüder haben um die Schrift gebeten (CDH Prolog, I 1). Dennoch ist Anselms Vernunftbemühen auch deswegen beispielhaft, weil seine geistige Situation durchaus dem Dialog der Religionen ähnelt, der heute zentrale Aufgabe ist; vgl. Gerhard Gäde: Anselms Denkregel der Unüberbietbarkeit und die pluralistische Religionstheorie. Vgl. CDH I 25: »Nicht dazu bin ich gekommen, daß Du mir einen Glaubenszweifel nimmst, sondern daß Du mir den Grund meiner Gewißheit aufzeigst«. Er kann gegen alles rationale Verstehen (intelligere) nur sagen (dicere), d. h. behaupten, daß Gott nicht sei (P 4).
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Anselm höchstens methodisch in Frage. Die Vernunft ist sogar vorzügliches Werkzeug der ›höchstmöglichen‹ Gotteserkenntnis (M 66, s. u.). Cur deus homo (I 10; vgl. I 8, II 10) bringt die alte Überzeugung zum Ausdruck, daß Gott selbst vernünftig ist. Damit ergibt sich das Zentralprinzip, so zu argumentieren, daß »von uns keine noch so geringfügige Unziemlichkeit in Gott angenommen werde«. Die theologische Angemessenheit oder ›Ziemlichkeit‹ (convenientia) wird methodisches Leitmotiv der logisch-rationalen Erklärung der christlichen Lehre. Vernunftgründe werden in sich als ›zwingend‹ und ›notwendig‹ auch von den Gegnern akzeptiert, weil die Vernünftigkeit Gottes nicht in Frage gestellt wird. Sie ist vielmehr ›Vereinbarung‹ zum methodischen Rahmen der Untersuchung (ebd.): »Denn wie in Gott einer noch so kleinen Unziemlichkeit die Unmöglichkeit folgt, so begleitet einen noch so geringen Vernunftgrund die Notwendigkeit«. So erklärt sich die Identifikation von Vernunftgründen mit Notwendigkeit nicht nur formal (als Denk-Notwendigkeit), sondern auch inhaltlich (theo-logisch, als metaphysischer Realismus). Das ›ratione vel necessitate‹ in Cur deus homo (I 1) besagt vor allem, daß, wer einen Grund nennen kann, eine Vernunft-Notwendigkeit erkannt hat, die im Sein gründet, das Wesen der Welt, Gott und sein Verhältnis zur Welt erfaßt hat und deswegen aus Vernunft mit Notwendigkeit reden kann. Anselm ist von einem Zutrauen in die menschliche Vernunft getragen, dem die neuzeitliche Aufspaltung in Gewißheit und Wahrheit noch kein grundsätzliches Problem geworden ist. Die Erkennbarkeit von Wahrheit, Welt und Gott ist ihm fraglos gegeben. Demnach ist nicht nur, was subjektiv als vernünftig erkannt ist, unwandelbar (insofern Wahrheit) und als solches denk-notwendig, sondern, was vernünftig (als vernünftig erkannt) ist, ist auch (objektiv real). Anselms ratio bezeichnet zugleich die Vernunftfähigkeit des Menschen wie die Vernünftigkeit der Welt- und Heilsordnung; beide sind aufeinander zugeordnet, weil Gott vernünftig ist (vgl. CDH II 15). Damit dies nicht bloß als dogmatische Festlegung erscheint, müssen Gottes Gründe zumindest im Ansatz erkennbar sein (ebd.). 2. Auch Augustins Harmonie zwischen fides und ratio gründet darin, daß beide weder in ihrem Gegenstand noch in ihrem Grund getrennt sind: Beide richten sich auf die Wahrheit (die 1. existiert, 2. erkennbar ist, 3. Gott ist); beide sind menschliche Aktivitäten/Mittel, denen aber eine göttliche Gnadengabe vorausgeht. Das Denn beide sind unveränderlich (lib.arb. 2,11 ff.; M 15 ff.); allerdings ist Anselm z. B. von der Denknotwendigkeit seines Unvergänglichkeitsbeweises in M 18 überzeugt, womit er über Augustinus hinausgeht (vgl. Markus Enders: Wahrheit und Notwendigkeit, 34 – 51). Die Identität von Gott und Wahrheit teilt das Christentum mit der platonischen Philosophie (vgl. Friedrich Nietzsche: Fröhliche Wissenschaft 344). Der metaphysische Realismus hat einen theologischen Grund; Gott garantiert nicht nur die Möglichkeit der Gottes-Erkenntnis, sondern die Erkennbarkeit jeder Wahrheit, da er die Welt vernünftig und geordnet einrichtet. Der Schöpfungsgedanke ist bei Augustinus wie Anselm zentral (s.u.). Vgl. praed. sanct. 3 ff.; Simpl. 1,2; spir. et litt. 52 ff.; Io. ev. tr. 26,3 – 4; vgl. FR 7, 13.
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›Wissen nach dem Glauben‹ übersteigt diesen nicht aus der Erkenntnisautonomie des Menschen als ›restloses Begreifen der Glaubensgeheimnisse‹, sondern bleibt an eine ›übernatürliche Gnadenwirkung‹ verwiesen, durch die es zu einer »unserem irdischen Zustand entsprechenden Inhaltseinsicht in die christliche Wahrheit« kommt. Es hat sapientialen Charakter, hebt den Glauben nicht auf, sondern führt ihn »zur wahren Glückseligkeit, stärkt, nährt, verteidigt und befestigt ihn« (trin. 14,3). Das sei im folgenden präzisiert. Es besteht kein Gegensatz zwischen Wissen und Glauben; unterschieden werden höchstens (philosophische) Vernunft und Schriftglaube; beides aber sind Wege zum Wissen (Einsicht). Wissen ist ein Inhaltswissen, das sich nicht auf die natürliche Ordnung beschränkt. Zunächst zeichnet sich gerade das gnadenhafte GlaubensWissen durch Irrtumsfreiheit aus, als dem Grundkriterium jedes Wissens. Augustinus ist aber nicht allein empirische Evidenz Kriterium der Irrtumsfreiheit. Die Philosophie ist zwar »der Hafen, von dem aus man zu dem Gebiet und Boden des seligen Lebens vordringt«, sie schließt aber »die Irrfahrt nicht ganz aus« (beata v. 1.5). Hier wird der religiöse Glaube zur Erkenntnisfakultät: Im intellectus fidei ist fidei nicht nur genitivus obiectivus, sondern auch subiectivus. Dem Glauben ist nachzudenken, er schafft aber auch Wissen: »Wenn Du nicht einsehen kannst, so glaube, damit du einsiehst« (lib. arb. 2,6; s. 118,1). Sein Nutzen liegt geradezu in der Einsicht (ep. 120,8). Wissen schafft der Glaube in mehrfacher, konvergierender Hinsicht: besondere Bereiche des Seins, die anders nicht zugänglich sind (transzendente Realität Gottes, Schicksal der Seele, Wissen der Glaubensdinge selbst), lassen zugleich die Wahrheit des Seins aufleuchten und geben Antwort auf die Frage nach seinem Sinn. Die Irrtumsfreiheit dieses Glaubenswissens gründet in Gott; sonst bestünde nur eine subjektive Sicherheit, die auch dem nichtreligiösen Glauben als Sichanvertrauen und Fürwahrhalten eigen ist. Die Auffassung Augustins vom Verhältnis zwischen fides und ratio klärt sich aus der epistemologischen Aufwertung des Glaubensbegriffs sowie aus der Besonderheit des Wissensbegriffs. Es bedarf keines Ausgleichs, weil ihre Harmonie nicht Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken, 40. Vgl. z. B. trin. 14,2; 15,51; conf. 11,6. Freilich hat Gott auch (wahre) ›scientia‹ (ebd.). Zu Unterschied und Ähnlichkeit zwischen der mit göttlichen (und existentiellen) (Heils)Dingen befaßten sapientia und scientia vgl. c. Iul. 4,72; trin. 12,22.25; 13,24 (s. Kol 2,1 – 3) u. a. Der unverstandene Glaube ist der ›falschen Vernunft‹ vorzuziehen, er hat ›eigene Augen‹, bereitet aber auf die ›wahre Vernunft‹ vor und bleibt dem verstandenen Glauben untergeordnet; vgl. util. cred. 24. Hier hat Jes 7,9 seine einfache erste Bedeutung: Wer nicht (erst) glaubt, kann Glaubensdinge nicht einsehen (ep. 120,3). Erst im Glauben helfen Vernunftargumente, die »Wahrheit des Glaubens zu verstehen« (ebd. 6). Die lang umstrittene Frage konnte schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts geklärt werden;
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finale Versöhnung, sondern intrinsisches Apriori ist. Der Vernunft, die nach Gott forscht, ist auch die Einheit von Glaube und philosophischem Wissen nie fremd, weil es nicht um eine Philosophie geht, die der Glaubenslehre entgegenstehen könnte. Vielmehr ist Augustins ›Philosophie‹ immer ›philosophische Theologie‹. Das zeigt das Bekenntnis: »Gott und die Seele will ich wissen – nichts anderes« (sol. 1,7; div. qu. 35). So bestimmt Augustinus als den Aufgabenbereich der ›Disziplin der Philosophie‹ die ›doppelte Frage‹ nach ›der Seele‹ und ›nach Gott‹ (ord. 2,47). Inhalt der ›wahren und echten Philosophie‹ sei der ›eine allmächtige Gott‹, der ›Ursprung aller Dinge‹ (ord. 2,16). Als ›Liebe zur Weisheit‹, die in Gott ihr Objekt hat, koinzidiert der christliche Glaube mit der rechten ›Philosophie‹ (vera rel. 8 u. a.). Die Betonung des Theologischen in der Philosophie war Augustinus bereits im Neuplatonismus vorgegeben; sie wird durch die christliche Lehre noch verstärkt. So sind die philosophischen Reflexionen Augustins oft nicht von dem zu trennen, was heute ›spekulative Theologie‹ genannt würde. 3. Die Philosophie behält aber eine gewisse methodische Autonomie, bei Anselm mehr als bei Augustinus. Paulus hatte eine natürliche Theologie anerkannt (und damit den Weg zum Dialog mit der Philosophie geöffnet), diese aber auf die Erkenntnis des Göttlichen beschränkt; die ›Weisheit des Kreuzes‹ nahm er ausdrücklich von der allgemeinen Erkennbarkeit mittels der Vernunft und ›Weisheit der Welt‹ aus; sie erscheint den Heiden als ›töricht‹ (1 Kor 1,18 ff.). Augustinus fordert die Theologie auf, von philosophischen Mitteln Gebrauch zu machen. In der säkularen Philosophie unterscheidet er Inhalt (heidnische Lehre als Gegenstück zur christlichen ›Philosophie‹) und Form. Diese kann – mit Vorsicht und in Grenzen (ench. 14) – der Kirche nicht nur apologetisch dienen, sondern auch in Bibelstudium und Theologie (ord. 2,38; doct. chr. 2,14). So wird Philosophie instrumentalisiert, aber vor allem ihr methodischer Apparat. Schon für die vernünftige Grundlegung des Glaubens leistet sie mehr (wird aber auch als christlich-wahre Weisheitsliebe verstanden): Rechenschaft des suchenden Geists des Glaubenden über die Vernünftigkeit der christlichen Lehre einen Überblick gibt Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken, 35 – 37. Dem Augustinischen Verständnis stehen aber nicht nur moderne Begriffe von Glauben und Wissen gegenüber (einschließlich der scholastischen demonstratio), sondern auch die antiker Philosophenschulen. In Auseinandersetzung damit kam Augustinus zu seiner Lehre von fides und ratio in all ihren Nuancen; vgl. dazu Therese Fuhrer: Zwischen Glaube und Gewißheit, 248 – 255. Wilhelm Weischedel: Der Gott der Philosophen, 105, belegt auch durch das Fehlen eines »eigentlich kosmologischen Interesses, wie es das genuin griechische Denken bestimmt« (ebd., 106). Die Welt als Gegenstand der Forschung und naturwissenschaftliche Studien sind bei Augustinus nie Selbstzweck, sondern, wenn überhaupt, auf Gott und die existentielle Bedeutung der Suche angelegt (vgl. ench. 16; conf. 10,54). Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken, 40.
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gegen sich und andere. So greift Augustinus auf philosophische Analysen z. B. von Glaube und Erkennen zurück – bezieht sie aber meist auf die besonderen Gegenstände des Glaubens. Er folgt Paulus und betont die höhere Weisheit und Vernunft Gottes und den Sinn der Glaubensinhalte (c. Faust. 12,46) wie des Heilsgeschehens oder der Trinität (die in trin. und ep. 120 Gegenstand der Erörterungen zu Glaube und Vernunft ist). Die Analogien von De trinitate sind zwar vernünftig – allerdings übertragen sie primär auf die geschöpfliche Wirklichkeit, was der Glaube von Gottes Sein sagt (um dies nachzuvollziehen). Anselm dagegen versucht gerade in Cur deus homo, auch für die Weisheit des Kreuzes, das Heilsgeschehen und dreifaltige Sein Gottes mit Mitteln der philosophischen ratio zu argumentieren. Doch die ›Autonomie‹ der Philosophie zeigt sich weniger in der programmatischen Suche nach Vernunftgründen für Glaubenssätze als in der Verwendung von Logik, Grammatik, Dialektik, in Begriffsuntersuchungen und Definitionen. Doch auch dabei geht es um Theo-logie. In Cur deus homo kommt es darauf an, ›Analogien‹ und ›Bilder‹ des Glaubens in die allgemein verständliche Sprache der Vernunft zu übersetzen (I 4, II 8) und »die göttlichen Aussprüche auszulegen« (I 18). Es ist originäre Aufgabe der Theologie, klar darzulegen, was »die göttliche Autorität nicht offen ausspricht« (CDH II 16). Auch der Glaubende hat sich der intellektuellen Gewissensprüfung Anselms zu stellen, die er in die Frage faßt (CDH II 10): »Verstehst Du, was Du sagst?«. Der Unterschied zu Augustinus ist nicht so groß, wie gelegentlich behauptet, da auch Anselm philosophische Denkformen auf klar vorgegebene theologische Inhalte anwendet, um darin zur Synthese von Glauben und philosophischem Wissen zu kommen: zur Theologie als Glaubenswissenschaft, d. h. Vernunftwissenschaft vom Glauben. Anselm vertritt eine Einheit der Vernunft von zugleich theologischer wie Daß bestimmte Dreiheiten von Seelenvermögen betrachtet werden (memoria-intellectusvoluntas), erscheint willkürlich und nur dadurch begründet, daß es Augustinus aufgegeben ist, Dreiheiten zu finden. In CDH z. B. II 5, II 16; das aristotelische Nichtwiderspruchsprinzip benutzt Anselm dazu, theologische Gegenentwürfe auszuschließen und auf die Richtigkeit des eigenen Ansatzes zu schließen. – Anselm Stolz: Anselm von Canterbury, 323 ff. weist darauf hin, daß man im Bewußtsein Anselms kaum von einem Verständnis der Philosophie als autonome Disziplin sprechen könne. Allerdings gibt es doch eine ›historische‹ Trennung; gemeint ist dann (wie bei Augustinus) die Verwendung der philosophischen Instrumentarien der Antike. Deren Kenntnis belegt v.a. De grammatico; vgl. Richard W. Southern: Saint Anselm, 62 ff. Max Seckler: Credo ut intelligam, 1344 sieht die über Augustinus hinausgehende Bedeutung Anselms nicht nur in der Methode, sondern auch darin, daß er »den Glauben nicht nur als Initiationsakt begreift, sondern ihn konstitutiv (u. regulativ) bleibend dem Erkennen (als Glaubens-Denken) zuordnet«. – Den dreifachen Sinn der Philosophie in der Theologie präzisiert Thomas: sie bietet 1.) philosophische Beweisgründe für Glaubensvoraussetzungen »wie das Dasein und die Einheit« Gottes, bringt 2.) »durch geschöpfliche Analogien die übernatürlichen Wahrheiten« dem menschlichen Denken näher und kann 3.) glaubenswidrige philosophische Sätze mit deren eigenen Mitteln widerlegen (Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken, 54).
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philosophischer Größe (darin ist er tatsächlich ein ›Vater der Scholastik‹), doch stets auf dem Grund des Glaubens. Darin folgt er Augustinus. Allerdings ist Anselm die Harmonie von Vernunft und Glaube sowie von christtheologischer und philosophischer Tradition geistesgeschichtliches Faktum; Augustinus mußte sie erst – vor sich selbst und anderen, heidnischen Philosophen wie Christen – erkämpfen, aber weniger als ›Vernunft oder Glaube‹, sondern als Suche nach ›recta ratio‹ und ›recta fides‹ angesichts der Heilsdinge, auch als Kriterium zur Wertung der Philosophie. Die Frage, ob Anselm ohne theologische Voraussetzungen operiere (verwandt der Frage, ob Augustinus Philosoph sei), mag man verneinen – dennoch hat die theologische Suche nach Einsicht auch philosophischen Wert. Glaube gibt zu denken; und wenn Reflexion vernünftig ist, ist sie gültig unabhängig vom Ausgangspunkt oder persönlichen Horizont des Denkenden. Umgekehrt kann das sola ratione von der Schrift unabhängig theologische Einsichten vorbringen, die doch mit den fundamentalen Überzeugungen des Glaubens koinzidieren, weil auch sie vernünftig sind. Das Was des Suchens ist Anselm vorgegeben. Ohne Glauben würde er nicht nach Gott fragen. Das Wie seiner Antworten aber soll allein vernünftige Überlegung sein. Doch gibt es Grenzen.
3.2 Zur Begrenztheit der menschlichen Vernunft
Die ›Ziemlichkeit‹ des Gott-Denkens in Cur deus homo definiert sich von Anselms Gottesbegriff her, der im Proslogion in die berühmte Formel id quo maius cogitari nequit gefaßt wird. Es handelt sich dabei zuerst um eine Regel für das Denken von Gott, dem Unüberbietbaren. In Cur deus homo kommt dem Begriff der (Denk)Notwendigkeit, des (Nicht)Könnens besondere Bedeutung zu (CDH I 10, II 5, II 10, II 17 u. a.). Dabei geht es auch um das Verhältnis zwischen Geist und Gott und um Zu dem traditionellen, umstrittenen Attribut vgl. Anselm Stolz: Anselm von Canterbury, 30 ff., Richard W. Southern: Saint Anselm, 441 ff. Vgl. doct. chr. 3,2. Nicht jede Philosophie wird im Dienst der Theologie akzeptiert; deren Vernunfteinsicht ist nicht schon die der säkularen Denker. Koinzidenz ist möglich, aber nicht notwendig. Deshalb kann Augustinus nach seiner Bekehrung die heidnische Philosophie auch verdammen (z. B. conf. 7,14). Vor allem die ratio des Glaubenden bleibt in ihrem Recht; nur die ›wahre Philosophie‹ des Christentums ist ›nicht zu fliehen‹; ›die Philosophen dieser Welt‹ soll der Glaubende gemäß der Schrift meiden. Sie geben sich als ›Freunde‹ und ›Verteidiger‹ der Wahrheit, fallen aber in den neuen ›Aberglauben‹, die ›Dinge der Welt zu verehren‹ (en. Ps. 8,6). Nach Karl Barth: Fides quaerens intellectum kann zumindest das P 2-Argument Anselms nicht ohne das theologische Gesamtprogramm verstanden werden, in dem es steht. Vgl. John Rist: Faith and Reason, 27 ff. Vgl. Gerhard Gäde: Anselms Denkregel der Unüberbietbarkeit und die pluralistische Religionstheorie.
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die Fähigkeiten der Vernunft. Anselm muß stets der Sorge begegnen, das menschliche Denken könne sich ›über‹ Gott erheben, »was gänzlich widersinnig ist« (P 3). Angesichts des Göttlichen besteht ein Vernunftvorbehalt, der der negativen Theologie Raum gibt, als Bewußtseinsmoment innerhalb der Theologie, nicht alles über Gott sagen zu können. Wert und Grenzen der Erkenntnis werden im Monologion differenziert (64 – 67). Der begrenzte Verstand kann das Unbegrenzte weder denken noch aussprechen. Der Gegenstand der Theologie, Gott, »ist auch an Vernunftklarheit schön über das Begreifen der Menschen« (CDH I 1), nicht un-, sondern überaus vernünftig, aber unsere Kräfte übersteigend. Gott steht (nach P 15 mit Bezug auf P 2) noch ›über‹ allem Denken, selbst wenn es das Unüberbietbare denkt: »Du bist größer als das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.« Im Gebet bekennt Anselm die Unzulänglichkeit des menschlichen Verstands angesichts des ›unzugänglichen Lichts‹ (mit 1 Tim 6,16 wird in P 16 die Unbegreifbarkeit Gottes benannt). Augustinus bringt dieses Bewußtsein auf die Formel, ein erkannter Gott wäre ›kein Gott‹ (s. 117,5). Vor dem ›Licht‹ der letzten ›Wahrheit‹ muß der endliche Verstand in seinem bis dahin mit Eifer betriebenen Bemühen um Gotteserkenntnis bescheiden einhalten (P 14). Er kann einiges nur glaubend hinnehmen, ›nicht begreifen‹ (CDH II 17), obwohl es eindeutig Teil der Wirklichkeit ist, ja sie erst ermöglicht (P 16). Das erkennt die Vernunft selbst, es ist nicht nur Glaubenspostulat (P 15). So kann eine Synthese von Vernunft und glaubender Annahme geboten sein (CDH I 25): »Was durch einen notwendigen Grund als wahr erschlossen ist, das darf man nicht in Zweifel ziehen, auch wenn man den Grund, warum es ist, nicht erkennt«. Besondere Wesenseigenschaften (M 64) und die ›unbegreifliche Weisheit‹ Gottes entziehen sich der vollständigen Erkenntnis (CDH I 7). Da Gott vernünftig ist, hat alles Gründe (CDH I 8), aber nicht alle kann der Mensch ergründen (CDH I 2, II 16.19). Darin folgt Anselm Augustinus, bei dem der letzte epistemische Vorrang des Glaubens ebenfalls in der wesenhaften Begrenztheit der Vernunft gründet, die weiß, daß sie Glaubensgeheimnisse nur ›in den Grenzen des Möglichen‹ (ep. 120,2) einsehen kann. Zwar meinen beide, die Trinität Gottes sei analogisch der Vernunft Zur spezifisch anselmisch negativen Theologie des Nicht-Aussprechen-Könnens vgl. Paul Gilbert: Dire l’Ineffable. Noch Kants Diktum, das ›Wissen aufheben‹ zu müssen, um ›zum Glauben Platz‹ zu bekommen (KrV B XXX), zielt darauf: Gott ist nicht Gegenstand einer Gewißheit nach dem Muster der empirischen Wissenschaften. Damit ist aber weder Gott bzw. ein Wissen von Gott ausgeschlossen, noch wird die Rolle der Vernunft in der Rede von Gott negiert. Es wird lediglich die Unterschiedlichkeit der Wissensbereiche und Erkenntnisarten unterstrichen. In der Neuzeit ist ›Wissen‹ empirisch-naturwissenschaftlich definiert, darin ist der menschliche Verstand sicher, es gibt es aber nicht von Gott. Hier ist nur ein daß einsehbar, das letzte wie bleibt dem Menschen verschlossen (vgl. S.th. I,3); er ist aber zu ›Erforschung‹ und ›Vernunftschlüssen‹ auch in dieser ›Sache‹ aufgefordert (M 64).
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zugänglich. Anderes, was die Kirche lehrt, ist nur zu glauben (mag. 37; mend. 11). Der Mensch ist angesichts des Unendlichen »zu schwach, um mit der reinen Vernunft die Wahrheit zu finden«, deshalb ist ihm »die Autorität der Heiligen Schrift nötig« (conf. 6,8), die allein – und ›sicher‹ – »den Weg zur Gottesschau verkündet« (civ. 10,32,3). Gott bleibt unbegreiflich (trin. 15,2,2; s. 117,5). Die Selbstbeschränkung vor dem Göttlichen, die angesichts ausführlicher theologischer Traktate suspekt erscheinen mag (Anselm nimmt sogar in Anspruch, Gottes Heilsabsicht nicht nur zu kennen, sondern einsichtig darlegen zu können), ist nicht nur Stilmittel, dogmatisches Muß oder Polemik. Vielmehr gibt es Gründe, mit der theologischen Argumentation fortzufahren: die positiven Aussagen der Schrift; Gottes Vernunft, die Vernünftigkeit garantiert, auch wenn der Mensch sie nicht erkennt; schließlich das Verständnis der Vernunft als göttlicher Gabe. Aus dem Glauben kann man ihr vertrauen. Sie nicht zu benutzen, wäre ›nachlässig‹ (CDH I 1).
3.3 Zur ›metaphysischen Naturanlage‹ des Menschen
Daß Einsicht gesucht wird, liegt im Wesen des Menschen begründet, zu dem Reflexion gehört, die beim Glaubenden den Glauben zum Objekt macht. Augustinus und Anselm folgen der Anthropologie des animal rationale und homo sapiens. Dem als ›wissendes Wesen‹ bezeichneten Menschen ist zunächst das Wissen-Wollen innerlich. In seiner Natur liegt das Fragen, das auch vor letzten Geheimnissen keinen Halt macht. Anselm teilt mit Augustinus das cor inquietum, eine existentielle Unruhe, aus der erst eine Einsicht erlöst, die begrifflich überzeugend zu formulieren ist. Im Prolog des Proslogions ist es konkret die Unruhe der Suche des Glaubenden nach einem überzeugenden Argument in der Frage nach Gott. Bewußtsein der Vorläufigkeit und Grenzen der eigenen Ausführungen, bescheidenes Bekenntnis zur ›Kleinheit des eigenen Verstands‹ (s. 52,23; ep. 120,6), Offenheit für ›Verbesserung‹ (freilich ›begründete Verbesserung‹ durch verständigere ›Gelehrte‹ oder durch Gottes Offenbarung: CDH I 1.2; II 16.17.22), Anrufung von Gottes Hilfe usw. sind häufige Motive bei Anselm und Augustinus, die als Stilmittel erscheinen können. Augustinus wertet den Glauben (religiös wie nichtreligiös) gegen die Manichäer, die das Vernunftvermögen elitär verabsolutieren (Eingeständnisse der eigenen Kleinheit sind oft aus diesem Kontext zu verstehen), wie gegen die akademische Philosophie auf; allerdings legt er Christen und Heiden auch die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft dar und durchbricht die Identifikation von Philosophie und Skepsis. Auch nach Augustinus gibt es neben dem unmittelbaren Glaubens-Wissens philosophische Erkenntnis der Nichtunmöglichkeit der Glaubensdinge (vera rel. 14.79). Man kann »verstehen, daß man nicht [alles] wissen kann« und den »Glauben bewahren muß, auch wenn noch nicht alles verstanden ist« (util. cred. 25). So beginnt für Platon und Aristoteles Philosophie (Theaitetos 155d; Metaphysik 982b). Vgl. Eadmer: Vita S. Anselmi I 26 (PL 158,63).
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Norbert Fischer hat die ›metaphysische Naturanlage‹ des Menschen als Grundmotiv Augustins mehrfach beschrieben. Die Elemente sind bereits angeklungen: die Definition des Menschen als Vernunft- und Fragewesen (conf. 10,10); die Ausrichtung des Fragens auf Wahrheit und Gott (conf. 1,1; vera rel. 85), die von Gott selbst angelegt ist (conf. 10,8; trin. 15,51). Im Schöpfungsgedanken ist der anthropologische Ausgang theologisch verankert: die Vermögen der Gotteserkenntnis, Glaube und Vernunft, sind Gottesgabe. Umso mehr ist der Mensch zur VernunftSuche nach Einsicht berufen in das, was er glaubt, weil »Gott das, was er uns als Vorzug vor den Tieren verliehen hat, nicht hassen wird« (ep. 120,3; en. Ps. 118,18,3). Doch Erkenntnis kann auch als ›weitere‹ Gnadengabe verstanden werden. Die Allmacht Gottes erschöpft sich nicht darin, dem Menschen Vernunft zu geben und die Heilserkenntnis (oder -leistung) dann seiner Autonomie zu überlassen, sondern er wirkt auch weiterhin und gibt dem Suchenden ›Hilfe‹ und das ›Licht‹ der Erkenntnis; dem Menschen ist in seiner natürlichen Verfassung das Organ zur Gotteserkenntnis gegeben, doch ist es durch die Sünde verdunkelt. Augustinus vergleicht es mit einem ›verletzten Auge‹ (en. Ps. 118,18,3), das eines zusätzliches ›Heilmittels‹ bedarf, das ebenfalls von Gott kommt, aber nicht Glaube allein ist: »Unsere Einsicht schreitet fort zum Verstehen dessen, was sie glaubt, und der Glaube schreitet fort zum besseren Glauben dessen, was er [auf gewisse Weise] verstand, und damit dies mehr und mehr eingesehen werde, schreitet der Geist in der Einsicht fort. Das aber geschieht nicht mit eigenen, gleichsam naturhaften Kräften, sondern durch Beistand und Geschenk Gottes, so wie es durch Heilmittel und nicht durch Natur geschieht, daß ein verletztes Auge die Sehkraft wieder gewinnt.« Das theoanthropologische Zusammenspiel von Vernunft und Glaube faßt Augustinus auch als Suchen und Finden. Gott wird im Glauben gefunden, will aber weiter be-dacht werden; uner Zuletzt im vorliegenden Werk im Vergleich mit Kant, von dem der Grundgedanke inspiriert ist. Augustins Theo-Anthropologie hat auch Eingang in die Karfreitagsfürbitten des Missale Romanum gefunden (vgl. FR 24). Im engeren Sinn konzentriert sich die Frage der weiteren Gnadengaben (als hinzukommend) bei Augustinus auf Hoffnung und Liebe als Konsequenzen des Glaubens (z. B. exp. Gal. 44); Gottes Gnade komme jedenfalls nicht erst den Glaubenswilligen zu, sondern rufe grundsätzlicher den Glaubenswillen des Menschen hervor (c. ep. Pel. 1,37). Verwandt ist die umstrittene Frage nach Freiheit und Gnade, dazu zuletzt Norbert Fischer: Einleitung. In: Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben, LIII ff. Auch seine eigene ›Erkenntnis‹ des Glaubens (und seiner Vernünftigkeit) begreift Augustinus als Gnade. Vgl. ep. 82,15 – 17; 177,12; en. Ps. 77,2. Die Lichtmetapher wird auch für das ›Licht des Glaubens‹ gebraucht, das das Dunkel der Sünde und des Nichtglaubens erhellt, d.i. ›Christus‹; in dem Horizont kommt es dann zum Verstehen (s. 140,1 nach Joh 8,12; en. Ps. 123,2), aber nur, wenn »Gott die Vernunft erleuchtet« (ep. 120,6). Durch Glauben gereinigt (ebd. 2), ist auch ›geringen Geistern‹ Einsicht möglich – und auch hier geht es darum, das »einzusehen, was man glaubt«, die Heilsdinge (ebd. 3 mit Bezug auf Jes 7,9); insofern ›führt die Autorität‹ des Glaubens auch zum ›Licht der Wahrheit‹ (mor. 1,3). Vgl. weiter Kap. 3.4.
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meßlich, ist er nie vollends zu finden; dennoch bleibt die Suche weitere Aufgabe im unablässigen Streben nach Gott: ein »Verstehen, um zu suchen« (trin. 15,2 nach Ps 14,2). Bereits das Suchen ist ein Finden, sofern sich der Mensch darin selbst findet: Er verwirklicht sein natürliches Streben nach Gott. Die letzte Erfüllung der GottesSchau kann aber auch im reflektierten Glauben als ›Finden‹ nur Hoffnung bleiben (ebd.). Das verdeutlicht Augustinus so (Io. ev. tr. 63,1): »Ihn wollen wir suchen, bis wir ihn finden; und wenn wir ihn gefunden haben, wollen wir ihn weiter suchen! Weil er verborgen ist, wollen wir ihn suchen; weil er unermeßlich ist, wollen wir ihn nach dem Finden weiter suchen.« Da alle menschlichen Aktivitäten endliche Vermögen sind, Vernunft wie Glauben, endet ›auf Erden‹ das Suchen nie: Die letzte Erfüllung in Gott bleibt ›hier unten‹ aus (ebd.); es ist unabschließbar (trin. 9,1), wird aber »dort erfüllt, wo die Vollendung nicht weiter vervollkommnet werden muß«; so »eilen wir suchend und gelangen findend zu etwas; und suchend und findend gehen wir weiter hinauf zu dem, was uns noch fehlt, und erreichen einst das Ende unseres Suchens« (Io. ev. tr. 63,1). Die Augustinische Inspiration Anselms ist offensichtlich. So gibt es in der Theologie auch eine ›Ziemlichkeit‹ des Menschen: Es ist seinem Wesen angemessener, den Glauben zu reflektieren, als nur zu glauben. Zugleich verheißt der Glaube aber, daß diese Suche nicht nur im Negativen endet. Anselm verwendet den Begriff des animal rationale in einem doppelt theologischen Rahmen. Schon die Gebetsbitte eingangs der Kernargumentation von Proslogion 2 stellt die dem Menschen wesentliche Einsichtssuche in den für die christliche Anthropologie typischen Bezug zu Gott: »Herr, der Du dem Glauben die Einsicht verleihst, verleih mir, daß ich einsehe, daß Du bist, wie wir glauben, und das bist, was wir glauben.« Gott ist Grund (und Endpunkt) nicht nur der Erkenntnis, sondern auch der Erkenntnissuche; in ihm erfüllt sich die menschliche Suche nach Erkenntnis, und er ist als Grund aller Schöpfung auch Grund dafür, daß der Mensch überhaupt nach Erkenntnis sucht, da er ihm Geist gegeben hat und Erkenntnis gewährt. Der Mensch ist Vernunftwesen (anders wäre Anselms Methode sola ratione nicht möglich), weil er von Gott so geschaffen wurde (CDH II 1.4). Deshalb ist die ›mens rationalis‹ höchster Erkenntnisweg zu Gott und ›Spiegel des höchsten Wesens‹ (M 66 – 67); die ›creatura rationalis‹ ist dazu ›geschaffen‹, Gott zu erkennen und ›zu lieben‹ (M 68). Die Vernunftbegabung ist reale Möglichkeitsbedingung der Gotteserkenntnis, diese Aufgabe des Menschen. Anselm verknüpft die Bestimmung, ›selig zu werden‹, mit der Vernunftbegabung (CDH II 1), deren Zweck die Gotteserkenntnis ist. Ohne sie bleibt der Mensch ›unglücklich‹ (P 1). In Proslogion 1 (vgl. FR 42) wird das zu einem perZur Augustinischen Suche vgl. Norbert Fischer: Zu Ursprung und Sinn menschlichen Fragens und Suchens. Auch bei Anselm sind Suchen und Finden Zentralwörter, dazu Italo Sciuto: Anselmo, 244 f.
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sönlichen Bekenntnis: »Ich bin dazu geschaffen, Dich zu erkennen; aber noch habe ich nicht getan, wozu ich geschaffen bin.« Weil Gott vernünftig und die Vernunft ›göttlich‹ ist, kann Anselm das ganze Unterfangen der theologischen ›Beweise‹ nicht »im Vertrauen auf mich, sondern auf Gott« leisten (CDH I 25). Gott aber hat dem Menschen nicht nur Vernunft gegeben. Wer sich auf den Erkenntnisweg des Glaubens macht, darf auf seine weitere Gnadenhilfe rechnen (ebd.). Anselm dankt deshalb Gott für alle Einsicht (P 4, vgl. 1 und Prolog: das unum argumentum als Erleuchtung), »ohne den wir nichts vermögen« und der »uns führt, wo immer wir den Weg der Wahrheit einhalten« (CDH II 9). So ist die theologische Erkenntnissuche nicht nur ein faktisch-natürliches, sondern auch ein sinnvolles Unterfangen. Die menschliche Vernunft und die Vernünftigkeit des Welt- und Heilsgeschehens korrespondieren, weil Gott die Wahrheit ist, die sich in Glauben und Vernunft mit Autorität darstellt: Die Koinzidenz von Glaubenszeugnis und Vernunfterwägungen ist gegenseitige Bestätigung der in Cur deus homo entfalteten Gedanken (CDH II 22 nach Röm 1,25): »Wenn aber durch das Zeugnis der Wahrheit bekräftigt wird, was wir auf dem Vernunftweg gefunden zu haben glauben, so müssen wir es Gott zuschreiben, der hochgelobt ist in Ewigkeit. Amen.«
3.4 Vom Verstehen des Glaubens zum Ein-Sehen seines Gegenstands
Daß ein moderner Wissensbegriff Augustinus und Anselm nicht gerecht wird, erhellt auch aus ihrem ›mystischen‹ Erkenntnisbegriff. Der menschliche Geist erlangt nicht nur begrenztes Verständnis im Nach-Denken z. B. der Glaubensdaten; als höchster Seelenteil hat er das Vermögen der Begegnung mit dem Göttlichen. Das gilt zunächst für jede (direkte) Erkenntnis von Wahrheit, die Augustinus, in Übereinstimmung mit der (neu)platonischen Philosophie, als erleuchtete Ein-Sicht, als ›geistige Schau‹ des Ewigen versteht (trin. 1,17), doch wird es akzentuiert auf die christliche Got Damit kann auch Philosophie nicht antitheologisch sein (wie in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen zwischen Lanfranc und Berengar und später zwischen Bernhard und Abaelard vermutet; vgl. Roberto Nardin: Il Cur deus homo di Anselmo di Aosta, 71 – 74). Die Bedenken ihr gegenüber (aber auch der negativen Theologie gegenüber dem Bemühen um positiv theologische Aussagen) übersehen auch, daß der Sinn des theologischen Reflexionswegs nicht bei Gott liegt, sondern beim Menschen. – Zur scholastischen Streitfrage um den minderen Heils- und Gnadenwert des Wissens gegenüber dem reinen Glauben und zur Revision der umfassenden ratio vgl. Donato Valentini/Max Seckler: Glauben und Wissen/Denken, 695 f. und Martin Grabmann: Augustins Lehre von Glauben und Wissen und ihr Einfluß auf das mittelalterliche Denken 57 ff. (zur Frage, ob etwas Gegenstand von Glaube und Wissen sein könne). Die Göttlichkeit des Intellekts, mit dem der Mensch am Göttlichen partizipiert (und daher auch dieses erkennen kann), ist altes Motiv der Philosophie, das im christlichen Mittelalter auch von den Mystikern aufgenommen wird (z. B. Meister Eckharts ›scintilla‹).
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teserkenntnis übertragen, wobei das entgrenzende Potenzial der ratio nicht nur epistemisch ist (als Wissen von Gott), sondern ontisch (als Sein bei Gott, das doch Vernunft allein nicht vermag, sondern das der Seele aus Gnade zuteil wird). Jedenfalls stellt die Gotteserkenntnis ethische Bedingungen an die Reinheit des Erkennenden. Hier ist Glaube Voraussetzung und notwendige Stufe des Erkenntnis- und ›Perfektionsweges, der in der visio Erfüllung findet‹, weil er den Geist, der sich in der Welt verliert, anstatt Gott zu suchen, vom Irrtum befreit, das ›Herz‹, als Organ der ganzheitlichen Gotteserkenntnis, von der Sünde ›reinigt‹ (ep. 120,3), so ›den festen Stand‹ gibt, aus dem Erkenntnis möglich ist (doct. chr. 2,17). Seine Funktion besteht im Exerzitium, damit (ut) der Mensch zu Erkenntnis komme, die er im Glauben allein noch nicht hat. Die letzte Erfüllung, die das Vernunfterkennen in die visio überführt und vom Glauben ausging, ist dessen ›Frucht‹, ›Lohn‹ und Verdienst (trin. 1,17; s. 140,1; Io. ev. tr. 22,2 f.; 39,3; 111,3): Hören-Glauben-Purifikation-Schau (en. Ps. 44,25). Als Lebensform erhält der Glaube die Bedeutung des existentiellen Elements der antiken Philosophie; der ›Grund‹ solchen ›Philoso Zu trennen ist also zwischen Vermögen/Akt und ›Organ‹. Die Betonung der Gnade auch in der Erkenntnis richtet sich gegen Philosophen wie Häretiker (s.o.). Zu Augustins Erkenntnisbegriff, analog zum körperlichen Sehen und anthropologisch verankert in der christianisierten antiken Seelenlehre, vgl. z. B. trin. 12,24; ep. 120,9f; dazu Matthews: Knowledge and Illumination. Zum (Neu)Platonismus vgl. Bernard McGinn: The Foundations of Mysticism, 23 – 61. Die Unterteilung der Geistvermögen in diskursive Verstandes- und rezeptive Vernunfttätigkeit, die offenbarungsgleich Letzteinsicht über das Sein empfängt (z. B., aber keineswegs eindeutig, in der lat. Unterscheidung von intellectus und ratio) kehrt noch in FR wieder, s. Waldenfels, 29 ff. Zur Möglichkeit, jede Erkenntnis, insofern letztlich unerklärliche ›Einsicht‹ in ichtranszendente Seinszusammenhänge, als ›Mystik‹ zu verstehen, vgl. Christian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis, 92 ff. Zur Frage, ob Augustinus und Anselm Mystiker seien, vgl. Dieter Hattrup: Die Mystik von Cassiciacum und Ostia, 414 ff., Italo Sciuto: Anselmo, 248 ff. Die Befreiung vom Körperlichen (div. qu. 46,2) war schon (neu)platonische Erkenntnisbedingung, vgl. Christian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis, 52 ff. und 70 f. Für die irdische Kontemplation des Göttlichen ist nach Augustinus auch ›Muße‹ und ›innere Ruhe‹ nötig (vera rel. 65). Nach Eugene TeSelle: Fides, 1335; vgl. z. B. ench. 5; en. Ps. 123,2 nach 2 Kor 5,7. Vgl., nach Mt 5,8 und Apg 15,9, gr. et pecc. or. 2,29; Io. ev. tr. 22,2 ff.; en. Ps. 118,18,3; util. cred. 34; bapt. 4,29 zur ›conversio cordis‹ u. a. So erkennt die Vernunft ›Zeichen‹, von denen sie zur Wahrheit steigen kann (util. cred. 28). Vgl. sol. 1,12; agon. 14; s. 43,1; 214,10; c. Faust. 12,46; ep. 120,3.8. Heiden können daher Gott auch nicht erkennen (en. Ps. 8,6). Der Glaube hat auch explizit soteriologische Funktion (vgl. Eugene TeSelle: Credere, 126 – 129), nicht nur im Erkenntnisprozeß des Heils-Wissens, das Christen Heiden voraus haben, sondern freie Glaubensannahme als individuelle Heilsvoraussetzung. Ähnlich hat der Erlösungs- und Perfektionsweg auch der Erkenntnis insgesamt sein Fundament in Christus (ench. 5). Freilich bleibt der Erkenntnis (im Glauben) auch die ›höherrangige Heilsfunktion‹ (Max Seckler: Credo ut intelligam, 1344). Vgl. mor.; div. qu. 35,2. Zur Ganzheitlichkeit der antiken Philosophie vgl. Pierre Hadot: Exercices spirituels et philosophie antique. Die moralische Bedeutung der ›Würdigwerdung‹
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phierens‹ ist allein der Wunsch, ›glückselig zu werden‹ (civ. 19,1,3). Doch als Denkund Lebensweise ist Glaube auch ethische Konsequenz der Gott suchenden Vernunft; der Glaubende muß seine Erkenntnis leben, Wahrheit zur Wahrhaftigkeit machen, dem Aufstieg zu Gott den Abstieg zur Welt folgen lassen. Die Gotteserkenntnis ist eine besondere Form des ›Wissens nach dem Glauben‹, nicht bloß spekulative Erkenntnis, sondern angetrieben und erfüllt von einer personalen Liebe (div. qu. 35,2), die mehr ist als das Streben nach dem Erkenntnisobjekt. Nur mit Liebe kann man sich der Wahrheit nähern, die Gott ist (conf. 2,1; 11,1; sol. 1,12.22 f.), in Glaube und Erkenntnissuche als Doppelantwort auf die erste Liebe Gottes (mor. 1,24). Einprägsam kennzeichnet Augustinus das Sein am Ziel, in dem wir werden schauen, lieben und loben werden (vgl. s. 254,8). Hier erfüllt sich wahrhaft das audiam et intellegam, das zu Lebzeiten nur Programm des Suchenden sein kann. Gewisser Glaube ist der Beginn von Erkenntnis, aber gewisse Erkenntnis ist erst ›nach diesem Leben‹ vollendet, in der Schau ›Antlitz zu Antlitz‹ (trin. 9,1). Dies intellegere ist ›clearly eschatological‹, nicht ›profanes Wissen‹, sondern ›Weisheit‹ als ›unverhüllte Gottesschau‹ (trin. 12,22) – das der Glaube als »temporary act which envisages the eternal« vor-wissen kann. Das ›Mystische‹ gibt dem Menschen sicheres Wissen und unverlierbares Glück (conf. 5,7). Alles andere ist dagegen nichtig; wer es hat, ist ›unüberwindlich‹ (vera rel. 86). Christliche Gotteserkenntnis schafft Glückseligkeit, da Seligkeit nichts anderes ist, »als etwas Ewiges durch Erkenntnis haben« (div. qu. 35,2), mehr aber, da entspricht dem epistemologischen Prinzip der Seinskorrespondenz zwischen Erkennendem und Erkanntem: Wer Gott erkennen will, muß rein sein – deswegen ist für Augustinus die Reinigungskraft des Glaubens selbst ›Erfordernis der Vernunft‹ (en. Ps. 118,18,3). Zum Glauben als Tugend und Lebensform vgl. Eugene TeSelle: Fides, 1137 f. Hier erhält jede Gotteserkenntnis ihren praktischen Sinn; zu conf. vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL), LXIV ff. Auch das Mystische impliziert ethisch-existentiell ein Leben aus Gott. Vgl. en. Ps. 123,2; s. 362,29 u. a. nach 1 Kor 13,12. Eugene TeSelle: Credere, 117. Eugene TeSelle: Credere, 127 nach trin. 14,3. Zwar ist alle Erkenntnis ›geistiger Dinge‹, die »unsichtbar genannt werden, weil sie nicht mit Augen zu sehen sind«, über-sinnliche Schau; letztlich ist aber Christus konkretes Objekt dieser ›Schau‹ (ep. 120,9 f.). Doch ist Glaube noch indirekte Erkenntnis des Jetzt-Nicht-Gegenwärtigen und als christlicher Glaube Verheißung der Schau (er ›schaut‹ Gott noch nicht, ist noch nicht da) sowie Zeugnis der historischen Gegenwart Christi auf Erden und erst als glaubendes Verstehen auch Erfahrung Gottes in der eigenen Innerlichkeit (s.u.). Gewißheit jenseits des ›Sinnessehens‹ bietet jede Wahrheitserkenntnis als Erkenntnis von ewig Gültigem (ep. 120,9); Gotteserkenntnis bietet auch existentielle Sicherheit. In diesem Kontext erklärt Augustinus die unterschiedlichen Übersetzungen von Jes 7,9: Nur im Glauben kann man zur letzten Schau kommen (s. 51,6, insofern ist auch er ›Geistschau‹: ep. 147,40), die sicheren Halt gibt (doct. chr. 2,17). Der Glaube allein ist aber Gabe für die ›kleinen Geister‹; für Menschen mit ›geringem Verstand‹ bietet er Wissen und ›Glückseligkeit‹ (ep. 120,4).
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sie die Bestimmung des Menschen erfüllt (lib. arb. 2,41). Die letzte Schau Gottes vollendet die ›metaphysische Naturanlage‹ nicht nur erkenntnis- sondern auch seinsmäßig, im meta-physischen Sein der Seele bei Gott. Deshalb lobt der Erkennende Gott mit Freude, wenn er bei ihm zur Ruhe gefunden hat (conf. 1,1; 10,8 ff.). Auch Anselms »Ringen nach dem intellectus fidei ist kein rein intellektuelles Erforschen, es ist ein Fortschreiten des ganzen Menschen auf der Bahn der Vollkommenheit«. Der Glaube ist notwendig, weil er ›das Herz reinigt‹, um die zugleich im Glauben gegebene Gotteserfahrung intellektuell einholen zu können (ep. incarn. 1): »Wer nicht glaubt, der wird auch nicht erkennen. Denn wer nicht glaubt, wird es nicht erfahren, und wer es nicht erfahren hat, wird es nicht erkennen«. In diesen Kontext gehört die Mehrfachbedeutung der rectitudo: Wahrheit ist nur in der rechten Geistesverfassung zu erkennen. Doch die letzten Geheimnisse kann »kein Mensch in diesem Leben vollständig enthüllen« (CDH II 16). Es gibt aber die glaubende Hoffnung auf Erfüllung in einem ›anderen Leben‹ (P 26). Bei aller spekulativen Tiefe gibt gerade das Proslogion dem mystisch-existentiellen Charakter der Erkenntnissuche Raum, nicht nur in der Gebetssprache, auch in der Übernahme des Augustinischen Gangs in die Innerlichkeit als Gotterkenntnis in Form einer trinitätsmystischen Begegnung. Diese ›Mystik‹ erschöpft sich freilich in der denkerischen Einkehr, deren anthropologischer Grund letztlich theologischer Natur ist (P 1): »Ich bekenne, Herr, und sage Dank! Du hast in mir Dein Bild geschaffen, daß ich Deiner gedenke, Dich erkenne, Dich liebe.« Der Glaube an Gott ruft die Erkenntnissuche hervor, die Liebe zur Wahrheit Gottes ist (P 1; CDH I 6). Doch weil die Vernunft (trotz und nach aller Einsicht) als begrenzt erfahren wird (P 14 – 16, 1), geht Anselm zu einer negativen Theologie über (P 17 – 23), um in den Schlußkapiteln (24 – 26) doch die Hoffnung der Seele auf die einstige Schau in ewiger ›Freude des Herrn‹ zum Ausdruck zu bringen (P 26 nach Röm 1,25). Anselm Stolz: Anselm von Canterbury, 39. Auch nach Jes 7,9; vgl. P 1 (vgl. FR 42). Hier hat die rectitudo ethische und methodisch-gnoseologische Bedeutung. Vgl. Bernd Goebel: Rectitudo, Engelbert Recktenwald: Die ethische Struktur des Denkens von Anselm von Canterbury. S. u.; vgl. M 67 nach trin. Die ›Mystik‹ Anselms entwertet aber nie die Vernunfteinsicht. Richard W. Southern: Saint Anselm, 93 ff. führt auch die Gebetselemente auf den monastischen Hintergrund zurück; in der Introspektion unterstreicht er eher einen Unterschied zu Augustinus: Anselm gebe sie nicht Sicherheit, sondern verursache Angst als Erkenntnis der Sünde und existentiellen Ungewißheit (84 ff.). P ist für Italo Sciuto: Anselmo, 247 gerade darin deutlicher ›Augustinisch‹ als M, daß es vom Glauben ausgeht, um Einsicht zu suchen, im Bewußtsein, den Erkenntnisweg nicht abschließen zu können. Hier benutzt Anselm intellectus (nicht im traditionellen Sinn als unmittelbare Intuition), während in M allein die ratio Vernunftgründe sucht, d. h. unzweifelhafte Wahrheit. – Der Glaube ist auch Voraussetzung der notwendigen Hoffnung und Liebe, ohne Liebe ist er ›tot‹ (M 76 – 78).
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So kann die ›Stufenfolge‹ (Weischedel) von Glaube und Vernunft bei Augustinus und Anselm erweitert und präzisiert werden: Weder kann die Vernunft Wahrheit finden, solange sie nicht zu Gott gefunden hat, noch reicht die glaubende Vernunft, in ihrer bleibenden Endlichkeit, schon zur Gottesschau. Der Glaube übersteigt die Bestrebungen der Vernunft, aber nicht als menschliche Aktivität; vielmehr verspricht er die einstige Vollendung der Suche in der Gottesschau, in der die Zweiheit von Vernunft und Glaube endgültig aufgehoben ist (Gn. litt. 4,29). Da dem ersten Glaubensakt des Menschen (als Annahme der Offenbarung) auch eine Vernunftetappe vorgeordnet und diese wiederum in der transzendenten Realität Gottes geborgen ist, ergibt sich insgesamt folgende ontisch-noetische Stufung: Glaubensdatum und -gegenstand: Schöpfergott, der selbst Vernunft ist – Vernunft (philosophische Suche) – Glaube (christliche Lehre/Schrift- und Autoritätsglaube) – Vernunft- oder reflektierter Glaube – glaubende Hoffnung auf Erfüllung – Gottesschau, die als Krönung des Wegs zugleich den Glauben erfüllt (Sein bei Gott), wie ›Erkenntnis‹ ist. Glaube ist also Alternative zum Vernunftwissen, Etappe auf dem Weg zur Einsicht oder antizipatorische Verheißung der Letzterkenntnis in Gegenwart Gottes.
4. Zur Möglichkeit eines Gottesbeweises aus der Reflexion über ›fides‹ und ›ratio‹
Philosophisch ist Anselm vor allem für sein unum argumentum bekannt, in dem aus einem Begriff Gottes, den auch der gottleugnende ›Tor‹ versteht (das Motiv als Ausgangspunkt entspricht lib. arb. 2,5), dem id quo maius cogitari nequit, dessen (notwendige) Existenz abgeleitet wird (P 2 – 4). Auch dieses Argument steht in der Tradition Augustins; es wird aus dem Sein der Wahrheit im noologischen oder alethologischen Gottesbeweis vorbereitet (lib. arb. und vera rel.), der aus Erwägungen über die Erkenntnisfähigkeit des Menschen erwächst, also aus dem Kontext von Glaube und Vernunft. So vertiefen einige abschließende Erwägungen dazu das Augustinisch-Anselmische Verständnis in einer konkreten Frage. Erste Annahme der fides, die nach dem Dafürhalten nicht nur mittelalterlicher Denker mit der ratio nachvollzogen werden kann, ist die Existenz Gottes. Vernunfthinweise auf das Dasein Gottes werden gerade in Neuzeit und Gegenwart Höhepunkt der philosophischen Theologie (nachdem die Inhalte von Gottes Wiesein der Die Vernünftigkeit des Glaubens existiert unabhängig von der Erkenntnisaktivität, ist ihr allerdings zugänglich. Daß eine göttliche Initiative Beginn und Möglichkeitsbedingung von Glaube und Vernunft ist, ist ein Verständnis, das erst vom Glauben her möglich ist, sein Gegenstand besteht aber von Beginn an. Nach Ps 14(13),1; 53(52),1; vgl. 10,4; vgl. en. Ps. 52,2. Vgl. an. quant. 77 f.; ep. 162,2.; mor. 1,24.
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spekulativen Theologie übergeben wurden). Eine besondere Rolle kommt dabei dem sogenannten ›ontologischen Argument‹ zu, das meist auf Anselm zurückgeführt wird und nicht nur Ablehnung, sondern auch zustimmende Rekonstruktionsversuche z. B. in der analytischen Philosophie erfahren hat. Die jahrhundertelange Kritik an der Gültigkeit des Arguments – von Gaunilo und Thomas über Kant bis in die Gegenwart – braucht hier nicht referiert zu werden. Sie hat gezeigt, daß Sein kein Prädikat ist und von der Denk- nicht einfach auf die Seinsebene zu gelangen ist. Allerdings waren Anselms Intentionen anderer Art. Sein Leitmotiv sola ratione ist immer im Glauben verankert; auch das unum argumentum ist kein Gottesbeweis der reinen Vernunft, sondern Glaubenserhellung: Es steht laut Prooemium des Proslogions unter dem Titelmotto fides quaerens intellectum. Deshalb verdienen besonders die Rekonstruktionsversuche Gehör, die zeigen, daß Anselm auch im Proslogion keinen a priori-Beweis Gottes präsentiert, sondern eine vorgängige Gotteserfahrung entfaltet. Proslogion 2 gibt dem alten Gottesbegriff des Höchsten, Unbedingten, Unwandelbaren, Absoluten, Notwendigen eine besondere Form; der spezifische Begriff war aber nur zu bilden, weil Anselm zuvor das Unbedingte direkt oder indirekt erfahren hatte. Schon Anselm Stolz hat darauf hingewiesen, daß Anselm, im expliziten Rekurs auf die Augustinische Formel ›vere esse‹, nicht das Dasein Gottes – das ihm klar ist –, sondern seine besondere Daseinsweise thematisiert. Hier sei ein Deutungsansatz herausgegriffen, der den Augustinischen Hintergrund von Anselms Argument aufzeigt, und zwar genau im Kontext unserer Frage nach fides und ratio – wobei letztere auch hier auf erstere verwiesen bleibt.
4.1 Anselm
Anselms vorgängige Gottes-Erfahrung besteht in einer unthematischen Erfahrung des Unbedingten, und zwar in einer Weise, die universalen Anspruch erheben kann (und damit doch wieder als eine Art ›Gottesbeweis‹ geeignet ist): die ›transzendentale Erfahrung‹ (Karl Rahner) der Erkenntnis-Bedingungen. In der menschlichen Erkenntnis sei eine Erfahrung des Unbedingten mitgegeben, also (da Gott als das Die besondere Rolle läßt sich auch in Kants Kritik des von ihm so bezeichneten Arguments (bei Descartes und Leibniz, nicht Anselm) erkennen (KrV B 618 ff.). Neuaufnahmen u. a. bei A. Plantinga; C. Hartshorne. Darstellungen geben z. B. Jan Rohls: Theologie und Metaphysik; Wolfgang Röd: Der Gott der reinen Vernunft; Gangolf Schrimpf: Anselm von Canterbury; Patrick Weisser: Vom Unentschieden zur Entscheidung, 41 – 56. Anselm Stolz: Vere esse im Proslogion des hl. Anselm. Vgl. Norman Malcolm: Anselm’s Ontological Arguments mit der Diskussion um die Frage zweier Beweise in P 2 und 3, wonach P 3 das wesentliche Argument (zum notwendigen Sein Gottes) biete; dazu Theodor G. Bucher: Zur Entwicklung des ontologischen Beweises nach 1960. Nach Josef Schmidt: Philosophische Theologie, 106 ff.
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Unbedingte definiert ist, das Unbedingte als Gott verstanden wird) eine unthematische Gotteserfahrung. Diese Rekonstruktion bietet sich an, weil Anselm eine Gedankenoperation vornimmt, die an das transzendentale Vorgehen moderner Philosophie erinnert: das Aufzeigen immer schon vorhandener und im Sprechoder Erkenntnisakt vom Gegner selbst vollzogener Implikationen. Bevorzugtes Mittel, diese explizit zu machen, ist die Retorsion, bei der die Ungültigkeit einer Aussage bewiesen, indem ihre selbstreferentielle und performative Widersprüchlichkeit offenbar gemacht wird. Dazu wird der Gehalt der Aussage auf sie selbst (ihren Vollzug) angewandt. Klassisch ist die Widerlegung des Skeptizismus: Wer behauptet, es gebe keine Wahrheit, widerspricht sich, da er für seine Behauptung einen Wahrheitsanspruch erhebt. Anselm geht es aber nicht nur – wie bei der klassischen Retorsion – um die Möglichkeitsbedingungen der Rede von Gott im engeren Sinn, die dem Gesprächsgegner aufgezeigt werden, wenn er Gott leugnet. Vielmehr sei die Denk-Erfahrung des Unbedingten Innewerdung eines höchsten Maßstabs für jedes Urteil: Wahrheit. Der Mensch wird der Größe seiner Vernunft eingedenk, erfährt diese aber auf Größeres verwiesen. Denken, Vernunft, Erkenntnis werden auf das unüberbietbar Unbedingte ihrer Möglichkeitsbedingungen zurückgeworfen, das Anselm in die Formel von Proslogion 2 faßt und das ihm im Denken selbst erfahrbar wurde. Das ›ontologische‹ Argument Anselms ist damit in einem kosmologischen Sinn rekonstruiert oder genauer im Sinn des alethologischen Arguments, das als Variante des kosmologischen zu verstehen ist, das, als Inbegriff aller Beweise a posteriori, aus der Erfahrung von Kontingenz auf etwas Notwendig-Unbedingtes schließt, das als Gott verstanden wird.
4.2 Augustinus
Seine klassische Form hat der alethologische Gottesbeweis bei Augustinus. Seine Entfaltung ist Folge der Vernunftanstrengung des Glaubens: Nach De libero arbitrio ist die Existenz Gottes zunächst nur dem Glaubenden gewiß (2,5); doch auch dieser muß sich um Verständnis bemühen, denn »was wir glauben, wollen wir erkennen und einsehen«. Es geht also, wie bei Anselm, um ›Selbstvergewisserung von Glaubenden‹, um den Glaubensinhalt ›als sicher zu genießen‹ (2,37.41; vgl. CDH I 1; II 15). Zu diesem Zweck – zugleich in ›retorsiver‹ Operation gegen die Skeptiker – zeigt Augustinus zunächst, daß es zumindest eine Gewißheit gibt: die der eigenen Exi Zur Darstellung und Kritik der Retorsion vgl. Christian Göbel: Widersprüchlichkeit und Sophistik. Ein gewöhnlich retorsiv-transzendentales Argument ginge so vor: Wenn der Gegner noch in der Ablehnung die Bedingungen erfüllt, müssen sie – und somit Gott – wirklich sein. Norbert Fischer: Die philosophische Frage nach Gott, 201. Vgl. Anselm: De libertate arbitrii 3.
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stenz (2,7). Unter den Existierenden ist aber die Vernunft das höchste, weil sie über alles andere urteilen kann, nichts über sie (lib. arb. 2,12 f.). Der Grundgedanke der folgenden Argumentationsschritte, neuplatonisch-aristotelische Analyse der spekulativ-mathematischen und praktischen Vernunftvermögen, ist (2,14): »Wenn wir etwas finden können, was zweifellos nicht nur ist, sondern auch noch unseren Verstand überragt«, so ist das ›Gott zu nennen‹. Die Suche geht auf etwas, das Maßstab der urteilenden Vernunft des Menschen ist, die in der Welt das Höchste ist. Hier zeigt sich, daß Anselm in seinem berühmten Gottesbegriff auf Augustinus zurückgreifen kann, der Gott als das begreift, »dem nichts übergeordnet ist«, (lib. arb. 2,14). Der doppelte Grundgedanke der Suche, als Bedingung für das Gelingen des Gottesbeweises aus der Analyse des Vernunftvermögens, findet seine Einlösung darin, daß (1.) ein Orientierungsmaßstab der Vernunft existiert, der als solcher diese (2.) überragt: die Wahrheit: »nach ihr urteilen wir auch über unsern Geist, während wir über sie auf keine Weise urteilen können« (2,34). So ist die ›eine, unwandelbare Wahrheit‹ (2,33), das ›summum bonum‹ (2,36), für Augustinus letztlich Gott, wie es die Schrift bekennt. Und es ist bestätigt, daß ›einzig das Ewige sicher‹ ist (en. Ps. 8,6). Zumindest aber gilt im Rahmen der Voraussetzungen des Gesprächs (lib. arb. 2,39): »Du hast mir zugestanden, wenn ich zeigen würde, daß es etwas über unserem Verstand gibt, daß das Gott ist, sofern es nicht noch etwas Höheres gibt. Ich nahm dein Zugeständnis an und sagte, es genüge, dies zu beweisen. Denn wenn es etwas noch Erhabeneres gibt, so ist dies Gott, wenn aber nicht, so ist die Wahrheit selbst Gott« (vgl. conf. 10,35). Der Gedanke begegnet auch in De vera religione. Dort steht die berühmte Mahnung: »Geh nicht nach außen; kehr zu Dir selbst zurück! Im inneren Menschen
So ist Glaube zwar Voraussetzung, aber nicht erste Gewißheit. – Der Gedanke wurde nach civ. 11,26, »si enim fallor sum« (vgl. Acad. 3,23; trin. 10,10.13 f.; 15,21; vgl. Aristoteles: NE 1170a/b), und im cartesischen cogito ergo sum berühmt: Selbstbewußtheit belegt Existenz und darin Gewißheit (Principia philosophiae I 7; Discours de la méthode IV 3; im Grunde gilt diese Gewißheit nur für den Moment des Zweifelns selbst, deswegen die Fassung cogitans sum, vgl. Meditationes de prima philosophia II 6 u. a.; die Gewißheit ist nicht Schluß, sondern Intuition). Vgl. conf. 7,6; mor. 2,24; doctr. chr. 1,7. Andere Vorbilder sind Boethius, Seneca, Cicero. Die Abhängigkeiten sind vielerorts dargestellt (z. B. Josef Schmidt: Philosophische Theologie, 106 f.). Anselms Originalität wird meist in der Kraft gesehen, die er dem Begriff als Argument selbst zuschreibt. Eine nicht-ontologische Rekonstruktion kann sie mindern, allerdings jene Gültigkeit zurückgewinnen, die a posteriori-Wegen zu Gott zugeschrieben wird (dazu Adriano Alessio: Sui sentieri di Dio). Eine umfassende Darstellung von Boethius’ Einfluß, neben Augustinus Anselms wichtigstes Vorbild auch für die Synthese von fides und ratio, erarbeitet z. Zt. E. C. Sweeney (Boston). Joh 14,6. Augustinus nennt hier Joh 8,31 f. und betont den Zusammenhang von Wahrheit und Freiheit: Diese besteht positiv darin, sich der Wahrheit zu unterwerfen. Die Autorität der Wahrheit (und Gottes) ist gerade keine Einschränkung der menschlichen Autonomie.
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wohnt die Wahrheit« (72), die den theologischen Charakter der Augustinischen Philosophie bestätigt; denn die Selbsteinkehr fordert einen Überstieg des Selbst auf Gott hin, allerdings im Innern des Menschen. Das höchste Irdische ist die Vernunft, sie ist aber nicht Letztgrund, sondern stammt von Gott, auf den sie hingeordnet ist. Sie hat also einen ›internen und doch übergeordneten Maßstab‹ ihres Seins. Hier hat das Augustinische Wissen seinen ›mystischen Charakter‹ als Gotteserkenntnis in der eigenen Innerlichkeit. Die Augustinische Selbsteinkehr folgt der Tradition des gnothi seauton und hat philosophisch-psychologischen Erkenntniswert, aber auch theologische Aussagekraft – weil sie im Glauben an den Schöpfergott verankert ist. 4.3 Kritische Zusammenschau
Die Verwandtschaft der Gottesbeweise Anselms und Augustins ist nicht nur aus den expliziten Bezugnahmen offensichtlich. »Der Gedanke von der Implikation der Existenz im Vollzug der Vernunft [ist] in gewisser Weise ein Vorgriff auf den ontologischen Gottesbeweis. Wenn nämlich die höchste Vernunft als Maß unseres Vernunftvollzugs nicht dessen Produkt sein kann, dann muß ihre sich selbst genügende, vollkommene Reflexivität auch ihre Existenz enthalten. Diese höchste und zugleich reale Vernunft ist uns zwar innerlich (Gehe in dich!), aber sie ist doch von uns unterschieden.« In beiden Argumenten wird die Tatsache, daß der Mensch wissen kann, daß er den Glauben zu Wissen führen kann, selbst Gottesbeweis. Im Denken, in dem ihm wesentlichen Inneren (Geist), kommt der Mensch zu einer Erfahrung des Höchsten oder Unbedingten (der Wahrheit), welches alles Denken und Urteilen erst möglich macht und mit Gott identifiziert wird. Den Gedanken nimmt Anselm auch in De veritate auf. Dort, wie im Proslogion und in De libero arbitrio, steht der
Zuvor auch 51 zur ›Erleuchtung des inneren Menschen‹. Josef Schmidt: Philosophische Theologie, 83; vgl. conf. 10,7. Die Analogien der Trinität im Geistwesen des Menschen beruhen auf einem vergleichsweise einfachen Glaubenssatz: Als imago dei muß in der Struktur des Geistes auch Erhellendes zum Wesen Gottes zu finden sein. Josef Schmidt: Philosophische Theologie, 84. Augustins Argument für diesen Unterschied ist klassisch (vera rel. 72): »Gib zu, daß du nicht bist, was sie ist. Denn sie selbst sucht sich nicht; du aber bist suchend zu ihr gelangt.« Ausdrücklich wird Anselms Untersuchung von dem Grundsatz geleitet, verstehen zu wollen, was er glaubt, hier angewandt auf den Glauben, daß Gott die Wahrheit sei (ver. 1). Anselm führt die verschiedenen Wahrheiten auf eine allgemeine Wahrheit zurück, die ›Maßstab einer letzten Angemessenheit (rectitudo)‹ sei (Josef Schmidt: Philosophische Theologie, 84) und als ›höchste, in sich bestehende Wahrheit‹ (ver. 13) mit der in M entwickelten Ontologie des notwendigen, göttlichen Seins verbunden wird (vgl. Rolf Schönberger: Anselm von Canterbury, 104 ff.).
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Erweis der Existenz Gottes im Kontext des Programms einer fides quaerens intellectum als ihr erster Inhalt. Es stellen sich jedoch einige kritische Fragen. So kann bezweifelt werden, daß die Erkenntnisbedingungen tatsächlich auf eine unbedingt-objektive Letztwahrheit verweisen. Problematisch ist auch die Identifikation der Wahrheit mit Gott. Der ohnehin nicht selbstverständliche Schritt am Ende der a posteriori-Argumente, das Ergebnis der philosophischen Reflexion mit ›Gott‹ zu identifizieren, ist hier am wenigsten einsichtig: Daß ein Satz ›unbedingt‹ wahr ist, wenn er mit objektiven Sachverhalten übereinstimmt, mag sein; eine solche Satz- und Sachwahrheit ist aber nicht das Sein Gottes. Sie ist nicht einmal Unbedingtheit im starken Sinn des Begriffs, sondern bleibt an eine Bedingung gebunden, daß nämlich der ausgesagte Sachverhalt tatsächlich besteht. Auch gibt es nicht eine solche Wahrheit, sondern so viele, wie es Sachverhalte (und Sätze darüber) gibt. Ähnlich ist der recht problemlosen Identifikation Augustins entgegenzuhalten, daß er nicht das Dasein Gottes erwiesen hat, sondern »höchstens das Dasein einer an sich bestehenden, vom erkennenden Subjekt unabhängigen Wahrheit«, von der nicht einmal erwiesen, sondern vorausgesetzt wird, daß sie unveränderlich und ewig ist. Allerdings verdeutlicht Augustinus am Ende seines Arguments selbst, daß er sich seiner Vorläufigkeit und Unsicherheit bewußt ist. Der Vorwurf philosophischer Schwäche kann gerade aus dem Kontext der Lehre von Glauben und Wissen seine Intention nicht treffen: Er strebt, genau wie Anselm, kein Argument für eine säkulare Vernunft im modernen Sinn an, sondern bemüht sich um Glaubenserhellung, aus einem grundsätzlich theistischen Verständnis der Vernunft. Das zeigen auch die Konsequenzen, die Augustinus zieht: Er ist sich bewußt, daß sein Denken nicht zu der Weisheit reicht, die Gott selbst erkennt. So hat sich der Mensch gefunden, wenn er bewußt nach Weisheit strebt (›Philosoph‹ ist); Gott bleibt weiter zu suchen, auch wenn er (im christlichen Glauben) bereits ›gefunden‹ ist. Denn »der genuin menschliche Zustand besteht im Wissen des Nichtwissens«. Den sokratischen Gedanken hat die Augustinische Tradition als docta ignorantia christianisiert (nach Etwa in Diskurs- und Konsenstheorien; einen kritischen Überblick gibt Arno Anzenbacher: Einführung in die Philosophie, 175 – 180. Auch bei Thomas (S.th. I,2,3). Zum ›Beweischarakter‹ solcher ›Wege‹ vgl. Leonardo Messinese: Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit, 43 – 46. Das bestätigt auch, daß das alethologische Argument vom kosmologischen Gedanken abgeleitet ist. Ob Wahrheit Seinsgröße ist, steht hier selbst in Frage. Wahrheit ›ist‹ dann, wenn Aussage und Sein korrespondieren. Damit wird aber auch der Anspruch, über Gott die Wahrheit zu sagen, nicht nur auf die Wahrheit, sondern auf das (vorgängige) Sein Gottes zurückgeführt. Wilhelm Weischedel: Der Gott der Philosophen, 110. Norbert Fischer: Die philosophische Frage nach Gott, 203. Darin sieht auch Augustinus das Wesen der Philosophie (trin. 14,2).
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ep. 130,28) und Fides et Ratio in der Kreisbewegung von Glaube und Vernunft neu gefaßt. In De libero arbitrio heißt es in diesem Sinn, daß »der Unweise die Weisheit erkennen« kann (2,40); er ist aber nicht in ihrem endgültigen Besitz, als ›Finder Gottes‹ auf Erden (2,34). Auch nach einem ›Gottesbeweis‹ vermag die Vernunft nicht alles, kann das menschliche Strebewesen seine Erfüllung in Gott nicht erzwingen, sondern muß weiter glaubend auf die jenseitige Glückseligkeit und ›Schau‹ vertrauen, die das ohnehin auf ein rezeptiv-passives Erleuchtetwerden verwiesene höchste Geistvermögen noch einmal übersteigt. An diesen Charakter der Vernunft erinnert De vera religione, wo der Appell zur Wendung in die eigene Innerlichkeit – nach der Aufnahme des Gottesbeweises – in den Folgeappell mündet, »über sich hinauszuschreiten«; wer aber »über sich hinausschreitet, schreitet über seine verständige Seele hinaus« und begibt sich in den Bereich der ›Erleuchtbarkeit«, wo »das Licht der Vernunft selbst entzündet wird« (72). Anselms ähnliche Gedanken wurden schon dargestellt. So zeigt sich noch einmal, daß sich das Menschsein (in seiner Vernunftbestimmung) in der aufrichtigen – und lebenspraktisch werdenden – Suche nach Wahrheit realisiert, die wiederum ihre letzte Erfüllung nur in Gott findet – weil es nicht nur um eine ›Satzwahrheit‹ geht, sondern um Sinn und Heil (im ›Licht des Glaubens‹). Das hat besonders Augustinus existentiell erfahren. Erst in diesem Kontext der Lehre von fides und ratio zeigt sich, daß Augustinus und Anselm nicht philosophisch nur begrenzt gültige Argumente für das Dasein Gottes präsentieren, sondern aus einem theo-logischen Bewußtsein der eigenen Begrenztheit argumentieren. Im Blick auf Anselm ist allerdings fraglich, ob die alethologische Interpretation nötig ist. Sein Gott-Denken läßt sich angemessener mit einem einfachen Rückgriff auf das kosmologische Argument in Reinform verstehen, was aus dem – gedanklich, textuell und biographisch belegbaren – Zusammenhang von Monologion und Proslogion erhellt. Anselms Theologie kreist um den Gottesbegriff der Tradition, den er nur immer präziser zu fassen und auch in Cur deus homo in seiner ontologischen Relevanz zu verstehen sucht. Methodisch bleiben diese Versuche durch die Dort wird die menschliche Schwäche durch den göttlichen Geist erleuchtet. Bei Bonaventura und Cusanus wird daraus wieder eine ›Form der Gotteserkenntnis‹, im bewußten Verzicht auf unpassende Wissensformen der Vernunft (komparative Erkenntnis). Schon bei Sokrates belegt der Gedanke nicht nur ein generelles Bewußtsein der eigenen Begrenztheit, sondern steht im Horizont der besonderen Frage nach Gott und Unsterblichkeit; vgl. Christian Göbel: Griechische Selbsterkenntnis, 33 – 35. Vgl. en. Ps. 118,23,1: Als Geschöpfe haben Geistwesen Erkenntnis nicht aus sich, sondern durch Erleuchtung, aus Teilhabe an der ewigen, göttlichen Wahrheit (auch hier ist Christus, der logos, das Licht der Welt). Die Homogenität von Anselms Theologie und ihre Zuspitzung auf die soteriologische Frage als ontologisches Problem hat Gerhard Gäde dargestellt; vgl. Eine andere Barmherzigkeit.
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Grundüberzeugungen vom rechten Verhältnis zwischen Glaube und Denken bestimmt. Sicher kommt Anselm nicht a priori zu seinem Gottesbegriff, sondern aufgrund vorgängiger Erfahrungen; aber nicht nur aufgrund der ›direkten‹ (doch unthematischen) Erfahrung des Unbedingten im Denken, sondern 1.) aus der religiösen Erfahrung des Glaubenden: Glaube und Gottesbegriff stammen aus der Tradition und gehen damit dem eigenen philosophischen Durchdenken voraus (während dieses, Augustinisch, in ein persönliches Liebes-Verhältnis zu Gott im religiösen Glauben zurückführt, was gerade P betont); und 2.) aus der ›philosophischen‹ Kontingenzerfahrung: Die Erfahrung des Seins als zufällig, bedingt, abhängig läßt (indirekt) auf ein unbedingtes, notwendiges Sein schließen. Daraus entwickelt Anselm im Monologion seine Ontologie des Seins per aliquid und des Seins per se/ens subsistens, die im Proslogion ausdrücklich aufgenommen wird. Dieser Gottesbegriff wird im Proslogion neu entfaltet; sein kosmologischer Hintergrund wurde oft übersehen, weil die Vorgeschichte selbst im Proslogion nicht mehr thematisiert wird. Neben den Bezügen auf die kosmologische Ontologie des Monologion verweist zwar Anselms Vorwort explizit darauf, allerdings wurde der Kontext des unum argumentum oft ignoriert. Diese Dinge können hier nur angedeutet und müssen an anderer Stelle näher ausgeführt werden; dabei ist auch zu zeigen, daß doch eine Identifikation des Unbedingten, das am Ende aller ›Gottesbeweise‹ steht, mit Gott, und zwar dem christlichen Gott, möglich und sogar ›logisch‹ ist. Denn nur die unbedingte Liebe, die der christliche Gott personal verkörpert, kann dem unbedingten Sein entsprechen, das den philosophisch einzig annehmbaren Gottesbegriff darstellt (der religiös in das Bild des Schöpfergottes gefaßt wurde, aber mit dem bedingten Verstand allein nur an-gedacht werden kann). Mit Augustinus und Anselm ist aber daran festzuhalten, daß kein spekulatives Bemühen um Gott und Wahrheit Sinn bekommt, wenn es nicht ins Existentiell-Subjektive überführt wird, mit Liebe, die dem Glauben, der sich um Einsicht bemüht, ›Leben‹ gibt (M 78). Wenn das nicht der Fall ist, wird es Nichtglaubenden leicht gemacht, Gott zu leugnen, auch wenn sie damit ›töricht‹ reden (P 4). So gibt es einen Glauben nach der Erkenntnis, der im Augustinischen ›Abstieg‹ Glaubenswerke einschließt, nicht als Heilsbedingung, aber als Ausdruck der Glaubenserkenntnis.
Umso deutlicher ist das in der monastischen Tradition und Lebensweise Anselms; darauf hat zuletzt Richard W. Southern hingewiesen; vgl. Saint Anselm, 113 ff. Bei Descartes ist es gerade das eigene Sein in seiner Vernunftfähigkeit, das sich als abhängig erfährt und mithin auf Gott verwiesen (in jedem Denken, nicht nur im Gottdenken), dazu Leonardo Messinese: Die Gottesfrage in der Philosophie der Neuzeit, 59. Auch die Erfahrung des Unbedingten im Denken kann damit freilich als indirekt verstanden werden. Nicht nur in Anselms Antwort an Gaunilo, sondern auch in P 3,5,14.
Zur Rezeption Augustins bei Peter Abaelard (ca. 1079 – 1142) von Lenka Karfíková Dubitando ad inquisitionem venimus, inquirendo veritatem percipimus.1
In diesem Beitrag möchte ich den Einfluß Augustins auf Peter Abaelard darstellen, und zwar in der trinitarischen Theologie, der Soteriologie, der Gnadenlehre und der Ethik. Wie wir sehen werden, heißt Augustinus-Rezeption bei diesem originalen und kühnen Autor keineswegs die Annahme aller Lösungen, sondern vielmehr die Annahme der Fragen Augustins, auf die Abaelard seine eigenen Antworten versucht, die zwar wiederum durch Augustinus beeinflußt sind, jedoch anders als im Sinne einer bloßen Wiederholung.
1. Die Autobiographie
Bevor wir uns den genannten theologischen Themen zuwenden, soll ein anderes Augustinisches Unternehmen Abaelards erwähnt werden, nämlich seine Autobiographie. Sie heißt allerdings nicht Confessiones, sondern Historia calamitatum,2 und auch die Strategie dieses Werkes unterscheidet sich ganz von derjenigen Augustins – obwohl der Zweck der beiden Schriften einigermaßen ähnlich erscheint, nämlich die Rehabilitation des Verfassers vor einem Publikum, dessen Vertrauen er gewinnen will. Augustins Bekenntnis ist an Gott selbst adressiert, wobei die Verfehlungen seiner Kindheit und Jugend – im Dienst der Sündenlehre Augustins – bis zur Unglaublichkeit übertrieben werden. Abaelard will zwar seine Fehltritte nicht ganz verdecken, er läßt jedoch keinen in Verlegenheit, daß die Plagen, die ihn getroffen haben, vorwiegend durch die Dummheit und Böswilligkeit der anderen verursacht worden sind. Das öffentliche Bekenntnis Augustins soll, wenn nicht hauptsächlich, dann mindestens nebenbei auch seine gedanklichen Irrtümer rückgängig machen, vor allem will er sich von seiner manichäischen Vergangenheit distanzieren. Abaelard hat gar keine Zweifel an der Richtigkeit seiner Lehre und verbindet daher die Klage über die Kalamitäten seines Lebens keineswegs mit doktrinären AusführunPeter Abaelard: Sic et non. Prolog. Der handschriftliche Titel heißt jedoch: Abelardi ad amicum suum consolatoria. Die Schrift wird erst seit Petrarcas Zeiten Historia calamitatum genannt; vgl. Etienne Wolff: Abélard et l’autobiographie, 41. 1 2
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gen (es sei denn um die Fehler der anderen zu zeigen). Seine Schrift ist als Trost an einen Freund abgefaßt, der selber in Schwierigkeiten geriet; dieser Adressat bleibt jedoch namenlos – und es ist nicht einmal ausgeschlossen, daß es sich um eine fiktive Gestalt handelt. Tröstet sich unser Autor hier vielleicht selbst, ähnlich wie er in seinem Soliloquium ›Peter‹ mit ›Abaelard‹ sprechen läßt? Auch dieses Augustinische Genre verwendet Abaelard also anders als Augustinus selbst, der in seinen Soliloquia ein Gespräch mit der ›Ratio‹ führt.
