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Norbert Fischer (Hg.)
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 2 | Von Descartes bis in die Gegenwart
Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1923-7 (Band 2) ISBN 978-3-7873-1922-0 (Band 1) ISBN 978-3-7873-1929-9 (Bände 1 u. 2)
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Inhalt
Vorwort zum zweiten Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Norbert Fischer IUDEX RATIO. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rainer Schäfer Gründe des Zweifels und antiskeptische Strategien bei Augustinus und Descartes (1596 – 1650) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Augustins Auseinandersetzung mit der Skepsis in der Frühphilosophie (29) | 2. ›Si fallor, sum‹ und ›cogito, ergo sum‹. Die Gewißheit des ›ego‹ bei Augustinus und bei Descartes (34)
Albert Raffelt Blaise Pascal (1623 – 1662) als Schüler Augustins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Biographische Annäherung (45) | 2. Das Sachthema (48) | 3. Die Schrift über die Bekehrung (50) | 4. Die ›Pensées‹ (53) | 5. Nachbemerkung (56)
Hartmut Rudolph »Je suis du sentiment de S. Augustin …« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leibniz’ (1646 – 1716) Nähe und Distanz zu Augustinus
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1. Leibniz’ Zugang zum Werk des Augustinus und ein genereller Hinweis auf Leibniz’ Wirken (60) | 2. Civitas dei und Gottes universale Monarchie (65) | 3. Vernunft und Augorität der Offenbarung (69) | 4. Theodizee und Soteriologie (73) | 5. Individuelle Substanz und Selbsterkenntnis (81) | 6. Schlußbemerkung (87)
Norbert Fischer Augustinische Motive in der Philosophie Immanuel Kants (1724 – 1804) . . . . . . . 1. Zu Kants Auslegung der Metaphysik als Naturanlage der menschlichen Vernunft und zu Augustins Interpretation des Menschen als ›cor inquietum‹ (94) | 2. Zu Kants Frage nach Sein und Sinn der Zeit vor dem Hintergrund der Augustinischen Zeitbetrachtung im elften Buch der ›Confessiones‹ (97) | 3. Zu Kants Grundlegung der praktischen Philosophie vor dem Hintergrund von Augustins Entfaltung eines formalen Moralprinzips (100) | 4. Der Ort der Gnade in der praktischen Philosophie Kants und Augustins Überlegungen zur göttlichen Vorsehung und zur Prädestination (103) | 5. Zu Kants Bestimmung des Verhältnisses von Vernunftreligion und Offenbarungsglauben im Blick auf den Denkweg Augustins (106)
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inhalt
Matthias Koßler »Eine höchst überraschende Uebereinstimmung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Zur Augustinus-Rezeption bei Schopenhauer (1788 – 1860) 1. Schopenhauers Verhältnis zur Religion (111) | 2. Die Bedeutung der Problematik von Gnade und freiem Willen (113) | 3. Schopenhauers Augustinus-Rezeption im Lauf ihrer Entwicklung (115)
Johannes Schaber OSB Kirchenvater oder Vater der Scholastik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Das Augustinus-Bild der katholischen Tübinger Schule. Johann Baptist Hirscher (1788 – 1865), Johann Adam Möhler (1796 – 1838) und Franz Anton Staudenmaier (1800 – 1856) 1. Die Kirchenväterrenaissance und die Idealisierung der ersten drei Jahrhunderte der Kirchengeschichte in der Theologie des 18. Jahrhunderts (127) | 2. Die Augustinusbilder in der katholischen Tübinger Schule bei Johann Baptist Hirscher, Johann Adam Möhler und Franz Anton Staudenmaier (135) | 3. Augustinus – Kirchenvater oder Vater der Scholastik? (145)
Martin Ohst Augustinus-Deutungen des protestantischen Historismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Albrecht Ritschl (1822 – 1889) | Ferdinand Kattenbusch (1851 – 1935), Hermann Reuter (1817 – 1889), Adolf von Harnack (1851 – 1930) und Karl Holl (1866 – 1926) 1. Albrecht Ritschl | Ferdinand Kattenbusch (149) | 2. Hermann Reuter (154) | 3. Adolf von Harnack (161) | 4. Karl Holl (186) | 5. Bilanz (195)
Matthias Vollet Dimensionen der Zeitlichkeit bei Augustinus und Henri Bergson (1859 – 1941)
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1. Einleitung (197) | 2. Grundzüge der Zeitphilosophie Bergsons (200) | 3. Vergleich Bergson – Augustinus (206) | 4. Zusammenfassung (210)
Peter Reifenberg »Unité totale de vue et de vie …« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Augustinus im Denken von Maurice Blondel (1861 – 1949) 1. Hermeneutischer Schlüssel: Blondels Blick auf die Geschichte der Philosophie (211) | 2. Augustinus im Werk Blondels (214) | 3. Thematische Schwerpunkte der Blondelschen Augustinus-Aufsätze (218) | 4. Schlußüberlegung (226)
August Stahl ›Salus tua ego sum‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Rilke (1875 – 1926) liest die ›Confessiones‹ des heiligen Augustinus
inhalt
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1. Begegnungen Rilkes mit Gedanken Augustins (231) | 2. Rilkes Vorbehalte gegenüber dem Christentum und die bleibende Zuwendung zu Augustinus (234) | 3. Zu Rilkes Anverwandlung Augustinischer Motive (245) | 4. Fundstellen (249)
Friedrich-Wilhelm von Herrmann Begegnungen mit Augustinus in den Phänomenologien von Edmund Husserl (1859 – 1938), Max Scheler (1874 – 1928) und Martin Heidegger (1889 – 1976) . . . . 253 1. Hinführung (253) | 2. Augustinus und Husserl: Distentio animi und inneres Zeitbewußtsein (254) | 3. Augustinus und Scheler: Liebe und Erkenntnis (256) | 4. Augustinus und Heidegger (260)
c. Agustín Corti Philosophie aus religiöser Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Karl Jaspers (1883 – 1969) interpretiert Augustinus 1. Geschichtlichkeit, Geschichtsphilosophie und menschliche Größe (267) | 2. Augustins Motiv: die Bekehrung als Spaltung von Philosophie und Glaube (272) | 3. Philosophie und Glaube: ein Problem der Methode? (277)
Jakub Sirovátka Die gefährdete Subjektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Paul Ricœurs (1913 – 2005) Verhältnis zum Denken Augustins 1. Ausdrückliche Anknüpfungen an Augustinus (282) | 2. Die gefährdete Subjektivität und die Fehlbarkeit (288) | 3. Weitergehende Fragen und Ausblick (291)
Florian Bruckmann Rezeption durch den Autor und aus der Sicht des Lesers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Lektüren von Augustinus und Jacques Derrida (1930 – 2004) 1. Verschiedene Ebenen der Rezeption (293) | 2. Rezeption im Text des Autors (295) | 3. Rezeption aus der Sicht des Lesers – Parallellektüre (302)
Cornelius Mayer OSA Augustinus im Denken von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. (*1927) . . . 309 1. Einleitung (309) | 2. Augustins Lehre von der Kirche (310) | 3. Die unerläßliche Bedeutung der Vätertheologie (314) | 4. Augustinus als Lehr- und Lebemeister (319)
Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Vorwort zum zweiten Band
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as Bibliotheksdistichon unter dem berühmten Fresko aus der alten LateranBibliothek, das im ersten Band abgebildet und ikonographisch untersucht wurde, lautet: DIVERSI DIVERSA PATRES SED HIC OMnIA DIXIT / ROMANO ELOQUIO MYSTICA SENSSA TONANS. Also: Einige Väter sagen dies, andere jenes, dieser aber hat alles gesagt, in römischer Beredsamkeit tief gründende Erfahrungen verkündend. Zwar hat Augustinus, auf den das Distichon gemünzt sein mag, nicht ›alles‹ gesagt, wie der Text meint. Daß er im Vollzug und im Bedenken seines Lebens um Grundfragen gerungen und viel zu ihnen gesagt hat, war ihm selbst gut bekannt, sonst hätte er mit den Retractationes, in denen er seine Werke einer Selbstrezension unterzog, nicht diese singuläre literarische Gattung eröffnet. Und so spricht das Distichon nicht gerade zaghaft von der Bedeutung des abgebildeten Autors. Augustinus hat viel und viel Beachtetes gesagt, das über viele Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag gelesen und aufgenommen wird. Um zur Deutlichkeit dieser unbestrittenen Tatsache beizutragen, sind hier Beträge gesammelt und herausgegeben, deren größten Teil die Autoren zunächst im Rahmen eines Symposions in der Akademie des Bistums Mainz vorgetragen haben (vom 18. – 20. Januar 2008). Zur Abrundung der Thematik sind nachträglich einige zusätzliche Beiträge erbeten worden. Angesichts der immensen Wirkungsgeschichte Augustins enthalten die beiden Bände, die aus dem Symposion erwuchsen, nur Ausschnitte eines Spektrums, auch wenn es das Ziel des Herausgebers war, Darstellungen wesentlicher Spuren der Augustinus-Rezeption bei Autoren zu erbitten, die ihrerseits wirksam waren und weiter beachtenswert sind. Der vorliegende zweite Band untersucht die Wirkung Augustins vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart, der erste stellt seine Wirkung von ihrem Beginn bis zur Reformation dar. Das Werk Augustins hat bis auf den heutigen Tag zunehmend sein Potential erwiesen, originäres Denken zu initiieren und zu befruchten. Verfehlt sind Versuche, diesem Autor entweder das Verdienst für die unterschiedlichen (förderlichen) Ergebnisse dieser Anverwandlungen zusprechen oder ihn für die (schädlichen) Wirkungen als Schuldigen haftbar machen zu wollen. Rezipienten sind mitverantwortlich für das, was sie rezipieren. Zwar mag das Corpus Augustinianum für das Mittelalter zunächst als Bildungsgut gewirkt haben. Ein Lehrer des Abendlandes wurde Augustinus aber vermutlich erst durch die Echtheit und die Ruhelosigkeit seiner Suche, die auch seine Leser zu originärem Denken antrieb, das diese jedoch selbst zu vertreten haben.
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Das seit 1989 unter der Herausgeberschaft und Leitung von Cornelius Mayer erscheinende Augustinus-Lexikon blendet die Wirkungsgeschichte Augustins aus, bietet aber fortschreitend ein Fundament, von dem aus auch die Wirkungsgeschichte gründlicher untersucht werden kann. Diese Wirkungsgeschichte möglichst breit zu dokumentieren und zu erfassen, ist die Aufgabe eines internationalen Projekts, das Karla Pollmann unter dem Titel The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine (430 – 2000) leitet und betreibt. In diesem Kontext mögen die vorgelegten Beiträge förderliche Hinweise, aber auch zu diskutierende Auslegungen enthalten. Herzlich danke ich allen Mitarbeitern, die Beiträge zur vorliegenden Publikation geliefert haben, in der die riesige Wirkungsgeschichte Augustins wenigstens facettenhaft präsentiert werden soll. Neben der Darstellung bekannter Stationen der Augustinus-Rezeption gibt es Bezugnahmen, die auch ausgewiesenen Kennern kaum bekannt sind. Die Begegnung mit Spuren und Spiegelungen von Augustins Denken mögen heute von besonderem Interesse für das geistige Leben des Abendlandes sein, das sich erneut in einer kritischen Phase befindet, so wie es in seiner Geschichte schon oft schweren Bedrohungen ausgesetzt war. In dieser Situation stellt sich die Aufgabe der besonnenen Wiederaneignung einer Grundquelle der abendländischen Tradition, die derzeit wieder in der Gefahr steht, zu versiegen oder durch gewollten Traditionsbruch verschüttet zu werden. Karl Rahner hat einmal notiert (unveröffentlichter Text im Karl-Rahner-Archiv, München, Signatur: KRA IV A 102 (1926): Psychologisches beim Hl. Augustin): »Es gab wohl noch nie einen größeren Abschnitt in der Geistesgeschichte des Abendlandes seit den Tagen Augustinus, in der dieser große Denker unmodern gewesen wäre und nicht unmittelbar oder mittelbar in Philosophie und Theologie irgendwie das Denken befruchtete.« Die vorgelegten Beispiele aus der überreichen Wirkungsgeschichte Augustins sind im Blick auf ihren Gehalt, ihre Methode und ihre leitenden Intentionen unterschiedlich. Der Herausgeber hatte nicht die Absicht, diese Unterschiede gleichzuschalten und einen Monismus der Methoden (und noch weniger der Intentionen) zu befördern, zumal die Unterschiedlichkeit der Perspektiven die Vielfalt zu beachtender Züge im Werk Augustins vergegenwärtigt, die über die Jahrhunderte hin durch die unterschiedlichen Zugangsweisen sehr unterschiedlicher Leser Augustins (und Rezipienten Augustinischen Gedankenguts) entfaltet wurden und hervorgetreten sind. Dazu paßt Augustins These, die er im Blick auf die Schriftinterpretation vorgetragen hat und die schon für die Heiligen Schriften eine Fülle höchst wahrer Auslegungsmöglichkeiten behauptet (conf. 12,35: »tanta copia verissimarum sententiarum, quae de illis verbis erui possunt«). Mein herzlicher Dank gilt den Mitarbeitern am Lehrstuhl für Philosophische Grundfragen der Theologie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, meinem Assistenten Dr. Jakub Sirovátka und meiner Sekretärin Anita Wittmann, für
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die Hilfe bei der Planung und Durchführung des Projekts und danach bei der Druckvorbereitung, der Diplom-Theologin Theresia Maier für die sorgfältige Durchsicht des Textes und für die Endfassung des Anhangs, den wissenschaftlichen Hilfskräften, die an den Korrekturen und der Erstellung des Literaturverzeichnisses beteiligt waren, zunächst cand. phil. Oliver Motz, sodann cand. theol. Sarah Hairbucher und cand. theol. Stefanie Teich. Den Mitarbeitern des Würzburger Zentrums für Augustinus-Forschung, seinem Leiter, Professor Dr. Cornelius Mayer OSA, PD Dr. Christof Müller, Dr. Andreas E. Grote und besonders dem Diplom-Theologen Guntram Förster danke ich für manche bereitwillig gegebene Hilfe. Das von Cornelius Mayer herausgegebene Corpus Augustinianum Gissense erwies sich in seiner zweiten Auflage wiederum als unverzichtbare Grundlage der Arbeiten. Texte Augustins und deren Siglen sind diesem Werk entnommen. Meinem Assistenten Dr. phil. Jakub Sirovátka danke ich für zahlreiche Gespräche und für einige wichtige Hinweise zur Sache. Für die oft erprobte Zusammenarbeit bei der Ausrichtung des Symposions gilt der Dank des Herausgebers dem Direktor der Akademie des Bistums Mainz, Professor Dr. Peter Reifenberg. Zu danken ist auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung dieses Symposions. Schließlich sei dem Meiner Verlag für die inzwischen bewährte Zusammenarbeit herzlich gedankt. Eichstätt / Wiesbaden, im Januar 2009
Norbert Fischer
IUDEX RATIO Einleitung des Herausgebers
»[…] plus irascor tali laudatori meo qui librum meum tamquam canonicum accipit, quam ei qui in libro meo etiam non reprehendenda reprehendit« (s. Dolbeau 10, 15: ›weitaus mehr zürne ich Lobrednern, die meinem Buch gleichsam kanonische Geltung zuschreiben, als Kritikern, die Thesen aus ihm zurückweisen, auch wenn sie diese Zurückweisung nicht verdienen‹).
Das Corpus Augustinianum war für das Mittelalter bis zur Reformation und zum Beginn der Neuzeit ein grundlegender Bezugspunkt, auch wenn seine Kenntnis oft nur indirekt präsent war. Seit der Neuzeit, die in vielerlei Hinsicht mit der Bereitschaft zu radikalem Traditionsbruch begann, änderte sich die Qualität der Bezugnahmen auf Augustinus, aber nicht ihre Relevanz. Einige Anfangsbemerkungen aus der Einleitung zum ersten Band seien in Erinnerung gerufen: Augustins literarisches Werk wurde seit seiner Entstehung in der Kultur des Abendlandes – von Anfang an und über die vielen Jahrhunderte bis in die Gegenwart – wie wenige andere beachtet. Augustinus hat unterschiedlichste Leser zu eigenem Denken, zur Reflexion des Lebens und zur Ausarbeitung eigener Werke angeregt, vor allem auf den Gebieten der Philosophie und der Theologie, die in den vorgelegten Bänden zu seiner Wirkungsgeschichte exemplarisch zur Sprache kommen, aber auch auf den Gebieten der schönen Künste, die hier unbeachtet bleiben.1 Ihn als ›divus Augustinus‹ gleichsam zu vergöttlichen, der Kritik zu entheben und die Signatur seiner Werke mit Weihrauch zu vernebeln, besteht – wie bei Menschen überhaupt – kein Anlaß. Blinde Verehrung, zu der Menschen neigen, um ihrer eigenen Existenz samt deren Problemen zu entrinnen, fällt mit Recht dem Vergessen anheim und hat besonnenen Lesern nichts zu sagen. Ebenso ephemer – und in ihrer naseweisen Angestrengtheit lächerlich – sind Versuche, einen Autor wie Augustinus zu diskreditieren und Leser vor ihm zu warnen, obwohl er bis zu seinem Ende um die zu bedenkende Sache gerungen und seinen Lesern Stoff zum Denken gegeben hat. Die vorgelegten Beiträge sollen hingegen zeigen, wie sich Leser, die an menschlichen Hier sei – unter Nichtbeachtung anderer Arbeiten – nur auf zwei Texte verwiesen; zuerst auf Johannes Schaber OSB: Spuren des Kirchenvaters Augustinus in der Musik des 20. Jahrhunderts (zwei Teile). Knappe ausgewählte Hinweise zu den Erwähnungen der Confessiones in der deutschsprachigen schöngeistigen Literatur sind angeführt und kurz kommentiert von Norbert Fischer: Einleitung (Tusculum), 787 – 794. Vgl. dort auch die einleitenden hermeneutischen Überlegungen, bes. 781 – 787. 1
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Grundfragen orientiert waren, auf Texte Augustins einließen und ihnen Beachtung schenkten. Beispiele für falsche Verehrung oder irreführende Angriffe sind in den beiden Bänden, die Augustinus als richtungsweisenden Lehrer des Abendlandes vorstellen, nur beiläufig erwähnt. Ein anderer Lehrer des Abendlandes, den schon Augustinus als maßgebend anerkannt hat, war Platon, der Interpreten schriftlicher Texte aufgefordert hat, sie sollten aus ›eigener Kenntnis der Wahrheit‹ imstande sein, ›das Geschriebene als minderwertig zu erweisen‹ (Phaidros 278c: ei4dw1@ ü> to1 a4lhje2@ […] au4to1@ dunato1@ ta1 gegramme2na fau/la a4podeîxai). Platon fordert von den Interpreten positiv, vorgegebene Texte möglichst stark (von ihrer Intention her) auszulegen, nicht wie Einbrecher in Werke einzudringen, um diese zu destruieren und triumphierend auszuschlachten, was bei inzwischen verstorbenen Autoren umso leichter zu bewerkstelligen ist, als diese nicht mehr selbst in der Lage sind, solche Angriffe abzuwehren.2 Obwohl Hans-Georg Gadamer mit der folgenden Passage nicht explizit auf Augustinus zielt, gilt die in ihr ausgesprochene Annahme auch für ihn (WuM 2): »Daß im Verstehen dieser großen Denker Wahrheit erkannt wird, die auf anderem Wege nicht erreichbar wäre, muß man sich eingestehen«. Dieser Annahme haben die meisten Autoren zugestimmt, auf die Augustinus Einfluß hatte und die hier als Beispiele für die philosophisch-theologische Wirkungsgeschichte Augustins präsentiert werden. Der erste Band bietet Untersuchungen zu dieser Wirkungsgeschichte vom Beginn seiner literarisch faßbaren Rezeption bis zu den durch die Reformatoren angeregten Diskussionen. Der hier vorliegende zweite Band beginnt mit der Neuzeit und führt bis in die Gegenwart. In der Einleitung zum ersten Band war das ›Corpus Augustinianum‹ als Schatz, als Herausforderung und als Bürde für die Nachkommen charakterisiert worden: Als Schatz kann die literarische Hinterlassenschaft Augustins zum Beispiel erscheinen, weil bei ihm Gott und Seele vor dem Hintergrund des faktischen Lebens in das Zentrum des Denkens treten, wodurch Endlichkeit, Innerlichkeit und Transzendenz in neuer Weise zum Thema wurden. Als Herausforderung mochte sie gelten, weil sich sein Denken nicht systematisch kohärent darstellen läßt, was zum Beispiel in der notwendigen, theoretisch unauflösbaren Spannung von Freiheit und Gnade zum Ausdruck kommt, in der sich die Ruhelosigkeit des menschlichen Herzens erweist. Eine Bürde ist sie, weil Augustinus zuweilen in der Attitüde des rechthaberischen Rhetors Thesen vertritt (angeregt von biblischen Texten, z. B. im Blick auf die Erbsündenlehre und deren Folgen für die ungetauften Kinder), die mit GerechManchem Kritiker könnte die Stimme versagen, wenn ihm der Autor lebendig entgegenträte. Die Meinung, eine lebendige Maus sei mächtiger als ein toter Löwe, hat für die, die auf sie vertrauen, auch Erniedrigendes an sich. Der lebendige Augustinus war nach dem Zeugnis des Possidius eine starke Persönlichkeit (vgl. Vita Augustini 31,9). 2
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tigkeit und Liebe unvereinbar sind.3 Gerade weil Augustins Werk bis heute zugleich als zu bewahrender Schatz, als denkerisch anspruchsvolle Herausforderung und als lästige Bürde begegnet, ist es angebracht, den Blick auf die Wirkungsgeschichte dieses bedeutenden Lehrers des Abendlandes zu werfen. Da Augustinus sich weigerte, Autoritäten blind zu folgen, widerspricht es dem Geist seiner Werke, deren Thesen, die Wandel und Widerspruch in sich bergen, zu fraglosen Vorgaben zu stilisieren.4 So genügt ihm bei der Beantwortung der Frage, was schlecht zu handeln heiße, nicht die Auskunft, Handlungen seien schlecht, weil sie vom Gesetz verboten seien; vielmehr vertritt er die konträre These, das Gesetz verbiete Handlungen, weil sie schlecht seien (lib. arb. 1,6): »non sane ideo malum est quia vetatur lege, sed ideo vetatur lege, quia malum est.« Gegen bloße Autoritätsgläubigkeit arbeitet er unermüdlich an der Suche nach vernünftiger Argumentation.5 Zwar zeigt er sich überzeugt, erst durch das Hören der Botschaft der Heiligen Schriften auf den Weg zum ›wahren Leben‹ gelangt zu sein, den er zuvor auf seinen Irrwegen aus eigener Kraft gesucht hatte;6 doch beharrt er bei seiner Absicht, auch verstehen zu wollen, was er gehört und gläubig angenommen hat. Sein Leitspruch lautet folglich (conf. 11,3): »audiam et intelligam«. Zudem betont er, daß ihm der Glaube nicht ohne kritische Vorüberlegungen zugeflogen war. Seinen Weg, den er in den Confessiones beschreibt, konnte er nämlich nur gehen, nachdem ihn das Beispiel Christi als sterblichen, aber heiligen Menschen überzeugt hatte. Gottes Wort (die Weisung der Gerechtigkeit und Liebe) hatte er zwar gehört, es habe ihn aber wenig beeindruckt, solange er es nicht als gelebte Botschaft glauben konnte (conf. 10,6): »et hoc mihi verbum tuum parum erat si loquendo praeciperet, nisi et faciendo praeiret.« Die Bes. seit pecc. mer. (411/2); er wußte um seinen starken Siegeswillen und hat seine frühere Tätigkeit auch kritisch beurteilt (conf. 9,1 – 4). Dazu Hermann-Josef Sieben SJ: Der Beitrag der Jesuiten zur Überwindung des extremen Augustinismus im 17. Jahrhundert, bes. 207 – 209 (mit Hinweisen auf Augustins Neigung zu polemischen Exzessen). 4 An sich mag es kein Fehler sein, eigene Thesen, solange es angeht, hartnäckig zu verteidigen; Augustins Wille zum Sieg (z. B. vera rel. 85: »invicti esse volumus et recte«) hatte aber auch sehr befremdliche Seiten (z. B. in den Auseinandersetzung mit Julian). Zum Siegeswillen Augustins vgl. auch Norbert Fischer: Einleitung (SwL), XV; vgl. aber auch das Motto dieser Einleitung. 5 Hypothetisch geltende Imperative wie die Goldene Regel (vgl. lib. arb. 1,6) weist er als unzulänglich zurück; den gesuchten unbedingt gebietenden Imperativ formuliert er in lib. arb. 1,15: »ut omnia sint ordinatissima«. 6 Vgl. die Skizzierung seines Wegs der Suche im zehnten Buch der Confessiones, der ihn auf den ›Weg nach innen‹ führte, dann aber zu einer ›Inversion der Aktivität‹, die im Wendepunkt des zehnten Buches zur Sprache kommt (10,38): »vocasti et clamasti et rupisti surditatem meam, coruscasti, splenduisti et fugasti caecitatem meam, fragrasti, et duxi spiritum et anhelo tibi, gustavi et esurio et sitio, tetigisti me, et exarsi in pacem tuam.« Zum Aufstieg nach innen und zur Inversion der Aktivität vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL), bes. XL – LXIV. Zum Hintergrund vgl. auch Norbert Fischer; Dieter Hattrup (Hg.): Irrwege des Lebens. Augustinus: ›Confessiones‹ 1 – 6. 3
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Botschaft der reinen Liebe konnte ihn erst im Vertrauen darauf überzeugen, daß sie zu leben und kein Wortgeklingel war. Durch die Rationalität seiner Suche und durch die Beharrung auf seinem eigenen Urteil, in dem er sich nichts von einer fremden Autorität vorsagen lassen wollte, wurde er zu einem Autor, der auch in der Neuzeit Beachtung fand, in mancher Hinsicht sogar verstärkte Beachtung. Schon die Augustinus-Lektüren der Spätantike und des Mittelalters, das von manchen Protagonisten der Neuzeit ein wenig hochnäsig für autoritätsgläubig gehalten wurde, sind facettenreich gewesen und je nach dem Urteil der selbst produktiven Leser recht unterschiedlich ausgefallen.7 Gleichwohl stehen die AugustinusDeutungen der Neuzeit, befördert durch die Verfügbarkeit von Druckausgaben, unter anderen Maßgaben, da er in ihr als ursprünglicher Denker und Anreger eigenen Denkens in den Blick kommt (wobei man ihm zuweilen mit scharfer Kritik und Ablehnung seiner Thesen entgegentritt). Im Blick auf seine Wirkung hatte dieser Neubeginn für Theologie und Philosophie sehr unterschiedliche Folgen. Das zeigt sich, wenn man einen kurzen Blick auf die Stellungnahmen von Martin Luther und René Descartes wirft, die beide eine wesentliche Bedeutung für den Umbruch hatten, der als Beginn der Neuzeit gedacht wird. Der Neubeginn, der zugleich Kulturbruch und Rückbesinnung war, brachte die Theologie vor allem durch die Reformation in eine Situation, die neue Fragen und Antworten herausforderte. Hatte Nikolaus von Kues, der sich oft genug auf Augustinus bezogen hat, zum Beispiel noch mit Nachdruck die Freiheit des Willensentscheidung vertreten,8 so gewinnt eine als Paulinisch-Augustinisch behauptete Absolutsetzung der Gnadenlehre bei Martin Luther und den Reformatoren ein solches Übergewicht, daß ein neues Bild Augustins entstand, das auch die ›katholische‹ Theologie zur Besinnung zwang und nachfolgend eine bis heute nicht abgeschlossene Auseinandersetzung um den wahren Paulus und den wahren Augustinus hervorrief. Daß Luther sich nicht auf den ganzen Augustinus beziehen konnte, ist schon überdeutlich, weil dieser ein Werk mit dem Titel De libero arbitrio verfaßt hatte,9 Dafür steht die Mehrzahl der Beiträge des ersten Bandes, die den freien Umgang mit Augustinus-Texten betonen, besonders deutlich bei Peter Abaelard, Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus und Meister Eckhart. 8 Vgl. De visione dei 7: »Necessitares enim libertatem, cum tu non possis esse meus nisi et ego sim mei ipsius et quia hoc posuisti in libertate mea, non me necessitas, sed expectas, ut ego eligam mei ipsius esse.« Diese Stelle und ihr Kontext bietet eine glänzende Auslegung von Augustins Bestimmung des Verhältnisses von Freiheit und Gnade. 9 Vgl. auch De gratia et libero arbitrio. Selbst in den Debatten mit Julian von Aeclanum gibt er das ›liberum arbitrium‹ nicht preis, sondern unterstellt Julian die These des ›servum arbitrium‹, da vollkommene Freiheit nur durch Gnade möglich sei (c. Iul. 2,23): »hic enim vultis hominem perfici, atque utinam dei dono, et non libero, vel potius servo propriae voluntatis arbitrio«. In den heftigsten Debatten trat er zugleich als Lehrer der Freiheit auf, auch wenn er 7
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das er in den späten Retractationes nicht ohne Zustimmung erwähnt. Zwar weist er auf Defizite seines frühen Werkes hin, in dem schwierige Überlegungen fehlten, die zur Verteidigung der Gnade nötig seien und einiges Kopfzerbrechen (›operosa ratiocinatio‹) forderten; und er sieht, daß sich der von ihm bekämpfte Pelagius seiner Aussagen bedient hat (retr. 1,9,3): »quo testimonio meo in quodam libro suo Pelagius usus est.« Dennoch legt er die frühe Schrift im Rückblick so aus, als habe er in ihr schon gegen Pelagius argumentiert (retr. 1,9,6: »ecce tam longe antequam Pelagiana heresis extitisset, sic disputavimus, velut iam contra illos disputaremus«), was zur Folge hat, daß die Gnadenlehre nach Augustins Überzeugung mit der Freiheitslehre zusammen bestehen können muß, auch wenn solches Zusammenbestehen nicht systematisch kohärent entfaltet werden kann. Systematisch wäre sogar zu erwägen, ob die Kausalität aus Freiheit und ihr Zusammenbestehen mit Gnade nicht unklar bleiben muß, da jede theoretische Klärung zu einem intellektualistischen Determinismus führte, der das Wagnis reiner Verehrung und reiner Liebe unmöglich machte.10 Augustinus hält jedenfalls an beiden Lehren fest – ohne sich verführen zu lassen, eine einheitliche Theorie zu entwickeln, so wie er im Ausgang von unterschiedlichen Phänomengrundlagen sowohl am Vorauswissen Gottes als auch an der Freiheit der Entscheidung festgehalten hatte.11 Im Gegensatz zum Werktitel Augustins hat Luther, ohne auch nur mit einem Wort auf das Werk Augustins positiv oder negativ einzugehen, ein Werk mit dem Titel De servo arbitrio verfaßt. Der Ansatz der reformatorischen Theologie verfolgte mit dem sachlich begründeten Kampf gegen die verblendete Werkgerechtigkeit12 zwar ein notwendiges Ziel, geriet mit der dogmatisch verstandenen, das mögliche später sah, daß menschliche Freiheit unter den Bedingungen der Endlichkeit gedacht werden muß. Endliche Freiheit aber hat nach Augustins Einsicht unvermeidlich mit Erstursächlichkeit zu tun (vgl. lib. arb. 3,49). Volker H. Drecolls Bestreitung der ›prinzipiellen‹ Unabhängigkeit (Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, 249) führt zur Leugnung der Freiheit und verfehlt den Grundansatz Augustins, der ohne Freiheit nicht denkbar ist. Da Luther kein AugustinusForscher war, sind seine Thesen unter anderen Vorzeichen auszulegen. 10 Zur reinen Verehrung (›gratis colere‹) vgl. z. B. conf. 8,10; 10,32; 13,17; en. Ps. 29,2,7; 43,15 f.; 55,20; zur reinen Liebe (›gratis diligere‹) z. B. conf. 6,26; civ. 1,9; Io. ev. tr. 46,5; en. Ps. 26,1,8); beide sind ohne Freiheit gar nicht denkbar. Schon die Freiheit in der Beziehung zwischen endlichen Personen birgt ja Rätsel in sich. Die Echtheit der Beziehung zwischen endlichen Personen läßt zwar ›excitationes‹ zu, setzt aber die Anerkennung der Freiheit der beteiligten Personen voraus. Wie endliche Freiheit nicht ohne Gnade denkbar ist, so Gnade nicht ohne Freiheit. 11 Vgl. civ. 5,10 (nach dem Beginn des ersten pelagianischen Streits): »quocirca nullo modo cogimur aut retenta praescientia dei tollere voluntatis arbitrium aut retento voluntatis arbitrio deum (quod nefas est) negare praescium futurorum; sed utrumque amplectimur, utrumque fideliter et veraciter confitemur; illud, ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus.« Der Vorrang des Phänomens vor der Theorie macht die Annahme der beiden konträren Thesen nötig. Gedanken wie die Rede von der »gratia, quo bene vivamus« (nat. et gr. 47), sind von civ. 5,10 aus zu lesen. 12 Deshalb ist Gott als ›inspector cordis‹ zu denken; vgl. den hier vorliegenden Beitrag Norbert Fischer (89 – 110).
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Selbstsein der Geschöpfe vernichtenden Prädestinationstheorie aber auf eine Bahn, die in der neuzeitlichen Philosophie keinen guten Nachklang haben konnte.13 Descartes hat sich nicht dagegen gewehrt, daß sein Ansatz mit dem Augustins in Verbindung gebracht wurde, bestritt aber dessen Einfluß auf seinen Denkweg und das Urteil der Vernunft.14 Die neuzeitliche Philosophie beginnt mit dem Willen, die Quellen der Wahrheit in der Vernunft selbst aufzusuchen, die Vernunft als Richter (›iudex ratio‹) bei der Beantwortung der Fragen einzusetzen, mit denen sie sich konfrontiert sieht. Überraschenderweise konnte sie sich bei ihrem Neuansatz, der auf dem Selbstdenken beharrt, auf Augustinus beziehen, auch wenn solche Züge im Werk Augustins vorher weniger beachtet worden waren.15 Der vorliegende Band bietet dazu teilweise divergierende Auslegungen, z. B. zur umstrittenen Verwandtschaft zwischen Augustinus und Descartes, der im ›Jahrhundert Augustins‹ lebte und schrieb.16 Er weist auf wenig bekannte Beziehungen hin (z. B. zu Kant und Schopenhauer) und stellt sie zur Diskussion. In der Neuzeit wurden – im Unterschied zu der gemäßigten und impliziten Kritik, die es schon im Mittelalter gab – auch Interpretationen und Deutungen Augustins vorgetragen, die explizit und teilweise sogar schroff (wenngleich aus sehr unterschiedlichen, manchmal bunt schillernden Motiven) Problematisches und Vorgestriges am Werk und an der Wirkung Augustins betonen. Exemplarisch sollen Friedrich Nietzsche, Hans Blumenberg und Kurt Flasch zu Wort kommen. Solche ›Spuren und Spiegelungen‹ von Augustins Werk, die in der Neuzeit – wie die vorgelegten Beiträge zeigen – zwar nicht vorherrschen, aber doch auch nicht untypisch sind, seien hier wenigstens beiläufig skizziert, obwohl sie nicht immer viel zu Augustinus sagen.17 Nach Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) ist »der schlimmste, langwierigste und gefährlichste aller Irrthümer bisher ein Dogmatiker-Irrthum gewesen […], nämlich Plato’s Erfindung vom reinen Geiste und Guten an sich«; den Kampf gegen Kant, der jede Werkgerechtigkeit als haltlos ablehnte (z. B. KrV B 579 Fn), nannte die Prädestinationslehre den »salto mortale der menschlichen Vernunft« (RGV B 178 = AA 6,121); offenbare Schwächen dieser Lehre stellt auch Friedrich Nietzsche mit ätzender Schärfe an den Pranger; vgl. Der Wanderer und sein Schatten (1880; KSA 2,591). 14 Vgl. die Hinweise am Beginn des Beitrags von Rainer Schäfer (bes. 27 f.). 15 conf. 10,10 (»iudex ratio«) weist zurück auf Aristoteles (De anima 429a19 f.) und voraus auf Kant (KrV B XIII). 16 Vgl. die abweichenden Urteile in den Beiträgen von Rainer Schäfer und Hartmut Rudolph; zum ›Jahrhundert Augustins‹ vgl. Laurence Devillairs: Augustin au XVIIe siècle. Mit drei Abteilungen: Les textes, la langue et l’histoire (z. B. zu Port-Royal); Philosophie et spiritualité (z. B. zu Descartes, Pascal, Fenelon, zur Theorie des Lichtes); Mémoire, poésie, prière. 17 Die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf Norbert Fischer: Einleitung (Tusculum), bes. 795 – 802. Vgl. dort auch den Abschnitt: Neue Ansätze zu denkerischen Gesprächen mit Augustinus; a. a. O., 803 – 808. 13
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Plato sieht Nietzsche aber zugleich »als Kampf gegen den christlich-kirchlichen Druck von Jahrtausenden – denn Christenthum ist Platonismus für’s Volk«.18 Seine Platonismus-Kritik richtet sich zumeist gegen neuzeitliche Platonismen, die »das metaphysische Denken nicht in seinem vollen Umfang und vor allem nicht in seinem letzten Grund« erfassen.19 Dennoch hat Nietzsche sich recht oft polemisch zu Augustinus geäußert, wobei er verschiedenartige Register zieht. Eine Erwähnung findet sich in der Fröhlichen Wissenschaft unter dem Titel: »Die Rache am Geist und andere Hintergründe der Moral.«20 Nach der Frage, wo die Moral »ihre gefährlichsten und tückischsten Anwälte« habe, spricht er vom mißratenen Menschen, »der nicht genug Geist besitzt, um sich dessen freuen zu können, und gerade Bildung genug, um das zu wissen« und so »schließlich in einen habituellen Zustand der Rache, des Willens zur Rache« gerät. Die Passage, die auch gegen Augustinus zielt, lautet: »Immer die Moralität, darauf darf man wetten, immer die grossen Moral-Worte, immer das Bumbum von Gerechtigkeit, Weisheit, Heiligkeit, Tugend, immer den Stoicismus der Gebärde (– wie gut versteckt der Stoicismus was Einer nicht hat! …), immer den Mantel des klugen Schweigens, der Leutseligkeit, der Milde, und wie alle die Idealisten-Mäntel heissen, unter denen die unheilbaren Selbstverächter, auch die unheilbar Eiteln, herum gehn. Man verstehe mich nicht falsch: aus solchen geborenen Feinden des Geistes entsteht mitunter jenes seltene Stück Menschthum, das vom Volke unter dem Namen des Heiligen, des Weisen verehrt wird; aus solchen Menschen kommen jene Unthiere der Moral her, welche Lärm machen, Geschichte machen, – der heilige Augustin gehört zu ihnen. Die Furcht vor dem Geist, die Rache am Geist – oh wie oft wurden diese triebkräftigen Laster schon zur Wurzel von Tugenden!« Der Vorwurf, nicht genug Geist besessen zu haben, fehlt in der folgenden Attacke, in der Nietzsche Augustinus – im Gegensatz zur ›bäurischen, treuherzigen und zudringlichen Art‹, die er Luther unterstellt – zunächst sogar ›südliche delicatezza‹ zuspricht. Er sagt: »Es giebt ein orientalisches Aussersichsein darin, wie bei einem unverdient begnadeten oder erhobenen Sklaven, zum Beispiel bei Augustin, der auf eine beleidigende Weise aller Vornehmheit der Gebärden und Begierden ermangelt. Es giebt frauenhafte Zärtlichkeit und Begehrlichkeit darin, welche schamhaft und unwissend nach einer unio mystica et physica drängt: wie bei Madame de Guyon. In vielen Fällen erscheint sie wunderlich genug als Verkleidung der Pubertät eines Mädchens oder Jünglings; hier und da selbst als Hysterie einer alten Jungfer, auch als deren letzter Ehrgeiz: – die Kirche hat das Weib schon mehrfach in einem solchen Falle heilig gesprochen.«21 Nietzsche scheint Augustinus hier eine Vgl. Jenseits von Gut und Böse, Vorrede (KSA 5,12). So Tilman Borsche: Was etwas ist. Fragen nach der Wahrheit der Bedeutung bei Platon, Augustin, Nikolaus von Kues und Nietzsche, 252. 20 Alle zitierten Stellen aus Die fröhliche Wissenschaft, Nr. 359 (KSA 3,605 – 607). 21 Vgl. Jenseits von Gut und Böse. Nr. 50 (KSA 5,70 f.). 18
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Raffiniertheit zuzubilligen, die er allerdings für unreif hält, da sie von ihren eigenen wirklichen Zielen noch nichts wisse. Mangelnder Sinn für die Unruhe, von der Augustinus sich auf Gott hin getrieben sieht, spricht aus einer Stelle, deren Ausgangspunkt der Mensch »der späten Culturen und der gebrochenen Lichter« ist. Von ihm mutmaßt Nietzsche, er sei »durchschnittlich ein schwächerer Mensch«, da sein Verlangen sei, »dass der Krieg, der er ist, einmal ein Ende habe«. In dieser Hinsicht werden epikureische und christliche Denkweise über einen Kamm geschoren, sofern sie beide Beruhigung suchten: »das Glück des Ausruhens, der Ungestörtheit, der Sattheit, der endlichen Einheit, als Sabbat der Sabbate, um mit dem heiligen Rhetor Augustin zu reden, der selbst ein solcher Mensch war.« Entzückt nennt Nietzsche »die eigentliche Meisterschaft und Feinheit im Kriegführen mit sich, also Selbst-Beherrschung, Selbst-Überlistung«, durch die »jene zauberhaften Unfassbaren und Unausdenklichen,« entstehen, »jene zum Siege und zur Verführung vorherbestimmten Räthselmenschen, deren schönster Ausdruck Alcibiades und Caesar« seien. Nietzsche schließt: »Sie erscheinen genau in den selben Zeiten, wo jener schwächere Typus, mit seinem Verlangen nach Ruhe, in den Vordergrund tritt: beide Typen gehören zu einander und entspringen den gleichen Ursachen.«22 In diesem Text tritt eine grobe, polemische Sichtweise Augustins hervor. Die von Nietzsche gepriesenen Prädikate könnten eher Augustinus als Cäsar zugesprochen werden, allerdings ohne äußere List und Grausamkeit (die ja kein ›Kriegführen mit sich‹ bedeuten). Augustinus ist inneren Kämpfen nicht ausgewichen, hat keine vorschnellen Lösungen gesucht, sondern sich – solange die Weltzeit währt – als ruheloses Herz gewußt. Noch schärfer spricht Nietzsche im Antichrist, in dessen Invektiven er wieder an einen in der Fröhlichen Wissenschaft erhobenen Vorwurf anknüpft: »Die versteckte Rachsucht, der kleine Neid Herr geworden! Alles Erbärmliche, An-sich-Leidende, Von-schlechten-Gefühlen-Heimgesuchte, die ganze Ghetto-Welt der Seele mit Einem Male obenauf! – – Man lese nur irgend einen christlichen Agitator, den heiligen Augustin zum Beispiel, um zu begreifen, um zu riechen, was für unsaubere Gesellen damit obenauf gekommen sind. Man würde sich ganz und gar betrügen, wenn man irgend welchen Mangel an Verstand bei den Führern der christlichen Bewegung voraussetzte: – oh sie sind klug, klug bis zur Heiligkeit, diese Herrn Kirchenväter! Was ihnen abgeht, ist etwas ganz Anderes. Die Natur hat sie vernachlässigt, – sie vergass, ihnen eine bescheidene Mitgift von achtbaren, von anständigen, von reinlichen Instinkten mitzugeben … Unter uns, es sind nicht einmal Männer … Wenn der Islam das Christenthum verachtet, so hat er tausend Mal Recht dazu: der Islam hat Männer zur Voraussetzung …«.23 Alle Zitate aus Jenseits von Gut und Böse. Nr. 200 (KSA 5,120 f.). Der Antichrist. Nr. 59 (KSA 6,248 f.). Solches Männertum war schon immer ein guter Grund für Gänsehaut. 22
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In einem Fragment predigt Nietzsche ungewohnt Demut und nennt die christliche Demut angesichts Gottes unbescheiden. Er notiert: »– wie unbescheiden nimmt sich der Mensch mit seinen Religionen aus, auch wenn er sich noch vor Gott wälzt, gleich dem heiligen Augustin! Welche Zudringlichkeit! Dieses väterliche oder großväterliche Princip im Hintergrunde!«24 Seine Äußerungen sind kein klarer Ausweis für eine gute Kenntnis des Textes der Confessiones. Diese Einschätzung bestätigt sich schließlich in einem Brief an Franz Overbeck vom 31. März 1885, in dem er so plump psychologisiert, daß kundige Leser wohl nur lachend sein Gelächter ertragen und nur spöttisch ihm etwas zu entgegnen geneigt sein mögen. Nietzsche diskreditiert seine eigene Urteilsfähigkeit, indem er sagt: »Ich las jetzt, zur Erholung, die Confessionen des h(eiligen) Augustin, mit großem Bedauern, daß Du nicht bei mir warst. Oh dieser alte Rhetor! Wie falsch und augenverdreherisch! Wie habe ich gelacht! (zb. über den ›Diebstahl‹ seiner Jugend, im Grunde eine Studenten-Geschichte.) Welche psychologische Falschheit! (zb. als er vom Tode seines besten Freundes redet, mit dem er Eine Seele gewesen sei, ›er habe sich entschlossen, weiter zu leben, damit auf diese Weise sein Freund nicht ganz sterbe‹. So etwas ist ekelhaft verlogen.)25 Philosophischer Werth gleich Null. Verpöbelter Platonismus, das will sagen, eine Denkweise, welche für die höchste seelische Aristokratie erfunden wurde, zurecht gemacht für Sklaven-Naturen. Übrigens sieht man, bei diesem Buche, dem Christenthum in den Bauch: ich stehe dabei mit der Neugierde eines radikalen Arztes und Physiologen.–«26 Mit großer Ernsthaftigkeit und im Ringen um echte Aufgaben des Denkens hat Hans Blumenberg (1920 – 1996) für die ›Legitimität der Neuzeit‹ gefochten und sich kritisch mit Texten Augustins auseinandergesetzt, teilweise jedoch auf Grund zweifelhafter Auslegungen. Zwei Hauptpunkte sind die Grundlage seiner Kritik. Als ersten nennt er Augustins Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Übels in der Welt (LN 145): »Mit einer ebenso rührenden wie verhängnisvollen Geste übernahm er für den Menschen und auf den Menschen die Verantwortung für das, was an der Welt drückende Last war.« Zweitens sieht er in Augustinus die geschichtliche Ursache der endgültigen Aufnahme der theoretischen Neugierde in den Lasterkatalog (LN 376). Beide Punkte hängen mit der These zusammen, Mensch und Gott Das Fragment stammt aus der Zeit vom Herbst 1885 – Frühjahr 1886; vgl. KSA 12,28 (NF 1 [70]). 25 Er nimmt Augustins Selbstkritik nicht zur Kenntnis; vgl. retr. 2,6,2: »in quarto libro, cum de amici morte animi mei miseriam confiterer, dicens quod anima nostra una quodammodo facta fuerat ex duabus, ›et ideo‹, inquam, ›forte mori metuebam, ne totus ille moreretur, quem multum amaveram‹; quae mihi quasi declamatio levis quam gravis confessio videtur, quamvis utcumque temperata sit haec ineptia in eo quod additum est ›forte‹.« 26 Vgl. KSB 7, 34. Augustinus hätte für ein nachsichtiges Lächeln sogar selbst Verständnis gehabt; vgl. conf. 5,20: »nunc spiritales tui blande et amanter ridebunt me, si has confessiones meas legerint; sed tamen talis eram.« 24
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seien seit Beginn der Neuzeit in ein Konkurrenzverhältnis geraten, so daß der Mensch versuche, Gott die Zentralposition im Ganzen des Seienden streitig zu machen. Blumenberg zitiert Luther, der gegen die ›naturfreundliche‹ Scholastik gesagt hatte, der Mensch könne von Natur aus nicht wollen, daß Gott Gott sei; vielmehr wolle er selbst Gott sein und zugleich, daß Gott nicht Gott sei: »non ›potest homo naturaliter velle deum esse deum‹, immo vellet se esse deum et deum non esse deum.«27 An Blumenbergs Ansatz ist nichts falsch Triumphierendes. Unbeugsam weist er jedoch Augustins Annahme zurück, daß »die physischen Mängel an der Schöpfung nichts anderes als die gerechten Strafen für das aus der menschlichen Freiheit hervorgegangene Böse« seien (LN 63). Das Pendant dieser These bilde Augustins »Nachweis der radikalen Schuldlosigkeit Gottes«.28 Blumenberg sieht erst bei Leibniz »die Integration der Übel an der Welt in den Schöpfungszweck« – es wäre aber zu überlegen, ob nicht schon Augustinus in diese Richtung gedacht hat.29 Augustins Grundfrage scheint zu sein, wie Gott angesichts der Welt, wie sie ist, als gerecht und gut zu denken wäre – und wie jeder Einzelne als Wesen von ewiger Bedeutung gedacht werden kann, das nicht im Unendlichen versinkt. Die konkreten Antworten Augustins mögen teilweise problembeladen oder auch verfehlt sein. Ob es bessere gibt, bleibt aber eine schwierige Frage.30 Mit gutem Grund richten sich Hans Blumenbergs kritische Erwägungen in diesem Punkte mehr gegen Augustins Spätwerk als gegen die Werke bis hin zu den Confessiones (LN 148). Bekannt geworden ist vor allem Blumenbergs schon erwähnte Zurückweisung der negativen Behandlung der theoretischen Neugierde (›curiositas‹). Er geht auf diesem Feld differenzierend und vorsichtig urteilend voran. Er gesteht, daß nach Augustinus das »Wissenwollen als solches […] keineswegs schon curiositas« sei (LN 360 f.). Die Ablehnung der ›curiositas‹ hänge bei Augustinus damit zusammen, Vgl. Disputatio contra scholasticam theologiam, 321 (n.17); zitiert in LN 203; vgl. Friedrich Nietzsche: »Aber daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde, wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Götter« (Za II; KSA 4,110). Dagegen richtet sich Augustinus (nicht im Sinne des Konkurrenzgedankens, sondern im Sinne des ›gratis colere‹) auf Gott als den, der »super caput animae meae« ist (conf. 10,11). 28 Vgl. LN 66. Die Annahme der Schuldlosigkeit Gottes und der Schuld des wählenden Menschen ist eine alte Lehre, die bei Platon zu finden ist (Politeia 617e: jeo2@ a4naítio@: ai4tía e3loume2nou). Sie ist auch noch der Hintergrund von Kants Lehre vom ›peccatum originarium‹ (vgl. RGV B 25 = AA 6,31). 29 Augustinus scheint die Problematik der These, daß alle Menschen in Adam gesündigt haben, zu kennen; er überlegt vermutlich deswegen, ob Unwissenheit und Schwäche dem Menschen auch natürlich sein könnten, ohne daß Gott dafür zu beschuldigen wäre; vgl. retr. 1,9,6: »quamvis ignorantia et difficultas etiamsi essent hominis primordia naturalia, nec sic culpandus sed laudandus deus esset, sicut in eodem libro tertio disputavimus.« 30 Es bleibt letztlich bei Kants These vom Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee; vgl. dazu AA 8,253 – 272. 27
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daß er die Welt für ›nicht erfüllend‹, sondern für ›versucherisch‹ halte (LN 362). Nicht um Ablehnung des Wissens überhaupt gehe es Augustinus, sondern um den Bezug des Wissens auf den Ursprung von allem (was auch kein unsinniges Verlangen ist). Er verbinde »die Verfehlung, die er in der curiositas sieht, […] also weder mit einem bestimmten Gegenstand, etwa dem astronomischen, noch mit dem eigentlich theoretischen Insistieren auf Genauigkeit und Nachprüfbarkeit, sondern allein mit der Unreflektiertheit der Vernunft, die als solche schon Verweigerung der Dankesschuld für die Kreatürlichkeit ist« (LN 361). Diesem Ergebnis ist zuzustimmen, jedoch unter der Betonung des Hinweises, daß nicht die Vernunft als solche schon die Verweigerung der Dankesschuld nach sich zieht, sondern ihr Mangel an Reflexion. Kurt Flasch (*1930) trägt in zahlreichen Arbeiten kenntnisreich und pointiert Argumente vor, mit denen er die Fremdheit und die Befremdlichkeit der Thesen Augustins zu belegen sucht. Dabei unterlaufen ihm im Eifer zuweilen Zuspitzungen von Aussagen Augustins, die sich als irreführend und sachfremd erweisen. Besonders die Gnadenlehre, die Augustinus nicht systematisch ausarbeiten konnte, weil er das Verhältnis von Freiheit und Gnade explizit für systematisch nicht kohärent darstellbar hielt (vgl. die zitierte Passage aus civ. 5,10), bietet Flasch in einer Form dar, daß Leser rätseln mögen, wie Augustinus solche Auffassungen hat vertreten können. Das Rätsel, vor das Flasch den Leser stellt, löst sich in einem ersten Teil leicht auf: Augustinus hat die ihm unterstellten Thesen nicht so vertreten. Daß an Augustins Thesen auch Problematisches hervortritt, wurde schon im Blick auf die umsichtige Darstellung Blumenbergs deutlich. Flasch vergröbert jedoch Augustins extremste Thesen und läßt die denkerischen Impulse außer acht, die Augustinus auf den Weg der Gnadenlehre samt deren Zuspitzungen geführt haben. So erklärt er: Augustinus »behauptet, das, was gut in seinem Leben war, stammt allein von Gott, das Böse allein von ihm selbst, aber auch das Böse entgleitet nicht der göttlichen Führung.«31 Daß Augustinus auf die Mitte zwischen den extremen Lehren von der göttlichen Gnadenwahl (Prädestination) und der Autarkie des Menschen im Blick auf sein ewiges Heil (Meritokratie) zielen könnte, kommt nicht in den Blick.32 Für seine Interpretation könnte Flasch sich auf eine Stelle aus den Confessiones stützen wollen. Dort heißt es (10,5): »bona mea instituta tua sunt et Kurt Flasch: Einleitung (Bekenntnisse), 7. Deshalb wird er von hartnäckigen Prädestinationstheorikern gerühmt; vgl. Volker H. Drecoll: Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, 17; Drecoll versteigt sich zur These (273): »Das Wirken Gottes vollzieht sich also ohne Wissen und sogar gegen die Intention von menschlichen Worten.« Augustinus aber denkt Gott nicht als Richter, der am Ende über das richtet, was er selbst (oder das ›fatum‹) angerichtet hat (vgl. civ. 5,9): »quale deinde iudicium de hominum factis deo relinquitur, quibus caelestis necessitas adhibetur, cum dominus ille sit et siderum et hominum?« 31
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dona tua, mala mea delicta mea sunt et iudicia tua.« Scharf interpretierend übersetzt Flasch: »Das Gute an mir ist dein Werk und dein Geschenk. Das Böse an mir ist meine Schuld und dein Gerichtsspruch.« Er bemerkt nicht, daß seine vereindeutigenden Übersetzungen von ›malum‹ (»böse«), ›delictum‹ (»Schuld«) und ›peccatum‹ (»Sünde«) sinnwidrig werden, wenn er Augustinus (wie er es tut) einen ›rabiaten Theozentrismus‹ unterstellt (vgl. Einleitung 12). Demgegenüber versucht Augustinus jedoch, die Annahme des Angewiesenseins der Menschen auf die Gnade Gottes mit der Überzeugung von ihrer Freiheit und Schuldfähigkeit zu verbinden. Und der inkriminierte Satz aus dem zehnten Buch läßt sich auch so verdeutschen, daß er der Annahme der Freiheit nicht widerstreitet: »Gut an mir ist, was Du geschaffen und dazugegeben hast; schlecht an mir ist, was ich verdorben habe und was Du im Gericht ahndest.«33 Flaschs Thesen im einzelnen zu hinterfragen und zu zerlegen, bedürfte übergroßen Aufwandes. Die Melange aus brillanter historischer Kenntnis, aus Rhetorik, aus Halbwahrheiten und einem gehörigen Maß an versessener Lust, Augustinus als Gesprächspartner zu desavouieren, von dem heute noch etwas zu lernen wäre, erschweren den Versuch, Flasch als Autor gerecht zu werden. Aber seine Hinweise sind zuweilen gerade in ihrer Einseitigkeit originell und bedenkenswert. Gewiß ist seine These, die Confessiones seien »ein theologisches Thesenbuch«, in ihrer Radikalität fast erschreckend verfehlt (Einleitung 9). Das Schwebende und Kontextuelle der Aussagen, ihre Beziehung auf das schillernde äußere und innere Leben in konkreten (wenngleich typisierten) Situationen und deren nachträgliche Reflexion, macht es unpolemischen Interpreten schwer, eine doktrinale Systematik von Augustins Denken auf Grund der Confessiones zu entwickeln. Dennoch ist es nicht falsch, die Ausrichtung auf die philosophisch und theologisch gedachte Wahrheit als ein Hauptmotiv Augustins zu benennen. Dabei ist Flaschs These jedoch wiederum gänzlich unzureichend, wenn er behauptet, die Confessiones »sollten eine theoretische Konzeption am autobiographischen Material illustrieren« (Einleitung 10). Flaschs Deutung scheint von einem starken existenziellen Impuls getragen zu sein, der aber nicht offen zur Sprache gebracht und diskutiert wird. Es geht ihm nicht darum, nüchtern und sachbezogen zu zeigen, wie fern uns Augustins Werk heute ist. Vielmehr denunziert er munter und polemisch argumentierend Augustinus als Polemiker, der »auch das Gebet als sein Messer« benutzt habe (Einleitung 9). Flasch scheint (in Anknüpfung und im Unterschied zum Verfahren Heideggers) eine negative ›vollzugsgeschichtliche‹ Auslegung bieten zu wollen, in der er sich SwL 9; Flaschs Invektiven zeugen von der Konkurrenz zwischen Mensch und Gott um die Zentralposition im Ganzen des Seienden; vgl. Wilhelm Teichner: Gott und Mensch in der Entfremdung oder die Krise der Subjektivität, 17 f.; Norbert Fischer: Die philosophische Frage nach Gott. Ein Gang durch ihre Stationen, 245, 256, 262, 385. 33
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selbst und seine Leserschaft von den ›schrecklichen‹ Wirkungen Augustins zu befreien sucht.34 Es geht ihm nicht darum, dem Autor zu Hilfe zu kommen und dem toten Buchstaben des Textes Leben einzuhauchen, sondern er versucht vielmehr, sogar dessen Intentionen zu diskreditieren.35 Kurt Flasch steht in der an sich ehrenwerten Tradition von Versuchen, den extremen Augustinismus zu mäßigen, den Augustinus in überspitzten Polemiken selbst zwar verursacht hat, der sich aber mit Verweisen auf seine Grundintentionen und seine eigenen Thesen relativieren läßt. Soweit Flasch pointiert auf überspitzte und diskussionsbedürftige Gedanken Augustins verweist, läßt sich aus seinen Arbeiten Gewinn ziehen; soweit er mit apodiktischen Urteilen das denkerische Potential Augustins verdeckt, ist ihm jedoch zu widersprechen. Die Untersuchungen des vorliegenden Bandes beginnen mit drei Arbeiten zum ›Jahrhundert Augustins‹, zunächst mit dem Beitrag von Rainer Schäfer, der sich mit den Bezügen zwischen Augustinus und Descartes hinsichtlich des Skeptizismus und des ›cogito‹ beschäftigt, das diesen überwinden soll. Augustinus versuche, eine gesicherte Lebens- und Wissensbasis vor dem Goldgrund unbezweifelter Grundannahmen zu Sein, Wahrheit und Gott zu etablieren. Der Kirchenvater argumentiere gegen den Skeptizismus als Glaubender, der sich im Horizont christlicher Glaubensgewißheit aufgehoben wisse. Die Auseinandersetzung mit der Skepsis diene der Thematisierung geglaubter Voraussetzungen, die durch den Zweifel in das Medium des Wissens transformiert werden. Descartes’ Radikalität in der Begründung eines gesicherten Wissens gehe darüber hinaus und versuche, Gewißheit aus der vorausgehenden Zweifelseinstellung zu gewinnen, die alle Vorannahmen destruiere. Vgl. Einleitung (LdS), 11: »Von jetzt an sollte nichts mehr von dem, was unter antiken Philosophen und Rhetoren Wert hatte, den Menschen für die Gnadenwahl Gottes qualifizieren. Seit 397 wurde die Menschheit zu Schmutz und Sündenbrei. Der Bischof von Hippo sprach von einem Dreckhaufen, aus dem Gott den Stoff nimmt, um daraus formen zu können, was er will: Gefäße des Zornes oder der Ehre.« Flasch verfehlt mit dieser Auslegung völlig den Ton der Confessiones, die ja nach 397 geschrieben sind. Selbst eine Stelle wie 13,15 mit einem problematischen Paulus-Zitat (Röm 9,21) ist aus dem Kontext heraus einer differenzierten Betrachtung fähig und bedürftig; Augustinus argumentiert dort in einer Weise moralisch, die auf Kants Beispiele vorauszuweisen scheint; vgl. 13,20; dazu KpV A 54. Vgl. dazu auch Aurelius Augustinus: An Simplicianus zwei Bücher über verschiedene Fragen (hg. von Gerhard Ring). Zu Heideggers vollzugsgeschichtlicher Auslegung Augustins vgl. AuN, bes. 166 – 173; weiterhin vgl. Norbert Fischer: Selbstsein und Gottsuche (mit weiteren Hinweisen zur Literatur). 35 Vgl. Kurt Flasch: Augustin. Einführung in sein Denken, 9; zur Kritik Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit, 7, 150 f.; Goulven Madec attestiert Flasch Strenge und Schärfe, ja Böswilligkeit; vgl. Augustinus – ist er der Genius manignus Europas?, 308 / Saint Augustin est-il le malin Génie de l’Europe, 287. Zum Bild des Interpreten als Einbrechers in die Interiorität des Autors vgl. Emmanuel Levinas: Totalité et Infini. Essai sur l’éxteriorité, 38: »Aborder quelqu’un à partir des œuvres, c’est entrer dans son intériorité, comme par effraction«. 34
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Immanent werde beim Begründer der neuzeitlichen Philosophie der Zweifel selbst Ausgangspunkt der Gewißheit, da der Zweifel sich als Modus des Denkens herausstelle, das als Eigenschaft einer Substanz zukommen müsse, sofern Eigenschaften nicht ohne Zugrundeliegendes vorhanden sein können. Diese Substanz werde nicht als in einem Schöpfungsganzen von vornherein aufgehoben gedacht, sondern müsse die Wirklichkeit und Lebendigkeit in und außerhalb ihrer Gedanken nur aus diesen gewinnen. Albert Raffelt sieht Blaise Pascals ›Augustinismus‹, der sich an mehreren biographischen Stationen zeige, schon durch die Beziehungen der Familie zum Umkreis des Klosters Port Royal und zu diesem selbst grundgelegt. Aber bereits das allgemeine geistige Klima des 17. Jahrhunderts sei in vielen Zusammenhängen von Augustinus geprägt. Die (differenzierte) Nähe zu Augustinischem Gedankengut lasse sich zudem an verschiedenen Pascalschen Grundbegriffen aufzeigen. Vor allem in seinem Engagement im Streit um die Gnadenlehre (Provinciales) vertrete Pascal theologisch explizite Augustinische Positionen. ›Augustinisches‹ Denken finde sich auch in anderen Schriften Pascals, so im Bekehrungsschema, das in der Schrift Über die Bekehrung des Sünders vorliegt. Schließlich seien die Pensées, die ebenfalls auf die Bekehrung ausgerichtet sind, vor Augustinischem Hintergrund erarbeitet. Das sei zwar für die anthropologische Analyse – auch wenn sie vielfach durch Montaigne fermentiert und eigenständig ausgearbeitet ist – schon öfter herausgestellt worden. Darüber hinaus enthalte der aufgezeigte Bekehrungsweg in den Fragmenten aber auch klare Parallelen zu den Confessiones, so daß diesen geradezu Modellcharakter für den apologetischen Denkweg Pascals zukomme. Nach Hartmut Rudolph zeugt der thematisch vielfältige und breit gestreute Rekurs auf Augustinus in Leibniz’ Werk und Korrespondenz von einer bis in die Kindheit zurückreichenden Lektüre der Schriften des Kirchenlehrers und intensiven Auseinandersetzung mit dessen Lehren. Das Entstehen der Maurinerausgabe in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts hatte Leibniz mit großem Interesse verfolgt und einmal sogar mit eigenen Hinweisen begleitet. Er habe dem Nordafrikaner einen herausragenden Platz unter den christlichen Schriftstellern der Antike eingeräumt. Wesentliche Teile seiner Philosophie formuliere der christliche Metaphysiker, einer der größten Geister der europäischen Frühaufklärung, in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Lehre des Kirchenvaters, von dessen Schriften er den Confessiones und De civitate dei eine besondere Wertschätzung habe zuteil werden lassen. Seine Definition der Liebe, bzw. der Gerechtigkeit als der Liebe des Weisen (›justitia est caritas sapientis‹), enthalte wesentliche Elemente des Augustinischen Liebesbegriffs vor allem in De civitate dei (11,25 und 14,28). Die Leibnizsche Vorstellung der civitas dei entbehre allerdings jeglichen heilsgeschichtlichen Dualismus’. Hinsichtlich der Zuordnung von Offenbarung und Vernunft markiere Leibniz ebenfalls unverkennbare Distanz zum Kirchenvater. Augustins Herleitung des Bösen als
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privatio boni bilde aber eine wesentliche Grundlage seiner Theodizee. Die damit verknüpften ›metaphysischen Schwierigkeiten‹ löse er jedoch auf andere Weise auf, so daß gerade an dieser Stelle grundsätzlicher Nähe zum Kirchenlehrer auch eine grundsätzliche Distanz zum Rigorismus der Augustinischen Soteriologie deutlich werde. Schließlich rekurriere Leibniz in seiner Substanzmetaphysik, in der Kritik an Descartes’ Cogito, auf Augustinus, namentlich auf dessen Confessiones, wobei der Bezug partiell bleibe, dem Leibnizschen Konzept untergeordnet und somit transformiert werde. Wiederum zeige sich in Leibniz’ Stellung zu Augustinus Nähe wie Distanz, wobei letztere die Bewunderung und Hochachtung, die der Philosoph und Gelehrte der Frühaufklärung dem ›doctor ecclesiae‹ entgegenbrachte, keineswegs gemindert habe. Norbert Fischer führt die gelegentlichen Erwähnungen Augustins bei Kant an, die Peripheres, aber auch Wesentliches betreffen. Unsicher bleibt, ob Kant Werke Augustins gelesen hat (und gegebenenfalls welche). Die schon öfter gesehene innere Nähe beider Autoren, die trotz der Unterschiedlichkeit der geschichtlichen Situation hervortrete, entfaltet er in fünf Gedankenkreisen. Im ersten Kreis wird Kants Auslegung der Metaphysik als ›Naturanlage‹ der menschlichen Vernunft zu Augustins Interpretation des Menschen als ›cor inquietum‹ in Beziehung gesetzt. Im zweiten betrachtet er Kants Frage nach Sein und Sinn der Zeit vor dem Hintergrund der Augustinischen Zeitbetrachtung im elften Buch der Confessiones. Im dritten Kreis legt er Kants Grundlegung der praktischen Philosophie vor dem Hintergrund von Augustins Entfaltung eines formalen Moralprinzips aus. Im vierten Kreis geht es um den Ort der Gnade in der praktischen Philosophie Kants und um Augustins Überlegungen zur göttlichen Vorsehung und zur Prädestination. Im fünften Gedankenkreis wird Kants Bestimmung des Verhältnisses von Vernunftreligion und Offenbarungsglauben im Blick auf den Denkweg Augustins untersucht. Matthias Koßler diagnostiziert in der Augustinus-Rezeption Schopenhauers den kontinuierlichen Wandel, der von einer anfänglich eher ablehnenden Haltung bis hin zu einer recht hohen Schätzung des Kirchenvaters gekennzeichnet sei. Diese Anerkennung gehe mit der zunehmenden Entdeckung von vermeintlich oder tatsächlich übereinstimmenden Gedanken einher und verlaufe parallel zur Zunahme der Kenntnis von Primärquellen. Höhepunkt der Beschäftigung sei die Lektüre von De civitate Dei gewesen, die Schopenhauer in seinen letzten Lebensjahren intensiv betrieben habe und sich an zahlreichen Kommentaren, Anstreichungen und Zitierungen zeige. Da die eingehendere Lektüre spät einsetzte, könne von einem Einfluß auf die Philosophie Schopenhauers kaum die Rede sein. Auch sei der Einfluß der Luther-Lektüre auf Schopenhauers Augustinusbild in der Anfangsphase zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund seines pointiert vertretenen Atheismus sei Schopenhauers Wertschätzung Augustins vor allem hinsichtlich seiner Lehren über Erbsünde und Gnade von einem erheblichen systematischen Interesse.
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Johannes Schaber geht von der Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wissen aus, die so alt sei wie die Philosophie selbst, und von der Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Vernunft, die so alt sei wie die christliche Theologie. Bei Augustinus fänden sich diese Fragen als zentrale Themen seines Denkens. Daß die Bestimmung des ›und‹ entscheidenden Einfluß auf die Einschätzung seiner historischen Bedeutung haben kann, wird an den verschiedenen Augustinusbildern einer wirkungsmächtigen Theologenschule des 19. Jahrhunderts aufgezeigt: an der katholischen Tübinger Schule, näherhin an ihren Vertretern Johann Baptist Hirscher, Johann Adam Möhler und Franz Anton Staudenmaier – und an deren Vordenkern in der katholischen und protestantischen Theologie des 18. Jahrhunderts. Es zeigt sich, daß sich die Frage der historischen Bedeutung Augustins nur beantworten läßt, wenn das Geschichtsverständnis und das jeweilige Vorverständnis von Glauben und Wissen eines jeden Interpreten durchsichtig gemacht wird. Dieses Vorverständnis entscheide darüber, ob Augustinus als Kirchenvater der christlichen Antike oder als Vater der mittelalterlichen Scholastik betrachtet wird. Martin Ohst deutet Augustinus als den schöpferischen Geist abendländischen Christentums schlechthin und erkennt, daß das Sachinteresse protestantischer Theologie an ihm so alt und so vielgestaltig war wie diese selbst. Die in seiner Studie vorgestellten Autoren wie Albrecht Ritschl (Ferdinand Kattenbusch), Hermann Reuter, Adolf von Harnack und Karl Holl sind bedeutende Vertreter des protestantisch-theologischen Historismus im 19./20. Jahrhundert. Ohst zeigt, wie diese Autoren auf im einzelnen ganz unterschiedliche Weise Augustinus im Interesse einer historisch rückgebundenen, konsequenten Selbstgestaltung spezifisch neuprotestantischen Denkens gelesen und gedeutet haben, wodurch seine Distanz zum reformatorischen Protestantismus, aber auch zum zeitgenössischen Katholizismus präzise erfaßt und expliziert werde. Matthias Vollet beginnt mit dem Hinweis auf die Vergleiche zwischen Henri Bergsons Zeitlehre mit der Augustins, die immer wieder vorgenommen worden seien, obwohl der Name Augustins sich in Bergsons Werken kaum finde. Der Beitrag unternimmt – im Anschluß an eine Bemerkung Bergsons zur Gründerrolle Augustins für die moderne Zeitphilosophie – den Versuch, nach einer kurzen Darstellung der Zeitauffassung Bergsons dessen Bewertung Augustins vor dem Hintergrund eines Vergleichs beider Zeitauffassungen nachvollziehbar zu machen. Es wird deutlich, daß die zentralen Unterschiede darin liegen, daß Bergson im Gegensatz zu Augustinus die Zeit selbst als schöpferisch ansieht und daß diese als solche nicht meßbar, sondern nur – per Intuition – ›fühlbar‹ ist. Dem Augustinischen »datum enim tibi est sentire moras atque metiri« stehe das Bergsonsche »Nous ne mesurons plus alors la durée, mais nous la sentons« entgegen. Peter Reifenberg geht von Maurice Blondels Selbstverständnis als eigenständigem Philosophen aus, der historische Einlassungen meide und als Einheitsmetaphysiker
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problemorientiert gegen jede ›philosophie séparée‹ auf den Entwurf einer lebendigen ›philosophie de l’action‹ hindenke. Dennoch sei Augustins Denken für Blondel ein wichtiger Garant für das eigene Denken gewesen, es habe ihm als dynamisierender Transmissionsriemen und als seine Orthodoxie bezeugende Beglaubigung gedient. Seine drei expliziten Beiträge zu Augustinus werden in thematischen Schwerpunkten durchleuchtet: Zunächst wird das Erkenntnisproblem als Bewegung der Suche der Seele durch und in Gott dargestellt. Augustinus ist für Blondel der lebendigste Philosoph, in dem sich totale Einheit der philosophischen Sehweise und des biographischen Lebens widerspiegele (›unité totale de vue et de vie‹). Sein Werk, in dem sich die Notwendigkeit des ›réalisme integral‹ bestätige, sei in der Geschmeidigkeit der Vernunft wie in der spirituellen Askese vorbildhaft für Blondel. Augustinus, der Meister des inneren Lebens, der den Weg der Wahrheit im Inneren suche, verleihe Blondels ›méthode d’immanence‹ posthum Bestätigung ihrer Orthodoxie. Für die Formwerdung aus dem Urbild bedeute die Erkenntnis Gottes zugleich Gestaltwerdung des Menschen, die nicht nach außen, sondern zunächst nach innen verläuft, wobei die ›action‹ die Bedingung einer möglichen inneren Einkehr sei. Im zweiten thematischen Schwerpunkt wird das Problem des ›surnaturel‹ und die Vollendung des Menschen auf die Weise des ›transnaturel‹ im Lichte Augustinischer Gedanken gespiegelt. In dem Ruhe suchenden Leben Augustins bewahrheite sich paradigmatisch die konkrete Einheit der Bestimmung des Menschen in seinem ›état transnaturel‹. In diesem Menschenbild sei das abstrakte Konstrukt einer ›natura pura‹ für eine ›philosophie ouverte‹ überflüssig. Augustinus gebe somit der ›philosophie catholique‹ den Sinn der umfassenden humanen Philosophie. Der Gedanke des Strebens nach Gott und des Verhältnisses von Natürlichem zu Übernatürlichem, den Blondel im frühen Denken transzendental-phänomenologisch über die Analyse der ›action‹ erschließe, werde später im Spiegel des Denkwegs Augustins ontologisch fundiert, um zugleich eine vermittelnde Linie gegenüber dem neuscholastischen Gedankengebäude zu finden. August Stahl sieht den Grund, aus dem die Bedeutung der Confessiones für Rilke beinahe übersehen worden ist, obwohl sie seit langem bekannt war, in der plakativ vorgetragenen, »beinahe rabiaten Antichristlichkeit« Rilkes und in seinen aggressiv formulierten Einwänden gegen die Mittlergestalt Christi. Diese kritische Haltung gegenüber der christlichen Tradition sei freilich nur ein Teil seiner Auflehnung gegen gesellschaftliche Conventionen, gegen institutionell vorgegebene Verhaltensmuster, gegen jede Art der Bevormundung. Daß er sich auf die Autorität Augustins berief und berufen konnte, auf sein in weiten Teilen der Confessiones erfahrbares Werben für das unmittelbare Verhältnis zwischen der menschlichen Seele zu ihrem Schöpfer, auf seine für die Freiheit des Einzelnen einstehende Ethik, sei ihm so hilfreich gewesen, daß er sich, auch wo man es erwarten dürfte, nicht von den ›herrlichen Confessiones‹ und ihrer ›unerbittlichen Größe‹ distanziert habe. Selbst die
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Kritik des Kirchenvaters an der Kunst habe ihn nicht von seiner Bewunderung abbringen können und sein gelegentliches »Zum Teufel mit ihr!« scheine noch eine Reminiszenz der Einwände Augustins zu sein. Man müsse die Bekenntnisse in Rilkes Übersetzung lesen, um in dem nicht übertragenen (aber unterstrichenen) ›salus tua ego sum‹, jene Hoffnung zu entdecken, die gegen alle Zweifel wirke, ohne Beweise auskomme und in der Bitte gegenwärtig sei: »Sag es meiner Seele: Salus tua ego sum«. Rilke – der intensive Leser der Bibel, der große Kenner der Heiligenlegenden und Bewunderer der sakralen Kunst, der Architektur, der Malerei, der Bildhauer – zeige sich als ein entschieden vom Christentum und der christlichen Überlieferung geprägter Dichter. Beispielhafte Beweisstücke seien Der Ölbaum-Garten, die Gestaltungen der Legende vom Verlorenen Sohn, der Hymnus auf den heiligen Franziskus am Schluß des Stunden-Buchs. Dieser Hintergrund lasse Rilkes Aufmerksamkeit für den Kirchenvater beinahe erwarten und sie sei vor allem für die Bekenntnisse nachweisbar. Die positive Wahrnehmung Augustins, der ›wirklich recht hat‹, sei von ganz früh an bis in die Spätzeit zu beobachten. Friedrich-Wilhelm von Herrmann zeigt, wie sich die drei führenden phänomenologischen Denker des 20. Jahrhunderts – Edmund Husserl, Max Scheler und Martin Heidegger – in der Ansetzung und Durchführung ihrer je eigenen Grundthematik auf Augustinus berufen und sich direkt an Augustinus angeschlossen haben. Die wirkungsmächtigste Anknüpfung Husserls an Augustinus sei 1905 geschehen, als er seine ersten und grundlegenden phänomenologischen Analysen des ›inneren Zeitbewußtseins‹ mit einem ausdrücklichen Hinweis auf Augustins Zeituntersuchung des elften Buches der Confessiones eingeleitet habe. Für Schelers Phänomenologie des emotionalen Erlebens habe der theologisch-philosophische Liebesbegriff Augustins wegweisende Bedeutung erlangt, die am ausführlichsten in Schelers Schrift Liebe und Erkenntnis entfaltet sei. Heidegger habe in seiner im Sommer 1921 gehaltenen Vorlesung Augustinus und der Neuplatonismus das zehnte Buch von Augustins Confessiones als eine von der Gottsuche geleitete Selbstauslegung von ›anima‹ und ›vita‹ und diese als eine Vorgestalt seiner eigenen Hermeneutik des ›faktischen Lebens bzw. Daseins‹ interpretiert. Darüber hinaus sehe Heidegger (in Sein und Zeit und in anderen Texten aus dem Umkreis dieses Hauptwerkes) in Augustins Analyse der Zeit aus dem elften Buch der Confessiones ein Unterwegs zu dem, was er als die existenziale Zeitlichkeit des Daseins zum Aufweis gebracht hat. Agustín Corti setzt mit der Deutung Augustins als ›großen Philosophen‹ durch Karl Jaspers an, als eines jener ›großen Denker‹, die Ursprüngliches über die Verfassung der Existenz erhellen. Die Annäherung an überlieferte Werke der Geschichte setze laut Jaspers eine Erfassung der Geschichtlichkeit des Menschen voraus, die als die Grundlage der Philosophiegeschichte dient. Da Geschichtlichkeit ein ›existenzielles Selbstverständnis‹ darstelle, finde Jaspers in Augustins Bekümmerung um Gott und um sich selbst eine bahnbrechende Transformation der Philoso-
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phie, die auf einem wesentlichen Motiv seines Denkens beruhe, der Bekehrung. Jaspers behaupte aber auch, daß Augustins Denken vom autoritativ geprägten Charakter der Kirche ausgeblendet wird. Was Augustinus zunächst aus reinem Philosophieren gewinne, verliere er doch wieder, indem er es der kirchlichen Autorität des Katholizismus unterwerfe. Im Artikel werden Jaspers’ eigene methodische Ansätze dargestellt, zudem wird den wichtigsten Grundzügen der Jaspersschen Interpretation Augustins nachgegangen. Der Beitrag schließt mit einer kritischen Anmerkung zur Jaspersschen Hermeneutik von Augustins Werk. Jakub Sirovátka stellt Paul Ricœurs Verhältnis zum Denken Augustins in zweierlei Hinsichten vor. Er beginnt mit expliziten Anknüpfungen Ricœurs an Augustinus: Diese betreffen im ersten Schritt die Thematik der Zeit, der Erbsünde (die Ricœur als ein ›rationales Symbol‹ versteht), der Phänomenologie des Gedächtnisses und schließlich das Phänomen des Erzählens. Im zweiten Schritt zeigt der Verfasser die Ähnlichkeit von Ricœurs und Augustins Sicht auf den Menschen. Beide charakterisierten das menschliche Subjekt vor allem in seiner Gefährdung, in seiner Endlichkeit und in seiner Fehlbarkeit. Die Themen des menschlichen ›Willens‹, des ›Bösen‹ und der ›Sünde‹ kommen dabei in Ricœurs origineller Auslegung zur Sprache. Florian Bruckmann beginnt mit der Ausarbeitung zweier unterschiedlicher Rezeptionsbegriffe. In einer ersten Art der Rezeption beschreibt er, wie Jacques Derrida sich in seinem Text Circonfession ausdrücklich auf die Confessiones des hl. Augustinus bezieht. Dazu untersucht er die Motive ›Unruhe‹ und ›Bekenntnis‹. Im zweiten Teil nimmt er die Rolle eines starken Rezipienten ein und vergleicht die sprachtheoretischen Konzeptionen Augustins und Derridas in den Werken, in denen sich dieser nicht explizit auf jenen bezieht. Entgegen einer ersten Vermutung zeigt er, daß die Positionen von Derrida und Augustinus nicht weit auseinanderliegen, sondern besonders im Blick auf die Rolle des verstehenden Subjektes viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Cornelius Mayer geht im ersten Teil zunächst auf Joseph Ratzingers Doktorarbeit Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche im Urteil der Fachwelt ein. Sodann legt er die Bedeutung der ›caritas‹ in der Ekklesiologie des Kirchenvaters aus der Sicht Ratzingers dar, erörtert das Verhältnis der Kirche zum Staat und zeigt die Breite der schriftstellerischen Aktivitäten des ehemaligen Professors für Fundamentaltheologie und Dogmatik auf. Im zweiten Teil beleuchtet er des Kardinals Urteil über die Theologie vor und nach dem II. Vatikanischen Konzil, ferner dessen auf das Konservative, auf das Bewahren des Glaubens bedachte Geisteshaltung, sowie die Kritik an der politischen Theologie unter Berufung auf Augustins Lehre von der Civitas dei. Nach Ratzinger unterscheidet sich Augustins Zeit nicht völlig von der unseren: Jener habe auf Fragen und Probleme geantwortet, die auch unsere sind. Diese Antworten sind die Lehre der Kirche vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe.
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Mit dem Blick Joseph Ratzingers, des jetzigen Papstes Benedikt XVI., auf Werk und Bedeutung Augustins enden die Untersuchungen der ausgewählten Spuren und der Spiegelungen von Augustins Denken, die ihn als einen Lehrer des Abendlandes erweisen, der in unterschiedlichen, teils umkämpften Renaissancen wirksam geblieben ist. Viele andere Leser Augustins aus der neueren und der älteren Zeit hätten erwähnt werden können.36 Zudem liegen auch schon Werke vor, die teilweise ähnliche Absichten und vergleichbare Ansätze verfolgen.37 Werke, die nichts sagen oder nur auf Irrwege führen, versinken in die Bedeutungslosigkeit. Augustins Hauptwerke aber locken und faszinieren bis heute ein beachtliches Publikum. Die von einigen Zeitgenossen mit großem Nachdruck bestrittene Nähe Augustins zur denkerischen Situation der Gegenwart wird schon durch die Bezugnahmen der nicht unbedeutenden Leser und Rezipienten Augustins ad absurdum geführt. Nicht anders als es die mittelalterlichen Rezipienten taten, haben sie eine selektive, implizit auch kritische Lektüre Augustins betrieben. Und sie taten das im Sinne Augustins, der sich keineswegs fremden Urteilen unterwerfen wollte, sondern mit Nachdruck sein eigenes Urteil, mit höchst gesteigertem Wahrheitswillen suchte. Wer irVgl. den von Karla Pollmann initiierten und geleiteten Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine. 37 Zum Beispiel Costantino Esposito; Pasquale Porro (Hgg.): Agostino e la tradizione agostiniana (mit wichtigen Beiträgen). Zu beachten sind ebenso die vier von Luigi Alici, Remo Piccolomini und Antonio Pieretti herausgegebenen Bände, die mit der Konzentration auf das 20. Jahrhundert große Themen von Augustins Denken bei zahlreichen Autoren zur Sprache bringen, auch bei manchen, die im vorliegenden Band ebenfalls dargestellt sind oder auch in ihn hätten aufgenommen werden können; vgl. Esistenza e libertà. Agostino nella Filosofia del Novecento/1. Der erste Band mit Beiträgen zu Edmund Husserl (von Pierre Chapelle de la Pachevie), Max Scheler (von Giovanni Ferretti), Edith Stein (von Angela Ales Bello), Martin Heidegger (von Costantino Esposito), Hannah Arendt (von Laura Boella), Hans Jonas (von Enrico Peroli), Romano Guardini (von Massimo Borghesi), Erich Przywara (von Maria Teresa Tosetto), Albert Camus (von Antonio Pieretti) und Karl Jaspers (von Italo Sciuto); Interiorità e persona. Agostino nella Filosofia del Novecento/2; der zweite Band mit Beiträgen zu Henri Bergson (Silvia Ferretti); Lucien Laberthonnière (von Giacomo Losito); Maurice Blondel (von Jean Leclercq); zur Philosophie de l’Esprit (von Stéphane Robilliard), zu den personalismi contemporanei (Armando Rigobello) und einigen weiteren Rezipienten wie Miguel de Unamuno und José Ortega y Gasset; Verità e linguaggio. Agostino nella Filosofia del Novecento/3; der dritte Band enthält Untersuchungen Ludwig Wittgenstein (von Luigi Perissinotto), zu le teorie del segno (von Antonio Pieretti), Michel Polany (von Carlo Vinti), zu Il sentieri dell’ermeneutica, bes. zu HansGeorg Gadamer (von Graziano Ripanti), Paul Ricoeur (von Isabelle Bochet) und Carl Gustav Jung (von Giuseppe Galli), zu Lacan, Derrida und Lyotard (von Silvano Petrosino); Storia e politica. Agostino nella Filosofia del Novecento/4; mit Untersuchungen zu Ernst Troeltsch (von Francesco Miano), Carl Schmitt und Eric Voegelin (von Michele Nicoletti), Karl Löwith (von Roberto Gatti), Franz Rosenzweig (Francesco Maria Ciglia), Ernst Bloch und Jürgen Moltmann (Gerardo Cunico), zu Marrou, Balthasar und Guitton (Marie-Anne Vanier), Reinhold Niebuhr (von Giovanni Dessì), Charles Taylor (von Nevio Genghini), und zu Giuseppe Capograssi (von Paolo Miccoli). 36
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gend sich auf Augustinus als Lehrer berufen will, muß sich auf sein ›audiam et intelligam‹ einlassen, das seine Maxime war und deshalb auch die Maxime seiner Leser sein sollte. Wenn Augustinus ein Lehrer des Abendlandes war und bis heute bleiben konnte, dann auch aus dem Grunde, daß er Thesen zwar mit größter Energie ausgearbeitet hat, daß ihm die Aufgaben des Denkens aber wichtiger blieben als seine Thesen, die er zu ihrer Lösung vorgetragen hatte. Sein Denken war in seinem Ursprung und seinen faktischen Anfängen undogmatisch – und mußte bis zum Ende undogmatisch bleiben, sofern er sich als ›cor inquietum‹ erfährt, das Ruhe nur in Gott finden kann. Der dogmatischen Gefahr mag er in seinen späteren Jahren zuweilen erlegen sein. Seine Größe als Lehrer, der zum Denken anregt, liegt aber darin, daß er Suchender war, daß er ›discipulus veritatis‹ geblieben ist und seine Leser auf den Weg des Suchens führt.38 Wie immer man Augustinus, diesen spätantiken Gottsucher, der zum Christen und schließlich zum Kirchenvater wurde, auch liest und ihm begegnet: die ›gelehrten‹ Versuche, die Fremdheit seines Denkens und die Distanz zu ihm zu belegen, sind zwar nach mehr als 1600 Jahren seit seinem Tod mühelos zu bewerkstelligen, bleiben aber unnütz und unfruchtbar. Warnungen vor wirklich vorgestrigen Werken sind überdies ganz unnötig, da keiner solche Werke lesen will. Hilfreicher wäre es, Anknüpfungspunkte zu finden, in denen Augustinus sich sachlich gesehen mit Problemen auseinandersetzt, die auch den Leser selbst bewegen, so daß er mit Augustinus in ein lebendiges Gespräch einzutreten vermag (wobei er dem nur noch in Texten präsenten Autor mit Achtung und dem Willen entgegentreten sollte, seine echten Intentionen zu erfassen). Solche Gespräche könnten auf vielen Gebieten geführt werden, zum Beispiel auch anhand der Fragen, die im 20. Jahrhundert unter dem Titel des ›postulatorischen Atheismus‹ oder eines ›Theismus um des Menschen willen‹ diskutiert wurden und die wirkungsmächtige Impulse zu der immer weitere Kreise erfassenden Diskreditierung des Gottesglaubens geliefert haben.39 Scharf hat sich John Burnaby gegen Verhärtungen beim alternden Augustinus ausgesprochen; vgl. Amor Dei, 231: »But nearly all that Augustine wrote after his seventieth year is the work of a man whose energy has burnt itself out, whose love has grown cold. The system which generally goes by the name of Augustinianism is in great part a cruel travesty of Augustine’s deepest and most vital thought.« Gegen die jansenistische These der ›gratia irresistibilis‹ vgl. Burnaby, 230 f.: »Even when he says that no human will can resist the will of God, he is thinking not of an ›irresistible grace‹, forcibly impelling to action, but of the Almighty providence which rules the issues of all human willing.« Das Phänomen, daß Autoren in jüngeren Jahren beachtenswerte Arbeiten publiziert haben und sich späterhin in Polemiken erschöpfen, könnte gelegentlich auch heute noch begegnen. 39 Augustinus verweist ausdrücklich auf Cicero, von dem er annimmt, er habe eine Position vertreten, die heutzutage mit dem Namen des ›Atheismus um des Menschen willen‹ bezeichnet werden könnte; die Tatsache, daß Cicero die ›praescientia dei‹ leugne, weil Vorauswissen nur unter der Bedingung möglich sei, daß das Gewußte schon vorausbestimmt sei und für Freiheit 38
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Augustinus ist über die zahlreichen Jahrhunderte hinweg – schon zu Lebzeiten, und zunehmend bis in die Gegenwart hinein – von ganz unterschiedlichen Geistern mit Bewunderung und mit Nachdenklichkeit, die zuweilen zwar auch kritische Züge haben konnte, aber doch mit Gewinn (oder sogar mit brennendem Herzen) gelesen worden, ohne daß ein Einvernehmen entstanden wäre, worin seine ›Lehre‹ bestehe, wenn mit ihr ein dogmatisches Lehrsystem gemeint sein soll. Die Behauptung seiner Nähe zum zetetischen Charakter der Sokratisch-Platonischen Tradition entspricht zudem seinen ausdrücklichen Intentionen, sofern alle dogmatischen Lehrsysteme dem Geist eine Ruhe zu verschaffen suchen, die ihm auf Grund seiner Natur nicht vergönnt ist. Eines seiner tiefsten Geständnisse, das trotz seines hohen Bekanntheitsgrades viel Rätselhaftes in sich birgt, besagt, daß er sein Herz als ›ruhelos‹ kennt und es selbst auch als solches benennt (conf. 1,1: »inquietum est cor nostrum«). Dieses Wort, das über die vielen Jahrhunderte hinweg zahllose Leser unmittelbar angerührt hat und das sich in Übertragungen und Umformungen aufspüren läßt, spricht die auslegungsbedürftige innere Grunderfahrung Augustins aus. Der Sinn des ›Seins‹ im »est« des zitierten Wortes ist von ›Zeitlichkeit‹ bestimmt und steht nach Augustins Auslegung dennoch in einer Beziehung zur Ewigkeit Gottes (»donec requiescat in te«). Ungeschichtliche Seinsauslegungen, wie sie in neuplatonisch orientierten Augustinus-Deutungen zutage treten, könnten sich an der Rede vom ruhelos-wandelbaren ›Sein‹ des menschlichen Herzens die Zähne ausbeißen. Nach Augustinus wohnt zwar ›Wahrheit‹ im Inneren der ›natura mutabilis‹ des Menschen, aber nicht ›die‹ Wahrheit, die als Gott zu denken wäre (vera rel. 72). Folglich ist es kein Wunder, daß die großen Phänomenologen, vor allem Martin Heidegger mit seiner Frage nach ›Sein und Zeit‹, Zugang zur Sache des Denkens über Gedanken Augustins gefunden haben (im zehnten und elften Buch der Confessiones). Und Augustinus kein Platz sei, führe ihn implizit zum Atheismus, auch wenn er sich auf Grund seiner Zeitumstände nicht offen zum Atheismus bekenne (civ. 5,9: »sed non ex sua persona«). Zur heutigen Diskussion, die sich unmittelbar auf die Argumente Augustins beziehen ließe, vgl. Norbert Fischer: Epigenesis des Sinnes. Nicolai Hartmanns Destruktion einer allgemeinen Weltteleologie und das Problem einer philosophischen Theologie; zu beachten ist, daß Nicolai Hartmann es (entgegen Max Schelers Insinuation) vermeidet, den »postulatorischen Atheismus Friedrich Nietzsches« (FEMW 22 f.) zu vertreten. Hartmann arbeitet zwar die Antinomik von Ethik und Religion aus (vgl. Ethik, 199). Er stellt fest (Ethik, 204): »Die nackte Sachlage ist, daß das Phänomen des sittlichen Bewußtseins, des Menschen als personalen Wesens, sich mit der Weltteleologie nicht verträgt.« Hartmann kommt am Ende jedoch zu einem Resümee, das dem schon erwähnten Augustins (civ. 5,10) frappierend ähnlich ist. Er sagt (Ethik, 810): »Antinomien beweisen eben nichts gegen die reale Koexistenz des antinomisch Geschiedenen, auch wenn sie sich als echte Antinomien erweisen, d. h. unlösbar sein sollten. Sie beweisen nur die Unfähigkeit des Gedankens, die Koexistenz zu begreifen.« Hartmann arbeitet insofern wie Augustinus an echten Aufgaben des Denkens, ohne in irgendeinen Dogmatismus zu verfallen. Vgl. dazu auch Norbert Fischer: Die philosophische Frage nach Gott. Ein Gang durch ihre Stationen, bes. 274 – 294.
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selbst hätte mit Rilke, der von der Frage nach einem ›Bleiben‹ umgetrieben ist, sagen können (KA 2,178): »Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt/ obdachlos die Unvergänglichkeit.« Die Ruhelosigkeit des menschlichen Herzens, die sich in der Ruhelosigkeit der Suche nach dem wahren Leben zeigt und nach Augustins Überzeugung nur in Gott Erfüllung finden kann, ist unausgesprochen von der Hoffnung getragen, daß solche Suche am Ende nicht in Sinnlosigkeit versinken werde. Denn sie ist getrieben von der unfaßbaren Verheißung des Findens, die der Suche Kraft und Leben verleiht. Augustinus führt sie auf Gott zurück (conf. 1,1: »tu excitas«) und sieht im Wechselspiel zwischen der Verheißung des Höchsten und seiner Unfaßbarkeit den Möglichkeitsgrund des weitgespannten Spektrums menschlicher Antworten, das vom nihilistischen Skeptizismus bis zum dogmatischen Intellektualismus reicht. Weil er von diesem umfassenden Möglichkeitsgrund ausging, konnte er so nachhaltigen Einfluß gewinnen. Die Spannbreite im Kern des Fragens und Suchens macht Augustins Werk für unterschiedlichste Leser zugänglich und anziehend, sofern es zum ›Denken‹, nicht zu bloßem ›Meinen‹ führt. Es lockt die Leser – in der ›excitatio‹, von der Augustinus sich getroffen weiß – zum ›Glauben‹, der das Erkenntnisstreben nicht zurückdrängt. Als wahren Lehrer des Abendlandes erweist ihn das Wort, daß wir in der Zuversicht suchen sollen, einst auch zu finden, aber so finden sollen, daß wir Suchende bleiben (trin. 9,1): »sic ergo quaeramus tanquam inventuri, et sic inveniamus tamquam quaesituri.« Mit diesem Wort, das auf Endlichkeit, Innerlichkeit und Transzendenz weist, könnte Augustinus weiterhin ein wichtiger Lehrer des Abendlandes sein.40
Augustins Art des Fragens und Denkens hat (wie die der Philosophie Platons) metaphysischen, undogmatischen und wissenschaftlichen Charakter. Vgl. Norbert Fischer: Menschsein als Möglichsein. Platons Menschenbild angesichts der Paradigmendiskussion in der Platonforschung. Im Hintergrund Endre von Ivánka: Plato christianus; Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit; vgl. auch Norbert Fischer: Zum heutigen Streit um Augustinus. Sein Werk als Schatz, als Bürde und als Herausforderung des Denkens. 40
Gründe des Zweifels und antiskeptische Strategien bei Augustinus und René Descartes (1596 – 1650) von Rainer Schäfer
Descartes wird von Marin Mersenne bereits 1637, im Kontext der Veröffentlichung des Discours, auf die Selbstgewißheit des ego und die Gewinnung einer Gewißheit aus dem Zweifel bei Augustinus in De civitate Dei (civ. 11,26) hingewiesen. Allerdings antwortet Descartes in seinem Brief vom 25. Mai 1637, daß es zu spät sei, im Discours noch einen Verweis auf Augustinus einzuarbeiten, weil sich das Werk bereits im Druck befinde und da vor allem auch keine Ähnlichkeiten zwischen der Bedeutung des cogito bei dem Kirchenvater und bei ihm bestünden.1 Der Brief an Mersenne vom 25. Mai 1637 läßt allerdings offen, ob Descartes das Werk von Augustinus bereits vor der Abfassung des Discours gekannt hat. Hierfür gibt natürlich Descartes’ Ausbildungszeit in dem jesuitischen Collège Royal in La Flèche (Anjou) zwischen 1604 – 1612 der Spekulation einigen Spielraum; denn es ist kaum denkbar, daß ihm dort nicht Schriften und Hauptgedanken von Augustinus vermittelt wurden. Descartes hatte im November 1640 – also noch vor dem Erscheinen der 1. Auflage der Meditationes und nach dem Discours – Andreas Colvius für den brieflichen Hinweis gedankt, daß eine dem »Ich denke, also bin ich« analoge Argumentation schon bei Augustinus vorkomme. Auch der Hinweis von Colvius bezieht sich höchstwahrscheinlich, wie auch derjenige von Mersenne, auf Augustinus De civitate Dei (civ. 11,26). Descartes antwortet Colvius, er habe sich aufgrund dieses Hinweises in der Leidener Stadtbibliothek die betreffende Stelle aus dem Werk von Augustinus durchgelesen, und distanziert sich dann deutlich von Augustinus: »Sie haben mich zu Dank verpflichtet, daß Sie mich auf die Stelle beim heiligen Augustin hinwiesen, mit der mein Ich denke, also bin ich einige Beziehung hat. Ich habe sie heute in der hiesigen Stadtbibliothek gelesen, und finde wirklich, daß er sich ihrer bedient, um die Gewißheit unseres Seins zu beweisen, und um hierauf zu zeigen, daß es in uns irgendein Bild der Dreieinigkeit gibt, und zwar in der Weise, daß wir dadurch, daß wir sind, wissen, daß wir sind, und daß wir dieses Sein und dieses Wissen, das in uns ist, lieben; während ich mich meines Gedankens bediene, um erkenntlich zu machen, daß dieses Ich, das denkt, eine immaterielle Substanz ist, die nichts Körperliches hat; was zwei sehr verschiedene Dinge sind. Und dabei ist es etwas an sich so einfach und natürlich zu Folgerndes, daß man, weil man zweifelt, existiert, daß dies wem auch immer hätte in die Feder kommen können.«2 Vgl. Brief an Mersenne vom 25. Mai 1637; Adam/Tannery (= AT) I,376. Vgl. Brief vom November 1640; AT III,247/214. Nach AT ist der Empfänger zwar unbekannt, aber aus AM IV,209, geht hervor, daß Colvius der Empfänger ist und damit offensichtlich auch 1 2
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Auch Arnauld weist Descartes in seinen Einwänden zu den Meditationes, also nach deren Fertigstellung, darauf hin, daß die Gewinnung einer Gewißheit aus dem Zweifel bei Augustinus in De libero arbitrio vorkomme.3 Für diesen Hinweis dankt Descartes und sieht darin ›nur‹ eine autoritative Stützung seiner Argumente; er sagt allerdings nichts darüber, ob ihn diese spezifische Argumentation von Augustinus bei der Abfassung des Discours oder der Meditationes auch inspirierend bestimmt hat. Daran wird deutlich, daß Descartes offensichtlich die Argumentation von Augustinus bei der Abfassung des Discours – der, wie Descartes es selbst bezeugt, im 4. Teil genau dasselbe lehrt wie die Meditationes, nur in gekürzter Form – noch nicht gekannt hat. Dadurch ist eine direkte und unmittelbare Beeinflußung Descartes’ in der Aufstellung seiner antiskeptischen cogito-Argumentation durch Augustinus wohl nicht eindeutig beweisbar. Doch die Ähnlichkeiten zwischen beiden sind offensichtlich; so ist Descartes’ schroffe Abwehr von Ähnlichkeiten wohl dem Willen zu einer nicht traditionsbedingten Neubegründung der Philosophie geschuldet. Descartes weist in dem Brief an Arnauld allerdings auch auf sachliche Unterschiede zwischen der Argumentation von Augustinus in De civitate Dei und seinem eigenen Gedankengang hin.4 der Hinweisgeber für Descartes war; hier wird auch das Datum genauer mit dem 14. November 1640 angegeben. Es ist allerdings schwierig zu eruieren, auf welches Werk von Augustinus Colvius Descartes eigentlich hingewiesen hat, da Descartes in dem Brief vom November 1640 keine genaue Stellenangabe macht und der Brief von Colvius nicht erhalten ist. Es kommen Augustinus’ Werke De civitate Dei und De trinitate in Frage. Aufgrund des Trinitätskontextes, den Descartes in seinem Antwortbrief schildert, scheint sich zunächst De trinitate nahe zu legen; aus dem in zeitlicher Nähe geschriebenen Brief an Mersenne vom Dezember 1640; AT III, 261/ 220 f. geht allerdings hervor, daß Descartes De civitate Dei rezipiert hat: Mersenne hatte Descartes nach der Stelle bei Augustinus gefragt, die Ähnlichkeit mit dem »Ich denke, also bin ich« hat, und Descartes verweist ihn dann auf civ. 11,26 hin. Übrigens hatte – wie gesehen – Mersenne selbst 3 Jahre zuvor Descartes auf diese Stelle aus Augustinus’ De civitate Dei hingewiesen und sie dann offensichtlich wieder vergessen; vgl. Brief an Mersenne vom 25. Mai 1637; AT I,376. Da Descartes auch sonst in seinen Schriften und Briefen De trinitate nicht erwähnt, ist wohl eher davon auszugehen, daß sich Descartes auf De civitate Dei bezieht. 3 Vgl. Med., 4. Objectiones von Arnauld; AT VII,197/178. 4 Auf das Verhältnis von Descartes zu Augustinus gehen die Descartes- und die AugustinusForschung seit langem und kontrovers ein; vgl. z. B.: Léon Blanchet: Les antécédents historiques du ›Je pense, donc je suis‹. Paris 1920; Stefan Gilson: Der heilige Augustin. Eine Einführung in seine Lehre, 427 – 445; Etienne Gilson: Études sur le Rôle de la Pensée Médiévale dans la Formation du Système Cartésien; Gilson betont die Analogien zwischen Augustinus und Descartes: Beide vertreten einen Rationalismus mit systematischen Ansprüchen, der jeweils im Zentrum zu einem philosophischen Gottesbeweis führt; Nigel Abercrombie: Saint Augustine and Classical French Thought betont dagegen, daß bei Augustinus Seins- und Denkgewißheit des Ich lediglich als eine unsystematische Vorform mit nur scheinbarer Ähnlichkeit zur Argumentation von Descartes vorliege; vgl. auch Henri Gouhier: Cartésianisme et Augustinisme au XVIIe siècle; neuerdings zum Thema vgl. Christopher Kirwan: Augustine against the Skeptics; Gareth B.
gründe des zweifels bei augustinus und descartes
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Wenn man sich mit den antiskeptischen Strategien zur Begründung von Wissen und Wahrheit bei Augustinus und Descartes beschäftigt, ist zunächst zu klären, gegen welche Skepsis sich der jeweilige Denker richtet. Immerhin gibt es zu Lebzeiten von Augustinus bereits seit gut 700 Jahren eine breite, explizit skeptische Tradition; Pyrrhon, der Begründer der wohl konsequentesten Richtung der Skepsis, ist etwa 365 v. Chr. geboren und übernimmt teilweise erkenntniskritische Grundsätze von Demokrit. Wenn man also untersuchen möchte, wie Augustinus und Descartes die Skepsis zu widerlegen versuchen, muß zuvor geklärt werden, gegen welche Richtung der Skepsis sie überhaupt argumentieren und ob es ihnen damit gelingt, auch andere Formen der Skepsis zu treffen, oder ob ihre Argumente nur spezifische Prämissen spezifischer Skepsisrichtungen treffen. Kurz nach seiner Konversion zum Christentum im Jahr 386 richtet sich die antiskeptische Argumentation von Augustinus noch gegen eine spezifische Skepsisrichtung mit spezifischen Prämissen. Dies sind einerseits die Akademische Skepsis der Mittleren und Neuen Platonischen Akademie und andererseits der skeptische Probabilismus Ciceros. Um 273 v. Chr. wurde Arkesilaos zum Haupt der Mittleren bzw. Neuen Akademie, und dieser vertritt eine radikale Form der Skepsis; um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. wird Karneades Matthews: Thought’s Ego in Augustine and Descartes; Stephen Menn: Descartes and Augustine; zum Thema auch Christoph Horn: Welche Bedeutung hat das Augustinische Cogito?, Horn hebt sowohl Unterschiede als auch Ähnlichkeiten hervor; so betont er zu Recht z. B. die Parallele, daß weder Augustinus noch Descartes mit dem cogito ein empirisches Ich konzipiert, woraus er folgert, daß beide Denker ein transzendentales Ich entworfen haben. Er macht zu Recht darauf aufmerksam, daß es für Augustinus insbesondere in der antiken Ethik mit dem Orakelspruch aus Delphi – »Erkenne Dich selbst« – und dessen Rezeption bei Platon, Aristoteles und im Neuplatonismus Vorläufer gegeben hat. Zu Motiven des Selbstbewußtseins aus der antiken Philosophie, mit denen es Berührungspunkte bei Descartes gibt, vgl. Léon Blanchet: La préparation du ›Cogito‹ Cartésien dans la philosophie grecque de l’antiquité. Zu der Verwandtschaft der Methode der Meditation bei Descartes und der des Selbstgesprächs in Augustinus’ Soliloqien vgl. Rüdiger Bubner: Antike Themen und ihre moderne Verwandlung, 137 f. Vgl. auch Elizabeth Anscombe: Die erste Person. In: Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, 84 – 109; sie sieht keine wesentlichen Differenzen zwischen Augustinus und Descartes und stellt im Rahmen einer grammatisch-syntaktischen Untersuchung die subjektkritische These auf, daß der Ausdruck ›ich‹ auf nichts referiert, kein Eigenname ist und auch nicht wie ein Eigenname verwendet wird. Letztlich ist der Ausdruck ›ich‹ nach Anscombe lediglich eine ›grammatikalische Illusion‹; mit dieser Ansicht wird die Wittgenstein-Schülerin deutlich. Nach Anscombe ist Selbst-Wissen nur bezüglich eines Objekts möglich, ein solches ist der lebendige menschliche Körper, der von ihr als die ›Person‹ gesehen wird. Nur der menschliche Körper als Person läßt sich hinsichtlich seiner Ich-Gedanken, Zustände, Handlungen und Bewegungen aus der objektiven Perspektive der dritten Person analysieren. Augustinus und Descartes würden hierauf wohl entgegnen, daß Anscombe den Zweifel nicht radikal genug vollzogen hat und auf der Ebene der empirischen Wirklichkeit stehengeblieben ist, denn menschlich-körperliche Zustände lassen sich bezweifeln; nicht aber deren Bewußtheit. Man kann auch daran zweifeln, ob ein spezifischer Inhalt des Bewußtseins eine korrekte Repräsentation ist, aber nicht an dessen Bewußtheit überhaupt.
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dann Leiter der Neuen Akademie und hat als ein besonders radikaler Vertreter einer dialektischen Skepsis zu gelten.5 Von dieser Skepsistradition hat Augustinus durch Ciceros Schriften Kenntnis, und er identifiziert teilweise die Referate der Akademischen Position durch Cicero mit dessen eigenen Ansichten. Von einer ebenfalls besonders radikalen Form der Skepsis, dem Pyrrhonismus, hatte Augustinus keine Kenntnis; wahrscheinlich aus zwei Gründen: 1., weil diese Richtung nur auf Griechisch tradiert war, das der Kirchenvater nur spärlich beherrschte, und 2., weil die Akademische Skepsis und Cicero, auf die sich Augustinus hauptsächlich bezieht, diese Richtung der Pyrrhonischen Skepsis als Konkurrenten sahen und sie insbesondere durch Nichter wähnung bekämpften. Der späte Augustinus entwickelt aber im Ausgang von seinem si fallor, sum‹ durchaus eine generellere antiskeptische Strategie; die sich nicht mehr nur gegen eingegrenzte Skepsisformen wendet. Bei Descartes findet sich bekanntlich die zu ›si fallor, sum‹ von Augustinus analoge Formulierung des ›cogito, ergo sum‹; auch Descartes richtet sich damit gegen eine generelle Form der Skepsis, die nicht spezifische Prämissen voraussetzen muß. Descartes hat einerseits die Akademische Skepsis vor Augen – die ihm so geläufig ist, daß er, wie er sagt, diesen »Kohl nur mit Widerwillen aufwärmt«6 –, ihm sind offensichtlich Ciceros Traumargument und das genius-malignus-Argument (vgl. Cicero: Acad. 2,47) bekannt, und andererseits hat er auch die Pyrrhoneer als Gegner. Descartes sieht sich selbst als ersten, dem eine umfassende Widerlegung der Skepsis gelingt.7 Die Argumente gegen eine spezifischere Form der Skepsis haben natürlich weniger Schlagkraft und keine Allgemeingültigkeit, wenn man die spezifischeren Annahmen mit wiederum spezifischen Voraussetzungen bezweifelt. Diese geringere Schlagkraft ergibt sich also, wenn, wie beim frühen Augustinus, die Gegenargumente nur dann gelten, wenn man zuvor gewisse Prämissen akzeptiert hat. So erwidert der frühe Augustinus z. B., daß doch wohl auch der Skeptiker als gewiß zugeben muß, daß er weiß, daß er ein Mensch und keine Ameise ist (Acad. 3,22). Nach den Maßstäben von Descartes, stellt ein solcher Appell an die Alltagsintuition jedoch keine Gewißheit her, denn Descartes betrachtet es sogar als zweifelhaft, ob er gerade in seinem Zimmer am Kamin sitzt und ob ihm der eigene Leib tatsächlich zugehört. Das Ziel einer umfassenden Kritik der Skepsis muß es also sein, sich mit möglichst voraussetzungslosen Argumenten gegen eine ebenfalls voraussetzungslose Skepsis zu wenden und sie des Selbstwiderspruchs zu überführen. Diese VorVgl. Myles Burnyeat: Can the Skeptic Live His Skepticism, 144, Anm. 16 u. 22; ders.: Carneades Was No Probabilist. 6 Vgl. Med. 2. Resp. gegen Mersenne; AT VII,130/118. 7 Vgl. Descartes’ Brief an Renieri vom April 1638: »Wenngleich die Pyrrhoneer keine sicheren Schlüsse aus ihren Zweifeln ziehen konnten, so folgt nicht, daß dies niemand kann.« In Descartes: Philosophical Letters, 53; Übers. R.S. 5
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aussetzungslosigkeit von spezifischen Prämissen ist der Grund, weshalb die antiskeptischen Argumentationsstrategien von Augustinus und Descartes lebendig sind und über die Geschichte hinweg in einer lehrreichen Tradition nach wie vor die Wahrheits- und Wissenssuche der Philosophie befeuern können.
1. Augustins Auseinandersetzung mit der Skepsis in der Frühphilosophie
Die Skepsis ist ein ständiger Begleiter in der philosophischen Selbstverständigung des Kirchenvaters von den frühesten bis zu den spätesten Schriften, und sein Verhältnis zu ihr wechselt zwischen begeisterter Anhängerschaft, argumentativ subtiler Ablehnung und partieller Aufnahme skeptischer Argumente, z. B. gegen den Manichäismus. Augustins antiskeptisches Argumentieren findet sich schon in dem ersten seiner überlieferten Werke, in De Academicis,8 das er mit etwa 32 Jahren verfaßte; in dieser Phase hatte er sich zwar schon für das Christentum entschieden, in seinem Denken sind doch auch noch Aspekte des paganen Neuplatonismus stärker präsent, zudem finden sich einige stoische Elemente. Schon als er noch Student in Karthago war, hatte ihn, im Alter von 19 Jahren, Ciceros nicht überlieferte Schrift Hortensius stark beeindruckt; ebenso hat er Ciceros Academica studiert. Cicero hat hiervon zwei Versionen geschrieben, von beiden sind jedoch nur Teile überliefert; welche Version Augustinus kannte, ist nicht mehr zu eruieren. So sehr war Augustinus von Ciceros Skepsisdarstellung beeindruckt, daß er zuerst die Bibellektüre gegen die Brillanz der Weisheitssuche Ciceros als gering achtete (vgl. conf. 3,5). Er schließt sich dann einem Manichäismus an, der in seinem Synkretismus durchaus auch Christus verehrt und insbesondere meint, ›Inkonzinnitäten‹ des Alten Testaments bekämpfen zu müssen. Daß an dieser Glaubensrichtung bei Augustinus Zweifel aufkommen, ist auch ein Verdienst der Skepsis, denn er schätzt die skeptischen Philosophen der Akademie nun höher (vgl. conf. 5,10) und deren Argumente gegen ein radikal dualistisches System leuchten ihm ein. Daran wird jedenfalls deutlich, daß Augustinus in diesem Fall durchaus die philosophische Argumentation und Konsistenzprüfung als Kriterium für eine Glaubensrichtung ansah.9 Zu diesem Zeitpunkt, so führt Augustinus aus, durchschaute er jedoch noch nicht die wahre Absicht der Akademischen Skepsis. Diese wahre Absicht deutet er später (Acad. 3,37; vgl. conf. 5,19) so, daß die Akademiker die Skepsis eigentlich nur als proVgl. hierzu die glänzende Darstellung von Christopher Kirwan: Augustine, 15 – 34; ders.: Augustine against the Skeptics; vgl. auch die sehr erhellende Studie von Gerard O’Daly: The response to skepticism and the mechanisms of cognition. 9 Christoph Horn: Augustinus, 39, argumentiert daher, daß für Augustinus hier die Skepsis als ›philosophische Bewährungsprobe‹ fungierte, der die Manichäer ›nicht standhielten‹. 8
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pädeutische Zweifelsmethode einführten, um einerseits die falschen Meinungen der Schüler zu destruieren und um sie zu den wahren Dogmen der Philosophie Platons hinzuführen und um andererseits Uneingeweihte abzuschrecken und so den esoterischen Charakter der wahren Lehre Platons zu schützen. Die wahren Dogmen des Platonismus bestünden in der ungeschriebenen Lehre Platons, deren esoterischen Charakter man in der Akademie mittels der Abschreckungen durch die Skepsis schützen wollte. – Wie man heute weiß, ist diese Deutung falsch, bei den Akademikern Arkesilaos und Karneades handelte es sich um echte Skeptiker.10 – Doch in jener Phase, als bei Augustinus Zweifel am Manichäismus aufkamen, war es die argumentative und rhetorische Perfektion der akademischen Skeptiker, in der Überlieferung durch Cicero, die ihn beeindruckte. Nach den Zweifeln am Manichäismus folgte eine Phase des Platonismus bzw. des Neuplatonismus, die eine geistige Schau eines ebenfalls geistigen Gottes postuliert, also zu einer Intellektualisierung der Theologie führte. 386 erfolgt dann die Konversion zum Christentum, nachdem Augustinus klar wurde, daß der Platonismus hochmütig macht (vgl. conf. 7,20). Kurz darauf verfaßt er die antiskeptische Schrift De Academicis. In den späten Retractationes (1,1) führt Augustinus aus, daß er sich in dem Frühwerk De Academicis geistig gereinigt habe, indem er die stärksten und auch ihn selbst beeinflußenden Zweifelsargumente untersuchte, die, wie er nun meint, viele Menschen von der Wahrheit abhielten. Wenn sich Augustinus hier gegen die Akademischen Philosophen richtet, dann sind mit Arkesilaos und Karneades genau jene Skeptiker der Platonischen Akademie gemeint, die Cicero in seiner Schrift Academica referierte. Augustinus beschreibt, daß man nach diesen an allem zweifeln könne und der Mensch nicht in der Lage ist, Wahrheit zu erkennen. Dies ist eine vereinfachende Darstellung des Skeptizismus; die skeptischen Akademiker Arkesilaos und Karneades vertraten jedoch einen diffizileren Skeptizismus, denn nach ihnen ist auch ein negativer Dogmatismus, der besagt, daß nichts gewußt werden kann oder daß generell keine wahren Einsichten für uns möglich sind, eben auch schon wieder ein Dogmatismus, wenn auch ein negativer. Daher würden die Skeptiker der Akademie nur sagen, daß für uns eine Entscheidung darüber, ob wir über Wissen oder Wahrheit verfügen, nicht möglich ist; wir wissen eben nicht, ob wir wissen oder nicht wissen. Damit wird eine auch gegenüber dem um sein Nichtwissen wissenden Sokrates radikalisierte und konsistentere ›Position‹ bezogen. Die Skeptiker selbst können an Sokrates kritisieren, daß er, wenn er weiß, daß er nicht weiß, durchaus etwas weiß; was einen Widerspruch in sich bildet; hebt man jedoch auch diesen Anspruch auf das Wissen des Nichtwissens auf, dann ist dieser Widerspruch beseitigt; man weiß dann nicht, ob man nicht doch weiß. Dies stellt die Möglichkeit eines umfassenden Agnostizismus dar, der sich nicht einfach beim Zweifel 10
Vgl. hierzu Friedo Ricken: Antike Skeptiker, 29 ff. und 53 ff.
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und Nichtwissen begnügen kann, sondern immer die Möglichkeit mitberücksichtigt und zu erforschen verpflichtet ist, ob nicht doch ein Wissen möglich ist. Die jeweils neue Untersuchung von möglichem Wissen und erneutem Zweifel führt jedoch immer wieder zu dem Resultat des Agnostizismus und zu einer erneuten Urteilsenthaltung. Insbesondere Arkesilaos vertrat einen solchen radikalen Skeptizismus, der die Epoché, die Urteilsenthaltung, zur letzten Konsequenz aller theoretischen Nachforschungen erhob. In dieser Hinsicht bildet Ciceros Darstellung der Skepsis eine Verfälschung, denn Cicero selbst vertritt eine Form der Skepsis, die als Probabilismus zu bezeichnen ist. Diese sagt nicht, daß Wissen und Wahrheit für uns unentscheidbare Aporien darstellen, sondern daß es nur ein Wahrscheinlichkeitswissen gibt und daß wir uns der Wahrheit in Wahrscheinlichkeitsaussagen annähern können; wir erreichen eine Wahrheitsähnlichkeit; Cicero bezeichnet dies als ›verisimile‹. Cicero verfälscht damit einerseits die Akademische Skepsis und integriert andererseits stoische Elemente in die Skepsis, z. B. mit seiner Aufnahme des kataleptischen Eindrucks, der phantasia kataléptiké, als eines Wahrheitskriteriums, das uns eine gewisse Evidenz und Glaubwürdigkeit bei unseren Erkenntnissen annehmbar macht; hier integriert Cicero Elemente der materialistisch-stoischen Epistemologie in seine probabilistische Skepsis. Der erfassende Eindruck, die phantasia kataléptiké, wird von dem Stoiker Zenon von Krition als Wahrheitskriterium eingeführt und Cicero übernimmt dies in seinen eigenen Probabilismus. Augustinus deutet nun, daß auch die Skeptiker den erfassenden Eindruck als Wahrheitskriterium zugelassen hätten, was so nicht der Fall ist. Denn entweder kann der Skeptiker Wahrheitskriterien generell bezweifeln oder er kann sagen, daß wir zwar mit dem kataleptischen Eindruck ein formelles Wahrheitskriterium haben, aber kein Mensch dazu in der Lage ist, dies zu erfüllen. In De Academicis (2,16) wendet sich Augustinus nun gegen eine solche Position des skeptischen Probabilismus, mit einer Argumentation, die sich schon bei Platon findet:11 Augustinus argumentiert antiskeptisch, daß eine Annäherung an die Wahrheit den Vergleich einer bestimmten Proposition mit der Wahrheit selbst impliziert, und ein solcher Vergleich ist doch nur dann möglich, wenn das, was der Wahrheit ähnlich sein soll, zuvor im Lichte der Kenntnis der Wahrheit beurteilt wurde. Ein Vergleich von x mit y impliziert danach ein vorgängiges Wissen von y. Es muß ein allem Vergleichen und damit aller Wahrscheinlichkeit und Ähnlichkeit vorgängiges, apriorisches Wissen von Wahrheit geben, will man Wahrheitsähnlichkeit oder Wahrscheinlichkeit als solche beurteilen. Augustins Argument trifft jedoch nicht wirklich die Skepsis, denn man kann mittels eines hypothetischen Konditionals dieses Problem umgehen: »Wenn es Wahrheit oder Wissen gäbe, dann müßten sie so und so bestimmt sein, ob es aber Wahrheit gibt, ist eben unentschieden.« 11
Vgl. Platon: Phaidon 74d – e und Phaidros 259e – 260c.
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Ein weiterer Aspekt der antiskeptischen Argumentation Augustins besteht darin, daß er den kataleptischen Eindruck, die phantasia kataleptiké der Stoiker, aufnimmt. Dieser erfassende Eindruck ist nach stoischer Lehre ein Wahrheitskriterium, das eine unwillkürliche Zustimmung zu einem mentalen Erlebnis von uns herausfordert. Augustinus schließt sich der Kritik der akademischen Skeptiker an den Stoikern an, wenn er ausführt, daß ein kataleptischer Eindruck nur dann vorliegen kann, wenn der Gegenstand des Wissens eine Proposition ist und wenn propositionale Gehalte des weiteren solche sind, die vom Intellekt erfaßt werden. Weder liegt in einem Sinneseindruck selbst unmittelbare Zustimmung noch müssen wir einem Sinneseindruck unmittelbar zustimmen (Acad. 2,11). Der erfassende Eindruck ist ein unfehlbares Wahrheitskriterium, das in allem, was unwahr ist, notwendigerweise nicht anwesend ist. Falschem kann man also nicht mit einem erfassenden Eindruck zustimmen. Die Wahrheit von Propositionen kann daher nicht mit Falschheit vermischt werden. – Cicero konstruiert in diesem Kontext eine täuschende Gottheit, die uns in Fällen täuschen könnte, in denen wir meinen, eine wahre Impression zu erleben (vgl. Cicero: Acad. 2,47). Doch Cicero zieht nicht die zu dem ›hyperbolischen‹ Skeptizismus Descartes’ führende Konsequenz, daß dann, wenn wir einen Täuschergott widerspruchsfrei konstruieren können, alles, was wir für gewiss halten, falsch sein könnte; Cicero begnügt sich damit, daß Zahlreiches falsch sein könnte.12 – Nach Augustinus erfüllen mathematische Gleichungen, logische Gesetze und subjektiv selbstbezügliches Wissen dieses Wahrheitskriterium (vgl. Acad. 2, 9; 3,23 – 26). Derartige Wahrheiten sind nicht nur dann wahr, wenn der Mensch, der sie gerade denkt, wach ist, sondern auch, wenn er schläft, ja selbst wenn »die gesamte Menschheit schnarcht« (Acad. 3,25) – dies weist natürlich bereits auf das Traumargument bei Descartes voraus, der ebenfalls die mathematischen und logischen Wahrheiten als unabhängig gegenüber dem Wach-Schlaf-Zustand desjenigen deutet, der den Gedanken gerade denkt (vgl. 1. Med.; AT,20/69). Auch logische Prinzipien wie der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch oder vom ausgeschlossenen Dritten sind nach Augustinus notwendige Wahrheiten. Augustinus nennt Beispiele für notwendigerweise wahre Sätze: »Dieselbe Seele kann nicht gleichfalls sterben und unsterblich sein«, »Es gibt eine Welt oder es gibt mehrere Welten.« (Acad. 3,23; 3,29) Aber hinsichtlich dieser Propositionen gelten die folgenden drei skeptischen Bedenken: 1. Tatsächlich wahr sind sie nur, falls es sich um vollständige Disjunktionen handelt; sollte es nämlich z. B. gar keine Welt geben, dann ist die Disjunktion zwar nicht falsch, aber sie ist sinnlos, weil sie auf nichts referiert, oder sollte es z. B. etwas anderes als eine Welt geben, dann ist auch die Disjunktion, daß es eine oder Vgl. hierzu Myles Burnyeat: Idealism and Greek Philosophy: What Descartes Saw and Berkeley Missed, bes. 36 f. 12
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mehrere Welten gibt, nicht notwendigerweise wahr und kann falsch sein. Augustinus wendet gegen eine solche Möglichkeit ein, daß wir den Weltbegriff neu zu bestimmen haben, nämlich all das ist die Welt, was uns als solche erscheint, die Summe der Erscheinungen bildet die Welt (Acad. 3,24). Das Neuartige an dieser ›quasi terra‹ besteht darin, daß sie von Augustinus als ein Gegenargument gegen die Skepsis entwickelt wird, daß er also nicht bei dem Argument der Skeptiker stehen bleibt, alles könnte bloß scheinbar sein und wir sollten uns deshalb des Urteils über die Wahrheit enthalten; vielmehr wird bei Augustinus die als sicher gewußte scheinbare Welt zum Ausgangspunkt für den Versuch, wahre Urteile zu fällen. Wenn man jedoch eine umfassende Erscheinungswelt, die ›quasi terra‹ zuläßt, liegt die Gefahr eines unentrinnbaren Solipsismus nahe – was den Skeptiker wiederum freut, weil es Wasser auf seine agnostizistischen Mühlen ist. Der Skeptiker kann gegen die Disjunktion, daß die Seele entweder sterben kann oder unsterblich ist, einwenden, diese könnte nicht vollständig sein, z. B. weil die Seele gar nicht existiert; dann ist auch die Disjunktion nicht wahr. Die Disjunktion ist in diesem Fall, wenn die fragliche Entität gar nicht existiert, zwar auch nicht falsch, denn man kann sie auch als hypothetisches Konditional formulieren und sagen: »Wenn es eine Seele gäbe, wäre sie entweder sterblich oder unsterblich.« Doch diese Aussage ist, sofern es keine Seele gäbe, weder wahr noch falsch, denn deren Intension hätte keine Extension; d. h., es gibt keine Entitäten, die unter einen solchen Begriff fallen; die Aussage wäre also sinnlos. Zumal man hier auch noch das Bedenken haben kann, daß es sich nicht um eine kontradiktorische, also um eine logische Opposition handeln könnte, sondern um eine konträre Opposition und diese sind prinzipiell keine logischen Wahrheiten. Eine logische, d. h. kontradiktorische Opposition scheint doch eher in der Opposition von sterblich und nicht-sterblich zu bestehen. Das Prädikat nicht-sterblich ist jedoch völlig inhaltsleer, weil damit nur gesagt ist, was die Seele nicht ist, aber kein erfüllender Inhalt für die fragliche Entität angegeben wird, und dies sagt nichts über die Seele aus, ganz im Unterschied zu dem Prädikat der ›Unsterblichkeit‹.13 2. der akademische Skeptiker Karneades könnte Augustinus durchaus zustimmen, daß logische Wahrheiten notwendigerweise unsere Zustimmung herausfordern, jedoch: Was ist damit an inhaltlicher Erkenntnis gewonnen, daß es z. B. mindestens eine oder keine Welt geben muß oder damit daß die Seele entweder sterblich oder nicht-sterblich ist, wenn diese Aussagen in ihrer Unentschiedenheit Auf den Unterschied der Urteile: 1. Die Seele ist nicht sterblich, 2. die Seele ist nicht-sterblich und 3. die Seele ist unsterblich, weist bereits Kant hin, vgl. Kritik der reinen Vernunft B 97 f. Nach Kant liegen der Qualität nach verschiedene Urteile vor, das erste Urteil ist ein verneinendes; d. h. als Kopula wird hier das ›ist nicht‹ verstanden; das zweite Urteil ist ein unendliches, d. h. die Kopula ist bejahend und das Prädikat ist verneinend, und das 3. Urteil ist ein bejahendes Urteil. 13
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stehen bleiben müssen? Karneades würde sagen, daß solche logischen Wahrheiten keinen Erkenntnisgewinn einbringen. Dem wird ja auch später noch Kant zustimmen, wenn er die Logik auf einen Kanon der Wahrheit restringiert und sie nicht mehr als Organon der Wahrheit zuläßt. Auch wenn Wittgenstein im Tractatus logische Sätze als auf Tautologien zurückführbar darstellt, die zwar notwendigerweise wahr, aber ohne allen epistemischen Wert bezüglich der Wirklichkeit sind, zeigt sich dasselbe Problem derartiger Aussagen. Und 3. kann der Skeptiker einwenden, selbst wenn logische und mathematische Propositionen notwendigerweise wahr wären, ist immer noch zwischen diesen selbst und unseren Fähigkeiten, diese zu erfassen, zu unterscheiden, es ist schließlich schon oft vorgekommen, daß zwar die logische Proposition wahr ist, jedoch unser Zugang zu ihr falsch war; was sollte es ausschließen, daß z. B. unser aktuelles Wissen über den Satz vom ausgeschlossenen Dritten oder über den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch diesen Gedanken tatsächlich kompetent entspricht? Auf diesen Unterschied zwischen Wahrheit und Verifikation von Aussagen weist z. B. Rudolf Carnap zu Recht hin.
2. ›Si fallor, sum‹ und ›cogito, ergo sum‹. Die Gewißheit des ›ego‹ bei Augustinus und bei Descartes
Wie bereits erwähnt, beinhalten nach Augustinus auch unmittelbare subjektive Gewißheiten einen erfassenden Eindruck, eine phantasia kataléptiké. Hierin ist der Keim für den genialen Gedanken von Augustinus zu sehen, daß auch Gedanken wie: »Ich existiere«, »Ich bin am Leben« und »Wenn ich getäuscht werde, existiere ich« notwendigerweise wahr sein müssen.14 Hier fallen Wahrheit und Verifikation zusammen. Daß Augustinus diese subjektiven Gewißheiten in De Academicis noch in einer Reihe mit den logischen und mathematischen Gewißheiten nennt (vgl. Acad. 3,21, 23, 25, 29), zeigt einen zentralen Unterschied zu Descartes, denn dieser rückt die subjektiven Gewißheiten in den obersten Rang, die Gewißheit mathematischer und logischer Sätze folgt aus der Gewißheit des Subjekts. Es sind also diese subjektiven Gewißheiten, die gegen die Skepsis resistent sind, die Augustinus dann später zu seiner Antizipation des Cartesischen ›cogito, ergo sum‹ führen, indem er diese Gewißheit in dem Gedanken ›si fallor, sum‹ fokussiert. Subjektive Gewißheit und Wahrheit der Aussage kommen zur Deckung. Augustinus Vgl. beata v. 2,7; sol. 2,1,1; lib. arb. 2,3, 7; vera rel. 39,73; trin. 10,10, 14; civ. 11,26. Christopher Kirwan (Augustine, 30) vermutet, daß Augustinus zur Zeit der Abfassung von De Academicis derartige Gedankengänge noch nicht hatte; Therese Fuhrer (Augustin Contra Academicos, 323) sieht dagegen Ähnlichkeiten in Acad. 3,9, 19 und 3,10, 22 zu dem ›si fallor, sum‹. 14
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argumentiert schon in den beiden Werken, die kurz nach De Academicis entstanden sind, in De libero arbitrio (2,3) und in De vera religione (72), daß, wer sich täuschen kann, auch existieren muß, da sonst keine Täuschung vorliegen kann. In beiden Werken tritt dieser geniale Gedanke jedoch nur am Rande auf. Eine ausführliche Stelle findet sich dann in De civitate dei: »Denn wir sind, wissen, daß wir sind, und lieben dies unser Sein und Wissen. In diesen drei Stücken, die ich nannte, verwirrt uns kein falscher Schein der Wahrheit. Denn wir erfassen sie nicht wie die Außendinge mit irgendeinem leiblichen Sinne wie die Farben, wenn wir sehen, die Töne, wenn wir hören, die Düfte, wenn wir riechen, das Schmackhafte, wenn wir schmecken, das Harte und das Weiche, wenn wir tasten. Von diesen sonnenfälligen Dingen tragen wir auch die ihnen ganz ähnlichen, aber nicht mehr körperlichen Abbilder in unseren Gedanken, halten sie in der Erinnerung fest und werden durch sie zum Verlangen angeregt. Doch ohne das Gaukelspiel von Phantasien und Einbildungen fürchten zu müssen, bin ich dessen ganz gewiss, daß ich bin, weiß und liebe. Bei diesen Wahrheiten machen mir die Argumente der Akademiker keinerlei Sorge. Mögen sie sagen: Wie, wenn du dich täuschst? Wenn ich mich täusche, bin ich ja. Denn wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen; also bin ich, wenn ich mich täusche. Da ich demnach bin, wenn ich mich täusche, kann es keine Täuschung sein, daß ich bin; denn es steht fest, daß ich bin, wenn ich mich täusche. Da ich also, auch wenn ich mich täusche, sein müsste, um mich täuschen zu können, täusche ich mich darin gewiss nicht, daß ich weiß: ich bin. Folglich täusche ich mich auch darin nicht, daß ich weiß: ich weiß es. Denn wie ich weiß, daß ich bin, weiß ich auch um eben dies mein Wissen. Und indem ich beides liebe, füge ich den Dingen, die ich weiß, als drittes von nicht geringerer Gewißheit die Liebe hinzu. Denn ich täusche mich nicht darin, daß ich liebe, wenn ich mich nicht in dem täusche, was ich liebe, obschon selbst, wenn dies auch falsch wäre, es doch wahr wäre, daß ich das Falsche liebte. Denn wie könnte man mich mit Recht tadeln und mit Recht von der Liebe zum Falschen zurückhalten, wenn es nicht wahr wäre, daß ich es liebte? Da aber in diesem Falle auch wahr und gewiss ist, was ich liebe, kann niemand bezweifeln, daß auch die Liebe zu dem, was ich liebe wahr und gewiss ist. Denn ebenso wenig gibt es irgendwen, der nicht sein wollte, wie es irgendwen gibt, der nicht glückselig sein wollte. Denn wie kann einer glückselig sein, wenn er überhaupt nicht ist?«15
Dies ist eine genuin philosophische Argumentation bezüglich des selbstbezüglichen Wissens, die gänzlich ohne theologische Voraussetzungen auskommt. Was natürlich nicht heißt, daß aus Augustinus Sicht in früheren oder späteren Argumentationsschritten nicht noch ein theologischer Horizont einzubeziehen ist.
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civ. 11,26; Übersetzung nach Wilhelm Thimme.
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Die Parallelen zu Descartes liegen auf der Hand; in beiden Fällen wird die Seinsgewissheit des denkenden Subjekts von Sinneswahrnehmungen und Phantasievorstellungen unterschieden und gegenüber diesen abgetrennt; Sinneswahrnehmungen und Phantasievorstellungen werden dem Skeptiker gegenüber als täuschungsanfällig zugegeben. In dieser Hinsicht kann man auch die Leib-Seele-Dualität noch als eine Parallele zwischen Augustinus und Descartes bezeichnen.16 Des weiteren gewinnen sowohl der Kirchenvater als auch der Begründer der neuzeitlichen Philosophie die Seinsgewißheit aus einer dem Skeptiker zugegebenen umfassenden Möglichkeit des Irrtums. Damit ist eine weitere Parallele offensichtlich, denn beide gehen vom endlichen Selbst aus. Ein unendliches Subjekt ist infallibel. Aus der Fallibilität des endlichen ego wird die Infallibilität der Seinsgewißheit dieses ego gewonnen. Weiterhin ist parallel, daß der Akt der Täuschung bzw. des Irrtums als ein Denkakt gedeutet wird, den ein Denkender vollzieht, und daß der Denkende, um den Akt vollziehen zu können, existieren muß. Eine weitere Parallele zwischen Augustinus und Descartes besteht darin, daß beide die Relation zwischen Denken und Sein des ego als ein Konditional formulieren. Augustinus beschreibt dies sogar deutlicher als Descartes, wenn er sagt: ›si fallor, sum‹. Das ›si‹ deutet dieselbe notwendige Relation an wie bei Descartes das ›ergo‹.17 Allerdings ist bei beiden mit dieser konditionalen Formulierung nicht intendiert, das Wissen des Ich um sich als einen Syllogismus zu deuten; es handelt sich vielmehr um ein unmittelbares Wissen;18 in dieser Hinsicht ist sicherlich Heidegger zuzustimmen, daß das ›ergo‹ bei Descartes nur für Verwirrung gesorgt habe und man es besser ganz weglassen sollte.19 Gareth B. Matthews (Thought’s Ego in Augustine and Descartes, 15) betont – wie auch Christoph Horn (Welche Bedeutung hat das Augustinische Cogito?, 113) –, daß das Sein des Geistes nach der Konzeption von Augustinus gerade nicht körperlich, sondern rein intellektuell ist. Diese Deutung rein intellektueller und unkörperlicher Seins- und Lebensgewißheit bei Augustinus ist in Teilen Forschung umstritten, da Augustinus manchmal Gedanken formuliert, die die Körperlichkeit von der Gewißheit nicht ausschließen, sondern ausdrücklich einbeziehen; dies betont Kurt Flasch (Augustinus. Einführung in sein Denken, 61 f.); an anderer Stelle seiner Ausführungen sieht dies auch Gareth Matthews (a. a. O., 51), dort betont er, daß Selbstbewußtsein bei Augustinus immer auch körperliche Aspekte habe. Vgl. auch Gareth B. Matthews: Augustine and Descartes on Minds and Bodies. 17 Auf diese Parallele zwischen Augustinus und Descartes macht bereits aufmerksam Heinrich Scholz: Über das ›cogito, ergo sum‹, bes. 138. Scholz hebt hervor, daß Augustinus bezüglich der Betonung der wenn-so-Relation konsequenter war als Descartes. Er untersucht primär, ob das ›cogito, ergo sum‹ ein Satz oder ein Schluß ist. 18 Dieses unmittelbare Wissen bezeichnet Augustinus in De trinitate als ein ›se nosse‹ im Unterschied zu dem ›se cogitare‹, das ein diskursives Selbstverhältnis bedeutet; vgl. hierzu Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus. Selbstreflexion und Erkenntnis Gottes in ›De Trinitate‹, 163 ff., 315 f. 19 Martin Heidegger (Nietzsche Band II, 158 ff.) wendet sich entschieden dagegen, das cogito als Schluß zu deuten. Nach ihm ist das ›ergo‹ nur verwirrend und sollte ganz weggelassen werden, da mit dem cogito-Satz die immediate Mitpräsenz des eigenen Seins im selbstbewußten 16
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Entscheidende Unterschiede bestehen zwischen den beiden jedoch darin, daß Descartes in seiner Form des Rationalismus die Existenzgewißheit des ego methodisch durch einen sich stufenweise steigernden Skeptizismus (1. Med.) gewinnt. Die systematische Verortung des Gedankens wird für dessen Bedeutung entscheidend. Bei Augustinus handelt es sich – mit einem Wort Pascals – um eine ›Gedankenperle‹, die in einem anderen Kontext auftritt. Bei Augustinus ist diese Seinsgewißheit des ego einerseits in einem größeren Kontext in einen Gottesbeweis integriert, und er folgert andererseits aus der Existenzgewißheit des ego dessen trinitarische Struktur. Das Augustinische ego ist gleichursprünglich durch Sein, Wissen und Liebe charakterisiert. Dies ist genau die trinitarische Struktur, die auch Gott selbst zukommt. Das ego wird also von vornherein auf seinen Grund hin als Abbild göttlicher Trinität verstanden – wenngleich es nicht so ist, daß Augustinus einfach die Trinität Gottes für die Trinität im menschlichen ego voraussetzt und dann auf dieses projizieren würde, vielmehr ist – mit dem Wort von Leibniz – von einer Art ›prästabilierter Harmonie‹ auszugehen, denn in einer parallelen Denkbewegung stellt Denken zum Ausdruck gebracht werden soll. Eigentlich solle nur gesagt werden: ›cogito, sum‹. Auch nach Julius Ebbinghaus: Der Gebrauch des Prinzipes ›cogito, ergo sum‹ in der Descartes’schen Philosophie, 313 – 318, ist das ›ergo‹ aus der Formulierung des cogito-Prinzips wegzulassen, da es sich nicht um einen Syllogismus handelt. Die Thematik wurde subtil in der französischen Descartes-Forschung untersucht: vgl. Martial Gueroult: Le cogito et la notion »pour penser, il faut être«, 53 ff. und Ginette Dreyfus: Discussion sur le ›cogito‹ et l’axiome »pour penser, il faut être«, 117 ff. Evert W. Beth: Cogito ergo sum: raisonnement ou intuition?, 223 – 235; deutet das cogito als Intuition, die sich logisch nicht explizieren lasse. Intuitive Beweise könnten als unmittelbare Bekanntheit nicht mit logischen Argumenten zurückgewiesen werden. Bei dieser Deutung ist allerdings problematisch, daß bloße Intuitionen, die sich gedanklich-logisch nicht explizieren lassen, von Skeptikern als wissenschaftlich irrelevant kritisiert werden, da deren Allgemeingültigkeit sich nicht zeigen läßt; dagegen könnte man Wittgensteins Privatsprachenargument wenden. Außerordentlich geistreich ist die Deutung von Geneviève Rodis-Lewis: L’œuvre de Descartes, 243 f., die das ›cogito, ergo sum‹ sowohl als Deduktion als auch als Intuition versteht. Nach ihr ist eine Intuition die Aktualisierung einer einfachen Wahrheit innerhalb einer deduktiven Kette, gleichermaßen ist aber auch die Verbindung zweier Glieder einer Deduktionskette eine Intuition. Das ›cogito, ergo sum‹ ist nach dieser Deutung eine intellektuelle Bewegung, die aus dem Bewußtsein des Denkens das Bewußtsein der Existenz (deduktiv) ableitet; das ›ergo‹ artikuliert diese deduktive Ableitung. Zur Debatte in der anglo-amerikanischen Forschung vgl. Leslie J. Beck: The Method of Descartes, Kap. 4, ist der Ansicht, daß es sich bei dem ›ego cogito, ergo sum‹ um eine einfache ›intellectual intuition‹ handelt. Die Disjunktion zwischen Handlung und Folgerung bezüglich des Selbstbewußtseins hat Jaakko Hintikka geprägt; vgl. Cogito, ergo sum: inference or performance?, 3 – 32; vgl. auch ders.: Cogito, ergo sum as an inference and a performance, 487 – 496; vgl. hierzu Julius R. Weinberg: Cogito, ergo sum: some reflections on Mr. Hintikka’s Article. In seiner sehr subtilen und wohlabgewogenen Interpretation, die sich mit Hintikka auseinandersetzt, vertritt Anthony Kenny: Descartes. A Study of his Philosophy, Kap. 3, die Deutung, daß das ›ego cogito, ergo sum‹ in verschiedenen Hinsichten sowohl intuitiv als auch folgernd ist. Die Problematik behandelt auch Peter Markie: The Cogito and its importance.
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sich einerseits die trinitarische Struktur des ego und andererseits diejenige Gottes heraus. Dies sind jedoch Gedanken oder Voraussetzungen, die ein Skeptiker nicht konzedieren würde; die Descartes daher auch vermeidet. Bei ihm verschiebt sich bezüglich des Verhältnisses von ego und Gott die Beweislast auf das ego, denn aus der Gewißheit des ego heraus, wird die Existenz Gottes bewiesen; es handelt sich bei Descartes in der 3. Meditatio daher um einen egologischen Gottesbeweis, in dem schon all jene gefährlichen Tendenzen der Neuzeit angelegt sind, die Rolle des ego zu überschätzen. Ein weiterer unterschiedlicher Aspekt zeigt sich in Augustins Argumentation, denn Augustinus folgert (civ. 11,26): »Da aber in diesem Falle auch wahr und gewiss ist, was ich liebe, kann niemand bezweifeln, daß auch die Liebe zu dem, was ich liebe wahr und gewiß ist.« Doch hierin wird ein unbegründeter Übergang von der Seinsgewißheit des ego zu dem gemacht, was das ego ist. Bislang hat Augustinus nur bewiesen, daß das ego 1. existieren muß und 2. darum weiß, daß es existiert. Wenn man überdies die voraussetzungsreiche These, daß Liebe in diesem Fall ein intellektuelles und unmittelbar gewisses Gefühl ist, konzediert, dann hat Augustinus sogar bewiesen, daß das um seine Existenz wissende ego 3. sich liebt. Jedoch ist in all dem nicht bewiesen, was das ego ist. Selbst dann, wenn Liebe immer ein intentionaler Akt ist, der auf ein Korrelat ausgerichtet ist, wurde nicht bewiesen, was das ego ist. Es ist nur gewiß, daß ein solches Korrelat, ein x, existiert, aber nicht, was dieses Korrelat ist. Die Existenzgewißheit enthält noch kein das ego inhaltlich bestimmendes Prädikat hinsichtlich seines Was-Seins. Eine Gewißheit dessen, was das ego ist, ist hier also unzulässig. Und das hat bezüglich der Angriffe des Skeptikers entscheidende Konsequenzen, denn wenn notwendigerweise inhaltlich unbestimmt ist, was das ego ist, dann nutzt auch die Existenzgewißheit nicht viel, denn diese ist bloß ein leerer Gedanke, daß es ein x geben muß, das unbestimmt ist. In diese inhaltliche Unbestimmtheit vermag auch die trinitarische Grundstruktur noch keine Füllung hineinzubringen, denn das ursprünglich gewisse Wissen des ego um sich ist ja nur ein Wissen um die Existenz, nicht um das Was-Sein des ego und auch die Liebe ist bloß ein intentional auf die Existenz des Ich gerichteter intellektueller Akt. Das ego bleibt unbestimmt und leer. Dort kann dann natürlich der Skeptiker einhaken und argumentieren, daß eine solche leere Existenzgewißheit auf die Frage: »Was bin ich?«, keine befriedigende Antwort gibt, und daß man zu einer Antwort auf diese Frage auch mittels des leeren ego nicht gelangen kann. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Augustinus und Descartes besteht in der trinitarischen Struktur des ego. Hier deutet Descartes seine Kritik im eingangs zitierten Brief an Colvius vom November 1640 zumindest an, wenn er sich von einer trinitarischen Auffassung der intelligiblen Substanz des ego durch Augustinus distanziert. Der kritische Gedanke Descartes’ läßt sich wohl dahin gehend rekonstruieren, daß die Trinitätsstruktur die Einfachheit und Substantialität
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des ego aus seiner Sicht aufhebt. Die einzelnen Momente der Trinität des ego sind nach Augustinus gleichursprünglich. Aus dieser Gleichrangigkeit folgt, daß in der Trinität keines der Momente einen Vorrang oder eine Prävalenz haben kann; damit findet sich eine spekulative Verschiedenheit in der Identität des ego. Eine solche Verschiedenheit in der einheitlichen Identität ist jedoch mit dem Substanzkonzept Descartes’ inkompatibel. Das ego aus Descartes’ Sicht ist insofern Substanz, als es ein einfacher, zugrundeliegender Träger von Eigenschaften ist. Bei Augustinus ist dagegen der Grund des ego als Abbild der göttlichen Trinität in sich dreieinig. Eine solche Dreieinigkeit würde Descartes als in sich widersprüchliches Konzept für die endliche ego-Substanz wohl ablehnen; weil, was dann natürlich insbesondere Leibniz mit seinem Monadenkonzept im Gefolge von Descartes hervorhebt, die denkende Substanz primär einfach ist. Wenn nach Augustinus ein Moment der Trinität gewiß ist, dann sind es damit auch die anderen. Augustinus vor dem Angriff Descartes’ in Schutz nehmend, kann man sagen, daß Einfachheit und innere Unterschiedenheit bzw. trinitarische Differenziertheit einander nicht notwendig ausschließen. Hier wird deutlich, daß sich Augustinus mit skeptischen Argumenten der Platonischen Akademiker auseinandergesetzt hat und in Gegenwendung zu diesen die Seins-, Wissens- und Liebesgewißheit aufstellt, denn explizit sagt er, die skeptischen Argumente der Akademiker machen ihm angesichts der Gewißheit der Trinität des ego ›keinerlei Sorge‹. Es ist der ›innere Mensch‹, der vermittels einer rein geistigen Erkenntnis die Trinität in sich findet.20 Dieselbe Argumentation vertritt Augustinus auch in trin. 15,12. Nachdem er zunächst die Ideenerkenntnis in Anlehnung an Platon als Wiedererinnerung (anamnesis) der memoria konzipierte, hat sich bei ihm offensichtlich eine entwicklungsgeschichtlich bedingte Änderung bezüglich der Ideenerkenntnis ergeben: In seiner späteren Konzeption versteht er die Ideenerkenntnis als eine Erleuchtung (illuminatio) des menschlichen Geistes durch Gott, genauer durch den intellectus agens. Der aktive nous wird von Augustinus – im Anschluß an Plotin – mit dem göttlichen nous identifiziert, der sich zum passiven nous, der mens humana verhält (vgl. trin. 12; vgl. auch civ. 11,27). Zu diesem Thema vgl. Christoph Horn: Augustinus, 71 – 81 und Ulrich Wienbruch: Erleuchtete Einsicht. Zur Erkenntnislehre Augustins; allgemein zum Verhältnis von Descartes und Augustinus und darin mitenthalten das Verhältnis zu den Neuplatonikern, insbesondere zu Plotin, vgl. Stephen Menn: Descartes and Augustine, 130 ff.; Menn betont die Nähe Descartes’ zu Augustinus, sofern beide eine Einkehr ins Innere vollziehen, um eine Gotteserkenntnis zu erreichen. Allerdings sind daneben auch die Differenzen beider Denker zu betonen: für Descartes sind die angeborenen Ideen innermentale Fähigkeiten und Zustände des endlichen Geistes, die Ideen sind keine Gedanken Gottes, wie dies bei Augustinus in gewisser Hinsicht der Fall ist. Mit der Interpretation der Ideen als Gedanken Gottes klingen bei Augustinus mittelplatonische Motive an, die letztlich auf Xenokrates und die Alte Platonische Akademie zurückgehen. Zu den Bezügen zum Neuplatonismus bei Augustinus vgl. die glänzende Darstellung von Johannes Brachtendorf: Die Struktur des menschlichen Geistes nach Augustinus, bes. 15 ff., 163 ff., 315 ff. Brachtendorf macht deutlich, daß sich Augustinus in der späten Entwicklungsphase zwar von Plotin abwendet, sofern die Trinität nicht nach einem Hypostasenmodell zu denken ist, sondern als Gleichursprünglichkeit der Momente; zugleich aber lehnt sich Augustinus besonders an die nous-Konzeption Plotins an, sofern für beide der 20
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In der teilweise vor teilweise auch gleichzeitig mit De civitate Dei entstandenen Schrift De trinitate,21 wird von Augustinus nicht nur eine ursprüngliche Selbstbezüglichkeit des Geistes gelehrt, sondern auch die Selbstgewißheit des Denkens differenzierter dargestellt als in De civitate Dei:22 »Wer möchte jedoch zweifeln, daß er lebe, sich erinnere, einsehe, wolle, denke, wisse und urteile? Auch wenn man nämlich zweifelt, lebt man; wenn man zweifelt, erinnert man sich, woran man zweifelt; wenn man zweifelt, sieht man ein, daß man zweifelt; wenn man zweifelt, will man Sicherheit haben; wenn man zweifelt, denkt man; wenn man zweifelt, weiß man, daß man nicht voreilig seine Zustimmung geben dürfe. Wenn also jemand an allem anderen zweifelt, an all dem darf er nicht zweifeln. Wenn es diese Vorgänge nicht gäbe, könnte er überhaupt über nichts zweifeln.« Mit dem letzten Satz führt Augustinus ein transzendentales Argument aus; er führt nämlich vor Augen, daß Denken ›Bedingung der Möglichkeit‹ ist, um zweifeln zu können. Gesteht der Skeptiker also die Möglichkeit des Zweifelns ein, dann muß er auch die diesem vorgängige Bedingung des Denkens zugestehen. Augustinus konzipiert hier sogar eine unendliche Anzahl von Gewißheiten, und es ist nur durch die Endlichkeit unseres Intellekts bedingt, daß wir nicht die ganze Unendlichkeit der Gewißheiten begreifen können. Es ist allerdings nicht zu verifizieren, ob Descartes De trinitate gekannt hat. Da er diese Schrift weder in den Werken noch in den Briefen erwähnt, ist jedoch zu vermuten, daß er diese Schrift von Augustinus nicht gekannt hat.23 nous in seiner vollkommenen Selbstbezüglichkeit eine Einheit in Verschiedenheit oder eine Verschiedenheit in Einheit bildet. Allerdings verzichtet Augustinus auf eine noch jenseits des nous liegende und diesen allererst begründende Einheit (das transzendente, überseiende Eine der Neuplatoniker). Positiv nimmt Augustinus von Plotin bezüglich der Trinität und der Ideen als Gedanken Gottes dessen spekulative Konzeption auf, daß in jedem einzelnen Moment des nous die anderen Momente und die Ganzheit mitenthalten sind. Bezüglich des endlichen Geistes des Menschen und der berühmten Einkehr nach Innen gilt nach Augustinus, daß dieser sich nur vermittelt und diskursiv auf sich selbst richten kann; dies geschieht dann, wenn er z. B. die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele stellt. Das Innere des endlichen Geistes dient lediglich als Durchgangsstation auf dem Wege zu Gott. Augustinus konzipiert allerdings in De trinitate auch eine unmittelbare Selbstbezüglichkeit und Selbsterfassung des endlichen Geistes. Diese vollzieht sich nach Brachtendorfs Deutung unbewußt und kontinuierlich als Bild Gottes in uns, kann allerdings reflexiv bewußt gemacht werden. Vgl. die trinitarische Struktur verdeutlichend ders.: Der menschliche Geist als Bild des trinitarischen Gottes – Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten, 155 – 170. Vgl. hierzu auch Christoph Horn: Selbstbezüglichkeit des Geistes bei Plotin und Augustinus. 21 Augustinus’ De civitate Dei entstand zwischen 413 – 427 und De trinitate zwischen 399 – 419. 22 Augustinus trin. 10,10; Übersetzung nach Michael Schmaus: Über die Dreieinigkeit, 87; Hervorh. R. S. 23 Henri Gouhier (Cartésianisme et Augustinisme au XVIIe siècle, 98 ff.) vertritt die Ansicht, daß Descartes in seiner Ausbildungszeit in dem jesuitischen Collège Royal in La Flèche (Anjou)
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Die Geistkonzeption von Augustinus läßt sich, ausgehend von der Darstellung in De trinitate, dahin gehend differenzierter explizieren, als der Geist selbst aus der Trinität der Vermögen intellectus (Erkenntnisfähigkeit), memoria (Erinnerung) und voluntas (Wille) besteht. Da der Geist einfach und ganzheitlich ist, sind diese drei Vermögen nicht als reelle Bestandstücke oder Teile zu verstehen, sondern als gleichursprüngliche Momente, in denen jeweils ein spezifischer Aspekt prävaliert; diese Momente sind an sich miteinander identisch. Der intellectus bezeichnet das Erkenntnisvermögen des reinen Geistes. Die memoria hebt hervor, daß es sich bei dem vom intellectus Gewußten um rein innerliche Bestimmungen handelt, die nicht aus der Sinnlichkeit bzw. der äußerlichen Körperlichkeit stammen. Memoria bezeichnet also nicht spezifisch das menschliche Gedächtnis, sondern meint die Erinnerung, den Rückgang des Geistes auf dasjenige, was ursprünglich in ihm ist. Wenn in De trinitate der Geist mittels der ›Erinnerung‹ bestimmt wird, dann grenzt dies von vornherein alle Sinnlichkeit und Körperlichkeit von der Erkenntnis des Intellekts aus. Erkennbar sind ausschließlich intelligibilia. Voluntas bezeichnet in einem allgemeinen Sinn die Intentionalität des Geistes; also daß der Geist im Erkennen und Erinnern auf etwas gerichtet ist, das er anstrebt. Alle drei Momente bilden nach Augustinus eine Substanz, und gleichermaßen sind auch alle drei jeweils eine für sich bestehende Substanz. Die drei Momente sind nämlich nicht akzidentelle Eigenschaften, die dem Geist als zugrundeliegender Substanz zukommen, sondern diese drei Momente haben ontologisch ebenfalls jeweils die Dignität einer Substanz, weil jedes der Momente zugleich ein Ganzes ist. Mit Augustinus läßt sich hier eine ›trinitarische Logik‹ entwickeln, bei der gilt: 1 = 2, 2 = 3 und 3 = 1. Dieses drei-einige ego aus De tinitate entfaltet Augustinus allerdings nicht einfach an dem Leitfaden und vorausgesetzten Modell der göttlichen Dreieinigkeit, sondern diese ego-Struktur tätiger Selbstbezüglichkeit wird selbständig und parallel zur göttlichen Trinität entwickelt. Somit muß man hier nicht eine Theologie voraussetzen, um dieses ego zu plausibilisieren. Daher ginge ein Einwand des Skeptikers ins Leere, der besagen würde, daß Augustinus für sein ego-Konzept eine voraussetzungsreiche Theologie annehmen müsse und er innerhalb seiner Egologie noch keinen sicheren Boden gewonnen habe, weil sich die Beweislast für die ego-Struktur auf eine noch zweifelhaftere spekulative Theologie der Dreieinigkeit verschoben habe. Gegen eine solche Ein-Dreiheit und Drei-Einheit in einem ego bzw. in einer Substanz läßt sich mit Descartes’ substanzontologischer Grundbestimmung der Realdistinktion argumentieren. Die cartesische Realdistinktion von Substanzen besagt: Wenn etwas eine Substanz ist, dann muß es möglich sein, es als selbständig für sich existierend denken zu können. Wenn also zwei oder mehr Substanzen vorauch De trinitate von Augustinus kennen gelernt haben müsse; dies ist jedoch eine Spekulation, die sich nicht verifizieren läßt.
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liegen sollen, dann dürfen sie nicht aufeinander angewiesen sein, um existieren zu können.24 Wenn die drei augustinischen Momente des Geistes – intellectus, memoria und voluntas – Substanzen sein sollten, dann wäre es ein Widerspruch, wenn sie zusammengenommen, d. h. unselbständig auch wieder eine Substanz bilden würden. Wäre der Geist als ganzer eine Substanz, dann dürfte er nicht auf Substanzen angewiesen sein, aus denen er sich zusammensetzt. Nach Descartes’ Prinzip der Realdistinktion von Substanzen ist es sowohl den Geist als ganzen betreffend ein Widerspruch, wenn sich eine Substanz aus anderen Substanzen zusammensetzt, als auch bezüglich der einzelnen Momente für sich genommen widersprüchlich wäre, wenn eine Substanz nicht selbständig existieren kann, da diese drei Substanzen ihre Bestimmung jeweils nur aus ihrer spezifischen Relation zu den beiden anderen Momenten des Geistes erhalten. Um derartige Probleme zu vermeiden, bestimmt Descartes den Intellekt im engeren Sinne, die Erinnerung sowie den Willen als Vermögen des Geistes und gerade nicht als selbständige Substanzen. Nach Augustinus ist hingegen gleichermaßen jedes einzelne Moment in der Lage, den Geist in seiner Ganzheit zu erfassen, weil in jedem einzelnen Moment die anderen mitpräsent sind; so ist z. B. in der Intentionalität des Willens zugleich der Intellekt mitenthalten, weil sich die Intentionalität auf etwas ausrichten muß, das vom Intellekt als Gehalt erkannt wurde, sonst hätte der Wille kein inhaltlich bestimmtes Ziel. In diesem inhaltlich durch den Intellekt für den Willen bestimmten Ziel ist zugleich die Erinnerung mitenthalten, weil dasjenige, worauf sich der Geist richtet, ein dem Geist immanenter Inhalt sein muß, sonst hätte der Geist sein Ziel verfehlt und wäre äußerlich geworden. Der Geist kann also in gewisser Hinsicht nur sich selbst wollen. Es ist jeweils der ganze Geist, der einsieht, will und erinnert. Augustinus bestimmt den Geist deswegen primär als holistische Einheit (vgl. trin. 14,6). Der Kirchenvater differenziert bezüglich des menschlichen Geistes zwischen solchen Phasen, in denen der Geist sich selbst thematisch ist, wo er also selbst im Lichtkegel seiner Aufmerksamkeit steht und von seinem eigenen Blick erblickt wird, und solchen Phasen, in denen der menschliche Geist selbstvergeßen ist. Die Phasen, in denen der Geist sich selbst thematisch ist, erscheinen dabei wie die bewundernswerte Spitze eines rätselhaft bleibenden Eisberges, der zunächst und zumeist und zum größten Teil unthematisch bleibt (trin. 14,6): »So groß ist jedoch die Kraft des Denkens, daß sich auch der menschliche Geist selbst gewissermaßen nur dann in sein Blickfeld stellt, wenn er an sich selbst denkt. Und so ist nichts im Blickfelde des Geistes, außer man denkt daran, so daß auch der Geist selbst, mit dem man denkt, was immer man denkt, nicht anders in seinem Blickfelde Das Prinzip der Realdistinktion expliziert Descartes z. B. in Med., 1. Resp. gegen Caterus; AT VII,121/109; Med., 2. Resp. gegen Mersenne; AT VII,132 f./120; Med., Rationes zu den 2. Resp. gegen Mersenne; AT VII,162/147; Med., 4. Resp. gegen Arnauld; AT VII,220 f./201 f. 24
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sein kann als dadurch, daß er sich denkt. Wieso er aber, wenn er sich nicht denkt, nicht in seinem Blickfelde ist – er kann doch ohne sich niemals sein – gleich als wäre etwas anderes er selbst, etwas anderes sein Blick, können wir nicht ausfindig machen.«
Vorausweisend auf Descartes ist die Tatsache, daß Augustinus das Leben als Gewißheit in der Auseinandersetzung gegen die antiken Skeptiker und gegen das Traumargument begründet, das uns in Descartes’ 1. Meditatio wiederbegegnet. Nach Augustinus kann vermittels des Arguments, daß wir vielleicht schlafen und die Realität nur träumen, das Leben als solches nicht bezweifelt werden. Es ist gleichgültig, ob wir schlafen oder wachen, da beide Zustände, Formen des Lebens sind, und das Leben somit als vorgängig vorausgesetzt werden muß, selbst wenn unsere Existenz nur ein zusammenhängender Traum wäre. Dies gilt auch, wenn wir alle wahnsinnig wären; auch dann wäre das Leben vorgängig gewiß, da auch der Wahnsinn eine Form des Lebens ist und dieses voraussetzt (vgl. trin. 15,12). Dies ist ähnlich, aber in wichtigen Aspekten auch unterschiedlich zu Descartes: Das Traumargument in der 1. Meditatio ist gegen die sinnliche Wirklichkeitswahrnehmung gerichtet. Mit dem Traumargument gelingt es Descartes, die wirkliche Existenz der gesamten auf Körper bezogenen Wissenschaften, d. h. die Physik und die Medizin – aus heutiger Sicht muß man auch die Neurobiologie dazurechnen – vom ersten Prinzip der Philosophie auszuklammern. Durch das Traumargumalso auch die Wahrnehmung des eigenen Körpers und die sinnliche Nahwahrnehmung.25 Im Unterschied zu Augustinus beschränkt sich Descartes nicht darauf, ob wir leben oder nicht, sondern es geht ihm um den wahrheits- und evidenzmäßigen Status dieser Existenz. Im Falle eines Traumes hätte unsere Existenz einen völlig anderen Status als im Falle eines wachen Bewußtseins. Es ist daher nach Descartes notwendig, Traum- und Wachzustand nach sicheren Kriterien voneinander zu unterscheiden. Damit ist verbunden, daß durch das Traumargument das empirische Leben in seiner Realitätsgültigkeit bezweifelbar wird. Dies ist ein Problem, das in der Argumentation von Augustinus offen bleibt. Robert Nozick hält das skeptische Traumargument und das skeptische Argument vom Täuscherdämon allerdings Vgl. 1. Med.; AT VII,18 ff./65 ff.; vgl. speziell zum Problem des Verhältnisses von Schlaf und Zweifel: Norman Melcolm: Dreaming and skepticism; Melcolm hebt hervor, daß von Descartes bei dem Traumargument vorausgesetzt wird, eine bewußte Episode im Schlaf könne mit einer bewußten Episode im Wachzustand identisch sein. Melcolm versucht gegen Descartes’ Traumargument zu zeigen, daß Schlaf- und Wachzustand auf diese Weise nicht gleichzusetzen sind und daß es Descartes nicht gelingt, vom Gottesbeweis ausgehend, ein hinreichendes Kriterium für die Unterscheidung von Wach- und Schlafzustand anzugeben. Die Unterscheidungsmerkmale der 6. Meditatio, es handelt sich besonders um das Merkmal der Kohärenz, die in Abhängigkeit von Gott als einem nicht betrügenden und vollkommenen Wesen steht, seien zu äußerlich. Auch Leibniz schlug als Unterscheidungskriterium die Kohärenz und die Konsistenz vor; vgl. Leibniz: Über die Methode, reale Phänomene von imaginären zu unterscheiden. 25
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auch mittels des »Ich bin« für unwiderlegbar, denn diese skeptischen Argumente können dadurch radikalisiert werden, daß die Möglichkeit besteht, daß das Ich nicht existiert und es sich bei dem Gedanken »Ich existiere« nur um eine fiktive Aussage in einem fiktiven Stück handelt, das sich ein Künstler oder ein in ein Gedankenspiel verträumter Dämon ausdenkt. Es könnte sein, daß sich Shakespeare die Äußerung »Ich existiere« nur als Satz ausdenkt, den Hamlet in der Tragödie aussagt und daß dieser deswegen noch nicht wirklich existieren muß: »Descartes fragte, wie er denn wissen könne, daß er nicht träume; er hätte auch fragen sollen, wie er wissen könne, daß er nicht geträumt werde.«26 Dieser radikalisierte Skeptizismus ist tatsächlich nicht mit Descartes’ Selbstgewißheit ausgeräumt. Es ist deutlich, daß Descartes einerseits mehr von Augustinus gelernt hat, als er zugeben wollte, und daß er andererseits in entscheidenden Aspekten über ihn hinausgeht. Insofern darf man Augustinus durchaus als wirkmächtigen Lehrer von Descartes ansehen; wobei dieser ›Schüler‹ mit einer spezifischen Konzeption des Geistes als Substanz, die zugrundeliegender Träger kognitiver Akte ist, über seinen ›Lehrer‹ hinausgeht. Gerade diese Cartesische Substanzlehre könnte mit guten Argumenten von dem ›Lehrer‹ Augustinus kritisiert werden und wird auch von Seiten zahlreicher nachkommender, auch gegenwärtiger Philosophen kritisiert – man denke nur an die fast durchgängige Ablehnung der Substanz- und Geistkonzeption Descartes’ in der Analytischen Philosophie. Insofern treffen zahlreiche Kritiken an Descartes nicht gleichermaßen auch die Geistkonzeption und die antiskeptischen Strategien von Augustinus, dessen Geistkonzeption vielmehr Ähnlichkeiten mit einigen Aspekten der klassischen Subjektivitätsentwürfe des deutschen Idealismus aufweist. Hier ist z. B. an die Konzeption des Geistes einerseits als einen selbstbezüglichen und andererseits als einen für die Objektivität konstitutiv fungierenden Tätigkeitspol zu denken; wie dies bei Kant, Fichte, Schelling, Hegel bis hin zu Husserl und Scheler auszumachen ist. In jedem Fall beweist sich hier die Produktivität philosophischer Besinnung auf die Tradition.
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Robert Nozick: Skeptizismus, 347.
Blaise Pascal (1623 – 1662) als Schüler Augustins von Albert Raffelt
1. Biographische Annäherung
Mit Pascal verhält es sich nicht ganz so wie mit Aristoteles, bei dem Heidegger den denkerischen Ertrag der Biographie mit den Worten zusammengefaßt hat: »Bei der Persönlichkeit eines Philosophen hat nur das Interesse: Er war dann und dann geboren, er arbeitete und starb.«1 Denn das Leben spielt bei Pascal in Entscheidungen hinein, die durchdacht und ausformuliert werden, also in das denkerische Werk. In seinen Texten spielen Bezugnahmen auf Personen und Situationen eine Rolle (etwa »Lernt von denjenigen usw.« im berühmten Wett-Fragment, Laf. 418).2 Zu diesem biographischen, sachlich relevanten Kontext gehört auch, daß die Familie Pascal nach einer Krankheit des Vaters durch den Kontakt mit den behandelnden Ärzten in den Umkreis von Port-Royal oder – anders ausgedrückt – der ›Schüler Augustins‹ gelangte.3 Daß dieses Verhältnis nicht ganz einfach war, zeigt sich schon bei der ersten direkten Begegnung Pascals mit dem Kloster Port-Royal, als Blaise den Spiritual der Schwestern, Monsieur Rebours,4 besuchte. Er berichtet davon seiner Schwester Gilberte am 26. 1. 1648 – ein 24jähriger gegenüber dem 31 Jahre älteren Rebours: »Als ich Monsieur Rebours zum ersten Mal sah, stellte ich mich ihm vor, und ich wurde von ihm so höflich empfangen, wie ich es mir nur wünschen konnte; […] Nach den ersten Komplimenten bat ich ihn um die Erlaubnis, ihn hin und wieder besuchen 1
Martin Heidegger: Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, 5. Benutzt werden im folgenden die Ausgaben Blaise Pascal: Œuvres complètes; éd. Louis Lafuma (= OC.L), Blaise Pascal: Œuvres complètes; éd. Jean Mesnard (= OC.M); Blaise Pascal: Kleine Schriften zur Religion und Philosophie; hg. von Albert Raffelt, übers. von Ulrich Kunzmann (= PKS). Das gesamte literarische (nicht naturwissenschaftlich-mathematische) Werk Pascals auf deutsch findet sich nur in der elektronischen Ausgabe Pascal im Kontext: Werke auf CD-ROM – Französisch/Deutsch. In neuen Übersetzungen von Ulrich Kunzmann (= PK). Soweit Texte hiernach zitiert werden, wird nur die innere Zitierweise angewendet. Gelegentlich wird die neuste Gesamtausgabe von Michel Le Guern herangezogen (= OC.LG). Die Fragmente der Pensées werden nach den Editionen Lafumas zitiert (= Laf.), die Confessiones nach der neueren Paragraphen-Einteilung, die ältere Kapitel-Einteilung ist ggf. in Klammern genannt, wo die französische Übersetzung sie verwendet. 3 Zur Biographie vgl. immer noch Jean Steinmann: Pascal, ferner André LeGall: Pascal. Etwas reißerisch: Jacques Attali: Blaise Pascal: Biographie eines Genies. – ›disciples de saint Augustin‹ findet sich als Bezeichnung in Pascals Écrits sur la grâce, z. B. OC.L 312. 4 Antoine de Rebours (1592 – 1661). 2
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zu dürfen; und er hat sie mir gewährt. So konnte ich ihn besuchen, wann ich wollte […] Einige Zeit später ging ich zu ihm, und unter anderem sagte ich ihm mit meiner gewöhnlichen Freimütigkeit und Unbefangenheit, daß wir ihre Bücher und die ihrer Gegner geprüft hätten und daß dies genüge, um ihm unsere Übereinstimmung mit ihren Meinungen zu zeigen. Hierüber bekundete er einige Freude. Danach sagte ich, meiner Ansicht nach könne man gerade, wenn man sich an die Grundsätze des gesunden Menschenverstandes halte [suivant les principes mêmes du sens commun], viele Dinge beweisen, von denen die Gegner behaupten, sie widersprächen ihm, und eine gute Beweisführung könne sie glaubhaft machen, obgleich man sie auch ohne die Hilfe eines Beweises glauben müsse. Das waren meine eigenen Worte, und ich denke nicht, daß sie etwas enthielten, was die strengste Bescheidenheit hätte verletzen können. Doch Du weißt ja, daß sich alle Handlungen aus zwei Quellen herleiten lassen, und so konnte diese Darlegung auf der Eitelkeit und dem Vertrauen auf Vernunftschlüsse beruhen; ein derartiger Verdacht, der noch durch seine Kenntnisse meiner Geometriestudien vergrößert wurde, genügte, damit diese Erklärung auf ihn einen befremdlichen Eindruck machte, und das offenbarte er mir mit einer so demutsvollen und bescheidenen Antwort, daß sie gewiß den Stolz beschämt hätte, den er zurückweisen wollte. Trotzdem versuchte ich, ihm meine Gründe darzulegen; doch meine Rechtfertigung verstärkte seinen Zweifel, und er hielt meine Entschuldigungen für Eigensinn. Wie ich bekenne, waren seine Worte so schön, daß sie bei mir einen Sinneswandel bewirkt hätten, wenn ich geglaubt hätte, mich in dem Zustand zu befinden, den er sich vorstellte; da ich indes meinte, nicht an dieser Krankheit zu leiden, sträubte ich mich gegen das Heilmittel, das er mir anbot. Er verstärkte indes die Dosis des Mittels immer weiter, je mehr ich mich ihm zu entziehen schien, weil er meine Weigerung als Verstocktheit ansah; und je stärker er sich bemühte, desto deutlicher bekundeten ihm meine Dankesworte, daß ich es nicht für notwendig hielt. So wirkte denn diese ganze Unterredung doppeldeutig und peinlich, und ein solcher Eindruck blieb bei allen weiteren Begegnungen bestehen und ließ sich nicht überwinden.«5
Die psychologische Situation ist leicht nachvollziehbar. An der Reaktion Pascals ist mindestens zweierlei bemerkenswert: Zunächst, daß er die abwehrende Reaktion des Herrn Rebours gut augustinisch begründet. Im Hintergrund steht De civitate Dei 14,28: »fecerunt itaque civitates duas amores duo, terrenam scilicet amor sui usque ad contemptum dei, caelestem vero amor dei usque ad contemptum sui.«6 Aber ebenso wichtig ist, daß er trotzdem auch auf diesem Boden ein Programm für sinnvoll hält, das den Glauben bzw. die augustinische Theologie »suivant les prin5 6
Zitiert nach PK. Vgl. OC.L 272. Ausführlicher dazu im Brief über den Tod des Vaters am 17. 10. 1651, OC.L 277.
blaise pascal als schüler augustins
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cipes mêmes du sens commun« verteidigt.7 Vielleicht ist drittens noch die Selbstverständlichkeit anzumerken, mit der er sich im Brief in diesen Gedankengängen bewegt. Man muß Herrn Rebours zugutehalten, daß auch die Pascal-Forschung bis vor kurzem Blaise Pascal – jedenfalls in diesem Alter – keine besondere theologische Kompetenz zusprach. Man ist heute vorsichtiger. Denn man kann ein Jahr vorher Pascal als Apologeten einer orthodoxen Theologie nachweisen, nämlich in der Affäre um den Kapuziner Forton, Sieur de Saint-Ange, die wenig zu seiner Beliebtheit beigetragen, sondern ihm vielmehr ein Mäntelchen von Ketzerriecherei beschert hat. Pascal und seine Freunde zeigen Forton in Rouen wegen Häresie an und erreichen einen Widerruf. Forton vertrat eine theologische Position, die man einem Renaissance-Humanismus zuschlagen mag und der Pascal gut augustinisch fundamentiert entgegentritt. Damals war Pascal dreiundzwanzig.8 Das nächste ausführlichere überlieferte Gespräch mit einem der Herren von Port-Royal ist ein berühmterer Text. Einer der schönsten Pascalschen zugleich, wiewohl nicht von ihm redigiert, sondern in den Mémoires des Nicolas Fontaine enthalten.9 Es ist das Gespräch mit Herrn de Sacy über Epiktet und Montaigne (PKS 111 – 147). Pascal legt hier anhand der beiden Vertreter »der beiden berühmtesten Philosophenschulen der Welt und der einzigen, die mit der Vernunft übereinstimmen« (PKS 140) seine Anthropologie von Niedrigkeit und Größe des Menschen dar. Der strenge Herr de Sacy,10 dem keine Nachgiebigkeit gegenüber nichtchristlichem Denken nachgesagt werden kann, ist beeindruckt. Aber vielleicht muß man in Rechnung stellen, was sein Sekretär Fontaine von ihm sagt, daß er »gewöhnlich so [verfuhr], wenn er sich unterhielt, daß er seine Gespräche jenen anpaßte, zu denen er redete. Wenn er zum Beispiel Herrn Champaigne traf, unterhielt er sich mit ihm über Malerei. Wenn er Herrn Hamon traf, redete er mit ihm über Medizin. Wenn er den Wundarzt des Ortes traf, stellte er ihm Fragen über die Wundarzneikunst. Wer Wein, Obst oder Getreide anbaute, erklärte ihm alles, was man dabei beachten muß. Alles diente ihm als Mittel, um sogleich zu Gott überzugehen und auch die anderen zu ihm zu führen« (PKS 118). Die Akkomodation an den Verständnishorizont Pascals führt zu dem Ergebnis (PKS 117 f.): Dies bleibt ein ständiges Ziel Pascals. Vgl. etwa die (späte) Bemerkung von Pierre Nicole, zitiert OC.M 3, 594. 8 Vgl. dazu PKS, XVI – XVIII; dort die Lebensbeschreibung durch seine Schwester Gilberte, 12 – 14; Henri Gouhier: Pascal et les humanistes chrétiens: L’affaire Saint-Ange; vgl. PKS, XVII. 9 Erste Veröffentlichung nach dem Original: Blaise Pascal: Entretien avec M. de Sacy sur Épictète et Montaigne: original inédit. – Im Gesamtzusammenhang in Nicolas Fontaine: Mémoires ou histoire des solitaires de Port-Royal. 10 Isaac Le Maistre de Sacy (1613 – 1684), bedeutend auch als der (hauptsächliche) Bibelübersetzter Port-Royals. Dessen Bibel (ohne die Kommentierungen) jetzt leicht zugänglich als: La Bible, établ. par Philippe Sellier. 7
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»Alles, was ihm Herr Pascal an Großem sagte, hatte er vor diesem bei Augustinus entdeckt; und er ließ allen Gerechtigkeit widerfahren, indem er erklärte: ›Herr Pascal verdient höchste Achtung, weil er, obwohl er die Kirchenväter nicht gelesen hat, aus eigener Kraft durch seine Geistesschärfe dieselben Wahrheiten wie sie gefunden hatte. Wie Herr Pascal sagte, habe er sie für eine überraschende Entdeckung gehalten, weil er sie bei keinem anderen gefunden hätte; was aber uns betrifft, so sind wir daran gewöhnt, sie überall in unseren Büchern zu finden.‹ Da dieser kluge Geistliche also erkannte, daß die Alten nicht weniger Einsicht als die Modernen hatten, ließ er es dabei bewenden und schätzte Herrn Pascal sehr, weil dieser bei allem mit Augustinus übereinstimmte.«
Allerdings kann man nun mit Sicherheit sagen, hier irrte Herr de Sacy, denn zu diesem Zeitpunkt – um 1655 – ist Pascal, nun 32jährig, kein Novize in der Theologie mehr. Es ist das Jahr nach dem Mémorial, ein Jahr vor den Provinciales, die Pascal als einen ausgewiesenen Kenner der theologischen Dispute zeigen, da man heutzutage nicht mehr annimmt, daß er hier bloß redigierend tätig war, und wohl auch die Zeit, in der ihn die Thematik der Écrits sur la grâce beschäftigte.11 Soweit einige biographische Hinweise. Der biographische Zugang bleibt notwendig äußerlich, aber er zeigt wesentliche Kraftlinien und Ergebnisse der Beschäftigung mit augustinischem Denken im Leben Pascals. 2. Das Sachthema
Man kann sich nun dem genaueren Sachthema inhaltlich auf verschiedene Weise annähern. Am umfassendsten hat dies Philippe Sellier in seinem hierfür inzwischen klassischen Buch Pascal et saint Augustin (1970) getan,12 indem er das geistige Klima des französischen Augustinismus im Barock als Rahmen zeichnet und die Nähe zwischen Pascal und Augustinus von Milieu-Abhängigkeiten bis zu sachlichen Parallelen darstellt. Das 17. Jahrhundert bezeichnet Sellier mit dem Historiker Jean Dagens als »le siècle de saint Augustin«, und Pascal ist eine wichtige Gestalt in diesem Strom.13 Man könnte auch zweitens von dem Punkt, der das Schibboleth des ›Augustinischen‹ im 17. Jahrhundert ausmacht, der Gnadenlehre, ausgehen und sich auf Pascals Écrits sur la grâce konzentrieren, die wiewohl unvollendet doch einen der umfangreichsten Texte Pascals darstellen. Ihre grundlegende Analyse und Edition Datierungen sind bei Pascal in manchem problematisch. Vgl. Philippe Sellier: Pascal et Saint Augustin. 13 Vgl. auch unter diesem Titel das Themenheft der Zeitschrift XVIIe siècle 34, Nr. 135 (1982). Sehr instruktiv ist Gérard Ferreyrolles: L’augustinisme dans la vie intellectuelle française au XVIIe siècle. 11 12
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hat Jean Mesnard vorgenommen (OC.M 487 – 799). Die Écrits verstehen sich als eine Darstellung der Hauptpunkte der Gnadenlehre Augustins (und seiner ›Schüler‹ – Thomas und das Trienter Konzil fallen unter diese Kategorie und werden von Pascal herangezogen und interpretiert). Leszek Kołakowki,14 Gaetano Lettieri15 und Hervé Pasqua16 haben ausführliche Interpretationen zu diesem Werk vorgelegt. Die Tendenz ist nicht einheitlich, was sich etwa daran zeigt, daß Kołakowki den Abschnitt Pascals traurige Religion überschreibt, während das Leitwort der Deutung der Gnadenlehre Pascals bei Pasqua die Freude ist.17 Theologiegeschichtlich stellt sich die Frage, wieweit Pascal ›thomistisch‹ gelesen werden kann18 oder ob er in schlichter Identität mit Jansenius zu sehen ist. Unbestreitbar ist aber, daß er mit großer Dokumentation eine korrekte Auslegung Augustins bieten wollte.19 Dazu hat Mesnard seine Originalität gegenüber dem ›jansenistischen‹ Umfeld insofern herausgearbeitet – immerhin sagt Pascal trotz aller Nähe »je ne suis point de PortRoyal«20 –, als die spirituelle und mystische Komponente des Gnadengeschehens bei ihm eine stärkere Rolle spielt als in den Traktaten seines Umfelds, und die rationale Argumentationstruktur unter Verwendung der Prinzipien seiner Schrift über den geometrischen Geist seine Texte strukturiert. Eine dritte Möglichkeit wäre es, zentrale Begriffe – etwa den des Herzens – zu interpretieren und Abhängigkeiten wie selbständige Akzentuierungen herauszuarbeiten21 oder das gleiche anhand theologischer Konzepte (etwa des Deus absconditus) durchzuführen. Hier soll dagegen von einer kleinen Schrift Pascals ausgegangen werden, um an einzelnen Beispielen deutlich zu machen, wie intensiv die Verbindung Pascal-AuLeszek Kołakowki: Gott schuldet uns nichts: Eine Anmerkung zur Religion Pascals und zum Geist des Jansenismus. Kołakowki zieht eine Gleichung zwischen augustinischer Gnadenlehre und Jansenismus und ordnet die differenzierteren Positionen mindestens dem Semipelagianismus zu, wobei anderseits die ›Modernisierung‹ der Gnadenlehre durch die Jesuiten als notwendig erachtet wird. Die eigentlich theologische Sachfrage nach der Identität zwischen Augustinus / Jansenius erfordert allerdings subtilere hermeneutische Überlegungen, vgl. schon Karl Rahner: Augustin und der Semipelagianismus. 15 Gaetano Lettieri: Il metodo della grazia: Pascal e l’ermeneutica giansenista di Agostino. Vgl. auch Gaetano Lettieri: Der katholische Augustinismus von Baius bis Jansenius. 16 Hervé Pasqua: Blaise Pascal, penseur de la grâce. 17 Vgl. a. a. O., 21: »La clé de la pensée et de la vie de Pascal, en effet, est la grâce […]. La manifestation la plus sensible en a été la simplicité pleine de joie qu’il ne perdit jamais.« 18 Mit Pasqua, a. a. O., 162. 19 Nicht der Augustinus sondern vor allem die Trias von Jean Sinnich (1648, digital ) dient als Hilfsmittel der Dokumentation. 20 Provinciales, 17. Brief. OC.L, 454 ; Blaise Pascal: Briefe in die Provinz: Les Provinciales, 354. – Die Übersetzungen im folgenden sind in manchem verändert gegenüber den angegebenen Referenzausgaben. 21 Dazu Philippe Sellier: Pascal et saint Augustin, 117 – 139. 14
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gustinus bis in das literarische Gewebe seiner Texte ist. Danach soll auf einen erst jüngst in der französischen Pascalforschung genannten literarischen Zusammenhang eingegangen und ein Ausblick auf die Pensées und ihr bislang nicht herausgearbeitetes Verhältnis zu den Confessiones gegeben werden.