2. Trinitätslehre
Das wichtigste theologische Interesse Abaelards galt der Trinitätslehre (die auch zu seiner doppelten Verurteilung führte, 1121 in Soissons und 1141 in Sens), d. h. einem Thema, dessen für die abendländische Theologie in ihrer ganzen Geschichte maßgebenden Grundzüge Augustinus in seiner Abhandlung De Trinitate entworfen hat.3 In diesem Werk hinterließ Augustinus seinen Nachfolgern ein (mindestens) doppeltes Bild der Dreifaltigkeit: Neben der Gemeinschaft zweier Personen, die durch eine in die dritte Person hypostasierte Liebe verbunden werden (vgl. trin. 6,7; 15,27), ist es der Vergleich des innergöttlichen Lebens zum menschlichen Geist (mens) mit seinen Bewegungen des Denkens – nach Augustinus einem Hervorrufen aus dem Gedächtnis – und des Wollens, das zu diesem Hervorrufen notwendig ist (vgl. trin. 15,40 f.; 15,50). Ebenso wichtig erscheint auch seine Appropriationslehre, nach der die einzelnen Charakteristika der göttlichen Essenz den einzelnen Personen zu eigen gemacht werden, besonders die Weisheit dem Sohn und die Liebe dem Heiligen Geist (vgl. trin. 15,29). Peter Abaelard knüpft mit der Hauptintention seiner Trinitätslehre (wie er sie in der ersten Version seiner ›Theologie‹ darstellt, der Theologia ›Summi boni‹, die auch für die beiden späteren Versionen entscheidend blieb)4 an keines dieser Motive 3 Vgl. Michael Schmaus: Die psychologische Trinitätslehre des hl. Augustinus; Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus; ders. (Hg.): Gott und sein Bild. Augustins De Trinitate im Spiegel gegenwärtiger Forschung. 4 Die ›Theologie‹ Abaelards ist in drei Versionen (und deren einzelnen Redaktionen) erhalten: (I) Theologia ›Summi boni‹, verurteilt 1121 in Soissons; (II) Theologia Christiana, verfaßt (in zwei Redaktionen) als Reaktion auf die Verurteilung, wahrscheinlich 1122 – 1126 bzw. 1133 – 1137; diese Version übernimmt neun Zehntel der verurteilten Schrift und erhöht zugleich seinen Umfang etwa ins Dreifache, vorwiegend durch Zugaben apologetischen Inhalts; (III) Theologia ›Scholarium‹, datiert 1133 – 1138 bzw. (in der zweiten, längeren Version) 1136 – 1139 (diese zweite Fassung wurde bis zu Abaelards zweiter Verurteilung in Sens 1141 wahrscheinlich noch zweimal überarbeitet). Zur inhaltlichen Entwicklung dieser Versionen vgl. Jean Jolivet: La théologie, 24 – 67; Eligius Mariae Buytaert: Abelard’s Trinitarian Doctrine; Constant J. Mews: The Development of the Theologia of Peter Abelard.
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direkt an; dennoch ist die Theologie Augustins eine Grundlage, ohne die seine Ausführungen nicht möglich wären. Die tradierte Trinitätslehre, die er interpretieren will, faßt Abaelard in ihrer abendländischen, von Augustinus abgeleiteten Version zusammen (theol. s.b. II,29 – 42): Die drei einander gleichen göttlichen Personen zeichnen sich durch eine einzige Substanz aus; sie sind einander durch ihre Ursprungsrelationen verknüpft, die zugleich ihre reale Verschiedenheit begründen: Der Vater stammt nicht von einem Anderen, der Sohn hat seinen Ursprung im Vater, der Geist im Vater und Sohn, mit der Präzisierung, daß der Sohn vom Vater geboren wird (›gigni‹), während der Geist von beiden hervorgeht (›procedere‹). Abaelard erklärt, daß die Aussagen, die vom Vater bzw. vom Sohn bzw. vom Geist gemacht werden (z. B. der Vater stammt nicht von einem Anderen, gebärt ewiglich den Sohn usw.), ihre eigentümlichen Charakteristika (›propria‹) betreffen, die für ihre Unterschiedlichkeit als Personen (›personaliter‹) verantwortlich sind. Dank dieser ›propria‹ ist der Vater weder der Sohn noch der Geist (und umgekehrt), obwohl alle dieselbe Substanz sind. Ähnlich charakterisiert das ›proprium‹, z. B. die Fähigkeit zu lachen beim Menschen, in Abaelards logischen Ausführungen eine Art im Rahmen ihrer Gattung – jedoch mit dem Unterschied, daß es sich in der Trinitätslehre nicht um eine Art, sondern um eine Person handelt. Mit der einen Substanz meint Abaelard nicht nur die gleiche Natur, nämlich die göttliche, sondern die individuelle Substanz (›singularis substantia‹): Alle drei Personen sind der eine Gott. Es handelt sich also nicht um eine Unterscheidung, durch die sich im Rahmen der gemeinsamen Art zwei menschliche Personen unterscheiden, die beide je eine individuelle Substanz darstellen, obwohl auch diese Unterscheidung ›personal‹ heißt. Die drei göttlichen Personen besitzen die gleiche Substanz oder Essenz (während die menschlichen Personen nach Abaelard drei Substanzen oder Essenzen sind); trotzdem unterscheiden sie sich durch die personale Differenz, die mit ihren ›propria‹ gegeben ist. Drei Personen in der einen göttlichen Substanz sind jedoch nicht ihre Teile. Auch kann man das allen Personen Gemeinsame nicht für Eigenschaften halten, die der Substanz eine bestimmte Form gäben. Weil die göttliche Substanz nämlich einfach ist und jeder Form entbehrt (sie ist ›informis‹), ist alles, was von ihr ausgesagt wird (z. B. die Macht oder die Weisheit), sie selbst; es ist nicht eine Form, an der die Substanz partizipierte und durch die sie als Art bestimmt würde oder die ihre akzidentelle Eigenschaft wäre. Gegen diese Trinitätslehre können vom Gesichtspunkt der Dialektik aus wichtige Einwände erhoben werden, die Abaelard (in Anlehnung an seinen Lehrer Roscelin) in der Tat einführt.5 Ihre gemeinsame Voraussetzung lautet, daß der Rede von drei 5 theol. s.b. II,44 – 63. Roscelin war höchstwahrscheinlich geneigt, die drei Personen in Gott als ›drei Dinge‹ (tres res) oder drei Substanzen zu verstehen. Vgl. dazu Constant J. Mews: Nomi-
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göttlichen Personen entweder etwas in Gott selbst entspricht oder nicht entspricht (aber nicht beides zugleich). Die drei Personen in Gott sind also entweder nicht real unterschiedlich, sondern bloße Namen für die einzige Substanz (was jedoch die unzulässige Folge des Patripassianismus und der Autogenese mit sich bringt); oder die Personen sind drei real unterschiedliche Substanzen und der Name ›Gott‹ ist ein (rein sprachlicher) Universalname, wie z. B. der Name ›Mensch‹ (was jedoch in einen Tritheismus einmündet). Der Kern von Abaelards Polemik gegen diese Argumentation besteht in der Bestimmung der Begriffe ›idem‹ (dasselbe) und ›diversum‹ (das Unterschiedliche), die in einer mehrfachen Bedeutung ausgesagt werden.6 Die drei göttlichen Personen, so Abaelard, sind dasselbe der Essenz nach (›der Essenz nach Dasselbe‹ ist in der Terminologie Abaelards das Einzelne, das durch synonyme Ausdrücke beschrieben wird, z. B. ›ensis‹ und ›mucro‹, oder auf verschiedener Stufe der Allgemeinheit, wie ›Sokrates‹, ›Mensch‹ und ›Lebewesen‹, oder als ein Träger verschiedener Eigenschaften, z. B. dieses Weiße und dieses Harte); sie unterscheiden sich jedoch der Definition nach (der Definition nach unterscheiden sich die durch unterschiedliche Definitionen charakterisierten Seinsweisen des Einzelnen, z. B. Lebewesen-sein und Mensch-sein; vgl. theol. s.b. II,83). Die unterschiedlichen Definitionen der einzelnen göttlichen Personen nennt Abaelard ihre ›propria‹. Er versteht sie jedoch nicht nur traditionell als »aus sich selbst sein und den gleichewigen Sohn gebären« für den Vater, »aus dem Vater geboren sein« für den Sohn und »von den beiden ausgehen« für den Geist, sondern zugleich – und das ist eine kontroverse Neuigkeit seiner Trinitätslehre – als »mächtig sein« für den Vater, »weise sein« für den Sohn und »gütig sein« für den Heiligen Geist (vgl. theol. s.b. II,103 – 104). Der (im zwölften Jahrhundert sehr beliebte) Ternar Macht-Weisheit-Güte (›potentia‹, ›sapientia‹, ›benignitas‹) ist nämlich für Abaelard nicht nur eine appropriierte Charakterisierung der einzelnen Personen, sondern ist de facto diese Personen selbst. Manchmal scheint es, als ob die göttlichen Personen durch diese Dreiheit ersetzt, d. h. auf die drei Charakterisierungen reduziert werden sollten.7 Deswegen nalism and Theology before Abaelard, 6 – 33; ders.: The Trinitarian Doctrine of Roscelin of Compiègne and its Influence: Twelfth-century Nominalism and Theology Re-considered, 351 – 358; ders.: St Anselm and Roscelin of Compiègne. Some New Texts and Their Implications, 55 – 68. 6 theol. s.b. II,82 – 102 (CCM 13, 142 – 150): (i) der Essenz nach (secundum essentiam); (ii) numerisch (secundum numerum); (iii) der Definition nach (diffinitione); (iv) durch eine Ähnlichkeit (similitudine); (v) dasselbe bzw. unterschiedliches als unverändert (pro incommutato) bzw. verändert; (vi) dasselbe bzw. unterschiedliches nach der Auswirkung (effectu). Zu Abaelards Auffassung des Gleichen und Verschiedenen vgl. Jeffrey E. Brower: Trinity; zu seiner Trinitätslehre im allgemeinen Jeffrey Garrett Sikes: Peter Abailard, 145 – 167. 7 Vgl. theol. s.b. I,2; ibid. II,105; ähnlich ibid. I,5. Zum Ternar der Macht, Weisheit und Güte vgl. z. B. Matthias Perkams: The Origins of the Trinitarian attributes potentia, sapientia, benignitas.
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versucht Abaelard zu zeigen, daß die Charakterisierungen der Macht, der Weisheit und der Güte alle Vollkommenheiten der Gottheit enthalten – oder auf diese überführbar sind (theol. s.b. II,113 – 116). Diese drei erfordern jedoch einander, da mit der Gottheit weder eine blinde Macht, noch ein der Tat unkräftiger Tiefsinn, noch eine Verknüpfung von Macht und Tiefsinn, jedoch nicht auf das Gute gerichtet, verbunden werden kann (theol. s.b. I,3; I,5). Mit einer gewissen Vereinfachung können wir sagen, daß die Trinitätsinterpretation Abaelards einen Versuch darstellt, die Dreieinigkeit Gottes als eine dreifache Charakterisierung der einfachen göttlichen Substanz zu denken, wobei diese dreifache Charakterisierung die dreifache Natur der göttlichen Wirkung betrifft (die Macht, die Weisheit und die Güte)8 und die Distinktion der drei Personen auf eine ungleiche Bedeutung dieser Charakterisierungen reduziert wird. Daß Abaelard Augustinus rezipiert, heißt also keineswegs, daß unser Autor Augustins Konzeption der Trinitätslehre in einer ihrer Varianten ausführen würde. Abaelard nimmt jedoch die Herausforderung Augustins an, die Trinität in Gott zu denken und versucht diese Aufgabe auf Grund der essentiellen Identität und der definitionellen Verschiedenheit durchzuführen. Er nutzt dabei Augustins Appropriationsgedanken, nach dem die einzelnen Charakterisierungen der göttlichen Substanz den einzelnen Personen zugeschrieben werden, den er jedoch in einer neuen Weise radikalisiert.
3. Theologie der Liebe
In seinem Römerbriefkommentar hat Abaelard zwar wahrscheinlich nicht aus Augustins beiden (partiellen) Auslegungen dieser Schrift geschöpft (Expositio quarundam propositionum ex Epistola ad Romanos und Epistolae ad Romanos inchoata expositio),9 der systematische Grundgedanke der Ausführungen Abaelards, nämlich seine Interpretation der Paulinischen Theologie, findet aber trotzdem in Augustinus eine deutliche Inspiration. Wie in der Trinitätslehre, bedeutet dies jedoch nicht, daß Abaelard notwendig auch Augustins Soteriologie selbst übernehmen würde. Abaelard war, verständlicherweise, mit dem zeitgenössischen soteriologischen Konzept unzufrieden (wie es z. B. bei seinen Lehrern Anselm von Laon und Wil8 Deswegen wird die Trinitätslehre Abaelards als „ausschließlich ökonomisch, d. h. mit der Schöpfung und dem Heil verbunden“ bezeichnet; vgl. Eligius M. Buytaert: Abelard´s Trinitarian Doctrine, 129; ähnlich auch Walter Simonis: Trinität und Vernunft. Untersuchungen zur Möglichkeit einer rationalen Trinitätslehre bei Anselm, Abaelard, den Viktorinern, A. Günther und J. Frohschammer, 55. 9 Nach Rolf Peppermüller (vgl. Exegetische Traditionen und theologische Neuansätze in Abaelards Kommentar zum Römerbrief, 118) waren Abaelards Quellen vielmehr Origenes in Rufins Übertragung, Ambrosiaster, Pelagius (den er als Hieronymus zitiert) und Haimo.
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helm von Champeaux zu finden ist), nach dem die Menschwerdung Gottes ein Weg war, den Teufel zu besiegen und den Menschen legitim aus seiner Macht zu befreien, ohne das Recht zu verletzen, das sich aus der Annahme ergibt, daß der Mensch dem Teufel die Macht über sich freiwillig gegeben hatte.10 Der Teufel (so Abaelard mit Anselm von Canterbury) hat über den Menschen kein Recht, das ihm Gott selbst nicht gegeben hätte. Noch absurder jedoch wäre zu meinen (so Abaelard gegen Anselm von Canterbury), daß Gott sich durch den Tod Christi mit sich selbst versöhnt. Wie könnte er als Gerechter den Tod eines Unschuldigen fordern? Und wie könnte Adams Verfehlung, die ja bloß eine kleine Frucht betraf und doch so fatale Folgen für die ganze Menschheit mit sich brachte, nur durch eine viel schlimmere Übeltat, nämlich die Ermordung Christi, gut gemacht werden? Wie läßt sich denken, daß der Mensch auf diese Weise vor Gott gerechter werden könnte (vgl. comm. Rom. 3,26)? Angesichts solcher Fragen entwickelt Abaelard seine Soteriologie der Liebe, nach der Gott in der Menschwerdung und im Tod Christi seine Liebe bis zum Äußersten erwiesen hat, um damit die Liebe des Menschen zu erwecken. Sofern der Glaube an Christus eine Voraussetzung dieser Liebe ist, kann auch gesagt werden, daß der Mensch durch seinen Glauben an Christus gerechtfertigt wird. Was jedoch den Menschen in Gottes Augen ›gerecht‹ werden läßt, ist erst die aus dem Glauben erwachsende Liebe (vgl. comm. Rom. 3,22 – 25; 3,26).11 Die Liebe, die wirkliche Freiheit hervorbringt, die also nicht mit sklavischer Abhängigkeit einhergeht, liebt Gott nicht wegen eines Nutzens, sondern um seiner selbst willen (›propter ipsum‹ oder ›gratis‹). Ähnlich werden ja die Freunde oder die Gattin um ihrer selbst willen geliebt, ohne daß ihr Wert nach ihrer Nützlichkeit abgemessen wäre. Der Gipfel der Liebe wäre, so Abaelard, Gott deswegen zu schätzen, wie er ist, nicht wegen einer Belohnung, auf die wir hoffen, oder wegen der Gaben, die wir bekommen haben, sondern um seiner Güte selbst willen, die unserer Liebe würdig ist (vgl. comm. Rom. 7,13; 13,10). Erst diese Liebe erfüllt das Gesetz, wie der Apostel behauptet (Röm 13,10), da sie den Menschen dazu führt, um Gottes Zur Soteriologie Anselms von Laon vgl. D.E. de Clerck: Questions de sotériologie médiévale, 174 – 184 (ähnlich wahrscheinlich auch Wilhelm von Champeaux, ibid. 173 f.); Richard E. Weingart: The Logic of Divine Love. A Critical Analysis of the Soteriology of Peter Abailard, 81 – 93. Abaelards Ablehnung dieser Position wurde sogar zu einem Punkt seiner Anklage in Sens (vgl. Constant J. Mews: The Lists of Heresis Imputed to Peter Abelard, 108, der Satz No 4; auf der Liste des Thomas von Morigny, der Satz No 4 : CCM 12, 474 ff.). Es handelte sich jedoch wahrscheinlich um ein Mißverständnis, da die Vorstellung Abaelards und diejenige seiner Ankläger grundsätzlich nicht auseinandergingen (vgl. dazu D.E. de Clerck: Droits du démon et nécessité de la rédemption. Les écoles d’Abélard et de Pierre Lombard, 33 – 39). 11 Zur Soteriologie Abaelards vgl. Jeffrey Garrett Sikes: Peter Abailard, 204 – 211; Richard E. Weingart: The Logic of Divine Love; Rolf Peppermüller: Erlösung durch Liebe. Abaelards Soteriologie; Thomas Williams: Sin, Grace, and Redemption. 10
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selbst willen keines seiner Gebote zu verletzen und auch die anderen Menschen zu lieben (vgl. comm. Rom. 7,6). Das Leiden Christi erweckt damit nicht nur Liebe zu Gott, sondern auch die Liebe zum Anderen, den wir wie uns selbst lieben sollen (Lev. 19,18; Mk 12,31), den wir also so behandeln sollen, wie wir von ihm behandelt werden wollen (vgl. comm. Rom. 3,22; 13,10). Diese Auslegungen zur Theologie des Apostels Paulus kommen Augustins Überlegungen zum Sinn der Liebe sehr nahe, die Gott um seiner selbst willen und den Anderen Gottes wegen liebt. Augustinus nennt diese Einstellung, in der er die einzig adäquate Antwort an das umsonst (gratis) geschenkte Heil sieht, »Gott umsonst (gratis) zu lieben«, d. h. um seiner selbst willen, nicht seiner Gaben oder der Freude wegen, die er uns schenkt.12 Gott um seinetwegen zu lieben und zu schätzen ist in Augustins Augen ein Charakteristikum der christlichen Epoche. Falls nämlich die Menschen von Gott weltliche Gaben oder Belohnungen erwarten, finden sie sich noch »unter dem Gesetz«, nicht »unter der Gnade«, die gratis geschenkt wird und deswegen nur mit der gratis liebenden Liebe beantwortet werden kann, mit einer Liebe, die Gott als Ziel, nicht als ein Mittel liebt.13 Die christliche Existenz ist damit für Augustinus eine Freiheit, in der die Gebote nicht aus Furcht, sondern aus Liebe erfüllt werden. Nur auf diese Weise wird das Gesetz tatsächlich erfüllt (Gal. 5,11 – 14), nämlich wenn wir auch im Verhältnis zu den Anderen nicht Strafe oder Belohnung im Sinn haben, sondern die Gerechtigkeit selbst beachten (exp. Gal. 43,3 – 8; 44,1 – 3). Diese Einstellung ist jedoch für Augustinus im eigentlichen Sinne keine lediglich sittliche Möglichkeit der menschlichen Freiheit der Entscheidung; sie ist vielmehr erst ermöglicht durch die Gnade Gottes, der allein dem Menschen ein Gefallen am sittlich Richtigen schenken kann (gr. et pecc. or. I,13,14; c. ep. Pel. II,9,21; c. Iul. IV,3,33). Die Intentionen Augustins und Abaelards waren damit teilweise unterschiedlich. Abaelard beabsichtigte, gegen die Soteriologie des Lösegelds diejenige der Liebe zu stellen (was manchmal als eine unangemessene Subjektivierung des Heils kritisiert wird).14 Augustins Anliegen war dagegen die Überwindung einer Gerechtigkeit, die sich auf Furcht vor Strafe oder auf Sehnsucht nach Belohnung gründet; er wollte den Gedanken einer Gerechtigkeit entwickeln, die aus der Liebe als einer Gottesgabe hervorgeht. Seine Vorstellung der umsonst geschenkten Liebe sollte die Soteriologie nicht ersetzen, obschon sicherlich wahr ist, daß seine fast ausschließlich der Gnadenlehre gewidmete Aufmerksamkeit die Soteriologie teilweise in den Hintergrund rückte. Vgl. Hiob 1,9; dazu en. Ps. 26,8; 34(1),12; 43,15; 52,8; 55,20; gr. t. nov. 17,44 – 18,45. cat. rud. 22,39,3; 27,55,12; Io. ev. tr. 3,21; ep. Io. tr. 10,4 – 6. 14 Walter von Mortagne: Epistola ad Petrum Abaelardum (40,14 f. Ostlender); Bernhard von Clairvaux: ep. 190 (Leclercq-Rochais, VIII, 36 ff.). Vgl. Jean Jolivet: Sur quelques critiques de la théologie d’Abélard, 17 f. 12 13
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4. Erbsünde und Gnade
Zu einer schwierigen Frage wird für Abaelard in seinem Römerbriefkommentar die Augustinische Vorstellung der Erbsünde (›peccatum originale‹), die seit der Verfehlung der Ureltern der Menschheit von einer Generation auf die andere mit dem biologischen Leben selbst tradiert wird. Jeder Mensch, so Augustinus, kommt mit einer Sünde belastet auf die Welt, und diese Sünde, als Schuld aufgefaßt, verdient die Strafe nicht nur des körperlichen, sondern auch des ewigen Todes.15 Diese Lehre, welche er durch die Praxis der Kindertaufe begründete, entwickelte Augustinus als eine Voraussetzung seiner Gnadenlehre, wie sie zum ersten Mal in seiner Antwort Ad Simplicianum 1,2 formuliert wird. Hier erklärt der Bischof von Hippo, daß alle Menschen seit ihrer Geburt (oder besser gesagt schon vor ihrer Geburt) eine ›Sündenmasse‹ bilden, und die Gnade Gottes einige von ihnen ganz abgesehen von ihren Verdiensten zum Heil bestimmt, wobei die anderen absichtlich dem verdienten Untergang überlassen werden.16 Gegen diese Lehre versucht Abaelard zu zeigen (und dies wurde auch zu einem Punkt seiner Anklage),17 daß die Erbsünde nicht als eine Schuld (›culpa‹), die eine willentliche Gottesverachtung impliziert, sondern als eine bloße Strafe (›poena‹) verstanden werden soll, der jeder Mensch ohne jede persönliche Verfehlung unterworfen ist18 (diese Überzeugung entspricht der frühen Vorstellung Augustins selbst).19 Es ist jedoch sehr schwierig zu erklären, warum der gerechte Gott den Menschen ohne jede persönliche Schuld einer Strafe unterwirft, die erst durch den Ritus der Taufe aufgehoben wird, und warum die ungetauften Kinder einen ewigen Untergang (wenn auch nach Abaelard eine leichtere ewige Strafe) verdienen – und Abaelard behauptet auch nicht, daß er es erklären könnte. Vielleicht ist das unglückliche Schicksal der persönlich unschuldigen Menschen eine Warnung für die anderen, vielleicht ist es nicht ganz sinnlos, daß die Kinder unter den Sünden ihrer Eltern leiden. Abaelard scheint in seinem Kommentar sogar Augustins merkwürdige Konstruktion zu übernehmen, nach der die Erbsünde (für Abaelard lediglich die Strafe für die Sünde) auf die Nachkommenschaft durch die sexuelle Konkupiszenz über15 Zum Beispiel pecc. mer. 1,11,13; gr. et pecc. or. 2,30,35 – 31,36; c. Iul. 6,24,79; ibid. 3,21,46; c. Iul. imp. 2,42. 16 Simpl. 1,2,16 – 17. S. dazu Kurt Flasch: Logik des Schreckens, 72 ff.; 84; 312 f. Diese Vorstellung wird von Augustinus später mehrmals wiederholt bzw. weiter entwickelt in seiner Polemik gegen die Pelagianer, vgl. z. B. ep. 194; c. Iul. imp. 4,125; 4,131. 17 Vgl. Constant J. Mews: The Lists, 109, der Satz No 9; auf der Liste des Thomas von Morigny der Satz No 8 (CCM 12, 478). 18 comm. Rom. 5,19. Ähnlich auch scito 1,13; ibid. I,38. Zu Abelards Erbsündenlehre vgl. Jeffrey Garrett Sikes: Peter Abailard, 200 – 202; Julius Gross: Abälards Umdeutung des Erbsündendogmas; Paul C. Kemeny: Peter Abelard. An Examination of His Doctrine of Original Sin. 19 lib. arb. 3,19,53,180 – 20,55,187; 3,22,64,218 – 220.
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geht, die zur Empfängnis notwendig ist20 (diese Vorstellung scheint jedoch Abaelard später relativiert zu haben).21 Neben der Erbsündenkonstruktion verläßt Abaelard die späte Gnadenlehre Augustins noch in einem anderen Punkt, nämlich in seiner Auffassung des Zusammenwirkens von Gnade und Freiheit in der menschlichen Entscheidung. In seiner Antwort an Simplicianus und besonders später in seiner antipelagianischen Polemik kam Augustinus zum Schluß, daß wegen der notorischen Not des Menschengeschlechts, zu der auch die Willenversklavung gehöre, die ganz unverdient geschenkte Gnade den Taten des Menschen vorausgehen und jede menschliche Entscheidung, soweit sie als gut angesehen werden kann, motivieren müsse.22 Diese Gnade wird nach Augustinus jedoch, wie wir schon wissen, nur einigen Menschen gegeben, die zu diesem glücklichen Schicksal ohne jedes Verdienst vorherbestimmt wurden, während die anderen ihrem gerechten Untergang verfallen. Ist dann aber, so fragt Abaelard (vgl. comm. Rom. 9,21), nicht Gott selbst für den Untergang derjenigen verantwortlich, die er ihrem trüben Schicksal überläßt (dem sie nur dank seiner unverdienten Gnade entgehen können)? Falls der Mensch ohne die Gnade die angebotene Hilfe nicht annehmen kann (wenn sie auch allen angeboten wäre, was nach Augustinus nicht der Fall ist), ist er noch schuldig, wenn er sie nicht annimmt? Wenn ein Arzt mit einem Medikament zum Kranken kommt, das der Patient ohne seine Hilfe nicht anzuwenden fähig ist, kann dem Kranken noch vorgehalten werden, es nicht angewandt zu haben? Und was ist dann das Medikament wert? Und was ist der Arzt dann wert? Deswegen meint Abaelard (gegen Augustinus, jedoch ohne mit ihm öffentlich zu polemisieren), es könne zu den einzelnen Taten des Menschen, soweit sie gut sein sollen, nicht jeweils eine neue Gnade notwendig sein. Die gleiche Gnade, so Abaelard, werde allen angeboten, die einzelnen Menschen nähmen sie jedoch unterschiedlich an, und damit bringe dieselbe Gnade unterschiedliche Folgen, für die jedoch die Menschen selbst verantwortlich sind. Zu ihrer Annahme reicht dabei lediglich der Wille, d. h. der Glaube des Menschen (comm. Rom. 9,21). Zum Beispiel pecc. mer. 1,9,9; 3,12,21; gr. et pecc. or. 2,37,42. comm. Rom. 5,19 (zur Erbsündenlehre vgl. den ganzen Passus ibid. 163 – 175). Die Vorstellung der sexuellen Konkupiszenz als des Mediums der Übertragung der Erbsünde scheint Abaelard in seiner Ethik korrigiert zu haben, wo er in einem ungewöhnlich langen Passus die neutrale Natur der sexuellen Lust behandelt (vgl. scito 1,11 – 13). Diese Überzeugung wurde zu einem Punkt Abaelards Anklage in Sens (vgl. Constant J. Mews: The Lists, 110, der Satz No 19; in der Liste des Thomas von Morigny wird der Satz etwas abgeändert, vgl. CCM 12, 480, der Satz No 13). Zu Abaelards ›inkonsequenten‹ Vorstellung vom Einfluß der Konkupiszenz auf die Übertragung der Erbsünde vgl. Julius Gross: Abälards Umdeutung des Erbsündendogmas, 25. 22 c. ep. Pel. 3,24: »et liberum arbitrium captivatum non nisi ad peccatum valet, ad iustitiam vero nisi divinitus liberatum adiutumque non valet«. Vgl. ähnlich z. B. 2,9; c. Iul. imp. 3,163. Augustinus ist der Ansicht, daß Gott im Menschen den guten Willen wirkt (›operatur‹), jedoch so, daß dieser Wille aus dem Menschen selbst hervorgeht (›oriatur‹), vgl. c. Iul. imp. 5,42. 20 21
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Obwohl Abaelard seine Soteriologie also auf Grund der ›gratis geschenkten Liebe‹ Augustins entwickelt, lehnt er doch zugleich Augustins Vorstellung der ›unverdienten Gnade‹ ab, die den Willen motivieren müßte und die zu jeder positiven Entscheidung notwendig wäre. Abaelard, der zuweilen des Pelagianismus verdächtigt wurde,23 ist überzeugt, daß die Liebe in allen ihren Auswirkungen nicht eine unverdiente Gottesgabe sei (wie Augustinus in seinen späten Jahren meinte),24 sondern wirklich eine Tat des Menschen, zu der allen Menschen die gleiche Möglichkeit gegeben wird. 5. Die Ethik der Absicht
Eine unterschiedliche Einschätzung der menschlichen Freiheit und ihrer Chancen ist auch in der Ethik der beiden Autoren sichtbar. Während Augustinus seit seiner Jugend eine theologisch orientierte Ethik entwickelt – zu einem wirklich guten Leben reicht nach seiner Überzeugung nicht der gute Wille allein, vielmehr sei zu ihm eine durch den Geist Gottes geschenkte Liebe notwendig (mor. 1,13,22 – 23) –, entwirft Abaelard eine Art philosophischer Selbstüberprüfung des menschlichen Geistes, die sich in die Tradition der antiken Selbsterkenntnis eingliedert. Wir werden sehen, daß Abaelard trotz der großen Unterschiedlichkeit des Gesamtkonzepts auch in seiner Ethik vieles Augustinus verdankt. Mit seiner Ethik Scito te ipsum, die er also unter das delphische Motto des ›Erkenne dich selbst‹ stellt, knüpft Abaelard nicht nur an den Sokratischen Zugang zu den Fragen der Ethik an, sondern auch an die Tradition der Augustinischen Innerlichkeit, die Gotteserkenntnis auf dem Weg der Selbstreflexion sucht. Abaelard gibt jedoch, wie wir sehen werden, diesem Programm einen neuen, rein moralischen Sinn.25 Wegen der Unabgeschlossenheit seiner Ethik haben wir leider nur Abaelards Abhandlung über das Böse völlig zur Verfügung, nicht die über das Gute. Nach Abaelards Vorstellung neigen (›pronos faciunt‹) die Laster (d. h. die eingeborenen oder gewonnenen Habitus) den Willen (›voluntas‹) zu einer unangemessenen Handlung (›actio mala‹). Diesem Willen als der Aktualisierung der habituel23 Bernhard von Clairvaux: ep. 190 (Leclercq-Rochais VIII, 36,22 f.; 37,16 f.); ep. 330 (LeclercqRochais VIII, 268,8 f.); ep. 331 (Leclercq-Rochais VIII, 270,5); ep. 332 (Leclercq-Rochais VIII, 272,5); ep. 336 (Leclercq-Rochais VIII, 276,2 f.); ep. 338 (Leclercq-Rochais VIII, 278,13 f.). Vgl. auch die Anklage Abaelards in Sens, Constant J. Mews: The Lists, 109, der Satz No 6; auf der Liste des Thomas von Morigny (CCM 12, 476, der Satz No 6). Zu dieser Auswertung der Theologie Abaelards neigt auch z. B. Thomas Williams: Sin, Grace, and Redemption, 260 und 276. Dagegen jedoch z. B. Jeffrey Garrett Sikes: Peter Abailard, 202 – 204; Richard E. Weingart: The Logic of Divine Love, 202 f.; Rolf Peppermüller: Exegetische Traditionen, 1 24 Zum Beispiel spir. et litt. 3,5; 19,32; 25,42; 29,51; gr. et pecc. or. 1,14. 25 Zu Abaelards Anwendung der delphischen Aufforderung vgl. Gérard Verbeke: Éthique et connaissance de soi chez Abélard.
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len Anlage kann, aber muß nicht zugestimmt werden, wobei erst diese Zustimmung (›consensus‹) für die Sünde (›peccatum‹) entscheidend ist. In Abaelards Terminologie ist damit ein Wille denkbar, dem nicht zugestimmt wird; zugleich ist aber auch – und das ist ein wenig überraschend – eine Zustimmung denkbar, die nicht auf einem Willen gründet, jedoch nichtsdestoweniger eine Sünde ist (Scito 1,1 – 4). Als ein Beispiel der letztgenannten Lage nennt Abaelard einen Diener, der seinen Herrn tötet, um sein eigenes Leben zu retten. Er handelt nicht auf Grund des eigenen Willens (sein Wille zielt lediglich darauf, das eigene Leben zu retten, nicht dasjenige des Herrn zu vernichten), sondern unwillig und von der Not der Situation gedrungen (›nolens et coactus‹). Trotzdem handelt der Diener, so Abaelard, auf Grund der eigenen Zustimmung (wenn auch nicht zu seinem eigenen Willen). Er stimmt nämlich der Tötung zu, obwohl er zugleich weiß, daß er kein Recht hat, seinen Herrn zu töten, und begeht deswegen eine Sünde (Scito 1,5; vgl. lib.arb.1,9f.). Diese durch die Umstände herbeigeführte Zustimmung ist weiterhin von derjenigen zu unterscheiden, die von der eigenen Schwachheit verursacht wird. Als Beispiel nennt Abaelard einen Menschen, der entgegen seinem Vorsatz, treu zu bleiben, auf Grund der ›Schwachheit des Körpers‹ Ehebruch begeht (d. h. der Durchführung dieser Tat zustimmt) – was etwas anderes sei, als Möglichkeiten zum Ehebruch gezielt zu suchen und ihn dann zu begehen. Vom Willen ist damit das Begehren (›concupiscentia‹) zu unterscheiden, das nicht nur gegen den eigenen Willen die Zustimmung erzwingt (wie der Druck der Umstände es tun kann), sondern das den Willen selbst ›dazu bringt zu wollen, was er nie wollen würde‹, d. h. das den Willen von innen her spaltet. Für die Beurteilung der Tat bleibt aber auch hier die Zustimmung entscheidend.26 Die grundlegende Bedeutung, die Abaelard der Zustimmung zuschreibt, zieht jedoch noch eine weitere wichtige Folge nach sich: Die Zustimmung zu einer unangemessenen Tat ist selbst eine Sünde, ihre Durchführung kann nichts weiter hinzufügen (wie sie auch ihr Scheitern nicht leichter macht), und ähnlich mindert die äußere Unmöglichkeit der Durchführung einer guten Absicht keineswegs deren inneren Wert (Scito 1,9; 1,31 – 32). Ebenso wenig kann ein Gefallen oder eine Abneigung, die während der Handlung empfunden werden, ihren Wert ändern. Entscheidend ist, so Abaelard, allein die Zustimmung selbst, nicht aber der Wille, der ihr vorausgeht, nicht die Tat, die auf der Zustimmung gründet, noch weniger ein Gefühl, das die Tat begleitet (Scito 1,11). In Abaelards Augen ist daher nur die Absicht (›intentio‹) sittlich relevant, die für die äußerlich gleiche Tat sehr unterschiedlich sein kann (derjenige, der aus Gerechtigkeit handelt, tötet mit einer anderen Absicht als derjenige, der sich vom Haß führen läßt). Die äußeren Taten selbst sind indifferent (Scito 1,17; 1,30). 26
Scito 1,10. Zu diesem Passus vgl. William E. Mann: Ethics, 286.
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Die Ethik Abaelards beschreibt damit nicht die gesellschaftlichen Aspekte der üblen Absicht und der bösen Tat, sondern versucht zu zeigen, wie die Handlungen in den Augen Gottes beurteilt werden, die auch die unsichtbaren Absichten, nicht nur die sichtbaren Taten und ihre Folgen sehen (Scito 1,25 – 26; 1,29). Diese (nicht gerade bescheidene) Ambition unseres Autors erklärt seine etwas einseitige Hervorhebung der inneren ›Absicht des Geistes‹ auf Kosten der ›Folgen der äußeren Taten‹ (Scito 1,29) – womit jedoch keineswegs gesagt ist, daß diese Einseitigkeit unproblematisch wäre.27 Für unseren Zusammenhang sollen zwei Augustinische Motive in Erinnerung gerufen werden, die in Abaelards Ethik zur Geltung kommen, nämlich die Überwindung des Willens durch seine eigene Schwachheit und die Beurteilung der Taten allein auf Grund der sie leitenden Absicht. Die Vorstellung eines in sich gespaltenen Willens, der durch seine eigene Schwachheit über wunden wird (auf Röm 7 gründend), gehört zu den Lieblingsmotiven Augustins seit seiner frühen Polemik gegen den Manichäer Fortunatus bis zum letzten, leidenschaftlichen Streit seines Lebens gegen Julian von Aeclanum. Angesichts der manichäischen Vorstellung der zwei gegensätzlichen Naturen, die im Menschen gegeneinander kämpfen und ihn dadurch ohne seinen Willen zur Sünde bringen, erklärt Augustinus, daß es sich um einen Konflikt des Willens mit seinem eigenen Sediment, nämlich einer verfehlten Gewohnheit (›consuetudo‹) handelt, die im Willen gründet (vgl. c. Fort. 14 – 15; 21 – 22). Der pelagianischen Auffassung des Willens als der einzigen Instanz, die für die Handlung des Menschen verantwortlich ist, stellt Augustinus seine Erfahrung entgegen, daß der Wille des Menschen durch die Konkupiszenz als sein eigenes Begehren versklavt ist (›voluntas captiva‹), da dieses dem Willen nicht gehorcht und ihn vom gewählten Weg abbringt und ihn verführt, d. h. ihn von innen zersetzt. Nur die Gnade Gottes kann den kranken Willen (teilweise) heilen (vgl. c. Iul. imp. 3,112). Für Abaelard erscheint dieses Motiv bei weitem nicht so wichtig, wie es für Augustinus der Fall war (wie wir gesehen haben, rechnet Abaelard mit einem Willen, der immer noch selber zu guten Taten fähig ist). Dennoch behandelt er in seiner Ethik die Willenspaltung durch die eigene Schwachheit als einen der sittlich relevanten Fälle. Sehr wichtig ist für Abaelard dagegen der zweite Augustinische Gedanke, nämlich die Beurteilung der Taten auf Grund der Absicht allein. Dieses Motiv spielt in der Moral bzw. Spiritualität Augustins eine große Rolle (vgl. s. dom. m. 2,46; op. mon. 34; ep. Io. tr. 7,7), in seiner Gnadenlehre führt es jedoch zu einer (höchst problematischen) Relativierung jeder menschlichen Moral überhaupt. In der schon genannten Polemik gegen Julian von Aeclanum erfahren wir zum Beispiel, daß in 27 Einige Punkte der Ethik Abelards spielten ihre Rolle in seiner Verurteilung, vgl. Constant J. Mews: The Lists, 109f., der Satz No 10 und 13; auf der Liste des Thomas von Morigny die Sätze 11 und 10 (CCM 12, 479).
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der menschlichen Handlung nicht die Tat selbst, sondern ihre durch den Willen bestimmte Absicht (›propter quid‹, ›finis‹) entscheidend ist (c. Iul. 4,21f.). Wenn jemand durch sich selbst, ohne Hilfe der göttlichen Gnade, eine inhaltlich gute Tat vollbrächte, dann wäre diese, so Augustinus, in Gottes Augen dennoch ganz wertlos, weil sie nicht durch die Liebe motiviert ist, die ausschließlich Gott selbst schenken kann (vgl. c. Iul. 4,33). Wie wir sehen, kam die durch Augustinus in das abendländische Denken eingeführte Willensanalyse bei Abaelard zu einem spezifischen Ausdruck, der sich von der Absicht Augustins aber teilweise unterscheidet. Wo Augustinus seinen gnadentheologischen Ausführungen folgt, beschränkt sich Abaelard auf ihre rein ethische Anwendung, in der die Gnadenlehre als der ursprüngliche Kontext beiseite gelassen wird. Auf allen erwähnten Gebieten (in der Trinitätslehre, der Soteriologie, der Gnadenlehre und der Ethik) haben wir beobachtet, daß Abaelard sein Denken nach den von Augustinus entworfenen Grundlinien entwickelt, obwohl er in allen genannten Fällen auf Augustins Fragen seine eigenen Antworten gibt. Die Freiheit, die er im Umgang mit dem Augustinischen Erbe zeigt, verrät eine tiefgehende Aneignung nicht nur der traditionell gewordenen Lehren, die er manchmal auf eine riskante Weise neu interpretiert, sondern auch der fragenden und immer weitersuchenden Einstellung, die Augustinus zur Formulierung dieser Lehren geführt hatte und die Augustinus (in seinen Retractationes) auch auf seine eigenen Einsichten anzuwenden bereit war. So kann Abaelard als guter Schüler Augustins schreiben (Sic et non. Prolog): »Dubitando ad inquisitionem venimus, inquirendo veritatem percipimus.«28
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Vgl. dazu Beryl Smalley: Prima Clavis Sapientiae: Augustine and Abelard.
»In arca quaedam ad Christum, quaedam ad ecclesiam referuntur« (c. Faust. 12,39) Zur Rezeption von Augustins Arche-Exegese bei Hugo von St. Viktor (1097 – 1141), Petrus Johannis Olivi (1247/48 – 1296/98) und Aegidius Romanus (1245 – 1316) von Andreas E. J. Grote
1. Einleitung
Die Deutung der Arche Noah-Episode aus dem Buch Genesis 6 – 9 hat in der Forschung mit Blick auf patristische Autoren vielfach Aufmerksamkeit gefunden,1 und auch zu Autoren der Neuzeit existieren hinsichtlich dieser Thematik einige Studien.2 Dagegen ist der Umgang von Autoren des Mittelalters mit diesem Stoff kaum untersucht worden. Der vorliegende Beitrag will daher Texte von drei Verfassern eben jener Epoche, die sich mit diesem Thema – unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Augustins Exegese – beschäftigt haben, näher beleuchten. Die Untersuchung der Rezeption von Augustins Deutung der Arche-Noah-Episode soll ihren Ausgang nehmen bei Hugo von St. Viktor, den schon Zeitgenossen als ›alter Augustinus‹ bezeichneten, dann bei dem Franziskaner-Spiritualen Petrus Johannis Olivi Station machen, der Augustinus teilweise sogar mit präziser Stellenangabe zitiert, um schließlich zu Aegidius Romanus, dem Haupt der sogenannten ›Augustiner-Schule‹ zu gelangen. Der begrenzte Umfang dieser Studie läßt allerdings nur einige Schlaglichter auf diese Texte zu. Zunächst ist jedoch ein kurzer, keine Vollständigkeit beanspruchender Überblick über das Verständnis der Arche Noah-Erzählung in der Patristik vor Augustinus zu geben. Danach soll Augustins eigener Umgang mit dieser Thematik fokussiert werden. Die Sintflut-Erzählung aus dem Buch Genesis mit dem Protagonisten Noah und seiner Arche ist bereits in der jüdischen Exegese Gegenstand einer ausführlichen
Vgl. z. B. Hendrik S. Benjamins: Noah, the Ark, and the Flood; Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs; Christfried Böttrich: Die Baumaße der Arche; Norman Cohn: Noah’s Flood, 23 – 37; Martine Dulaey: Le De arca Noe de Grégoire d’Elvire; Bertrand Ham: L’interprétation de l’arche de Noé; Hugo Rahner: Antenna crucis VII; F. Schmidtke: Arche. Für Darstellungen dieses Themas in der antiken christlichen Kunst vgl. v.a. Henri Leclercq: Arche. 2 Zum Beispiel Jim Bennett/Scott Mandelbrote: The Garden, the Ark, the Tower, the Temple; Norman Cohn: Noah’s Flood, 47 – 133. 1
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Beschäftigung.3 Auf der einen Seite wird versucht, Verständnisschwierigkeiten oder Widersprüche (z. B. die 100jährige Bauzeit oder die Frage nach der Größe der Arche angesichts der vielen Tiere und des für sie benötigten Futters) zu erklären sowie nicht geschilderte Details zu ergänzen. Andererseits beginnt schon in dieser Zeit die allegorische Deutung der Episode. Bekanntester Vertreter für beide Interpretationsmuster – die Erklärung nach dem Literal- wie nach dem symbolischen Sinn –, jedoch mit Schwerpunkt auf der Allegorese, ist der Gelehrte Philo von Alexandrien, vor allem mit seinem Werk Quaestiones et solutiones in Genesin.4 Auch das noch junge Christentum beginnt bereits in seinen Anfängen, sich mit Noah und der Arche auseinanderzusetzen. So wird schon im Neuen Testament5 die Flut mit den Konzepten von Gericht und Taufe verbunden.6 Ohne grundsätzlich die Historizität des biblischen Berichtes anzuzweifeln, werden die im Alten Testament geschilderten Ereignisse jedoch typologisch gedeutet, d. h., alles wird im Licht der christlichen Offenbarung gesehen: Die prophetischen Vorausdeutungen des Alten erfüllen sich im Neuen Testament, im Alten liegt das Neue Testament bereits verborgen und erst im Neuen wird die Bedeutung des Alten Testamentes klar.7 Daher ist es nicht weiter verwunderlich, daß auch die Kirchenväter gerade die allegorische Interpretation bevorzugen.8 Insbesondere gilt ihnen Noah als Typus für Christus. So sieht Justin in der Noah-Episode das gesamte Mysterium der Errettung durch Christus präfiguriert: Das Holz der Arche entspricht dem Kreuz Christi, die acht geretteten Personen stehen für die Auferstehung Christi am Tag nach Sabbat, also am 8. Tag, und die die gesamte Erde bedeckende Flut weist auf die Botschaft Gottes hin, die allen Menschen, nicht nur den Juden, gilt.9 Der Arche selbst nähern sich die Kirchenväter von zwei Seiten, wobei besonders Origenes für die Exegese im 3. und 4. Jahrhundert10 wichtig ist: Gegen den Vorwurf des Gnostikers Apelles, daß die Arche mit ihren überlieferten Maßen (300 Ellen 3 Norman Cohn: Noah’s Flood, 32 – 37; Jack P. Lewis: A Study of the Interpretation of Noah and the Flood, 10 – 100.121 – 155. 4 F. Schmidtke: Arche, 598 f.; Jack P. Lewis: A Study of the Interpretation of Noah and the Flood, 42 – 74; zu Philos allegorischer Deutung jüngst Bertrand Ham: L’interprétation de l’arche de Noé. 5 Mt 24,37 – 39; Lk 17,26 f.; Hebr 11,7; 1 Petr 3,20 f.; 2 Petr 2,5; 3,6. 6 Norman Cohn: Noah’s Flood, 23 – 25. 7 Norman Cohn: Noah’s Flood, 23. 8 Zur Archensymbolik bei den Kirchenvätern ausführlich Hugo Rahner: Antenna crucis VII; vgl. auch F. Schmidtke: Arche, 600; Jean Daniélou: Sacramentum Futuri, 69 – 94 und Jack P. Lewis: A Study of the Interpretation of Noah and the Flood, 101 – 120.156 – 180; hinsichtlich speziell der Deutung des architektonischen Gebildes der Arche vgl. Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs. 9 Justinus: Dialogus cum Tryphone 138; vgl. Jack P. Lewis: A Study of the Interpretation of Noah and the Flood, 112 – 114; Norman Cohn: Noah’s Flood, 26. 10 Hendrik S. Benjamins: Noah, the Ark, and the Flood, 149.
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lang, 50 Ellen breit und 30 Ellen hoch) kaum groß genug für vier Elefanten gewesen sei, verweist jener darauf, daß Moses als Verfasser des Pentateuchs aufgrund seiner ägyptischen Erziehung die geometrische Elle gemeint habe, die sechsmal so groß wie die übliche sei11 – hier findet sich eine Erklärung nach dem Literalsinn.12 Dem steht das Verständnis der Arche als Präfiguration der Kirche gegenüber,13 indem Origenes z. B. die unterschiedlichen Räumlichkeiten bzw. Decks, die den Tieren auf der Arche zugewiesen sind, als Symbole für die unterschiedlichen Stufen des geistlichen Fortschritts der Mitglieder der Kirche versteht14 – dieser Ansatz basiert auf dem allegorischen Sinn. Aus der Deutung der in der Sintflut Sicherheit und Überleben garantierenden Arche als Kirche in den Wogen der Zeit leiten in der Folge andere Kirchenväter wiederum ab, daß es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, weil ja alles Leben, das nicht in der Arche war, vernichtet wurde.15 Andererseits gilt die Flut nicht nur als zerstörend, sondern auch als Typus für den rettenden Ritus der Taufe: Wie die aus den Fluten auftauchende Welt gereinigt ist, so ist auch der auftauchende Konvertit durch das Taufwasser von der Sünde gereinigt.16 Auch das Motiv vom Raben und der Taube wird typologisch-allegorisch interpretiert: So steht der Rabe für alles Sündhafte oder Gottlose und die Taube z. B. für den Heiligen Geist bzw. verweist ihre Rückkehr mit dem Ölzweig auf das ewige Leben.17 Johannes Chrysostomus hingegen will die Tugendhaftigkeit Noahs zeigen, den er seinen Zuhörern als Beispiel einwandfreien Lebenswandels inmitten der Übel seiner Zeit präsentiert.18 Neben den mehr oder weniger vollständigen Auslegungen des Buches Genesis als ganzes werden speziell der Arche Noah-Thematik komplette Schriften gewidmet: In Spanien legt Gregor von Elvira eine vorwiegend anagogische Deutung der Arche vor, d. h. er sieht in der Sintflut einen Vorverweis auf das Jüngste Gericht samt Auferstehung, indem er z. B. die Kammern der Arche als Wohnungen versteht, die den Heiligen im Himmelreich bereitet sind.19 Ambrosius von Mailand hingegen deutet in seinem Werk De Noe die Arche als ›imago hominis‹, wobei er besonders hinsichtlich der Allegorese ihrer Baumaße weitgehend Philo folgt.20 Origenes: Homilia 2 in Genesim 2. Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs, 161 f. 13 Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs, 163 – 166. 14 Origenes: Homilia 2 in Genesim 3 f. 15 Cyprianus: De catholicae ecclesiae unitate 6; Hieronymus: Epistulae 15,2; 22,38; 123,11; Johannes Chrysostomus: In Lazarum 6,7; vgl. Gregorius Illiberritanus: De arca Noe. 16 Zum Beispiel Ambrosius: De mysteriis 3,10 f.; vgl. Norman Cohn: Noah’s Flood, 30 f. 17 Norman Cohn: Noah’s Flood, 31. 18 Johannes Chrysostomus: Homiliae 21 – 29 in Genesim. 19 Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs, 169; insgesamt zu diesem Werk jüngst Martine Dulaey: Le De arca Noe de Grégoire d’Elvire. 20 Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs, 166 f.; Christfried Böttrich: Die Baumaße der Arche, 101 n. 39. 11 12
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2. Augustinus
Augustinus verwendet das Wort ›arca‹ gut 400mal in seinem Œuvre,21 wovon die weitaus meisten Belege das Gefährt bezeichnen, mit dem Noah, seine engste Familie sowie die Tiere aus der Sintflut gerettet wurden. Erstaunlicherweise beschäftigt sich Augustinus mit der Arche Noah-Episode nicht in seinen drei ausdrücklichen Kommentaren zum Buch Genesis, die alle vor dem Sintflutgeschehen enden, vielmehr finden sich seine Deutungen über das gesamte Werk verstreut.22 Allerdings gibt es zwei Passagen, in denen er sich sehr ausführlich mit der Arche-Thematik befaßt und die folglich auch im Zentrum dieses Teils der Untersuchung stehen sollen: Contra Faustum 12,14 – 24 und De civitate dei 15,24 – 27. In der zwischen 400 und 404 in Form einer Disputatio verfaßten antimanichäischen Schrift Contra Faustum23 verteidigt Augustinus das Alte Testament und legt dessen Einheit mit dem Neuen Testament dar. Im 12. Buch dieses Werkes geht es darum, gegen Faustus aufzuzeigen, daß bereits die Propheten das Kommen Jesu angekündigt haben. Augustinus argumentiert dabei nicht nur mit Stellen aus dem Neuen Testament, sondern er deutet ausführlich – bei Adam beginnend – etliche Personen des Alten Testaments typologisch auf Christus hin;24 das gesamte Buch Genesis ist für ihn eine Prophezeiung auf Christus und die Kirche hin.25 Zu den überzeugendsten Beispielen dafür rechnet er Noah: »quod Noe cum suis per aquam et lignum liberatur: sicut familia Christi per baptismum crucis passione signatum« (c. Faust. 12,14). Um dies zu beweisen und es seinem Kontrahenten geradezu einzuhämmern, läßt Augustinus nun über sieben Paragraphen hinweg (ebd. 12,14 – 20) gleichsam ein Trommelfeuer von über 20 Argumenten auf Faustus niederprasseln, eingeleitet jeweils mit einem faktischen ›quod‹ (meist kombiniert mit einem parallelen, das ›quod‹ aufgreifende ›sicut‹), was deren rhetorische Wirkung noch verstärkt.26 Dabei deutet er viele einzelne Elemente der Arche-Episode, insbesondere Zahlenangaben, allegorisch.27 Diese Argumente seien in der Folge genannt: Vgl. das Corpus Augustinianum Gissense (CAG) 2. Laut CAG 2 (Wortstatistik) findet sich das Wort ›arca‹ signifikant überproportional in Contra Faustum, De cathecizandis rudibus, De baptismo, De civitate dei, Locutiones, Quaestiones, In Iohannis evangelium tractatus CXXIV und Sermones Dolbeau. 23 Vgl. François Decret: Faustum Manicheum (Contra-), dort auch weitere Literatur. 24 Vgl. Cornelius Mayer: Figura(e), v. a. 6 – 8; siehe auch Ders.: Allegoria. 25 c. Faust. 12,8: »omnia, quae illic intelleguntur, enucleate minutatimque tractanda Christum, et ecclesiam praeloquuntur«. Vgl. z. B. Emilien Lamirande: Ecclesiae figurae, 724 f. 26 Zum Beispiel c. Faust. 12,15: »quod et munda et inmunda ibi sunt animalia: sicut in ecclesiae sacramentis et boni et mali versantur.« 27 Zum Beispiel c. Faust. 12,16: »quod inferiora arcae bicamerata et tricamerata construuntur: sicut ex omnibus gentibus vel bipertitam multitudinem congregat ecclesia propter circumcisionem et praeputium, vel tripertitam propter tres filios Noe, quorum progenie repletus est orbis.« 21
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(1) Noah wurde mit seiner Familie durch das Wasser und das Holz gerettet, wie die Taufe und das Leiden Christi am Holz des Kreuzes die Familie Christi retteten; (2) die Arche wurde aus quadratischen Balken gezimmert, wie später die Kirche aus Heiligen, die stets zu jedem guten Werk bereit waren, errichtet wurde, denn der quadratische Querschnitt garantiert besondere Stabilität bzw. Standhaftigkeit; (3) da die Größenverhältnisse der Arche – 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 30 Ellen hoch, also sechsmal länger als breit und zehnmal länger als hoch – denen des menschlichen Körpers entsprechen, wird mit ihnen auf Christus in der Gestalt eines Menschen verwiesen; (4) die Breite von 50 Ellen symbolisiert die Aussendung des Heiligen Geistes am 50. Tag nach der Auferstehung Christi, wodurch die Herzen der Gläubigen geweitet wurden; (5) die Zahl 300 bei der Archelänge setzt sich aus sechsmal 50 zusammen, was die sechs Weltzeitalter bedeutet, in deren ersten fünf die Propheten Christus ankündigten, der dann im sechsten durch das Evangelium verkündet wurde; (6) die Höhe von 30 Ellen bedeutet, daß Christus, unsere Höhe, im Alter von 30 Jahren das Evangelium verkündete, um das Gesetz zu erfüllen – das Herz des Gesetzes aber sind die zehn Gebote, weshalb die Länge der Arche zehn mal dreißig beträgt und Noah als der zehnte Urvater ab Abraham gezählt wird; (7) das Pech, das die Balken der Arche nach innen wie nach außen abdichtet und der stärkste Leim ist, bezeichnet die glühende Liebe, durch welche die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft in brüderlicher Verbundenheit und das Band des Friedens weder von außen noch von innen gelöst werden; (8) daß auf der Arche alle Tiergattungen vertreten sind, symbolisiert die Gesamtheit der Völker, aus denen die Kirche besteht; (9) daß es sich dabei um reine wie auch unreine Tiere handelt, verweist darauf, daß gute wie schlechte Menschen an den Sakramenten der Kirche teilhaben; (10) daß nur jeweils zwei Tiere von unreiner Art mitfahren, ist nicht so zu verstehen, daß die schlechten Menschen in der Minderheit seien, sondern bezeichnet die Leichtigkeit von Schismen und Abspaltungen, während die jeweils sieben reinen Tiere als die sieben Werke des Heiligen Geistes zu verstehen sind (Weisheit, Einsicht, Rat, Tapferkeit, Wissen, Frömmigkeit, Gottesfurcht), zumal die Ankunft des Heiligen Geistes nach sieben mal sieben plus einem Tag geschah; (11) auf der Arche befanden sich acht Menschen (einschließlich Noah), und diese Zahl steht für die Auferstehung Christi am Tag nach dem Sabbat, also dem 8. Tag; (12) vertikal laufen die Seitenwände der Arche bis auf eine Elle oben zusammen, was auf die Kirche verweist, deren Einheit im Körper Christi besteht; (13) der seitliche Zugang zur Arche bedeutet, daß keiner Zutritt zur Kirche erhält, ohne zuvor das Sakrament der Vergebung der Sünden empfangen zu haben, welches aus der geöffneten Seite Christi strömt; (14) die Gliederung der unteren Decks in zwei bzw. drei Teile ist als die Vielfalt der Völker zu verstehen, aus denen die Kirche besteht, d. h. aus Beschnittenen und Unbeschnittenen, bzw. als die Nachkommen der drei Söhne Noahs; (15) der Beginn der Flut am siebten Tag, nachdem Noah die Arche betreten hatte, ist ein
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Hinweis auf die zukünftige Ruhe des siebten Tages, auf die wir getauft sind; (16) das Wasser, das alles Fleisch auf der Erde außerhalb der Arche vernichtete, symbolisiert die durch das Wasser der Taufe gestiftete Gemeinschaft der Kirche, und es ist dasselbe Wasser, das nicht nur Verderben, sondern auch Heil bewirkt; (17) der 40 Tage und Nächte anhaltende Regen steht dafür, daß das Sakrament der Taufe die in allen vier Himmelsrichtungen bei Tag oder Nacht begangenen Verstöße gegen die Zehn Gebote abwäscht; (18) Noahs Alter von 600 Jahren sowie die 100jährige Bauzeit der Arche bedeuten das jetzige 6. Zeitalter, in dem durch die Verkündigung des Evangeliums die Kirche errichtet wurde, und auch der zweite Monat im 600. Jahr, in dem Noah die Arche betrat, also nach insgesamt 600 Jahren und 60 Tagen, verweist – neben weiteren Vielfachen von sechs – auf das 6. Zeitalter; (19) der Hinweis auf den 27. Tag des Monats zeigt die Bedeutung nicht nur des Quadrats, sondern auch des Kubus, da sich 27 aus 3 x 3 x 3 zusammensetzt, was auf verschiedene Dreiheiten (Trinität!) im Zusammenhang mit Gott zu deuten ist; (20) der siebte Monat, in dem die Arche auf Grund lief, d. h. zur Ruhe kam, ist ein weiterer Hinweis auf die Ruhe des siebten Tages, aber auch auf die Ruhe am Ende der Zeiten, wofür ebenfalls die 15 Ellen, die die Arche über den höchsten überfluteten Gipfeln schwamm, stehen, nämlich als Summe von sieben und acht: Die letztere Zahl ist darüber hinaus ein Symbol der Auferstehung, so wie auch die Zahl 150, die als Summe von 70 und 80 die Zahl der Tage angibt, an denen die Flut stand, auf die Höhe der Taufe verweist, in welcher der neue Mensch zum Glauben an Ruhe und Auferstehung geführt wird; (21) der nach vierzig Tagen ausgesandte und nicht wieder zurückgekehrte Rabe – sei es daß er ertrank oder von Kadavern angelockt wurde – bezeichnet Menschen, die – wegen der Unreinheit ihrer Begierde verabscheut oder zu sehr von äußeren Dingen dieser Welt verleitet – von solchen wiedergetauft oder verführt bzw. fehlgeleitet wurden, die außerhalb der Arche, d. h. der Kirche, stehen und deren Taufe tötet; (22) die mangels eines Ruheplatzes zurückgekehrte Taube zeigt, daß durch das Neue Testament den Heiligen in dieser Welt keine Ruhe versprochen wurde, und der fruchttragende, von ihr herbeigeschaffte Olivenzweig ist ein Zeichen dafür, daß manche, auch wenn sie außerhalb der Kirche getauft sind, unter der Voraussetzung, daß es ihnen nicht an Liebe fehlt, gleichsam noch am Abend in die Einheit der Gemeinschaft gelangen können; (23) daß schließlich die Taube nach weiteren sieben Tagen nicht erneut zurückkehrte, symbolisiert das Ende der Zeit, wenn für die Heiligen die ersehnte Ruhe eingekehrt sein wird. In Contra Faustum 12,21 beendet Augustinus seine Beweiskette, jedoch nicht ohne zu bemerken, daß es noch weitere Argumente gebe, die aber nicht im Rahmen einer kurzen, listenartigen Aufzählung vorgelegt werden könnten. Später, in Contra Faustum 12,39, kommt er nochmals auf die Notwendigkeit der allegorischen Deutung des Alten Testamentes zu sprechen, da sonst etliches albern und unanständig erscheine. Den Versuch, dieses Problem zu beheben, habe schon Philo unternom-
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men, der jedoch trotz seiner Gelehrsamkeit letztlich gescheitert sei, weil er als Jude das Alte Testament nicht auf Christus hin gedeutet habe. Dies untermauert Augustinus zum einen damit, daß Philo zwar sehr treffend und detailliert auf die Übereinstimmung der Maße der Arche mit den Proportionen des Menschen aufmerksam gemacht, jedoch nicht darauf hingewiesen habe, daß der Erlöser eben in einem menschlichen Körper erschienen sei. Zum anderen verweist Augustinus auf eine seiner Meinung nach völlig mißglückte Allegorese Philos für die seitliche Tür der Arche: Gemäß dessen Interpretation stehe diese Öffnung für die Ausscheidungsorgane des Menschen. Hätte Philo sich bei seinem Deutungsversuch an Christus orientiert, so wäre ihm klar geworden, daß es sich bei der Tür um ein Symbol für die offene Seite Christi handelt, aus dem die Sakramente der Kiche fließen. Da also die gesamte Arche für Christus steht, so faßt Augustinus schließlich zusammen, beziehen sich einige Elemente der Arche-Episode auf Christus, andere auf die Kirche, denn beide gehören zusammen: »propterea et in arca quaedam ibi ad Christum, quaedam vero ad ecclesiam referuntur, quod totum Christus est« (c. Faust. 12,39). Hinsichtlich der Exegese der Arche auf die Kirche hin formuliert er in einem seiner Traktate zum Johannes-Evangelium: »arca figurabat ecclesiam« (Io. ev. tr. 6,2) bzw. »arca enim ecclesia est« (ebd. 6,19). Ganz allgemein gelte: Der Unterschied, ob die Deutungen sämtlicher ›Figuren‹ in den Büchern der Heiligen Schrift zutreffen oder fehlgehen – Augustinus sagt sogar: »verdreht sind« (›detorquere‹) –, liege genau in der vorgenommenen oder unterlassenen Interpretation auf Christus hin.28 Im 15. Buch von De civitate dei beschäftigt sich Augustinus im Rahmen der biblischen Geschichte mit der ersten ›aetas‹ – der ›infantia‹ der Menschheit (vgl. ebd. 16,43) –, d. h. der Zeit von der Erschaffung der Welt bis zu Noah.29 Die letzten beiden Paragraphen (ebd. 15,26 f.) sind somit der Deutung der Arche-Episode gewidmet. Dabei macht er am Anfang des 27. Paragraphen deutlich, daß die in der Bibel berichteten Geschehnisse sowohl als historisch anzusehen sind, als auch in der Vorausdeutung auf die Kirche eine symbolische Bedeutung besitzen.30 Die methodische Voraussetzung und der Rahmen, in dem sich die Allegorese zu bewegen habe, sei jedoch die Übereinstimmung mit dem katholischen Glauben.31 28 c. Faust. 12,39: »sic et in ceteris interpretationibus figurarum per universum textum divinae scripturae licet considerare et conparare sensus eorum, qui Christum ibi intellegunt, et eorum, qui praeter Christum ad alia quaelibet ea detorquere conantur.« 29 Vgl. Gerard J. P. O’Daly: Civitate dei (De-), 991 – 995. 30 civ. 15,27: »non tamen quisquam putare debet aut frustra haec esse conscripta, aut tantummodo rerum gestarum veritatem sine ullis allegoricis significationibus hic esse quaerendam, aut e contrario haec omnino gesta non esse, sed solas esse verborum figuras, aut quidquid illud est nequaquam ad prophetiam ecclesiae pertinere«. 31 civ. 15,26: »hoc etiam de ceteris, quae hic exponenda sunt, dixerim, quia, etsi non uno disseruntur modo, ad unam tamen catholicae fidei concordiam revocanda sunt«.
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Gleich zu Beginn seiner Ausführungen stellt Augustinus fest, daß die Arche ein Symbol für die hier auf Erden pilgernde ›civitas dei‹, d. h. die Kirche ist, um sogleich fortzufahren, daß die Kirche durch das Kreuz gerettet wird, an dem der Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus, hing. Daß die Arche zugleich eine Vordeutung auf Christus ist, belegt Augustinus erneut mit der Identifikation ihrer Größenverhältnisse mit den Proportionen des Menschen sowie ihrer Tür mit der geöffneten Seite Christi, aus der die Sakramente der Kirche herausfließen, durch die aber auch die Gläubigen zu Christus gelangen. Nach der Deutung der Vierkanthölzer der Arche als die standhaften Heiligen der Kirche bricht Augustinus die allegorische Deutung des Fahrzeugs ab und verweist explizit auf seine umfangreicheren Ausführungen in der Schrift Contra Faustum. Außerdem stellt er klar, daß es für ein biblisches Motiv durchaus mehrere allegorische Deutungsmöglichkeiten geben könne, und spielt dabei auf die verschiedenen Schriftsinne an – z. B. müssen die drei Decks nicht für die von den drei Söhnen Noahs abstammenden Völker stehen, sondern können gemäß Paulus auch Glaube, Hoffnung und Liebe bedeuten oder die drei unterschiedlichen Fruchtbarkeiten (dreißig-, sechzig-, hundertfach) oder die sich daraus im übertragenen Sinne ergebenden Stände der ehelichen Keuschheit, der Witwenschaft und der Jungfräulichkeit. Jede Interpretation müsse sich jedoch auf den Gottesstaat beziehen, wolle sie nicht den vom Verfasser intendierten Sinn verfehlen. Im letzten Paragraphen von De civitate dei 15 setzt sich Augustinus schließlich mit dem Verständnis der Hl. Schrift nach dem Literalsinn und dem allegorischen Sinn auseinander – beide sind für ihn untrennbar. So seien offensichtliche Merkwürdigkeiten der Arche-Episode wie z. B. die Frage, warum von den reinen Tieren je sieben und von den unreinen nur je zwei mitgenommen werden sollten oder warum überhaupt die Arche nötig gewesen sei, da Gott nach der Flut die Tiere erneut hätte erschaffen können, nur mittels allegorischer Deutung verständlich zu machen. Daraus dürfe man aber andererseits nicht folgern, die in der Bibel geschilderten Ereignisse seien nur symbolisch gemeint, denn die meisten Details dieser Geschichte ließen sich durchaus plausibel als tatsächliche Begebenheiten erklären. Augustinus betont zu diesem Zweck, daß die im Buch Genesis angegebenen Maße der Arche zum Transport so vieler Tiere und ihrer Verpflegung ausreichend waren, wenn man bedenkt, daß die Arche über drei Decks verfügte, und – hier verweist er ausdrücklich auf Origenes – annimmt, daß Moses als in Ägypten ausgebildeteter Verfasser des Pentateuch die dort verwendete geometrische Elle gemeint habe, die sechsmal so groß wie die sonst bekannte sei. Weitere Fragen, die das Thema ›Anzahl der mitgenommenen Tiere‹ betreffen, wie etwa die nach der Stabilität einer solchen Schiffskonstruktion, nach den Arten und der Menge von Kleintieren und Insekten, nach der Aufnahme von sich (vermeintlich) nicht geschlechtlich fortpflanzenden Tieren oder nach der Art des mitgenommenen Futters – besonders
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für fleischfressende Tiere – lassen sich nach Augustinus auch ohne symbolische Deutung erklären. Die Augustinische Interpretation der Arche-Episode geht also zunächst von ihrer Historizität aus. Zugleich besitzen diese Ereignisse jedoch auch weitere Bedeutungsinhalte, die auf das Neue Testament vorausweisen. Bei Augustinus, der offensichtlich in besonderem Maße Origenes rezipiert, ohne ihm jedoch in allen Details zu folgen, bündeln sich etliche der oben für die Kirchenväter insgesamt skizzierten Interpretationsstränge: »Augustine’s explanation is a fine example of the main stream of early Christian interpretation«.32 Seine Überlegungen finden sich schließlich komprimiert bei Isidor von Sevilla.33 Die Besonderheit der Augustinischen Deutung liegt jedoch in der – gegenüber früheren Vätern – wesentlich konsequenteren und auch im Detail durchgehaltenen Fokussierung der Allegorese auf Christus und die Kirche hin.
3. Hugo von Sankt Viktor
Im folgenden soll nun exemplarisch gezeigt werden, wie die dargelegte Augustinische Exegese der Arche-Episode im Mittelalter rezipiert oder auch modifiziert wurde. Zunächst sei daher Hugo von St. Viktor aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in den Blick genommen – der ›zweite Augustinus‹.34 Bei ihm ist vorab zu bemerken, daß Hugo den Vätern eine besonders große Bedeutung beimißt, da er ihnen einen eigenen Ort im Korpus der heiligen Schriften zubilligt, quasi als dritten Teil des Neuen Testamentes.35 Im Mittelpunkt der Überlegungen zu Hugos Arche-Interpretation sollen die folgenden beiden Werke stehen: De arca Noe morali (so der Titel in PL), von Sicard jüngst unter dem Titel De archa Noe pro archa sapientie cum archa ecclesie et archa matris gratiae ediert (CCM 176), und De arca Noe mystica (so der Titel in PL) bzw. Hendrik S. Benjamins: Noah, the Ark, and the Flood, 137 n. 9. Hartmut Boblitz: Die Allegorese der Arche Noahs, 169. 34 Belege in den Veterum aliquot scriptorum de Hugone Victorino testimonia in der Einleitung zu dessen Opera omnia in PL 175, CLXIII – CLXVIII; vgl. Dominique Poirel: ›Alter Augustinus – Der zweite Augustinus‹, besonders 664 n. 66, und Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 62. 35 Didascalicon 4,2: »Omnis divina scriptura in duobus Testamentis continetur, in Veteri scilicet et Novo. Utrumque Testamentum tribus ordinibus distinguitur. Vetus Testamentum continet legem, prophetas, hagiographos, Novum autem euangelium, apostolos, Patres […]. In tertio ordine (sc. Novi Testamenti) primum locum habent Decretalia, quos canones, id est regulares appellamus, deinde sanctorum Patrum et doctorum Ecclesiae scripta: Hieronymi, Augustini, Gregorii, Ambrosii, Isidori, Origenis, Bedae, et aliorum multorum orthodoxorum«; vgl. Dominique Poirel: ›Alter Augustinus – Der zweite Augustinus‹, 649 f. und Roger Baron: Hugues de Saint-Victor, 919. Zu den Vätern bei Hugo allgemein vgl. Ludwig Ott: Hugo von St. Viktor, zu Augustinus besonders ebd. 182 f.186.294 – 301. 32 33
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bei Sicard Libellus de formatione arce (ebd.).36 Eine ungefähre Datierung zumindest der letzteren Schrift ermöglicht der dortige Päpstekatalog, welcher mit Honorius II. endet (c. 2), dessen Pontifikat in die Zeit 1124 – 1130 fällt. In diesem Zeitraum dürften also der Libellus und – wegen dessen enger Verbindung zur Archa – auch dieses Werk entstanden sein. Für den Zweck dieser Studie ist es unerheblich, in welcher zeitlichen Relation diese Schriften zueinander und zu einem möglicherweise zumindest in St. Viktor angefertigten graphischen Kunstwerk mit einer allegorischen Deutung der Arche stehen bzw. ob dieses Gemälde anhand des Libellus geschaffen oder aber der Libellus nachträglich zu dessen Beschreibung oder gar zur Wiedergabe an einem anderen Ort verfaßt wurde.37 Gleichfalls braucht hier nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob der Libellus von Hugo selbst verfaßt und später von ihm überarbeitet wurde oder ob er eine mehrfach bearbeitete Mitschrift eines seiner Zuhörer darstellt;38 denn auch die Gegner einer direkten Autorschaft Hugos räumen ein, daß der Viktoriner zumindest Autor im moralischen Sinne ist.39 Mit dem vier Bücher umfassenden Werk De arca Noe morali will Hugo die ArcheEpisode der Bibel auf vier verschiedene Weisen erläutern, was auch der Titel der Neuedition De archa Noe pro archa sapientie cum archa ecclesie et archa matris gratiae bereits andeutet. Das erste Buch beginnt mit einem Prolog, der die Abhandlung motiviert – eine an Augustins berühmten Confessiones-Anfang angelehnte Feststellung der durch die ständige Sehnsucht des Menschen nach Gott verursachten Unruhe des Herzens,40 der es auf den Grund zu gehen und dann Abhilfe zu schaffen gilt. Dabei fingiert Hugo eine nach Augustins De divinatione daemonum 1 gestaltete Situation und präsentiert das Werk als seine Antwort auf die von den Mitbrüdern aufgeworfenen Fragen.41 Den Grund für diese Ruhelosigkeit sieht Hugo in der durch den Sündenfall Adams verlorenen Fähigkeit des Menschen zur Kontemplation, mittels derer die Anwesenheit Gottes vergegenwärtigt werden konnte; statt dessen liebt der Mensch nun die Welt (›amor mundi‹). 36 Außer diesen beiden Werken thematisiert Hugo Noahs Arche noch in De vanitate mundi sowie in der Sententia »Quod amor sit vita cordis« (PL 177, 563D – 565A). Hier werden jedoch über weite Strecken lediglich Gedanken der beiden obengenannten Schriften wiederholt; vgl. Aelred Squire: Introduction, 11.24 f. 37 Die beiden entgegengesetzten Positionen werden vertreten von Patrice Sicard: Hugues de Saint-Victor et son École und Conrad Rudolph: »First, I Find the Center Point«. 38 Auch hier divergieren die Ansichten von Patrice Sicard: Hugues de Saint-Victor et son École und Conrad Rudolph: »First, I Find the Center Point«. 39 Conrad Rudolph: »First, I Find the Center Point«, 83. 40 Archa 1,1: »de humani potissimum cordis instabilitate et inquietudine ammirari omnes simul et suspirare inciperemus«. 41 Emma del Basso: Il De arca Noe morali di Ugo di S. Vittore, 234: »Questo trattato, dunque, è un’espressione liricamente vibrante di un colloquio che non è solo colloquio di uomini, ma meditato e sofferto dialogo dell’uomo con Dio«.