3. Die Schrift über die Bekehrung
Sur la conversion du pécheur gehört zu den sogenannten kleinen Schriften, den opuscules Pascals. Diese sind – bis auf Vom geometrischen Geist und dem mehr aus praktisch-spirituellen Überlegungen öfter edierten Gebet um den rechten Gebrauch der Krankheiten – zumal in Deutschland weniger beachtet worden, obwohl seit der Ausgabe von Schwartz 1845 in diversen Sammeleditionen in Übersetzung vorliegend.22 Die Schrift Über die Bekehrung des Sünders23 stammt aus der Zeit um 1657/58.24 Der Titel ist nicht von Pascal, sondern von Pierre Beurrier (1696 – 1731) vom Oratorium in Clermont, der ein wichtiger Tradent der Pascal-Überlieferung mit direktem Bezug zur Familie (der Nichte Marguerite Pévier) ist. Man wird ihn wohl mit Jean Mesnard (OC.M 4, 37) als eingebürgert belassen müssen, obwohl der Zusatz ›des Sünders‹ aus dem Text nicht eigentlich gerechtfertigt ist25 und eine Restriktion andeutet, die nicht vom Autor mitgegeben ist. Der Zeitpunkt der Abfassung dieser Schrift markiert zugleich den Entstehenszeitraum der Fragmente der geplanten Apologie, also der Pensées, eines Unternehmens, das ebenfalls in seinem ›Conclusion‹ betitelten Schlußkapitel das Thema der Konversion hat.26 Es handelt sich also um das zentrale Thema des Pascalschen Denkens in seinen letzten Jahren. Der Zweck der kleinen und wie fast immer bei Pascal nicht fertigredigierten, wenn auch im fertiggestellten Teil nicht eigentlich fragmentarischen Schrift ist die Bibliographische Angaben PKS LXI – LXIV. Als Ausgaben vgl. OC.L, 290 f.; OC.M 4, 40 – 44; PKS 331 – 336. Wegen der Kürze der Schrift sind die Zitate nicht einzeln belegt. – Die Bestreitung der Zuschreibung an Blaise Pascal ist laut Jean Mesnard (OC.M 4,35) ›totalement injustifié‹ (vgl. dort 35 – 39 die philologischen Daten, auf die wir hier nicht eingehen). 24 Nach Jean Mesnard; Michel Le Guern datiert auf 1655. OC.LG 2, 1166 f.; Philippe Sellier schreibt »sans doute du printemps 1658« in seinem Aufsatz: Des Confessions aux Pensées, hier 198. Der Aufsatz ist gegenüber der älteren Literatur erheblich weiterführend durch Heranziehung der noch zu nennenden Confessiones-Übersetzung von Robert Arnauld d’Andilly, jetzt zugänglich als: Saint Augustin: Confessions. 25 Vgl. ebd.: »encore que le complément ›du pécheur‹ soit peut-être de trop, et suggère une restriction qui n’est pas dans l’esprit d’auteur.« 26 Vgl. Laf. 377: »Qu’il y a loin de la connaissance de Dieu à l’aimer.«; Laf. 378: »Si j’avais vu un miracle, disent-ils, je me convertirais.«. Zu diesem Thema vgl. Henri Gouhier: Blaise Pascal: conversion et apologétique. 22
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geistliche Führung von Menschen, die sich auf dem Wege der Intensivierung ihres religiösen Lebens befinden. Andere Dokumente dieser Art bei Pascal sind etwa die Briefe an Charlotte de Roannez.27 Mit dieser Bestimmung ist die Schrift nicht weit von der Funktion der Confessiones Augustins entfernt, die ja »deum laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellectum et affectum«, also Geist und Sinn auf Gott hin treiben, wie die Retractationes schreiben (2,1). Allerdings ist der Kontext ein ganz anderer. So sehr die Schrift von dem Erlebnis, das gewöhnlich als ›zweite Bekehrung‹ Pascals bezeichnet wird, geprägt ist, so wenig ist sie persönlich gehalten. Die Schrift nennt als das Erste, was Gott der Seele, die er rühren will, eingibt, ein ganz ungewöhnliches Wissen und eine ganz ungewöhnliche neue Sicht (»une connaissance et une vue tout extraordinaire«), die auch gleich als ›neues Licht‹ bezeichnet wird.28 Die Metaphorik ist auch bei Augustins Bekehrungserlebnis gegeben, wo »quasi luce securitatis infusa corde meo« die Zweifel verschwinden (conf. 8,29).29 Die Lichtmetapher ist aber so verbreitet, daß hier nicht Augustins Darstellung seines Bekehrungserlebnisses herangezogen werden soll, so sehr das im Umkreis PortRoyals naheliegt.30 Viel näher steht der kleinen Schrift m. E. das zehnte Buch der Confessiones, auch insofern, als hier Augustinus nach der sogenannten Bekehrung schreibt, wie er jetzt ist, ebenso wie Pascal in der kleinen Schrift von seinem jetzigen Stand ausgeht. Und so ist auch in den Confessiones die Lichtmetapher verwendet, die auf den Redenden selbst zielt und ihn über sich selbst erleuchtet.31 So ist es auch bei Pascal; auch hier wird die Finsternis des Menschen hell durch dieses neue Licht. Die Helligkeit setzt gleichzeitig in Unruhe. So auch in den Confessiones – wieder mit der Lichtmetapher (10,2): ›tu refulges […].‹ Eine ›vue intérieure‹32 läßt ihn keine Ruhe mehr bei den äußeren Dingen finden. Eine alternative Deutung sieht diese Schrift als kleines geistliches Zirkular in Kreisen Port-Royals. 28 Daß die Confessiones-Übersetzung Arnauld d’Andillys zu conf. 1: »Da mihi, domine, scire et intelligere […]« übersetzt wird mit: »Donnez-moi, s’il vous plait, Seigneur, la lumière [!] qui m’est nécessaire pour discerner […]«, ist für die sprachlichen Assoziationen bezeichnend. 29 Herangezogen ist die Ausgabe Aurelius Augustinus: Confessiones / Bekenntnisse. Übers. von Wilhelm Thimme; Einf. von Norbert Fischer; für das zehnte Buch Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben (Confessiones X / Bekenntnisse 10) / Eingel. u. übers. von Norbert Fischer. 30 Dazu David Wetsel: Augustine’s Confessions: A Problematic model for Pascal’s conversion itinerary in the ›Pensées‹. Wetsel setzt allerdings die Bezüge zu den Confessiones zu gering an. Ihm standen noch nicht Selliers Nachweise von 1999 zur Verfügung. 31 Vgl. conf. 10,7: »[…] quod de me scio, te mihi lucente scio.« Vgl. schon conf. 10,1 das Zitat Joh 3,21 »qui facit [… veritatem] venit ad lucem«. 32 Wetsels abwehrende Interpretation des Blicks nach innen (»Pascal’s conviction the the inward search ist futile […]«) bei Pascal scheint mir nicht korrekt (Augustine’s Confessions, a. a. O., 131), auch nicht in der Interpretation des Fragments Laf. 143. 27
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Die Nichtigkeit der irdischen Dinge führt zu einer Suche nach dem wahren Gut, das zwei Qualitäten haben muß: es muß dauern und es muß aufs Höchste liebenswert sein (»rien de plus aimable«). Hier ist Pascal wieder auf Augustinischem Terrain.33 Die Editoren haben eine Stelle aus De moribus ecclesiae34 für das höchste, dauernde und liebenswerteste Gut, das der Seele nicht ohne ihre Zustimmung genommen werden kann, herangezogen. Aber auch die Confessiones wären zu nennen (4,16;11), jedenfalls, wenn man die Übersetzung Arnauld d’Andillys heranzieht,35 der die augustinischen Ausdrücke mit der Sprache der Spiritualität des 17. Jhs. übersetzt.36 Im folgenden ist das Aufstiegsschema des zehnten Buchs der Confessiones spürbar. »Dieser Aufschwung reicht so weit und ist so überschreitend, daß die Seele nicht beim Himmel – er hat nichts, womit er sie zufriedenstellen kann – und ebensowenig über dem Himmel oder bei den Engeln oder selbst bei den vollkommensten Wesen stehenbleibt.37 Sie dringt durch alle Geschöpfe und das Herz ruht nicht eher, bis sie zu Gottes Thron gelangt ist, wo sie nun ihren Frieden und jenes Gut findet, das so beschaffen ist, daß es nichts Liebenswerteres gibt, und daß es ihr nur mit ihrem Einverständnis genommen werden kann«. Sellier verweist hierzu auf Arnauld d’Andillys Übersetzung der Vision von Ostia.38 Man vergleiche aber auch Confessiones 10,8, wo gefragt wird: »quid autem amo, cum te amo?« und mit dem geradezu hymnischen Satz geschlossen wird: »Das Licht, das meiner Seele dort erstrahlt, nimmt keinen Raum ein; dort erklingt eine Stimme, die keine Zeit hinwegrafft; dort entzückt ein Duft, den kein Wind ver weht; dort wird gekostet, was die Lust zu essen nicht mindert; und die Umarmung, die dort verbindet, reißt der Überdruß nicht wieder auseinander. Gerade das ist es, was ich liebe, seit ich meinen Gott liebe.« 10,9 ff. wird nach diesem überzeitlich-dauernden und höchste Liebenswerten in einem Aufstieg über alle kosmischen, hyperkosmischen und seelischen Gegebenheiten gefragt. Vergleichen ließe sich auch das schon genannte Kapitel conf. 4, 16 (11) in der Arnauldschen Übersetzung. Kurz, die Ausführungen sind getränkt von auVgl. dazu Henrique de Noronha Galvão: beatitudo; zu ›bonum‹, ›summum bonum‹ etc. Norbert Fischer: bonum. 34 Erstmals hat wohl Ernest Havet auf 1,5 hingewiesen (bzw. 3 in älteren Ausgaben), vgl. OC.M 4, 42. 35 A. a. O., 131. 36 Zum Beispiel »vain amour des créatures«, »choses perissables« usw. Die sprachliche Nähe dieser Übersetzung zu manchen Pascalschen Wendungen ist eine wesentliche Entdeckung Philippe Selliers (vgl. Des Confessions aux Pensées). Die Fixierung auf den lateinischen Urtext verkennt die Bedeutung dieser Übersetzung für die sprachliche Einbindung Augustins in den zeitgenössischen Kontext. Für Pascal gilt (a. a. O., 199): »La mémoire pascalienne joue assez souvent avec la version d’Andilly et avec les formules éclatantes du texte latin.« 37 OC.LG 2,1167 zitiert hierzu Saint-Cyran: »Il faut donc, selon saint Augustin, passer premièrement toutes les créatures et même les cieux, les étoiles et les anges pour trouver Dieu.« 38 Confessions, a. a. O., 319 (conf. 9,24 [10]). 33
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gustinischem Geist, wie er in den Confessiones an verschiedenen Stellen Ausdruck findet. Sprachliche Nähe findet sich besonders zur zeitgenössischen Übersetzung,39 aber natürlich gibt es auch die Nähe zu anderen Stellen im Werk Augustins und zu ›augustinischer‹ Literatur der Zeit. Der Text ist unabgeschlossen. Am Schluß stehen Überlegungen zum Weg, zu den von Gott selbst kommenden Mitteln. Hier wäre zum einen der Ansatz für eine christologische Vermittlung. Assoziiert wird via/veritas, der Weg, die Wahrheit und das Leben aus dem Johannes-Evangelium (14,6) wie auch in den Pensées (Laf. 140); der Absatz bleibt aber Fragment. Im nächsten Absatz geht es um die ekklesiologische Seite, darum, den Weg bei denen suchen, die ihn schon gehen. Hierfür verweist Sellier40 auf Confessiones 7,26: »ceux qui connaissent le chemin de notre bienheureuse patrie«41 (nach Arnauld), wobei das lateinische Original aber hier den ›Weg‹, d. h. Christus selbst anspricht, was die Assoziation natürlich trotzdem denkbar macht. Die Sachparallele zu den entsprechenden Stelle des Wett-Fragments scheint mir aber noch näher zu liegen.42 Natürlich ließe sich zu dieser Schrift auch die Gegenrechnung aufmachen: Was ist nicht augustinisch? Die Betonung des anéantissement – der völligen Vernichtung der Kreatur – hat einen anderen Charakter als Augustins »aliqua portio creaturae«, die damit verbundene Interpretation der Unendlichkeit Gottes steht sicher im Rahmen von Pascals Überlegungen zu den Ordnungen und dem Unendlichen; die Reflexionen der Wette sind zeitlich nicht allzu entfernt usw. Das ist hier nicht das Thema, aber es ist wenigstens darauf hinzuweisen, daß Pascal kein Übersetzer Augustins sondern ein eigenständiger Denker ist.
4. Die ›Pensées‹
Manchmal ist ein Umweg schneller. So sei darauf hingewiesen, daß die Analysen der Pascalschen Anthropologie am Anfang der Pensées schon anderswo als eine nicht leicht auflösbare Mischung aus Augustinus und Pascal selbst wahrgenommen worden sind. So etwa in Heideggers existenzialer Analytik des Daseins und seiner Verfallenheit.43 Natürlich sind die Essais von Montaigne eine weitere primäre Quelle für Pascal, wobei dieser aber auch wieder intensiv bei Augustinus gesammelt hat und daher Augustinus mit Sellier als der ›hypotexte le plus actif‹44 (bzw. die Confessiones) angesehen werden kann. 39 40 41 42 43
Sie erschien 1649. Des Confessions aux Pensées, 198. A. a. O., 252, conf. 7,26 (20). Laf. 418: »gens qui savent ce chemin«. Vgl. Albert Raffelt: Heidegger und Pascal – eine verwischte Spur, bes. 197 – 199.
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Schon Courcelle hat auf den Widerhall des fecisti nos im Fragment 300 hingewiesen: »Wenn der Mensch nicht für Gott geschaffen ist, warum ist er dann nur in Gott glücklich?«45 Die Analyse des Elends des Menschen ohne Gott bei Pascal ist aber in vielen Einzelheiten Augustinisch. Die schon hier angesprochene Glückssuche ist das Strebemoment in der Entwicklung des Pensées und mit weiteren augustinischen Parallelen in Details belegbar, etwa mit den zwei Menschen, die in den Krieg ziehen oder dies nicht wollen, die aber beide glücklich werden wollen: »Alle Menschen suchen nach dem Glück. Das gilt ohne Ausnahme, wie unterschiedlich auch die Mittel sein mögen, die sie dafür benutzen. Sie streben alle diesem Ziel zu. Was bewirkt, daß die einen in den Krieg ziehen und die anderen nicht, ist dieses gleiche Verlangen, das bei allen beiden mit unterschiedlichen Auffassungen verbunden ist.«46 Es sollen hier nicht die einzelnen Parallelen wiederholt werden, die von Courcelle und besonders Sellier genannt worden sind. Das Thema der Unruhe und Ruhe, der Leere und der Langeweile, der Zerstreuung, der Gewohnheit haben ihre Augustinischen Wurzeln. Das Thema der Konkupiszenz in Augustinischer Sicht steht hinter vielem, dem Pascal schon früh ausführlich bei Jansenius begegnete, vor allem schon früh in dessen Discours de la réformation de l’homme intérieur, auch hier wohl in der Übersetzung Robert Arnauld d’Andillys.47 Schon in dem Gespräch mit Herrn de Sacy wird auf die Funktion dieser negativen Anthropologie hingewiesen, die wie ein fein dosiertes Gift als Arznei wirkt – ein Gedanke, den de Sacy nur mit großen Bedenken äußert (PKS 144). Immerhin sieht er aber, daß Augustinus selbst den Weg vom Manichäismus über die Skepsis gegangen ist (PKS 135), und Pascal nutzt die skeptischen Argumente für eben denselben Zweck. Er geht den Weg Augustins sogar noch weiter mit. Für Augustinus sind in den Confessiones die Platoniker entscheidend. In ihren Büchern fand er den Anfang des Johannes-Prologs (conf. 7,13) und die Erkenntnis Gottes als geistig, unendlich, unwandelbar etc. – wenn auch nur allzu schwach zum wahren ›Genuß‹ Gottes (conf. 7,26). Und Simplician gratuliert ihm, daß er gerade diese Philosophen gelesen habe (conf. 8,3). Die besondere Stellung der Platoniker gilt auch für den Weg derjenigen, die Pascal führen will (Laf. 612): »Platon, um auf das Christentum vorzubereiten.« Daß AuguDes Confessions aux Pensées, 208 Anm. 18. »Si l’homme n’est fait pour Dieu pourquoi n’est-il heureux qu’en Dieu.« Vgl. Pierre Courcelle: Les confessions de Saint Augustin dans la tradition littéraire : antécédents et postérité. 46 Vgl. conf. 10,31 und Laf. 148: »Tous les hommes recherchent d’être heureux. Cela est sans exception, quelques différents moyens qu’ils y emploient. Ils tendent tous à ce but. Ce qui fait que les uns vont à la guerre et que les autres n’y vont pas est ce même désir qui est dans tous les deux accompagné de différentes vues.« 47 Vgl. Cornelius Jansenius: Discours de la réformation de l’homme intérieur. – Diese Übersetzung erschien 1642. 44 45
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stinus hier im Hintergrund steht, zeigt auch die Anspielung auf De vera religione 5 (Laf. 338): »Die jungen Mädchen weihen Gott ihre Jungfräulichkeit und ihr Leben, die Männer verzichten auf alle Freuden. Wovon Platon einige wenige auserwählte und hochgebildete Menschen nicht überzeugen konnte, davon werden Hunderttausende von Unwissenden durch eine geheime Kraft, durch die Wirkung weniger Worte überzeugt«, womit ein weiterer augustinischer Gedanke eingebracht ist. Wir sind trotz Heideggers Warnung wieder auf einem biographischen Abweg gelandet, wenn wir den konkreten Weg der Bekehrung Augustins in den Pensées gespiegelt sehen. Aber wieder ist es ein sachlich bedeutsamer. Wenn man den Blick eng auf Pascals Bekehrung und deren Darstellung bzw. die Zeugnisse darüber richtet, kann man zum Ergebnis kommen, daß er dem Augustinus der Confessiones wenig schuldet,48 sieht man aber unabhängig davon die Pensées als die Vorzeichnung eines Weges zur Bekehrung an, so ist der Weg Augustins in ihnen auf verschiedene Weise präsent. Philippe Sellier ist noch einen Schritt weiter gegangen. Er interpretiert das Fragment, das unter dem Stichwort ›Ordnung‹ steht ( Laf. 298) und beginnt: »Gegen den Einwand, die Heilige Schrift habe keine Ordnung«. Der Text lautet: »Das Herz hat seine Ordnung, der Geist hat die seine, die aus Grundsätzen und Beweisen besteht. Das Herz hat eine andere. Man beweist nicht, daß man geliebt werden muß, indem man die Ursachen der Liebe geordnet darlegt; das wäre lächerlich. Jesus Christus und Paulus haben die Liebe als ihre Ordnung, nicht den Geist, denn sie wollten demütigen, nicht belehren. Ebenso der heilige Augustinus. Diese Ordnung beruht hauptsächlich auf der ausführlichen Erörterung jeden Punktes, der sich auf den Endzweck bezieht, um ihn stets klar zu zeigen.«49 Sellier fragt sich, auf welche Texte Augustins dieses zutreffe. Es sind nicht die ›Traktate‹, obwohl diese gerade im Umkreis Port-Royals als das eigentliche Arsenal im Gnadenstreit hochgeschätzt waren. Sellier schließt auch die Predigten Augustins aus (vielleicht nicht ganz so überzeugend) und folgert, das große Werk, das das Pascalsche Projekt ankündige, sei kein anderes als eben die Confessiones.50 Und etwas später: »Les traités instruisent, Montaigne divertit, les Confessions convertissent. Elles touchent le cœur, l’ébranlent.«51 Daß manche Pascalsche Gedanken aus seinem Umfeld aufgegriffen und anverwandelt sind, ist Voraussetzung des Vorangehenden. Daß es auch hier eine Parallele So Wetsel, a. a. O., allerdings ohne Berücksichtigung der Arnauld-Übersetzung. Vgl. den Hinweis in Albert Raffelt: Confessiones 5: ›Pie quaerere‹: Augustins Weg der Wahrheitssuche, hier 200 und die weiteren Hinweis auf Pascal dort; dort nur aus dem Blick des 5. Buches der Confessiones. 50 Philippe Sellier: Des Confessions aux Pensées, 212: »Le grand ouvrage qui annoce le projet pascalien n’est autre que les Confessions.« 51 A. a. O. 213; ebd. zitiert. 48 49
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bei Arnauld d’Andilly gibt, verblüfft trotzdem. Dieser hatte in einer Edition von Werken Saint-Cyrans 1645 geschrieben, daß dieser in Nachahmung des heiligen Paulus und des heiligen Augustinus eher der Ordnung des Herzens (!) gefolgt sei, die diejenige der Liebe ist, nicht der Ordnung des Geistes, weil seine Absicht nicht darin bestand, zu unterweisen, sondern das Herz zu erwärmen: »A l’imitation de saint Paul et de saint Augustin, il a beaucoup plus suivi l’ordre du cœur, qui est celui de la charité, que non pas l’ordre de l’esprit, parce que son dessein n’a pas été tant d’instruire que d’échauffer l’âme.«. Im Vorwort zu seiner Confessiones-Übersetzung schreibt Arnauld d’Andilly, daß keines der Bücher Augustins »une révérance plus particuliere« ausgelöst habe, und etwas später: »[…] parlant seulement aux hommes dans ses autres Livres, il a été obligée de s’accomoder aux hommes & de se rabaisser dans des pensées plus ordinaires & dans un langage plus humain; au lieu que dans celui-ci, ne parlant qu’à Dieu, il a parlé d’une manière toute divine […] que cet ouvrage n’est qu’un ouvrage d’amour.«52 Diese Sätze – auch hier ist Paulus im Zusammenhang nochmals genannt – zeigen wie Pascals Fragment, in dem die Bibel, Paulus und Augustinus zusammen erwähnt sind (Laf. 28), was der Hintergrund dieser Kombination ist. Nochmals mit einem Zitat, das Sellier nennt (Laf. 303): »Dieu parle bien de Dieu«. Die These Selliers von dem Modellcharakter der Confessiones für die Pensées ist aber m.E. nicht nur eine philologische Spezialität. Sie ist auch theologisch von großem Interesse. Die beiden Werke haben auf unterschiedliche Weise das Ziel erreicht, das Augustinus so formulierte: »Deum laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellectum et affectum.« Beide sind kein ›bloß theoretischen‹ Werke, sondern haben realiter auch Konversionen ausgelöst. Es ist auffällig, daß man das von verschiedenen Büchern der Augustinischen Tradition sagen kann, z. B. dem Werk Newmans und Blondels Action. Die Bezüge zu den Confessiones sind in allen Fällen verschieden, aber sie sind vorhanden und strukturbildend. Für ein Nachdenken über das Phänomen der Bekehrung – und natürlich für diese selbst – ist der ›ordre du cœur‹ entscheidend. In ihm ist Pascal Schüler Augustins.
5. Nachbemerkung
Die kurzen Ausführungen haben nur eine Skizze von Pascals Augustinus-Rezeption bieten können. Sie sollte zeigen, daß Blaise Pascals intellektuelle Biographie von der Begegnung mit dem zeitgenössischen Augustinismus geprägt ist. Augustinus als Zitiert nach der Ausgabe Bruxelles: par la Compagnie, 1773, 4. Das Vorwort fehlt in der Taschenbuchausgabe. Diese enthält dafür eine sehr substantielle Einführung von Philippe Sellier. 52
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Quelle ist ihm über dritte – Jansenius, Montaigne u. a. – zugänglich gewesen, aber auch in wesentlich stärkerem Maße als vor den Untersuchungen Selliers bekannt war, durch direkte Lektüre sei es der Werke Augustins in der Originalsprache, sei es – was vor den jüngeren Arbeiten Selliers nicht beachtet wurde – durch die prägenden Übersetzungen, die im Umkreis Port-Royals entstanden sind. Dazu kommen Hilfsmittel wie die ›Trias‹, genauer Sanctorum Patrum de gratia Christi et libero arbitrio dimicantium Trias : Augustinus Hipponensis adversus Pelagium, Prosper Aquitanicus adversus Cassianum, Fulgentius Ruspensis adversus Faustum, quorum propria verba sine ullo additamento summa fide referuntur des Löwener Theologen Jean Sinnich von 1648, als ein Repertorium von Augustinus-Texten.53 Daß Pascal nach Auskunft seines Beichtvaters bei der Veräußerung großer Teile seines Besitzes zwei Jahre vor seinem Tod zur Unterstützung von Armen »même sa bibliothèque, à la réserve de la Bible, de saint Augustin, et fort peu d’autres livres« verkaufte,54 zeigt nochmals, wie hoch im Ansehen der Kirchenvater stand und wie Pascal noch in dieser Zeit schwerer Krankheit seine Texte in der Nähe haben wollte. Die vorangehende Darstellung hat sich zum einen auf eine weniger beachtete, aber m. E. zentrale Schrift Pascals bezogen, die ganz von Augustinischem Geist geprägt ist. Andere – wie das bekanntere Gebet um den rechten Gebrauch der Krankheiten (PKS 351 – 364) hätten ebenfalls herangezogen werden können. Am Schluß soll wenigstens noch erwähnt werden, daß der Name Augustins etwa 200mal im Werk Pascals auftaucht. Die Stellen sind unterschiedlich gewichtig. Es gibt Zitationen, die wohl aus Montaigne oder anderen Quellen stammen (Laf. 60), es werden Worte Augustins wörtlich positiv zitiert – als ›Exzerpte‹ (»Quod curiositate cognoverunt, superbia amiserunt.« Laf. 190, oder 199 am Ende, 206) – oder referierend (»Je ne serais pas chrétien sans les miracles, dit saint Augustin.« Laf. 169); er wird als Autorität genannt (»Si saint Augustin venait aujourd’hui […]« Laf. 517) und seine Rezeption – etwa bei Descartes – wird beurteilt.55 Eine Aufgliederung nach zitierten (oder assoziierten) Stellen aus Werken Augustins hat Philippe Sellier in seinem grundlegenden Buch Pascal et saint Augustin mitgeteilt (vgl. dort 634 – 640). Er kommt auf ca. 300 Stellen, davon nur neun Zitate von Vgl. Anm. 24; 1661 wurde das Buch indiziert. Mémoire de Beurrier. OC.M 1, S. 872. – Es handelt sich um Paul Beurrier (1608 – 1697), Pfarrer von Saint-Étienne-du-Mont. Vgl. OC.L 651 f. 55 Vgl. PKS 103 f. Vincent Carraud: Pascal et la philosophie, 241, sieht hier eher mangelnde Augustinus-Kenntnis, weil das zentrale Gewicht des »si enim fallor« nicht in seiner weittragenden Bedeutung für Augustin gesehen wird, zieht allerdings m.E. zu weitreichende Folgerungen daraus (›anti-augustinisme‹). Pascals Zentralaussage an dieser Stelle, daß Descartes ungeachtet der Parallelen bei Augustinus der ›véritable auteur‹ des cogito sei, bestreitet ja auch Carraud nicht. 53 54
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fünf Stellen der Confessiones, was sich durch die neueren Arbeiten von Sellier wesentlich ergänzen lassen würde, wenn man alle sprachlichen Anspielungen dazu nähme. Die kurzen Nachbemerkungen zeigen, daß das Thema uferlos ist. Es konnte nur eine Skizze eines Teilbereichs gegeben werden. Da selbst die grundlegende und umfangreiche Monographie Selliers – ergänzt in manchem durch dessen eigene Forschungen – nicht das Gesamtgebiet abdecken kann, kann hier nur um Nachsicht für die Beschränkung auf einige kurze Hinweise gebeten werden.
»Je suis du sentiment de S. Augustin […]« Leibniz’ (1646 – 1716) Nähe und Distanz zu Augustinus* von Hartmut Rudolph
Die Fülle der Augustinus-Referenzen1 im bisher veröffentlichten2 Werk von Gottfried Wilhelm Leibniz steht in einem merkwürdigen Gegensatz zur Sparsamkeit, deren sich die Leibniz-Forschung bei der Aufhellung des Themas bisher befleißigt hat. 1912 setzte Ella Stokes3 Thomas von Aquins und Leibniz’ ›Reich der Gnade‹ neben Augustins civitas dei in einen Bezug zu Kants ›Reich der Zwecke‹ und hinterfragte dabei jedes der drei in deren jeweiligem historischen Umfeld beschriebenen Konzepte idealtypisch nach dem Nutzen und den Schwächen für die bestmögliche moralische Entwicklung der Gesellschaft. 1921 untersuchte Joseph Hugon den schon früher erkannten4 und von Leibniz mehrfach selbst hergestellten Zusammenhang von Augustinischer Theodizee und der Metaphysik des Hannoveraner Philosophen.5 Daß Leibniz in den Auseinandersetzungen seiner Zeit, sowohl in der Philosophie als auch bei den kirchlichen Kontroversen, auf Augustinus zurückgreift, war auch der Augustinusforschung nicht völlig verborgen geblieben. Bereits 1866 hatte Jean-Félix Nourrisson, ein Kenner des Werkes beider Denker, eine Reihe von aufschlußreichen Äußerungen des Hannoveraner Gelehrten zusammengetragen, die einerseits Leibniz’ hohe Wertschätzung des Kirchenvaters, vor allem, sofern dieser sich als Platoniker erweise,6 andererseits eine kritische Distanz an wesentlicher Stelle gegenüber zu ›rigiden‹ Elementen in der Soteriologie und Gotteslehre belegen, die ihm den afrikanischen Bischof als »obscur ou même rebutant« erscheinen ließen.7 * Für wertvolle Hinweise bin ich Professor Herbert Breger, Leiter des Leibniz-Archivs Hannover, sehr verbunden. 1 Ein in der Leibniz-Edition verwendetes internes kumuliertes Verzeichnis der im bisher edierten Leibniz-Schrifttum nachgewiesenen Referenzen enthält mehr als 300 Bezüge auf Augustinus-Schriften. 2 Leibniz hat zu seinen Lebzeiten nur wenige Schriften veröffentlicht. Trotz der mit zur Zeit 47 Bänden (mit jeweils 750 bis 1.000 Seiten) schon weit fortgeschrittenen Akademieausgabe sämtlicher Schriften und Briefe dürfte weit mehr als ein Drittel des Leibniz-Nachlasses, darunter auch viele Schriften philosophischen, theologischen und politischen Inhalts, immer noch nicht erschlossen sein. 3 Ella Harrison Stokes: The Conception of a Kingdom of Ends in Augustine, Aquinas, and Leibniz. 4 Vgl. etwa Adolf Trepte: Die metaphysische Unvollkommenheit der Creatur und das moralische Uebel bei Augustin und Leibniz. 5 Joseph Hugon; Concept leibnizien de la liberté et théodicée augustinienne. 6 Vgl. Jean-Félix Nourrisson: La philosophie de Saint-Augustin, Teil 2, hier 273. 7 Jean-Félix Nourrisson: La philosophie de Saint-Augustin, 271. – Ähnlich, allerdings mit nur
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Mit seinem Hinweis auf eine zumindest partielle Nähe der Leibnizschen Substanzmetaphysik zur Augustinischen Idee der persönlichen Individualität hat Johann Kreuzer 1996 einen bis dahin noch nicht thematisierten Bezugspunkt dargestellt.8 Im folgenden sollen die bereits genannten Themen aufgenommen und durch einige weitere Hinweise ergänzt werden, wie sie der Fortgang der historisch-kritischen Edition sämtlicher Briefe und Schriften von Leibniz zunehmend ermöglicht.
1. Leibniz’ Zugang zum Werk des Augustinus und ein genereller Hinweis auf Leibniz’ Wirken
Schon der Leipziger Schüler »brannte«, wie er selbst berichtet, »vor Begierde, die Alten [scil.: in der Bibliothek seines Vaters] … zu erblicken: den Cicero und Quintilian und Seneca und Plinius und Herodot und Xenophon, Plato, die scriptores historiae Augustae, und die vielen lateinischen und griechischen Kirchenväter«.9 Mit gerade einmal acht Jahren verbrachte er oft ganze Tage in der Bibliothek, nahm jedes ihm ins Auge fallende Buch in die Hand, als habe ihm, wie er Anfang der 1670er Jahre berichtet, eine Stimme jenes (Augustinische) ›Tolle Lege‹ zugerufen. Er lernte die ›Klarheit der Diktion‹ der alten Schriftsteller schätzen und bekennt, daß diese ihn sowohl in sprachlicher Hinsicht als auch in seinen Anschauungen beeinflußt haben und daß er die Werke der ›Alten‹ den modischen nichtssagenden, sich hundertfach wiederholenden, ohne Nutzen für das Leben erzeugten Schriften vorziehe, die sich in den Buchhandlungen seiner Zeit stapelten.10 Dieser Selbstbeschreibung entsprechend finden sich in Leibniz’ Werk, in seiner Korrespondenz wie in den Aufzeichnungen und Schriften, nicht nur direkte Bezüge auf die Kirchenväter, sondern, als Folge der – wie er es selbst nannte – ›Einfärbung‹ seines Denkens11 durch die frühe intensive Lektüre der großen alten Schriftsteller, auch indirekte Zeugnisse der Rezeption und Transformation ihrer Ideen. Daß diese Hinwendung zu den ›Alten‹ Augustinus in besonderem Maß galt, belegen nicht bloß die relativ zahlreichen Referenzen auf das Werk des Kirchenvaters, welche diesem von den wenigen Hinweisen auf Augustins Position, Floy Andrews Doull: La ›civitas dei‹ en Agustín y Leibniz. 8 Vgl. Johann Kreuzer: ›Petites perceptions‹. Über Hintergründe eines Theorems von Leibniz. – Einige Hinweise auf seit längerem bekannte Augustinus-Referenzen bietet Gareth B. Matthews: Post-medieval Augustinianism, hier 272 – 274. 9 Zitiert nach Gottschalk E. Guhrauer: Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibnitz. Eine Biographie. Erster Theil, 12. 10 A VI, 2, 510 f. (1671/72); vgl. Gottschalk E. Guhrauer: Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibnitz, 13 – 15. 11 A VI, 2, 511: »[…] utque in sole ambulantes etiam aliud agendo colorantur, tincturam quandam non dictionis tantum sed et sententiarum contraxerat.«
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frühesten bis zu den späten Schriften und Briefen zu einer auffälligen Präsenz verhelfen, sondern auch Äußerungen, in denen der große christliche Philosoph in der Zeit der Frühaufklärung dem Philosophen und doctor ecclesiae seine Reverenz erweist. Gegenüber dem führenden französischen Theologen und Bischof Bossuet nennt Leibniz 1700 Hieronymus und Augustinus als die einzigen lateinischen Kirchenväter, die »par son erudition« (Hieronymus) oder »par son esprit penetrant« (Augustinus) eine Ausnahme von der jenen geltenden Regel bilden, bloße Kopisten der griechischen Autoren zu sein.12 Seiner Überzeugung, daß der Nordafrikaner nun aber auch den aus dem Norden Italiens stammenden Bibelgelehrten, wie überhaupt alle christlichen Schriftsteller des Altertums, überragt, hatte Leibniz bereits in einer der großen Schriften zur Kirchenreunion 1683 Ausdruck verliehen: Es gebe keinen Schriftsteller in der Alten Kirche, der an Geistesmächtigkeit und hinsichtlich der Solidität seiner Argumente an Augustinus heranreiche;13 und in ähnlichem Zusammenhang beklagt er für seine Zeit das Fehlen der ›Augustinusse‹ und ›Aquinaten‹ oder zumindest her vorragender, vom Geist derselben beseelter Führungspersönlichkeiten.14 Andererseits finden sich in Leibniz’ Schriften ausreichend Belege, daß diese Hochachtung nicht mit blinder Autoritätshörigkeit gleichzusetzen ist, sondern sowohl aus der Kenntnis der Fortschritte neuzeitlicher Wissenschaften15 als vor allem auch durch vernunftgeleitete Überprüfung ergänzt, weiterentwickelt oder in einzelnen Punkten revidiert werden muß.16 Schon die frühesten uns erhaltenen Zeugnisse belegen, daß Leibniz nicht nur generell den Augustinischen Schriften große Aufmerksamkeit widmete, sondern den doctor ecclesiae auch bei sehr spezifischen Problemen konsultierte, so etwa, wenn es um die Klärung der Frage nach der Auferstehung solcher Menschen ging, A I,18, 638. – Gerade der Briefwechsel mit Bossuet in jener Zeit, konzentriert auf die durch das Tridentinum virulent gewordene Frage des biblischen Kanons, belegt bei beiden einen außergewöhnlich hohen Respekt vor dem Kirchenlehrer und dessen Autorität. 13 A IV, 3,231: [Augustinus], »cui quod ingenii vim ac ratiocinandi soliditatem attinet nullus veterum Ecclesiae Scriptorum [geändert aus: ›nullus ex patribus‹] praeferri potest«. 14 Rationale fidei Catholicae contra omnis generis sectas; A VI, 4C,2305: »Atque utinam S. Augustinus in nostra tempora incidisset, aut nostri seculi profectus anticipare potuisset: vel potius utinam viri insignes eodem spiritu animati tantum opus aggrederentur.« Weiterhin Specimen demonstrationum catholicarum; A VI, 4C, S. 2324 f.: »Atque utinam viverent hodie Augustini atque Aquinates, in quibus sapientia pietati soliditas subtilitati par eluxit, quibus si adfuissent nostri seculi praesidia efficissent credo ut quanto quisque foret ingeniosior eo magis pulchritudinem Christianorum dogmatum admiraretur.« 15 Vgl. dazu unten, 71 f. 16 Auch findet Leibniz bei Augustinus wie bei anderen Kirchenvätern und gelegentlich in der Heiligen Schrift selbst zweideutige oder dunkle Aussagen (vgl. aus der Korrespondenz 1683 etwa A I, 3, S. 282, 292 und 308 f.). In solchen Fällen biete die große Fülle der Kirchenväterschriften eine bessere Möglichkeit als bei der heiligen Schrift, die nur wenige Bücher habe, durch einen Abgleich der (ausreichend vorhandenen) Aussagen (»expliquer l’un par l’autre«) die quasi authentische Position bestimmen zu können. 12
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die verspeist worden sind.17 Mehrfach greift er in seinen philosophischen Jugendschriften auf Bemerkungen über Varro in De civitate dei (19,1) zurück und versucht, den 288 möglichen Lehrmeinungen über das höchste Gut mathematisch-logisch nachzugehen.18 In der in wenigen Tagen von dem 21jährigen Doktor der Rechte auf der Reise, und das heißt aus dem Kopf, ohne Rückgriff auf schriftliche Unterlagen, hingeworfenen Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (1667),19 großenteils einer ›bibliographie rationnée‹, zählt er Augustinus pauschal neben Plinius, Apulejus, Boethius zu den ›älteren‹ Autoren, die zur ›Cosmographia‹, zur Geschichte der Natur und der Welt, einen Beitrag geleistet haben,20 und führt unter der Rubrik Dogmengeschichte den Häresienkatalog in Augustinus’ Liber de haeresibus ad Quodvulteum21 als Referenz an. Schon 1671 berührt Leibniz ein zentrales Thema seiner Metaphysik, wenn er gegenüber dem Kieler Juristen Magnus Wedderkopf die göttlichen Attribute der Allmacht, Allwissenheit und Vollkommenheit des Geistes, die keine göttliche Entscheidung zuließen, die nicht Ausdruck der vollkommensten Harmonie wäre, mit der Willensfreiheit und dem Vorhandensein der Sünde überein zu bringen versucht. Wesentliche Teile der Theodizee werden hierbei schon angesprochen; ein voluntaristisches Verständnis der göttlichen Willensfreiheit, ein Willensvollzug ohne Bindung an die Güte des Entschiedenen (bonitas rerum) wären ›monströs‹. Gott hasse die Sünden, aber diese seien insofern gut, als es Harmonie immer nur aus Gegensätzen geben könne. »Keiner soll daran zweifeln, daß dies die Meinung des Augustinus war.«22 1694 übergibt er Kurfürstin Sophie eine kommentierte Übersicht über Augustins Anschauungen des Fegefeuers.23 Unter den etwa 80.000 Handschriften des Leibnizschen Nachlasses befinden sich viele, oft auch kommentierte Exzerpte, Zeugnisse der intensiven Rezeption und Verarbeitung des Wissensstandes seiner Zeit. Unter den ebenfalls, wenn auch offensichtlich nicht im selben Ausmaß, exzerpierten Autoren des Altertums scheint Augustinus bei weitem die größte Beachtung gefunden zu haben,24 und unter dessen Schriften waren es die Confessiones, die Leibniz am meisten geschätzt haben muß.25 Am Ende In einer Stellungnahme für Herzog Johann Friedrich von Hannover (1671) wird De civitate dei 22,20 zur Klärung dieser Frage herangezogen; vgl. A II, 12, 184. 18 Vgl. die Marginalie zu Jakob Thomasius’ Philosophia practica (um 1663/64; A VI,1); und vor allem De arte combinatoria (1666; A VI, 1, 205). 19 A VI, 1, N. 10, 259 – 364. 20 A VI, 1, 288. 21 A VI, 1, 319 – Leibniz empfahl die kommentierte Ausgabe von L. Danneau, Genf 1576. 22 A II, 12, 187. Leibniz mag etwa an De libero arbitrio 3,26 gedacht haben. 23 A I, 10, N. 71 (erstmals veröffentlicht von G. W. Böhmer in: Magazin für das Kirchenrecht etc., Band 1, Göttingen 1787, 415 – 420). – Leibniz’ hauptsächliche Quellen sind das Enchiridion ad Laurentium und De civitate dei 21,26. 24 Vgl. den Hinweis in A VI, 4A, LXXXVII. 25 Vgl. A VI, 4B, N. 332 f., A VI, 4C, N. 426 f., 443 und 445. 17
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einer kurzen Aufzählung metaphysischer Themen in den Confessiones notiert er einen Satz aus einer ihm in die Hände gelangten Aufzeichnung: »Im Werk des Augustinus ist De civitate dei von gelehrtestem Nuancenreichtum, aber die Confessiones sind von der profundesten Wahrheit.«26 Den Zugang zum Werk des Kirchenvaters dürften Leibniz nicht nur die Ausgaben des 16. Jahrhunderts (Basel und Antwerpen) oder die Editionen einzelner Schriften ermöglicht haben, sondern auch Florilegien und vor allem die Präsenz des doctor ecclesiae im Schrifttum seiner Zeit.27 Vor allem aber fällt in Leibniz’ Lebenszeit die Edition der großen Maurinerausgabe (Paris 1679 – 1700), deren Entstehen in der mit der europäischen Gelehrtenwelt eng vernetzten Leibniz-Korrespondenz immer wieder Spuren hinterlassen hat. Schon 1672 wußte Leibniz vom Vorhaben der französischen Benediktiner,28 bereits 1677 wird ihm aus Paris das baldige Erscheinen der Opera Sancti Augustini omnia angekündigt,29 1687 erhält er Gelegenheit, in Würzburg die ersten Bände einzusehen,30 Ende Mai 1679 zeigt ihm der Utrechter Rhetorikprofessor J. G. Graevius das Erscheinen des ersten Bandes der Ausgabe an, die »alle vorhergehenden in den Schatten stellen werde«;31 1691 wird er durch Paul Pellisson-Fontanier zu einem textkritischen Problem bei der Edition des Sermo 354 in der Maurinerausgabe befragt, worauf er bald antwortet,32 und 1700 erfährt Leibniz vom bevorstehenden Abschluß des Unternehmens.33 Auch die durch die Ausgabe provozierte Kontroverse zwischen Benediktinern und Jesuiten wird in der Leibnizkorrespondenz mehrfach thematisiert.34 A VI, 4C, 1689 und 1681: »Opus Augustini de Civitate Dei doctissimae est varietatis, sed libri Confessionum profundissimae sunt veritatis«. 27 Vgl. z. B. die Augustinusstellen in Leibniz’ Exzerpt aus Jean Daillé: De usu patrum etc. (Genf 1655); A VI, 4C, N. 431, den Rekurs auf Augustinus’ Ad inquisitiones Ianuarii liber secundus (= ep. 55), c. 19, von Leibniz nach H. Conring zitiert (A IV, 4, S. 566) oder auf die Enarratio in Ps. 98,9 nach dem Zitat in G. Cassanders Consultatio (A IV, 4, 568). In De salvatione gentium (1692/93) notiert er am Rande eines längeren Zitats aus der Epistula 49 ad Deogratias presbyterum: »Loca Augustini pro gratia et salute gentilium exhibet Joh[annes] Langus scholiis ad Justini Apolog[iam] 2« [d. h. die Justinus-Werkausgabe von Johann Lang, 1565] (A IV, 5, S. 456); oder Leibniz verweist auf eine Sammlung von Augustinusstellen in Sixtus Senensis: Bibliotheca sancta […]. ex praecipuis catholicae ecclesiae autoribus collecta et in octo libros digesta, 2. Aufl. 1575 (A IV, 5, 465). 28 Am 27. Februar 1672 an den Augsburger Diakon Gottlieb Spitzel (A I, 1, 193): »In Augustino denuò edendo laborant Benedictini Galli«. 29 F. A. Hansen am 13. August 1677 an Leibniz (A I, 2, S. 289). Wenige Tage zuvor hatte der Hofrat Henri Justel Leibniz von der Ausgabe berichtet, für die »alle in Europa auffindbaren Manuskripte kollationiert« worden seien; A I, 2, 287. 30 Vgl. A I, 5, 429. 31 A II, 2, 481 (Übersetzung, H. R.). 32 Vgl. A I, 6, N. 94 vom 16. Juni 1691 und Leibniz’ Antwort vom Juli 1691, a. a. O., N. 98. 33 F. Pinsson am 19. März 1700; A I, 18, 464. 34 Vgl. aus 1699 v. a. die Briefe in: A I, 17, N. 304, aber auch N. 174, 216, 344 und 357. 26
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Das Interesse des in das Luthertum hineingeborenen und trotz mehrerer Versuche, ihn zur Konversion zu bewegen, auch dieser Konfession treu gebliebenen, eminent politisch denkenden Gelehrten und Philosophen an solchen theologischen Kontroversen innerhalb des Katholizismus wird zunehmend verständlich aus einem Plan, den er, ausgestattet mit hohem Selbstbewußtsein bereits zu Beginn seiner höfischen Dienste, mit etwa 22 Jahren in Mainz gefaßt haben muß. Immer deutlicher läßt die Edition der bisher unveröffentlichten Schriften in der Akademieausgabe ein universal angelegtes Projekt rationaler und wissenschaftlicher Durchdringung der Welt zur Vervollkommnung der Menschheit und zu deren allgemeinen Besten erkennen. Leibniz war bewußt, daß ein so weitgreifendes Vorhabens, nichts Geringeres als die Arbeit am Reich Gottes als der gloria dei im Sinne der Vervollkommnung des Menschengeschlechts,35 auf einen größeren Zeitraum hin geplant werden müsse und erhebliche, zunächst von ihm selbst zu erbringende Leistungen voraussetzte. Die Realisierung traute er nur den Gelehrtesten und sittlich Reifsten unter den Mächtigen seiner Zeit zu, denen von Gelehrten als den Bürgern einer Republik der Geister zuzuarbeiten sei. Dementsprechend lassen sich seine Lebensplanung, die Schwerpunkte seiner philosophischen, wissenschaftlichen und politischen Arbeit im Sinne einer ›Strategie‹ verstehen.36 Die unterschiedlichsten Bereiche seiner wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten werden untereinander verknüpft und unter ein Ziel gestellt, seien es die Arbeiten zur scientia generalis, zur Jurisprudenz, zur Mathematik und Logik, zu Naturwissenschaft und Technik, seien es die vielen theologischen Studien und Aufzeichnungen, die von ihm als natürliche Theologie verstandene Metaphysik oder unmittelbar politische Bemühungen, vor allem um die Einheit der getrennten christlichen Kirchen und eine Organisation des Wissens (etwa in Sozietäten oder Akademien) als Grundlage politischen Handelns zum Nutzen der ganzen Menschheit. Darin sah er die wesentliche Voraussetzung für die Vervollkommnung, bescheidener würden wir heute vielleicht sagen, für ein Fortschreiten der von ihm global gedachten, d. h. auch die nicht-christlichen Völker und Kulturen einschließenden Monarchie Gottes über die vollkommenste Republik der Geister, deren Einwohner das größtmögliche Glück der civitas dei ausstrahlen, »qui est la plus noble part de l’univers«.37 Wenn im folgenden einzelne Themen herausgeVgl. Leibniz am 1. Oktober 1697 an Andreas Morell; A I, 14,548 f. – Grundlegend in diesem Zusammenhang ist bereits Jean Baruzi: Leibniz et l’organisation religieuse de la terre d’après des documents inédits. 36 Vgl. hierzu die grundlegenden Bemerkungen Heinrich Schepers; A VI, 4A, XLVIII f. Die Leibnizsche ›Strategie‹ schloß auch einen »Zwang zur Geheimhaltung seines großen Vorhabens« ein, der die relativ geringe Zahl an Veröffentlichungen intra vitam mit erklären kann. Leibniz scheint befürchtet zu haben, die Gelehrtenwelt werde sein Vorhaben ablehnen, solange ihm die Klärung und überzeugende Ausformulierung der wesentlichen Gesichtspunkte noch nicht gelungen sei. 37 Discours de métaphysique XXXVI; A VI, 4B, 1587. 35
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stellt werden sollen, bei denen Leibniz auf Augustinus zurückgreift, so gilt es, jenen gemeinsamen inneren Bezug mitzudenken, auch wenn es nicht gelingen mag, ihm bei der Interpretation immer die erforderliche Geltung zu verschaffen.
2. Civitas dei und Gottes universale Monarchie
Leibniz zählt zu den großen Ökumenikern seines Zeitalters. Geprägt von der Irenik eines Georg Calixt bekennt er sich in früher Zeit noch zum ›Synkretismus‹.38 Über Jahrzehnte hinweg bis in die letzten Wochen vor seinem Tod bemühte er sich um eine Wiedervereinigung der durch die Reformation getrennten Kirchen auf eine in der Geschichte der Ökumene singuläre Weise.39 Grundlage für die angestrebte Einheit ist ihm nicht oder allenfalls präliminar die Beschränkung auf eine den widerstreitenden Konfessionen gemeinsame Basis des Bekenntnisses (etwa im Sinne eines consensus quinquesecularis oder des Vinzenz von Lerinum), sondern die salva veritate gewonnene Einheit durch eine inhaltliche Auflösung der Differenzen, die für Leibniz weniger in den theologischen Lehrmeinungen selbst als in den philosophischen Vorentscheidungen der jeweiligen Parteien gründen. So gehen von dem Bemühen um eine Kirchen(re)union wesentliche Impulse auf Leibniz’ Metaphysik und Ethik aus, seine Substanzmetaphysik in der Auseinandersetzung mit Descartes soll sowohl das reformatorische Verständnis der Realpräsenz Christi in der Eucharistie mit der Vorstellung von der Transubstantiation der katholischen Seite ausgleichen als auch die Voraussetzung für die Überwindung der innerprotestantischen Gegensätze liefern, das Theodizeekonzept soll die Grundlage zu einer – zumindest partiellen – Annäherung der kontroversen Erwählungsvorstellungen im Protestantismus bilden. Leibniz hatte, als er in den 1680er Jahren aktiv in die protestantisch-katholischen Reunionsbemühungen eingreifen und sich Ende der 1690er Jahre auch dem innerprotestantischen Ausgleich zuwenden konnte, jahrelang an der Errichtung eines [P. Schrecker], G.-W. Leibniz. Lettres et fragments inédits, hier 57. Synkretismus wird hier im Sinne der von Georg Calixt geprägten Irenik der Helmstedter Theologie verstanden: »Ist es allein die lutherische Kirche, die inmitten einer Flut des Abfalls von der reinen Lehre des Evangeliums im Besitze der Wahrheit ist und die eine, wahre, sichtbare Kirche Christi darstellt? (So die orthodoxen Lutheraner.) Oder ist die lutherische Kirche Glied einer größeren, universalen Gemeinschaft und teilt sie sich in den Besitz der Wahrheit mit den anderen Konfessionen, die gemeinsam mit ihr jene eine Kirche Christi ausmachen, deren äußere Einheit es wiederherzustellen gilt?« (So Calixt und seine Anhänger); Hermann Schüssler: Georg Calixt. Theologie und Kirchenpolitik. Eine Studie zur Ökumenizität des Luthertums, 134. 39 Vgl. hierzu Paul Eisenkopf: Leibniz und die Einigung der Christenheit. Überlegungen zur Reunion der evangelischen und katholischen Kirche und Hartmut Rudolph: Bemerkungen zur kirchengeschichtlichen Einordnung des Leibnizschen Ökumenismus. 38
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philosophischen Fundaments gewirkt, das – wie gesagt – die Grundlage für den Ausgleich bieten könne. In umfangreichen Gutachten um 1683 zur Kirchenunion, die eine gute Kenntnis schismatischer Vorgänge in der Kirchengeschichte und auch der Religionsgespräche des 16. Jahrhunderts zeigen, diagnostiziert er, auch unter Berufung auf führende humanistische Gestalten der vortridentinischen Einigungsbemühungen, wie Erasmus von Rotterdam, Martin Bucer, Julius Pflug, vor allem Philipp Melanchthon, das Schisma als einen Mangel an Liebe.40 Ein ganzes Florilegium von Augustinusstellen führt Leibniz hierzu an: »Denen, die nicht die Einheit der Kirche lieben, mangelt es an brüderlicher41 Liebe.«42 Eine der wesentlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen Bemühung um die Einheit der Christen sieht er in dem Verzicht auf eigene Machtausübung, auf jegliches Streben nach eigenem Vorteil, dem, wie er es in einem Brief an Sophie von Hannover 169743 nennt, amour mercenaire, und in der Hinwendung zur Gottesliebe, dem amour de dieu. In einem längeren bis in die Frühschriften zurückreichenden Reflektionsprozeß ist er in den 1690er Jahren zu einer Definition dieser Liebe gelangt, deren wesentliches Merkmal sich Augustinus verdankt. Den Hintergrund dieser Vorstellung schildert Leibniz gegenüber der Kurfürstin selbst; es ist seine Definition der »Gerechtigkeit als der Liebe des Weisen« (justitia est caritas sapientis 44), gewiß eine originale Leibnizsche Definition, die gespeist wird von Platon, vom Ciceronischen Naturrechtsdenken und an einem entscheidenden Punkt von Augustinus, nämlich in der Bestimmung Vgl. etwa Reunion der Kirchen [Ende 1683]; A IV, 3, 272. Die Übersetzung von caritas in ›brüderliche Liebe‹ geht auf Leibniz selbst zurück; vgl. A VI, 4C, 2806. 42 Reunion der Kirchen [Ende 1683]; A IV, 3, 284 f.: »Qui in schismate sunt caritatem non habent. Hunc autem amorem fraternum, qui profecto maximum coelestis vitae in terris praeludium est, et in prima Ecclesia erat ardentissimus, schismate labefactari imo tolli constat: praeclareque ut omnia S. Augustinus pluribus locis pene iisdem verbis dixit: non habent DEI caritatem, qui Ecclesiae non diligunt unitatem, lib. 3. De Baptismo contra Donatistas cap. 16 init. et fin. Contra Crescon. lib. 1. cap. 29. Epistola 50. fin. aliquoties Tract. 6. in Johann. idem: Membra Christi per unitatis caritatem sibi copulantur, ac per eandem capiti suo cohaerent, De Unitate Ecclesiae cap. 2. Et: accipimus et habemus Spiritum Sanctum, si amamus Ecclesiam, amamus autem, si in ejus compage et caritate consistimus. Tract. 32 in Johann. Nec vicissim erga ipsos locum habet amor fraternus. Porro qui in schismate sunt, quemadmodum caritatem amittunt ipsi, ita vicissim plena illa caritate amari non possunt, quae in sola divini amoris Unitate locum habet: amari possunt ut homines, diligi non possunt, ut fratres. Vera enim Caritas est ut DEUM amemus propter se caetera propter DEUM, quemadmodum ait S. Augustinus lib. 3. De doctrina Christiana cap. 1. Quomodo autem homines amentur propter DEUM ipse explicuit Augustinus Contra Faust. lib. 22. cap. 78. propter DEUM amat amicum, qui DEI amorem amat inamico. Unde sequitur fraternum amorem ex DEI amore nasci, et reciprocum esse. At Schismaticis abrupta caritatis communione, neganda est fraternitatis dextera, sanctaeque amicitiae nuntius remittendus.« 43 A I, 14, 57 f. 44 Codex juris gentium diplomaticus; A IV, 5, 57 – 59. 40
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eben dieser Liebe nicht einem hedonistischen oder utilitaristischen Verständnis entsprechend als auf das eigene Wohl ausgerichtet, sondern als Gottesliebe im Sinne der ›delectio‹ am Glück des anderen, schließlich an der Vollkommenheit Gottes.45 Frühe Überlegungen zum Begriff des Rechts und der Gerechtigkeit enthält die oben46 bereits erwähnte Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (1667). Die darin enthaltene Auslegung des bekannten Satzes aus den Digesten des Corpus juris civilis (»Juris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere«47) bindet die Gerechtigkeit nicht in formaler Weise an ein positives Recht, gesetzt etwa vom absoluten Willen eines Herrschers und dessen Eigenwohl oder in einem freien Willensschluß Gottes, sondern verankert Recht und Gerechtigkeit im Naturrecht. Letzteres besitzt für Leibniz den entscheidenden Vorteil, nicht von historischer Kontingenz, etwa von den Launen eines Gesetzgebers, abzuhängen, sondern einzig in der Vernunft zu gründen und dadurch zu allen Zeiten und in allen Bereichen des, wie wir heute sagen würden, gesellschaftlichen Lebens abrufbar zu sein. Nach einer Reihe von Entwürfen und Aufzeichnungen48 glaubte Leibniz, mit seiner Definition der Gerechtigkeit in der Praefatio zum Codex juris gentium diplomaticus (1693)49 die Klarheit gewonnen zu haben, an der es trotz der Fülle von Äußerungen illustrer Autoren noch immer mangele. Die für ihn im Begriff der Gerechtigkeit enthaltene ›Liebe‹ (caritas) definiert Leibniz später als ›universelles Wohlwollen‹ (benevolentia universalis).50 1706 gegenüber Pierre Coste, dem Übersetzer der Werke Lockes, benennt er Augustinus als denjenigen, der ein Gut, das um seiner selbst willen gut ist, von einer Sache unterscheide, die sich lediglich wegen eines von dieser erzeugten Effekts als vorteilhaft erweist, und bezieht sich vor allem auf De civitate dei (11,25): »[…] comme l’Amour pur est fondé sur la félicité de Dieu ou sur le plaisir qu’il y a a d’avoir en veue les perfections divines […], il est appelé un Amour de Bienveuillance […] mais l’amour fondé dans l’esperance de Vgl. etwa lib. arb. 2,19 f.; doctr. chr. 1,20 – 23; vgl. hierzu bes. Patrick Riley, der jener Definition der Gerechtigkeit als zentraler Aussage der Leibnizschen Ethik eine ganze Reihe von Arbeiten gewidmet hat, z. B.: Leibniz’ Universal Jurisprudence. Justice as the Charity of the Wise, bes. 162 – 164 u. ö.; Riley sieht Leibniz als ›Augustinianer‹(162), sofern er die ›erleuchtete‹ (doctr. chr. 1,20 – 23) als die wahre Liebe ansieht, wogegen Kants Augustinismus »gives primacy to ›good will‹ as the only ›unqualified‹ good«. Beiden Positionen sei die Minderung der Bedeutung der Gnade als zentraler Heilsursache bei Augustinus eigen. 46 Vgl. A VI, 1, N. 10, 259 – 364. 47 Digesten 1, 1, 10 1. 48 Vgl. die zwischen 1677 und 1686 entstandenen Schriften zur scientia juris naturalis; A VI, 4C, N. 487 – 510; 2751 – 2900. 49 Vgl. Codex juris gentium diplomaticus; A IV, 5, 57 – 59. 50 Vgl. Leibniz 1697 an Kurfürstin Sophie (A I, 14, 58): »La justice est une charité conforme à la sagesse. La sagesse est la science de la felicité. La charité est une Bienveuillance Universelle. La bienveuillance est une habitude d’aimer. Aimer est trouver du plaisir dans le bien, la perfection, le bonheur d’autruy.«; weiterhin: Méditation sur la notion commune de la justice (1704). 45
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quelques autres plaisirs que Dieu […] est appelé Amour de Concupiscence.«51 Was Leibniz hier zur Liebe sagt, allein schon die Unterscheidung eines amour mercenaire vom amour de dieu, gehört sicherlich zur unmittelbaren Wirkungsgeschichte des letzten Kapitels in De civitate dei 14, der Unterscheidung der civitas terrena und der civitas caelestis. Die Verwirklichung letzterer unterliegt bei ihm jedoch keinem eschatologischen Vorbehalt, sondern bildet eine den besten Geistern obliegende Aufgabe vernunftgeleiteten Handelns in allen Bereichen der menschlichen Gesellschaft. Die ›Geister‹ sind das Instrument Gottes, des »Chefs aller Personen oder intelligenten Substanzen, des absoluten Monarchen der vollkommensten civitas oder Republik, wie sie die des Universums ist«.52 Dieser Monarch regiert als das ens rationissimum nicht in Gleichgültigkeit gegenüber Gut und Böse, sondern er wirkt in seiner Güte aus einer ›moralischen Notwendigkeit‹, die den Weisen verpflichtet, gut (d. h. zum allgemeinen Besten) zu handeln.53 Wahre Gottesliebe als Motiv individuellen wie politischen Handelns erhebt die menschlichen Dinge zum Göttlichen.54 Insofern als die ›Geister‹, die vernunftbegabten Seelen (›âmes raisonnables‹) als Bilder des Göttlichen selbst fähig sind, das System des Universums zu erkennen und ihrerseits den Schöpfer und Autor darin nachzuahmen, daß sie architektonische Probestücke der großen Schöpfung in ihrem ›Mikrokosmos‹ anfertigen, sind sie, jeder in seinem Bereich, gleichsam etwas Göttliches55 und vermögen so eine Gemeinschaft mit Gott einzugehen. Und Leibniz zieht daraus den Schluß, daß die »Versammlung aller Geister« die civitas dei bildet, d. h. »den vollkommensten Zustand oder Staat unter dem vollkommensten der Monarchen«, eine universelle Monarchie als der »Monde Moral dans le Monde Naturel«.56 Auch die civitas dei des Augustinus umfaßt alle Geister, alle vernunftbegabten Wesen, sofern sie Gott über alles lieben. Doch fehlt in Leibniz’ Vorstellung der cité de dieu, der universellen Monarchie, des Reiches der Geister, ein wesentliches Element, nämlich Augustins Vorstellung von den zwei Bürgerschaften oder Herrschaftsbereichen, einer irdischen und einer himmlischen ›civitas‹, einer ›civitas diaboli‹ und einer ›civitas dei‹, sofern deren Neben-, In- und Gegeneinander den Ablauf der Menschheitsgeschichte prägt, sofern an deren Ende die Verdammung der Bürger der irdischen civitas zu ewigem oder zweitem Tod und ewiger leiblicher Pein steht57 und schließlich, sofern die apokalyptischen Ereignisse in den Weltenbrand und (gemäß Apk. Joh. 21) in die Welt eines neuen Himmels und Leibniz am 4. Juli 1706 an Pierre Coste (vgl. GP III, 384 f.). Discours de métaphysique XXXV; A VI, 4B, 1584 f. 53 Vgl. Essais de théodicée, 2. Teil, § 175. 54 »Cette espece d’amour […] transporte l’humain au divin«; Essais de théodicée, Vorrede; GP VI, 27. 55 Vgl. Essais de théodicée, 2. Teil, § 147 und Monadologie, § 83. 56 Monadologie, §§ 84 – 86. 57 civ. 19,28. 51 52
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einer neuen Erde münden.58 Die Leibnizsche Definition der cité de dieu entbehrt nicht nur dieses heilsgeschichtlichen Dualismus, sondern die Monarchie Gottes übersteigt den Rahmen der Menschheitsgeschichte und bezieht den gesamten Kosmos ein. Das Menschengeschlecht bildet nur ein Fragment, einen kleinen Teil des Gottesreiches bzw. des Reiches der Geister. Unser Fassungsvermögen erlaube uns jeweils nur eine fragmentarische Wahrnehmung des ganzen göttlichen Werkes. Aber in jeder Pflanze, jedem Tier, in jedem Menschen, im System der Planeten erweise sich die Kunstfertigkeit und Schönheit des wohl geordneten Ganzen. Das Reich Gottes sei zu ausgedehnt, als daß wir es in seiner wunderbaren Ordnung erkennen könnten,59 mit anderen Worten: nach Leibniz’ Sicht besteht keine Notwendigkeit, die reale Welt in ihrer Schönheit und der Vollkommenheit ihrer Ordnung zu verbrennen und durch eine neue zu ersetzen.
3. Vernunft und Autorität der Offenbarung
Die Vernunft legt sich als ein gemeinsames Band um den Schöpfer und die Schöpfung. Gott wird am Beginn des Examen religionis christianae, einer grundlegenden Unionsschrift von 1686, d. h. aus dem Jahr des Discours de métaphysique, als »die vollkommenste Substanz« bezeichnet, »von welcher alles andere durch die schönste Vernunft geschaffen wurde und in einer fortwährenden Erzeugung bewahrt wird«.60 So gehört die ›rechte Vernunft selbst‹ (ipsa recta ratio) neben der Hl. Schrift, dem frommen Altertum (pia antiquitas) und der ›Wahrheit der historischen Tatsachen‹ (fides rerum gestarum) zum Instrumentarium einer ›von Affekten freien‹ Überprüfung der christlichen Religion.61 In den ökumenischen Schriften bilden Vernunft und historische Erkenntnis eines der Gebiete, auf denen Leibniz seine Position ge-
civ. 20,16. – Auf die Unterschiede zwischen Augustinus’ und Leibniz’ Exegese der in den apokalyptischen Texten der Bibel vorausgesagten Ereignisse und ihrer in civ. 20 – 22 vorgenommenen geschichtlichen Zuordnung soll hier nicht eingegangen werden; vgl. hierzu unter anderem Essais de théodicée, 3. Teil, § 275; vgl. auch Daniel J. Cook: Leibniz: Biblical Historian and Exegete; und Hartmut Rudolph: Hinweise in Leibniz’ Korrespondenz mit Hermann von der Hardt. 59 Essais de théodicée, 2. Teil, § 146. Vgl. auch Michel Fichant: G. W. Leibniz, Discours de métaphysique suivi de Monadologie et autres textes, 503 f., der zur Erläuterung zusätzlich aus dem Anhang zur Theodizee (Abregé de la controverse), Antwort auf den 2. Einwand, zitiert: »la Cité de Dieu ne se limite pas au genre humain: elle est aussi ›composée tant de génies que d’animaux raisonnables sans nombre et d’une infinité d’espèces«. 60 A VI, 4C, 2357: »[…] sentio esse perfectissimam substantiam […] quam Deum vocamus, a qua omnia alia pulcherrima ratione creata sunt, et perpetua quadam productione conservantur«. 61 A VI, 4C, 2357. 58
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genüber Augustins Zuordnung von Glauben und Vernunft erörtert.62 Wenn dieser in De utilitate credendi unter Hinweis allein schon auf die Alltagserfahrung auf die Autorität als Grundlage des Glaubens verweist, so kann dies für Leibniz nicht den Dispens der Vernunft hinsichtlich der Prüfung der offenbarten Glaubenswahrheiten bedeuten. Wie sollte man sonst die wahre christliche Religion von einer falschen unterscheiden können?63 Das Vermögen einer solchen auf die Vernunft gegründeten Urteilsfindung hat Augustinus den Menschen abgesprochen. Sollten sie meinen, auf diesem Wege metaphysischer Erkenntnis zur Wahrheit über Gott und die Welt gelangen zu können, zeigen sie nur, daß sie Gott eben noch nicht erkannt haben.64 Dessen Wahrheit kann nur in und durch Gott gefunden werden, ›supra me‹, außerhalb meiner selbst.65 Allenfalls können die Menschen ›Fragen stellen‹.66 Schon in den Schriften zur scientia generalis beschränkt Leibniz die von Augustinus eingebrachte ›Autorität‹ als Erkenntnisprinzip auf die Erfahrungswissenschaften (scientiae mixtae);67 wer aber seine Erwägungen gründlich anstellen wolle, werde auf höhere Prinzipien zurückgreifen.68 Leibniz sieht hierbei die ebenfalls zu Beginn der 1680er Jahre von ihm entwickelte Wissenschaftslogik nicht als ein von der Metaphysik abgetrenntes Wissensgebiet an, sondern die eine Logik bildet die für jene geeignete und anzuwendende methodologische Grundlage, wenn anders Gott vernünftig handelt und es eine Vernunft ist, »die als die Gesamtheit der ewigen Wahrheiten Gottes Verstand ausmacht und die unser menschliches Wissen bestimmt«.69 Die Reduktion des Augustinischen Arguments begründet Leibniz nicht nur mit seiner Metaphysik und erkenntnistheoretischen Erwägungen zur scientia generalis, Die der ›Übereinstimmung des Glaubens mit der Vernunft‹ gewidmete, einleitende Abhandlung der Theodizee enthält keine direkte Auseinandersetzung mit Augustinus, dem Leibniz nur neben einer Reihe anderer Theologen das Verdienst zurechnet, der Theologie eine wissenschaftliche Gestalt verliehen zu haben (GP VI, 5). Andererseits erwähnt er eine Sammlung Antoine Arnaulds mit Augustinuszitaten über die Unzugänglichkeit des göttlichen Planens für unsere Vernunft und führt folgerichtig Origenes (nicht aber Augustinus) dafür an, daß die Vernunft nicht im Gegensatz zum Glauben stehe, sondern die Grundlage bilde. 63 Vgl. hierzu A VI, 6C, 2362 f. 64 conf. 11,11; vgl. hierzu und zum folgenden Norbert Fischer: Confessiones 11: ›Distentio animi‹. Ein Symbol der Entflüchtigung des Zeitlichen, 492 f. 65 conf. 10,26.»ubi ergo te inveni, ut discerem te, nisi in te supra me?« 66 conf. 10,6; zum daran anschließenden Gedanken eines Überschreitens der Grenzen des Ich hin in den Bereich der ›memoria‹ (Confessiones 10,8) vgl. unten, Abschnitt 5. 67 De synthesi et analysi; A VI, 4A, 544. 68 Daß Augustinus’ Feststellung ›in den meisten Fällen‹ zutrifft, gesteht Leibniz zu, »puto tamen eum qui accurate meditari velit altiora reperturum judicandi principia«; vgl. De principiis; A VI, 4, 124 Fn. 1. 69 Heinrich Schepers: Einleitung zu A VI, 4, LXIV; so sieht Schepers auch die Kombinatorik (ars combinatoria), also die innerhalb der scientia generalis neben der ars judicativa und der ars inveniendi notwendige Koordination der Dinge, von Leibniz »gleichsam als die Geometrie der Metaphysik« dargestellt; ebd., LIX. 62
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sondern er führt gerade in den Reunionsschriften der frühen 1680er Jahre auch Argumente an, die dem Bereich der historischen Tatsachen (rerum gestarum fides), man könnte in diesem Fall fast von einer Wissenssoziologie sprechen,70 entnommen werden. Ausgehend von Augustins Feststellung (etwa in trin. 4,6), das unserem Glauben innewohnende Prinzip sei nicht die Vernunft, sondern die Autorität der Offenbarung Gottes,71 schränkt er die Richtigkeit der Aussage in zweierlei Hinsicht ein, historisch auf die ersten Christen, bei denen die Vernunft noch vom Glauben getrennt war, wissenssoziologisch auf die Ungelehrten. Der Zustand des Urchristentums wandelte sich »aus gewichtigen Gründen, die in [Gottes] Weisheit verborgen liegen«, indem »allmählich die Vernunft mit dem Glauben zusammengebunden wurde, als […] Gelehrte und weltberühmte Christen es für unerläßlich ansahen, daß man auf jede mögliche Weise und mit allen Waffen gegen die Gottlosigkeit ankämpfe.«72 Daß ihm diese Verknüpfung als der dem Christentum angemessenere Zustand erscheint, begründet er mit den Prinzipien der Wissenschaft: »Wenn die natürliche Vernunft irgend etwas mit schwergewichtigen Argumenten so festgestellt hat, daß, wenn man die Offenbarung unberücksichtigt läßt, kein Zweifel darüber möglich zu sein scheint und daß die Offenbarung ohne gewaltsame Interpretation denselben Sinn ergeben könnte, dann ist es klüger, dem vernunftgemäßen Sinn einer Aussage zu folgen als den Wörtern auf ihrer höchsten Stufe, weil nichts begabten Menschen mehr widerstrebt und damit Unvertraute vor der Religion zurückschrecken läßt, als wenn irgendwelche Dinge von Lehrern der Frömmigkeit (pietas) auf absurde Weise und rechthaberisch behauptet werden; damit gibt man nur die Autorität und den Namen der heiligen Schrift oder der Kirche preis, und umso sicherer züchtet man damit Hypokrisis und Libertinismus.«73
Wie sehr Leibniz bereit war, das wissenschaftlich exakt ermittelte Resultat einem unberechtigten Autoritätsanspruch der Kirche entgegenzuhalten, zeigt sein Widerspruch gegen Augustinus, sofern dieser die Autorität der Kirche geltend machte, falls sie als ›tota ecclesia‹ in Glaubensdingen für den ganzen Weltkreis gesprochen
Vgl. hierzu Näheres bei Hartmut Rudolph: The authority of the Bible and the authority of Reason in Leibniz’s ecumenical argument, 441 – 447, hier 443. 71 So der Beginn der Leibnizschen Interpretation des Augustinischen »Contra rationem nemo sobrius, contra Scripturam nemo Christianus, contra Ecclesiam nemo pacificus senserit.« Vgl. A IV, 3, 226. 72 Reunion der Kirchen [Ende 1683]; A IV,3, 271. Ohne diesen historischen Vorbehalt heißt es jedoch vorher (269): »Principium fidei nostrae proprium ac domesticum constat non esse rationem humanam, sed revelantis DEI autoritatem, idque non minus imbecillitati nostrae, quam sapientiae divinae consentaneum est. Tanta enim caligo est mentis humanae, ut in longa ratiocinationum catena sibi tuto fidere non possit.« 73 A IV,3, 269 – 270, Übersetzung H. R. 70
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habe.74 Zu Unrecht habe sich die ganze Kirche gegen Kopernikus und Galilei erhoben. Gegenüber Ernst von Hessen-Rheinfels betont er 1684, solche Wissenschaftler seien zu Unrecht von der entsprechenden römischen Kongregation exkommuniziert worden. Vielmehr sei er von der Wahrheit jener wissenschaftlichen Erkenntnisse moralisch überzeugt, die er für unvergleichlich wahrscheinlicher halte als jede andere Meinung dazu. Wenn er deshalb nicht zur Kommunion zugelassen werden würde, bliebe er doch ein Glied der römischen katholischen und apostolischen Kirche wie jene, die verurteilt worden seien.75 Es gebe eine unendliche Zahl von Fragen, die nicht von der Kirche, sondern von der Wissenschaft und Geschichtsforschung geklärt werden müßten. Jeder sorgfältig arbeitende Wissenschaftler sei glaubhafter als eine ganze Welt Unwissender oder solcher Leute, die nur im Aberglauben mit schwierigen Dingen umgehen könnten.76 Der heilige Augustinus sei zweifellos ein großartiger Mensch; aber er sei im Eifer des Gefechts wohl häufig über das Ziel hinausgeschossen77 – eine für Leibniz gewiß ungewöhnlich ungeschützte Sprache, wie sie zum selben Thema in der für seine Bemühungen erheblich bedeutenderen Korrespondenz mit Jacques-Bénigne Bossuet sicherlich nicht vorkommt. Doch auch diesem gegenüber gilt das Argument einer begrenzten Autorität der Kirche und der Offenbarung: Als Kriterium der Wahrheit und Bedingung für das Seelenheil verlieren sie umso mehr ihre Rechtfertigung, als es gelingt, die ›Verdunkelung unseres Geistes‹ (caligo mentis nostrae) durch den Gebrauch der ratio naturalis wie durch wissenschaftliches Forschen aufzuhellen.78 Sicherlich verbleiben durch die Vernunft nicht auflösbare Mysterien des ep. 54,6: »nam insolentissimae insaniae est disputare an faciendum sit quod tota per orbem frequentat Ecclesia«; Augustinus: ep. 56, 5, 6. – Der Hildesheimer Kanoniker Johann Sigismund Wilhelm von Reuschenberg hatte 1702 dieses Zitat angeführt, um die Protestanten des Schismas zu bezichtigen, weil sie das Tridentinum als ökumenisches Konzil nicht anzuerkennen bereit seien; A I, 12, 162. 75 Am 10. Oktober 1684 an Ernst von Hessen-Rheinfels; A I, 4, 336. 76 Leibniz am 27. September 1702 an Johann S. W. von Reuschenberg; Vorausedition (http:// www.leibniz-edition.de) A I, 21: »Un homme exact, qui fait des recherches avec soin est plus croyable que tout un monde d’ignorans ou de gens qui ne traitent que superficiellement des matieres difficiles.«. 77 Ebd.: »S. Augustin estoit un grand homme sans doute[,] mais il se laissoit emporter bien souvent par la chaleur de la declamation ou de la dispute.« Andererseits war Leibniz bewußt, daß Augustinus und dessen Zeitgenossen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, über die seine Zeit verfügte, noch nicht zugänglich waren, und er erklärte auch damit die in seinen Augen bestehende Begrenztheit der augustinischen Lösung des Theodizeeproblems; vgl. Essais de théodicée, 1. Teil, § 19. 78 Außer Acht muß in diesem Zusammenhang bleiben, daß Augustinus neben der hier apostrophierten Betonung der kirchlichen Autorität durchaus von einer Bewegung vom Glauben zum Erkennen weiß, daß auch für ihn die Glaubenswahrheiten weitgehend einer ›richtig gelenkten‹ ratio zugänglich werden können; vgl. hierzu die Hinweise (besonders auf trin. 15,2) bei Alfred Schindler: Augustin/Augustinismus, hier 664 f. 74
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Glaubens; doch auch diese unterliegen dem Satz des Widerspruchs als grundlegendem Prinzip der ratio. Infolgedessen müssen solche Glaubensinhalte als falsch verworfen werden, die sich in einem unauflöslichen Widerspruch zur Vernunft befinden. In dem Zusammenhang wendet sich Leibniz unmittelbar gegen Augustins Lehre der Verdammnis der ungetauften Kinder. Diese werde weder von der Vernunft noch von der Hl. Schrift ausreichend gestützt, sie sei vielmehr von ›erschrekkender Grausamkeit‹.79 Doch führt dies bereits in einen Kernbereich der Augustinus-Rezeption in Leibniz’ Metaphysik.
4. Theodizee und Soteriologie
Nahezu überall, wo Leibniz auf die Theodizee oder den Ursprung des Bösen zu sprechen kommt, bezieht er sich auf den antimanichäischen Augustinus: Gott ist nicht die Ursache des Bösen; dessen Wurzeln liegen vielmehr im ›Nichts‹, in der ›privatio boni‹, in der ›privation ou limitation des creatures‹, während Gottes Handlungen immer auf das Positive zielen.80 Gott als der seinem Wesen und Sein nach hinsichtlich der Güte, der Gerechtigkeit und der Vernünftigkeit Vollkommenste könne nicht die Ursache des Bösen und der Sünde sein. Es sei aber, so erläutert es bereits die Unionsschrift 1686, bei allen Geschöpfen, »wie hervorragend sie auch immer sind«, schon »vor jeder Sünde eine gewisse Begrenzung oder Unvollkommenheit festzustellen«, die bewirke, daß sie ›labil‹ sind. Diese Labilität widerspreche nicht der Feststellung, daß die vernunftbegabten Kreaturen nach Gottes Ebenbild geschaffen und mit der ursprünglichen Gerechtigkeit ausgestattet worden seien. Soweit das vernunftbegabte Geschöpf mit Vollkommenheit ausgestattet ist, habe es das der Gottebenbildlichkeit zu verdanken, soweit es aber begrenzt, eingeschränkt ist, habe es Teil an dem Mangel (privatio) oder dem Nichts. Das gehe auf die Ansicht des Augustinus zurück, nach welcher die Ursache des Bösen nicht von Gott, sondern vom Nichts, also nicht von einem Positiven, sondern von einem Mangel herrühre, das heiße, von jener, »wie wir es genannt haben«, Begrenzung oder Einschränkung (limitatio) der Kreaturen.81 Gott hätte auch solche Geister schaffen können, die zwar fähig seien zu fallen, die aber nicht gefallen wären. In seiner unerforschlichen Weisheit habe er jedoch Geschöpfe aus einer Unzahl von anderen als Idee in seinem Verstand involvierten ebenfalls möglichen Geschöpfen zur Existenz zugelassen oder geschaffen wie Adam, den zukünftigen Exulierten, oder Petrus, den Verleugner, Essais de théodicée; 1. Teil, §§ 92 f. Vgl. etwa Discours de métaphysique (1686); A VI, 4B, 1577; Essais de théodicée, 1. Teil, § 29 und öfter, im 3. Teil, § 377 verweist Leibniz bei diesem Gedanken neben Augustinus schon auf Basilius von Caesaraea (gest. 379) und dessen 2. Homilie zum Hexaemeron. 81 Examen religionis christianae; A VI, 4C, 2358. 79 80
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Bekenner und Märtyrer, oder Judas, den Verräter. Und dies geschah ohne Zweifel, so argumentiert Leibniz in engem Anschluß an Augustinus,82 weil Gott das Übel, dessen Vorkommen bei manchen er voraussah und zuließ, in ein viel größeres Gute umzuwandeln wußte, als das, was ohne dieses Übel geschehen wäre, so daß in der Summe der zukünftige Ablauf der Geschehnisse vollkommener wäre als alles andere. So seien Adams Fall durch die Inkarnation des Wortes, Judas’ Verrat durch die Erlösung des Menschengeschlechts zu einem unermeßlichen Vorteil korrigiert worden.83 Dem Bösen wird also weder von Augustinus noch von Leibniz ein neben dem Guten bestehender Seinsbereich zuerkannt. Es könne keine bessere Antwort auf die Frage, warum Gott das Böse nicht verhindere, sondern zulasse, gegeben werden als mit den Worten Augustins,84 notiert der um 1686 bei diesem Problem zu einer neuen Klarheit gelangte Metaphysiker Leibniz.85 Die Aufzeichnungen jener Jahre bis hin zu den Essais de théodicée (1710) sind reich an Erwägungen, die jeder Nuance nachzugehen versuchen. Zum einen ist es die Existenz des Bösen, zum anderen sind es der Gedanke der absoluten Vollkommenheit Gottes und damit der bestmöglichen Güte der geschaffenen Welt sowie schließlich und vor allem86 die Idee der Freiheit des Menschen. Die Zusammenschau aller Gesichtspunkte provoziert die metaphysischen ›Schwierigkeiten‹,87 um deren Auflösung es im Wesentlichen geht. Die real existierende Welt als der Zusammenschluß aller kontingenten Dinge muß eine mit Verstand begabte Ursache haben, die in einem Willensakt aus einer unendlichen Zahl möglicher Welten, die alle zur Existenz drängen, die existierende Welt ausgewählt hat. Da Gott von unendlicher vollkommener Macht, Weisheit und Güte ist, muß diese existierende Welt das optimum aller möglichen Welten sein, anders hätte Gott, der nichts ohne höchste Vernunft tut, überhaupt keine Welt geschaffen.88
Vgl. etwa das Augustinuszitat in Essais de théodicée, 2. Teil, § 276 (ench. 100): »Sed non sineret bonus fieri male, nisi omnipotens etiam de malo posset facere bene.« – Vgl. auch unten, Anm. 99. 83 Examen religionis christianae; A VI, 4C, 2359. 84 Vgl. die in den Umkreis des Discours de métaphysique (1686) gehörende Schrift De libertate, fato, gratia dei; A VI, 4B, 1600. 85 Vgl. hierzu Heinrich Schepers, A VI, 4A, LXVIII und Leibniz am 28. November 1686 an Ernst von Hessen-Rheinfels; A I, 4, N. 343. 86 Vgl. in dem Zusammenhang Heinrich Schepers Feststellung, »D a s große Thema der Metaphysik von Leibniz ist die Freiheit, Diesem sind alle anderen untergeordnet.« (Sperrung: H. S.); A VI, 4A, LXVIII. 87 Ein Beispiel solcher Analyse und Auflösung stellen die beiden wohl kurz nach dem Discours de métaphysique entstandenen Aufzeichnungen De libertate creaturae rationalis (A VI, 4B, N. 308) und De libertate, fato, gratia dei (A VI, 4B, N. 309, bes. 1602 – 1612) dar. 88 Essais de théodicée, 1. Teil, § 7 und 8. 82
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Eine Grundlage für die Auflösung der ›metaphysischen Schwierigkeiten‹ bildet zunächst die Unterscheidung der ›metaphysischen‹ Notwendigkeit, des absolut Notwendigen, dessen Nichteintreten einen logischen Widerspruch bedeuten würde, von dem Kontingenten, einem Geschehen, das nicht in der Unmöglichkeit des Nichtgeschehens gründet, das also durchaus auch nicht geschehen könnte, wenngleich auch das Geschehen insoweit notwendig ist, als es nach dem Prinzip des zureichenden Grundes ›aus gesetzten Bedingungen‹ folgt.89 Diese Notwendigkeit ist den Menschen, auch wenn sie vernunftbegabte Wesen sind, nicht ohne weiteres einsichtig, sind sie doch als Kreaturen ›vor aller Sünde‹ von ›ursprünglicher Unvollkommenheit‹, weil Begrenzung zum Wesen der Kreatur gehört,90 sonst hätte Gott ja Götter geschaffen – im Übrigen ein Argument, das auch die Schöpfung aus dem Nichts (2. Makkabäer 7,28) impliziert.91 Diese in notwendiger Begrenztheit gründende Unvollkommenheit ist das ›metaphysische‹ Übel, zugleich eine Begrenztheit der Fähigkeit, die Wirkungen der Gnade Gottes zu rezipieren.92 Davon unterscheidet Leibniz das ›physische‹ und das ›moralische‹ Übel, ersteres besteht im Leiden, letzteres in der Sünde, die beide im Gegensatz zum metaphysischen Übel nicht notwendig, wohl aber, auf Grund der ewigen Wahrheiten, möglich sind. Diese ›immense Region der Wahrheiten‹ umschließt alle Möglichkeiten. Deshalb muß es unendlich viele mögliche Welten geben, das Übel muß in mehrere von diesen Eingang finden, auch die beste aller Welten muß das Übel enthalten.93 Das Problem der Freiheit ist dann gelöst, wenn die Unterschiede zwischen der metaphysischen und moralischen Notwendigkeit beachtet werden, nur letzterer kommt Kontingenz zu.94 Vgl. Essais de théodicée; 1. Teil, §§ 36 – 44. Essais de théodicée; 1. Teil, § 20. 91 Essais de théodicée; 3. Teil, § 284 mit Hinweis auf lib. arb. 1,2; vgl. auch die von Leibniz um 1689 (A VI, 4B, 1683) notierte Aussage, »de nihilo fecisti caelum et terram« (conf. 7,7). 92 Leibniz zieht hierfür den Vergleich der Unvollkommenheit mit der natürlichen Trägheit der Materie heran, sichtbar etwa im umso langsameren Fahren eines Schiffes, je mehr es beladen ist: Die Tätigkeit Gottes vergleicht er mit der Strömung des Flußes, die die Schiffe in Bewegung bringt, die jedoch keineswegs die Ursache für die Verzögerung der Fahrt des Schiffes bildet. Gott ist die Ursache der Vollkommenheit der Kreaturen, deren beschränkte Rezeptivität ist die Ursache für die Mängel. So haben die Platoniker, Augustinus und die Scholastiker zu Recht Gott für die etwas Positives bildende Ursache der Materie des Übels angesehen, nicht aber für die Ursache der Form, die im reinen Mangel (privation) bestehe; Essais de théodicée, 1. Teil, § 30 und Antwort auf den 5. Einwand im Anhang der Théodicée; GP VI, 383. Dort zitiert Leibniz auch zustimmend das inhaltlich nahestehende Argument aus Simpl. 1,2, Gott verstocke die Herzen nicht dadurch, daß er der Seele Übles einpflanzt, sondern die Wirkung des guten göttlichen Einflußes werde durch den Widerstand der Seele paralysiert, Gott habe der Seele also nicht das ganze Gute zuteil werden lassen, das zur Überwindung des Übels erforderlich wäre (»nec ab illo erogatur aliquid quo homo fit deterior, sed tantum quo fit melior non erogatur«). 93 Essais de théodicée, 1. Teil, § 21. 94 Essais de théodicée, 3. Teil, § 282 u. ö. – Schon in De libertate, fato, gratia dei (1686) hatte Leibniz am Beispiel des Petrus dargelegt, daß durch Gottes Dekret und Vorherwissen die Frei89 90
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So hat Gott ›im reinen Zustand der Möglichkeit‹, das bedeutet, vor der Schöpfung, Adam und Judas, zwei individuelle Substanzen, deren vollständiger Begriff oder deren Idee, die Gott von ihnen hat und in die deren künftige freie Handlungen der Sünde einbezogen sind, vorhergesehen und zugelassen, indem er in dem ersten freien Entschluß aus unendlich vielen möglichen Welten ungeachtet der Sünde Adams bzw. Judas’ die beste aller dieser Welten zur Realität brachte. In dieser Welt werden die Übel zu einem größeren Wohl ›rekompensiert‹; und so ist in der Summe oder der Folge der Dinge diese reale Welt die vollkommenste aller möglichen Welten. Kausalität und Finalität, das Prinzip des Optimums bilden für Leibniz keinen Widerspruch zur Freiheit, da das Individuum, die individuelle Substanz, sich durch freies, von jeder anderen Substanz unabhängiges Handeln bestimmt95 und, sofern es von der Vernunft Gebrauch macht, in Freiheit das Beste zu tun in der Lage ist.96 Wie sehr sich diese erste Zusammenfassung der Leibnizschen Metaphysik als eine Auseinandersetzung mit den Schriften des reifen Augustinus versteht, in denen jene eben genannten Grundaussagen ebenfalls zusammengeführt werden, offenbart die ›Anrufung‹ des Kirchenvaters, nachdem Leibniz am Beispiel des Verräters Judas die vermeintlichen Widersprüche um das ›unde malum‹, die Freiheit des Menschen und die Vollkommenheit Gottes und seiner Schöpfung aufgelöst zu haben glaubt: »Und dementsprechend muß meines Erachtens die Sicht Augustins, daß das Böse im Nichts wurzelt, transformiert (oder eingeschränkt) werden.«97 Leibniz weiß von Augustinus, daß von Gott nichts ausgeht, was einen Menschen schlechter werden läßt, sondern daß von Gott lediglich nicht ausgehen muß, was diesen bessern würde.98 Auch den Gedanken, daß in der Summe der Ereignisse das Böse in Gutes gekehrt wird, könnte Leibniz bei Augustinus gefunden haben. Dieser sieht nicht bloß im rechtschaffenen Tun, das zur Seligkeit (beatitudo) führt, sondern heit, aus der Petrus sündigen wird (›libere peccaturus‹), nicht aufgehoben wird. Auch sind jede Mitwirkung (concursus) oder jede Mitverursachung (concausa) Gottes an einem solchen Sündenakt wie an der Sünde überhaupt dadurch auszuschließen; A VI, 4B, 1602 – 1607. 95 Vgl. hierzu unten, den 5. Abschnitt des Beitrags. 96 Discours de métaphysique XXX; A VI, 4B, 1575 – 1578, und im Blick auf Adam: Specimen inventorum de admirandis naturae generalis arcanis (1688?); A VI, 4B, N. 312, 1619: »Intelligi enim potest Deum non decernere, utrum Adamus peccare debeat, sed utrum illa series rerum cui inest Adamus, cujus perfecta notio individualis peccatum involvit, sit aliis nihilominus praeferenda. […] Itaque non quaeratur an Adamus sit peccaturus, sed an Adamus peccaturus ad existentiam sit admittendus. Nam hoc interest inter substantias universales et individuales, quod in harum notione et praedicata contingentia involvuntur, neque enim dubium est quin Deus viderit quid Adamo eventurum esset, antequam eum creare decrevit atque ideo nihil hinc libertati officitur. Et notio Adami possibilis etiam decreta liberae voluntatis divinae humanaeque sumta ut possibilia, continet. Et unaquaeque series universi possibilis certis quibusdam decretis liberis primariis sibi propriis sub possibilitatis ratione sumtis innititur.« 97 A VI, 4B, 1577: »c’est à quoy se doit reduire à mon avis le sentiment de S. Augustin […]«. 98 Vgl. Essais de théodicée; 1. Teil, § 20.
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auch in der zur Sünde fähigen Seele (anima peccans), deren Sünden Elend, also Leibniz’ ›physisches Übel‹, hervorbringen, einen Hinweis auf die Vollkommenheit der ganzen Schöpfung.99 Ein solches Argument bleibt jedoch dabei stehen, daß eine Welt ohne Übel nicht notwendig besser sein muß denn eine solche, die auch das Üble enthält. Leibniz genügt dies jedoch nicht, stützt er doch die Theodizee auf den Nachweis, daß diese reale Welt tatsächlich gegenüber allen anderen möglichen Welten die bessere sein muß.100 Das Böse hat Gott in dieser Welt zugelassen, weil es sonst nicht diese Welt, also die beste aller möglichen Welten, wäre. Der Ursprung des Bösen liegt in der ›Freiheit der Geschöpfe‹,101 die (wie unten noch gezeigt werden soll) in der Leibnizschen Substanzmetaphysik102 eine eigene Begründung und Beschreibung erfährt. Von der Theodizee her bedeutet jene Freiheit die dem Menschen zugestandene Möglichkeit, diese Freiheit durch freien Willen zu mißbrauchen. Die aus dem Mißbrauch resultierende Verderbnis, nämlich die Verfallenheit an die Sklaverei der Sünde, ist aber nicht unüberwindlich, da der freie Willensentschluß nicht mit absoluter Notwendigkeit erfolgt war, sondern kontingent gefaßt worden sein muß. Neben der Kontingenz sind es die (eine deutliche Erkenntnis des zu Beschließenden ermöglichende) Intelligenz und die dem Individuum eigene, d. h. nicht äußeren Umständen geschuldete, Spontaneität zu den Bedingungen der Freiheit.103 Weder diese Merkmale im Einzelnen noch die Freiheit als solche werden durch die in den ewigen Ideen Gottes beruhende Unvollkommenheit der Kreaturen aufgehoben. Leibniz führt einen ganzen Strauß von Augustinusstellen an, die auch dem der Sünde Verfallenen die Freiheit des Willens zusprechen.104 So kommt er auch hinsichtlich des versklavten Willens zu einer gewissen Modifizierung der Augustinischen Anschauung,105 wenn er auch noch für den Sklaven die Freiheit reklamiert, lib. arb. 3,26: »Quod autem ipsae non desunt animae quas vel peccantes sequitur miseria vel recte facientes beatitudo, semper naturis omnibus universitas plena et perfecta est.« 100 Vgl. den Schluß seiner Antwort auf den 1. Einwand in den Anhängen zur Théodicée: »aber man ist in dem Werk [scil. Théodicée] selbst noch viel weiter gegangen und hat sogar bewiesen, daß dieses Universum wirklich [effectivement] besser als jedes andere mögliche Universum sein muß« (GP VI, S. 377). 101 Essais de théodicée, 3. Teil, § 273. 102 Zum hier vorliegenden Zusammenhang vgl. Essais de théodicée, 3. Teil, §§ 288 – 291. 103 Essais de théodicée, 3. Teil, §§ 288 – 290. – Die Intelligenz als durch den Vernunftgebrauch zu gewinnende ›klare Erkenntnis‹ nennt Leibniz eine Art ›Seele‹ der Freiheit, während die anderen Bedingungen gleichsam deren Körper oder Substrat seien (a. a. O., § 288). 104 Etwa retr. 1,39. 105 Vgl. hierzu etwa schon Simpl. 1,10 oder De spiritu et littera 27, 28 und 48 und hinsichtlich der Erörterung des Problems durch Augustinus insgesamt Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Denkens aus der Geschichte der Chorisos-Problematik, Kap. XI, zum näheren Zusammenhang besonders (im Blick auf lib. arb. 3), 287 f. Fischer gelangt (295), auf civ. 5,10 verweisend, zu dem Schluß, daß Augustinus die im Problem der Freiheit und Gnade liegende Widersetzlichkeit nicht ›in der Einheit eines Systems‹ 99
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seinem Zustand entsprechend, und das heiße in der Sklaverei oft, nur noch zwischen zwei Übeln, wählen zu können. Die Fesseln der Sklaverei sind bei uns die Leidenschaften, deren Übel wir bei wachem Verstand als solches zu erkennen vermögen. Für Leibniz tritt an die Stelle eines heilsgeschichtlichen Strafverhängnisses eine grundsätzlich überwindbare Eintrübung der Vernunft oder der Intelligenz durch die Sinne. Der Intellekt erkennt immer das Gute, und ein freies Individuum wird dieser Erkenntnis auch immer entsprechen und dem Motiv zum Guten folgen. Leibniz versucht (im Gegensatz zu Augustinus), die in der Zusammenschau von Freiheit und göttlicher Determinierung, von göttlicher Vollkommenheit und kreatürlicher Begrenzung liegenden Spannungen und ›Schwierigkeiten‹ mit seiner metaphysischen Geometrie zu lösen, während Augustinus den Menschen in die philosophisch nicht aufhebbare Widersetzlichkeit von Freiheit und Gnade gestellt sieht. Diese Differenz der Sichtweise kann, wie sich sowohl an direkten kritischen Bemerkungen zu Augustinus106 als auch in Leibniz’ Positionierung gegenüber dem Jansenismus zeigt, nicht ohne Konsequenzen für die Soteriologie bleiben. Neben der bereits erwähnten Kritik an der Verwerfung der ungetauften Kinder107 und an der Fegefeuervorstellung108 ist es die Erwählungslehre bis hin zur doppelten Prädestination, das heißt einer von Gott bestimmten Verwerfung und Verdammung eines Teils der Menschheit, in der eine Distanzierung zum Kirchenvater erkennbar wird. Leibniz zitiert in der Regel solche Aussagen, in denen die Unverfügbarkeit des göttlichen Ratschlusses weniger rigide erscheint als an anderen Stellen der augustinischen Schriften.109 Auch rekurriert er bei der Behandlung des Themas auf Paulus (Röm 11,33), ohne jedoch die ›Unbegreiflichkeit‹ der Werke Gottes von der sie lenkenden ›höchsten Weisheit‹ zu trennen, die ein despotisches, vernunftwidriges, absolutes göttliches Dekret ausschließt. Solch ein Despotismus hieße Gott in seiner
zusammengedacht habe, sondern daß deren Auflösung bei dem Menschen liege, der im Vollzug des Glaubens wie in der Erfüllung des ›Sollensanspruchs‹ beides ›zusammenbinden‹ solle: »sed utrumque amplectimur, utrumque fideliter et veraciter confitemur; illud, ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus«. 106 Diese waren im Wesentlichen bereits 1866 von Jean-Felix Nourrisson: La philosophie de Saint-Augustin, 269 – 271 aufgezählt worden. 107 Vgl. Essais de théodicée, 1. Teil, § 92 und oben 73. 108 Vgl. oben, Anm. 23 und bereits das Examen religionis christianae; A VI, 4C, 2454 f. – Leibniz benennt einerseits Stellen, an denen Augustinus eine das diesseitige Leben betreffende Deutung des Purgatoriums vornimmt, weist dann auf Augustinus’ – allerdings mit großer Vorsicht und nicht ohne Zweifel vorgetragene – Ansicht hin, es könne im künftigen Leben an bestimmten abgeschlossenen Orten eine schmerzhafte Reinigung der Seelen geben, eine Vorstellung, die Leibniz dem obsolet gewordenen Denken des Altertums zuschreibt. 109 Vgl. etwa den Hinweis auf persev. im Discours de métaphysique XXXI; A VI, 4B, 1578 und vor allem auf praed. sanct. 8 in Essais de théodicée, 3. Teil, § 286.
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Vollkommenheit zu leugnen.110 Und diese Bindung des göttlichen Ratschlusses an die höchste Vernunft, Güte und Gerechtigkeit schließt es für Leibniz aus, die klassischen Loci der doppelten Prädestinationslehre (Exodus 33,19 und Röm 9,15 f.), in einem eliminatorischen Sinn zu deuten. Vielmehr gebietet es die Vollkommenheit des göttlichen Wollens, daß alle Menschen gerettet werden (1. Timotheus 2,4). Es gebe, so Leibniz an anderer Stelle, überhaupt keinen Menschen, dessen Errettung nicht von Gott gewollt werde, soweit dies mit der Unverletzlichkeit des göttlichen Planens übereinstimme.111 Allen Menschen komme eine Gnade zu, die ausreiche, sie vom Bösen zu befreien unter der Voraussetzung, daß sie diese göttliche Hilfe auch annehmen und sie nicht willentlich zurückweisen. Diese Gnade sei ›an sich wirksam‹ und sie werde, so ergänzt Leibniz Augustinus korrigierend, ja gerade gespendet, um die verhärteten Herzen zu öffnen.112 Besonders schließt Leibniz die Heiden113 in solche Erwägungen ein, indem er der Depravation ihres Ethos (die Tugenden der Heiden seien nur ›glänzende Laster‹), wie er sie bei Augustinus sieht, widerspricht; eine solche Sicht sei mit der Hl. Schrift nicht zu begründen und verstoße gegen die Vernunft.114 Er wußte auch um anders lautende Aussagen des Kirchenvaters: Schon Anfang der 1690er Jahre hatte er sich intensiv mit der Frage der Errettung der Heiden vor der Verdammnis befaßt und sowohl die Kirchenväter als auch die Theologen der Neuzeit konsultiert.115 Grundsätzlich gilt auch hier, daß »Gott nichts tun könne, was nicht voller Güte und Gerechtigkeit sei«.116 Diese Distanz zum Rigorismus der Augustinischen Gnaden- und Erwählungslehre in ihrer antipelagianischen Ausprägung spiegelt sich auch in Leibniz’ Stellung zum Jansenismus, den ›disciples d’Augustin‹.117 Schon 1677 hatte er sich mit der Vorstellung einer scientia media auseinandergesetzt, wie sie im 16. Jahrhundert von
Essais de théodicée, 3. Teil, § 283; vgl. ebd., § 338 und bereits Discours de métaphysique XXXI; A VI, 4B, 1580. 111 Essais de théodicée, 3. Teil, § 285. 112 Essais de théodicée, 3. Teil, § 286. 113 Vgl. hierzu Stephan Waldhoff: Einleitung, IV. Kirchenpolitik A IV, 5, hier XXXVIII. 114 Essais de théodicée, 3. Teil, § 259. 115 Vgl. vor allem Leibniz’ De salvatione gentium (1692/93); A IV, 5, N. 48; besonders die Einleitung, 453. – Von Augustinus notiert er auch Aussagen, die eine Errettung der Heiden einschließen, etwa civ. 18,23 und 47 und 8, 3 (vgl. ebd., 456 ff.). – Eine Zusammenfassung enthalten die Nouveaux Essais (um 1704) IV, 18; A VI, 6, 500 – 502. 116 Am Ende des Diskurses in Nouveaux Essais IV, 18, a. a. O., S. 502. Dort belegt er seine Aussage mit Gn. litt. 8,5: »Es ist besser über Geheimnisvolles zu zweifeln als über Ungewisses zu streiten.« 117 Wesentliche Quellen dieser Auseinandersetzung sind der Briefwechsel mit Antoine Arnauld und der mit diesem über die Korrespondenz mit Ernst von Hessen 1686 gepflegte Austausch (A II, 2, I. Abschnitt) und Leibniz’ metaphysische Schriften aus derselben Zeit (A VI, 4B, Teil B 1), bes. der Discours de métaphysique (A VI, 4B, N. 306). 110
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dem Jesuiten Luís de Molina118 und dem Franziskaner Pedro de Fonseca (in seinen Kommentaren zur Metaphysik des Aristoteles) zur Lösung des Widerspruchs zwischen Freiheit und Prädeterminierung entwickelt worden war.119 Molinas ihm unzureichend erscheinende Lösung glaubte Leibniz durch seine Metaphysik der möglichen Welten ersetzen zu können, was hinsichtlich der Soteriologie, genauer des Zusammenwirkens von göttlicher Gnade und menschlicher Willensfreiheit bei der Erlösung, eine gegenüber dem jansenistischen Augustinismus ähnliche Distanz bewirkte, auch wenn Leibniz vergeblich hoffte, die Kontrahenten des Jansenistenstreits auf der Grundlage seines ›früher nicht bekannten Systems‹120 zusammenführen zu können.121 Aus einem Brief an den in Hildesheim lehrenden Jesuiten Bartholomäus des Bosses 1707, zu einer Zeit besonderer Verfolgung der Jansenisten, in welcher etwa der des Jansenismus angeklagte Benediktiner Gabriel Gerberon in Kerkerhaft lag, klingt Enttäuschung an: »Wenn es mir vergönnt gewesen wäre sie zu überzeugen, könnten Gerberon und ähnlich Denkende sich uneingeschränkter Freiheit erfreuen« […] usw.122 Die ›Augustinusschüler‹, wie Leibniz sie nannte, vor allem Antoine Arnauld, vermochte er nicht zu überzeugen. Die Ursache hierfür sah Leibniz in dem Anschein einer Distanz zum doctor ecclesiae, die seine neue metaphysische Grundlage implizierte: 1712 klagt er über das Ausbleiben einer Reaktion auf die zwei Jahre zuvor publizierten Essais de théodicée im Journal des Scavants, einem der führenden Kommunikationsorgane in der république des lettres seiner Zeit:
Concordia liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia, praedestinatione etc., Lissabon 1588; vgl. A VI, 4B,1373 f. 119 A VI, 4B, N. 261; 262. Seit etwa 1686, sowohl im Discours de métaphysique XXXI als vor allem auch in den Essais de théodicée, 1. Teil, §§ 40 – 43 (dort erörtert Leibniz Molinas Beispiel der Eroberung Kegilas durch David; 1. Samuel 23), glaubt Leibniz, wie oben (76 f.), bereits dargelegt, das philosophische Instrumentarium entwickelt zu haben, mit dem die Kontingenz der Willensentscheidungen des Menschen mit der göttlichen Prädeterminierung in Einklang gebracht werden kann. Er bestreitet die Eigenständigkeit von Molinas scientia media (science moyenne) als eines zwischen dem göttlichen Wissen der möglichen Dinge (science de simple intelligence) und der science de vision, dem Wissen der durch Umstände bedingten Ereignisse vorhandenen göttlichen Wissens. Vielmehr hat die scientia media bei Leibniz mit der science de simple intelligence das Wissen um die möglichen Wahrheiten und mit der science de vision das Wissen um die kontingenten Wahrheiten gemein; vgl. hierzu auch Michel Fichant: G. W. Leibniz, 464, Anm. 111. 120 Essais de théodicée, 3. Teil, § 292. 121 Dies gilt auch hinsichtlich der damit zusammenhängenden Differenzen zwischen den Supra- und den Infralapsariern; vgl. den Hinweis, es gebe im Blick auf die Supralapsarier keine größeren Schwierigkeiten als im Blick auf die anderen, nachdem Leibniz seine metaphysische Begründung für die augustinische Erklärung des Bösen aus dem Nichts geliefert hatte; Discours de métaphysique XXX; A VI, 4B, 1577. 122 Leibniz am 21. Juli 1707 an des Bosses; GP II, 337. 118
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»Offensichtlich ist einer der Herren, die sich dem heiligen Augustinus verpflichtet wissen, darüber unzufrieden, daß ich es nicht unterlassen habe, mich von einigen seiner Ansichten abzuwenden. Der hl. Augustinus war zweifellos ein großer Mensch, der unendlich über Geist zu verfügen wußte. Es scheint ausreichend, wie er Schritt um Schritt sein System errichtet hat und den eingeschlagenen Weg gegangen ist, ohne [aber] zunächst einen vollständigen Plan gehabt zu haben.«123
Leibniz hatte hinsichtlich seiner Theodizee und der daraus fließenden soteriologischen Konsequenzen vieles von Augustinus übernommen, glaubte andererseits dort, wo ihm der Kirchenvater ›dunkel‹ zu reden schien oder er Widersprüche zu erkennen meinte, ihn korrigieren zu müssen, ihn zumindest einer größeren Klarheit und metaphysischen Stringenz zugeführt zu haben.
5. Individuelle Substanz und Selbsterkenntnis
Zeigte sich im Blick auf die Theodizee, daß eine Hauptsäule des Leibnizschen Gebäudes der Metaphysik Augustins Beantwortung des ›unde malum‹ bildet, so greift der christliche Metaphysiker der Frühaufklärung auch dort, wo es ihm um die Voraussetzungen des Erkennens und Handelns geht, auf Augustinus zurück. »Über die Natur der Seele, das Gedächtnis [memoria], über die Zeit, über die nicht körperlichen und andere metaphysische Dinge finden sich in den Confessiones, besonders in Buch 10 und 11, ganz hervorragende Überlegungen«124, notiert Leibniz vielleicht schon 1677 in einer von mehreren Aufzeichnungen, die ein intensives Studium dieser Augustinusschrift erkennen lassen.125 Um 1689 wendet er sich den Aussagen über die Schöpfung sowohl im 12. wie im 13. Buch der Confessiones zu, dabei auf ›einige Ansichten‹ stoßend, die ihm als vom Kirchenvater etwas zu unverständlich (›obscuriuscule‹) dargelegt erscheinen.126 Daß es sich bei der Genesis-Auslegung in den Confessiones um einen von Ambivalenz nicht völlig freien Text handele, wird auch von heutigen Interpreten bemerkt.127 Ein Grund für Leibniz’ mehrmals geäußerten Eindruck des ›Obskuren‹ in den Darlegungen des von ihm gleichwohl hoch geachteten Kirchenvaters liegt gewiß in der unterschiedlichen Sprache beider Philosophen, Augustinus und Leibniz. In den Augustinischen Schriften gehen die GeDutens V, 69; vgl. auch Jean-Felix Nourrisson: La philosophie de Saint-Augustin, 268. Aus und zu Augustinus, Confessiones; A VI, 4B, 1680. 125 Vgl. A VI, 4B, 1680 – 1687. 126 A VI, 4B, N. 332 , hier 1682. 3 127 Vgl. etwa Cornelius Mayer: Confessiones 12. ›Caelum caeli‹: Ziel und Bestimmung des Menschen nach der Auslegung von Genesis 1,1 f., 559; mit dem Hinweis auf die von ihm dafür gelieferte Begründung. 123 124
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danken oft in den unmittelbaren Dialog mit Gott über, und in den Formulierungen der gewonnenen Erkenntnisse schlagen sich einerseits die Erfahrung der Endlichkeit oder Unvollkommenheit des eigenen Geistes und andererseits das daraus folgende Wissen um die Priorität des Handelns Gottes nieder, dessen ›vorausliegende Antwort‹ die Fragen leitet, denen das erkennende Subjekt nachgeht.128 Demgegenüber folgt die Metaphysik des Rationalisten Leibniz der Geometrie strenger Logik, ohne jedoch darauf zu verzichten, ebenfalls die Vollkommenheit und Schönheit des göttlichen Werkes zu preisen; deshalb legte ersterer seine metaphysischen Erwägungen in Bekenntnissen, letzterer dagegen in einem Discours oder in Essays nieder. Es sind jedoch nicht nur solche allgemeinen Beobachtungen, die den unverkennbar kritischen Unterton in manchen Augustinus-Referenzen bei Leibniz begründen könnten. Vielmehr sind es von Leibniz bewußt als eine Weiterentwicklung der Metaphysik als natürlicher Theologie verstandene Elemente seines Systems, von dem er am Ende eines längeren aus dem ›Labyrinth‹ der Widersprüche von Freiheit und Notwendigkeit herausführenden Beweisgangs selbst sagt, es sei früher nicht bekannt gewesen.129 Neben den im vorigen Abschnitt bereits genannten Vorstellungen ist es die seit Descartes neu bewegte Frage nach der Identität des ›Ich‹, die zu einem grundlegenden, von den Zeitgenossen noch kaum begriffenen Element der Leibnizschen Metaphysik führt, dessen Bausteine ebenfalls nicht ohne Rückgriff auf Augustinus entstanden sind. Daß Augustins Begründung der Selbsterkenntnis und das Cartesische Cogito nur äußerlich einander nahestehen, der Sache nach das eine mit dem anderen jedoch ›wenig zu schaffen‹130 habe, ist wohl kaum zu bestreiten. Um so interessanter dürfte die Frage sein, ob das ›Cogito leibnizien‹131 eine größere Nähe zur Augustinischen Zuordnung von Selbst, Welt und Gott, bzw. von Seele und Körper aufweist. Im IV., das ›Erkennen‹ beschreibenden Buch der Nouveaux Essais (1704) nahm Leibniz bei beiden seinen Ausgangspunkt, die, wie er sagt, »erste Wahrheit der Cartesianer und des Hl. Augustinus«: Je pense donc je suis. Das heiße, »ich bin eine Sache, die denkt. […] Aber mir ist nicht nur unmittelbar einleuchtend, daß ich denke, sondern mir ist ebenso völlig klar, daß ich unterschiedliche Gedanken habe, daß ich, sofern ich A denke, B denke usw.«132 Das Leibnizsche Cogito impliziert nicht bloß die aus der Tatsache unmittelbarer Perzeptionen in mir entstehende Gewißheit, daß ich bin, sondern will auch beweisen, daß es außerhalb des Ego eine Realität gibt. Es kommt Vgl. hierzu etwa Norbert Fischer: Unsicherheit und Zweideutigkeit der Selbsterkenntnis. Augustins Antwort auf die Frage ›quid ipse intus sim‹ im Zehnten Buch der ›Confessiones‹, hier 357 f. 129 Essais de théodicée, 3. Teil, § 292. – Zum o. g. ›Labyrinth‹ vgl. die Vorrede, GP VI, 29. 130 Norbert Fischer: Unsicherheit und Zweideutigkeit der Selbsterkenntnis, 353. 131 Michel Fichant: G. W. Leibniz, 474, Anm. 15. 132 Nouveaux Essais IV, 2, § 2; A VI, 6, S. 367. 128
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dabei auf den Übergang von den Gedanken zu den Objekten an. »Um beurteilen zu können, ob unseren inneren Erscheinungen eine Realität in den Dingen zukommt, und um Gedanken auf die Objekte zu richten, muß man meiner Meinung nach darauf sehen, ob unsere Perzeptionen untereinander und mit anderen, früheren, gut verknüpft sind, und zwar in der Weise, daß die mathematischen Regeln und andere Vernunftwahrheiten darauf Anwendung finden: In diesem Fall muß man sie für reell halten, und dies ist, wie ich glaube, das einzige Mittel, sie von Imaginationen, Träumen und Visionen zu unterscheiden.«133 Als Leibniz dies im Anhang zu den Essais de théodicée schrieb, war eine über zwei Jahrzehnte währende Arbeit an seiner ›neuen Entdeckung‹ zum größeren Teil abgeschlossen worden,134 die zumindest im Äußeren gelegentliche Bezüge zu Augustinus aufweist. Den Ausgangspunkt der Kritik an Descartes (und an diesem Punkt vermeintlich auch an Augustinus) bildet – zumindest in den 1680er Jahren – Leibniz’ ›ureigenster Begriff‹135 einer notio completa substantiae singularis, des vollständigen Begriffs der individuellen Substanz. Diese ist als unteilbare und damit ewige Idee in Gottes Verstand in dieser Welt als der besten von allen möglichen zur Existenz gebracht worden und umfaßt unverwechselbar alle in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aussagbaren Attribute des Individuums, das damit auf dem ›Boden des Faktischen‹136 gedacht werden kann. Jede Substanz ist durch Handeln bestimmt, sie konstituiert damit nicht nur sich selbst, sondern die ganze Welt, der sie zugehört. Diese wechselseitige Verknüpfung aller Kreaturen mit allen anderen bedeutet, »daß jede einfache Substanz Bezüge hat, die alle anderen zum Ausdruck bringen, und daß sie ein immerwährender lebendiger Spiegel des Universums ist«, wobei jede dieser individuellen Substanzen oder jede – wie Leibniz seit der Mitte der 1690er Jahre artikulieren kann – Monade eine einzigartige Perspektive besitzt.137 Genau dieses die ganze gegenwärtige Welt repräsentierende Handeln der einzelnen Substanz,
Essais de théodicée, GP VI, 404 (Übersetzung H. R.). Vgl. aus den 1680er Jahren vor allem bereits die sachlich ähnliche Argumentation in De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis; A VI 4B, 1500 – 1504. – Im Rahmen dieses Beitrags können sowohl die Details als auch die Entwicklungsstufen dieses Bereichs der Leibnizschen Metaphysik nur grob skizzenhaft dargelegt werden. Eine den bisherigen Forschungsstand korrigierende detaillierte Studie über die von den 1680er Jahren bis hin zur Monadologie feststellbare Evolution des Leibnizschen Systems hat Michel Fichant: G. W. Leibniz (hier: Introduction: L’invention métaphysique, 7 – 140) 2004 vorgelegt. 135 Heinrich Schepers in: A VI, 4A, LXXI – Michel Fichant (G. W. Leibniz) weist nach, daß der spätere Leibniz seine Substanzmetaphysik nicht mehr wie in den 1680er Jahren (vor allem im Discours de métaphysique) von der notio completa substantiae singularis her definiert, sondern zur Monadologie übergegangen ist. Der Gebrauch des Begriffs der Monade signalisiert demnach eine spätere, von der früheren zu unterscheidende Phase der Leibnizschen Metaphysik. 136 Schepers (wie Anm. 137), LXIII. 137 Monadologie, §§ 56 und 57. 133 134
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nicht die bloße Wahrnehmung eines einzelnen äußeren Objekts, ist letztlich mit der oben angeführten ›Perzeption‹ gemeint, die durch den appetitus von einer zur nächsten Perzeption gelangt.138 In diesen Zusammenhang des Handelns der einfachen Substanzen gehört die Leibnizsche Vorstellung von Raum und Zeit. Im Blick auf eine Notiz von Leibniz’, »Locus ordo coexistendi, Tempus ordo mutationum«139, formuliert Heinrich Schepers, der appetitus sorge »für den Übergang von einer […] Weltperzeption zur nächsten« und konstituiere »damit die Ordnung der Zeit, während mit der Perzeption selbst die Ordnung des Raumes festgelegt« werde.140 Eine gewisse sachliche Parallelität zur Zeitvorstellung im elften Buch der Confessiones mag in der Zuordnung zu den Handlungen des Geistes141 in beiden Konzepten gesehen werden, die durch Messen einer extramentalen bloß linear ablaufenden ›Zeit‹ nicht erfaßbar ist.142 Die Herkunft im Verstand Gottes, augustinisch gesprochen, der substantia intellectualis pura, bedeutet die vollständige Unabhängigkeit der Monade von jeder anderen, deren Handeln von dem Handeln jeder anderen. Das Handeln der Substanzen oder Monaden geschieht also in Spontaneität, ohne jeden physischen Einfluß von außen.143 Von daher gelangt Leibniz zu einer neuen und seinen Zeitgenossen nur schwer vermittelbaren Lösung des Problems, wie die Handlungen der Seele mit den Veränderungen (Handlungen oder Empfindungen) des ihr zugehörigen Körpers in Beziehung zu setzen seien, wenn denn die Tätigkeit der Seele spontan aus ihr selbst ohne den Impuls von außen entstehe. Der Okkasionalismus vermochte die Beziehung zwischen solchen Handlungen und den körperlichen Wirkungen nur durch ein bei dieser Gelegenheit von Gott zu erbringendes Wunder zu erklären. Vgl. hierzu auch Michel Fichant: G. W. Leibniz, 102 f. Tabula notionum praeparanda; A VI, 4A, N. 148, 632, Fn 1. 140 A VI, 4A, LXIV. – Die Substanzmetaphysik als Begründungszusammenhang für Leibniz’ Zeitverständnis wie auch für seine Schöpfungsvorstellung deutet auf eine gewisse sachliche Nähe zu Augustinus; vgl. Eleonore Stump und Norman Kretzmann (Hg.): The Cambridge Companion to Augustine; darin Simo Knuuttila: Time and creation in Augustine, 103 – 115: Leibniz’ verwende in seiner Kritik an Newtons ›absolutist view of time‹ Augustins Zeitverständnis von Confessiones 11, wenn er sage (107), »that the conception of time which goes on indepently of whether anything else exists makes God create without sufficient reason at a certain moment. Leibniz’s view was that the existence of time requires that of change.« 141 Vgl. hierzu Norbert Fischer: Confessiones 11: ›Distentio animi‹, bes. 517 – 525. 142 Als im Blick auf den unterschiedlichen »Ort der Frage nach dem Sein der Zeit« (Norbert Fischer: Confessiones 11: ›Distentio animi‹, 498) bei Augustinus und Leibniz zu weitgehend erscheint mir die Feststellung von Simo Knuuttila, Leibniz’ verwende in einer Kritik an Newtons »absolutist view of time« Augustins Zeitverständnis von Confessiones XI. Leibniz said, »that the conception of time which goes on indepently of whether anything else exists makes God create without sufficient reason at a certain moment. Leibniz’s view was that the existence of time requires that of change«; Simo Knuuttila: Time and creation in Augustine, hier 107. 143 Vgl. hierzu etwa Essais de théodicée, 3. Teil, §§ 290 f. 138 139
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Leibniz hatte schon in den 1680er Jahren das Problem für sich gelöst, indem er eine prästabilierte Harmonie der Tätigkeiten aller Substanzen annahm. Diese ist möglich, weil jede Substanz ihrer Natur nach einen allgemeinen Ausdruck des ganzen Universums in sich trägt und Gott im Voraus das Zusammenstimmen durch seinen Entschluß über die Abfolge aller Dinge des Universums gefaßt hat.144 In der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Philosophie hierüber konnte er sich zumindest partiell auf Augustinus beziehen, wenn dieser den körperlichen Schmerz als die Traurigkeit beschrieb, welche die Seele wegen der schlechten Disposition ihres Körpers befalle.145 Leibniz sah hierin keine ausreichende Erklärung, weil dabei undeutlich bleibe, wie die Seele von der schlechten Disposition des Körpers wissen könne.146 Man könnte aufgrund des vorher Gesagten jede einfache Substanz oder Monade, sofern sie Perzeptionen und Appetitionen habe, auch ›Seele‹ nennen. Aber, »da die Empfindung (sentiment) eine größere Sache ist als eine einfache Perzeption« sollte man mit ›Seelen‹ nur solche Substanzen benennen, »deren Perzeption deutlicher und von Erinnern begleitet ist«.147 Darauf, daß eine zumindest sachliche Parallelität zur memoria-Vorstellung in Confessiones 10 und De trinitate 10 – 14 vorliegt, hatte schon Johann Kreuzer hingewiesen.148 Beide Schriften haben Leibniz, wie schon gezeigt, mehrmals beschäftigt, so daß die Erwähnung der mémoire an diesem Punkt vom Übergang der einfachen Substanz zur vernünftigen Seele149 nicht zufällig sein mag. Auch klingt es verführerisch, Augustinus’ »intus haec ago, in aula ingenti memoriae meae« (Confessiones 10,14) den ›actions internes‹ (Monadologie § 17) der eben beschriebenen in völliger Selbständigkeit und Independenz handelnden Substanzen gleichzusetzen, und unbestreitbar ist die augustinische memoria »der Name für die Selbst-Gegenwärtigkeit, aus der sich Identität ergibt«.150 Solche Parallelen sind möglicherweise jedoch eher dem Augustinus und Leibniz gemeinsamen Vgl. etwa Leibniz am 8. Dezember 1686 an Antoine Arnauld; GP II, 73 – 78, hier 74 und Essais de théodicée, prél. § 55 (dort die Analogie zur Inkarnation) und 3. Teil, § 291. 145 Vgl. civ. 14,15; 21,3 – vgl. hierzu auch Leibniz’ Notiz zu Malebranche, De la recherche de la verité; A VI, 4B, 1931. 146 Arnauld am 28. September 1686 an Leibniz; GP II, 63 – 68 und Leibniz’ Antwort (wie Anm. 146). 147 »[…] je consens […] qu’on appelle Âmes seulement celles [substances] dont la perception est plus distincte et accompagnée de mémoire«. 148 Ohne eine direkte Abhängigkeit Leibniz’ von Augustinus zu behaupten, beschreibt Johann Kreuzer (›Petites perceptions‹) die sachliche Parallelität der ›petites [= unbemerkten] perceptions‹ (Nouveaux Essais: Vorrede) zur Augustinischen memoria-Vorstellung. – Vgl. hierzu auch Hartmut Hechts Kommentar zu Monadologie § 19 in: G. W. Leibniz, Monadologie, 76 f. 149 Vgl. Monadologie, §§ 18 – 30; zur mémoire vgl. § 26. 150 Johann Kreuzer: ›Petites perceptions‹, hier 979. – Vgl. zur Augustinischen memoria auch ders.: Confessiones 10. Erinnerung und Selbsterkenntnis, 451 – 478. 144
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philosophischen Sprachhintergrund geschuldet, ist doch Leibniz’ Subjekt des Erinnerns ein deutlich anderes als das augustinische sich seiner Endlichkeit und Defizienz bewußte Selbst. Denn es ist kaum zu bezweifeln, daß die Leibnizsche mémoire lediglich die Fähigkeit der Substanz meint, die Perzeptionen voneinander zu unterscheiden. Dies legen vor allem Aussagen an späterer Stelle der Monadologie und eine dazu von Leibniz genannte Referenzstelle in den Essais de théodicée151 nahe: »Die Erinnerung liefert den Seelen eine Art Abfolge (consécution), welche die Vernunft nachahmt, die jedoch von dieser unterschieden werden muß« (Monadologie § 26). Leibniz versteht unter ›Erinnerung‹ demnach die auch Tieren eigene Möglichkeit der Repräsentation vorausgehender Perzeptionen.152 Entsprechend erscheint die mémoire als ein der Vernunft unterlegenes Instrument, eine Abfolge früherer Perzeptionen erinnernd zu vergegenwärtigen (Monadologie § 28). Von den mit dieser niederen Fähigkeit ausgestatteten ›simples animaux‹ unterscheiden sich die ›vernünftige Seele‹ oder der ›Geist‹ durch die Befähigung zu Vernunft und Wissenschaft, die von der »Erkenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten« ausgeht und »uns zur Selbst- und Gotteserkenntnis emporhebt«. Jene Erkenntnis und Abstraktionstätigkeit erhebt uns zudem zu ›reflexiven Akten‹, die ermöglichen, »das zu denken, was man das Ich nennt«, und wodurch wir Metaphysik treiben können, und schließlich »sogar Gott denken«, indem wir begreifen, was »in uns begrenzt und in ihm ohne Grenzen ist«.153 In der Leibnizschen Unterscheidung einer auch den Tieren eigenen Seele von dem ›Geist‹ oder der ›vernünftigen Seele‹ begegnet uns ein von Augustinus154 überkommenes Gemeingut, den Leibniz in seiner Argumentation gegen Descartes’ Eliminierung der Seele aus dem Bereich des Animalischen auf seiner Seite wähnt.
Préliminaire, § 65. Als Beispiel führt Leibniz Hunde an, die sich angesichts eines Stocks an den Schmerz erinnern, der ihnen mit einem solchen einmal zugefügt wurde. – Vgl. zu diesem Verständnis der memoria auch schon Richard Sorabji: Animal Minds & Human Morals. The Origins of the Western Debate. Sorabji zitiert (77) GP IV, 525 f.; dort vergleicht Leibniz die empiristischen Lehrer der Antike mit den Tieren, weil sie lediglich Memoristen seinen. Der Mensch aber habe Vernunft, und das gehe über bloße induktive Schlüsse hinaus. Zur Monadologie vgl. 207. 153 Monadologie §§ 29 f. – In der von Leibniz hierzu angegebenen Referenzstelle, Essais de théodicé, préface (GP VI, 27) gebraucht er das Bild des Ozeans, aus dem unsere Seelen lediglich Tropfen empfangen haben: »Les perfections de Dieu sont celles de nos âmes […] il y a en nous [jedoch nur tropfenweise] quelque puissance, quelque connaissance, quelque bonté […].« – Der Sache nach mag man eine gewisse Parallelität jener Leibnizschen Selbsterkenntnis zu Augustinus’ trinitätsbezogenen Aussagen sehen, etwa in trin. 10,14 oder (hinsichtlich der Kenntnis der ewigen Wahrheiten als Ermöglichung der Selbsterkenntnis civ. 11, 26. Zur Analogie von göttlicher Trinität und dem sich selbst erkennenden Geist des Menschen vgl. etwa A VI, 4C, 2289 (um 1680). 154 Vgl. etwa trin. 15,1 (mens und anima). 151
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6. Schlußbemerkung
Die hier zum größeren Teil nur summarisch und keineswegs thematisch vollständig zusammengetragenen Beobachtungen zu Leibniz’ Schriften sollten auf die vielfältigen Spiegelungen des Werkes und der Gedankenwelt des Augustinus im Denken des großen christlichen Philosophen der Neuzeit hinweisen. Sie zeigen sich nicht nur in zahlreichen Referenzen auf die Schriften des Kirchenvaters, sondern auch indirekt in der sprachlichen Ausgestaltung wesentlicher Teile des Leibnizschen Systems. Gleichzeitig werden jedoch auch die Grenzen dieser Rezeption augustinischer Anschauungen sichtbar, wenn im Zeichen der beginnenden Aufklärung die Vorstellungen von kirchlicher Autorität, Erlösung, Reich Gottes, Vollkommenheit mit vernunftgeleitetem Handeln und wissenschaftlich gestütztem Fortschritt der Menschheit verbunden werden sollen. Beide treten aus Ihrer Zeit heraus: Augustinus, indem er den Übergang zum postantiken Denken vollzieht, Leibniz, dessen Wirkung weit hinter der des doctor ecclesiae zurückbleibt, mit seinem philophisch-wissenschaftlichen ›neuen‹ System, dessen Bekanntgabe er seiner Zeit allerdings großenteils vorenthielt, weil er ihr das rechte Verständnis nicht zutraute. In einem Brief an den Jesuiten Carlo Maurizio Vota berichtet er 1703 von einem Gespräch, das er im Beisein der Königin Sophie Charlotte in Berlin mit dem französisch-reformierten Theologen Jacques Lenfant über die Willensfreiheit und Augustinus geführt hatte: »Im übrigen haben wir, die Herren [Jacques] Lenfant und [Isaac de] Beausobre auf der einen, ich auf der anderen Seite, vor der Königin heftig über die Willensfreiheit diskutiert. Und obwohl ich hinsichtlich der ungetauften Kinder und der wirksamen Gnade lieber Euren Patres als Augustinus selbst folge, weil ich weder in der Verdammnis der Kinder irgendeine Gerechtigkeit noch irgendeinen plausiblen Grund für die behauptete immer durch sich selbst wirksame Gnade finden kann, teile ich nichtsdestoweniger Augustins Ansichten zu anderen damit zusammenhängenden Fragen, und ich glaube nicht, daß vorher jemals einer sich so eindringlich mit dem Ursprung des Bösen beschäftigt hat, das nicht im Widerspruch zur Güte des Schöpfers des Universums steht, und mit der bestimmten Festlegung aller Dinge, die gleichwohl nicht der Kontingenz oder der Freiheit der Geschöpfe widerspricht. So bleibt dieser große Mann immer Gegenstand meiner Bewunderung. Das ist meine wahre Überzeugung, von der ich niemals abweichen werde.«155
Leibniz am 4. September 1703 an Carlo Maurizio Vota; Vorausedition (http://www.leibnizedition.de) A I, 22 (Übersetzung H. R.) 155
Augustinische Motive in der Philosophie Immanuel Kants (1724 – 1804) von Norbert Fischer
Die These, in Immanuel Kants Philosophie fänden sich Augustinische Motive, ist nicht neu. Zufällig herausgegriffene Beispiele bieten Gerhard Krüger, Friedrich Delekat und Paul Ricœur.1 Obwohl andere Einwände gegen sie erheben,2 wird die These im folgenden gleichsam naiv und auf knappem Raum ohne Prätention von Vollständigkeit mit Inhalt gefüllt, um eine Diskussion der Frage anzuregen, ob und inwieweit sie einer kritischen Überprüfung standzuhalten vermag. Der rezeptionsästhetische Zusammenhang mag unklar sein; vielleicht lassen sich aber Texte von Autoren wie Pascal und Leibniz als Brücke Kants zu Augustinus wahrscheinlich machen.3 Kant zeigt sich – im Unterschied z. B. zu Pascal und Leibniz – nicht klar als Kenner oder gar als Schüler Augustins, auch wenn er einige Worte zitiert, die von Augustinus stammen oder ihm zugeschrieben wurden. Sein eher geringes Interesse an älteren philosophischen Texten ist indessen nicht nur für sein Verhältnis zu Augustinus bezeichnend, sondern zu allen Autoren der weiter entfernten Geschichte. Vgl. Gerhard Krüger: Philosophie und Moral, 98 – 111 (dazu Hector Wittwer: Einleitung, 20 f.); Friedrich Delekat: Immanuel Kant. Historisch-kritische Interpretation der Hauptschriften (vgl. Register, 479); Paul Ricœur: Herméneutique des symboles et réflexion philosophique 1,297 (dazu vgl. im vorliegenden Band Jakub Sirovátka: Die gefährdete Subjektivität, z. B. 290); Max Wundt: Kant als Metaphysiker. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Philosophie im 18. Jahrhundert, 548 (Register); Karl Delahaye: Die »memoria interior«-Lehre des heiligen Augustinus und der Begriff der »transzendentalen Apperzeption« Kants. Die erste Fassung des folgenden Beitrags erschien mit dem Titel: Motivi agostiniani nella filosofia di Immanuel Kant. Vgl. auch die Hinweise bei Norbert Fischer (Hg.): KMR (Register, 727). 2 Um ihre Aussagekraft zu diskreditieren, bestreitet Kurt Flasch, daß Augustins Zeittheorie »als partielle Vor wegnahme kantischer Einsichten« anzusehen sei und man »Augustinische Gedanken kantisch ausdrücken« könne (Was ist Zeit?, 40.197). Trotz der Verschiedenheit der äußeren Kontexte ist die denkerische Nähe offenkundig. 3 Vgl. die Hinweise Hartmut Rudolphs im vorliegenden Band (z. B. 59, 67); Ella Harrison Stokes: The Conception of a Kingdom of Ends in Augustine, Aquinas, and Leibniz; setzt Thomas von Aquins und Leibniz’ ›Reich der Gnade‹ neben Augustins civitas dei in einen Bezug zu Kants ›Reich der Zwecke‹ (115 – 127). Sodann vgl. Patrick Riley: Leibniz’ Universal Jurisprudence. Justice as the Charity of the Wise; Riley sieht Leibniz als ›Augustinianer‹ (162), sofern er die ›erleuchtete‹ Liebe (doctr. chr. 1,20 – 23) als die wahre Liebe ansieht, wogegen Kants Augustinismus »gives primacy to ›good will‹ as the only ›unqualified‹ good«. Ob Kants und Leibniz’ Thesen mit einer Minderung der Bedeutung der Gnade als zentraler Heilsursache einhergeht, wie sie diese bei Augustinus hat, ist eine Frage, die nicht vorschnell für entschieden angesehen werden sollte und noch zu erwägen sein wird. 1
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Denn Kant selbst rechnete sich, wie er sagt, zu den Denkern, »die aus den Quellen der Vernunft selbst zu schöpfen bemüht sind«, nicht zu den Gelehrten, »denen die Geschichte der Philosophie (der alten, sowohl als neuen) selbst ihre Philosophie ist«; ein wenig maliziös hat er zu solchen Vergleichen die Vermutung angefügt, daß, »da der menschliche Verstand über unzählige Gegenstände viele Jahrhunderte hindurch auf mancherley Weise geschwärmt hat, […] es nicht leicht fehlen« kann, »daß nicht zu jedem Neuen etwas Altes gefunden werden sollte, was damit einige Ähnlichkeit hätte« (Prol A 3 = AA 4,255). Bemerkenswerte Ähnlichkeiten im Leben und in der Art der Werke der zu betrachtenden Autoren gibt es nicht.4 Wer einen Blick auf die großen Umbrüche im Leben beider wirft, kann bei Augustinus sehen, daß er bei seiner Suche nach religiöser Heimat zunächst den Spuren der Manichäer gefolgt ist, dann Orientierung in Anregungen aus der Philosophie und später im biblischen Glauben fand, dem er aber – wie es seinem ursprünglichen Ansatz entspricht – nicht nur auf Grund äußerer Autorität zustimmte, sondern weil er annahm, sich diesen Glauben auch denkerisch aneignen zu können. Als Maxime für Augustins spätere Wahrheitssuche kann gelten (conf. 11,5): »audiam et intelligam«. Kant hingegen ist bei der Ausarbeitung seiner ersten Werke von religiösen und philosophischen Überzeugungen ausgegangen, die ihn zunächst einmal so sicher trugen, daß er den Nutzen »metaphysischer Untersuchungen«, als er sich mit ihnen zu befassen begann, eher abschätzig beurteilte (zum Dasein Gottes vgl. z. B. BDG A 3 = AA 2,65). Unbefragte Gewißheiten schienen ihm vor seiner kritischen Wende die nötige Ruhe des Herzens verschafft zu haben, so daß er seinen Weg zunächst in aufklärerischem Fortschrittsoptimismus vor allem mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu beginnen vermochte. Zum christlichen Glauben, der für Kant der selbstverständliche Ausgangspunkt war, ist Augustinus erst nach langen Irrwegen seines Lebens und Denkens gelangt, die er besonders in den Confessiones zum Thema macht.5 Im Unterschied zu ihm Vgl. aber Otfried Höffe: Immanuel Kant, 19: »Kant war ungewöhnlich zurückhaltend. Obwohl das kritische Werk vielleicht ähnlich wie Augustinus’, Descartes’ oder Pascals Philosophie einer plötzlichen Erleuchtung zu verdanken ist (vgl. Refl. 5037), spricht Kant doch nirgendwo in seinen Schriften von einem philosophischen Erlebnis, das sein bisheriges Denken blitzartig verändern sollte. So finden wir nichts, was der Vorstellung eines Genies entspricht.« 5 Vgl. dazu Norbert Fischer; Dieter Hattrup (Hg.): Irrwege des Lebens. Augustinus: ›Confessiones‹ 1 – 6. Weiterhin: Aurelius Augustinus: Suche nach dem wahren Leben. Confessiones X / Bekenntnisse 10; vgl. dort die Kompositionsstruktur des zehnten Buchs der Confessiones als Schema für Augustins Weg des Lebens und Denkens (bes. XIX – XXX). Auch nachdem Augustinus zum christlichen Glauben gefunden hatte, war er noch nicht am Ziel seines Weges, sondern versuchte, sich den tieferen Gehalt des biblischen Glaubens anzueignen (in zunehmender Ablösung vom Plotinschen Neuplatonismus, aber in bleibender innerer Nähe zu Platon); vgl. Endre von Ivánka: Plato christianus. Übernahme und Umgestaltung des Platonismus durch die Väter; Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit. Zur systematischen Entfaltung seines Denkens aus der Geschichte der Chorismos-Problematik. 4
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mußte Kant aus dem ›dogmatischen Schlummer‹ geweckt werden, um die Unruhe der philosophischen Suche zu verspüren und von den Fragen nach Gott und der Seele angetrieben zu werden, die Augustinus, sobald er selbst zu fragen begonnen hatte, sofort als die alles umfassende Doppelaufgabe der Philosophie verstand.6 Die kritische Wende hat Kant allererst in eine förderliche Beziehung zu den Alten gebracht, auch wenn er das selbst nicht bemerkt hat und es ihm keine Aufgabe der Selbstreflexion war .7 Trotz der Gegenläufigkeit ihrer Wege treten im theoretischen, im praktischen und im religionsphilosophischen Denken der beiden Autoren gemeinsame Motive hervor, die ihre Nähe belegen. Aber auch die äußerlich faßbaren Bezugnahmen sollen, obwohl sie auf den ersten Blick marginal zu sein scheinen (was bei dem ›Selbstdenker‹ nicht verwundert), nicht unerwähnt bleiben, weil sie der behaupteten inneren Nähe auch eine zusätzliche Stütze bieten können.8 Eine erste Anknüpfung Kants an Augustinus findet sich in der vorkritischen Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral aus dem Jahr 1764. Die dort zitierte Augustinus-Stelle betrifft die Frage nach der Zeit, die für Kant später Bedeutung gewonnen hat. Nachdem Kant die These verteidigt hat, Mathematik erreiche ihre Definitionen ›synthetisch‹, Philosophie aber ›analytisch‹, beginnt er die Betrachtung der Methode, »zur höchstmöglichen Gewißheit in der Metaphysik zu gelangen«, mit der These, Metaphysik sei »nichts anders als eine Philosophie über die ersten Gründe unseres Erkenntnisses«. Dabei sei davon auszugehen, daß ich »in der Mathematik gar keinen Begriff von meinem Gegenstand« habe, »bis die Definition ihn giebt«, im Unterschied zur Metaphysik, in der ich einen Begriff habe, »der mir schon gegeben worden, obzwar verworren«. Vgl. Prol A 13 (AA 4,260): »Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach«. Zu grundlegenden Doppelaufgabe Augustins und Kants vgl. Norbert Fischer: »Deum et animam scire cupio«. Zum bipolaren Grundzug von Augustins metaphysischem Fragen. Als Grundübereinstimmung zwischen Augustinus und Kant sieht Friedrich Delekat (Immanuel Kant, 24) mit Recht beider Bestreitung, »daß die menschliche Vernunft an der göttlichen unmittelbar Anteil hat«. 7 Vgl. Gerhard Lehmann: Kritizismus und kritisches Motiv in der Entwicklung der Kantischen Philosophie, 118: laut Lehmann steht Kant »fest auf dem Boden der Alten, hat hier seine Wurzeln, und die Frage der historischen Interpretation kann, von hier aus gestellt, nur lauten: wieweit Kant, vielleicht ohne es zu wissen, auf die fernere und ältere Tradition zurückgreift?« In der Fußnote erklärt er dazu (ebd.): »Diese Frage ist jetzt mit großer Umsicht von F. Delekat gestellt […] und besonders im Hinblick auf die Augustinische Tradition beantwortet worden.« Lehmann bezieht sich auf das hier bereits erwähnte Werk von Friedrich Delekat: Immanuel Kant. 8 Vgl. AA 20,72 (1764): »Von der Vorsehung. Die Thoren die die Ordnung der Natur verlassen befremden sich über die Vorsehung daß sie ihre schlimme Folgen nicht verbessert Augustin mit seiner Crapula« (vgl. vera rel. 99); Logik Philippi (ca. 1772; AA 24,418; ähnlich unten UDG); die Anspielung RGV B 68 f. = AA 6,57 f. (Fn) ist ohne klares Korrelat bei Augustinus; OP (1798; AA 22,154: »Recantatio, rehabilitatio; Augustini retractatio. Reinhold«; auf die Retractationes Augustins ist Kant vermutlich durch einen Brief Becks vom 20. Juni 1797 gestoßen; vgl. AA 12,163 f.). Weiterhin: AA 15,930; mit Stellenangabe: »B. Augustinus in Lib. VII. de civitat. Dei. Cap. V.« 6
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Die Bestimmung der eigentlichen Aufgabe der Metaphysik, die also darin bestehe, »den deutlichen, ausführlichen, bestimmten« Begriff »aufsuchen« zu sollen, verbindet Kant mit dem Hinweis: »Augustinus sagte: Ich weiß wohl, was die Zeit sei, aber wenn mich jemand frägt, weiß ichs nicht.«9 Ein anderer Hinweis entstammt der späten Schrift Zum ewigen Frieden. Auf die Frage, welche Macht eine Gewähr des ewigen Friedens bieten könnte, antwortet Kant, daß »nichts Geringeres« als ›Natur‹, ›Schicksal‹ und ›Vorsehung‹ den ersehnten Frieden garantieren könne.10 Bei der Vorsehung als einer den »Weltlauf prädeterminierenden Ursache« unterscheidet er zwischen der gründenden Vorsehung (›providentia conditrix‹), der waltenden (›gubernatrix‹) und der leitenden (›directrix‹), die er auch Fügung nennt (›directio extraordinaria‹). Die gründende Vorsehung kennzeichnet er mit dem Dictum (ZeF BA 48 Fn = AA 8,361 Fn): »semel iussit, semper parent«. Dazu nennt er als Quelle Augustinus (mögliche Referenz: conf. 12,18). Er schreibt Augustinus inhaltlich gesehen ein Vorsehungsverständnis zu, mit dem er auch selbst sympathisiert.11 In der Moral Mrongovius (1784/85) heißt es (AA 29,629): »Die Avtonomie unsres Willens erhebt unsre Würde sehr. Die Glieder eines Reichs der Zweke deren Haupt Gott ist, ist die eigentlich intellectuelle Welt. Augustin und Leibnitz nannten es das Reich der Gnaden. Im Reiche der Zweke ist Gott Oberhaupt; im Reiche der Natur oberste Ursache.« In dieser Passage ist einerseits die Annahme zu beachten, Augustins Moralphilosophie habe mit der Autonomie des Willens zu tun (ein Gedanke, der im folgenden Bestätigung finden wird), andererseits die Annahme, daß Kant in der Autonomie unseres Willens keinen Widerspruch zur These sieht, Gott sei als Oberhaupt im Reich der Zwecke zu denken. Er scheut sich auch nicht, dieses Reich der Zwecke – mit »Augustin und Leibnitz« – als »Reich der Gnaden« zu bezeichnen.12 UDG A 79 = AA 2,283. Das ist zwar keine sachlich ergiebige Anknüpfung an Augustins Zeittheorie, aber doch an dessen Zugangsweise zu philosophischen Fragen. Flaschs These, daß man bei Kant »vergeblich einen Hinweis auf die Augustinische Zeittheorie suchen würde« (Was ist Zeit?, 29), ist unter systematischem Blickwinkel kaum zu verteidigen, aber auch ›historischphilosophisch‹ gesehen bestreitbar. Es gibt, wie sich zeigen wird, in der Zeituntersuchung weitere äußerlich auffällige Parallelen und deutliche innere Zusammenhänge. 10 Natur versteht Kant hier als »die große Künstlerin«, »aus deren mechanischem Laufe sichtbarlich Zweckmäßigkeit hervorleuchtet«, Schicksal als »Nöthigung einer ihren Wirkungsgesetzen nach uns unbekannten Ursache«, Vorsehung als »tiefliegende Weisheit einer höheren, auf den objectiven Endzweck des menschlichen Geschlechts gerichteten, und diesen Weltlauf prädeterminirenden Ursache« (vgl. ZeF BA 47 = AA 8,360 f.). 11 Augustins Gedanken der ›Simultanschöpfung‹ nimmt Kant als ›prädeterminierende Ursache‹ (ohne Bestreitung der ›Freiheit‹) in seinem theologisch gedachten Vorgriff auf die Evolutionstheorie auf (KU B 368 ff.). Vielleicht ist es möglich, die ›Prädestinationslehre‹ Augustins auch auf solche Motive zu beziehen und teilweise zu relativieren. 12 Ebd.; vgl. Gerhard Lehmann: Kants Tugenden, 68 Fn 33a: »Das regnum gratiae bezieht sich bei Kant auf Leibniz (Principes de la Nature et de la Grâce, fondées en Raison, 1714), aber 9
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Kant war als Denker von Anfang an nicht bereit, blind irgendwelchen Traditionen zu folgen, er wollte nicht gebahnte Wege gehen, sondern sogar »das Ansehen derer Newtons und Leibnize vor nichts achten« (GwS A V = AA 1,7). In Kants Augen mag es also eine müßige Aufgabe sein, Augustinische Motive in seiner Philosophie aufzusuchen. Dennoch wird sie hier verfolgt. Die Unterschiedlichkeit der Kontexte belegt zwar die Fremdheit, wirft aber auch ein anderes Licht auf die Sachfragen, so daß der Blick auf die Nähe und die Ferne ihrer Gedanken neue Einsichten verheißt. Wenn es wirkliche Nähe zwischen dem, was Kant als ›metaphysische Naturanlage der menschlichen Vernunft‹ bezeichnet, und dem ›cor inquietum‹ Augustins gäbe, hätte das für die Gesamtwahrnehmung beider große Folgen. Kant war überzeugt, durch die kritische Philosophie das »Land der Wahrheit«, das »in unveränderliche Grenzen eingeschlossen« ist, »nicht allein durchreiset und jeden Theil davon sorgfältig in Augenschein genommen, sondern es auch durchmessen und jedem Dinge auf demselben seine Stelle bestimmt« zu haben (KrV B 294). Am Ende sieht er jedoch unsere »ausspähende Blicke mehr gereizt als befriedigt« (KrV B 771 f.), so daß er von »der Unmöglichkeit einer sceptischen Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft« spricht, die sich – da sie keiner »Erkenntnis der Gegenstände« ihres höchsten Interesses fähig ist – die Grenzen ihres Vermögens eingestehen muß (KrV B 789 f.): »Außer dieser Sphäre (Feld der Erfahrung) ist nichts für sie Object.« Damit wird sie aus dem Feld des Wissens notwendig auf das Feld des Glaubens gestoßen, der ihr abfordert, »das Glück des ganzen Lebens zu verwetten« (KrV B 853). Zwar kann man mit Kant die These vertreten, es könne »selbst in diesem theoretischen Verhältnisse gesagt werden, daß ich festiglich einen Gott glaube« (KrV 854). Dieser Glaube führt indes nicht zum Ende unserer »rastlosen Bestrebung« (KrV B XV). Und so spricht auch Kant sein »donec requiescat in te« zur Natur des Menschen in Anlehnung an Augustins Unterscheidung von ›uti‹ und ›frui‹ (KU B 389): »denn seine Natur ist nicht von der Art, irgendwo im Besitze und Genusse aufzuhören und befriedigt zu werden.« auch direkt auf Augustinus De civitate dei contra Paganos libri XXII (412 – 426). Mrongovius II Opg. 72: Der Mensch muß sich im Reich der Zwecke oder vernünftiger Wesen als ein gesetzgebendes Glied ansehen. – Leibniz nennt auch das Reich der Zwecke moralische Principien des Reichs der Gnaden. Opg. 96: Die Glieder eines Reichs der Zwecke, dessen Haupt Gott ist, ist die eigentlich intellectuelle Welt. Augustin und Leibniz nannten es das Reich der Gnaden. Im Reich der Zwecke ist Gott Oberhaupt, im Reiche der Natur oberste Ursache.« Reiner Wimmer: Kants kritische Religionsphilosophie, weist auf Augustinus als Hintergrund der Gedanken, die Kant »zur Idee einer ethischen Gemeinschaft als eines corpus mysticum äußert« (59); vgl. dort auch 202 zum Verhältnis von unsichtbarer und sichtbarer Kirche; zum ›ethischen Staat Gottes‹ Kants und Augustins ›civitas dei‹ vgl. RGV B 139 = AA 6,99; B 149 = AA 6,105; B 184 = AA 6,124. Vgl. Howard Williams: Kant’s Political Philosophy, 265: »The far distant goal of an ethical commonwealth Kant refers to in Augustinian terms as the Church invisible.« 267: »Thus, despite its origins in the Augustinian account, Kant’s vision of the visible church is far more liberal, equal and secular than Augustine’s in the City of God.«
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Der Blick auf die innere Beziehung zwischen beider Denken kann helfen, Augustinus als weiter zu beachtenden Lehrer des Abendlandes zu erweisen. Sie wird im folgenden an fünf ausgewählten Themen untersucht, die zu den zentralen Fragen der Philosophie Kants gehören: an der Auslegung der Metaphysik als Naturanlage der menschlichen Vernunft, an der Frage nach dem Sein der Zeit, an der Grundlegung der praktischen Philosophie, am Verhältnis von Freiheit und Gnade und am Verhältnis der philosophischen Religionslehre zum Offenbarungsglauben.
1. Zu Kants Auslegung der Metaphysik als Naturanlage der menschlichen Vernunft und zu Augustins Interpretation des Menschen als ›cor inquietum‹
Wer in Augustins Werken nach Antworten auf die Frage sucht, was der Mensch sei, oder besser: welche Bestimmung seines Seins den Menschen zum Menschen mache, kann sich mit Recht auf die Erklärung des Menschen als sterblichen Vernunftlebewesens (›animal rationale mortale‹) oder als einer zusammengesetzten Substanz aus Leib und Seele stützen (›ex anima et corpore‹), wobei die Seele der eigentliche Mensch, der den Körper nur gebraucht (›terreno utens corpore‹), die höchste Stufe der Seele aber der Geist sei (›animus‹ als ›summus gradus animae‹).13 Näher an Augustins eigene denkerische Motive könnte der Versuch kommen, der substanzontologische Bestimmungen meidet und mit der Analyse genuin menschlicher Seinsvollzüge anfängt, mit der Analyse von Vollzügen, die Augustinus als Auszeichnungen menschlichen Seins nennt, bei theoretischen Aufgaben z. B. in der Analyse der Vernunft, sofern diese uns befähigt, als ›Richter‹ (conf. 10,10: »iudex ratio«; vgl. KrV B XIII) über das sinnlich Gegebene zu urteilen und Fragen an es zu richten (ebd.: »homines autem possunt interrogare«).14 Sein berühmtes Wort, daß Gott uns Menschen auf sich hin geschaffen habe und unser Herz ruhelos sei, bis es Ruhe in Gott finde, kann auch als Antwort auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der genannten faktischen Vollzüge gelesen werden, sofern nur ein ruheloses Herz fragen kann.15 Vgl. Cornelius Mayer: Homo, bes. 386. Die Betonung der Endlichkeit des vernünftigen Wesens, das der Mensch ist (daß das ›animal rationale‹ also zugleich ›mortale‹ ist), entspricht explizit Intentionen Kants. Wie Augustinus deutet Kant den Menschen in einer Spannung von Vernünftigkeit und Endlichkeit; vgl. KpV A 45 und sehr häufig. 14 Vgl. KrV B XIII; Norbert Fischer: Zu Ursprung und Sinn menschlichen Fragens und Suchens. Zur Unabschließbarkeit der Suche vgl. trin. 9,1: »sic ergo quaeramus tanquam inventuri, et sic inveniamus tamquam quaesituri.« 15 Vgl. conf. 1,1. Dieses Wort eröffnet einen unendlichen Horizont und befreit das Herz von der Bestimmungskraft endlicher Ziele; vor dem Hintergrund des Unendlichen wird das Endliche theoretisch und praktisch relativiert. Auf dem Gebiet der praktischen Philosophie schlägt 13
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Die reflexive Wendung nach innen ist für Kant ebenso charakteristisch wie für Augustinus.16 Die Transzendentalphilosophie kann als ›Aufstieg nach innen‹ begriffen werden (vgl. trin. 12,25: »introrsum ascendere«). Kant wußte um die überlieferten Thesen zu Leib und Seele, hat sie anerkannt und in Vorlesungen erwähnt, in den Hauptschriften aber nur nebenbei zur Sprache gebracht. Die Frage, was der Mensch sei, hat er in den eigenen Werken auf eher ungewohnten Wegen in der Bearbeitung der drei Fragen verfolgt, in denen er das Interesse der menschlichen Vernunft vereinigt sah und die er auf das Sein des Menschen bezogen dachte.17 Die erste Frage, was ich wissen kann, geht vom Wissen wirklicher Wissenschaften aus und zielt im Anschluß an sie auf den Kern der Metaphysik, vor allem auf die Fragen (KrV B 831; vgl. B 723): »ist ein Gott? ist ein künftiges Leben?« Laut Kant »haben wir es in einem Kanon der reinen Vernunft« nur mit diesen zwei Fragen zu tun, so wie Augustinus seine Wißbegierde auf Gott und die Seele eingeschränkt hatte (sol. 1,7): »deum et animam scire cupio. – nihilne plus? – nihil omnino.« Ineins mit seinen Antworten auf die Fragen, was ich tun soll und was ich hoffen darf, stellt Kant den Menschen als Wesen dar, das auf Grund der Naturanlage seiner Vernunft metaphysisch zu fragen hat, das dem Anspruch der Moral ausgesetzt ist und das auf die Religion verwiesen ist. Kants Nähe zu Augustinus läßt sich in seiner Erklärung der Art, wie die Fragen der Metaphysik auftreten, weiter verdeutlichen. Gemäß der Kritik der reinen Vernunft hat die »menschliche Vernunft […] das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse«, nämlich auf dem Gebiet der Metaphysik, »daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen sich die Unruhe in der ›temptatio‹ nieder (dazu bes. conf. 10,39 ff.). Bei Kant vgl. KpV A 265: »Aber statt des Streits, den jetzt die moralische Gesinnung mit den Neigungen zu führen hat, in welchem nach einigen Niederlagen doch allmählig moralische Stärke der Seele zu erwerben ist, würden Gott und Ewigkeit mit ihrer furchtbaren Majestät uns unablässig vor Augen liegen (denn was wir vollkommen beweisen können, gilt in Ansehung der Gewißheit uns so viel, als wovon wir uns durch den Augenschein versichern).« 16 Vgl. Heinz Jansohn: Kants Lehre von der Subjektivität. Eine systematische Analyse des Verhältnisses von transzendentaler und empirischer Subjektivität in seiner theoretischen Philosophie, 94 f.: »Kein Wunder, wenn man aufgrund dieser Aussagen bei Kant das Augustinische ›noli foras ire …‹ wiederzuerkennen glaubte.« Jansohn denkt an Stellen wie KrV B 708: »Die reine Vernunft ist in der That mit nichts als sich selbst beschäftigt und kann auch kein anderes Geschäfte haben« und relativiert ihre Aussage (was auch im Blick auf Augustinus möglich ist; denn das oft zitierte Wort ›noli foras ire …‹ (vera rel. 72) läßt Augustinus in das oft nichtbeachtete münden: »et si tuam naturam mutabilem inveneris, transcende et te ipsum«. Der Weg von außen nach innen kommt bei Augustinus erst in Gott als dem transzendent und different bleibenden Innersten zum Ziel; dazu vgl. Norbert Fischer: foris-intus. 17 KrV B 833; Logik A 25 = AA 9,25; dazu Martin Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik, 205 – 218. Kant bedenkt phänomenologisch fundiert und transzendentalphilosophisch durchgeführt die Aufgaben der traditionellen Metaphysik.
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Vernunft« (KrV A VII). Da die unabweislichen, nicht beantwortbaren Fragen, die der menschlichen Vernunft durch ihre eigene Natur aufgegeben sind, auf Gott und ein künftiges Leben zielen, bringen sie den Fragenden in einen Zustand, der, da er keine Befriedigung ermöglicht (vgl. KrV B 786 – 797), die Ruhelosigkeit der Suche hervorruft. Kant führt die Unruhe zwar nicht unmittelbar auf Gott zurück, stellt aber zur These, daß für die Metaphysik »noch kein sicherer Weg der Wissenschaft hat gefunden werden können«, die nachbohrende Frage, woher »denn die Natur unsere Vernunft mit der rastlosen Bestrebung heimgesucht « hat, diesem Weg »als einer ihrer wichtigsten Angelegenheiten nachzuspüren?«18 Die Frage nach dem Ursprung dieser rastlosen Bestrebung als Folge einer Heimsuchung der menschlichen Vernunft kann in mehreren Auslegungsstufen bearbeitet werden. Kant sieht den ›eigentümlichen Grundsatz‹ unserer Vernunft in der Aufgabe, »zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit dessen Einheit vollendet wird« (KrV B 364). Daß die Vernunft das gesuchte Unbedingte nicht aus eigner Kraft finden (nicht gleichsam durch trial and error ›erfinden‹) kann, also nicht in der Lage ist, sich den Weg zum Unbedingten aus eigener Kraft zu bahnen, mag ihr schmerzlich sein.19 Dennoch sieht Kant sich gezwungen, die Hoffnungen auf die Errichtung einer dogmatischen Metaphysik preiszugeben. Obwohl er sich zunächst selbst bemüht hatte, verzichtet er schließlich auf »evidente Demonstrationen der zwei Cardinalsätze unserer reinen Vernunft: es ist ein Gott, es ist ein künftiges Leben« (KrV B 769 f.). Allerdings sieht er alsbald, daß die Begrenzung der Möglichkeit des Wissens für die Vernunft nicht nur schmerzlich ist, sondern auch ein tröstendes Moment in sich birgt, sofern die höchsten Ziele der Vernunft ohne diese Begrenzung gar nicht angenommen werden können.20 Kant, KrV B XV. Das führt zum »fecisti nos ad te« (conf. 1,1), sofern die Vernunft nur in Unbedingtem Ruhe finden kann. Da Kant die Wirklichkeit der metaphysischen Naturanlage der menschlichen Vernunft annimmt, fragt er nach den Bedingungen der Möglichkeit dieser Anlage (KrV B 21 f.), so wie er im Anschluß an die Wirklichkeit der Wissenschaften Mathematik und Naturwissenschaft nach deren Bedingungen der Möglichkeit gefragt hatte. 19 Dieser Schmerz hat die verzweifelten Versuche, Kant zu widerlegen, befeuert; vgl. Josef Seifert: Überwindung des Skandals der reinen Vernunft. Die Widerspruchsfreiheit der Wirklichkeit – trotz Kant. Seifert führt einen dogmatisch-metaphysischen Augustinus, der vom ›cor inquietum‹ nichts weiß, gegen Kant ins Feld (z. B. 32, 43, 112, 118, 120, 126, 129, 130, 133, 134, 170, 178), ohne sich auf die antiskeptischen Intentionen Kants einzulassen. 20 KrV B XXX. Friedrich Delekat: Immanuel Kant, 343; der erste Grund für die Abfassung von RGV, sei »ein wissenschaftlicher, wenn man will, seelsorglicher Dienst an den Gebildeten«. Zum geteilten protestantischem Echo vgl. das außerordentlich polemische Schreiben des Protestanten Dr. S. Collenbusch, das er am 2. Weihnachtstag 1794 an Kant geschickt hat (AA 11,536). Dagegen steht die positive Aufnahme durch den Protestanten C. A. Wilmans, die Kant in SF aufgenommen hat (A 115 – 127 = AA 7,69 – 75). Seltsam sind die Wandlungen der katholischen Antworten auf Kant, die bis zur Indizierung der Critica della regione pura (1827) meist zustimmend waren. Vgl. dazu Norbert Fischer (Hg.): Kant und der Katholizismus. Stationen einer wechselhaften Geschichte. 18
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der von der Unbegreiflichkeit Gottes überzeugt ist, könnte also gut mit Augustinus sagen (s. 117,5): »de deo loquimur, quid mirum si non comprehendis? si enim comprehendis, non est deus.« Die Anregung, Unbedingtes zu suchen, kann (wie beide sehen) nur von Unbedingtem ausgehen. Sofern Kant sie vom Bewußtsein des moralischen Gesetzes ausgehen sieht, das uns die praktische Freiheit offenbart und den Weg zu den Ideen von Gott und Unsterblichkeit bahnt (KpV A 4 f.), spricht auch er sein: »tu excitas, ut laudare te delectet« (conf. 1,1). Die rastlose Bestrebung unserer Vernunft wird so das Werk der unerforschlichen Weisheit, die »nicht minder verehrungswürdig« sei »in dem, was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zuteil werden ließ.«21
2. Zu Kants Frage nach Sein und Sinn der Zeit vor dem Hintergrund der Augustinischen Zeitbetrachtung im elften Buch der ›Confessiones‹
Heideggers Vortrag Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI beginnt mit der Bemerkung: »In der abendländischen Philosophie sind uns drei bahnbrechende Besinnungen auf das Wesen der Zeit überliefert: die erste hat Aristoteles durchgeführt; die zweite ist das Werk des hl. Augustinus, die dritte stammt von Kant.«22 Obwohl in diesen Besinnungen »ganz verschiedene Bezirke des Fragens nach der Zeit angezeigt« seien, gehören sie doch, wie Heidegger sagt, »im Ersten und Letzten zusammen«, in einem Sinne, der »überall in der Philosophie« zutreffe, »wenn sie in der Nähe des Wesens der Dinge weilt«, sofern sich im »Wesentlichen kein Fortschritt« ereigne, sondern »nur im Unwesentlichen und zutiefst Belanglosen«. Eine der aufgeführten Erwähnungen Augustins in Kants Schriften entstammt der Zeitabhandlung des elften Buchs der Confessiones, auch wenn sie nicht gerade den Kern der Untersuchung betrifft. Es gibt dennoch tiefe Übereinstimmungen, die bei Anerkennung der Verschiedenheit der Fragezusammenhänge die sachliche Nähe der beiden Autoren hervortreten lassen. Im ersten Anlauf seiner Antwort findet Augustinus das Sein der Zeit im »praesens de praeteritis, praesens de praesentibus, praesens de futuris« (conf. 11,26). Da Zeit KpV A 266. Kant bekämpft alle, die sich die Grenzen der menschlichen Erkenntnis nicht eingestehen, also: »die arroganten Ansprüche der Schulen« (KrV B XXXIII), aber auch den ›bloß mit seinem empirischen Gebrauche beschäftigten Verstand‹, »der über die Quellen seiner eigenen Erkenntniß nicht nachsinnt« (KrV B 297). In diesen Kontext gehört der Satz (KrV B XXX); »Ich mußte das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen«. 22 Bisher unveröffentlichter Vortrag vom 26. Oktober 1930 in der Erzabtei St. Martin in Beuron; alle zitierten Stellen: S. 1 des Ms. Zur inneren Nähe von Kants und Augustins Zeitauslegung vgl. Friedrich Delekat: Immanuel Kant, 59 f.; als systematischen Versuch vgl. Norbert Fischer: Die Zeit als Problem in der Metaphysik Kants. 21
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ohne das Sein von Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem nicht ist, diese aber nur in der Seele sind, ist das Sein der Zeit so eng mit dem Seelischen verknüpft, daß das gesuchte Sein ohne Seele nicht faßbar ist (conf. 11,26): »sunt enim haec in anima tria quaedam et alibi ea non video.« Kant findet das Sein der Zeit nur im Subjekt als »Form der innern Anschauung«, sofern sie »nichts als die subjective Bedingung ist, unter der alle Anschauungen in uns stattfinden können« (KrV B 49).23 Das heißt (KrV B 51): »Die Zeit ist also lediglich eine subjective Bedingung unserer (menschlichen) Anschauung (welche jederzeit sinnlich ist, d. i. sofern wir von Gegenständen afficirt werden) und an sich, außer dem Subjecte, nichts.« Wie Augustinus die Auffassung des alltäglichen Umgangs mit der Zeit, in dem Zeit als äußeres Ding gilt, nicht rigide zurückweist, obwohl er sie streng genommen für verfehlt hält, so gesteht Kant »der Zeit empirische Realität« zu, bestreitet »aber die absolute und transscendentale« (vgl. conf. 11,26; KrV B 53). Ohne die Kraft der Seele, Vergangenes in Erinnerung zu behalten, Gegenwärtiges anzuschauen und Zukünftiges zu erwarten, mag es zwar Veränderung und Bewegung geben, aber keine Zeit. Augustinus setzt sich mit einem Gelehrten auseinander, von dem er gehört habe, die Bewegungen der Himmelskörper seien die Zeiten selbst (conf. 11,29). Kant erwähnt einen Einwurf »von einsehenden Männern«, von denen er »vernommen« habe (KrV B 53): »Veränderungen sind wirklich […], folglich ist die Zeit etwas Wirkliches«.24 Augustinus gibt zu, daß Sternbewegungen in der Zeit geschehen, bestreitet aber, daß die Zeit eine äußere Bewegung sei, behauptet also (conf. 11,31): »non est ergo tempus corporis motus.« Sofern Kant die Zeit wirklich nennt, aber »nicht als Object, sondern als Vorstellungsart meiner selbst als Object«, hängt sie für ihn »nicht an den Gegenständen selbst, sondern bloß am Subjecte, welches sie anschauet« (KrV B 54). Das Subjekt stellt die Zeit als uneingeschränkte Linie in eindimensionaler Erstreckung vor, die zu sagen erlaubt, daß »einiges zu einer und derselben Zeit (zugleich) oder in verschiedenen Zeiten (nach einander) sei« (KrV B 46). Indem es »die Zeitfolge durch eine ins Unendliche fortgehende Linie« vorVgl. Gerd Irrlitz: Kant-Handbuch, 199: »Augustinus’ Confessiones, die entscheidende Quelle für die Verbindung der Zeitproblematik mit dem inneren Sinn, behandeln […] das Zeiterleben als Tätigkeit des inneren Sinnes«. Dazu zitiert er die Kernstelle von Augustins erster Antwort auf die Frage nach der Zeit (conf. 11,26). Die folgende These ist mit conf. 11 nicht zu belegen: »Nur in Gott kann man seine Zeiten messen, indem Erinnerung der Vergangenheit und Erwartung des Zukünftigen in der Innerlichkeit eines Glaubens gegenwärtig sind.« Ebenso ist der Übergang zu Kant verfehlt: »Kants Verankerung der inneren Anschauung in einer transzendentalen Anschauungsform a priori löst die gesamte Subjektivität aus deren metaphysisch-theologischer Verankerung heraus.« Vgl. Reflexion 6317 (AA 18,627) mit der Bemerkung, daß »die Theologie auf die ästhetische Critik« führt. Irrlitz übersieht sowohl die nüchterne Rationalität Augustins als auch das theologische Interesse Kants. Vgl. Norbert Fischer: Einleitung (AZ). 24 Zum ›homo doctus‹ vgl. AZ 98, Anm. 141. Die Parallelität der Einwürfe bei Augustinus und Kant ist frappierend. 23
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stellt, »in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension ist« (KrV B 50), »im Ziehen einer geraden Linie« (KrV B 154), kommt Kant mit Augustinus überein, der die Zeit als ›actio‹ des Sicherstreckens des Geistes denkt (conf. 11,30 – 39). Weil ihm jeder Tropfen Zeit kostbar ist und ihn die Möglichkeit schreckt, die Zeit könne in den Augen Gottes flüchtig und nichtig sein, stößt Augustinus auf die Frage nach dem Sein der Zeit.25 Die Antwort auf diese Frage weist auf die Seinsweise des Suchenden. In der Auslegung der Zeit als ›distentio animi‹ findet Augustinus zwar eine Antwort auf die Frage nach dem Sein der Zeit, aus ihr erwächst ihm aber auch ein drängendes Problem, sobald er bemerkt, daß sein Geist im Sicherstrecken zersplittert (»at ego in tempora dissilui«), daß seine Gedanken, die innersten Fasern seiner Seele, zerrissen werden: »dilaniantur cogitationes meae, intima viscera animae meae«.26 So bleibt ihm nur die Hoffnung auf Gott, von dem er Bestand und Festigkeit seines endlichen Seins erhofft (conf. 11,40): »et stabo et solidabor in te, in forma mea, veritate tua«. Nicht nur Augustinus, auch Kant sieht das Zeitproblem, das beide zunächst zum Subjekt führte, am Ende mit der Gottesfrage verknüpft (KpV A 221): »Der Unendliche, dem die Zeitbedingung Nichts ist, sieht in dieser für uns endlosen Reihe das Ganze der Angemessenheit mit dem moralischen Gesetze, und die Heiligkeit, die sein Gebot unnachlaßlich fordert, um seiner Gerechtigkeit in dem Antheil, den er jedem am höchsten Gute bestimmt, gemäß zu sein, ist in einer einzigen intellectuellen Anschauung des Daseins vernünftiger Wesen ganz anzutreffen.« Kant verwirft die These von der absoluten Realität der Zeit im Blick auf Schwierigkeiten, die sie für die beiden Kardinalfragen der Metaphysik mit sich bringt. Er verwirft diese These einerseits, weil sie das Sein Gottes beschädige,27 andererseits conf. 11,1 und 2; vgl. auch 1,1. Zur Wahrnehmung der Flüchtigkeit und Nichtigkeit bei Kant vgl. KpV A 288 f.: Der Anblick des bestirnten Himmels über mir, der »Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines thierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen.« Er steht im Kontrast zum moralischen Gesetz in mir; dessen Anblick erhebt »meinen Werth, als einer Intelligenz, unendlich durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart«. Der Kontrast, den beide Anblicke hervorrufen, bestimmen Kants Frage nach dem Sein der Zeit in vielfältiger Weise. Weitere Hinweise zum Verhältnis von Augustinus und Kant bei Norbert Fischer: Augustinus und Kant; ders.: Einführung (Tusculum), bes. 778. 26 Beide Stellen conf. 11,39; dieses Phänomen lenkt Augustins Hoffnung auf Gott (vgl. conf. 11,40). 27 Reflexion 6317 (AA 18,626): »Uberdem sind Raum und Zeit so nothwendige Bestimmungen a priori der Existenz der Dinge, daß sie nicht allein sammt allen ihnen anhängigen Folgen [der Eingeschranktheit] Bedingungen der [Gott] Existenz der Gottheit, sondern wegen ihrer Unendlichkeit, absoluten nothwendigkeit und Nothwendigkeit gar zu göttlichen Eigenschaften gemacht werden müßten, wären sie Bestimmungen der Dinge an sich selbst[…]. Die Theologie, damit sie sich nicht selbst wiederspreche, sieht sich genothigt, beyde nur zu der Form unserer 25
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aber auch, weil sie den Menschen, den er als endliches Vernunftwesen denkt, ganz in der Unendlichkeit von Raum und Zeit versinken ließe. Gegen die Vernichtung der Bedeutung des Menschen in der Grenzenlosigkeit des Weltalls stellt er im Beschluß der Kritik der praktischen Vernunft die moralische Persönlichkeit, die uns in eine Welt setzt, »die wahre Unendlichkeit hat«: die Rettung vor der Zersplitterung in die Zeit hat bei Kant mit der menschlichen Freiheit und mit Gott zu tun, der allein den absoluten Sinn der endlichen Freiheit zu gewähren vermag (KpV A 288 – 290). Kant behandelt die Frage nach der Zeit wie Augustinus in strenger Orientierung an alltäglichen und wissenschaftlichen Phänomenen, die er philosophisch betrachtet und hinterfragt. Im Rückblick beziehen beide den Ursprung und das Ergebnis der Untersuchungen auf die Fragen nach Gott und der Seele.
3. Zu Kants Grundlegung der praktischen Philosophie vor dem Hintergrund von Augustins Entfaltung eines formalen Moralprinzips
Augustinus meinte, einen wesentlichen Schritt zur Beantwortung der ihn bewegenden Doppelfrage nach Gott und der Seele getan zu haben, als er nach der Unterscheidung von ›schlecht‹ und ›böse‹ im Begriff des ›malum‹ auf die Freiheit der Entscheidung gestoßen war. Auf dieser in akribischer Denkarbeit errungenen Antwort hat er zeitlebens beharrt.28 Sie fußt auf der genannten Unterscheidung und auf der Einsicht, daß keine Tat als ›peccatum‹ bezeichnet werden kann, hinter der nicht ein Wille als Erstursache steht (lib. arb. 3,49): »aut igitur voluntas est prima causa peccandi aut nullum peccatum est prima causa peccandi.«29 Die Bestimmung des Willens als Erstursache entfaltet Kant im Begriff der Freiheit als Vermögens, »einen Zustand von selbst anzufangen«, wobei die »Causalität« dieses Vermögens »nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte« (KrV B 561). Weil Gott als Urheber des ›malum‹ nicht Gott wäre, denkt Augustinus die Übeltäter als Urheber ihrer üblen Taten (lib. arb. 1,1): »quisque malus sui malefacti auctor Sinlichkeit zu machen und allen Dingen, die von uns erkannt werden konnen, als Phaenomenen, Noumena, die wir nicht kennen, in Ansehung deren aber das Unbedingte allein stattfindet, unterzulegen.« 28 Vgl. Christoph Horn: Einleitung, 20. Weiterhin Paul Ricœur: Herméneutique des symboles et réflexion philosophique 1, 297: »Historiquement, la vision éthique du mal paraît jalonée par deux grands noms qu’on n’a pas coutume d’associer, mais dont je voudrais faire sentir l’intime parenté: Augustin et Kant.« 29 Zum Zusammenhang mit der creatio ex nihilo vgl. Andreas Gunkel: Spontaneität und moralische Autonomie, 73.
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est«. Böser Wille beruht stets auf Freiheit, die nicht unmittelbar erkennbar ist, sondern »sich durchs moralische Gesetz« ›offenbart‹ (KpV A 5). Die Frage nach dem Ursprung des Bösen lenkt Augustins Blick auf den freien Willen, der als solcher weder unter der Direktive einer fremden Autorität stehen, noch als hypothetischer Imperativ der Klugheit im Sinne der Goldenen Regel gedacht werden kann. Etwas ist nicht deshalb schlecht, weil es vom Gesetz verboten wird, sondern es wird verboten, weil es schlecht ist (lib. arb. 1,6): »non sane ideo malum est, quia vetatur lege, sed ideo vetatur lege, quia malum est.« Kant sagt (KrV B 847): »Wir werden, so weit praktische Vernunft uns zu führen das Recht hat, Handlungen nicht darum für verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als göttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich sind.« Obwohl die Goldene Regel freiwilligen Partnertausch von Ehepaaren nicht als böse erweisen kann, hält Augustinus solches Verhalten für ein ›malum‹ (lib. arb. 1,6). Das Ursprüngliche ist für beide das Bewußtsein des moralischen Gesetzes, für das sie eine ›Formel‹ suchen, die sie nicht in der Goldenen Regel finden.30 Beide lehnen heteronome Moralbegründungen ab und führen auf Grund autonomer Vernunfteinsicht ein formales Moralprinzip ein. Augustinus nennt gerecht, was der vollkommensten Ordnung von allem dient (lib. arb. 1,15): »iustum est, ut omnia sint ordinatissima«. Sofern ein Wille sich in Freiheit selbst böse machen, aber auch guten Willen erzeugen kann, denkt Augustinus den freien Willen als mittleres Gut, das vorausgesetzt ist, wenn guter Wille möglich sein soll.31 Den guten Willen denken beide als das oberste Gut. Die ›bona voluntas‹, die ein Wille durch sich selbst hervorbringen kann (aber auch nur er), überragt alle Güter, die nicht in unserer Macht stehen (lib. arb. 1,26 f.), wie Kant sagt (GMS BA 1 = AA 4,393): »Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Im Überschwang der errungenen Einsicht in die Willensfreiheit meinte Augustinus sogar, daß wir kraft des Willens ein lobenswertes und seliges oder ein schimpfliches und elendes Leben verdienen und führen (lib. arb. 1,28): »voluntate nos […] laudabilem et beatam vitam, voluntate turpem ac miseram mereri ac degere.« Er könnte Kant zustimmen, der erklärt (KpV A 106): »Man mochte also immer den Stoiker auslachen, der in den heftigsten Gichtschmerzen ausrief: Schmerz, du magst mich noch so sehr foltern, ich werde doch nie gestehen, daß du etwas Böses (kakon, malum) seist! er hatte doch recht. Ein Übel war es, das fühlte er, und das verrieth sein Geschrei; aber daß ihm dadurch ein Böses anhinge, hatte er gar nicht Ursache Zu Kants Antwort auf die These, er habe nicht die Moralität, sondern deren ›Formel‹ entdeckt, vgl. KpV A 14 Fn. 31 Zur dreifachen Auslegung des ›bonum‹ (als ›infinum‹, ›medium‹ und ›summum bonum‹) und des ›summum bonum‹ (als Gott, guter Wille und ewiges Reich Gottes) vgl. Norbert Fischer: bonum, bes. 680, Anm. 57. 30
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einzuräumen; denn der Schmerz verringert den Werth seiner Person nicht im mindesten, sondern nur den Werth seines Zustandes.« Der gute Wille, der das höchste vollendete Gute will, kann es aus eigener Kraft nicht verwirklichen, sondern nur befördern (dazu MAA 211 f.). Wie Augustinus trennt er zwischen dem höchsten ursprünglichen Gut und dem höchsten abgeleiteten Gut. Die Frage, wie »das höchste Gut praktisch möglich« ist, bleibt für Augustinus wie für Kant, obwohl beide die Freiheit des Willens annehmen, »unerachtet aller bisherigen Coalitionsversuche eine ungelösete Aufgabe« (KpV A 202). Sie bleibt ungelöst, weil uns Wissen und Kraft fehlen, weil sich unsere Situation in der Welt durch ›ignorantia‹ und ›difficultas‹ auszeichnet (lib. arb. 3,52). Kant nimmt das Glücksstreben zwar als unvermeidlichen Bestimmungsgrund unseres Begehrungsvermögens, aber »objectiv« hält er es für »ein gar sehr zufälliges praktisches Princip« (KpV A 46). Obwohl beide am Ziel des höchsten vollendeten Gutes festhalten, in dem Tugend und Glückseligkeit vereinigt sind, bleibt als bewältigbare Aufgabe das Streben nach völliger Angemessenheit des Willens zum moralischen Gesetz übrig, das beide in rigoristischer Strenge verlangen. Der Rigorismus der Ethik Kants ist notorisch,32 bei Augustinus tritt er z. B. in der skrupulösen moralischen Selbstanalyse des zehnten Buchs der Confessiones deutlich her vor.33 Das Problem der Moral steht und fällt mit der Tatsache, daß Neigungen auftreten, die in Konflikt mit einem Gesetz treten können, das sich gegen die Tendenz der Neigungen richten kann. Neigungen sind naturhaft gegeben und können als solche moralisch nicht diskreditiert werden. Ihre moralische Relevanz erlangen Neigungen, sofern sie vom Willen ausdrücklich im Bewußtsein, daß sie unerlaubt sind, übernommen werden, sofern sich der Wille dabei den Neigungen unterwirft (lib. arb. 3,2): »nulla re fieri mentem servam libidinis propria voluntate«.34 Kant ist auf solche Kritik eingegangen und wehrt sich gegen Mißverständnisse; vgl. RGV B 10 Fn = AA 6,23: »Herr Prof. Schiller mißbilligt in seiner mit Meisterhand verfaßten Abhandlung (Thalia 1793, 3tes Stück) über Anmuth und Würde in der Moral diese Vorstellungsart der Verbindlichkeit, als ob sie eine kartäuserartige Gemüthsstimmung bei sich führe; allein ich kann, da wir in den wichtigsten Principien einig sind, auch in diesem keine Uneinigkeit statuiren, wenn wir uns nur unter einander verständlich machen können. – Ich gestehe gern: daß ich dem Pflichtbegriffe gerade um seiner Würde willen keine Anmuth beigesellen kann.« Kant wie Augustinus denken im höchsten Gut die Vereinigung der Tugend mit der Glückseligkeit; zum ›finis boni‹ vgl. z. B. civ. 19. 33 Arno Baruzzi nennt Augustinus und Kant »die großen Kritiker der Lüge«; Philosophie der Lüge, VIII.45 – 100; vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL), bes. XXIII f. und LXIV – LXXXV. Auch auf das Augustinus zugeschriebene Wort »Virtutes paganorum splendida vitia« spielt Kant einmal an (RGV B 70 Fn = AA 6,58); als möglichen Beleg vgl. civ. 19,25. 34 Vgl. Guido Löhrer: Menschliche Würde, 54: »Um eine Handlung, die durch einen sinnlich affizierten Willen erster Stufe initiiert wurde, noch als eine Handlung aus Freiheit interpretieren zu können und sie nicht als ein Naturgeschehen verstehen zu müssen, bedient sich Kant eines Gedankens, mit dem es schon Augustinus gelungen war, menschliches Tun aus Neigung einem 32
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Beide Rigorismen gehen nicht mit falschem Überlegenheitsdünkel einher, sondern mit Demut. Kant gesteht ohne Zögern ein (KpV A 220): »Die völlige Angemessenheit des Willens aber zum moralischen Gesetze ist Heiligkeit, eine Vollkommenheit, deren kein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt in keinem Zeitpunkte seines Daseins fähig ist.« Trotz ihrer Unerreichbarkeit denkt er Heiligkeit als »praktische Idee, welche nothwendig zum Urbilde dienen muß, welchem sich ins Unendliche zu nähern das einzige ist, was allen endlichen vernünftigen Wesen zusteht«.35 Augustinus erfaßt die condicio humana ähnlich nüchtern wie Kant, strebt aber dennoch nach der geforderten Vollkommenheit (conf. 10,40 – 66) und sucht zuletzt einen Mittler, der den Weg weist, wie Menschen trotz ihrer Sterblichkeit am Ziel der Heiligkeit festhalten können (conf. 10,67 – 70).
4. Der Ort der Gnade in der praktischen Philosophie Kants und Augustins Überlegungen zur göttlichen Vorsehung und zur Prädestination
Augustinus wie Kant halten am höchsten Ziel der Forderung des Guten fest, betonen beide die konstitutive Bedeutung des guten Willens für die Möglichkeit des höchsten Gutes, im Wissen, daß guter Wille nur als das Werk eines freien Willens gedacht werden kann, und werden gerade dadurch auch zur Annahme der Notwendigkeit der Gnade geführt. Laut Kant »führt das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts, als das Object und den Endzweck der reinen praktischen Vernunft, zur Religion, d. i. zur Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote« (KpV A 233). Wie Augustinus betont hatte, daß Handlungen nicht darum schlecht seien, weil sie vom Gesetz verboten werden, sondern vom Gesetz verboten werden, weil sie schlecht sind (lib. arb. 1,6), so legt Kant die göttlichen Gebote nicht als Sanktionen aus, nicht als »willkürliche, für sich selbst zufällige Verordnungen eines fremden Willens« (KpV A 233). Beide unterscheiden Heteronomie und Theonomie, ohne letztere der Autonomie der Vernunft entgegenzusetzen. Weil Kant die Heiligkeit als »praktische Idee« auslegt, »welche nothwendig zum Urbilde dienen muß, welchem sich ins Unendliche zu nähern das einzige ist, was allen endlichen vernünftigen Wesen zusteht«, weil er zudem überzeugt ist, daß sie nur »in einem ins Unendliche gehenden Progressus zu jener völligen Angemessenheit angetroffen werden« kann (KpV A 220), liegt auf der Hand, daß Kant den Weg der Willen zuzurechnen und diesen Willen als freien auszuweisen: Der Wille als das übergeordnete Vermögen muß die Begierde adoptieren.« 35 KpV A 58. Beide nennen den Menschen sterblich und unheilig; Augustinus sucht den ›verax mediator‹, Kant den Sohn Gottes in uns (RGV B 7 – 76); vgl. Norbert Fischer: Der Rationalitätsanspruch der Christologie Augustins.