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Abhilfe schafft nur ›amor dei‹. Um Gott jedoch lieben zu können, ist es nötig, ihn kennenzulernen, was wiederum nur durch die Kenntnis seiner Aufenthaltsorte (›domus dei‹) gelingt: die Welt, die katholische Kirche, die Seele des Gläubigen – dort wohnt Gott jeweils auf unterschiedliche Weise (Archa 1,2). Über die doppelte Interpretation der Vision aus Jes 6,1 – 3 von Gott/Christus und den Seraphinen gelangt Hugo zum Thema ›Arche‹: Der Körper Gottes steht für die Kirche, deren Haupt Christus ist und die seit dem Beginn der Welt bis zum Ende der Zeiten besteht.42 Sie wird von Gott ebenso durch die Stürme und Fluten der Zeiten bis in den Hafen der ewigen Ruhe geleitet, wie er einst die Arche lenkte. Wer demzufolge gerettet werden will, muß diese Arche besteigen und diese Arche in sich bauen.43 Nachdem Hugo hier bereits mehrere Bedeutungsebenen der Arche genannt hat, zählt er nun programmatisch insgesamt vier Bereiche auf,44 nach denen die Arche in der Folge interpretiert werden soll (Archa 1,3): »Prima (sc. arca) est quam fecit Noe securibus et dolabris ex materia lignorum et bitumine. Secunda est quam fecit Christus per predicatores suos ex collectione populorum in una fidei confessione. Tertia est quam cotidie sapientia edificat in cordibus nostris ex iugi legis Dei meditatione. Quarta est quam mater gratia operatur in nobis ex confederatione multarum virtutum in una caritate. Prima est in re, secunda in fide, tertia in cognitione, quarta in virtute. Primam vocemus archam Noe, secundam archam Ecclesie, tertiam archam sapientie, quartam archam matris gratie.« Von den hier aufgezählten vier Schriftsinnen45 will sich Hugo in diesem Werk hauptsächlich dem dritten Sinn, d. h. der Arche der Weisheit widmen. Daher handelt er zuvor die Deutung der Arche nach dem Literalsinn sowie nach dem allegorischen Sinn noch im ersten Buch ab. Hugos Betrachtung nach dem Literalsinn (Archa 1,4) konzentriert sich auf die Form und Größe der Arche, weil hier besonders die Wahrheit des Genesis-Berichtes überprüft werden könne. Dabei ist – wie bereits für Augustinus – auch für den Viktoriner Origenes eine Autorität, jedoch nicht in jeder Hinsicht.46 So hält er z. B. die von Origenes beschriebene Form der Arche bei voller Beladung für nicht schwimmfähig.47 Andererseits stimmt er dessen Deutung der geometrischen Elle, Archa 1,3: »hec archa Ecclesiam significat, Ecclesia autem corpus Christi est.« Archa 1,3: »Si ergo salvari cupimus, oportet nos intrare hanc archam et […] hanc archam in nobis debemus facere, ut possimus intra nos in ea habitare.« 44 Archa 1,3: »[…] non de una (sc. archa) tantum, sed de quatuor loquendum nobis […].« 45 Vgl. den berühmten mittelalterlichen Merkvers: »littera gesta docet, quid credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas anagogia«; immer noch grundlegend zu dieser Thematik ist Henri de Lubac: Exégèse Médiévale. 46 Archa 1,4: »Cui sententie plura refragari videntur.« 47 Zu Hugos Ablehnung der von Origenes begründeten Tradition hinsichtlich der Form der Arche und zu seiner eigenen, eher subtil vorgebrachten Konzeption vgl. Grover A. Zinn: Hugh of St. Victor and the Ark of Noah. 42 43
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die Moses in Ägypten kennengelernt habe, als zugrundeliegendem Maß für ein entsprechendes Fassungsvermögen der Arche zu. Die allegorische Arche-Deutung besteht für Hugo in der Bezugnahme auf die Kirche (›archa ecclesiae‹) sowie in der typologischen Interpretation von Noah als dem Steuermann der Arche auf Jesus Christus hin (Archa 1,5). Hugo sieht besonders Länge, Breite und Höhe der Arche sowie deren Relationen untereinander als hilfreich für das Verständnis an. So bezeichnet ihre Länge von 300 Ellen die gegenwärtige Zeit, die sich über die drei Epochen zu je 100 Jahren, nämlich die Epoche des Naturgesetzes, die des geschriebenen Gesetzes und die Zeit der Gnade, erstreckt,48 durch welche die heilige Kirche seit dem Anfang der Welt bis zu ihrem Ende existiert. Sie wird unterteilt in 6 ›aetates‹,49 was bereits Augustinus gelehrt hatte.50 Die Breite von 50 Ellen bezeichnet alle Gläubigen, die unter dem Haupt Christi versammelt sind, denn die Zahl 50 setzt sich aus 7 x 7 (= Zahl aller Gläubigen) + 1 (= Christus) zusammen. Die Höhe von 30 Ellen bezeichnet die 30 Bücher der Hl. Schrift, d. h. 22 aus dem Alten Testament und 8 aus dem Neuen Testament, worin die Summe aller Taten Gottes für die Kirche enthalten ist. Die drei Stockwerke bezeichnen die drei Stände der Gläubigen der Kirche: (1) diejenigen, welche die Welt gebrauchen, (2) diejenigen, welche der Welt fliehen und (3) diejenigen, welche die Welt vergesssen haben und Gott nahe sind. Daß die Arche unten breit ist und sich nach oben bis auf eine Elle verjüngt, heißt: In der Kirche befinden sich mehr Personen, die ein fleischliches Leben führen, als solche mit einem geistlichen Leben, wie auch sonst die Vollkommeneren proportional weniger sind; Christus ist dabei die Spitze der Arche wie der Kirche. Besonders deutlich werden die Parallelen zu Augustinus bei Hugos Deutung der hundertjährigen Bauzeit der Arche: Diese bezeichnet dasselbe wie die 100 Ellen der Epoche der Gnade, d. h. die Zeit, seit der der Kirche durch das Opfer des Lammes die Erlösung zuteil wurde.51 Denn diese Arche wurde in dem Moment gebaut, als aus der Seite des am Kreuz hängenden Christus Blut und Wasser, also die Sakramente der Kirche herausflossen.52 Ebenso erscheint bei Hugo die Augustinische Interpretation der Größenrelationen der Arche als Allegorie des menschlichen Körpers, womit wiederum Christus gemeint ist.53 Viele weitere Beispiele für ZahArcha 1,5: »tempore naturalis legis, tempore scripte legis, tempore gratie.« Archa 1,5: »[…] sex etates sunt in tribus temporibus seculi«; vgl. Libellus 2. 50 Vgl. auch Bernhard Kötting/Wilhelm Geerlings: Aetas. 51 Archa 1,5: »Nam centum anni significant tempus gratie, quia sancta Ecclesia, que ab initio mundi cepit, in tempore gratie per immolationem Agni immaculati redemptionem accepit.« 52 Vgl. Augustinus c. Faust. 12,16; en. Ps. 40,15 – 20; 56,27 – 29; 103,4,24 – 30; 126,7 – 15; 127,1 – 25. 53 Archa 1,5: »Quod vero hec archa sexies longa est ad latitudinem suam et decies ad altitudinem suam, humani corporis instar ostendit in quo Christus apparuit, nam et ipsa corpus eius est. Corporis enim longitudo a vertice usque ad vestigium sexies tantum habet quam latitudo, que est ab uno latere usque ad alterum latus, et decies tantum quam et altitudo.« 48 49
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lenallegoresen, in denen Hugo Augustinus folgt, finden sich zum Thema der ›archa ecclesiae‹. Die Bücher 2 – 4 widmet Hugo der ›archa sapientie‹, in denen es nicht mehr um äußere Dinge, sondern um die Erkenntnis (›cogitatio‹) geht (Archa 2,1), insbesondere um die Frage, wie man über insgesamt 15 Stufen dorthin gelangen kann (Archa 3,2 – 16). Deutliche Einzelbezugnahmen auf Augustinus sind hier seltener (etwas mehr in Buch 4, meist aus den Enarrationes in Psalmos), stattdessen rekurriert Hugo hier öfter auf die Moralia in Iob Gregors des Großen. Allerdings atmet das programmatische Kapitel gleich zu Beginn das große Augustinische Thema der Verinnerlichung,54 das er explizit im 4. Buch nennt.55 Die zweite für diese Untersuchung zu betrachtende Schrift, De archa Noe mystica bzw. Libellus de formatione arche,56 stellt eine Beschreibung oder Anleitung für ein Gemälde dar, das gleichfalls eine Interpretation der Arche liefern soll. Sie liefert die Konstruktion eines universalen Weltmodells mit detaillierten Zeichenanweisungen und erklärenden Inschriften, insgesamt eine symbolische und geschichtstheologische Interpretation.57 Ausgehend von einem zentralen Viereck, um das Rechtecke konstruiert sind und in dessen Mitte sich eine Säule erhebt, zeigt sich die farbig gestaltete Arche in einer Draufsicht. Jedem graphischen (Teil-)Element weist Hugo eine Bedeutung zu: z. B. die Kirche im Laufe ihrer Geschichte vor und nach Christus, d. h. von Adam über die Patriarchen und Apostel bis zu den Päpsten hin, die Epochen der Heilsgeschichte, die zwölf Stufen des Aufstiegs zur Tugend,58 den Kosmos mit den Tierkreiszeichen bis zu der ihn umfassenden Majestät Gottes. Auch hier geht es also letztlich um die allegorische Deutung der Arche als Bild für die Kirche.59 Das Werk bringt gleichsam einen Leitfaden durch die Heilsgeschichte mit der Inkarnation als deren Gipfelpunkt60 – es ist »an elaborate visual summary of the entire history of salvation […] from the beginning until the end of Vgl. Emma del Basso: Il De arca Noe morali di Ugo di S. Vittore, 227. Archa 4,8: »Ubi vero est cogitatio, ibi est interioris hominis habitatio.« 56 Mitunter lautet der Titel auch Depinctio arche oder De pictura arche, was noch deutlicher auf den Charakter der Schrift hinweist. Sie wird in einem Teil der Handschriften zusammen mit De arca Noe morali unter dem gemeinsamen Titel Tractatus magistri Hugonis de archa überliefert; vgl. Joachim Ehlers: Arca significat ecclesiam, 178 n. 28. 57 Joachim Ehlers: Arca significat ecclesiam, 171.176. 58 Libellus 4 – 6; gegliedert in vier Gruppen zu je 3 Stufen: Aufstieg aus der ›superbia‹ mittels ›timor‹, ›dolor‹ und ›amor‹; Aufstieg aus der ›concupiscentia carnis‹ mittels ›patientia‹, ›misericordia‹ und ›compunctio‹; Aufstieg aus der ›ignorantia‹ mittels ›cognitio‹, ›meditatio‹ und ›contemplatio‹; Aufstieg aus dem ›spiritus fervor‹ als Aufstieg zur Vollkommenheit mittels ›temperantia‹, ›prudentia‹ und ›fortitudo‹; vgl. z. B. Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 63 f. 59 Libellus 2: »Si enim archa Ecclesiam significat, restat ut longitudo arche longitudinem figuret Ecclesie. Longitudo autem Ecclesie consideratur in diuturnitate temporum […].« 60 Dominique Poirel: ›Alter Augustinus – Der zweite Augustinus‹, 645 f. 54 55
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time. […] fully integrated with it is a complex schema of individual salvation that is also related to the salvation of humankind as a whole«.61 Hugos Interpretation der Arche-Episode bewegt sich also zunächst im Rahmen der traditionellen Exegese: Die Arche wird als Figur der Kirche mit Christus an der Spitze gedeutet, außerhalb derer es kein Heil gibt. Für diese ekklesiologische und christologische Exegese spielt ohne Zweifel Augustinus eine herausragende Rolle. Jedoch geht Hugo noch weiter: Die Arche Hugos, die sich der Leser in seinem Verstand errichten und darin wie in einer geistigen Wohnung leben solle, symbolisiert nicht einfach eine abstrakte, statische und hierarchisch geprägte Kirche, sondern eher eine »dynamic, historical conception or the Christian community in transit between the creation and consummation of all things«.62 Die umfangreichen Zahlenspekulationen dienen zugleich einer Periodisierung der Geschichte. Dagegen besitzt die Flut keinerlei positiven Aspekt mehr – wie noch zuweilen bei den Vätern, die sie z. B. als Allegorie der Taufe deuteten –, sondern sie steht für Chaos, Zerstörung und innere Unruhe.63 Unverkennbar ist bei Hugo allerdings die Augustinische Tendenz der Verinnerlichung in Verbindung mit einer scharfen Trennung von materieller und spiritueller Welt, Vergänglichkeit und Ewigkeit; die Arche bietet ihm als ›opus restaurationis‹ und durch kontemplativen Aufstieg einen Ruhepunkt in aller Veränderlichkeit der Welt.64
4. Petrus Johannis Olivi
Etwa 150 Jahre nach Hugo, in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts, lebte der mehrfach als Häretiker verurteilte und zwischendurch wieder rehabilitierte südfranzösische Franziskaner-Sprirituale Petrus Johannis Olivi (1247/48 – 1298).65 Olivi vertrat nicht nur ein strenges Armutsideal, sondern war auch in einigen seiner theologischen Vorstellungen umstritten (so in der teilweise stark an Joachim von Fiore orientierten Geschichtstheologie). Dennoch konnte er etliche Jahre in Florenz am Franziskaner Studium Generale Santa Croce lehren, wo ihn möglicherweise Dante hörte.66 Conrad Rudolph: »First, I Find the Center Point«, 3. Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 65. 63 Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 65 f. 64 Grover A. Zinn: De gradibus ascensionum, 66 f. Ausführlich wird dort 70 – 78 der im Libellus geschilderte Aufstieg durch Kontemplation samt weiteren Parallelen zu Augustinus behandelt. 65 Zu Olivi vgl. v.a. Robert Pasnau: Peter John Olivi; Pierre Péano: Olieu (Olivi; Pierre Jean); Werner Packull: Olivi, Petrus Johannis; Ludwig Hödl / Edith Pásztor: P. Johannis Olivi; Franz Ehrle: Petrus Johannis Olivi und Peter Nickl: Einleitung zu Petrus Johannis Olivi, jeweils mit weiterer Literatur. 66 Vgl. Peter Nickl: Einleitung zu Petrus Johannis Olivi, 10. 61 62
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Zu den exegetischen Werken Olivis gehört auch ein Genesis- Kommentar mit dem Titel Postilla super/in librum Geneseos bzw. Lectura super Genesim.67 Die schwierige Überlieferungssituation68 wird noch dadurch verkompliziert, daß von dieser Schrift offenbar mehrere Fassungen existieren, von denen sich eine seit dem 17. Jh. in der Gesamtausgabe der Werke des Thomas von Aquin befindet – wenn auch schon bald als apokryph erkannt und dann Olivi zugewiesen –, während eine andere bis vor kurzem nur in Handschriften vorlag.69 Allerdings weichen die bekannten Texte nur unwesentlich voneinander ab.70 Bei seinen überwiegend Vers für Vers oder gar Wort für Wort vorgenommenen Erläuterungen zum Buch Genesis rekurriert Olivi namentlich – oft unter Nennung von Werk und Kapitel – auf Autoritäten, besonders häufig auf Hieronymus, jedoch noch mehr auf Augustinus. Diese Kommentierungen gelten zunächst einem Schriftverständnis ›ad litteram‹, wie z. B. betreffend das 6. Genesis-Kapitel hinsichtlich der Erklärungen zur Kapazität der Arche anhand der These von der geometrischen Elle, bei welcher er der durch Augustinus vermittelten Ansicht des Origenes folgt.71 Im Verlauf der Erörterungen zum 8. Kapitel geht Olivi jedoch über den Literalsinn hinaus. So begründet er mit Hinweis auf den 2. Petrusbrief 5,5 – 9, daß die Flut als Strafgericht Gottes auf das Jüngste Gericht vorverweist, auf den 1. Petrusbrief 3,20 f., daß sie auf die Taufe vorverweist;72 die Arche selbst jedoch ist ein Verweis auf das Kreuz.73 Unter den möglichen Gründen, warum Gott Noah mittels einer Arche retten wollte, nennt Olivi als fünften und letzten Grund, daß Gott so am besten die Vielgestaltigkeit der vorausweisenden Wunder gelingen konnte.74 Denn die Arche 67 Diese beiden Titelvarianten verzeichnet die Regensburger Infothek der Scholastik ALCUIN (www-cgi.uni-regensburg.de/Fakultaeten/Philosophie/Infotek/). 68 Die Postilla in librum Geneseos ist unter der Nummer 145 XGN im Index Thomisticus im 7. Band der Thomas-Ausgabe von Busa ediert. Daneben findet sich im Internet unter www.cor pusthomisticum.org der auf der Busa-Ausgabe basierende Text zwar unter (fast) demselben Titel (Postilla in libros [?] Geneseos), jedoch als ›ignoti auctoris‹ gekennzeichnet. 69 Vgl. Sylvain Piron: Note sur le commentaire sur la Genèse (zu Ms. BNF lat. 15559) und schon früher Arno Borst: Der Turmbau von Babel, 821 (zu Ms. Bibl. Vat. Cod. Otto. lat 694; vgl. auch Franz Ehrle: Petrus Johannis Olivi, 481 f.). Piron neigt der Ansicht zu, daß es sich bei dem unter den Werken des Thomas überlieferten Text um einen zwar unleugbar sehr eng an Olivi angelehnten, jedoch nicht wirklich authentischen Text von ihm handelt. 70 Endgültigen Aufschluß könnte die jüngst (2007) publizierte Edition von Flood bringen, die jedoch für den Verfasser nicht greifbar war. 71 Olivi: Gen. 6 (500, Z. 380 – 385): »quaerit augustinus 15 de civitate dei, cap. 27, quomodo tam parva arca potuerit continere omnium animalium genera? et respondet quod illi cubiti erant geometrici. et imponit istam opinionem origeni; et dicit, quod istud non ineleganter astruxit.« 72 Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 123 – 156). 73 Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 154 f.): »quasi noe in crucis arca«. 74 Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 262 f.): »multiformitas mysteriorum hic optime praesignatorum«.
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bezeichnet nach dem moralischen Sinn (›moraliter‹) den heiligen Verstand (›mens sancta‹), weil sie aus quadratischen Balken besteht, welche Beständigkeit in den Tugenden ›perfecta continentia seu moderantia‹, ›perfecta prudentia‹ und ›tacita sapientia‹ symbolisieren.75 Nach dem allegorischen Sinn (›allegoria‹) verweist die Arche jedoch vierfach voraus: auf die Kirche, auf die ›religio sacra‹ (spezifiziert als ›religio evangelica‹), auf die Hl. Schrift und auf ›doctorum praedicatio et doctrina salutifera‹.76 Darüber hinaus steht die Arche auch für Maria, die Christus in seiner körperlichen Gestalt trug.77 Daran fügt Olivi ein fast wörtliches Zitat Augustins zur christologische Deutung der Arche in De civitate dei 15,26 anhand des Kreuzes und des Menschseins Christi an: Die Größenverhältnisse der Arche entsprechen denen des menschlichen Körpers.78 Breite, Höhe und Länge der Arche setzt Olivi dabei in unterschiedliche Beziehung zu ›caritas‹, ›remissio‹, ›gratia‹ oder zur Erfüllung des Dekalogs im Ternar Glaube, Liebe, Hoffnung.79 Gleichfalls unter Berufung auf Augustinus bedeutet für ihn die seitliche Öffnung der Arche die Seitenwunde Christi, durch welche die Gläubigen zu ihm gelangen und aus der die heilbringenden Sakramente fließen. Olivi schließt Deutungen zu den in der Bibel genannten Zeiträumen der Flut an, immer wieder verbunden mit Verweisen auf die Situation der ›ecclesia‹, die schließlich, trotz aller Bedrängnisse der Fluten, zum Gipfel der Kontemplation und Vollkommenheit, ja zu ihrem Platz im Himmel gelangen wird.80 Augustinus ist für Olivi in seinem Genesis-Kommentar der wichtigste Bezugspunkt der Arche-Exegese. Dies betrifft nicht nur die Erläuterungen nach dem Literalsinn, sondern in noch wesentlich stärkerem Maße nach der allegorischen Auslegung. Wenn Olivi Augustins ekklesiologischer und christologischer Exegese folgt, schreibt er diese jedoch nicht ab, sondern ergänzt sie durch eigene Überlegungen, die durchaus die auch aus anderen Werken Olivis bekannte apokalyptische oder amtskirchenkritische Tendenz erkennen lassen.81 Dies kann jedoch im vorgegebenen Rahmen dieser Untersuchung nicht im einzelnen gezeigt werden. Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 263 – 272). Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 279 – 296). 77 Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 297 f.): »Vel etiam est virgo beata, in qua Christus corporaliter mansit.« 78 Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 305 – 310): »notandum tamen, quod secundum augustinum, 15 de civitate dei cap. 26, talis proportio mensurae datur arcae, qualis est in corpore humano […].« 79 Olivi: Gen. 8 (S. 502, Z. 311 – 320). 80 Zum Beispiel Olivi: Gen. 8 (502, Z. 359 – 363): »Ecclesia autem tam primitiva quam finalis per pressuram diluvii adscendit ad contemplationis et evangelicae perfectionis apicem et tandem ad caelestem sedem.« 81 Auch für dieses Werk gilt die Feststellung von Arno Borst: Der Turmbau von Babel, 821, daß sich Olivi im Spannungsfeld zwischen Augustin, den Viktorinern, Joachim von Fiore und Bonaventura bewege. 75 76
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5. Aegidius Romanus
Der Augustiner-Eremit Ägidius von Rom (ca. 1245 – 1316),82 ein Zeitgenosse Olivis,83 gehörte zu den bedeutendsten Schülern des Thomas von Aquin in Paris und bekleidete dort als Vertreter einer aristotelisch-thomistischen, aber auch stark neuplatonisch-augustinisch geprägten Lehre seit 1285 einen Lehrstuhl. Ab 1292 leitete er als Generalprior seinen Orden, bis er 1295 Erzbischof von Bourges wurde und als solcher in der Auseinandersetzung zwischen Philipp dem Schönen und Bonifatius VIII. für die Oberhoheit des Papstes auch in weltlichen Dingen eintrat.84 Er gilt als Begründer der sogenannten ›Augustinerschule‹, nachdem seine Lehre 1287 beim Generalkapitel von Florenz zur Ordensdoktrin erklärt worden war.85 Unter den exegetischen Werken des Ägidius findet sich auch die speziell der Arche Noah gewidmete kurze Abhandlung Tractatus de arca Noe, in der der Augustiner das christologische Thema der zwei Naturen in einer Person (›una in duabus naturis persona‹) behandelt. Ägidius’ Intention besteht darin aufzuzeigen, daß (1) bereits in der Arche Noah-Episode auf diese zweifache Natur Christi vorverwiesen wird und daß (2) die daraus resultierende Erlösung der Gläubigen sowohl im literalen (›ad veritatem‹) wie auch (3) im figuralen Sinne (›ad opinionem‹) in der Arche-Thematik präfiguriert ist.86 Ein gewichtiges Argument für die zweifache, also die göttliche und die menschliche Natur Christi, gewinnt Ägidius aus den auf der Arche befindlichen Lebewesen. Sie lassen sich in ›volatiles‹, die für die ›quasi caelestis natura‹ Christi, d. h. seine ›divinitas‹, stehen, und in ›gressibiles‹, die wiederum für seine ›quasi terrestris natura‹, also seine ›humanitas‹, stehen, einteilen (Arca 19 I D). Mit einer Fülle antithetischer Qualitäten, die jeweils weiter paarweise untergliedert werden (u. a. ›ratio – sensualitas‹, ›animalia ferocia – animalia mitia‹), unterstreicht er seine Behauptung, daß »omnis igitur alietas naturarum animalium existentium in arca, referri potest ad alietatem naturae in Christo« (Arca 19 II A). Vgl. David Gutiérrez: Gilles de Rome. Nach dessen Tod war Ägidius als Gutachter auf dem Konzil von Vienne 1311/12 wohl maßgeblich an der Verurteilung von vier dem Olivi ohne Namensnennung zugeschriebenen Irrtümern beteiligt; vgl. Josef Koch: Das Gutachten des Aegidius Romanus. 84 Sein Traktat De ecclesiastica potestate diente als Vorlage für die Bulle Unam sanctam, mit welcher der päpstliche Universalismus begründet werden sollte; vgl. David Gutiérrez, Gilles de Rome, 386 sowie Eckard Homann: Totum posse, quod est in ecclesia, reservatur in summo pontifice und Elmar Krüger: Der Traktat »De ecclesiastica potestate« des Aegidius Romanus. 85 Vgl. Adolar Zumkeller: Die Augustinerschule des Mittelalters, 174 – 176 und Kaspar Elm: Mendikanten und Humanisten im Florenz des Tre- und Quattrocento, 62 f. 86 Arca 19 I C: »primum quidem, quomodo sit duplex natura in Christo, et quomodo hoc fuit figuratum in arca Noe; secundum videndum est, quomodo in arca Noe per duas naturas fuit facta sanctorum redemptio quo ad veritatem; tertium, quomodo hoc fuit quo ad opinionem, siue quo ad figuram.« 82 83
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Daß die Erlösung der Gläubigen durch die zwei Naturen Christi schon auf der Arche präfiguriert wird, belegt Ägidius gemäß dem Literalsinn damit,87 daß (1) die durch das Wasserfahrzeug Geretteten sowohl männlichen wie auch weiblichen Geschlechtes waren (Arca 19 II B: »per duas naturas, id est per naturam masculinam et femininam«), (2) deren Nachkommenschaft männlich und weiblich war, (3) Christus selbst von diesem abstammte und (4) die Tiere der Arche den Gläubigen beiderlei Geschlechtes nach der Flut als Nahrung dienten.88 Im figuralen Sinn wurde die Arche gemäß der Exegese des Ägidius zum Heil der Gerechten insgesamt.89 Dazu rekurriert er expressis verbis auf das 15. Buch von Augustins De civitate dei (Arca 19 III C – IV C). Die vier Qualitäten Größe, Form, Einteilung und Material der Arche dienen hierbei als Tertium comparationis. Zunächst weisen auch für Ägidius die Größenverhältnisse der Arche auf die Proportionen des menschlichen Körpers und damit auf Christus hin, der in menschlicher Gestalt erscheint, um die Gläubigen zu erlösen. Sodann zeigt die sich von unten nach oben verjüngende Form der Arche auf die Kirche voraus, in der die Erlösung der Gläubigen geschieht; denn auch diese ist unten breit, d. h. umfaßt dort viele eher ›tierische Menschen‹ (›bestiales homines‹), während sie nach oben hin immer weniger, jedoch vernunftgeleitete Menschen (›rationales [sc. homines]‹) besitzt, bis an der Spitze Christus als einziger Fehlerloser steht. Die Einteilung der Arche in Decks mit zwei bzw. drei Räumen ist entweder als Hinweis auf die aus bekehrten Juden und Griechen/Heiden bestehende Kirche zu verstehen oder als ein solcher auf die drei Söhne Noahs, von denen die gesamte Menschheit nach der Flut abstammt. Auch bei Ägidius fehlt überdies nicht der Bezug der seitlichen Öffnung der Arche auf die geöffnete Seite Christi – wieder unter Verweis auf Augustinus –, aus der die Sakramente der Kirche flossen, die zugleich ihren Beginn darstellen. Schließlich präfiguriert das Baumaterial der Arche, d. h. die Holzbalken und der Bitumen, die Heiligen: Ihre Standhaftigkeit zeigt sich anhand der quadratischen und somit auf jeder Seite gleich starken Form der Balken, während der Bitumen auf die Liebe als das festigende Band der Heiligen und Gläubigen verweist. Standhaftigkeit und Liebe aber sind Teil der Erlösung. In diesem Kontext sei ergänzt, daß sich die Deutung der Arche als Kirche auch in der am 18. 11. 1302 von Papst Bonifatius VIII. erlassenen Bulle Unam sanctam 87 Arca 19 II B: »[…] in arca Noe per duas naturas fuit sanctorum redemptio facta quo ad veritatem: quod potest quadrupliciter declarari. Primo quantum ad ipsas personas quae fuerunt in arca Noe; secundo quantum ad illos qui descenderunt ab illis; tertio quantum ad Christum qui assumpsit carnem ex earum stirpe; quarto quantum ad alia quae fuerunt in arca.« 88 Arca 19 III A: »materialiter saltem deservierunt illa animalia ad formationem corporum existentium de numero electorum, qui sunt salvati et redempti.« 89 Arca 19 III B: »cum enim in arca facta sit salus iustorum, quia Noe et plures alii iusti sunt saluati […] in arca Noe facta fuit salus multorum, sive redemptio sanctorum, qui secundum duplicem naturam habent esse in arca.«
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gegen Philipp den Schönen findet, als deren geistiger Vater Aegidius Romanus anzusehen ist.90 In ihr wird in extremer Weise die Überordnung der geistlichen über die weltliche Gewalt einschließlich ihrer höchsten Repräsentanten formuliert. Die diesen Anspruch stützende Argumentation nimmt ihren Ausgang von der Exegese der Arche als ›ecclesia‹, »extra quam nec salus est, nec remissio peccatorum«, weil ja nur diejenigen, die an Bord der Arche waren, die Flut überlebten. Aegidius Romanus deutet also gleichfalls die Arche Noah- Episode sowohl christologisch als auch ekklesiologisch. Auch für ihn präfiguriert die Arche das Erlösungswerk Christi und der Kirche. Daß er dabei auf Augustinus als Autorität zurückgreift, ist angesichts der Tradition nicht mehr überraschend – schon gar nicht angesichts der Tatsache, daß er Generalprior der Augustiner-Eremiten war.
6. Zusammenfassung
Zunächst ist festzuhalten, daß sowohl Augustinus als auch die drei hier näher betrachteten Rezipienten Hugo von St. Viktor, Petrus Johannis Olivi und Ägidius von Rom die Historizität der Arche Noah-Erzählung im Buch Genesis als selbstverständlich voraussetzen, jedoch durchaus nach Erklärungen für nicht unmittelbar verständliche Elemente suchen. Darüber hinaus bietet ihnen diese Thematik einen weiten Spielraum für allegorische Interpretationen, wobei die Deutungen Augustins im wesentlichen von den genannten mittelalterlichen Theologen rezipiert werden. Die herausragenden gemeinsamen Merkmale sind dabei die beiden von Augustinus besonders akzentuierten Interpretationen der Arche sowohl auf Christus als auch auf die Kirche hin. Diese christologischen und ekklesiologischen Deutungsstränge setzen sich bei den Autoren des Mittelalters häufig sogar in Detailübereinstimmungen fort, beispielsweise bei der Exegese des Baumaterials der Arche, den vielfältigen Deutungen ihrer Proportionen, bei architektonischen Einzelheiten wie der seitliche Öffnung oder den verschiedenen Decks und bei ihrem Steuermann Noah. Als einheitliche Quelle hierfür dient allen dreien der von Augustinus in Contra Faustum 12,14 – 20 bereitgestellte Katalog von Argumenten (mitunter modifiziert gemäß civ. 19,26 f.). Doch die Rezipienten bleiben bei der Augustinischen Exegese nicht stehen, sondern variieren oder erweitern die Argumente, indem sie diese jeweils an ihre eigene Intention adaptieren. Daß dies eine legitime Methode ist, hatte ihnen bereits der Kirchenvater selbst in De civitate dei 15,26 vorgeführt, als er gestattete, das biblische 90 Vgl. dazu jüngst Agostino Paravicini Bagliani: Egidio Romano, l’arca di Noè e la tiara di Bonifacio VIII sowie Elmar Krüger: Der Traktat »De ecclesiastica potestate« des Aegidius Romanus, v. a. 61.
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Motiv der drei Söhne Noahs auf vier unterschiedliche, offensichtlich den vier Schriftsinnen entsprechende Weisen auszulegen, und dafür sogleich selbst Beispiele präsentierte. Hugo von St. Viktor setzt in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bei seiner zum Teil mystisch geprägten Arche-Exegese zwei Schwerpunkte: Zum einen zielt er auf Verinnerlichung, indem er dazu auffordert, die Arche mit Hilfe der Erkenntnis in sich selbst zu bauen und geistig in ihr zu wohnen (›archa mystica‹), zum anderen bedient er sich der Arche, um die Geschichte der Kirche als Heilsgeschichte in Raum und Zeit zu erklären. Die Interpretation des Petrus Johannis Olivi in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bleibt – nicht zuletzt aufgrund der literarischen Gattung eines Kommentars – deutlich enger am Bibeltext; sie greift jedoch auch auf die ganze Bandbreite der Augustinischen Exegese zurück, wobei Olivi den Kirchenvater häufig, unter exakter Angabe von Werk und Kapitel, wörtlich zitiert. Sein Zeitgenosse Aegidius Romanus schließlich, zugleich hoher Repräsentant der Amtskirche, interpretiert Genesis 6 – 9 zunächst ebenfalls in den von Augustinus (auf den er ausdrücklich verweist) vorgezeichneten Bahnen, jedoch instrumentalisiert er zugleich die Möglichkeiten, die die Verbindung von christologischer und ekklesiologischer Deutung der Arche auch kirchenpolitisch bietet: Ägidius betont in besonderem Maße die absolute Notwendigkeit der Kirche zur Erlangung des Heils und folgert daraus die Überordnung der geistlichen über die weltliche Macht. Ungeachtet der verschiedenen persönlichen Akzente und Intentionen der mittelalterlichen Rezipienten bleibt zu konstatieren, daß für ihre Exegesen die Deutungen des Kirchenvaters Augustinus stets den gemeinsamen Ausgangspunkt bilden – getreu der ersten Zeile des Distichons auf dem Fresko im Lateran mit der ältesten Darstellung Augustins: »Diversi diversa patres, sed hic omnia dixit.«
Augustinus im ekstatischen Denken Bonaventuras (1217/18 – 1274) von Dieter Hattrup
Was der hl. Franziskus († 1226) gelebt hat, das hat der hl. Bonaventura († 1274) gelehrt. Ohne Zweifel hat der Poverello aus Assisi einen überragenden Einfluß auf das Denken des Franziskaners Bonaventura genommen. Doch Franziskus ist nicht als Denker bekannt, er ist der ekstatische Heilige, der jeden Augenblick in die Gegenwart Gottes übergehen konnte, wozu er nichts weiter tun mußte, als sich die Kapuze über den Kopf zu ziehen. Bonaventura verbeugt sich in seinen Schriften auch nicht vor dem Denker Franziskus, er preist den unvergleichlichen Mystiker und Heiligen aus Assisi. Direkt ist der Ordensvater für ihn nicht zitierbar. Was Bonaventura in seinen theologischen Schriften anführt, das sind die Werke von Augustinus und Aristoteles, von Anselm von Canterbury, den Viktorinern und Pseudo-Dionysios. Doch auf welche Weise er diese Autoren liest, darin zeigt sich die Gegenwart des seraphischen Franziskus, weshalb Bonaventura den Titel des seraphischen Lehrers trägt. Dieser Sprachgebrauch findet sich schon in seinem eigenen Munde, so an der genannten Stelle. Nun war Augustinus im 13. Jahrhundert bei allen Theologen die überragende Autorität, auch bei Bonaventura, weshalb er ihn schon ganz früh den größten lateinischen Kirchenvater nennt ( 3 Sent; III 86b): »Augustinus, praecipuus doctor Latinus«. Wie geht Bonaventura mit dieser Quelle um? Der Franziskaner-Historiker Bougerol empfiehlt zur Untersuchung dieser Frage das Werk über das ›Wissen Christi‹ genau zu studieren. Diese Quaestio disputata stammt wohl aus dem Jahre 1254, Étienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 59: »Ce que saint François n’avait fait que sentir et vivre, saint Bonaventure allait le penser.«Die Werke Bonaventuras liegen noch immer gültig vor in der Ausgabe Doctoris Seraphici S. Bonaventurae opera omnia. Edita studio et cura PP. Collegii a S. Bonaventura, 10 vol. Quaracchi: Typogr. Coll. S. Bonaventurae 1882 – 1902. Deshalb wird hier nach diesen zehn Bänden zitiert, also meint etwa (V, 440b – 441a) Band V, S. 440 Sp. rechts bis S. 441 Sp. links. Es gibt verdienstvolle Einzeleditionen und Übersetzungen ins Deutsche, vor allem von Marianne Schlosser und Andreas Speer. Einen besseren Text als Quaracchi können sie allerdings auch nicht bieten, außer in einem Falle: Bonaventura: Collationes in Hexaëmeron. Hg. von Ferdinand Delorme OFM. Das ist eine in vieler Hinsicht bessere Mitschrift, was hier nicht diskutiert werden kann. Vgl. zur Entstehung der beiden Fassungen: Dieter Hattrup: Ekstatik der Geschichte; 270 – 276. Internet: http://www.franciscan-archive.org/ bonaventura. Vgl. Hex XXII; V, 440b – 441a: »De isto videtur fuisse Franciscus. Et dicebat, quod etiam antequam haberet habitum, raptus fuit et inventus iuxta quandam sepem.« Vgl. Hex XXII; V, 440b: »Et dicebat: Quis enim iste est? Iste est ordo seraphicus.« Jacques Bougerol: Introduction à l’étude de saint Bonaventure, 72: »Mais il faudrait une
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vielleicht 1253 begonnen, als Bonaventura seinen Kommentar über die Sentenzen des Petrus Lombardus abgeschlossen hatte. Über eine Einzelfrage wollte er noch einmal gesondert nachdenken. Das Thema ist das Verhältnis von Endlichkeit und Unendlichkeit, von Gott und Welt. Wie ist Erkenntnis in diesem Verhältnis möglich? Trotz der theologischen Hülle ist die Schrift ganz philosophisch gemeint. Wie kann der endliche Mensch Christus, wie kann jeder Mensch als geschaffenes Wesen die Schöpfung und den Schöpfer erkennen? Wie erkennen sich der Logos und der Mensch in Christus? Wie vor allem kommt die Sicherheit in die Erkenntnis? Der Rat Bougerols ist gut, doch müssen wir noch Aristoteles hinzufügen, weil der Stagirite in der Quaestio ebenso häufig zitiert wird wie Augustinus. Ich bündle den Inhalt von De Scientia Christi zu einer Hauptthese: Das Denken des hl. Augustinus wird aus dem begrifflichen in den ekstatischen Modus umgewendet – mit den Mitteln des Philosophen Aristoteles. Dieses Denken bleibt bis in das Hexaëmeron von 1273 bestehen, wo Bonaventura im Ton aggressiv wird und Bilder der Endzeit aufsteigen läßt. Man könnte einwenden: Warum beschäftigt sich ein Franziskaner mit Augustinus? Was will er gar mit Aristoteles? Ist das Franziskanisch? Am Ende wird Bonaventura selbst so fragen, als er in der Schlacht des Hexaëmeron die Philosophie und die positive Wissenschaft für unvereinbar erklärt mit dem Ideal des Poverello. Ein Franziskaner soll Gott und die Armut lieben, doch warum liebäugelt er mit der Wissenschaft? Der Generalminister Bonaventura ruft im Frühjahr 1273 vor der Generalversammlung der Franziskaner in Paris aus: ›Viele Anhänger der Wissenschaft sind zu uns gestoßen, nämlich zu unserem Orden und zu unserer Frömmigkeit; doch in diesen Dingen muß die Frömmigkeit ihnen eine Grenze ziehen‹ (V, 413b): »Sed in his debet industria ponere terminum.« Die Grenze hatte Bonaventura zwanzig Jahre vorher schon einmal gezogen. Damals war er zuversichtlich gewesen, die Synthese von Aristoteles und Augustinus im Geiste des hl. Franziskus wagen zu können. Allerdings auf delikatem Wege: Eine direkte Anknüpfung an Aristoteles verbietet sich für den frühen wie für den späten Bonaventura, zuerst wegen dessen Lehre von der Ewigkeit der Welt, dann wegen der Denkform des Stagiriten. Der Begriffsmodus des Aristoteles ist für den Franziskaner ein zu stolzes Denken und auch sachlich falsch. Aristoteles denkt von den Dingen étude plus poussée de chacune des œuvres du docteur d’Hippone pour montrer comment Saint Bonaventure utilise la pensée de son maître. Les questions disputées de Scientia Christi nous permettront de nous en rendre compte d’une manière plus complète.« Étienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 15: »[…] la bataille de l’Hexaëmeron […]«. So auch Therese Scarpelli: Bonaventure’s christocentric epistemology, 85: »By a union of Aristotelian and Augustinian principles, Bonaventure is able to refine illuminationism […].« Allerdings hält Scarpelli die Illumination nur bei den göttlichen Dingen für nötig, Bonaventura nimmt sie wohl auch bei der Erkenntnis der Dinge in der Welt in Anspruch.
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her, als ob sie ihren Grund in sich selber hätten. Doch wo sie herkommen und wer sie gegeben hat, bedenkt er nicht. Kann man den Aristoteles vielleicht umdrehen, fragt der junge Bonaventura? Wenn aus dem Ergreifen, das ich tue, das Ergriffensein wird, das an mir geschieht, dann könnte aus dem Vorrang der Gnade, den Augustinus so stark betont hat, ein Aristotelisches Denken werden. Ein umgekehrtes Denken natürlich, das mit dem ekstatischen Leben des hl. Franziskus versöhnt wäre. »Für Bonaventura ist nur Gott ein Aristoteliker, denn nur Gott hat die Idee seiner selbst und die Ideen aller Dinge in sich selbst. Alles, was nicht Gott ist, hat seine Idee außerhalb seiner selbst und ist darauf ekstatisch bezogen.« Dennoch bleibt die Frage bestehen: Warum vergißt Bonaventura nicht einfach den Aristoteles? Warum hält er sich nicht schlicht an die Lehrer der Gnade, vor allem an Augustinus? Diese Frage ist zu prüfen. Die Antwort ergibt eine Nebenthese: Aristoteles stellt das gültige Weltwissen des 13. Jahrhunderts dar, das sich jeder Theologe aneignen mußte, wenn er über Gott und Welt angemessen sprechen wollte. Inkulturation heißt der Vorgang heutzutage; doch auch die Theologen der Vor- und Mittelzeit haben diese Anknüpfung an die Weltplausibilität vollzogen, mit mehr, dann mit weniger Widerspruch. Bei Bonaventura bis zu einer völligen Umkehrung: Einzig Gott kann ein vollständiger Aristoteliker sein, nur für ihn ist das Sein der Dinge in ihnen selbst begründet. Das Weltwissen späterer Zeiten war die Mechanik der frühen Neuzeit, später die Darwinische Evolutionslehre und heute vor allem die Quantentheorie. All dieses Weltwissen war niemals Weltweisheit, war nie vollständig gewesen, wie schon der Wechsel der Weltbilder zeigt. Immer mußte es unter Einsatz der Freiheit auf eine vollständige Wirklichkeit hin gedeutet werden. Bonaventura macht in Achtung vor dem Weltwissen des 13. Jahrhunderts eine originelle Deutung, die nie viel Beachtung gefunden hat. Er gehört nicht zu den Siegern der Geistesgeschichte. Eine Wirkung auf die Folgezeit läßt sich kaum ausmachen, er hat nicht schulbildend gewirkt. Es haben große Thomas- und Duns Scotus-Schulen bestanden, eine Schule mit seinem Namen hat es nie gegeben. Auf die Mystik hat er einigen Einfluß genommen, weshalb Papst Leo XIII. ihn in einer Ansprache am 11. November 1890 als ›Fürsten der Mystiker‹ gelobt hat, zum Ausgleich für den Thomismus, den dieser Papst noch weit stärker gelobt hat. Die Mystik ist der rechte Ort für das erfolglose Denken, da sich in ihr das Vergessene und Verdrängte, das Vergangene und das Zukünftige sammelt – als der abgetane Unsinn oder als die größere Wirklichkeit.
Dieter Hattrup: Ekstatik der Geschichte, 207. Vgl. Leonhard Lemmens: Der heilige Bonaventura, 98: »Is […] de mystica theologia tanta perfectione disseruit, ut in ea communi hominum peritissimorum suffragio habeatur facile princeps.«
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1. ›De Scientia Christi‹ (1254)
»Bonaventura ist Augustinist und entschiedener Anti-Aristoteliker.« Mit diesem Paukenschlag betritt Étienne Gilson im Jahre 1924 die Bühne der Mittelalterforschung. Die hohe Scholastik habe nicht nur den Thomismus auf der Grundlage des Aristoteles erzeugt, sondern auch – auf der Grundlage des hl. Augustinus – den bisher gar nicht so genannten Bonaventurismus. Wie zwei Olivenbäume bringen sie Früchte, wie zwei Leuchter spenden sie Licht im Hause Gottes. So beschließt Gilson voll Emphase mit einem Doppelbild gleich zweier Päpste seine große Monographie. Bonaventura entwickle nicht einen traditionellen, er schaffe vielmehr einen aus der Überwindung des Aristoteles neu geborenen Augustinus. Jetzt bekomme das Denken den Namen Weisheit, die Weisheit den Namen Frieden und der Friede den Namen Ekstase. Der franziskanische Lehrer kenne seit dem Beginn seiner akademischen Laufbahn die Schriften des Aristoteles genau, was er schon im Sentenzenkommentar bewiesen und in allen späteren Schriften bekräftigt habe. Doch beurteile er ihn anders als Thomas, obwohl beide ihn einfach wie üblich ›den Philosophen‹ nennen. Nicht aus Mangel an Zeit oder gar aus Unkenntnis sei Bonaventura andere Wege gegangen, wie manche gemeint haben. Bis zum Ende seiner magistralen Zeit im Jahre 1257 lassen sich Hunderte von Stellen anführen, in denen Aristoteles freundlich behandelt wird, was schon oftmals beobachtet wurde: »Mir ist nicht aufgefallen, auch nur einer einzigen begegnet zu sein, von der man das Gegenteil behaupten könnte.« Von seinem Lehrer Alexander von Hales, der ihm Anlaß war, bei den Franziskanern einzutreten, hatte Bonaventura schon frühzeitig den ganzen Aristoteles kennengelernt. Alexander war zum Wegbereiter des Philosophen geworden. Ja, Alexander scheint eine Schar von Schülern um sich versammelt zu haben, denen sein Hauptwerk Summa universae theologiae die letzte Gestalt verdankt. Diese Summa verwendet fast schon den ganzen Aristoteles, dessen Ansehen und Gültigkeit um 1240 schnell zu steigen begann. Das hindert diese Franziskaner »freilich nicht, Aristoteles zu kritisieren und in wichtigen Fragen von ihm abzuweiDer Text ist der Quaracchi-Ausgabe entnommen: V, 3 – 43. Vgl. Étienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 396: »Et c’est sans doute pourquoi dès 1588 Sixte V proclamait, et en 1879 Léon XIII rappelait, qu’ils furent deux à construire la synthèse de la pensée scolastique au moyen âge et qu’aujourd’hui encore ils restent deux à la représenter; deux nourritures et deux lumières: Duae olivae et duo candelabra in domo Dei lucentia.« Vgl Étienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 65: »C’est donc bien la contemplation divine que saint Bonaventure met au centre même de l’idéal franciscain, et par conséquent la paix vers laquelle toute sa pensée va se diriger et nous conduire s’appellera, de son vrai nom, l’extase.« Joseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, 122.
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chen«. Eben das tut auch Bonaventura, der Schüler Alexanders, von Anfang an, zuerst in einem unpolemischen Ton, später dann ab 1267 aggressiv und kämpferisch, wobei wir den originalen vom averroistischen Aristoteles unterscheiden müssen. Bonaventura hat nach Gilson die Aristotelische Philosophie und die Wissenschaften bewußt nicht zur Grundlage seines Denkens gemacht, er hat Wissenschaft und Philosophie als untere Erscheinungsform des Geistes angesehen. Aristoteles ist nach ihm für die Einzelwissenschaften zuständig, den Gesamtrahmen des Denkens, die Metaphysik, kann man von ihm nicht übernehmen, da der Grundfehler des Stagiriten mit seiner Lehre von der ewigen Welt unausrottbar ist. Dadurch werde das Gegebensein der Dinge, der Quellgrund in Gott, unerkennbar. Die Lehre von der ewigen Welt müsse den Übergang des Lebens verkennen und so tun, als ob dieses in sich selber stünde. Entsprechend versuche der Philosoph, die Vernunft in sich selbst zu begründen. Aus dem einen und ersten Grundirrtum folgten alle weiteren Irrtümer. »Diesem Philosophen muß man somit einen dreifachen Irrtum zur Last legen: Verkennung des Exemplarismus, der Vorsehung Gottes und der Letzten Dinge.« Als später der Ton gegen Aristoteles schärfer wird, hält Bonaventura ihn noch immer für einen großen Wissenschaftler, doch für einen schlechten Philosophen, der die Philosophie des Unnützen ausarbeite. Wie Aristoteles mit Hilfe von Augustinus umgedreht wird, läßt sich an den sieben Quaestiones De Scientia Christi gut erkennen. Das Thema ist völlig philosophisch gemeint, es geht um die Erkenntnisgewißheit. Weil die wichtigen Schritte in der Quaestio vier und in der letzten Quaestio sieben geschehen, darf man sich nicht allein auf die Nummer vier stützen. Diese Quaestio ist ein direkter Reflex auf die Illuminationslehre des hl. Augustinus, während die Nummer sieben den aristotelischen Begriffsmodus in den ekstatischen umdreht. Die Frage wird in der vierten Quaestio noch etwas ungewiß beantwortet: Jede Erkenntnis, wenn sie sicher sein soll, muß irgendwie den ewigen Urgrund berühren (ScChr 4; V, 22b): »Ad certitudinalem cognitionem intellectus etiam in viatore requiritur, ut aliquo modo attingatur ratio aeterna ut ratio regulans et motiva.« ›Berühren‹ und ›irgendwie‹ sind nicht gerade Signalworte der Genauigkeit. Sie sind mehr eine neue Frage als eine Antwort auf die Frage. Das Berühren des Ewigen in jedem Erkenntnisakt, auch in der Zeit, ist ursprünglich Augustinisches Denken, auch wenn für Bonaventura zunächst nicht klar ist, was Augustinus mit ›Berühren‹ gemeint haben kann. Fernand Van Steenberghen: Die Philosophie im 13. Jahrhundert, 162. Étienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 85: »Voici donc une triple erreur à porter au compte de cette philosophe: ignorance de exemplarisme, de la providence divine et des fins du monde.« Vgl. Étienne Gilson: La Philosophie de Saint Bonaventure, 89: »C’est le cas d’Aristote; grand savant, mais mauvais philosophe, il élabore en quelque sorte la philosophie de l’inutile, et sa philosophie existe bien à part, mais c’est justement pour cela qu’elle ne vaut rien.«
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Der junge Ratzinger hat vor einem halben Jahrhundert gemeint, die Wendung gegen Aristoteles entwickle sich nicht zwingend aus dem frühen Werk Bonaventuras. Zu dieser Meinung kann man angesichts des ruhigen Tones gelangen, den der seraphische Lehrer 1254 in De Scientia Christi anschlägt. »Der Antiaristotelismus Bonaventuras hebt an im Jahre 1267 mit den in der Fastenzeit dieses Jahres in Paris gehaltenen Collationes de decem praeceptis.« Wie wir sehen werden, ist die Geschichtstheologie von 1267 bis 1273 zur Entscheidung für Augustinus gegen Aristoteles nicht unbedingt nötig, da diese schon früh feststeht, wenigstens ab 1254. Der Antiaristotelismus rührt einfach vom ekstatischen Denken, das von Augustinus kommt. Deshalb ist es unerlaubt, sich im Blick auf die Erkenntnisgewißheit auf die Nummer vier zu beschränken. Die Quaestio vier wird oft die Magna Charta des Exemplarismus genannt und als klassischer Text der Illuminationslehre gepriesen. Das Lob kann den Gedanken verzerren, wenn man bei Quaestio vier stehenbleibt, was leider häufig geschieht. Dann sieht der Interpret zwar noch die drei Seinsweisen der Dinge, denn so legt sich Bonaventura die Illuminationslehre Augustins zurecht, also das Sein im Verstand, in der eigenen Gattung und in der ewigen Kunst (ScChr IV; V, 23a: »unde cum res habeant esse in mente et in proprio genere et in aeterna arte, […]«), doch die Umkehrung des begrifflichen Modus in den ekstatischen Modus sieht er nicht mehr. Der zentrale Begriff also in der vierten Quaestio ist das ›tangere‹ oder ›attingere‹ (ScChr IV; V, 23b): »Unsere Vernunft berührt, wenn sie sicher erkennt, auf gewisse Weise jene Regeln und unveränderlichen Ideen; das erfordert schon die Sicherheit der Erkenntnis und die Echtheit des Erkennenden« (»[…] requirit necessario nobilitas cognitionis et dignitas cognoscentis«). Das Stichwort stammt aus dem 14. Buch der Trinitätsschrift des hl. Augustinus. Bonaventura zitiert präzise: Es erinnert sich der sündige Mensch, wenn er zu Gott heimkehrt, gleichsam an das Licht, durch das er auch, als er von ihm abgewandt lebte, irgendwie berührt wurde (›quodam modo tangebatur‹). Von daher denken auch die sündigen Menschen an die Ewigkeit, und oftmals mit Recht tadeln oder loben sie das Handeln der Menschen (vgl. ScChr IV; V, 23b).
Joseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, 136. Jacques Bougerol: Introduction à l’étude de saint Bonaventure, 164: »[…]depuis sa découverte, la q. 4 est la plus connue et la plus commentée parmi les sept questions De Scientia Christi.« Paul Vignaux: Note sur la considération de l’infini dans les questions disputées de Scientia Christi. In: S. Bonaventura 1274 – 1974. Volumen III, 107: »[…] dans la Question IV de scientia Christi, texte devenue classique […].« Vgl. Étienne Gilson: La Certitude et les Raisons éternelles. In: Ders.: La Philosophie de Saint Bonaventure, 304 – 324; Aimé Solignac: Connaissance humaine et relation à Dieu selon Saint Bonaventure (De Sc. Chr., Q. 4). In: S. Bonaventura 1274 – 1974. Volumen III, 393 – 405.
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Einen kleinen Unterschied gibt es. Augustinus sagt ›tangere‹, während Bonaventura nur das Wort ›attingere‹ gebraucht, und zwar 49 mal in Scientia Christi, wenn ich richtig gezählt habe, beginnend mit der vierten Quaestio. Das heißt wohl, ab jetzt ist das Berühren des Ewigen das Hauptthema, das vom Autor und vom Leser bis zum Ende durchzuhalten ist. Augustinus hat im frühen fünften Jahrhundert den Keim gelegt, und seine Erkenntnis verlangt nach Aufklärung im neuen Denkrahmen des dreizehnten Jahrhunderts. Eine sachliche Differenz gibt es zwischen ›tangere‹ und ›attingere‹ wohl nicht. Nur ist die Frage jetzt stark und überstark geworden: Was meint das Berühren des ewigen Lichtes? In der Nummer vier will Bonaventura zunächst die Tatsache sichern, und zwar durch Autoritätsbeweise, vor allem des Lehrers aus Hippo. Ohne Zweifel gibt es sichere Erkenntnis, das steht fest. Bonaventura führt als Beispiel ›zwei und drei gleich fünf‹ an (V, 22b: ›duo et tria sunt quinque‹) und ähnliche Beispiele aus Mathematik und Logik. Kann man an dieser Erkenntnis, also auch an dieser Erkenntnis über diese Erkenntnis zweifeln? Nein, doch weder das wankelmütige Subjekt des Erkennens noch das veränderliche Sein der vielen Dinge kann die Sicherheit geben, der wir in der Mathematik, der Logik und einigen metaphysischen Einsichten begegnen. Also muß die Ewigkeit selbst die unwandelbare Erkenntnis in der wandelbaren Zeit garantieren. Auch acht Jahrhunderte später wird dieser Augustinisch-Bonaventuranische Gedanke gerne noch einmal aufgegriffen und als letztgültige Erkenntnis Gottes gepriesen. Der Grundgedanke ist dieser: Tatsachen der Welt bleiben für immer Tatsachen, wie etwa die Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich und in der Schweiz, die tatsächlich stattgefunden hat. Wer jedoch kann Tatsachen aufbewahren? Die Welt? Wohl nicht, denn in ihr ist alles veränderlich, und sie selbst ist es auch, da sie nach der Physik und der Bibel einen Anfang hat. Es bleibt nur die Antwort übrig: »Wir müssen ein Bewußtsein denken, in dem alles, was geschieht, aufgehoben ist, ein absolutes Bewußtsein.« Da die Phänomenologie solche Sicherheiten der Erkenntnis zutage fördert, muß die Wirklichkeit entsprechend eingerichtet sein. Wie ist sie zu denken? Bonaventura entwirft seine Ontologie als Exemplarismus. Die eine, alles umfassende Wirklichkeit Gottes wird für den erkennenden Menschen zum dreifachen Sein: Nicht zum Monismus, der von Menschen nicht zu leisten ist, nicht zum Dualismus, der die Einheit unterschlägt, sie wird zur Dreiheit, die den Erkennenden mit dem Erkannten vereinigt. Das Sein wurzelt erstens in der ewigen Kunst mit den göttlichen Urgründen, zweitens ist es verwirklicht in den Dingen, drittens wird es vom Geist des Menschen Robert Spaemann u.a.: Der letzte Gottesbeweis, 32. Jacques Bougerol: Lexique Saint Bonaventure, 59 f.: »Le mode d’être des choses est triple: – ›in proprio genere‹. […] – ›in anima‹. […] – ›in Deo‹. […] Cette distinction entre les modes d’être est très importante pour saint Bonaventure, car elle fond la doctrine de l’exemplarisme.«
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erkannt. Diese Dreiteilung gilt für Bonaventura, zum einen weil auch Augustinus so denkt, zum anderen weil er nicht sieht, wie sonst sichere Erkenntnis möglich sein soll. Als Problem bleibt für ihn nur die Frage: Wie und auf welche Weise kann das Ewige im Zeitlichen anwesend sein? Im 14. Abschnitt des 3. Sentenzenkommentars verweist Bonaventura auf Augustinus und die Stelle aus De Genesi ad litteram, die ihn auf den Gedanken gebracht hat. Allerdings ist die Ähnlichkeit sehr vage. Bei Augustinus geht es um die Erkenntnis der Engel am ersten Schöpfungstag: »Die Schöpfung des Himmels war zuerst im Wort Gottes in Form der gezeugten Weisheit; dann entstand sie als geistige Schöpfung, das heißt in der Erkenntnis der Engel wegen der in ihnen erschaffenen Weisheit; schließlich wurde sie zum Himmel, damit der geschaffene Himmel in seiner eigenen Gattung sei.« In kühner Neuerung überträgt Bonaventura die Engelserkenntnis auf alle Menschenerkenntnis. Die Lehre hat ihren Anfang beim hl. Augustinus genommen. Das ist richtig gesehen. Man kann sich das Samenkorn bei Augustinus allerdings nicht klein genug und den Baum bei Bonaventura nicht groß genug vorstellen, der daraus gewachsen ist. Durch die Untersuchung der Seele Christi und ihr Verhältnis zum Logos Christi wird die Erkenntnis der Engel zur Erkenntnis auch für den Menschen, nicht nur in der ewigen Heimat, sondern schon in diesem Leben und in zwar jedem Augenblick (V,40a: ›in via et in patria‹). Das geschieht in verschiedenen Graden, in verschiedener Quantität, doch in gleicher Qualität. Die unbewegte Ewigkeit ist in jeder Bewegung der Zeit berührend anwesend. Eigentlich hat Bonaventura nur zwei mehrdeutige Stellen aus dem großen Genesiskommentar zur Hand, wo Augustinus den Engeln eine dreifache Weise der Erkenntnis der Dinge im Logos, in sich selbst und in ihrer Gattung zuspricht (3 Sent; III, 306b): »Augustinus super Genesim ad litteram dicit, quod Angeli tripliciter cognoverunt res, videlicet in Verbo, in se ipsis, in proprio genere.« Bonaventura bleibt 1252 im Sentenzenkommentar bei den Engeln stehen. Die denkerisch gespannte Situation des 13. Jahrhunderts zwischen den Erkenntnistheorien Platonischer, Augustinischer und Aristotelischer Prägung erfordert jedoch eine kühne Entscheidung. In der Sekundärliteratur kann man wohl von der Wirkweise des Exemplarismus lesen, doch die Autoren sind sich der Ausgangslage wenig bewußt, in der Bonaventura stand, als er zwischen Platon und Aristoteles einen Ausweg suchte. Nur Gilson erkennt die Tiefgründigkeit des Problems. Da die Sicherheit (nobilitas) der Gn. litt. 1. 2, c. 8, n. 19; vgl. auch 1. 4, c. 29, n. 46 (eigene Übersetzung). Jacques Bougerol: Lexique Saint Bonaventure, 60: »s’origine dans saint Augustin, De Gen. ad litt.« Jacques Bougerol: Introduction à l’étude de saint Bonaventure, 316: »C’est donc en toute sincérité que saint Bonaventure constate le double échec de Platon et d’Aristote dans leur tentative pour résoudre le problème et qu’il leur préfère saint Augustin.«
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Erkenntnis nämlich bei Aristoteles nicht garantiert sei, weil Erkennender und Erkanntes wandelbar sind, fragt er, wo die Sicherheit herkommen soll. Und bei Platon fehlt die Echtheit (dignitas), weil er den Erkennenden nicht ernst nimmt und die Erkenntnis der Dinge zum bloßen Schein herabsetzt. Bonaventura erwägt jetzt 1254 drei Möglichkeiten für eine sichere Erkenntnis, eine extrem starke, eine ganz schwache und eine dritte, die mittlere Möglichkeit, die er dann wählt. Es könnte zum einen der ewige Erkenntnisgrund voll und ganz gegenwärtig sein (V, 23a): »lucis aeternae evidentia tanquam ratio cognoscendi tota et sola«. Dann jedoch gäbe es keinen Unterschied zwischen Himmel und Erde, keinen zwischen Weisheit und Wissen, keinen zwischen Gnade und Natur. Hier könnte man an Platon denken, auf den auch in Form der übertrieben idealistischen und deshalb übertrieben skeptischen Neuen Akademie angespielt wird. Bonaventura lehnt das ab (V, 23a): »ut dicit Augustinus contra Academicos libro secundo«. Denn auch der Sünder wird irgendwie vom ewigen Licht berührt, ohne voll in diesem Licht zu stehen. Die zweite Möglichkeit ist die Influenzlehre, nach welcher der ewige Urgrund einen Gewißheit schaffenden Einfluß ausübt, ohne doch anwesend zu sein (V, 23a): »cognoscens in cognoscendo non ipsam rationem aeternam attingit, sed influentiam eius solum«. Hier fällt die Berührung aus. Man kann an Aristoteles denken. Auch diese Möglichkeit wird mit der Autorität des hl. Augustinus abgelehnt. Schließlich können wir nicht sagen, er habe sich geirrt (V, 23a): »Augustinum deceptum fuisse«. Wir erkennen nicht nur durch erworbene Regeln, die wir aus der Influenz des Ewigen beziehen, vielmehr müssen die ewigen Ideen selbst bei der sicheren Erkenntnis gegenwärtig sein. Erkenntnis ohne Gegenwart des Ewigen garantiert keine sichere Erkenntnis. Damit kommen wir zum dritten Modus, dessen Balance ungewohnt ist. Die Beziehung der Einzeldinge zum göttlichen Urgrund spaltet sich in drei Möglichkeiten auf gemäß den drei Seinsweisen im Exemplarismus: »Das Geschöpf nämlich ist auf Gott bezogen in der Weise der Spur, des Bildes und des Ebenbildes« (V, 24a): »Creatura enim comparatur ad Deum in ratione vestigii, imaginis et similitudinis.« Jedes Geschöpf ist als Spur auf Gott bezogen wie auf seinen Ursprung (Wirkursache), als Bild wie auf sein Ziel (Zielursache), während das Ebenbild bei Aristoteles kein Gegenstück findet, es verweist eher auf Platon und Augustinus. Das Ebenbild nimmt sich selbst als ein Geschenk wahr, als eine Gabe (V, 24a: ›ut ad donum infusum‹), es kennt die Bewegung, die von der anderen Seite kommt, es sieht das Ergriffensein vor allem Ergreifen in allen Dingen. Alles geschaffene Sein ist eine Spur, weil es von Gott stammt, ob es davon weiß oder nicht. Jedes geschaffene Sein, das Gott kennt, ist sein Bild, es kennt sein Ziel, das sich aus den Wirkursachen nicht voll ableiten läßt. Das Sein bestimmt nicht das Handeln (›agere non sequitur esse‹), wenn mit dem Sein nur die naturhaften Dinge
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gemeint sind, die in sich stehen. Für das Ziel muß etwas hinzukommen. Wenn noch mehr geschieht und das Ziel sogar anwesend ist, wandelt sich das Bild zum Ebenbild. Dann wohnt Gott in ihm, oder besser gesagt, die Einwohnung Gottes, die immer schon vorhanden ist, wird schließlich wahrgenommen. An diesem Scheideweg geht Bonaventura weiter auf dem Weg Augustins, er verläßt Aristoteles, indem er dessen Denkweise umdreht: Die Teleologie des Aristoteles wird unter dem Einfluß Augustins zur Ekstatik. Aristoteles kennt den Menschen und alle Dinge nur in der Form von Spur und Bild, von Wirk- und Zielursache. Gott ist sicher der Ursprung aller Dinge, indem er ihre Wirkursache ist. Er ist nach Aristoteles vor allem ihre Zielursache. Doch wie das im 13. Jahrhundert auch bei Thomas von Aquin der Fall ist (vgl. die ›Quinque viae‹), schrumpfen die vier Ursachen des Aristoteles mehr oder weniger zu der einen Wirkursache zusammen. Das geschieht auch hier bei Bonaventura, der im Gegenzug die Finalursache zur umgekehrten Wirkursache macht: »Bei der Tätigkeit, die von Gott in der Weise des Bildes ausgeht, wirkt Gott mit in der Weise der bewegenden Ursache (V, 24a: cooperatur Deus per modum rationis moventis).« Gott und Mensch wirken zusammen, indem Gott den Menschen zum Ziel hin ergreift und dieser sich ergreifen läßt, nicht nebeneinander, sondern wie zwei Pfeile, die aus entgegengesetzter Richtung auf den Punkt des Handelns gerichtet sind. Alle Menschen kennen zwar Gott, denn sie haben ihren Grund nicht in sich selbst, sie lassen sich jedoch nur ungenügend von Gott ergreifen. Die Dinge haben letztlich vollständig den Charakter des Gegebenseins, und zwar nicht nur in einem fernen zeitlichen Ursprung oder Ziel, vielmehr mitten in der Zeit, jetzt, in jedem Augenblick! Das ist die Erkenntnis des eingegossenen Geschenkes (donum infusum), das in der Welt (in statu viae) kaum beachtet wird. Es ist der Erkenntnismodus für den Himmel oder für das vormalige Paradies oder für ausgewählte Gottesmenschen, die durch Offenbarung den irdischen Zustand überschritten haben, wie das bei denen der Fall ist, »die ergriffen und entrückt wurden (V, 24a: sicut in his qui rapiuntur)«. Hier ist vor allem an Franziskus zu denken, der bei Bonaventura immer in der Gestalt des Hinweggerafften erscheint. In ihm wird deutlich, was allzeit möglich ist und allzu selten geschieht: Die Erkenntnis des Ergriffenseins aller geschaffenen Dinge, die mehr in Gott als in sich selbst ihr Sein haben. Um Aristoteles abzuschütteln und ganz an die Seite von Augustinus zu gelangen, untersucht Bonaventura jetzt den Satz (V,21b): »Intelligimus, quando volumus.« Er schreibt ihn Aristoteles zu, der im zweiten Buch De Anima tatsächlich sagt (417b; eigene Übersetzung): »Darum ist das Denken in der Verfügung des Menschen, wann er will, das Wahrnehmen dagegen nicht.« Das Wort ist wohl nicht schwer zu verstehen. Das Denken gehört zum Kopf, den wir stets bei uns tragen; dessen Fähigkeiten können wir einsetzen, wann wir wollen. Dagegen können wir nicht immer die Sonne wahrnehmen, zum Beispiel wenn sie in der Nacht vom Erdball verdeckt ist. Entsprechend gibt es viele Ereignisse in Natur und Geschichte, die nicht in un-
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serer Hand liegen, da wir nur das Gegenwärtige wahrnehmen. Alles andere erfahren wir später oder nie. Bonaventura verschärft zunächst die Situation, indem er den Philosophen verkürzt wiedergibt. Er bezieht das immer bereite Können auf Denken und Wahrnehmen zugleich und nennt es Erkennen (›intelligere«). Aristoteles hatte nur eine beschränkte Autonomie im Sinn gehabt, Bonaventura unterstellt ihm aber eine Gesamtautonomie, die er in der Diskussion zurückweist, indem er die gleiche Unterscheidung wie Aristoteles trifft, wobei jedoch etwas Neues geschieht. Es gibt einen zweifachen Beistand (›adminiculum‹) in der Erkenntnis, sagt er, der eine ist immer gegenwärtig, der andere abwesend. »Das Argument gilt nur für den ersten Beistand, nicht für den zweiten, was auch klar ist: Wenn das körperliche Licht im Auge anwesend wäre, wie das geistige Licht immer im Geist anwesend ist, dann würden wir sehen, wann wir wollen, wie wir erkennen, wann wir wollen.« Damit scheint Bonaventura den Gedanken des Aristoteles wieder aufzugreifen: was von der Sonne beleuchtet werden muß, können wir nicht immer erkennen, da das Licht manchmal fehlt; die geistigen Fähigkeiten sind von solchem Wechsel nicht betroffen. Was hat Bonaventura gewonnen? Nur eines, das ist die Hilfe, der Beistand, das adminiculum! Das gilt für beide Fähigkeiten. In dem Fall des geistigen Lichtes ist es schon gegeben, und im anderen Falle muß es erst gegeben werden. Hier scheint sich ein modernes Denken anzubahnen. Bonaventura wird sich gefragt haben: Warum so objekthaft wie Aristoteles? Auch im geistigen Bereich stehen uns nicht immer alle Fähigkeiten zur Verfügung, ich bin nicht immer Herr im eigenen Hause. Und außen können wir schon einmal nachhelfen, wenn die Sonne untergangen ist. Wir bauen einfach ein Flugzeug, wie das mein Ordensbruder Roger Bacon († 1292/94) vorgeschlagen hat, und fliegen hinter den Horizont. Dann können wir die Sonne erkennen, wann wir wollen, ›quando volumus‹. Deshalb ist es nötig, das Objektdenken abzulösen und transzendental zu werden, ›in re‹ und ›in mente‹. Eben das tut Bonaventura in der Quaestio sieben, wobei er seine Ernte einfährt. Die Frage lautet, ob die Seele Christi alles begreift, was auch die ungeschaffene Weisheit begreift (V, 37a): »Utrum anima Christi comprehendat omnia, quae comprehendit sapientia increata.« Für die Entscheidung ruft er das Similia-SimilibusPrinzip auf, nach dem Gleiches nur von Gleichem erkannt wird: »Der Begreifende muß nach Akt, Habitus und Vermögen entweder dem Begriffenen selbst gleich sein oder es übertreffen« (V, 34b): »vel aequetur ipsi comprehenso, vel excedat.« Damit kann die endliche Seele Christi die Unendlichkeit des Logos nicht wirklich erken V, 25b: »Ratio illa non concludit de primo adminiculo, sed de secundo, sicut patet: Si lux corporalis semper esset praesens in oculo, sicut lux spiritualis est semper praesens in mente; videremus, quando vellemus, sicut intelligimus, quando volumus.«
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nen, wenn Erkennen ein Ergreifen meint. Dennoch will Gott der Seele Christi nichts vorenthalten, schließlich hat er Christus alles übergeben. Hier durchdringt ein theologischer Inhalt das philosophische Denken und gibt einen Wink zur Lösung. Ergreifen ist nicht möglich, doch Ergriffensein ist möglich, und ist das nicht auch ein Erkennen? Beim Apostel Paulus stehen Dutzende dieser Umkehrformeln: »da ihr Gott erkannt habt, vielmehr von Gott erkannt worden seid« (Gal 4, 9). Entsprechend lautet die Lösung der Quaestio sieben bei Bonaventura: Die Seele Christi begreift im Logos nicht eigentlich das Unendliche (V, 39b: »non comprehendit«). Doch insofern der Logos das Tatsachen wirkende Urbild ist, gelangt sie im Begreifen dahin (»fertur in illud comprehendendo«); insofern er das ausdrückende Urbild ist, gelangt sie nicht im Begreifen, sondern in der Ekstase dahin (»fertur non comprehendendo, sed excedendo«). Damit ist klargestellt, wie Erkenntnis vor sich geht, wenn der Exemplarismus die angemessene Ontologie ist. Es gibt echte Erkenntnis im endlichen Bereich als Ergreifen, weil der erkennende Mensch so endlich ist wie der erkannte Gegenstand. Anders ist es mit der Wirklichkeit, die zur Zeit noch aussteht oder für immer aussteht. Das ist das Urbild, das sich noch nicht ausgedrückt hat. Über den Exemplarismus vollendet sich die Augustinische Illuminationslehre in der ekstatischen Erkenntnislehre: Im Begriffsmodus ergreift der Erkennende das Erkannte, im ekstatischen Modus ergreift das Erkannte den Erkennenden (V, 40ab): »Quia in comprehensivo cognoscens capit cognitum, in excessivo vero cognitum capit cognoscentem«. Die Natur könnte man diejenige Wirklichkeit nennen, die der Mensch ergreifen kann; davon zu unterscheiden ist diejenige Wirklichkeit, die er nicht ergreifen kann. Die Neuzeit hatte diesen Bereich zwar für leer gehalten und Gott und Natur oft gleichgesetzt, doch eine angemessene Rede scheint das nicht gewesen zu sein. Gott kann man diejenige Wirklichkeit nennen, durch die der Mensch ergriffen wird.
2. ›Itinerarium‹ (1259)
Nach einem Wort von Johannes Gerson († 1429) ist das Itinerarium völlig vom Geiste Gottes durchweht und steht höher als jedes andere Buch der Literatur. Wenigstens für die Mystik trifft das Urteil bis heute zu. Das Itinerarium mentis ad Deum – Der Weg des Geistes zu Gott verbeugt sich vor der stupenden Heiligkeit des hl. Franziskus und beschreibt seine Entrückung auf dem Berg Alverna als vorbildlichen Wie dieser Ansatz zur Lösung des Darwin-Problems nutzbar gemacht werden kann, vgl. Dieter Hattrup: Darwins Zufall oder Wie Gott die Welt erschuf. Der Text ist wieder der Quaracchi-Ausgabe entnommen: V, 295 – 316. Johannes Gerson: Ioannis Carlerii de Gerson De mystica theologia, 220: »Bonaventura, in suo Itinerario, totum miro et compediosissimo artificio complexus est, […].«
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Weg zu Gott. Das Werk von 1259 bietet keine äußerliche Beschreibung; wer Legenden vom großen Fasten im Herbst 1224 sucht und von der ersten Stigmatisation im Abendland, wird etwas in den Fioretti finden. Bonaventura beschreibt den inneren, den geistigen, den mystischen Weg zu Gott, indem er das Denken gebraucht und zugleich hinter sich läßt. Wie das bei einem Weg stets der Fall ist: man beschreitet ihn und läßt ihn zurück. Bonaventura zielt auf einen großen Zweck, er will den speziellen Weg des Franziskus zum allgemeinen machen, indem er die Gegensätze des Lebens versöhnt: Gott und Welt, Weisheit und Wissen, Ekstase und Genauigkeit. Es ist die letzte Schrift, welche die Einheit der Welt in Gott sucht, bevor Thomas von Aquin der Philosophie eine relative Autonomie zuspricht, welche die Theologie in der Neuzeit zu einer Funktion des Bewußtseins macht, ohne ihr noch ein Wissen vom Sein zuzutrauen. Im Itinerarium wird der Exemplarismus, den Bonaventura aus Augustinus abgeleitet hat, auf die Spitze getrieben. Schon die Anlage zeigt die unbedingte Gegenwart des Lehrers aus Hippo an, ohne die Unterschiede zu verdecken. Die Stufen des dreifachen Seins bestimmen die Gliederung: Spur, Bild und Ewigkeit (V, 297a: vestigium, imago, aeternum). Auf dieses dreifache Sein sind wir in dreifacher Weise bezogen. Die Spuren der Dinge finden wir außer uns, das Bild der Dinge finden wir in uns, die Ewigkeit steht über uns (V, 297a: ›extra nos‹, ›intra nos‹, ›supra nos‹). Das ist eng angelehnt an Augustinus, der allerdings durchgehend am Ternar ›foris‹, ›intus‹, ›intimum‹ orientiert ist. Zudem geht Bonaventura recht frei mit diesem Ternar um, indem er ihn im Itinerarium verdoppelt, um die zweifache Bewegung des Begreifens und Ergreifens besser darstellen zu können. Jede der drei oben genannten Seinsbereiche wird verdoppelt, wenn man Gott als Alpha und Omega betrachtet, oder wenn man in jeder der obigen Kategorien Gott entweder wie durch einen Spiegel oder in einem Spiegel anschaut. Auch die Bewertung scheint ein wenig verschieden zu sein. Das geflügelte Wort lautet bei Augustinus: ›Wende dich nicht nach außen, geh in dich selbst, im inneren Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du dein schwankendes Sein gefunden hast, dann steige auch über dich selbst hinaus‹ (vera rel. 39): »Noli foras ire, in te ipsum redi, in interiore homine habitat veritas; et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum.« Dieses Wort urteilt zwar nicht ganz so abwertend über die Welt wie ursprünglich bei Plotin, ist jedoch bei Augustinus immer noch negativ geprägt. Davon ist beim Exemplarismus Bonaventuras nichts mehr zu spüren, dem es allein um die metaphysische Frage geht: Wie kommt sichere Erkenntnis zustande? Wie erkenne ich in allen Dingen Gott? Wie wir sehen, ist Bonaventura Vgl. Norbert Fischer: Augustins Weg der Gottessuche (›foris, intus, intimum‹). V, 297b: »Quoniam autem quilibet praedictorum modorum geminatur, secundum quod contingit considerare Deum ut alpha et omega, seu in quantum contingit videre Deum in unoquoque praedictorum modorum ut per speculum et ut in speculo.«
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dem Lehrer der Gnade in jedem Augenblick verpflichtet, behält aber die Freiheit der Neudeutung. Auch in den Einzelheiten steht Augustinus immer wieder Pate. Zum Beispiel wird die psychologische Trinitätslehre als Baustein in den Gesamtbau aufgenommen (Itin V, 305b) : »Diese drei, also der zeugende Geist, der Logos und die Liebe finden sich in der Seele wieder als Gedächtnis, Einsicht und Wille. Sie sind in gegenseitiger Durchdringung von gleichem Wesen, gleicher Art und gleicher Ewigkeit.«Aus De musica wird im Itinerarium zitiert (6,13), wenn es um die Schönheit geht, die nichts anderes sei als ›zahlenmäßige Übereinstimmung‹ oder ein ›Gleichmaß der Teile nebst ansprechenden Farben‹. Und immer wieder spielt die Illuminationslehre hinein, etwa wenn die Sicherheit eines Urteils mit der Berührung durch die unvergängliche Welt begründet wird, »ut dicit Augustinus« (V, 302a): »Keiner urteilt über sie, sondern durch sie.« Die psychologische Trinitätslehre erweitert Bonaventura zu einer ontologischen und erkenntnistheoretischen Trinität, wenn er die Wissenschaften einteilt (Itin III, 6): »Denn jede philosophische Lehre ist entweder Naturphilosophie, Erkenntnistheorie oder Morallehre. Die erste handelt von der Ursache des Seins, führt also zur Macht des Vaters; die zweite handelt vom Begriff der Erkenntnis, führt also zur Weisheit des Logos; die dritte handelt von der Lebensführung, führt also zum Gutsein des Heiligen Geistes.«Dieser Gedanke kommt aus dem Gottesstaat (civ. 8, 4). Die Formel vom ›Vater der Lichter – pater luminum‹ ist die beliebteste Anrufung Gottes bei Bonaventura. Die Stelle aus dem Jakobusbrief führt er nicht weniger als 48mal in seinen Werken an. Es ist das Schlüsselwort für die von Augustinus inspirierte Illuminationslehre, der das Wort allerdings kaum verwendet. Wir haben den Exemplarismus das verwandelte Augustinische Erbe genannt. Das entscheidende Argument lautet: Wenn die Erkenntnis echt und gelungen ist, kann sie nicht allein mit Hilfe der Dinge und des Verstandes zustande gekommen sein, denn diese sind veränderlich oder fehleranfällig. Folglich kann der Mensch nicht erkennen, wann und wie und zu welchem Zweck er will, er muß bei aller aufgewandten Mühe auch abwarten, bis sich das Licht von selbst einstellt. Das kann in verschiedenen Formen geschehen. In Konkurrenz zur Illuminationslehre steht die Lehre vom tätigen Verstand, vom ›intellectus agens‹, die dem Verstand alle Tätigkeit zutraut, ohne abwarten zu müssen. Daran ist sicher viel Wahres, aber nach Augustinus und Bonaventura kann es nicht die letzte Wahrheit über das Sein und die Erkenntnis sein. Die Plausibilitäten ändern sich durch die Epochen, neue Lichter oder Illuminationen gehen auf, die nicht dem Plan des erkennenden Menschen entsprungen sind.
Wörtlich lib. arb. II, 14: »Nullus de illa iudicat, nullus sine illa iudicat bene.« Vgl. Jacques Bougerol: Introduction à l’étude de saint Bonaventure, 230.
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3. ›Hexaëmeron‹ (1273)
Zwischen Ostern und Pfingsten 1273 hielt Bonaventura in der Franziskanerkirche von Paris vor etwa 160 Mitbrüdern dreiundzwanzig lange Vorträge. Wichtige Themen hatte er schon häufiger in der Fasten- oder Osterzeit angesprochen. Das Thema in diesem Jahr ist das Hexaëmeron, äußerlich das Sechstagewerk der Erschaffung der Welt, inhaltlich geht es um das nie zur Ruhe kommende Verhältnis von Glaube und Wissen. In erregtem Ton legt Bonaventura seinen neuen Augustinismus dar, den er zum Exemplarismus weiter entwickelt hatte. Gibt er ihm noch eine Chance? Sein Optimismus vor 20 Jahren ist verflogen, als er geglaubt hatte, er könne den Aristotelismus und die empirischen Wissenschaften durch die Ekstatik mit dem Glauben verbinden, und hat einem düsteren Pessimismus Platz gemacht. Überall in der Kirche wittert er den Geist der Anmaßung und der Neugierde, besonders bei den Intellektuellen (Hex I; V, 330b: ›spiritus praesumtionis et curiositatis‹), wie er gleich zu Anfang ausruft. Sogar bei den Franziskanern erhebt dieser Ungeist sein Haupt. Das Hexaëmeron ist geprägt vom Denken des hl. Augustinus, der den Anfang gemacht, und vom Leben des hl. Franziskus, der die Vollendung gebracht hat. Mit Beigaben von Joachim von Fiore sehen wir Wissenschaft und Mystik im Endkampf. Sorgen bereiten dem General nicht die Scholastiker und Averroisten, welche die Saat einer selbstgewissen Philosophie ausgesät haben, die sind draußen an den neuen Universitäten. Sorgen machen ihm die eigenen Franziskaner, unter denen es artistische Philosophen wohl nicht gibt. Wen es aber gibt, umgeben von einem großen Freundeskreis, das ist der Engländer Roger Bacon, der vor einigen Jahren zum Orden gestoßen ist und viel Verwirrung gestiftet hat. Deshalb hat ihn Bonaventura, nach Antritt seines Amtes 1257, sofort von Oxford nach Paris beordert, um ihn besser unter Kontrolle zu haben. Während Bonaventura in der Kirche vor dem Konvent gegen die herkunftslose Natur wettert, der man ihren Schöpfungscharakter nicht mehr ansieht, sitzt im Keller Roger, dem Bonaventura jede Tätigkeit in der Öffentlichkeit untersagt hat. Vielleicht mußte er auch an den Vorträgen teilnehmen, um sich belehren zu lassen über Leute, die mit falschen Ideen bei den Franziskanern eingetreten sind (Hex XIV, V, 413b): »Multi enim venerunt hospites scientiae, scilicet ad domum nostram et ad nostram industriam.« Bonaventura hatte Roger (vergeblich) verboten, ohne Erlaubnis der Oberen Schriften zu veröffentlichen. Doch Roger hatte in Kardinal Guido le Gros einen Förderer gefunden, der für die neuen Wissenschaften begeistert war, für die auch Roger schwärmte. Sein Gönner wurde im Jahre 1265 als Clemens IV. sogar zum Papst gewählt. Als dieser ihn zum Schreiben aufforderte, verfaßte Roger im Auch dieser Text ist wieder der Quaracchi-Ausgabe entnommen: V, 329 – 449. Zu beachten ist im Prinzip auch der Delorme-Text, was hier nicht geschehen kann.
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Jahr 1266, unter Mißachtung des Verbots, in rascher Folge drei Schriften, das Opus maius, das Opus minus und das Opus tertium, die eine umfassende Studienreform anzielten, zuerst für die Franziskaner, dann vielleicht für alle Universitäten. Der Erfolg Rogers war allerdings kurzlebig, Clemens IV. starb schon 1268. Bonaventura war nicht so begeistert, er war sogar entsetzt über das, was er da zu lesen und zu hören bekam. »Im Hexaëmeron ergibt sich schließlich eine letzte Zuspitzung des Antiphilosophismus zum prophetischen Antischolastizismus.« Es kommt hinzu ein ebenso entschlossener Antiszientismus für die Minderbrüder: »Die Lebensform des heiligen Franz wird einmal die allgemeine Lebensform der Kirche sein – der simplex et idiota wird triumphieren über alle die großen Gelehrten und die Kirche der Endzeit wird Geist von seinem Geiste atmen.« Dazu mußte in den Augen des Generalministers nicht zuerst die Welt, die Kirche oder die Universität reformiert werden, zuerst sollten die Franziskaner sich wandeln. Der hl. Augustinus hatte nach seiner Bekehrung sekundenweise die Gegenwart Gottes gespürt – im Gespräch mit der Mutter zu Ostia im Sommer 387 für den vollen Schlag eines Herzens (conf. 9,24: ›attigimus eam modice toto ictu cordis‹). Daraus war ihm Friede geworden. Franziskus jedoch ist der vollendete Augustinus, denn der Mann aus Assisi lebte beständig in der Gegenwart Gottes, in ihm wohnte der Friede allezeit (Itin 1; V, 295a): »Es war, als ob Franziskus schon ein Einwohner jenes Jerusalem ist, von dem der Freund des Friedens, der sogar mit denen in Frieden lebte, die den Frieden haßten, sagte: Erbittet für Jerusalem Frieden.« Das war bei Augustinus bekanntlich nicht der Fall, der in jedem Jahr seines Lebens in einen neuen Streit gezogen wurde: durch den hl. Hieronymus, durch den Manichäer Faustus, durch den Briten Pelagius, durch die afrikanischen Donatisten, durch die Mönche von Hadrumet. Der Friede des Poverello war dagegen unvergänglich, unvergleichlich, er war vollständig: Ganz erdnah und ganz gottnah, was ja den einzigartigen Reiz von Franziskus ausmachte, den alle spürten. Diese Gegenwart suchte Bonaventura im Denken festzuhalten. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebensweise des seraphischen Heiligen über die Illuminationslehre Augustins in die Ekstatik zu übersetzen. Was jedoch sieht er im Orden? Eine beträchtliche Gruppe um Roger will plötzlich nur noch Wissenschaften treiben, was doch zu Franziskus gar nicht paßt. Sollte alles umsonst gewesen sein? Das Ideal ist mitten im Orden gefährdet, mitten in der Ordensleitung in Paris, wo plötzlich Leute wie Roger Bacon anfangen, mehr die Mechanik und Optik zu empfehlen, als die Liebe zum Gekreuzigten. Gilson hatte das Hexaëmeron eine Schlacht um den eigenständigen Augustinus genannt, um die neue Synthese, die nicht parallel an Aristoteles anschließt wie Thomas von Aquin, sondern das Begreifen umkehrt. Wie wichtig für Bonaventura
Joseph Ratzinger: Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura, 160 f.