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Menschen zu ihrem höchsten Ziel nicht allein der Kraft ihrer eigenen Bemühungen zuschreibt, sondern auf die Hilfe Gottes verweisen muß. Kant selbst sieht seine praktische Philosophie im Gleichklang mit der christlichen Lehre, aber im Gegensatz zur Lehre der griechischen Schulen: als Leitidee der Cyniker nennt er Natureinfalt, als Idee der Epikureer Klugheit, als Idee der Stoiker Weisheit. Erläuternd fügt er hinzu (KpV A 129 Fn): »In Ansehung des Weges, dazu zu gelangen, unterschieden sich die griechischen Philosophen so von einander, daß die Cyniker dazu den gemeinen Menschenverstand, die andern nur den Weg der Wissenschaft, beide also doch bloßen Gebrauch der natürlichen Kräfte dazu hinreichend fanden.« Dagegen betont er mit der christlichen Moral die Hoffnung auf ein Wechselspiel von Freiheit und Gnade (KpV A 129 Fn): »Die christliche Moral, weil sie ihre Vorschrift (wie es auch sein muß) so rein und unnachsichtlich einrichtet, benimmt dem Menschen das Zutrauen, wenigstens hier im Leben, ihr völlig adäquat zu sein, richtet es aber doch auch dadurch wiederum auf, daß, wenn wir so gut handeln, als in unserem Vermögen ist, wir hoffen können, daß, was nicht in unserm Vermögen ist, uns anderweitig werde zu statten kommen, wir mögen nun wissen, auf welche Art, oder nicht.« Denker haben nicht die Aufgabe, den Weg zu anderweitiger Unterstützung eines zu schwachen Vermögens zu finden. Was sie erhoffen, kann dennoch unter den Titel der Gnade gestellt werden, die nur Gnade ist, wenn sie frei gewährt wird, nicht für Verdienste (trin. 4,2): »non meritis redditam sed gratis datam unde et gratia nominatur«. Augustins Motive, den Überschwang der Begeisterung über die freie Willensentscheidung zu dämpfen, sind einerseits die Einsicht, daß Menschen sich ihrer Taten nicht rühmen können und dürfen, andererseits das Verbot, gegen Gott, als dem allmächtigen Schöpfer und Herrscher der Welt, wegen der allzu oft miserablen Zustände Vorwürfe zu erheben und mit ihm zu rechten,36 lassen sich auch bei Kant finden (denn Gottes Wege bleiben »für uns unerforschliche Wege«).37 Kant zeigt sich nicht nur im Blick auf eine in der Weltzeit erhoffte Gnade offen, sondern auch im Blick auf ein Tun Gottes, das nach dem Ende der Zeit das wesenhafte und notwendig zur Endlichkeit gehörende Unvermögen der menschlichen Freiheit zu heilen vermag. Nach Kant erkennen wir Gott aus der Perspektive der Vgl. Simpl. 1,1,2; als Intention des Apostels Paulus wird genannt, »ut de operum meritis nemo glorietur.« Dies entspricht KrV B 579 Fn: nach Kant bleibt uns die »eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) […] gänzlich verborgen«. Zu Kants ›Gnadenlehre‹ vgl. die Hinweise bei Aloysius Winter in der kritischen Rezension zu Ulrich Lehner: Kants Vorsehungskonzept auf dem Hintergrund der deutschen Schulphilosophie, bes. 419 ff. 37 Zum Problem Hiobs MpVT A 216 = AA 8,266; Kant stellt die ›Theodicee‹ als ›Glaubenssache‹ dar, wobei Hiob »nicht seine Moralität auf den Glauben, sondern den Glauben auf seine Moralität gründete« (MpVT A 217 = AA 8,267). Immerhin sieht Kant, daß unser Leben, wenn es der »praktischen Bestimmung des Menschen« genügen soll von der Situation »des Streits«, der ›temptatio‹ bestimmt sein muß (vgl. Fn 15). Die Mäßigung seiner Freiheitslehre hat aber auch Augustinus nicht zu ihrer Bestreitung geführt (besonders klar und nicht revidierbar civ. 5,10). 36
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Moraltheologie (Metaphysik Pölitz 323): »1) als einen heiligen Gesetzgeber; 2) als einen gütigen Regierer; 3) als einen gerechten Richter.« Obwohl es in Kants praktischer Philosophie letztlich nur auf die »Heiligkeit des Willens«, auf die »eigentliche Moralität der Handlungen« ankommt, ist er überzeugt, daß uns selbst »gänzlich verborgen« bleibt, ob und inwieweit wir ihr entsprechen. Wir bedürfen Gottes als des Herzenskündigers.38 Denn kein Mensch kann in sein eigenes Herz schauen (mend. 36): »homo non est cordis inspector«); nur Gott ist es, der den innersten Willen unseres Herzens erblickt (spir. et litt. 14): »qui cordis ipsius et intimae voluntatis inspector est«. Augustinus sieht und betont wie Kant, daß wir auf Gott als Herzenskündiger und als gerechten Richter angewiesen sind. Zwar erklärt er, daß niemand das Innere eines Menschen kenne, außer der Geist, der im Menschen selbst ist. Gleichwohl hält er fest, daß es in diesem Inneren etwas gibt, das nicht einmal der Geist kennt, der im Menschen ist (conf. 10,7): »etsi nemo scit hominum, quae sunt hominis nisi spiritus hominis, qui in ipso est, tamen est aliquid hominis, quod nec ipse scit spiritus hominis.« Augustins Lehre, daß der Mensch, um zum Ziel seiner Hoffnung gelangen zu können, der göttlichen Gnade bedarf, ist allbekannt. Dennoch gibt er nicht die Arbeit an sich selbst preis, die er insofern als Werk der Freiheit begreift. Besonders klar tritt dies in der Weise hervor, wie er einerseits selbst um Mäßigung seiner Begierden ringt und sie andererseits als Gabe erbittet.39 Auch Kant unterscheidet zwischen dem, was ein Mensch tun kann und was er nicht tun kann. Zwar gilt: »wir sollen das höchste Gut […] zu befördern suchen«; aber »das höchste Gut in der Welt« ist doch »nur möglich, so fern eine oberste Ursache der Natur angenommen wird, die eine der moralischen Gesinnung gemäße Causalität hat« (KpV A 225). Kant hält also Glauben an Gott für nötig, den er in dem Sinne nimmt, »daß wir das beste thun sollen, was in unsrer Gewalt stehet, und zwar in der Hoffnung: Gott werde nach seiner Güte und Weisheit die Gebrechlichkeit unsers Verhaltens ersetzen. Der Glaube bedeutet also das Zutrauen, daß Gott das, was nicht in unsrer Gewalt stehet, wenn wir auch alles, was uns möglich ist, werden gethan haben, ersetzen werde. Dieses ist der Glaube der Demuth und Bescheidenheit, die mit der Ergebenheit
Zum Beispiel KpV A 58; KrV B 579 Fn.; zum Gedanken des ›Herzenskündigers‹ z. B. RGV B 137 ff. = AA 6,98 f.; dazu MST A 25 = AA 6,392: »Denn es ist dem Menschen nicht möglich so in die Tiefe seines eigenen Herzens einzuschauen, daß er jemals von der Reinigkeit seiner moralischen Absicht und der Lauterkeit seiner Gesinnung auch nur in einer Handlung völlig gewiß sein könnte; wenn er gleich über die Legalität derselben gar nicht zweifelhaft ist.« Ohne Voraussetzung des ›liberum arbitrium‹ wäre der Gedanke des ›inspector cordis‹ hinfällig und ein Widerspruch, weil Gott sich dann selbst richtete. 39 conf. 10,40 ff.; der Mensch soll nur, was er von Gott her kann (conf. 10,40; 10,45; 10,60): »da quod iubes et iube quod vis.« Auch laut Kant ist niemand über das Können hinaus verpflichtet (ZeF B 71 = AA 8,370). 38
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verbunden ist.«40 Zu beachten ist jedoch, daß Kant keinerlei Gnadenwahl im Sinne der Prädestination anerkennt, wie sie in Augustins Denken über die Paulusexegese eingedrungen ist.41
5. Zu Kants Bestimmung des Verhältnisses von Vernunftreligion und Offenbarungsglauben im Blick auf den Denkweg Augustins
Als Motiv seines Lebens und Denkens, das ihn treibt, sein Herz auf Gott zu richten, nennt Augustinus die Liebe zur Liebe Gottes (conf. 2,1; 11,1): »amore amoris tui facio istuc«. Auch Kant erkennt die Weisung an: »Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst«, und erklärt, daß die praktische Philosophie mit der Möglichkeit eines solches Gebotes »ganz wohl« zusammenstimme (KpV A 147). Dennoch hält er die »Liebe zu Gott als Neigung« zunächst für unmöglich und setzt dagegen die »praktische Liebe« Gottes. Wem befohlen würde, Gott zu lieben, könnte sich, da Gott »kein Gegenstand der Sinne« ist, gegen dieses Ansinnen wehren. Deshalb erklärt Kant (KpV A 148): »Gott lieben, heißt in dieser Bedeutung, seine Gebote gerne thun«. Seine Auslegung der ›Liebe Gottes‹ hat sich später aber geändert, als er dieses Wort nicht mehr nur als Genetivus obiectivus las, sondern auch als Genetivus subiectivus. In der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft geht es nicht nur um die geforderte Liebe des Menschen zu Gott, sondern auch um die Liebe Gottes zu den Menschen, wobei »die (uns schon durch die Vernunft versicherte) Liebe desselben zur Menschheit« erwähnt wird.42 Kant denkt die Vernunft hier als Gabe, die den Menschen zum ›cor inquietum‹ macht und ihn, da er auf Gott hin geschaffen Moralphilosophie Collins (AA 27,320 f.): dort heißt es weiter: »Der praktische Glaube bestehet also nicht darinn, daß Gott unsre Absichten erfüllen werde, wenn wir ihm nur fest zutraun, sondern darinn: daß wir Gott durch unsern Willen auf keine Weise etwas vorschreiben, sondern es seinem Willen überlassen und hoffen, Gott werde, wenn wir das, was in unserm natürlichen Vermögen steht, gethan haben, durch Mittel, die er am besten weiß, unserer Gebrechlichkeit und unserm Unvermögen abhelfen.« 41 Vgl. SF A 55 = AA 7,41: »So ist es mit St. Paulus’ Lehre von der Gnadenwahl gegangen, aus welcher aufs deutlichste erhellt, daß seine Privatmeinung die Prädestination im strengsten Sinne des Worts gewesen sein muß, welche darum auch von einer großen protestantischen Kirche in ihren Glauben aufgenommen worden, in der Folge aber von einem großen Theil derselben wieder verlassen, oder, so gut wie man konnte, anders gedeutet worden ist, weil die Vernunft sie mit der Lehre von der Freiheit, der Zurechnung der Handlungen und so mit der ganzen Moral unvereinbar findet.« Noch schärfer: Reflexion 6190 (AA 19,484). Einige Protestanten legen Augustinus (anders als Kant) bis heute einseitig aus; vgl. Volker Henning Drecoll: Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, z. B. 249; es ist kein Wunder daß Drecoll der als vernichtendem Angriff intendierten Auslegung Flasch zustimmt (EGA 17). 42 RGV B 176 = AA 6,120. Die Gabe der Vernunft ist die ›excitatio‹, die auf Unbedingtes weist und ruhelos macht. 40
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ist, im Wissen des Nichtwissens zum Fragen (conf. 10,10) und zum Tun des Guten aus reiner Güte befähigt (wobei die Welt nicht als kosmisches Marionettentheater verstanden werden darf, die zum Widersinn einer grausamen Prädestinationslehre führt, die der prätendierten Liebe Gottes zu seiner Schöpfung aufs fürchterlichste widerspräche). Augustinus wie Kant sehen unser Ziel im »colere te gratis« (conf. 13,17), in der reinen Liebe als Widerspiel der unbedürftigen Liebe Gottes. Sie ist endlichen Wesen (im Unterschied zu Gott) nur möglich, wenn sie nicht um den Erfolg wissen, wenn sie keine Garantie auf Lohn haben; sie müssen ›cor inquietum‹ gewesen sein, damit Gott in ihnen Ruhe zu finden vermag (conf. 13,52). Wer durch die Vernunft als einer Gabe der Liebe Gottes versichert ist, kann Gott, obwohl dieser »kein Gegenstand der Sinne« ist, doch als geglaubten Urheber der Gabe auch affektiv lieben. Demgemäß sagt Kant in einer späten Vorlesung: »Die Liebe gegen Gott ist das Fundament der ganzen innern Religion«.43 Zur Erklärung fügt er an: »Sollen wir uns moralisch denken, daß wir Gott lieben, so ist notwendig, daß wir seine Liebe gegen uns und seinen Willen für unser Wohl oder seine Güte voraussetzen. Denn es läßt sich da nicht Gegenliebe erzwingen, wenn das Gebot dazu nicht aus der moralischen Liebe selbst entspringt. Diese ist aber auch daraus erklärbar, wenn wir die Religion, objective betrachtet, als die göttliche Gesetzgebung unserer Pflichten ansehen und darauf die ganze Religion reduciren könnten, woraus wieder folgt, daß die Religion in der Liebe Gottes beruhet.« Und kurz darauf fährt er fort: »Die Liebe Gottes gegen uns (oder welches man auch ausdrückt: Gott ist die Liebe) ist also das göttliche Wohlwollen und Güte gegen uns« (MS Vigilantius; AA 27,721). Wer von solcher Liebe Gottes zu den Menschen spricht und sagt, Gott sei die Liebe, berührt das Verhältnis von Vernunftreligion und Offenbarungsglauben, bei dem Kant einen weiteren wichtigen Berührungspunkt mit Augustinus hat. In einer Zwischenbemerkung sei erwähnt, daß Kant den »Grund« des ›obersten praktischen Prinzips‹, das »einen kategorischen Imperativ« zur Folge hat, in der Anerkennung des Satzes sieht (GMS BA 66 = AA 4, 429): »Die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst.« Dieser Imperativ ist erbaut auf dem Grund der Existenz von Personen als Zwecken an sich selbst. Er fordert Achtung, die nach Kant »jederzeit nur auf Personen« geht (KpV A 135). Die ›Achtung‹ von Personen als Zwecken an sich selbst kann im Lateinischen sehr gut mit ›caritas‹ wiedergegeben und im Sinne einer intellektuellen Liebe verstanden werden.44 MS Vigilantius (AA 27,720; 725 f.); zur Datierung: »Angefangen den 14. Okt. 93/94.« Kant erklärt dort, daß »die Religion in der Liebe Gottes beruhet.« Die Rede von der Liebe Gottes ist hier im Doppelsinn des Genitivus subiectivus und obiectivus zu lesen, wie in Augustins Wort (conf. 2,1 und 11,1): »amore amoris tui facio istuc«. Vgl. Norbert Fischer: Amore amoris tui facio istuc. Zur Bedeutung der Liebe im Leben und Denken Augustins. 44 Augustins Auslegung göttlicher Liebe hat Martin Heidegger in das Wort zusammengefaßt: »amo: volo ut sis.« Vgl. dazu Norbert Fischer: Selbstsein und Gottsuche, bes. 77, 85 f. (Anm. 74). 43
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Vernunft ermöglicht ein Reich freier Geister unter der Herrschaft Gottes (vgl. auch conf. 11,3), das Kant (unter Hinweis auf Augustinus) als Reich der Gnaden bezeichnet (Moral Mrongovius; AA 29,629). Er ist als Philosophierender bereit (nach dem Schreibverbot ein wenig mißmutig), der biblischen Theologie Dienste zu leisten, und sagt im Streit der Fakultäten (SF A 26 = AA 7,28): »Auch kann man allenfalls der theologischen Facultät den stolzen Anspruch, daß die philosophische ihre Magd sei, einräumen (wobei doch noch immer die Frage bleibt: ob diese ihrer gnädigen Frau die Fackel vorträgt oder die Schleppe nachträgt)«. Trotz seines verständlichen Mißmutes heißt es in der Religionsschrift zum Verhältnis von Vernunftreligion und Offenbarungsreligion (RGV B XXI f. = AA 6,12): »Da Offenbarung doch auch reine Vernunftreligion in sich wenigstens begreifen kann, aber nicht umgekehrt diese das Historische der ersteren, so werde ich jene als eine weitere Sphäre des Glaubens, welche die letztere als eine engere in sich beschließt, (nicht als zwei außer einander befindliche, sondern als concentrische Kreise) betrachten können, innerhalb deren letzterem der Philosoph sich als reiner Vernunftlehrer (aus bloßen Principien a priori) halten, hiebei also von aller Erfahrung abstrahiren muß.« Inwieweit wir der geschichtlichen Offenbarung bedürftig sind, die uns lehrt, wie wir trotz unserer Bedürftigkeit den Weg selbstloser Güte erstreben können, mag im Blick auf Kant eine offene Frage sein. Beide beharren auf einem vernünftigen Kern der Religion, über den der Offenbarungsglaube womöglich hinausgehen kann, mit dem er aber übereinstimmen muß. Das Bild der konzentrischen Kreise paßt zu einer frühen These Augustins, die für seinen Weg maßgebend geblieben ist und es als einen Grundzug des christlichen Glaubens benennt, der das menschliche Heil betreffe, daß Philosophie, das Streben nach Weisheit, und Religion einander nicht fremd seien (vera rel. 8): »sic enim creditur et docetur, quod est humanae salutis caput, non aliam esse philosophiam, id est sapientiae studium, et aliam religionem«.45 Nachdem Augustinus durch die Philosophie zum christlichen Glauben gefunden hatte, hat er das suchende Fragen der Philosophie nicht abgestreift und beiseite geworfen. Sein Leitmotiv war nicht nur der Wille, auf das Wort der Schrift zu hören, sondern auch, den Gehalt dieses Wortes zu erkennen (conf. 11,5: »audiam et intelligam«). Kant war durch seine Herkunft von der biblischen Botschaft ausgegangen und ist bis zu seinem Ende, nachdem er seine Aufgabe in der Philosophie gefunden hatte, ein Leser der Heiligen Schrift geblieben, hat sich gelegentlich sogar auf genuin theologische Fragen eingeMit vera rel. könnte Kant auf Grund eigener Lektüre vertraut gewesen sein (vgl. die erwähnte mögliche Beziehung von AA 20,72 auf vera rel. 99). Also könnte Kant beim Bild der ›konzentrischen Kreise‹ an Augustinus gedacht haben; vgl. auch die Hinweise von Aloysius Winter: Kann man Kants Philosophie ›christlich‹ nennen? 46 Zu Kants Bibellektüre vgl. die detaillierten Hinweise von Aloysius Winter: Der andere Kant, bes. 55 f. (Fn 39). 45
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lassen.46 Augustinus hat, auch nachdem er zum biblischen Theologen geworden war, die Aufgaben der Philosophie nicht geringgeschätzt, sondern sie weiterhin in ursprünglichem Fragen bearbeitet. Trotz der Unterschiedlichkeit der Denkwege gibt es wesentliche Gemeinsamkeiten, die sich als Spuren und Spiegelungen Augustinischer Motive im Denken Kants verstehen lassen, allerdings nicht im Blick auf die Prädestinationslehre, die Kant als den »salto mortale der menschlichen Vernunft« brandmarkt (RGV B 178 = AA 6,121). Im Sinne von Kants Einsicht, daß die Freiheit sich »durchs moralische Gesetz« offenbart, erklärt Augustinus irreversibel,47 daß am Vorauswissen Gottes und an der Freiheit der menschlichen Willensentscheidung festgehalten werden muß.48 Die ›praescientia dei‹ trennt Augustinus schon deshalb von der ›praedestinatio‹, weil wir Leben und Vorauswissen Gottes nicht so denken, als stünde Gott durch sein Wissen unter dem Zwang einer fremden Kausalität (»sub necessitate«). Ebensowenig sieht er die Freiheit menschlicher Entscheidungen unter einem Zwang, weil Gott sie vorauswisse. Er begreift die Allmacht gegen eine starre ›potestas dei absoluta‹ so, daß Gott gerade deswegen manches nicht kann, ›weil er allmächtig ist‹ (civ. 5,10: »quia omnipotens est«).49 Womöglich ist Augustinus mit seiner These der Dialektik von Freiheit und Gnade in einem Sinn zu verstehen, dem Kant zustimmen könnte, sofern er an den Annahmen des Vorauswissens Gottes und der Freiheit der Willensentscheidung festhält (civ. 5,10): »illud, ut bene credamus; hoc, ut bene vivamus.« Diese Auslegung wäre Aufgabe einer neuen Untersuchung. Wer Augustins dialektische These sie als Zwischenstation diskreditiert und sagt, »die Willensentscheidung, die dem Glauben und gerechtem Handeln zugrundeliegt«, basiere nach Augustinus »selbst auf Erwählung […], so daß eine ›prinzipielle‹ Unabhängigkeit nicht gegeben ist« (Volker H. Drecoll: Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins, 249), verfälscht Augustinus, der bis zu seinem Ende die These des »liberum arbitrium« mit der Gnadenlehre verknüpft hat. Drecoll muß dann auch Kurt Flaschs Diagnose von Augustins ›letzter Bekehrung‹ im Zusammenhang seiner Beantwortung der Fragen Simplicians zustimmen, deren Ergebnis die »Vorstellung eines unvordenklich erwählenden Willkürgottes« (potestas dei absoluta) gewesen sei; vgl. Logik des Schreckens, 10: »Unter seinen [scil. Augustins] Händen entstand daraus das Dokument eines welthistorischen Zusammenbruchs. Er schrieb die Todesurkunde des Gottes der Philosophen.« 48 Vgl. dazu Norbert Fischer: Augustins Philosophie der Endlichkeit, bes. 268 – 295 (Der praktische Weg zum höchsten Gut und die Dialektik von Freiheit und Gnade). 49 In Platonischem Sinne: Obwohl Platon Gott als Ursache von allem (pa2ntwn ai6tio@) denkt, erklärt er doch, Gott sei eben nicht von allem die Ursache, da der gute Urheber an den Übeln nicht schuldig sein könne. Vgl. Politeia 511b: e4pì th1n tou/ panto1@ a4rch1n i4w2n. 516e: tro2pon tina1 pa2ntwn ai6tio@. Weiter: Politeia 379b: ou4k a6ra pa2ntwn ge ai6tion to1 a4gajo2n, a4lla1 tw/n me1n eu< e4co2ntwn ai6tion, tw/n de1 kakw/n a4naítion. Vgl. Timaios 29d/e; der Urheber des Kosmos (29d: sunista2@) sei Schöpfer und Vater des Ganzen (28c: poih2th@ kai1 path2r tou/ panto2@); die Welt wird als werdender Gott (34b: jeo1@ e4so2meno@) bezeichnet, als wahrnehmbarer Gott (92c: jeo1@ ai4sjhto2@), die Zeit als bewegtes Bild des Ewigen (37d: ei4kw1 kinhto1n ai4w2no@). Vgl. Hans Georg Gadamer: Idee und Wirklichkeit in Platos Timaios; Norbert Fischer: Die Ursprungsphilosophie in Platons ›Timaios‹. 47
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Anderslautende Äußerungen wären dann stets von dieser leitenden Maßgabe her auszulegen. Kant konnte in vielerlei Hinsicht positiv an Augustinus anknüpfen. Um Augustins Texte, die an ihrer Oberfläche auf eine doktrinäre Prädestinationslehre zu deuten scheinen und von reformierten Theologie-Historikern jedenfalls so interpretiert werden, angemessen auszulegen, müssen sie von seinen tieferen Intentionen her verstanden werden.50 Das bis in die Gegenwart anhaltende, genuin philosophische Interesse an wesentlichen Gedanken Augustins bezeugt, daß sein reifes Denken gerade nicht als ›Todesurkunde des Gottes der Philosophen‹ zu verstehen ist.
Gut leben heißt nach Heiligkeit streben (conf. 10,67 – 70). Um sie erreichen zu können, bedürfen wir der Gnade. Vgl. Norbert Fischer: Einleitung (SwL). Höchstes Ziel ist die ›vita viva‹ (conf. 10, 39) in der heiligen Gemeinschaft freier Bürger unter der Herrschaft Gottes (conf. 11,3: »regnum tuum perpetuum ›sanc tae civitatis tuae‹«). Zu Augustins tieferen Intentionen vgl. jetzt auch Norbert Fischer: Zum heutigen Streit um Augustinus. Sein Werk als Schatz, als Bürde und als Herausforderung des Denkens. 50
»Eine höchst überraschende Uebereinstimmung« Zur Augustinus-Rezeption bei Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) von Matthias Koßler
In einem Brief an Carl Bähr vom 12. 1. 1860 schreibt Schopenhauer, Bezug nehmend auf die kurz zuvor erschienene dritte Auflage der Welt als Wille und Vorstellung: »[…] Stellen des H. Augustinus habe mehrere angeführt, die eine höchst überraschende Uebereinstimmung mit mir haben«.1 Diese im letzten Lebensjahr des Philosophen von ihm selbst vermerkte Übereinstimmung mutet indessen so überraschend nicht an, bedenkt man, daß er schon in der ersten Auflage der Welt als Wille und Vorstellung geschrieben hatte, daß seine Ethik »völlig übereinstimmt mit den ganz eigentlich Christlichen Dogmen, und sogar in diesen selbst, dem Wesentlichen nach, enthalten und vorhanden war« (W I, 483).2 Angesichts der Rolle, die Augustinus für die christliche Dogmatik gespielt hat, dürfte es also nicht verwundern, wenn man auf Übereinstimmungen stößt. Andererseits hat es, oberflächlich betrachtet, natürlich etwas Befremdliches, daß der Philosoph, dem von Fritz Mauthner der »Ehrenname eines Fürsten der Atheisten« zugesprochen wurde,3 sich ausgerechnet auf den Kirchenvater Augustinus bezieht.
1. Schopenhauers Verhältnis zur Religion
Wie diese Zwiespältigkeit der Stellung Schopenhauers zur christlichen Dogmatik zu bewerten ist, hängt zum einen damit zusammen, was er unter den ›ganz eigentlichen Christlichen Dogmen‹ versteht, zum anderen mit seiner Einschätzung des Verhältnisses im allgemeinen von Philosophie zur Religion, die von ihm als »Volksmetaphysik« angesehen wird (W II, 181), und insbesondere des Verhältnisses seiner eigenen Philosophie zur christlichen Religion. Diese Fragen können hier nicht in der notwendigen Ausführlichkeit behandelt werden.4 Aber insofern sie auch für die Gesammelte Briefe, 466 (Nr. 480). Schopenhauer wird gemäß dem Siglenverzeichnis des Schopenhauer-Jahrbuchs zitiert: die Werke nach der Ausgabe: Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke (hg. von Arthur Hübscher); die nachgelassenen Schriften nach der Ausgabe: Arthur Schopenhauer: Der Handschriftliche Nachlaß (hg. von Arthur Hübscher = HN I – V); die Briefe nach der Ausgabe Arthur Schopenhauer: Gesammelte Briefe (hg. von Arthur Hübscher = GBr.). 2 Vgl. Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Faksimiledruck der ersten Auflage, 584. 3 Fritz Mauthner: Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande Bd. 4, 176. 4 Aus der reichhaltigen Literatur zu dem Thema seien genannt Max Horkheimer: Bemerkungen zu Schopenhauers Denken im Verhältnis zu Wissenschaft und Religion; Eugen Hildebrand: 1
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Augustinus-Rezeption bedeutsam sind, ist es doch angebracht, in aller Kürze auf sie einzugehen. Den »Kern des Christenthums« bildet für Schopenhauer die Lehre von der Erbsünde und von der Erlösung, während »das Uebrige meistens nur Einkleidung und Hülle, oder Beiwerk ist« (W I, 480). Damit wird die christliche Religion radikal auf seine eigene Philosophie hin gedeutet, namentlich auf die Lehre von der Bejahung des Willens zum Leben, die er mit der Erbsünde gleichsetzt, und die Erlösung durch die Verneinung des Willens zum Leben.5 Zur bloßen »Einkleidung« dieser »großen Wahrheit« des Christentums gehören auch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, die nur symbolisch, aber nicht als mythisch oder historisch wahr aufgefaßt werden soll, und der Begriff Gottes überhaupt als einer handelnden Person, sei es als Weltschöpfer6 oder als Heilbringer. Wenn nun für den Inhalt der christlichen Religion der genannte ›Kern‹ steht, so ist die ›Schale‹ und Einkleidung das Charakteristische der Religion als solcher im Unterschied zur Philosophie, indem sie nämlich das, was in Schopenhauers Philosophie »rationell und im Zusammenhange der Dinge begründet« sich findet, »durch bloße Fabeln« an das gemeine Volk vermittelt (P I, 141). Damit ist Schopenhauer nicht weit von seinem Lieblingsfeind Hegel entfernt, der die Aufgabe der Philosophie im Begreifen des nur auf die Weise der Vorstellung gegebenen Inhalts der Religion und in der Aufhebung derselben in das absolute Wissen sah. Anders als bei Hegel ist es aber für Schopenhauer fraglich, ob und inwieweit die Philosophie in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen und den Kern ohne Schale – oder, wie er in dem bekannten Dialog Ueber die Religion formuliert – das Wasser ohne Gefäß zu fassen (P II, 353).7 Dieses Verhältnis von Philosophie Schopenhauer und das Christentum; Alfred Schmidt: Die Wahrheit im Gewande der Lüge; Karl Werner Wilhelm: Zwischen Allwissenheitslehre und Verzweiflung; Gerard Mannion: Schopenhauer, Religion and Morality; Matthias Koßler: Schopenhauers Ethik zwischen Christentum und Empirie. 5 Um diese Gleichsetzung nachvollziehen zu können, ist daran zu erinnern, daß Schopenhauers Willenslehre mit einer erheblichen »Erweiterung des Begriffs« vom Willen verbunden ist (W I, 132), der alle unbewußten Strebungen, die Affektionen und Begierden, schließlich sogar alle Antriebe in der Natur umfaßt; an sich betrachtet ist daher der Wille »nur ein blinder, unaufhaltsamer Drang« (W I, 323), der sich bei Mensch und Tier vor allem in der Selbsterhaltung und Fortpflanzung als Wille zum Leben kund tut. Zur ausführlichen Auseinandersetzung mit der Problematik der Gleichsetzung vgl. Anm. 43. 6 Zumindest als Weltschöpfer wird der Gottesbegriff nicht einmal als eine sinnvolle Verbildlichung angesehen, denn, wie noch zu sehen sein wird, steht dieses »Jüdische Grunddogma« der Wahrheit vielmehr entgegen. Vgl. a. die handschriftliche Aufzeichnung in HN III, 343, in der Schopenhauer die Möglichkeit der Verwendung des Gottesbegriffs für seine Erlösungslehre erwägt, dann aber feststellt: »›Gott‹ wäre hier, was die Welt nicht will, während im Begriff ›Gott‹ liegt, daß er das Seyn will.« 7 Schopenhauer läßt in dem Dialog seine Überlegungen zur Religion in den Personen Demopheles (der Freund des Volkes, also Verteidiger der Religion) und Philalethes (Freund der
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und Religion, nach dem das dogmatische Christentum durch die Aufklärung überwunden ist, andererseits aber auch die Vernunft selbst als vom Willen abhängige und damit zu einem absoluten Wissen unfähige entlarvt wird, macht die ›moderne‹ Seite Schopenhauers aus und erklärt seine zwiespältige Stellung zur Religion. Zu dieser Modernität gehört auch, daß das Christentum nicht als die einzige oder höchste Form der Religion in Betracht kommt; Hinduismus und Buddhismus stellen für Schopenhauer mythische Einkleidungen oder Gefäße dar, die dieselbe ›große Wahrheit‹ noch unverhüllter und besser vermitteln. So steht er nicht an, zu behaupten, daß Buddha und Meister Eckhart »das Selbe Lehren« (W II, 705), und auch über Augustinus schreibt er: »Im tiefsten Grunde und abgesehn von beiderseitigen Mythologien, ist Buddha’s Sansara und Nirwana identisch mit des Augustinus beiden civitates, in welche die Welt zerfällt, der civitas terrena und coelestis, wie er sie darstellt in den Büchern de civitate Dei […]«.8
2. Die Bedeutung der Problematik von Gnade und freiem Willen
Für die Augustinus-Rezeption bei Schopenhauer ist die Gnadenlehre von besonderer Bedeutung. Die Erlösung durch Gnade ist zum einen reiner Ausdruck des von Schopenhauer herausgestellten ›Kerns‹ des Christentums, indem sie mit dem Erlösungsgedanken die aus der Erbsünde stammende Unfähigkeit zur Befreiung aus eigener Kraft verbindet. Der Gedanke, daß Gerechtigkeit und Erlösung und auch der Glaube selbst, der dazu führt, »durch Gnadenwirkung, ohne unser Zuthun, wie von außen auf uns kommt«, wird als »ächt evangelisches Dogma« bezeichnet, und hierfür wird Augustinus als Zeuge gerufen: »Es ist ferner eine ursprüngliche und evangelische Lehre des Christenthums, welche Augustinus, mit Zustimmung der Häupter der Kirche, gegen die Plattheiten der Pelagianer vertheidigte, und welche Wahrheit) gegeneinander auftreten, ohne daß der Dialog in eine eindeutige Entscheidung für den einen oder anderen mündet. An der betreffenden Stelle zieht Schopenhauer-Demopheles in Erwägung, »daß die reine abstrakte, von allem Mythischen freie Wahrheit, uns Allen, auch den Philosophen, auf immer unerreichbar bleiben sollte; dann wäre sie dem Fluor zu vergleichen, welches für sich allein gar nicht ein Mal darstellbar ist, sondern nur an andere Stoffe gebunden auftreten kann. Oder, – weniger gelehrt: die überhaupt nicht anders, als mythisch und allegorisch aussprechbare Wahrheit gliche dem Wasser, welches ohne Gefäß nicht transportabel ist; die Philosophen aber, welche darauf bestehn, sie unversetzt zu besitzen, glichen Dem, der das Gefäß zerschlüge, um das Wasser für sich allein zu haben. Vielleicht verhält es sich wirklich so.« Vgl. a. W II 723). Zur Diskussion dieser Stelle, bei der die Person des Dialogpartners und die unmittelbar folgende Widerrede von Schopenhauer-Philalethes zu berücksichtigen sind, vgl. Alfred Schmidt: Die Wahrheit im Gewande der Lüge, 51, 173 f.; Karl Werner Wilhelm: Zwischen Allwissenheitslehre und Verzweiflung, 19. 8 P II, 391 f.; vgl. Anm. 37.
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von Irrthümern zu reinigen und wieder hervorzuheben Luther zum Hauptziel seines Strebens machte […] – die Lehre nämlich, daß der Wille nicht frei ist, sondern dem Hange zum Bösen wesentlich unterthan; […]« (W I, 480). Hier wird deutlich, daß die Augustinus-Rezeption auch im Zusammenhang mit Schopenhauers Auffassung von Luther zu sehen ist, der des öfteren in vergleichender Absicht zusammen mit Augustinus erwähnt wird. Beide sind ihm Gewährsleute gegen die »platte Ansicht« der aufgeklärten Religion im Rationalismus seiner Zeit, der kurzweg mit dem »Pelagianischen Hausmannsverstande« (ebd.) gleichgesetzt wird. Zum anderen ist die Gnadenlehre deswegen von besonderer Bedeutung, weil Schopenhauer mit der Übernahme des Begriffs der ›Gnadenwirkung‹ zur Erläuterung der Verneinung des Willens zum Leben die Grenze des philosophisch Sagbaren markiert. Auf der Grundlage seiner Metaphysik des Willens ist die Verneinung desselben rational nicht zu erklären; es bleibt nichts, als die Unbegreiflichkeit des Vorgangs dadurch auszudrücken, daß er »plötzlich und wie von außen angeflogen« sich ereignet. In diesem Zusammenhang greift Schopenhauer auf die christlichen Lehren von Gnadenwirkung und Wiedergeburt zurück und zitiert in der Welt als Wille und Vorstellung (§ 70) Luther und (ab der zweiten Auflage) mehrfach Augustinus. Ob er dies tatsächlich, wie er schreibt, nur tut, um zu zeigen, daß seine Ethik dem Wesen nach nichts völlig Neues ist, sondern im Christentum schon – wenn auch unvollkommen und bildlich – vorhanden war; oder ob damit deutlich wird, daß die philosophische Wahrheit einer bildlichen Einkleidung, eines ›Gefäßes‹ bedarf, und daher die Religion unverzichtbar bleibt, ist eine Frage, die in der Forschung umstritten ist.9 Die Problematik von Gnade und freiem Willen, die Augustinus zeitlebens beschäftigt hatte, ist also für Schopenhauers Rezeption des Kirchenvaters von zentraler Bedeutung. Denn wie Schopenhauer vor allem in der Schrift Ueber die Freiheit des Willens dargelegt hat, ist das Handeln des Menschen durch seinen angeborenen und unveränderlichen Charakter im Verein mit der nötigenden Wirkung der Motive bestimmt und Freiheit, zumindest auf der Ebene der Erscheinung, ausgeschlossen (E, 26 – 62). Aus diesem Umstand erklärt sich die Entwicklung in der Stellung, die er gegenüber Augustinus einnimmt. Es läßt sich nämlich ein kontinuierlicher Wandel von einer anfänglich eher ablehnenden Haltung hin zu einer recht hohen Schätzung feststellen, der mit der zunehmenden Entdeckung von vermeintlich oder tatsächlich übereinstimmenden Gedanken einhergeht. Dieser Wandel verläuft parallel mit der Zunahme der Kenntnis von Quellen.
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Vgl. dazu auch Rudolf Malter: Willensverneinung und Glaube.
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3. Schopenhauers Augustinus-Rezeption im Lauf ihrer Entwicklung
Die frühesten Zeugnisse einer Beschäftigung mit Augustinus lassen sich für 1816 nachweisen, zu einer Zeit, in der Schopenhauer mitten in den Arbeiten zum Hauptwerk steckte. Er lieh sich damals von der öffentlichen Bibliothek Teile einer Werkausgabe für einen Monat aus.10 Zur gleichen Zeit tauchen in den Manuskripten Zitate aus De libero arbitrio auf 11 und ein Zitat aus De diversis quaestionibus LXXXIII, das er offenbar nicht Augustinus selbst, sondern einer Chrestomathia Patristica Graeca et Latina entnommen hatte. Das letztgenannte ist auch als einziges Augustinuszitat in die erste Auflage (1819) der Welt als Wille und Vorstellung (W I, 479) und in die Vorlesungsmanuskripte über die Metaphysik der Sitten von 1820 (Vorl. IV, 263 f.) eingegangen.12 Allem Anschein nach hat Schopenhauer damals nur die Augustinische Lehre von der Freiheit des Willens, wie sie in der antimanichäischen Frühschrift De libero arbitrio vorgetragen worden war, zur Kenntnis genommen, aber noch nicht deren Kehrseite, die Prädestinations- und Gnadenlehre.13 Dafür spricht einerseits, daß die erwähnten Originalzitate in den Manuskripten ausschließlich aus dem Buch über den freien Willen stammen, andererseits der Umstand, daß Schopenhauer bei seiner Ablehnung des freien Willens von Augustinus damals im Unterschied zu später keine hohe Meinung hatte.14 Diese Einseitigkeit der frühen Augustinus-Rezeption tritt auch noch in der 1838 eingereichten und 1840 veröffentlichten Preisschrift Ueber die Freiheit des Willens zutage, in der Schopenhauer etwas ausführlicher zu De libero arbitrio Stellung nimmt (E, 66 – 68, 71 f.). Band 6 und 7 der opera lieh er am 10. Juni aus, Band 1 und 2 am 15. Juni, alle Bände gab er am 16. Juli zurück. Um welche Ausgabe es sich handelt, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Angabe des Rückgabedatums verdanke ich dem ehemaligen Leiter des Schopenhauer-Archivs, Herrn Jochen Stollberg, der in Dresden recherchiert hat; die Angaben in D XVI, 123 und HN V, 199 sind falsch bzw. unvollständig. 11 HN I, 368 und 228, Anmerkung (nach Hübscher, HN V, 199, wohl von 1816). Im Hinblick auf die weitere Entwicklung in Schopenhauers Augustinus-Rezeption ist ein Vergleich aufschlußreich zwischen dieser frühen Anmerkung, in der Augustinus als Vertreter einer eudämonistischen Tugendlehre dargestellt wird und W II, 166, wo er im Gegenteil für die Kritik an diesen antiken Ethikkonzeptionen herangezogen wird. 12 HN I, 103, Anm.; vgl. HN V, 199; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 309. Vgl. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Faksimiledruck der ersten Auflage von 1819 [1818], 581. Es handelt sich um eine Stelle aus div. qu. 66, 6, in der die Jungfräulichkeit der Geburt Christi behauptet wird, die für Schopenhauer eine Symbolisierung der Verneinung des Willens zum Leben darstellt. Das ›Dilemma des heiligen Augustin‹, das Schopenhauer in Vorl. I, 354 nach De civitate dei anführt, ist als allgemein bekanntes Beispiel aus der formalen Logik ohne Bedeutung für die Frage der Augustinus-Rezeption. 13 Vgl. HN V, 199; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 311. 14 S. u. Vgl. a. W I, 500, wo Augustinus als Ausgangspunkt der zu überwindenden scholastischen Periode der Philosophie angeführt wird; diese Stelle findet sich schon in der ersten Auflage des Hauptwerks (Die Welt als Wille und Vorstellung. Faksimiledruck der 1. Aufl., 600). 10
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Inzwischen hatte er aber zumindest oberflächlich auch die antipelagianische Seite Augustins kennengelernt, wie handschriftliche Aufzeichnungen von 1828 (HN III, 427, 438) und 1833 (HN IV,1, 157) belegen. Immerhin hebt er in der Preisschrift den Kirchenvater insofern hervor, als er bei ihm zum erstenmal in der Geschichte »das völlig entwickelte Bewußtseyn« des Problems der Willensfreiheit gegeben sieht (E, 66). Doch obwohl er ganz allgemein auf den Antipelagianismus und die Schrift De natura et gratia hinweist, bezieht er sich ausschließlich auf De libero arbitrio und die dazugehörigen Retractationes.15 So ist die erste ausführlichere Auseinandersetzung Schopenhauers mit Augustinus eine Auseinandersetzung nur mit einem einzigen Werk, mit dem Resultat, daß Augustinus trotz eines gewissen ›unsicheren Schwankens‹ als Verfechter der Willensfreiheit betrachtet wird. Dabei werden neben einer Fehldeutung des Selbstbewußtseins zwei äußere Gründe für dessen Haltung genannt: zum einen die antimanichäische Intention des Werks, auf die Augustinus ja selbst in den Retractationes hinweist und zum anderen die Absicht der Bewahrung der Güte Gottes, also der Theodizee. Allerdings muß hinzugefügt werden, daß Schopenhauer auch dieses eine Werk nicht sehr genau studierte und dem in den Argumentationen sich spiegelnden Problembewußtsein nicht gerecht wird.16 In seinem Bestreben, ›Vorgänger‹ für das negative Resultat seiner Untersuchung der Willensfreiheit zu benennen, zitiert er nur Stellen aus De libero arbitrio und den Retractationes, in denen Augustinus schreibt, daß der Mensch aufgrund der Erbsünde gerade nicht in der Lage ist, das Gute zu tun (lib. arb. III, 18, 51; retr. I, 9, 4). Mit einer kurzen Bemerkung, daß Augustinus sich aus den genannten Gründen dann doch genötigt sah, die Willensfreiheit zu verteidigen, geht er aber über die Komplexität der Behandlung dieser Frage in Augustins früher Schrift hinweg. In den dreißiger Jahren, wohl im Zusammenhang mit den Arbeiten an der Preisschrift, hatte Schopenhauer, folgt man Hübscher,17 den Teil einer Ausgabe der Werke von Augustinus aus dem Jahr 1506 erworben, der in seiner nachgelassenen Bibliothek bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten blieb, dann aber leider verschwand. Er umfaßte die Frühschriften: De moribus ecclesie catholice: et de moribus manicheorum; De anime quantitate; De libero arbitrio; De Genesi contra manicheos; De musica; De magistro und De vera religione. Dieser Teilsammlung angebunden war eine später hinzugekommene Ausgabe von De civitate dei (1505). Außerdem Einzige Ausnahme bildet ein Zitat aus De quantitate animae (E, 67), das lediglich zur Bestätigung herangezogen wird. Es handelt sich dabei um eine Stelle vom Schluß dieses Werks, das in Schopenhauers Ausgabe der Schrift über den freien Willen vorangeht; wie die Anstreichungen zeigen, hat Schopenhauer offenbar nur diesen Schluß im Zusammenhang mit dem nachfolgenden Werk gelesen (vgl. Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 265 f.). 16 Vgl. dazu ausführlich Matthias Koßler: Empirische Ethik und christliche Moral, 31 – 80. 17 HN V, 192, 199; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 263 ff. Hübscher übernahm die Eintragung mit der Jahreszahl 1515, obwohl Gebhardt bereits auf einen Eintragungsfehler hingewiesen hatte und er selbst in seiner Kommentierung 1506 schrieb. 15
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befanden sich im Nachlaß die Confessiones (1683), die Schopenhauer aber nirgends erwähnt oder zitiert hat.18 Von der Möglichkeit, seine Augustinuskenntnisse durch die Lektüre dieser Werke zu erweitern, scheint Schopenhauer zunächst keinen Gebrauch gemacht zu haben. Aber er lernte in den folgenden Jahren aus Kompilationen und Sekundärliteratur Seiten des Kirchenvaters kennen, die ihn in seinen Augen interessanter machten. Der von dem Jesuiten Hieronymus Torrensis herausgegebenen Confessio Augustiniana e D. Aurelii Augustini operibus compilata (1610) entnahm er Zitate aus verschiedenen Schriften, in denen Augustinus die Enthaltsamkeit der Ehe mit dem Argument vorzieht, daß dadurch das Ende der Welt beschleunigt und das Reich Gottes schneller verwirklicht werde (W II, 710f.).19 Diese Stellen zieht Schopenhauer zur Bestätigung seiner Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben heran. Aus dem Werk des evangelischen Theologen Gustav Friedrich Wiggers Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus von dem Anfange der Pelagianischen Streitigkeiten bis zur dritten Oecumenischen Synode (1821)20 ist ein Zitat aus dem späten antipelagianischen Opus imperfectum contra Iulianum paraphrasiert in die zweite Auflage des Hauptwerks (W I, 481) gekommen, das die Gleichsetzung von Erbsünde und Bejahung des Willens zum Leben und die Unfreiheit des Willens stützen soll.21 Die Lektüre von Wiggers ist für die weitere Entwicklung der Augustinus-Rezeption von besonderer Bedeutung. Dessen Darstellung der Augustinischen Gnaden- und Prädestinationslehre in Gegenüberstellung zum Pelagianismus dürfte erheblich dazu beigetragen haben, daß sich Schopenhauers Einschätzung der Stellung Augustins zur Willensfreiheit grundlegend änderte. Augustinus wird nun zusammen mit Luther zum Verfechter der Lehre, »daß der Wille nicht frei ist, sondern dem Hange zum Bösen wesentlich unterthan« (W I, 480),22 und damit für den Philosophen wesentlich interessanter. HN V, 200; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 263. Darüber hinaus befand sich auch eine Ausgabe der pseudoaugustinischen Meditationes, Soliloquia et Manuale in seinem Besitz, die nur wenige Anstreichungen aufweist (HN V, 200). 19 Vgl. HN V, 214; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 311 f. 20 HN V, 235; vgl. Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 263 – 66, 309, 311 f. 21 Vgl. Gustav Friedrich Wiggers: Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus, 103; vgl. HN V, 235; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 311. 22 Vgl. die Darstellung der Position Augustins in der Frage des freien Willens bei Wiggers: »Durch die Uebertretung Adam’s ist die Freiheit des menschlichen Willens gänzlich verloren gegangen. Nur das Böse kann der Mensch nach seiner gegenwärtigen verderbten Beschaffenheit wollen und thun.« (333; vgl. auch 130 ff., 458, 466). Siehe a. Anm 42. Auch seine Gleichsetzung von Gnade und Verneinung des Willens, insofern er sie an eine »veränderte Erkenntnißweise« knüpft (W I, 477), konnte Schopenhauer bei Wiggers wiederfinden, der meint, Augustinus habe »eine übernatürliche Wirkung der Gnade auf den Verstand oder das Erkenntnisvermögen des Menschen annehmen« müssen, diesen Gedanken aber nicht weiter verfolgen können (253). Schließlich findet sich bei Wiggers (2, 458) auch die Gleichsetzung von Pelagianismus und Rationalismus. 18
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Erst nach Erscheinen der zweiten Auflage des Hauptwerks (1844) scheint Schopenhauer durch die Lektüre von De civitate dei umfassenderen Einblick in die ausgereifte Lehre Augustins gewonnen zu haben.23 Anhaltspunkte dafür gibt die erste Auflage der Parerga und Paralipomena von 1851, in der sich Zitate und Stellenangaben aus diesem Werk Augustins finden (P I, 309; P II, 321). In das Jahrzehnt zwischen der Veröffentlichung der Parerga und dem Tod Schopenhauers fällt die eingehendste und fruchtbarste Auseinandersetzung mit Augustinus. Die letzten Auflagen von Die beiden Grundprobleme der Ethik (zweite Auflage) und Die Welt als Wille und Vorstellung (dritte Auflage) sowie die geplanten Neuausgaben von Ueber den Willen in der Natur (dritte Auflage) und den Parerga und Paralipomena (zweite Auflage), die erst postum herausgegeben wurden, erhielten viele Zusätze mit Augustinus-Zitaten, die ausschließlich aus De civitate dei geschöpft waren.24 Diese Zusätze spiegeln die intensive Lektüre dieses Werks wider, die sich an den zahlreichen Unterstreichungen und Randbemerkungen seines Exemplars verfolgen läßt.25 Der allmähliche Wandel in der Einschätzung des Hl. Augustinus, der sich in den vierzig Jahren zwischen der ersten und dritten Auflage der Welt als Wille und Vorstellung abspielt, läßt sich gut im Vergleich mit Luther demonstrieren. In der ersten Auflage wurde noch für die ›ursprüngliche und evangelische Lehre‹ von der Erlösung allein durch Gnade nur Luther als Gewährsmann genannt;26 erst in der zweiten Auflage kam Augustinus hinzu. Dagegen wurde an einer Stelle, an der Luthers Aussage wiedergegeben wird, er habe vor allem aus der Bibel, von Augustinus und aus der Deutschen Theologie gelernt, Schopenhauers Kommentar: »den er als Augustiner wohl nur honoris causa nennt«27 in der zweiten Auflage gestrichen. Überhaupt wird Luther nun häufiger gemeinsam mit Augustinus zustimmend genannt, und in den 1851 erschienenen Parerga und Paralipomena wird Augustinus – ganz im Gegensatz zu der gestrichenen Bemerkung der ersten Auflage der Welt als Wille und Vorstellung – als »Leitstern Luthers« und als derjenige bezeichnet, der »am tiefsten« in den Sinn des »eigentlichen und wohlverstandenen Christenthums« eindrang (P II, 386 f., 411, 413). Die Stelle aus W I 237, in der Schopenhauer schreibt, er habe bei Augustinus einen Gedanken gefunden, den er selbst 40 Jahre zuvor aufgeschrieben habe, verwendet Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 314, um die Lektüre von De civitate dei auf die Mitte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts festzulegen; so präzise kann man, denke ich die Äußerung Schopenhauers nicht nehmen, zumal sie sich nur auf die betreffende Stelle bezieht. 24 E 11 (vgl. D III, 824); N XXIX (vgl. Anmerkungsteil, 4); P II 251 (die dort angegebene Bezugsstelle ist nach den aktuellen Ausgaben in civ. 12,4 zu korrigieren), 389 – 392, (vgl. Anmerkungsteil, 712, 718); W I 151, 237, 481 Anm. (vgl. D I, 697, 703); W II 166 (vgl. a. Anm. 11), 225 f., 409 (vgl. D II, 747, 749, 753). 25 Vgl. HN V, 192 – 199; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 266 – 309. 26 Die Welt als Wille und Vorstellung. Faksimiledruck der ersten Auflage, 581 f. 27 Ebd., 556. Vgl. HN I, 465 Anm. (zu 1817). 23
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Daß Schopenhauer erst in einem langen Prozeß zu einer positiven Einschätzung des Hl. Augustinus gelangte, hängt sicher auch mit seiner Erziehung zusammen. Er wuchs in einem liberal-lutheranischen Elternhaus auf und geriet in der Schule unter den Einfluß des Pietismus, der seine Vorliebe für die Mystik mitprägte.28 Allerdings war für ihn schon 1812 die Religion überhaupt als ›Wahrheit im Gewande der Lüge‹ überholt und spätestens nach der im Jahr darauf veröffentlichten Dissertation stand für ihn der Atheismus fest.29 Luther und später Augustinus wurden nun nichtsdestotrotz zur Bestätigung seiner Lehre herangezogen,30 die in dem Sinne ›pessimistisch‹ zu nennen ist, daß sie keinen allgütigen Gott und Weltschöpfer kennt und damit keine gute ursprüngliche Natur des Menschen, aber auch keinen freien Willen, die aber dennoch eine Ethik des Mitleidens und eine Erlösung durch Verneinung des Willens ins Zentrum stellt.31 Luthers Lehre von der Unfreiheit des Willens, wie er sie in dem gleichnamigen Buch dargelegt hatte, ist für Schopenhauer von Anfang an ein Beleg für seine eigene Auffassung, ebenso die damit verbundene Rechtfertigung allein durch Gnade und die Behauptung einer grundsätzlich schlechten Natur des Menschen nach dem Sündenfall, die von Luther mit der Begierde nahezu gleichgesetzt wird. Streicht man Gott und interpretiert den Sündenfall als Bejahung des (triebhaften) Willens zum Leben, die Rechtfertigung aber als Verneinung des Willens, die aus einer nicht absichtsvollen, sondern ›wie von außen‹ kommenden Veränderung der Erkenntnisweise resultiert, so entspricht diese ›große Wahrheit des Christenthums‹ in den Augen Schopenhauers seiner eigenen Lehre.32 Vgl. Arthur Hübscher: Vom Pietismus zur Mystik, 1 – 32. Vgl. HN I, 20, 36, 75. Zur Formulierung »Wahrheit im Gewande der Lüge« vgl. P II 353. 30 Es ist klar, daß hierbei den theologischen Lehren mehr oder weniger Gewalt angetan bzw. die Methode der Analogie recht frei gehandhabt wird. Ein zur Groteske zugespitztes Beispiel eines solchen Verfahrens bietet der Versuch einer Übersetzung des Christlichen Glaubensbekenntnisses in Termini der Philosophie Schopenhauers von Maria Gröner; vgl. Vier Sonette und Glaubensbekenntnis, 32 f. Es ist indessen der fundamentale Unterschied zu beachten, daß Schopenhauer Elemente der Theologie verwendet um seine profane Lehre zu illustrieren und zu bestätigen, während Gröner gerade umgekehrt die Philosophie Schopenhauers als Erfüllung der christlichen Religion darstellen will. Gröner stand mit dieser Absicht im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh. nicht allein, wodurch Schopenhauer gegen seine eigene Intention der Trennung zwischen Philosophie und Volksmetaphysik für lange Zeit in die Ecke der Weltanschauungslehrer geriet. 31 Am Ende seiner den Naturwissenschaften gewidmeten Schrift Ueber den Willen in der Natur betont Schopenhauer »daß das Wichtigste, ja allein Wesentliche des ganzen Daseyns, Das, worauf Alles ankommt, die eigentliche Bedeutung, der Wendepunkt, die Pointe (sit venia verbo) desselben, in der Moralität des Handelns liege.« Das daraus entstehende »schwere Problem, aller Erfahrung zuwider, die physische Ordnung der Dinge als von einer moralischen abhängig nachzuweisen« (N, 140 f.), wiegt für Schopenhauer um so schwerer, als er sowohl einen göttlichen Ursprung der moralischen Ordnung als auch die Freiheit des Willens ablehnt. 32 Zum Verhältnis Schopenhauers zu Luther vgl. Koßler: Empirische Ethik und Christliche Moral, 309 – 421; Malter: Willensverneinung und Glaube; ders.: Schopenhauers Verständnis der Theologie Martin Luthers. 28 29
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Diese Lehre Luthers wird nun nach und nach von Schopenhauer auch bei Augustinus entdeckt. Die gravierenden Unterschiede zwischen Augustinus und Luther, die trotz einer größeren Nähe in den antipelagianischen Spätschriften auch dort noch hinsichtlich der Frage der Willensfreiheit und der Deutung von Sündenfall und Gnade bleiben, werden dabei ignoriert bzw. dem Umstand angelastet, daß Augustinus dem ›Jüdischen Grunddogma‹ des guten Schöpfergottes gerecht werden mußte. In einer Anmerkung in der zweiten Auflage der Welt als Wille und Vorstellung wird Augustinus als ein Denker dargestellt, der sich nur wegen dieser äußerlichen Verpflichtung in Widersprüche und Unbegreiflichkeiten verstrickt; werde von dem Dogma abstrahiert, so sei »sogleich Alles klar und richtig«.33 Ist diese Gleichsetzung der Lehren Luthers und Augustins vorgenommen, so gibt es weitere Aspekte, die Augustinus noch attraktiver für Schopenhauer machten. Was ihn nämlich an Luther vor allem störte, war dessen Kritik am Mönchtum, an der Askese und am Zölibat. Er geht so gar an einer Stelle so weit zu behaupten, daß Luther damit »das Herz« des Christentums im »asketischen Prinzip« angegriffen habe (W I 719); bei seiner Interpretation der Erlösung durch die Verneinung des Willens zum Leben ist das nur konsequent. Augustinus steht ihm in dieser Hinsicht näher: seine Berufung auf dessen Äußerungen zur Frage der Enthaltsamkeit wurde schon erwähnt. Es ist angesichts dieser Haltung gegenüber dem Kirchenvater auch nicht verwunderlich, daß Schopenhauer sich ohne Probleme sowohl auf den evangelischen Theologieprofessor Wiggers als auch auf die dezidiert gegen Luther gerichtete Confessio Augustiniana gleichermaßen als Quellen beziehen kann. Die Prädestinationslehre, die bei Augustinus stärker pointiert ist als bei Luther, paßt Schopenhauer gut zu seiner eigenen Auffassung vom angeborenen und unveränderlichen Charakter des Individuums. Schließlich kommt noch die erst sehr späte Entdeckung des Augustinischen Voluntarismus hinzu, die Schopenhauer vollends für den anfangs gering geachteten Kirchenvater einnimmt. Die Zitate aus De civitate dei, die Schopenhauer in seinen letzten Lebensjahren in seine Werke aufnahm, werden durchweg beifällig kommentiert oder zur Bestätigung der eigenen Lehre verwendet. Freilich beruht dieser Umstand auf der Auswahl, und ein Blick auf die Anmerkungen und Kommentare in Schopenhauers Exemplar der Schrift zeigt, daß es auch in dieser Zeit an Kritik nicht mangelt. Sie wird meist dann heftig geäußert, wenn Augustinus von der Güte Gottes, der SchöpW I, 481 Anm.; vgl. ebd.: »Studirt man nämlich die Augustinische Theologie in den Büchern ›De civitate Dei‹ (zumal im 14. Buch), so erfährt man etwas Analoges, wie wenn man einen Körper, dessen Schwerpunkt außer ihm fällt, zum Stehen bringen will: wie man ihn auch drehn und stellen mag, er überstürzt sich immer wieder. So nämlich fällt auch hier, trotz allen Bemühungen und Sophismen des Augustinus, die Schuld der Welt und ihre Quaal stets auf Gott zurück, der Alles in Allem gemacht und dazu noch gewußt hat, wie die Sachen gehen würden.« Dieses Zitat stammt aus einer Erweiterung der Anmerkung in der dritten Auflage. 33
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fung und damit der ursprünglichen Güte der menschlichen Natur schreibt. So merkt Schopenhauer zu De civitate 11,17, an: »Originem mali ab origine mundi separandi vanissimus conatus & prwton qeudo@!«34 Auf der anderen Seite läßt sich an den Anstreichungen und Bemerkungen die Art und Weise studieren, in der Schopenhauer aus dem Blickwinkel seiner eigenen Lehre Augustinus gelesen hat; und sie bestätigen auch seine Behauptung, daß ihm viele Übereinstimmungen und insbesondere die Nähe zu seiner Lehre vom Willen erst bei dieser späten Lektüre des Augustinischen Hauptwerks aufgefallen sind. Zu Kapitel 27 im ersten Buch schreibt Schopenhauer »lectu digna«, und mit Hervorhebung »De voluntate vivendi«. Aus dem darauffolgenden Kapitel nahm er ein langes Zitat, das er in seinem Exemplar mit der Anmerkung »De voluntate absque cognitione« versehen hatte, als ›naiven Ausdruck‹ der Identität des Strebens aller Dinge mit dem Wollen in die 3. Auflage der Welt als Wille und Vorstellung auf (HN V, 193, W I 150 f.). Zu der Stelle in De civitate dei, an der Augustinus von den Menschen redet, die nach dem Fleisch, und denen, die nach dem Geist leben (civ. 14,1), merkt Schopenhauer an: »Affirmatio & negatio voluntatis vivendi« (HN V, 193, 194). Die Gegenüberstellung der beiden ›civitates‹, die Schopenhauer derart mit der Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben in Beziehung setzt, ist für ihn, wie er an verschiedenen Stellen bemerkt, der Kerngedanke des Werks, die »cardo totius operis« und zugleich der »Sensus intimus dogmatis Christiani, quod quidem esset ipsa veritas, nisi corrumperetur admixtione istius Iudaeorum dei« (HN V, 194, 197). Eine detaillierte Auswertung der Anstreichungen und Randschriften, soweit sie durch die Abschriften Arthur Hübschers überliefert sind, steht noch aus.35 Da Schopenhauer als Leser in seinen Randbemerkungen, die er ohne jede bibliophile Rücksicht anzubringen pflegte, in eine Art Dialog mit seinen Autoren trat, könnten hier weitere Aufschlüsse über seine Einstellung zu Augustinus zu gewinnen sein.36 HN V, 193; vgl. auch den Kommentar zu civ. 14, 11: »De origine peccati cum Theismo concilianda misera sophismata« (HN V, 194), und zur Preisung der Schöpfung in civ. 11,2, wird die Frage aufgeworfen: »tantumne inire potuit reatum?«. Zu dem in civ. 21,12, vorgebrachten Gedanken, die ewige Verdammnis einer Vielzahl von Menschen diene dazu, den Gerechtfertigten die Gnade Gottes zu demonstrieren, schreibt Schopenhauer: »Ecce! Monstrositates doctrinae Augustini.« (HN V, 198). 35 Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 314 – 312, bietet neben einer Übersetzung der Randnotizen zwar auch eine kurze Einleitung und eine thematische Zusammenfassung in Gruppen, doch bleiben seine Ausführungen weitgehend beschreibend. 36 Vgl. Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 265. Nur als ein Beispiel sei Schopenhauers Auseinandersetzung mit den Kapiteln 21 – 26 des 14. Buchs von De civitate dei erwähnt, in denen Augustinus zeigen will, daß auch der Geschlechtsakt zu den Gütern der Schöpfung gehört und erst durch die Erbsünde zu einem Übel wurde. Diese Abschnitte sind mit auffällig vielen, meist ironischen Kommentaren und Ausrufezeichen versehen. So bemerkt er etwa zu einer Stelle, an der Augustinus meint, im fortdauernden paradiesischen Zustand des Menschen 34
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Teilweise hat Schopenhauer in seinem Exemplar von De civitate dei auch verzeichnet, welche Zitate er wo in seine Werke einzuarbeiten gedachte. Soweit er diese Einarbeitungen nicht mehr selber hatte vornehmen können, hat der Herausgeber der ersten postumen Gesamtausgabe der Werke Schopenhauers, Julius Frauenstädt, die Anweisungen umgesetzt.37 Neben Fundstellen, die er in der ihm üblichen Art zur Bestätigung und Illustration einzelner Überlegungen heranzieht, hat Schopenhauer Stellen zitiert, die er in Beziehung zu zentralen Aspekten seiner eigenen Lehre setzt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Entdeckung des Voluntarismus bei Augustinus, die wohl wirklich eine Überraschung für Schopenhauer war.38 Ausführlich zitiert er den Kirchenvater, wo er auch das Wachstum der Pflanzen und die Schwerkraft des Steins als ein Streben und eine Liebe (›appetitus‹ und ›amor‹) bezeichnet (W I 151 vgl. HN V, 193). Und eine dick unterstrichene Stelle aus De civitate dei hat Schopenhauer gleich zweimal in verschiedenen Werken eingesetzt (E 11, Anm.; W II 225, Anm.);39 bei Augustinus heißt es dort (civ. 14,6): »voluntas est quippe in omnibus [motibus animae]; immo omnes nihil aliud quam voluntates sunt. Nam quid est cupiditas et laetitia nisi voluntas in eorum consensione quae volumus? Et quid est metus atque tristitia nisi voluntas in dissensione ab his quae nolumus?« Glaubwürdig ist auch die Überraschung, die Schopenhauer angesichts einer Übereinstimmung in der sehr spekulativen These äußert, nach der die Pflanzen zur äswäre die Fortpflanzung ohne brünstiges Begehren, »cum tranquillitate animi« vor sich gegangen (civ. 14,26): »!! dum pipam fumabat«. Den Grund für seine eingehende Beschäftigung mit dieser Thematik hatte Schopenhauer schon in einer Anmerkung zu Kapitel 17 angegeben: »Quam maligna & sacerdotali pertinacia Noster simulat se ignorare, per peccatum primorum parentum nihil aliud intellegi quam ipsum coitum; quod cuique manifestum est.« (HN V, 195). Die Frage nach dem Verhältnis von Sexualität und Sünde ist entscheidend für die Bewertung der geschaffenen Natur des Menschen im Christentum und für die ethische Bedeutung des Willens bei Schopenhauer. 37 Die Zitate N, XXIX, P II, 251 und 389 – 392 sind also nicht von Schopenhauer selbst publiziert und insofern besteht das Problem der Autorisierung der Veröffentlichung, auch wenn Frauenstädt und die meisten ihm nachfolgenden Editoren sich neben den Randschriften auf handschriftliche Aufzeichnungen Schopenhauers und seine Handexemplare der eigenen Werke stützen konnten. Zu N, XXIX gibt es keine Hinweise in Schopenhauers Exemplar von De civitate dei, aber die Anmerkung hat er von Hand in sein eigenes Buch eingetragen. 38 Auch die Möglichkeit, daß Schopenhauer durch die Lektüre von Schellings Freiheitsschrift schon früh mit dem Voluntarismus Augustins Bekanntschaft gemacht habe, ist sehr unwahrscheinlich. Schelling geht zwar in der Schrift auch auf Augustinus ein, jedoch nur im Zusammenhang mit der Erklärung des Bösen aus der Beraubung des Guten und der Lehre der Schöpfung aus dem Nichts (Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, 40 f., Anm., 45, Anm.). In Schopenhauers Studienheften zu Schelling von 1811/12 und in den Randschriften zu Schellings Werken finden sich keine Hinweise auf eine über Schelling vermittelte Augustinus-Rezeption (vgl. HN II, 304 – 340; HN V, 143 – 149). 39 Vgl. HN V, 200; Carl Gebhardt: Schopenhauer gegen Augustinus, 316.
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thetischen Betrachtung auffordern, weil sie, selbst zur Erkenntnis unfähig, erkannt werden wollen (W I, 237, Anm.):40 »Um so mehr erfreut und überrascht mich jetzt, 40 Jahre, nachdem ich obigen Gedanken so schüchtern und zaudernd hingeschrieben habe, die Entdeckung, daß schon der heilige Augustinus ihn ausgesprochen hat: Arbusta formas suas varias, quibus mundi huius visibilis structura formosa est, sentiendas sensibus praebent; ut, pro eo quod nosse non possunt, quasi innotescere velle videantur.«. Zu den entdeckten Übereinstimmungen ist auch die Schilderung der Übermacht des Lebenswillens über das Leiden und Elend der Unglücklichen zu zählen (civ. 11,27).41 In einer längeren Passage zu Augustinus, die in die dritte Auflage der Parerga und Paralipomena aufgenommen ist, stellt Schopenhauer dagegen auch noch einmal Differenzen heraus: Ganz im Gegensatz zur früheren Einschätzung Augustins als Verfechter der Willensfreiheit wird nun seine Prädestinationslehre als im Grunde richtig, aber in ihrer dogmatischen Form selbst für Schopenhauer als zu hart angesehen; verwehrt sie doch mit den ewigen Höllenstrafen dem Sünder, »diesem armen Kerl aus Nichts, der doch wenigstens ein Anrecht hat auf sein ursprüngliches Nichts«, auch diese Form der Befreiung vom Leiden. Den Anteil des Glaubens an den Schöpfergott an dieser Verhärtung herausstellend resümiert er, die Sache komme bei Augustinus »in abstracto genommen, eigentlich so zu stehn: ein Gott schafft ein Wesen aus Nichts, ertheilt demselben Verbote und Befehle, und, weil diese nicht befolgt werden, martert er es nun alle endlose Ewigkeit hindurch mit allen erdenklichen Quaalen, zu welchem Behuf er alsdann Leib und Seele unzertrennlich verbindet (de civit. Dei, lib. 13, c. 2; c. 11 in fine und 24 in fine), damit nimmermehr die Quaal dieses Wesen, durch Zersetzung, vernichten könne und es so davon komme, sondern es zu ewiger Pein, ewig lebe […]«.42 Den wahren Kern der Prädestinationslehre, nämlich daß die Erlösung nur wenigen Menschen zukommt, während das Gros der Schuld und dem Leiden anheimgegeben ist, sieht SchopenVgl. civ. 11, 27: »sed formas suas, quibus mundi huius visibilis structura formosa est, [arbusta] sentiendas sensibus praebent; ut, pro eo quod nosse non possunt, quasi innotescere velle videantur.« 41 W II, 409, Anm.: »Augustini de civit. Dei, L. XI, c. 27 verdient, als ein interessanter Kommentar zu dem hier Gesagten, verglichen zu werden.« An der entsprechenden Stelle in seinem Exemplar von De civitate dei verweist Schopenhauer auch auf W II, 530 f., wo die gleiche Thematik behandelt wird. Interessant ist seine Randbemerkung, insofern sie von der Intensität der Auseinandersetzung mit dem Text Zeugnis gibt, bevor sie in die Verweise auf das eigene Werk mündet: »Ganz Falsch! – O indische Fabel vom Amriti! – Aber doch in gewisser Weise wahr: denn es ist der Wille zum Leben ein Ding an sich.« 42 P II, 389; im Ansatz hatte Schopenhauer diese Kritik an der Prädestinationslehre schon in der ersten Auflage vorgebracht (ebd., 387). Die Stelle ist z. T. fast wörtlich aus dem Buch von Wiggers übernommen, auf den auch in einer Anmerkung verwiesen wird; vgl. Gustav Friedrich Wiggers: Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus, 335. 40
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hauer daher besser in der Buddhistischen Lehre verbildlicht, in der aufgrund der Metempsychose der Gedanke der Schuld seine Anstößigkeit verliere und die Hölle die Welt selbst ist. Letztlich aber seien, wie es an der schon am Ende unseres ersten Abschnitts angeführten Stelle heißt, »Buddha’s Sansara und Nirwana identisch mit des Augustinus beiden civitates«, und dabei rekurriert Schopenhauer auf die Stellen, die er in seinen Randschriften als Angelpunkte der Schrift Augustins gekennzeichnet hatte. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Schopenhauer im Lauf seines Lebens Augustinus mehr und mehr zu schätzen gelernt hat, entsprechend der Zunahme an Bekanntschaft mit dessen Schriften. Von einem Einfluß der Augustinus-Rezeption auf seine eigene Philosophie kann keine Rede sein, setzte doch die intensive Beschäftigung erst im hohen Alter ein. Lediglich bei der Frage der Willensfreiheit ließe sich eine Einwirkung denken, doch gibt es dafür keinerlei Hinweise, und die ablehnende Haltung, die er anfangs in dieser Frage Augustinus gegenüber einnahm, spricht dagegen. Übrigens ist aber trotz der lauten Polemik gegen die These vom freien Willen seine eigene Position nicht so weit von der des Hl. Augustinus entfernt, wie er meint, wenn dieser immer wieder versucht, die Prädestination mit dem freien Willen zu vereinen. Denn auch Schopenhauer behauptet die moralische Freiheit, die, wenn sie auch als ›transzendental‹ bezeichnet wird, an einer Stelle in Erscheinung tritt – dann nämlich, wenn der Mensch den Willen zum Leben verneint. Eine Reihe weiterer Parallelen im Denken der beiden Philosophen ließe sich aufzeigen, doch ist ein systematischer Vergleich Schopenhauers mit Augustinus, wie ich ihn an anderer Stelle durchgeführt habe,43 nicht Aufgabe der vorliegenden Abhandlung. Hier ging es nur um die historisch-philologische Frage der Rezeption Augustins in den Werken, Manuskripten und Randschriften Schopenhauers. Vielleicht hat Schopenhauer am Ende dieser Rezeptionsgeschichte eine gewisse geistige Übereinstimmung mit Augustinus empfunden, dem er das »richtige Gefühl« (W I, 151), wenn auch nicht die richtigen Gründe zugesteht. Für eine derartige Verwandtschaft können verschiedene Gründe angeführt werden: Beide Denker ähneln sich, vor allem wenn man die Hauptwerke betrachtet, in methodischer Hinsicht darin, daß sie die gesamte anschauliche Welt auf einen Kerngedanken beziehen, jedes sich bietende Phänomen, sei es auch abseitig wie psychopathologische oder paranormale Ereignisse, sei es anrüchig wie der Bereich des Sexuellen, mit Reflexion durchdringen und auf dieses Zentrum beziehen. Beide schreiben auf hohem sprachlichen und stilistischen Niveau. Schließlich vereint sie auch die Suche nach der Möglichkeit von Moral und Erlösung angesichts einer Welt, die so, wie sie sich uns darbietet, nicht In: Empirische Ethik und christliche Moral, 27 – 169; Schopenhauers Ethik als Rettung der christlichen Moral? und Schopenhauers Ethik zwischen Christentum und Empirie. Siehe a. Lance Byron Richey: The Metaphysics of Human Freedom in Schopenhauer and St. Augustine; Gerhard Mollowitz: Die Assimilation der platonisch-augustinischen Ideenlehre durch Schopenhauer. 43
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gut ist, und in der der Mensch nicht frei zum guten Handeln ist; beide konnten sich dabei nicht mit oberflächlichen Antworten zufrieden geben, wie sie in den heutigen Debatten über Willensfreiheit nur zu oft anzutreffen sind.
Kirchenvater oder Vater der Scholastik? Das Augustinus-Bild der katholischen Tübinger Schule. Johann Baptist Hirscher (1788 – 1865), Johann Adam Möhler (1796 – 1838) und Franz Anton Staudenmaier (1800 – 1856) von Johannes Schaber OSB
Die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wissen ist so alt wie die Philosophie selbst, die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Vernunft so alt wie die christliche Theologie. Bei Augustinus findet sich dieser Gegensatz als ein zentrales Thema seines Denkens. Daß die Bestimmung des ›und‹ entscheidenden Einfluß auf die Einschätzung der historischen Bedeutung Augustins haben kann, soll an den verschiedenen Augustinusbildern einer wirkungsmächtigen Theologenschule des 19. Jahrhunderts aufgezeigt werden: der katholischen Tübinger Schule,1 näherhin an ihren Vertretern Johann Baptist Hirscher, Johann Adam Möhler und Franz Anton Staudenmaier.
1. Die Kirchenväterrenaissance und die Idealisierung der ersten drei Jahrhunderte der Kirchengeschichte in der Theologie des 18. Jahrhunderts
An der 1812 in Ellwangen gegründeten und 1817 nach Tübingen verlegten katholisch-theologischen Fakultät waren drei weit verbreitete theologische Lehrbücher in Gebrauch: Im Fach Kirchengeschichte Matthias Dannenmayers Institutiones historiae ecclesiasticae (Wien 1788), im Fach Patrologie Stephan Wiests Institutiones patrologiae in usum academicum (Ingolstadt 1795) und im Fach Dogmatik Engelbert Klüpfels Institutiones theologiae dogmaticae in usum auditorum (Wien 1789).2 In Matthias Dannenmayers (1744 – 1805) Lehrbuch verschmelzen zwei große Traditionen der Kirchengeschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts, die auf die Stellung des Kirchenvaters Augustinus ein bezeichnendes Licht werfen: Zum einen die Studienreform des Benediktinerabtes Franz Stephan Rautenstrauch und ihre Auswirkungen auf die katholische Kirchengeschichtsschreibung, zum andern die protestantische Kirchengeschichtsschreibung in der Rezeption des Wittenberger Kirchenhistorikers Johann Matthias Schröckh. Vgl. Ulrich Köpf: Die theologischen Tübinger Schulen, 16 ff. – Ders.: Artikel Tübinger Schulen, 165 – 171. 2 Verzeichnis der Lehrbücher bei Eugen Haug: Geschichte der Friedrichsuniversität Ellwangen 1812 – 1817, 13 – 17. 1
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Rautenstrauchs Studienreformen: Abt Franz Stephan Rautenstrauch OSB (1734 – 1785) trug durch seine Reform des theologischen Lehrbetriebs in den österreichischen Erblanden zwischen 1774 und 1785 wesentlich dazu bei, daß sich die katholische Theologie von der Barockscholastik weg, hin zu einer Renaissance der Kirchenväter neu orientierte. Die Reform wurde notwendig, weil mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 auch die scholastisch geprägte Studienordnung der Jesuiten, die ratio studiorum (1599), an allen Lehranstalten und Universitäten aufgehoben wurde. Dannenmayer sah darin eine sehr glückliche Wendung in der Theologie, weil »dadurch die scholastische Finsternis vertrieben, und reinere, nützlichere, der Offenbarung sowohl als der Vernunft angemessenere Grundsätze in Umlauf gebracht worden seien.«3 Rautenstrauch stand ganz unter dem Einfluß einer Bewegung, die von der französischen Benediktinerkongregation von Saint-Maur im 17. Jahrhundert ausging und sich im 18. Jahrhundert auf zahlreiche Abteien in Deutschland und Österreich ausweitete. Die Mauriner orientierten sich an einer historischen, insbesondere patristischen Theologie, besannen sich neu auf die Heilige Schrift und die Kirchenväter als ihre Quellen zurück (ad fontes), kritisierten die Scholastik und wollten sogar auf diese ›Barbarei‹ verzichten.4 Sie edierten zahlreiche Kirchenväter, darunter 1679 – 1700 die Werke Augustins.5 Aus dieser von Benediktinern getragenen Bewegung ging auch Abt Franz Stephan Rautenstrauch hervor.6 Dannenmayer würdigt an seinen Reformen besonders, daß er den festen Grund zu einem neuen Lehrgebäude gelegt habe, weil er sich darum bemühte, die in der Theologie lange Zeit vernachlässigte Auslegung der Bibel und das Studium der Kirchenväter wieder fruchtbar zu machen.7 Die protestantische Kirchengeschichtsschreibung: Rautenstrauchs Studienreform strukturierte nicht nur den Unterricht neu, sie machte auch die Einführung neuer Lehrbücher erforderlich. Für das Fach Kirchengeschichte ordnete Kaiser Joseph II. 1786 an, das lateinische Kompendium Historia religionis et ecclesiae christianae adumbrata in usum lectionum (Berlin 1777) des protestantischen Kirchenhistorikers Johann Matthias Schröckh (1733 – 1808) an allen katholisch-theologischen FakultäMatthias Dannenmayer: Leitfaden in der Kirchengeschichte IV, 265. – Vgl. Institutiones historiae ecclesiasticae, 261. 4 Vgl. Manfred Weitlauff: Die Mauriner und ihr historisch-kritisches Werk, 153 – 209. 5 Vgl. Yves Chaussy: Les Mauristes et l’édition de saint Augustin, 29 – 35. 6 Erwähnt seien nur: Dom Jean Mabillon OSB (1632 – 1707) aus der Abtei Saint-Germaindes-Près in Paris, der ›deutsche Mabillon‹ Fürstabt Martin Gerbert OSB (1720 – 1793) von St. Blasien, Fürstabt Frobenius Forster OSB (1709 – 1791) von St. Emmeram in Regensburg, Abt Anselm Desing OSB (1699 – 1772) von Ensdorf und Abt Franz Stephan Rautenstrauch (1734 – 1785) von Brěvnov-Braunau bei Prag. – Vgl. Johannes Schaber: Zwischen Barockscholastik und Kirchenväterrenaissance, 106 – 131. – Vgl. Georg Heilingsetzer: Die Benediktiner im 18. Jahrhundert, 208 – 224. 7 Vgl. Matthias Dannenmayer: Leitfaden in der Kirchengeschichte IV, 263 f. 3
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ten der österreichischen Erblande einzuführen. Nach dem erbitterten Protest der katholischen Bischöfe und Fakultäten wurde 1788 stattdessen Matthias Dannenmayers Lehrbuch eingeführt, das nicht nur den Geist von Schröckh enthielt, »sondern auch den Buchstaben: Ganze Partien waren Wort für Wort aus Schröckh entnommen«.8 Vor allem aber übernahm Dannenmayer Schröckhs Verfallstheorie der Geschichte und seine Theorie von der Idealzeit des Urchristentums. Die Idealisierung des Urchristentums ist ein charakteristischer, wenn auch umstrittener Zug protestantischer Kirchengeschichtsschreibung, der das Schema formatio – deformatio – reformatio zugrunde liegt. Dieses Schema besagt, daß auf die ›reine Zeit des Glaubens‹ in der Urkirche, die bis zu Kaiser Konstantin dem Großen reicht (formatio), die Zeit der philosophischen Verfremdung, Verformung und Verfälschung (›Platonisierung‹) des ursprünglichen biblischen Glaubens und die Zeit des Abfalls vom Evangelium in der mittelalterlichen Scholastik (deformatio) folgte. Die Reformation (reformatio) ist die notwendige Rückkehr zum Ursprung der Heiligen Schrift (sola scriptura).9 Gottfried Arnold (1666 – 1714) fand in seinem umfangreichen Werk Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie, von Anfang des Neuen Testaments bis auff das Jahr Christi 1688 (Frankfurt a. M. 1699/1700) in der Verfallstheorie das Leitmotiv für seine wissenschaftliche Betrachtung der Kirchengeschichte. Er sah aus seiner reformatorischen Ablehnung der gegenwärtigen katholischen Kirche heraus im Urchristentum das unerreichte Ideal religiösen Lebens und christlicher Lehre. Die Konstantinische Wende war der entscheidende Bruch und Wendepunkt der Kirchengeschichte. Vom vierten Jahrhundert an spricht Arnold nur noch vom großen Abfall des Christentums vom goldenen Zeitalter, wie es in den ersten drei Jahrhunderten bestand.10 Johann Matthias Schröckh folgte ihm in dieser Auffassung. Im ersten Band seiner Christlichen Kirchengeschichte beschreibt er die ersten drei Jahrhunderte als Vorbild für die gesamte Kirchengeschichte in ihrer ›Unschuld, Lauterkeit und Einfalt‹.11 Er meint, daß sich Theologie und Kirche, Überlieferung und Institutionen immer an der Botschaft Jesu und dem Glauben der Urkirche als ihrem Ursprung messen lassen müssen. »Keine sophistischen Reflexionen und komplizierten Philosopheme verfinsterten die helle Lehre, diese war vielmehr immer faßlich und praktisch.«12 In der nachapostolischen Zeit fiel die Kirche jedoch vom Ideal des Glaubens ab und verkehrte sich im Mittelalter durch die Betonung der Vernunft beinahe in einen Aberglauben. Erst das Zeitalter der Reformation habe sich wieder zum Ideal des Gustav Adolf Benrath: Evangelische und katholische Kirchenhistorie, 208. Vgl. Karl Heussi: Altertum, Mittelalter und Neuzeit, 12 f. 10 Vgl. Johann Friedrich Gerhard Goeters: Gottfried Arnolds Anschauung von der Kirchengeschichte, 241 – 257. 11 Christliche Kirchengeschichte I, 299 – 315. 12 Vgl. Herbert Gutschera: Reformation und Gegenreformation, 11. 8 9
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Anfangs aufgeschwungen. Die drei Zeitalter formatio – deformatio – reformatio13 gliedert Schröckh in vier Perioden.14 Aus dieser Periodisierung leitet sich sein Bild der Scholastik ab. Auch wenn er sich einigen positiven Aspekten der Scholastik gegenüber nicht verschlossen zeigt, so zieht er insgesamt doch eine negative Bilanz, weil »die Scholastik nicht auf Schrift und Urchristentum rekurrierte, sondern sich selbst, bzw. die vorgegebene Lehrmeinung verwaltete und absicherte.«15 Die Ursprünge der Scholastik sieht Schröckh bei Augustinus, der der Vorläufer und das Vorbild der Scholastiker sei, ihren eigentlichen Beginn erkennt er in Anselm von Canterbury. Er schildert den Wissenschaftsbetrieb zwischen 1073 und 1303 und fragt danach, wann und wie der Begriff der ›Scholastik‹ aufgekommen sei: »Diejenigen, welche Augustinum zu ihrem Stifter gemacht haben, sagten etwas Wahres. Er war wenigstens der Vorläufer der Scholastischen Philosophen, und ihr Muster in Untersuchungen, Distinctionen, Kunstwörtern und Fragen, die er, bald philosophierend, bald declamirend, zwar ein Verehrer der Neuplatonischen Schule; aber doch sehr sorgfältig darauf bedacht, daß der theologische Lehrbegriff, zu dessen Befestigung und Erweiterung er so viel beygetragen hat, nichts dadurch leiden möchte, in dessen Gebiet übertrug.«16 Schröckh schließt sich dem Urteil Dieterich Tiedemanns (1748 – 1803)17 an, daß Augustinus unter allen Kirchenvätern und christlichen Schriftstellern bis ins vierte Jahrhundert ohne Zweifel »der einzige gewesen sey, der ächt philosophischen Geist und einen tief eindringenden Blick besessen, auch bey allen Gegenständen der Offenbarung unabläßig philosophirt habe.«18 Augustins »Fehler alle, und der dem christlichen Lehrgebäude durch ihn zugefügte Nachtheil«, so Tiedemann, »entspringen aus seinem feinen Gefühle des harmonischen und konsequenten im Systeme, und aus seiner unermüdeten Beharrlichkeit dies Konsequente aufzusuchen, und in Verbindung zu bringen. Die vorigen alle setzten entweder die Philosophie fast gänzlich hintan, um nur mit Religionsgegenständen sich zu beschäftigen, oder sie machten ihre Philosophie, wie Origenes, Clemens von Alexandrien, und Justin, der Martyrer, unvermerkt selbst zur Religion, indem sie sie aus den geoffenbahrten Büchern herzuleiten suchten. Augustins Verhältnißgefühl Vgl. Christliche Kirchengeschichte I, 306. I) Das sich selbst überlassene Christentum (1 – 306 n. Chr.). – II) Das durch Aberglauben verfälschte und nach theologischen Meinungen vorgeschriebene Christentum des Mittelalters (306 – 800). – III) Die Kirche unter der Herrschaft der Päpste und unter dem Einfluß von Scholastikern und Mystikern, wie sie unter höchsten Gewissenszwängen in den tiefsten Abgrund gestürzt wurde (800 – 1517). – IV) Das goldene Zeitalter der Reformation, die sich aus den Fesseln des Mittelalters befreite und das Ideal der Urkirche zurückgewinnen konnte (1517 – Gegenwart). – Christliche Kirchengeschichte XXXV, 409; 421; 469. 15 Herbert Gutschera: Reformation und Gegenreformation, 105 f. 16 Christliche Kirchengeschichte XXIV, 386. 17 Vgl. Dieterich Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie III, 455 – 519. 18 Johann Matthias Schröckh: Christliche Kirchengeschichte XXIV, 387. 13 14
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unterscheidet auch hier die Gränzen; er redet von blos philosophischen Dingen philosophisch, von theologischen, theologisch.«19 Obwohl sich Schröckh dem Urteil Tiedemanns anschließt, Augustinus besäße ›echt philosophischen Geist‹, ist dieser für ihn nicht der ›Vater‹, sondern nur der ›Vorläufer‹ der Scholastik: zu groß sei der zeitliche Abstand, zu gering die wirkungsgeschichtliche Kontinuität seines Denkens.20 Den eigentlichen Begründer der Scholastik sieht Schröckh in Anselm von Canterbury (1033/34 – 1109). Der »gieng mit festerm Schritte seinen eigenen Weg in der Philosophie; fieng an, ganze philosophische Wissenschaften aufzuklären; suchte vernunftmäßige Gründe für Religionswahrheiten auf, die man bisher nur geglaubt hatte; und von seiner Zeit an, folgte vierhundert Jahre nach einander, eine fast unübersehliche Menge von Philosophen, alle von gleicher Absicht und Richtung wie er […]. So merklich als er an der Spitze einer neuen Classe philosophirender Lehrer und Schriftsteller steht; so sehr ist man berechtigt, von ihm den eigentlichen Anfang der Scholastischen Philosophie zu machen.«21 Hier nun zeichnet sich ab, welche möglichen Interpretationsschemata zur Einschätzung der historischen Bedeutung Augustins zur Verfügung stehen: Nimmt man das Schema formatio – deformatio – reformatio als Strukturprinzip der Kirchengeschichte, so eröffnen sich zwei Möglichkeiten einer Einordnung Augustins: Entweder sieht man in ihm einen Kirchenvater und Nachzügler der herausragenden ersten Periode der Kirchengeschichte (formatio), also der reinen, ursprünglichen Zeit des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, so muß man nur begründen, inwiefern Augustinus noch zu dieser ersten Periode gerechnet werden muß. Oder man sieht in Augustinus den Vorläufer oder gar Vater der Scholastik. Dann aber wäre er der Wegbereiter des geschichtlichen Abfalls vom ursprünglichen Ideal der Kirche (deformatio) und einer der Hauptvertreter, durch die das ›finstere Zeitalter der Platonisierung‹ des christlichen Glaubens ausgelöst wurde und begonnen hätte. Für beide Interpretationsmöglichkeiten zur Einschätzung der historischen Bedeutung Augustins ist das Verständnis und die Deutung der Kirchengeschichte grundlegend. Durch Matthias Dannenmayers Institutiones historiae ecclesiasticae (1788) erfuhr Schröckh eine breite katholische Rezeption.22 Die Institutiones vermitteln einen Überblick über die Geschichte der Kirche von der Zeit Jesu bis zur Gegenwart des Autors. Dannenmayer unterscheidet darin fünf Perioden.23 Der apostolischen Zeit, Dieterich Tiedemann: Geist der spekulativen Philosophie III, 455 f. Christliche Kirchengeschichte XXIV, 387. 21 Christliche Kirchengeschichte XXIV, 387 f. 22 Auch Johann Adam Möhler greift in seinen Vorlesungen zur Kirchengeschichte häufig auf die Christliche Kirchengeschichte Schröckhs zurück. Vgl. Reinhold Rieger: Einleitung in die Edition, XXXII. 23 Matthias Dannenmayer: Institutiones historiae ecclesiasticae, 32. 19 20
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dem Urchristentum und der vorkonstantinischen Zeit von der Geburt Christi bis zum Jahr 306 n. Chr. mißt er eine besondere Bedeutung zu: Die erste Periode der ersten drei Jahrhunderte hat gegenüber der gesamten späteren Kirchengeschichte eine herausragende Stellung, sie entspricht Dannenmayers Idealvorstellung des Christentums. Er nennt sie nicht nur ›primis tribus seculis‹, sondern bewertet sie als die ›tribus prioribus seculis‹,24 als die drei bedeutendsten Jahrhunderte, weil die Theologie in dieser Zeit grundgelegt wurde und danach nicht nur bis zur Zeit der Reformation, sondern darüber hinaus bis auf seine Tage Ende des 18. Jahrhunderts durch vielfältigen Niedergang behaftet sei.25 Jede der fünf von Dannenmayer dargestellten Perioden hat, mit geringfügigen Ausnahmen besonders in der letzten Periode, denselben inhaltlichen Aufbau: Kapitel »I. De fundatione, propagatione, et fatis ecclesiae christianae. II. De gubernatione ecclesiae, et hierarchia ecclesiastica. III. De scriptoribus ecclesiasticis. IV. De doctrina Catholicorum. V. De haeresibus. VI. De ritibus, et moribus Christianorum, et de disciplina ecclesiastica. VII. Appendicis loco de conciliis.«26 In dieser Systematik ist Augustinus in der zweiten Periode (306 – 800 n. Chr.) im III. Kapitel als lateinischer Kirchenvater des vierten Jahrhunderts leicht zu finden. Wie für Kompendien oder Patrologien damals üblich, beschränkt sich Dannenmayer in seiner Darstellung auf einige wenige Andeutungen zum Leben Augustins, denen er die wichtigsten Literaturangaben folgen läßt. Seine geschichtliche Einordnung Augustins ist durch den Aufbau des Lehrbuchs festgelegt. Zusammen mit Ambrosius und Hieronymus wird er als Kirchenvater des vierten Jahrhunderts behandelt und gehört eindeutig nicht mehr zur ersten und bedeutendsten Periode der Kirchengeschichte.27 Der Zisterzienser Stephan Wiest (1748 – 1797)28 grenzt in der Einleitung seines Lehrbuchs Institutiones patrologiae in usum academicum das Fach Patrologie ein. Im ersten Teil stellt er in chronologischer Reihenfolge die Biographie und Bibliographie aller Kirchenväter vor (De Scriptis, Fatis et Characteribus, seu de Biographia et Bibliographia SS. Patrum). Im zweiten Teil gliedert er die Theologie in ihre wichtigsten Themenbereiche und stellt die Äußerungen der Kirchenväter dazu zusammen: »Designatio Scriptorum SS. Patrum in singulas Religionis Christianae doctrinas, sive disciplinas Theologicas.« (266 – 298). Im dritten Teil schließlich verweist er auf die Sekundärliteratur zu den Kirchenvätern: De diversis in Scripta SS. Patrum commentationibus, seu commentariis. Teil I und Teil III unterliegen derselben zeitlichen Periodisierung. Wiest fragt sich im § XIII der Einleitung, was einen Kirchenvater im Institutiones historiae ecclesiasticae, 8 f. Institutiones historiae ecclesiasticae, 260. 26 Institutiones historiae ecclesiasticae, 31. 27 Institutiones historiae ecclesiasticae, 269 f. 28 Wiest war seit 1781 Nachfolger von Johann Michael Sailer in Ingolstadt. Zu Sailer vgl. Johannes Schaber: Die Augustinus-Rezeption Johann Michael Sailers. 24 25
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Unterschied zu theologischen Schriftstellern auszeichne und wie lange man das Zeitalter der Kirchenväter ausdehnen könne? Dabei referiert er unterschiedliche theologische Positionen, die mit Kaiser Konstantin dem Großen, dem Tod Augustins 430 oder dem Konzil von Chalkedon 451 einen Wendepunkt zwischen zwei Perioden ansetzen. Andere weiten das Zeitalter der Kirchenväter bis zum Tod Papst Gregors des Großen 604, bis zur Krönung Kaiser Karls des Großen 800, bis ins 13. oder sogar bis ins 15. Jahrhundert aus. Wiest hebt die besondere Bedeutung der ersten drei Jahrhunderte hervor,29 gliedert das Zeitalter der Kirchenväter in drei Perioden und baut die zeitliche Einteilung seiner Patrologie darauf auf: Patres »primae aetatis usque ad secul. III.« – »secundae aetatis a secul. III. usque ad secul. VI.« – »tertiae aetatis a secul. VI. usque ad secul. XIII.«30 Inhaltlich kommt es ihm weniger darauf an, die Kirchenväter in ihrem Denken und Ringen als kirchliche Persönlichkeiten vorzustellen, sondern darauf, die Lehre der Kirche in ihren Dogmen zu bestätigen und ihre Wahrheit durch die Autorität der Kirchenväter zu garantieren. Die Person eines Kirchenvaters tritt völlig hinter diese ihm zugeschriebene Aufgabe zurück, wie am Beispiel Augustins deutlich wird: Im ersten Teil (§ 114) erfährt man das Wichtigste zu seiner Biographie (200 – 202) und lernt seine Werke kennen (202 – 211). Der zweite Teil hilft dem raschen Auffinden Augustinischer Traktate zu systematischen Gebieten der Theologie, der dritte Teil schließlich bietet in § 211 eine Zusammenstellung der ›Sekundärliteratur‹ zu Augustinus (340 – 342). Augustinus ist ohne besondere Hervorhebung an dem ihm von der Systematik zugewiesenen Platz unter die Kirchenväter der zweiten Periode eingereiht. Der Augustinereremit Engelbert Klüpfel (1733 – 1811)31 bemühte sich ganz im Sinne der Rautenstrauchschen Reform ein neues, an der Heiligen Schrift und an den Kirchenvätern orientiertes System der Dogmatik zu entwickeln, das er 1789 unter dem Titel Institutiones theologiae dogmaticae veröffentlichte.32 Er weiß sich seinem Ordensvater Augustinus insofern verpflichtet, als er in Anlehnung an ihn die Institutiones inhaltlich gliedert und ihn häufig als Autorität zitiert. In der Einleitung (Prolegomena) leitet er die ganze Theologie aus dem geoffenbarten Wort Gottes, das in Tradition und Schrift33 niedergelegt ist und von der Kirche überliefert wird,34 als der alleinigen Quelle religiöser Erkenntnis ab. Die menschliche Vernunft hat in der Theologie nur eine weit untergeordnete Funktion.35 Glaubenswahrheiten, die nicht Vgl. Stephan Wiest: Institutiones patrologiae, 14 – 18, hier 18. Institutiones patrologiae, 42. 31 Vgl. Wendelin Rauch: Engelbert Klüpfel, ein führender Theologe der Aufklärungszeit. 32 Klüpfel schildert die Reformen Rautenstrauchs und das neue Verständnis der Dogmatik in: Institutiones theologiae dogmaticae I, 223 f. 33 Vgl. Engelbert Klüpfel: Institutiones theologiae dogmaticae I, 62 – 91. 34 Vgl. Institutiones theologiae dogmaticae I, 91. 35 Vgl. Institutiones theologiae dogmaticae I, 117 – 120. 29 30
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aus Schrift und Tradition, sondern durch eine philosophische Erkenntnis oder auf spekulativem Wege gewonnen wurden, sind keine Glaubenswahrheiten und werden in seiner Dogmatik ausgespart. Klüpfel möchte der Theologie ihre ursprüngliche Gestalt und uralte Einfachheit, die sie zur Zeit ihrer Anfänge und bei den Kirchenvätern noch hatte, wieder zurückgeben. In der Scholastik, die für ihn mit dem elften Jahrhundert beginnt, dringt die Philosophie in die Theologie ein.36 Klüpfel lehnt die Scholastik zwar nicht schlechthin ab, aber er sieht in ihr doch den großen Mangel, daß sie die Schrift und Tradition vernachlässigt und stattdessen auf Vernunftgründe aufbaut. Nur im ständigen Rückbezug auf ihre Quellen, die Heilige Schrift und die Patristik, kann die Theologie gewährleisten, daß der rechte katholische und apostolische Glaube fortbesteht. Der Glaube der Gegenwart muß sich an der normativen Zeit der ersten drei bis fünf Jahrhunderte messen. Welche Bedeutung kommt dabei nun Augustinus zu? In einem raschen Durchgang durch die Geschichte der Theologie (Appendix historiae litterariae theologiae dogmaticae de origine et propagatione theologiae) von ihren Anfängen zur Zeit Jesu und der Apostel (Theologiae facies aetate Christi et apostolorum) bis zu seiner Gegenwart (ac praesens)37 schildert Klüpfel die Theologie nach seinen, nur auf Schrift und Tradition aufbauenden Kriterien. Für die theologiegeschichtliche Einordnung Augustins ist wichtig, zu welchem Zeitpunkt oder bei welchem Autor die Vernunft in der Theologie an Einfluß gewinnt und ihre ›Scholastisierung‹ beginnt. Klüpfel geht in Kapitel CVII (Neque III. sec. aut seqq. systema theologiae comparuit) näher darauf ein und meint, daß sich die Kirchenväter und Kirchenschriftsteller des 3. Jahrhunderts und der darauf folgenden Jahrhunderte um die heiligen Dogmen der christlichen Religion größte Verdienste erworben hätten, auch wenn es keinem Autor gelungen sei, selbst Augustinus nicht, ein vollständiges und beweiskräftiges System der christlichen Theologie zu entwickeln und die geoffenbarten Wahrheiten in eine systematische Ordnung zu bringen.38 Dennoch gibt es nach Klüpfels Meinung immer wieder Gelehrte, die trotzdem glaubten, Augustinus habe die göttlichen Geheimnisse in einem dogmatischen System erfaßt, ja, er sei überhaupt die allererste Quelle gewesen, aus der die Scholastiker ihre theologische Systematik entlehnt hätten.39 War demnach Augustinus der Vater der Scholastik? Klüpfel wehrt sich entschieden dagegen, daß sein Ordensvater als Vorläufer Vgl. Institutiones theologiae dogmaticae I, 110 f. und 205 ff. Vgl. Institutiones theologiae dogmaticae I, 190 – 229. 38 Institutiones theologiae dogmaticae I, 198. 39 Engelbert Klüpfel: Institutiones theologiae dogmaticae I, 201: »Etsi vero Augustinus in corpus quodpiam, aut ordinem systematicum non digesserit veritates revelatas: arbitrantur tamen eruditi, eum de rebus divinis hanc in modum differuisse, ut his, qui eum sequerentur, facile esset, in systema cogere fidei christianae dogmata, putantque, esse Augustinum fontem primum, ex quo praecipue scholastici apud Latinos hauserint systemata sua theologica.« 36 37
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der Scholastik vereinnahmt wird, sieht er doch in der Scholastik die Verderbnis der Theologie. Der erste Theologe, der sich in Glaubenssachen von Schrift und Tradition hin zu Vernunft und Philosophie abwandte, war in seinen Augen nicht Augustinus, sondern Johannes von Damaskus (ca. 650 – 750).40 Genau entgegengesetzt zu Klüpfels Einschätzung der geschichtlichen Stellung Augustins argumentierte sein katholischer Kollege Benedikt Stattler (1728 – 1797).41 In seinem Werk Ethica christiana universalis (Augsburg 1772, 21793) lehnt sich Stattler in mehreren Lehrstücken an Augustinus an, der gerade als Philosoph seine besondere Wertschätzung genoß.42 Er meinte, »die Väter hätten das rationale Moment besonders zu schätzen gewußt. Sie waren Philosophen, weil sie geoffenbarte Sätze mit sicheren Vernunftwahrheiten zur theologischen Schlußfolgerung vermählt haben und weil sie gegen heidnische Denker und christliche Irrlehrer mit den Waffen einer auch von den Gegnern anerkannten Philosophie zu Felde gezogen sind. In diesem ehrenden Sinne sind Clemens von Alexandrien, Origenes, Gregor von Nazianz, besonders aber Augustinus ›Philosophen‹ gewesen.«43 Deshalb ist Augustinus für ihn der Vorläufer der Scholastik. Augustinus wird im 17. und 18. Jahrhundert nach dem jeweiligen Rationalitätsund Geschichtsverständnis, nach der Verhältnisbestimmung von Glaube und Wissen und der sich daraus ableitenden Beurteilungsmaßstäbe entweder als Kirchenvater der kirchlichen Idealzeit der ersten frühchristlichen Jahrhunderte oder als Vorläufer bzw. Vater der Scholastik betrachtet. Im 19. Jahrhundert, in dem diese beiden Augustinus-Bilder weiterwirken, tritt im Zuge des Wandels der Geschichtsauffassung noch ein weiteres Augustinus-Bild auf, das mit dem Namen der katholischen Tübinger Schule verbunden ist.