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der verbesserte Augustinismus ist, kann ein Vergleich mit der kleinen Schrift De Reductione Artium ad Theologiam zeigen (V, 319 – 325). Sie galt im ganzen 20. Jahrhundert als bonaventuranisch, da die Editoren von Quaracchi 1891 so entschieden hatten (V, XXXIVa): »Certum est, hoc opusculum auctorem habere S. Bonaventuram.« Nur über die Abfassungszeit konnten sich die Interpreten im ganzen 20. Jahrhundert nicht einig werden. Ein Drittel legte sie in die frühe, ein Drittel in die mittlere, ein Drittel in die späte Schaffensperiode. Allerdings hatte der französische Historiker Remy Oudin (1638 – 1717) das Werkchen schon vor langer Zeit für unecht gehalten – aus stilistischen Gründen, wie er meinte, wovon die Leute aus Quaracchi nichts wissen wollten. Literarische Nähe oder Ferne sagt nicht alles, doch läßt sie den Leser aufhorchen. Ein wenig Knistern gab es im ganzen 20. Jahrhundert. Auf eine Spezialität möchte ich hinweisen. »Es ließe sich nun die Frage aufwerfen, ob nicht vielleicht auch persönlicher Verkehr und Gedankenaustausch des hl. Bonaventura mit seinem Zeitgenossen und Ordensgenossen Roger Bacon von einigem Einfluß gewesen sein mochte, da ganz ähnliche Gedanken über das Verhältnis von Glauben und Wissen, von Philosophie und Theologie in Bacons Werken sich finden; und selbst Kapitelüberschriften, die ganz an die Reductio art. ad Theol. erinnern«. Erster Punkt: Ein Horaz-Zitat aus De Reductione findet sich bei Roger in der gleichen Form wieder. »Nützen wollen die Dichter, oder sie wollen erfreuen. / Und wiederum: Alles hat auf den Punkt gebracht, wer den Nutzen süß gemacht«; allein der zweite Versteil findet sich bei Bonaventura, gleich zweimal, doch ohne den ersten Teil. Nun bringt das Opus maius von Roger nicht nur den ersten Horaz-Vers, sondern beide zusammen wie De Reductione. Das könnte eine gewisse Verwandtschaft anzeigen, da zum einen der zweite Vers auch sehr wohl allein gebraucht werden konnte, zum anderen die beiden bei Horaz um zehn Zeilen getrennt sind (Nr. 333 und Nr. 343). Damit ist noch nichts bewiesen, doch die Bemerkung aus dem 17. Jahrhundert und der Horaz-Splitter machen aufmerksam. Dazu kommt das sensible Urteil eines Theologen, der meint, gerade bei Bacon liege eher eine Reduktion der Theologie auf die Wissenschaften vor als umgekehrt. Wenn das auch auf De Reductione zutrifft, dann ist das Opusculum ein Lügenwerk, weil es bei der GleichVgl. Dieter Hattrup: Wer ist der Autor von De Reductione? Bonaventura Trimolé: Deutung und Bedeutung der Schrift De reductione artium ad Theologiam des hl. Bonaventura, 99. RedArt 2; V, 319b: »Aut prodesse volunt, aut delectare poetae./Et iterum: Omne tulit punctum qui miscuit utile dulci.« Rogerus Bacon: The opus maius; I, 72: »Nam ut ille dicit: Aut prodesse volunt, aut delectare poetae. /Omne tulit punctum qui miscuit utile dulci.« Camille Bérubé: De la Philosophie a la Sagesse, chez Saint Bonaventure et Roger Bacon, 96: »Loin d’opérer véritablement la réduction des sciences à la théologie, n’opère-t-elle pas plutôt une réduction de la théologie aux sciences?«
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setzung von A und B nicht an der Theologie A interessiert ist, vielmehr an seine Stelle die Wissenschaften B setzt. Der Triumphgesang am Ende muß Bonaventura wie Hohn in den Ohren geklungen haben: »Dies ist die Frucht aller Wissenschaften, weil durch sie alle der Glaube gestärkt wird« (RedArt 26; V 325b): »Et hic est fructus omnium scientiarum, ut in omnibus aedificetur fides.« Zweiter Punkt. Steht der hl. Augustinus unter Hugo von St. Viktor? So sieht es nach dem Werkchen aus, wenn es sich daran macht, die Lehrer, Prediger und Kontemplativen zu vergleichen (RedArt 5; V, 321b): »Das erste lehrt vor allem Augustinus, das zweite vor allem Gregor, und das dritte dann Dionysius. […] Bei Hugo von St. Viktor aber ist dies alles zu finden« (»Hugo vero omnia haec«). Die Spitzenstellung entspricht gewiß dem Einfluß, den Hugo mit seinem Werk Eruditio didascalica auf De Reductione genommen hat, denn es schöpft wesentlich aus Hugo, da zum Beispiel die Einteilung der mechanischen Künste von ihm übernommen wird (RedArt 2: »quas assignat Hugo in Didascalico«). Doch steht er über Augustinus? Und Franziskus wird nicht einmal erwähnt? Ein solches Lob auf Hugo findet einen Anhalt weder in den frühen noch in den späten Werken von Bonaventura. Vor 1273 stimmt er Hugo mal zu, mal widerspricht er. Doch im Hexaëmeron setzt er sich streng von ihm ab (Hex XIII, 18; V, 390b): »Die Anagogie handelt von den Dingen oben, die Allegorie von denen, die geschaffen sind, die Tropologie von denen, die geschehen sollen. Nach Hugo ist die Anagogie auch ein Teil der Allegorie und gehört zu dem, was zu glauben ist« (»Anagogia etiam est pars allegoriae secundum Hugonem, quae est de credendis«). Bonaventura selbst stellt die beiden geistlichen Schriftsinne hier strikt getrennt vor, noch mehr als im Itinerarium. Jetzt hält er eine volle Klärung für angebracht. Die Anagogie handelt nur von Dingen, die oben sind, von der Trinität, den Exemplarursachen, den Engeln und der vollendeten Kirche (Hex XIII, 19; V, 390b): »aeterna Dei trinitas, exemplaris sapientia, angelica sublimitas, Ecclesia triumphans.« Mit der Trennung von Allegorie und Anagogie im Hexaëmeron wird genau dem widersprochen, was nach De Reductione die Allegorie leisten soll: Danach nämlich soll sie die Gottheit und Menschheit Christi zeigen, also die ewige Zeugung und zeitliche Geburt in einem (RedArt 5: »quid sit credendum de Divinitate et humanitate«). Eine solche Lehre ist für das Werkchen entscheidend, weil in jedem Tripel ihrer fünf Reduktionen die Allegorie die erste Stelle einnimmt (RedArt 8, 12, 16, 20, 23). Bonaventura weist diese Einteilung heftig zurück. Die oberen Dinge (›superna‹) gehören seiner Meinung nach zur Tugend der Hoffnung, nicht zur Tugend des Glaubens. Wenn die Anagogie wie bei Hugo ein Teil der Allegorie wäre, dann ist es möglich zu tun, was das Opusculum wirklich tut. Wenn jedoch die Anagogie nicht zur Allegorie gehört, dann sind die Strukturvergleiche von De Reductione ungültig, weil dann über die Schriftsinne keine Brücke zwischen geschaffener Welt (quae facta sunt) und dem, was oben ist (superna), führt.
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Dritter Schritt: Das Hexaëmeron denkt über Verborgenheit und Offenheit anders als De Reductione. Wenn schon die hl. Schrift die Wahrheit des Glaubens klar offenbart, fragt Bonaventura, warum soll man sie dann noch im Verborgenen suchen? Er sagt (Hex XVII, 25; V, 413b): »Es ist besser, die Wahrheit zu haben als das Bild. Wenn ich dein Gesicht sehe und dich bitten würde, mir einen klaren Spiegel zu bringen, damit ich dort dein Gesicht sehen könnte, wäre diese Bitte dumm. Eben das gilt von den hl. Schriften und den Bildern der anderen Wissenschaften« (»Sic est de Scripturis sanctis et figuris aliarum scientiarum«). Zwei Beobachtungen über den letzten Abschnitt von De Reductione 26 (V, 325b): Zum einen widerspricht das Hexaëmeron der Auffassung von De Reductione. Andere Wissenschaften als Theologie zu betreiben, um in ihnen die Wahrheit der hl. Schrift gespiegelt zu sehen, ist nicht erlaubt, da die Wahrheit schon klar in der Schrift enthalten ist. Das hält De Reductione nicht davon ab, zur Suche nach der Wahrheit aufzufordern, die sich in allem Wissen und aller Natur verberge (26: »occultatur in omni cognitione et in omni natura«). Zum anderen scheint Bonaventura Anlaß gehabt zu haben, den Symbolismus zu bekämpfen, der mit den Wissenschaften betrieben wird (XVII, 25: »figuris aliarum scientiarum«). Daher der ironische Ton in der Bitte nach dem Spiegel. Da De Reductione die Übereinstimmung der verborgenen Wahrheit in den Wissenschaften mit der offenen Wahrheit in der Theologie zum Ziele hatte, ist es nicht gut möglich, den gleichen Autor für die eine und die gegenteilige Meinung anzunehmen. Vierter Schritt: Es scheint, und das soll meine Hypothese vollenden, als ob sich eine Stellungnahme von Bonaventura selbst findet, vor allem zum Emanationsteil (RedArt 1 – 7) und zum Schlußabschnitt (RedArt 26), wo es um Vollständigkeit (›sufficientia‹) und alle Wissenschaften (›omnes scientiae‹) geht. Eine Entgegnung scheint dazu in Hexaëmeron IV und V vorzuliegen, das die gleichen Worte wie De Reductione gebraucht (Hex IV, 1; V, 349a): »Und hier könnten alle Schwierigkeiten der Philosophie erklärt werden. Die Philosophen gaben neun Wissenschaften und versprachen, die zehnte zu geben, nämlich die Kontemplation. Aber viele Philosophen haben sich in große Irrtümer verstrickt, während sie sich vom Dunkel des Irrtums abscheiden wollten« (»Sed multi philosophi, dum se voluerunt dividere a tenebris erroris, magnis erroribus se immiscuerunt.«). Die Ähnlichkeit haben auch die Editoren von Quaracchi bemerkt, wenn sie bei den neun Wissenschaften in Hexaëmeron IV an De Reductione 4 denken. Allerdings gehen sie nicht auf den polemischen Ton Bonaventuras ein, sie vergleichen nur ganz neutral die eine mit der anderen Neunzahl. Der Akzent wird von Bonaven V, 349a: »Novem scientiae philosophorum, quae resultant ex subdivisione trium principalium (rationalis, naturalis et moralis) in collat. 5. planius exhibentur; cfr. etiam opusc. de Reductione artium ad theologiam, n. 4.«
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tura jedoch auf die zehnte Wissenschaft gelenkt, auf die Kontemplation, die von den Philosophen versprochen wurde. Das ist das Ziel von De Reductione, das den verborgenen geistlichen Sinn aller Wissenschaften offenlegen will, der sein besonderes Ziel in der Anagogie hat (7: »maxime quantum ad intellectum anagogiae«). Dieser ist den Kontemplativen vorbehalten (5: »tertium studium contemplativorum«). Nicht die Wissenschaften selbst werden von Bonaventura abgelehnt, sondern was De Reductione von ihnen erhofft, nämlich ein geistlicher Weg zur Kontemplation zu sein. Man kann das nicht anders als eine direkte Ablehnung des Programms deuten. Vermutlich, nein gewiß, hat Bonaventura die neun Wissenschaften gekannt, die zur Kontemplation führen sollten. Vergleicht man damit die Einteilung der neun Wissenschaften im Hexaëmeron, so sieht er in jeder von ihnen ein böses Luxurieren am Werk (V, 21: »in his omnibus luxuriata est ratio«), angefangen von der Metaphysik, über die Mathematik, die Naturwissenschaften, die Grammatik, Logik, Rhetorik bis zur Moral, die in der Form der einträglichen Rechtswissenschaft um so mehr Verderben gebracht hat, als die Moral selbst wegen der Mühsal niemals in Blüte stand. Wie hl. Schrift und Wissenschaft nach Bonaventura wirklich zueinander stehen, bietet Hexaëmeron XIX. Dieser Vortrag enthält die Studienordnung des Generalministers für die Franziskaner und ist geprägt vom Lehrstreit um 1270. Wir gelangen hier zum Höhepunkt der Polemik, reichlich finden wir Reflexe auf De Reductione: Die Wissenschaft ist der leichte Weg zum Ruin (4: »per scientiam enim est tentatio facilis ad ruinam«). Diesen Weg geht, wer über die Erforschung der Natur (4: ›super viam naturae‹) zur Weisheit gelangen will. Da die mystische Vereinigung mit Hilfe der Wissenschaften das Ziel von De Reductione war, bietet das Kapitel XIX zu solcher Einheit einen bissigen Kommentar. Wenn die Wissenschaft einem Menschen schön erscheint, dann will er das Wissenswerte und Fühlbare (3: ›scibilia et sensibilia‹) erkennen, ja, er will mit ihnen geeint sein (3: »et vult ea cognoscere et cognita experiri et per consequens eis uniri«). Diese Einheit ist nicht zu erreichen, und die vielförmige Weisheit, die nach De Reductione, 26 die Frucht der Wissenschaften sein soll, kommt nicht zustande. Vielmehr lastet das Schicksal Salomos auf solchen Versuchen. Der König von Israel wollte alles wissen und wurde darüber zum eitlen Toren (3: »et ideo factus est vanus«). Es gibt keinen Königsweg von der Wissenschaft zur Weisheit (3: »non est ergo securus transitus a scientia ad sapientiam«). Dorthin gelangt man nur durch Heiligkeit und Tugend. Überhaupt ist die Reihenfolge von Schriftlektüre und Wissenschaft umzukehren. Nach dem Opusculum beginnt man mit dem Studium der Wissenschaften und gelangt am Ende zur Weisheit als Frucht der Wissenschaften (RedArt 26): »ipsa assumit exempla et utitur vocabulis pertinentibus ad omne genus cognitionis«. Völlig falsch, sagt Bonaventura, vielmehr muß man mit der Quelle beginnen, das ist die hl. Schrift, dann folgen die Kirchenväter, dann die Summen der Magister,
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schließlich die Bücher der Philosophen (15): »Es gibt eine Ordnung, nach der sich der Mensch zuerst in der hl. Schrift um Buchstaben und Geist bemüht, dann in den Originalschriften (der Heiligen), und diese unterwerfe er der hl. Schrift; ebenso in den Schriften der Lehrer und in den Schriften der Philosophen, doch flüchtig wie ein Dieb, als ob man dort nicht Halt machen dürfe« (»quasi ibi non sit permanendum«). Die größte Gefahr stellen die Philosophen mit ihrer Wissenschaft dar (XIX, 12: ›maximum periculum‹). Ein Studium und ein längerer Aufenthalt in ihrem Bereich kommt nicht in Frage, nur eben flüchtig darf man dort vorbeieilen, wie die Israeliten das Gold der Ägypter geraubt haben. Eine Rückkehr ist strikt ausgeschlossen (12: »non amplius revertendum est in Aegyptum«). Überblickt man die beiden Studienordnungen, so gibt es fünf große Unterschiede: 1. Die ›scientiae‹ nach Hex sind gefährlich; 2. Das ›uniri‹ durch die Wissenschaften ist verfehlt; 3. Die Schrift gehört an den Anfang des Studiums; 4. Nur flüchtige Beschäftigung mit der Philosophie erlaubt; 5. der Literalsinn ist wichtig;
nach RedArt tragen sie geistliche Früchte. die Wissenschaften vollbringen die ›unio Dei et animae‹. sie gehört an das Ende. ausführliches Erforschen der Philosophie. der Literalsinn wird durch die Wissenschaften aufgesaugt.
Durch De Reductione mußte Bonaventura seinen ekstatischen Augustinismus stark gefährdet sehen. Das Stehen der Dinge in Gott hatte Augustinus für einen Augenblick erlebt und daraus seine Illuminationslehre abgeleitet. Nach Franziskus stehen alle Dinge allezeit in Gott, denn Gott ist eher erkennbar als alles andere Sein. Das ist die Botschaft des Mannes aus Assisi, dem der Philosoph aus Stagira ganz ohne Absicht zum besseren Durchbruch verhelfen sollte. Man muß Aristoteles nur umkehren, denkt Bonaventura, dann haben die Dinge ihr Sein mehr in Gott als in sich selbst. So hat es Gott in geheimer Verfügung für das 13. Jahrhundert bestimmt. Und nun kommt der Engländer Roger Bacon daher und will das geheime Werk Gottes zerstören? Nie und nimmer, ruft Bonaventura im Hexaëmeron aus. Man kann sich zum Abschluß fragen, wie denn der Generalminister Bonaventura von dem Schriftchen De Reductione überhaupt erfahren hat? Hier ein einfaches Szenarium. Bei seinen vielen Reisen durch Europa kam Bonaventura alle Jahre auch einmal in Paris vorbei. Da könnte sich doch Bacon oder einer aus seinem Freundeskreis gedacht haben: Ich will unserem Oberen doch einmal zeigen, wie sehr sein Denken zu unserem Denken paßt. Ich lasse das Werk auch gleich mit seinem Lieblingszitat über den Vater aller Lichter beginnen (aus Jak 1, 17). Nun lag das Schriftchen im Frühjahr 1273 auf dem Tisch Bonaventuras, er wettert dagegen im Hexa-
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ëmeron, und Ende Mai muß er mitten in der Vortragsreihe plötzlich abbrechen, denn der Papst hatte ihn zum Kardinal gemacht und mit den Vorbereitungen für das Konzil von Lyon im nächsten Jahr beauftragt. Dort stirbt Bonaventura unerwartet im Juli 1274, und das Opusculum liegt immer noch auf seinem Tisch. Als dann die Pietät die verstreuten Schriften und Vorträge sichtete, wurden auch die paar Seiten von De Reductione, die äußerlich nach Bonaventura aussahen, im gleichen Sammelband untergebracht.
Augustinische Akzente in der Gotteslehre des Thomas von Aquin (1224/25 – 1274) von Thomas Fliethmann
Auf die Frage nach der Augustinus-Rezeption bei Thomas von Aquin lassen sich möglicherweise verschiedene, in jedem Fall aber sehr umfangreiche Antworten geben. Formal reicht schon ein Blick in die Indices der Thomas-Ausgaben aus, um die hervorragende Bedeutung Augustins für Thomas zu belegen. In inhaltlicher Perspektive könnten die Interpretationen der großen, zentralen Themen des christlichen Glaubens bei Thomas auf Spuren des Augustinischen Vorbildes abgesucht werden, und es kann kein Zweifel sein, daß da zahlreiche Funde gemacht würden. Die substantielle theologische Bedeutung Augustins etwa für die Trinitätslehre mit dem Ansatz beim Relationen-Begriff, für die Pneumatologie mit dem ausführlich ausgearbeiteten Bezug des Heiligen Geistes auf die Liebe, für die Gnadenlehre mit der Pelagianismus- und Semipelagianismusproblematik oder für das Thema des peccatum originale wird in den entsprechenden Dogmengeschichten hinreichend dargelegt und gewürdigt. Nun ist der Einfluß der Augustinischen Theologie bei Thomas insofern nicht verwunderlich, als Augustinus zumindest durch Textsammlungen und besonders durch die Sentenzen des Lombarden omnipräsent war. Damit ist aber noch nicht geklärt, wie Thomas im Einzelfall die Augustinischen Vorgaben aufgenommen, weitergeführt, oder auch, wie z. B. beim Erbsündenthema, still und nachdrücklich uminterpretiert hat. Bei aller Reverenz ist Thomas von der bedingungslosen Zustimmung zu Augustinus, wie sie etwa Bonaventura formuliert, weit entfernt.1 Ein Durchgang durch all diese Themen könnte im vorliegenden Zusammenhang lediglich kursorisch sein.2 Statt dessen soll in einem ersten Schritt von der wissenschaftstheoretischen Position des Thomas selbst her die Stellung geklärt werden, die Augustinus als Autorität in der Theologie zukommt.3 Im Anschluß daran werden exemplarisch einige Akzente der Augustinusrezeption bei Thomas anhand der Gotteslehre der Summa Theologiae aufgewiesen. Folgende Problemstellungen bilden daVgl. etwa einschlägige Stellen bei Bonaventura in Ulrich Köpf: Augustin Handbuch, 593. Entsprechend aufzählenden Charakter haben die Studien von Georg Freiherr von Hertling: Augustinus-Zitate bei Thomas von Aquin und Leon J. Elders: Les citations de Saint Augustin dans la Somme Theologique de Saint Thomas d’Aquin. Hertling findet die beachtliche Zahl von über 250 Zitaten, »obwohl alles spezifisch Theologische beiseite gelassen wurde« (ebd.), eine Beschränkung, die den Theologen immer wieder mit Erstaunen erfüllt. 3 Vgl. dazu Wilhelm Metz: Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin, 46 – 50. 1 2
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bei den Hintergrund, vor dem das Vorhaben Kontur gewinnt: Zum einen soll einer der roten Fäden sichtbar gemacht werden, der die gesamte Gotteslehre des Thomas zusammenhält, also sowohl den traditioneller-, aber durchaus diskussionswürdigerweise ›philosophische Gotteslehre‹ genannten Teil, in dem es um die Einheit und die sogenannten ›Attribute‹ Gottes geht, als auch den klassisch theologischen Teil, die Trinitätslehre. Das scheint nicht ganz überflüssig zu sein angesichts der Tatsache, daß man in der Literatur auch in jüngerer Zeit Abhandlungen zur philosophischen Gotteslehre des Thomas findet, etsi trinitas non daretur, aber eben auch ohne die Frage, ob man mit der Beschränkung der Perspektive die Gotteslehre des Aquinaten nicht ihrer Pointe beraubt.4 Zweitens ist dieser rote Faden ein maßgeblich aus neuplatonischen Maschen gewobener. Die jüngere Thomas-Forschung hat den Blick erneut auf die Einflüsse neuplatonischen Denkens (bes. Ps.-Dionysius) auf Thomas gelenkt.5 Die alte Opposition des Thomanischen Aristotelismus gegen einen Platonismus seiner Vorgänger ist in ihrer Ausschließlichkeit nicht aufrechtzuerhalten. Natürlich ist der neue Aristotelische Ansatz mehr als eine Akzentverschiebung, aber schon der Umstand, daß man in der Zeit des Thomas den Unterschied zwischen Platon und Aristoteles nicht in dem Maße zuspitzte, wie man das später tat, läßt erwarten, daß bei der Verarbeitung der Philosophie in der Thomanischen Theologie die Grenzen nicht so scharf gezogen werden. Und wenn Augustinus generell als Transporteur einer eher Platonischen Denkform angesehen wird, dann steht nicht zu erwarten, daß Thomas darin aus philosophischen Gründen unüberwindliche Schwierigkeiten sieht. Es spricht also viel dafür, daß Augustinus von Thomas zum Weben des neuplatonischen roten Fadens verstärkt herangezogen wird. Die Festigkeit des Fadens soll als Argument dienen, daß hier nicht etwa platonisierende Reste im Aristotelischen Konzept vergessen wurden, sondern daß Thomas sehr bewußt einen wichtigen Träger in sein System einzieht. Und drittens ist der vorliegende Versuch implizit auch eine Stellungnahme in einer innertheologischen Debatte. Es scheint in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll, die trinitarische Gotteslehre Augustinisch-Thomanischer Provenienz angesichts mitunter überzogener Ansprüche der sogenannten ›sozialen Trinitätslehre‹, die darin der tritheistischen Gefahr wohl nicht immer entkommt, nach einer Phase ihrer Diffamierung als Modalismus wieder stark zu machen. In Zeiten eines sich intensivierenden Dialogs der Religionen ist es nicht ganz unerheblich, die beiden Teile der christlichen Gotteslehre in ihrer engen Verzahnung zu sehen.
Vgl. etwa Leon J. Elders: The Philosophical Theology of St. Thomas Aquinas. Vgl. Fran O’Rourke: Pseudo-Dionysius and the Metaphysics of Aquinas; Wayne J. Hankey: God in Himself. 4 5
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1. Augustinus als Autorität in der ›sacra doctrina‹
Bekanntlich organisiert Thomas Theologie als sacra doctrina im Rahmen eines wissenschaftstheoretischen Subalternationsmodells nach Aristotelischem Vorbild. In diesem Rahmen kommen ihr weisheitliche und wissenschaftliche Momente zu. Für beides zieht Thomas Augustinus heran, der sich in De trinitate ausführlich mit der Unterscheidung von sapientia und scientia befaßt hat. Dementsprechend bestimmt Thomas den Wissenschaftscharakter der sacra doctrina mit einem Augustinus-Wort, wonach in Abgrenzung von der Weisheit zur Wissenschaft, die sich nach Augustinus immer mit den zeitlichen Dingen beschäftigt, nicht dieses oder jenes Wissen, sondern nur jene Dinge gehören, die dem Glauben förderlich sind.6 Für den sapientialen Charakter der sacra doctrina bringt Thomas einen allgemeinen Hinweis auf De trinitate (12,14), wonach Weisheit die Betrachtung der ewigen Dinge, also der göttlichen Sphäre ist. Bei Thomas bekommt diese Bestimmung freilich einen präziseren Charakter, insofern Weisheit für ihn nach Aristoteles (Mp I,2) das Vermögen der Prinzipien und Ursachen ist, in Thomanischer Diktion: »Sache des Weisen ist es, zu ordnen« (S.th. I,1,6 obiectio 1). Um die höchste Ursache von allem, nämlich Gott, geht es aber in der mit Augustinus als Weisheit bestimmten sacra doctrina. Denn in der Thomanischen Unterscheidung der Aristotelischen Metaphysik von der sacra doctrina ist die Metaphysik gerade dadurch gekennzeichnet, daß in ihr Gott als Ursache ihres eigentlichen Objekts, des ens commune, gleichsam nur am Rande auftaucht, aber nicht dieses eigentliche Objekt ist.7 Die sacra doctrina dagegen hat als ihre eigentliche Aufgabe die Behandlung Gottes als der höchsten Ursache, und zwar nicht, insofern sie durch die Geschöpfe erkannt wird, sondern so, wie sie nur sich selbst bekannt ist und sich anderen durch Offenbarung mitteilt (S.th. I,1,6). Freilich kann es zu einer Schau dieser Ursache bei Thomas nicht kommen. Somit positioniert Thomas hier mit Augustinischer Unterstützung die sacra doctrina in Bezug auf die Aristotelische Metaphysik. Umgekehrt verändern sich bei der Übersetzung der Augustinischen Unterscheidung von Weisheit und Wissenschaft in einen Aristotelischen Bezugsrahmen die Begriffe, ohne daß damit das Augustinische Anliegen aufgehoben wäre. Als subalternierte Wissenschaft, deren Prinzipien in der höheren scientia Dei et beatorum aufbewahrt, aber nicht durch Schau zugänglich sind, ist die sacra doctrina einerseits auf die Autorität der Schrift für die Offenbarung ihrer Prinzipien angewiesen. Da hier die göttliche Autorität selbst ins Spiel kommt, sind die Zeugnisse 6 Vgl. S.th. I,1,2sc (das Zitat aus trin. 14,3): »Sed contra est quod Augustinus dicit, xiv de Trinitate: Huic scientiae attribuitur illud tantummodo quo fides saluberrima gignitur, nutritur, defenditur, roboratur. Hoc autem ad nullam scientiam pertinet nisi ad sacram doctrinam. Ergo sacra doctrina est scientia.« 7 Vgl. dazu Ludger Honnefelder: Der zweite Anfang der Metaphysik, 173 – 175.
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der Offenbarung unbezweifelbar. Am anderen Ende der Skala jener Momente, aus denen die sacra doctrina sich konstituiert, steht die menschliche Vernunft, die freilich den Glauben nicht beweisen kann, sondern höchstens Glaubenslehren »näher erläutert« (manifestare). Für die Vernunft steht nun die Autorität der Philosophen ein, wo es diesen gelungen ist, die Wahrheit zu erkennen. Allerdings ist dies eine »fremde, äußerliche« Autorität, die es nicht weiter als bis zu Wahrscheinlichkeitsargumenten bringen kann.8 Gleichsam dazwischen stehen die doctores ecclesiae, die Kirchenväter. Deren Lehren gehören zwar auch zum Eigenen der sacra doctrina, aber auch sie können höchstens zu Wahrscheinlichkeiten führen, sind also den kanonischen Schriften nachgeordnet. Deren Vorrang sichert Thomas mit einem Zitat aus Augustins Brief an Hieronymus, den Übersetzer der Bibel, ab, wonach auch er, Augustinus, einzig die kanonischen Schriften für irrtumslos hält. »Die anderen Schriftsteller lese ich so, daß ich nicht ohne weiteres als wahr annehme, was sie geschrieben haben, sosehr sie sich auch durch Heiligkeit und Wissenschaft auszeichnen mögen.«9 Sinnigerweise ist durch diese mit Augustinus belegte Relativierung der doctores ecclesiae auch die Verwendung der Augustinischen Autorität durch Thomas selbst betroffen. Allerdings zeigt sich in der Durchführung eine spezifische Unterscheidung zur Relativierung der Autorität der Philosophen. Offenkundig ist Aristoteles für Thomas der Philosoph, der besonders viel von der Wahrheit erkannt hat; er ist seine philosophische Hauptautorität. Nicht zuletzt steht er auch Pate für das Wissenschaftsmodell, innerhalb dessen seine Rolle gerade festgelegt wird. In seiner Kritik anderer Philosophen ist Thomas jedoch offen und explizit. Auch zur zeitgenössischen Diskussionslage nimmt er Stellung, wenn er immer wieder ›quidam‹ aufs Korn nimmt. Das ist nicht verwunderlich, weil er sich hier auf dem Feld der natürlichen Vernunft bewegt, auf dem allein das bessere Argument zählt. Hier ist es möglich, entschieden Stellung zu beziehen. Anders scheint es bei den doctores ecclesiae zu sein. Zum einen fällt auf, daß auch Augustinus hier keine so exklusive Sonderstellung einnimmt wie Aristoteles; Thomas zitiert eine Fülle von Kirchenvätern, auch wenn Augustinus herausragt und von daher zurecht als eine Hauptautorität des Thomas bezeichnet werden kann.10 Jedoch 8 Melchior Cano wird später in seinem System der loci theologici diese Unterscheidung von eigenen und fremden loci übernehmen; vgl. dazu Peter Hünermann: Dogmatische Prinzipienlehre, 162 – 166. 207 – 251, der seinerseits Cano aufnimmt und dessen Ansatz kreativ fortschreibt. 9 Vgl. S.th. I,1,8 ad2 (das Zitat aus ep. 82,3 ad Hieronymum): »Unde dicit Augustinus, in epistola ad Hieronymum: Solis eis Scripturarum libris qui canonici appellantur, didici hunc honorem deferre, ut nullum auctorem eorum in scribendo errasse aliquid firmissime credam. Alios autem ita lego, ut, quantalibet sanctitate doctrinaque praepolleant, non ideo verum putem, quod ipsi ita senserunt vel scripserunt.« 10 So Wilhelm Metz: Die Architektonik der Summa Theologiae, 51.
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ist die Kritik hier, wie bereits angedeutet, viel behutsamer. Da werden Korrekturen in der Lehre stillschweigend vorgenommen, da wird die Schuld an Irrtümern den Platonikern zugeschrieben,11 die zu viel Einfluß auf Augustinus gehabt hätten, oder es werden Formulierungen mit Nachsicht und in einem weiten Sinne ausgelegt, um sie akzeptabel zu machen.12 Es zeigt sich hier ein Unterschied, den Thomas offenbar deswegen macht, weil Augustinus als doctor ecclesiae eine der sacra doctrina eigene Autorität darstellt und nicht eine fremde, wie der Philosoph: In den Lehren der Kirchenväter liegt eine erste Auslegung der Offenbarung vor. Von daher kommt ihnen zwar nicht jene Irrtumslosigkeit der Offenbarungszeugnisse selbst zu, wohl aber eine besondere Dignität, die sie als von der Kirche akzeptierte Gestalt des Glaubensverständnisses (ratio fidei) haben. Sieht Thomas auch die Notwendigkeit, diese Form des Glaubensverständnisses zu seiner Zeit auf den gegenwärtigen Stand einer scientia subalternata nach Aristotelischem Vorbild zu bringen, so bieten die Väter doch eine Auslegung, die eine gewisse Normativität, wenn auch nicht Exklusivität, beanspruchen darf. In der ersten Quaestio seiner Summa Theologiae entwirft Thomas somit ein wissenschaftstheoretisches Gesamtkonzept, sichert es durch die vorgegebene Tradition ab und weist dieser Tradition zugleich ihren bestimmten Ort darin an.13
2. Augustinus in der Gotteslehre der ›Summa Theologiae‹
Nach dieser formalen Verortung der Augustinischen Autorität werden im folgenden anhand der Gotteslehre der Summa Theologiae einige materiale Aspekte der Augustinus-Rezeption bei Thomas angesprochen. Die Konzentration auf die Summa Theologiae als Spätwerk, das, soweit man sieht, ohne den Zwang äußerer Zwecke verfaßt wurde, verspricht am ehesten, Konstruktionsprinzipien von Theologie offenzulegen. Dazu ist es jedoch nötig, den Text eher flächig zu interpretieren. Prämisse der Interpretation ist, daß sich die Thomanische Gotteslehre der Summa Theologiae in drei Stufen entfaltet. Auf der ersten Stufe fragt Thomas danach, wie
11 S.th. I,77,5 ad3: »In multis autem quae ad philosophiam pertinent, Augustinus utitur opinionibus Platonis, non asserendo, sed recitando.«; ähnlich auch S.th. I,51,1 ad1; S.th. I,84,5: »[…] et ideo Augustinus, qui doctrinis Platonicorum imbutus fuerat, si qua invenit fidei accommoda in eorum dictis, assumpsit; quae vero invenit fidei nostrae adversa, in melius commutavit«; Zitate bei Ulrich Köpf: Augustin an den Universitäten des 13. Jahrhunderts, 598. 12 Vgl. S.th. I,39,5 obi.1 ad1; hier geht es freilich um die schwierige Frage von Aussagen über das Verhältnis von göttlichem Wesen und den göttlichen Personen. 13 Die weiteren Augustinus-Zitate der ersten Quaestio stehen alle im 10. Artikel, der sich mit den verschiedenen Schriftsinnen, also der Auslegung der Heiligen Schrift befaßt. Hier ist die theologische Autorität gefragt.
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Gott ist bzw. wie er nicht ist. Diese Thematik hat man dann später klassisch die ›Attributenlehre‹ genannt ungeachtet der Tatsache, daß Gott als solcher keine Eigenschaften haben kann. Die zweite Stufe umfaßt die Tätigkeiten Gottes, die dritte die Trinitätslehre. Diese Stufung kann gelesen werden als Entwicklung einer zunehmenden inneren Komplexität, und noch die an die Trinitätslehre anschließende Schöpfungslehre, die nach Thomanischem Verständnis explizit mit zur Gotteslehre gehört und eigentlich als vierte Stufe bezeichnet werden müßte,14 behandelt in der Thomanischen Durchführung einen weiteren Grad der Entäußerung Gottes, insofern Gott das Andere seiner selbst frei setzt. Hier geht es jedoch um die ersten drei Stufen.
2.1 Gott als Ursache des endlichen Guten
Gleich in der ersten Stufe der Gotteslehre ist Augustinus vielfach präsent, besonders jedoch in den Quaestionen 5 und 6, die sich mit der bonitas Dei befassen. Im Aufbau der ›Attributenlehre‹ kommt dem bonum eine besondere Bedeutung zu, insofern nach dem rein negativen Vorgehen vorher, das zum Begriff des esse ipsum subsistens geführt hat, mit dem bonum erstmals eine Hinwendung Gottes als Ursache zur Schöpfung auftaucht, die dann durch die jeweils komplementären Begriffspaare ›Unendlichkeit – Allgegenwart‹ und ›Unveränderlichkeit – Ewigkeit‹ abgegrenzt wird. Dieser Gedanke des bonum als Ursache enthält starke neuplatonische Einflüsse. Gleich zweimal rekurriert Thomas auf eine Stelle aus De doctrina christiana: »Weil er nämlich gut ist, sind wir; und in dem Maße, in welchem wir sind, sind wir gut.«15 Das erste Mal wird der zweite Teil des Satzes gleich im ersten sed contra zitiert, wo es um die transzendentale Identität von bonum und esse geht. Thomas erklärt hier, daß zwar eine Identität besteht, daß aber bonum den Charakter des Erstrebenswerten eines jeden Seins aussagt, der ihm durch seine Vollkommenheit zukommt, die wiederum auf seinem in actu-Sein beruht. Im Rahmen dieser Quaestio entfaltet Thomas die innere Polarität eines jeden Seienden, das einerseits gut ist allein durch sein Sein, das andererseits aber auch erst gut wird, indem es seine spezifische Vollkommenheit erwirbt, die ihm von außen zukommt, womit eine Relationalität des Seienden untereinander aufgespannt ist. Durch das Augustinus-Zitat ist nun freilich schon die Herkunft dieser Relationalität angezeigt, da ja Gott als 14 S.th. I,2,1 Prooemium: »Consideratio autem de Deo tripartita erit. Primo namque considerabimus ea quae ad essentiam divinam pertinent; secundo, ea quae pertinent ad distinctionem personarum; tertio, ea quae pertinent ad processum creaturarum ab ipso.« In meiner Interpretation unterteile ich die Lehre vom Wesen Gottes nochmals in die ›Attributenlehre‹ und in die Lehre von seinen Tätigkeiten. 15 Vgl. doctr. chr. 1,35: »Quia enim bonum est, sumus, et in quantum sumus, boni sumus.«
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Ursache der bonitas des Seins genannt ist. Die Relationalität ist also nicht nur eine der Seienden untereinander, sondern eine des geschaffenen Seins auf Gott hin. Die Ursachebeziehung Gottes zum Menschen wird an der zweiten Stelle, an der unser Zitat vorkommt, explizit. Da geht es darum, den Charakter des bonum als causa finalis auszuarbeiten. Das Zitat erscheint als Einwand, der für das bonum als causa efficiens zu sprechen scheint. Thomas weist in der Antwort auf den Einwand darauf hin, daß alle mit Willen begabten Wesen deshalb gut sind, weil sie einen guten Willen haben. Gegenstand des Willens aber ist das Ziel. Das heißt in diesem Zusammenhang: Gott schafft das Endliche, weil er es will; und das Geschaffene ist gut, weil er es will.16 In derselben Quaestio war das Problem des richtigen Verständnisses des »bonum diffusivum sui« behandelt worden. Mit seiner Augustinus-Auslegung gibt Thomas also nicht nur eine Antwort auf die Frage danach, ob das Gute als Wirk- oder als Finalursache wirkt, sondern er klärt auch, daß im Falle Gottes die Finalursache willentlich wirkt, und geht damit einen Schritt weiter in die Richtung, Gott als Ursache im Sinne des christlichen Schöpfergottes zu denken. Dies kommt noch einmal zum Ausdruck, wenn Thomas am Ende dieser ersten Stufe der Gotteslehre über die Namen Gottes nachdenkt. Bei der Frage nämlich, ob es Namen gibt, die Gott substantialiter bezeichnen, wird das Attribut ›gut‹ zwar lediglich als weiteres Beispiel neben ›weise‹ eingeführt, spielt in der Durchführung dann aber allein eine Rolle. Thomas weist Positionen zurück, nach denen die Namen Gottes lediglich negativ gemeint sind (»Gott ist nicht böse«) oder ausschließlich seine Ursächlichkeit meinen (»Gott ist die Ursache des Guten«). Beide Positionen können nämlich nicht die Bevorzugung einiger Namen vor anderen erklären (»Gott ist Körper« wird ja üblicherweise nicht gesagt). Der Ansatz bei der Ursächlichkeit würde das Attribut nur in übertragenem Sinne von Gott aussagen, wie ja auch die Medizin, Ursache der menschlichen Gesundheit, nur im übertragenen Sinne und wegen dieses Kausalverhältnisses ›gesund‹ genannt werde. Und drittens bemerkt Thomas lapidar, aber mit Gefühl für den religiösen Sprachgebrauch, daß man doch etwas anderes meine, wenn man von Gott die Güte oder die Weisheit aussage. Zur Darlegung seiner eigenen Position rekurriert Thomas auf die Schöpfungsrelation, jetzt aber nicht als Kausalverhältnis interpretiert, sondern im Sinne einer UrbildAbbild-Relation, so daß im Urbild – Gott – die bonitas in vollkommenerer Weise als im Abbild, der Schöpfung, angesetzt wird, und genau das ist durch die göttlichen Namen intendiert. Dies setzt aber den entscheidenden Unterschied: »Es folgt daraus also nicht, daß es Gott zukommt, gut zu sein, insofern er die Güte verursacht; son16 S.th. I,5,4 ad3: »Quilibet habens voluntatem, dicitur bonus inquantum habet bonam voluntatem, quia per voluntatem utimur omnibus quae in nobis sunt. Unde non dicitur bonus homo, qui habet bonum intellectum, sed qui habet bonam voluntatem. Voluntas autem respicit finem ut obiectum proprium, et sic, quod dicitur, quia deus est bonus, sumus, refertur ad causam finalem.«
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dern eher umgekehrt, weil er gut ist, teilt er den Dingen die Güte mit, nach dem Wort des Augustinus […] ›Insofern er gut ist, sind wir‹«.17 Wilhelm Breuning hat darauf hingewiesen, daß hier die Semantik der Urbild-Abbild-Relation noch einmal überstiegen wird, insofern Thomas mit dem Rückgriff auf das Augustinische Wort ja nicht so sehr die geschöpfliche Güte als Abklatsch und schwache Nachbildung der göttlichen Güte charakterisieren will, sondern die je eigene und darin wirkliche Güte des geschaffenen Seins auf die Güte Gottes zurückführt. Zeigte sich in den Attributen Gottes die Güte gleichsam als Wendepunkt, als Punkt der Hinwendung des esse ipsum subsistens zum Anderen seiner selbst, so ist dieses Moment mit der Aussage von der substantialen Güte Gottes hier unterstrichen.
2.2 Gott verursacht das Gute durch seinen Willen
Mit dem Überschritt zur zweiten Stufe der Gotteslehre trägt Thomas durch die beiden operationes Erkennen und Wollen eine erste innere Differenzierung in den Gottesbegriff ein. Bereits die Ausführungen zum göttlichen Erkennen und zur Wahrheit, thematisch geradezu unerschöpflich, enthalten zahlreiche Augustinusbelege. Den Anschluß an die Thematik des bonum jedoch bieten die Quaestionen über das göttliche Wollen. Unter dem Titel des göttlichen Wollens nimmt Thomas eine nähere Bestimmung der Art und Weise vor, wie der gute Gott Ursache von allem ist. Gleich der zweite Artikel fragt demgemäß, ob Gott Außergöttliches will; und das sed contra spezifiziert, worum es dabei geht: »Das ist der Wille Gottes: eure Heiligung.«18 Im corpus dieses Artikels bezieht er die Tendenz des Guten, sich mitzuteilen, auf den Willen Gottes, dem diese Tendenz in umso größerem Maße zukommen müsse. Hier liegt der Schwerpunkt der Frage darauf, ob Gott anderes als sich selbst wollen kann. Erst der vierte Artikel fragt dann jedoch explizit, ob es denn der Wille Gottes ist, der die Dinge verursacht, oder nicht doch seine Natur oder sein Wesen. Und hier begegnet nun wieder die schon bekannte Stelle aus De doctrina christiana: Im dritten Einwand soll sie belegen, daß Gott kraft seiner Natur und nicht durch seinen Willen Ursache von allem ist, da seine Güte ja eines seiner Wesensmerkmale ist. Denn, so lautet der Vergleich, auch das Feuer ist Ursache des Erwärmens, weil es selber warm ist. In Thomas’ Antwort auf die Frage, die natürlich zugunsten der willentlichen Ursächlichkeit 17 Vgl. S.th. I,13,2: »Unde ex hoc non sequitur quod deo competat esse bonum inquantum causat bonitatem: sed potius e converso, quia est bonus, bonitatem rebus diffundit, secundum illud Augustini, de Doct. Christ.: inquantum bonus est, sumus.« Vgl. zur Auslegung dieser Stelle im angegebenen Sinne Wilhelm Breuning: ›Insofern Gott gut ist, sind wir‹, 169 – 180. 18 Vgl. S.th. I,19,2sc: »Sed contra est quod Apostolus dicit, I Thess. iv: Haec est voluntas dei, sanctificatio vestra.«
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ausfällt, kann er einerseits darauf hinweisen, daß Erkennen und Wollen das Wesen Gottes sind (ad 2), die Frage insofern also eine gewisse Künstlichkeit hat. Auf den Einwand mit dem Augustinus-Zitat antwortet er nun aber mit einer Interpretation: Das Gute ist Gegenstand des Willens. Da wir sind, weil Gott gut ist, sind wir um der Güte Gottes willen. Es gibt also keinen externen Zweck dafür, daß Gott das will, was nicht er selbst ist, sondern er will es um seiner Güte, d.h. um seiner selbst willen. Dies paßt einerseits in Thomas’ Lehre vom Wollen, wonach jegliches Wollen ein Ziel haben muß, Gott aber kein Ziel außerhalb seiner selbst haben kann. Andererseits wird er dem Augustinus-Zitat damit gerecht, denn an der entsprechenden Stelle spricht Augustinus über die Eigenheiten des göttlichen uti und frui, da es in Gott doch keinerlei Bedürfnis gibt. Dies vertieft Thomas im unmittelbar folgenden Artikel. Wenn der Wille Ursache der Dinge ist, ist Schöpfung dann nicht willkürlich? »Wer wagt zu behaupten, Gott hätte alles ohne Grund geschaffen?« fragt Thomas mit Augustinus im ersten Einwand. Wenn jedoch nicht ohne Grund, muß man dann nicht zurückfragen nach einer Ursache des göttlichen Willens?19 Augustinus ist es auch, der im sed contra das Problem benennt, das die Angabe eines Grundes für den göttlichen Willen darstellen würde: Nichts ist größer als der Wille Gottes.20 Das Ziel göttlichen Handelns kann nur er selbst als seine eigene Güte sein. Dieses Ziel und die Mittel dazu, nämlich die Schöpfung, will er nun nicht in unterschiedlichen Akten nacheinander; und in diesem Sinne werden die Geschöpfe also nicht gewollt, weil Gott seine Güte will. Das Wollen der Mittel folgt im Falle Gottes nicht aus dem Wollen des Zwecks. Vielmehr will Gott in einem einzigen Akt Ziel und Mittel. Darin sind dann allerdings die Mittel hingeordnet auf das Ziel. Zu dieser Ordnung gehören auch Mittelursachen, so daß es nicht überflüssig ist, innerhalb der Schöpfung nach Ursachen zu suchen; die allen vorgeordnete Ursache jedoch ist der Wille Gottes, wie Thomas mit Augustinus unterstreicht.21 Somit umfaßt Gottes guter Wille die wechselseitige Ordnung der Dinge untereinander und insgesamt auf Gott hin. Diese Ordnung existiert, weil er sie will; er selbst ist dieser Ordnung aber nicht unterworfen und er wird von ihr nicht bestimmt.22 »Dicit enim Augustinus, libro Octoginta trium Quaest.: Quis audeat dicere Deum irrationabiliter omnia condidisse? Sed agenti voluntario, quod est ratio operandi, est etiam causa volendi. Ergo voluntas Dei habet aliquam causam.« (S.th. I,19,5 obi. 1; Zitat aus div. qu., q. 46; CCL 44a, 72). 20 Vgl. S.th. 19,5sc (Zitat aus div. qu., q. 28): »Sed contra est quod dicit Augustinus, in libro Octoginta trium Quaest.: Omnis causa efficiens maior est eo quod efficitur; nihil tamen maius est voluntate Dei; non ergo causa eius quaerenda est.« 21 S.th. I,19,5 ad2 (vgl. trin. 3,7): »Cum velit Deus effectus sic esse, ut ex causis certis proveniant, ad hoc quod servetur ordo in rebus; non est supervacuum, etiam cum voluntate Dei, alias causas quaerere. Esset tamen supervacuum, si aliae causae quaererentur ut primae, et non dependentes a divina voluntate.« 22 S.th. I,19,5: »Deus autem, sicut uno actu omnia in essentia sua intelligit, ita uno actu vult 19
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Unter den Aspekt der Ordnung kann man auch die weiteren Themen fassen, an denen Thomas auf dieser zweiten Stufe der Gotteslehre Augustinische Beteiligung zuläßt bzw. die Augustinische Meinung einholt. Es geht da um die Unfehlbarkeit des göttlichen Willens, die durch die scheinbare Nichterfüllung seines universalen Heilswillens beeinträchtigt scheint (S.th. I,19,6 ad1). Ein ähnliches theologisches Problem wirft die Frage auf, ob Gottes Wille den Dingen Notwendigkeit auferlegt (S.th. I,19,8 obi. 1, ad 1). Bei der Einordnung des Bösen unter den Willen Gottes ist Augustinus wiederum gefragt. Ganz in neuplatonischem Geist ist Augustinus bei der Frage nach der Liebe Gottes immer der Advokat einer in sich gestuften Liebe Gottes zu unterschiedlichen Dingen oder Personen (vgl. S.th. I,20,3sc; 20,4 obi. 3). Wenig überraschend wird Augustinus dann bei den Themen der Prädestination und besonders der Vorsehung massiv herangezogen. Anstatt jedoch diese Themen im einzelnen durchzugehen, soll der Faden verfolgt werden, der vom bonum über die voluntas Dei als der spezifischen personalen Ursächlichkeit dieses bonum weiterläuft in den dritten Teil der Gotteslehre der Summa, nämlich der Trinitätslehre.
2.3 Die Person des Heiligen Geistes als trinitarische Verankerung der Gabe des Guten
Die Häufung der Augustinus-Zitate in der Trinitätslehre macht es schwer, neben dem Einfluß auf bestimmte Sachthemen auch die strukturelle Einordnung der Augustinischen Gotteslehre an bedeutsamen Gelenkstellen nachzuweisen; zu umfassend ist über die reinen Zitate hinaus auch der gesamte Duktus der Trinitätslehre an die Augustinische Theologie angelehnt. Thomas eröffnet seine Trinitätslehre mit drei Quaestionen zu den Begriffen Hervorgang – Relation – Person. Zur Erläuterung der Hervorgänge wird Augustinus nicht herangezogen, obwohl Thomas die Hervorgänge von Sohn und Geist anhand der Vermögen von Erkennen und Wollen expliziert, was an den Augustinischen Ternar Sein-Erkennen-Wollen (esse-nossevelle) aus den Confessiones23 erinnert, der aber in De trinitate nicht mehr vorkommt.24 Mit den trinitätstheologischen Begriffen der Relation und der Person knüpft Thomas wieder explizit an Augustinus an und versucht, mit dem Begriff der relatio subsistens jenes Problem des Verhältnisses von relativ-personaler und absoomnia in sua bonitate. Unde, sicut in Deo intelligere causam non est causa intelligendi effectus, sed ipse intelligit effectus in causa; ita velle finem non est ei causa volendi ea quae sunt ad finem, sed tamen vult ea quae sunt ad finem, ordinari in finem. Vult ergo hoc esse propter hoc: sed non propter hoc vult.« 23 conf. 13,12. 24 Vgl. Franz Courth: Trinität, 201.
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lut-subsistenter Seinsweise Gottes auf den Punkt zu bringen und zu lösen, das Augustinus so viel Kopfzerbrechen bereitet hat.25 Die weitere Bearbeitung der Trinitätslehre und die Referenzen zu Augustinus kreisen auch bei Thomas maßgeblich um das Verhältnis von Dreipersönlichkeit und Einheit Gottes sowie der Gleichheit und Unterschiedenheit der Personen. Auf der Suche nach strukturellen Aufnahmen Augustinischer Tradition verdient ein Punkt besondere Beachtung. Es war darauf hingewiesen worden, daß Thomas die Hervorgänge der zweiten und dritten göttlichen Person mit dem Hinweis auf die Tätigkeiten des Erkennens und Wollens erläutert.26 Damit knüpft er an den zweiten Teil der Gotteslehre an. Dem Heiligen Geist kommt demnach in besonderer Weise das zu, was über das göttliche Wollen, und natürlich auch, was über die göttliche Liebe gesagt worden ist. Demgemäß wird im Zentrum der Thomanischen Trinitätslehre, wenn die drei göttlichen Personen einzeln betrachtet werden, gefragt, ob ›Liebe‹ ein nomen proprium des Geistes sei. Diese Verbindung ist traditionell und in der Patristik breit entfaltet. Auf einen ähnlich gut belegten, traditionellen Bestand greift Thomas zurück, wenn er eine eigene, weitere Quaestio der Frage widmet, ob donum, Gabe, ein nomen proprium des Geistes sei. Aber daß Thomas das an dieser Stelle so ausführlich tut, ist nun in der Tat bemerkenswert. Denn außer im Sentenzenkommentar,27 wo das Thema durch den zugrundeliegenden Text vor- und aufgegeben ist, macht Thomas dies sonst nie so ausführlich. Die Probleme, die er in dieser Quaestio behandelt, findet man bei Augustinus mehr oder minder auch wieder: die Gefahr, zwischen Geber (Gott) und Gabe (Geist) einen ontologischen Unterschied zu setzen; die Inferiorität des Geistes als Gabe sowohl gegenüber dem Geber als auch gegenüber dem Empfänger; die zeitliche Konnotation, die hier in das nomen proprium einer göttlichen Person eingetragen wird. Auch die Lösung dieses Problems hat eine Augustinische Wurzel, wenn darin auf die Möglichkeit zum Geben noch vor der heilsökonomischen Realisierung gesprochen wird. Insgesamt geht Thomas diese traditionellen Probleme mit Rückgriff auf die von ihm zuvor ausgearbeitete, diffizile Struktur von essentiellen und notionalen Begriffen an. Strukturell scheint aber bedeutsam zu sein, daß Thomas dem Thema überhaupt so viel Gewicht beimißt. Denn damit ist im innersten Kern der Trinitätslehre jener Bezug auf die Schöpfung eingetragen, den wir in den vorhergehenden Teilen der Gotteslehre am Begriff des bonum aufgezeigt hatten. 25 Vgl. dazu André Malet: Personne et Amour dans la Théologie trinitaire de saint Thomas d’Aquin; Hans Christian Schmidbaur: Personarum Trinitas. 26 Vgl. den Hinweis auf die Ausgangsbasis des Verständnisses bei den vornehmsten Geschöpfen in S.th. I,27,1: »Cum autem Deus sit super omnia, ea quae in deo dicuntur, non sunt intelligenda secundum modum infimarum creaturarum, quae sunt corpora; sed secundum similitudinem supremarum creaturarum, quae sunt intellectuales substantiae; a quibus etiam similitudo accepta deficit a repraesentatione divinorum.« 27 Vgl. 1Sent, dist. 18,1 – 2.
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Wie man diesen Eintrag im Vergleich zur Augustinischen Theologie beurteilen will, hängt natürlich von der Beurteilung der Augustinischen Pneumatologie selbst ab. Michael Schmaus zu seiner Zeit sah in diesem Schöpfungsbezug einen Fremdkörper in der streng immanent angelegten Augustinischen Trinitätslehre.28 Franz Courth dagegen preist ihre ausgesprochen weite heilsgeschichtliche Sicht.29 Wie immer man das beurteilen mag, bei Thomas ist die Aufnahme dieses Themas gerade in seiner heilsökonomischen Konnotation sicher weder Fremdkörper noch Zufall. Vielmehr verankert er mit der Aufnahme des Gabe-Themas die ihm vom christlichen Glauben zu denken aufgegebene freie, gnadenhafte Zuwendung Gottes zum Menschen im innersten Leben und Wesen Gottes selbst, und indem er dies hier, also in der sogenannten immanenten Trinitätslehre tut, blickt er gleichsam aus der Perspektive Gottes auf dieses Geschehen göttlicher Hinwendung zum Anderen seiner selbst: Gott schafft das Andere seiner selbst aus frei sich mitteilender Güte im Heiligen Geist. Und trotz dieser Perspektive wird Thomas seiner übergreifenden erkenntnistheoretischen Vorgabe, Gott als principium et finis omnium und damit lediglich vom Standpunkt des Geschöpfs in den Blick nehmen zu können, nicht untreu: Auch die sogenannte immanente Trinitätstheologie ist kein vorwitziger Blick in das Innenleben Gottes, sondern nur aufgrund des durch Offenbarung explizierten Schöpfungsverhältnisses möglich. Dieser Schöpfungsbezug schließt die Thomanische Trinitätslehre mit dem ebenfalls Augustinisch durchtränkten Thema der Sendungen ab. Es stellt ein Bindeglied dar, denn einerseits sind die Sendungen der Personen begründet in den innertrinitarischen Hervorgängen, zum anderen sind sie ja die besondere, gnadenhafte Anwesenheit Gottes in der Schöpfung. Daß dabei traditionell der Sendung des Geistes besonderes Augenmerk gewidmet wird, kann nicht überraschen. Denn die Aufnahme einer gesandten Person bedarf der Gnade, die selbst Gabe ist. Damit eröffnet sich ein Zirkel, wonach die Annahme der Gabe Gottes schon der Gabe einer gnadenhaften Vorbereitung bedarf. Diese Struktur verweist auf ein Liebesgeschehen, 28 Vgl. Michael Schmaus: Die psychologische Trinitätslehre des Heiligen Augustinus, 397 f.: »Man kann seine (Augustins; T. F.) Ausführungen nicht etwa in dem Sinne verstehen, daß der hl. Geist das gegenseitige Geschenk des Vaters und des Sohnes ist, daß er die Blüte ihrer Freigebigkeit ist. Er übernahm aus der Tradition die Bezeichnung Geschenk, ohne sie der ihr anhaftenden heilsökonomischen Bedeutung zu entkleiden. Die mit dem Begriff donum sich verbindende enge Beziehung zur Schöpfung bildet in der von dem Gedanken der strengsten Immanenz beherrschten Trinitätslehre Augustins ein heterogenes Element.« 29 Vgl. Franz Courth: Trinität, 208: »Gilt die Lehre von den die eine Wesenheit unterscheidenden Relationen als das eine Kennzeichen der augustinischen Trinitätsauffassung, so ist seine ausgesprochen weite heilsgeschichtliche Sicht das andere. Der in sich geschlossene innertrinitarische Lebensaustausch weitet sich aus in die Schöpfung, besonders sichtbar in die des Menschen, in die Erlösungsgeschichte, in die Heiligung des einzelnen Gläubigen und dann vor allem in das Verständnis von Kirche.«
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insofern es die Liebe ist, die Personen füreinander aufschließt und so fähig macht, einander zu begegnen. In gewisser Weise ist die Liebe so die Bedingung zu lieben. Dabei macht die Gewähr dieser Voraussetzung die Liebenden nicht unfrei, sondern im Gegenteil gerade frei. Aufgrund dieser Liebesstruktur ist es angemessen, die Einwohnung Gottes im Menschen vorrangig dem Heiligen Geist zuzuschreiben.
3. Augustinus – ein Lehrer des Thomas von Aquin?
Der These des vorliegenden Bandes, daß nämlich Augustinus ein Lehrer des Abendlandes sei, kann im Hinblick auf die christliche Gotteslehre und im speziellen die Theologie des Thomas von Aquin nur zugestimmt werden. Der aufgezeigte rote Faden, gewoben aus bonum, voluntas, amor, spiritus sanctus, bringt in der Thomanischen Theologie eine wesentliche Grundaussage christlicher Gotteslehre zum Tragen, nämlich die Botschaft von der freien, gnadenhaften Zuwendung Gottes zu seiner Schöpfung. Zur intellektuellen Ausarbeitung dieses Motivs stützt sich Thomas nicht nur auf Augustinus, aber es sollte deutlich geworden sein, daß es mit der Autorität des Augustinus immer wieder präsent gehalten wird. Am Beispiel der Aufnahme Augustinischer Motive in die Gotteslehre des Thomas von Aquin läßt sich daher ablesen, wie Rezeption auch im Rahmen eines durch Autoritäten bestimmten Denkens ein Sachthema nicht nur aufnimmt, sondern auch präzisiert, korrigiert und neu formt, und wie darin die Intentionen der akzeptieren Vorgänger unter gewandelten wissenschaftstheoretischen Vorgaben nicht nur aufgenommen, sondern auch weitergeführt werden.
Der Augustinismus des 13. Jahrhunderts als Herausforderung für die Augustinus-Rezeption des Johannes Duns Scotus (1265 – 1308) von Hannes Möhle
Wollte man das Verhältnis des Johannes Duns Scotus zum Heiligen Augustinus in einem einzigen Wort charakterisieren, so käme hierfür kaum ein anderes in Frage als ›differenziert‹. Dies ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil für Scotus die Frage nach dem authentischen Augustinus deutlich hinter die Frage nach dem Augustinismus des 13. Jahrhunderts zurücktritt, auch wenn die intentio Augustini für Scotus eine erhebliche Relevanz behält. Mit dem Begriff ›Augustinismus des 13. Jahrhunderts‹ ist in einem weiten Sinne die Adaptation Augustinischen Gedankenguts im Kontext der Aristoteles-Rezeption in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gemeint. Dieser Begriff ist also umfassender als der durch Etienne Gilson geprägte Ausdruck ›augustinisme avicennisant‹, der vor allem auf die Verbindung der Augustinischen Illuminationslehre mit der Aristotelischen Lehre vom intellectus agens zielt. Diese Verbindung der Peripatetischen mit der Augustinischen Lehre wird durch die von Avicenna geprägte Deutung forciert, wonach die menschliche Seele nur durch den Einfluß einer außerhalb ihrer anzunehmenden höheren Intelligenz zum Wissen gelangen kann. Identifiziert man den ursprünglich Aristotelisch gedachten intellectus agens über den durch Avicenna geprägten Zwischenschritt der höheren Intelligenz, der im Anschluß an Avicenna in einem umfassenden Sinne als dator formarum gedeutet wird, schließlich mit Gott selbst, so verbindet sich die Aristotelische Lehre mit der von Augustinus geprägten Illuminationstheorie. Dieses besondere Gepräge der Fruchtbarmachung des Augustinus ist Duns Scotus nicht unmittelbar in dieser avicennisierenden Fassung, sondern vor allem durch die Deutung in der Theologie und Philosophie seines permanenten Gesprächspartners Heinrich von Gent gegenwärtig. Wohl kein anderer Zeitgenosse hat für Scotus diese herausragende Bedeutung, wie sie Heinrich und damit seine Aneignung Au Vgl. Etienne Gilson: Pourquoi saint Thomas a critiqué saint Augustin, 5 – 127; ders.: Les sources gréco-arabes de l’augustinisme avicennisant, 5 – 149. Die lateinische Übersetzung des Avicenna verwendet an Stelle des Ausdruckes ›intellectus agens‹ den Begriff ›intelligentia agens‹. Vgl. Avicenna: Liber de philosophia prima sive scientia divina IX, 3, 475,9 – 13. Vgl. Averroes: Commentarium in libros Metaphysicorum VII, 10 com. 31: »Et ideo quia Avicenna obedit istis propositionibus, credidit omnes formas esse ab intelligentia agente, quam vocat datorem formarum.«
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gustins besitzt. Da es im Werk des Duns Scotus kein einhelliges Verhältnis zum Denken Augustins gibt, ist die folgende Darstellung, die auf die Deutung der Augustinischen Illuminationslehre fokussiert ist, zwar aufschlußreich, aber keineswegs erschöpfend. Deutlich andere Züge kämen zum Vorschein, würde man den Einfluß der Augustinischen Willenstheorie in der Scotischen Konzeption von Freiheit und Willentlichkeit zum Gegenstand machen.
1. Die Illuminationslehre
An zentraler Stelle seines Sentenzenkommentars erörtert Scotus die Frage, ob es für den Menschen in seiner gegenwärtigen Verfassung möglich ist, irgendeine sichere und reine Wahrheit allein mit den Mitteln der natürlichen Vernunft und unabhängig von einer besonderen Erleuchtung (illuminatio bzw. illustratio) zu erkennen. Die Grundlage für die Scotische Antwort auf diese Frage ist die kritische Auseinandersetzung mit der Lehre des Heinrich von Gent. Heinrich selbst entwickelt wesentliche Gesichtspunkte seiner Erkenntnistheorie eingangs seiner Summa quaestionum ordinariarum, also noch vor Weihnachten 1276. Heinrich entwirft seine Lösung der Probleme in einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Lehre des Heiligen Augustinus. In welchem Maße Augustinus für ihn tatsächlich der wichtigste Gesprächspartner ist, macht allein die quantitative Verteilung der von der kritischen Edition nachgewiesenen Quellen-Einträge deutlich: Von den 112 Einträgen im Quellenapparat entfallen 61 auf Augustinus gefolgt von 26 expliziten oder anonymen Erwähnungen des Aristoteles. Altes und Neues Testament zusammen kommen immerhin noch auf 6 Einträge, die restlichen 19 verteilen sich auf elf weitere Quellen. Was ist der entscheidende Gedanke, der Heinrichs Aufmerksamkeit bindet und dessen Deutung ihn im Kontext seiner eigenen Erkenntnislehre so sehr in Anspruch nimmt? Zunächst rezipiert Heinrich von Augustinus einen gewissen skeptischen Vorbehalt gegenüber der Möglichkeit, im Ausgang von den Sinnendingen zu einer Erkenntnis der reinen oder lauteren Wahrheit zu gelangen. In einem gegenüber der kritischen Edition leicht veränderten Wortlaut zitiert Heinrich aus der neunten Frage der Sammlung De diversis quaestionibus octoginta tribus: »Von den sinnlich wahrnehmbaren Körpern ist keine reine Wahrheit zu erstreben.« Was ist aber diese
Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4, 123 – 172. Zu Heinrichs Lehre von der Illumination vgl. Martin Pickavé: Heinrich von Gent über Metaphysik als erste Wissenschaft, 57 – 79. Vgl. Augustinus: div. qu. 9. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 43,294 – 296: »Unde hanc causam incertitudinis scien
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reine Wahrheit bzw., wie es bei Augustinus selbst heißt, die Reinheit der Wahrheit? Und aus welchem Grunde ist der Mensch zu ihrer Erkenntnis nicht befähigt? Heinrich beantwortet die zweifache Frage wiederum mit Referenz auf Augustinus, wobei er ihn durch Bezugnahme auf Anselm von Canterbury und auf Platon deutet. »Die Wahrheit einer Sache kann nämlich nur aufgrund der Erkenntnis der Gleichgeformtheit der erkannten Sache ihrem Urbild gegenüber erkannt werden, weil, wie Augustinus in De vera religione sagt,« so fährt Heinrich fort, »Wahres nur insofern wahr ist, als es dem einen Ursprünglichen ähnlich ist.« Diese Auffassung Augustins entspricht nach Heinrich der Deutung Anselms, wenn dieser die Wahrheit als conformitas gegenüber einem wahrhaft wahren Urbild (verissimum exemplar) versteht. Diese Rede vom Urbild verbindet Heinrich mit der Platonischen Lehre vom doppelten exemplar, nämlich vom gemachten oder geschaffenen exemplar (factum atque elaboratum) einerseits und dem ewigen und unveränderlichen (perpetuum atque immutabile) andererseits. Heinrich diskutiert zunächst, in welchem Maße es dem Menschen möglich ist, die Wahrheit einer Sache in Bezug auf ein Urbild im ersten Sinne, also in Bezug auf ein exemplar factum bzw. ein exemplar creatum zu erkennen. Die Rede von der Wahrheit hinsichtlich der Erkenntnis eines solchen exemplar scheidet aus, wenn das Urbild nur als äußerer Erkenntnisgegenstand gedeutet wird, in dem Sinne, wie das gemalte Bild eines Menschen auf einer Wand etwas zur Erkenntnis des Menschen beitragen soll. Wird ein solches Urbild nur im Sinne eines Erkenntnisgegenstandes erfaßt, handelt es sich noch nicht um wirkliche Erkenntnis von Wahrheit. Wahrheitserkenntnis im engeren Sinne liegt erst dann vor, wenn sich diese auf das Erkenntnismittel, die ratio cognoscendi, bezieht, durch die etwas gewußt wird. Eine sinnliche Repräsentation im Sinnesvermögen oder ein Erkenntnisbild im Verstand sind solche rationes cognoscendi. Die entscheidende Frage lautet jetzt, ob eine solche Erkenntnis mit rein natürlichen Mitteln möglich ist. Heinrichs Antwort tiae rerum naturalium ex sensibilibus acceptam Augustinus, pertractans 83 Quaestionum q.e 9a, dicit quod ›a sensibilibus corporis non est expetenda sincera veritas‹.« Zum folgenden vgl. Christoph Kann: Wahrheit und Wahrheitserkenntnis bei Heinrich von Gent, 157 – 175; Steven P. Marrone: Truth and Scientific Knowledge in the Thought of Henry of Ghent, 13 – 40. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 39,225 – 40,229: »Et est dicendum quod, cum, ut dictum est iam, veritas rei non potest cognosci nisi ex cognitione conformitatis rei cognitae ad suum exemplar, quia, secundum quod dicit Augustinus De vera religione: ›vera in tantum vera sunt in quantum principalis unius similia sunt‹.« Vgl. Augustinus: vera rel. 66. 11 Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 40,229 – 231. Vgl. auch Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 39,209 – 211. Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 40,232 – 234. Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 40,240 – 41,246. Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 41,246 – 259. Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 41,244 – 246.
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lautet: aliquo modo, in einer bestimmten Hinsicht, nämlich so wie Aristoteles ein dem Menschen mögliches Wissen der natürlichen und damit veränderlichen Dinge konzipiert. Gemeint ist ein Wissen, das im Aufstieg von der Sinneserkenntnis anhebt und zusammen mit einer wiederholten Erfahrung zu einer verallgemeinerten Erkenntnis führt, die dann ars oder scientia genannt werden kann. Ein solches Wissen, wenn es allgemein ist, reicht z. B. hin, um verschiedene Arten von Lebewesen zu erkennen, so daß wir von einer Sache, die uns begegnet, wissen, ob es sich um ein Lebewesen handelt oder nicht. Ist dieses Wissen spezieller Natur, so erkennen wir hierdurch, ob es sich bei der uns begegnenden Sache z. B. um einen Esel handelt oder nicht. Zu fragen ist weiter, inwiefern es sich bei dieser Art von Wissen um ein solches handelt, das nur in eingeschränkter Weise eine Erkenntnis der Wahrheit einer Sache liefert, wie Heinrich eingangs betonte (bene potest aliquo modo veritas ipsius rei cognosci)? Die Frage gilt dem ›aliquo modo‹, mit dem Heinrich einen Vorbehalt zunächst nur angedeutet hat. Wenn der Mensch sich ein Wissen über eine Sache angeeignet hat und dieses Wissen sich nicht nur unmittelbar auf den gegenwärtigen Gegenstand richtet, sondern sogar einen Bezug zu einem Urbild herstellt, das als ratio cognoscendi, d.h. als Erkenntnismittel fungiert, so verfügen wir durch dieses Urbild doch noch keineswegs über eine Wahrheitserkenntnis im engeren Sinne. Denn es ist aus Sicht Heinrichs vollkommen unmöglich, daß uns ein solches Urbild – wir reden nach wie vor von einem exemplar creatum – tatsächlich eine gänzlich sichere und täuschungsresistente Erkenntnis der Wahrheit (certa omnino et infallibilis notitia veritatis) gewährt. Hierfür nennt Heinrich drei Gründe. Der erste betrifft das Urbild selbst. Ein solches Urbild, das durch Abstraktion von einem sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand gewonnen wird, behält die Veränderlichkeit des Gegenstandes, von dem es abstrahiert wurde, bei. Es ist also selbst veränderlich. Hier greift der bereits genannte Augustinische Vorbehalt gegen das Aristotelische Wissensmodell. Im Ausgang von den Sinnendingen ist es aus Sicht Augustins grundsätzlich nicht möglich, zu einer sincera veritas vorzudringen. Der Ursprung des als ratio cognoscendi, als Erkenntnismittel, fungierenden Urbildes im Veränderlichen läßt es für Heinrich, der in dieser Frage mehr Augustinus als Aristoteles folgt, nicht zu, ein sicheres Wissen zu begründen. Der zweite Grund liegt in der menschlichen Seele selbst, die als solche veränderlich und anfällig für Irrtümer ist. Es ist für Heinrich ausgeschlossen, daß das Seelenvermögen des Menschen durch das von den natürlichen Dingen her stammende
Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 41,260 – 42,271. Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 42,278 – 43,281. Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 43,282 – 284. Vgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 43,288 – 299.
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Urbild in einen dauerhaft irrtumsfreien Zustand versetzt werden kann, da der Ursprung in der extramentalen Natur in einer entsprechenden natürlichen Hierarchie dem Seelenvermögen nachgeordnet ist. Diese Nach- oder Unterordnung des Urbildes hat für Heinrich die Unmöglichkeit einer Korrektur und Stabilisierung des Seelenvermögens zur Folge. Das Niedere kann nicht das Höhere korrigieren. Das dritte Argument schließlich setzt wiederum beim Begriff des Urbildes an. Erkenntnis mittels der Bezugnahme auf ein Urbild kann demnach nicht als sicher gelten, weil jedes exemplar, das durch Abstraktion ursprünglich im Ausgang von Sinnesbildern gewonnen wurde, durch deren Ähnlichkeit mit dem Falschen geprägt ist. So wie uns Traum- oder Wahnbilder Dinge als wahr erscheinen lassen, die es nicht sind, so haftet jedem durch Abstraktion gewonnenen Urbild eine gewisse Ununterschiedenheit gegenüber dem Falschen an. Sichere Wissenschaft oder ein sicheres Wissen der Wahrheit kann es aus diesem Grund nicht geben.
2. Die doppelte Wahrheit
Im Ergebnis bleibt festzuhalten, so resümiert Heinrich seine Begründung, daß es eine zweifache Wahrheit gibt und eine zweifache Weise, die Wahrheit zu erkennen. Ausdrücklich spricht er von der duplex veritas und dem duplex modus sciendi veritatem, wobei er sich auf eine Passage aus den Soliloquia Augustins und seine spätere Deutung in den Retractationes beruft. Zunächst habe Augustinus nämlich die Lehre vertreten, Gott habe gewollt, daß nur die Reinen das Wahre erkennen, später aber in den Retractationes die Auffassung dahingehend revidiert, daß auch die Unreinen vielerlei Wahres erkennen, wobei aber nicht geklärt wurde, was genau mit dem ›Wahren‹, das nur die Reinen kennen, und was genau mit ›wissen‹ gemeint sei. Die Rede von der doppelten Wahrheit entspricht einer Unterscheidung, die Heinrich macht zwischen dem, was hinsichtlich einer Sache wahr ist und dem, was die Wahrheit der Sache selbst ist (quod verum est in re; veritas ipsius rei). Hiermit reVgl. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 43,300 – 44,315. Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 44,316 – 45,328. Augustinus: sol. 1,2: »deus, qui nisi mundos verum scire noluisti.« Augustinus: retr. 1,4,2: »in his sane libris non adprobo, quod in oratione dixi: deus, qui nisi mundos verum scire noluisti. responderi enim potest multos etiam non mundos multa scire vera; neque enim definitum est hic, quid sit verum quod nisi mundi scire non possint, et quid sit scire.« Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 46,352 – 357: »Unde non dixerunt de certa notitia qua percipitur id quod verum est in re, sive per sensum sive per intellectum, a notitia qua scitur veritas ipsius rei, neque etiam de hac distinxerunt quod quaedam est veritatis notitia liquida et sincera, alia vero phantastica per phantasmata et imagines rerum obumbrata, sed, ut videbatur ex eorum verbis, simpliciter aliquid sciri posse negabant.«
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kurriert Heinrich der Sache nach auf die bereits eingeführte Differenz zwischen zwei Klassen von Urbildern: die einen, die durch einen Abstraktionsprozeß im Ausgang von der Sinneserkenntnis gewonnen werden, und die für die Aristotelische Wissenschaftskonzeption maßgeblich sind; und die anderen, die einen göttlichen Ursprung haben, und die in der Platonischen Tradition als die ewigen und unveränderlichen Ideale des Geschaffenen gelten (rerum ideales rationes). Eine Erkenntnis der reinen Wahrheit, bzw. der Wahrheit selbst, kann es nur in Bezug auf die Urbilder im Sinne ideeller und ewiger Urbilder geben. Hinsichtlich der durch die Eigenleistung des Verstandes erzeugten exemplares kann nur in einem eingeschränkten Sinne von einer Erkenntnis des Wahren gesprochen werden. Für die Beantwortung der eigentlich von Heinrich diskutierten Frage nach der natürlichen Erkennbarkeit der Wahrheit führt diese Differenz zu dem Ergebnis, daß die reine Wahrheit, die unter Bezugnahme auf die ewigen Urbilder möglich ist, nicht durch die natürliche Vernunft selbst zu leisten ist. Eine solche Erkenntnis ist auf eine besondere Illumination angewiesen, die nicht auf natürlichem Wege geschieht, sondern den göttlichen Eingriff voraussetzt. Ohne eine solche Illumination ist für den menschlichen Verstand nur eine eingeschränkte Erkenntnis möglich, die aber nicht bis zu dem vordringt, was Heinrich die sincera veritas nennt. Zwischen der Skepsis der Academici und dem Wissenschaftsverständnis des Aristoteles entscheidet sich Heinrich für einen mittleren Weg. Er überwindet einerseits die Bestreitung jeglichen natürlichen Wissens, indem er die Aristotelische Abstraktionstheorie fruchtbar macht. Andererseits entwirft er jenseits der Aristotelischen Konzeption eine höhere Form des eigentlichen Wissens mit den Mitteln der Platonischen Urbildlehre, die er mit der Augustinischen Illuminationstheorie verbindet. Ohne diese Differenz zwischen ewigen und geschaffenen Urbildern und ohne die Differenz unterschiedlicher Wahrheitsansprüche behielten die Skeptiker unter den Philosophen recht und die von Aristoteles so vehement vertretene Übereinstimmung von Wissensstreben und Wissenserfüllung in der menschlichen Natur geriete ins Wanken. Deshalb wendet sich Heinrich gleich zu Beginn seiner Ausführungen gegen die Deutung derjenigen, die behaupten, Augustinus habe hinsichtlich eines jeden Erkenntnisgegenstandes die Notwendigkeit einer besonderen Illumination durch das göttliche Licht hervorheben wollen. Zwar können sich diese zunächst selbst auf Augustinus im elften Buch von De civitate dei berufen, wenn es dort heißt: »Nicht unangemessen sagt man, daß die Seele durch das unkörperliche Licht der einfachen Weisheit Gottes erleuchtet wird, wie auch der Körper der Luft durch das körperliche Licht erleuchtet wird.« Doch Augustinus: civ. 11,10: »ut non inconvenienter dicatur sic inluminari animam incorpoream luce incorporea simplicis sapientiae Dei, sicut inluminatur aeris corpus luce corporea.«
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ist diese uneingeschränkte Konsequenz nach Heinrichs Auffassung unangemessen, weil sie der Würde der rationalen Seele viel zu sehr Abbruch täte. Andere geringere Vermögen als die Seele sind ex puris naturalibus sehr wohl in der Lage, Handlungen hervorzubringen, die jeweils ihrer Natur entsprechen. Wie soll es also möglich sein, daß das besondere Vermögen der Seele zu solchen der eigenen Natur entsprechenden Handlungen gerade nicht befähigt wäre? Heinrich folgt in dieser Frage durchaus einem Aristotelischen Gedanken, den er bereits zu Beginn der Quaestio als Autoritätsargument gegen die Annahme der besonderen Illumination ins Feld geführt hat. Da der Mensch von Natur aus nach Wissen strebt, wie es im ersten Satz der Aristotelischen Metaphysik heißt, wäre es wohl äußerst unangemessen, sollte der Mensch nicht wirklich in der Lage sein, irgend etwas auf Grund seiner eigenen Natur, d.h. ohne göttliche Illumination, zu wissen. Wahrheit im engeren Sinne aber kann nur durch die Bezugnahme auf ungeschaffene Urbilder und damit allein durch eine besondere Illumination durch Gott – so wie sie Augustinus gelehrt hat – erkannt werden.
3. Die Kritik des Johannes Duns Scotus
Eine Generation später greift Johannes Duns Scotus in seinem Sentenzenkommentar die Frage nach der Möglichkeit einer natürlichen Erkenntnis unabhängig von einer speziellen Illumination in genauer Entsprechung zu der von Heinrich in der Summa geführten Diskussion auf. Daß diese Frage zudem eine besondere Auseinandersetzung mit der Lehre des Heiligen Augustinus bedeutet, macht Scotus ebenfalls gleich zu Beginn seiner Erörterung deutlich, wenn er zunächst eine ganz Reihe von Belegstellen aus den Werken Augustins zitiert, um dann zusammenfassend darauf zu verweisen, daß es »an den verschiedensten Stellen noch viele Autoritätsargumente Augustins gibt, die dazu geeignet sind, jene Schlußfolgerung zu beweisen«, nämlich die, daß es keine natürliche Erkenntnis der reinen Wahrheit ohne Illumination gebe. Im weiteren Verlauf stellt Scotus zunächst die Position des Heinrich von Gent unter dem Stichwort opinio una talis in einer streng systematisierten Form vor. Grundlegend ist zunächst die Unterscheidung einer Erkenntnis des Wahren und der Wahrheit. Das Wahre, das Scotus mit dem Seienden gleichsetzt, ist demnach als Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 34,105 – 110. Vgl. Aristoteles: Metaphysik I c. 1 (980a 21). Heinrich von Gent: Summa a. 1 q. 2, 30,39 – 31,43. Zum folgenden vgl. Ludger Honnefelder: Ens inquantum ens, 193 – 205. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 206, 125.: »Multae autem sunt auctoritates Augustini, in multis locis, ad probandum hanc conclusionem.«
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eigentümliche Handlung des Verstandes mit natürlichen Mitteln zu erkennen. Was die Erkenntnis der Wahrheit betrifft, hat man es mit einer Relation gegenüber einem exemplar zu tun, das entweder ein exemplar creatum oder increatum ist. Je nachdem was der Bezugspunkt der Erkenntnis ist, ist die Wahrheit anders aufzufassen, wie Scotus unter Verweis auf den Begriff der duplex veritas betont. Die Erkenntnis, die sich auf ein exemplar creatum richtet, entspricht dem Aristotelischen Erkenntnismodell, wonach wir dadurch etwas erkennen, daß wir es auf die species intelligibilis beziehen, die durch die Eigenleistung des Verstandes in einem Abstraktionsprozeß von uns erworben wird. Allerdings, so referiert Scotus weiter die Position Heinrichs, ermöglicht eine solche Erkenntnis kein wirklich sicheres und täuschungsresistentes Wissen über die Wahrheit: »Denn daß man durch ein solches Urbild, das wir in uns erworben haben, eine gänzlich sichere und täuschungsresistente (infallibilis) Kenntnis der Wahrheit hinsichtlich einer Sache haben, dies scheint ganz unmöglich zu sein.« Dies hat bereits Heinrich mit den bekannten drei Argumenten belegt, die sich auf den Erkenntnisgegenstand, das erkennende Subjekt und das Urbild beziehen, die jeweils veränderlich und nicht im strengen Sinne vom Falschen unterschieden sind. Somit steht fest, daß durch den Erwerb von Erkenntnisbildern im Ausgang von der Sinnenerkenntnis weder eine sichere Wissenschaft noch eine täuschungsresistente Wahrheit erkannt werden können. Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit eines besonderen, nämlich übernatürlichen Einflusses, durch den allein ein sicheres Wissen entstehen kann. Diese besondere Einwirkung geht von Gott selbst aus, so daß, wie Scotus mit dem bereits von Heinrich zitierten Augustinuswort formuliert, »man sieht, wenn er es will, und nicht sieht, wenn er es nicht will.«
Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 208, 126. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 210, 127 – 128. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 211, 128: »Sed quod per tale exemplar, acquisitum in nobis, habetur omnino certa et infallibilis notitia veritatis de re, hoc videtur omnino impossibile.« Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 211 – 213, 128 – 130. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 214, 130: »Ex istis concluditur quod certam scientiam et infallibilem veritatem si contingat hominem cognoscere, hoc non contingit ei aspiciendo ad exemplar a re per sensus acceptum, quantumcumque sit depuratum et universale factum, sed requiritur quod respiciat ad exemplar increatum.« Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 216, 131: »Et ex hoc concluditur ultra quod requiritur specialis influentia, quia sicut illa essentia non videtur naturaliter a nobis in se, ita, ut illa essentia est exemplar respectu alicuius creaturae, naturaliter non videtur, secundum Augustinum De videndo Deum – in eius enim potestate est videri: ›si vult, videtur si non vult, non videtur‹.« Vgl. Augustinus: ep. 147 ad Paulinam De videndo deo 6, 18.
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4. Scotus’ Widerlegung Heinrichs
Um es kurz zu machen: Scotus hält diese Auffassung Heinrichs sachlich für falsch und glaubt zudem, daß sie nicht der Intention Augustins entspricht, was aufgrund des ursprünglich von Scotus formulierten Hinweises auf die Fülle der Augustinischen Belegstellen zunächst verwundern mag. Die These, die Scotus gegen Heinrich vertritt, besagt, daß aufgrund der erkenntniskritischen Annahmen, die Heinrich trifft, die natürliche Erkenntnisfähigkeit des Menschen im Ganzen in Frage gestellt wird. »Diese Argumente [Heinrichs] scheinen die Unmöglichkeit einer sicheren natürlichen Erkenntnis zur Folge zu haben.« In einem ersten Schritt widerspricht Scotus der Lehre Heinrichs, indem er aufzeigt, daß dessen skeptische Haltung gegenüber der Möglichkeit, im Ausgang von der Sinneswahrnehmung überhaupt zu einer Wahrheitserkenntnis fortschreiten zu können, letztlich zu einem Skeptizismus führt, der sich durch nichts von dem der (nachplatonischen) Akademie unterscheidet. Der Grundgedanke, den Scotus vertritt, basiert darauf, daß eine Veränderlichkeit bzw. Täuschungsanfälligkeit, sei es auf seiten des zu erkennenden Gegenstandes, sei es auf seiten der Seele, oder sei es auf seiten des Urbildes, nicht dadurch kompensiert werden kann, daß von außen ein anderes Erkenntnisprinzip hinzutritt. Wenn ein Teilprinzip des Erkennens in der genannten Weise unzureichend ist, kann dies durch nichts Hinzutretendes ausgeglichen werden. Ist das eine Teilprinzip unsicher, so bleibt das Gesamte auch unsicher, selbst wenn zusätzlich ein anderes Prinzip wirksam ist, das seinerseits sicher ist. Dies geschieht eben in der Weise, wie aus einer kontingenten Prämisse auch dann keine notwendige Schlußfolgerung fließt, wenn jene mit einer notwendigen Prämisse verknüpft wird. Aus diesem Grund folgt aus den Argumenten des Heinrich von Gent, so das vorläufige Resümee, das Scotus zieht, eine gänzliche Ungewißheit des Wissens und damit eine Auffassung, die genau der Auffassung der Akademiker entspricht, die Augustinus gerade habe widerlegen wollen. In konsequenter Weise folgt in der Scotischen Argumentation die Deutung einer Reihe von Augustinus-Zitaten, die belegen sollen, daß es nicht die Absicht Augustins war, diesem Skeptizismus das Wort zu reden. Scotus bezieht sich hierbei vorzugsweise auf das zwölfte Kapitel des 15. Buches Über die Dreieinigkeit, also gerade Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 219, 133: »Istae rationes videntur concludere impossibilitatem certae cognitionis naturalis.« Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 219 – 222, 133 – 135; insbesondere das entscheidende Argument (ebd. n. 221, 134): »Sed quando aliquid concurrit quod repugnant certitudini, non potest certitude haberi: sicut enim ex altera de necessario et altera de contingenti non sequitur conclusion nisi de contingenti, ita ex certo et incerto, concurrentibus ad aliquam cognitionem, non sequitur cognitio certa.«
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jenes Kapitel, in dem Augustinus seinerseits die Skepsis der nachplatonischen Akademiker erneut in Frage stellt. Er kritisiert sie deshalb, weil sich ihr Skeptizismus auf jede Form der Sinneserkenntnis richtet. »Fern sei, daß wir daran zweifeln, daß die Dinge, die wir durch die Sinne des Körpers erfahren haben, wahr sind« heißt es hier bei Augustinus in einer zentralen von Scotus mit ganzer Zustimmung angeführten Passage. Aber nicht nur in der Einschätzung der Sinneserkenntnis, sondern auch was den Gewißheitsanspruch der unmittelbaren Selbsterkenntnis betrifft, folgt Scotus der Deutung Augustins. Unter Bezugnahme auf die Ersten Analytiken des Aristoteles allerdings verteidigt Scotus schließlich noch einen dritten Bereich sicherer Erkenntnis, nämlich den der Prinzipienerkenntnis und ineins damit des Wissens um die syllogistischen Ableitungsregeln, die zu den Schlußfolgerungen führen. Diese drei Wissensbereiche sind für Scotus in seiner von Heinrich abweichenden Beurteilung entscheidend. Prinzipienerkenntnis, Erfahrungswissen und unmittelbare Selbsterkenntnis unterliegen nach Scotus – anders als Heinrich von Gent behauptet – keineswegs dem kritischen Vorbehalt, sie überstiegen grundsätzlich das natürliche Erkenntnisvermögen des Menschen. Im einzelnen widersetzt sich Scotus zunächst der Infragestellung der Prinzipienerkenntnis mit dem Hinweis, daß die Prinzipien, die aus einfachen Begriffen zusammengesetzt sind, evident und notwendig eingesehen werden, weil der Verstand mit den einfachen Begriffen auch die Angemessenheit (conformitas) ihrer Verbindung, d.h. die Wahrheit der entsprechenden Aussage begreift. Dies gilt zunächst für logische Prinzipien, wie Scotus durch Verweis auf das Aristotelische Prinzip vom ausgeschlossenen Widerspruch hervorhebt, darüber hinaus aber auch für Aussagen, die Begriffe miteinander verbinden, die ursprünglich durch Vermittlung der Sinneswahrnehmung angeeignet wurden. Wer z. B. die Bedeutung der Begriffe ›weiß‹ und ›schwarz‹ einmal erfaßt hat, wird notwendig die Wahrheit des Satzes »weiß ist nicht schwarz« begreifen. Die Einsicht des Verstandes hängt von der Sinneswahrnehmung nicht wie von einer Ursache ab, sondern jene bietet lediglich die Gelegenheit dafür, daß sich das eigene Vermögen des Verstandes entfaltet. Mit den Prinzipien sind aber auch alle hieraus ableitbaren Folgerungen evidentermaßen mitgegeben. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 225, 136: »Secundo apparet quod Augustinus concedit certitudinem eorum quae cognoscuntur per experientiam sensuum ; unde dicit XV De Trinitate cap. 12 vel 32 : ›Absit, ut ea quae didicimus per sensus corporis, vera esse dubitemus […]‹ .« Vgl. Augustinus: trin. 15,12. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 226 – 228, 136 – 137. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 224, 135 – 136. Vgl. Aristoteles: Anal. Pr. I c.1 (24b 22 – 24). Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 230, 138 – 139. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 234, 140 – 141.
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Erfahrungswissen ist für Scotus deshalb möglich, weil es auf dem Grundsatz beruht, daß »alles, was in den meisten Fällen von irgendeiner nicht freien Ursache her geschieht, die natürliche Wirkung jener Ursache ist.« Scotus beruft sich also auf eine Natur, die sich von einem rein zufälligen Geschehen dadurch unterscheidet, daß sie in dem Sinne konstant ist, daß eine Verschiedenheit der Vorgänge nur dadurch zustande kommt, daß ein anderes Akzidenz zu einer veränderten Wirkung beiträgt. Ein solches Erfahrungswissen schließt eine Ordnung auseinander ableitbarer Prinzipen ein, so daß man z. B. ohne eigene Erfahrung zu der Aussage berechtigt ist, daß die Erde, die zwischen Sonne und Mond tritt, eine Mondfinsternis verursacht, wenn man zuvor weiß, daß die Erde ein opaker Körper ist und daß das Dazwischentreten eines opaken Körpers die Ausbreitung des Lichtes verhindert, in dessen Folge die Eklipsis bewirkt wird. Was den dritten Bereich, nämlich den der Selbsterkenntnis, betrifft, so vertritt Scotus wiederum unter Berufung auf Aristoteles die Auffassung, daß wir von unseren eigenen Handlungen, wie Wachsein, Hören, oder Erkennen, eine unmittelbare Gewißheit besitzen, wie sie uns auch in bezug auf die ersten Prinzipien gegeben ist. Wir können uns zwar über den Inhalt, also etwa die Entfernung, in der wir etwas sehen, täuschen, doch die Tatsache des Sehens selbst unterliegt keinerlei Zweifel. Der Grund für die Gewißheit dieser Selbsterkenntnis liegt wiederum in einem Aristotelischen Prinzip, wonach es nicht möglich ist, einen Beweis für etwas zu geben, wovon es keinen Beweis geben kann. Zweifelt man an der Gewißheit solcher inneren Akte, so kann es hiervon keine Gewißheit geben, außer man hätte bereits ein sicheres Wissen über innere Akte eingeräumt, wovon ein solcher Beweis seinen Ausgang nehmen könnte. Akte, die sich auf äußere Gegenstände richten, können zwar faktisch zunächst täuschen, so etwa, wenn ein Stab, der in Wasser getaucht wird, aussieht, als sei er abgeknickt. Allerdings treten hier allgemeinere Prinzipien als Korrektiv auf, so etwa im vorliegenden Fall, wenn mich die Einsicht in den Grundsatz, daß kein fester Gegenstand durch einen weniger festen zerbrochen wird, vom Scheincharakter der Sinneswahrnehmung überzeugen wird.
Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 235, 142: »[Q]uidquid evenit ut in pluribus ab aliqua causa non libera, est effectus naturalis illius causae.« Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 235, 141 – 143. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 236, 143. Vgl. Aristoteles: Metaphysik IV c. 6 (1011a 3 – 13). Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 238 – 239, 144 – 146. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 243, 147 – 148.
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5. Erkenntnis ohne besondere Erleuchtung
Scotus verteidigt die natürliche Erkennbarkeit in den genannten drei Bereichen, offensichtlich unter dem Eindruck eines Aristotelischen Wissenschaftsverständnisses, das es nun seinerseits notwendig macht, den Augustinischen Ansatz anders zu interpretieren als Heinrich von Gent. Wenn es im strengen Sinne für den Menschen in statu isto möglich sein soll, Wissenschaft zu treiben – und das gilt auch für die Theologie als Wissenschaft –, dann muß die These Heinrichs, der Mensch bedürfe zur Erkenntnis der reinen Wahrheit einer besonderen Erleuchtung, korrigiert werden. Wie kann aber diese Korrektur mit der Augustinischen Lehre kompatibel sein? Die Scotische Antwort faßt die Vielzahl der im Laufe der Diskussion angeführten Augustinus-Zitate in einer an die Retractationes angelehnten Formulierung zusammen, die sowohl die Intention Augustins widerspiegelt als auch seine eigene Zustimmung verdient. Demnach »sieht man die täuschungsresistenten Wahrheiten in den ewigen Regeln« (veritates infallibiles videntur in regulis aeternis). Scotus diskutiert verschiedene Möglichkeiten, was mit der Formulierung ›in regulis aeternis‹ gemeint sein kann. Von Interesse ist es hierbei, wie Scotus die Anregungen der Augustinischen Quaestio de ideis fruchtbar macht. Auch wenn Scotus in diesem Kontext weder den zentralen Text Augustins ausdrücklich zitiert noch den für Augustinus einschlägigen Begriff der Idee direkt zum Thema macht, so dürften die Anklänge an die Lehre Augustins doch kaum zu übersehen sein. Scotus lehnt einerseits die Annahme von Ideen als dem göttlichen Erkennen ontologisch vorgeordnete Bezugsmomente mit einer Vermittlerfunktion zwischen dem washeitlichen Gehalt einer Sache und deren Erkenntnis durch Gott ab. Auf der anderen Seite führt er unter dem Stichwort Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 261, 160: »Ad quaestionem igitur dico quod propter verba Augustini oportet concedere quod veritates infallibiles videntur in regulis aeternis.« Diese von Scotus gewählte Formulierung der Augustinischen Lehre entspricht am ehesten einem Wortlaut aus den Retractationes, wo Augustinus davon spricht, daß den Ungebildeten ein Licht der ewigen Vernunft innewohnt, wo sie das unwandelbar Wahre erblicken (retr. 1,4,4): »praesens est eis, quantum id capere possunt, lumen rationis aeternae, ubi haec immutabilia vera conspiciunt«. Vgl. Augustinus: div. qu. 46. Der zurückhaltende Umgang mit dem Begriff der Idee kommt etwa im Schlußgebet des Traktates De primo principio zum Ausdruck; vgl. Johannes Duns Scotus: De primo principio c. 4 p. 10, 126: »De veritate tua et ideis in te non est opus amplius pertractare propter meum propositum exsequendum. Multa de ideis dicuntur quibus numquam dictis, immo nec ideis nominatis, non minus de tua perfectione scietur. Hoc constat, quia tua essentia est perfecta ratio cognoscendi quodcumque cognoscibile sub ratione quacumque cognoscibilis; appellet, qui vult: hic non intendo circa Graecum illud et Platonicum vocabulum immorari.«. Zu Scotus’ ideenkritischer Haltung vgl. Joachim Söder: Kontingenz und Wissen, 127 – 138.
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des esse intelligibile eine ontologische Instanz ein, die zwar dem göttlichen Intellekt entspringt und ihm in diesem Sinne nachgeordnet ist, die aber auf der anderen Seite von jeglicher vorausgehenden Einflußnahme des göttlichen Willens unabhängig ist und auf diese Weise ein gewisses Motiv der ursprünglichen Ideenlehre beibehält. Im Ergebnis seiner Deutung in Ordinatio I d. 3 q. 4 stellt er fest, die ewigen Regeln oder das ewige Licht müssen im Sinne des esse intelligibile verstanden werden, das den möglichen Erkenntnisgegenständen des Menschen durch einen Akt des göttlichen Verstandes verliehen sei. Gott gibt den Gegenständen ihre besondere Beschaffenheit, wodurch sie dieses oder jenes Sein haben und in dessen Folge diese oder jene ratio obiecti, also diese je besondere Gegenständlichkeit. Damit werden sie erst als Erkennbares für den Menschen hervorgebracht, dem sie in diesem Sinne erst kraft des göttlichen Intellekts in ihrer Erkennbarkeit begegnen. Als Akt des göttlichen Intellekts handelt es sich bei dieser Verursachung um einen natürlichen und keinen primär vom göttlichen Willen ausgehenden Vorgang, da der Wille als Bezugspunkt seines Handelns immer schon ein bestimmtes Objekt voraussetzt und damit nicht selbst Ursache des esse intelligibile sein kann. Der Verstand ist aus diesem Grund gegenüber dem Willen die vorausgehende Ursache. »Der göttliche Verstand, insofern er auf eine Weise früher ist als der Akt des göttlichen Willens, bringt diese Gegenstände [nämlich alles, was nicht selbst Gott ist] in ein Einsehbar-Sein hervor und so scheint er hinsichtlich dieser eine rein natürliche Ursache zu sein. Denn Gott ist nur eine freie Ursache hinsichtlich dessen, was vorgängig zu sich selbst auf eine Weise den Willen gemäß der Willenshandlung voraussetzt.« Hieraus ergibt sich des weiteren, daß der göttliche Verstand auch in dem Sinne eine vorausgehende Ursache ist in bezug auf die Zusammensetzung der einfachen Gehalte. Der Verstand bringt die einfachen Gehalte vorgängig zum Willen als mögliche Erkenntnisgegenstände, die den Status des esse intelligibile haben, hervor, bevor dann Verstand und Wille als kooperierende Ursachen die Zusammensetzung dieser einfachen Gehalte hervorbringen, wobei auch auf dieser Ebene der Verstand als ›prior-causa‹ anzusehen ist. Da jede Zusammensetzung solcher einfachen Gehalte, Scotus spricht von den einfachen Termini, eine Verträglichkeit bzw. Angemessenheit oder Konformität der Elemente voraussetzt, ist für Scotus der göttliche Verstand gleichermaßen zumindest als kooperierende Ursache für ihre Zusammensetzung und die Angemessenheit ihrer Erfassung (apprehensio) verantwortlich. Vgl. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 266, 162 – 163. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 268, 163 – 164: »[I]ntellectus divinus in quantum aliquo modo prior est actu voluntatis divinae producit ista obiecta in ›esse intelligibili‹, et ita respectu istorum videtur esse causa mere naturalis, quia Deus non est causa libera respectu alicuius nisi quod praesupponit ante se aliquo modo voluntatem secundum actum voluntatis.« Vgl. hierzu Tobias Hoffmann: Creatura intellecta, 169 – 172.
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»Und so wie der Verstand vorgängig zur Willenshandlung die Gegenstände in ein Einsehbar-Sein hervorbringt, so scheint er als vorausgehende Ursache mit jenen einsehbaren [Gegenständen] zu ihrer natürlichen Wirkung zusammenzuwirken, nämlich insofern sie als erfaßte und zusammengesetzte die Gleichgeformtheit der Erfassung gegenüber ihnen bewirkt. Es scheint nämlich einen Widerspruch zu enthalten, daß ein Verstand eine solche Zusammensetzung formt und die Zusammensetzung nicht den Termini entspricht, auch wenn es möglich ist, jene Termini nicht zusammenzusetzen. Denn, wenn auch Gott willentlich dazu beitragen würde, daß der Verstand die Termini zusammensetzt oder auch nicht zusammensetzt, würde, wenn er zusammengesetzt hätte, dies notwendig dem Begriffsgehalt der Termini folgen, den sie aufgrund des göttlichen Verstandes haben, der jene Termini in ein Einsehbar-Sein auf natürliche Weise bewirkt, damit jene Zusammensetzung den Termini angemessen wäre.« Epistemisch gesprochen entspricht damit jedes angemessene Urteil einer Ordnung der in diesem Urteil angenommenen Verbindung der Teilmomente, nämlich der verknüpften begrifflichen Gehalte, die letztlich durch den göttlichen Verstand auf natürliche Weise, also fernab jeglicher Willkür, in dem für die Erkenntnis fundamentalen Status des esse intelligibile hervorgebracht wurden. Die Rechtheit einer jeden Erkenntnis bemißt sich demnach entsprechend der ursprünglichen Rechtheit der natürlichen Tätigkeit des göttlichen Verstandes. In dieser Deutung repräsentieren die ewigen Regeln, von denen Augustinus spricht, die größte Natürlichkeit. Was nach diesen Regeln in seiner Erkennbarkeit und in seiner Wahrheit konstituiert ist, ist dies notwendig, nämlich allein aufgrund der Kraft der begrifflichen Teilmomente (ex vi terminorum). Aber gerade diese natürliche Notwendigkeit ist es, so die Pointe der Scotischen Deutung, die eine besondere Erleuchtung des Menschen überflüssig macht. Augustins Verweis auf die ewigen Regeln oder das ewige Licht werden im Ergebnis von Scotus als Beleg dafür gedeutet, daß der Kirchenvater eigentlich eine besondere, übernatürliche Illumination für unnötig gehalten hat. Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 268, 164: »Et sicut intellectus ut prior actu voluntatis producit obiecta in ›esse intelligibili‹, ita ut prior-causa videtur cooperari illis intelligibilibus ad effectum eorum naturalem, scilicet ut apprehensa et composita causent apprehensionis conformitatem ad se. Videtur ergo quod contradictionem includit, intellectum aliquem talem compositionem formare et compositionem non esse conformem terminis, licet possibile sit illos terminos non componere, quia licet Deus voluntarie coagat ad hoc quod intellectus terminos componat vel non componat, tamen cum composuerit, ut illa compositio sit conformis terminis hoc videtur necessario sequi rationem terminorum quam habent ex intellectu Dei, causante illos terminos in ›esse intelligibili‹ naturaliter.« Johannes Duns Scotus: Ord. I d. 3 p. 1 q. 4 n. 269, 164: »Et ex isto apparet qualiter non est necessaria specialis illustratio ad videndum in regulis aeternis, quia Augustinus non ponit eis videri nisi ›vera‹ quae sunt necessaria ex vi terminorum. Et in talibus est maxima naturalitas – tam causae remotae quam proximae – respectu effectus, puta tam intellectus divini ad obiecta moventia, quam illorum obiectorum ad veritatem complexionis de eis.«
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Scotus deutet Augustinus in einer Weise, in der er mit den Voraussetzungen der Aristotelischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie kompatibel wird. Als Katalysator für die von Scotus zu beseitigenden Unvereinbarkeiten beider Lehren dient die Gegenfolie, die Heinrich von Gent und dessen Augustinus-Interpretation bieten. Die besondere Autorität, die Augustinus zukommt, führt Duns Scotus dazu, daß aus der Sicht der modernen Augustinus-Interpretation Authentizitätsansprüche hinter der Forderung nach Kompatibilität mit der Aristotelisch geprägten Lehre, die eine wahrheitsfähige Integration von Philosophie und Theologie erlaubt, zurücktreten.
Meister Eckhart (1260 – 1328) und die neuplatonische Transformation Augustins von Johannes Brachtendorf
Meister Eckhart1 zitiert keinen Autor häufiger als Augustinus. Der Kirchenvater ist in Eckharts Texten ständig präsent und wird stets angeführt. Teils greift Eckhart auf präzise und eher technische Einzelthesen Augustins zurück, teils auf fundamentale Ideen. Eckharts Augustinus-Rezeption spielt sich nicht auf Nebengebieten seines Denkens dar, sondern dort wo es Eckhart um die Darlegung der eigenen Grundpositionen geht. Natürlich liest Eckhart den Kirchenvater auch vor dem Hintergrund der Diskussionen des 13. Jahrhunderts, doch auf der Wende zum 14. Jahrhundert, auf der Eckhart steht, scheint der Kampf um die Aristoteles-Rezeption und damit um die Vereinbarkeit von Aristoteles und Augustinus weitgehend abgeschlossen, jedenfalls für Meister Eckhart und seinen Ordensbruder und Mitstreiter Dietrich von Freiberg. Ihr Thema ist eher die Vereinbarkeit Augustins mit einem neu zur Geltung gebrachten Neuplatonismus. Augustinus hielt den Neuplatonismus für die beste Philosophie seiner Zeit. Offensichtlich verdankt er ihm zentrale metaphysische Einsichten über die Existenz einer intelligiblen Wirklichkeit, über das Böse als Mangel an Gutem, über die Transzendentalien als gattungsübergreifende Bestimmungen des Seienden etc. Andererseits kritisiert er die Neuplatoniker auf den Gebieten der Ethik, der Erlösungslehre, der Trinitätslehre und der Schöpfungslehre.2 Eckharts Augustinus-Rezeption lässt sich etwa folgendermaßen beschreiben: Mit beachtlichem Gespür und großem Kenntnisreichtum sucht er beim Kirchenvater Anknüpfungspunkte für neuplatonische Konzepte auf und löst sie aus dem Zusammenhang seines Denkens, so daß Augustins kritische Distanz zu dieser Art des Philosophierens ganz aus dem Blick gerät. Um sich auf Augustins Autorität berufen zu können, radikalisiert Eckhart gewisse Züge in dessen Werken und transformiert den Kirchenvater zu jenem Neuplatoniker, der er nicht gewesen ist. Im folgenden wird die (Neu-)Platonisierung Augustins durch Eckhart auf sechs Gebieten aufgezeigt: erstens im Verhältnis Gottes zur Welt, zweitens im Blick auf das ethische Ideal des inhaerere Deo, drittens in der Theorie des menschlichen Gei1 Eckharts Werke werden zitiert nach: Meister Eckhart. Die deutschen und lateinischen Werke, Stuttgart 1936 ff., Abt. I Deutsche Werke, hg. von Josef Quint u.a. (= DW), Abt. II Lateinische Werke, hg. von Josef Koch u.a. (= LW). Auch die Übersetzungen wurden, soweit vorhanden, dieser Ausgabe entnommen. 2 Vgl. civ. 8 sowie conf. 7,13 – 27. Vgl. dazu Johannes Brachtendorf: Augustins ›Confessiones‹, 119 – 154.
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stes, viertens im Begriff des Bildes Gottes, fünftens im Blick auf die Einheit Gottes, und sechstens in der Konzeption des mystischen Aufstiegs zu Gott.
1. Das Verhältnis von Gott und Welt
Augustinus übernimmt in vielem die neuplatonische Lehre von Gott und der Welt, ersetzt aber den Emanationsgedanken durch die Lehre von der Schöpfung aus Nichts. Zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen dem, was durch sich selbst und dem, was durch ein anderes ist, besteht nach Augustinus ein nicht aufhebbarer Unterschied. Dagegen verleiht der neuplatonische Emanationsgedanke der Unterscheidung von Gott und Welt kein solches Gewicht. Natürlich steht auch hier die Welt metaphysisch auf einer andern Stufe als Gott, aber letztlich ist es doch das Eine selbst, das sich ergießt, über sich hinausfließt und über mehrere Stufen hinweg die Welt bildet. Die Welt ist nicht aus Nichts geschaffen, sondern aus dem Einen hervorgegangen. Zudem beginnt der Stufungsprozeß schon im Bereich des Göttlichen – die drei Hypostasen sind bereits solche Stufen – und setzt sich dann in die Welt hinein fort. Den gesamten Emanationsprozeß kann man als kontinuierliche Zunahme von Differenz und Abnahme von Einheit verstehen, die sich vom Einen ausgehend bis zur reinen Materie erstreckt. Eine grundlegende Differenz, wie Augustinus sie zwischen Schöpfer und Geschöpf sieht, findet sich im Neuplatonismus wohl nicht. Eckhart nimmt Gedanken Augustins auf, entwickelt sie aber weiter in eine Richtung, die die Schöpfungslehre zugunsten der neuplatonischen Alleinheitslehre abschwächt. Ich greife im folgenden auf den Prologus generalis zu Eckharts Opus tripartitum und auf den Prologus zum Opus propositionum zurück. Eckhart zitiert hier mehrfach Stellen aus Augustins Confessiones und aus De trinitate 6 – 8. Im Prologus generalis geht es um Grundlagen der Metaphysik, also die Lehre vom Sein, von Gott und der Welt. Eckhart führt dort die These Esse est Deus ein und erklärt deren Konsequenzen. Versteht man diese These in traditionellem Sinne, dann deckt sie sich mit der auch bei Augustinus zu findenden Auffassung, Gott sei das Sein selbst (ipsum esse). Dabei steht das ipsum esse als das, was durch sich selbst ist bzw. sein Sein ist, im Gegensatz zum Seienden, das sein Sein nur hat, und zwar durch ein anderes, nämlich das Sein selbst, an dem es partizipiert (vgl. etwa conf. 7,17). Die Herausforderung, die in Eckharts Denken steckt, tritt erst mit der Frage hervor, ob man diesen Satz auch umgekehrt lesen darf, nämlich als »das Sein (aller Dinge) ist Gott.« Nach Eckhart ist dies durchaus der Fall, sofern man nur das Sein der Dinge recht versteht. Eckhart meint Gründe zu haben, um die Zustimmung des Kirchenvaters für seine Auffassung reklamieren zu können. Ich werde jedoch zu zeigen versuchen, daß Eckhart hierin irrt.
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Zunächst argumentiert Eckhart für die These, alles Seiende sei in Gott. Auch diese These besitzt zunächst eine konventionelle Bedeutung, insofern sie besagt, daß kein Seiendes außerhalb des Seins sein kann, weil außerhalb des Seins nur das Nichts ist.3 Gott habe alles in sich geschaffen, weil schaffen nichts anderes meine, als Sein zu verleihen.4 Eckhart kann einige Äußerungen Augustins anführen, die die Lehre vom In-sein der Dinge in Gott unterstützen. Für die Behauptung, das höchste Sein habe keinen Gegensatz außer dem Nichtsein, verweist Eckhart auf Augustins De immortalitate animae (12,19) sowie auf De moribus Manichaeorum (1,1). Weiterhin zieht er Confessiones 4 heran, wo Augustinus über Gott und die Geschöpfe sagt: »Denn nicht hat er geschaffen und ist dann weggegangen, sondern aus ihm und in ihm sind sie.«5 Weiterhin zitiert Eckhart Confessiones 1: »Du aber bleibst wie du bist, und alles, was morgen und später sein wird, alles was gestern war und noch weiter zurückliegt, heute wirst du es schaffen, heute hast du es geschaffen.«6 Augustinus will hier sagen, daß alles, was für uns in der Zeit gebrochen, also nacheinander auftritt, für den außerhalb der Zeit stehenden Gott gleichzeitig ist und somit auch gleichzeitig geschaffen ist. Für Gott gibt es kein Gestern oder Morgen, sondern nur ein Jetzt und Heute. Nach Eckhart bedeutet das Heute soviel wie in principio. Gott hat alles in principio geschaffen, und da er selbst dieses Prinzip ist, hat er alles in sich geschaffen. Beides zusammengenommen gilt, daß alles, was ist, in Gott ist, weil Gott es in sich geschaffen hat. Eckhart hätte auf weitere Augustinus-Stellen verweisen können, so etwa auf das elfte Buch der Confessiones, auf das er mit seinen Überlegungen zur Bedeutung des in principio möglicherweise anspielt, denn dort sagt Augustinus (conf. 1,11): »In hoc principio, deus, fecisti caelum et terram in verbo tuo, in filio tuo, in virtute tua, in sapientia tua, in veritate tua miro modo dicens et miro modo faciens.« Weiterhin formuliert Augustinus den Gedanken des In-seins der Geschöpfe in Gott unter Bezugnahme auf die Areopag-Rede des Apostels Paulus (conf. 7,15; vgl. Apg. 17,28): »Et dixisti Atheniensibus per apostolum tuum, quod in te ›vivimus et movemur et sumus‹, sicut et quidam secundum eos dixerunt.« Das In-sein der Geschöpfe in Gott ist unstrittig, soweit es nichts anderes besagt, als daß kein Seiendes außerhalb des Seins sein kann, weil es nicht nichts ist. In diesem Sinne sagt Eckhart: »Außer Gott, 3 Augustinus schreibt (mor. 2,1): »Esse enim contrarium non habet nisi non esse. Nulla est ergo deo natura contraria.« Vgl. auch civ. 12,2. 4 LW 1,157: »Creare quippe est dare esse ex nihilo.« Eckhart meint (LW 1,164): »Außer Gott, außer dem Sein nämlich, ist nichts. Also hat er entweder überhaupt nicht geschaffen, oder er hat alles in sich selbst als dem Urgrund geschaffen.« 5 conf. 4,18 (bei Eckhart LW I 161): »Non fecit atque abiit, sed ex illo in illo sunt.« 6 conf. 1,10. Weiterhin verweist Eckhart auf Confessiones 1,3, wo Augustinus die These vertritt, daß Gott alles umfaßt und insofern alles in sich enthält (vgl. Prologus in opus propositionum, LW I 173 f.).
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außer dem Sein nämlich, ist nichts. Also hat er entweder überhaupt nicht geschaffen, oder er hat alles in sich selbst als dem Urgrund geschaffen.«7 Die Schärfe seiner These Esse est Deus zeigt sich erst mit Eckharts Unterscheidung des absoluten Seins der Dinge (esse absolute) vom konkreten Sein (esse hoc et hoc). Auch für diese Unterscheidung beruft er sich auf Augustinus, nämlich auf De trinitate 8. Augustinus sucht dort nach begrifflichen Leitfäden, an denen entlang der Mensch sich von den Dingen zu Gott erheben kann. Er nennt zunächst die Wahrheit, dann die Gutheit. In Bezug auf die Gutheit gibt Augustinus dem Leser folgende Anweisung: »Es gibt dieses Gute und jenes Gute. Nimm das ›dieses‹ und ›jenes‹ weg, und betrachte das Gute selbst, wenn du es vermagst. Dann wirst du Gott sehen.«8 Nach Augustinus sind Gutheit und Wahrheit sogenannte transzendentale Bestimmungen des Seienden. Jedes Seiende, gleich welcher Art es ist, ist ein Wahres und Gutes, und zwar deshalb, weil es von Gott als der Wahrheit selbst, der Gutheit selbst, und dem Sein selbst abhängt. Die Gutheit, die jedes Seiende besitzt, stammt von Gott, dem Guten selbst, als der Quelle aller Gutheit. Augustinus fordert den Leser zu der Überlegung auf, daß dieses und jenes gute Ding seine Gutheit von etwas anderem her habe, nämlich vom Guten selbst. Dazu muß der Leser von den Besonderheiten der Dinge absehen (tolle hoc et illud), sie nur in ihrem Gutsein erfassen, und von dort aus gedanklich aufsteigen zur geistigen Schau der Ursache dieses Gutseins: vide ipsum bonum. Eckhart zitiert diese Passage häufig.9 Ihm geht es dabei um die Unterscheidung des bonum hoc et illud und des bonum ipsum, die er ganz sachgemäß auf die anderen Transzendentalien erweitert, und dann etwa vom ens hoc et hoc (dieses oder jenes sein) spricht und vom Sein absolut, schlechthin und ohne weiteren Zusatz: esse absolute et simpliciter nullo addito. »Man muß anders urteilen über das Seiende (als solches) als über dieses und jenes Seiende. Desgleichen anders über das Sein an sich und schlechthin ohne nähere Bestimmung als über das Sein dieses oder jenes (Seienden).«10 Jedes geschaffene Seiende hat somit zwei Momente an sich, nämlich sein einfaches Sein, Gutsein etc. und sein dies-oder-jenes sein, also seine konkrete BePrologus generalis, LW I 164. Vgl. trin. 8,4. »bonum hoc et bonum illud. tolle hoc et illud, et vide ipsum bonum si potes; ita Deum videbis […].« 9 Zum Beispiel im Prologus generalis, LW I 167. Dort werden weitere Belegstellen in Eckharts Werk angegeben. 10 Prologus in opus propositionum, LW I 166. Diese Unterscheidung schlage sich auch grammatisch nieder, denn wenn man das Sein schlechthin ausdrücken wolle, dann benutze man das Wort ›ist‹ an zweiter Stelle des Satzes (secundum adiacens): lapis est; wenn man aber die Beschaffenheit des Steins ausdrücken wolle, (also sein esse hoc et hoc), benutze man das Wort ›est‹ (im Lateinischen) an dritter Stelle des Satzes (tertium adiacens): z. B. lapis magnus est, oder: hoc lapis est. In moderner Terminologie würde man vom Gebrauch von ›sein‹ als Kopula und als Existenzbehauptung sprechen. 7 8
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stimmtheit. Allein Gott besitzt kein esse hoc et hoc, sondern ist reines uneingeschränktes Sein. Alles Geschaffene ist von Gott auf zwei Weisen abhängig, eine direkte und eine indirekte. Das esse absolute jedes Dings ist auf direkte Weise von Gott gegeben; die Bestimmtheiten (hoc et hoc) hingegen resultieren aus den Formen, die aber ihrerseits von Gott geschaffen sind, so daß sich hier eine indirekte oder vermittelte Abhängigkeit ergibt. Bis hierher stimmt Eckhart im Grundsatz mit Augustinus überein. Doch mit der weiteren Deutung, die Eckhart dieser Theorie in anderen Werken gibt, etwa im Buch der göttlichen Tröstung, im Sermo XLIX und im Johannes-Kommentar, geht er über Augustinus hinaus. Er bemüht sich nun darum, das Verhältnis des bonum absolute, des verum absolute und des esse absolute zu Gott als der Gutheit, der Wahrheit und dem Sein schlechthin näher zu charakterisieren. Sein Ergebnis ist, aus Augustinischer Perspektive, überraschend. Es lautet: Der Gute, insoweit er gut ist (bonum absolute et simpliciter), ist geboren aus der Gutheit schlechthin und Sohn der Gutheit. Hingegen ist der Gute, insoweit er dieser oder jener ist (hoc et hoc), gemacht und geschaffen. Nach Eckhart gilt: »Die Gutheit ist weder geschaffen noch gemacht noch geboren; jedoch ist sie gebärend und gebiert den Guten, und der Gute, insoweit er gut ist, ist ungemacht und ungeschaffen und doch geborenes Kind und Sohn der Gutheit. Die Gutheit gebiert sich und alles, was sie ist, in dem Guten. […] Der Gute und die Gutheit sind nichts als eine Gutheit, völlig eins in allem, abgesehen vom Gebären und Geboren-Werden; indessen ist das Gebären der Gutheit und das Geboren-Werden in dem Guten völlig ein Sein, ein Leben.«11 Nun ist gebären und geboren werden genau derjenige Unterschied, der zwischen Gott Vater und Gott Sohn innerhalb der göttlichen Trinität zu machen ist. Damit gehört der Gute, insoweit er gut ist, auf die göttliche Seite, denn er ist Sohn Gottes; nur insoweit er dieser oder jener ist, steht er auf der Seite des Geschaffenen. Einen solchen Schritt hat Augustinus nie getan. Denn auch wenn man vom hoc et illud absieht und allein das Gutsein eines Seienden ins Auge faßt, sieht man darin noch nicht unmittelbar etwas Göttliches, sondern immer noch ein Geschöpf. Gott kommt erst in den Blick, wenn in einer Aufstiegsbewegung die Ursache des Gutseins einer Sache gesucht und gefunden wird.12 Nach Augustinus ist das Geschaffene sozusagen durch und durch geschaffen. Eckhart hingegen benutzt zwar die Augustinische Unterscheidung von hoc et illud und absolute et simpliciter als Ausgangspunkt seiner Überlegungen, führt sie aber unaugustinisch fort, indem er erkärt, daß Buch der göttlichen Tröstung, DW V 9. Augustinus schreibt (mor. 2,6): »[…] aliud dicit [sc. catholica disciplina] bonum quod summe ac per se bonum est, non participatione alicuius boni, sed propria natura et essentia; aliud quod participando bonum est et habendo; habet autem de illo summo bono ut bonum sit.« Von den Geschöpfen heißt es (ebd.): »non existendo bonum, sed bonum habendo dicitur bona«. Demnach haben die Geschöpfe ihr Gutsein von Gott als der Ursache allen Gutseins. 11
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jenes Moment des Seienden, das durch transzendentale Begriffe beschrieben wird, bereits göttlich ist. Augustins Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf wird bei Eckhart sozusagen neuplatonisch relativiert, insofern zumindest ein Aspekt, nämlich der Seinsaspekt des Seienden für göttlich erklärt wird. Eckhart verdeutlicht diese ontologischen Verhältnisse am Beispiel eines Bechers: »Wäre der Mensch imstande und könnte er einen Becher vollkommen leer machen und leer halten von allem, was zu füllen vermag, auch von Luft, der Becher würde zweifellos seine Natur verleugnen und vergessen, und die Leere trüge ihn hinauf bis zum Himmel.«13 Die Leere ist hier nicht nur physisch als Abwesenheit eines materiellen Inhalts zu verstehen, sondern metaphysisch als das Fehlen von Bestimmungen, auch von Wesensbestimmungen. Wäre der Becher in diesem Sinne leer, dann verlöre er sogar seine Natur als Becher. Doch damit wäre nicht das Sein des Bechers überhaupt aufgehoben, sondern nur das esse hoc et hoc wäre abgestreift. Es verbliebe das esse absolute et simpliciter, vermöge dessen der Becher zum Himmel hinaufsteigt, weil sein absolutes Sein der aus dem Vater geborene Gottessohn ist. Mit den konkreten Bestimmtheiten wird alles Geschaffene zurückgelassen, so daß das ungeschaffene Bild des Vaters hervortritt. Der Vorwurf des Pantheismus wird in der Eckhart-Literatur meist zurückgewiesen mit dem Hinweis, Eckhart führe gerade eine radikale Trennung ein, indem er das Geschaffene als Unterschiedenes, Gott hingegen als den Ununterschiedenen bestimme.14 Eckhart schreibt: indistinctum proprie deo competit, distinctio vero creaturis.15 Die Unterschiedenheit der Geschöpfe gründe in ihrem esse hoc et hoc. In ihrem esse absolute hingegen sind demnach alle Geschöpfe gleich und ununterschieden. Weil Gott selbst das esse absolute ist, behauptet Eckhart, Gott in seiner Ununterschiedenheit sei allem Geschaffenen gemeinsam.16 Die These von der Ununterschiedenheit Gottes führt damit aber nicht zu einer Trennung Gottes von den Geschöpfen, sondern zu einer Identifizierung Gottes mit dem esse absolute der Dinge. Eckhart argumentiert hier auf dem Hintergrund der Diskussionen des 13. Jahrhunderts und setzt sich in offenen Gegensatz zu Thomas von Aquin, für den Gott gerade nicht das allem Seienden gemeinsame esse commune war, sondern die Ursache dieses gemeinsamen Seins.17 Schöpfung bedeutet Thomas zufolge nicht, das esse hoc et Buch der göttlichen Tröstung, DW V 30. Vgl. Karl Albert: Meister Eckharts These vom Sein, 149 f.; siehe auch Reiner Manstetten: Esse est Deus, 214 – 218. 15 Expositio libri Exodi, LW II 106. 16 Sermo VI 1, LW IV 51: »Creatum omne, cum sit hoc aut hoc, distinctum quid, proprium est alicui generi, speciei vel singulari. Deus autem non est quid distinctum aut proprium alicui naturae, sed commune omnibus (Expositio sancti evangelii secundum Johannem, LW III 88). Deus communis est: omne ens et omne omnium esse ipse est.« 17 Vgl. Summa theologiae (= S.th.) I q. 8, a. 1; Summa contra gentiles I 26. 13 14
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hoc einer Sache zu machen, sondern deren esse absolute hervorzubringen.18 Das esse absolute ist der proprius effectus des schaffenden Gottes. Augustinus arbeitet noch nicht mit diesen termini technici, kommt den gemeinten Unterscheidungen aber doch nahe, wenn er schreibt, daß »nur der höchste Gott […] alles ins Dasein ruft, was irgendwie ist, soweit es ist (esse in quantumcumque est). Denn täte er es nicht, würde es nicht nur nicht so oder so (tale vel tale), sondern ganz und gar nicht sein können.«19 Augustinus unterscheidet zwischen dem esse tale vel tale, das Eckharts esse hoc et hoc entspricht, und dem esse in quantumcumque est in Entsprechung zu Eckharts und Thomas’ esse absolute. Nach Augustinus wie nach Thomas ist beides von Gott geschaffen. Thomas, der die Verschiedenheit von Gott und Geschöpf betont, steht also den Überzeugungen Augustins hier näher als Eckhart. Man versteht jetzt, warum Eckhart besonders an den zitierten Stellen aus Augustins Confessiones interessiert ist, die das In-sein der Dinge in Gott ausdrücken. Augustins ex illo in illo deutet Eckhart nicht bloß so, daß die Dinge nicht nichts sind, sondern im Sinne der Geburt des Bildes aus dem Urbild. »Denn Gott hat die Dinge nicht geschaffen und ist dann weggegangen« – dies heißt für Eckhart, daß Gott in den Dingen ist, weil der Kern der Dinge, ihr esse absolute, göttlich ist. Dies ist aber nicht das Augustinische Verständnis, denn aufgrund seiner radikalen Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf gelten Augustinus die Dinge als in jeder Hinsicht geschaffen.
2. Inhaerere Deo
Inhaerere Deo (Gott anhängen) ist die zentrale Idee der Ethik Augustins. Inhaerere Deo bedeutet, Gott mehr zu lieben als alles andere, genauer: Gott um seiner selbst willen zu lieben und alles andere um Gottes willen bzw. in Gott. Oder nochmals anders gesagt: Inhaerere Deo heißt: nur Gott genießen und alles andere gebrauchen wollen.20 Schon früh greift Eckhart diesen Grundbegriff Augustinischer Ethik auf, nämlich in seinen Reden der Unterweisung. Für Eckhart heißt inhaerere Deo, sich zu Gott erheben und fest mit ihm verbunden sein; sich nicht an die Dinge klammern; nicht von ihnen ihr Glück erwarten, sondern alle Dinge nur so haben, als ob sie uns geliehen wären. Der äußere Mensch mit seinem niederen Begehrungsvermögen muß dem inneren Menschen die Führung überlassen, der sich mit seinen Vermögen
18 S.th. I q. 45, a.5: »Producere autem esse absolute, non inquantum est hoc vel tale, pertinet ad rationem creationis.« 19 civ. 12,26: »[…] summus Deus […] facit esse quidquid aliquo modo est, in quantumcumque est; quia nisi faciente illo non tale vel tale esset, sed prorsus esse non posset.« 20 Vgl. doct. chr. 1,20 – 21.
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Vernunft und Wille auf Gott ausrichtet. Ein solcher Mensch begehrt keine vergänglichen Güter und erwartet von ihrem Besitz keine Glückseligkeit. Daher fällt er auch nicht ins Unglück, wenn er sie verliert, sondern bewahrt den inneren Frieden in Gott. Wer die Dinge durchbricht und seinen Gott ergreift, der hat Frieden. All dies ist natürlich reiner Augustinismus. Doch schließlich geht Eckhart in seiner Deutung des inhaerere Deo einen wichtigen Schritt über Augustinus hinaus. Denn in letzter Konsequenz bedeutet inhaerere Deo für ihn die Vereinigung des Menschen mit Gott. Nicht nur sich im Denken und Wollen auf Gott richten, sondern mit der Form seines Gottes durchformt werden, ist nach Eckhart der volle Sinn des inhaerere Deo. Deshalb lautet der höchste Imperativ der Reden der Unterweisung: »Lass dich!«21 »Richte den Augenmerk auf dich, und wo du dich findest, da lass von dir ab.«22 Gelassenheit ist nach Eckhart die Voraussetzung für die Einswerdung mit Gott. Er schreibt: »Darin, wo ich von meinem Ich lasse, da muß er für mich notwendig alles das wollen, was er für sich selbst will, nicht weniger noch mehr, und in derselben Weise, mit der er für sich will. Und täte Gott das nicht, – bei der Wahrheit, die Gott ist, so wäre Gott nicht gerecht, noch wäre er Gott, was (doch) sein natürliches Sein ist.«23 Dies klingt erstaunlich, denn man fragt sich natürlich, warum Gott in den Menschen eintreten, ja sich mit ihm identifizieren muß. Eckhart spricht sogar davon, daß der Mensch Gott ›zwingen‹ kann, in ihn einzutreten.24 Worauf beruht die hier behauptete Notwendigkeit? Die Antwort liegt darin, daß das Ich, wenn es zunichte wird, eingeht in Gott. Es gibt seine eigene Subjektivität auf, um gleichsam einzurücken in die göttliche Subjektivität. Inhaerere Deo bedeutet dann, das eigene Selbst zu lassen, um in das göttliche Selbst einzutreten. In Predigt 83 findet sich ein bemerkenswerter Satz, der diese Idee zum Ausdruck bringt. Dort sagt Eckhart: »Du sollst ganz deinem Deinsein entsinken und in sein Seinsein zerfließen, und es soll dein Dein in seinem Sein ein Mein werden.«25 Eckhart fordert den Hörer auf, sein eigenes Selbst (›dein Deinsein‹) in Gottes Selbst (›sein Seinsein‹) zerfließen zu lassen, so daß es darin ein Mein (ein neues Selbst) werde. Dieses neue Mein ist Gottes Mein. Gott muß Reden der Unterweisung, DW V 193. Reden der Unterweisung, DW V 196. 23 Reden der Unterweisung, DW V 187 f. 24 Predigt 22, DW I 385: »Mir kam bisweilen, wenn ich hierher kam, der Gedanke, daß der Mensch in der Zeitlichkeit dahin zu kommen vermag, Gott zwingen zu können. […]. Wenn sich der Mensch demütigt, kann Gott in seiner ihm eigenen Güte sich nicht enthalten, sich in den demütigen Menschen zu senken und zu gießen […].« Von Abgeschiedenheit, DW V 402: »Die Abgeschiedenheit zwingt Gott, daß er mich liebe.«. Vgl. dazu Mauritius Wilde: Das neue Bild vom Gottesbild, 264 – 267. 25 Predigt 83, DW III 443. Dort werden auch mehrere Vergleichsstellen in Eckharts Werk angegeben. 21 22
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deshalb für das neue Selbst des sich gelassen habenden Menschen das Gleiche und in der gleichen Weise wollen wie für sich, weil dieses neue Selbst nichts anderes ist als das Selbst Gottes. Eckhart geht zwar von Augustins Verständnis des inhaerere Deo aus, vollzieht aber mit der Idee des Eingehens des menschlichen Selbst in das göttliche Selbst einen Schritt, den Augustinus nicht vollzogen hat und aufgrund seiner Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf auch nicht vollziehen konnte. Wie bei seiner Interpretation der Augustinischen Differenz von bonum hoc et hoc und bonum absolute, so sieht man auch bei der Deutung des ›inhaerere Deo‹, daß Eckhart zwar zunächst Augustins Thesen übernimmt, sie dann aber weiterführt in Richtung auf ein neuplatonisches Einheitskonzept, von dem Augustinus sich gerade abgrenzt.
3. Die Theorie des Geistes
Ein bemerkenswerter Leser Augustins ist Eckharts Zeitgenosse und Ordensbruder Dietrich von Freiberg. Dietrich rezipiert besonders Augustins Philosophie des Geistes, wie sie in De trinitate vorliegt.26 Die Prinzipien dieser Rezeption sind bei Dietrich weitgehend die gleichen wie bei Eckhart, doch treten sie bei Dietrich sehr klar hervor, so daß zunächst dessen Augustinus-Deutung vorgestellt werden soll. Den Hintergrund bildet die mittelalterliche Diskussion um den Aristotelischen intellectus agens, wobei Dietrich sich der Deutung des Averroes anschließt, die den intellectus agens für ein göttliches Prinzip hält, das immer aktuell erkenne, das alles Seiende simultan erkenne, das auch eine vollkommene Selbsterkenntnis besitze, und das all diese Erkenntnis nicht durch ein besonderes Vermögen erwerbe, sondern durch sein Wesen. Demnach ist der intellectus agens seinem Wesen nach ein unendliches Erkennen, dessen Selbsterkenntnis die Erkenntnis alles nur Wißbaren einschließt. Dietrich charakterisiert den intellectus agens so, wie Plotin den göttlichen Nous als zweite Hypostase denkt.27 In seinem Werk De visione beatifica schreibt Dietrich, die Unterscheidung von intellectus agens und intellectus possibilis, wie sie sich bei den Philosophen finde, decke sich mit Augustins Unterscheidung zwischen dem abditum mentis (Versteck des Geistes)28 und dem äußeren Denken (cogitativum exterius). Weitere AugustinusZitate zeigen, daß Dietrich auf eine Differenzierung hinaus will, die Augustinus in Vgl. Burkhard Mojsisch: Dietrich von Freiberg, 241 – 248. Vgl. Enneade VI 7,14; V 9,6 – 8. 28 Dietrich von Freiberg: De visione beatifica, prooem. 5, Opera omnia I, 14. Der Ausdruck ›abditum mentis‹ kommt bei Augustinus nur ein einziges Mal vor, nämlich in trin. 14,9. Heinrich von Gent scheint ihn als erster aufgegriffen zu haben. Vgl. dessen Quodlibet IX 15, Opera omnia XIII, 266. 26 27
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De trinitate 10 und 14 vornimmt, wo er das cogitare bzw. se cogitare vom se nosse unterscheidet.29 Cogitare meint gegenstandsbezogenes, diskursives Denken, wobei im speziellen Fall auch das eigene Selbst Gegenstand dieses Denkens sein kann (se cogitare). Das Denken wendet sich dann reflexiv auf sich zurück, wodurch es Selbsterkenntnis gewinnt. Davon zu unterscheiden ist nach Augustinus aber eine tiefere Ebene der Selbstkenntnis, auf der der Geist immer schon bei sich ist und nicht erst durch eine Reflexion auf sich zurückkommen muß. Augustinus nennt dies se nosse. Modern gesprochen handelt es sich beim se nosse um ein unmittelbares oder präreflexives Selbstbewußtsein, das die Voraussetzung für die Selbstreflexion im se cogitare darstellt, denn – und dies ist eine bei Augustinus häufig begegnende Denkfigur – suchen kann man nur, was man irgendwie schon kennt. Auch sich selbst suchen (se cogitare) kann nur, wer sich selbst irgendwie schon kennt (se nosse; vgl. trin. 10,3 – 5). Nach Dietrich ist dieses se nosse das sogenannte Versteck des Geistes (abditum mentis), womit er wohl eine korrekte Augustinus-Deutung liefert. Doch sein entscheidender Schritt ist die Identifikation des Augustinischen abditum mentis/se nosse mit dem averroistisch verstandenen intellectus agens, und dies entspricht nicht mehr Augustins Intentionen. Denn nach Augustinus ist das se nosse nichts Göttliches, sondern ein Moment des endlichen menschlichen Geistes. Zwar hat es einen immerwährenden Selbstbezug und befindet sich somit stets in Aktualität (vgl. trin. 10,19), doch anders als das göttliche Selbstbewußtsein schließt die menschliche Selbstkenntnis keineswegs ein Wissen von allem Wissbaren ein. Vielmehr ist der Mensch auf Sinneserfahrung angewiesen, um Erkenntnis aposteriori zu erhalten, und auf Illumination durch den inneren Lehrer, um apriorisches Prinzipienwissen zu gewinnen. Auch ist das se nosse nach Augustinus nicht ewig, wie Dietrich sagt, sondern es hat einen Anfang, da es geschaffen ist.30 Augustins se nosse ist ein Moment des durch und durch geschaffenen, endlichen Geistes. Dietrich hingegen setzt es mit dem göttlichen Geist gleich, der in uns wohne und gleichsam den Kern des Selbst ausmache.31
29 Vgl. trin. 10,7; 10,19; 14,10; 10,13. Vgl. dazu Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes, 163 – 193. 30 Vgl. trin. 14,13, wo es heißt: »cum profecto ex quo esse coepit, numquam sui meminisse, numquam se intellegere, numquam se amare destiterit.« 31 Kurt Flasch schreibt über Dietrichs Augustinus-Zitate (Dietrich von Freiberg, 339): »Sie dienen regelmäßig der Bestätigung einer vorausgehenden philosophischen Argumentation und eignen sich nur eine bestimmte Seite des Denkens Augustins an […]. Dietrich nimmt von Augustin auf, was an Plotinischem bei Augustin noch zu finden war, er konnte bei seiner kulturpolitischen Polemik nicht auf die Autorität des großen Kirchenvaters verzichten.« M. E. ist diese Einschätzung noch zu milde, weil Dietrich nicht nur Material aufnimmt, sondern gelegentlich Äußerungen Augustins, die nicht plotinisch gemeint sind, neuplatonisch interpretiert.
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4. Das Bild Gottes
Die Lehre vom Bild Gottes weist von ihrer biblischen Grundlage her drei Dimensionen auf, nämlich eine anthropologische, eine christologische und eine ethische. Erstens wird vom Menschen gesagt, er sei nach dem Bild Gottes geschaffen (Gen 1, 26). Zweitens gilt Christus als Gottes Ebenbild (vgl. 2 Kor 4, 4; Kol 1, 15). Drittens soll der Mensch nach dem Bild des Schöpfers erneuert werden (Kol 3, 10). Augustinus wendet sich in De trinitate hauptsächlich der ersten Dimension zu, indem er zu klären versucht, inwiefern der Mensch nach dem Bild Gottes erschaffen ist (Gen 1, 26), genauer: inwiefern der menschliche Geist ein Bild des dreifaltigen Gottes ist. Dieses Bild findet Augustinus besonders im se nosse, das seiner Analyse zufolge trinitarisch strukturiert ist. Denn als Momente des se nosse arbeitet er eine innere memoria heraus, durch die der Geist sich immer seiner erinnere, eine innere intellegentia, durch die er sich immer denke, und eine innere voluntas, durch die er sich immer liebe – und diese drei Momente verhalten sich zueinander genauso wie die drei Personen in der göttlichen Dreifaltigkeit. Es gibt hier eine Strukturentsprechung, die dazu berechtigt, den menschlichen Geist als Bild des dreifaltigen Gottes zu denken.32 Allerdings ist auch die dritte Dimension, also die ethische, für Augustinus unter dem Namen der ›Erneuerung‹ (renovatio) von großer Bedeutung. Die Erneuerung des Menschen nach dem Bild Gottes meint die vollständige kognitive und voluntative Ausrichtung auf Gott als das Sein selbst und das höchste Gut, wie sie letztlich nur durch das Erlösungswerk Christi möglich ist. Mit der eschatologischen Verwandlung wird es sogar zu einer konstitutionellen Veränderung des Menschen kommen, der Gott nun von Angesicht zu Angesicht schaut. Das derart erneuerte Bild wird Gott vollkommen ähnlich sein33 – worin freilich impliziert ist, daß es nicht selbst Gott sein wird. Die theologische Tradition des Mittelalters nennt den Sohn häufig ›Bild des Vaters‹, und sagt vom Menschen, er sei geschaffen ›nach dem Bild Gottes‹ (ad imaginem dei). Sie unterscheidet also zwei Bilder, nämlich Christus als imago increata und den Menschen als imago creata, worin sie zweifellos Augustins Intention entspricht. Charakteristischerweise erkennen Dietrich und Eckhart diese Unterscheidung nicht an.34 Eckhart schreibt: »[…] die Meister sagen, daß der Sohn ein Bild Gottes ist, die Seele aber nach dem Bilde gebildet ist. Ich aber sage vielmehr: […] Nach eben dem nun, worin der Sohn ein Bild Gottes ist und worin der Sohn eingebildet ist, danach ist die Seele gebildet. Aus demselben, aus dem der Sohn empfängt, daraus empfängt 32 Vgl. trin. 9,2 – 8; 10,18. Siehe dazu Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes, 141 – 148; 187 – 188; 257 – 265. 33 trin. 14,23: »In hac quippe imagine tunc perfecta erit Dei similitudo quando Dei perfecta erit visio.« 34 Vgl. dazu Mauritius Wilde: Das neue Bild vom Gottesbild, 232 f.
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auch die Seele. Selbst da, wo der Sohn aus dem Vater ausfließt, bleibt die Seele nicht hängen.«35 An anderer Stelle heißt es: »Man darf nämlich nicht die falsche Vorstellung haben, als wäre durch den einen Sohn oder das eine Bild Christus Gottes Sohn und durch ein anderes wäre der gerechte und gottförmige Mensch Gottes Sohn. Denn er [sc. Paulus] sagt: Wir werden in dasselbe Bild verwandelt.«36 Offensichtlich ebnet Eckhart die Unterscheidung des ungeschaffenen vom geschaffenen Bild, d. h. des ewigen Sohnes Gottes vom Geschöpf, ein. Ähnlich äußert sich Eckhart im Sermo XLIX, der eine knappe Analyse des BildBegriffs liefert. Auch hier läßt Eckhart die Bildlichkeit des Sohnes im Blick auf den Vater mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen zusammenfließen. Denn als Bild gilt hier gleichermaßen (mit Kol 1,15) »das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor allen Geschöpfen« und (mit Augustinus) das vernunftbegabte Geschöpf in seiner Vernünftigkeit.37 Von den acht Thesen, in denen Eckhart im folgenden das Bildsein überhaupt – also ohne Unterschied zwischen dem geschaffenen und dem ungeschaffenen Bild – erläutert, treffen einige in traditioneller Sicht allein auf die innertrinitarischen Verhältnisse zu: etwa die Gleichheit zwischen Urbild und Abbild,38 oder die numerische Ununterscheidbarkeit (Unabzählbarkeit) von Urbild und Abbild.39 Instruktiv ist das Argument, mit dem Eckhart sich gegen die Abzählbarkeit wendet. Er führt an, daß Urbild und Abbild mithilfe der Reflexionsfigur des Selbstbewußtseins deutbar seien, denn es sei »notwendig, daß das Bild allein in der geistbegabten Natur ist, wo dasselbe sich zu sich selbst in vollendeter Rückwendung zurückwendet und wo der Zeugende mit dem Gezeugten oder dem Sprößling ein und dasselbe in seinem anderen Selbst ist […].«40 Das Erkennende und das Erkannte in der Selbsterkenntnis interpretiert Eckhart als Urbild und Abbild (und trinitätstheologisch als Gebärenden und Geborenen). So wenig wie Vater und Sohn oder Subjekt und Objekt der Selbstreflexion abzählbar seien, so wenig seien es Urbild und Abbild. Aufgrund der subjekttheoretischen Deutung ergibt sich für Eckhart, daß dem Bild Gottes nichts von dem fehlen darf, was in Gott ist, noch etwas in ihm sein darf, was in einem Geschaffenen ist.41 Als Aussage über das Bildsein des Sohnes wäre dies, wie gesagt, konventionell und entspräche den Vorgaben Augustins, die Eckhart Predigt 72, DW III 244 f. Expositio sancti evangelii secundum Johannem, Cap. 1, v. 14, LW III 104. 37 Sermo XLIX, LW IV 421. 38 Vgl. Augustinus: trin. 6,11. 39 LW IV 425: »Imago cum illo cuius est non ponit in numerum nec sunt duae substantiae, sed est unum in altero, ›et ego in patre, et pater in me‹.« Zitiert wird Joh 14,10; bei Augustinus vgl. trin. 7,8. 40 LW IV 425: »Consequenter oportet quod in sola intellectuali natura sit imago, ubi redit idem super se reditione completa et pariens cum parto sive prole est unum idem in se altero […].« 41 Vgl. LW IV 425. 35 36
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im Sermo XLIX auch immer wieder zitiert.42 Die Provokation, von der aus Augustinischer Sicht zu sprechen ist, liegt darin, daß all dies nach Eckhart auch vom Menschen gilt, insofern er Bild Gottes ist. Eckhart kann deshalb sogar von einem Zwang Gottes zum Eintreten in den gelassenen Menschen sprechen sowie von einem Zerfließen des menschlichen Selbst (›dein Deinsein‹) in Gottes selbst (›sein Seinsein‹), weil der menschliche Geist ein integrales Moment der göttlichen Selbstreflexion darstelle. Augustinus hingegen behauptet nicht mehr als eine Strukturparallelität zwischen menschlicher und göttlicher Subjektivität. Allerdings benutzt Augustinus an zwei Stellen seines Werks Formulierungen, die Eckharts Denken nahe zu kommen scheinen. So schreibt er in seiner Auslegung des ersten Johannes-Briefs, der Mensch werde sich in das verwandeln, was er liebt. »Haltet fest an der Liebe zu Gott, damit, wie Gott ewig ist, so auch ihr in Ewigkeit bleiben mögt. Denn jeder ist so beschaffen, wie seine Liebe beschaffen ist. Du liebst die Erde? Dann wirst du Erde sein. Du liebst Gott? Was soll ich sagen? Du wirst Gott sein? Ich wage es nicht, dies aus mir heraus zu sagen. Laßt uns auf die Schrift hören: ›Ich habe gesagt, ihr alle seid Götter und Söhne des Höchsten‹ (Ps 81,6). Wenn ihr also Götter und Söhne des Höchsten sein wollt, ›liebt nicht die Welt und nicht das, was in der Welt ist‹.«43 Wer Irdisches liebe, werde sich in Irdisches verwandeln. Bezeichnenderweise schreckt Augustinus aber vor der entsprechenden Aussage zurück: Wer Gott liebe, werde Gott sein. Zwar entschließt er sich dann doch zu dieser Redeweise unter Berufung auf den biblischen Sprachgebrauch in Psalm 81,6, wo es heißt, daß die Gläubigen Götter und Söhne des Höchsten sind. Für Augustinus bedeutet dieses Gottsein aber nur, daß, so wie Gott ewig ist, auch diejenigen, die Gott lieben, in Ewigkeit bleiben und die himmlische Glückseligkeit erhalten werden, während die Liebhaber der Welt vergehen.44 Von einer Einswerdung mit Gott ist also hier keine Rede. Im Gegenteil werden die Vorbehalte deutlich, die Augustinus gegenüber einer solchen Redeweise hegt. An der zweiten Stelle, die sich in De trinitate findet, sagt Augustinus mit den Worten des Apostels Paulus, daß derjenige, der Gott anhängt, ein Geist (mit ihm) sein werde. »Schließlich wird er, wenn er ihm gänzlich anhängt, ein Geist mit ihm. Diesen Sachverhalt bezeugt der Apostel mit den Worten: ›Wer aber dem Herrn anhängt, wird ein Geist mit ihm‹; 42 Insbesondere wäre die von Eckhart allerdings nicht zitierte Passage in trin. XV 6,10 zu nennen, wo Augustinus die göttliche Dreifaltigkeit reflexionstheoretisch formuliert. 43 In epistolam Joannis ad Parthos tractatus X, tr. II 14: »Tenete potius dilectionem Dei, ut quomodo Deus est aeternus, sic et vos maneatis in aeternum: quia talis est quisque, qualis eius dilectio est. Terram diligis? terra eris. Deum diligis? quid dicam? deus eris? Non audeo dicere ex me, Scripturas audiamus: ›Ego dixi, Dii estis, et filii Altissimi omnes‹ (Ps 81,6). Si ergo vultis esse dii et filii Altissimi, ›nolite diligere mundum, nec ea quae sunt in mundum‹. 44 Genau diese Deutung gibt Augustinus dem Psalmvers auch in Enarrationes in Psalmos, In Psalmum LXXXI 6.
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dies geschieht, indem der menschliche Geist zur Teilnahme an jener Natur, Wahrheit und Seligkeit hinzutritt, nicht aber, indem Gott in seiner Natur, Wahrheit und Seligkeit wächst.«45 Augustinus erklärt das ›ein Geist sein‹ des Apostels aber gerade nicht als Einswerdung des Menschen mit Gott, sondern als Teilhabe des Menschen an der Natur, der Wahrheit und der Glückseligkeit Gottes, worin die Verschiedenheit des Teilhabenden und des Teilgebenden impliziert ist. Vom Menschen als integralem Moment der geistigen Natur Gottes spricht Augustinus nie. Im Sermo XLIX unterscheidet Eckhart drei Stufen des Hervorbringens zum Sein: erstens ein Hervorbringen von sich, aus sich und in sich selbst, eine bullitio bzw. emanatio; und zweitens ein Hervorbringen von sich, aber nicht aus sich, eine ebullitio. Letztere setzt entweder ein schon Bestehendes voraus, dann handelt es sich um eine factio als zweite Stufe des Hervorbringens, oder sie setzt nichts voraus, dann liegt eine creatio als dritte Stufe vor. Bilder gehen Eckhart zufolge in der Weise der bullitio hervor; sie werden also weder gemacht noch geschaffen. Zudem sei die bullitio die Weise, auf die das Gute sich mitteilt.46 Vor dem Hintergrund der Transzendentalienlehre, also der Vertauschbarkeit von bonum und ens, darf man wohl ergänzen, daß sich auch das Sein so mitteilt, zumal Eckhart die bullitio, in der es nur die Bild-Ursache gibt, zur Sphäre des Metaphysikers erklärt, die factio/creatio hingegen zum Bereich des Naturphilosophen, weil dort Wirk- und Zielursachen eintreten. Daher legt sich auch von diesem Text her die Vorstellung nahe, daß nach Eckhart nur das esse hoc et hoc aller Dinge geschaffen ist, während das esse absolute ungeschaffen qua bullitio aus Gott emaniert. Während Augustinus zufolge selbst der erneuerte und eschatologisch verwandelte Mensch über eine vollkommene Ähnlichkeit mit Gott nicht hinaus gelangt, wird nach Eckhart der nach dem Bild Gottes erneuerte Mensch zu Christus als dem Ebenbild Gottes. Doch die Christus-Werdung des Menschen ist nach Eckhart nicht nur ein ethisches Ideal, auf das der Mensch hinzuarbeiten hätte.47 Vielmehr gilt, daß Christus den Menschen nichts gebracht hat, was sie nicht ohnehin schon besaßen. Christus werde nur deshalb verehrt, weil er den Menschen gesagt habe, was immer schon ihr eigen war. »Die Seligkeit, die er uns zutrug, die war unser. Dort, wo der Vater im innersten Grunde seinen Sohn gebiert, da schwebt die (Menschen-) Natur mit ein. Diese Natur ist eines und einfaltig.«48 Demnach soll der Mensch nicht erst 45 trin. 14,20: »denique cum illi penitus adhaeserit, unus erit spiritus: cui rei attestatur Apostolus, dicens: ›qui autem adhaeret domino, unus spiritus est‹ (1 Kor 6,17): accedente quidem ista ad participationem naturae, veritatis, et beatitudinis illius, non tamen crescente illo in natura, veritate et beatitudine sua.« 46 Vgl. LW IV 426. 47 Predigt 46, DW II 380 f.: »Denn, so wahr es ist, daß Gott Mensch geworden ist, so wahr ist es, daß der Mensch Gott geworden ist. Und so denn ist die menschliche Natur darin überbildet, daß sie das göttliche Bild geworden ist, welches das Bild des Vaters ist.« 48 Predigt 5a, DW I 87.
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zum ungeschaffenen Sohn Gottes werden, sondern er ist es in seinem Innersten immer schon. Die Lebensaufgabe des Menschen besteht bloß darin, sich dessen mithilfe der Botschaft Christi bewußt zu werden und alles abzulegen, was in ihm nicht Gott, sondern bloß Geschöpf ist.49 Dem ethischen Ideal der Christus-Werdung liegt bei Eckhart die anthropologische These zu Grunde, daß der Mensch immer schon Christus ist. Als Bild Gottes ist der Mensch nicht geschaffen, sondern vom Vater gezeugt.
5. Der dreifaltige Gott und die Einheit der Gottheit
Die Gotteslehre ist bei Eckhart wie bei Augustinus zunächst platonisch-neuplatonisch konzipiert. Gott ist unveränderlich, ewig, geistig usw. In der Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes setzt Augustinus sich jedoch vom Neuplatonismus ab. Plotins Hypostasenhierarchie von Einem, Nous und Psyché dreht Augustinus gleichsam um 90° in das horizontale Verhältnis von Vater, Sohn und Geist, die gleichen Wesens (homousios) sind. Zwar ist der Sohn vom Vater gezeugt und der Geist geht aus beiden hervor, doch dies begründe kein hierarchisches Verhältnis zwischen ihnen, wie die Arianer irrtümlich meinten. Der Vater sei nicht größer als der Sohn und beide zusammen nicht größer als der Geist, sondern jeder einzelne von ihnen sei der ganze Gott und gemeinsam seien sie der eine Gott.50 Diese Veränderung bedeutet eine Abkehr von der neuplatonischen Kernthese, daß an der Spitze des Systems das Eine selbst stehen müsse, das keinerlei Differenzen aufweise und daher auch in keiner Weise aussagbar sei, weil ja jede Aussage zumindest die Differenz von Subjekt und Prädikat mit sich bringe. Nach Augustinus ist die höchste Wirklichkeit, das Sein selbst, keine reine, sondern eine in sich differenzierte Einheit, die aber nicht zur Vielheit zerfällt – also eine Dreieinheit. Eckhart macht sich die Trinitätslehre Augustinus zu eigen, die ja bereits zum Grundbestand der mittelalterlichen Theologie geworden war. ›Gott‹ ist das Sein selbst; er ist trinitarisch zu verstehen unter Wahrung der Wesensgleichheit; die Trinität ist unterschieden den Personen nach, aber eins der Natur nach.51 Den Hervorgang des Sohnes bezeichnet Eckhart zwar anders als Augustinus nicht als generatio, sondern als emanatio oder bullitio, meint damit aber wohl dasselbe wie Augustinus, nämlich ein Hervorgehen ›von sich, aus sich, in sich‹. Allerdings ist der dreifaltige Gott für Eckhart nicht das höchste Prinzip, denn gleichsam hinter Gott steht für ihn die ›Gottheit‹. Eckhart denkt nach über Gott 49 50 51
Vgl. Mauritius Wilde: Das neue Bild vom Gottesbild, 234 f. Vgl. dazu Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes, 15 – 23. Vgl. Expositio sancti evangelii secundum Johannem Cap. 1,v.1 – 5, LW III 3 – 22.
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vor der emanatio oder bullitio des Sohnes. Hier ist Gott keine Trinität, sondern reine Einheit. Wer Gott bildlos erkennt, wie Eckhart es fordert, der erkenne ihn wie er Nicht-Gott sei. »In diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts.«52 An anderer Stelle heißt es: »Gott wird und entwird.«53 Und: »Gott wird, wo alle Kreaturen Gott aussprechen: da wird Gott. Als ich noch im Grunde, im Boden, im Strom und Quell der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte: da war niemand, der mich gefragt hätte. Als ich aber ausfloß, da sprachen alle Kreaturen: Gott!«54 »In der Quelle der Gottheit […] dort entwird Gott.«55 Eckhart vollzieht hier einen Schritt über die Trinität Gottes hinaus, in die reine Einheit der ›Gottheit‹, und damit auch über Augustinus hinaus und zurück in die neuplatonische Prinzipienlehre. Vor der Augustinischen Trinität liegt für Eckhart noch die plotinische Einheit. Für Augustinus gilt: Gott ist einer, una essentia; er ist groß, gütig, gerecht etc., wobei jede dieser Bestimmungen mit seinem ganzen Wesen identisch ist. Faßt man nun die drei Personen ins Auge, so gilt von jeder dieser Personen das Gleiche wie von Gott: sie sind groß, gütig, gerecht etc. Die Einheit Gottes ist so stark, daß sich die Personen mit Blick auf das, was sie an sich sind, nicht unterscheiden lassen. Die Unterschiedenheit und damit die Dreiheit der Personen wird erst dann sichtbar, wenn man deren Relationen zueinander betrachtet. Der Vater ist nicht der Sohn, weil der Vater zeugt und der Sohn gezeugt wird, und der heilige Geist ist von beiden verschieden, weil er von ihnen hervorgebracht wird. Die Dreiheit in Gott entsteht nach Augustinus erst durch die Relationen. Sie darf also nicht so aufgefaßt werden, als gäbe es drei Substanzen, die gemeinsam unter den Gattungsbegriff ›Gott‹ fallen, denn dies hätte einen Tritheismus zur Konsequenz. Selbst die Rede von drei Personen (Plural!) kann einem solchen Fehlverständnis Vorschub leisten und ist nach Augustinus nur mit Vorsicht zu gebrauchen.56 So betont Augustins Trinitätsontologie zwar die Einheit Gottes, doch daß die Dreiheit ›bloß‹ relational fundiert ist, bedeutet nicht, daß man sie auf die Einheit des göttlichen Wesens hin überschreiten könne. In Gott ist die Relation nach Augustinus in Gott kein Akzidens, sondern gleichen Ranges wie die Substantialität. Gott ist Augustinus zufolge immer dreifaltig einer. Eckhart übersteigert Augustins Rede von der una essentia vel substantia – tres personae dahingehend, daß er hinter (oder vor) den drei Personen eine reine, einheitliche Gottheit annimmt, die früher ist als die Personen.
Predigt 83, DW III 448. Predigt 109, DW IV/2, 768. Übersetzung nach: Meister Eckhart. Deutsche Predigten und Traktate, 273. Dort wird die Predigt als Nummer 26 gezählt. 54 Predigt 109, DW IV/2, 771 f. 55 Predigt 109, DW IV/2, 773. 56 Vgl. trin. 7,8 – 11. 52 53
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Wie sehr Eckhart im Vergleich zu Augustinus die Dreiheit gegenüber der Einheit abwertet, zeigt sich in dem Satz: »Als ich ausfloß, da sprachen alle Kreaturen ›Gott‹«, denn dies impliziert, daß alle Aussagbarkeit Gottes von den Geschöpfen her entsteht, und daß alle Differenzen, die im Blick auf Gott eintreten, etwa diejenige zwischen Gott und Welt, von der Schöpfung her eintreten. Auch dreifaltig, so muß man dann sagen, ist Gott nur im Blick auf die Schöpfung. Vor der Erschaffung der Welt, also bevor ›ich ausfloß‹, ›im Anfang‹, war Gott Eckhart zufolge noch nicht dreifaltig, sondern die reine Einheit der Gottheit. Cusanus wird diese Eckhartsche These später sehr deutlich aussprechen: Die Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist wird nach Cusanus nur im Blick auf die Geschöpfe bzw. die Fähigkeit Gottes zu schaffen getroffen.57 Nach Augustinus hingegen war Gott immer schon dreifaltig, und der Sohn unterscheidet sich vom Vater nicht bloß durch seine Schöpfungsmittlerschaft, sondern durch sein Gezeugtsein. Eckharts Schritt über die Trinität hinaus hätte Augustinus nicht zugestimmt, denn der Kirchenvater läßt den Standpunkt der reinen Einheit grundsätzlich zurück zugunsten einer in sich differenzierten Einheit.
6. Der mystische Aufstieg
In seiner Schrift Vom edlen Menschen gibt Eckhart weitere Hinweise zu seiner Anthropologie. Wie Augustinus unterscheidet er den äußeren Menschen vom inneren Menschen, wobei der innere Mensch ebenso wie der äußere zum Reich des Geschaffenen zähle. Darüber hinaus gebe es im Menschen aber noch etwas Ungeschaffenes, etwas, das nicht zur Natur des Menschen gehöre, nämlich den Samen göttlicher Natur. Dieser Same muß kultiviert werden, bis er ganz ausgewachsen ist, und zwar durch Wegnahme alles hoc et hoc. Das hoc et hoc des Menschen sind seine Vorstellungsbilder, aber auch seine Individualität, durch die er sich von anderen Individuen unterscheidet. Deshalb besteht die Kultivierung des göttlichen Samens darin, daß der Mensch von allen Bildern abläßt und aus sich selbst ausgeht. Dann läßt er das Bild Gottes, das in ihm liegt, ganz hervortreten; dann gebiert Gott seinen Sohn in ihm.58 Wir finden hier die Anwendung der Metaphysik des Opus tripartitum auf den Menschen selbst. Äußerer und innerer Mensch gehören zum esse hoc et hoc des Menschen, das er abstreifen soll, um sein esse absolute et simpliciter freizulegen. Tut er dies, dann verliert er seine Natur als Mensch (wie auch der vollkommen leer gewordene Becher seine Natur verliert) und steigt auf zum Himmel, weil dann das Bild Gottes in ihm hervortritt.
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Vgl. Nicolaus Cusanus: De docta ignorantia I 80 f. Vom edlen Menschen, DW V 109 – 112.
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Die Idee eines Samens göttlicher Natur in uns entwickelt Eckhart weiter zum Bild des ›Burgstädtchens‹ und des ›Seelenfünkleins‹.59 Das Burgstädtchen in uns, so erklärt Eckhart in Predigt 2, liegt über Intellekt und Wille, also über den inneren Menschen hinaus. Es ist keine Kraft der Seele. Vielmehr ist die Seele mit diesem Teil Gott gleich. Doch mehr noch: Das Burgstädtchen in uns ist völlig eins und einfaltig, wie auch Gott eins und einfaltig ist. Niemand kann in das Burgstädtchen hineinsehen, nicht einmal Gott, denn dies brächte ja die Differenz von Sehendem und Gesehenen mit sich. Soll Gott hineinsehen, dann, so Eckhart, »muß es ihn alle seine göttlichen Namen und seine personhafte Eigenheit kosten. Nur so kann er es, wie er einfaltiges Eins ist, ohne alle Weise und Eigenheit, weder Vater noch Sohn noch heiliger Geist.«60 Nicht als dreifaltiger, sondern als einfaltiger kommt Gott in das ebenfalls einfaltige Burgstädtchen. So entsteht die Einheit des Einen mit dem Einen, die jegliche Differenz ausschließt. Offenbar greift Eckhart hier noch höher als bisher. Es geht nicht nur darum, den Sohn Gottes in uns freizulegen oder zu gebären, der ja eine Person innerhalb der göttlichen Trinität ist. Vielmehr liegt die Einheit des Menschen mit Gott, wie er sie nun konzipiert, noch jenseits der Trinität, denn sie schließt jegliche Differenz aus. Es geht um die Einheit der Seele mit der Gottheit. Ein solches Mystik-Konzept ist von Plotin her bekannt, der zwar zumeist, vor allem in seinen früheren Schriften, einen Aufstieg der Seele bis zur Einswerdung mit dem göttlichen Nous, also der zweiten Hypostase beschreibt, die in vielem dem christlichen Sohn Gottes entspricht,61 gelegentlich aber radikaler von der Einswerdung mit dem Einen, der ersten, völlig differenzlosen Hypostase spricht.62 Henosis lautet Plotins Begriff für diese Einswerdung. Für Augustinus ist das Konzept des geistigen Aufstiegs, das er von den Neuplatonikern übernommen hat, zentral. Aber dieser Aufstieg endet für ihn stets mit dem Sehen bzw. mit dem Berühren der göttlichen Weisheit und des göttlichen Lichtes, unter dem der ewige Sohn Gottes zu verstehen ist.63 Sehen und Berühren implizieren aber die bleibende Verschiedenheit von Gesehenem/Berührtem und Sehendem / Berührenden. Von einer Einswerdung des Menschen mit dem Gottessohn spricht Augustinus nie, geschweige denn, wie Eckhart, von einer Henosis mit dem Einen selbst jenseits der Dreifaltigkeit, das für Augustinus ja gar nicht existiert. 59 Augustinus spricht ebenfalls vom ›Seelenfünklein‹, und es ist nicht ausgeschlossen, daß Eckhart den Ausdruck aus De civitate dei übernimmt, wo Augustinus von der scintilla rationis spricht, die auch durch den Sündenfall nicht ganz ausgelöscht wurde (vgl. civ. 22,24). Aber dieser Funken ist für Augustinus natürlich ein geschaffenes Merkmal der Seele und nichts ungeschaffenes, in dem die Seele Gott oder gar der ›Gottheit‹ gleich wäre. 60 Predigt 2, DW I 43. 61 Vgl. Enneade I 6,4; V 9,2. 62 Vgl. Enneade IV 8,1. 63 Vgl. conf. 7,16; 17,23; 9,23 – 26.
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Meister Eckhart betreibt ein intensives Studium der Schriften Augustins und nimmt sie in Anspruch für seinen Versuch, nach der Aristoteles-Rezeption des 13. Jhs. nun den Neuplatonismus innerhalb des christlichen Denkens neu zur Geltung zu bringen. Wie ich zu zeigen versucht habe, birgt diese Augustinus-Rezeption Probleme, die alle in die gleiche Richtung weisen. Eckhart verlängert Augustins Thesen auf jenes neuplatonische Einheitsdenken hin, von dem Augustinus selbst sich, auch aufgrund seiner christlichen Überzeugungen, gelöst hatte. Das In-sein der Dinge in Gott, wie Augustinus es versteht, interpretiert Eckhart als Identität des göttlichen Seins mit dem gemeinsamen esse absolute der Dinge und schwächt damit den Schöpfungsgedanken ab. Augustins inhaerere Deo übersteigert er zu einem Eingehen des menschlichen Selbst in das göttliche Selbst. Eckhart gibt den Unterschied von geschaffenem und ungeschaffenem Bild auf und versteht folglich die Gottebenbildlichkeit des menschlichen Geistes nicht mehr wie Augustinus als Strukturentsprechung zur göttlichen Dreifaltigkeit; vielmehr macht er den menschlichen Geist zu einem integralen Moment des göttlichen Sich-selbst-Denkens. Augustins irreduzibel dreieinigen Gott zerlegt Eckhart gleichsam in eine Dreiheit und eine dahinter stehende Einheit. Augustins mystische Aufstiege zur Berührung der göttlichen Weisheit als der zweiten trinitarischen Person verlängert Eckhart zur Einswerdung mit dem Einen. In all diesen Punkten ist Eckharts Augustinus-Rezeption durch eine neuplatonische Transformation des Kirchenvaters gekennzeichnet, die dessen Intentionen nicht entspricht.