2. Die Augustinusbilder in der katholischen Tübinger Schule bei Johann Baptist Hirscher, Johann Adam Möhler und Franz Anton Staudenmaier
Johann Baptist Hirscher studierte, bevor er 1817 als Professor für Moral- und Pastoraltheologie nach Tübingen kam, bei einigen treuen Schülern Engelbert Klüpfels. Sein Scholastikbegriff ist ähnlich negativ besetzt wie bei Klüpfel, mit dem Unterschied allerdings, daß Klüpfel ihn als Bezeichnung einer geschichtlichen Epoche verwendet, die mit dem Eindringen der Aristotelischen Begrifflichkeit in die TheoInstitutiones theologiae dogmaticae I, 203 f. Vgl. dazu Michael Miedaner: Die Ontologie Benedikt Stattlers. 42 Benedikt Stattler: Ethica christiana universalis, 234, 245 (3), 248 (3), 254 (2), 265, 271 (2), 274, 276 (2), 418*. 43 Franz Scholz: Benedikt Stattler, 60. 40 41
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logie bei Johannes Damascenus beginnt und einige Jahrhunderte währt, während Hirscher den Scholastikbegriff ausweitet: Er bezeichnet dann eine Zeit als Scholastik, wenn von den drei menschlichen Hauptkräften Intelligenz, Gemüt und praktischer, d. h. auf das äußere Leben gerichteter Kraft die Intelligenz vorherrscht.44 Daraus leitet er ab, daß die Scholastik die ganze Kirchengeschichte durchzieht, nicht jedoch immer in derselben Intensität. 1823 veröffentlichte er eine Schrift mit dem programmatischen Titel: Über das Verhältniß des Evangeliums zu der theologischen Scholastik der neuesten Zeit im katholischen Deutschland. Einleitend meint er, wenn das Christentum richtig aufgefaßt wird, »so erscheint es als eine mit hoher Weisheit angelegte, stätig fortgeführte, und ihrem Ziele unabläßig entgegenschreitende Anstalt, durch welche und in welcher die Menschen Kinder Gottes werden und sind – zur Verherrlichung seines Namens. Die hl. Schrift giebt uns ausdrücklich diese Idee von demselben« (1). Die Idee des Reiches Gottes, die hier gemeint ist, durchzieht das Gesamtwerk Hirschers. Er versteht sie als ein Ganzes, auf das alles in der Theologie hingeordnet sein muß. Zu Fehldeutungen kommt es, wenn jemand in der christlichen Religion nur »ein Aggregat von Dogmen« sieht, »ohne sie zum Ganzen einer Heilsordnung zu verbinden« (2). Wem das Ganze nicht als leitende Idee vorschwebt, verunstaltet den Glauben »mit unnötigen Fragen, mit menschlichen Grübeleien, mit eigenmächtigen Spekulationen und fremdartigen und ungegründeten Behauptungen« (3). Derartige Verunstaltungen der christlichen Religion, die den Blick vom Reich Gottes ablenken, nennt Hirscher in einem weiteren Sinne Scholastik. »Wäre dieselbe indeß eine nun einmal vorübergegangene Verirrung; so würde es genug seyn, ihrer am geeigneten Orte historisch und warnend zu gedenken. Allein sie erhebet sich von Neuem in unseren Tagen« (5). Hirscher bekundet sein Unverständnis darüber, die Scholastik neu aufleben zu lassen (181 f.) und versucht, diesen Bemühungen entgegen zu wirken (292): »Dem Evangelium, nicht aber der Scholastik ist die Unüberwindlichkeit von Oben zugesichert.« Diese Überzeugung Hirschers hat auch Auswirkungen auf seinen Stil und auf seinen Umgang mit der Tradition. Er schreibt im Vorwort (VI): »Vielleicht wäre es für die gute Sache vortheilhaft gewesen, wenn ich meine Behauptungen sorgfältig mit menschlichen Autoritäten unterstützt hätte. Ich war auch wirklich einen Augenblick im Zweifel, was das Bessere sey.« Letztlich jedoch entscheidet er sich dafür, allein die Heilige Schrift als wirkliche Autorität und einzige theologische Erkenntnisquelle anzuerkennen und auf die Hilfe menschlicher Autoritäten und der Vernunft zu verzichten.45 Was er hier in seinen frühen Schriften 1820 – 1823 entwickelt hat, findet seinen deutlichen Johann Baptist Hirscher: Die christliche Moral I, 63. Schon 1820 hat Hirscher in einer Abhandlung Priester und Seelsorger ermahnt, der Hauptinhalt ihrer Predigten müsse das Evangelium sein, »nicht die Meinungen philosophischer, oder theologischer (dogmatischer und exegetischer) Schulen.« Johann B. Hirscher: Ueber die Pflicht des Seelsorgers, Glauben zu predigen, 196. 44 45
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Niederschlag auch in seinem dreibändigen Hauptwerk von 1835 Die christliche Moral als Lehre von der Verwirklichung des göttlichen Reiches in der Menschheit (ChM)46. Hirscher zieht in seiner Darstellung der christlichen Sittenlehre fast ausschließlich Zitate aus der Heiligen Schrift heran. Nach einer langen Einleitung führt er zwar die neuere Literatur auf (ChM I, 79 – 84) und gibt auch im weiteren Werk noch mehrmals Literaturhinweise, doch er zitiert nie aus einem dieser neueren Werke. Immerhin greift er neben der Heiligen Schrift auch auf einige Kirchenväter der ersten drei Jahrhunderte, auf Augustinus und auf die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545 – 1563) zurück, weil sie die Wahrheit der christlichen Offenbarung vortragen und nicht ihre eigene Lehre predigen, weil sie die Lehre Jesu und nicht ihre eigenen Erfindungen, Ansichten und Einfälle kundtun.47 Augustinus zitiert er von allen Kirchenvätern am meisten.48 Er nennt ihn einen ›großen Lehrer‹ (ChM II, 17), auch wenn er behauptet, Augustinus sei der erste lateinische Scholastiker und Vater der Scholastik gewesen (ChM I, 64). Hirscher geht davon aus, daß der ethische Geist des Christentums durch die Geschichte hindurch ewig derselbe sei, daß er jedoch durch den Charakter und die Bedürfnisse der Zeiten modifiziert und durch die Subjektivität des Geistes dessen, der sich seinem Studium zuwendet, beeinflußt werde (ebd., 63). Die Subjektivität untergliedert Hirscher nach den menschlichen Hauptkräften in drei Klassen: Intelligenz, Gemüt oder praktische Kraft. Entsprechend der drei Hauptkräfte gestaltet sich auch die Darstellung der christlichen Moral. Die christliche Moral ist demnach vorherrschend eine intelligente (vernünftige), eine gemütliche oder eine praktische (ebd.): »Man nennt in der Schulsprache die erste Auffassungs- und Darstellungsweise die scholastische, die zweite die mystische, die dritte die casuistische. Alle drei Weisen kommen (wie begreiflich) in allen Jahrhunderten, rein oder mehr und weniger gemischt, neben einander vor; am schärfsten ausgeprägt erscheinen sie im Mittelalter.« Nun folgt die Definition der Scholastik (ebd., 63 f.): »Die Scholastik strebt das, was von der Offenbarung Gottes gegeben und vom Glauben der Gläubigen kindlich hingenommen ist, zum Wissen zu erheben, sonach daßelbe in seiner Nothwendigkeit zu begreifen, und zu einer klaren, bestimmten, zusammenhängenden und erschöpfenden Erkenntniß zu erheben. Die Scholastik (scholastische Behandlung) kann mithin nur da vorkommen, wo der Geist bereits zum philosophischen Denken erwacht ist.« Hirscher geht alle Jahrhunderte durch, sucht danach, zu welcher Zeit in der Kirchengeschichte der scholastische Geist besonders ausgeprägt war und kommt zu dem Ergebnis (ebd., Wir zitieren nach der vierten, verbesserten und mehrfach umgearbeiteten Auflage: Tübingen – Wien – Prag 1845. 47 Vgl. Johann B. Hirscher: Ueber die Pflicht des Seelsorgers, Glauben zu predigen, 195 f. 48 ChM I (1 – 442): 38, 40, 49, 160, 170, 424. – ChM II (1 – 557): 16 f., 115, 310, 321, 380, 477. – ChM III (1 – 728): 41, 107, 124, 226, 263, 269 f., 273, 276, 282 – 284, 311, 313 f., 425, 487, 501 f., 511, 513, 516, 536, 599, 686 – 688, 716. 46
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64): »Die ersten Scholastiker auf dem Gebiete der christlichen Moral sind, wie schon angedeutet worden, die alexandrinischen Väter, vorzugsweise Origines.« Die griechischen Kirchenväter haben nämlich bei heidnischen Philosophen gelernt, zur Durchdringung ethischer Probleme philosophisch zu denken (ebd.): »Unter den Lateinern steht in Absicht auf wissenschaftliche Behandlung der christlichen Moral Augustinus oben an. Derselbst hat sie nicht nur auf einen höchsten Grundsatz zurückgeführt, sondern (wenn auch gleich nicht an einem Ort) nach allen Beziehungen entwickelt, ihre Grundsätze scharf bestimmt und auf das Leben angewendet. Welchen Einfluß Plato auf ihn geübt, ist besonders in seinem Buch de civ. Dei sichtbar.« Obwohl Augustinus nach Hirschers Bestimmung der Scholastik der Vater der (lateinischen) Scholastik ist, bringt er ihm dennoch eine hohe Wertschätzung entgegen, was sich darin zeigt, daß er, obwohl er ausdrücklich die Heilige Schrift als alleinige Autorität und einzige theologische Erkenntnisquelle gelten lässt, ihn zusammen mit weiteren Kirchenvätern der drei ersten Jahrhunderte immer wieder in seinen Schriften zitiert. Johann Adam Möhler unternahm zur Vorbereitung seiner akademischen Lehrtätigkeit in Tübingen eine ›literärische Studienreise‹, die ihn vom September 1822 bis zum April 1823 zu den bedeutendsten, vor allem protestantischen Kirchenhistorikern seiner Zeit führte. August Neander (1789 – 1850) in Berlin verdankt er den wichtigen Impuls, sich auf das Studium der Kirchenväter zu verlegen. Im Wintersemester 1823/24 kündigt er neben seiner Hauptvorlesung auch eine Einleitung in das Studium der Väter der drei ersten Jahrhunderte an. Die Schriften der Kirchenväter sind ihm nicht einfach nur historische Dokumente einer längst vergangenen Literaturgeschichte, sondern sie vermitteln die von den Aposteln verkündete Lehre Christi an die späteren Jahrhunderte bis auf seine Zeit. Möhler erkennt die Möglichkeit, das Leben, Denken und Wirken eines Kirchenvaters für die Gegenwart fruchtbar zu machen und an ihm aufzuzeigen, wie die göttliche Offenbarung durch die Geschichte hindurch überliefert wurde. Er räumt zwar ein, daß die Institutiones patrologiae von Stephan Wiest und ähnliche Kompendien mit großem Fleiß gesammelt, geordnet und erläutert wurden, man müsse jedoch beachten, daß »die Empfindung des Kirchenvaters aber, sein persönlich lebendiger Glaube, seine Begeisterung für Christus und die Kirche« solchen ausgewählten Stellen entweder vorhergehe oder nachfolge; wer das Leben nicht beachtet »und wer darauf Verzicht leistet, und es entbehren will, verzichtet auf einen Schatz, dessen Werth er nicht kennt.«49 Kompendien sind wie eine fremde Berichterstattung und können das eigene Quellenstudium der Kirchenvätertexte nicht ersetzen.50 Nur so kann man das Leben, Denken und Wirken eines Kirchenvaters für die Gegenwart fruchtbar machen. 49 50
Johann Adam Möhler: Patrologie, 2. Patrologie, 4.
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Die Periode der ersten drei Jahrhunderte ist Möhler wie zahlreichen Kirchenhistorikern vor ihm auch wichtig, aber nicht mehr als Idealzeit, Maß und Richtschnur für spätere Jahrhunderte, sondern als Quelle und Ursprung der lebendigen Überlieferung der Kirche für alle Jahrhunderte bis auf seine Zeit: »Die Schriften der Väter vermitteln nun eben die ersten Lehrungen der Kirche mit unserer Zeit, indem sie die Mittelstufen bilden, durch welche in ununterbrochener Reihe das christliche Leben und die christliche Geschichte bis zu uns ganz überliefert wurde. Sie sind vorzüglich die Organe, durch welche der Geist Christi sein stetes Dasein in der Kirche beweist, und sein Wirken offenbart.«51 Diesen Grundgedanken entwickelt Möhler in seiner 1825 veröffentlichten Erstlingsschrift Die Einheit der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus. Dargestellt im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte. Es sticht sofort ins Auge, daß Möhler in seiner Vorrede zwar ankündigt, sich vornehmlich auf die Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte zu beziehen, daß er aber einräumt, vor allem in den Zusätzen auch auf spätere Kirchenväter einzugehen, vor allem auf Augustinus (354 – 430). Ein Blick auf Möhlers frühe Lehrtätigkeit und seine Publikationen zeigt, daß er sich in den 20er Jahren mit den Schriften zahlreicher Kirchenväter intensiv auseinandergesetzt hat: mit Clemens von Alexandrien, Johannes Chrysostomus, Cyprian von Karthago, Gregor von Nazianz, Hieronymus und Augustinus, mit Athanasius dem Großen und Anselm von Canterbury, und daß er sich dabei teilweise stark an Neanders Lehrveranstaltungen, wissenschaftlichen Studien und Veröffentlichungen orientierte. 1824 erscheint in der Tübinger Theologischen Quartalschrift sein erster Aufsatz, der den Streit zwischen Hieronymus und Augustinus über die Auslegung des Galaterbriefes 2,14 behandelt, im Wintersemester 1824/25 hält er neben seiner Hauptvorlesung eine freue Übung zu Augustins Confessiones.52 In seiner Erstlingsschrift über Die Einheit der Kirche zitiert er im Textteil (1 – 242) aus Augustinischen Werken ausschließlich in den Anmerkungen.53 Wenn er in den Zusätzen (243 – 315) einzelne Paragraphen des Textteiles vertieft, zitiert er weiterhin Augustinus,54 aber er referiert auch ausführlich aus seinen Werken. Daß sich Möhler in Ergänzung zu seinem Text, in dem er sich auf die Kirchenväter der ersten drei Jahrhunderte bezieht, nun in den Zusätzen ausführlich Augustinus zuwendet, hat zwei Gründe: Einmal rechtfertigt er sich, »daß Augustin völlig Frühes Manuskript Möhlers (Patr Ms IVa, S. 3), zitiert bei: Rob J. F. Cornelissen: Offenbarung und Geschichte, 130. 52 Stephan Lösch (Hg.): Möhler. Aktenstücke und Briefe, Bd. I, 120. – Neander gibt in dieser Zeit heraus: Sancti Augustini Confessionum libri tredecim denuo typis exscripti ad edit. Benedict. Berlin 1823. Auf Seite VI nennt er die Confessiones ein ›goldenes Buch‹. 53 Johann Adam Möhler: Die Einheit der Kirche, 12, 19 f., 21, 30, 32, 40 f., 100 f., 180, 185, 229 f. und 234. Möhler benutzt die Augustinus-Ausgabe der Mauriner, greift aber auch (246 f.) auf Petavius: Theologica dogmata Tom II. In quo de Sanctissima Trinitate agitur. Paris 1644, 1. VIII., c. VII zurück. 54 Johann Adam Möhler: Die Einheit der Kirche, 243, 246 f., 248, 255 f., 276 f. 51
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mit den Vätern der ersten drei Jahrhunderte […] übereinstimme.«55 Zum andern weiß er sich der mehrbändigen Theologica Dogmata (Paris 1643 – 1650) des Jesuiten Dionysius Petavius (1583 – 1652) verpflichtet,56 der in weiten Theologenkreisen des 18. und 19. Jahrhunderts hohes Ansehen genoß und ausgiebig als patristische Materialquelle und Zitatenfundgrube benützt wurde.57 Petavius zitiert hauptsächlich aus den Werken griechischer Kirchenväter. Greift er auf lateinische zurück, dann vor allem auf Augustinus. Mitten in Petavius Vorarbeiten erschien der Augustinus (Löwen 1640, Paris 1641) von Cornelius Jansenius. Sein Kampf gegen den Calvinismus (Prädestination) und nun auch noch gegen den Jansenismus (Gnadenlehre) zwang den Jesuiten Petavius dazu, eingehend die Schriften Augustins zu studieren.58 Dies wiederum wirkte zurück auf seine im Entstehen begriffenen Bände der Theologica Dogmata, in denen er nun Augustinus immer dann ausgiebig zitierte und paraphrasierte, wenn er auf das Wesen von Häresien und deren Bedeutung für den Prozeß der christlichen Lehr- und Dogmenentwicklung sowie wenn er auf das Wirken des Heiligen Geistes in diesem Prozeß und auf die Offenbarung als Erleuchtung (Illumination) zu sprechen kam.59 Nimmt man Möhlers Zusätze in Blick, so wird deutlich, daß sich sein persönliches Quellenstudium (z. B. Confessiones) und die Vermittlung Augustinischer Zitate durch Petavius in seinem Erstlingswerk vermischen: Augustin über den Vorwurf der Häretiker gegen die Kirche, daß in ihr nur Autoritätsglaube und Glaubenszwang sei (Zusatz 6, 258 – 268). In seiner Argumentation stützt sich hier Möhler auf die Augustinischen Schriften De utilitate credendi, Confessiones und De vera religione.60 Es folgen weitere Zusätze: Augustin über das Verhalten eines von einer Partei in der Kirche verfolgen Mannes (Zusatz 8, 278 – 279); Augustin über die Häresien als Aufforderungen zur klaren Entwicklung der christlichen Lehre (Zusatz 10, 281 – 283); Augustins Verteidigung des heiligen Cyprian (Zusatz 11, 284 – 290) und Von der Teilnahme aller Christen am Berufe der Geistlichen (Zusatz 13, 304 – 310). Johann Adam Möhler: Die Einheit in der Kirche, 267. – Zum Begriff ›Kirchenvater‹ vgl. Johann Adam Möhler: Patrologie, 15 – 21. 56 Johann Adam Möhler: Vorlesungen über die Kirchengeschichte II, 515 f. 57 Vgl. Rudolf Reinhardt: Dionysius Petavius (1583 – 1652) in der Tübinger Schule, 160 – 162. – Zur Würdigung des Petavius vgl. Matthias Dannenmayer: Leitfaden der Kirchengeschichte, Theil IV, 200. – Ders.: Institutiones historiae ecclesiasticae, 237, 260, 262. – Engelbert Klüpfel: Institutiones theologiae dogmaticae, 222 f. 58 Vgl. Michael Hofmann: Theologie, Dogma und Dogmenentwicklung im theologischen Werk Denis Petau’s, 32 – 36. 59 Dionysius Petavius: De poenitentia lib. II, c. VII., in: Opus de Theologicis dogmatibus Tom IV, 237. – Ders.: Prolegomena c. V, 6, in: Opus de theologicis dogmatibus Tom. I, 16. 60 Möhler weist auf Widmers Übersetzung von De utilitate credendi hin: Ueber den Grund und Nutzen des christlichen Glaubens. Zwey Bücher vom heiligen Augustinus. Uebersetzt und mit Einleitungen begleitet von Joseph Widmer. Ury 1824. – Johann Adam Möhler: Die Einheit in der Kirche, 519. – Vgl. dazu: Johannes Schaber: Die Augustinus-Rezeption Johann Michael Sailers, 233 – 240. 55
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Von Augustinus zur Scholastik sieht Möhler keine Verbindung. Als er sich 1827 und 1828 mit Anselms († 1109) Amtszeit als Erzbischof von Canterbury und seiner Scholastik beschäftigt, arbeitet er den Begriff der ›Scholastik‹ sehr differenziert heraus und definiert: »Die Scholastik überhaupt können wir jenen vom Ende des elften bis zum Anfang des sechszehnten Jahrhunderts dauernden Versuch nennen, das Christliche als rational, und das wahrhaft Rationale als christlich zu erweisen; womit das Bemühen nothwenig sich vereinte, klar, scharf und bestimmt die Begriffe der christlichen Lehren festzusetzen.«61 Möhler fügt in einer Anmerkung hinzu: »Ich weiß wohl, daß man auch zuweilen einige Jahrhunderte früher das Zeitalter der Scholastik beginnen läßt.«62 Aufgrund seines dynamisch-organischen Verständnisses der Kirchengeschichte als lebendiger Überlieferung teilt er zwar die besondere Wertschätzung der ersten drei Jahrhunderte, in denen in der Kirche die vom Geist Christi gewirkte Gemeinschaft in Glaube und Liebe gelebt wurde, aber er lehnt ihre Idealisierung für die ganze Kirchengeschichte und die Verfallstheorie ab und erkennt der Scholastik ihren Wert an: »Wenn die Scholastiker nicht einmal das Verdienst hätten, daß sie diese alten Philosopheme [des Platonismus und des Aristotelismus, JS] neu gestalteten und durch den christlichen Geiste umbildeten; so müßten sie als gedankenlose Menschen völlig unbeachtet bleiben; und es wäre ganz unbegreiflich, wie sie sich in der christlichen Kirche einen so langen Bestand sichern konnte; oder nur aus dem Standpuncte dessen begreiflich, der da ganz ernstlich meinte, wie es freilich nicht Wenige zu meinen schienen, es müßte aus der christlichen Zeit eine Reihe von Jahrhunderten vertilgt werden, die nur aus Irrthum in sie, die christliche Zeit, hineingeschoben würden.«63 Möhler hat die ganze Kirchengeschichte von Christus bis zu seiner Gegenwart im Blick, in der er nicht die Perioden nach der jeweiligen Ausprägung von Glaube und Vernunft gegeneinander auf- oder abwertet, sondern in der er die Einheit als das dynamische Prinzip sucht, das in einem bestimmten Zeitalter die Idee des Reiches Gottes verwirklicht hat und zu Geschichte werden ließ. Darum stellt sich für ihn nicht die Frage nicht, ob Augustinus ein Kirchenvater der ursprünglichen Zeit oder der Vater der Scholastik ist. Augustinus ist ihm vielmehr ein bedeutender Kirchenvater und Kirchenlehrer, der es verstanden hat, die göttliche Offenbarung und die von den Aposteln verkündete Lehre Christi für seine Zeit fruchtbar zu machen und durch seine Schriften auch späteren Jahrhunderten bis zur Gegenwart zu vermitteln.64 Johann Adam Möhler: Anselm, Erzbischof von Canterbury, 62 f. Anselm, Erzbischof von Canterbury, 63. 63 Anselm, Erzbischof von Canterbury, 64. 64 Möhler würdigt Augustinus (vgl. Gesammelte Schriften und Aufsätze, 197): »Wenige Männer in der Geschichte haben ihre Zeitgenossen und die Geschlechter vieler kommender Jahrhunderte so beherrscht wie Augustinus; denn auch nur Wenige haben den Geist so segensvoll zu befruchten und so sinnreich zu beschäftigen gewusst.« 61 62
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Franz Anton Staudenmaier studierte in den 20er Jahren bei Hirscher und Möhler in Tübingen. Seinen Bezug »zu den Kirchenvätern und besonders zu Augustinus näher zu untersuchen, wäre eine eigene Aufgabenstellung.«65 In seinem frühen dogmatischen Aufsatz Die Lehre vom göttlichen Ebenbilde im Menschen von 1830 überlegt Staudenmaier, welche Form der Darstellung er wählen solle: die systematische Form, bei der er die verschiedenen Ansichten der Theologen bei der Bestimmung der Ebenbildlichkeit unter einige wenige Oberbegriffe und Klassen subsumiert, oder die geschichtliche Form, bei der er dem natürlichen Lauf des Lebens folgt und die verschiedenen Positionen chronologisch in Perioden und Zeiträume gliedert.66 Er entscheidet sich für die zweite Form mit drei Perioden (86): »Die erste umfaßt die Zeit von den Aposteln bis zum Emporkommen der Scholastik; die zweite das Zeitalter der Scholastik und die dritte die Zeit von der Reformation bis auf unsere Tage.« Nachdem er die unterschiedlichen Positionen der Kirchenväter der ersten Periode, darunter auch immer wieder die Gedanken Augustins (96 f., 120 f., 125), beschrieben hat, muß er die Abgrenzung der zweiten (Scholastik) von der ersten Periode rechtfertigen. Unter Theologen herrscht nämlich Uneinigkeit darüber, wie der Begriff der Scholastik zu bestimmen sei. Blickt man auf den Stoff der Philosophie und sieht von der Form ab, »so würde die Scholastik schon mit dem großen Kirchenlehrer Augustinus beginnen, wie es auch wirklich einige schon so angesehen haben« (128). Brächte man zum Begriff der scholastischen Philosophie noch die Form in Anschlag, so dürften nur die als Scholastiker gelten, »die die aristotelische Metaphysik und die arabische Philosophie mit der Lehre der katholischen Kirche verbunden haben« (129). Staudenmaier definiert: »Das Wesen der scholastischen Philosophie […] ist die enge Verbindung der Philosophie mit der Kirchenlehre, des Wissens mit dem Glauben.« (129) Deshalb sei dem zuzustimmen, daß sie in ihren höchsten Bestrebungen, den Glauben zum Wissen zu erheben, »schon in den ersten christlichen Jahrhunderten ihre Anfänge« habe, »Vernunft und Offenbarung sind sich, in ihrem wahren Wesen verstanden, nicht entgegen, sondern vielmehr eins miteinander« (131). Diese von Staudenmaier als alexandrinische Geistesrichtung bezeichnete Position wurde von Klemens von Alexandrien, Origenes, Gregor von Nazianz und Basilius von Cäsarea vertreten (132): »Auch Ambrosius folgte ihr, besonders aber der geistvolle und tiefsinnige Augustinus. Der Glaube ist das Erste und Höchste. Er muß aber ins Leben übergehen, den Geist reinigen und läutern; dann erst schreitet man fort zur immer klarern Erkenntnis.« Nach dem Untergang des Römischen Reiches entwickelten sich zwei Richtungen, die im Verhältnis von Glaube und Wissen die eine oder die andere Seite mehr betonten, die spekulative Scholastik und die Mystik 65 66
21 f.
Albert Franz: Glauben und Denken, 75. Zu Staudenmaiers Bestimmung des Begriffs ›Geschichte‹ vgl. Johannes Scotus Erigena, 2 ff.,
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(132 f.): »Die erste ist die schon geschilderte Richtung, den Glauben zum Wissen zu erheben. Wir finden sie vorzüglich bei Scotus Erigena und Anselm. Erigena sah wie Augustinus die wahre Religion als nicht verschieden von der wahren Philosophie an. Beide sind eins nach seiner Ansicht und unzertrennlich.« Als Gegensatz zur Scholastik wurde die Mystik erweckt (135): »Herrscht bei den Scholastikern die Form vor, so ist bei den Mystikern das Wesen die Hauptsache, finden wir dort die Spekulation, so treffen wir hier die Kontemplation.«67 Nach Staudenmaier vereinigt Johannes Scotus Eri(u)gena (ca. 810 – 877) als letzter noch beide Richtungen in sich (138): »Es ist schon bemerkt worden, daß dieser große und reiche Geist sowohl zu den spekulativen Scholastikern als zu den kontemplativen Mystikern gezählt werden könne.« Weil bei Eriugena zudem »nicht nur die Keime der ganzen heutigen Philosophie zu finden« sind, »sondern auch ihre klar ausgesprochenen Prinzipien« (153), richtet Staudenmaier sein ganzes Interesse auf ihn und widmet ihm eine umfangreiche Studie: Johannes Scotus Erigena und die Wissenschaft seiner Zeit (Frankfurt am Main 1834). Bei Eriugena finden wir »Ideen, die nicht nur mit denen des Plato, Aristoteles, des Clemens von Alexandrien, Origenes und Augustinus, sondern auch mit denen des Spinoza, Leibniz, Schelling und Hegel, und der ausgezeichnetsten Philosophen und Theologen aller Zeiten die innerste Verwandtschaft haben.« (39) In der Zeit vor Eriugena hebt Staudenmaier besonders Augustinus heraus, der eine Fülle von tiefen christlichen Ideen dargeboten habe (vgl. 47) und ein Licht der Kirche war (vgl. 60): »Der größte unter allen Kirchenvätern, wenn wir auf Tiefe und Kraft des Geistes, auf Innigkeit und Stärke des Gefühls, auf Feuer und Macht des Willens, so wie auf das Vermögen zur Speculation und Dialektik hinsehen, ist Augustinus. Ihn hat keiner erreicht, wenn auch die Meisten etwas und vieles von ihm haben. Er gehört zu jenen Geistern, in welchen hundert Andere wohnen. Schon dieß mußte ihn unserm Erigena wichtig machen, und er ist es auch, auf den er am meisten sich beruft« (274). Weiter schätzt Staudenmaier an Augustinus (275): »Während die orientalische Kirche keinen Augustinus aufweisen kann, ist dieser für das Abendland der allgemeine Kirchenvater geworden. Wie ihm daher keiner an Scharf- und Tiefsinn, so wie an wichtigen Lebenserfahrungen gleichkommt, so konnte sich auch keiner seines mächtigen Einflußes erfreuen.« Danach referiert er Augustins Verhältnisbestimmung von Glaube und Wissen, Autorität und Vernunft (vgl. 276 – 288) und schließt mit dem Urteil (288): »Sein lebendiger Geist, wichtig in der Dialektik und Speculation, tief und heilig in der Mystik, ist nicht bloß durch das ganze Mittelalter hindurch geschritten, sondern er hat bis auf unsere Zeiten herab in der Philosophie und Theologie kräftig das Leben bewegt.« Als Staudenmaier im letzten Kapitel seiner Monographie über Eriugena dessen Verhältnis zu Scholastik und Mystik klären will, steht er noch einmal vor der Vielfalt der Erklärungen, was denn nun eigentlich 67
Vgl. Franz Anton Staudenmaier: Johannes Scotus Erigena, 237 und 366 ff.
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die Scholastik sei (366): »Während daher Einige schon den heiligen Augustinus den Vater der Scholastik nennen, lassen Andere die Periode derselben entweder mit dem Araber Avicenna, oder mit der Stiftung der Kloster- und Kathedralschulen durch Karl den Großen, oder endlich erst im dreizehnten Jahrhunderte beginnen.« Staudenmaier kritisiert diese Auffassungen, wonach die Scholastik nur eine Epoche ist, die sich chronologisch einordnen läßt. Es wird ganz vergessen, »daß die Scholastik, so wie einen Anfang, so auch eine Entwicklung, und in dieser einen Fortgang und einen höchsten Punkt der Bildung hatte, weil sie als Erscheinung des Geistes durch eine so lange Zeit hin auch an sich ein lebendiges Ganzes sein mußte. Was aber den Anfang besonders noch betrifft, so konnte auch er innerhalb der Kirche nicht ein absoluter sein, sondern die Scholastik ruhete einerseits eben so sehr auf den vorausgegangenen Entwicklungen der Lehre in der Kirche, als sie andererseits durch die Zeitumstände und besonders durch die germanische Bildung bedingt war« (367). Die Scholastik ist also keine Epoche innerhalb eines chronologisch gegliederten Ablaufs, sondern eine Geisteshaltung (371, vgl. 441): »Die scholastische Theologie bezeichnet uns daher jene Art und Weise der Entwicklung des christlichen Geistes, die im Abendlande nach dem Erlöschen der römischen Bildung in den germanischchristlichen Reichen vor sich ging.« Zwar strebte schon Augustinus danach, seine Theologie in ein System zu bringen und ihr damit eine scholastische Form zu geben, dennoch kam er nach Staudenmaiers Auffassung nicht über einen fragmentarischen Versuch hinaus, weil er mehr Apologet als Systematiker war, weil er mehr gegen tagesaktuelle häretische Strömungen kämpfte als daß er aus einem einzigen Prinzip ein systematisches Lehrgebäude ableitete (vgl. 370). Aus diesem Grund kann Augustinus nicht der Vater der Scholastik sein. Für Staudenmaier stellte sich in der jahrelangen und intensiven Auseinandersetzung mit dem System der Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) mehr und mehr die Frage nach der Möglichkeit, ein System der christlichen Philosophie abzuleiten, in dem Glauben und Denken, Theologie und Philosophie miteinander zu einem Wahrheitssystem verbunden werden können.68 Nachdem Immanuel Kant (1724 – 1804) die Möglichkeit zur Wahrheitserkenntnis an sich und damit auch zur Erkenntnis der Wahrheit des Christentums und der Offenbarung zerstört hat, begrüßt der junge Staudenmaier begeistert die Philosophie Hegels, die anscheinend das Christentum als Wahrheitssystem wieder in seine Rechte setzt. Erst allmählich erkennt er, daß das Gegenteil der Fall ist, daß Hegel der eigentliche Urvater aller antichristlichen Zeitströmungen und sein System ein das Christentum auflösender und zerstörender Pantheismus mit christlichem Etikett ist.69 Hegels logischem Pantheismus70 setzt Staudenmaier seinen christlichen Theismus gegenüber, 68 69 70
Albert Franz: Glauben und Denken, 202 f. Franz Anton Staudenmaier: Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems. Mainz 1844. Vgl. Franz Anton Staudenmaier: Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems, 32 f.
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bei dem er sich vor allem auf die Kirchenväter, darunter Augustinus, und mehrere mittelalterliche Theologen bezieht. Staudenmaier fragt sich, was zu beachten sei, um über Theologen und Philosophen ein wahres Urteil fällen zu können, ob sie emanatistisch-pantheistisch oder christlichen denken? Er nimmt dabei niemanden aus: »Wie wichtig ein solches Verfahren sei, muß schon daraus erhellen, daß wir in unserer Zeit anfangen müßten, selbst solche Männer des Pantheismus zu zeihen, die bisher von solchen Beschuldigungen frei geblieben sind, wie den heiligen Augustinus, der, ohne jene Unterscheidung, nicht blos eine wesentliche Einheit des Menschen mit Gott unter der Kategorie des Geistes, sondern auch eine Selbstbewußtseinsentfaltung des göttlichen Geistes durch den menschlichen Geist gelehrt haben würde.«71 Augustinus hält der Prüfung nicht nur Stand, Staudenmaier beruft sich bei der Frage nach dem Christentum als der wahren Philosophie sogar in erster Linie auf ihn72 und bei der Entfaltung des christlichen Schöpfungsbegriffs und der Ablehnung der pantheistischen Emanationslehre bezeichnet er einen Grundsatz Augustins sogar als das ›Grab des Pantheismus‹.73
3. Augustinus – Kirchenvater oder der Vater der Scholastik?
Während Johann Baptist Hirscher Augustinus für einen Vater der Scholastik hält und damit ganz in der Tradition der Periodisierung der Geschichte und der daraus abgeleiteten Augustinusbilder des 18. Jahrhunderts steht, gewinnt sein Schüler Johann Adam Möhler durch sein gewandeltes, dynamisches Geschichtsverständnis ein neues Bild von Augustinus, dessen Bedeutung Möhler vor allem darin sieht, daß er den christlichen Glauben überliefert und durch seine Schriften an spätere Generationen vermittelt hat. Seine Werke sind nicht nur literarische Zeugnisse der Vergangenheit, sondern sie ermöglichen es, den von den Aposteln verkündeten Glauben an Jesus Christus für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Augustinus hat damit ›bleibende‹ Bedeutung. Franz Anton Staudenmaier schätzt den Scharf- und Tiefsinn Augustins und hält ihn für den bedeutendsten antiken Kirchenvater. Sein großes Interesse gilt aber noch mehr dem frühmittelalterlichen Johannes Scotus Eriugena, bei dem er nicht nur die Ideen der großen antiken Philosophen wieder erkennt, sondern auch die Keime der modernen Philosophie. Galt lange Zeit Augustinus als Wendepunkt zwischen zwei Perioden, so ist es für Staudenmaier nun Eriugena. Wer also war Augustinus? Die vielen, in ihrem Wandel angedeuteten Augustinusbilder verdeutlichen den hermeneutischen Grundsatz, daß zum Verständnis der 71 72 73
Franz Anton Staudenmaier: Die Philosophie des Christenthums, 526 f. Franz Anton Staudenmaier: Die christliche Dogmatik, Band III, 577 ff. Franz Anton Staudenmaier: Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems, 153.
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historischen Bedeutung Augustins das jeweilige Vorverständnis von Glauben und Wissen, von Geschichte oder anderer Kriterien durchsichtig gemacht werden muß, um die Frage beantworten zu können.
Augustinus-Deutungen des protestantischen Historismus Albrecht Ritschl (1822 – 1889) / Ferdinand Kattenbusch (1851 – 1935), Hermann Reuter (1817 – 1889), Adolf von Harnack (1851 – 1930) und Karl Holl (1866 – 1926) von Martin Ohst Für den Dogmenhistoriker Karlmann Beyschlag zum 9. März 2008
Die folgenden Seiten sind wichtigen Vertretern einer dezidiert (neu-)protestantischen Deutung Augustins gewidmet.1 Sie können in zwiefacher Hinsicht nur als sehr vorläufige, fragmentarische Sammlung von Lektüreeindrücken Aufmerksamkeit beanspruchen. Einmal lassen sie mit einem hohen Grad an Willkürlichkeit nur vereinzelte Stimmen aus einer sehr viel reicheren Augustinus-Debatte zu Wort kommen: Nicht nur in der Reformationszeit und in der Periode der konfessionellen Orthodoxien, sondern auch in den unterschiedlichen Phasen der neuzeitlichen Umformung evangelisch-theologischen Denkens hat Augustinus immer wieder die Aufmerksamkeit systematisch ambitionierter Historiker und historisch gebildeter Systematiker auf sich gezogen. »In der Neuzeit spielte sich die Auseinandersetzung um die Theologie Augustins vorwiegend auf römisch-katholischem Boden ab, wurde aber von evangelischer Seite aufmerksam verfolgt«2 – das in diesem Satz skizzierte Bild ist völlig irreführend, und es ist bedauerlich, daß es auch in einem jüngst in evangelischer Regie erschienenen umfangreichen Handbuch nicht durchgreifend korrigiert werden konnte.3 Die Rolle der Auseinandersetzung mit Augustinus in der Neuformung der protestantischen Anthropologie und Hamartiologie kann man aus Andeutungen in den Klassikern protestantischer Theologiegeschichtsschreibung erahnen;4 monographisch aufgearbeitet ist all das, soweit ich sehe, nicht. Ebenso fehlt eine Darstellung Claus-Dieter Osthövener bezeuge ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank für viele Gespräche, in denen wir die unterschiedlichen Gegenstände dieser Studie immer wieder erörtert haben. Eine genaue Bezeichnung derjenigen Beobachtungen und Gedanken, die ich in diesen Gesprächen empfangen habe, ist mir nicht mehr möglich. 2 Martin Schmidt: Augustinismus IV (Neuzeit), 721. 3 Volker Henning Drecoll (Hg.): Augustin Handbuch. 4 Vgl. etwa Karl Aner: Die Theologie der Lessingzeit, passim. Emanuel Hirsch (Geschichte der neuern Evangelischen Theologie, Band II,22) bemerkt beiläufig, seit und durch Leibniz sei »das Verhältnis zum Augustinismus zu einem Hauptthema der deutschen Theologiegeschichte geworden«; er kommt darauf dann im Fortgange seiner Geschichtsdarstellung immer wieder zurück (vgl. z. B. Bd. IV, 75 – 77 zu Semlers Deutung und Bewertung des pelagianischen Streits). 1
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der Augustinus-Debatten im Zuge des Aufschwungs der evangelischen Kirchenund Dogmengeschichtsschreibung seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts.5 Albrecht Ritschl konnte den Diskussionsstand 1843 mit den folgenden Worten kennzeichnen: »Schon bei seinen Lebzeiten hatte Aurelius Augustinus in kirchlichen Dingen höchste Bedeutung; und durch die Billigung und die Zustimmung der Späteren ist er derart erhoben worden, daß er der Lehrer und Führer der gesamten Katholischen und Evangelischen Kirche zu sein schien. Weder damals noch in neueren Zeiten hat es jedoch seiner Lehre an erbitterten Angriffen der Gegner gefehlt, woraus nichtsdestoweniger erhellt, wie hoch die Bedeutung seiner Lehre von allen eingeschätzt wird.«6
So kann ich also, weil Vorarbeiten fehlen, im folgenden nur auf vereinzelte Stimmen hinweisen, die ich aus komplexen Diskussionszusammenhängen isoliere. Die Auswahl ist unbefriedigend. So ist es beispielsweise nur pragmatisch zu rechtfertigen, daß ich weder auf Harnacks Freund Friedrich Loofs (1858 – 1928)7 eingehe, der eigenständige Beiträge zur Erforschung Augustins geleistet hat,8 noch auf Reinhold Seeberg (1859 – 1935),9 der (auch) als Dogmenhistoriker Harnacks Rivale war und für dessen Voluntarismus-Konzept, das seine Gesamtdarstellung der Dogmengeschichte und seine eigenen systematischen Entwürfe maßgeblich steuert, eine höchst profilierte Augustinus-Deutung10 von zentraler Bedeutung ist.11 Auch Ernst Troeltsch (1865 – 1923)12 müßte hier eigentlich gewürdigt werden, da er der vorwiegend geistesgeschichtlich orientierten herkömmlichen DogmengeschichtsschreiAnselm Schubert: Das Ende der Sünde. Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung, müßte aus dieser Perspektive fortgesetzt bzw. ergänzt werden! 5 Zwei wirkungsgeschichtlich wichtige Arbeiten: Gustav Friedrich Wiggers: Versuch einer pragmatischen Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus von dem Anfange der Pelagianischen Streitigkeiten bis zur dritten oecumenischen Synode. Ausführlich und eingehend August Neander: Allgemeine Geschichte der christlichen Religion und Kirche II/3, 797 – 913. 6 Albrecht Ritschl: Expositio Doctrinae Augustini de Creatione Mundi, Peccato, Gratia, 1 (dt. Übers. M. O.). Vgl. hierzu auch Folkart Wittekind: Ritschls antipelagianische Augustindeutung. 7 Vgl. Friedrich Loofs: Selbstdarstellung. 8 Bis heute höchst lesenswert sind seine einschlägigen Artikel in der von Albert Hauck herausgegebenen dritten Aufl. der Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche (im folgenden zitiert als RE3): Augustinus (Bd. II, 257 – 285), Pelagius und der pelagianische Streit (Band XV, 747 – 774), Semipelagianismus (Band XVIII, 192 – 203). Zu vergleichen ist auch Friedrich Loofs: Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte. 9 Vgl. Friedrich Wilhelm Graf: Reinhold Seeberg, 618 – 676. 10 Vgl. Reinhold Seeberg: Lehrbuch der Dogmengeschichte. Eine reizvolle Einführung bietet Reinhold Seeberg: Augustinus († 28. August 430). Gedächtnisrede gehalten am 23. Juli 1930 in der Aula der Universität Berlin. 11 Dies wird nicht deutlich genug bei Michael Basse: Die dogmengeschichtlichen Konzeptionen Adolf von Harnacks und Reinhold Seebergs. 12 Vgl. Friedrich Wilhelm Graf / Hartmut Ruddies: Religiöser Historismus: Ernst Troeltsch.
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bung durch soziologische Gesichtspunkte neue Perspektiven eröffnete und seine entsprechenden Monita auch in die Augustinus-Debatten seiner Zeit einbrachte.13 Endlich: alle hier genannten Autoren haben in weitem Umfang nicht nur Augustinus-Arbeiten von Philosophiehistorikern benutzt, sondern mit großer Selbstverständlichkeit auch deutsche und ausländische Arbeiten aus dem katholischen Bereich rezipiert. Daß geisteswissenschaftliche Debatten nationale und konfessionelle Grenzen überschreiten, war schon damals eine Selbstverständlichkeit. Die Thesen und Texte, die ich vorstellen werde, sind zwischen dem I. Vatikanischen Konzil sowie der Begründung des II. Deutschen Kaiserreiches und der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. In diesen beiden Menschenaltern war das Verhältnis zwischen Protestantismus und Katholizismus in Deutschland zunächst so belastet wie zuvor 200 Jahre lang nicht. Erst im Kriege und in der Nachkriegszeit bahnten sich Entkrampfungen und Entspannungen an. Eine wirklich befriedigende Interpretation müßte die Texte, die im folgenden vorgestellt werden, genau in die ideenpolitischen Auseinandersetzungen einzeichnen, die in jenen Jahren zwischen den Konfessionen geführt wurden. Die folgenden Ausführungen können diese Aufgabe nicht lösen und beschränken sich ganz auf die theologiegeschichtliche Perspektive, denn auch hier fehlen Vorarbeiten. – Nachdem nicht zuletzt durch das klare und beherzte Eingreifen des gegenwärtigen Papstes die zuvor ungesund überhitzte Atmosphäre ›ökumenischer‹ Hoffnungen und Erwartungen abgekühlt ist und damit auch die in jener Atmosphäre entstandenen Wahrnehmungsschranken und Denkverbote alsbald hinfällig werden dürften, steht allerdings zu hoffen, daß nun bald die Zeit des ›Kulturkampfes‹ nicht mehr in falscher Scham beschwiegen oder mit sentimental bedauernden Worten zugedeckt, sondern mit theologischem Engagement unbefangen erforscht wird. Und wenn das geschieht, wird meine Studie zumindest in dieser Hinsicht überholt sein.
1. Albrecht Ritschl, Ferdinand Kattenbusch
A) Am Anfang der klassisch-historistischen Periode der deutschen protestantischen Dogmengeschichtsschreibung steht eine aus den Fugen geratene Rezension: 1871 erschien in den Jahrbüchern für Deutsche Theologie Albrecht Ritschls14 Besprechung des ersten (und einzigen) Bandes von Friedrich Nitzschs (1832 – 1898)15 dogmengeschichtlichem Lehrbuch unter dem Titel Ueber die Methode der älteren Vgl. Ernst Troeltsch: Die kulturgeschichtliche Methode in der Dogmengeschichte. Ders.: Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter. Zu Troeltschs wichtigsten Gewährsleuten zählt hier Hermann Reuter. 14 Vgl. Otto Ritschl: Albrecht Ritschls Leben. Rolf Schäfer: Ritschl, Albrecht / Ritschlsche Schule. 13
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Dogmengeschichte. Albrecht Ritschl16 formulierte die Aufgabe der Disziplin in zwei Erkenntnisrichtungen: Einmal müsse sie die »Verständigung über den Gang des Christenthums in der Form der Vorstellung, des Begriffs und der Gesammtanschauung« befördern und sodann auf dieser Basis »nicht nur die Lücken zeigen, welche ausgefüllt werden sollen, sondern zugleich eine Menge von Ueberlieferungen als solche beurtheilen, welche nicht mehr oder nicht direct maaßgebend für die theoretische Theologie sind«.17 Als strikt historischer Disziplin obliegt der Dogmengeschichtsschreibung also eine eminent wichtige systematisch-theologische Aufgabe: Sie ordnet methodisch reflektiert die historisch gewachsenen Elemente theologischer Lehre in ihre Entstehungszusammenhänge ein und gewinnt daraus einsichtige Maßstäbe für das Urteil darüber, ob bestimmte herkömmliche Lehrstücke und Lehrformen in der Gegenwart bei der Ausprägung einer authentischen Gesamtrechenschaft vom christlichen Glauben dienlich sein können. Ritschl selbst hat seinen systematisch-theologischen Neubau mit einer kritischen Durchmusterung des theologischen Lehrstoffs flankiert. Diese Offensive hatte zwei eng verwandte, einander vielfach überschneidende Stoßrichtungen: Einmal den Pietismus, in dem Ritschl eine Nachblüte katholischer Frömmigkeit auf evangelischem Boden erkannte,18 und sodann diejenigen Elemente altkirchlicher Lehrbildung, in welchen und durch welche unter der irreführenden Chiffre ›Natürliche Theologie‹ die Überfremdung des wesentlich ethisch zu bestimmenden Wesens von Religion und Christentum durch Ontologie, Metaphysik und Kosmologie befördert und perpetuiert werde.19 – Sowohl um des historischen Erkenntniszwecks als auch um jener kritisch-orientierenden Aufgabe willen plädiert Ritschl für ein Verfahren, das jedes Stück kirchlicher Lehrbildung zunächst ausschließlich (horizontal) nach seiner Bedeutung und seiner Funktion in seinem geschichtlichen Entstehungskontext analysiert und würdigt, statt es (vertikal) als Teilstück eines sich erst nach und nach entfaltenden Gesamtzusammenhanges christlicher Lehre einzuordnen: In den trinitätstheologischen und christologischen Debatten der Alten Kirche wurde jeweils an einer in sich vollständigen und vollgültigen Gesamtanschauung des christlichen Glaubens gearbeitet, und ihre Resultate bleiben unverstanden und unterbestimmt, wenn man sie behandelt, als wären sie von vornherein dazu bestimmt gewesen, im Gesamtaufriß einer neuzeitlichen Schuldogmatik die Funktion eines Lehrstücks in einer Reihe anderer zu erfüllen. Friedrich Nitzsch: Grundriß der Christlichen Dogmengeschichte, Erster Theil: Die Patristische Periode. Vgl. zu Nitzsch Arthur Titius: Nitzsch, Friedrich August Berthold. 16 Sein Hauptwerk (Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung) war gerade im Erscheinen begriffen. 17 Ueber die Methode der älteren Dogmengeschichte, 147. 18 Vgl. Albrecht Ritschl: Geschichte des Pietismus. 19 Vgl. Albrecht Ritschl: Theologie und Metaphysik. Zur Verständigung und Abwehr. 15
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Zu den Musterbeispielen, an welchen Ritschl den kritischen und konstruktiven Gehalt seines Ansatzes vorführt, gehört Augustinus. Das Allgemeinwissen über ihn beschränke sich auf »diejenigen Gedankenreihen, welche die Reformatoren als Prämissen ihrer Lehrbildung verwerthet haben, nämlich daß er die Lehre von der Erbsünde und von der Gnade (der Prädestination) bis zur Ausschließung der Freiheit gesteigert hat«.20 Augustins Sünden- und Gnadenlehre wird in der protestantischen Durchschnittsdogmatik als verstärkende Rahmentheorie für die reformatorische Lehre von Rechtfertigung, Versöhnung und Wiedergeburt benutzt. Die Tatsache, daß Augustinus selbst an diese Theorien »nichts weniger als die reformatorischen Folgerungen […] geknüpft hat« (ebd.), wird mit Stillschweigen übergangen. Wenn man sich jedoch vor Augen führt, welche Stellung ihnen in Augustins Theoriegefüge insgesamt zukommt, dann ändert sich das Bild einschneidend. Augustinus kennt beim Einzelnen nicht die Möglichkeit der Gewißheit seiner Prädestination zum Heil, und darum verweist er ihn als Ersatz dafür strikt an das sakramentale Gnadenangebot der Kirche, welches ihm die Möglichkeit des verdienstlichen Handelns eröffnet, in dem er dann doch vermutungsweise die Hoffnung nähren kann, er gehöre zu den von Gott zum Heil Erwählten. Aber die sichtbare Katholische Kirche ist nicht nur Heilsanstalt, welche dem Einzelnen die Möglichkeit eröffnet, sich empfangend und werktätig zugleich über den Abgrund der Prädestinationsfrage hinwegzuretten. Sie ist zugleich auch »das Reich Gottes selbst […], welches seit dem Sündenfalle seine Existenz gegenüber dem irdischen Reiche hat; dieses aber ist der Weltstaat, wie er in der römischen Herrschaft jener Zeit gegenwärtig war« (ebd.). Der weltliche Staat ist für Augustinus das Reich und das Organ der Sünde (156 f.): »Nicht erst Gregor VII. hat diesen Gedanken erfunden; er stammt von Augustin her als das Gegenstück zu der Auffassung der Kirche als des Reiches Gottes.« Eine ihrer Aufgabe gerecht werdende dogmengeschichtliche Darstellung Augustins hat ihre vornehmste Aufgabe also darin, sein Denken in seiner ganzen Komplexität und in seinen ursprünglichen zeitgeschichtlichen Bezügen darzustellen (157): »Wenn Jedermann den Anspruch hat, daß man ihn aus dem ausgesprochenen Zusammenhange seiner Ansichten verstehe, so hat gewiß ein Mann von der enormen Bedeutung Augustins diesen Anspruch doppelt und dreifach, und es ist endlich an der Zeit, daß man die Manier aufgiebt, den abstracten Pol seiner Weltanschauung, die Bestimmungen über Erbsünde und Prädestinationsgnade, als die directen Prämissen eines lutherisch orientirten ›Kirchenglaubens‹ darzustellen, von dessen Folgerungen Augustin keine Ahnung gehabt hat.«
Diesen Deutungsrichtlinien entspricht exakt der Ort, den Ritschl Augustinus im Verlauf der Dogmengeschichte anweist. Nachdem in den ersten Jahrhunderten die 20
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Lehren von Gott und seiner Offenbarung in Jesus Christus im Zentrum der kirchlichen Lehrbildung gestanden haben, während die Lehren von der Kirche und den Sakramenten eher als deren unselbständiger Anhang zu stehen kamen, repräsentiert Augustinus das zweite dogmengeschichtliche Zeitalter, in dem die Lehre von der Kirche und den Sakramenten ins Zentrum des produktiven Interesses tritt. Eine analoge Akzentverschiebung läßt sich in den Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita beobachten, so daß nach Ritschl mit diesen beiden Autoren ein neues dogmengeschichtliches Zeitalter seinen Anfang nimmt. Dieser Anfang ist spezifisch verschieden gestaltet: Die Lehrform des Areopagiten, der die weitere Entwicklung im Osten bestimmt, ist »metaphysisch-kosmisch ausgeprägt«, während »die Weltanschauung Augustins ethisch-historisch […] gehalten« ist (155). So markiert Augustinus für die Dogmengeschichte in zwiefacher Weise eine Zäsur: Er eröffnet eine neue Periode, und er tut das in besonderer Weise, die den Weg der Westkirche markiert, der von der Ostkirche weg zu einer eigenen Gestaltung des Lebens und des Denkens führt. Ritschls konstruktiv-historiographisches und sein kritisch-dogmatisches Interesse an der dogmengeschichtlichen Aufgabe kommen hier miteinander in hellster Deutlichkeit zur Geltung. Wenn man Augustinus geschichtlich Gerechtigkeit widerfahren läßt, dann erhält man zugleich die willkommene Handhabe, einen zählebigen Komplex katholischer Reste endlich zu beseitigen, welchen die Reformatoren aus zeitgeschichtlich verständlichen Nötigungen bestehen ließen und der sich dann, nicht zuletzt durch die Wirkungen des Pietismus, in der wissenschaftlichen Gestalt protestantischer Selbstverständigung schon viel zu lange gehalten hat. Auch den Hinweis auf den zeitgeschichtlichen Kontext seiner Argumentation unterläßt Ritschl nicht (157): »Denn die Nachweisung des Reiches Gottes in der Kirche und die Darstellung des Staates als des Reiches des Teufels ist nicht eine individuelle Schrulle Augustins, sondern der Schlüssel zu der mittelaltrigen Gestaltung der Kirche und ihrem Verhältnisse zum Staat, welche gerade heutzutage von dem Bischofe von Rom mit aller Zähigkeit aufrecht erhalten werden.«
B) Die von Ritschl angedeutete Verbindungslinie zwischen Dogmengeschichte und vergleichender Konfessionskunde hat einige Jahre später sein Schüler Ferdinand Kattenbusch (1851 – 1935),21 in recht schülerhafter Manier die Thesen des Meisters aufnehmend und nicht wirklich zuspitzend, sondern eher vergröbernd, kräftig nachgezogen. In der zweiten seiner viel gelesenen Kritische[n] Studien zur Symbolik22 Vgl. Kattenbuschs Selbstdarstellung in E. Stange (Hg.): Die Religionswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Joachim Weinhardt (Hg.): Albrecht Ritschl – Ferdinand Kattenbusch. Briefwechsel 1878 – 1889. 22 Vgl. dort 179 – 253, bes. 190 – 215. 21
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wendet sich Kattenbusch emphatisch gegen eine Deutungsrichtung, die Augustinus zum ›Ahnherr[n] der Reformation‹ stilisiere und bezeichnet ihn im Gegenzug als ›Vater des römischen Katholicismus‹ (190). Dieser lebe hauptsächlich von »religiöse[n] Motive[n], welche von Augustin herstammen« (191). Die Lehre von der Heilsnotwendigkeit der sichtbaren, bischöflich verfaßten Kirche bilde den »Mittelpunkt seiner [Augustins] ganzen Theologie« (192). Die Kirche erfaßt er, anders als im orientalischen Christentum, als energische, vorwärtstreibende Erziehungsmacht und zugleich als weltbeherrschende Theokratie. Der innere Grund für diesen eminent hohen Anspruch liegt in »dem berauschenden Gedanken, das Reich Gottes schon selbst zu sein« (202), den Augustinus in Umprägung des herkömmlichen Chiliasmus in De civitate dei XX, 6 ff. entwickelt habe (201). Ganz konsequent sei es, daß Augustinus die Kirche als ›eine Art Staat‹ verstehe (210), der zum weltlichen Staat nur ein positives Verhältnis haben könne, sofern dieser sich als ›ihr Trabant‹ verstehe und verhalte (203). Auch bei Kattenbusch fehlt nicht der aktuelle Seitenblick (201): »Wir haben in jenem Gedanken Augustins den eigentlichen Rechtstitel und das leitende Motiv für die Politik, welche die Päpste bis auf die Gegenwart festhalten.« Das Augustinus-Bild, das hier entsteht, ist scharf profiliert: Augustinus hat eine Gesamtdeutung des Christentums vorgelegt, in der die Gnaden- und Erwählungslehre dem Einzelnen die Heilsfrage mit größtmöglicher Schärfe einbrennen – sie bleibt mit einer in der Basis des Systems selbst verankerten Notwendigkeit ohne feste, verläßliche Antwort. Es ist diese strukturell bedingte letzte Ungewißheit, welche den Einzelnen der durch und durch autoritär verfaßten Kirche mit ihren Hilfsund Trostmitteln in die Arme treibt. Die religiösen Ängste und Nöte der Menschen, welche durch die Sorge nach dem Heil umgetrieben werden, bilden also das Fundament, auf welchem die Bischofs- und Papstkirche seit der Spätantike das Gebäude ihrer Herrschaft über die Seelen und über die Welt aufgerichtet hat – bis die Reformation es zerbrach, wo sie zur Wirkung gelangen konnte. Es ist deutlich: Ritschl und Kattenbusch geben Augustinus als Bezugspunkt und Gewährsmann evangelisch-theologischer Lehrbildung den Abschied und schieben ihn in dieser Funktion dem Römischen Katholizismus zu.
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2. Hermann Reuter
Widerspruch gegen dieses Verfahren kam von Hermann Reuter.23 Sein Göttinger Kollege Ritschl schätzte ihn sehr und gab der Erwartung Ausdruck, er werde von diesem Kollegen, den er für »den Renommierteste[n] in der Kirchengeschichte«24 hielt, lernen können. Die Gelegenheit dazu eröffnete sich ihm spätestens, als Reuter seit 1880 in der Zeitschrift für Kirchengeschichte seines Schülers Theodor Brieger eine Reihe von fünf Augustinische[n] Studien publizierte, die, jeweils ergänzt und um zwei weitere vermehrt, 1887 auch als stattliche Monographie erschienen.25 Ritschls und Kattenbuschs Thesen sind in Reuters Studien allgegenwärtig. Aber was er in seinen Untersuchungen vorgelegt hat, ist weit mehr als bloß ein ephemerer Debattenbeitrag. Vielmehr sind die Studien bis heute nicht nur höchst lehrreich, sondern zugleich mustergültig in der Berücksichtigung des Materials und in ihrer streng durchreflektierten Methodik. Reuters Kenntnis der Werke Augustins bis in letzte Verästelungen hinein ist stupend. Und Reuter achtet bei der Interpretation der Quellen immerfort penibel auf die werkbiographischen Zusammenhänge. Er nimmt Augustins Denken als lebendigen, unabgeschlossenen Prozeß wahr, in welchem fort und fort neue Motive auftauchen, ältere in den Hintergrund treten und in dem sich, hervorgerufen durch innere wie äußere Impulse, Wendungen ereignen, die jeden Versuch der flächigen Systematisierung zum Scheitern verurteilen. Damit nicht genug: Daß Augustins theologische Gedankenwelt nicht aus einem Guß ist, hat noch einen weiteren Grund, den Reuter durchgängig berücksichtigt. Der Theologe Augustinus hat ja nicht von Grund auf neu gebaut, sondern er hat eine geprägte Gestalt katholisch-kirchlichen Lebens und Denkens vorgefunden und seine eigenen Gedanken in diese Vorgaben hineingeschmiegt. Die eigentlich originellen Vgl. Th. Kolde: Reuter, Hermann; vgl. auch Ekkehard Mühlenberg: Göttinger Kirchenhistoriker im 19. Jahrhundert, bes. 251 – 255. Reuter hatte sich als Verfasser eines dreibändigen Werks über Papst Alexander III. einen bedeutenden Namen in der Zunft evangelischer Kirchenhistoriker gemacht; eine zweibändige Studie über Die religiöse Aufklärung im Mittelalter war im Erscheinen begriffen, als er 1876 nach Göttingen berufen und dadurch Ritschls Fakultätskollege wurde. 24 Vgl. den Brief Ritschls an Ludwig Diestel vom 12. II. 1876 in: Otto Ritschl: Albrecht Ritschls Leben, 284. 25 Hermann Reuter: Augustinische Studien. – Interessant ist die Widmung des Bandes, denn sie zeigt Reuters große wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung: Sie gilt seinen drei Schülern Theodor Brieger, Theodor Kolde und Paul Tschackert. Brieger (vgl. Karl-Heinz zur Mühlen: Brieger, Theodor) lehrte Kirchengeschichte als Ordinarius in Leipzig, Kolde [vgl. Karlmann Beyschlag: Die Erlanger Theologie, 136 – 140 sowie Hanns-Christof Brennecke: Zwischen Luthertum und Nationalismus. Kirchengeschichte in Erlangen, 246 – 252] wirkte in der gleichen Stellung in Erlangen. Tschackert lehrte in Königsberg und wurde 1890 in Göttingen Reuters Nachfolger. Er starb 1911, und seine Nachfolge trat mit Carl Mirbt ein weiterer Schüler Reuters an (vgl. Johannes Meyer: Geschichte der Göttinger theologischen Fakultät, 7 – 107, bes. 81). 23
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Gedanken Augustins sind also immer nur so zu ermitteln, daß sie sorgsam von ihrer ›vulgär-katholischen‹, wie Reuter gern sagt, Grundlage abgehoben werden. Reuters Themen und Ergebnisse seien kurz umrissen: Die beiden ersten Studien sind dem Verhältnis der Gnadenlehre und der Ekklesiologie Augustins gewidmet. Reuter verficht die These, zwischen beiden Gedankenkreisen sei genetisch kein Zusammenhang nachweisbar, sondern sie seien ihm vielmehr jeweils aus unterschiedlichen religiösen, intellektuellen und zeitgeschichtlichen Kontexten zugewachsen. Folglich seien sie auch nicht aufeinander abzubilden, so daß zwischen ihnen scharfe Differenzen bestünden: Der Zweig von Augustins Denken, in dem er, Motive Cyprians und der früheren antidonatistischen Polemik (Optatus von Mileve) aufnehmend, die Heilsnotwendigkeit der hierarchisch-institutionellen Kirche betont, sei unvereinbar mit seiner Erwählungslehre, die er so zuspitzen kann, daß sie die geschichtlichen Instanzen der Heilsvermittlung völlig vergleichgültigt. Es gilt beides: Augustinus hat den vulgärkatholischen kirchlichen Positivismus theologisch untermauert, und er hat ihn auch zersetzt! – Gemäß der dritten Studie werden institutionell-verfaßte Kirche und Reich Gottes in Augustins Denken keinesfalls einfach und einlinig miteinander identifiziert. Die vierte fragt nach der Stellung Augustins im Prozeß der Auseinanderentwicklung von Ost- und Westkirche: Augustinus selbst hatte noch kein spezifisch ›westliches‹ kirchliches Selbstbewußtsein, vielmehr war seine Kenntnis der griechischen Sprache und Theologie erheblich besser entwickelt, als man gemeinhin annimmt. Aber er hat, ohne daß er es wußte oder gar wollte, dem Westen kirchlich und theologisch in erheblichem Maße seinen Sonderweg gewiesen. Die fünfte Studie zeigt, daß Augustins ursprüngliches Bild der Kirche nicht von spezifisch hierarchischen Interessen bestimmt war; erst die konkreten antidonatistischen Kämpfe haben ihn in diese Richtung gedrängt und ihm Folgerungen abgenötigt, die in das Gesamtgefüge seines Denkens nicht wirklich hineinpassen. Augustins Bild des christlichen Lebens bringt die sechste Studie zur Sprache, nach der auch hier heterogene Motive einander kreuzen: Einerseits kann er das irdische Leben als Ort würdigen, an dem ein Vorgeschmack ewiger Seligkeit möglich ist und der sich deshalb dem Christen positiv als Stätte ethischer Gestaltung darbietet, anderseits kann er das irdische Leben als unwirtlichen, feindlichen Ort abwerten, an dem sich allein in asketischer Distanz überdauern läßt. Die abschließende Studie mit dem Titel Zur Würdigung der Stellung Augustin’s in der Geschichte der Kirche faßt noch einmal Reuters Einwände gegen Ritschls Großkonstruktion zusammen und setzt ihr ein Deutungsmuster entgegen, das sich sehr viel enger am geschichtlichen Individuum ›Augustinus‹ und den konkreten Bedingungen seines Lebens und Wirkens orientiert. Zunächst lehnt es Reuter ab, mit Augustinus eine neue Periode der Kirchengeschichte beginnen zu lassen, denn er hat durch sein Wirken weder das Leben noch die Verfassung/Sozialgestalt und die Weltstellung der Kirche seiner Zeit durchgrei-
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fend modifiziert.26 In der Dogmengeschichte, deren Bereich Reuter stillschweigend auf die Geschichte der normativ-gesetzlich verfestigten Lehren von der Dreieinigkeit und Menschwerdung restringiert, markiert er keine epochale Zäsur (482 – 485). Und mit ihm beginnt, so führt Reuter gegen Ritschl aus, keine dogmengeschichtliche Periode, die an der Kirche ihren Zentralgegenstand gehabt hätte. Gerade in seiner unmittelbaren Wirkungsgeschichte läßt sich diese These nicht verifizieren, und damit fällt die schöne Parallel-Konstruktion Ritschls mit Augustinus und Pseudo-Dionysius weg: Augustinus fand noch keine spezifisch vom Osten unterschiedene westliche Kirche vor, sondern diese entstand erst in der Folge seines Wirkens (485 – 488). An dieser Stelle schlägt Reuters Argumentation um: obwohl er mit Augustinus weder eine kirchen- noch eine dogmengeschichtliche Periode beginnen lassen möchte, will er dessen Rang und Bedeutung nicht mindern, sondern vielmehr seine unvergleichliche Eigenart, die unermeßliche Weite und Wucht seiner Wirkung überhaupt erst sichtbar machen. Allerdings: diese Wirkung beschränkte sich auf den Westen. Möglich war sie, weil ihr in der Frömmigkeit und Theologie der westlichen Kirche schon der Boden bereitet war (484 f.): »Nun glaube ich allerdings, daß man in dem Occidente vor Augustin Stimmungen und Richtungen auszumitteln imstande sei, welche in ihm den sie selbst erst deutenden Herold gefunden haben.« Wie war das möglich? Der Verweis auf Augustins ›geniale Kraft‹, so richtig er ist, erklärt nichts, sondern benennt nur die ›Voraussetzung‹, nicht die ›Bedingung‹ seiner Wirksamkeit. Die Aufgabe, diese zu bestimmen, löst Reuter in einer genialen Skizze. Er setzt ein mit einem Vergleich mit Origenes. Zu dessen Lebenszeiten war die Situation der katholischen Kirche nach langer scheinbarer Rechtssicherheit unversehens tödlich gefährdet. Aber gerade durch ihre Haltung in dieser Gefahr nötigte sie auch ihren schärfsten Gegnern, den ›Fanatiker[n] der Kulturidee‹ (489), ein Minimum an moralischem Respekt ab. Das hatte sich zu Augustins Lebzeiten in der werdenden Reichskirche umgekehrt: Die Ecclesia Catholica, von den Kaisern begünstigt, hatte einen rapiden Verfall ihres moralischen Kredits hinnehmen müssen. Ihr eigener Katholizitätsanspruch war durch Schismata und Häresien dem Widerspruch der Tatsachen preisgegeben. Der ›Irrationalität des katholischen Dogmas‹ (490) hielt der kirchliche Autoritätsanspruch notdürftig die Waage. Gerade die Vertreter des Rechts der ›freien religiösen Überzeugung‹ mußten sich zwangsläufig als Gegner des staatlich privilegierten Zwangskirchentums verstehen und positionieren. Der in katholischem Milieu aufgewachsene Augustinus nun hat genau diese religiösen (Manichäismus) und philosophischen (Skepsis) antikatholischen Tendenzen in seinen Werdejahren realisiert und intellektuell wie existentiell angeeignet. Trotz alledem blieben ihm unaustilgliche Reste seines katholischen Kindheitsglau26
Vgl. Reuter: Augustinische Studien, 481.
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bens erhalten, und in der Person des Ambrosius strahlte dieser ihm, platonisch und paulinisch durchgeistigt, neu und so überzeugend auf, »daß er die katholische Taufe begehrte« (491). Er beugte sich genau der ›Auktorität‹, der gegenüber er sich das ›Recht der Kritik‹ zuvor eifersüchtig vorbehalten hatte (490). Diese Beugung vollzog er mit Wissen und Willen, aber er blieb doch in ihr und trotz ihrer derselbe, zu dem ihn seine Lebensgeschichte geformt hatte (491): »Die Stimmungen des suchenden Philosophen, die des häretischen Oppositionsmannes, die selbstgemachten Erfahrungen von dem Leben in dem Kreise der Sekte, von dem Leben in den Kreisen der gebildeten Heiden, die Kunde von den Kritiken, welche man hier über die Kirche fällte, waren von ihm nicht vergessen, als er von der Hand des Ambrosius das Sakrament empfing.«
Dieses lebensgeschichtliche Erbe, das er bei seiner Rückkehr in die Ecclesia Catholica mitbrachte, motivierte und befähigte ihn, die ›Feinde‹, die er in sich selber besiegt zu haben glaubte, klug und geschickt zu bekämpfen. Aber das ist nur die äußere Seite der zwieschichtigen Dynamik: Er brachte auch die inneren Resultate seines bisherigen Lebens- und Denkweges mit, als er zum katholischen Kirchenmann wurde (491 f.): »Die religiösen Krisen, welche von dieser genialen Natur erlebt ein noch Mehreres waren als dies, – Krisen des nach Gewißheit ringenden Menschengeistes lieferten einen Stoff, welchen die Kirche in dieser Weise bis dahin noch nicht gekannt hatte.« Augustinus brachte also in die religiös-theologischen Diskurse seiner Kirche ganz neue Spannungskonstellationen samt überzeugenden Ansätzen zu ihrer gedanklichen Klärung und Bewältigung ein und erschütterte so die Fundamente dieses Kirchentums, nicht mit subversiver Absicht, sondern im unerschütterten Bewußtsein, es handle sich um einen ›Stoff‹, den er mit gutem Recht »als kirchlichen voraussetzte, im Dienste der Kirche verarbeitete« (492). Er schuf im Raume der Ecclesia Catholica eine neue Diskursebene, welche die zuvor einzige, die vulgär-katholische, zur unteren machte. Durch den neuen Einschuß religiöser und intellektueller Impulse, der in und mit Augustinus geschah, entstand der »Unterschied von vulgär katholisch und augustinisch« (492). Das Christentum Augustins markiert den Differenzierungssprung, in dem die Stufe des ›Vulgärkatholischen‹ Gestalt gewann, weil und sofern sich an und aus ihr eine neue Stufe christlichen Denkens gebildet hatte. All das zeigt sich natürlich, so Reuter, erst dem rückschauenden Betrachter. Augustinus selbst wollte nichts sein als eben wissentlich und willentlich Katholik; sein eigenes Denken identifizierte er schlichtweg als ›katholisches‹ (492): »im entgegengesetzten Falle hätte er ja sein Eigentümliches als ein Häretisches verurteilen müssen«. In den tragenden Grundschichten seines Bewußtseins wurde er mit seiner Bekehrung (wieder) Vulgärkatholik, und er blieb es mit voller Überzeugung für den Rest seines Lebens. So hat sich Augustinus bewußt in das von ihm nach langem
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Widerstreben als Autorität anerkannte Kirchentum hineingefügt und sich mitsamt seinem ganzen inneren Reichtum in seinen Dienst gestellt. Durch seinen Dienst hat er es gefestigt und gestärkt, aber er hat ihm eben auch tiefreichende, dauerwirksame Infragestellungen eingestiftet. Die Eigenart der vielschichtigen Wirkung Augustins macht Reuter klar, indem er mit vergleichendem Rückblick auf Markion seine Bedeutung für die Wirkungsgeschichte des Paulinismus skizziert: Markion war mit einer Situation konfrontiert, in der die werdende katholische Kirche sich erst im Prozeß ihrer Verfestigung befand. Er handelte in der Hoffnung, diesen Prozeß im Sinne des von ihm vertretenen Radikalpaulinismus zu steuern und scheiterte damit. Augustinus hingegen hat das paulinische Evangeliumsverständnis unter den Bedingungen der gefestigten reichskatholischen Kirche und als ihr treuer Sohn und Diener entfaltet (494): »Man darf sagen, der Bischof von Hippo Regius habe das paulinische Evangelium, wenn auch nicht in seinem ganzen Umfange und seiner ganzen Tiefe, doch so, wie man es seit drei Jahrhunderten nicht mehr gekannt hat, wieder erschlossen, – in die Herzen wenigstens vieler Zeitgenossen übertragen, weil er es zuvor in dem eigenen erlebt hatte, – diesen dem Namen nach hochgeehrten, vielfach citierten, aber doch verbannten Apostel wieder in die Kirche zurückgerufen.«
Nichtsdestotrotz: sein Paulus-Verständnis blieb doch auf dem vorgegebenen vulgärkatholischen Boden, also gesetzlich grundiert und deswegen letztlich in der Sache unzureichend (493): »Nicht als ob er, in seinem Herzen anders denkend, sich dessen aus Rücksichten der Klugheit enthalten hätte; nein, auch er war in das Gesetzliche noch irgendwie verstrickt, […]; nichtsdestoweniger hat er Gedanken entwickelt, welche geeignet waren das gewohnheitsmäßige, durch den Pelagianismus in der Sphäre seiner Wirkungen gesteigerte gesetzliche Christentum der Zeitgenossen zur Selbsterkenntnis zu bringen, in deren Bewußtsein eine Krisis anzuregen.«
Folgendermaßen faßt Reuter diesen Aspekt seiner Beobachtungen zusammen (494 f.): »er hat in den Kreisen, in denen, auf die er wirkte, eine Umstimmung des religiösen Bewußtseins bewirkt, ohne doch die Katholicität desselben gefährden zu wollen. – Er selbst wurde durch die Macht des vulgär Katholischen beherrscht und verkündigte doch das eigentümlich Augustinische als Katholisches.«
Reuter sieht es als Aufgabe weiterer Forschung, die feinen Differenzen genauer zu ermitteln. Seine Ablehnung von Ritschls Großkonstruktion zur Wirkungsgeschichte darf man nicht mißverstehen. Das leitende Erkenntnisinteresse Ritschls kritisiert er nicht prinzipiell, moniert aber, daß es durch dessen Konstruktion nicht hinreichend
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befriedigt werde. Sicher, Augustinus »gilt auch mir als Begründer des römischen Katholicismus« (497). Und er hat überdies »durch sein geniales litterarisches Schaffen, durch die Wucht der Persönlichkeit in so epochemachender Weise auf das theologische Denken im Occidente eingewirkt, in demselben nachgewirkt, daß man sagen darf, die spätere Trennung desselben von dem Oriente sei wider seine Absicht dennoch von ihm vorbereitet« (499). Seine genuine religiös-theologische Zentralidee war die Gnade Christi. Aber wirkungsgeschichtlich hat sich eine Akzentverschiebung ergeben, durch die Augustinus, gegen seine eigenen Intentionen, zum Vater der spezifisch abendländisch-katholischen Kirchenidee wurde. Der kurialistischpapalistische politische Augustinismus des Mittelalters ist, so deutet der exzellente Mediävist Reuter an, durchaus eine Linie der Wirkung Augustins, aber in ihm hat sich lediglich ein Aspekt von Augustins Denken fortgesetzt, und man darf sich durch diesen Strang der Wirkungsgeschichte nicht den Blick für die ganze originäre Vielschichtigkeit des genuin Augustinischen Denkens trüben lassen. Die wird vielmehr erst dann angemessen gewürdigt, wenn man sich klar macht, daß beispielsweise nicht nur die kurialistische, sondern auch die kaiserliche Publizistik im Zeitalter des Investiturstreits ihre intellektuellen Unkosten mit Gedanken Augustins bestritten hat!27 Generell gilt (507): »Aber nicht bloß das römisch-Katholische ist durch unseren Autor, sei es vorbereitet, sei es begründet, sondern auch – merkwürdig genug – manche freiheitlichen, oppositionellen Bewegungen des Mittelalters sind wenigstens teilweise durch seine Schriften motiviert«, denn: »seine Wirkung auf das ganze Mittelalter ist geradezu als eine unermessliche zu bezeichnen« (511).
Auch nach Ende des Mittelalters haben sich die Wirkungen Augustins keineswegs auf die Römisch-katholische Kirche beschränkt. Mit Ritschl lehnt Reuter die naive Vereinnahmung der Augustinischen Sünden- und Gnadenlehre durch die protestantische Dogmatik ab (512): »Die in den Jahren 1830 – 1870 viel gebrauchten Phrasen ›Augustin ist der Vater des evangelischen Protestantismus, Pelagius der des Katholicismus‹ werden heutigen Tages wohl noch selten gelesen«. Aber seine Sicht der Wirkungen Augustins fällt wesentlich differenzierter aus: Rein geistesgeschichtlich betrachtet, sind die unterschiedlichen Spielarten reformatorischer Theologie ohne Augustinus und seine das ganze Mittelalter gestaltenden Wirkungen nicht zu verstehen. Und daß Luther, mehr noch Melanchthon, Augustinus als den sahen und schätzten, der ihre eigenen Intentionen bzw. das Evangelium vertreten habe, ist nicht einfach falsch. Es gibt bei Augustinus solche ›evangelischen‹ Gedanken ebenso Ebd. 508; vgl. hier auch den Hinweis Reuters auf seinen damals jungen Schüler Carl Mirbt (vgl. in Kürze Martin Ohst: Mirbt, Carl) und dessen Dissertation Die Stellung Augustins in der Publicistik des gegorianischen Kirchenstreits. Mirbts opus magnum zu diesem Thema Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. ist noch heute ein unentbehrliches Standardwerk. 27
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eindeutig, wie es die ›katholischen‹ gibt. Beide sind gleich ernst zu nehmen. Es wäre historiographisch wie theologisch gleich verhängnisvoll, wollte man Augustins in sich disparaten Reichtum an Gedanken und Impulsen auf einen Zweig seiner späteren Aneignungsgestalten reduzieren (514 f.): »Die höchste Aufgabe kann nur sein, – nicht die eigenen Gedanken in den Text dieser Schriften einzutragen, sondern seine Person im Zusammenhange mit ihrer Geschichte, mit der Kirchen- und Kulturgeschichte der Zeit, seine Lehren unter Berücksichtigung ihrer Voraussetzungen (d. h. ihrer historischen Bedingtheit), wie ihrer (gradweisen) Originalität nach zu verstehen; – was freilich ohne Kritik nicht möglich ist.«
So weit dieser kurze Überblick über die Grundstrukturen von Reuters Studien. Im Vergleich mit Ritschl und Kattenbusch zeigen sich Gemeinsamkeiten und Differenzen. Eine Gemeinsamkeit liegt grundlegend darin, daß Reuter wie Ritschl Geschichtswissenschaft mit einem direkten und reflektierten normativ-theologischen Interesse betreibt: »der, welcher lediglich als kritischer und kombinatorischer Historiker das Quellenmaterial durcharbeitet, vermag weder den Wert der dogmengeschichtlichen Größen richtig zu schätzen, noch den Zusammenhang einer historischen Reihe zu begreifen. Er sieht vieles gar nicht, weil er das Auge nicht mit dem spezifisch geeigneten optischen Werkzeuge bewaffnet hat.«28
So ist es nicht verwunderlich, daß Reuter, der, anfangend mit einer kleinen Monographie zur Ethik Schleiermachers, auch eine stattliche Reihe von Beiträgen zur Systematischen Theologie vorgelegt hat, sich en passant gern auch systematische Scharmützel mit Ritschl liefert.29 Wichtiger für unser Thema ist, daß beide die genuine historisch-theologische Aufgabe unterschiedlich akzentuieren: Ritschls Hauptinteresse haftet am Protestantismus als einer kirchengeschichtlichen Gesamterscheinung, die von ihren Anfängen her noch an ihrer angemessenen institutionellen und intellektuellen Selbstgestaltung arbeitet, die nur gelingen kann, wenn sie von hinreichend geschärftem Differenzbewußtsein zu anderen kirchlichen Gestalten Ebd. 1, vgl. auch 514 f. Anm. 2: »Ohne Verständnis des Christentums ist auch das Verständnis seiner geschichtlichen Entwicklung durchaus unmöglich; jenes Verständnis aber kann sich nur ergeben dem, der persönlich darin steht, in dem christlichen Leben. Für den draußen Stehenden verzerrt sich die Geschichte der christlichen Kirche notwendig zur ekelhaften, widerwärtigen Karrikatur. Was sie eigentlich bewegt, ist für sein Auge gar nicht erkennbar; er kann darin nichts anderes entdecken als ein Getriebe der schlechtesten Leidenschaften und des blindesten Wahnes. Nur ein Christ, der es von ganzem Herzen ist, kann eine Kirchengeschichte geben.« 29 Vgl. z. B. ebd. 34, 215, 370. 28
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des Christentums begleitet und unterstützt wird. Es ist dieses Grundinteresse, das Ritschls weitverzweigte, vom Urchristentum bis in die heute so genannte Kirchliche Zeitgeschichte sich erstreckende historische Lebensarbeit prägte. Historische Individuen haben ihn im Grunde nur als mehr oder minder markante Ausprägungen epochenspezifischer Idealtypen interessiert; nie hat er sich in die Rekonstruktion der besonderen, individuellen Gedankenwelt eines Autors um ihrer selbst willen vertieft. Hierauf zielt seine methodische Forderung, dogmengeschichtliche Phänomene primär innerhalb ihres Ursprungskontextes wahrzunehmen. Sie sind ihm von wahrhaft historischem Interesse, weil sie eine geschichtliche Großformation in ihrem Werden, in ihrem Bestand oder in ihrer neues Werden vorbereitenden Zersetzung zeigen. Der Historiker Ritschl nimmt durchgängig eine konfessionskundliche Perspektive ein. Es geht ihm wesentlich um das Werden, die Entwicklung und das Vergehen kirchengeschichtlicher Großformationen, und darin ist sein Interesse begründet und begrenzt.30 Andersartige Züge weist das historiographische Profil Reuters auf. Ihn interessiert primär die religiös-intellektuelle Persönlichkeit im Kontext ihrer religiösen, kulturellen und politischen Lebenswelt. Von ihr und ihren inneren Spannungen her erschließen sich ihm die großen, epochenspezifischen Zusammenhänge, wobei er billigend in Kauf nimmt, daß ihm die großen Deutebegriffe durch die Berücksichtigung des sperrigen, schwer verrechenbaren Details zunehmend fraglich werden.31 Daß die Perspektiven Ritschls und Reuters je für sich erkenntnisfördernd und damit berechtigt sind, dürfte außer Frage stehen, ebenso, daß jemand, der beide miteinander verbinden könnte, als Historiker ein seltener Glücksfall wäre.
3. Adolf von Harnack
A) Diesen Glücksfall hat es in der protestantischen Augustinusforschung und -deutung gegeben, und zwar in Adolf von Harnack.32 Dessen zahlreiche Veröffentlichungen über Augustinus und sein Umfeld können hier in ihrer Gesamtheit Man wird hierin das Erbe des theologischen Hegelianismus identifizieren können, den Ritschl in unterschiedlichen Spielarten in seiner Hallenser Studienzeit und als junger Gelehrter im Kreise F. Chr. Baurs und seiner Schüler in sich aufnahm und von dem er sich allmählich im Zuge der Ausarbeitung seiner eigenen theologischen Position gelöst hat. 31 Auch bei Reuter läßt sich diese Eigenart theologiegeschichtlich einordnen; sie dürfte auf seinen wichtigsten kirchengeschichtlichen Lehrer, den Erweckungstheologen August Neander (1789 – 1850) zurückverweisen, über den Reuter aber weit hinausgeht, sofern ihm die Kirchengeschichte nicht zur catena aurea frommer Persönlichkeiten wird; vgl. Otto Krabbe: August Neander. Ein Beitrag zu seiner Charakteristik. Kurt-Victor Selge: Neander und Schleiermacher. 32 Harnack ist zwar erst am 22. März 1914 in den erblichen Adelsstand erhoben worden; der Einfachheit halber verwende ich jedoch im folgenden diese spätere Namensform von Anfang 30
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nicht gewürdigt werden. Es sollen nur einige Schlaglichter auf sein Augustinus-Bild geworfen werden. Am ausführlichsten ist es im dritten Band seines theologischen Hauptwerks, des Lehrbuch[s] der Dogmengeschichte ausgearbeitet.33 Auf die Grundlinien reduziert kehrt dieses Bild wieder in Harnacks bekanntestem Werk, seinen Vorlesungen über Das Wesen des Christentums.34 Ergänzungen bieten zwei Studien zu Augustins Bekenntnissen.35 Die kirchen- und dogmengeschichtlichen Gesamtperspektiven von Harnacks Augustinus-Bild lassen sich weiterhin sehr prägnant an seinen Studien zu Luther und zur Reformation36 ablesen. Endlich verdient Harnacks monographische Sammlung von prägnanten Augustinus-Zitaten Erwähnung.37 Harnacks wegen seines Umfanges und seiner thematischen Vielfalt schwer überschaubares literarisches Lebenswerk hat sein Zentrum in der Kirchengeschichtsschreibung, die nicht in positivistischer Vielgeschäftigkeit zerfließt, sondern durchgängig von einer spezifisch theologischen Leitintention bestimmt ist, die vor allem im Lehrbuch der Dogmengeschichte und im Wesen des Christentums in ihrer durchreflektierten Tiefe und Reichweite studiert werden kann: Es geht Harnack um die geschichtlich umfassend fundierte Standortbestimmung eines Protestantismus, der sich auf die akzeptierte Moderne als die ihm gestellte Gestaltungs- und Selbstgestaltungsaufgabe einläßt und von ihr aus und um ihretwillen das Verhältnis zu seiner geschichtlichen Herkunft klärt und versteht. Harnacks Lebenswerk, sofern die Dogmengeschichte und die Wesensschrift seine maßgeblichen theologischen Anliegen bündeln, ist als ebenso groß angelegte wie großartige historische Apologie eines sich selbst kritisch verstehenden und akzeptierenden Neuprotestantismus zu verstehen.
an durchgängig. – Als Einführung in Leben und Werk Harnacks bleibt in ihrer Eigenart unübertrefflich die Biographie aus der Feder seiner Tochter: Agnes von Zahn-Harnack: Adolf von Harnack. Aus der neueren Literatur nenne ich drei Titel, die jeweils auch mühelos den Einstieg in die letzthin so erfreulich aufgeblühte Harnack-Forschung ermöglichen: Claus-Dieter Osthövener hat seiner Neuedition von Harnacks Vorlesungen über Das Wesen des Christentums ein ebenso knappes wie inhaltsreiches Nachwort beigegeben (257 – 289). – Für die Jugend- und Bildungsgeschichte Harnacks bietet eine Fülle neuer Einsichten Friedemann Steck (Hg.): Adolf von Harnack: Marcion. Der moderne Gläubige des 2. Jahrhunderts, der erste Reformator. Die Dorpater Preisschrift. – Eine thematisch zentrierte biographische Gesamtdarstellung bietet Christian Nottmeier: Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 – 1930. 33 Auf knapp 200 Seiten; zuerst erschienen 1890, zit. wird im folgenden die 4. Aufl. (Tübingen 1910) nach dem Nachdruck Darmstadt 1983. 34 Zit. im folgenden nach der Ausgabe von Claus-Dieter Osthövener. 35 Adolf Harnack: Augustins Konfessionen (1887). Adolf von Harnack: Die Höhepunkte in Augustins Konfessionen. 36 Ich nenne zwei besonders prägnante Studien aus ganz unterschiedlichen Perioden von Harnacks Lebens- und Werkgeschichte. Adolf Harnack: Die Bedeutung der Reformation innerhalb der allgemeinen Religionsgeschichte. Adolf von Harnack: Die Reformation und ihre Voraussetzung (1917). 37 Adolf von Harnack: Augustin – Reflexionen und Maximen.