Wissen von Augustinus deutsch? Die Rezeption der Schriften des Kirchenlehrers in deutscher Literatur des Spätmittelalters. Ein kursorischer Überblick von Rudolf Kilian Weigand »Die Wände wurden von hohen Büchergestellen verdeckt, angefüllt mit einem unglaublichen Plunder, vor dem Andreas staunend stand. […] Weiterhin standen sogar die Kirchenväter.« (Heinrich Mann: Im Schlaraffenland, Kap. 2)
1. Rezeptionsspuren im frühen und hohen Mittelalter
Die Augustinus-Rezeption setzt in der deutschen Literatur früh ein. Erste Übertragungsunternehmungen können schon auf das Ende des 8. Jahrhunderts datiert werden, denn zu diesem Zeitpunkt fand eine Augustinus-Predigt das Interesse des Isidor-Übersetzers. Er wählte für seine Wiedergabe in deutscher Sprache den Sermo LXXVI über Mt 14,24 – 33: De Domino ambulante super aquas maris, et de Petro titubante. Gut zwei Drittel des lateinischen Textes enthält die althochdeutsche Umschrift in den Monseer Fragmenten. Auch im Hochmittelalter werden immer wieder Augustinus-Predigten in Mustersammlungen inkorporiert, wie einige Frag Vom sog. Isidor-Übersetzer sind mehrere Texte aus Bibel, Theologie und Predigt bereits im 8. Jahrhundert ins Althochdeutsche übertragen worden. Bei der Übersetzung, die in zwei Handschriften vorliegt (Bibl. Nat., Paris = P; Österr. Nationalbibl. Wien cod. 3093 = M), handelt es sich um die ältesten Zeugnisse einer theologischen Übersetzungsliteratur in deutscher Sprache. Den Übersetzer vermutet man im Kreis um Alkuin. Da einige Dialektspuren zwar ins westliche Südrheinfränkische weisen (Raum um Metz), die Mundart sich dennoch nicht exakt bestimmen läßt, bezeichnet man seine Sprachausprägung als ›Isidorsprache‹. Die Wien-Monseer Handschrift (M) zeigt Spuren einer bairischen Überformung. Vgl. zur Monsee-WienerHandschrift die Beschreibung bei Hermann Menhardt: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothk, Bd. 2, 877 – 879, hier 878; die AugustinusPredigt ist Text Nr. 5. Zur Überlieferung vgl. zuletzt Elke Krotz: Auf den Spuren des althochdeutschen Isidor. Studien zur Pariser Handschrift, den Monseer Fragmenten und zum Codex Junius 25. Mit einer Neuedition des Glossars Jc (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), Heidelberg 2002, Rez. von Claudia Wich-Reif in ZfdA 134 (2005), 81 – 87. Die Angabe bei Menhardt (1961), 878, es sei Sermo 36, ist unzutreffend, Kurt Ruh hat richtig Sermo 76; vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, hier 538. Vgl. The Monsee Fragments, zur Augustinus-Predigt, 60 – 67. Der ahd. Text im Internet unter: http://titus.uni- frankfurt.de/texte/etcs/germ/ahd/ monsee/monse.htm Vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, hier Sp. 538.
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mente bezeugen. Damit war der Name des Kirchenlehrers in deutschen Texten eingeführt. Bezogen auf den Umfang und die Verbreitung des lateinischen Gesamtwerks, das der Bischof von Hippo geschaffen hat, stellen diese Predigtverwertungen freilich allenfalls marginale Versuche der Anverwandlung in deutscher Sprache dar. Allerdings finden wir auch außerhalb der Predigtliteratur Verweise auf Gedankengut Augustins. In Beschlüssen einer Trierer Synode von 927 wird bezüglich der Aufforderung zur Beichte auf die Confessiones rekurriert. Freilich handelt es sich hier um lateinisches Schrifttum, das Gelehrten als Handlungsanweisung für die Belehrung zugedacht ist. Eigentliche Laienbildung mit zu diesem Zweck formalisierter Literatur dürfte allenfalls in Randbereichen stattgefunden haben. Obwohl in den wenigen dokumentierten Adeligen-Bibliotheken der Karolingerzeit Augustinus durchaus vertreten ist, wenn auch nicht mit den Confessiones, bleibt offen, inwieweit eine verständige Vermittlung an volkssprachige Kreise überhaupt stattfinden konnte. Denn selbst dort, wo eine grundständige Lesefähigkeit von lateinischen Texten gegeben war, bedeutete das nicht zugleich, daß den Schülern die sinngemäße Übertragung dieses Schrifttums in die Volkssprache möglich war. Trotz der belegten Übersetzungen ist demzufolge tatsächliche Kenntnis von Augustinus-Texten in deutscher Sprache bei ungelehrtem Publikum im Frühmittelalter kaum anzusetzen. »Der feudale Adlige des frühen Mittelalters besaß Kultur, indem er ihre Produzenten besaß oder beanspruchte.« Eigenständiges Wissen um die gelehrten Inhalte war damit eher selten verbunden. Erst als sich die Bildungsverhältnisse durch den flächendeckenden Aufbau von Schulen massiv gewandelt haben, ist der Boden bereitet für umfangreichere Verdeutschungen von Texten Augustins. Dennoch bleibt die Berücksichtigung in volkssprachigen Texten zunächst marginal. Selbst in geistlich orientierter belehren-
Vgl. Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge. Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter, 248. Vgl. Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge, 58 – 60 zu den Bibliotheken der Dhuoda, Gattin des Grafen Bernhard von Septimanien (841/43), des Grafen Ekkehard von Autun (um 876) und des Markgrafen Eberhard von Friaul (863/64), in dessen Bücherbestand eine Handschrift von De civitate dei verzeichnet ist. Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge, 251 f., mit einem Beispiel aus der ›Vita S. Gregorii‹ des Liudger von Münster. Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge, 46. Grundlegend zum Wandel des Schulwesens im hohen und späten Mittelalter vgl. Johannes Fried (Hg.): Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Kurz, aber informativ Peter Classen: Die hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert. Einen guten Überblick zur Entwicklung der Übersetzungstätigkeit in Deutschland im Mittelalter bietet Joachim Heinzle (Hg.): Übersetzen im Mittelalter. Zur Entwicklung der Schriftlichkeit und zum Anteil der einzelnen Textsorten vom 11. bis zum 13. Jahrhundert vgl. Christa BertelsmeierKierst: Aufbruch in die Schriftlichkeit. Zur volkssprachlichen Überlieferung im 12. Jahrhundert.
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der Literatur, wie dem mittelhochdeutschen Lucidarius, findet Augustinus an einer einzigen Stelle Erwähnung. Bei den Erörterungen über die Geheimnisse der Heiligen Messe belehrt der Meister seinen Schüler: »Wen wenne wir ophiren zu der messen, so nach bilde wir sancte Marien magdalenen, die vnsern herren salbete, do er zu der martel gie. Augustin sprichet: ›Swer nach bildet Mariam magdalenam mit dem opfer, der gewinnet ouch teil dez lones mit ir.‹« Zugrunde liegt eine Stelle in Augustins Kommentar zum Johannesevangelium (Io. ev. tr. 50,12). Beachtlich ist, daß der anonyme Autor des Lucidarius mit den präsentierten Informationen sogar über seine Vorlage, das Elucidarium des Honorius Augustodunensis, hinausgeht. Solch gründliche Beschäftigung bleibt jedoch vereinzelt. Denn wir können in allgemein didaktischer Dichtung eine Generation später, im Welschen Gast des geistlich gebildeten Thomasin von Zirklære, keine Augustinus-Nennung finden, obwohl dort andere Kirchenlehrer aufgeführt werden, aber eigentümlicherweise keine Autoritäten für die divinitas (V. 9737 ff.). Obwohl also im Rahmen der Übertragung oder Auswertung theologischer Fachliteratur in die deutsche Sprache Rückgriffe auf anerkannte Autoritäten durchaus zu beobachten sind, liefern sie noch keine eigenständige Augustinus-Übersetzung. Die übersetzerische Rezeption des Hochmittelalters ist vordringlich durch Bibeldichtung und Legendenübertragung gekennzeichnet, erst im beginnenden Spätmittelalter treten vermehrt Fachtexte aller Art, gerade auch theologischer Natur in den Blickpunkt.
Deutlich häufiger, nämlich an sieben Stellen, wird Gregorius erwähnt, vgl. Dagmar Gottschall; Georg Steer (Hg.): Der deutsche ›Lucidarius‹ Band 1: Kritischer Text nach den Handschriften, hier (im Wörterbuch) 232. Der deutsche ›Lucidarius‹ Band 1 (1994), hier 105,15 (Lib. II,64). Im Kommentar zu Der deutsche ›Lucidarius‹ erklärt Marlies Hamm (Band 2,381): »Das Augustinus-Zitat ist Zusatz im Lucidarius. Am Samstag vor dem Palmsonntag wurde den Armen ein Almosen ausgegeben, das die Liturgiker seit Augustinus in der Salbung Christi in Bethanien durch Maria Magdalena präfiguriert sahen.« Zum Beispiel Gregorius für Musik (V. 9603), Thales für Mathematik (V. 9605). Bezeichnenderweise beklagt Thomasin von Zerclare (Der Welsche Gast, 322) aber vielfach die mangelnde Gelehrsamkeit der Laien, etwa V. 9833 – 9848. Zur Entwicklung der deutschen Übersetzungsliteratur besonders im theologischen Bereich im Hoch- und Spätmittelalter vgl. immer noch den umfassenden Überblick von Georg Steer: Germanistische Scholastikforschung.
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2. Popularisierung im 13. und 14. Jahrhundert
Augustinus-Texten größeren Umfangs begegnen wir schließlich in Handschriften des 14. Jahrhunderts. Eigentümlicherweise gehen auch dann noch die Bemühungen nicht direkt auf Sammlungen originärer Schriften Augustins zurück, die eigentlich zuhauf in den Bibliotheken zu finden waren. Stattdessen stützen sich Übersetzer auf ein, allerdings besonderes, Zeugnis lateinischer adaptierender Rezeption. In seinem Speculum historiale, dem chronologischen Teil seines umfassenden enzyklopädischen Projekts Speculum maius, hat Vinzenz von Beauvais vielfältige Auszüge der Schriften antiker und spätantiker Autoren als Zeugnisse der literarischen Produktion der jeweiligen Zeit eingebaut. In dieser Art von Literaturgeschichtsanthologie ist seine chronikalisch geordnete Sammlung für das Mittelalter einmalig. Insgesamt 44 Kapitel wurden von Vinzenz in Buch XVIII des Speculum historiale dem Werk Augustins gewidmet. Er eröffnet die Passage mit Kapitel 53 unter der Überschrift De libris Augustini; zunächst erhalten wir dort eine knappe Darstellung zum Wirken des Bischofs von Hippo: »Arcadii et Honorii temporibus Augustinus in ecclesia philosophatus est, cuius librorum, tractatuum et epistolarum numerus plusquam at mille triginta extenditur, multis numero non comprehensis.« Darauf folgen in ähn-
Die umfangreiche lateinische Überlieferung der Schriften Augustins ist in ihrer Vielfalt bis heute nicht wirklich aufgearbeitet. Ein vorläufiger Überblick zu den Manuskriptzahlen bei Herbert Hunger (u.a.): Die Textüberlieferung der antiken Literatur und der Bibel, zu Augustinus 418 – 420. In Hinblick auf die Confessiones sind demnach bis zum 12. Jahrhundert schon an die hundert Textzeugen der lateinischen Version anzusetzen, ohne das enorme Anwachsen der Kodexproduktion im Zuge der Literaturexplosion des Spätmittelalters zu berücksichtigen. Zu Vinzenz vgl. ausführlich Johan B. Voorbij: Het ›Speculum Historiale‹ van Vincent van Beauvais. Een studie van zijn ontstaansgeschiedenis; Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais. Scholastische Universalchronistik als Quelle volkssprachiger Geschichtsschreibung; zur Genese des Speculum maius auch Anna-Dorothee v. den Brincken: Geschichtsbetrachtung bei Vinzenz von Beauvais. Die Apologia Actoris zum Speculum Maius. Diese Funktion des Speculum historiale als Sammelbecken von wörtlichen Auszügen zahlloser Originalschriften ist bislang nicht umfassend untersucht. Es gibt Einzelstudien zu klassischen Autoren, etwa zu Aristoteles von Jaqueline Hamesse: Le dossier Aristote dans l’œuvre de Vincent da Beauvais. À propos de l’Èthique. Den Stellenwert etlicher Klassiker-Zitate im Speculum historiale analysiert auch Stefan Schuler: Excerptoris morem gerere. Zur Kompilation und Rezeption klassisch-lateinischer Dichter im ›Speculum historiale‹ des Vinzenz von Beauvais. Das Speculum historiale benutzt man am besten im Nachdruck der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt in Graz 1965: Vincentius Bellovacensis Speculum Quadruplex sive Speculum maius (Naturale/Doctrinale/Morale/Historiale), Douai 1624. In dieser Ausgabe zählt das Speculum Historiale als vierter Band 31 Bücher, da das erste Buch mit der allgemeinen Einleitung und den Tabulae weggelassen ist; die Zitierung erfolgt nach Büchern (lib.) und Kapiteln (c.). Zur Organisation und Zählung der Bücher im Speculum historiale vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 45 – 69; und Johan B. Voorbij: Het ›Speculum Historiale‹van Vincent van Beauvais, 109 – 129.
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lichem Stil Bemerkungen verschiedener Historiographen zu Augustinus. In zwei weiteren Kapiteln zählt Vinzenz dann die ihm bekannten Schriften Augustins auf, zunächst jene, welche er selbst eingesehen hat (cap. 54), immerhin eine Liste von 131 Titeln, dazu noch die summarisch benannten Sammlungen von 150 Epistolas parvas et diversos und 200 Sermones diversos. Die Zahl spiegelt die mittelalterliche Vorstellung vom Gewicht Augustins, denn er selbst führt in seinen Retractationes nur 94 eigene Werke an. In einem zweiten Teil folgen jedoch noch zusätzliche Schriften, von denen Vinzenz nur Titel nennen kann (cap. 55), weitere 21 namentliche Nummern, sowie der Verweis auf eine noch größere Zahl von Texten, deren Zuschreibung dem Chronisten jedoch zweifelhaft erscheint. Mit cap. 56 beginnen die wörtlichen Auszüge aus den Schriften Augustins. Angesichts des vorangestellten opulenten Katalogs erstaunt die hierbei von Vinzenz vorgenommene, sehr begrenzte Auswahl: Aus ganzen drei Werken liefert er Exzerpte, nämlich den Confessiones, dazu aus De doctrina christiana sowie aus De opere monachorum. Mit 34 Spalten (714a bis 729b) bei durchschnittlich 70 Druckzeilen erreichen die Auszüge nahezu 2400 Zeilen im Großfolioformat. Höchst unterschiedlich ist dabei die Menge des exzerpierten Materials verteilt. Die Partien aus den Confessiones umfassen volle 38 Kapitel (cap. 56 – 92), immerhin noch fünf (93 – 97) sind der Schrift De doctrina christiana vorbehalten, nur mehr zwei (98 und 99) berichten aus De opere monachorum. Unübersehbar ist damit der überragende Stellenwert, den Vinzenz den Confessiones in Augustins Gesamtwerk einräumt. Die Verteilung der Exzerpte über die Confessiones hinweg legt den Schwerpunkt deutlich auf Buch 10 (cap. 77 – 89), wohingegen Buch 5 und 6 (cap. 67 und 68) nur in straffer Kürzung benutzt wurden, aus den Büchern 12 und 13 hat Vinzenz überhaupt keine Passagen herangezogen. Damit zeigt er ein Verständnis Augustins, das doch deutlich von manch reduktiver Sicht im Mittelalter abweicht.
Zunächst werden Gennadius, Hieronymus und Prosper genannt. Die letzte Passage in diesem Kapitel über Augustinus eröffnet Vinzenz mit der Notiz Author. Mit dieser Zuweisung kennzeichnet er zwar bisweilen auch seine eigenen Bemerkungen, meist handelt es sich aber um Stellen, die er seiner Hauptquelle, der Chronik des Helinand von Froidemont entnommen hat, vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 69 – 76, bes. 72. Zu Augustinus bei Vinzenz vgl. auch Ludwig Lieser: Vinzenz von Beauvais als Kompilator und Philosoph, 26 – 31. Im Nachdruck der Ausgabe Douai 1624 ist mittels der beigefügten Marginalien leicht die Herkunft der Confessiones-Zitate zu verifizieren. Allerdings treten immer wieder leichte Verschiebungen auf, so sind Abschnitte aus cap. 6 des zweiten Buches schon dem cap. 7 zugewiesen. Vgl. Norbert Fischer: Meister Eckhart und Augustins Confessiones, 2; er weist darauf hin, daß das von Vinzenz breit exzerpierte 10. Buch häufig unter die gleiche Mißachtung fiel wie die Bücher 11 bis 13.
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2.1 Verdeutschung des ›Speculum historiale‹
Mittels eines Übersetzungsunternehmens des Speculum Historiale in die deutsche Sprache, im 14. Jahrhundert wohl vom Deutschen Orden initiiert, konnten diese planmäßig exzerpierten Teile der Confessiones und damit erstmals ein umfängliches Werk Augustins von einem volkssprachigen Publikum im deutschen Sprachraum gelesen werden. Auch die Forschung verstand diese Exzerpte lange Zeit als Augustinus-Texte: Es dauerte Jahrzehnte, ehe Vinzenz als Mittlerquelle identifiziert werden konnte. Wie verbreitet die Übersetzung des Speculum historiale und damit auch die der Confessiones-Auszüge war, vermögen wir heute nicht mehr sicher festzustellen. Immerhin kann man wohl von mindestens zwei in Fragmenten erhaltenen PergamentHandschriften ausgehen. Daraus lassen sich für den Einzelfall aber nur schwer quantitativ belastbare Folgerungen ableiten. Diese Speculum-historiale-Übersetzung war freilich nicht der einzige Weg, auf dem Vinzenz’ Exzerptsammlung in den deutschen Sprachraum gelangte. Bekanntlich übertrug Jacob van Maerlant das Speculum historiale unter dem Titel Spiegel historiael ins Niederländische; Teile, die er selbst nicht mehr vollenden konnte, wurden durch Lodewijk van Velthem und Philip Utenbroeke ergänzt. Diese niederländische Version fand das Interesse oberdeutscher Bücherfreunde, zumindest der vierte Teil des Spiegel wurde wohl im Nürnberger Raum in den örtlichen Dialekt übertragen. Zwei umfangreiche, in Nürnberger Patrizierfamilien entstandene Handschriften sind heute noch erhalten. Ob auf diesem Weg auch Augustinus-Teile mittransportiert wurden, muß offenbleiben. Augustinus-Kenntnis für ein volkssprachiges Publikum im deutschen Sprachraum erschöpft sich im 14. Jahrhundert jedoch keineswegs in diesen umfangreichen Exzerpt-Übertragungen. Sie wird begleitet von einer breit gefächerten indirekten Rezeption. Denn in Predigt, Traktat und Erbauungsliteratur bis hin zur Dichtung wurde der angesehene Lehrer eifrig zitiert, in der Mehrzahl freilich mittels anonymer Aussagen, aber in gar nicht seltenen Fällen durchaus auch unter Nennung von Name und Werktitel. Vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 138 – 147, bes. 143. Vgl. Paul Lehmann/Otto Glauning: Mittelalterliche Handschriftenbruchstücke der Universitätsbibliothek und des Georgianum zu München. Vgl. Uwe Neddermeyer: Möglichkeiten und Grenzen einer quantitativen Bestimmung der Buchproduktion im späten Mittelalter. Vgl. Jacob van Maerlants Spiegel historiael met de fragmenten der later toegevoegde gedeelten. 3 Bände. Berlin, SBPK mgq 2018 (aus dem Besitz der Nürnberger Patrizierfamilie Schürstab) und Wien, ÖNB, CPV 2902 (aus dem Besitz der Familie Volkamer/Volkmayr). Zur deutschen Rezeption des Spiegel historiael vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 186 – 204. Vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, 541 – 543.
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Daß in der Verifizierung solcher Bezüge zunächst der Nachweis von AugustinusZitaten im Rahmen der Erforschung der ›deutschen Mystik‹ im Vordergrund steht, kann kaum verwundern. Gerade im Bereich dieses Schrifttums gelten Augustins Werke als eine ›Fundgrube von Anregungen‹ hinsichtlich der mystischen Spekulation. Für Meister Eckhart ist ausführlich belegt, in welch vielfältiger Weise er zu den eifrigen Nutzern von Augustins Schriften gehört. Doch auch in Werken, die in ihrer Intention nicht auf spirituell bestimmte Lebensführung, ja nicht einmal vordringlich auf ein geistliches Publikum zielen, lässt sich eine breite und ausgeprägte Augustinus-Rezeption und -Zitation nachweisen. Auf diese Weise wird der Name des Bischofs nun in weite deutschsprachige Kreise getragen, denen die lateinischen Texte des Lehrers nicht verständlich waren. Damit läuft der Vermittlungsweg ähnlich wie bei anderem ursprünglich lateinisch verbreitetem Gelehrtenschrifttum: Man bedient sich in Zitaten und Auszügen durchaus der Textinhalte zur Bekräftigung und Beglaubigung im Rahmen von Vermittlung und Argumentationsstrukturen. Nur selten aber streben die gelehrten Wissensvermittler ein vollständiges Angebot dieser Texte in der Volkssprache an, sie begnügen sich mit dem beglaubigenden Zitat.
2.2 Verwertung im ›Renner‹ des Hugo von Trimberg
Als besonders wirkungsmächtiges Beispiel einer Transferierung von gelehrten Wissenssplittern mittels der Insertion in volksspachliche Belehrungsdichtung kann man das gereimte didaktische Großwerk Renner des Hugo von Trimberg anführen. Er wirkte von ca. 1265 bis nach 1310 als Schulmeister am Bamberger Vorstadt-Stift St. Gangolf. Zeitlich nahezu parallel zum theologischen Schaffen Eckharts in der spekulativen Theorie von dessen Predigten, bringt Hugo auf ganz anderer Ebene die Texte und das Gedankengut Augustins einem deutschen Publikum nahe. Obwohl als rector scolarum nur Laie, versteht auch Hugo sich als Prediger, aber in einer eingeschränkten Weise:
Uta Störmer-Caysa: Einführung in die mittelalterliche Mystik, hier 70 – 72, (Zitat) 70. Die Erforschung der Rezeption Augustins durch Eckhart hat derzeit Konjunktur. Vgl. zunächst Johannes Brachtendorf: Metaphysik und Mystik bei Augustinus und Meister Eckhart, hier in diesem Band. Demnächst auch Freimut Löser: Wann, wie oft und wie genau zitiert eigentlich Meister Eckhart Augustinus?; sowie Norbert Fischer: Meister Eckhart und die Confessiones Augustins. Vgl. Rudolf Weigand: Vinzenz von Beauvais, 279 f. Vgl. Rudolf Kilian Weigand, Der ›Renner‹ des Hugo von Trimberg, zur Biographie 20 – 27, zum Werktitel 215. Der Text wird im folgenden zitiert nach Gustav Ehrismann (Hg.): Der Renner von Hugo von Trimberg.
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Irdisch guot und irdisch êre Wil der heiligen schrift lêre Sô gar vertiligen und vernihten, Swie vil wir predigen, schrîben, tihten, Daz doch leider ûf erden hiute Vil zwîfeler ist und arger liute. (Renner; V. 2005 – 10)
Die drei Worte predigen, schrîben, tihten kennzeichnen Hugos Verfahren, wobei er sein spezifisches Verständnis von predigen an anderer Stelle noch präzisiert: Rehtiu bîhte hât sibenzehen stücke, Swer diu ze rehte ûz legen wölte, Daz zimt pfaffen und münchen wol,
Diu ich durch kurzen under zücke: Wol man im des danken sölte: Ein leie niht tiefe predigen sol.
Mit diesem Verfahren einer ›einfachen Predigt‹, welche die für ihn als Laie angemessene Äußerungsform darstellt, will Hugo seine Leser bzw. Hörer auf moralischer Ebene beeinflussen. Deshalb folgt die Themenanordnung im ›Renner‹ dem Muster der sieben Hauptsünden. Im Epilog zum ›Renner‹ stellt Hugo es sogar als sein besonderes Verdienst heraus, daß er mit seiner Dichtung die Inhalte vieler Werke, die bisher in deutscher Sprache nicht zugänglich waren, nunmehr für sein Publikum verfügbar gemacht hat (v. a. V. 24543 – 551):
»Besitz und Ansehen in dieser Welt wird die Lehre der Heiligen Schrift so gänzlich vertilgen und vernichten, da kann ich predigen, schreiben, dichten was ich will; auf Erden gibt es fast nur Zweifler und böse Menschen.« Vgl. ›Renner‹ V. 20635 – 20640: »Die richtige Form der Beichte umfaßt siebzehn Teile. Jedem, der bereit ist sie auszulegen, gebührt dafür Dank. Aber das ist eine Aufgabe für gelehrte Geistliche und Ordensleute, ein Laie (wie ich) soll niemals tiefsinnige Predigten vortragen.« Ganz offensichtlich geht Hugo neben einer stillen Lektüre seiner Texte auch von Vortragsdarbietung aus. Im Prolog zum ›Renner‹ erklärt er nämlich unmißverständlich(V. 15 – 24): Doch wil ich ein büechelîn Mînen guoten friunden tihten Und mit rîmen sô berihten, Daz si dâ bî gedenken mîn. Swelhe ez lesen oder hœren lesen, Die süln mîner sêle wesen Genêdic, wenne geschriben stât: Swer vür eins andern schulde bite, Sîn selbes sêle lœse er dâ mite Und tilige ouch sîn missetât Zum Aufbau des ›Renner‹ vgl. ausführlich Rudolf Kilian Weigand: Der ›Renner‹ des Hugo von Trimberg, 346 – 358; dort 365 – 374 auch Inhaltsangaben zu den Hauptabschnitten. Hugo faßt die sieben Hauptsünden in nur sechs Abschnitten zusammen (V. 269 – 18000), weil er die Sünden ira und invidia (zorn und nît) zu einer einzigen Gruppe zusammenstellt (V. 13964 – 15946). Auf den Sündenteil folgen ab Vers 18001 die Erwägungen über die rechte Lebensführung und die Mittel hierfür (Reueteil mit Heilslehre, bis V. 24283), V. 24484 – 24611steht Hugos Epilog. Auf diese Stelle verweist am Rande schon Dietrich Schmidtke: Die künstlerische Selbstauffassung Hugos von Trimberg, hier 330.
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Swaz ich niht genzlich hân gerüert, Was ich nicht in Gänze erläutert habe, Daz hât sant Bernhart gar volfüert hat St. Bernhard umfassend ausgeführt in An sînen fünf buochen der Merkunge: seinen fünf Büchern De consideratione. Dâ merke der alte und ouch der junge, Dort kann der Alte und der Junge Der latîn wol verstên kan, dem das Latein geläufig ist, herausfinden, Waz er tuon sol oder lân. was er tun oder lassen soll. Jeder, der Swer ganzer tugent lêre wil suochen eine umfassende Tugendlehre suchen will, Der frâge nâch sant Gregôrien buochen, der frage nach den Hiob-Büchern, die Diu er geschriben hât ûf Job: der Heilige Gregorius geschrieben hat. Dâ vindet er maniger tugent lop. Dort findet er das Lob für viele Tugenden. Dise zwên und sant Ambrôsius, Die genannten zwei und Sankt Ambrosius, Sant Augustîn und Jerônimus Sankt Augustin und Hieronymus, und Und sant Johan der Guldîn Munt, der Heilige Johannes Chrysostomus, Des lêre ouch wîten ist worden kunt, dessen Lehre auch weithin bekannt wurde, Und manige ander hôhe lêrer und viele andere der hohen Lehrer waren Wâren Kriechen, Walhen, Lamparter, Griechen, Romanen oder Lombarden, Den tiutschiu sprâche was unbekant. denen die deutsche Sprache unbekannt war. Swâ diz buoch vert durch diu lant, Wo auch immer dies Buch durch die Lande reist, In Swâben, in Düringen, in Beiern, in Franken in Schwaben, Thüringen oder Franken, Dâ süln tiutsche liute danken da sollen die deutsch sprechenden Leute Mîner sêle mit irm gebete, mit ihrem Gebet meiner Seele danken, Mit almuosen, mit anderre guotête, auch mit Almosen und anderen guten Werken, Daz ich vil fremder lêre in hân daß ich ihnen viel an fremder Lehre In tiutscher zungen kunt getân, in deutscher Sprache bekannt gemacht habe, Die manic jâr vor und dennoch hiure die etliche Jahre zuvor in Deutsch rar war In tiutscher sprâche wâren tiure. und auch heute noch ist. (Renner; V. 24526 – 24551)
In seiner Zitierfreudigkeit, die mit der Aufzählung etlicher Quellen in diesem Schlußabschnitt noch einmal unterstrichen wird, unterscheidet sich Hugo wesentlich von früheren Autoren didaktischer Werke in deutscher Sprache wie Freidank oder Thomasin von Zerclaere. Doch er nennt nicht nur die Autoritäten und deren Werke und zitiert vereinzelt aus ihnen. Auch in Passagen, die von Hugo eigenständig gestaltet werden, greift er in Appellen immer wieder auf Gedankengut seiner Gewährsmänner zurück. Das gilt für Augustinus in so hohem Maße, daß Rosenplenter den ›Augustinismus‹, von dem die Forschung wiederholt bei dem Bamberger Schulmeister spricht, durchaus bestätigen kann. Speziell stützt Hugo sich auf Dies wird bereits konstatiert bei Lutz Rosenplenter: Zitat und Autoritätenberufung im Renner Hugos von Trimberg: Ein Beitrag zur Bildung der Laien im Mittelalter, hier S. 27. Lutz Rosenplenter: Zitat und Autoritätenberufung im Renner Hugos von Trimberg, 296 f.
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Kernbegriffe aus Augustins Confessiones. Deutlich ist das ablesbar an einer Passage im Abschnitt über die Sünde des fraz, der Völlerei, gula: – ›Bekenne dich selber‹ daz ist ein wort, Daz wîser liute sin durchbort; – ›Bekenne dich selber‹ daz ist ein wort, Daz sünde und schande von uns schort; – ›Bekenne dich selber‹ daz ist ein wort, Daz gibt uns êwiger fröuden hort; – ›Bekenne dich selber‹ daz ist ein wort, Daz hie wert machet unde dort, – ›Bekenne dich selber‹ daz ist ein wort Bî dem weder diube wont noch mort, – ›Bekenne dich selber‹ daz ist ein wort, Gein dem ein pfunt wigt als ein ort: Swer diz wort wil merken eben, Der mac lange mit êren leben Und über hebt sich weder sterke noch künste Noch lîbes noch guotes noch herren günste. (Renner; V. 10381 – 396)
Hugos Adaption von Augustinus-Schriften geht aber noch entschieden weiter. Für eine kleine lateinische Schulliteraturgeschichte, das Registrum multorum auctorum, das er auch für den Renner als Quelle nutzte, dienten ihm Augustins Retractationes als Vorbild. Mit dem Verfahren, im ›Renner‹ längere Passagen abschließend mit einem Autoritätenzitat zu bekräftigen, überträgt Hugo die Argumentationsmuster der von ihm nachgeahmten scholastischen Predigt in sein deutschsprachiges Lehrgedicht. Die Kirchenväter sind hierbei, nach der Bibel, die zweithäufigste Gruppe von Beglaubigungszeugen. An der Spitze steht unter ihnen Augustinus mit 23 Erwähnungen, 22 mal ist Gregorius genannt, dann folgen Hieronymus und Bernhard, die je 12 mal namentlich angeführt werden. In den Confessiones vgl. 10,29 f. Diese Hinweise zur Selbsterkenntnis formuliert Hugo im ›Renner‹, außer in der hier zitierten Bekenne dich selber-Passage V. 10381 – 10396 noch V. 14099 f., 17234 – 17240, 17935/36, ausführlich erneut in V. 22645 – 22699. Vgl. Rudolf Kilian Weigand: Der ›Renner‹ des Hugo von Trimberg, 243 – 248 und Karl Langosch: Das »Registrum Multorum Auctorum« des Hugo von Trimberg, 23. Zur »dreifachen Sicherung« der Predigt mittels Väterzitaten, Sentenzen und Exempla siehe Brigitte Weiske: Die ›Gesta Romanorum‹ und das ›Solsequium‹ Hugos von Trimberg, hier 176 f. Der Zitatgebrauch Hugos ist umfassend aufgearbeitet von Lutz Rosenplenter: Zitat und Autoritätenberufung im Renner Hugos von Trimberg; zu den Zahlen für die einzelnen Autoren vgl. dort 290. Allerdings ist zu bedenken, daß zu den aufgeführten namentlichen Nennungen noch eine ganze Reihe anonyme Zitierungen von Augustinus-Stellen (und ebenso anderen
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Betrachtet man die Augustinus-Zitate bei Hugo näher, so lassen sie sich in verschiedene Typen unterteilen. Mehrfach treten reine Namensnennungen mehrerer Autoritäten auf: Ob sant Benedictus hât bewart Sîn sêle und sant Bernhart, Franciscus und sant Augustîn, Waz hilfet daz die sêle mîn? (Renner; V. 3719 – 3722, ähnlich V. 9346).
An anderen Stellen wird Augustinus als Autorität für die Auseinandersetzung mit dem Gedankengut jüdischer Gelehrter genannt: Swer aber mit flîze nimet în Swaz geschriben hât sant Augustîn Von dem geiste und von der schrift, Der lêt den juden irs valsches wift Und treit mit im frœlich hin heim Des rehten gelouben honicseim. (Renner; V. 17315 – 320)
Kurze Zitate aus nicht genauer benannten Schriften bilden die nächste Gruppe: Diz schrîbet mîn herre sant Augustîn: »Got herre, lâ dir geklaget sîn, Daz wir dîner worte sô lützel ahten Und ander dinc vil mêre betrahten, An den der êwigen sêlikeit Niht lît eines twerhen halmes breit!« (Renner; V. 16609 – 614)
Manche dieser knappen Passagen lassen sich in Augustins Werk konkret identifizieren, so die folgende Stelle, die den Confessiones entnommen ist: Dâ von sprach sant Augustin Ein wort, bî dem gedenke ich sîn: »Nieman wol betwungen tuot, Aleine doch daz er tuot si guot.« (Renner; V. 11541 – 544)
Als Quelle kann man hierfür conf. 1,12 nachweisen: nemo enim invitus bene facit, etiamsi bonum est quod facit. Durch solche Vergleiche gelingt es ferner, auch anonymen Zitaten auf die Spur zu kommen, bei denen Hugo auf eine Quellenangabe Kirchenlehrern) kommen. Deren Aufarbeitung ist noch nicht einmal ansatzweise in Angriff genommen.
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verzichtet, die aber eindeutig mit anderweitig markierten Zitaten übereinstimmen. Der eben genannte Confessiones-Rekurs von V. 11541 wird inhaltlich mindestens noch zweimal in abgewandelter Form im ›Renner‹ verwertet: Swelch dinc man mit unwillen tuot, Daz wirt selten immer guot: (Renner; V. 1921/22, vgl. auch V. 18047 f.)
Durch solche Beobachtungen wird augenfällig, daß der Anteil der Augustinus-Verwertung weitaus größer sein muß, als sich das aus der Auflistung der benannten Zitate ablesen läßt. Durch Ergänzung der vorhandenen Listen um solche Stellen wird erst der eigentliche Einfluß von Augustinus auf Hugo sichtbar. Er ist aber schon an Zitaten ablesbar, die längere Passagen aus Schriften Augustins bieten: Daz wir der genâden teilhaft sîn, Dar zuo rêtet uns sant Augustîn: »Mensche, du solt gedenken reht War zuo und wie und wer dich mechte Und wâr ûz er dich habe gemacht! Sô du daz gar wol hâst bedâht, Sô soltu denne merken eben, Üm wie vil guotes du wöllest geben Dîn ougen, nasen, füeze oder hant: Sô vindestu gar schier rîche pfant An dir selben, der du selten Gote dankest!« Wer könde vergelten Der sêle kraft und wirdikeit, An die grôz wunder ist geleit, Swenne si von dem lîbe entrinnet Daz denne den menschen nieman minnet? (Renner; V. 24363 – 378, ähnlich civ. 11,21)
Nicht immer läßt Hugo den Leser oder Hörer darüber im Unklaren, auf welches Werk Augustins er seine Aussagen stützt. Das zeigt der folgende summarische Verweis auf das ›Enchiridon‹: Ein buoch heizet Enchidrion, In dem sant Augustîn gar schôn Und gar wêrlich geschriben hât, Wie gar grôze missetât Und wie manic herzeleit Lügen in der kristenheit Füege und zuo bringe naht und tac: (Renner; V. 18555 – 561)
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Die Beispiele demonstrieren in ihrem differenzierten Umgang mit den lateinischen Quellen wohl überdeutlich, daß der Einfluß Augustinischen Gedankenguts auf volkssprachliche Dichtung bislang nicht ansatzweise bestimmt werden kann. Es fehlt dazu an einschlägigen Untersuchungen speziell der verbreiteten didaktischen Dichtung. So läßt sich derzeit auch nicht klären, ob die zwei Erwähnungen Augustins in Des Teufels Netz den ganzen Umfang an Rezeption des großen Kirchenlehrers in diesem Lehrwerk des späten 14. Jahrhunderts repräsentieren.
2.3 Augustinus in den Predigten Taulers
Diese Feststellung gilt aber nicht nur für die lehrhaften Dichtungen. Auch bei vergleichsweise prominenten theologischen Autoren des 14. Jahrhunderts reicht die derzeitige Erschließung der Texte nicht aus, um den Stellenwert der Traditionsverwertung abschätzen zu können. Das läßt sich gut an den deutschen Predigten von Johannes Tauler demonstrieren. Dem Register, das Wilhelm Stehmann zur Vetterschen Ausgabe erstellt hat, kann man entnehmen, daß in den abgedruckten Predigten Augustinus 37mal namentlich genannt wird. Eine weitere Zitierung ist über die vorherige Namensnennung in 10,3 für Zeile 10,5 unmittelbar eruierbar. Die damit gesicherten 38 Erwähnungen verteilen sich auf 21 der 81 Predigten, also etwa ein Viertel. Da Tauler insgesamt nicht allzu zitierfreudig ist, kommt damit Augustinus eine vergleichsweise hohe Gewichtung zu. Aber das Register erfaßt nur die Namensnennungen, nicht alle tatsächliche oder gar anonyme Zitierung von Autoritäten. Selbst ein Nachweis der namentlich gekennzeichneten Textstücke aus Werk Augustins fehlt durchgängig. Dies gilt nicht nur für Vetters Text, auch in der TaulerAusgabe von Corin sind lediglich Bibelzitate verifiziert. Häufig sind die von Tauler eingestreuten Autoritätensätze zudem so knapp, daß eine eindeutige Identifizierung im reichhaltigen Werk Augustins schwierig wird. Bei ausführlicheren Zitaten kann Vgl. K.A. Barack: Des Teufels Netz, V. 4565/66: Aber hoffart macht es als ze nicht, Als sant Augustinus spricht. Ferner V. 9112 a (nur Hs. B): Sant Augustin spricht Das der wuocher bringt unwicht. Vgl. Die Predigten Taulers, aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften. Vgl. Die Predigten Taulers, 439. Das Namensverzeichnis in: Die Predigten Taulers (1910), 439 – 441 umfaßt gerade einmal 119 Nummern; vgl. ferner Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band III: Die Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik, zu Johannes Tauler 476 – 526, bes. 486 zur Editionssituation. Siehe auch Loris Sturlese: Tauler im Kontext. Die philosophischen Voraussetzungen des »Seelengrundes« in der Lehre des deutschen Neuplatonikers Berthold von Moorsburg. Sermons de J. Tauler et autres écrits mystiques.
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dagegen eine Anbindung an konkrete Textstellen durchaus gelingen. Illustrieren läßt sich das an zwei aufeinanderfolgenden Zitaten aus Predigt Vetter1, der Weihnachtspredigt Man begât hiute drîer leie geburt: Wan wenne zwei suln eins werden, so muoz sich daz eine halten lîdende und daz ander würkende; sol mîn ouge enpfâhen die bilde in der want oder waz ez sehen sol, sô muoz ez an ime selber blôz sîn aller bilde, wan hette ez ein einig bilde in ime einiger varwen, sô gesehe ez niemer kein varwe; oder hât daz ôre ein gedœne, sô gehœrt ez niemer enkein gedœne; sô welich dinc enpfâhen sol, das muoz îtel, ledec und wan sîn. Dan abe sprach sant Augustînus: ›giuz ûz, daz du mügest erfüllet werden; ganc ûz, ûf daz du mügest îngân‹; und sprach ouch anderswâ: ›Ô du edele sêle, ô edele crêatûre, waz gâst du ûz dir suochen den der alzemâle und aller wærlîchest und blôzlîchest in dir ist, und sît daz du bist teilhaftig götlîcher natûre, waz hâst du denne ze tuone oder ze schaffenne mit allen crêatûren?‹ Wenne der mensche alsus die stat, den grunt bereitete, so ist kein zwîfel dar an, Got müeze dâ alzemâle erfüllen, der himel risse ê und erfülte daz îtel, und Got lât nû vil minner die dinc îtel, ez wære wider alle sîn natûre und wider sîn gerehtecheit. (V9,35 – 10,5).
Während für die Aufforderung des Ausgießens und Hinausgehens vielfache Anknüpfungspunkte denkbar sind, lassen sich für die Seelenanrede zwei konkrete Stellen in den Confessiones als mögliche Bezugspunkte bestimmen (conf. 10,6 f.): »iam tu melior es, tibi dico, anima, quoniam tu vegetas molem corporis tui praebens ei vitam, quod nullum corpus praestat corpori. deus autem tuus etiam tibi vitae vita est.« Oder auch (conf. 10,20.): »vivit enim corpus meum de anima mea, et vivit anima mea de te. quomodo ergo quaero vitam beatam?« Solche vereinzelten Zuweisungen geben freilich noch kein Gesamtbild des Stellenwertes, den Augustinus für Johannes Tauler hat. Über eine neue Ausgabe hinaus stellt somit auch ein Kommentar zu den Predigten Taulers ein dringendes Forschungsdesiderat dar.
Predigten Taulers V7,1 – 12,15. In dieser Predigt wird Augustinus fünfmal namentlich zitiert (8,22; 8,25; 10,3; 10,5 und 11,5). Das hier gebrauchte Bild vom ledic-Sein und vom Auge auch mehrfach bei Meister Eckhart, so DW 1 (Predigt 12 Qui audit me), 201,2 – 5: Sol mîn ouge sehen die varwe, sô muoz ez ledic sîn aller varwe. Sihe ich blâwe oder wîze varwe, diu gesiht mînes ougen, daz dâ sihet die varwe, daz selbe, daz dâ sihet, daz ist daz selbe, daz dâ gesehen wirt mit dem ougen. Vgl. auch den Kommentar bei Niklaus Largier: Meister Eckhart. Werke. Texte und Übersetzungen, Band 1, 878 f. Vgl. Kurt Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik. Band III, 486. Siehe auch die Übersicht zu Taulers Augustinus-Zitaten bei Louise Gnädinger: Johannes Tauler. Lebenswelt und mystische Lehre, 363 – 366.
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2.4 Spruchsammlungen und Kompilationswerke
Schließlich sei auf eine besondere Gattung verwiesen, die Handschriften mit Augustinus-Sprüchen im Rahmen von Autoritätenspruchsammlungen. Im Grunde bildet ja schon Vinzenz’ Speculum historiale ein Beispiel für die exzerpierende Verwertung von Autoritätenschriften. Seine historische Ordnung bleibt freilich ein Einzelfall. Weitaus häufiger kann man thematisch bestimmte Sammlungen identifizieren, die gleichfalls unter dem vielfach deutbaren Speculum-Titel figurieren: Speculum mundi, Speculum humanae salvationis, Speculum animae oder Spiegel der sêle. Bei diesen Zusammenstellungen haben wir es mit einer dritten und dazu gemischten Rezeptionsstufe zu tun: Bereits anderweitig in mittelhochdeutsche Predigten und Traktate inkorporierte Augustinus-Aussprüche werden aus diesem Zusammenhang wieder gelöst, sodann unter eigenen Stichworten und unter Beibehaltung des Autorverweises neu geordnet. Es entsteht eine thematisch organisierte Florilegiensammlung, bei der die Herkunft des Materials nur noch belesenen Spezialisten erkennbar wird. Als Beispiel sei ein Confessiones-Zitat aus der anonymen Kompilation ›Spiegel der Seele‹ herangezogen. »Als sant Augustin spricht: als vil süsser sind die oepfel vnd pyren, die ich schueler verstal, denn die mir mein müter gab«. Die Aussage läßt sich in dieser Form bei Augustinus direkt nicht nachweisen, offensichtlich scheint als Ausgangspunkt für den Satz eine umschreibende Zusammenziehung von mehreren Aussagen der Confessiones zu dienen. Ein erster Teil findet sich dort in 2,9: »nam id furatus sum, quod mihi abundabat et multo melius, nec ea re volebam frui, quam furto appetebam, sed ipso furto et peccato. arbor erat pirus in vicinia nostrae vineae pomis onusta nec forma nec sapore inlecebrosis. ad hanc excutiendam atque asportandam nequissimi adulescentuli perreximus nocte intempesta [...] et abstulimus inde onera ingentia non ad nostras epulas, sed vel proicienda porcis«. Ergänzend ist eine weitere Stelle heranzuziehen (conf. 2,12): »pulchra erant poma illa, quae furati sumus, [...] sed non ipsa concupivit anima mea miserabilis. erat mihi enim meliorum copia, issa autem decerpsi, tantum ut furarer.« Allerdings hat der Satz seine endgültige Ausformung nicht erst durch den Kompilator des Spiegel der Seele erhalten, sondern bereits früher durch den Augustinus-Nutzer Meister Eckhart. Dort steht in Predigt 32 über das Thema Consideravit semitas domus suae et panem otiosa non comedit (Spr 31,37 zum Festtag der Hl. Elisabeth) eben dieses Zitat: »Augustînus sprichet: die birn wâren mir süezer, die ich verstal, dan die mir mîn muoter koufte, dar umbe, daz sie mir verboten und beslozzen wâren.« Heidemarie Vogl: Der ››Spiegel der Seele‹‹. Eine spätmittelalterliche mystisch-theologische Kompilation, mit 58 Erwähnungen von Augustinus, vgl. das Register 732. Vgl. Heidemarie Vogl: Der »Spiegel der Seele«, 338, Z. 246 f. Vgl. Meister Eckhart, DW II, 144,4 – 5, zum Nachweis ebd. Anm. 3.
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Vordergründig könnte man vermuten, hier habe der volkssprachige Rezipient interpretierend zusammengekürzt. Doch derartige Zusammenziehungen können wir schon in den lateinischen Exzerpten konstatieren, die Vinzenz von Beauvais aus den Confessiones gefertigt hat. Textarrangements dieses Typs existieren nun nicht nur als geschlossene Sammlungen. Bisweilen werden sie in Aggregationen anderer Art, etwa Predigthandschriften oder Erbauungsbüchlein, in eigenen Abschnitten integriert. Den allgemeinen Stellenwert solcher Verba- und Dicta-Sammlungen hat für das Schrifttum der deutschen Mystik Ulla Williams am Beispiel von zwei Handschriften vorgeführt. Als weiteres Musterbeispiel kann hier die Einsiedelner Eckhart-Handschrift E2, der Codex 278 der Stiftsbibliothek in Einsiedeln dienen. In der dort befindlichen Dicta-Sammlung fol. 225 – 251 stehen neben Bibel- und anderen Väterzitaten auch Augustinus-Sprüche. Bemerkenswert ist zuerst, daß sie in Anschluss an eine Eckhart-Predigt eingetragen wurden. Der Übergang von der in sich geschlossenen Predigt zu den lockeren Sprüchen ist dabei nicht eigens markiert: Der Autorname Gregorius wird durch die gleiche Rubrizierung gekennzeichnet wie Zitate innerhalb der Predigt; sogar auf den Textbeginn mit einer neuen Zeile verzichtet der Schreiber: [225a] Swa got wonet in bekantnisse da vellet abe alle naturliche sinnelicheit. dc wir alsus gervket werden in ein liecht dc got selber ist vnd dar inne ewekliche selig sin des helf vns got amen. Gregorius spricht: Sy were begirde nach sent mit vf slande jst aber das si mit vf slande versument so enweln es nicht begirde nvt. svchet der mensche lop der enpfindet nicht der schelt wort der lvten.
Die Augustinus-Passage setzt erst auf Seite 228a ein:
Ulla Williams: Vatter ler mich. Zur Funktion von Verba und Dicta im Schrifttum der deutschen Mystik. Das Hauptaugenmerk liegt bei ihr auf dem Kodex B IX 14 in der Universitätsbibliothek Basel. Die Einsiedelner Pergament-Handschrift cod. 278 aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gehört wie die Handschrift cod. 277 zum Legat der Basler Bürgerin Margaretha zum Goldenen Ring, die sie durch Vermittlung ihres Beichtvaters Heinrich v. Rumersheim [1377 – 1425 Chorherr von St. Peter in Basel, † 1434] den Schwesternhäusern im Einsiedler Hochtal zukommen ließ; vgl. Gabriel Meier: Catalogus Codicum manu scriptorum qui in Bibliotheca Monasterii Einsidlensis servantur, 249 – 253; Beschreibung auch bei Hans Neumann; Gisela Vollmann-Profe: Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit, Band 2: Kommentar, 184 – 187. Die Version im Internet http://www.e-codices.ch/htm/sbe-0278_g.htm wurde offensichtlich in jüngerer Zeit nicht mehr ergänzt. Vgl. Meister Eckhart: DW IV, Predigt Steer 100, im Einsiedler Kodex 222b – 225a. Meister Eckhart: DW IV, Predigt Steer 100, 278,59 – 61: Swâ got vellet in bekantnisse, dâ vellet abe alliu natiurlîchiu sinnelicheit. Daz wir alsus gerucket werden in ein lieht, daz got selber ist, und dar inne êwiclîche sælic sîn, des helfe uns got. Âmen.
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[228a/b] Sant aug〈ustin〉us sp〈ri〉ch〈t〉. Es ist nvt vnsenfte dien minnenden. es ist nvt vnmvgelich dien geloubenden. Es ist nvt rvhe dien senftmvtigen. es ist nvt ze hohe dien diemvtigen, dien dv gnade bvtet ir helfe. vnd dv gehorsam andacht senftet das gebot. In der nächsten Spalte folgt sogleich eine Stelle aus den Confessiones: [228b] Ç: Aug〈ustin〉us: Selig ist der der dich got minet vnd den frunt in dir vnd den vient dvr dich. der alleine fvrlvrt nihein liben den sv alle liep sint in dem den man nvt verlurt, vnd wer ist der wan got. den nieman verlvret wan der in lat. Nicht immer waren sich die Sammler sicher über die Herkunft der von ihnen gebotenen knappen Sprüche. Das erhellt aus folgender Notiz in der gleichen Spalte: Ç: Aug〈ustin〉us alre Gregorius: Swer miltecliche vergit deme, der erzvrnet het, an des sele blibet nvt ein zeichen all siner svnden.
Zusammenfassend gilt es wohl auch noch für das 14. Jahrhundert festzuhalten, daß »das Augustinus-Bild des deutschen Illiteratus […] wesentlich durch AugustinusZitation bestimmt worden sein« muß.
3. Späte Vollübersetzungen und Ausblick
Wenige Jahre später setzt endlich auch eine direkte Vermittlung von Augustinischen Schriften in die deutsche Sprache ein. Im Codex Germ. 13 der ungarischen Nationalbibliothek zu Budapest ist eine Übertragung von De civitate dei erhalten, welche anonym im 15. Jahrhundert aufgezeichnet wurde. Obwohl schon im Budapester Handschriften-Katalog von 1969 der Forschung bekannt gemacht, blieb sie in der Folgezeit praktisch unbeachtet. Erst 2003 publizierte Vizkelety Auszüge daraus, in seiner Gesamtheit ist dieses wichtige Zeugnis bis heute nicht ediert. Eine weitere Übersetzung, unternommen von dem Humanisten Johann Gottfried, müssen wir als verloren betrachten. Vgl. conf. 4,14: »beatus qui amat te, et amicum in te, et inimicum propter te. solus enim nullum carum amittit, cui omnes in illo cari, qui non amittitur. et quis est iste nisi deus noster, deus, qui fecit caelum et terram et inplet ea, quia inplendo ea fecit ea? te nemo amittit, nisi qui dimittit, et quia dimittit, quo it aut quo fugit nisi a te placido ad te iratum?« Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, 541. Andras Vizkelety: Beschreibendes Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken, hier 26 f. zu cod. germ. 13 der ungarischen Nationalbibliothek in Budapest. Andras Vizkelety: Die Tätigkeit des Redaktors, des Übersetzer und des Schreibers in einer Handschrift, 369 – 379. Franz-Josef Worstbrock: Zur Einbürgerung der Übersetzung antiker Autoren im deutschen Humanismus, 68 f.; ders.: Gottfried, Johannes.
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Ab dem 15. Jahrhundert werden ferner eine ganze Reihe nicht-authentische, aber vom Mittelalter dem Augustinus zugeschriebene Texte in beachtlicher Dichte ins Deutsche transportiert, etwa das Manuale, die Soliloquia animae ad deum (PL 40, 863 – 898) oder der Speculum peccatoris (PL 40, 983 – 992). Augustinus bleibt aufgrund dieser vielfältigen Rezeptionsformen im Mittelalter nicht den lateinisch gebildeten Gelehrten vorbehalten. Er wird auch für ein volkssprachiges Publikum greifbar und für solche Kreise eigentümlich aufbereitet, bis hin zur griffigen Form des sententiösen Sprichworts. Schon Rosenplenter vermerkt eine Reihe sentenzenhafter, nicht klar identifizierbarer Augustinus-Verweise bei Hugo von Trimberg; in einem Fall bezeichnet Hugo sein Augustinus-Zitat sogar als spruch. In der Neuzeit erobert Augustinus dann auch mit lateinischen Formeln das populäre Schrifttum. Nach Georg Büchmanns ›geflügelten Worten‹ ist im 19. Jahrhundert der Satz Roma locuta (est), causa finita (est) aus Augustins Sermo 131 zum Sprichwort geronnen. Der Weg für diese neuzeitlichen Adaptionen war mit den mittelalterlichen Übersetzungen schon vorbereitet. Sie hatten den Grund gelegt für eine ununterbrochene populäre deutschsprachige Augustinus-Rezeption bis in die Gegenwart.
Zu den zahlreichen rezipierten Pseudo-Augustiniana vgl. Kurt Ruh: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, 533 – 540, der Text des ›Manuale‹ PL 40, 954 – 960. Vgl. Lutz Rosenplenter: Zitat und Autoritätenberufung im Renner Hugos von Trimberg, 295, aber schon S. 165 zu der Stelle im ›Renner‹ V. 18197 – 18206, wo Hugo mit der Reimreihe -keit eine sentenzenhafte Spruchgruppe unter Berufung auf Augustinus gestaltet: Ouch schrîbet mîn herre sant Augustîn Einen spruch, den ziuhe ich dâ her în: „Swer gedêhte sînes lîbes brœdikeit Und sîner sêle wirdikeit, Dirre wilden werlde unstêtikeit Und sîner sünden unflêtikeit, Der êwigen pîn unmêzikeit, Der êwigen fröude reinikeit: Der hüette sich an aller stat Vor allerhande missetât!“ Vgl. Georg Büchmann: Geflügelte Worte. Die klassische Zitatensammlung (1864); neu bearb. Ausgabe 1957. Ein schönes Beispiel für die Funktionalisierung von patristischer Literatur gibt das oben als Motto gewählte Heinrich-Mann-Zitat. Den Einfluß Augustins etwa auf Paul Celan untersucht Carlos Ruta: Memoria y silencio: El lenguaje lindero de tinieblas. Paul Celan y San Augustin.
›Docta ignorantia‹ als Augustinische Denkfigur bei Nikolaus von Kues (1401 – 1464) von Hermann Schnarr
1. Kurze Charakterisierung der Wertschätzung von Augustinus durch Nikolaus von Kues
Nikolaus von Kues hat Augustinus sehr hoch geschätzt. Als Platoniker benennt er ihn bereits in seinem philosophisch-theologischen Erstlingswerk De docta ignorantia. Augustinus ist ihm Zeuge für die Bedeutung der Mathematik und für das philosophische Bemühen um die Gotteserkenntnis. »Auch Aurelius Augustinus der Platoniker […] hat seine Zuflucht zur Mathematik als Hilfsmittel genommen.«1 Kurz vorher in demselben Kapitel spricht er davon, »daß unser Augustinus und nach ihm Boethius behaupten, unzweifelhaft sei die Zahl das ursprüngliche Urbild der zu schaffenden Dinge im Geiste des Schöpfers gewesen«.2 In seiner Bibliothek hatte er zahlreiche Werke Augustins gesammelt. Die in Kues erhaltenen Codices legen davon Zeugnis ab.3 Ebenso bezeugen die häufigen Bezugnahmen auf Sätze und Gedanken des hl. Augustinus sowohl in seinen philosophisch-theologischen Werken als auch in seinem umfangreichen Predigtwerk seine Hochschätzung des Kirchenvaters. Nach Auskunft der Datenbank hat sich Nikolaus von Kues über 200mal namentlich auf Augustinus bezogen. Hinzu kommen die Stellen in seinem Werk, in denen er auf Gedanken Augustins Bezug nimmt, ohne sich namentlich auf ihn zu berufen. Darauf wird hier nicht eingegangen; das muß einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Im folgenden wird einem Grundgedanken von Cusanus nachgegangen, dessen Wurzel nach dem eigenen Zeugnis von Nikolaus von Kues auf Augustinus und die augustinische Tradition zurückgeführt werden kann: dem Gedanken der ›docta ignorantia‹, des belehrten Nichtwissens.
1 De docta ignorantia I c. 11 (h I p. 23,19 – 21 n. 32); die Werke des Cusanus werden zitiert nach der Heidelberger Ausgabe = h: Nicolai de Cusa Opera omnia; die deutsche Übersetzung von De docta ignorantia nach der zweisprachigen Ausgabe der Philosophischen Bibliothek. 2 Ebd. Z. 10 – 12; vgl. Christoph Horn: Cusanus über Platon und Pythagoras. 3 Vgl. Jakob Marx: Verzeichnis der Handschriften-Sammlung des Hospitals zu Cues bei Bernkastel, 308.
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2. Die Paradoxie im Begriff ›docta ignorantia‹
Nikolaus von Kues ist berühmt geworden durch seinen Gedanken der ›docta ignorantia‹, nicht zuletzt auch wegen der paradoxen Formulierung. Die Wortverbindung ›docta ignorantia‹, belehrtes oder gelehrtes Nichtwissen, ist eine Provokation, eine Provokation für das rationale Denken. Das Adjektiv doctus, gelehrt oder belehrt, wird üblicherweise nur auf Personen bezogen. Im abgeleiteten oder übertragenen Sinne kann man es auch auf Tätigkeiten oder Produkte von Personen beziehen. So kann man von der gelehrten Arbeit oder den gelehrten Büchern eines Wissenschaftlers sprechen, wobei der Bezug zu einer Person dann auch gegeben ist. Ungewöhnlich, wenn nicht gar unmöglich ist es, eine Eigenschaft, eine Fähigkeit oder einen Zustand, Nichtwissen, Unwissenheit als doctus bzw. in unserem Falle docta, gelehrt, belehrt zu bezeichnen.4 Provokativ war es sicher auch gemeint, wenn Nikolaus von Kues sein erstes philosophisch-theologisches Werk mit dem Titel De docta ignorantia, Vom belehrten Nichtwissen, versah. Es gab Zeitgenossen des Cusanus, die diesen Titel auch als Provokation verstanden. Nikolaus von Kues ist aber nicht der erste, der diese beiden unvereinbar scheinenden Schlüsselwörter, ›ignorantia‹ und ›docta‹, zu gleichsam einem Begriff formte. Er fand die Worterbindung in der Tradition vor. Aber mit niemandem in der Geschichte des Denkens ist der Begriff so verbunden wie mit Nikolaus von Kues. Er gilt zwar gemeinhin als der Philosoph der ›coincidentia oppositorum‹, des Zusammenfalls der Gegensätze; aber seine Theorie der ›docta ignorantia‹, des belehrten Nichtwissens, ermöglicht zuallererst die Entwicklung der Lehre vom Zusammenfall der Gegensätze, was auch immer damit gemeint sein mag. ›Docta ignorantia‹ ist die Voraussetzung der Theorie der Koinzidenz. ›Docta ignorantia‹ ist demnach grundlegender für Cusanus. In einem Spätwerk, Von der Jagd nach der Weisheit, ist die Lehre vom belehrten Nichtwissen das erste Feld der Jagdgründe, auf denen die Jagd nach der Weisheit stattfinden soll.5 Für Nikolaus von Kues ist die Lehre vom belehrten Nichtwissen so grundlegend, daß er sich nicht scheut, alle Philosophen zu tadeln, die nicht vom belehrten Nichtwissen überzeugt waren. In dem eben genannten Spätwerk schreibt er (De venatione sapientiae n. 33,16 – 19): »Du siehst nun, daß die philosophischen Jäger […] unnütze Arbeiten vollbracht haben, weil sie das Feld des belehrten Nichtwissens nicht betreten haben.« Worin liegt das Provokative dieser Wortverbindung? Es liegt nicht nur in der oben erwähnten ungewöhnlichen Verbindung eines sonst nur auf Personen anwendbaren 4
Vgl. Johannes Übinger: Der Begriff docta ignorantia in seiner geschichtlichen Entwicklung,
1 – 2. 5
Vgl. De venatione sapientiae c. 11 (h XII n. 30,8); c. 12 (n. 31,2).
›docta ignorantia‹ als augustinische denkfigur bei cusanus
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Adjektivs mit einer Eigenschaft oder Fähigkeit oder einem Zustand einer Person, sondern auch in der Verbindung zweier unvereinbar scheinender Gegensätze. Docta bezeichnet ein Wissen, ignorantia das Gegenteil von Wissen, nämlich Unwissen, Nichtwissen. Der Gegensatz ist kein konträrer, in dem Zwischenstufen eines Mehr oder Minder denkbar sind, sondern ein kontradiktorischer, d. h. entweder Wissen oder Nichtwissen; dazwischen gibt es nichts. Johannes Übinger rechnet sogar damit, daß sich die bewußte Einsetzung der rhetorischen Figur eines Oxymoron dahinter verbirgt, »zu deutsch ein scharfsinniger Unsinn«, dem auf die Spur zu kommen, uns allerdings einen »lehrreichen Einblick in gewisse eigentümliche Gedankenbewegungen« eröffnen kann.6 Johannes Wenck, ein Zeitgenosse von Nikolaus von Kues und Professor der Theologie in Heidelberg, fühlte sich durch die mit dieser ungewöhnlichen Wortverbindung verbundene Lehre so provoziert, daß er mit einer Gegenschrift mit dem Titel De ignota litteratura, Über die ungekannte Literatur, reagierte.
3. Die Quellen des Begriffs ›docta ignorantia‹ für Nikolaus von Kues
Da, wie bereits erwähnt, der Begriff ›docta ignorantia‹ nicht von Nikolaus von Kues zum ersten Male formuliert wurde, fragt man: Bei wem konnte Nikolaus von Kues diese Wortverbindung finden? Da ist an erster Stelle auf Augustinus hinzuweisen. In einem Brief an Proba ist für uns die Wortverbindung ›docta ignorantia‹ zum erstenmal nachweisbar.7 Kannte Nikolaus die Stelle? Er besaß mehrere Briefsammlungen des Kirchenvaters Augustinus. Heute sind sie noch in der Kueser Bibliothek in den Codices Cusani 31, 50, 53 und 101 vorhanden.8 Nach der Schrift Apologia doctae ignorantiae, Verteidigung des belehrten Nichtwissens, die Nikolaus von Kues gegen die oben erwähnte Schrift des Heidelberger Professors verfaßte, kannte er die Stelle. Er zitiert sie dort.9 Ob er sie aber schon zur Zeit der Abfassung seines ersten philosophischen Werkes kannte, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Nikolaus von Kues behauptet nämlich in dieser Verteidigungsschrift, er habe erst nach der Konzeption der ›docta Johannes Übinger: Der Begriff docta ignorantia in seiner geschichtlichen Entwicklung, 2. Augustinus: Epistula 130,28 (Ad Probam); vgl. ADI (h II p. 13,11 – 19). 8 Vgl. Jakob Marx: Verzeichnis der Handschriften-Sammlung, 25 f.; 46 Nr. 6; 53 N. 10; 102 Nr. 6. In der Briefsammlung im Codex Cusanus 31 findet sich im Inhaltsverzeichnis auf fol.1rb, Zeile 12; dieser Brief zwar verzeichnet als Nummer LX: »Augustinus episcopus servus christi servorumque christi religiosae familiae dei probe et petisse te et promisisse te me recolens«, aber in der Handschrift findet er sich nicht; entsprechend der Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses müßte er auf fol. 30 stehen. Dort findet er sich aber nicht. Die Zählung der Stücke stimmt auch nicht mehr mit der Zählung des Inhaltsverzeichnisses überein. 9 Vgl. Anm. 7. 6 7
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ignorantia‹ die Schriften der Theologen daraufhin erforscht. »Ich bekenne, daß ich damals nicht […] irgendeinen der wahren Theologen gesehen habe […] Mit begierigem Lauf habe ich mich zu den Schriften der Gelehrten gewandt.«10 Man muß mit der Möglichkeit rechnen, daß Nikolaus von Kues auf Grund der Angriffe von Wenck versuchte, seine ›Theorie des Nichtwissens‹,11 um eine Formulierung von Joachim Ritter aufzugreifen, durch Heranziehen von kirchlich angesehenen Autoritäten zu verteidigen.12 Zwei Randnotizen in Cod. Cus. 50 zeigen, daß er bei Augustinus seine Theorie der ›docta ignorantia‹ durch die Autorität des Kirchenvaters bestätigt sieht. An zwei Stellen zu einem Brief Augustins bemerkt er dort: »Dies sieh im zweiten Buch von De docta ignorantia«, und »In docta ignorantia hat man es.«13 Der zweite Autor, der die Wortverbindung aufgreift, benutzt und erläutert, ist Bonaventura. Er steht ganz in der Tradition des mittelalterlichen Augustinismus. Nach Étienne Gilson ist »in dem mittelalterlichen Augustinismus […] St.Bonaventuras Lehre der vollendetste Ausdruck«.14 Auch dieser Autor war für Nikolaus von Kues kein Unbekannter, wie Francis N. Caminiti gezeigt hat.15 Schon in den frühen Predigten hat Cusanus die Werke des Bonaventura benutzt.16 An zwei Stellen in den Werken Bonaventuras finden wir die Wortverbindung ›docta ignorantia‹: im Breviloquium und in seinem Kommentar zum II. Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus.17 Beide Werke sind heute noch in der Bibliothek des Cusanus in Kues vorhanden, in den Codices Cusani 78 und 75.18 Zunächst soll untersucht werden, wie der Begriff ›docta ignorantia‹ bei Augustinus und Bonaventura verstanden ist, und welche Funktion in deren Denken er hat. Daran schließt sich die Frage an, in welcher Weise Nikolaus von Kues denselben aufgenommen und in seiner Bedeutung ausgeweitet hat.
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ADI (h II p. 12,19 – 21). Vgl. Joachim Ritter: Docta ignorantia. Die Theorie des Nichtwissens bei Nicolaus Cusa-
nus. Vgl. Johannes Übinger: Die philosophischen Schriften des Nikolaus Cusanus, 69 f. Vgl. Cod Cus. 50 fol. 148va zu lin. 1 – 11; fol. 148va lin. 40 – 45 (beide Stellen zitieren aus ep. 14,2). 14 Stephan Gilson: Der heilige Bonaventura, 656; vgl. auch 52, wo die Stelle aus dem Sermo IV Christus unus omnium magister zitiert ist, in der Bonaventura darauf hinweist, daß Augustinus die Lehren des Aristotoeles sowohl als auch die Platons verbunden hat; vgl. Bonaventura: Opera omnia V, 572a/b. 15 Vgl. Francis N. Caminiti: Nikolaus von Kues und Bonaventura. 16 Vgl. Nicolai de Cusa: Opera XVI, 480. 17 Bonaventura: Breviloquium pars 5 c.6 (Opera omnia V, 260a); In II Sent. dist. 23 a. 2 q. 3 ad 6m (II, 546a). 18 Vgl. Jakob Marx: Verzeichnis der Handschriften-Sammlung, 78 und 80. 12
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›docta ignorantia‹ als augustinische denkfigur bei cusanus
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4. ›Docta ignorantia‹ bei Augustinus
Wie bereits erwähnt, verwendet Augustinus die Wortverbindung ›docta ignorantia‹ für uns nachweislich zum ersten Male. Der Zusammenhang der besagten Briefstelle ist eine Erklärung einer schwer verständlichen Stelle aus dem Römerbrief des Apostels Paulus. Dieser sagt da, daß wir nicht wissen, worum wir Gott jeweils bitten (Röm 8,26). Augustinus erklärt diese seltsame Aussage des Apostels dahingehend, daß wir nicht wissen, worum wir bitten, wenn wir um Befreiung von Leiden bitten, weil auch die Leiden von Gott zu etwas Gutem gewandt werden können. Wir wissen zwar, worum wir konkret bitten, nämlich um Befreiung von Krankheit und Not; aber wir wissen nicht, ob uns die Erfüllung oder Nicht-Erfüllung auch zum Guten frommt. Wir vertrauen aber auf Gott, daß er in seinem Sinne unsere Bitte erfüllt. In diesem Zusammenhang spricht dann Augustinus von ›belehrtem Nichtwissen‹, ›docta ignorantia‹. In dem genannten Brief heißt es wörtlich: »Es ist also in uns ein gewisses, wie ich so sagen möchte, ein belehrtes Nichtwissen, aber belehrt durch den Geist Gottes, der unsere Schwachheit unterstützt.«19 Festzuhalten ist, daß Augustinus den Begriff ›docta ignorantia‹ in einem engen Rahmen einsetzt. Er ist bezogen auf unsere Gotteserkenntnis, aber in einer speziellen Frage, näherhin ist er bezogen auf das göttliche Handeln an uns. Wir wissen nicht und können nicht wissen, wie es zum Ziel führt. Dafür steht der Ausdruck ignorantia, ›Nichtwissen‹. Wir wissen aber, daß dieses Handeln Gottes uns zum Heil gereichen wird. Dieses vertrauende Wissen, mit dem uns der Geist Gottes zu Hilfe kommt, drückt das Wort docta, ›belehrt‹, aus. 5. ›Docta ignorantia‹ bei Bonaventura
Bonaventura, der zweite Autor, der den Ausdruck ›docta ignorantia‹ gebraucht, verwendet diesen auch im Rahmen der Gotteserkenntnis. Speziell geht es dabei um die verschiedenen Stufen der Gotteserkenntnis. Im Kommentar zum zweiten Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus behandelt Bonaventura die Frage, ob der Mensch seinen Blick unmittelbar auf Gott richten kann.20 Die Antwort auf diese Frage ist zunächst verneinend. Die unmittelbare Gottesschau ist dem Zustand der Verherrlichung nach dem Tode vorbehalten. Davon macht er aber im Folgenden eine Ausnahme. Der Mensch vermag seinen Blick so auf Gott zu richten, daß er durch nichts davon abgelenkt wird. Aber er schaut dann nicht Gott in seiner Klarheit, sondern in Finsternis (ebd.): »Er wird erhoben werden in eine Dunkelheit.« 19 ep. 130,28; in der Enzyklika Spe salvi nimmt Papst Benedikt XVI. Bezug auf diese Stelle; vgl. dt. Fassung 19 – 20. 20 Bonaventura: In II Sent. dist. 23 a. 2 q. 3 (Opera Omnia II, 542b).
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Unter Berufung auf Dionysius, bei dem sich der Ausdruck ›belehrtes Nichtwissen‹ allerdings nicht findet, beantwortet er die Frage nach der unmittelbaren Gottesschau jetzt dahingehend, daß der Mensch Gott gleichsam in ›docta ignorantia‹ schauen kann (ebd.): »Vielmehr wird er erhoben in eine Dunkelheit und zu dieser Erkenntnis wird er erhoben durch Ablösen von allem, so wie es Dionysius sagt im Buch Über die mystische Theologie, und er nennt diese Erkenntnis belehrtes Nichtwissen.« Die Leistung des Menschen ist die Ablösung von allem Geschöpflichen. Die Schau selbst wird ihm aber als Geschenk zuteil, er wird ›erhoben‹; es geschieht etwas mit ihm. Die Berufung auf Dionysius-Ps.-Areopagita gibt uns die Richtung einer Deutung an, wie Bonaventura den Begriff ›docta ignorantia‹ versteht. Es ist eine Erkenntnis, in der sich Intellekt und Affekt vereinen. Für Karl Rahner21 ist nach Bonaventura »die ›docta ignorantia‹ eine unmittelbare Gotteserfahrung«, verbunden allerdings mit dem ›Eintritt in die Finsternis‹ (Rahner: a. a. O., 159). Damit ist die Ausschaltung des rational-intellektual vom Menschen Ereichbaren in der Gotteserkenntnis gemeint. Die beiden Momente ›der Unmittelbarkeit und der Dunkelheit‹ (ebd. 163) bezeichnen die gleichzeitige Beteiligung von menschlichem Intellekt und Affekt. Die zweite Stelle, an der Bonaventura den Ausdruck ›belehrtes Nichtwissen‹ gebraucht, findet sich im Breviloquium. Dort unterscheidet Bonaventura sieben Stufen des Aufstiegs zu Gott. Die siebente, die höchste und letzte Stufe, ist die Gottesschau im ewigen Leben. Die vom Menschen in diesem Leben erreichbare Stufe ist die sechste Stufe, der Aufstieg »zur Weisheit oder hinaus schreitenden Erkenntnis«, ad sapientiam sive notitiam excessivam,22 gleichsam eine Vorwegnahme der Schau Gottes in der ewigen Seligkeit. Diese Stufe ist charakterisiert einerseits durch Dunkelheit, andererseits durch Erleuchtung, also durch zwei gegensätzliche Begriffe. Ihre Verbindung wird beschrieben mit dem Ausdruck ›ignorantia docta‹, ›belehrtes Nichtwissen‹. Das Erreichen dieser Schau ist nicht nur vom Menschen abhängig. Allein aus eigener Kraft ist dies vom Menschen nicht zu leisten, sondern sie kann nur als Geschenk empfangen werden. Auf diese höchste Stufe wird der Mensch »durch ein gewisses belehrtes Nichtwissen über sich selbst hinaus in Dunkelheit und ekstatische Schau hingerissen« (ebd.). Der Ausdruck rapitur, hingerissen, erinnert an den raptus Pauli, den er im 2. Korintherbrief beschreibt (2 Ko 12,4). Für diesen durch die Anwesenheit der gegensätzlichen Phänomene von Finsternis und Licht beschriebenen Zustand beruft sich Bonaventura auf das Psalmwort: »Die Nacht ist meine Erleuchtung in meinen Wonnen«.23 21 22 23
Karl Rahner: Die Lehre von den geistlichen Sinnen, 158. Bonaventura: Breviloquium pars 5 c. 6 (Opera omnia V, 260a). Ps. 138,11 nach der Vulgata.
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Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Begriff ›docta ignorantia‹, ›belehrtes Nichtwissen‹, sowohl bei Augustinus als auch bei Bonaventura auf einen speziellen und eingeschränkten Bereich unserer Erkenntnis bezogen ist. Bei Augustinus bezeichnet er die vertrauensvolle Gebetshaltung gegenüber Gott, bei Bonaventura eine Stufe der Gotteserkenntnis, nämlich die höchste, die Stufe der mystischen Einung. Beide Autoren betonen den gnadenhaften Geschenkcharakter des belehrten Nichtwissens. Um zu dieser Art von belehrtem Nichtwissen zu gelangen, ist der Mensch auf die Hilfe von außen, nämlich von der Seite Gottes angewiesen.
6. Die erkenntnistheoretische Entwicklung des Begriffs ›docta ignorantia‹ bei Nikolaus von Kues
Auch bei Nikolaus von Kues stoßen wir auf den Geschenkcharakter des ›belehrten Nichtwissens‹. Nikolaus von Kues berichtet uns nämlich wie ihm die Idee des belehrten Nichtwissens auf der Rückfahrt von Konstantinopel auf dem Meere gleichsam wie eine Erleuchtung gekommen sei (DI. Epistola auctoris = h I p. 163,7 – 11 n. 263). Vorher blieb ihm vieles unbegreiflich, »bis ich auf dem Meer, als ich aus Griechenland zurückkehrte, ich glaube durch ein Geschenk von oben vom Vater der Lichter, von dem jede beste Gabe (stammt), dahin geführt worden bin, daß ich die unbegreiflichen Dinge in unbegreiflicher Weise in belehrtem Nichtwissen, in docta ignorantia, umfasse, durch ein Überschreiten aller auf menschliche Weise wißbaren unvergänglichen Wahrheiten.« Die als eine Art gnadenhafte Erleuchtung angesehene Einsicht in das belehrte Nichtwissen wird verdeutlicht durch die Stelle aus dem Jakobusbrief, wo vom ›Vater der Lichter‹ die Rede ist, als der Quelle, von der her »jede beste Gabe herabsteigt« (Jac 1,17). Die Einsicht in den Begriff des belehrten Nichtwissens ist einerseits ein Geschenk von Gott, genau wie bei Augustinus und Bonaventura, andererseits aber erfährt der Begriff eine ungeheure Ausweitung. Er ist nicht mehr nur beschränkt auf einen engen Bereich der Gotteserkenntnis, sondern mit seiner Hilfe sollen alle auf menschliche Weise wißbaren Wahrheiten erfaßt werden. Somit betrifft er den ganzen Bereich menschlichen Erkennens. Wie erreicht Nikolaus von Kues diese Horizonterweiterung des Begriffs ›docta ignorantia‹? Im ersten Kapitel der Schrift Vom belehrten Nichtwissen zeigt er dies. Es trägt die Anstoß erregende Überschrift: »Auf welche Weise Wissen Nichtwissen ist«. Quomodo scire est ignorare (DI I c. 1 = h I p. 5,2 n. 2). Auf den ersten Blick scheint diese Gegenüberstellung Unsinn. Etwas kann nicht zugleich sein eigener Gegensatz sein. Betrachten wir die von Nikolaus von Kues in dieser Überschrift gebrauchten lateinischen Ausdrücke genauer. Für Wissen verwendet er das Wort scire, für Nicht-
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wissen aber nicht die im Lateinischen auch vorhandene Negation von scire, nämlich nescire, sondern ignorare. Das könnte bedeuten, daß die beiden gegenübergestellten Begriffe zwei verschiedene Ebenen menschlichen Wissens betreffen. Nikolaus von Kues will also nicht sagen, daß es überhaupt kein Wissen gibt. Alles Wissen ist ein Nichtwissen. So legt es die Übersetzung der Überschrift von Alexander Schmid nahe: Wissen ist Nichtwissen.24 Vielmehr bleibt das Wissen zunächst einmal ein Wissen. Aber in einer gewissen Hinsicht zeigt es sich auch als ein Nichtwissen. Cusanus will uns also zeigen, wie in einem bestimmten Sinne unser Wissen seinem eigenen Anspruch, Wissen zu sein, nicht mehr gerecht wird. Menschliches Erkennen versteht Cusanus als Lebensprozeß, und zwar in einem zweifachen Sinne. Einerseits beschreibt er den Vorgang des Erkennens analog zum Lebensprozeß, andererseits ist das Erkennen aber auch notwendig für den Lebensprozeß. Ohne Wissenserwerb gibt es kein Leben. Von diesem Gedanken eines Lebensprozesses ausgehend, entwickelt Nikolaus von Kues im ersten Kapitel eine Theorie des menschlichen Erkennens. Alle Lebewesen, nicht nur der Mensch, müssen über irgendein Erkenntnisvermögen verfügen um der Nahrungssuche willen. Leben ist ein Prozeß, der durch Nahrungsaufnahme in Gang gehalten wird. Zum Zwecke der Nahrungssuche und der Nahrungsfindung müssen die Lebewesen mit den dafür nötigen Instrumenten ausgestattet sein. »Wir sehen, daß durch göttliches Geschenk in allen Dingen ein gewisses natürliches Verlangen liegt, auf eine bessere Weise zu sein, als dies die Bedingung der Natur eines jeden (zunächst) zuläßt, und (wir sehen, daß) sie auf dieses Ziel hinarbeiten und geeignete Werkzeuge haben, denen ein Urteilsvermögen angeboren ist, angemessen dem (jeweiligen) Vorsatz des Erkennens, damit dieses Verlangen nicht vergeblich ist und damit es in dem Geliebten (Gegenstand) durch das Gewicht der eigenen (jeweils eigentümlichen) Natur die Ruhe berühren kann.«25 Da Leben sich immer zu erhalten und dadurch seinen gegenwärtigen Zustand zu verbessern sucht, hat der Schöpfer jedem Lebewesen die dazu nötigen Hilfsmittel gegeben. Erkennen als ein Streben nach Wissen ist also nicht nur dem Menschen ein Bedürfnis, sondern ein Bedürfnis eines jeden Lebewesens. Hans Blumenberg drückt dies so aus: »Das Bedürfnis nach Wissen ist dem Menschen nicht nur ›natürlich‹, wie es der erste Satz der Metaphysik des Aristoteles für alle Zeiten ausgesprochen hat, sondern es ist auch Ausweis einer Notdurft für ein Wesen, das handeln muß, um leben zu können – ›leben‹ in jedem, nicht nur im biologischen Sinne.«26 24 Vgl. Alexander Schmid: Nicolaus Cusanus. Vom Wissen des Nichtwissens, 9; vgl. auch Nikolaus von Kues: De docta ignorantia / Die belehrte Unwissenheit, 7: »Das Wissen als Nichtwissen« (deutsche Übersetzung). 25 DI I c. 1 = h I p. 5,3 – 8. 26 Hans Blumenberg: Einleitung. In: Nikolaus von Cues. Die Kunst der Vermutung, 16.
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Erkennen im biologischen Leben ist ausgerichtet auf Suche nach Nahrung zur Erhaltung dieses Lebens. Das gilt ebenso für das geistige Leben. Dieser geistige Lebensprozeß bedarf auch der notwendigen Nahrung, damit das Leben nicht abstirbt. Jedes Leben ist angewiesen auf eine bestimmte, nur für dieses Leben dienliche Nahrung. Was ist nun die Nahrung für das geistige Leben? Nikolaus von Kues antwortet: die Wahrheit. Er sagt (DI I c. 1 = h I p. 5,10 – 14): »Deswegen sagen wir, daß eine gesunde freie Vernunft das Wahre in liebendem Umfassen ergriffen erkennt; dieses begehrt sie zu berühren mit Hilfe eines in alle Richtungen eingegebenen Umherlaufens durch ein unersättliches Durchforschen von allem, wobei wir nicht zweifeln, daß jenes das Wahrste sei, dem jeder gesunde Geist die Zustimmung nicht verweigern kann.« Die menschliche Vernunft hat ein Objekt des Strebens. Das Streben der menschlichen Vernunft ist gleichsam unersättlich, nicht stillbar. Es liegt dieser Metaphorik aus dem biologischen Leben die Vorstellung des Hungers zugrunde. Diese Unersättlichkeit beruht aber auf dem Objekt, auf das die Vernunft aus ist, nämlich dem Wahren oder der Wahrheit. Im Gegensatz zu dem Wissenstrieb im biologischen Leben ist das Objekt des Strebens ungeheuer ausgeweitet. Für den biologischen Lebensprozeß ist das Erkennen ausgerichtet nur auf einen Teilbereich der Wirklichkeit, nämlich den, der gerade für dieses Lebewesen zur Lebenserhaltung dienlich ist. Die Unersättlichkeit des geistigen Wissenstriebs ergibt sich aus der Ausweitung des Strebenszieles. Das Wahre, die Wahrheit gewinnt die Vernunft, indem sie nicht nur einen Teilbereich der Wirklichkeit durchforscht, sondern alles Wirkliche. Das Wahre ist für die Vernunft nicht etwas Neutrales. Auch das Gefühl ist mitbeteiligt an dieser Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung. Sie vollzieht sich in Liebe, und das Erreichen des Erkenntnisobjektes ist als ein Erfüllungserlebnis beschrieben. Das geistige Streben ist zur Erhaltung seines geistigen Lebens darauf ausgerichtet, nach dem Wahren im ganzen Feld der Wirklichkeit zu suchen und alles Seiende in sich aufzunehmen, wobei das Finden als eine Erfüllung erlebt wird, wenn auch nur als eine vorläufige, da das geistige Erkenntnisstreben erst dann voll befriedigt, gesättigt wäre, wenn es wirklich alles Seiende in sich aufgenommen hätte. Das ›Wahre‹, bzw. das ›am meisten Wahre‹ wird nicht inhaltlich bestimmt, sondern als Widerspruchsfreiheit. Der Vollzug des Erkenntnis- und Wahrheitsstrebens ist ein Vergleichen (DI I c. 1 = h I p. 5, 14 – 16): »Alle Suchenden, Untersuchenden aber beurteilen das (noch) Unsichere, Ungewisse in verhältnismäßiger Weise, in der Weise einer Verhältnissetzung im Vergleich mit einem Sicheren, im Vergleich mit einem als sicher, als gewiß Vorausgesetzten. Vergleichend ist also jede Untersuchung, indem sie die Proportion, Verhältnisgleichung als Mittel gebraucht.«
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Erkenntniserweiterung geschieht durch dieses Vergleichen. Mittel dieser Methode der Erkenntniserweiterung ist das Aufstellen von Verhältnisgleichungen von Erkanntem zu noch nicht Erkanntem. Je weiter man sich von dem sicheren Ausgangspunkt entfernt, um so ungewisser wird die Erkenntnis (DI I c. 1 = h I p. 5, 16 – 19): »Und wofern das, was untersucht, wird, als Naheliegendes durch eine verhältnismäßige Rückführung mit einem Vorausgesetzten verglichen werden kann, ist das Urteil des Begreifens leicht; wofern wir aber viele Mittelglieder nötig haben, entstehen Schwierigkeit und Mühe.« Modellfall für dieses Erkenntnisverfahren ist für Nikolaus von Kues die Mathematik, das Ideal einer Wissenschaft, die aber auch die Schwierigkeit des Vergleichens zeigt (DI I c. 1 = h I p. 5, 19 – 22): »Zum Beispiel ist dies bei den mathematischen Dingen, wo sich auf die ersten an sich bekannten (bekanntesten, notissima) Prinzipien die ersten (früheren, priora) Sätze leichter zurückführen lassen und die späteren schwieriger, weil nur durch das Mittel dieser früheren (Sätze).« Die Nähe zu den Prinzipien erhöht jeweils den Gewißheitsgrad der abgeleiteten Sätze und vermindert die Schwierigkeit des Erreichens; umgekehrt erschwert das Sich-entfernen von den Prinzipien das Erreichen der gewünschten Erkenntnis. Da wissenschaftliches Forschen eine Aufstellung von Proportionen ist, kommt der Zahl eine große Bedeutung zu sowohl für das Sein als auch für das Erkanntwerden der Dinge. Für die Aufstellung einer Proportion sind drei Bestimmungen nötig: Übereinstimmung, (convenientia), Verschiedenheit / Andersheit (alteritas) und Zahl (numerus). Erkennen durch Aufstellung von Proportionen ist ein Rückführen des Vielen auf das Eine. Die Zahl bedeutet die Einheit. Jedes Ding muß als ein Einzelnes ausgemacht werden können. Das geschieht dadurch, daß man einerseits Übereinstimmung, anderseits aber auch Verschiedenheit feststellt. Indem beides in dem so unterschiedenen Einzelnen als eines festgestellt wird, wird darin die Zahl gleichsam erkannt. Das Einzelding ist so durch die Zahl, die Einheit, als ein eines, als ein Einzelnes bestimmt sowohl im Sein als auch im Erkennen. Dadurch daß die Dinge durch die Zahl bestimmt sind, lassen sie sich auch erkennen. Zugleich läßt diese Bestimmtheit durch die Zahl auch zu, daß alles im Bereich des Endlichen sich in Beziehung setzen läßt, d. h. daß sich Verhältnisgleichungen aufstellen lassen von jedem zu jedem. Eine Ausnahme muß Nikolaus von Kues aber machen. Wenn Erkennen sich im Aufstellen von Verhältnissen vollzieht, ist das Unendliche, infinitum, als Erkenntnisgegenstand von dieser Methode ausgeschlossen. Das Unendliche kann so nicht erkannt werden. Deswegen bleibt das Unendliche als Unendliches unerkannt, ignotum, da es jeder Verhältnisgleichung entflieht, aufugiat. Diese ist aber gerade als Bedingung des Endlichen das letzte Ziel und die Erfüllung des Erkenntnisstrebens (ebd., n. 3).
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Der entscheidende Abschnitt dieses Kapitels führt zum Ergebnis unseres Erkenntnistrebens und formuliert es als ›belehrtes Nichtwissen‹, ›docta ignorantia‹. Nikolaus von Kues beginnt damit, daß er den Begriff der Genauigkeit, praecisio, einführt. Genauigkeit ist das Ideal einer Erkenntnis. Genauigkeit wird zwar angestrebt, leider ist diese Genauigkeit für das menschliche Erkennen aber unerreichbar. Genauigkeit wäre dann erreicht, wenn eine Identität von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt vorläge. Genauigkeit würde gleichsam den Unterschied zwischen Subjekt und Objekt aufheben.27 Ein menschliches Erkenntnissubjekt kann aber nie identisch werden mit einem außer ihm liegenden Erkenntnisgegenstand. Eine Ausnahme macht die Mathematik. Hier wird Genauigkeit, praecisio, erreicht. Der Grund liegt darin, daß der menschliche Geist der Schöpfer dieser Wissenschaft ist. Mathematik entspringt aus dem menschlichen Geist. Alle anderen Erkenntnisse bleiben hinter der angestrebten Genauigkeit zurück; sie bleiben irgendwie ungenau. Hans Blumenberg spricht von der ›Ungenauigkeit‹ als einem ›metaphysischen Axiom‹28 oder nennt sie ›ein metaphysisches Postulat‹,29 wobei man allerdings darauf hinweisen muß, daß sich der Ausdruck ›Ungenauigkeit‹ bei Cusanus nicht findet. Mit dieser Idee der unerreichbar gedachten Genauigkeit in der menschlichen Erkenntnis kommt ein skeptisches Moment in die Analyse des Erkennens. Für die These von der mangelnden Genauigkeit im menschlichen Erkennen führt Nikolaus von Kues Zeugen aus der Tradition an, die seiner Meinung nach auch schon diese Einsicht hatten (DI I c. 1 = h I 6,9 – 14 n. 4): »Die Genauigkeit der Zusammenstellungen aber in körperlichen Dingen und die angemessene Angleichung des Bekannten an das Unbekannte überschreitet den menschlichen Verstand so sehr, daß es dem Sokrates schien, er wisse nichts, außer, daß er unwissend sei; während der weise Salomon behauptet, daß alle Dinge schwierig und durch Rede unerklärbar seien; und ein gewisser anderer Mann göttlichen Geistes sagt, daß die Weisheit verborgen und der Ort der Einsicht fern von den Augen der Lebenden seien.« Das erwähnte skeptische Moment im Verständnis des menschlichen Erkennens durch Cusanus zeigt sich um so deutlicher durch die Autoritäten, auf die sich Nikolaus von Kues beruft. Die eine stammt aus der philosophischen Tradition, die beiden anderen aus der Offenbarung. Alle sollen das Mangelhafte, die Defizienz menschlicher Erkenntnisfähigkeit bezeugen. Cusanus verallgemeinert das sokratische Nichtwissen als eine Art Resignation angesichts der menschlichen Erkenntnis27 Vgl. Werner Beierwaltes: Visio facialis – Sehen ins Angesicht. Zur Coinzidenz des endlichen und unendlichen Blicks bei Cusanus, 48 Anm.103. 28 Vgl. Hans Blumenberg: Einleitung. In: Nikolaus von Cues. Die Kunst der Vermutung, 19. 29 Hans Blumenberg: Aspekte der Epochenschwelle: Cusaner und Nolaner, 59: Beim Cusaner sei die Ungenauigkeit ein metaphysisches Postulat, das in seiner Ambivalenz gesehen werden müsse.
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bemühung. Ebenso resignierend interpretiert er die beiden angeführten Stellen aus der Bibel, Ecclesiastes oder Kohelet und Hiob (vgl. Eccl. 1,8; Hiob 28,7). Entscheidend für die eigene These wird aber die angeführte vierte Autorität. Die ersten haben erläuternden Charakter, diese vierte gewinnt Beweischarakter für die eigene Argumentation. Es ist die berühmte Stelle aus dem zweiten Buch der Metaphysik des Aristoteles (993 b9). »Wenn dies also so ist, wie es auch der äußerst tiefgründige Aristoteles in der Ersten Philosophie behauptet, daß uns bei den von Natur aus einsichtigsten Dingen eine solche Schwierigkeit zustößt wie dem Nachtraben, der Nachteule,30 die die Sonne (an)zusehen versucht, dann geht unser Verlangen in der Tat dahin, da unser Streben nicht vergeblich ist, zu wissen, daß wir nicht wissen«; oder eine etwas andere Übersetzung des letzten Abschnitts (DI, 6,14 – 18 n. 4): »da in der Tat unser Streben nicht vergeblich ist, verlangen wir zu wissen, daß wir nicht wissen.« Aristoteles gebraucht einen Vergleich aus dem Bereich der sinnlichen Wahrnehmung, um etwas zu erklären, was mit der menschlichen Vernunft geschieht, wenn sie sich einem bestimmten Erkenntnisbereich zuwendet. Cusanus greift die Autorität des Aristoteles und diesen Vergleich auf, um seine eigene These aufzustellen und zugleich zu begründen. Das führt ihn zur paradoxen Aussage vom Nichtwissen als letztem Strebensziel der Vernunft, was aber zugleich ein Wissen bedeuten muß. Die letzte Folgerung daraus ist dann das ›belehrte Nichtwissen‹, ›docta ignorantia‹. Was aber ist mit den »von Natur aus klarsten, offenbarsten, einsichtigsten Dingen«, in natura manifestissimis, gemeint? Es sind die Dinge, die von ihrer Natur, von ihrem Wesen her auf geistiges Verstehen angelegt sind. Zu dem, was auf rein geistige Weise existiert, steht in Korrespondenz die Vernunft, das Denken, der Geist. Diese Dinge existieren auf eine rein vernunfthafte Weise, sozusagen als vernunfthafte Strukturen. Daher sind sie auch für die reine Vernunft unmittelbar einsehbar und verstehbar. Für eine reine Vernunft sind sie die für deren Erkennen am zugänglichsten Dinge, da keine Zwischenglieder nötig werden, wie es in der oben beschriebenen Erkenntnisweise durch Aufstellen von Verhältnisgleichungen nötig ist. Wenn Vernunft auf Wahrheitserkenntnis ausgerichtet ist, dann sind diese Erkenntnisgegenstände die angemessenste Nahrung für das vernunfthafte Leben. Der jetzt zu interpretierende Vergleich soll nun klarmachen, daß diese Erkenntnisgegenstände für die menschliche Vernunft unerreichbar sind. Bei Aristoteles steht im griechischen Original: νυκτερίδων (von νυκτερίϚ = Fledermaus); die mittelalterliche Übersetzung hat daraus nycticorax, Nachtrabe, Nachtvogel, Eule gemacht; vgl. Jacqueline Hamesse: Auctoritates Aristotelis, 118,44 – 46 Nr.35; vgl. Cod. Cus. 308; Jakob Marx: Verzeichnis der Handschriften-Sammlung, 300. 30
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Verglichen werden das sinnliche Sehen und das vernünftige Verstehen. Das sinnliche Sehen hat zur Bedingung das Vorhandensein des Lichtes. Ohne Licht kann der Sehakt nicht vollzogen werden. Was aber wird gesehen? Nicht das Licht selbst, sondern nur die vom Licht sehbar, sichtbar gemachten Dinge. Wenn das Auge aber das Licht selbst, hier symbolisiert durch die Sonne als Quelle für unser Licht, zu sehen versucht, widerfährt ihm eine Art von Blendung. Der Versuch, das Sehen direkt auf das Licht zu richten, mündet im Nicht-sehen. Analog dazu ist das vernünftige, geistige Erkennen zu verstehen. Wenn die Vernunft sich darauf ausrichtet, die Bedingung ihres Vollzuges, nämlich die reine Wahrheit, und damit auch die Bedingung ihrer Existenz zu erkennen und zu wissen, widerfährt ihr ebenfalls eine Art von Blendung, nämlich Nicht-wissen. Das, was für die Vernunft am meisten wißbar ist, die reine Wahrheit, führt bei der menschlichen Bemühung um Wissen zu dessen Gegenteil, zum Nicht-wissen. Nikolaus von Kues steht hier vor einem Dilemma. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die These, daß die menschliche Vernunft ihrem Wesen nach ausgerichtet ist auf die Erkenntnis der Wahrheit, ja sogar, daß dies notwendig ist für ihre Existenz als Vernunft. Ohne Erkennen der Wahrheit stirbt die Vernunft gleichsam ab. Das Erkennen der Wahrheit ist der Wesens-Sinn der Vernunft, es ist ihre Sinnerfüllung. Das Ergebnis aber der Analyse des menschlichen Erkennens durch Cusanus führt zur Negierung der Ausgangsthese, da sich zeigt, daß die Vernunft ihr Ziel, Erkenntnis der letzten Wahrheit, nicht erreicht. Dieses negative Ergebnis könnte Cusanus zu der skeptischen Resignation bezüglich der Erkenntnis der Wahrheit führen. Jede Form von philosophischer Skepsis ist ja irgendeine Art Resignieren vor der Möglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit. Wie hilft sich Nikolaus von Kues nun in dieser für das Erkennen widersprüchlichen Situation? Er greift zu einem Argument, das auch schon Aristoteles verwendet hat und das für diesen eine Art von Axiom ist. Es liegt in dem Ausdruck ›non frustra‹, nicht vergeblich. Unser Streben nach Erkennen der Wahrheit darf nicht vergeblich sein. Würde unser Streben nach Wissen im Nichtwissen enden, würde es sein von der Natur ihm gesetztes Ziel nicht erreichen. Die Existenz, das Dasein des vernünftigen Lebewesens verlöre mit dem Nichterreichen seines Zieles den Sinn seines Daseins. Das darf nicht sein, das Streben muß sein Ziel erreichen, wie dies auch in dem zu Anfang zum Vergleich herangezogenen Lebensprozeß geschieht. Das führt nun zu der paradoxen Aussage, daß das erreichte Ziel, das Nicht-wissen, ein Wissen sein muß. Diese Paradoxie versucht Cusanus mit dem folgenden Satz aufzulösen (DI I c. 1 = h I, 6,18 – 19): »Wenn wir dies – das Nichtwissen – vollständig werden erreichen können, werden wir das belehrte Nichtwissen erreichen.« Mit Hilfe dieses Begriffs,
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des Begriffs vom belehrten Nichtwissen, versucht er, der skeptischen Konsequenz der Resignation vor der Möglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit zu entgehen. Die Vernunft erfährt eine Belehrung über ihre Defizienz im Bezug auf die Wahrheitserkenntnis. Dies genügt aber noch nicht, um der skeptischen Konsequenz endgültig zu entgehen. Es würde höchstens ein demütiges Anerkennen unseres eigenen Unvermögens gegenüber der unendlichen Wahrheit bedeuten. Damit gibt sich Nikolaus von Kues aber nicht zufrieden. Die Belehrung über die Defizienz ist von ihm nämlich nicht statisch gedacht, sondern als ein fortschreitender Prozeß. »Nichts nämlich wird einem Menschen, auch dem eifrigsten in der Gelehrsamkeit, Vollkommeneres zukommen, als gerade im Nichtwissen, das für ihn eine Eigentümlichkeit, ein Proprium, ist, als der belehrteste gefunden, erfunden zu werden.«31 Die Belehrung ist also steigerbar, steigerbar sogar bis zum Superlativ, der aber hier nicht absolut, sondern relativ verstanden werden muß zu anderen in dieser Art Belehrung sich Bemühenden. Der Superlativ ist das angestrebte ideale Ziel der Erkenntnisbewegung, die sich im Komparativ faktisch vollzieht als ein immer Belehrter-werden (DI ebd. S. 6,21 – 22): »Und um so viel belehrter wird einer sein, je mehr er sich als Unwissenden gewußt haben wird.« Mit dieser Idee einer Steigerung der Einsicht in die menschliche Verfaßtheit der Ignorantia, scheint mir, daß Cusanus endgültig die skeptische Resignation vor der Wahrheitserkenntnis überwunden hat. Denn die Einsicht in das Nichtwissen erzeugt ja ein Erkenntnisstreben über das immer Belehrter-werden zu dem idealen Ziel, der Belehrteste zu werden. Nikolaus von Kues sieht in dem von ihm gedeuteten Begriff des belehrten Nichtwissens den Anfang eines im letzten unvollendbar gedachten Erkenntnisprozesses. Faktisch wird im Erkennen immer ein Nichtwissen erreicht, was aber als belehrtes umgedeutet wird zum Wissen, und zwar immer wieder neu und weiterführend. Das erreichte Nichtwissen muß den Charakter eines Wissens haben, da Wissenserwerb für das vernünftige Leben notwendig ist.
7. Zusammenfassender Vergleich des Gedankens der ›docta ignorantia‹ bei Augustinus, Bonaventura und Nikolaus von Kues
Blicken wir zurück auf die Autoren, bei denen der Begriff des belehrten Nichtwissens erstmals gebraucht wird, so sehen wir die ungeheure Ausweitung, die der Begriff durch Nikolaus von Kues erfahren hat. War er bei Augustinus und Bonaventura auf einen engen Bereich der Gotteserkenntnis beschränkt, ist er von Cusanus auf das gesamte menschliche Erkennen ausgeweitet. Außerdem war sowohl bei Augu31 Ebd. 6,19 – 21; über ›ignorantia‹ als ein Proprium des Menschen vgl. Hermann Schnarr: Docta ignorantia als philosophisches Programm, 225 und Anm.43.
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stinus wie auch bei Bonaventura das gnadenhafte Wirken Gottes nötig, damit der Mensch das belehrte Nichtwissen erreicht. Cusanus gibt zwar auch für seine Einsicht in das belehrte Nichtwissen eine Erleuchtung durch den ›Vater der Lichter‹ an,32 die Entwicklung des Begriffs ›docta ignorantia‹, belehrtes Nichtwissen, erweist sich aber letztlich als auf der reinen Analyse des menschlichen Erkenntnisvorgangs basierend. Die bloße Reflexion über die menschliche Vernunft und deren Erkenntnisstreben führt zum ›belehrten Nichtwissen‹, zur ›docta ignorantia‹. Da diese als steigerbar gedacht ist, treibt sie aus sich selbst heraus die Überwindung einer möglichen skeptischen Resignation. Wir können mit Hans Blumenberg33 ein skeptisches Moment im Begriff der ›docta ignorantia‹ zugeben. Zugleich müssen wir aber auch betonen, daß dieses skeptische Moment zu seiner eigenen Überwindung durch die Überlegungen des Cusanus geführt wird. Die Cusanische Skepsis, wenn man das so sagen darf, ist ein Mittel, diese selbst zu überwinden und einen unendlichen, in dieser Welt allerdings nicht abschließbaren Erkenntnisprozeß, das ist die Suche nach der Wahrheit, einer letzten Begründung des Endlichen, in Gang zu setzen.
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Vgl. oben 201. Vgl. Hans Blumenberg: Einleitung, 16; ders.: Aspekte der Epochenschwelle, 45 und 55.
Produktives Mißverständnis? Zur Rezeption der Theologie des lateinischen Kirchenvaters Augustinus im Werk Martin Luthers (1483 – 1546) von Markus Wriedt in memoriam Bernhard Lohse (1928 – 1997)*
1. Einleitung
Es war vor mehr als einhundert Jahren der berühmte – und in protestantischen Kreisen auch berüchtigte – Dominikanerpater Heinrich Denifle, der den konfessionellen Reformationshistorikern evangelischer Provenienz in Stammbuch schrieb, sie wüßten weder wann, noch wie Luthers reformatorische Wende sich vollzogen habe.1 Zum Nachweis der grundsätzlich der Lehre der Kirche zuwiderlaufenden Theologie des Wittenberger Reformators lieferte er auch noch zahlreiche Belege – teilweise in gesonderter Drucklegung – welche eindrücklich bewiesen, wie lange und intensiv Luther die kirchliche Tradition kannte und seit wann, vor allem aber: wie er inhaltlich von diesem Konsens abwich. Neben einer Reihe von unqualifizierten Polemiken provozierte Denifles Anfrage eine wahre Flut von Arbeiten zur Theologie des jungen Luther.2 Insbesondere die Frage seines Traditionsbezugs wurde zum konfessionellen Shibboleth: Je dichter Luthers reformatorische Theologie an die spätmittelalterlichen Vorgaben herangerückt wurde, um so geringer erschien der Dissens. Warum also die Aufregung? Sollte Luther am Ende katholisch gewesen – und geblieben – sein? Protestantische Forscher nahmen gleichsam am Rande die Forderung mit, vor diesem Hintergrund die vor allem dann in Trient
In seiner unaufgeregten, detailbezogenen gleichwohl nicht detailversessenen Quellenanalyse hat der Hamburger Kirchenhistoriker etliche Generationen von Pfarrern und Lehrern geprägt. Seine intensive Kenntnis Luthers und der von ihm rezipierten Vätertradition hat ökumenische Horizonte eröffnet. Ihm verdankt der Vf. dieses Aufsatzes wegweisende Orientierung, deren Wertschätzung durch einige kritische Anmerkungen in keiner Weise geschmälert wird. »Dicebat Bernardus Carnutensis nos esse quasi nanos, gigantium humeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre, non utique proprii visus acumine aut eminentia corporis, sed quia in altum subvehimur et extollimur magnitudine gigantium« (Johannes von Salisbury: Metalogicon 1.3, c. 4 unter Hinweis auf Bernhard von Chartes als Urheber dieser Sentenz). 1 Heinrich Suso Denifle: Luther und Luthertum in ihrer ersten Entwicklung; ders.: Die Abendländischen Schriftausleger bis Luther über Justitia Die (Röm 1, 17). 2 Vgl. die sehr guten Zusammenfassungen und Überblicke bei Karl Heinz zur Mühlen: Zur Erforschung des ›jungen Luther‹ seit 1876; Otto Hermann Pesch: Zwanzig Jahre katholische Lutherforschung; Rainer Vinke (Hg.): Lutherforschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick. *
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formulierten Verurteilungen der Reformatoren zu überprüfen.3 – Andererseits sahen zahlreiche konfessionell-lutherische Forscher aber auch ihren Anspruch auf Luthers Originalität und Innovation geschmälert. Dies nicht nur vor dem Hintergrund des historiographischen Ideals des 19. Jahrhunderts, sondern auch im Dienste konfessioneller Identität: Sollte die theologische Diskrepanz so gering sein, daß die wechselseitige Verurteilung hinfällig wird, so stellt sich die existentielle Frage nach dem, was denn nun den Lutheraner zum Lutheraner macht. Waren es in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Arbeiten konfessionell bisher untadeliger Theologen, die sich mit Werk und Wirkung des jeweiligen Widerparts – hie Luther, da Thomas – auseinandersetzten,4 so ist es in diesen Tagen erneut die Frage nach Luthers Traditionsbezug und seinem Verhältnis zur spätmittelalterlichen Theologie, welches seine Würdigung als Reformator im Licht der ökumenischen Positionsbestimmung kontrovers – und leider nicht immer frei von persönlichen Angriffen auf die jeweiligen Opponenten – beantworten ließ.5 In besonderer Weise eskalierte der Streit in den 60er und 70er Jahren in der Einschätzung und Bedeutung der Rolle des für die abendländische Theologie schlechthin überragenden Geistes, des afrikanischen Kirchenvaters der lateinischen Theologie, Augustinus. Anhand des von Luther selbst ausführlich und quellenmäßig bestens belegten Rekurses auf Augustinus soll diese Problematik noch einmal aufgegriffen werden. Dies nicht zuletzt darum, weil die Rezeptionsgeschichtsforschung gerade bei der Aufnahme des Erbes Augustins durch einen die abendländische Kircheneinheit massiv in Frage stellenden Theologen und seine Nachfolger nicht frei von den aktuellen Auswirkungen der Forschungsergebnisse auf völlig anders gelagerte Fragen ist. Insofern geht es weniger um den Nachweis bisher unbekannter 3 Vgl. dazu Vinzenz Pfnür: Einig in der Rechtfertigungslehre? Die Rechtfertigungslehre der Confessio Augustana (1530) und die Stellungnahme der katholischen Kontroverstheologie zwischen 1530 und 1535, sowie die von Karl Kardinal Lehmann und Wolfhart Pannenberg seit 1986 in Freiburg und Göttingen erscheinende Reihe von Dokumentationen des ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen unter dem Titel: Lehrverurteilungen – kirchentrennend. 4 Pars pro toto sei verwiesen auf Ulrich Kühn: Via caritatis. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin; Otto Hermann Pesch: Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs; Hans Vorster: Das Freiheitsverständnis bei Thomas von Aquin und Martin Luther; zuletzt wieder Hubertus Blaumeiser: Martin Luthers Kreuzestheologie. Schlüssel zu seiner Deutung von Mensch und Wirklichkeit. Vgl. neuerlich auch Markus Wriedt: Abschnitt D.5 zur Thomas-Rezeption im Zeitalter der Reformation, in: Volker Leppin (Hg.): Thomas Handbuch, Tübingen [im Druck]. 5 Vgl. dazu Volker Leppin: Martin Luther. Kritische Rezensionen dazu von Dorothea Wendebourg in der SZ vom 19. 2. 2007, 14, Thomas Kaufmann, in: ARG.L 36 (2007), 17 – 19; Albrecht Beutel, ThLZ 132 (2007), 1221 – 1224; Dietrich Korsch, Volker Leppin: Luther im Gespräch, Luther 79 (2008), 45 – 55; Christoph Windhorst, ThRu 73 (2008) und als vorerst letzte Äußerung: Volker Leppin: Eine neue Luther-Debatte: Anmerkungen nicht nur in eigener Sache, ARG 99 (2008), 297 – 307.
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oder unzureichend berücksichtigter Quellen, als vielmehr um eine intensive und methodische reflektierte Analyse der Perspektive, unter der die hinlänglich bekannten Texte Luthers mit den ebenso gut zugänglichen Schriften Augustins in Beziehung gesetzt werden können. In zugespitzter Form unter dem Begriff des ›produktiven Mißverständnisses‹ – mit einem akzentuierten Fragezeichen – gilt es, die These zu belegen, daß a) in negativer Zuspitzung die bisherige Forschung die Augustinus-Rezeption Luthers zu stark von teilweise unausgesprochenen systematischen Voraussetzungen her als Ermöglichung und Durchgangsstufe zu seinem reformatorischen Ansatzes gelesen hat und darum b) in positiver Zuspitzung dem originalen Wortlaut des Augustinus-Bezuges Luthers größere Beachtung zu schenken ist, wonach ihm der lateinische Kirchenvater eine unerwartete orthodoxe Bestätigung seiner reformatorischen Einsichten bot, zu diesen Luther freilich selbständig gelangt war. Der Vermittlung Augustins durch das spätmittelalterliche Erbe kann dabei angesichts der im Dokumentationsband versammelten Fachkompetenz der mediävistischen Kollegen nur knapp in einer Überleitung Raum gegeben werden. Statt dessen soll ausführlicher die Würdigung Augustins im Werk Martin Luthers traktiert werden, bevor in einem weiteren Abschnitt Luthers Verhältnis zur Tradition in seiner grundlegenden Dimension umrissen wird.
2. Der spätmittelalterliche Augustinismus
Kaum ein Theologe des Mittelalters, der sich in seinem Traditionsbezug nicht auf Augustinus berief. Stets wurde Augustinus als Vertreter der Einheit und in ihrer Orthodoxie zweifelsfreien Theologie gesehen. Sein Erbe nahm Gestalt in Äußerungen, die einem als kohärent verstandenen theologischen Entwurf entnommen wurden. Dieser kondensierte in gleichsam enzyklopädische Zusammenfassung die legitime Auslegung des biblisch begründeten und durch den Heiligen Geist übermittelten Glaubenszeugnisses. Für nahezu alle Schriftsteller des Mittelalters stand der Name ›Augustinus‹ für die Fülle abendländischer Theologie. Zugleich dient er Garant des theologischen Wissens. Das schließt freilich auch sein Verständnis als Grenze und Rahmen des theologischen Erkenntnisstrebens ein. Orthodoxie ist über Augustinus hinaus nicht zu wahren. Damit verbindet sich die Wahrnehmung Augustins als Verteidiger des katholischen Glaubens. Seine Stellungnahmen zu Donatismus, Manichäismus, Pelagianismus etc. sind nicht nur Produkte einer aktuellen Auseinandersetzung, sondern dienen als Modell jedweder Verteidigung katholischer Orthodoxie im Mittelalter.
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Dieses Verständnis der Theologie Augustins kann nun freilich unter verschiedenen Gesichtspunkten akzentuiert werden. Im Zuge der immer weiter ausdifferenzierenden Interpretation kommt es seit dem 13. Jahrhundert vermehrt zum Disput über die legitime, sich aus der orthodoxen katholischen Theologie ergebende Deutung seiner Werke: Augustinus wird von verschiedenen Parteiungen für die je eigene Position in Anspruch genommen. Offenkundig sprachen die tradierten Werke und Sentenzen sowie die ausgestaltete Biographie des Kirchenvaters nicht mehr für sich selbst, sondern bedurften ihrerseits einer Interpretation. Deren Maßstab lag außerhalb der von Augustinus begründeten und verteidigten Doktrin. In diesem Zusammenhang verstärkten sich Inanspruchnahmen im Sinne eines »Augustinus totus noster est«. Zugleich intensivierte sich die Suche nach einer übergeordneten Autorität der Auslegung Augustins. Die Vielfalt mittelalterlicher Augustinus-Rezeption findet sich auch im Orden der Augustiner-Eremiten wieder. Gleichwohl ist die Frage berechtigt, inwieweit die explizite Bezugnahme auf den Bischof aus Hippo im Orden eine spezifische Ausprägung des mittelalterlichen Augustinismus darstellt. Eine vollständige Übersicht zur Ausprägung der in den Generalstudia der Augustiner gelehrten Theologie ist bisher nicht möglich.6 In der Forschung wurde jüngst wieder Johann von Staupitz eine, wenn nicht die zentrale Rolle zur Vermittlung des Werkes Augustins an Luther beigemessen. Die Durchsicht der Werke des Augustiners ergibt freilich, daß seine Augustinus-Rezeption nicht unter systematischen oder positionellen Gesichtspunkten erfolgt. Es läßt sich zwar erkennen, daß Staupitz seine Augustinus-Kenntnis zu einem Teil durch die Lektüre von Originalschriften erworben hat. Gleichwohl wird die Vermittlung durch die scholastische Tradition und zeitgenössische Autoren, insbesondere die seines Ordens, nicht unterschätzt werden dürfen. Auch wenn sich die antipelagianische Ausrichtung der Gnadenlehre von Staupitz und darin die exponierte Nennung Augustins – er zählt neben der Bibel zu den ganz wenigen namentlich erwähnten Autoritäten der Tradition – als Zeuge der evangelischen Wahrheit charakteristisch von zeitgleichen Quellen abhebt, sollte diese systematische Etikettierung nicht überbetont werden. In seiner dienenden Funktion tritt Augustinus nämlich deutlich hinter ausdrücklich hervorgehobene Schriftbelege zurück. Der Kirchenvater und Ordenspatron bezeugt jene Tradition, die Staupitz bei seiner Schriftauslegung stützend hinter sich weiß. In dieser Funktion muß sich allerdings Augustinus so manches gefallen lassen: Seine Aussagen werden mit anderen, zumeist biblischen Zitatsplittern durchsetzt oder im Sinne der Intention von Staupitz paraphrasiert. Daß Staupitz eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des antipelagianischen Augustinus 6 Vgl. dazu jetzt Markus Wriedt: Via Augustini – Ausprägungen des spätmittelalterlichen Augustinismus in der observanten Kongregation der Augustinereremiten.
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nach Wittenberg spielte, steht außer Zweifel. Ob und wieweit er dabei ein charakteristischer Repräsentant einer spezifischen Augustinus-Interpretation seines Ordens war, läßt sich angesichts der Vielfalt und teilweisen Divergenz der Augustinus-Rezeption innerhalb der Augustiner-Eremiten nicht in der wünschenswerten Eindeutigkeit feststellen.
3. Luther und Augustinus
Daß Augustinus für Luther zeitlebens eine gewichtige Autorität war, bezeugt dessen reiche Erwähnung im Gesamtwerk.7 Wohl seit Herbst 1509 beschäftigte er sich mit der Lektüre der Originalschriften des Kirchenvaters. Davon zeugen neben ausführlichen Randbemerkungen (WA 9, 5 – 25) auch die Ausarbeitungen zur obligatorischen Sentenzenvorlesung des Bachalars der Theologie (WA 9, 29 – 94). Auch in den folgenden Vorlesungen des frisch nach Wittenberg berufenen Professors spielen Augustins Schriften als vornehmste Stimme der Auslegungstradition eine herausragende Rolle. Eine neue Qualität erhält Luthers Augustinus-Rezeption im Rahmen der Römerbriefvorlesung der Jahre 1515/16, in denen er insbesondere die antipelagianischen Schriften, allen voran De spiritu et littera intensiv verwendet.8 In Augustins Streiten gegen eine die Paulinische Rechtfertigungsbotschaft verzeichnende Gnadenlehre sieht Luther seinen Kampf gegen die ebensolchen Tendenzen unterliegende Scholastik präfiguriert. Ob die Karikatur der Lehren des Pelagius durch Augustinus zutrifft und inwieweit der historische Analogieschluß zwischen der Situation am Ende der Spätantike mit der zu Beginn des 16. Jahrhunderts stichhaltig ist, kümmert Luther wenig. Er sieht im antipelagianischen Schrifttum Augustins seine exegetischen Funde bestätigt und legitimiert. Daß Luther selbständig und nicht an der Hand Augustins seinen Weg geht, zeigt eine nähere Analyse der Häufung von Bezugnahmen im Kolleg: In den ersten sieben Kapiteln des Römerbriefes liefert ihm der Kirchenvater zur Beweisführung seiner Interpretation des Verhältnisses von Gesetz und Rechtfertigung erheblichen Beistand. Im Zuge der weiteren Ausführungen ab dem achten Kapitel des Römerbriefs findet er dann freilich kaum mehr Erwähnung. Luthers Eigenständigkeit gegenüber Augustinus ist in der Forschung mehrfach bemerkt worden: Es läßt sich zeigen, daß Luther die Augustinische Begrifflichkeit mit eigener Schwerpunktsetzung füllt: so 7 Einen guten Überblick bietet jetzt Albrecht Beutel in: Augustin Handbuch. Verwiesen sei auch auf das Lemma ›Augustin‹ im Register zur Weimarer Ausgabe (=WA) der Werke Martin Luthers WA 63, 52 – 84; WAB 15, 21 – 23; WAT 6, 525 f., sowie die Zusammenstellungen bei Hans Ulrich Delius: Augustin als Quelle Luthers, Eine Materialsammlung. 8 Bernhard Lohse: Die Bedeutung Augustins für den jungen Luther (1965); Leif Grane: Modus loquendi theologicus. Luthers Kampf um die Erneuerung der Theologie 1515 – 1518.
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etwa den Begriff der Sünde (Röm 5,12), den des ›alten Menschen‹ (Röm 6,6) oder die Frage der im zweiten Kapitel des Römerbriefs angesprochenen Adressaten anders beantwortet. Besonders aber gilt das für die 1515 noch nicht voll entwickelte, wohl aber inhaltlich bereits vorhandene Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die ihr zuvorlaufende Unterscheidung von Gesetz und Gnade wurde im Verlaufe der Kirchengeschichte mehrfach modifiziert und von Luther zur pointierten Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ausgebildet.9 Für die theologische Eigenständigkeit Luthers gegenüber der überragenden Autorität Augustins gibt es weitere Beispiele, etwa wenn Luther im Kommentar Galaterbrief von 1519 zu 2,16 anführt, daß diese Stelle bisher von niemandem so recht verstanden worden sei, mit Ausnahme von Augustinus; von diesem freilich auch nur in dessen antipelagianischen Schriften. Vorsichtig, gleichwohl in der Sache mit größter Eindeutigkeit vermag er Augustinus in seiner Auslegung des Johannesprologs zu kritisieren: die von Johannes »gar eynfelltig unnd schlecht« geschriebene Botschaft des Evangeliums sei in der philosophischen, i.e. neuplatonisierenden Deutung Augustins wenn denn nicht verfehlt, so doch verkürzt wiedergeben. Auf diese kritische Distanz wird auch an anderen Stellen verwiesen und eine klare Hierarchie zwischen Paulus und seinem Ausleger Augustinus konstruiert: dem Apostel ist in jedem Falle der Vorrang einzuräumen. Diese Haltung bleibt nicht auf die Frühzeit beschränkt, sondern hält sich bis ins Spätwerk durch.10 Stets präzisiert der Wittenberger Reformator unter dem Einfluß konkreter Auseinandersetzungen seine eigene Theologie und kann sich dabei auch von Augustinus entfernen. Er nahm die Autorität Augustins als des schlechthin unübertroffenen Garanten katholischer Orthodoxie für seine Position in Anspruch, kann aber die je spezifische Intention des Kirchenvaters und dessen situationsbezogene Ausformulierung wenn nicht widerlegen, so sie dennoch der eigenen Situation anpassen. Die Augustinus-Rezeption Luthers wurde insbesondere mit Blick auf seine reformatorische Wende ausführlich untersucht, erlag dabei jedoch in ihrem Urteil häufig der nicht belegten Prämisse, Luther habe durch Augustinus zu Paulus gefunden.11 Das genaue Gegenteil zu dieser These läßt sich freilich aus dem viel zitierten Rückblick Luthers aus dem Jahre 1545 herauslesen. Trotz der großen Distanz zu der über 30 Jahre zurückliegende Erfahrung seiner entscheidenden Wende schreibt Luther 9 Bernhard Lohse: ›Gesetz und Gnade‹ – ›Gesetz und Evangelium‹. Die reformatorische Neuformulierung eines Themas der patristischen Theologie. 10 Karl Heinz zur Mühlen: Zur Rezeption der Augustinischen Sakramentsformel »Accedit verbum ad elementum, et fit sacramentum« in der Theologie Luthers; ders.: Die Rezeption von Augustins ›Tractatus in Ioannem 80,3‹ im Werk Martin Luthers. 11 Vgl. die zusammenfassenden Bände: Bernhard Lohse (Hg.): Der Durchbruch der Reformatorischen Erkenntnis bei Martin Luther; Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther: neuere Untersuchungen.
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durchaus glaubwürdig, daß er bei der Exegese von 1,17 des Römerbriefs zur Botschaft des Evangeliums – der bisher von seinen Lehrern falsch akzentuierten iustitia dei als passiver Gerechtigkeit Gottes gefunden habe (WA 50, 186,8 – 9.16 – 17): »Hic me prosus renatum esse sensi, et apertis portis in ipsam paradisum intrasse. Postea legebam Augustinum de spiritu et litera, ubi praeter spem offendi, quod et ipse iustititam Dei similiter interpretatur.« Die Frage nach der konkreten Datierung dieses Ereignisses und seines Verlaufs als einer Entwicklung oder eines plötzlichen Durchbruchs einmal hintangestellt, scheint es wichtig, daß Luther ›nachher‹ (postea) zu Augustins Werk griff und in diesem entgegen seiner Erwartung (praeter spem) sein Verständnis der passiven Gerechtigkeit Gottes bestätigt fand. Wie lang auch immer die Spanne des ›postea‹ gesehen werden mag, so ist doch unzweifelhaft, daß Luther das antipelagianische Werk Augustins vorliegen hatte und bei der nochmaligen Lektüre dessen Aussagen im Licht der Paulinischen Botschaft ›praeter spem‹ versteht. Luther greift zu Augustinus, weil er an ihm als der schlechthinnigen Autorität der abendländischen Theologie seine theologische Einsicht überprüfen will. Er befürchtet eine Enttäuschung, also eine Bestätigung der ihm durch seine Lehrer vorgetragen und zu zahlreichen Anfechtungen Anlaß gebenden Deutung der Gerechtigkeit Gottes als geforderter, aktiver Leistung des Menschen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Luther findet seine Befürchtung zerstreut und darf auf die gleichartige Interpretation im Werk Augustins und damit den traditionsbezogenen Legitimitätserweis seiner Paulusdeutung bauen. Die Pforten des Paradieses waren nicht nur offen, weil Luther für sich eine tragfähige theologische Deutung gefunden hat, sondern auch die Gefahr einer individualistisch-subjektiven, heterodoxen Abweichung von der ›katholischen Lehre‹ gebannt erschien. Er konnte fortan diese Deutung auch im Hörsaal und auf der Kanzel vortragen.12
4. Luthers Verständnis der Tradition
Von Beginn an war die Auseinandersetzung um die reformatorische Theologie von dem Vorwurf belastet, Luther würde mit seiner Schriftauslegung und deren systematischen, kirchenpraktischen, frömmigkeitlichen und gesellschaftlichen Folgerun12 Gabriele Borger hat, noch unter ihrem Geburtsnamen, in ihrer Untersuchung der studentischen Mitschriften zum Römerbrief Kolleg Luthers nachweisen können, daß der zunehmend bekannter werdende Professor mit innovativen und über den Traditionshorizont hinausgreifenden Akzentuierungen seiner Auslegung im Hörsaal außerordentlich vorsichtig war; Gabriele Schmidt-Lauber: Luthers Vorlesung über den Römerbrief 1515/1516. Ein Vergleich zwischen Luthers Manuskript und den studentischen Nachschriften. Vor diesem Hintergrund muß es für ihn eine ungemeine Erleichterung gewesen sein, daß er die scholastische Lehrmeinung mit eben jener Autorität bestreiten konnte, die seine Gegner für sich und ihre Position in Anspruch nahmen.
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gen ›Neues‹ vortragen.13 Der Vorwurf, seine theologischen Aussagen verließen den Konsens mit der kirchlichen Lehrtradition, die das Alte immer nur präzisierte, nicht aber innovativ veränderte, führte faktisch zu einer Gleichsetzung von Innovation und Häresie. Entsprechend waren die ersten, vorsichtigen Schritte Luthers in die akademische und später auch kirchliche Öffentlichkeit hinein von dem Bemühen getragen, diesen Vorwurf zu entkräften. Auch in seiner kontroverstheologischen Polemik sucht Luther durchgängig nachzuweisen, daß der Vorwurf der illegitimen Innovation vielmehr die scholastische Theologen selbst träfe: Sie habe durch ihre Aufnahme nicht-schriftgemäßer Denkund Diskursvoraussetzungen – vor allem der Aristotelischen Philosophie – die Botschaft des Evangeliums und die in ihr gründende Lehre der alten Kirche verfremdet und durch außerbiblische Innovation letztlich zerstört. Dem Vorwurf der kirchlich nicht legitimierten Innovation von Seiten der Vertreter der römischen Kirche korrespondiert auf Seiten Luthers die Behauptung einer biblisch nicht legitimierten Neuerung innerhalb der Kirche, die in den vergangenen Jahrhunderten zunehmend deren Bestand gefährde. Immer wieder sieht sich Luther gezwungen zu betonen, daß »solche Stücke nicht neu noch von uns erfunden sind« (WA 51,10). Die Auseinandersetzung mit Rom wird in der Folgezeit als Suche nach der letzten Autorität vor dem Hintergrund der Frage nach ihrer biblisch-theologischen Legitimation und der Bewahrung der aus urchristlicher Zeit überlieferten Tradition geführt. Einen polemisch-literarischen Höhepunkt dieser theologischen Ortsbestimmung markiert Luthers Entgegnung auf Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel – Wider Hans Worst – aus dem Jahre 1541 (WA 51, 469 – 572). Unbeschadet der Tatsache, daß diese Schrift von der apokalyptischen Grundstimmung Luthers und einer sich aus ihr nährenden maßlosen Polemik geprägt ist, enthält sie doch entscheidende Argumente: Im folgenden führt Luther 10 Gründe an, die seiner Einsicht nach die Wahrheit und Legitimität der evangelischen Reform und ihrer institutionellen Gestalt bezeugen: Zunächst ist es der legitime und mit der Alten Kirche übereinstimmende Gebrauch der Sakramente (Taufe, Abendmahl und Beichte). Sodann gehört die rechte Wortverkündigung und die Übereinstimmung mit Bekenntnis (Apostolikum) und Gebet (Vater Unser) zu den Beweisen der Rechtgläubigkeit. Außerdem nennt Luther die Loyalität zur Obrigkeit und die Anerkennung der sozialen Ordnung 13 Vgl. etwa Martin Luthers Bericht über die Verhandlungen in Augsburg mit Kardinal Cajetan (1518), WA 2, 13, 9; seine Vorrede zur Theologia Deutsch (1518), WA 1, 379, 5; WA 2, 19, 37f. oder auch seine Polemik wider Hans Worst WA 51, 482, 13 [Dr. 32] – 483, 8 [Dr. 25]. Daß Luthers innovative Potenz von römischer Seite durchaus gesehen wurde, beweist der Eintrag von Cajetan in seine privaten Aufzeichnungen: Opuscula 111a, 8. vgl. außerdem Dokumente zur Causa Lutheri (1517 – 1521) II. Teil, hier: 81, 89 mit Anm. 17, 130.
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(Ehestand). Abschließend verweist er auf das evangelische Martyrium und den wider alle menschlichen Möglichkeiten geübten Gewaltverzicht der evangelischen Kirche. Demgegenüber erweist sich die Kirche Roms aufgrund ihrer Neuerungen und Ergänzungen zum Traditionsbestand der alten Kirche als illegitimer Nachfahre. Luther verweist auf etliche Beispiele der Diskontinuität mit der apostolischen Tradition: Dazu zählen die Einführung der Mönchstaufe, des Ablasses, der Gebrauch von geweihtem Wasser und Salz, die Wallfahrten, Bruderschaften, die Ausgestaltung der tradierten Lehre vom Altarsakrament, die Veränderungen der Lehre von der Beichte, die massive Verfälschung der Lehre, die Einrichtung des Papsttums und die damit verbundene Vermischung von weltlichem und geistlichem Regiment, die Heiligenverehrung, Fegefeuer, Reliquien, Weihen sowie die Überschätzung des Zölibats. Diese neuen Stücke erweisen sich als unvereinbar mit der Heiligen Schrift, der Lehre der Apostel und der Tradition der alten, wahren Kirche – gemeint ist hier die auf dem consensus doctrinae quinquesaecularis gründende kirchliche Praxis. Darum ist die durch das Papsttum und die römische Kurie repräsentierte Kirche nicht die heilige, wahre Kirche, gehört aber zum corpus permixtum der einen Kirche nach wie vor dazu. Auch wenn Luther die Auffassung von der Einheit der Kirche selbst in seiner späten und groben Polemik nicht aufgibt, so scheidet er doch die in der sichtbaren Kirche zusammengefaßte wahre und falsche Kirche voneinander. Kriterium der Unterscheidung ist die Bewahrung der reinen, ursprünglichen Verkündigung des Evangeliums in Verbindung durchaus mit der Tradition der alten Kirche, die in legitimer Weise die apostolische Lehre in kirchliche Praxis umgesetzt hat. Vor dem Hintergrund dieser Folie erscheinen Verkündigung, Lehre und frömmigkeitliche Praxis der römischen Kirche unter dem Papsttum als Neuerungen, mithin als Abweichungen und Verfälschungen. Als problematisch erwiesen sich insgesamt die unausgesprochenen, denkerischen Voraussetzungen. Selbstverständlich ging auch die römische Seite davon aus, daß die von Luther als verfälschende und irreführende Innovation gebrandmarkten Entscheidungen allesamt biblisch legitimiert seien und sich im Strom der sich auf Jesus und die erste Kirche der Apostel zurückleitenden Tradition sich befänden. Päpstliche Dekrete und Konzilsentscheidungen fügen weder etwas zur abgeschlossenen Offenbarung in Jesus Christus hinzu, noch ergänzen sie den Grundbestand dogmatischer Wahrheit, wie er durch Christus und die Apostel gelehrt und weitergegeben worden ist. Wohl aber präzisieren die dogmatischen Entscheidungen des Papsttums die biblische Lehre und schaffen in ihren Formulierungen die erforderlichen Voraussetzungen, heterodoxen und vor allem aber häretischen Entwicklungen Einhalt zu gebieten und die reine Lehre zu bewahren.14 14
Vgl. Josef Nolte: Dogma in Geschichte.
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Prinzipiell verstand Luther seine reformatorischen Forderungen und die damit verbundene Kritik an scholastischer Theologie und päpstlich dominierter Kirche in gleicher Weise. Den Nachweis der Abweichung führte er durch die prinzipielle Kritik der kirchlichen Tradition am Maßstab der Heiligen Schrift. Dahinter steht ein gewissermaßen vorkritisches, naives Schriftverständnis, das von der prinzipiellen Evidenz und Übertragbarkeit der biblischen Aussagen in die jeweilige Gegenwart ausgeht. Dieses hermeneutische Grundmodell wird durch die von Luther in kontroverstheologischer Zuspitzung der mittelalterlichen Überzeugung von der grundsätzlich nicht hinterfragten Autorität der Schrift (sola scriptura) auf seine Überzeugung von der sich selbst auslegenden Schrift hin präzisiert.15 Die sich selbst auslegende Schrift ist höchste und letzte Autorität. Sie setzt einen engen Rahmen möglicher Innovation so, daß stets kritisch gefragt werden muß, inwieweit die jeweils intendierte Veränderung noch durch die biblische Aussage gerechtfertigt ist bzw. sich interpretierend dem jeweiligen zeitlichen Kontext anpaßt. Luther ist nicht so naiv, als daß er nicht historische Entwicklungen wahrnehmen würde. Freilich interpretiert er diese im Rahmen seines zunehmend apokalyptischen Geschichtsverständnisses als Verfall und Abkehr von der ursprünglichen Gestalt und Wahrheit. Neben dem sich auf Augustinus berufenden heilsgeschichtlichen Geschichtsverständnis wird hier auch das – unreflektiert übernommene – neuplatonische Modell zur Interpretation der vorfindlichen Wirklichkeit relevant. Je weiter – und das ist nicht nur räumlich, sondern vor allem auch zeitlich zu verstehen – sich die historische Wirklichkeit von ihrer Ursprungssituation entfernt, um so größer wird die Gefahr der Verfremdung und Depravation.16 Im Spannungsfeld der abstrakten Verhältnisbestimmung von Tradition und Innovation wird hier ein Unterschied zur altgläubigen Argumentation, beispielsweise vertreten von Hieronymus Emser, erkennbar, die eben die denkerischen Voraussetzungen Luthers nicht vollends teilte, wohl aber im Ansatz mit ihm übereinstimmte. Das römische Verständnis der kirchlichen Tradition setzte eben gerade dies voraus, daß die mögliche Depravation und Verfremdung der biblischen Offenbarung und ihrer Umsetzung in der kirchlichen Lehre durch dogmatische Entscheidungen abgewehrt wird und die römische Kirche das legitime Erbe der ersten Christenheit und damit der Botschaft Jesu und der Apostel bewahre. Aber auch die katholischen Kontroverstheologen berufen sich auf die Schrift. Freilich ist ihr Ansatz ein anderer: Friedrich Beisser: Claritas scripturae bei Martin Luther; Walter Mostert: Scriptura sacra sui ipsius interpres. Bemerkungen zum Verständnis der Heiligen Schrift durch Luther; Albrecht Beutel: In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis. Und für die späteren Jahre Kenneth Hagen: Luther=s Approach to Scripture as seen in his ›Commentaries‹ on Galatians 1519 – 1538. 16 Vgl. Markus Wriedt: Luther=s Concept of History and the Formation of an Evangelical Identity, Protestant History and Identity in Sixteenth-Century Europe. 15
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Während Alveldt noch ein weitgehend unkritisches und methodisch unreflektiertes Schriftverständnis aus der mittelalterlichen Exegese übernimmt, setzt sich Emser ausdrücklich mit Luthers Behauptung der claritas scripturae auseinander.17 Er betont in der ausführlichen Begründung seiner Methode die Notwendigkeit des Rückbezugs auf die kirchliche Tradition als eines unverzichtbaren Auslegungsinstruments der Schrift. Gern verbindet er dies mit einem historischen Argument: Nicht die Schrift selbst, sondern die durch den Heiligen Geist und das durch Christus gestiftete Amt legitimierte Auslegung des Papsttums und ihrer Fixierung in der kirchlichen Tradition begründen oder hinterfragen die biblische Legitimität dogmatischer Entscheidungen.18 Die systematische Verhältnisbestimmung von Tradition und Innovation läuft auf die Frage einer evangelischen Schriftauslegung – sola scriptura – und ihrer kirchenpraktischen Konsequenzen hinaus. Die reformatorische Kritik sowie ihre Lösungsvorschläge treten im Spannungsfeld von Innovation und Tradition mit dem Anspruch auf, eine konservative Re-formation durchzuführen. Es gilt den unter vielfältigen Neuerungen und Zusätzen verdeckten Kern der reinen Lehre und ihrer kirchenpraktischen Umsetzung frei zu legen und wieder zur Geltung zu bringen. Kronzeuge dieser Sicht der Dinge ist in mehrfacher Hinsicht Augustinus: zum einen stellt sein Geschichts-Modell die für Luther wichtige historiographische Grundlage seiner eigenen Ortsbestimmung und der heilsgeschichtlichen Interpretation seiner konkreten Situation dar. Zum anderen ist Augustinus die gerade auch von den theologischen Gegnern unbestrittene Autorität der kirchlichen Tradition, mit der Luther zwar nicht um jeden Preis übereinstimmen will, in der er aber die Einheit der Kirche und den Fortbestand der rechten Evangeliumsverkündigung aufgehoben sieht. Freilich nicht allein dessen unangefochtene Autorität, auch die besondere Bedeutung Augustins als Ordensgründer und Universitätspatron dürften dessen Dignität weiter bestärkt haben. Schließlich aber ist es Augustinus, der Luther in seinem Autoritätsverständnis bestärkt: Mochte die Autorität des Kirchenvaters auch von zahllosen Zeitgenossen Heribert Smolinsky: Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen, 256 – 267. 18 Vgl. hierzu besonders Heribert Smolinsky: Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser, 389 – 396. Emser und andere römische Kontroverstheologen können sich dabei insbesondere auf Vinzenz von Lerinum berufen, der in seiner Denkschrift über das Alter des katholischen Glaubens zwar die Autorität der Heiligen Schrift betonte, nach ihr aber die kirchliche Tradition über die Wahrheit der Lehre zu entscheiden habe. Nur die zusätzliche Bestätigung durch die kirchliche Tradition, die identisch ist mit der Überlieferung in der kirchengeschichtlichen Orthodoxie seit der Urkirche und von da an bis in die kirchliche Gegenwart fortlebt, macht einen dogmatischen Lehrsatz wahr und allgemeingültig für die gesamte katholische Kirche. Vgl. Reinhart Staats: Das Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, 11 f. mit Anm. 18. 17
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anerkannt sein, so zählt für Luther vor allem dessen exegetische Kompetenz, die dem Wort der Schrift zum Durchbruch verhilft. Nicht was Augustinus sagt, sondern so wie er die Schrift sprechen läßt, ist für Luther die entscheidende Begründung seiner Hochschätzung des afrikanischen Bischofs und Predigers. Luther vermag mit Augustinus seine an der Bibel gewonnene Sprachform weiter zu entwickeln und zu feilen. Nicht die konkrete Aussage sondern der ›modus loquendi theologicus‹, den er – neben anderen – bei Augustinus vorfindet, und den er auch dort bereits von den irreführenden Redensweisen abgegrenzt sehen will. Teil dieser hermeneutischen Einsicht ist schließlich Augustins Verweis auf den entscheidenden Unterschied zwischen der Schrift als dem offenbarenden Wort Gottes und den eigenen Schriften, der Luthers hermeneutische Einschätzung unterstützt. So wie Augustinus »keinem will […] gegleubt, sondern alle unter die Schrifft gefangen und gezwungen haben« (WA 50, 539, 21 – 23) würde auch Luther ihm nicht glauben, lehrte er nicht, was durch die Schrift zweifelsfrei bezeugt ist.
5. Zusammenfassung und Ausblick
Luther hat den Augustinismus des Spätmittelalters wenn auch nicht ausschließlich, so doch ganz wesentlich durch seinen Orden, die observanten Augustiner-Eremiten, kennengelernt und übernommen. Die Theologie der Augustiner spiegelt die ganze Bandbreite der Augustinus-Rezeption des Spätmittelalters wider. Angesichts dieses diffusen Befundes wird man jene Form der Augustinus-Rezeption kaum so belasten können, in ihr jene entscheidende Initiation zu erblicken, die Luther auf seinen weiteren Weg zur Reformation leitete – auch nicht im Sinne eines produktiven Mißverständnisses. Nach eigenem Bekunden hat die seelsorgerliche Zuwendung von Staupitz Luther für die Wahrnehmung von dessen antipelagianischer Gnadenund Rechtfertigungslehre sensibilisiert. Daneben muß aber auch darauf verwiesen werden, daß zahlreiche andere theologische Zeitströmungen für die Entwicklung des theologischen Profils des jungen Luther von gleichberechtigter Bedeutung waren: die Entdeckung der mystischen Theologie etwa eines Johannes Tauler oder der Theologia Deutsch, die in Erfurt in signifikanter Konzentration vorhandenen humanistischen Bildungs- und Erkenntnisansätze sowie deren das klassische Erbe betonende Aussagen, eine radikale Aristoteles- und damit verbunden auch Scholastikkritik, sowie in nicht unerheblichem Maß das gesellschaftliche wie kirchliche Sentiment zu Beginn des 16. Jahrhunderts, das üblicherweise mit dem Reformbedürfnis von Kirche und Gesellschaft an Haupt und Gliedern umschrieben wird. Die vorgetragene Interpretation trägt zur Datierungsfrage der entscheidenden Wende im Leben Luthers wenig bei. Neuere Darstellungen betonen m. E. zu Recht den prozessualen Charakter des reformatorischen Durchbruchs und sehen in Lu-
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thers akzentuierter Formulierung von 1545 zutreffend eine gleichsam im Zeitraffer kondensierte Entwicklung, die sich über einige Jahre hingezogen haben dürfte. Es ist nicht das plötzliche Aufleuchten einer präzisen systematischen Formulierung, sondern die schrittweise Entdeckung eines grundlegenden hermeneutischen Prinzips, des modus loquendi theologicus, die Luther zum Reformator werden läßt. Luther ist nicht durch Augustinus zum Kritiker der scholastischen Theologie und in der Folge zum Reformator geworden. Er hat ihn weder produktiv mißverstanden noch uminterpretiert. Aber Augustinus hat ihn auf seinem Weg bestärkt und begleitet. Dies zuweilen in anachronistischer und nicht immer inhaltlich zutreffender Adaption. Diese Einschätzung der Augustinus-Rezeption Luthers aus späterer Sicht kann die Hochschätzung des Reformators freilich nicht minimieren und sollte daher auch nicht erkenntnisleitend überbetont werden. Augustinus war für Luther der Inbegriff katholischer Orthodoxie, die sich freilich je neu im Licht der Heiligen Schrift zu bewähren hatte.
Augustinus als matrix omnium conclusionum bei Cornelius Jansenius (1585 – 1638) von Richard Augustin Sokolovski
My Wars are laid away in Books – so dichtet Emily Dickinson. Cornelius Jansenius hätte im Singular gesprochen. Seine Kämpfe sind in einem einzigen Buch niedergelegt. Zu Lebzeiten wirkte Cornelius Jansenius als Theologe, Professor und Bischof. Gleichzeitig aber führte er einen heimlichen Krieg. In einem winzigen Zimmer des damaligen holländischen Priesterseminars zu Leuven wird ein theologisches Werk geboren. Jansenius selbst nennt dieses Werk ›mein Kind‹. In diesem Buch führt Jansenius den Krieg seines Lebens, den gerechten Krieg für die Wiederherstellung der genuinen katholischen Gnadenlehre des ›Doctor Gratiae‹, des heiligen Augustinus. Der plötzliche Tod des Cornelius Jansenius im 1638 zu Ypern versammelt an seinem Grab das fromme christliche Volk, das im verstorbenen Bischof einen Heiligen verehren will. Seine Feinde hingegen atmen erleichtert auf. Beide sollten sich täuschen, denn bald, sehr bald, wird Jansenius wieder auferstehen. Sein ganzes Leben hatte er einem Text gewidmet, so daß sich der Mensch in einen Text, in ein Buch verwandelt hatte. Dieses Buch beginnt zu sprechen. Sein Name ist Augustinus.
1. Vita Incognita des Cornelius Jansen
Da Jansenius ausschließlich in der gleichnamigen Bewegung Bekanntheit erlangt hat, muß zunächst seine Biographie in Betracht gezogen werden. In der Medienwelt der heutigen Theologie stellt das Leben des Jansenius eine terra incognita dar. 1585 bis 1638, zwischen diesen zwei Jahreszahlen liegt das Leben des bekanntesten und des unbeliebtesten katholischen Augustinisten der Neuen Zeit. Augustinus von Hippo (354 – 430) taucht in den Zeiten des Jansenius wieder auf, nicht weil Jansenius dem Lehrer der Gnade sein Werk zu widmen versucht, sondern weil das verborgene Gesetz der intellektuellen Entwicklung des Abendlandes diesmal so würfelte. Das 17. Jahrhundert ist das Jahrhundert des heiligen Augustinus. Alle wollen sich auf Emily Dickinson: Gedichte, München 2006. Gedichte (Höraufnahme: English und Deutsch), Zürich 2007. Vgl. Augustinus, Synopsis Vitae Auctoris: »Nec alia testamenti eius cura sollicitior, quam ut fideles amicos rogaret, ne foetus instinctu, ut credebat, divino tot vigiliis et laboribus a se efformatus supprimeretur, et non veniret ad partum.« Jean Orcibal: Jansénius d’Ypres (1585 – 1638), 270. Vgl. Philippe Sellier: Le siècle de Saint Augustin.
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seine gewaltige Autorität beziehen, und die Unterstützung des heiligen Patrons der christlichen Wissenschaft wird von allen Seiten gesucht. Nur der junge Jansenius steht Augustinus gleichgültig gegenüber. Jansenius wurde in die Welt des Protestantismus geboren, geographisch und politisch. Geboren 1585, lebt er bis 1602 in den reformierten Niederlanden. »Jesus Christus war der erste Theologe«, schreibt er später im Augustinus. Die Evangelien lassen vermuten, daß Christus ebenso wie Joseph Zimmermann war. Biographien des Jansenius berichten, daß er, wenn seine Familie in Not war, als Zimmermann arbeitete. Von diesem ›evangelischen‹ Beruf wird er dank der Hilfe durch niederländische katholische Mäzene in das theologische Studium berufen. Aus Holland nach Flandern, aus der protestantischen in die katholische Welt der Leuvener Universität führt der Weg des Cornelius Jansenius. Während seines Studiums in Löwen wird Jansenius von zwei Theologen beeinflußt, von einem lebenden und einem toten. Jakobus Janson (1547 – 1625) will, daß jeder Studierende Augustinus liest und auswendig kennt. Michael Baius (1513 – 1589) gibt ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie man sich wegen der Vorliebe für das Werk des Augustinus eine kirchliche Verurteilung zuziehen kann. Die Lebenden und die Toten also bilden Jansenius aus. »Gnade ist keine Information«, erwidert Jansenius später auf das heute so genannte instruktionstheoretische Offenbarungsmodell. Die erste Augustinische Prägung des Jansenius an der Leuvener Universität brauchte noch mehrere Jahre, um innerlich angeeignet zu werden. 1609 verläßt Jansenius Leuven für das weitere theologische Studium in Paris. In Paris lernt Jansenius Jean Duvergier de Hauranne kennen. Der künftige Beichtvater der französischen Oberschicht, bekannt unter dem Namen Abbé Saint-Cyran, bedeutet einen entscheidenden Übergangspunkt von Jansenius zum Jansenismus. Die Entdeckung der Möglichkeit eines autodidaktischen Studiums von dem, was man studieren möchte, und nicht von dem, was man studieren muß, bringt Jansenius 1611 nach Camp-de-Prats, wo er zusammen mit Saint-Cyran patristische Quellen studiert. Die Lebenden und die Toten zu Leuven, das Geliebte und das Verhaßte der Ausbildung in Paris, Menschen und Bücher, das ist die Bilanz der ersten Lebenshälfte des Jansenius. Mensch und Text, diese Trennung im Bewußtsein des Jansenius, sollte noch eine Weile andauern. Die Offenbarung kommt erst 1619. Das Leben des Jansenius gleicht einem Kriminalroman. So viele Zufälle kann es im Leben eines Menschen nicht geben, außer wenn er heilig ist, oder alles andere als heilig. Das calvinistische Konzil in Dordrecht (16. 11. 1618 – 3. 5. 1619) genehmigt
Ich nehme hier absichtlich den Titel des Augustinischen Werkes De doctrina christiana
auf.
Jean Orcibal: Jansénius, 61. Vgl. den Titel des Romans Die Lebenden und die Toten von Konstantin Simonov.
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eine explizit augustinistische Gnadenlehre. Zur gleichen Zeit empfängt Cornelius Jansenius in Leuven eine Offenbarung. Augustinus, der Kirchenvater, und sein Werk werden Jansenius geoffenbart. Jansenius erlebt den Moment der Wahrheit, der Einheit des Menschen mit dem Text. »Siehe, in kurzen, klaren und deutlichen Worten ist der Schlüssel zur ganzen Lehre überliefert: was zu tun und was zu lassen ist, über die guten Werke und die Sünden; ohne diesen Schlüssel ist die Lehre des Augustinus nichts als ein blosses Labyrinth, aus dem man nicht herausfindet außer durch Glossen, die zahllose Texte des Augustinus verdrehen und der großen Masse der ganzen Lehre widersprechen«, sagt Jansenius. Dieser Moment ist die Geburt des Theologen Cornelius Jansenius. Der Augustinus des Jansenius ist die Frucht einer fast zehnjährigen Einübung in das Werk des heiligen Augustinus. Ende 1627 fängt Jansenius mit dem Schreiben des Augustinus an. Vieles deutet darauf hin, daß er keine Veröffentlichung für sein Werk in seinen Lebenszeiten anstrebte. Mehr noch, der Theologe aus Leuven ist bereit zu sterben, sobald sein Augustinus vollendet ist. Die anderen Aktivitäten des Jansenius sind: seit 1617 Rektorat im holländischen Priesterseminar zu Leuven, Verteidigung der Rechte der Universitäten gegen die wachsenden Ansprüche der Gesellschaft Jesu, Polemik und Dispute gegen die reformierten Theologen aus Holland, Gründung einer Filiale des Oratoriums von Jesus und Maria in den spanischen Niederlanden und jahrelang eine Professur für die Heilige Schrift. Ab 1635 ist Jansenius Rektor der Universität, 1636, achtzehn Monate vor seinem Tod, wird er Bischof in Ypern. Nichts deutet darauf hin, daß bald, sehr bald eine Bewegung namens Jansenismus entstehen wird. Alle Tätigkeiten des Jansenius führen ihn zum Sterbebett hin, so daß die Fertigstellung des Augustinus den letzten Atem des jungen Bischof von Ypern bedeutet. Doch die Theologie des Jansenius, wie sie ist, zeigt sich weder in seinen Vorlesungen an der Universität noch in der Polemik gegen die Reform, sondern in seinem Werk Augustinus, das aber heißt: erst post mortem. Die Theologie des Jansenius ist eine posthume Theologie. Das bedeutet, daß bei der Auslegung der Theologie des Jansenius viel interpretiert werden muß. Auch der so genannte Jansenismus und seine Verurteilungen waren Interpretationen.
Augustinus, II, De Statu Naturae Lapsae IV, XXII, 534: »Ecce brevibus, perspicuis, disertissimis verbis clavem universae doctrinae de agendis et non agendis, de bonis operibus et peccatis traditam; sine qua, doctrina Augustini non nisi merus Labyrinthus est; ex quo nisi Glossis textus Augustini innumeros evertentibus, totiusque doctrinae moli repugnantibus, exiri non potest.«
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2. Der ›Augustinus‹: Janus des Jansenius
Ich verzichte absichtlich darauf, Struktur und Gliederung des Jansenschen Augustinus zu reproduzieren. Das Werk ist so umfassend und die Lektüre so anstrengend, wie seine Struktur klar und plausibel ist. Diese Verführung scheint vielen Historikern und Theologen das Recht zur Behauptung zu geben, das Werk des Jansenius sei bereits bekannt und studiert, sobald die Struktur des Werkes kommentiert sei. Wir werden also einen anderen Weg gehen und wenden uns dem Kern des Opus des Jansenius zu. Im Gegensatz zu allen normalen Büchern fängt der Augustinus in der Mitte an. Der Liber Prooemialis ist eine Einführung in die theologische Hermeneutik des Augustinus. Den formellen Anfang, die ersten Seiten des Augustinus, bildet das Kapitel Historia Pelagiana mit den dazugehörigen Abschnitten über die Theologie des Pelagianismus. Der Augustinus des Jansenius ist wie ein zweiköpfiger Janus, ein Buch mit zwei Anfängen. Die beiden Anfänge des Werkes bedeuten zwei verschiedene Hermeneutiken der Theologie des Jansenius, die einander jedoch nicht widersprechen. Die theologische Hermeneutik spricht von dem, was Theologie ist, und die historische von dem, wie Geschichte zum Ausgangspunkt des Theologisierens werden kann.
3. Augustinus – matrix omnium conclusionum
Die Neue Zeit wird durch das Ankommen der neuen Wirklichkeit gekennzeichnet. Es ist eine Wirklichkeit, die sich der Kirche entzieht. Die Naturwissenschaften sind hier nur ein treffendes Beispiel. Die christliche Welt reagiert darauf mit dem Versuch, die entgleitende Gegenwart an ihren Ursprung zurückzubinden. So entstehen nach einem Konkurrenzmodell im Verhältnis zwischen Gott und Mensch die Gnadenlehren des 16. Jahrhunderts, so baut sich die strikte doppelte Prädestinationslehre der postcalvinischen reformierten Tradition auf. Ad majorem gloriam Dei, so lautet der Ruf der Gesellschaft Jesu. Diesem theozentrischen Ruf entspricht in der Gnadenlehre eine Verschiebung der Erlösungsinitiative zugunsten des menschlichen Willens. Ich wage zu sagen, daß Cornelius Jansenius der erste neuzeitliche katholische Mensch und Theologe war, der sich nicht von diesem Widerspruch leiten ließ. Im Gegenteil, die Theologie des Jansenius geht vom Menschen aus. Dieselbe Theologie aber macht den nächsten Schritt und schreibt die Erlösungsinitiative Gott zu. Der Name des Menschen ist Augustinus, der Name des Erlösenden – Gnade, gratia Jesu Christi. So wird Augustinus mehr als ein Millennium nach seinem Tod zu Hippo 430 vom Bischof von Ypern zum Fundament der christlichen Theologie gemacht. Augustinus – matrix omnium conclusionum heißt es im Liber Prooemialis des Jansenius.
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4. Matrix sein
Was es bedeutet, in der Matrix zu sein, ist wohl den meisten unter uns aus dem gleichnamigen Film bekannt. Was aber bedeutet es für Augustinus, selbst Matrix zu sein? Das erfährt der Leser aus dem gleichnamigen Werk des Jansenius. Das Verhältnis zwischen Altem und Neuem Testament ist einmal und für alle Zeiten zu einem der Hauptthemen der Theologie geworden. Im Zentrum der christlichen Verkündigung steht die Gnade Jesu Christi. Die Gnade des Neuen Testamentes ist im Alten Testament so entschieden verborgen, daß Jansenius wagt, das Alte Testament als eine Komödie zu bezeichnen. Die Gnade Christi, dieser Kulminationspunkt der menschlichen Geschichte, wird im Neuen Testament geoffenbart. Die Offenbarung der Gnade Christi im Neuen Testament ist vollkommen, und von einem dritten Testament kann nicht die Rede sein. Die im Neuen Testament geoffenbarte Gnade Christi bleibt aber weiterhin unzugänglich, wenn sie keinen Interpreten findet. Das Neue Testament ist die Erfüllung des Alten Testaments, die Lehre Augustins ist die Erfüllung des Neuen Testamentes. Nach dem allgemeinen Sensus fidelium sind alle Träger der Offenbarung bereits mit den letzten Aposteln verstorben. Dann beginnt die Zeit der Epigonen. Jansenius widerspricht diesem Gedanken, indem er die Rolle des Augustinus als des ausserordentlichen und übermenschlich begabten Interpreten der Schrift hervorhebt. Im Zeitalter der Reformation fühlt die Katholische Kirche sich verpflichtet, die Tradition gegenüber dem Sola scriptura der Heiligen Schrift zu verteidigen. So gerät die Überlieferung in die Rolle eines Gegenübers zur Schrift. Jansenius sucht dieses Dilemma zu lösen, indem er das Werk des Augustinus als Bestandteil und Symbol der Tradition der Kirche auf das gleiche Niveau wie die Heilige Schrift erhebt. »Augustinus – Vater der Väter, Lehrer der Lehrer, der erste nach den kanonischen Schriftstellern, unter allen wahrhaft gediegen, feinsinnig, unbestreitbar, der Engelgleiche, Seraphische, alle Überragende, und unaussprechlich wunderbar«, sagt Jansenius. Erfahrung ist das Kriterium der Wahrheit – sagt Karl Marx. Das ganze wäre zu einfach, wenn das, was man im 16. – 17. Jahrhundert als ›Tradition‹ bezeichnete, Jansenius nicht allzu gut bekannt gewesen wäre. Überlieferung ist ambivalent, sie macht es möglich, daß in jeder theologischen Auseinandersetzung Bezug auf eine und dieselbe Überlieferung genommen wird. Augustinus bedeutet einen Ausweg aus dieser negativen Seite der Tradition, die Jansenius als Irrgarten der Fragestellungen, lateinisch Labyrinthus quaestionum bezeichnet. Die Tradition ist ambiva Augustinus, Liber Prooemialis, 52: »Augustinus Pater Patrum, Doctor Doctorum, Primus post Scriptores Canonicos, inter omnes vere solidus, subtilis, irrefragabilis, Angelicus, Seraphicus, Excellentissimus, et ineffabiliter mirabilis.«
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lent, nicht nur im 17. Jahrhundert. Immer, zu allen Zeiten des Christentums, ist es so gewesen. In diesem Sinne kennt Jansenius keine goldene Ära der ersten christlichen Generationen. Der Glaube an den unversehrten Glauben der ersten christlichen Generationen bleibt Jansenius äußerst fremd. Augustinus ist derjenige, der die vier Hauptwahrheiten des Christentums formuliert und verdeutlicht habe: die Wahrheit des Hauptes (Christus gegen den Arianismus), die Wahrheit der Einheit (die eine Kirche Christi), die Wahrheit des Sakramentes (die eine Taufe) und die Wahrheit der Gnade (die eine Erlösung). Die Theologie des 17. Jahrhundert muß die Antwort auf ihre Fragestellung im Werk des Augustinus finden. Augustinus bedeutet das Fundament, die Matrix omnium conclusionum.
5. Die letzte Wahrheit
Der Kern der Jansenischen Theologie liegt in der Gnadenlehre. Jansenius bezeichnet die Theologie der Gnade als das Herz des christlichen Bekenntnisses und versucht, das Rätsel der Gnadenlehre in seinem Augustinus mit Hilfe des Augustinus zu lösen. Gnade ist die Verwirklichung der Erlösungstat Christi. Das Lutherische Axiom, die Rechtfertigungslehre sei der articulus stantis et cadentis ecclesiae, bleibt für Jansenius fremd. Die christliche Gnadenlehre, wie sie ist und wie sie sein muß, ist vom heiligen Augustinus formuliert worden. Die Kirche hat die Augustinische, ja ihre eigene Wahrheit von der Gnade genehmigt und kanonisiert. In dieser Gnadenlehre behält die Kirche Christi ihren Stand. Die Päpste der alten christlichen Zeit haben die Lehre des Augustinus bestätigt, so werden es auch die Päpste aus dem Heute des Jansenius tun müssen. Denn sie sind ja unfehlbar. Diese Unfehlbarkeit bedeutet für Jansenius eine Pflicht, sich an den bereits verkündigten Glauben zu halten. Das Neue Testament ist die erfüllte Weiterführung des Alten Testaments und die christliche Theologie ist Weiterführung des Neuen Testaments. Die Kette der Offenbarung setzt sich fort bis ins Eschaton.
6. Fröhliche Wissenschaft
Das Verständnis der Theologie gehört zu wichtigsten Themen im Werk des Jansenius. Hier liegt der Schlüssel zu seiner Augustinusrezeption. Christus ist der erste Theologe – so Jansenius. Christus, der Logos des himmlischen Vaters, lebt von dessen Wahrheit und verkündet sie den Aposteln. Die Verkündigung bedeutet hier keine Informationsvermittlung, sondern die Kommunion des Wortes von Herz zu Herz. Das Gedächtnis (memoria) ist Fundament, Organ und Motor des Theologisierens.
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»Nur derjenige könnte es absurd oder merkwürdig finden, daß die christliche Weisheit aus dem Gedächtnis der überlieferten Offenbarungen und göttlichen Worten geboren wird, der nicht weiß, daß diese ewige Weisheit, das Wort Gottes, aus der gleichsam als Quelle und Urbild all unsere Weisheit verbreitet wird, aus dem fruchtbaren Gedächtnis des Vaters hervorgeht«, so Jansenius. Augustinus ist der Theologe der Theologen, er ist das Beispiel und die Ikone einer Theologie, die ihren Inhalt aus den Quellen der Memoria schöpft. Die Theologie des Augustinus bedeutet die Weiterführung der überlieferten Wahrheit der christlichen Verkündigung. Sie ist die Theologie der frohen Botschaft der Gnade, eine fröhliche Wissenschaft. Der Antipode des Augustinus ist Origenes. Die Lehre dieses Lehrers des Morgenlandes stellt ein ausgezeichnetes Beispiel dar, wie die Grenzen zwischen Philosophie und Theologie verschmelzen. Jansenius nennt diese Art der Theologie Philosophie, Philosophia pura et puta. Das Fundament dieser Theologie ist der Intellekt und nicht die Memoria. Diese Theologie philosophischer Art stellt ein ständiges Hinterfragen der gegebenen Wahrheit dar, sie baut den erschreckend kafkaesken Labyrinthus quaestionum auf, in den die Tradition ohne Augustinus sich verwandelt. Origenes ist also der wahre Ursprung des Pelagianismus. Die ganze Theologiegeschichte wird von Jansenius ›dualistisch‹ interpretiert, denn es gibt ja nur zwei möglichen Richtlinien der theologischen Entwicklung, die Augustinische und die pelagianische. Der Pelagianismus, oder besser: der ewige Pelagianismus macht aus der christlichen Tradition ein Labyrinth der Fragestellungen. Augustinus ist der Faden der Ariadne.
7. Kunst des Lesens
Der Augustinus des Jansenius ist eine Frucht der Lektüre des Augustinus. Wenn eine Lektüre so fruchtbar sein kann, muß es gewisse Regeln für die Lektüre geben. Die Entdeckung der Augustinischen Wahrheit fällt bei Jansenius mit der Entdeckung der Regeln für die Lektüre des Augustinschen Werkes zusammen. Wenn diese Regeln gebrochen werden, geht der einzige Schlüssel zum adäquaten Verständnis verloren. Man habe Augustinus die eigenen Gedanken zugeschrieben, anstatt den Intuitionen des Lehrers des Abendlandes zu folgen – so formuliert Jansenius die Erbsünde der gegenwärtigen Augustinus-Rezeption. Er selbst verfolgt ein durchaus anderes Ziel: »Ich habe keine Angst, den Eindruck zu erwecken, in dieser gefährlichen Sache mehr als andere wissen zu wollen. Denn ich habe meine Meinung nicht Liber Prooemialis, 7: »Nec enim cuiquam absurdum aut mirum videri debet quod ex traditarum revelationum ac divinorum verborum memoria, Christiana nascatur sapientia, nisi qui nesciat, aeternam illam sapientiam, quae est Verbum Patris, ex quo tanquam fonte et exemplari omnis nostra propagatur sapientia, ex foecunda Patris memoria prodiisse.«
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so vorgetragen, als sei sie mir durch Spekulation eingefallen, sondern ich habe das, was Augustinus und seine Schüler sowie später die alte Kirche selbst über diese schwerwiegenden Fragen gedacht und gelernt haben, treu erforscht, unverfälscht zugänglich gemacht und habe ständig angeführt, daß es sich um ihre Meinung handelt«. Die eigene theologische Entwicklung des Genies der Christenheit muß berücksichtigt werden. Augustinus ist ja nicht nur der Augustinus des Glaubens, der unfehlbare Doctor gratiae, dessen Lehre vom unfehlbaren Lehramt im eigenen Interesse aufgenommen werden soll. Augustinus ist ein Mensch der Geschichte und ein Mensch in der Geschichte. Die Werke des späteren Augustinus zur Gnadenlehre können nicht von seinen früheren Werken her interpretiert werden. Denn der frühe Augustinus teilte ja selbst die Irrtümer der Semipelagianer. Seine ›neue‹ Gnadenlehre wurde ihm in einer Offenbarung vermittelt, die schriftlich mit dem Werk Ad Simplicianum und zeitlich mit seiner Bischofsweihe zusammenfällt.