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Aus diesem Grund lenkt Harnack als Kirchenhistoriker sein Augenmerk mit Vorzug auf überindividuell und dauerhaft prägende Institutionen und arbeitet auf gesamthafte Darstellungen großer, umfassender Phänomenbestände hin – als beispielhaft dafür können die fünf Kapitel gelten, die den zweiten Hauptteil der Wesensschrift bilden und das Apostolische Zeitalter, die Bildung der Katholischen Kirche, die Ostkirche, den Römischen Katholizismus und den Protestantismus in trennscharfer Unterscheidung voneinander zur Darstellung bringen. Die charakteristischen Züge dieser konfessionskundlich orientierten Arbeitsweise weist auch das Lehrbuch der Dogmengeschichte auf, in dem er wichtige Einsichten und Leitintentionen Albrecht Ritschls aufnimmt und weiterführt.38 Für Harnacks Christentumsauffassung und damit für die besondere Gestalt seines kirchengeschichtlichen Forschens und Fragens ist aber auch eine spezifische Differenz zu Ritschl charakteristisch. Für Ritschl ist nicht primär das Individuum, sondern die Gemeinde Gegenstand und Ziel von Gottes Heilshandeln; sie hat Gott im Berufswerk Jesu gegründet, um mittels ihrer sein Reich heraufzuführen. Der Einzelne empfängt das göttliche Rechtfertigungsurteil und die Versöhnung mit Gott, weil und sofern er sich als Glied der Gemeinde deutet, vollzieht und betätigt. Jede Form der apart-subjektivistischen Gottes- oder Heilandsliebe stand für Ritschl dem Pietismus und seinen mittelalterlich-mystischen, zutiefst katholischen Wurzeln zumindest nahe. Auf diesem Weg ist ihm Harnack nie gefolgt. Für ihn war stets das Individuum das primäre, unhintergehbare Subjekt aller religiösen Deutungen und Vollzüge.39 Darum ist er auch in seiner historiographischen Arbeit trotz aller Orientierung an Institutionen und geschichtlichen Großformationen immer wieder zu bestimmten Personen zurückgekehrt: zu Origenes, zu Luther und am häufigsten und intensivsten zu Augustinus. Hierin zeigt sich eine deutliche Affinität zu Hermann Reuters Art der Kirchengeschichtsschreibung. Und gerade für die Augustinus-Deutung hat Harnack von Reuter viel gelernt: die Augustinischen Studien hat er eingehend und anerkennend rezensiert.40 In der Erstauflage des dritten Bandes seines Lehrbuch[s] der Dogmengeschichte hat Harnack Reuters Studien als ›die beste neuere Arbeit‹ hervorgehoben (44). In der letzten Auflage heißt es zwar nur noch ›die lehrreichste neuere Arbeit‹ (60 Anm.), aber dennoch: Reuters Studien dürften in Harnacks Augustinus-Darstellung zu den allerwichtigsten Referenztexten aus der Sekundärliteratur gehören.
Dessen Aufsatz über die Methode der älteren Dogmengeschichte war für die Konzeption Harnacks von hervorragender Bedeutung. Vgl. Nottmeier: Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 – 1930, 92 f. 39 Vgl. hierzu Nottmeier: Adolf von Harnack und die deutsche Politik 1890 – 1930, 70 – 72. 40 Vgl. Theologische Literaturzeitung 12/1887, 350 – 355. 38
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B) Zwischen Harnacks historischer Orientierung an schöpferischen Individuen und seiner konstanten Vorliebe für Augustinus besteht ein innerer systematischer Sachzusammenhang: Harnack sah Augustins unübertreffliche universalgeschichtliche Bedeutung darin, daß er diesen Gegenstandsbereich der Erkenntnis eröffnet hat, indem er als erster Mensch überhaupt sich selbst als individuelles Subjekt zum Gegenstand literarisch-künstlerischer Deutung und Darstellung gemacht hat: »Kein Dichter, kein Philosoph hat vor ihm das unternommen, was er hier geleistet hat, und, darf ich gleich hinzufügen, fast ein Jahrtausend mußte vergehen, bis wieder ähnliches geleistet worden ist. Erst die Poeten der Renaissance, die sich an ihm gebildet, haben an ihm den Mut gewonnen, sich selbst zu schildern und ihr Ich der Welt zu bieten. Denn was enthalten die Konfessionen Augustins? ein Seelengemälde, nicht psychologische Abhandlungen über Verstand, Wille und Gefühl im Menschen, nicht abstrakte Untersuchungen über die Seele, nicht oberflächliches Räsonnement und moralisierende Selbstbespiegelung wie die Tagebuchblätter Marc Aurels, sondern die genaueste Schilderung eines bestimmten Menschen, eines Individuums in seiner Entwickelung von der Kindheit bis zum Mannesalter in allen seinen Trieben, Gefühlen, Zielen und Irrungen, ein Seelengemälde, mit einer ausbündigen Kunst der Beobachtung gezeichnet, welche die gewöhnlichen Hülsen und Schablonen der Psychologie beiseite läßt und der Methode des Physiologen und Arztes folgt.«41
So sind die Bekenntnisse Augustins eine »literarische […] Tat, die nicht ihresgleichen hat« (57): »Erst er hat aus der lateinischen Sprache ein seelisches Instrument gemacht und ihr und deren Töchtersprachen, ja auch den germanischen, die christliche Seele und die Rede des Herzens gegeben« (Reflexionen und Maximen, Vorwort, unpaginiert). Die eigentliche Großtat war Augustins literarische Selbsterschließung; mit ihr hat er menschheitsgeschichtlich neue Wahrnehmungs- und Erkenntniswelten erschlossen und sich selbst zugleich unsterblich gemacht: »Soviel Kunst er auch aufgewendet hat – er hat die Einheitlichkeit seiner Sprache nicht zerstört; sie ist doch aus einem Guß, weil beherrscht von einer geschlossenen Persönlichkeit. Eine Person tritt uns in ihr entgegen, und wir fühlen, daß diese Person überall viel reicher ist als ihr Wort. Das ist der Schlüssel zum Verständnis der fortdauernden Wirksamkeit Augustins.«42
Augustins Konfessionen, 55 f. – Harnack übersieht nicht, daß das Werk durch und durch rhetorisch stilisiert ist; er räumt ein, daß Augustinus »in manchen Ausführungen uns überspannt und ungesund, sogar unwahrhaft erscheint; allein bedenkt man, daß er im Zeitalter eines tiefgesunkenen Geschmacks und einer verlogenen Rhetorik geschrieben hat, so darf man sich billig darüber wundern, daß er sich so mächtig über die Unsitten der Zeit erhoben hat« (ebd. 58). 42 Augustins Konfessionen, 60. 41
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Dieses letzte Zitat bietet zugleich den Schlüssel für Harnacks Deutung Augustins. Diese soll im folgenden in zwei Arbeitsgängen näher ins Auge gefaßt werden. Zunächst wird, gestützt auf die Wesensschrift, der Standort aufgezeigt, den Harnack Augustinus in seinem Gesamtbild der Kirchengeschichte anweist. Sodann werden vor diesem Hintergrund einige wichtige Züge von Harnacks ausgeführter Augustinus-Deutung im Lehrbuch der Dogmengeschichte vorgeführt. C) Besonders in der Wesensschrift wird der überragende Stellenwert deutlich, den Harnack Augustin in der Werdegeschichte des religiösen Personalismus zuschreibt. Dessen Begründer war er freilich nicht. Diese Stellung kommt vielmehr Jesus von Nazareth zu, der eben deshalb als die in der Überlieferung von ihrem Weg, Werk und Wort zugleich offenbare und verborgene Person in ausschließlich-einzigartiger Weise mit dem ›Evangelium‹ bzw. dem ›Wesen des Christentums‹ zu identifizieren ist. Das Evangelium hat nach Harnack seine Sonderstellung in der Religionsgeschichte darin, daß es »überhaupt keine positive Religion ist wie die anderen, daß es nichts Statutarisches und Partikularistisches hat, daß es also die Religion selbst ist«.43 Dieser Satz erschließt seinen Sinngehalt darin, daß für Harnack Religion im normativen Sinne innerlich zentriertes Leben in seiner Ganzheit ist (12, vgl. auch 97): »Ewiges Leben mitten in der Zeit, in der Kraft und vor den Augen Gottes.« Dieses Leben hat Jesus selbst verkörpert (29, vgl. auch 37): »Er lebte in der Religion, und sie war ihm Atmen in der Furcht Gottes; sein ganzes Leben, all sein Fühlen und Denken, war in das Verhältnis zu Gott aufgenommen.« Seine Worte sind und bleiben von Bedeutung als Reflexe dieses tiefinnerlichen Gottesverhältnisses: Er »war, was er lehrte« (16); »hinter jedem Spruch steht er selbst« (37). Das Evangelium entspringt aus dem Geheimnis der religiösen Persönlichkeit, und seine schöpferische Kraft liegt eben darin, daß es, wo es mitgeteilt und aufgenommen wird, seinerseits solch persönlich-religiöses Leben entbindet (111): »Sie [die christliche Religion; M. O.] hat, als Evangelium, nur ein Ziel, daß der lebendige Gott gefunden werde, daß jeder einzelne ihn finde als seinen Gott und an ihm Stärke und Freude und Friede gewinne.« Genau das hat Jesus in seinem Reden und Tun realisiert – in den unübertragbar-einmaligen Formen, die sein geschichtlich-kultureller Ort ihm vorgab, die aber nicht mit dem in ihnen präsenten Inhalt identifiziert werden dürfen.44 Das Urchristentum hat diesen Personalismus noch in seiner ganzen Erlebnisintensität bewahrt; die Quellen bezeugen, »daß die einzelnen Christen, bewegt vom Geiste Gottes, in ein lebendiges und ganz persönliches Verhältnis zu Gott selbst Das Wesen des Christentums, 43. Vgl. ebd. 17: »entweder das Evangelium ist in allen Stücken identisch mit seiner ersten Form: dann ist es mit der Zeit gekommen und mit ihr gegangen; oder aber es enthält immer gültiges in geschichtlich wechselnden Formen. Das letztere ist das Richtige. Die Kirchengeschichte zeigt bereits in ihren Anfängen, daß das ›Urchristentum‹ untergehen mußte, damit das ›Christentum‹ bliebe.« 43
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versetzt sind« (98). Vor allem Paulus hat die Transformation des Evangeliums Jesu in das Evangelium von Jesus Christus, seinem Opfertod und seiner Auferstehung religiös und theologisch so gestaltet, daß dem Glauben seine unhintergehbare Personalität, sein Freiheitsgehalt und seine Geisthaftigkeit bewahrt blieben. Hierbei konnte es nicht bleiben. Das Evangelium konnte im Wechsel der Generationen und im Prozeß seiner Verbreitung und Inkulturation nur dadurch erhalten werden, daß es sich einen ›Leib‹ anbildete (102, vgl. 106, 114), der es schützte und doch mit eherner geschichtlicher Notwendigkeit zugleich auch einengte und hemmte (114): »Aus der Religion der lebendigen Empfindung und des Herzens wird die Religion der Sitte und darum der Form und des Gesetzes«; es entstand die Katholische Kirche, die ›Lehr- und Gesetzeskirche‹ (119, vgl. 165). Diese Katholische Kirche45 hat sich dann in ihre östliche46 und in ihre westliche47 Gestalt hinein verzweigt. Und im Rahmen seiner Besprechung des westlichen, des Römischen Katholizismus würdigt Harnack Augustinus. Sofern der Römische Katholizismus eben Katholizismus ist, verbindet ihn dieses genus commune mit der Kirche des Ostens. Zwei differentiae specificae sind es, die ihn von jener scheiden. Einmal hat er das Erbe des (west-)römischen Reiches in sich aufgenommen, und zwar in zwiefacher Hinsicht: Das Verständnis des christlichen Glaubens selbst ist zutiefst geprägt von den Strukturgesetzen römischen Rechtsdenkens, und in der im Papst gipfelnden hierarchischen Kirche und ihren immerfort politikförmigen Herrschaftsansprüchen lebt das Imperium Romanum selbst fort. Die zweite differentia specifica ist »der Geist und die Frömmigkeit Augustin’s« (140): »Es ist die wichtigste und wunderbarste Thatsache in ihrer Geschichte, daß sie gleichzeitig cäsarisch und augustinisch geworden ist« (145). Dadurch, daß die Kirche des Westens Augustins Erbe nicht ausgeschlagen hat, hat sie einen tiefen Zwiespalt in sich hinein empfangen: Mitten in der Kirche der Sakramente und des Heiligen Rechts blieben die Sprache und der Geist sublimster religiös-subjektiver Innerlichkeit lebendig und einflußreich, es entstand die »›complexio oppositorum‹ im abendländischen Katholizismus« (147). Der innere Widerspruch, den er der westlichen Kirche eingestiftet hat, durchzog auch Augustinus selbst, »der auch ein entschlossener Kirchenmann gewesen ist, ja das Ansehen und die Macht der äußeren Kirche samt ihrer ganzen Ausstattung aufs kräftigste gefördert hat« (ebd.). Aber nicht nur die systemstabilisierenden Tendenzen in der Geschichte der katholischen Kirche des Abendlandes haben von ihm Impulse empfangen (ebd.): »Die lange Kette katholischer Reformer von Agobard und Claudius von Turin im 9. Jahrhundert bis zu den Jansenisten des 17. und 18. Jahrhunderts und über sie hinaus ist augustinisch.« 45 46 47
Die christliche Religion in ihrer Entwicklung zum Katholizismus, 110 – 124. Die christliche Religion im griechischen Katholizismus, 124 – 138. Die christliche Religion im römischen Katholizismus, 139 – 150.
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Seine religiösen und theologischen Wirkungen wurzeln in den Tiefen seiner Persönlichkeit (146): »Wenn Sie seine Konfessionen lesen, so werden Sie trotz aller Rhetorik, die nicht fehlt, erkennen, daß hier ein Genius spricht, der Gott, den geistigen Gott, empfunden hat als den Fels und als das Ziel seines Lebens, der nach ihm dürstet und außer ihm nichts begehrt«. Er hat Religion als individuelles Gotterleben und Gotterleiden in den Gegensätzen seiner Lebensgeschichte erfahren, und er hat die inneren Bewegungen seiner religiösen Subjektivität unvergleichlich intensiv und authentisch in Worte zu fassen vermocht (ebd.): »Aber die Empfindung des getrösteten Sündenelends hat er mit solcher Kräftigkeit des Gefühls und in so hinreißenden Worten ausdrücken können wie keiner vor ihm; noch mehr – er hat mit dieser Aussage die Seelen von Millionen so sicher zu treffen, ihre innere Verfassung so genau zu beschreiben und den Trost so eindrucksvoll, ja überwältigend vorzustellen vermocht, daß seit nun 1500 Jahren das immer wieder erlebt wird, was er erlebt hat.«
Es ist deutlich: Als religiöses Leben freisetzende religiöse Persönlichkeit mit unermeßlicher Breiten- und Tiefenwirkung reicht Augustinus in die Nähe Jesu und Pauli hinein. Aber das gilt nur formal, denn inhaltlich zeigt sich, daß seine Originalität sehr begrenzt war (145): »Augustin’s Frömmigkeit und Theologie bedeuteten eine eigentümliche Wiedererwekkung der paulinischen Erfahrung und Lehre von Sünde und Gnade, von Schuld und Rechtfertigung, von göttlicher Prädestination und menschlicher Unfreiheit. Während diese Erfahrung und Lehre in den vergangenen Jahrhunderten verloren gegangen waren, erlebte Augustin in seinem Inneren die Erlebnisse des Apostels Paulus, brachte sie auf ähnliche Weise wie dieser zur Aussprache und faßte sie in bestimmte Begriffe.«
Weil Augustinus persönlich-authentisch Grundmotive paulinischer Religion eigenständig erlebt hat, weist die Lehrform, die er auf dieser Grundlage ausgearbeitet hat, bedeutende Unterschiede zu Paulus auf. Anders als der Apostel faßt er die Rechtfertigung effektiv, als Prozeß der allmählichen Gerechtmachung des Sünders durch Gott, auf. Im Zusammenhang hiermit stehen zwei weitere Eigentümlichkeiten (146): »Viel unfreier und skrupulöser jedoch als der große Apostel achtet er auf die Sünde«, und »[z]um Gefühl der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes hat er sich nur selten aufzuschwingen vermocht, und wo er es vermochte, von ihr nicht so zeugen können wie Paulus«. So verweist Augustinus letztlich sowohl positiv vorbereitend als auch durch die Schranken seines Denkens auf die Reformation voraus, wobei sehr genau auf die feine Dialektik in Harnacks Bestimmungen zu achten ist: »die Größe Luthers besteht nicht nur darin, daß er kräftiger und reiner als irgendein Abendländer vor ihm den Augustinismus wieder in Geltung setzte, sondern daß er
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ihn auch selber reinigte, zum Abschluß brachte und ihm dadurch erst die Kraft verlieh, die ihm noch gefehlt hatte, alles Fremde wirklich abzustoßen«.48 Luther hat, so Harnack, den von Augustinus abgesteckten Horizont material und formal gesprengt: Material hat er das Problem der Heilsgewißheit auf eine Weise gelöst, die jenseits alles dessen lag, was Augustinus auch nur ahnen konnte: »Jenes ›Wort‹ [das Wort Gottes, M.O.] war ihm nicht die Kirchenlehre, auch nicht die Bibel, sondern die Verkündigung von der freien Gnade Gottes in Christus, die den schuldigen und verzweifelnden Menschen fröhlich und selig macht, und das ›Erlebnis‹ war eben die Gewißheit dieser Gnade. […] Damit […] ist der innere Zwiespalt im Menschen gehoben, der Druck jeglichen Übels überwunden, das Schuldgefühl ausgetilgt und trotz der Unvollkommenheit der eigenen Leistungen die Gewißheit, mit dem heiligen Gott untrennbar verbunden zu sein, gewonnen.«49
Es ist deutlich, daß hierin die bislang engste Annäherung an den in Jesus gelebten Normbegriff der Religion erreicht ist. Und in Luther gestaltete sich diese Neueinkehr in das Wesen der Religion als ›Reformation‹, d. h. als ›kritische Reduktion‹ (ebd.). Er schmiegte das Neue, das ihm aufgegangen war, gerade nicht in die hergebrachten Formen und Strukturen ein, sondern machte es so geltend, daß es diese zersprengte, wo es zur Wirkung gelangte (151 f.): »Die Religion ist hier wieder auf sich selber zurückgeführt worden, sofern das Evangelium und das ihm entsprechende religiöse Erlebnis in den Mittelpunkt gerückt und von fremder Zuthat befreit [Hervorhebung von mir; M.O.] worden sind. Aus dem ungeheuren, weitschichtigen Gefüge, das man bisher ›Religion‹ genannt hatte, aus jenem Gefüge, welches das Evangelium und das Weihwasser, das allgemeine Priestertum und den thronenden Papst, den Erlöser Christus und die heilige Anna umfaßte, ist die Religion herausgeführt und auf ihre wesentlichen Faktoren reduziert worden, auf das Wort Gottes und den Glauben.«
Harnacks Deutung Luthers und der Reformation wird nicht unterbewertet, wenn man sie letztlich als Teilaspekt seiner Augustinus-Deutung subsumiert. Das heißt aber auch: Harnacks Augustinus-Deutung ist letztlich ohne seine Luther-Deutung weder wirklich zu verstehen noch darzustellen. Und diese Luther-Deutung läßt sich sehr prägnant im Kontrast zu wohlwollenden katholischen Reformationshistorikern in den Spuren von Joseph Lortz und Erwin Iserloh charakterisieren: Diese Autoren konstatieren im Denken und im Werk des Reformators bei aller Empathie und Sympathie einen letztlich christlich und theologisch anstößigen, inakzeptablen Rest, den sie als ›Subjektivismus‹ u. ä. bezeichnen.50 Genau denselben Sachverhalt notiert 48 49 50
Die Reformation und ihre Voraussetzung, 103. Das Wesen des Christentums, 152. Vgl. dazu in Kürze Gottfried Maron: Das katholische Lutherbild der Gegenwart, 42 – 55.
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auch Harnack, wertet ihn jedoch gerade positiv als denjenigen Faktor, der Luther zu mehr macht als zum originellen Theologen oder auch zum religiösen Genie, nämlich eben zum Reformator. Und weil sich erst im Kontrast zum Reformator Luther die letzten Schranken in Augustins Denken und in seiner geschichtlichen Wirksamkeit offenbaren, darum muß Harnack mit zwingender sachlicher Notwendigkeit immer wieder Luther thematisieren, wenn er Augustinus erörtert – und umgekehrt. D) In seinem Lehrbuch der Dogmengeschichte hat Harnack die Grundzüge dieser Deutung Augustins in detaillierter, quellengesättigter Darstellung ausgeführt – wie es ja überhaupt den unvergänglichen Reiz dieses Klassikers ausmacht, daß immer wieder weit ausgreifende Deutungsperspektiven und luzide Einzelbeobachtungen am opulent präsentierten Quellenmaterial einander begründen und erläutern. Die Methodik der historistisch-theologischen protestantischen Dogmengeschichtsschreibung, die Harnack zu ihrer Höchstgestalt emporgebildet hat, wird unweigerlich völlig mißverstanden, wenn man sie in Korrelation mit irgendwelchen modernkatholischen Programmen der ›Dogmenentwicklung‹ oder ›Dogmenhermeneutik‹ betrachtet.51 Emanuel Hirsch (1888 – 1972), selbst Schüler und kritischer Bewunderer Harnacks, der jedoch Karl Holl, seinen eigentlichen Lehrer, noch einmal höher stellte, hat sie folgendermaßen auf den Begriff gebracht: »In ihr hat sich peinliche philologische und historische Akribie, die nichts Zufälliges kennt und vor nichts als Urkundlichem Halt macht, verbunden mit der Aufmerksamkeit auf die letzten großen Fragen der ethisch-religiös verstandnen Wahrheit. In ihr hat sich verbunden die scharfe Beobachtung der Begriffsgestalt mit der Hinwendung auf den letzten Zusammenhang des Sinns. In ihr haben sich verbunden die scharfe Bewußtheit um die Art alles Geschichtlichen, selbst wenn es Antwort eines Denkens auf eine letzte Frage ist, von einem Werdezusammenhange bedingt zu sein, und zugleich, paradox genug, die nicht minder scharfe Bewußtheit um die Entscheidungshaftigkeit alles Geschichtlichen.«52
Harnacks ausgeführte Augustinus-Darstellung ist darin Reuters Studien eng verwandt, daß sie, einen wichtigen Aspekt von Hirschs eben angeführter Darstellung der Methodik geradezu exemplarisch realisierend, Augustins schöpferische Impulse einerseits akribisch ihren geschichtlichen Voraussetzungen zuordnet, sie anderseits deutlich von ihnen unterscheidet. Augustins theologisches Denken ist durch und durch bestimmt durch die Vorgaben spezifisch westlicher Theologie und Kirchlichkeit. Deren Grundschicht ist eine schon in den frühesten literarischen Dokumenten (1. Clem) greifbare, bei Tertullian voll ausgebildete, insbesondere durch den Märty51 52
Vgl. in Kürze Gerhard May: Dogmengeschichte / Dogmengeschichtsschreibung, 915 – 920. Emanuel Hirsch: Kierkegaard-Studien, 958.
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rer-Bischof Cyprian geradezu kanonisierte straff ethisch zentrierte Grundauffassung des Christentums als ›lex‹. Sie ermöglichte es, daß, insbesondere durch Tertullian, aus dem Rechtsdenken, insbesondere aus dem Privatrecht entlehnte Schemata als Interpretamente für das Verhältnis von Gott und Mensch angeeignet und weiter ausgearbeitet werden konnten (›satisfactio‹, ›meritum‹). In diesem Grundverständnis wurzelte eine weitere zukunftsträchtige Eigenheit des westlichen Christentums, nämlich sein psychologisches Interesse. All das ist die positive Kehrseite der Tatsache, daß nach Harnack die Kirche des Abendlandes für die spekulative Theologie des Ostens, wie sie maßgeblich von den Alexandrinern ausgearbeitet wurde, kein echtes Interesse besaß: »Was hier gemeint ist, hängt mit dem Fehlen des speculativen Zuges im Abendland zusammen. Ihm ist es zuzuschreiben, daß das Abendland nicht vor Allem die Vergottung und desshalb die Askese im Auge gehabt hat, sondern das wirkliche Leben bestimmter berücksichtigte, desshalb aber auch dem Evangelium das in höherem Masse abgewann, was dieses Leben zu normiren und zu corrigiren vermochte. So erscheint uns das abendländische Christenthum von Anfang an sowohl volksthümlicher, biblischer als auch kirchlicher.«53
Als Augustinus in den geschichtlichen Gang der westlichen Kirche eintrat, hatte dieser Wurzelgrund schon Bildungen hervorgebracht, die ihn und sein Lebenswerk formen und überdauern sollten. Im Zuge der decisch-valerianischen Verfolgung war das ausgeprägte kirchliche Bußinstitut entstanden; mit ihm war der Anfang der Entfaltung der einen Taufgnade zu einem gefügten System kirchlich vermittelter Gnadenmitteilungen gemacht (37 Anm.): »Die Bußpraxis hat nun bekanntlich im Abendland in steigendem Masse Einfluß auf alle Verhältnisse des Kirchenwesens und der Theologie gewonnen, so daß man schliesslich den ganzen abendländischen Katholicismus des Mittelalters und der Neuzeit von hier aus zu construiren vermag und die feinen Wirkungen der Bußtheorie bis in die enferntesten Dogmen verfolgen kann.«
War schon hierdurch in einer gegenüber dem Osten erheblich gesteigerten Weise der Einzelne religiös an die organisierte Kirche gebunden, so wuchs dieser Beziehung durch den Donatistenstreit noch einmal Bedeutung zu: Es bildete sich – Harnack bezieht sich auf die antidonatistischen Schriften des Optatus von Mileve – die Vorstellung einer objektiven Heiligkeit der kirchlichen Amtsträger, welche mit der Anschauung korrespondiert, daß die Sakramente dieser Amtsträger aus sich heraus, ex opere operato wirksam sind (41): »In diesem Gedanken ist der Katholicismus erst vollendet.« Die Primärabsicht dieser Theorie bestand darin, den Klerus von Heilig53
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keitsforderungen zu entlasten. Aber sie hatte auch eine ihren Schöpfern verborgene Nebenwirkung (45): »Die katholische Lehre von den Sacramenten hat, das sieht man deutlich, ihre Wurzeln in dem Interesse, die Heiligkeit und so die Wahrheit der Kirche trotz der Unheiligkeit der kirchlichen Christen aufzuweisen. Bei diesem Bestreben gerieth man aber merkwürdigerweise auf eine evangelische Spur. Man erinnerte sich, da man die active sanctitas nicht aufzuweisen vermochte, des Glaubens und seiner Bedeutung. Eine grosse Krisis, eine Verlegenheit, in der sich die katholische Kirche mit ihrer Lehre von der Taufe, der Tugend und dem Heil angesichts der factischen Zustände befand, hat sie auf die promissio dei und die fides aufmerksam gemacht. So ist die segensreichste, folgenschwerste Umbildung, welche das abendländische Christenthum vor Luther erlebt hat, aus einer Zwangslage und aus der Noth entstanden.«
Charakteristisch ist die Nachbemerkung, die Harnack diesem Satz hinzufügt (ebd.): »Aber sie wäre nie zum Durchbruch gekommen, wenn sie sich nicht durch die inneren Erlebnisse, die ein katholischer Christ, Augustin, erfahren, aus einer abgenöthigten Theorie in ein freudiges und gewisses Bekenntnis verwandelt hätte.«
Dafür, daß es dazu kommen konnte, waren noch weitere Zwischenglieder notwendig, die Harnack alle mit Ambrosius von Mailand verknüpft. An ihm, dem »Imperator unter den abendländischen Bischöfen« (29) und »priesterlichen Reichskanzler, muss ihm das Imperium der katholischen Kirche aufgegangen sein« (47 f.), aber mehr noch: Ambrosius eröffnete ihm den Zugang zur spekulativen Theologie der Orientalen und zum christlich sich wendenden Neuplatonismus. Und bei Ambrosius lernte Augustinus die transzendentalpsychologische Betrachtung der Sünde kennen, die den herkömmlichen, späterhin in Pelagius sich zentrierenden empiristischen Moralismus weit hinter sich ließ. So führt Harnack seinen Leser geschickt und kundig zu der Einsicht hin, daß die Themen und Thesen, die das theologische Gemeinbewußtsein mit dem Namen ›Augustinus‹ verbindet, keineswegs einfachhin als seine Schöpfungen anzusprechen sind, sondern ihm schon als Resultate der bisherigen Geschichte des westlichen Katholizismus vorgegeben waren (62): »Wenn man […] die verschiedenen Linien verfolgt und convergiren lässt, auf denen sich das abendländische Christenthum im 4. und 5. Jahrhundert entwickelt hat, so kann man ein Gebilde construiren, welches dem ›Augustinismus‹ nahe kommt; ja man kann ihn auch als ein Product der Noth ableiten aus den inneren und äusseren Zuständen, in denen sich die Kirche und die Theologie damals befanden.«
E) Aber das ist noch längst nicht die eigentliche Pointe. Die liegt vielmehr darin, daß das Entscheidende auf diese Weise dennoch zwangsläufig verfehlt würde, weil »man […] nimmermehr den Mann zu erreichen [vermag], der hinter diesem Ge-
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bilde steht und ihm Kraft und Leben verliehen hat« (ebd.). – Die eigentliche Bedeutung Augustins für die Dogmengeschichte loziert Harnack also in Augustins religiöser Subjektivität, die in seinen theologischen Theoriebildungen nur verborgen, gleichsam im Modus der indirekten Mitteilung wirksam ist. Und darum läßt er Augustinus zu Beginn seiner Darstellung einleitend mit einem langen Briefzitat zu Wort kommen, in welchem die Fachterminologie, die man mit ›Augustinismus‹ zu assoziieren pflegt, nicht vorkommt. Harnack zitiert lateinisch, und da mir keine gedruckte deutsche Übersetzung des Texts bekannt ist, wird es vielleicht nicht überflüssig sein, wenn ich meine eigene hierher setze (ep 155,12): »Die Tugenden werden so zu ihrer Vollendung heranwachsen, daß sie Dich zweifelsohne zum wahrhaft seligen Leben, welches nur ewig sein kann, führen. Dort wird man nicht mehr klug (prudenter) das Gute vom Schlechten unterscheiden, weil es kein Schlechtes mehr geben wird. Dort wird man nicht mehr tapfer (fortiter) den Übeln widerstehen, weil es nur noch das geben wird, was wir lieben und nichts, was wir zu ertragen hätten. Dort wird nicht maßvoll (temperanter) die Gier gezügelt, weil wir von ihr nicht mehr angetrieben werden. Dort kommt man nicht mehr gerecht (iuste) demjenigen zur Hilfe, der Mangel leidet, weil es keinen Mangel und keine Unwürdigen mehr geben wird. Dort wird eine einzige Tugend sein, und sie wird zugleich der Lohn der Tugend sein, wie es in den Heiligen Schriften der Mensch sagt, der das liebt: ›Mein Gut ist es, Gott anzuhangen‹ [Ps 72,28 vg]. Darin wird dort die volle und ewige Weisheit bestehen und ineins damit das wahrhaft Selige Leben. Das ist die Einkehr in das Ewige und Höchste Gut, welchem in Ewigkeit anzuhängen das Ziel unseres Gutes ist. Diese [höchste Tugend, die mit ihrem eigenen Lohn identisch ist, M.O.] kann man auch Klugheit nennen, weil sie mit äußerster Umsicht dem Einen, unverlierbaren Gut anhängt – und Tapferkeit, weil sie mit äußerster Festigkeit jenem Gut anhängt, von dem sie sich nicht trennen läßt – und Mäßigkeit, weil sie auf vollendet keusche Weise einem Gut anhängt, von welchem ihr kein Verderben droht – und Gerechtigkeit, weil sie unwandelbar dem Gut anhängen wird, dem sie sich mit Recht unterwirft. Indessen besteht auch in diesem Leben die Tugend allein darin, das Liebenswerte zu lieben. […] Was aber erwählen wir zum Gegenstand unserer Liebe außer demjenigen, über welches hinaus wir nichts Besseres finden? Das ist Gott, und wenn wir liebend ihm etwas vorziehen oder gleichstellen, dann können wir auch uns selbst nicht lieben. Um uns steht es nämlich desto besser, je mehr wir demjenigen zustreben, über dem es nichts Besseres gibt. Wir streben ihm aber nicht zu, indem wir ihm nachlaufen, sondern indem wir es lieben. […] Zu ihm [masc., Gott, M.O.] gelangt man ja nicht auf den leiblichen Füßen, sondern auf den Schwingen der Sittlichkeit. Unsere Sittlichkeit aber pflegt man nicht nach dem Maß unseres Wissens zu beurteilen, sondern nach dem Gegenstand unserer Liebe: Es ist allein unser Lieben, das unsere Sittlichkeit
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formt! [wörtlich: Allein die guten und schlechten (Vor)-Lieben formen unsere guten und schlechten Sitten]. Durch unsere Verkehrtheit haben wir uns von Gottes Wahrhaftigkeit [rectitudo] entfernt. Daher werden wir durch die Liebe zum Wahrhaftigen zurechtgebracht, damit wir als Wahrhaftige dem Wahrhaftigen anhängen können [näher läge die Übersetzung der Derivate von rectus mit ›gerecht‹ etc., aber das würde mit Augustins Verwendung des Wortfeldes für die klassische Tugend der iustitia weiter oben kollidieren].«54
»In diesen Worten offenbart sich die Seele Augustin’s; sie bezeichnen desshalb auch seine dogmengeschichtliche Größe«,55 fährt Harnack im Anschluß an dieses Zitat fort. Man wird diese etwas pathetische Bemerkung cum grano salis verstehen müssen: Die ›Seele‹ Augustins teilt sich hier, wenn man Harnacks eigene Einsichten hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen der Selbstmitteilung von Religion berücksichtigt, natürlich nur indirekt mit, eben unter Aufnahme eines bestimmten sprachlichen Bezugssystems, hier des stoisch-ethischen. Sodann: Faßt man den 155. Brief Augustins, dem das Zitat entnommen ist, insgesamt ins Auge, dann drängt sich die Frage auf, ob Harnack nicht vielleicht in sein Augustinus-Bild von Anfang an eine subtil ironische Brechung einbaut. Der ganze Brief mit seiner scheinbar mühelos in funkelnder Rhetorik entfalteten kleinen Religionsphilosophie und Ethik verfolgt letztlich den Zweck, den Adressaten Macedonius, einen hohen staatlichen Funktionsträger, zum verschärften polizeilich-militärischen Einschreiten gegen die Donatisten zu veranlassen.56 Augustinus agiert hier also als machtpolitisch höchst versierter Kirchenmann, und zwar in höchst fragwürdiger, pfäffischer Weise. Aber vielleicht ist Harnack hier ja auch nur einer Schwäche erlegen, die er brieflich einmal folgendermaßen charakterisiert hat: »Es mag in meiner Natur liegen, Menschen, die mir eine tiefe Verehrung abgewonnen haben, nur als Lichtgestalten zu sehen. So geht es mir mit Goethe, so mit Augustin!«57 So reizvoll diese Frage ist – beantworten läßt sie sich wohl nicht. Fest steht: Harnacks Betonung der Subjektivität Augustins bestimmt durchgreifend sein Bild von ihm und seiner Bedeutung für die Dogmengeschichte. Geschichtliche Bedeutung kommt der einmalig-individuellen Subjektivität Augustins zu, sofern er mittels ihrer die überragende kategoriale Bedeutung der religiösen Subjektivität aufs neue erschlossen und erstmals die sprachlichen Mittel zum Umgang mit ihr ausgearbeitet Vgl. Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 59 – 62. Die in meiner Übersetzung kenntlich gemachten Auslassungen hat Harnack stillschweigend vorgenommen; sie reduzieren lediglich rhetorische Schnörkel, ohne daß der Sinngehalt der Passage modifiziert würde. 55 Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 62. 56 Ep. 155,17; PL 33, 673; vgl. zum Zusammenhang Frits van der Meer: Augustinus der Seelsorger, 269. 57 Das Wesen des Christentums, 242. 54
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hat: »Seine Größe als Mann der theologischen Wissenschaft liegt wesentlich in dem psychologischen Element«58 – mit diesen lapidaren Worten sind auf formaler Ebene die Voraussetzungen für Augustins Wirkung in der spezifisch westlichen Christentumsgeschichte und seine Wirkung selbst exakt angegeben. Entfaltet wird das hier formal Skizzierte, wie Harnacks Gliederung nahelegt, in zwei konzentrischen Kreisen: einmal wird Die weltgeschichtliche Stellung Augustin’s als Reformator der christlichen Frömmigkeit nachgezeichnet, es folgt Die weltgeschichtliche Stellung Augustin’s als Lehrer der Kirche; in drei Kreisen werden Augustins Lehre von den ersten und letzten Dingen (Gotteslehre, Christologie, Anthropologie, Eschatologie), die Lehre von der Kirche (Antidonatistische Schriften, De civitate dei) und seine Gnadenlehre (pelagianischer/semipelagianischer Streit) entfaltet. Den Abschluß bildet dann ein Gang durch das Enchiridion ad Laurentium unter dem Titel Die neue Religionslehre. Prima vista ist die in diesem Aufriß sich abzeichnende Vorgehensweise völlig klar und einsichtig: zunächst wird Augustins Frömmigkeit beschrieben, darauf folgen die unterschiedlichen Facetten von deren Durchformung zur Theologie und endlich die Ausprägung beider zu kirchlich-praktisch brauchbarer und durchsetzungsfähiger Lehre. F) Es ist jedoch bezeichnend für den Historiker Harnack, daß er auch die subjektiv-individuelle Frömmigkeit Augustins nicht anders denn im Bezug auf ihren vorgegebenen geschichtlichen Kontext erörtern und profilieren kann. Die sprachlich-begrifflichen Medien, in denen sich Frömmigkeit notwendig artikulieren muß, sind von dieser Frömmigkeit selbst kategorial unterschieden, teilen diese nur gebrochen und indirekt mit. Und dennoch müssen sie in ihrem geschichtlichen Zusammenhang verstanden sein, damit die in ihnen sich indirekt mitteilende Frömmigkeit wenigstens in Umrissen faßbar wird. Den Kontext, innerhalb dessen Augustinus seine Frömmigkeit artikuliert hat und damit zum Reformator der Frömmigkeit wurde, sieht Harnack durch eine fast schon tragische Ambivalenz bestimmt: Die voraugustinische Kirche wußte in hohen Tönen von der Gnade Gottes und von der Sündenvergebung um Jesu Christi willen zu sprechen. Aber sie konzentrierte das alles auf den Schritt in den Glauben und in die Kirche hinein, auf die Bekehrung und auf die Taufe. Die entscheidende Lebenswende kam zu stehen als gleichsam mathematischer Punkt, der zwei Zeitstrecken zugleich voneinander trennte und miteinander verband, auf welchen zuerst die falsche, dann die richtige Betätigung des religiös-sittlichen Freiheitsvermögens im Zentrum stand. Die ›Gnade‹ stand am Beginn der zweiten Zeitstrecke, diese selbst war jedoch vom frei sich bestimmenden Subjekt eben durch ein ›richtiges‹, gesetzeskonformes Leben zu bewältigen. Verfehlungen gegen die religiös-sittlichen Standards sollten im erneuerten Leben eigentlich nicht mehr vorkommen. Sie kamen aber dennoch vor, und sie trieben in 58
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mehreren Entwicklungsstufen das kirchliche Bußverfahren und die mit ihm zusammenhängenden theoretischen Annahmen hervor. Aber die Bußpraxis und die Bußtheorie blieben doch Maßnahmen zur notdürftigen Bewältigung von Mißständen, die es nicht hätte geben sollen. Der unleugbaren Tatsache, daß Christen auch nach der Taufe faktisch Sünder blieben, trug man durch sie pragmatisch Rechnung. Aber man stellte sich ihr nicht wirklich, indem man sich durch sie zu einem neuen Gesamtentwurf eines Bildes christlicher Existenz hätte herausfordern lassen. Vielmehr schwankte die Stimmung letztlich haltlos zwischen der Furcht vor dem eigenen Versagen angesichts der göttlichen Forderung und der Hoffnung auf ein letztlich stärkeres Erbarmen, für welche man jedoch in der religiösen Vorstellungswelt und in der theologischen Rechenschaft keinen wirklich zuverlässigen Grund anzugeben wußte (68): »Wohl hatte man einen Glauben und schuf sich eine Dogmatik; aber sie beruhigten noch nicht über das Leben des Tages, über das Leben überhaupt. Sie beflügelten die Hoffnung, aber sie tilgten die Furcht nicht aus. Sie sagten nichts darüber, was die Sünden seien, mit denen der Christ kämpft, und was Christus für diese Sünden gethan habe. Sie überliessen diese Fragen den Gewissen der Einzelnen, und die Antworten der kirchlichen Praxis waren nicht Antworten, die ein zartes Gemüth völlig beruhigten. Die ganze Dogmatik mündete sicher nur in den Zuwendungen der Taufe aus. Wer aus dieser aufstieg, musste nun seinen Weg allein gehen. Wenn er ernsthaft nachsann, konnte es ihm nicht zweifelhaft sein, daß die Kirche ihm nur noch unsichere Krücken zu reichen vermochte.«
Dieser Zwiespalt im Zentrum der altkirchlichen Frömmigkeit war darum so quälend, weil er diejenigen, die an ihm litten, durch falsche Schamhaftigkeit daran hinderte, ihn offen auszusprechen und ehrlich zu bedenken. Diesen gesamten schon lange schwärenden Problemkomplex hat Augustinus aus der Verborgenheit ans helle Licht der theologischen Reflexion gezogen und auf neuartige Weise zur Sprache gebracht. Der zuvor in schamhaftem Halbdunkel verborgene Problemzusammenhang der Christensünde wurde unter seinen Händen zum organisierenden Zentrum eines gänzlich neu gestalteten Bildes christlicher Existenz. Augustinus hat die allgemein akzeptierten Sätze über das vorzeitliche Sündenverhängnis neu gelesen und angeeignet – und zwar als Sätze, welche nicht bloß vorzeitliche, unabänderliche Ursachzusammenhänge benennen, sondern die aktuell-lebendige Selbsterfahrung des Christenmenschen zum Ausdruck bringen und sowohl psychologisch-subjektivitätstheoretisch als auch geschichtstheologisch deuten. Und diese Selbsterfahrung des Christenmenschen als des in die Sünde Adams Verwickelten bezeugt zugleich, daß Gott sich in seiner Gnade gerade des sich so als Sünder erfahrenden Menschen annimmt, ihn mit seiner Liebe erfüllt, zu sich zieht und allmählich nach seinem in der Schöpfung gesetzten und in Christus erneuerten Bilde formt. Es entsteht so ein
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neuartiges Bild des christlichen Lebens als der prozeßhaft-allmählichen Justifikation, in welcher der empirisch Sündhafte allmählich zum empirisch Gerechten wird bzw. gemacht wird. Das Geschehen also, welches sich nach dem voraugustinischaltkirchlichen Bild christlichen Lebens geradezu magisch-punktuell in der Bekehrung / Taufe zusammenballt, wird als Inhalt des ganzen Christenlebens entfaltet und somit der Verifikation im psychologischen Erfahrungsurteil geöffnet. Realistisch wahrgenommene christliche Existenz läßt sich in ihrer ganzen inneren Widerspannung mit einem neuartigen Grad an Authentizität und Plausibilität deuten. Und Augustins eigene Lebensgeschichte wurde in der künstlerisch wie theologisch gleich anspruchsvollen Deutung der Confessiones zur Probe auf die Plausibilität des neuartigen Bildes christlicher Existenz: Die exegetischen Erträge der Beantwortung der Fragen Simplicians vermochten, so Harnack implizit, nur zur geschichtsmächtigen theologischen Erkenntnis zu werden, weil sie, wie die Confessiones zeigen, ihre überlegene Erschließungskraft an den Windungen und Wendungen einer bestimmten christlichen Lebensgeschichte bewährten, an welcher dann unzählige andere Lebensgeschichten Erhellung und Deutung empfingen. So arbeitete Augustinus nach Harnack einen normativen Deutebegriff christlicher Existenz aus, der einerseits tief in seiner Vorgeschichte verwurzelt war, anderseits dieser gegenüber jedoch eine schwerlich zu überschätzende Zäsur markiert (70 f.): »Durch Glaube, Demuth und Liebe überwundenes Sündenelend – das ist die christliche Frömmigkeit. In dieser Stimmung soll der Christ leben. Er soll fortwährend den Schmerz empfinden, den die Sünde bereitet: die Loslösung von Gott; aber er soll sich zugleich dessen getrösten, daß die Gnade Gottes ihn ergriffen hat, daß der Herr Himmels und der Erde seine Liebe ausgegossen hat in das Herz, und daß diese sündenvergebende Liebe als solche und als eingegossene auch nach der Taufe wirkt.«
Die Bedeutung dieser Entdeckung Augustins liegt für Harnack gleichsam oberhalb der bloßen spätantiken Frömmigkeits- und Kirchengeschichte. Sie reicht in menschheitsgeschichtliche, fast möchte man sagen: heilsgeschichtliche Dimensionen hinein (72): »Wer könnte leugnen, daß sich die Religion in dieser Weise zu empfinden und zu denken tiefer erschlossen hat, daß die Krankheit sicherer erkannt und die Heilung zuverlässiger nachgewiesen ist?« – Mit wenigen, kräftigen Strichen zeigt Harnack sodann, daß Augustinus mit dieser Einsicht nicht nur die Frömmigkeit des Abendlandes, sondern auch sein Verständnis der menschlichen Seele überhaupt in unabsehbarer Weite und Tiefe geprägt hat. Aber dann schließt er kritische Erwägungen an, die ihr Zentrum darin haben, daß in dieser Fassung der christlichen Frömmigkeit auch ein ›narkotisches Element‹59 waltet: Sie kann zur tändelnden, sentimentalen Introspektion führen, welche der Selbsterziehung und Weltgestaltung Ebd. 73; dieselbe Metapher setzt Harnack auch ein, um die Kritik des Pelagius an Augustins Confessiones zu charakterisieren; vgl. ebd. 172. 59
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hinderlich ist. Und so weist, recht verstanden, auch Augustins Grundverständnis der christlichen Frömmigkeit noch einmal über sich selbst hinaus (75): »Oder giebt es ein Mittel, die Empfindungs- und Denkweise Augustin’s so zu fassen, daß sie den Glauben zu dem stärksten Hebel sittlicher Kraft und That zu gestalten vermag? Liegen die Bedenken, die sich gegen die Art seiner Frömmigkeit erheben, vielleicht gerade darin, daß er diese Art noch nicht kräftig und rein genug entwickelt hat?« Daß Harnack hier einen Pfeiler aufrichtet, an welchem er dann den Bogen zu Luther und zur Reformation hin spannt, fällt ins Auge.60 G) Wichtiger sind in diesem Zusammenhange zunächst die Erörterungen Harnacks zu der Frage, wie Augustinus die ihm neu zuteil gewordene Grunderkenntnis christlicher Frömmigkeit in die ihm vorgegebenen Institutionen und Diskurse eingewoben hat. Hier notiert Harnack einen Zwiespalt. Einerseits stellt er fest (65): »Daß für eine solche Persönlichkeit Alles, was sie in der Ueberlieferung vorfand, nur Stoff und Mittel sein konnte, daß sie es nur aufnahm, um es in der ihr entsprechenden Weise zu verarbeiten, bedarf keiner Bestätigung.« Hart daneben steht folgende Charakteristik (75): »Niemand war weiter davon entfernt, die kirchliche Ueberlieferung corrigieren zu wollen, als Augustin.« In deutlicher Aufnahme von Einsichten Hermann Reuters deutet Harnack Augustinus also als einen Neuerer wider Wissen und Willen. Ebenfalls in den Spuren Reuters verweist Harnack in diesem Zusammenhang erklärend und verstehend auf Augustins Lebensgeschichte. Durch die Begegnung mit der von Ambrosius verkörperten Autorität der verfaßten Institution ›Kirche‹ ist Augustinus dem zerstörerischen Strudel der Skepsis entgangen. Für ihn selber war die Überzeugung von der Wahrheit des christlichen Glaubens untrennbar verknüpft mit der wissentlichen und willentlichen Unterwerfung unter die Katholische Kirche, und darum hat er diesen Autoritätsgehorsam nicht allein in allen Facetten seines theologischen Denkens und Argumentierens beispielhaft betätigt, sondern er hat ihn auch auf neuartige Weise selbst theologisch thematisiert und begründet. Dadurch hat er die ihm vorgegebenen Anschauungen von der spezifisch religiösen Autorität der Kirche auf eine neue Stufe erhoben: »Augustin ist der Vater der Auffassung von der fides implicita, indem er dem einzelnen Gläubigen die Kirche hinzufügt, mit der er zusammen glaubt und die für ihn glaubt, sofern sie ihm das wichtigste psychologische Element des Glaubens theilweise ersetzt, nämlich die innere Ueberzeugung. Indem Augustin diese Auffassung offen verkündet hat, die, wie gesagt, schon im Finstern schlich, hat er einerseits den individuellen Glauben entlastet und ihn energischer auf die Gebiete gewiesen, in welchen er ohne Anstösse sich heimisch machen kann, andererseits aber alle die üblen Folgen heraufgeführt, die aus dem Autoritätsglauben entspringen.«61 60 61
Vgl. auch ebd. 83 Anm. 2, 85 – 87. Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 80.
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Daß Augustinus seine neuen theologischen Erkenntnisse nicht polemisch gegen den Gemeinglauben und die kirchliche Praxis seiner Zeit profilierte, sondern sie in die Vorgaben gleichsam hineinschmiegte, ist also zutiefst eben in den Konstitutionsbedingungen seiner eigenen religiösen Subjektivität begründet. Insofern liegt seine Bedeutung als Reformator der katholischen Frömmigkeit darin, daß er, wie Harnack mit einem von Reuter entlehnten Ausdruck sagt,62 die ihm vorgegebene katholische Frömmigkeit ›umgestimmt‹ hat. Augustinus hat die Reflexion über die Religion zwar von allen äußerlichen, magisch-ritualistischen und mythologischen Vorstellungskreisen abgelöst und die Aufmerksamkeit auf das Subjekt und sein Gottesverhältnis gelenkt. Aber er hat dieses Neuverständnis nicht wirklich kritisch gegen die ihm überkommenen Vorstellungs- und Denkgewohnheiten in Stellung zu bringen vermocht. In diesen Vorstellungs- und Denkgewohnheiten war die Religion mit der Moral verknüpft. Der Schwebezustand, in welchem der Mensch sich zugleich als Sünder weiß und doch sein Begnadet- und Angenommensein durch Gott erfährt, war unter diesen hergebrachten Denkvoraussetzungen als lediglich unvollkommenes Durchgangsstadium notfalls akzeptabel. Augustinus hat dem Rechnung getragen, indem er »in die herkömmliche moralistische Betrachtung« (88) einlenkte. Er konstruiert »einen stufenweise fortschreitenden Heiligungsprocess«, in welchem Gott dem Menschen die Liebe einflößt ›wie eine Medicin‹ (ebd.). Die religiöse Bedeutung des Glaubens, die er anderwärts erheblich höher hervorzuheben wußte,63 hat er in folgenreicher Weise so wieder derart herabgestimmt, daß er wieder zu einem bloßen ›Act der Initiation‹ herabsank (87). Letztlich konnte es nicht allein der Glaube sein, der den Menschen so macht, wie Gott ihn haben will, sondern das ›habituelle Gutsein‹: Augustinus habe also schlichtweg nicht verstanden, daß »die Gewißheit der Sündenvergebung Leben und Seligkeit ist« (ebd.). Dies kurze Zitat führt systematisch und theologiegeschichtlich ins Zentrum von Harnacks Augustinus-Kritik. Er spielt hier wörtlich auf Luthers Abendmahls-Auslegung in seinem Kleinen Katechismus an, also auf einen Text, der zu den bekanntesten im kirchlichen Protestantismus lutherischer Provenienz überhaupt gehören dürfte: »Was nützet denn solch Essen und Trinken? Antwort. Das zeigen uns diese Wort: ›für Euch gegeben‹ und ›vergossen zur Vergebung der Sunden‹, nämlich, daß uns im Sakrament Vergebung der Sunde, Leben und Seligkeit durch solche Wort Vgl. ebd. 76 mit Anm. 1. sowie 72 mit Anm. 2. Vgl. ebd. 87: »Stellen, in denen Augustin den Glauben als das Element, in welchem die Seele lebt, als Anfang, Mitte und Ende der Frömmigkeit gepriesen hat, lassen sich zahlreich anführen. Allein innerhalb der dogmatischen Reflexion hat Augustin höchst unsicher, ja in der Regel nicht anders als seine Vorgänger vom Glauben geredet.« 62 63
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gegeben wird; denn wo Vergebung der Sunde ist, da ist Leben und Seligkeit.«64 Schon für Albrecht Ritschls Deutung der Reformation wie für sein eigenes Christentumsverständnis hatte diese Einsicht, entschränkend losgelöst von ihrem Primärzusammenhang, zentrale Bedeutung.65 Genau diese Einsicht, daß der Glaube, der aus der Sündenvergebung entspringt und sie empfängt, die Vollendungsgestalt des christlichen Gottesverhältnisses ist, welche keiner ethischen Überformung mehr bedürftig ist, sondern vielmehr schöpferisch ein erneuertes Ethos aus sich heraussetzt, hat sich jedoch Augustinus eben nicht erschlossen. Und so verbleibt sein theologisches Denken auf dem Boden der Voraussetzung, daß aus dem in Sünde Gefallenen faktisch der Mensch werden muß, der dem Willen Gottes entspricht. In diesem Schema wirkt Gottes Gnadenwille, der sich, seinem Ziel gemäß, operationalisiert und partikularisiert: »Das alte Schema, daß Gott wie ein gütiger Richter durch Begnadigungsacte oder wie ein Arzt durch Medicamente dem Menschen zu Hilfe kommt, hat er wesentlich bestehen lassen, resp. er hat es aus der Unsicherheit zur vollen Gewissheit erhoben: Gott wirkt immerfort durch geheimnissvolle allmächtige Gnadenmittheilung, d. h. durch Gnadenkräfte.«66 Auf diese Weise hat Augustinus ein Verständnis der Gnade verstärkt, welches diese ihrem Ursprung gegenüber verselbständigt und in quasi-dinghafte Entitäten hinein konkretisiert. In diesen Zusammenhang ist Jesus Christus eingestellt: Die Religion lebt und erfüllt sich nicht im personalen Verhältnis zu ihm bzw. zu Gott in ihm, sondern im Umgang mit Vergegenständlichungen seiner gnadenhaften Zuwendung.67 Die religiöse Bedeutung Christi und seines Werks ist letztlich doch wieder partikularisiert: »So ist es gekommen, daß er die Frömmigkeit der abendländischen Christen sowohl durch eine Gnadenlehre bestimmt hat, die den niederen Antrieben derselben entgegenkam, als durch eine Verkündigung der Unmittelbarkeit des religiösen Verhältnisses, welche der Bedeutung Christi als des Spiegels des väterlichen Herzens Gottes und als des bleibenden Mittlers nicht gerecht wurde.«68 Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-lutherischen Kirche, 520. Vgl. z. B. Albrecht Ritschl: Unterricht in der christlichen Religion, 60 – 66. 66 Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 83. 67 Auch in den kirchlichen Protestantismus ist durch die Fernwirkung Augustins die Versuchung eingedrungen, »durch die Gnade und die Sacramente sich den persönlichen Christus zu verdecken, den lebendigen Gott eben durch die Gnade sich zu verzäunen, Gnadenrechnungen aufzustellen, die aus dem Heiligsten und Freiesten ein Conto machen und die Seele entweder abstumpfen oder in der Unruhe lassen« (ebd. 85). 68 Ebd. 86. Auch hier spielt Harnack auf ein allbekanntes Luther-Zitat an. In seiner Auslegung des III. Glaubensartikels im Großen Katechismus bezeichnet Luther Christus als »den 64 65
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Und so verlieh Augustinus in seinem Denken den von Tertullian und Cyprian ausgeprägten rechtsförmigen Begriffen (›satisfactio‹, ›meritum‹) über das menschliche Gottesverhältnis auf neue Weise Bedeutung, indem er sie in seine Gnadenlehre einpaßte: »Er wußte es nicht anders, als daß bei der schliesslichen Entscheidung nur merita in Betracht kommen können. Mit seiner Gnadenlehre aber vermittelte er diesen Satz dadurch, daß er lehrte, Gott kröne seine munera, indem er unsere merita kröne.«69
So hat Augustinus letztlich doch ein zwieschlächtiges Verständnis christlicher Existenz begründet. Einmal betonte er die souveräne Vollmacht der gelebten Religion: Lebt der Mensch in ihr, so kann er seine innere Zwiespältigkeit realistisch erkennen und dennoch aushalten, in ihr und trotz ihrer sein Leben konstruktiv gestalten. Theologisch gesprochen: Der Glaube eignet die Zusage der Sündenvergebung an und ist insofern in sich lebensbegründende Zuversicht und Freiheit, die keiner weiteren Überformung oder Überhöhung bedürfen. Über diese Grundschicht hat sich eine andere gelegt, die das Verhältnis Gottes zum Menschen grundsätzlich anders bestimmt: Gott kann den Menschen nur annehmen, wenn er sich praktischmoralisch derart ändert, daß er seinen Maßstäben genügen kann. Gott wirkt also auf den Menschen durch Forderungen und Hilfen ein, um ihn zu dieser Änderung zu motivieren bzw. um ihm diese Änderung zu ermöglichen. Ziel des Verfahrens ist, daß der Mensch sich so transformiert, daß Gott ihn zu Gnaden annehmen kann, ohne seiner richterlich-retributorisch gedachten Gerechtigkeit Abbruch zu tun. In diesem Prozeß hat das Werk Jesu Christi seinen Ort, und in diesem Prozeß hat der Glaube seine Stelle. So konstitutiv beide für das Ganze sind, sie sind mitnichten das Ganze! Dieses überkommene Denkschema hat Augustinus neuartig akzentuiert, indem er Gottes souveränes Allmachtshandeln in diesem Prozeß betonte, aber er hat es nicht überwunden. Die gedanklichen Impulse, die in dieser kirchlichen Adaptation von Augustins Grundgedanken nicht zum Zuge gekommen sind, sind aber nicht einfach verloren gegangen. Sie sind, abgetrennt von der Gnadenlehre, in einem ganz eigenen Lehrkreis wirksam geblieben: »Aber wie Augustin für seine Person gewußt hat, wovon seine Seele lebte, und wie er es verstanden hat, davon in lebendiger Rede, ja in einigen Ausführungen auch lehrhaft, zu zeugen, so hat er auch nach dieser Seite auf die Folgezeit mächtig eingewirkt. Er ist nicht nur der Vater der katholischen Gnadenlehre, sondern auch jener Mystik
Spiegel […] des väterlichen Herzens, außer welchem wir nichts sehen denn einen zornigen und schrecklichen Richter« [Bekenntnisschriften, 660]. 69 Ebd. 86; vgl. dort Anm. 1 die einschlägigen Augustinus-Stellen.
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geworden, die bis zum Tridentinum, ja bis zum jansenistischen Streit Bürgerrecht innerhalb der katholischen Kirche besessen hat.«70
Auch die Prädestinationslehre gehört in diesen Zusammenhang, weil und sofern sie »eine ihrer Wurzeln an dem Gedanken der Souveränität des persönlichen Verhältnisses zu Gott« hat (ebd.). Die Aporie, die sich hier ergibt, liegt auf der Hand. Augustinus hat einen gnadentheologischen Lehrkreis geschaffen, für den die Lehre von Christi Werk und der die Sündenvergebung aneignende Glaube konstitutiv sind. In diesem Lehrkreis ist jedoch Augustins Subjektivierung und Personalisierung der Religion erheblich herabgemindert. Dort, wo diese Tendenz voll zum Zuge kommt, also in der Prädestinationslehre und der Mystik, rücken das Werk Christi und seine Heilsbedeutung an den Rand. Und hier tut sich wieder der dogmengeschichtliche Horizont, vor dem Harnack Augustinus betrachtet, in seiner ganzen Weite auf: »Diese Gefahr, die positive Gnade ohne Beziehung auf Christus zu fassen, oder sie mit Christus nur in der Form ästhetischer Betrachtungen in Beziehung zu setzen, hat fortgewirkt. Erst Luther, der vom Augustinismus ausgegangen ist, hat sie überwunden, sofern er, wenn er sich auf Gott bezog, überhaupt nur an den Gott dachte, wie er ihn in Christus kannte.«71
Harnack schließt seine Betrachtung Augustins als des Reformators der christlichen Frömmigkeit ab, indem er auf seine religiöse Bewertung des irdischen Lebens und auf seine Eschatologie eingeht. Hier zeigt sich noch einmal konzentriert derselbe innere Zwiespalt: Vorherrschend bleibt die Anschauung des irdischen Lebens als einer bloßen Bewährungsprobe für das Jenseits (91): »Aber eben die Einsicht, daß das Elend nicht ein blosses Verhängniss, sondern ein verschuldetes ist, und die Zuversicht, daß die Gnade schon hier auf Erden den Menschen frei und selig machen kann, übten ein gewisses Gegengewicht.«
Liest man diesen Satz im Kontrast mit Harnacks berühmter Formel »Ewiges Leben mitten in der Zeit, in der Kraft und vor den Augen Gottes«, dann wird deutlich, welche Ambivalenzen und Spannungen er andeutet. Diese Ambivalenzen und SpanEbd. 85. Harnacks ausgeführtes Urteil über die Mystik findet sich ebd. 434 – 444. Anregungen Albrecht Ritschls aufnehmend und fortführend, ordnet Harnack diese Phänomenbestände hier exklusiv dem Katholizismus zu. Die Grundzüge dieser Beurteilung haben dann in der Dialektischen Theologie kräftig fortgewirkt, vergröbert allerdings dadurch, daß der konfessionshermeneutische Akzent im Urteil verblaßte: ›Mystisch‹ und ›minderwertig‹ wurden zu Synonymen. 71 Ebd. – Mit Händen zu greifen ist hier Harnacks Beeinflußung durch Albrecht Ritschls Lutherdeutung, welche dann in der Dialektischen Theologie, insbesondere in Karl Barths ebenso viel bewundertem wie gescholtenem ›Christomonismus‹, noch einmal auf ganz andere Weise fortwirken sollte. 70
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nungen allerdings hat Augustinus, wie Harnack ihn zeichnet, in sich selbst getragen und ausgehalten, ohne an ihnen zu zerbrechen: »er liebte Gott, er liebte seine Kirche und er war wahrhaftig«.72 Das letztlich unergründliche Geheimnis seiner Wirksamkeit war diese Spannungseinheit (ebd.): »Diese Haltung leuchtet aus allen seinen Schriften hervor, mag nun der Neuplatoniker, der frühere Manichäer, der paulinische Christ, der katholische Bischof oder der Biblicist aus ihm reden, und sie verleiht allen seinen Ausführungen eine Einheitlichkeit, die nicht an den Lehren nachgewiesen, wohl aber deutlich empfunden werden kann.«
Und dann entfaltet Harnack, an Reuter erinnernd, aber doch viel weiter ausgreifend, ein Panorama der Facetten, in denen Augustins Wirkungen sich entfaltet haben. Sie reichen von der westlich-katholischen Normalfrömmigkeit bis zur Reformation, von den Vertretern der päpstlichen Weltherrschaft im Mittelalter zu deren erbittertsten Gegnern, von den Scholastikern aller Couleur bis zu den unterschiedlichsten Spielarten der Mystik, vom Mönchtum bis zum Neuaufbruch der Renaissance. H) Ausgeführt hat Harnack diese Planskizze im dritten Band seiner Dogmengeschichte insgesamt, der sich füglich auch als eine Darstellung Augustins im Spiegel seiner Wirkungen lesen läßt, als eine Darstellung allerdings, die zentriert ist durch den Vorblick auf die Reformation Martin Luthers: Luthers Einzigartigkeit in der universalen Wirkungsgeschichte Augustins lag darin, daß er wirklich bis zum Kern seiner Frömmigkeit und seiner Theologie durchgedrungen ist und ihn genau von hier aus überwunden hat. Auch hier läßt Harnack sich vom Blick auf den entscheidenden Durchbruch leiten. Luther meinte im Kloster, er kämpfe mit sich selbst, aber »in Wahrheit rang er mit der Religion seiner Kirche«.73 Augustins Auffassung von der »Gerechtigkeit, die Gott giebt« (ebd.), hat ihm hierbei die wichtigsten Impulse gegeben. Aber er ist nicht bei ihr stehen geblieben (823): »Aber wie viel sicherer ergriff er bald das Wesen der Sache als Augustin! Was er lernte, was er mit aller Kraft seiner Seele als das Einzige ergriff, das war die Offenbarung des gnädigen Gottes im Evangelium, d. h. in dem menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus.« Und so kam es in Luther zu einer radikalen Konzentration (824): »Die christliche Religion ist die lebendige Zuversicht zu dem lebendigen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart und sein Herz aufgethan hat – nichts Anderes. Objectiv ist sie Jesus Christus, seine Person und sein Werk; subjectiv ist sie der Glaube […]; ihr Inhalt aber ist der gnädige Gott und desshalb die Sündenvergebung, welche Kindschaft und Seligkeit einschließt.«
72 73
Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 100. Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 822.
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Die Korrelation zu den Ausführungen über Augustinus als Reformator der christlichen Frömmigkeit ist evident. Was bei Augustinus auseinanderscherte, eine mystisch-geschichtslose Frömmigkeit und eine auf Christus und sein Werk sich gründende, religiös insuffiziente weil moralistisch überformte Gnadenlehre, ist hier auf schöpferisch-neuartige Weise zusammengeführt: Christlicher Glaube ist Vergebungsglaube, der die Sündenvergebung aneignet und deshalb auf ›Kindschaft‹ und ›Seligkeit‹ nicht nur als auf jenseitige Heilsgüter hinweist, sondern in sich schließt. Was sich in Luther ereignet hat, ist »Wiederherstellung der Religion: Gott suchen und Gott finden« (ebd.). Luther hat also in der Wesenserfassung der christlichen Religion einen Schritt getan, den Augustinus verweigert hat. Und so rücken die beiden als einsam ragende Gipfelpunkte der abendländischen Christentumsgeschichte trotz aller Zeit- und Sachdifferenzen in der Rückschau ganz nahe aneinander heran. Nicht hiermit identisch, aber an Bedeutung gleichrangig ist eine weitere Differenz: Luther hat seine Erkenntnis als ›ungeheure Reduction, eine befreiende Vereinfachung‹ (ebd.) zur Geltung gebracht. Er hat seine Erkenntnisse nicht in die vorhandenen institutionellen und intellektuellen Gegebenheiten vorsichtig eingeschmiegt, sondern er hat hier tief einschneidende Kritik geübt und die durch sie hervorgerufenen Umwälzungen billigend in Kauf genommen. Es war dieser auf klaren, scharf konturierten Einsichten beruhende Wille zur Gestaltung, der Luther darüber hinaus, daß er ein schöpferischer Theologe war, zum Reformator machte und ihn so über Augustinus heraushob. Im Vergleich mit Luther erhellt, daß Augustins Frömmigkeit ›noch nicht einfach genug‹ war (90). Er hat seine neue Erkenntnis mit dem Hergebrachten verkettet (93): »Augustin hat die beiden Centren der vulgär-katholischen Theologie, die umschaffende Kraft der Erlösung und das freie Tugendstreben, in ein Centrum gezogen, aus der Ellipse einen Kreis gemacht – Gott, dessen Gnade den Willen befreit und zum Thun des Guten befähigt. Hierin liegt seine Bedeutung in der christlichen Religionsgeschichte beschlossen; aber er hat das Neue nicht consequent geltend gemacht, sondern das Alte in dasselbe eingebaut, ja in dem neuen Dome, den er errichtet hat, bildete der alte Bau gleichsam das Allerheiligste, welches man selten betritt.«
Diesen Mangel an Fähigkeit zum scharfen Trennungsschnitt hat Augustinus nicht nur gegenüber der hergebrachten Frömmigkeit und Theologie an den Tag gelegt, sondern auch gegenüber der vor- und außerchristlichen Bildungswelt seiner Zeit (98): »Wo er der neuplatonischen Metaphysik folgt, kommt er von der akosmistischen Betrachtung nicht los, die alles Erscheinende als vergänglich, alles Vergängliche als ein Gleichnis betrachtet und zuletzt nur die Majestät der verborgenen Gottheit übrig
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behält. Somit ist seine Theologie, selbst in ihren letzten Zielen, nicht durch einen Gedanken bestimmt, und er hat es demgemäss nicht vermocht, seine Gnaden- und Sündenlehre wirklich rein durchzuführen. Wie der Intellectualismus der Antike, allerdings in sublimirter Gestalt, von ihm nicht ganz aufgehoben worden ist, so sind seine tiefsten Glaubensaussagen von philosophischen Erwägungen begleitet, resp. mit ihnen verflochten. Oft hat ein und derselbe Satz eine doppelte Wurzel, eine neuplatonische und eine christliche (paulinische), und demgemäss einen doppelten Sinn, einen kosmologischen und einen religiösen.«
Die beiden letzten Zitate zeigen, daß die wertende Zuordnung Augustins zu Luther, die Harnack vollzieht, alles andere ist als kleingeistige konfessionelle Rechthaberei. In wertenden Abstufungen leistet Harnack vielmehr indirekt einen originellen Beitrag zu den wichtigsten prinzipientheoretischen Debatten der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts. Wenn er der Religion, gegenüber allen anderen Weisen humanen Selbst- und Weltumganges, eine distinkte Eigenart zuweist, wenn er die Vermischung mit Metaphysik und Kosmologie moniert, dann knüpft er eigenständig an die Debatte an, die Schleiermacher mit der Absage an die Mischgestalten von Religion mit Metaphysik oder Moral angestoßen hat, in der Albrecht Ritschl polemisch auf reinliche Unterscheidung zwischen Theologie und Metaphysik drang, Wilhelm Herrmann das Verhältnis zwischen Religion und Welterkennen einerseits, Sittlichkeit anderseits kritisch reflektierte und Ernst Troeltsch die Selbständigkeit der Religion argumentativ vertrat. – Harnack sieht Augustinus in diesem Zusammenhang als maßgeblichen Anfänger eines Diskurses, der in der reformatorischen Theologie Martin Luthers einen Gipfelpunkt erreichte und im Protestantismus seiner Gegenwart fortgeführt wird. I) Und genau die in diesem Diskurs erreichten Differenzierungen haben es ermöglicht, bestimmte vielfach als anstößig wahrgenommene Elemente von Augustins Denken neu zu würdigen. Das sei abschließend an Harnacks Würdigung der Gnaden- und Erwählungslehre Augustins kurz vorgeführt. Auch an dieser Stelle markiert Harnack deutlich die Differenz zum reformatorischen Neuaufbruch: Für Augustinus meint ›gratia‹ letztlich die Alleinwirksamkeit Gottes, aber nicht so sehr seine Gnadengesinnung. Daher kann er auch den Glauben nicht wirklich auf die Gnade beziehen, und die kategoriale Differenz zwischen dem Gottesverhältnis unter dem Gesetz und dem Glauben verschwimmt ihm zwangsläufig (218 Anm. 1): »Hier setzte Luther ein.« Ausführlicher ist die immanent-systematische Kritik, in der die wichtigsten Facetten von Harnacks Augustinus-Bild noch einmal gebündelt ans Licht treten. Grundlegend unterscheidet er sehr deutlich zwischen dem existentiellen Gehalt der Lehre und ihrer dogmatisch-intellektuellen Gestalt. Grundlage des ganzen Gebildes sind »die höchsten Thatsachen und die Stimmungen des inneren Lebens« (202): »In
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das Bekenntnis von der gratia gratis data und praeveniens hat Augustinus seine ganze religiöse Erfahrung hineingelegt« (205). Und genau hierin liegt der Wahrheitskern der ganzen Theorie, dessen Geltungsanspruch jedoch begrenzt ist: Er kann nur Anerkennung finden, wenn und sofern ihm eine religiöse Erfahrung entspricht, die von ihm her sich deuten läßt. Die Struktur der ausgeführten Theorie bezeugt dieses sie tragende Bedingungsgefüge unmißverständlich. Aus der Perspektive des Christen, der selbst im Wirkungsbereich der Gnade lebt und denkt, ist die ganze Konstruktion entworfen (209): »Vom Standpunkt der gratia gratis data und praeveniens ist die Lehre von der Sünde, dem Sündenfall und dem Urstand entworfen. Daß das Charakteristicum der gegenwärtigen Menschheit die Sünde ist, folgt aus der Gnadenlehre.« Der gegenwärtige Erfahrungshintergrund des Christen bestimmt auch das Bild, das Augustinus von den anderen heilsgeschichtlichen Phasen malt (216): »Man erkennt, daß der Urstand nach dem Gnadenstand der Gegenwart gezeichnet werden soll.« Das System, das Augustinus auf diesen Grundlagen entwirft, ist bizarr, weil es genau von diesen Bedingungen seiner Plausibilität absieht und, unbekümmert um sie, universalen Geltungsanspruch erhebt – Harnack macht das insbesondere an der Verdammnis der ungetauft sterbenden Säuglinge klar (217). Der ganze Entwurf rührt eben aus einer illegitimen Grenzüberschreitung her (219): »Die ganze Lehrfassung an diesem Punkte zeigt, daß die Gewißheit des Erlösten, daß er ohne Gott unselig und zu keinem guten Werk geschickt sei, eine Selbstbeurtheilung des Glaubens ist, die eine Grenze darstellt, niemals aber ein Princip der Betrachtung der Geschichte der Menschheit werden kann.« Indem Augustinus eben trotzdem seine hybride Theoriegestalt entworfen und ausgearbeitet hat, hat er den ihm gesetzten geschichtlichen Bedingungen seines Wirkens Tribut gezollt: »Allein in einem Zeitalter lebend, in welchem es als sträfliche Unwissenheit und als Unglaube galt, nicht jede mögliche Frage zu beantworten, und von der vulgären Ueberzeugung durchdrungen, daß die hl. Schrift über alle Probleme Aufschluss gebe, hat auch er die höchsten Thatsachen und die Stimmungen des inneren Lebens, die er am Evangelium gewonnen hatte, zum Ausgangspunkt einer Schilderung der ›Urgeschichte‹ und der Geschichte der Menschheit gemacht, welche nothwendig in Widersprüchen verlaufen mußte.«74 Ebd. 202; vgl. zu Augustins Stellung zur Schrift und ihrer inneren Widersprüchlichkeit auch ebd. 96 – 98. – Ganz analog hierzu ist Harnacks kritische Würdigung von Luthers Stellung im Streit mit Erasmus um das freie Unterscheidungsvermögen des Willens strukturiert: In seinem Insistieren darauf, daß der Glaube sich selber als reines, unverdientes göttliches Geschenk verstehen muß, bestehe die ›Grundthatsache der christlichen Erfahrung‹ (ebd. 841): »Für Luther aber stand gerade der religiöse Hauptpunkt fest, daß nämlich Gott es ist, der den Glauben wirkt, den guten Baum einpflanzt und erhält. Eben das, was von Aussen betrachtet als ein Subjectives erscheint und daher von der Vernunft als eine Leistung des Menschen angesehen wird, erschien ihm, der das wirkliche Erlebniss, wie er es erlebt hatte, ins Auge fasste, als das eigentlich 74
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4. Karl Holl
A) Einen knappen, profilierten Gegenentwurf zu Harnacks Augustinus-Deutung hat 1922 Karl Holl vorgelegt.75 Als junger Gelehrter war er von Harnack gefördert worden; 1906 wurde er in Berlin Harnacks Kollege. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er hauptsächlich auf dem Felde der griechischen Patristik gearbeitet und blieb hier auch weiter tätig, aber neben Harnack lehrend und insbesondere mit der Vertretung der neueren Kirchengeschichte beauftragt, wandte er sich verstärkt insbesondere Luther und der Reformation zu. 1921 erschien in erster Auflage die Sammlung seiner Aufsätze zu Luther,76 und sie machte Holl, der bislang nur unter Experten einen exzellenten Ruf genossen hatte, weithin bekannt: Die maßgeblich durch sein Luther-Buch initiierte ›Luther-Renaissance‹ gehörte nach dem I. Weltkrieg prominent hinein in die Reihe der Versuche, dem evangelischen Christentum nach der politischen und moralischen Katastrophe Deutschlands neue Wege und Aufgaben zu weisen.77 Holls Verhältnis zu seinem Förderer und älteren Kollegen Harnack war immer prekär. Die Spannungen wurden auf Holls Seite manifest, als Harnack von Beginn an die neue republikanische Ordnung aus pragmatischen Motiven und aus Überzeugung unterstützte. Der entschiedene Nationalkonservative Holl sah darin die wetterwendische Treulosigkeit eines Mannes, der vom monarchischen Staat, aber auch vom Monarchen selbst in exzellenter Weise gefördert worden war. All das schwingt untergründig mit in der Abhandlung Augustins innere Entwicklung, die Holl am Objective, von Aussen in ihm Gewirkte. Das ist vielleicht Luther’s höchste Bedeutung innerhalb der Theologie, und darum ist seine Schrift de servo arbitrio in einer Hinsicht seine grösste Schrift« (ebd. 840). Das hindert Harnack keinesfalls daran, Luthers ausgeführte Lehraussagen in dieser Schrift heftig zu kritisieren, und zwar als »ein Zeugniss dafür, daß er die Unart des Schulverstandes, theologische Erkenntnisse wie philosophische Lehren zu behandeln, die man unter beliebige Obersätze setzen und in beliebige Combinationen bringen kann, noch nicht abgestreift hat« (ebd. 841). Interessant ist hieran theologiegeschichtlich, wie Harnack sich deutlich von der Luther-Deutung Ritschls distanziert. Aber auch systematisch vermögen Harnacks Differenzierungen weitere Denkbemühungen zu provozieren. Vielleicht wäre es reizvoll, statt der hier von ihm bemühten doch wohl etwas zu grobkörnig geratenen Unterscheidung von Philosophie und Theologie Emanuel Hirschs Unterscheidung von Sach-, Sinn- und Gewissenswahrheit (vgl. Ders.: Leitfaden zur christlichen Lehre, 70 – 78) zum Zuge zu bringen: Der Fehler der zur Erklärungstheorie mit Universalanspruch aufgeblähten Prädestinationslehre läge dann darin, daß im Bereiche der Gewissenswahrheit verwurzelte Sätze illegitim in die beiden anderen Bereiche übertragen worden wären. 75 Vgl. Johannes Wallmann: Karl Holl und seine Schule sowie das Porträt von Dietrich Korsch: Lutherisch-nationale Gewissensreligion: Karl Holl. 76 Karl Holl: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. In der 1923 erschienenen Zweitauflage hat Holl die Texte z. T. stark überarbeitet und auch weitere Arbeiten aufgenommen; sie ist immer wieder unverändert nachgedruckt worden und hat die Wirkungsgeschichte bestimmt. 77 Vgl. dazu die außerordentlich materialreiche Monographie von Heinrich Assel: Der andere Aufbruch.
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30. November 1922 in der Preußischen Akademie der Wissenschaften vortrug und die am 31. Januar 1923 im Druck erschien.78 Harnack hat Holl nach dessen Tode am 12. Juni 1926 die akademische Gedächtnisrede79 gehalten – ein anrührendes Dokument der Treue, die Harnack dem schwierigen Freund bewahrt hat. B) Der angedeutete biographisch-historische Kontext muß zwar bei der Interpretation berücksichtigt werden, aber der Hinweis auf ihn darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als mindere er den wissenschaftlichen Rang von Holls Arbeit. Wie überall, so argumentiert Holl auch hier auf der Grundlage umfassender Quellenbeherrschung mit präzisen, hochreflektierten Leitfragen in kristallklarer Gedankenführung. Und die Augustinus-Skizze fügt sich auch nahtlos in die übergreifende historisch-systematische Konzeption seiner Arbeit: Sie kommt dann zu stehen als Rückergänzung zu Holls großem Luther-Aufsatz Der Neubau der Sittlichkeit.80 Hier gibt Holl einleitend eine brillante Analyse der scholastischen Ethik, die er scharf kritisiert, weil sie den Einzelnen in seinem Eudämonismus und seiner Egozentrik letztlich bestätige und bestärke. In alledem habe die scholastische Ethik auf den von Augustinus geschaffenen Fundamenten weiter gebaut, und so kann Holl ihn in diesem Zusammenhang als ›Verderber der christlichen Sittlichkeit‹ bezeichnen.81 Methodisch folgt Holl in seiner Augustinus-Studie, wie der Titel andeutet, auf eigenständige Weise den Spuren Reuters und Harnacks: Augustins persönliche und geistige Entwicklung und der Gehalt seines Denkens sind füreinander erkenntnisnotwendig. Allerdings greift Holl, Anregungen Harnacks folgend,82 rückwärts wie vorwärts weiter aus. Die Bekehrung deutet er nicht einfach als Bekehrung zum (katholischen) Christentum, sondern als eine von mehreren Zäsuren auf dem wendungsreichen Lebenswege eines Mannes, der sich vom Christenglauben nie wirklich abgewandt hat und an dessen religiös-geistigem Profil immer eine Mehrzahl intellektueller Faktoren (Stoa, Manichäismus, Skepsis, Platonismus) und lebenspraktischer Optionen (Beruf, Ehe, Reichtum, Askese) in verwickelten Konkurrenz- und Konvergenzverhältnissen mitgeformt haben. In der Auswertung der Quellen verfährt Holl kritischer als Harnack: Konsequenter stellt er die Confessiones hinter die Mir liegt vor die ›Einzelausgabe‹ (Aus den Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften Jahrgang 1922. Phil.-Hist. Klasse. Nr. 4), 51 S. Zitiert wird der Text im folgenden nach dem unveränderten Abdruck in Karl Holl: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Band III: Der Westen, 54 – 116. 79 Adolf von Harnack: Aus der Werkstatt des Vollendeten, 275 – 288, zu Holls Augustin-Studie 279. 80 Der Text wurde zuerst 1919 publiziert; die wirkungsgeschichtlich maßgebliche Ausgabe letzter Hand steht in Gesammelte Aufsätze, Band I, 155 – 287. 81 Ebd. 177. Zu Holls Gesamtverständnis der Kirchengeschichte, das diesem herben Urteil zugrunde liegt, vgl. Karl Holl: Urchristentum und Religionsgeschichte; sowie in Kürze ders.: Reformation und Urchristentum. 82 Vgl. Holl: Augustin, 61, vgl. Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 63 mit Anm. 1. 78
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bald nach seiner ›Bekehrung‹ verfaßten Schriften Augustins, und wo er sie benutzt, wirft er immer die Frage nach dem Verhältnis von rhetorisch-literarisch stilisiertem Bericht und tatsächlichem Hergang auf. So entsteht ein Persönlichkeitsbild, das die genialen, fast überzeitlichen Züge gegenüber Harnacks Porträt sehr stark in die allgemeinmenschliche bzw. spätantike Sphäre herabstimmt. Augustinus, hochbegabt, von der Mutter katholisch erzogen und von beiden Eltern zum sozialen Aufstieg bestimmt, erhält durch Ciceros Hortensius den Anstoß zur intellektuellen Suchbewegung: »Cicero hat ihn hinausgehoben über das bloße Fachmenschtum. Vordem wollte er nur Rhetor werden; jetzt strebt er nach einer Weltanschauung, und zwar einer philosophisch begründeten Weltanschauung.«83 Seine intellektuellen Ansprüche wuchsen, und so hielt es ihn alsbald nicht mehr in der Katholischen Kirche, deren Lehren ihm wirr und inkonsistent erschienen. Aber nun trat ein weiterer dauerhafter Grundzug von Augustins Charakter zutage: Lebenslang war es ihm unmöglich, ohne eine ihn haltende, tragende und begrenzende Gemeinschaft zu existieren, und so geriet ihm die Distanzierung von der Katholischen Kirche zum Anschluß an die Sekte der Manichäer, in der Augustinus das bessere, reinere Christentum wirksam sah. Wenn ihm auch im Cicero-Erlebnis der Reichtum als Lebensziel schon verschwunden war, so blieb er doch bei den Manichäern auf der niederen Stufe des auditor, weil er als perfectus seine Karriere-Pläne nicht hätte realisieren können. Der Skepsis hat sich Augustinus, so Holl, nur unverbindlich-spielerisch genähert. Letztlich war sie ihm nur die Brücke zum Neuplatonismus. Hier eröffnete sich ihm der Weg zur mystisch-intuitiven Letzterkenntnis des Grundes von Welt und Existenz. Aber es waren nicht allein diese Möglichkeiten, die ihn hier festhielten, sondern es kam noch die durch Ambrosius personifizierte Synthese der spekulativen Philosophie mit dem katholischen Christentum hinzu; es zeigt sich also auch hier, daß Augustinus einer ihn tragenden geordneten Gemeinschaft bedurfte (60): »Nicht nur, daß Ambrosius ihm durch seine allegorische Auslegung die Anstöße behob, die er an den alttestamentlichen Erzählungen genommen hatte, er beeindruckte ihn zugleich als Vertreter einer großen, in ihrem Glauben einigen Gemeinschaft.« An ihm faßte Augustinus den Gedanken, daß Wahrheit, religiöse Wahrheit, ihrem Wesen nach der Autorität zu ihrer Plausibilisierung bedarf: Denken, Religion und Autoritätsglaube gehören wesensmäßig zusammen! So ist Augustinus nach der Bekehrung in erster Linie das, was er vorher war, ein nach Letztbegründungen suchender Denker. Aber er hat jetzt für seine Suche eben eine feste, autoritative Vorgabe gewonnen, nämlich die Katholische Kirche. Einmal spricht für deren Zuverlässigkeit ihre Quantität: Diese Kirche »besitzt, als die bis an die Enden der Welt verbreitete, die Masse, und es ist unter allen Umständen besser, mit der Masse zu gehen. Hat man 83
Holl: Augustin, 55.