8. Sola gratia
Die Wahrheit der Gnade ist die Wahrheit, die alle die anderen Wahrheiten umgreift und ihnen Sinn gibt. Dies gilt, weil alle christlichen Wahrheiten und Dogmen in der Gnade wahrgenommen, angenommen und verstanden werden können. Die berühmte Formulierung Credo ut intelligam spiegelt sich hier auf unerwartete Weise wider. Das wichtigste für das Verständnis der Gnadenlehre des Jansenius ist das, was Jansenius selbst bei Augustinus als das Wichtigste bezeichnet. Hier gilt es aufmerksam zu sein, denn gerade dieser Punkt hat bei den Rezeptionsversuchen der Jansenischen Theologie scharfe Kritik gefunden und letztlich zur Verurteilung des Bischofs von Ypern geführt. Die Gnade, die dem Menschen im Urzustand gegeben wurde, unterscheidet sich wesentlich von der Gnade, die in der Erlösungstat Christi gegeben ist. Die Gnade Adams trägt einen deutlich synergischen Charakter. Beistand und Hilfe dieser Gnade hängen vom Ja oder Nein des Menschen ab. Ohne diese Gnade konnte der Mensch nicht im Guten bleiben, es ist die Gnade sine quo non. Die andere, neue Gnade des Neuen Bundes ist die Gnade, die das menschliche Ja überhaupt erst ermöglicht. Das Ja des Menschen wird in der Gnade, die gibt und wirkt, gegeben, sie ist die Gnade ›quo‹. Diese Theologie der zwei Gnaden wird von Liber Prooemialis, 64: »Nec vero mihi formidandum putavi, ne dicar plus quam caeteros in rebus periculosis velle sapere. Sententiam enim non tam attuli meam, quam speculando commentus sim, sed id, quod Augustinus de gravissimis rebus, ac discipuli eius, vel ipsa subinde vetus Ecclesia sensit ac docuit, fideliter indagavi, sincere patefeci, et eorum sententiam esse constanter afferui.«
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Jansenius als der eigentliche Schlüssel zum Verständnis des Augustinus verstanden. Die Irrtümer in der Gnadentheologie seiner Zeit sind durch die Verwechslung der ursprünglichen und der aktuellen Gnade verursacht worden. Jansenius sagt: »Das katholische und apostolische Dogma besteht nicht nur darin, daß die göttliche Gnade dem freien Willen hilft, etwas Gutes wollen und vollbringen zu können, sondern auch darin, daß der freie Wille durch die Gnade befreit werden muß, um das Gute zu tun, da er sich selbst nicht befreien kann, d.h. weil ihm die Freiheit zum Tun des Guten durch die Gnade übertragen werden muß.«
9. Eine verurteilte Theologie
Die Theologie des Augustinus des Jansenius ist wegen der sogenannten fünf Sätze verurteilt worden. Der Ausdruck ›Theologie der fünf Sätze‹ wird hier bewußt verwendet. Allein der erste Satz ist als ein Zitat aus dem Augustinus des Jansenius nachzuweisen. Die anderen vier Sätze bedeuten den Versuch, die Theologie des Jansenischen Werkes auf eine unorthodoxe Weise zusammenzufassen und auf dieser Grundlage zu verurteilen. Der erste Satz spricht von der Unerfüllbarkeit der Gebote ohne die Gnade, der 2. und der 4. – von einer Gnade, die keinen Widerstand des menschlichen Willens duldet, der dritte versucht, Freiheit und Notwendigkeit als kompatibel zu erklären, und der 5. behauptet, die Meinung, daß Christus schlechthin für alle gestorben sei, sei semipelagianisch. Die Analyse der Sätze kann im Rahmen dieses Vortrags nicht erfolgen. Entscheidend ist, daß die Diskussion um die Theologie des Augustinus des Jansenius im Laufe der Jahrhunderte um die fünf Sätze und nicht um die Theologie seines Werkes geführt wurde. Wenn der Augustinus des Jansenius eine Rezeption des Lehrers des Abendlandes im 17. Jahrhundert darstellt, dann bedeuten die fünf Sätze eine Rezeption der Rezeption des heiligen Augustinus.
10. Textus Receptus
Am Ende kommt, was an den Anfang gehört: die neuesten Interpretationen der Theologie des Jansenius. Lucien Ceyssens (1902 – 2001) und Jean Orcibal (1913 – 1991) unternehmen das, was mit einfachen Worten als eine ›Rehabilitierung des Jansenius‹ bezeichnet werden kann. Die Frage, ob Jansenius rehabilitiert werden muß, Augustinus III, I, III, 13: »[…] Catholicae et Apostolicae fidei esse dogma, non solum, quod liberum arbitrium divina gratia iuvandum sit, ut aliquid boni velle, et operari possit, sed etiam, quod per gratiam liberandum sit ad benefaciendum cum se liberare non possit, hoc est, quod ei libertas ad benefaciendum per gratiam conferenda sit.«
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kann hier nicht beantwortet werden. Die beiden Wissenschaftler – die wohlgemerkt ihren je eigenen wissenschaftlichen Weg gehen – unternehmen die Rehabilitierung des Jansenius. Sie erfolgt aus zwei Gründen: Jansenius reproduziert die Theologie des heiligen Augustinus, und die Methode seiner Verurteiler ist eine kirchenpolitische Machtausübung und keine konstruktive und adäquate theologische Diskussion. Der Augustinus des Jansenius bleibt ungelesen. Henri de Lubac (1896 – 1991) versucht im Grunde das, was Jansenius Jahrhunderte früher versucht hatte: die Gnadentheologie des Augustinus beziehungsweise die katholische Gnadenlehre in seiner Zeit auszulegen. Jansenius wird bei de Lubac zu einer Hilfskonstruktion an der Baustelle des neuen Augustinismus. Der französische Theologe sieht in Jansenius die Ursache, warum die neuzeitliche katholische Theologie der Gnade auf Abwege geraten ist. Jansenius stelle eine enorme Gefahr für die Theologie dar. Um sie zu vermeiden, hat die civitas catholica Lehren in das theologische Lexikon eingeführt, die nicht als Augustinisch gelten können. Das beste Beispiel dafür ist die Lehre von der so genannten reinen Natur, die gegen den Vorgänger des Jansenius, Michael Baius, verwendet wurde. Der Augustinus des Jansenius bleibt ungelesen. Gaetano Lettieri (geb. 1961) stellt einen neuen Augustinus dar: L’altro Agostino, Der andere Augustinus, heißt sein Werk über die Gnadentheologie des Augustinus. Augustinus ist immer der andere gewesen. Er ist der andere gegenüber sich selbst, denn an einem bestimmten Punkt seines Lebens muß er seine Theologie ›zu Gunsten‹ seiner neuen Gnadenlehre umformulieren. Er ist der andere gegenüber der katholischen Kirche, deren Kirchenvater und Lehrer der Gnade er doch zu sein scheint. Der kleine Augustinus kann von der Kirche und ihrer autoritativen Theologie nicht angeeignet und verschlungen werden, er ist einfach zu groß. Die Lehre des Augustinus wird von Jansenius als die Theologie der Anarchie der Gnade bezeichnet. Jansenius leistet zum Werk des Augustinus die richtige Hermeneutik, die für immer eine unfehlbare Lektüre des Augustinus darstellt. Henri de Lubac muß den Augustinus des Jansenius nicht lesen, weil die Theologie des Jansenius für den französischen Jesuiten a priori verkehrt zu sein scheint. Der Augustinus wird benutzt und nicht gelesen. Gaetano Lettieri gibt zu, daß das einzig Wichtige im Werke des Jansenius seine Methode der Lektüre des heiligen Augustinus ist. Der Augustinus des Jansenius bleibt also ungelesen. Der Augustinus des Jansenius muß gelesen werden – diese einfache These ist mein Motto zum Studium des Werkes des Jansenius. Die neueste Forschung zu diesem Thema bestätigt, daß die These weiterhin gültig bleibt.
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11. Unerträgliche Leichtigkeit des Seins
Der Text bleibt Text und der Mensch bleibt Mensch. Der Text dessen, der nie behauptet hat, er habe recht, ist verurteilt worden. Es ist würdig, die Arbeit über Jansenius mit den Worten zu beenden, mit denen er selbst sein Werk und dementsprechend sein Leben beendet: »Nie würde ich mir anmaßen, ich sei in keiner Hinsicht von seiner [des Augustinus – R. S.] Lehre abgeirrt. Ein Mensch bin ich, ausgesetzt den Gefahren der menschlichen Fehltritte, vor denen ich mich so weit ich konnte zu hüten versucht habe; so verzeihe mir der Leser, wo ich es nicht vermocht habe, damit die Erwägung der unermüdlichen Arbeit den Schandfleck der Leichtfertigkeit wegnehme und die Berücksichtigung der Aufrichtigkeit Schutz davor bietet, daß zu irren einfach ist.« Jansenius wagt also zu bekennen, daß errare humanum est. Die Geschichte der jansenistischen Kontroversen und Jahrhunderte langen Interpretationsversuche der Theologie des Jansenius weist leider darauf hin, daß errare theologicum est: irren ist theologisch.
Augustinus III, Epilogus Omnium, 1070 – 1071: »Nec vero mihi ipsi arrogaverim, me nulla ex parte ab eius aberrasse sententia. Homo sum, humanorum lapsuum periculis obnoxius, quae sicuti cavi quantum potui, ita ignoscet Lector ubi non potui, ut et assidui laboris consideratio temeritatis labem auferat, et sinceritatis intuitus, errandi simplicitati patrocinetur.« Weiterführende Literatur: Jean Lesaulnier (u.a.) (Hg.): Dictionnaire de Port-Royal; Léopold Willaert (Hg.): Bibliotheca Janseniana Belgica; Henri de Lubac: Augustinisme et théologie moderne; Albert de Meyer: Les premières controverses jansénistes en France (1640 – 1649); Henri Gouhier: Cartésianisme et Augustinisme au XVIIe siècle; ders.: L’anti-humanisme au XVII siècle; Bernhard Jungmann u.a.: Jansénius évêque d ’Ypres. Ses derniers moments, sa soumission au S. Siège d’après des documents inédits. Etude de critique historique par de membres du séminaire d’histoire ecclésiastique; Leszek Kolakowski: Dieu ne nous doit rien. Brève remarque sur la religion de Pascal et l’esprit du jansénisme; Gaetano Lettieri: Il metodo della grazia. Pascal e l’ermeneutica giansenista di Agostino; ders.: L’altro Agostino. Ermeneutica e retorica della grazia dalla crisi alla metamorfosi del ›De doctrina Christiana‹; Ludovicus Molina: Liberi arbitrii cum gratiae donis […] concordia; Jean Orcibal: Correspondance de Jansénius (Les Origines du Jansénisme, 1); ders.: Saint Cyran et le jansénisme; Ciro Senofonte: Ragione Moderna e Teologia. L’uomo di Arnauld; ders.: Baio – Giansenio – Arnauld; Constant van Eijl: Jansenistica te Mechelen. Het archief van het aartsbisdom; ders. (Hg.): L’image de C. Jansénius jusqu’à la fin du XVIIIe siècle; Alfred Vanneste: Nature et grâce dans la théologie occidentale. Dialogue avec H. De Lubac; Léopold Willaert: Les origines du jansénisme dans les Pays-Bas catholiques, Bd 1. Le Milieu, le jansénisme avant la lettre.
Katholische Verteidigungen Beobachtungen zum Augustinismus nach Bajus (1513 – 1589) und Jansenius (1585 – 1638) von Erich Naab
Für sein Verständnis der Gerechtigkeit Gottes, die im Evangelium aus Glaube zum Glauben offenbart ist und heile, nicht strafe (vgl. Röm 1,17), hatte sich Martin Luther mit De spiritu et littera seines Ordenspatrons Augustinus d’accord gewußt.1 Calvin verstand sich als Ausleger des lateinischen Kirchenvaters und diesen als den »fidus interpres scripturae«.2 Selbst die innerkatholischen Kontroversen auf dem Konzil von Trient waren in ihren herausforderndsten Partien ein Kampf um Augustinus.3 Das Konzil war noch nicht beendet, als in Löwen4 mit der Forderung nach der Rückkehr zu den Quellen und in Frontstellung zur Scholastik, kontroverstheologisch und in durchaus humanistischer Art, eine Interpretation des Augustinus vorgelegt wurde, die so verwirrte, daß Michael Bajus von seinen katholischen Gegnern zugleich der Häresien des Pelagius und Luthers und auch noch des Legalismus verdächtigt wurde.5 Lag die zentrale Thematik der Reformation und der Auseinandersetzung mit ihr in der Rechtfertigung des Sünders, so wies Bajus in seinem originellen Beitrag auf den bislang weniger beachteten Zustand des Menschen vor dem Sündenfall hin: im Bezug auf diesen ursprünglichen Zustand sei die Verderbnis und die Wiederherstellung, Sünde und Gnade zu messen, »in quibus […] duobus (si divo Augustino credimus) proprie fides Christiana consistit«.6 In Löwen wurde die antischolastische Polemik weiter getragen von Cornelius Jansenius, der in seinem Werk mit dem programmatischen Titel Augustinus den bajanischen Ansatz inhaltlich nicht nur systematisiert. Die Herausforderungen der Gnade und der Freiheit im zeitgenössischen Streit ›De auxiliis‹ brachten neue Akzentuierungen. Aber es bleibt diese Frage nach dem Urstand der Focus, an dem sich in der Folgezeit der mainstream katholischer Theologie in der barocken Scholastik und ein Augustinismus Vgl. WA 54, 186, 16 – 20. – Vgl. hier den Beitrag von Markus Wriedt. Defensio sanae et orthodoxae doctrinae de servitute et liberatione humani arbitrii, contra Pighium. In: Opera quae supersunt omnia 6, hier 319; Institutionis christianae religionis (1559), lib. III cap.2 n. 35. In: Opera Selecta 6, 46, 16 – 18. – J. Marius Lange van Ravenswaay: Augustinus totus noster. 3 Vgl. Eduard Stakemeier: Der Kampf um Augustin auf dem Tridentinum. 4 Vgl. Mathijs Lamberigts (Hrsg.): L’Augustinisme à l’ancienne faculté de Louvain. 5 Vgl. Henry de Lubac: Das Erbe Augustins 20 – 57. José Martin-Palma: Gnadenlehre 77. 6 Michael Baius: De prima hominis justitia, Praefatio 47, mit Verweis auf Augustinus, gr. et pecc. or. c. 24. 1 2
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reiben werden, der sich im Orden der Augustiner-Eremiten etabliert.7 Augustinus war in der konfessionell katholischen Sicht nicht mehr der ›Hort der Orthodoxie‹; er war zum Stachel in ihrem Fleisch geworden, der mehr und mehr schmerzte.8 Gegenüber den inhaltlichen Unterscheidungen verblassen mit der Zeit die methodischen Differenzen,9 die späteren Augustiner versetzen sich auch hier – wie seinerzeit Bajus – so sehr in den Gegner hinein, daß zumindest die Unterscheidung in der Form der Argumentationsweise schwer fällt. Das intensive Studium Augustins war bei den mittelalterlichen Augustiner-Eremiten nicht besonders ausgeprägt gewesen. Ihre Schule war durch das Generalkapitel von 1287 auf Aegidius von Rom (1243/47 – 1316) verpflichtet gewesen, einen der großen Schüler des Dominikaners Thomas. Gregor von Rimini (1305 – 1358), in seinem letzten Lebensjahr auch Ordensgeneral, hatte stärker auf Augustinus als die maßgebliche Autorität gerade in der Gnadenlehre gedrängt, ohne den Beschluß von 1287 zu revidieren. In den Auseinandersetzungen um Bajus, Jansenius, auch Pasquier Quesnel (1634 – 1719) und den anhaltenden Verwicklungen des Jansenismus regt sich auch im alten Orden ein neues, intensives Studium des ›doctor gratiae‹, das vor allem Enrico Noris10 angeregt, Fulgencio Bellelli11 fortgeführt und Gianlorenzo Berti12 in systematische Form gegossen hatte. Noris war Kirchenhistoriker aus Lei7 Vgl. auch Léon Renwart SJ: Augustinians du XVIIIe siècle et ›Nature Pure‹; Fernando Rojo: Ensayo bibliográfico de Noris, Bellelli y Berti 294 – 363; Benigno van Luijk, Le controversie teologiche nei secoli XVII – XVIII e gli Agostiniani 201 – 225. 8 Vgl. Dekret des Hl. Offiziums vom 7. Dez. 1690, Irrtümer der Jansenisten 30: »Wenn einer eine Lehre gefunden hat, die bei Augustinus klar grundgelegt ist, kann er diese unbedingt festhalten und lehren, ohne irgendeine Bulle des Papstes zu berücksichtigen« (DH 2330). – Hatte sich die mittelalterliche Theologie geradezu wie ein weiterer Kommentar über Augustinus um die Schrift gelegt (wie Raschi die Mischna und Gemarra umgab), so werden jetzt konfessionell die Anmerkungen gegen Augustinus und seine Grenzen artikuliert. 9 In Zugangsweise, Verfahren und Methode wird man etwa Jo. Lauren. Berti: De theologicis disciplinis, durchaus der späten barockscholastischen Literatur zurechnen können. Noch mehr gilt das für deren Accurata synopsis, quam ad usum seminarii auximatis concinnavit Hieronymus Maria Buzius. 10 Geb. 1631 in Verona, gest. 1704 in Rom. – 1674 – 92 Prof. für Kirchengesch. an der Universität Pisa, 1692 Kustos der Bibliothek Vaticana, 1695 Kardinal. – Historia pelagiana; Vindiciae Augustinianae. Opera omnia, 4 vol. (1729 – 32); 3 vol. (1769). – Michael Klaus Wernicke: Kardinal Enrico Noris und seine Verteidigung Augustins. 11 Geb. 1675 in Buccino, gest. 1742 in Rom. – Studienpräfekt und Theologieprof. in Venedig, Perugia u. Rom, 1720 Generalprokurator seines Ordens u. Präfekt der Bibliothek Angelica, 1727 – 1733 Ordensgeneral. – Mens Augustini de statu creaturae rationalis ante peccatum; Mens Augustini de modo reparationis humanae naturae post lapsum, adversus bajanum et janseniam haeresim. 12 Geb. 1696 in Serravezza (Toscana), gest. 1766 in Pisa. – 1748 Prof. für Kirchengesch. in Pisa. – De theologicis disciplinis (der benutzten Ausgabe sind u. a. anonym angefügt: Opusculum inscriptum, Bajanismus redivivus ejusque confutationem; Jansenismus redivivus ejusque confutationem); Opera, 12 vol. – Vgl. auch Bruno Neveu: Pour une histoire de l’Augustinisme 175 – 201;
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denschaft gewesen und dann Bibliothekar an der Vaticana und Kardinal geworden. Sein theologisches Hauptwerk ist eine Historia, die Historia Pelagiana, in der er Augustinus und seine Lehre zunächst gegen historische Einwände verteidigt. Den Anlaß dazu bot Jacques Sirmond, ein Historiker aus der Gesellschaft Jesu, der 1643 unter dem Titel Praedestinatus den antiken Text eines unbekannten Autors ediert hatte, der unter dem Anschein Augustinischer Theologie pelagianische Perspektiven einbringt. Noris tritt dagegen mit großer historischer Erudition den (vor allem unter Jesuiten vorgetragenen) Auffassungen entgegen, Augustinus habe bisweilen im Eifer des Gefechtes Sondermeinungen vertreten, die bei den übrigen Vätern keine Entsprechungen hätten, und um sich in den Dunkelheiten Augustinischer Theologie nicht zu verirren, solle man die Autorität dieses Vaters doch auf ein Minimum oder auf den Bereich der Theologie beschränken, soweit er nicht gegen die Vernunft argumentiert,13 als ob für die Augustinischen Theologen eine klare Unterscheidung, Abscheidung von der Philosophie selbstverständlich gewesen wäre. Ähnlich wie zuvor schon Jansenius, zeigt auch Noris, daß die gegen Augustinus vor allem in der Schule Molinas aufgewärmten Vorwürfe bereits von den Massiliensern, den so genannten Semipelagianern, erhoben worden waren, als sie meinten, die Annahme der ungeschuldeten Vorherbestimmung lasse das eigene Bemühen überflüssig erscheinen.14 So ist die Historia Pelagiana nicht nur Verteidigung Augustins, sondern auch Angriff auf die von molinistischer Seite vertretene Gnadenlehre geworden. Bei den italienischen Augustinertheologen mit ihrer historischen Gelehrsamkeit wird der afrikanische Vater durchaus in seiner historischen Entwicklung gesehen; der Schwerpunkt der Rezeption liegt weiterhin auf den antipelagianischen Schriften. Durchgängig finden sich Zitate und Bezüge auf den ›D. P. A.‹, den ›Divus Pater Augustinus‹. Gewiß gestaltet sich der Rückgriff auf ihn und seine Interpretation in den aktuellen Auseinandersetzungen. Die Tradition bleibt eine lebendige Entwicklung.
Martin W. R. Stone: The Antiquarian and the Moderniser: Giovanni Berti (1696 – 1766), Pietro Tamburini (1737 – 1827), and Contrasting Defenses of the Augustinian Teaching on Unbaptised Infants in Eighteenth-Century Italy 335 – 372 (mit reicher Lit.!). 13 Vgl. auch Hermann-Josef Sieben: Der Beitrag der Jesuiten zur Überwindung des extremen Augustinismus im 17. Jahrhundert 186 – 216. 14 Noris: Vindiciae, cap. ult. 222, zitiert u.a. einen ungenannten neueren Augustinuskritiker mit der Aussage: »Certe non video qua nam ratione patentissima libertas arbitrii nostri, quam experimur, quaeque tam aperte in scripturis sacris traditur, cum divina praedestinatione ita explicata cohaerere valeat.« – Vgl. Wernicke: Kardinal Enrico Noris, 188 – 203.
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1. Die bajanische Vorlage
Achten wir auf den Focus im Streit der Parteiungen, zu dessen Verständnis ich ein wenig ausholen sollte: Bajus hatte im Urstand eine Differenz zwischen Natur und Gnade bestritten. Sein Adam war nicht erschaffen und dann ins Paradies versetzt, oder mit der sich herausbildenden Terminologie des 16. Jahrhunderts ausgedrückt, er war nicht ›in puris naturalibus‹ erschaffen und dann (zeitlich oder nur logisch später) in den Stand der Gnade erhoben worden. Nach dieser allgemeiner vertretenen Auffassung konnte erst diese hinzugefügte Gnade dem Menschen eine lebendige Beziehung zu dem Gott ermöglichen, der alle Grenzen des Geschaffenen seinsmäßig übersteigt. Wurde die Gnade in der Sünde verscherzt, so fiel der Mensch auf seinen Ausgangspunkt zurück, ohne in seiner Natur, seinem Wesen angegriffen zu sein. Der Mensch der reinen und der gefallenen Natur unterschieden sich wie ein ›nudus‹ von einem ›exspoliatus‹, ein Nackter von einem Entkleideten.15 Während einem Thomas von Aquin noch sehr deutlich bewußt gewesen war, daß die der Wirklichkeit gemäße Ausrichtung des Menschen auf Gott, die für ihn ein übernatürliches Geschenk ist, die Identität des Menschen betrifft (wofür sich Thomas in der Summa ausdrücklich auf Augustinus berufen hatte) und die Gestaltung seines Lebens prägt,16 wurde zu Beginn der Neuzeit von den Theologen eine ›natura pura‹ erdacht und ausgebaut, eine ehrenwerte, gottlose Welt, die sich selbst genügte und in sich nicht einmal ein Verlangen nach mehr, nach Größerem trug. Andernfalls schien die Gnade geschuldet zu sein.17 Der Adam des Bajus aber war von Anfang an in der rechten Ausrichtung auf Gott geschaffen; Bajus lehnt nicht nur einen faktischen ›status naturae purae‹, son15 Thomas Cajetan de Vio: Commentaria ad Summam Theologiae I/II 109, 2. In: Thomas von Aquin: Opera Omnia VII, 292 – 295, 292: »Sicut enim persona nuda, et persona exspoliata, non distinguuntur in hoc quod una sit magis aut minus nuda; ita natura in puris naturalibus, et natura exspoliata gratia et iustitia originali, non differunt per hoc quod altera earum sit magis aut minus in naturalibus destituta.« 16 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae I 95,1: »Utrum primus homo fuerit creatus in gratia.« Seine Argumentation geht von der Schriftstelle aus, die auch Bajus heranziehen wird: Sir 7, 30: »Deus fecit hominem rectum.« Diese Rechtheit habe darin bestanden, daß sich die menschliche ›ratio‹ Gott fügte, die niederen Kräfte des Menschen der ›ratio‹ und der Leib der Seele. Die erste Zuordnung galt ihm aber schon als übernatürlich, weil das Geschöpfliche überstiegen wird, und die beiden folgenden hingen von ihr ab: »illa subjectio corporis ad animam et inferiorum virium ad rationem non erat naturalis. Alioquin post peccatum mansiisset« (mit Bezug auf Dionysius Ps.-Areopagita: De divinis nominibus 4; PG 3, 725C). – Den Verweis auf Augustinus präzisiert P. Caramello in der Marietti-Ausgabe mit civ. 13,13 (PL 41, 386); pecc. mer. 1,16 (PL 44, 120). Thomas selbst zitiert abschließend civ. 13,13. 17 Vgl. hingegen noch Thomas von Aquin: In II Sent. dist.19 q. 1 a. 2 sol.: »Cum ergo homo institutus esset ad finem excedentis omnem facultatem humanae naturae, oportuit [!] quod in ipsa sui institutione aliquid sibi collatum fuerit supra facultatem principiorum naturalium.«
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dern selbst die Möglichkeit ab, daß Adam in bloßer Natur hätte geschaffen werden können. Damit schien die erhebende Gnade ein Erfordernis der Natur und eben keine frei, ohne Notwendigkeit geschenkte Gnade zu sein. Bajus ging bei seinen Überlegungen nicht von einem (aristotelistisch geprägten) auf die konstitutiven Prinzipien reduzierten Wesensbestand aus, den er Natur nannte, sondern Natur war ihm, ethisch, nicht ontologisch akzentuiert, ein ›bene esse‹, das nicht durch Wegnahme des nicht Notwendigen, des Zukommenden, der Beziehungen, erschlossen wurde, sondern von Geburt an dem Menschen zu eigen ist, war seine ursprüngliche Stimmigkeit, Richtigkeit (›rectitudo‹): »naturale, quia ex nativitate trahitur«.18 Was dem Menschen von Anfang an gegeben ist, ist keine ungeschuldete Erhebung seiner Natur, sondern seine natürliche Bedingung.19 Und diese besteht nicht nur in besonderen, zusätzlich anerschaffenen Fähigkeiten, die über alles Geschaffene hinausgreifen, sondern in nicht weniger als in der Gegenwart Gottes selbst, im Geist Gottes, aus dessen Gegenwart heraus erst unserer Gerechtigkeit und Weisheit und allen anderen Tüchtigkeiten Kraft zukommt. Bajus streicht dieses Moment als die erste Aussage seiner Untersuchung heraus: Es gab keine ursprüngliche Rechtheit ohne den einwohnenden Heiligen Geist. Die katholische Schultheologie wird bis tief ins 20. Jahrhundert hinein sich schwer tun, die heiligmachende Gnade, die sie als ein Akzidens und eine Qualität betrachtet und als bloße Grundlage, als Ermöglichung der Vervollkommnung des Menschen in der nachgeordneten ›caritas‹ versteht, als ein anerschaffenes Prinzip der Einwohnung des Geistes oder auch nur einer ›gratia increata‹ zuzuordnen. Für den Augustiner scheidet die Natur den Menschen nicht von seinem Gegenüber, sie trennt nicht begrifflich zwischen dem Geschöpf und dem Schöpfer, wie das töricht und fruchtlos von der Philosophie fingiert werde,20 sondern setzt ihn zu seinem Gott, seinem letzten und einzigen Ziel in Beziehung. Diese Beziehung zu Gott ist die ursprüngliche, natürliche Würde des Menschen. Jansenius nimmt diesen Gedanken kritisch auf, unterscheidet das natürliche Verlangen nach dem höchsten Ziel, das aus eigenem Streben und eigener Kraft aber nicht erreichbar ist.21 Die Differenz zu Gott wird in der geistigen Natur des Menschen bewußt, weil Bajus: De prima hominis justitia V (56 f.). Ebd. IV (55): »Quod primae creationis integritas non fuerit indebita naturae exaltatio, sed naturalis ejus conditio.« 20 Ebd. VIII (59): »Quod ii qui philosophiam sequuntur, non recte sentiunt de prima institutione naturae humanae.« 21 Jansenius: Augustinus t. II: De statu naturae purae lib. 1 cap. 15 (306 ff.): »ex parte appetitus Deus enim quantum vis eum non nisi per auxilium supernaturale sequi deligendo vel consequi fruendo possimus, est tamen finis hominis naturalis, quo nec inferior ei nec superior dari potest.« – Für diese Unterscheidung hätte er auf Robert Bellarmin: Controversia generalis de gratia generi humano, lib. unic. cap. VII ad 13 (V 191), zurückgreifen können: »Respondeo: Beatitudinem finem hominis naturalem esse quoad appetitum, non quoad consecutionem.« Der Jesuit argumentiert aber weiter: Hätte der Mensch die übernatürlichen Mittel nicht, so bleibe ihm 18 19
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diese nicht in sich verschlossen ist. Doch hält Jansenius an der Unentbehrlichkeit und Notwendigkeit der übernatürlichen Gaben fest, für die er auf eine neue Begründung hinweist, die von den Augustiner-Eremiten aufgenommen werden wird: Es ist nicht nur das ›bene esse‹, nicht die Würde des Geschöpfes, sondern das Gottesverständnis, aus dem die Gnade mit Notwendigkeit gefordert wird. Sich und seinen Eigenschaften, nicht nur seiner Gerechtigkeit, sondern vor allem der ihm eigenen Milde und Weisheit, seinem Erbarmen und seiner Großherzigkeit schulde Gott die Begnadung des Menschen, die für diesen vollkommen gratuit bleibt.22
2. Potenz und Wille in der Augustinerschule
Der bereits genannten Schule der Augustiner-Eremiten, der wir uns nach diesem Vorlauf zuwenden können, ist eine natürliche Glückseligkeit – die Konsequenz der ›natura pura‹ – völlig fremd und unverständlich: »In nullo nisi in Dei possessione potest esse quieta«.23 Die etwas rationalistisch anmutende Theorie eines natürlichen letzten Zieles, eines endlichen Glückes, braucht von ihnen nicht diskutiert zu werden. Die ›natura pura‹ wird daher im anfänglichen Blick auf die gute ursprüngliche Geschöpflichkeit des Menschen24 mißbilligt. Die Augustinische Schule beharrt darauf, daß die Gaben des Urstandes, die Freiheit von Konkupiszenz, von Unwissenheit und Tod, vor allem aber auch die eigentlich übernatürliche Gnade, die Liebe zu Gott,25 geschuldet bleiben, indem sie – trotz ihres geradezu aufdringlichen Bemühens, jeden Schatten eines Anscheins von Bajanismus oder Jansenismus zu verdecken – die angeführte Überlegung des Jansenius aufgreift. Gott schuldet die Gnade nicht der Kreatur, sondern sich selbst. Die Gründe dafür reichen von der ›decentia creatoris‹,26 der bloßen Schicklichkeit, bis zur Gerechtigkeit, der ›iustitia‹: denn wenn Gott sein Geschöpf zu einem Ziel bestimmt, das seine Fähigkeiten übersteigt, dann schuldet er ihm auch die notwendigen Mittel, wie das – so behauptet immer noch, nach der Wahrheit mit seinem Verstand zu suchen. Damit bleibe der bloße Naturstand möglich. – Vgl. auch Roland J. Teske: Augustine, Jansenius, and the state of pure nature, 161 – 174. 22 Jansenius: Augustinus, De statu purae naturae lib.I cap. 20 (777 – 788): »Quomodo bona voluntas in qua condi debet creatura rationalis, esset gratia«; bes. hier 780: »Impossibile est enim Deum inconvenienter, indecenter, insipiens et contra rationem, inclementer, immisericorditer agere.« 23 Bellelli: Mens Augustini, 415 f. (Lubac: Das Erbe Augustins, 325). 24 Vgl. Lubac: Das Erbe Augustins, 325. 25 Differenzierungen sind möglich: Noris erwähnt in diesen Zusammenhängen nicht die heiligmachende Gnade; vgl. Wernicke: Kardinal Enrico Noris, 215 – 231. 26 Vgl. Eugène Portalié: Augustinianisme, 2487. Henri de Lubac: Das Erbe Augustins, 323 f. Das Argument findet sich schon bei Aegidius von Rom: In II Sent. dist.30 q. 1 a. 1 (407 – 409).
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Bellelli – augenscheinlich sei durch das offensichtliche Gesetz der ewigen Gerechtigkeit.27 Die Schicklichkeit verpflichte Gott auf die Ordnung der Gerechtigkeit.28 Nun kann hinter dieser Argumentation der Einfluß der mittelalterlichen Unterscheidung zwischen einer ›potentia absoluta‹ und einer ›potentia ordinata‹29 nachgewiesen werden,30 wie sie auch Gregor von Rimini gebraucht hat; das geordnete Vermögen scheint beschränkt, gebunden zu sein gegenüber der absoluten, unbegrenzten Macht. Die Beschränkung kommt aber nicht von außen, sondern ist Ausdruck des sich vollziehenden, sich in der Welt- und Heilsgeschichte ausdrückenden göttlichen Willens. Die Unterscheidung sollte die Freiheit Gottes und die Kontingenz der Welt zum Ausdruck bringen. Es ging den Augustinern nicht darum, das ›de potentia absoluta‹ bloß Mögliche auszuloten, sondern die konkrete Ordnung zu beschreiben, ohne neue Entwürfe zu kreieren. Die Unterscheidung ist mehr eine Absicherung31 als eine Infragestellung ihres Verständnisses der Gnade. Im Bemühen um lehramtliche Duldung war es nicht angelegen, mit Karl Barth zu poltern, es sei ›verboten‹, mit einer anderen als der schon sichtbar gewordenen göttlichen Allmacht zu rechnen, da Gottes absolute Potenz als ›potentia ordinata‹ »endgültig und verbindlich sichtbar geworden ist«.32 Das Interesse der Augustiner sei – darauf machte Henry de Lubac aufmerksam – darauf gerichtet gewesen, in einer konkreten Betrachtungsweise das Geschenk der Seligkeit an den Einzelnen zu verstehen, nicht die allgemeine Struktur des Geistes und die ontologische Hinordnung der menschlichen Natur auf Gott, den Grund des Glückes.33 Eine infinite Potenz Gottes wird von diesen Augustinern nicht in Frage gestellt, aber sie hat entweder nur mehr etwas Mirakulöses an sich oder es wird für sie mit Verweis auf Augustinus aus der Tatsache der Schöpfung, mithin ›de potentia ordinata‹, argumentiert.34
27 Vgl. F. Bellelli: Mens Augustini de modo reparationis p. 1 lib. 4 c. 17 (210): »dicimus gratiam Adamo Innocenti debitam quidem fuisse; at non tamquam naturalem proprietatem ex intimis naturae nascentem, quemadmodum perperam Bajus contendebat: sed tamquam supernaturale medium ex iustissimae Providentiae legibus praeordinatum. Neque enim Deus iustus impotentes ad agendum cogit; neque ad impossibile tenetur quisquam, ut notissima est aeternae iustitiae lege perspicuum.« (Heinrich Köster: Gnadenlehre, 105 Anm. 71, mit weiteren Verweisen auf ebd. 215 ff. 204 ff.). Vgl. Thomas: In II Sent. dist. 19 q. 1 a. 2 sol. (oben in Anm. angeführt). Noris: Vindiciae 36, hatte für den ›ordo iustitiae‹ auf Augustinus: pecc. mer. II 22, verwiesen. 28 Noris: Vindiciae cap. 3 § 2 (36); vgl. auch Wernicke: Kardinal Enrico Noris, 229. 29 Vgl. William J. Courtenay: Potentia absoluta/ordinata. 30 Vgl. Augustinus: nat. et gr. 7 n. 8 (CSEL 44, 231 – 299, hier 237): »potuit, sed noluit«; vgl. hierzu Petrus Lombardus: 1 Sent. d. 42–44 (I/2, 294–306). 31 Vgl. Martin-Palma 93: »Diese Unterscheidung hat sie vor lehramtlichen Verurteilungen bewahrt.« 32 Karl Barth: Die Kirchliche Dogmatik II/1, 606–613. 33 Vgl. Lubac: Das Erbe Augustins, 324. 34 Berti: De theologicis disciplinis lib. II c. 6 (I 59 – 62).
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Der Systematiker Berti35 verhandelt im 2. seiner 37 Bücher De theologicis disciplinis die Attribute Gottes, seine Ineffabilität, seine Einfachheit, seine Unwandelbarkeit etc., und stellt in dem Zusammenhang auch die infinite Potenz Gottes dar. Er kommt dabei weitgehend ohne diese problematische Unterscheidung aus, die er mehr nebenbei, in der Auseinandersetzung mit Bestreitungen der unendlichen Möglichkeit Gottes, einführt:36 Es wäre dem Vater ›de absoluta potestate‹ möglich gewesen, den Kelch des Leidens am Sohn (vgl. Mt 26,39) vorübergehen zu lassen, ja sogar ›potentia absoluta‹ etwas ohne Providenz zu wirken, denn auch darin bestehe kein innerer Widerspruch: »Potest absolute Deus facere quidquid non repugnant, fecit autem, quod solum praescivit et praeordinavit.« Diesen Ausführungen folgt – mit einer gewissen Sufficance – die Darstellung der höchsten Wahrhaftigkeit,37 und hier erst berührt er, innerhalb der Gotteslehre, die heiß umstrittene Frage, und zwar anläßlich eines Einwandes gegen die Glaubensaussage: Gott ist im höchsten Sinn wahrhaftig (›summe verax‹). Der Einwand, der das in Frage stellt und der zurückgewiesen wird, lautet: Gott könne einen Unschuldigen töten.38 Die Augustiner hören darin jene Möglichkeit heraus, daß Adam, ohne in Schuld zu fallen, sein unendliches Ziel, und das ist ein ewiges Leben mit Gott, nicht hätte erreichen müssen. Berti erwidert kurz, geradezu zugeknöpft: Gott sei nicht wie ein Mensch, daß er lügt; und jemanden zu täuschen, widerspricht der göttlichen Wahrhaftigkeit. Die außergewöhnliche Stellung dieses Einwandes wird unterstrichen, indem Berti hier, bei den so genannten Eigenschaften des göttlichen Seins, wo wir es kaum vermuten würden, die Gelegenheit wahrnimmt, eine Anzahl hermeneutischer Regeln zum Verständnis schwieriger Schriftaussagen anzufügen, die darauf zielen, im Neuen Testament den tieferen Sinn – auch der Wesensattribute – zu erfassen. Es möchte scheinen, daß Berti seine Leser zu folgender Überlegung führen will: Wenn Gott unwandelbar und absolut wahrhaftig ist, und angenommen, es gäbe eine ›natura pura‹ ohne Ausrichtung auf Gott, faktisch oder bloß gedacht, dann wäre Adam eben kein Mensch gewesen. Über solche Dinge aber zu spekulieren, macht keinen Sinn. Berti betrachtet jedoch nicht nur den Menschen in seiner konkreten Verfassung unter der Maßgabe der Heiligen Schrift, sondern auch Gott. Daher liegt über den ersten sechs Büchern seines Werkes, in denen er vor der Trinitätstheologie eine allgemeine Gotteslehre bietet (nicht formell ein De Deo uno), eine ganz eigentümliche Spannung: Auf Buch 1 (Existenz, Einheit und Wesen) folgen die bereits Die Charakterisierung als ›antiquarian‹, die Martin Stone in der Gegenüberstellung zu Pietro Tamburini, der treibenden Kraft der Synode von Pistoia, vornimmt, ist m. E. für Noris, aber nicht wirklich für Berti zutreffend; Renwart 191 spricht von »un érudit et un diplomate, plus qu’un penseur«. 36 Lib. II De divinis attributis, cap.6: De infinita potentia Dei (I 60). 37 Ebd. cap. 7: »Quod Deus sit verax, nec possit homines in errorem inducere.« 38 Ebd. (I 63 – 64). 35
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erwähnten Eigenschaften göttlichen Seins (Buch 2); bevor er aber über das göttliche Erkennen und Wollen spricht, schaltet Berti als Buch 3 die Disputation über die intuitive Erkenntnis Gottes ein, also über die menschliche Gotteserkenntnis nicht durch die geschaffenen Dinge, sondern über eine unmittelbare Erkenntnis Gottes in sich selbst,39 was mit der zusätzlichen Frage verbunden wird, ob dies schon in diesem Leben geschehen könne. Die Vorgaben Augustins werden in dieser Frage bekanntlich kontrovers diskutiert,40 Berti bejaht diese Möglichkeit, eine Möglichkeit, die die Fähigkeiten einer geschaffenen Natur übersteigt. Der unabhängige Gott kann sich nur selbst schenken und gewähren. Hier wird von der Erkenntnis einer Gegenwart gesprochen, die nicht geschaffen ist und für jedes auch nur denkbare Geschöpf (gleich in welchem Status: ›in via et in patria‹) übernatürlich sein muß.41 Gottes Transzendenz wird also nicht durch die Unterscheidung zwischen absoluter und ordinierter Potenz gewahrt, sondern gerade durch die Gnade, durch die Gewährung der höchst möglichen und kaum noch ausdrückbaren Einung zwischen Geschöpf und Gott. Die Unterscheidung in der Potenz kann weder die Differenz zwischen Gott und dem Menschen angemessen zum Ausdruck bringen, noch taugt sie zu einer eventuellen Unterscheidung im ›Objekt‹ der intuitiven (und nie komprehensiven) Schau: Auch ›potentia absoluta‹ könnte es nicht geschehen, daß Gottes Wesen ohne seine Attribute oder eine Person ohne die andere geschaut würden.42 Die Schau bezieht sich zugleich auf die ganze Fülle der Gottheit. Und die Ausrichtung des Menschen auf ein letztes Ziel erfüllt sich erst in dieser Unmittelbarkeit. Berti legt sein Gottesverständnis nicht als eine der konkreten Trinitätstheologie vorausgehende philosophische Gotteslehre vor, in der Gottes gedachte Transzendenz und Unabhängigkeit behauptet werden, sondern sagt hier, unter den Fragen nach seinem Wesen und seinen Attributen, Gottes intuitive Erkennbarkeit aus. Und das ist nicht nur seine mögliche Beziehung zu dem von ihm geschaffenen anderen, sondern umgekehrt die Beziehung geschaffenen Geistes zu ihm, als ob sie zu seiner Wirklichkeit gehörte. Oder sagen wir es zurückhaltender: Er beschreibt die Wirklichkeit Gottes so, daß seine Selbstmitteilung an den Menschen zu seinem Wesen gehört und für diesen im strengsten Sinn übernatürlich bleibt. Denn die intuitive 39 Während Berti (De theologicis disciplinis) seinen lib. III zurückhaltender betitelt: »In quo disputatur quomodo Deus inhabitet lucem inaccessabilem«, bringt die Accurata Synopsis des Buzius die Tendenz für die Schule auf den Punkt: »In quo de Visione Dei disputatur.« 40 Vgl. Erich Naab (Hg.): Augustinus: Über Schau und Gegenwart des unsichtbaren Gottes. 41 Lib. III cap. 1 prop. 2: »Nequit a Deo creari potest rationalis substantia extra naturae ordinem, quae Deus naturaliter valeat intueri« (67). 42 Lib. III cap. 13 prop.: »Neque per absolutam potentiam Dei fieri potest, ut videatur essentia sine attributis, aut una persona sine alia« (95). – Da Berti hier (De theologicis disciplinis, 95) ausdrücklich eine von Johannes Duns Scotus supponierte Formaldistinktion zurückweist, wäre die Unterscheidung, käme ihr noch ein sachliches Interesse zu, auch in Distanz zu Scotus zu erklären.
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Schau ist ein durch nichts vermitteltes Geschenk an den Menschen, das dieser realisiert, in dem nicht Gott sich, sondern der geschaffene Intellekt ihn selbst gegenwärtig schaut. In dieser Beziehung miteinander sind beide, Gott und der geschaffene Intellekt, aktiv und passiv. Einige Unterscheidungen im Gnadenverständnis der Augustiner dürften nicht zuletzt daher rühren, daß Gnade nicht anthropologisch als Ermöglichungsgrund für übernatürliche Handlungen gedacht wird, sondern konkret als Beziehung, als Begegnung von Gott und dem Menschen, wie sie in der angedeuteten Schau ihre Vollendung findet.43 Gerade in der Zuwendung zu seinem Geschöpf, nicht in der Gleichgültigkeit drückt sich Gottes Größe und Freiheit aus. Diese Hinwendung entspricht nach Gottes Willen seinem eigenen Wesen, oder mit Bertis Ausdruck gesagt: konstituiert konnotativ, nicht absolut seine Freiheit: »Constituitur Dei libertas per actum sempiternum ac necessarium divinae voluntatis a substantia distincta« – und dem fügt er an – »prout connotat objectum creatum et effectum contingentem et defectibilem«.44 Die Freiheit Gottes wird, nach Bertis Verständnis, durch den notwendigen Akt seines Willens konstituiert, so wie sie sich auch auf ein geschaffenes Objekt mitbezieht. Berti bringt selbstverständlich zum Ausdruck, daß die göttliche Freiheit in sich vollendet sei. Aber Freiheit fordert für ihn, weil das Freie dem Notwendigen gegenüber steht, auch immer eine Indifferenz, in der sie so oder anders agieren kann. Diese Indifferenz finde sich aber nicht in den göttlichen Selbstbezügen. Um sein Verständnis der Freiheit zu wahren, achtet er auf die mitbezeichneten äußeren Objekte des göttlichen Willens. Das bedeutet, daß die göttliche Freiheit nicht absolut, sondern auch auf anderes bezogen ausgesagt wird.45 In dem konnotativen, auf den außergöttlichen Terminus bezogenen Sinn wird von Gott dann sogar eine gewisse Potentialiät ausgesagt, mit der zugleich seine Vollkommen43 Vgl. auch Winfried Bocxe: Introduction to the teaching of the Italian Augustinians of the 18th century on the Nature of Actual Grace, 356 – 396. 44 Berti: De theologicis disciplinis, lib. V cap. 3 prop. 2 (133). 45 Ebd.: »Dei libertas perfectio intrinseca est. […] Altera pars sic ostenditur: Requiritur ad libertatem aliqua indifferentia; liberum enim opponitur necessario. Sed actio divinae voluntatis non est indifferens prout comparatur ad bonitatem divinam, quae perfecte cognita non potest cadere sub indifferentia judicii; quum nullum sit bonum, quod cum summo Deo valeat aequipari. Ergo haec indifferentia attendi debet penes connotata, id est, exteriora objecta, quae contingenter et ex libera Dei voluntate efficiuntur in tempore. Ex quibus sequitur, libertatem Dei esse ex genere illorum, quae connotative, non absolute dicuntur; scilicet, unum significant, et aliud, ut inquiunt dialectici, consignificant. Primum est ipsamet Dei natura, quae est et suum esse, et sua operatio; alterum vero quidquid in aliqua temporis efficitur differentia; quod pro solutione argumentorum est apprime observandum.« (133) – »Sequitur […] non dari libertatem contradictionis in sensu, quo illam explicant complures Scholastici, id est, voluntatem intrinsecam suspensam ab omni actu volitionis aut nolitionis, quorum neuter potest de novo incommutabili Deo contingere; dari tamen contradictionis libertatem, ut est potestas indifferens ad agendum vel non agendum, indifferentia spectata ex parte connotatorum.« (134)
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heit eingefordert wird.46 Die Freiheit des Wirkens nach außen realisiert sich in der Schöpfung, in der Aufnahme der menschlichen Natur in die Personeinheit mit dem Logos, und in der Beachtung der menschlichen Freiheit, die auf jenes letzte Ziel hingeordnet ist, wenn Gott alles in allem sein wird.47 Wenn sich sein Wesen auf den Menschen mitbezieht, kann die Gnade nicht allein als geschaffene Wirkung betrachtet werden. In ihrem geschaffenen Reflex wird die Gnade im idealen Zustand, der mit der ursprünglichen Schöpfung umschrieben ist, als Freiheit bedacht. Gott schenkt nicht das Vollbringen, sondern das Können. Hier gilt keine ›praemotio physica‹, keine ›gratia praedeterminans‹, ›efficax‹ oder ›victrix‹, sondern die indifferente Freiheit einer ›gratia versatilis‹,48 in der eine völlig freie Begegnung des Geistes möglich ist. Die Sünde hat auch bei den Augustinern die Willensfreiheit nicht aufgehoben, unabdingbar bleibt sie aufrecht zu erhalten. Es ist weiterhin eine nicht rein passive Freiheit der Indifferenz; sie kann handeln oder nicht handeln. Diese Möglichkeit gehört zu ihrem Wesen, betont Berti, während sündigen zu können eben nicht als wesentlich gilt.49 Die Sünde nimmt dem Menschen die ursprüngliche Gerechtigkeit und bringt seine Seele in Unordnung (Konkupiszenz). Entsprechend wird die Gnade nach dem Fall, die Gnade Christi, anders umschrieben. Hier wird die Augustinische Anregung aufgenommen, wonach wir notwendigerweise das tun, was uns am meisten erfreut,50 und von ihrem Gebrauch bei Jansenius abgehoben. Aber es bleibt doch ein mehr psychologisches und erfahrungsmäßiges Verständnis der Gnade, die in einer ›delectatio‹ – dem sanften Druck der siegreichen Liebe – besteht und sich in der ›caritas‹ vollzieht. Das braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden.
46 Ebd.: »Verum in Deo nulla est potentia ab actu distincta, nisi prout actus accipitur terminative; exigente summa Dei perfectione, ut idem sit ejus potestas et operatio.« (134) 47 Ebd.: »libertas [sc. Dei] vero easdem [sc. creaturas] respicit, quatenus existentiam habent contingentem, et prout sunt media libere ad ultimam finem ordinata.« (134) 48 Berti: De theologicis disciplinis, lib. IV cap. 8: »Innocens creatura auxilio praedeterminantis gratiae non indigebat« (110), mit Verweis auf Augustinus: corrept. cap. X – XII. – Berti: De theologicis disciplinis, lib. XII cap. 8 prop. 2: »Adam ad perseverandum non opus habebat adjutorio gratiae praedeterminantis et victricis.« Vgl. auch Köster 102 Anm. 42. 49 Berti: De theologicis disciplinis, lib. XVI cap. 2 (II 73 – 78, hier 76). 50 Augustinus: exp. Gal. (PL 35, 2140): »Quod enim amplis nos delectat, secundum id operemur necesse est.«
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erich naab
3. Ausblick: Der sittlich gute Akt
Vergleichend sei noch ein kurzer Blick auf eine andere Konzeption geworfen, in welcher der ›status naturae purae‹ erschreckend deutlich entwickelt, aber die annähernde Gleichsetzung zwischen ›pura et lapsa‹, ›nudus et denudatus‹ nicht mitvollzogen wird, und so innerhalb der Gesellschaft Jesu eine eigene Form des ›Augustinismus‹ entsteht, die den paradiesischen Zustand als eine Grenzsituation für das Verständnis unserer condition humaine nicht überstrapaziert.51 Es war Juan Martínez de Ripalda SJ (1594 – 1648), der nach Henry de Lubacs Untersuchungen zum Erbe Augustins wegen seiner angeblichen Bestreitung des natürlichen Verlangens nach Gott als Zerstörer der christlichen Anthropologie gilt,52 zum anderen aber bei all seinen verwirrenden Argumentationsformen und absurden Hypothesen53 doch die dem Augustinismus nahe stehende These vertreten hat, daß in der gegenwärtigen Weltordnung faktisch jeder gute Akt – auch der der Heiden – ein übernatürlicher Heilsakt sei.54 Dazu wird eine universale initiale Gnade angenommen.55 Ripalda hatte zwar die Möglichkeit einer ›natura pura‹ geradezu ausgereizt, aber vom historischen Standpunkt der von Christus tatsächlich erlösten Welt ein rein ethisches Gebiet bestritten. Wir begegnen bei ihm einem Denken, in dem sich der Augustinianer unter scholastischem Gehabe verbirgt, womit Aussagerichtung und Einzelthese in starke Spannung zu stehen kommen.56 Die These Vgl. Erich Naab: Die Gegenwart Gottes in der Gnade, 274 – 280. Lubac: Das Erbe Augustins, 343 f. – Juan Martínez de Ripalda: De ente supernaturali lib. 1 disp. 9 sect. 4 n. 23 (I 62): »Hinc vero tandem absolute appetitum exterminandum a natura [...].« Marginalie hierzu: »Exterminandus appetitus innatus.« Die von Henry de Lubac: Surnaturel. Etudes historiques, 173 Anm. 3, allein angegebene Stelle: lib. 1 disp. 8 sect. 4 n. 2, war nicht zu verifizieren. 53 Vgl. auch Paul Dumont: Ripalda. In: DThC XIII (1936) 2712 – 37, hier 2737: »une subtilité raffinée qui s’exprime en formules obscure et complique parfois les questions au lieu de les approfondir.« Zur Diskussion des übernatürlichen Charakters eines jeden guten Aktes vgl. ebd. 2727 – 37. 54 Kompakt stellt Ripalda diese Auffassung, mit der er sich vom Hauptstrom katholischer Theologie absetzt, bei seiner Erklärung des scholastischen Axioms »Facienti quod in se est, Deus non denegat gratiam« dar, jenem Axiom, das alles, was über die übernatürlichen Gaben und ihre Gratuität gesagt wird, aufzulösen scheint: De ente supernaturali lib. I disp. 20 (I 209 – 269, 209): »Ideo ex professo illud axioma declarandum suscipio, ut ipsius expositione clariora, firmioraque omnia praecedentia relinquantur.« 55 Sozusagen ist der ›Adam denudatus‹ sogleich nach dem Fall von Gott mit Röcken aus Fellen bekleidet und ist ihm das Protoevangelium zugesagt worden. 56 Während die Bajaner lehrten, der gefallene Mensch könne ohne Gnade kein sittlich gutes Werk vollbringen, behauptet ihr Gegner in einer haarscharfen Verschiebung, es gebe kein sittlich gutes Werk ohne Gnade. Jedoch betont Ripalda eine absolute Transzendenz Gottes, deretwegen es zuletzt auch zur »scharfen Opposition zur traditionellen Lehre« einer ungeschaffenen, substantiellen und erst recht einer personalen Anwesenheit Gottes in der Gnade kommt und in 51 52
katholische verteidigungen
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Ripaldas hat unter Jesuitentheologen verschiedene Modifizierungen erhalten,57 bis sie ihre gegenwärtige Form im ›übernatürlichen Existential‹ gefunden hat.58
diesem Sinne auch eine Lebensgemeinschaft Gottes mit dem Menschen nicht möglich ist. Wegen dieser nicht wirklich beidseitig verbundenen Elemente erscheint eine innere Einheit des konkreten dispositiven Aktes durchaus als fraglich. – Vgl. Alfred Kaiser: Natur und Gnade im Urstand, 202. Johannes Stöhr: Neuzeitliche Diskussionen über die Einwohnung des dreifaltigen Gottes, 249 – 282, 264. 57 Ripalda nahm für den sittlichen Akt eine seinsmäßige Erhöhung an, Gabriel Vázquez SJ († 1604) nur eine modal hinzukommende übernatürliche Ausrichtung durch einen Gedanken, die sogenannte ›cogitatio congrua‹, die entitativ im Rahmen der Natur blieb. 58 Vgl. Karl Rahner: Natur und Gnade. In: Schriften zur Theologie IV 209 – 236, 227: »Wo er [sc. der Mensch] und insofern er in der konkreten Möglichkeit eines sittlich guten Handelns steht, ist er faktisch ständig innerhalb des eröffneten Horizontes der Transzendenz auf den Gott des übernatürlichen Lebens, mag er in seiner freien Tat im Einklang oder im Widerspruch stehen zu dieser Vorgegebenheit seines übernatürlich erhobenen geistigen Daseins. Wenn er in jedem sittlichen Akt positiv oder negativ Stellung nimmt zu der Totalität seiner faktischen Existenz [...], dann müßte man sagen: jeder sittlich gute Akt eines Menschen ist in der faktischen Heilsordnung auch faktisch ein übernatürlicher Heilsakt. Wir wären dann bei der bekannten Ansicht von Ripalda angekommen. Diese Konsequenz braucht uns nicht zu erschrecken. Denn einmal ist die These Ripaldas, wenn auch selten vertreten, doch keiner theologischen Zensur ausgesetzt, und zweitens könnte ja, ohne daß man die hier angedeutete Grundposition aufgeben müßte, die eben gemachte Voraussetzung, unter der man zur These Ripaldas kommt, bestritten und so die Ansicht Ripaldas vermieden werden. Wie dem auch sei, es zeigt sich durch die skizzierten Gedankengänge: es ist durchaus annehmbar, daß das ganze geistige Leben des Menschen dauernd überformt ist durch die Gnade.« – Vgl. Domenico Palmieri: Tractatus de gratia divina actuali, 254. – Palmieri schränkte Ripaldas These allerdings auf Gläubige ein.
Siglenverzeichnis bearbeitet von Theresia Maier
1. Siglen der Werke Augustins Die Siglen der Werke Augustins folgen denjenigen des CAG (Corpus Augustinianum Gissense a C. Mayer editum (CD-ROM). Würzburg 22003). Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde ›u‹ in ›v‹ abgeändert, wo es dem deutschen ›v‹ entspricht. Acad. c. adv. leg. agon. an. quant. bapt. cat. rud. civ. conf. corrept. div. qu. doctr. chr. en. Ps. ench. ep. ep. Io. tr. c. ep. Parm. c. ep. Pel. exp. Gal. c. Faust. f. invis. Gn. litt. Gn. litt. imp. Gn. adv. Man. gr. et pecc. or. gr. t. nov. Io. ev. tr. c. Iul. c. Iul. imp. lib. arb. c. litt. Pet.
De Academicis libri tres Contra adversarium legis et prophetarum libri duo De agone christiano liber unus De animae quantitate liber unus De baptismo libri septem De cathecizandis rudibus liber unus De civitate dei libri viginti duo Confessionum libri tredecim De correptione et gratia liber unus De diversis quaestionibus octoginta tribus liber unus De doctrina christiana libri quattuor Enarrationes in Psalmos De fide spe et caritate liber unus Epistulae In epistulam Iohannis ad Parthos tractatus decem Contra epistulam Parmeniani libri tres Contra duas epistulas Pelagianorum libri quattuor Expositio epistulae ad Galatas liber unus Contra Faustum Manicheum libri triginta tres De fide rerum invisibilium De Genesi ad litteram libri duodecim De Genesi ad litteram liber unus inperfectus De Genesi adversus Manicheos libri duo De gratia Christi et de peccato originali libri duo De gratia testamenti novi ad Honoratum liber unus In Iohannis evangelium tractatus CXXIV Contra Iulianum libri sex Contra Iulianum opus imperfectum De libero arbitrio libri tres Contra litteras Petiliani libri tres
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anhang
mag. mend. mor. nat. et gr. ord. pecc. mer. persev. praed. sanct. retr. s. Simpl. sol. spir. et litt. trin. vera rel. vid. deo util. cred.
De magistro liber unus De mendacio liber unus De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manicheorum libri duo De natura et gratia liber unus De ordine libri duo De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum ad Marcellinum libri tres De dono perseverantiae liber ad Prosperum et Hilarium secundus De praedestinatione sanctorum liber ad Prosperum et Hilarium primus Retractationum libri duo Sermones Ad Simplicianum libri duo Soliloquiorum libri duo De spiritu et littera ad Marcellinum liber unus De trinitate libri quindecim De vera religione liber unus De videndo deo liber unus = ep. 147 De utilitate credendi liber unus
2. Weitere Siglen a) Zeitschriften, Serien, Quellenwerke AL CCL CCM CSEL DH
MFCG PG PL SC WA
Augustinus-Lexikon. Hg. v. Cornelius Mayer. Basel: Schwabe 1986 ff. Corpus Christianorum seu nova Patrum collectio ser. Latina. Turnhout: Brepols 1953 ff. Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis. Turnhout: Brepols 1966 ff. Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum. Wien 1866 ff. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und Kirchlichen Lehrentscheidungen. Hg. v. Heinrich Denzinger, Peter Hünermann. Freiburg: Herder 37 1991. Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanusgesellschaft. Zuerst Mainz: Matthias Grünewald, dann Trier: Paulinus 1961 ff. Patrologia graeca. Hg. v. Jacques Paul Migne. Paris 1857–1866. Patrologia latina. Hg. v. Jacques Paul Migne. Paris 1841–1864 [Neudr. Turnhout: Brepols]. Sources Chrétiennes. Hg. v. Henri de Lubac, Jean Daniélou. Paris: Cerf 1941 ff. ›Weimarer Ausgabe‹. Martin Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Weimar: Böhlau 1883 ff.
siglenverzeichnis
b) Abkürzungen von in den Beiträgen zitierten Quellen bzw. Ausgaben AA ADI Archa Brev CDH ChrMag ChrMed comm. Rom. DecPrae DI DonSpir DVS DW FR Gen h KrV Libellus LW M NE Ord P RedArt s.th. scito Sent Soli SwL theol. s.b. Tusculum WA WAB WAT WuM
›Akademie-Ausgabe‹ (Immanuel Kant) Apologia doctae ignorantiae (Nikolaus von Kues) De archa Noe (Hugo von St. Viktor) Breviloquium (Bonaventura) Cur deus homo (Anselm von Canterbury) Christus unus omnium magister (Bonaventura) Sermo Christus Mediator (Bonaventura) Commentaria in Epistolam Pauli ad Romanos (Abaelard) Collationes de decem preaceptis (Bonaventura) De docta ignorantia (Nikolaus von Kues) Collationes de septem donis Spiritus S. (Bonaventura) De venatione sapientiae (Nikolaus von Kues) Deutsche Werke (Meister Eckhart) Fides et Ratio (Johannes Paul II.) Postilla in librum Geneseos (Petrus Johannis Olivi) ›Heidelberger Ausgabe‹ (Nikolaus von Kues) Kritik der reinen Vernunft (Immanuel Kant) Libellus de formatione archae (Hugo von St. Viktor) Lateinische Werke (Meister Eckhart) Monologion (Anselm von Canterbury) Nikomachische Ethik (Aristoteles) Ordinatio (Johannes Duns Scotus) Proslogion (Anselm von Canterbury) De Reductione artium ad theologiam (Bonaventura) Summa theologiae (Thomas von Aquin) Scito te ipsum (Abaelard) Sentenzenkommentar (Thomas von Aquin) Soliloquium (Bonaventura) Suche nach dem wahren Leben (Augustinus) Theologia »Summi boni« (Abaelard) Tusculum-Ausgabe der Confessiones (Augustinus) ›Weimarer Ausgabe‹ (Martin Luther) ›Weimarer Ausgabe‹: Briefe (Martin Luther) ›Weimarer Ausgabe‹: Tischreden (Martin Luther) Wahrheit und Methode (Hans-Georg Gadamer)
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Quellen- und Literaturverzeichnis bearbeitet von Theresia Maier
Abkürzungen, die nicht oben angeführt sind, richten sich nach dem Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Walter Kasper u. a. Freiburg u. a.: Herder 31993 ff.
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anhang
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burgh u. a.: Nelson 1938–1951. – : Cur deus homo. Lateinisch–deutsch. Hg., Übers., Einl. v. Franciscus Salesius Schmitt.
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Namenregister
Abaelard, Peter 4, 6, 58, 71–83 Abraham 25, 89 Adam 35, 76, 88, 94, 97, 232, 240 f., 244, 247 f. Aegidius Romanus (Ägidius von Rom) 7, 85, 101, 103 f. Agapet 18 Albert, Karl 162 Alexander von Hales 108 Alkuin 5, 32, 177 Alveldt, Augustin von 221 Ambrosius 16, 21, 25, 29, 87, 185 Andaloro, Maria 13, 15 Anselm von Laon 75 Anselm von Canterbury 6, 37, 40, 48, 52 f., 61, 63, 66, 76, 105, 143 Anzenbacher, Arno 67 Apollinaris Sidonius, Gaius Sollius 18 Aristoteles 4, 7, 55, 65, 105– 115, 120, 125, 128–130, 141 f., 144, 146 f., 150 f., 157, 175, 180, 202, 206 f., 222 Averroes 141, 165 Avicenna 141 Avit 5, 21–23 Bacon, Roger 115, 119–121, 125 Baius (Bajus), Michael 9, 226, 234, 237 f., 240 f., 243 Baltzer, Otto 4 Barack, K. A. 189 Baron, Roger 93 Barth, Karl 53, 243 Basilius 25 Basso, Emma del 94, 97
Beda Venerabilis 5, 30–35 Beierwaltes, Werner 205 Beisser, Friedrich 220 Bellarmin, Robert 241 Bellelli, Fulgencio 9, 238, 242 f. Benjamins, Hendrik S. 85 f., 93 Bennett, Jim 85 Berarducci, Silvia Cantelli 33 Bernhard von Clairvaux (Heiliger) 58, 77, 80, 185 f. Berti, Gianlorenzo 9, 238, 243–247 Bérubé, Camille 121 Bertelsmeier-Kierst, Christa 178 Beutel, Albrecht 212, 215, 220 Bisconti, Fabrizio 13 Blaumeiser, Hubertus 212 Blumenberg, Hans 202, 205, 209 Boblitz, Hartmut 85–87, 93 Bocxe, Winfried 246 Boethius 15, 65, 195 Bonaventura, Johannes (Johannes Bonaventura) 7 f., 42, 68, 100, 105–127, 198–201, 208 f. Bonifatius VIII. (Papst) 101 f. Borger, Gabriele 217 Boros, Ladislaus 42 Borst, Arno 99 f. Böttrich, Christfried 85, 87 Bougerol, Jacques 105 f., 110–112, 118 Brachtendorf, Johannes 8, 12, 72, 157 f., 166 f., 171, 183 Breuning, Wilhelm 134
Brincken, Anna-Dorothee v. den 180 Brower, Jeff rey E. 74 Bucher, Theodor G. 63 Büchmann, Georg 194 Buytaert, Eligius Mariae 72, 75 Buzius, Hieronymus Maria 238, 245 Cajetan, Thomas (Kardinal) 218 Calvin, Johannes 237 Caminiti, Francis N. 198 Camus, Colette 20, 22 Cano, Melchior 130 Caramello, P. 240 Carnutensis, Bernardus 211 Cassiodor 5, 25–28, 35 Cazier, Pierre 30 Celan, Paul 194 Ceyssens, Lucien 233 Chartres, Bernhard von 211 Cicero 43, 65 Classen, Peter 178 Claudius Marius Victorius 5, 20 f. Claudius von Turin 5, 31–34, 36 Clemens (von Alexandrien) 42 Clemens IV. (Papst) 119 f. Clerck, D. E. de 76 Cohn, Norman 85–87 Colish, Marcia 4 Courtenay, William J. 243 Courth, Franz 136, 138 Crouse, Robert D. 34 Cyprianus 87
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anhang
Daniélou, Jean 86 Dassmann, Ernst 45 Decret, François 88 Delbrueck, Richard 15 Delius, Hans Ulrich 215 Denifle, Heinrich Suso 211 Descartes, René 10, 63, 69 Dickinson, Emily 225 Dietrich von Freiberg 157, 165 f. Dionysius Ps.-Areopagita (Dionysios) 122, 128, 200, 240 D’Onofrio, Giulio 39 Dracontius 5, 20, 22 Drecoll, Volker Henning 19 Dreyer, Mechthild 40 Dulaey, Martine 86 f. Dumont, Paul 248 Duvergier de Hauranne, Jean 226 Eadmer 55 Egino von Verona 16 Ehlers, Joachim 97 Ehrle, Franz 98 f. Eijl, Constant van 235 Elders, Leon J. 127 f. Elm, Kaspar 101 Emser, Hieronymus 220 f. Enders, Markus 49 Eugipp (Eugippius) 5, 22–25, 28, 33–35 Erasmus von Rotterdam 5 Eva 35 Fasola, Umberto M. 15 Faustus 88, 120 Fischer, Bonifatius 21 Fischer, Norbert 1–4, 11, 56 f., 60, 64, 67, 117, 181, 183 Flasch, Kurt 41, 78, 166 Flavius Josephus 35 Fliethmann, Thomas 7
Fontaine, Jacques 29 f. Fortunatus, Venantius 20, 26, 82 Fox, Michael 32 Fransen, Paul-Irénée 24 f. Franziskus von Assisi (hl. Franziskus) 7, 105–107, 114, 116 f., 119 f., 122, 125 Fried, Johannes 178 Fuhrer, Therese 51 Fulgencio Bellelli 9, 238 Gadamer, Hans-Georg 2 Gäde, Gerhard 48, 53, 68 Gaunilo 63, 69 Geerlings, Wilhelm 5, 19 f., 41, 96 Gerson, Johannes 116, Gilbert, Paul 54 Gill, Meredith J. 4 Gilson, Etienne 42, 105 f., 108–110, 112, 120, 141, 198 Glauning, Otto 182 Gnädinger, Louise 190 Göbel, Christian 6, 59, 64, 68 Goebel, Bernd 61 Gorman, Michael M. 23, 25, 31–34 Gottschall, Dagmar 179 Gouhier, Henri 235 Grabmann, Martin 40, 43, 50–52, 58 Grane, Leif 215 Grassi, Onorato 38 Gray, Douglas 24 Gregor der Große (Papst) 4 f., 16, 28–30, 35 f., 93, 97, 122, 178 f., 185 f., 192 f. Gregor von Elvira 87 Gregor von Rimini 238, 243 Gregorius, Illiberritanus 87, 179 Greschat, Katharina 28 f.
Gross, Julius 78 f. Grote, Andreas E. J. 6 Guido le Gros (Kardinal) 119 Gutiérrez, David 101 Hadot, Pierre 59 Hagen, Kenneth 220 Halporn, James W. 26 f. Ham, Bertrand 85 Hamesse, Jacqueline 180, 206 Hamm, Marlies 179 Hankey, Wayne J. 128 Hattrup, Dieter 3, 7, 59, 105, 107, 116, 121 Haubrichs, Wolfgang 178 Hecquet-Noti, Nicole 22 f. Heinrich von BraunschweigWolfenbüttel (Herzog) 218 Heinrich von Gent 7, 141–145, 147, 149 f., 152, 155, 165 Heinzle, Joachim 178 Helinand von Froidemont 181 Herrmann, Friedrich-Wilhelm von 10 Hertling, Georg Graf von 127 Hieronymus 16, 29, 31, 33, 75, 87, 99, 120, 130, 181, 185 f., 220 f., 238 Hiob 28, 77, 185, 206 Hödl, Ludwig 98 Hoff mann, Andreas 37 Hoff mann, Manfred 22 f. Hoff mann, Tobias 153 Hogg, David S. 39 Holte, Ragnar 47 Homann, Eckard 101 Honnefelder, Ludger 129, 147 Horaz 18, 121 Horn, Christoph 12, 195 Hovingh, Pieter F. 21 Hrabanus Maurus 5, 33, 34
namenregister
Hugo von St. Viktor 6, 85, 93, 103 f., 122 Hugo von Trimberg 8, 183 f., 186, 194 Hünermann, Peter 130 Hunger, Herbert 180 Isidor von Sevilla 5, 29–33, 35, 93 Italiani, Claudia 32 Jacob van Maerlant 182 Jansen, Cornelius (Jansenius, Cornelius) 4, 9 f., 225–232, 234 f., 241 f., 247 Janson, Jakobus 226 Jaspers, Karl 10 Jesus Christus (Christus, Jesus) 40, 45 f., 56, 59 f., 68, 76, 86, 88 f., 91–93, 95–98, 100, 102 f., 106, 116, 167 f., 170 f., 198, 219, 226 f. Joachim von Fiore 98, 100, 119 Johann Gottfried 193 Johannes Duns Scotus 7, 141 f., 147–155, 245 Johannes Scotus Eriugena 5, 33 Johannes Paul II. (Papst) 6, 37 f. Johannes Chrysostomus (Heiliger) 87, 185 Johannes von Salisbury 211 Jolivet, Jean 72, 77 Julian von Aeclanum 5, 12, 82 Jungmann, Bernhard 235 Justin / Justinus 42, 86 Kaiser, Alfred 249 Kann, Christoph 143 Kant, Immanuel 5, 10, 37, 54, 56, 63
Karfíková, Lenka 6 Karl der Große 5, 16, 31 Kaufmann, Thomas 212 Kelly, Joseph F. 31 Kemeny, Paul C. 78 Kienzler, Klaus 40 f. Kirchner, Joachim 16 Koch, Josef 101, 157 Kołakowski, Leszek 235 Köpf, Ulrich 127, 131 Korsch, Dietrich 212 Köster, Heinrich 243, 247 Kötting, Bernhard 96 Kreuz, Gottfried Eugen 20–22 Krotz, Elke 177 Krüger, Elmar 101, 103 Kühn, Ulrich 212 Ladner, Gerhart B. 14 Lamberigts, Mathijs 12, 237 Lambert, David 19 Lamirande, Emilien 88 Lange van Ravenswaay, J. Marius 237 Langosch, Karl 186 Largier, Niklaus 190 Lauer, Philippe 13, 14 Leclercq, Henri 85 Lehmann, Karl (Kardinal) 212 Lehmann, Paul 182 Lemmens, Leonhard 107 Leo der Große / Leo III. 13, 16 Leo XIII. (Papst) 107 f. Leppin, Volker 212 Lerinum, Vinzenz von 221 Lesaulnier, Jean 235 Lettieri, Gaetano 234 f. Lewis, Jack P. 86 Lieser, Ludwig 181 Lodewijk van Velthem 182 Lohse, Bernhard 211, 215 f.
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Löser, Freimut 183 Lubac, Henri de 95, 234 f., 237, 242 f., 248 Luchterhandt, Manfred 13 Luijk, Benigno van 238 Lütcke, Karl-Heinrich 45 Luther, Martin 4 f., 8 f., 211–223, 230, 237 MacFarlane, Katherine N. 29 f. Malcolm, Norman 63 Malet, André 137 Mandelbrote, Scott 85 Mann, Heinrich 177, 194 Mann, William E. 81 Manstetten, Reiner 162 Marrone, Steven P. 143 Martin-Palma, José 237, 243 Martínez de Ripalda, Juan 10, 248 Marx, Jakob 195, 197 f., 206 Marx, Karl 229 Matthews, Gareth B. 59 Mattke, Christiane 16 May, Gerhard 12 Mayer, Cornelius 88 Maxsein, Anton 44 McGinn, Bernard 59 Meier, Gabriel 192 Meister Eckhart 8, 58, 157, 162, 172, 175, 181, 183, 190–192 Menhardt, Hermann 177 Messinese, Leonardo 67, 69 Metz, Wilhelm 127, 130 Mews, Constant J. 72 f., 76, 78–80, 82 Meyer, Albert de 235 Möhle, Hannes 7 Mojsisch, Burkhard 165 Molina, Ludovikus 235, 239 Moran, Dermot 34 Mortagne, Walter von 77
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Moses 87, 92, 96 Mostert, Walter 220 Moussy, Claude 20, 22 Mühlen, Karl Heinz zur 211, 216 Naab, Erich 9, 245, 248 Nardin, Roberto 48, 58 Neddermeyer, Uwe 182 Neumann, Hans 192 Neumann, Uwe 41 Neveu, Bruno 238 Nickl, Peter 98 Nietzsche, Friedrich 49 Nikolaus von Kues (Cusanus) 8, 68, 173, 195–198, 201–209 Noah 6, 85–96, 99, 101–104 Nodes, Daniel D. 21 Nolte, Josef 219 Noris, Enrico 9, 238 f., 242 ff. O’Daly, Gerard J. P. 91 O’Loughlin, Thomas 19, 29, 36 Orcibal, Jean 225 f., 233, 235 Origenes 29 f., 75, 86 f., 92 f., 95, 99, 231 O’Rourke, Fran 128 Ott, Ludwig 93 Oudin, Remy 121 Packull, Werner 98 Palmieri, Domenico 249 Pannenberg, Wolfhart 212 Paravicini Bagliani, Agostino 103 Pasnau, Robert 98 Pásztor, Edith 98 Paulus 17, 33, 37, 43, 51 f., 77, 92, 116, 159, 168 f., 199, 216 f. Péano, Pierre 98 Pelagius 75, 120, 215, 237 Peppermüller, Rolf 75 f., 80
Pesch, Otto Hermann 211, 212 Peter Abaelard / Petrus Abaelardus 4, 71–83 Petrus Lombardus 4 f., 10, 106, 198 f. Petrus Johannis Olivi 7, 85, 98 f., 103 f. Petrus (Apostel) 16, 99 Pfnür, Vinzenz 212 Philo von Alexandrien 86 Pickavé, Martin 142 Piron, Sylvain 99 Platon 1 f., 10, 55, 112 f., 128, 131, 143, 195, 198 Plotin 117, 165, 171, 174 Poirel, Dominique 93, 97 Pollmann, Karla 5 f., 19 f., 25 f. Portalié, Eugène 242 Possidius 1 f., 5, 20 Proba 23, 197 Prudentius 18, 23 Quesnel, Pasquier 238 Quodvultdeus 15 Rahner, Hugo 85 f. Rahner, Karl X, 63, 200, 249 Ratzinger, Joseph (Benedikt XVI., Papst) 108, 110, 120, 199 Recktenwald, Engelbert 61 Remigius von Auxerre 6, 34–36 Renwart, Léon SJ 238, 244 Rettner, Arno 14 Rieger, Reinhold 37, 41 Ripalda, Juan Martínez de 10, 248 f. Ritter, Joachim 198 Rojo, Fernando 238 Röd, Wolfgang 63 Rohls, Jan 63
Roscelin 73 f. Rosenplenter, Lutz 185 f., 194 Rudolph, Conrad 94, 98 Ruh, Kurt 177, 182, 189 f., 193 f. Ruta, Carlos 194 Saint-Cyran (Abbé ) 226, 235 Salisbury, Johannes von 211 Salomo 124, 205 Salvian von Marseille 5, 20 Scarpelli, Therese 106 Schaber, Johannes 1 Schmaus, Michael 72, 138 Schmid, Alexander 202 Schmidbaur, Hans Christian 137 Schmidt, Josef 63, 65 f. Schmidt, Peter L. 19 Schmidt-Lauber, Gabriele 217 Schmidtke, Dietrich 184 Schmidtke, F. 85 f. Schmitt, Franciscus Salesius 39, 41 f., 48 Schnarr, Hermann 8, 208 Schönberger, Rolf 12, 66 Schrimpf, Gandolf 33 f., 63 Schuler, Stefan 180 Schwienhorst-Schönberger, Ludger 11 Sciuto, Italo 57, 59, 61 Seckler, Max 47, 52, 58 f. Sellier, Philippe 225 Senofonte, Ciro 235 Shelton, Kathleen J. 19 Sicard, Patrice 93–95 Sieben, Hermann-Josef 10, 239 Sikes, Jeff rey Garrett 74, 76, 78, 80 Simonis, Walter 75 Simplicianus 79 Sirmond, Jacques 239
namenregister
Smalley, Beryl 83 Smolinsky, Heribert 221 Söder, Joachim 152 Sodini, Jean-Pierre 13 Sokolovski, Richard 9 Sokrates 68, 74, 205 Solignac, Aimé 110 Southern, Richard W. 37, 41, 52 f., 61, 69 Spaemann, Robert 111 Squire, Aelred 94 Staats, Reinhart 221 Stakemeier, Eduard 237 Staupitz, Johann von 9, 214, 222 Steenberghen, Fernand Van 109 Steer, Georg 179, 192 Stegmüller, Friedrich 4 Stehmann, Wilhelm 189 Stock, Brian 35 Stöhr, Johannes 249 Stolz, Anselm 52 f., 61, 63 Stone, Martin W. R. 239, 244 Störmer-Caysa, Uta 183 Studer, Basil 12, 47 Sturlese, Loris 189
Thomas von Aquin 5, 7, 52, 63, 67, 99, 101, 108, 114, 117, 120, 127–139, 141, 162 f., 212, 238, 240, 243 Thomas von Morigny 78–80, 82 Thomasin von Zirklære 179, 185 Trimolé, Bonaventura 121 Übinger, Johannes 196–198 Utenbroeke, Philip 182
Valentini, Donato 58 Van Fleteren, Frederick 45 Vanneste, Alfred 235 Varro 18 Vázquez, Gabriel 249 Venantius Fortunatus 20, 26 Verbeke, Gérard 80 Vergil 29 Verweyen, Hansjürgen 37 Vessey, Mark 25, 27 Vetter, Ferdinand 189 f. Vignaux, Paul 110 Vinke, Rainer 211 Vinzenz von Beauvais 180–183, 192 Tabanelli, Giovanni 13, 17 Vizkelety, Andras 193 Tamburini, Pietro 239, 244 Vogl, Heidemarie 191 Tauler, Johannes 8, 189 f., 222 Vollmann-Profe, Gisela 192 TeSelle, Eugene 45 f., 59 f. Voorbij, Johan B. 180 Teske, Roland J. 19, 242 Vorster, Hans 212 Thomas Cajetan de Vio 240
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Waldenfels, Hans 40, 59 Wandalbert von Prüm 21 Weigand, Rudolf Kilian 8, 180–184, 186 Weischedel, Wilhelm 45 f., 51, 62, 67 Weisser, Patrick 63 Weingart, Richard E. 76, 80 Weiske, Brigitte 186 Wenck von Herrenberg, Johannes 8, 197 f. Wendebourg, Dorothea 212 Wernicke, Michael Klaus 238 f., 242 f. Wigbod 5, 31–34 Wilde, Mauritius 164, 167, 171 Wilhelm von Champeaux 76 Willaert, Léopold Williams, Thomas 76, 80 Williams, Ulla 192 Wilpert, Joseph 13–16, 18 Windhorst, Christoph 212 Wolff, Etienne 71 Wood, Ian 22 f. Worst, Hans 218 Worstbrock, Franz-Josef 193 Wriedt, Markus 212, 214, 220, 237 Zacharias (Papst) 13 Zahlten, Johannes 21 Zinn, Grover A. 93, 95, 97 f. Zumkeller, Adolar 101
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens – Band 2
Seit Aurelius Augustinus (354 – 430), dem bedeutendsten Denker der Spätantike, ist die Rückbindung der Frage nach der Wahrheit an die Frage nach dem Ich, also an die Selbsterkenntnis, ein Grundthema der Philosophie. Der zweite Band gibt Aufschluß über die nachhaltige Spätwirkung des Augustinischen Werks seit Beginn der Neuzeit, die bis in die GegenAugustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 2: Von Descartes bis in die Gegenwart Herausgegeben von Norbert Fischer xi, 357 Seiten isbn 978-3-7873-1923-7 Kartoniert
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wart anhält. Aufgezeigt wird die Aufnahme bestimmter Aspekte seines Denkens bei Descartes, Pascal, Leibniz, Kant, Schopenhauer, in der katholischen und protestantischen Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts, bei Bergson, Blondel, Rilke, Husserl, Heidegger, Scheler, Jaspers, Ricœur und Derrida.