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dann geirrt, so hat man – hier offenbart Augustin sein innerstes Herz – wenigstens mit der ganzen Menschheit geirrt«.84 Sodann sprechen die Wunder der Inkarnation und der Auferstehung für deren Wahrheitsanspruch. Der Philosoph Augustinus ist nun nicht gewillt, sich in dieser Haltung des Autoritätsgehorsams dauerhaft zu bornieren. Er muß also mit festem Willen den Versuch unternehmen, das zunächst nur auf Autorität hin Geglaubte in freie Einsicht zu überführen. Und genau das ist, so Holl, Augustins Arbeitsprogramm nach seiner ›Bekehrung‹. C) Aber worin bestand denn die Zäsur, wenn Augustinus nach wie vor wesentlich Philosoph war? Hierfür verweist Holl auf eine andere Ebene: Augustins Karriere als Rhetorik-Lehrer war wegen seines Brustleidens ans Ende gelangt, bevor sie richtig begonnen hatte, er mußte also sein Leben neu und anders ordnen, und das tat er, indem er, und das ist der eigentliche Inhalt der Bekehrung, zwar dem weltlichen Leben entsagte, aber nicht dem eudämonistischen Ichwillen seines natürlichen Menschen (66): »Der Lebenswille hat sich bei Augustin aufgebäumt und die Hingabe an das Geistige als die einzige Möglichkeit, noch ein Glück für sich zu erobern, ergriffen. Dieser Augenblick erst, wo Augustin sein Unglück als eine Befreiung bejaht, war seine ›Bekehrung‹. Damit erst ›glaubt‹ er an das Uebersinnliche.«
Die beiden Gegenstände, an denen sich Augustinus nach der ›Bekehrung‹ neu orientierte und organisierte, waren, dem berühmten Soliloquia-Zitat85 zufolge, Gott und die Seele. Hieran knüpft Holl den ersten großen Frontalangriff gegen Harnacks Augustinus-Bild. Die beiden Begriffe weisen, wie Augustinus sie gebraucht, mitnichten auf Verinnerlichung und Vergeistigung der Religion. Nein, Augustinus gehe es hier um Gegenstände metaphysischen Wissens. Dieses Wissen wiederum sei streng zweckorientiert, und der Zweck sei seine, Augustins Glückseligkeit: »Es ist das selige Leben, das Leben in einem unveränderlichen Glück. Aber solche Seligkeit ist nicht zu gewinnen, ohne daß man zuvor weiß, ob es überhaupt unveränderliche Dinge gibt und welcher Art sie sind.«86 Ebd. 63. Der Beleg, den Holl angibt (util. cred. 7,15), ist, so zeigt sich bei näherem Hinsehen, eine propädeutische Erwägung. Daß Augustinus hier ›sein innerstes Herz‹ offenbare, zeugt von äußerst waghalsigem psychologischem Spürgeist – oder ist eine schlichte Übertreibung. Es liegt auf der Hand, daß Holl hier gezielt Harnack widerspricht. Diesem Widerspruch gegen Harnack verleiht Holl, nur dem Kenner erkennbar, auch auf noch subtilere Weise Ausdruck: Auch er zieht den 155. Brief Augustins des öfteren heran, allerdings immer, um auf die Grenzen, Schwächen und Fehler Augustins hinzuweisen (97, Anm. 1 und 2). An zwei weiteren Stellen hat sich schon in den ersten Druck ein Fehler eingeschlichen, der beim Neudruck nicht bemerkt und korrigiert worden ist: 97, Anm. 6 und 107, Anm. 3 zitiert Holl ebenfalls ep. 155, angegeben ist jedoch fälschlich ep. 145. 85 sol. 1,7: »deum et animam scire cupio. – nihilne plus? – nihil omnino.« 86 Holl: Augustin, 70. 84
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Diese beiden Zentralgegenstände seines Mühens indizierten also für Augustinus metaphysische, in der Anstrengung des reinen Denkens zu lösende Probleme, und in dieser Perspektive arbeitet Augustinus nach seiner Bekehrung an seiner Selbstvergewisserung hinsichtlich der Unsterblichkeit der Seele und der Existenz Gottes. Christus bildet den Schlußstein der Argumentation (74): »Er war ihm der Bürge dafür, daß die sapientia im höchsten Sinne nicht nur ein Wunschbild, sondern Wirklichkeit war.« Von hier aus hat sich Augustinus dann in der Auseinandersetzung mit den Manichäern dem Problem der göttlich verbürgten einheitlichen Weltordnung und des Grundes sowie des Ortes des Bösen innerhalb ihrer zugewandt. Der neuplatonische Gedanke der quantitativen Abstufung alles Seienden je nach seiner Entfernung vom Sein selbst ebnete ihm hier den Weg zur Anknüpfung an die einschlägigen erzählenden Texte der Bibel. D) Als Ertragssicherung seines bisher erreichten Augustinus-Verständnisses rekapituliert Holl sodann die Grundzüge von dessen Ethik. Diese nimmt ihren Standpunkt allein beim Einzelnen und dessen letztgültigem Lebensziel, nämlich der rein geistigen ›Schau‹ Gottes. Der Weg hierzu sind die fides, die spes und die caritas, betätigt in der affektiven, voluntativen, seelischen und geistigen Bildung des nach Vollendung strebenden Subjekts (83): »Als den unumgänglichen Weg dazu betrachtet Augustin die Bekehrung, die Losreißung vom Sinnlichen und die Zuwendung zu Gott als dem wahren Gut. Augustin ist es gewesen, der dem Wort und dem Begriff des converti seine feste Stelle im abendländisch-christlichen Sprachgebrauch verschafft hat.« Und hier zeigt sich dann wieder derselbe Grundzug in Augustins Denken, der schon bei seiner eigenen Bekehrung so deutlich hervortrat (85): »In diesem Aufriß tritt vor allem der letzte Antrieb, auf dem bei Augustin die ganze Religion steht, mit unverhüllter Deutlichkeit hervor. Die Beschreibung der höchsten Stufe sagt es mit aller Offenheit, daß es das Glücksbegehren ist, das sich in der Religion auslebt. Das Ziel, nach dem Augustin strebt, ist ein nie sich erschöpfender Genuß. Demgemäß erscheint dann die Bekehrung im Grunde nur als ein Wechsel des Geschmacks: an Stelle der Lust am irdischen Gut tritt die süßere am himmlischen.«
Das Verhältnis zum Mitmenschen ist dieser jenseitsorientierten Gottesbeziehung ein- und untergeordnet, wobei als Regulativ der Haltung zum Nächsten weniger die Beziehungen in den von der Pflicht vorgegebenen Lebenskreisen als die Wahlanziehung in der Freundschaft in den Vordergrund tritt. Holl hat soweit Augustins Denkweg bis zu seinem Eintritt in den Klerus verfolgt. Dieser stellte ihm zwei weitere, innerlich miteinander verknüpfte Aufgaben: Einmal den Kampf der Katholischen Kirche gegen den Donatismus, sodann generell die weitere Einarbeitung in den kirchlichen Lehr- und Überlieferungsstoff. Im Kampf gegen den Donatismus hat Augustinus die schon zuvor erarbeiteten katholischen Standpunkte sich offenbar ohne inneres Widerstreben zu eigen gemacht und sie
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ineins damit noch gründlicher durchdacht und schärfer zugespitzt: Er hat die Heilsnotwendigkeit der Kirche und der Sakramente mit besonderer Konsequenz behauptet und begründet, er hat das Recht der Gewaltanwendung gegen die Donatisten mit allem ihm zu Gebote stehenden rhetorischen Scharfsinn begründet, und er hat dem christlich verstandenen Staat die Aufgabe eingeschärft, der Kirche diesen Bütteldienst zu leisten. All das steht nur scheinbar im Widerspruch zum ›christlichen Philosophen in Cassiciacum‹ (92), denn auch der hatte ja schon, seine eigene Bekehrungserfahrung reflektierend, erklärt, daß Autorität für die Religion unabdingbar sei, und diese Grundanschauung hat der antidonatistische Polemiker und Scharfmacher Augustinus, so Holl, lediglich schärfer ausgeprägt: Hatte er zunächst noch erklärt, das auf Autorität Übernommene müsse ganz in eigenständige Einsicht überführt werden, so war er hier immer zurückhaltender geworden und bei ›teilsteils‹-Lösungen gelandet. »Aber dazu kam noch: Augustin hat in der Zwischenzeit die Kirche nicht nur als Lehrauktorität, sondern auch als Gnaden- und Erziehungsanstalt kennengelernt. Und hier gab es keine Möglichkeit, über sie hinauszuwachsen. Der Kirche, die die heilskräftigen Sakramente spendete, blieb man unterworfen und verpflichtet bis zum Tode. Dann aber erfüllte sich auch an Augustin das Gesetz, daß die Unterwerfung unter eine Auktorität notwendig die Neigung zum Unterdrücken aus sich gebiert.«87
E) Zeitlich parallel, sachlich jedoch in einem potentiell problematischen Verhältnis zu seiner Entwicklung zum katholischen Kirchenmann verlief Augustins Hinwendung zur paulinischen Gnadenlehre. Holl diagnostiziert, stärker noch als Reuter und Harnack vor ihm, eine unauflösliche Verschlingung von Sacheinsicht und Lebenserfahrung: Augustinus hat seine Lebensgeschichte und die für sie und aus ihr entwickelten Deutebegriffe in Paulus hineingelesen (94): »Er hat unter der Gnade niemals etwas anderes zu verstehen vermocht als jenes plötzliche Geschmackfinden am Geistigen, am Ewigen, das die Lust an den sinnlichen Dingen beim Menschen verdrängt.« Da ihn die Sünde als ethisch-religiöses Phänomen nie wirklich bedrängt hat, konnte er die Rechtfertigung nicht als Sündenvergebung verstehen, sondern als »Gerechtmachung oder, wie man mit Augustin lieber sagen möchte, die ›In-Ordnung-Bringung‹ des Menschen, die Herstellung des gebührenden Uebergewichts des Geistigen über das Sinnliche durch die Einhauchung der caritas« (95). Durch Aneignung des Gedankens der ewigen, freien Erwählung durch Gott gewann Augustins neuplatonisch bleibender Gottesbegriff an Profil und innerer Lebendigkeit, und sein Grundverständnis der Religion änderte sich so, daß ›Gott und die Seele‹ nicht mehr bloß ein metaphysisches Problem indizierten, sondern zur Chiffre für Ebd. 92 f. – Vgl. auch 58, Anm. 6: »In einer Kirche mußte Augustin immer sein, sei es so, sei es so; ein Philosophenverein hätte ihm nicht genügt.« 87
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eine höchst lebendige Bewegung wurden (96 f.): »Das selige Leben in Gott gilt nicht mehr nur als der verdiente Erfolg des eigenen hochgemuten Strebens, sondern es ist freie Gabe, von Gott geschenkt. Von ihm ist alles bewirkt, wodurch der Mensch allmählich empordringt.« Wie die Gnade allmählich vom Menschen Besitz ergreift, das hat Augustinus in seiner ausgeführten Rechtfertigungslehre dargestellt und dabei auch die Bedeutung des Gesetzes und der Furcht als notwendiger Durchgangsstadien schärfer bestimmt. In der Frage nach dem Grund der Erwählung zum Heil ist er letztlich bei der unergründlichen Willkür Gottes stehen geblieben; das Böse hat er vermittels pädagogischer und ästhetischer Erwägungen in Gottes Weltplan einzustellen gewußt. Über Paulus hinausgehend hat er sodann die Erwählungslehre zur Basistheorie einer Geschichtsphilosophie gemacht: Civitas Dei und Civitas Terrena, Kirche und weltliches Reich führen auf Erden den Kampf zwischen den Erwählten und den Übergangenen. Gegen den Konsens der damaligen Augustinus-Forschung, ausdrücklich auch gegen Reuter (100 Anm.), behauptet Holl, Augustinus habe die Gleichsetzung von Kirche und Reich Gottes von Anfang an und konsequent vollzogen. Hart daneben steht allerdings die Erwählungslehre, die es Augustinus nicht nur ermöglicht, mit der Existenz vieler Nicht-Erwählter in der irdischen Kirche zu rechnen, sondern die ihn darüber hinaus zu der Annahme nötigt, auch außerhalb von deren Grenzen gebe es Erwählte. Daraus erwachsen schwerwiegende Widersprüche. In seine Lehre von der Kirche hat Augustinus damit einen unheilbaren Riß hineingetragen, denn die wird, bei aller geschichtstheologischen Gewichtung, religiös letztlich bedeutungslos (102 f.): »Sie soll als der Liebesgeist die von ihr Erfüllten in inneren Zusammenhang untereinander bringen, und Augustin betont dem Donatismus gegenüber diesen Gedanken sehr stark. Allein er vermag in keiner Weise anschaulich zu machen, inwiefern die geheimnisvoll von Gott Erwählten sich gegenseitig zu erkennen oder aufeinander zu wirken imstande sein sollten. Was er dem Donatismus gegenüber als Bewährung des Liebesgeistes rühmt, läuft nur auf die Pflicht hinaus, innerhalb der katholischen Kirche als der Mehrheits- und Massenkirche zu verbleiben oder zu ihr überzutreten. Ein dem Gedanken der geistlichen Kirche geradewegs entgegengesetzter Gesichtspunkt.«
So zeigt sich hier besonders deutlich der Grundschaden der Ethik und der Religionsphilosophie Augustins, die den Einzelnen in seiner Verhaftung an sein selbstisches Glücksbegehren festhalten und ihn gerade nicht dazu befähigen, in der durch den Pflichtbegriff regulierten Hingabe an eine lebendige Gemeinschaft sich von diesen Erscheinungsformen der Sünde zu distanzieren. Eudämonismus und Egozentrismus können lediglich einen Kollektivismus hervorbringen, in dem sie ihre Befriedigung suchen, aber keine echte Gemeinschaft, in welcher sie über wun-
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den würden. Auch der Rekurs auf den Staat kann in Augustins Denken dieses Defizit nicht ausgleichen: Der ist ja erst recht ethisch minderwertig als die Sphäre, in der der Hochmut der Verworfenen waltet. Der gängigen katholischen Hochschätzung der Kirche als der heilsnotwendigen Sakraments- und Erziehungsanstalt ist damit ebenso wenig widersprochen wie der Schätzung zumindest desjenigen Staatswesens, welches der Kirche dienstbar ist. Im Kampf gegen den Donatismus hat Augustinus diese Gedanken breit und geschichtswirksam entfaltet. Und er hat aus seiner Erwählungslehre nie den Schluß gezogen, hier etwas zurücknehmen zu müssen. Vielmehr hat er eifrig auch solche volkskatholischen Frömmigkeitsformen wie den Mirakel- und Heiligenkult gefördert, die mit den letzten Spitzen seiner theologischen und religiösen Überzeugungen nicht in Einklang zu bringen waren. Den Schlüssel für dieses Rätsel findet Holl wiederum in dem tiefsten Motiv Augustins, in seinem Streben nach Glückseligkeit. Die Formel, Gott müsse um seiner selbst willen geliebt werden, bedeute bei Augustinus lediglich, daß die Gottesliebe nie einem heterogenen Zweck dienstbar gemacht werden darf. Daß gerade die recht verstandene Selbstliebe in der Gottesliebe zur Vollendung kommt, ist Augustinus dagegen unzweifelhaft gewiß. Das Gebot der Nächstenliebe wiederum trägt nicht nur die Gottesliebe, sondern, in diese eingeschlossen, auch die Selbstliebe in sich: Holl exemplifiziert das an Augustins Auslegung des VII. Gebotes: Die Lüge, welche den Kranken aus Schonung über den Ernst seiner Lage hinwegtäuscht, ist verboten, weil der Lügner sich durch den Bruch des Gebotes schädigt. Das Gebot der Feindesliebe schränkt Augustinus ebenfalls durch Ermäßigungen ein, und er kommt zu einer durch und durch negativen Bilanz (110): »Daß die christliche Liebe gerade das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Zusammenwirken meint, hat Augustin so wenig wie Tolstoi später begriffen.« Auch das Eintauchen in den Paulinismus hat, wie Holl feststellt, die durchgängige Selbstzentriertheit von Augustins Frömmigkeit und Ethos nicht überwunden. Und dasselbe gilt für die persönliche Gottesgewißheit seines Glaubens. Seine Lehre vom ›donum perseverantiae‹ hat ihn daran gehindert, jemals seines eigenen Erwähltseins wirklich gewiß zu werden (112): »Die Inbrunst der caritas ist bei ihm mehr Sehnsucht als Gewißheit«. So vollendet Holl sein Augustinus-Bild, indem er Augustinus in seiner Reifezeit als Denker darstellt, dem allenthalben der Mut zur Konsequenz fehlt: Seine Gnadenlehre stürzt ihn in Ungewißheit, und sein Ethos hält ihn in Vereinzelung fest. Weil es ihm jedoch in alledem an dem Mut gebricht, wahrhaft zum Einzelnen zu werden, flüchtet er sich in Kollektivismus und Autoritätsglauben. Um seiner eigenen Lebensgewißheit willen stellt er sich auf den Standpunkt der katholischen Kirche, reiht sich in sie ein und unterwirft sich ihrer Autorität. Echte innere Einheit seines Denkens gewährt ihm das aber nicht. Die gegebene katholische Kirche mit ihren Ordnungen, ihrer Verkündigung und ihren Sakramenten gilt ihm als die zuverlässige geschicht-
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liche Erscheinungsform der Gnade. Weder opfert er einer konsequenten Fassung seiner Erwählungs- und Gnadenordnung sein Zutrauen zur Katholischen Kirche auf, noch wirft er um der Heilsmacht der Kirche willen seine aus und mit Paulus gewonnenen Einsichten fort. Augustinus hat die Spannung dieses Zwiespalts ausgehalten, und zwar vermutet Holl, daß er genau diesen Zwiespalt brauchte, um sowohl seine Sehnsucht nach Ruhe als auch sein Bedürfnis nach Unruhe befriedigen zu können. Er blieb bis zum Ende, was er von Anfang an war: Ein hochbegabter Intellektueller, dessen letzte, innerste Triebkraft ein in die Welt des Geistigen gewandtes Glückseligkeitsstreben war, und der weder durch das Erlebnis echter, verbindlicher Gemeinschaft noch durch eine ihn bedingungslos fordernde und beschenkende religiöse Gewißheit jemals aus dem Kreisen um sich selbst befreit wurde. G) »Gerade vermöge dieser Vielseitigkeit ist er der große Anreger für seine Kirche geworden. Er hat die Philosophie, die Dogmatik, die Ethik des Mittelalters ebenso tief beeinflußt wie die Kirchenpolitik und das Staatsrecht. Auch die Stürmer haben aus ihm Waffen geholt. Aber wenn man auf die tiefsten Antriebe sieht, so hat die katholische Kirche ihn immer richtiger verstanden als ihre Gegner« (116). Der zuletzt zitierte Satz zeigt, daß Holl in gewisser Weise zu den Grundlinien des Augustinus-Verständnisses zurückgekehrt ist, wie sie bei Ritschl und Kattenbusch vorgezeichnet sind. Die methodischen Verfeinerungen der Augustinus-Forschung, die Hermann Reuter eingeführt hat und die es Adolf von Harnack ermöglichten, ein unvergleichlich weit ausgreifendes und tiefenscharfes Gesamtbild zu zeichnen, hat Holl jedoch keinesfalls vernachlässigt. Vielleicht weist sein Deutungsansatz gegenüber Harnack sogar noch einmal einen höheren Grad an Aufmerksamkeit für die vielschichtige, in sich widersprüchliche Persönlichkeit Augustins auf – von einer Liebe, die ihn hier hätte blind machen können, war Holl ja völlig frei. Daß Holl in seinem Augustinus-Porträt Luther nirgends namentlich erwähnt, ist ein Befund, den man nicht überbewerten darf. In den Kriterien, die er anlegt, ist sein normativ aufgeladenes Bild Luthers und der Reformation allenthalben präsent. Luther ist ja für Holl derjenige Christ, der in einer schöpferischen Neubegegnung mit Paulus den Egozentrismus und Eudämonismus des mittelalterlichen Christentums überwunden hat. Die unerbittliche Forderung Gottes, die ihn unabweislich ins Gewissen trifft, führt dem Menschen vor Augen, daß er Sünder ist und vor Gott keinerlei Rechte und Ansprüche geltend machen kann. Allein das Ja, das Gott in Jesus Christus dennoch zu ihm spricht, indem er ihm die Sünde vergibt, schenkt ihm trotz seines bleibenden Sündenbewußtseins Lebenszuversicht und befreit ihn zu einem selbstlosen, an den Bedürfnissen des Nächsten und der Gemeinschaft orientierten Ethos. Der Augustinus Holls ist in erster Linie als Negativfolie für dieses Verständnis Luthers und der Reformation konzipiert. Auch für Holl fällt Luthers Einsicht nicht vom Himmel. Luther ist Pauliner, und sein besonderes Paulusverständnis ruht auf einer Vorgeschichte:
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»Höchstens kann man feststellen, daß Luther im Vergleich mit Paulus diese Spannung [scil. zwischen Gottes unerbittlicher Forderung und seiner rückhaltlosen Vergebung; M.O.] persönlicher, lebendiger und deshalb zugleich mehr als dauernde empfindet. Denn zwischen Paulus und Luther steht das Mönchtum, steht Augustin, steht die Beichtübung und die Mystik. Diese Mächte haben die Verfeinerung des Persönlichkeitsgefühls bewirkt, die Luther von Paulus unterscheidet und die reichere Ausgestaltung seiner Rechtfertigungslehre veranlaßt.«88
Aber es ist deutlich: Die positive Bedeutung Augustins für die Entstehung des reformatorischen Christentumsverständnisses ist doch bei Holl sehr gering veranschlagt.
5. Bilanz
Die hier betrachteten Autoren haben ihre Arbeit als Historiker verstanden als Dienst an der Emporbildung des evangelischen Christentums zu seinem eigenen Wesen hin als Religion der Authentizität und Autonomie im Kampf gegen jede Art von religiöser Gesetzlichkeit und ethischer Heteronomie. Dieses Zielbild sahen sie gegründet und vorgegeben in Jesu Verkündigung und Geschick, im Paulinischen Evangelium und in der Reformation. Zu diesen drei Leitinstanzen konnte es jedoch für sie immer nur ein vermitteltes, der historischen Analyse und systematischen Reflexion bedürftiges Verhältnis geben. Weil sich das so verhielt, mußten sie sich mit Augustinus als dem Theologen beschäftigen, durch dessen Neuaneignung des Paulinischen Evangeliums an der Grenzscheide von der Spätantike zum Mittelalter Frömmigkeit, Kirche und Theologie des Westens maßgeblich bestimmt worden waren – bis hin zur Reformation, in der eine schöpferische Neuaneignung des Paulinismus begann, welche einerseits durch Augustinus ermöglicht war, anderseits jedoch auch sein eigenes Paulus-Verständnis und damit eine tragende Grundlage seines Christentums überwand. Zwischen den Autoren, die ich vorgestellt habe, walteten viele und bedeutsame Differenzen. Aber in einem waren sie sich doch einig: Auch und gerade ein bewußt neuzeitlicher Protestantismus gehört in den Geschichtszusammenhang des gesamten westlichen Christentums hinein, und deshalb muß er sein Verhältnis zu dessen größtem Denker und Gestalter in befriedigender Weise klären – keinesfalls im Sinne der Rückversicherung an einer formalen Autorität, sondern um der Wahrhaftigkeit seiner Selbstdeutung und seines Verhältnisses zu anderen Konfessionen und Konfessionsfamilien willen. Und daran dürfte sich der Sache nach bisher nichts geändert haben. 88
Karl Holl: Die Rechtfertigungslehre im Lichte der Geschichte des Protestantismus, 534.
Dimensionen der Zeitlichkeit bei Augustinus und Henri Bergson (1859 – 1941) von Matthias Vollet
1. Einleitung
In einem Band zu Spuren und Spiegelungen des Denkens Augustins erwartet man Beiträge zu seiner Wirkungsgeschichte; Beiträge also dazu, wie Augustinus gelesen wurde und wie diese Lektüre ein anderes Denken geprägt oder zumindest darin seine Spuren hinterlassen hat, sei es positiv oder negativ. Rezeptionsforschung kann verschiedene Ziele haben: sie kann den Ausgangspunkt betrachten mit der Absicht, die Wichtigkeit der Quelle in mancherlei Zeiten und zu vielerlei Themen zu erweisen und so retrospektiv auch neues Licht auf diese Quelle zu werfen; oder sie nimmt sich einen Zielpunkt vor, dessen vielfältige Quellen oder Abstoßungspunkte sich zu einem historischen Relief bilden können; beide Weisen haben aber zur Grundlage, daß es eine feststellbare Rezeption, also Lektüre und deren Niederschlag in Gedanken, gibt. Dies ist aber bei Bergson in Bezug auf Augustinus nicht der Fall. Der Name Augustinus findet sich nur einmal in all seinen edierten Werken und Briefen: bei der Erwähnung des Philosophischen Testaments von Felix Ravaisson in dem 1904 verfaßten und 1934 in La pensée et le mouvant wieder publizierten Text La vie et l’œuvre de Ravaisson.1 Wahrscheinlich durch Ravaisson angeregt findet sich der dort zitierte Satz »aimez, et faites ce que vous voudrez«, wenn auch in anderem Kontext und ohne Autorennennung, als »ama et fac quod vis« auch in Les deux sources de la morale et de la religion.2 In den bislang veröffentlichten Vorlesungen erscheint Augustinus nur sehr vereinzelt und verstreut, nie wird er als Autor eigenständig behandelt.3 Nach Henri Bergson: La vie et l’œuvre de Ravaisson, in: ders.: La pensée et le mouvant (PM), 287 (= Œuvres 1478). Im Augustinischen Diktum »Aimez et faites ce que vous voudrez« habe Ravaisson die Kunst des Lebens zusammengefaßt: »Il insistait sur l’art qui est le plus élevé de tous, l’art même de la vie, celui qui façonne l’âme. il le résumait dans le précepte de saint Augustin: ›Aimez, et faites ce que vous voudrez‹. Et il ajoutait que l’amour ainsi entendu est au fond de chacun de nous, qu’il est naturel, que nous n’avons pas à le créer, qu’il s’épanouit tout seul quand nous écartons l’obstacle que notre volonté lui oppose: l’adoration de nous-mêmes.« Dt. in Henri Bergson: Denken und schöpferisches Werden (DSW), 276. Im folgenden werden für die Werke Bergsons die Seitenzahlen der deutschen und französischen Einzelausgaben angegeben sowie in Klammern die Seitenzahl der frz. Gesamtausgabe der Werke in einem Band. 2 Henri Bergson: Les deux sources de la morale et de la religion (DSMR), 301 (= Œuvres 1215); dt. in: Henri Bergson: Die zwei Quellen der Moral und der Religion (ZQMR), 282. Der Kontext ist hier eine Erörterung der nordamerikanischen freiheitlichen Demokratie, als deren Formel er das lateinische Zitat bringt. 3 Zum Beispiel in: Henri Bergson: Cours I, 69 ein kurzes Zitat ›amabam amare‹ im Zusam1
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den Zeugnissen zweier seiner (katholischen)4 Schüler hat Bergson selbst Augustinus kaum bzw. erst spät gelesen. Jacques Chevalier berichtet in seinen Entretiens von einer Unterhaltung, in der Bergson die Zeitlehre Augustins als lesenswert bezeichnet habe5 – dieses Gespräch fand 1938 statt, also drei Jahre vor Bergsons Tod und vier Jahre, nachdem Bergson seine letzten Werke publiziert hatte. Vor allem aber liegt dieses Gespräch fünf Jahre nach dem Erscheinen von Le temps et l’éternité chez Plotin et Saint Augustin (1933) von Jean Guitton, einem anderen Schüler Bergsons, der diesen wohl durch dieses Buch mit Augustinus erst näher bekannt machte. Jean Guitton schreibt in der Einleitung seines (von Kurt Flasch in dessen kommentierten Ausgabe des XI. Buches der Confessiones verschiedentlich zitierten)6 Werkes, Bergson habe ihm 1927, als Guitton in der Vorbereitung seiner Dissertation das Gespräch mit ihm suchte, seine geringe Kenntnis Augustins bekannt. Die zuweilen festgestellten Ähnlichkeiten der von ihnen verwendeten Bilder seien keinem direkten Einfluß verdankt. Jedoch, so Bergson vorsichtig, stünde Augustinus am Ursprung der christlichen und modernen Zeitauffassung (nicht: seiner, ergänzt Guitton): »M. Bergson me dit qu’il connaissait peu saint Augustin (21 janvier 1927). Les ressemblances qu’on a parfois notées entre ses images et celles de saint Augustin n’étaient pas dues à une influence directe. L’un comme l’autre étaient, pour le style de pensée, des esprits mélodieux et rayonnants, composant par thèmes et affinités, ayant le sentiment des totalités mouvantes, et connaissant comme les musiciens ce pouvoir de l’esprit de dilater ou de contracter une même durée. Bergson m’encouragea d’étudier Plotin […] / Il me disait […] avoir découvert chez lui au passage une ›merveilleuse théorie de la conscience‹. ›Il était le seul Grec à avoir fait place au problème de la menhang einer Psychologievorlesung; 254 eine Namensnennung im Kontext der Willensfreiheitsdiskussion; Henri Bergson: Cours II, 100 ein kurzes Zitat zur Glückseligkeit; Henri Bergson: Leçons Clermontoises I, 365 einige Zeilen zu Augustins Ästhetik; in Henri Bergson: Leçons Clermontoises II, 110 im Zusammenhang mit Descartes’ Cogito; 183, wo die Benennung Anselms von Canterbury als zweiter Augustinus erwähnt wird; 204 f. eine aus der Literatur übernommene Augustinus-Nennung zum Problem des im Traum gegebenen Wortes. 4 Bergson war Jude, näherte sich aber immer stärker dem Katholizismus an, wie er auch seinem Testament deutlich macht. Sein Verhältnis zur Religion im allgemeinen und zum Katholizismus im besonderen war denn auch Gegenstand zahlreicher Erörterungen (nicht nur, aber insbesondere seiner katholischen Schüler – und Gegner): Henri Gouhier: Les rapports de Dieu et du monde dans la philosophie de Bergson; Henri Gouhier: Bergson et le Christ des évangiles; Jean Guitton: La vocation de Bergson; Vladimir Jankélévitch: Henri Bergson, passim; vgl. vor allem die Einleitung sowie die Beiträge von Jean Wahl, Maurice Blondel, Jacques Chevalier, R.P. Sertillanges, Georges Cattaui, Emmanuel Mounier und nicht zuletzt Raïssa Maritain in dem von Albert Béguin und Pierre Thévenaz herausgegebenen Band: Henri Bergson. Essais et témoignages. Dort wird ausführlich die Nähe Bergsons zum Christentum beschrieben und die Frage seiner Konversion diskutiert. 5 Jacques Chevalier: Entretiens avec Bergson, 269. 6 Kurt Flasch: Was ist Zeit? 30, Anm. 3.
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conscience‹: je recueillis cela comme un secret. Et il avançait timidement que saint Augustin était sans doute à l’origine de la ›conception chrétienne et moderne‹ du temps. Il ne dit pas de ma conception.«7
Für den Gang der Untersuchung als einem Vergleich im Themenbereich der Zeit kann die Bemerkung Bergsons, die eine doppelte Distanzierung von Augustinus beinhaltet, als Leitfaden dienen. Zum einen negativer Natur im Sinne einer Fehlanzeige, sofern das möglich ist: direkte Übernahmen hat es nicht gegeben. Eine Überprüfung direkter Augustinischer Einwirkung scheidet also aus. Zum anderen für das generelle Vorzeichen der Bewertung Augustins durch Bergson: für Bergson kann Augustinus als der Urheber der christlichen und modernen Zeitauffassung gelten und gehört so zu dem Bereich der Philosophie, den Bergson aus grundlegenden Erwägungen heraus ablehnt. Indem die Bemerkung aus dem Gespräch zwischen Bergson und Guitton aufgenommen wird, wird der Untersuchung eine Perspektive gegeben; zugleich wird im Laufe des Gedankengangs diese Bemerkung mit Leben erfüllt. Gewagt ist ein solcher Versuch eines Vergleiches zunächst natürlich als Anachronismus und zudem unter den Bedingungen der Nicht-Rezeption; angezeigt und sinnvoll jedoch ist ein solcher Vergleich einerseits, weil, wie Flasch in seiner Einführung zu Confessiones XI wiederholt sagt, in der älteren Augustinus-Literatur vor allem französischer Provenienz wiederholt von Bergson geprägte Augustinus-Interpretationen vorgelegt wurden;8 zum anderen, weil in aktuelleren Beiträgen wie eben dem von Flasch eine Verbindung Augustinus-Bergson wieder diskutiert wird.9 Schließlich scheint durch Übereinstimmungen beider ein Vergleich nahezuliegen.10 Jean Guitton: Le temps et l’éternité chez Plotin et Saint-Augustin, 15 f. Zum Beispiel Kurt Flasch, Was ist Zeit?, 30 f. 9 Kurt Flasch: Was ist Zeit?, 29 – 36. 10 Die Dissertation von Reinhard Kolbitsch: Der Zeitbegriff bei Augustinus und Bergson, Diss. masch. Innsbruck 1994 legt davon Zeugnis ab. Er gibt als Beispiel für eine bergsonisierende Augustinusinterpretation einen (nicht mit Titel angeführten) Beitrag von R. Bougarel vom 16. 3. 1931 für die Société philosophique du Sud-Est de la France an, in der Augustinus für die Vorausahnung der durée gelobt werde. Neuere Forschungsliteratur zum Thema AugustinusBergson liegt nicht vor. Es gibt Ähnlichkeiten; insbesondere wenn man beide Gedankengebäude in Bestandteile fragmentiert, erkennt man eine Verwandtschaft bei der Bedeutung der ›memoria‹ für das Ich, worauf hier ebensowenig eingegangen werden kann wie auf die Behandlung des Neuen bei Bergson und bei Augustinus neben Confessiones in De civitate dei; bei der Auffassung der Zeit als etwas, was als Dynamik in der Seele passiert; beim Detail der Aufspaltung in Vergangenheit und Zukunft im Vollzug einer Handlung, beim Leitbeispiel des Liedes, schließlich generell beim Weg vom wahrnehmungsorientierten zum introspektiven Ansatz bei der Behandlung des Problems Zeit. Man erkennt aber rasch, daß dies bereits nur funktioniert, wenn man bestimmte Bestandteile des 10. – 12. Buches der Confessiones isoliert betrachtet – auch untereinander isoliert. Das Selbst-Gedächtnis des 10. erscheint im 11. Buch nicht mehr, bei den Behandlungen der Zeit (Confessiones 12, auch in De civitate dei 12) ist nicht mehr von dem Geist die Rede, sondern nur von der Bewegung, durch die sie bestünde. Freilich nähert sich dies wie7 8
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Zunächst sollen nun Grundzüge von Bergsons Zeitphilosophie dargelegt werden, woraufhin der eigentliche Vergleich Bergson-Augustinus anhand Confessiones 11, aber aus der Perspektive Bergsons stattfindet. Dieser Vergleich will die obige Bemerkung mit Inhalt füllen – inwiefern steht Augustinus für Bergson an diesem Ursprung der modernen Zeitauffassung, und weswegen steht Bergson ihm dadurch kritisch gegenüber? – und auch überprüfen, wie nahe man Augustinus an Bergson ›heranlesen‹ kann. Es wird sich auf der Grundlage mehrerer Vergleichspunkte erweisen, daß – von Bergson aus betrachtet – der Denkweg von Confessiones 11 in deutlicher (gar nicht sofort sichtbarer) Entfernung von Bergson beginnt, sich ihm dann bis zu einer ziemlichen Nähe annähert, um sich in der Schlußvolte wieder ganz von ihm zu entfernen: eine Bewegung, die in ihrem Ende prototypisch ist für die verpaßte Chance, die Bergson in der Wissenschaft und Philosophie der Moderne sieht – als an deren Ursprung stehend ihm Augustinus gilt.
2. Grundzüge der Zeitphilosophie Bergsons
Ausgangspunkt der Bergsonschen Philosophie der durée ist bekanntermaßen sein erstes Werk, das Essai sur les données immédiates de la conscience von 1889, wo er die durée des Bewußtseins behandelt.11 Wesentliche Punkte seiner Philosophie, die auch einen Strukturvergleich mit Augustinus betreffen, sind dort angelegt: die Methode der Introspektion; die Auffassung der Zeit als Substanz des Bewußtseins bzw. des Bewußtseins als ›Ort‹ der Zeit; die Auseinandersetzung mit der Alltagssprache, und in Zusammenhang damit das Phänomen (und Problem!) des Messens und der Verräumlichung der Zeit. Mit der Kritik an der Verfälschung der Zeit durch Sprache, Quantifizierung und Verräumlichung eröffnet Bergson das Vorwort seines ersten Werkes: »Wir drücken uns notwendig durch Worte aus, und wir denken fast immer räumlich. Mit anderen Worten, die Sprache zwingt uns, unter unsern Vorstellungen dieselben scharfen und genauen Unterscheidungen, dieselbe Diskontinuität herzustellen wie zwischen den materiellen Gegenständen. Diese Assimilation ist im praktischen Leben von Nutzen und in der Mehrzahl der Wissenschaften notwendig. Es ließe sich jedoch die Frage aufwerfen, ob nicht die unübersteiglichen Schwierigkeiten, die gewisse philosophische Probleme bieten, daher kommen, derum der Bergsonschen Auffassung an, für den ja Bewegung auch ein Urphänomen ist; jedoch schafft er eine Brücke zwischen den Formen von Bewegung, sein sekundärer Dualismus ist keine Zweiweltenlehre mit Erlösungsaxiologie. 11 Henri Bergson: Essai sur les données immédiates de la conscience (Essai); dt: Zeit und Freiheit (ZF).
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daß man dabei beharrt, die Erscheinungen, die keinen Raum einnehmen, im Raume nebeneinander zu ordnen, und ob sich der Streit nicht oft dadurch beenden ließe, daß man von den allzu groben Bildern abstrahiert, um die er sich abspielt. Wenn eine unberechtigte Übersetzung des Unausgedehnten in Ausgedehntes, der Qualität in Quantität ins Innere der aufgeworfenen Frage selbst den Widerspruch hineinträgt, ist es dann zu verwundern, daß sich der Widerspruch in den Lösungen, die man ihr gibt, wiederfindet?«12 Bergson hatte, wie er 1934 in der Einleitung zu La pensée et le mouvant13 sowie in dem dort abgedruckten Vortrag Le possible et le réel14 beschreibt, zunächst der Philosophie George Herbert Spencers angehangen, dann aber bei näherer Beschäftigung mit dessen Grundbegriffen festgestellt, daß die Zeit bei im zwar vorkommt, in ihrer Funktion bzw. ihrem Wesen aber völlig unbestimmt bleibt bzw. keine eigene hat. Wenn aber die Zeit zu etwas da sei, dann doch wohl, zu verhindern, daß alles auf einmal gegeben wäre.15 Zeit ist für Bergson Bewegung, sie ist in ständigem Werden begriffen und ist das, was von allem bewirkt, daß es hervorgebracht wird.16 Das hat für Bergson Folgen für die Meßbarkeit der Zeit; für das Messen müßten zwei Teile der Zeit vollständig zur Deckung zu bringen sein, was aber ausgeschlossen ist; ich komme darauf zurück. Bergson unterscheidet im Essai die Dauer (durée), die wirkliche Zeit, von dem Zeitbegriff, der entsteht, wenn man die Zeit als quantitativ statt qualitativ, als homogen statt heterogen, als diskontinuierliche Aneinanderreihung statt als gegenseitige Durchdringung begreift. Diese alltägliche Verräumlichung, Homogenisierung und Desintegration der Zeit ist der Sprache und dem Handlungszwang des Menschen geschuldet: beide bevorzugen unterteilbare, in sich stabile Elemente, die zählbar bzw. behandelbar sind. Die eigentliche Zeit, die wir in uns verspüren, wenn wir in einem besonderen Akt der Aufmerksamkeit auf den Verlauf unseres Bewußtseins ZF 7; Essai VIII (Œuvres 3): »Nous nous exprimons nécessairement par des mots, et nous pensons le plus souvent dans l’espace. En d’autres termes, le langage exige que nous établissions entre nos idées les mêmes distinctions nettes et précises, la même discontinuité qu’entre les objets matériels. Cette assimilation est utile dans la vie pratique, et nécessaire dans la plupart des sciences. Mais on pourrait se demander si les difficultés insurmontables que certains problèmes philosophiques soulèvent ne viendraient pas de ce qu’on s’obstine à juxtaposer dans l’espace les phénomènes qui n’occupent point d’espace, et si, en faisant abstraction des grossières images autour desquelles le combat se livre, on n’y mettrait pas parfois un terme. Quand une traduction illégitime de l’inétendu en étendu, de la qualité en quantité, a installé la contradiction au cœur même de la question posée, est-il étonnant que la contradiction se retrouve dans les solutions qu’on en donne?« 13 Henri Bergson: La Pensée et le mouvant. Essais et conférences (PM); dt: Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge (DSW). 14 Henri Bergson: Le possible et le réel, in: PM 99 – 116 (PR (PM)) (Œuvres 1331 – 1345); dt. Das Mögliche und das Wirkliche, in: DSW 110 – 125. 12
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achten, besteht in einem steten, nicht wiederholbaren oder reproduzierbaren qualitativen Wandel mit einer vollständigen Aufbewahrung der Vergangenheit,17 einer gegenseitigen Durchdringung der kaum so zu nennenden Bewusstseinszustände, deren Dauer ihre Substanz selbst ist. Ihre verräumlichende Darstellung hin zu einer homogenen Sukzession getrennter und miteinander vertauschbarer, also zählbarer und messbarer Teile verfälscht sie, weil so ihre Eigenart verlorengeht.18 Eine Vermischung von Raum und Zeit führt in der Repräsentation intelligenter Wesen zu einer sauberen Trennung und Aufstellung geistiger Phänomene in einem homogenen raum-zeitlichen Milieu. Dadurch werden aber ›vorher‹ und ›nachher‹ gleichzeitig wahrgenommen,19 die Abfolge der Bewußtseinszustände (succession d’états de conPR (PM) 102 (Œuvres 1333): »Il y a quelques cinquante ans, j’étais fort attaché à la philosophie de Spencer. Je m’aperçus, un beau jour, que le temps n’y servait à rien, qu’il ne faisait rien. Or ce qui fait rien n’est rien. Pourtant, me disais-je, le temps est quelque chose. Donc il agit. Que peut-il bien faire? Le simple bon sens répondait: le temps est ce qui empêche que tout soit donné d’un coup. Il retarde, ou plutôt il est retardement. Il doit donc être élaboration. Ne serait-il pas alors véhicule de création et de choix? L’existence du temps ne prouverait-elle pas qu’il y a de l’indétermination dans les choses? Le temps ne serait-il pas cette indétermination même?«; dt: MW (DSW) 112 f. 16 Einleitung (DSW) 22 f., Introduction (PM) 2 f. (Œuvres 1254). 17 Henri, Bergson: Einführung in die Metaphysik, in: Denken und Schöpferisches Werden (EM (DSW)) 185 f.: »Aber es ist ebenso auch ein beständiges Aufrollen wie beim Faden auf einem Knäuel, denn unsere Vergangenheit folgt uns, sie wächst unaufhörlich mit der Gegenwart, die sie unterwegs aufnimmt; und Bewußtsein bedeutet Gedächtnis […] / Nun, es gibt nicht zwei Augenblicke bei einem lebenden Wesen, die einander identisch wären. […] Das Bewußtsein […] kann nicht zwei aufeinander folgende Augenblicke hindurch mit sich selber identisch bleiben, da der folgende Augenblick immer gegenüber dem vorhergehenden noch die Erinnerung enthält, die jener zurückgelassen hat. Ein Bewußtsein, das zwei identische Momente besäße, wäre ein Bewusstsein ohne Gedächtnis.« Henri Bergson: Introduction à la métaphysique, in: La pensée et le mouvant (IM (PM)) 183 f. (Œuvres 1399): »Mais [scil. vivre, M.V.] c’est tout aussi bien un enroulement continuel, comme celui d’un fil sur une pelote, car notre passé nous suit, il se grossit sans cesse du présent qu’il ramasse sur sa route; et conscience signifie mémoire. […] Or, il n’y a pas deux moments identiques chez un être conscient. […] La conscience […] ne pourra rester identique à elle-même pendant deux moments consécutifs, puisque le moment suivant contient toujours, en sus du précédent, le souvenir/que celui-ci a laissé. Une conscience qui aurait deux moments identiques serait une conscience sans mémoire.« 18 ZF 78: »Die Sukzession läßt sich also ohne die Wohlunterschiedenheit und wie eine gegenseitige Durchdringung, eine Solidarität, eine intime Organisation von Elementen begreifen, deren jedes das Ganze vertritt und von diesem nur durch ein abstraktionsfähiges Denken zu unterscheiden und zu isolieren ist. Eine solche Vorstellung von der Dauer würde sich ohne allen Zweifel ein Wesen machen, das zugleich identisch und veränderlich wäre und dem die Idee des Raumes gänzlich mangelte.« Essai 75 (Œuvres 68): »On peut donc concevoir la succession sans la distinction, et comme une pénétration mutuelle, une solidarité, une organisation intime d’éléments, dont chacun, représentatif du tout, ne s’en distingue et ne s’en isole que pour une pensée capable d’abstraire. Telle est sans doute la représentation que se ferait de la durée un être à la fois identique et changeant, qui n’aurait aucune idée de l’espace.« 19 ZF 78 f., Essai 76 (Œuvres 68). 15
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science) wird verräumlicht zu einer Aufzählung von Gleichartigem,20 ihre Ineinanderwirkung aus qualitativer Heterogenität21 wird zerlegt. In seinem zweiten Werk Matière et mémoire von 1896 22 behandelt Bergson die durée als Bewußtsein in einem Leib und also das Verhältnis von Leib und Seele; dort ist auch der Ort der Behandlung des Gedächtnisses, die hier nicht weiter verfolgt werden kann. Wichtig ist dieser Schritt, da er die Perspektive öffnet zur Materie, dadurch zur Außenwelt insgesamt und somit letztlich zur Metaphysik. In seiner Introduction à la métaphysique von 1903 stellt Bergson seine Metaphysik als eine ›integrale Erfahrung‹ der Dauer23 vor; Aufgabe dieser Philosophie ist es, in die kreative Zeitlichkeit der Realität vorzudringen, mit ihr eins zu werden in der schöpferischen Bewegung. Diese zeitlich verfaßte Realität umfaßt in diesem reifen metaphysischen Stadium Bergsons die ganze Wirklichkeit: »Es gibt eine äußere Wirklichkeit, die dennoch unmittelbar unserem Geist gegeben ist. […] Diese Wirklichkeit ist reine Bewegung. Es existieren keine starren Dinge, sondern allein werdende Dinge, keine Zustände, die bleiben, sondern nur Zustände, die sich verändern. Die Ruhe ist nur scheinbar, oder vielmehr relativ. Das Bewußtsein, das wir von unserer eigenen Person haben, in seinem unaufhörlichen Fließen, führt uns in das Innere einer Wirklichkeit hinein, nach deren Muster wir uns alle andere Wirklichkeit vorstellen müssen. Jede Wirklichkeit ist also Tendenz, wenn man übereinkommt, unter Tendenz eine immer neu beginnende Richtungsänderung zu verstehen (Richtungsänderung in statu nascendi).«24
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ZF 61 f., Essai 58 f. (Œuvres 54 f.). ZF 77; Essai 77 (Œuvres 70): »Bref, la durée pure pourrait bien n’être qu’une succession de
changements qualitatifs qui se fondent, qui se pénètrent, sans contours précis, sans aucune tendance à s’extérioriser les uns par rapport aux autres, sans aucune parenté avec le nombre: ce serait l’hétérogénéité pure.« Hier läßt sich auch das grundlegende Mißverständnis Heideggers aufklären, auf dessen Grundlage er in Sein und Zeit (432 f.) die Zeitauffassung Bergsons zum aristotelischen Traditionsstrang zählt: der tiefgreifende Unterschied der qualitativen zur quantitativen Sukzession bleibt unterbelichtet; Heidegger entgeht, daß bei der qualitativen Sukzession das Ineinander Verschmelzen im Vordergrund steht. 22 Henri Bergson: Matière et mémoire. Essai sur la relation du corps à l’esprit; dt: Materie und Gedächtnis. 23 EM (DSW) 225; IM (PM) 227 (Œuvres 1432): ›expérience intégrale‹. 24 EM (DSW) 211; IM (PM) 211 (Œuvres 1420): »Il y a une réalité extérieure et pourtant donnée immédiatement à notre esprit. […] Cette réalité est mobilité. Il n’existe pas de choses faites, mais seulement des choses qui se font, pas d’états qui se maintiennent, mais seulement des états qui changent. Le repos n’est jamais qu’apparent, ou plutôt relatif. La conscience que nous avons de notre propre personne, dans son continuel écoulement, nous introduit à l’intérieur d’une réalité sur le modèle de laquelle nous devons nous représenter les autres. Toute réalité est donc tendance, si l’on convient d’appeler tendance un changement de direction à l’état naissant.« (Hervorhebungen H. B.).
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Diese Auffassung der Wirklichkeit als zeitlich-tendenzhaft-schöpferischer bricht, so Bergson, mit den bisherigen Wirklichkeits- und Zeitauffassungen der Philosophie, die darin übereinstimmen, daß sie die Zeit als selbst nichts hervorbringendes Abbild der oder einen Abfall von der allein im vollen Sinne wirklichen, weil statischen oder besser überzeitlichen Ewigkeit ansehen, und das in der Zeit sich verändernd Verlaufende als Abklatsch von etwas in Ewigkeit unveränderlich Seiendem – Ideen in den Dingen, in einem Ideenreich oder im Geiste Gottes –, wodurch es in seinen Veränderungen von vorneherein feststeht.25 In seinem dritten Hauptwerk, L’évolution créatrice von 1907,26 wird die Zeit als die Grundlage der Wirklichkeit überhaupt behandelt; die Wirklichkeit als ganze ist schöpferisch, ist durchzogen von Tendenzen zu Neuem. Das Neue, das ständig hervorgebracht wird, das Unvorhersehbare der Kreativität des Bewußtseins im Menschen wie auch in der Wirklichkeit überhaupt wird so zum Grundmovens bergsonschen Denkens. In der Metaphysik Bergsons, deren Grundprinzip die Kreativität der Zeit ist, ist also kein Platz für ein Denken, das – wie Augustinus – die Zeit als Verlaufende als defizient betrachtet und ihr eine außerzeitliche Ewigkeit des nunc stans gegenüberstellt, die zudem alles, was in der Zeit sich entwickelt, bereits in sich trägt, so daß die Zeit nichts Neues hervorbringen kann. Die Zeit hat bei Bergson dadurch auch nicht die Augustinische Richtung in die Vergangenheit hinein,27 sondern sie schreitet voran in die Zukunft; Vergangenheit und Gegenwart gehen schwanger mit der Zukunft, wie Bergson verschiedentlich sagt. Im vierten Kapitel von L’évolution créatrice 28 stellt Bergson seine Philosophie, nachdem er sie in den vorangegangenen Kapiteln (und auf der Grundlage der Introduction à la métaphysique) expliziert hat, in den Kontext der Philosophiegeschichte, d. h. hebt sie von der Metaphysik (und Wissenschaft) vor ihm ab. Dabei wird klar, daß Bergson, wie so viele Denker, sich als einen Neuerer in der Philosophie ansieht. Vor allem ist hier ist auch der Schlüssel zu entdecken für die diese Untersuchung leitende Bemerkung Bergsons, Augustinus stünde am Ursprung der christlichen und modernen Zeitauffassung, und auch der Schlüssel für die implizite negative Bewertung dieser Rolle. Die Philosophie der Moderne ist für Bergson die einer verpaßten Gelegenheit: die Metaphysik der Antike29 habe die Zeit der Ewigkeit untergeordnet und von den Zum Beispiel MW (DSW) 124 f.; PR (PM)115 f. (Œuvres 1344). Henri Bergson: L’évolution créatrice (EC); dt: Schöpferische Entwicklung (SE). 27 conf. 11,37, vgl. SwL 52, am Beispiel des Gedichtvortrags: »Ita peragitur, dum praesens intentio futurum in praeteritum traicit deminutione futuri crescente praeterito, donec consumptione futuri sit totum praeteritum.« Die Confessiones-Stellen werden angegeben nach: Aurelius Augustinus: Was ist Zeit?, übersetzt von Norbert Fischer. 28 SE 317 – 371; EC 313 – 369 (Œuvres 760 – 807). 29 SE 311 ff.; EC 308 ff. (Œuvres 755 ff.). 25 26
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Dingen nicht deren Verlauf, sondern hervorgehobene Momente beobachtet (ihr te2lo@, ihre a4kmh2 und ihren kairo2@, sozusagen);30 ihre so hervorgehobenen Ideen oder Formen wurden dann in den Bereich des Unabänderlichen, also Unzeitlichen versetzt, so daß die zeitlichen Dinge prinzipiell abfallen von ihren überzeitlichen Vorbildern.31 Die Wissenschaft und Philosophie der Moderne,32 anhebend mit Galilei, Kepler und Descartes, hat sich Bergson zufolge zwar der Zeit als solcher zugewendet, z. B. dem Verlauf der Planeten und Sterne zur Berechnung ihrer Position zu jedem beliebigen Moment. Die neue, moderne Wissenschaft mißt immerhin Bewegungen und Verhältnisse, statt lediglich herausgehobene Punkte essentiell zu betrachten. Jedoch betrachtet sie dabei die Zeit nicht in ihrem Verlauf, sondern trägt sie zum Zwecke des Messens auf einen Zeitstrahl verräumlicht ab. Wo also eigentlich die Gelegenheit für eine neue Metaphysik gegeben war, die sich nicht mehr dem Wandel enthobenen Entitäten zuwendet, sondern der Bewegung und der Zeit, betrachtet sie statt der Zeit selbst doch nur deren verräumlichtes Abbild. Den Abschnitt über die moderne Wissenschaft faßt Bergson folgendermaßen zusammen: »Mit einem Wort also, die Ähnlichkeiten dieser neuen Metaphysik [scil. Descartes, Spinoza, Leibniz] mit jener der Alten [scil. Platon, Aristoteles] rühren daher, daß die eine wie die andere – jene oberhalb des Sinnlichen, diese im Schoße des Sinnlichen selbst – eine einzige und lückenlose Wissenschaft voraussetzt, mit der alles zusammenfallen soll, was die Sinnlichkeit an Realität umschließt. Einer wie der anderen ist Realität wie Wahrheit von Ewigkeit her in Totalität gegeben. Eine wie die andere schreckt vor dem Gedanken einer Realität zurück, die sich je und je und nach und nach erschüfe, d. h. im Grunde vor der absoluten Dauer.«33 SE 333; EC 330 (Œuvres 774). Der mittelalterlichen Philosophie stand Bergson sehr reserviert gegenüber; abgesehen von der Mystik, die in den Zwei Quellen der Moral und der Religion einen Ehrenplatz erhält (und die er erst für dieses Werk intensiv studiert hat), hat er sie kaum zur Kenntnis genommen und begreift sie als eine Mischung von Theologie und Philosophie, die reines Philosophieren unmöglich gemacht hat. Siehe z. B. Henri Bergson: Leçons clermontoises II, 180 – 182: »On donne le nom de scolastique à la philosophie du Moyen-Âge. Ce qui distingue cette philosophie, c’est son union plus ou moins étroite avec la théologie. En effet les scolastiques sont à peu près tous des religieux. Ils voient dans la philosophie un moyen de démontrer ou d’interpréter les vérités de la foi. Là est précisément le défaut du Moyen-Âge. Il n’a guère connu la liberté. Philosophia ancilla theologiae, voilà la dévise de la scolastique dans sa période d’éclat.« 32 SE 333 ff.; EC 330 ff. (Œuvres 774 ff.). 33 SE 356; EC 353 (Œuvres 794): »En résumé, les ressemblances de cette nouvelle métaphysique avec celle des anciens viennent de ce que l’une et l’autre supposent toute faite, celle-là audessus du sensible et celle-ci au sein du sensible lui-même, une Science une et complète, avec laquelle coïnciderait tout ce que le sensible contient de réalite. Pour l’une et pour l’autre. la realité, comme la verité, serait intégralement donnée dans l’éternité. L’une et l’autre repugnent à l’idée d’une realité qui se créerait au für et à mesure, c’est-à-dire, au fond, d’une durée absolue.« 30 31
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Wenn diese die moderne Zeitauffassung ist, als deren Vorläufer Bergson Augustinus ansieht, lassen sich Gründe für eine Ablehnung Augustins aus der Perspektive Bergsons ohne größere Zwänge konstruieren: zum Einen der metaphysische Vorrang der allein schaffenden Ewigkeit, zum Anderen das Verharren bei einer verräumlichenden und sprachorientierten Behandlung der Zeit.
3. Vergleich Bergson – Augustinus
Wie bereits angedeutet, hebt der Denkweg von Confessiones 11 an einem ähnlichen Gegenstand der Betrachtung an wie derjenige Bergsons, der Alltagssprache; in der Behandlung dieses Phänomens zeigt sich jedoch auch der ganze Abstand zwischen beiden, der sich im Zuge der fortgesetzten Introspektion des menschlichen Geistes zunächst zu reduzieren scheint, um sich zum Ende wieder ganz aufzutun. Zunächst setzt der Frageweg Augustins an der Alltagssprache und an räumlichen Zeitvorstellungen an und verläßt diese auch nicht; wir reden von langer und kurzer Zeit, wir reden von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wir reden vom Messen der Zeit und messen sie tatsächlich. »Und dennoch, Herr, nehmen wir Zeitabschnitte wahr, vergleichen sie miteinander und nennen manche länger, manche kürzer. Wir messen auch, um wie viel länger oder kürzer diese Zeit ist als jene, und antworten zum Beispiel, diese sei doppelt oder dreimal so lang.«34 Zugleich wird der sprachliche Niederschlag immer wieder in Frage gestellt, und immer wieder, immer mehr wird betont, daß man zwar dies und das sage, aber nicht wisse, was sich dahinter verberge. »Man mag weiter sagen, daß Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die drei Zeiten seien, wie uns die Gewohnheit zu sagen verleitet; mag man so reden. Sieh, ich sorge mich nicht darum, widersetze mich nicht und übe keine Kritik, wenn man bei alledem nur versteht, was man sagt, und nicht behauptet, das, was zukünftig ist, sei schon – oder das, was vergangen ist, sei noch. Denn nur wenig benennen wir zutreffend, das meiste unzutreffend, und doch versteht man, was wir sagen wollen.«35 conf. 11,21; vgl. SwL 28/29. »Et tamen, domine, sentimus intervalla temporum et comparamus sibimet et dicimus alia longiora et alia breviora: Metimur etiam, quanto sit longius aut brevius illud tempus quam illud et respondemus duplum esse hoc vel triplum.« 35 conf. 11,26; vgl. SwL 34/35. »Dicatur etiam: ›Tempora sunt tria, praeteritum, praesens et futurum‹, sicut abutitur consuetudo; dicatur. Ecce non curo nec resisto nec reprehendo, dum tamen intellegatur quod dicitur, neque id, quod futurum est, esse iam, neque id, quod praeteritum est. Pauca sunt enim, quae proprie loquimur, plura non proprie, sed agnoscitur quid velimus.« 34
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Dennoch verzichtet Augustinus nicht auf die sprachlichen Grundlagen, deren Aporienanfälligkeit ihn nicht, wie Bergson, stutzig macht. Er versucht allein, das Gesagte recht zu verstehen, zweifelt aber nicht grundlegend an der Sprache – so daß er hier mit Bergson am Zweifel an der Alltagssprache ansetzt, aber nicht die Konsequenzen Bergsons zieht und so eine von der Bergsonschen radikal unterschiedene Richtung einschlägt. Gleiches gilt verschärft für das Messen: daß wir mit Zeit Bewegung messen und auch Zeit selbst messen, ist für Augustinus vollkommen unstreitig; Alltagssprache und Alltagshandeln sind hier unhinterfragt. Für Bergson ist es jedoch wie gesagt so, daß Zeit zählen und messen am Wesen der Zeit geradewegs und prinzipiell vorbeiführt; zählen und im strengen Sinne messen kann man für Bergson nur Identisches, im Falle der Zeit also höchstens symbolische Repräsentationen derselben. Am Wesen der Zeit als heterogener, schöpferischer geht das aber geradewegs vorbei: man hat dann nicht die Zeit gemessen, sondern unsere Repräsentationen ihrer. In die Nähe hiervon scheint Augustinus zu gelangen, wenn er das Messen ganz ins Innergeistige verlegt; aber auch dort beharrt er immer darauf, die Zeit selbst zu messen mit der Zeit,36 bemerkt also nicht den Abstand, den Bergson hier sieht. Geschuldet ist dies wohl einer Eigenart, die erst gegen Ende des augustinischen Textes nachläßt, nämlich beharrlich die Zeit in räumliche Begriffe zu packen, und zwar gerade da, wo es ums Messen geht. Wir messen nur anhand von Zeiträumen37 – natürlich, würde Bergson sagen, aber was wir da messen, ist eben nicht die Zeit selbst, sondern nur ein Abtrag auf eine Strecke, genau so, wie Augustinus es beschrieben hat. Ein Zeit messender Geist ist für Bergson einer, der die ständig unvorhersehbar Neues hervorbringende Zeit notwendigerweise verfehlt. Es fehlt Augustinus, der an den schaffenden ewigen Gott glaubt, eben an diesem schöpferischen Zeitbegriff der Bergsonschen durée. Sagt Augustinus, daß es dem Geist gegeben sei, die Zeit wahrzunehmen und zu messen (»datum enim tibi est sentire moras atque metiri«38), so macht Bergson zwischen diesen beiden Tätigkeiten gerade den Unterschied auf: das Erfassen, und das meint das Mitvollziehen, der Dauer als solcher geschieht in der Intuition; messen wir Zeit, verräumlichen wir sie und verfehlen so ihr Wesen. Augustinus wie Bergson wenden sich nach innen, aber sie finden nicht dasselbe vor: Augustinus ein Ich unter den Bedingungen der Erbsünde, das die damit zusammenhängende Zeitlichkeit loswerden will; Bergson unterscheidet zwei Aspekte des Ich, das tiefe und das oberflächliche (moi profond, moi superficiel), deren erster in der Dauer lebt, während der zweite die Zeit verräumlichend und messend in den Griff zu bekommen sucht. 36 37 38
conf. 11,26 f. Zum Beispiel conf. 11,30; vgl. SwL 42: ›spatium temporis‹. conf. 11,19; vgl. SwL 26.
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In die Nähe von Bergson gelangt Augustinus ja auch, wenn er auf die Frage nach dem ›wo‹ der Zeit mit dem Geist antwortet (conf. 11,22 f.). Augustinus befindet sich während des betreffenden Abschnitts der Confessiones auf einem Weg von außen nach innen, in fortschreitender Weise verortet er Wesen und Behandlung der Zeit in den Geist. Indem die räumliche Erstreckung nach und nach zu einer Ausspannung des Geistes wird, indem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in den Geist verlagert werden, nähert er sich (scheinbar) immer mehr einer bergsonistischen Position an. Jedoch sogar in dem Moment, wo im Beispiel des Liedes und des vorbereiteten und durchgeführten Vortrags die Nähe scheinbar am größten ist (und am ehesten bemerkt wurde), bleibt doch trennend erhalten, daß es sich bei Augustinus um eine Aneinanderreihung von Abschnitten handelt, eine Reihenfolge, eine Prozession von der Zukunft über die Gegenwart in die Vergangenheit; bei Bergson bleibt es zentral, daß die Zeit im Bewußtsein keine Aufeinanderfolge getrennter Abschnitte ist, sondern sich gegenseitig durchdringt. Und wenn man eine Richtung der Zeit angeben wollte, dann schreitet sie, wie bereits gesagt, in die Zukunft voran – die Zeit entwirft sich immer in die Zukunft hinein.39 Einerseits ist die distentio animi, also die Ausspannung der Seele selbst in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gerade dann, wenn Augustinus betont, daß die praesens intentio für eine Handlungsplanung und -durchführung zuständig ist (conf. 11,36), daß während der Reihe expectatio-attentio-memoria die Aufmerksamkeit andaure (›perdurat attentio‹, conf. 11,37), daß während des Liedvortrags die attentio durchgehend präsent bleibt (conf. 11,38), bergsonistischen Auffassungen nahe: Bergson beschreibt die Tätigkeit des Bewußtseins gerade in Akten, die auf die durée gerichtet sind, vor allem Akte der Freiheit und des Schaffens, in Begriffen der Anspannung; die Rede von der attention ist bei ihm allgegenwärtig. Jedoch dient ihm andererseits diese Anspannung gerade dazu, das Zergehen der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufzuheben, in Akten der Freiheit die gesamte Persönlichkeit, d. h. ihre ganze Geschichte auf einen Punkt zu konzentrieren, um aus diesem heraus einen freien Akt zu schaffen, d. h. kreativ in die Zukunft voranzuschreiten. Ist auch das Lied ein beiden Denkern gemeinsames Bild, so liegt doch bei Augustinus der Schwerpunkt bei dem Verlauf der projektierten Abschnitte von der Zukunft in die Vergangenheit, der durch die Seele abmessbar ist, während bei Bergson der Schwerpunkt im inneren Entstehen Die Frage nach dem ›wo‹ von Vergangenheit stellt Bergson in Matière et mémoire ebenfalls, bezogen auf den Aufbewahrungsort der Erinnerungen – aber mehr, um sie ad absurdum zu führen, denn ein ›wo‹ kann es bei Zeit nicht geben. Seine Antwort ist, daß die Erinnerungen sich in sich selbst aufbewahren; die Persönlichkeit besteht aus der Gesamtheit der Erinnerungen, die sie ausmachen, und dadurch sind sie immer da. Da sind sie allerdings, wie in ähnlicher Weise auch die Zukunft, nur als virtuelle: aus der Gesamtheit der virtuellen Erinnerungen können je nach Bedarf und Anstrengung einzelne Erinnerungsbilder hervorgeholt werden, die unsere gegenwärtige Wahrnehmung oder Handlung erhellen. 39
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einer bestimmten Qualität der Melodie durch ihre Dauer liegt. Laut Confessiones 11,34 kann die Zeit gemessen werden, da sie sich im Vorübergehen in einem Raum ausspannt – »praeteriens tendebatur in spatium«. Das Messen findet dabei auf der Basis unserer Wahrnehmung oder der Wahrnehmungsbilder in memoria und expectatio statt. Bei Bergson hat die Erfassung der eigentlichen Zeit nichts mit sinnlicher Wahrnehmung oder deren Bildern zu tun, sondern findet durch die Intuition statt, die ein eigenes (Erkenntnis-)Vermögen ist – eben das Vermögen des Sympathisierens mit der durée, das Einsteigen in die eigentliche Zeit. Dennoch ist in der distentio in Verbindung mit der attentio bzw. intentio Augustinus Bergson am nächsten – Bergson würde wohl sagen, daß Augustinus hier der Entdeckung der eigentlichen Zeit am nächsten steht. Augustinus wird jedoch daran gehindert einerseits durch das Festhalten am Messen und der Räumlichkeit der Zeitverhältnisse, andererseits durch seine metaphysisch-axiologische Vorgabe: ontologisch und axiologisch hat die Ewigkeit Gottes Vorrang vor der Zeitlichkeit der von ihm geschaffenen Welt. Die Augustinische distentio ist, was gerade im negativen Aspekt in Confessiones 11,39 deutlich wird, etwas zu Überwindendes; zu überwinden jedoch nicht in eine Sammlung und Aufmerksamkeit auf die eigentliche Zeit der durée, die dazu geeignet wäre, Neues hervorzubringen, also Bewegung und Zeit fortzusetzen, sondern in Richtung auf die Ruhe im ewigen Gott. Folgt man dem von Guitton überlieferten Dictum Bergsons und sieht man sich die Grundlagen und Vorgehensschritte Augustins an, kann man erkennen, worin Bergson Augustinus nicht folgen kann: da ist zunächst das beharrliche Ausgehen von der alltäglichen Rede- und Handlungsweise (lange/kurze Vergangenheit; messen). Diese führt zu Aporien, die dann zwar gelöst werden, aber zu einem Ergebnis geführt werden, das Bergson nicht gefallen kann. Die Unterordnung der Zeit unter die Ewigkeit, die Auffassung der Zeit als eine heillose Zersplitterung (conf. 11,39) würde für ihn unmittelbar in Zusammenhang stehen mit der positiven Auffassung von der Messbarkeit der Zeit. Indem der Zeit keine Kreativität zugebilligt wird, indem die Zeit durchgehend mit räumlichen Ausdrücken belegt wird, indem ihre Messbarkeit dann als die Grundlage überhaupt ihrer Erforschung angesehen wird, erweist sich die augustinische Darstellung der Confessiones als ein typisches Produkt einer verfehlten, verräumlichten Zeitauffassung.
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4. Zusammenfassung
»Le temps est invention ou il n’est rien du tout«40 heißt es in L’évolution créatrice; die Zeit ist »Erfindung oder gar nichts«, sie ist für Bergson wesentlich schöpferisch. Für ihn ist das Wesentliche in der Zeit zu suchen, für Augustinus in der Ewigkeit, die alles in sich birgt, etwas in der Zeit entstehen kann. Augustinus und Bergson trennen somit nicht nur anderthalb Jahrtausende, sondern auch philosophische Welten. Augustinus betrachtet die Zeit sub specie aeternitatis: primär ist ihm die Ewigkeit,41 die Zeit sekundäres Phänomen. Bergson betrachtet die Zeit als primäres Phänomen, und zwar die eigentliche Zeit, die durée. Sekundäres Phänomen ist bei ihm die verräumlichte Zeit unserer Alltagssprache, unserer Alltagshandlungen und übrigens auch unserer Wissenschaft. Bei Augustinus geht der Mensch in sich und findet die Kraft der Zeit, aber nur, um letzten Endes den Weg aus der Zeit heraus, sie überwindend, zum Schöpfer in seiner Ewigkeit zu finden. Bei Bergson führt der Weg nach innen zur durée selbst, zur Unmittelbarkeit der schöpferischen Zeitlichkeit, die wir durch unsere Alltagsauffassung von der Zeit verschüttet haben; diese Alltagsauffassung der Zeit ist es, die überwunden werden muß: »Nous ne mesurons plus alors la durée, mais nous la sentons.«42 Das bei Augustinus vorliegende Zusammen von Zeit Messen und Empfinden wird bei Bergson auseinander genommen. In der Diskrepanz zwischen diesem Satz Bergsons und dem augustinischen »datum enim tibi est sentire moras atque metiri« läßt sich der Abstand zwischen beiden ersehen. Die durée ist für Bergson das Absolute selbst. Wenn im Spätwerk Bergsons der christlichen Mystik zugeschrieben wird, am besten zurück vorzudringen zum schöpferischen Urimpuls, dann eben insoweit, als keine Ruhe in der Ewigkeit, sondern schöpferische Bewegung, Aktion erfahren und aufgenommen wird. Das Trennende macht sich also zum Einen in dieser metaphysischen Grundlage fest; zudem hat die augustinische Zeitauffassung selbst einen Zuschnitt, der die eingangs angeführte bergsonsche Sentenz von der Quelle der modernen Zeitauffassung verständlich macht: Zeit wird hier im elften Buch der Confessiones zwar eigens selbst in den Blick genommen, in ihrem Verlaufen, und wird als Ausdehnung und Anspannung des Geistes betrachtet; jedoch wird – immer aus Bergsonscher Per-
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SE 344; EC 341 (Œuvres 784).
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Siehe z. B. Reinhard Kolbitsch: Der Zeitbegriff bei Augustinus und Bergson, 137.
»L’unité de vue et de vie« Augustinus und Maurice Blondel (1861 – 1949) von Peter Reifenberg
1. Hermeneutischer Schlüssel: Blondels Blick auf die Geschichte der Philosophie
Unter dem Titel Il metodo e la funzione delle storia della filosofia wurde 1930 in der Zeitschrift Civiltà Moderna ein Brief des wirkmächtigen französischen Philosophen Maurice Blondel an seine Übersetzerin, Olga Arcuno, veröffentlicht, der zunächst als Vor wort einer italienischen Ausgabe seiner Beiträge zur Geschichte der Philosophie dienen sollte.1 Dieser für die Hermeneutik philosophiegeschichtlicher Betrachtungen Blondels als Schlüssel geeigneter Beitrag legt auch die Spur auf das weite Verhältnisgeflecht von Augustinus und Blondel. Als vermittelndes Drittes zwischen bloßer Historie und der Lehre dient Blondel das in Histoire et Dogme (1904)2 ausgearbeitete actions-Prinzip der Tradition, die sich als Dynamik zwischen Bewegtheit und ständiger Bewegung ausspricht.3 Dieser These gehen einige Beobachtungen aus dem Brief von 1930 voraus, die allerdings selbst schon eine Philosophie der Geschichte der Philosophie nach Blondel zum Ausdruck bringen. Denn in ihm finden sich wichtige Philosopheme Blondels: Der Respekt vor der Geschichte der Philosophie ist zur Präzisierung des eigenen Philosophierens unabdingbar, allerdings ohne radikale Trennung zwischen dem Bewußtsein des Historikers und dem des Philosophen. Ein grundlegender Fehler ist die wissenschaftliche Beschäftigung, die einem ›doktrinären Egozentrismus‹ (D 282) oder einem ›dogmatischen Exclusivismus‹ zum Opfer fällt, der die historischen Interpretationen selbst in lehrmäßige Thesen, in fixierte Rahmen verpackt und einengt, ohne die methodischen Fortschritte zu berücksichtigen und damit die ›histoire historique‹ eines authentischen Denkens der Philosophierenden in ihrer Originalität, ihren Beziehungen untereinander und mit ihrem ›Sitz im Leben‹ zu Der französische Originaltext ist abgedruckt in: Dialogues avec les philosophes. Descartes, Spinoza, Malebranche, Pascal, Saint Augustin (= D) 281 – 288. Vgl. René Virgoulay; Claude Troisfonataines: Maurice Blondel. Bibliographique Analytique et Critique. I. Œuvres de Maurice Blondel (1880 – 1973); II. Études sur Maurice Blondel (1893 – 1975) (= VT). Nachfolgende Übersetzungen von Peter Reifenberg. 2 Vgl. Les premiers écrits de Maurice Blondel, 149 – 228; auch in: Œuvres complètes II, 387 – 453; dt. Übers.: Geschichte und Dogma (= HD). 3 Vgl. hierzu die Beiträge in: Peter Reifenberg; Anton van Hooff (Hg.): Tradition – Dynamik von Bewegtheit und ständiger Bewegung. 100 Jahre Maurice Blondels ›Histoire et Dogme‹ (1904 – 2004). 1
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berücksichtigen. Mit Hegel beginnt eine Richtung des philosophiehistorischen Denkens, die Blondel als ›dogmatique in fieri‹, als Panlogismus, bezeichnet. Er faßt das Konkrete ins Auge und fragt nach dem Sinn, der Methode und dem Wert einer objektiven Geschichte des philosophischen Denkens. Von hier aus wird der Blick frei, um die Geschmeidigkeit einer lebendigen Logik (»la souplesse de la logique vivante«), die Beiträge der Spontaneität, der Reflexion, die individuelle Originalität, ihre soziale Eingebundenheit, ästhetische Aktivität und ihre religiöse und mystische Kraft in einer plastischen, dynamischen Einheit hinreichend zu würdigen. Unter methodischem Aspekt empfiehlt Blondel die Beachtung philosophischer Prämissen, nämlich die begriffliche Erkenntnis (›connaissance notionnelle‹) durch die konkrete Erkenntnis (›connaissance concrète‹) und damit eine Philosophie der Idee durch eine Philosophie der action zu ersetzen, um die verstreuten Einzelerkenntnisse in einer verstehbaren Synthese zu reintegrieren, in der die historische Tradition sich erhellt und zugleich mit der lehrhaften Fixierung in einer Einheit verbindet (D 283, 286). Die Philosopheme aus dem die philosophischen Ergebnisse zusammenfassenden letzten größeren Werk vor den Augustinus-Texten, Le procès de l’intélligence (1922), sind unverkennbar genannt. Blondel diskutiert auch die in der Entwicklungslinie liegenden Ansätze von Compte, Cousin, Renouvier, Boutroux, Pascal (D 284: »avec des allures un peu cavalières d’un grand seigneur qui juge de haut«) und sogar den Ansatz von Henri Bergson (D 144, vgl. 193.214.218). Schon zu Beginn seiner Darstellung, dann als positiv zu würdigenden Abschluß der Theorien zur Philosophiegeschichte, die einen neuen Weitblick auf das Gesamte des humanen Denkens eröffnet, benennt Blondel die seines Freundes, des Philosophiehistorikers Victor Delbos:4 Alle Theorien sowie die philosophischen Forschungsergebnisse bezeugen den Reichtum und die Einheit der gelebten Wahrheit (›vérité vivante‹; D 284) und werden durch das Hinterfragen in einem Dreischritt unterstützt, nämlich: 1. durch das Studium des Denkers in seinen zeitlichen, örtlichen, technischen Gegebenheiten, um zu einem individuellen oder sozialen ›état d’âme‹ zu finden; 2. durch das Studium der inneren Organisation des Denkens unter den Gesichtspunkten logischer Gesetze, um den logischen Zusammenhang, die ihm die Einheit gewährt, ausfindig zu machen; 3. es gilt, sich den Sinn der Grenzen einer nicht abschließbaren Dialektik vor Augen zu führen, da unabschließbar Neues, lebendige, moralische und religiöse Elemente mit einfließen und die Frage nach der Bestimmung und des Heils aufleuchtet (vgl. D 285 f.). Dabei übersteigt das geistige Leben und die Faktizität der Dinge jeweils die Diskursivität rationalisierender Meditiation: die ›contemplation acquise‹ ermöglicht die Gaben der ›science infuse‹. In jeder unserer Erkenntnisse kommen die tätigen Elemente von ›rétrospection‹ und ›prospection‹, von ›analyse rationnelle‹ und ›synthèse effective‹ zum Ausgleich. 4
Vgl. den Beitrag Blondels zu Victor Delbos, in: D 271 – 280.
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Jede philosophiehistorische Theorie enthält demnach sowohl eine Intuition wie eine systematische Reflexion und eine finale Intention, eine spirituelle Orientierung wie eine die einzigartige Verwirklichungsform einer durch »die persönliche oder universelle Bestimmung erwirkte Lösung und damit einen Bezug jeder Tätigkeit, jedes realen Aktes zur umfassenden Wahrheit« (D 287). Blondel zeichnet das Idealbild eines Philosophiehistorikers: Der ›aufrechte Philosophiehistoriker‹ vermeidet sowohl, sich selbst ins Zentrum zu rücken als auch sich des Philosophierens zu enthalten. Er vermeidet eine kritische oder ideologische Wiedererrichtung eines Systems genauso wie er positiv die Gestalt des Autors aus seinen persönlichen wie sozialen Gegebenheiten erhebt, bevor er die Kraft seiner Ideen nachzeichnet; er wird der spontanen Begriffsbildung genauso nachspüren wie den Willensakten, den moralischen Anschauungen und dem gelebten Leben des Denkers »unter dem Einfluß , welche der Reflexion unterliegen«. Er wird den Stand der Wissenschaft genau so berücksichtigen wie die metaphysische Spekulation und das religiöse Problem. Stets ist er sich der Begrenztheit unserer Systeme angesichts der Weite der Wahrheit bewußt; dennoch weiß er um den Wert der Systeme, die das Leben verbreiten und beschützen. Angesichts der sich durch das Leben und die Wirklichkeit stellenden Probleme ist sich die Philosophie des Unabschließbaren ihres Tuns bewußt; deshalb schließt sie sich nicht ab, gerade auch nicht vor dem religiösen Problem, das sich angesichts des Mystischen und des Übernatürlichen stellt. Blondels Selbstverständnis ist freilich ein anderes. Er bleibt und dies gilt gerade auch im Blick auf die Auseinandersetzung mit Augustinus – wie er gegen Ende seines Beitrages bekennt – seit seiner lateinischen Erstlingsarbeit zum ›Vinculum substantiale bei Leibniz‹5 stets problemorientiert und versteht sich als ›Einheits-Metaphysiker‹, nicht als (Philosophie-)Historiker. Er denkt oberhalb jedweder analytischen Reflexion (›réflexion analytique‹), einen synthetischen und kontemplativen Ansatz, »der nicht die begriffliche Erkenntnis beiseite läßt, der sie aber auf das Ziel eines höheren Realismus und echten Humanismus hin übersteigt, nämlich da, wo sich auf einzigartige Weise die Wissenschaft, die action und der Glaube begegnen und umfangen« (D 287 f.). Ein Anliegen Blondels ist es, die Methoden des Thomas und Augustins nicht – wie Gilson – zu trennen, sondern bei aller Heterogenität die eine und die andere in einem »System der Wahrheiten und einem System des Lebens« in eine universelle Einheit hinein zu integrieren (vgl. D 227, 228). Der Blick auf den Brief zeigt, wie sehr Blondel bei der Beschäftigung mit Gestalten der Philosophiegeschichte von eigenen philosophischen Prämissen ausgeht und sie auf die Weise einer ›histoire interrogative‹ betreibt. Vgl. Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung. Maurice Blondels Ansatz zu einer Logik des sittlichen Lebens. Zum ›Vinculum‹ vgl. dort 414 – 446. Vgl. auch Peter Henrici: Vinculum substantiale. 5
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Für ihn bieten die als ›monologues à deux voix‹ zu verstehenden Beiträge die Möglichkeit der Vertiefung eines metaphysischen Problems, um das eigene Denken zu präzisieren und zu schärfen, wie auch Henri Gouhier in seinem knappen Vorwort zu den Dialogues bemerkt (vgl. D 7).
2. Augustinus im Werk Blondels
Die Vorbemerkungen helfen, den Stil und die Form sowie den Sitz im Leben der komplexen, sprachlich geschliffenen wie inhaltlich dichten Zusammenhänge der nachfolgend zu thematisierenden drei Augustinus-Aufsätze zu verstehen. Zunächst seien einige Beobachtungen zum Thema genannt: Neuere Untersuchungen zum Gewicht Augustins im Werk Blondels fehlen. Im deutschen Sprachraum ist das Verhältnis Blondels zu Augustinus noch nicht explizit bzw. hinreichend aufgearbeitet und deshalb ein Forschungsdesiderat. Lediglich die Auseinandersetzung mit der Zeitproblematik des elften Buchs der Confessiones findet deutlicheren Widerhall.6 Die französischsprachige Blondel-Forschung hingegen befaßte sich vor etwa vierzig Jahren mit dem Thema. Hier leistet Goulven Madec einen philosophisch weiterführenden, philologisch sauber gearbeiteten Beitrag. Er unterzieht sich der Mühe, einen ›fil conducteur‹ der nicht ausgewiesenen Augustinus-Zitate vorzulegen und die vorausgehenden Beiträge zu sichten und zusammenfassend einzuarbeiten.7 Aimé Forest versucht in seinem inhaltlich bezogenen Beitrag L’augustinisme de Blondel, den Einfluß Augustins auf Blondel vor allem im Spätwerk nachzuweisen, um schließlich die innere Übereinstimmung zwischen Philosophie und dem ›esprit chrétien‹ festzustellen.8 Die Ergebnisse seiner Forschungen ermöglichen einen angemessenen Blick auf das Spätwerk. Gerade wenn Blondel in der Philosophie Augustins eine Bestätigung seines eigenen Denkens sieht, wenn seine frühe transzendentale Phänomenologie in einer Metaphysik des ›être-agir‹ und der ›normative‹ eine ontologische Fundierung im Geiste der Einheitsmetaphysik Augustins gewinnen,9 dann ist bei aller Wandlung seiner philosophischen Sprache der Vorwurf einer allzu großen Annäherung an neuscholastisch-thomistische Entwürfe vom Tisch. Der Wert des umfangreichen Artikels von Jules Chaix-Ruy Maurice Blondel et saint Augustin liegt in den persönlichen Erinnerungen des einstigen Blondel-Schülers.10 Vgl. Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung, 277 – 284. Vgl. Goulven Madec: Maurice Blondel citant saint Augustin. Vgl. VT II, 372, 421 (Nr. 1180). Die nachfolgenden Bemerkungen dürfen sich deshalb auch auf Madecs wertvolle Vorarbeiten stützen. 8 Vgl. Aimé Forest: L’augustinisme de Blondel; vgl. VT II, 421 (Nr. 1180). 9 Vgl. Aimé Forest: L’augustinisme de Blondel, 178. 10 Vgl. Jules Chaix-Ruy: Maurice Blondel et saint Augustin. 6 7
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Anders als Aristoteles,11 den Blondel früh einmal aufwühlend-kritisch-herausfordernd und ablehnend, ein andermal als bestätigenden Ideengeber und seine Logik weiterführenden Dialogpartner erfährt, ist Augustinus (ähnlich wie Bernhard von Clairvaux)12 einer der stillen und steten Gesprächspartner schon zur Zeit der Entstehung von L’Action, in der sich einige unausgewiesene Zitatfetzen wiederfinden, die auf eine frühe Faszination für das Denken Augustins schließen lassen. Blondel wurde im Zusammenhang seiner ›Soutenance‹ an der Sorbonne durch seinen Lehrer Boutroux an Augustinus herangeführt.13 Allerdings waren damals die AugustinusKenntnisse nach späteren Bezeugen nur peripher: »ich habe den ›grand Docteur‹ nicht studiert bevor ich mein Buch über die Action konzipierte und ausarbeitete. Wenn ich während meines Lesens auf diverse augustinische Texte stieß, waren es partielle und akzidentelle Blicke, die es für mich nutzbar zu machen galt.«14 Zwei Jahre nach Erscheinen von Le Point de départ (1906) vertieft er seine Augustinus- und Thomas-Kenntnisse, wie er im Brief vom 5. 11. 1908 an Auguste Valensin schreibt: »Ich verfolge die methodische Lektüre der Werke des hl. Augustins und des hl. Thomas.«15 Jules Chaix-Ruy weiß von einem Seminar im Studienjahr 1916 – 1917 und sich anschließenden Veranstaltungen zu Augustinus bis zur Emeritierung Blondels im Jahre 1927. Sprachlich bedeutsam ist gewiß die in Form einer typisch literarisch stilvollen französischen ›Panégyrique‹ abgefaßte ›Eloge‹ auf Augustinus innerhalb des Pascal-Artikels aus dem Jahre 1923.16 Man sollte den Stil Blondels im Umgang mit Primärliteratur kennen, um einen Verstehenszugang zu den schwierigen Texten zu gewinnen. Er zitiert – gerade in L’Action, aber auch in anderen Zusammenhängen – wenig. Sekundärliteratur nimmt er, wenn überhaupt, meist unter der Rubrik ›mépris‹, ›déviations‹ oder ›contresens‹17 wahr. Die von ihm etwa schon in L’Action eingestreuten, nicht immer textgetreuen Zitate weist er in den meisten Fällen nicht sauber nach. Sie dienen ihm als seine Argumentationskette auftaktende oder zusammenfassende Bestätigungsformeln des eigenen Denkens. Das Gesagte gilt auch für den Umgang mit den Texten Augustins: sein Denken dient ihm einmal als dynamisierender ›Transmissionsriemen‹, Maurice Blondel: Vues concordantes et complémentaires: à propos de l’article de M.A. Forest, 274. Vgl. insgesamt: Simone d’Agostino: Dall’Atto All’Azione. Blondel e Aristotele nel progretto de ›L’Action‹ (1893); ders: Blondel in der Modernismuskrise zwischen Aristotelismus und AntiPeripateismus; Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung, 479 ff. 12 Vgl. Jean Leclercq: Maurice Blondel, Lecteur de St. Bernard de Clairvaux. Vgl. Maurice Blondel: Vues concordantes et complémentaires, 274. 13 Vgl. Maurice Blondel: L’Action: Essai d’une critique de la vie et d’une science de la pratique (= A) 37 (71/61); A 255 (289/281); 355 (389/380). 14 Maurice Blondel: Vues concordantes et complémentaires, 273. 275. 280. 15 Maurice Blondel – Auguste Valensin: Correspondance (1899 – 1912), hier Band II,37. 16 Vgl. Maurice Blondel: Le Jansénisme et l’Antijansénisme de Pascal; D, 91 – 128, hier 99. 17 Vgl. D 149 f. 159. 204 (gegen Malebranche: 157. 165 f. 204 f.). 11
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zum andern eben als die seine Orthodoxie bezeugende ›Beglaubigung‹. Wie eine durchstrukturierte Folie liegt das Werk Augustins unter den Ausführungen Blondels. Streut er einen signifikanten Aphorismus ein, dann ist es unabdingbar, den gesamten Kontext bei Augustinus in den Ausführungen Blondels mit zu bedenken (vgl. nachfolgend zu »noverim me …«). Die überwiegende Anzahl von Zitationen stammen laut Goulven Madec aus den Confessiones, immer wieder taucht der Brief 120 an Consentius auf, einige Zitate aus De civitate dei, wenige aus De Trinitate. Der freie, kongeniale Umgang mit Augustinus-Worten bestätigt sich dann, wenn Blondel an den Kirchenlehrer sich anlehnend Aphorismen zusammenstellt, die dem Geiste Augustins entsprechen können, sich aber im Werk selbst nur sinngemäß wiederfinden.18 Methodologisch gewendet heißt dies: er fragt nicht im klassischen Stil: »Was kann ich wissen?«, um von einem kritischen Standpunkt die Frage nach der Erkenntnismöglichkeit zu stellen, sondern er verfolgt den Weg, das Werden und Entstehen des konkreten Denkaktes, des denkenden Denkens als ›pensée pensante‹.19 Das Denken ist auf der Suche nach sich selbst. Bei aller möglichen Kritik dieses Vorgehens wird die Einsicht entscheidend sein, daß wir es bei Blondel mit einem eigenständigen Denker zu tun haben, und dessen ist er sich durchaus bewußt. Für ihn stellt sich letztlich nicht die Frage der Werktreue; entscheidend ist, daß das Leben und Denken Augustins dem Desiderat der zu realisierenden Lehre entspricht, bei der die Philosophie und das Leben übereinstimmen und der ›philosophie de l’action‹ entsprechen.20 Er versteht sich nicht als Philosophiehistoriker, sondern als Metaphysiker, der jedwede ›philosophie séparée‹, d. h. jedes monolithische Systemdenken ablehnt. Damit demonstriert er auch seine Unabhängigkeit von anderen (manchmal auch Überlegenheit über andere). In L’Action geschieht dies auch aus Vorsicht gegenüber denjenigen, die er angreift oder diskutiert. Doch es kommt hinzu, daß er nach seinem Ausscheiden aus dem Universitätsdienst wegen seiner zunehmenden Erblindung weder lesen noch schreiben konnte und deshalb bei den Diktaten seiner Beiträge nach der Erinnerung frei zitierte,21 eine gewaltige Gedächtnis- und Konzentrationsleistung.
Vgl. D 162. 209: ›Foris admonitio; intus magisterium‹; vgl. hierzu Goulven Madec: Maurice Blondel citant saint Augustin, 115 f.;111 mit Bezug auf mag. 11,38; 14,46. 19 Vgl. Aimé Forest: L’augustinisme de Blondel, 181. 20 Le point de départ de la recherche philosophique, 339; 530/71; vgl. dt. Übersetzung (Raffelt / Verweyen), in: Ausgangspunkt (1992) 69 – 127. 21 In zwei Beiträgen geht Blondel auf sein Augenleiden ein: vgl. D 173: »Die Sehschwäche, die mich daran hindert, auf Texte, die ich früher zusammenstellte oder auch Notizen jüngeren Datums, zurückzugreifen, werden die Freizügigkeit entschuldigen, mit der ich ausdrücklich versuche, die gestaltlosen, unten stehenden Thesen auszufalten.« Vgl. D 223: »Es wird Sie nachsichtig stimmen, wenn Sie wissen, daß es für mich unmöglich ist, zu lesen noch zu schreiben; es ist deshalb notwendig, meine Kräfte einzuteilen, um eine begonnene Aufgabe zu vollenden«. 18
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Im Jahre 1930 meldete sich Blondel mit drei Studien zum 1500. Todestage Augustins zu Wort. Diese ungefähr 100 Druckseiten umfassenden Gelegenheits-Beiträge stehen inhaltlich im Zentrum unserer Bemerkungen. Sie sind ganz im Kontext zur Trilogie zu verstehen. Sie leisten keine umfassende Rekonstruktion der Lehre Augustins oder eine interne Analyse vielfältiger Elemente der inneren Struktur des Werks.22 Denn Blondel sieht im Werk Augustins keine systematische Philosophie abgebildet. Vielmehr sucht er, dem Geist und dem Genie des Kirchenlehrers nachzuspüren (D 99): »Wer ist dieser ›grand docteur‹ der Gnade tatsächlich? […] ein Leben voller Widersprüche […]?« Für Blondel ist Augustinus ›der Lebendigste unter den Lebenden‹ (D 148.196), in dem sich eine totale Einheit der philosophischen Sehweise und des biographischen Lebens widerspiegelt (D 144: »unité totale de vue et de vie«). Augustinus ist das Gegenbild eines Intellektualisten (D 233): ›la chaleur vitale‹ und ›l’incessante circulation de la vie‹ durchdringen sich (D 227). Das Augustinische Denken stellt gerade nicht »ein System unter brüchigen Systemen« dar, sondern »die Philosophie schlechthin, jene, die indem sie sich auf die gesamte Wirklichkeit und auf die gesamte konkrete Bestimmung des Universums und der Menschheit erstreckt, Einheitlichkeit, Ewigkeit, Totalität, Wahrheit gleichsetzt« (D 144; vgl. BV III,166 f.). Deshalb spricht er von einer ›unité vitale‹ von Lebenserfahrungen und Lehrgebäude (D 205. 150 f. 153). Die drei Beiträge sind Variationen des großen Themas, in dem er die philosophische Lehre von der inneren Erleuchtung und die des Zusammenhangs zwischen Natur und Gnade in Übereinstimmung zu bringen versucht.23 Letztlich geht es um die selbsterkennende Einkehr der Seele auf ihrem Weg zu Gott, um den Primat der Gotteserkenntnis und schließlich um die philosophische Sehweise des Menschen, die sich nicht auf die Weise der ›natura pura‹ abbilden läßt, sondern sich nur im ›état concret‹ verwirklicht (vgl. D 174). Die Augustinus-Artikel argumentieren von der Höhe einer nicht zu unterschätzenden Textkenntnis und einem Abstraktionsniveau aus der Perspektive der Philosophie Blondels. Wir werden eine themenbezogene Auswahl treffen und auf alle Beiträge ausgreifen. Das Bild stellt sich folgendermaßen dar: Der in der Form eines Briefes, hier an Paul Archambault vom 29. 11. 1929 geschriebene kürzeste Beitrag La fécondité toujours renouvelée de la pensée augustinienne wurde erstmals 1930 veröffentlicht.24 Les ressources latentes de la doctrine augustinienne heißt der zweite, ungekürzte Text, der nach einem unveröffentlichten maschinengeschriebenen französischen Manuskript zunächst im Englischen in einem 1930 veröffentlichten Sammelband erschien.25 Der dritte, umfangreichste Beitrag Le quinzième centenaire de la mort de saint Augustin (28 août 430). 22 23 24 25
Aimé Forest: L’augustinisme de Blondel, 176. Vgl. Goulven Madec: Maurice Blondel citant saint Augustin, 103. Vgl. Cahiers de la Nouvelle Journée. Abgedruckt in den D 223 – 235. D 193 – 222. A Moment to St. Augustine. Essays on his age, life and thougt (1930); The latent
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L’unité originale et la vie permanente de sa doctrine philosophique erschien zunächst in der Revue de Métaphysique et de la Morale.
3. Thematische Schwerpunkte der Blondelschen Augustinus-Aufsätze
a) Das Erkenntnisproblem als Bewegung der Suche der Seele durch und in Gott: »Noverim me, noverim Te« – »mich möchte ich, Dich möchte ich erkennen« (sol. 2,1). Auf dem Boden seines philosophischen (Spät-)Ansatzes einer ›logique de l’action‹ gibt Blondel zunächst den allgemeinen Rahmen an, auf denen sich seiner Anschauung nach auch für Augustinus eine mögliche Erkenntnistheorie begründen läßt: Augustinus vermag, der Vernunft einen weiten und zugleich synthetischen, einheitsstiftenden Wirkraum einzuräumen, die sowohl dem ›befreiten Intellekt‹ als auch der eigenständigen Kontemplation Raum gewährt (D 154). Aus dem Brief an Consentius (ep. 120,13) zitiert er mehrfach (D 154. 228; P II, 219/173) diese These bestätigend: »intellectum valde ama« (»schätze die Vernunft hoch ein!«).26 Doch nicht den begrifflich-organisierten, statischen Aspekt der Theorien Augustins will Blondel berücksichtigt wissen, sondern den dynamischen, »denjenigen, der nicht fixiert, sondern nach vorne bewegt, denjenigen, der lebendig und gläubig macht, der die bloß larvenartigen Formeln in geflügelte Wahrheiten verwandelt« (D 161). Augustinus jedoch gleicht den notwendigen Begriffsapparat und die prospektive Lehre in ›deux fonctions vitales‹, der spirituellen und intellektuellen Konversion, an, denn er steht auf dem Boden eines ›réalisme concret‹, eines ›réalisme intégrale‹ (D 168). Dabei ist neben anderen Zugängen zur Wahrheit und Glückseligkeit auch die spirituelle Gangart ein möglicher Weg, gerade für die Demütigen, deren Haltung Blondel zuhöchst – schon in L’Action – schätzt. Augustinus betreibt eine Abstraktion ›de premier degré‹ (D 162), d. h., er schichtet nicht Abstraktionsebenen übereinander, was als eine versteckte Kritik an einer Begriffsontologie der Neuscholastik zu verstehen ist. Die anthropomorphen Begriffe geben vielmehr einen Hinweis auf das Licht der in Gott ruhenden Wahrheit, denn, so bemüht er mehrfach (D 154. 156.164 Anm. 12. 209; P I, 399, Anm.) in diesem Zusammenhang das zehnte Buch der Confessiones (10,35): »ubi inveni veritatem, inveni Deum« (»wo ich die Wahrheit fand, da fand ich meinen Gott«). ressources in saint Augustin’s thougt (nochmaliger Abdruck 1957); als gekürzter, mit Korrekturen Blondels versehener Text (1930). 26 An dieser Stelle fügt Blondel hinzu: »um jeder Gefahr des Dünkels zuvorzukommen‹ wollen wir mit dem großen Lehrer hinzusetzen: wir wollen das Denken lieben, gewiss, aber unter der Kontrolle jener letzten Finalität, die, streng genommen, die höchsten Opfer rechtfertigt und die der fortgeschrittensten Wissenschaft das vollkommene Nichtwissen von allem vorsetzt und einfügt, was nicht Ziel des Lebens ist, die höchste Wahrheit.«
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Die Geschmeidigkeit der Vernunft entspricht aber auch ihrer Genauigkeit wie dem ›esprit de finesse‹; Augustinus vermag sie in seinem Denken auf die Weise einer ›spirituellen Askese‹ (D 162) genauso zu vereinen wie er es vermag, seine Lehre von der ›illumination intérieure‹ mit der des ›göttlichen Exemplarismus‹, dem göttlichen Ordnungsprinzip (»numero, mensura et pondere«) in Einklang zu bringen.27 Denn sein intellektuelles Profil ist genau so von einem logischen Bedürfnis bestimmt wie seine Logik von einer plastischen Geschmeidigkeit. Die Augustinische Weise der Abstraktion führt nicht zu allgemeinen Begriffen, sondern befreit uns von ihnen, um uns zum gegenwärtigen Universellen in allen Vereinzelungen zu erheben (vgl. D 163). Sie bindet alle konkreten Seienden in den Geschehensablauf wie in das Unendlichkeitskalkül ein: »›das Einzelne‹ gewinnt seinen Wert allein durch seine Kommunion mit dem Universellen« (D 164).12 Denn Gott hat keine ›types abstraits‹ gewollt: »er hat die Seienden gesehen, gewollt und geliebt« (D 163). All diese Kriterien sind für eine gelingende ›logique de l’action‹ erforderlich.28 Auch die immer wiederkehrende methodologische Maxime Blondels mit dem Ziel, zur zwar geahnten und begehrten, jedoch geheimnisvollen und unerreichbaren Einheit zu gelangen (vgl. P I 125/143), entnimmt er dem Denken Augustins (en. Ps. 145,5): »ab exterioribus ad interiora et ab interioribus ad superiora.«29 In Le Point de départ steht der Gedanke Augustins im Mittelpunkt der Illustration der Blondel eigenen ›méthode d’immanence‹. Blondel gewichtet besonders die mittlere Bewegung des Wortes, der eine wichtige Brückenfunktion zukommt: »Man kann die Transzendenz nur auf dem Weg der Immanenz erreichen und definieren, das Äußere nur durch das Innere.«30 Das berühmte Wort aus den Soliloquien wird von Blondel mehrfach bemüht.31 Es zeigt die Richtung des Weges der Seele zur Selbsterkenntnis mit dem Ziel der Gotteserkenntnis an, wie das von Blondel häufig in selbstinterpretatorischer Absicht bemühte Wort aus dem elften Buch der Confessiones (11,39 – 40), mit er die wirkmächtige Konzeption der Zeit nach Augustinus integriert und für seine Zeitanalyse nutzbar macht. Vgl. Weish 11,20 f., Gn. adv. Man. 1,26. Vgl. Maurice Blondel: L’Action I. Le problème des causes secondes et le pur agir. Vgl. Principe élémentaire d’une logique de la vie morale; Erstübersetzung in Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung, 524 – 537. Vgl. dort auch die Analysen zu Principe élémentaire, 470 – 641. 29 Vgl. Le point de départ de la recherche philosophique (237) 558/111; P I, 125/142; vgl. Notes philosophiques 549; A (314) 348/339); vgl. auch trin. 14,3. Zu Le Point de départ vgl. Stephan Grätzel; Peter Reifenberg (Hg.): Ausgangspunkt und Ziel des Philosophierens. Vgl. La Pensée (= P) I.: La Genèse de la Pensée et les Paliers de son Ascension spontanée; II. Les Responsabilités de la Pensée et la Possibilité de son Achèvement. 30 Le point de départ (237) 558/111). 31 Vgl. D 204, 164, 165, 166; P I (1934), 157/168). 27 28
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Wir sehen also erstens in der Interpretation Augustins durch Blondel eine verklausulierte Nachinterpretation der im Modernismusstreit umkämpften, oft mißverstandenen ›Immanenzmethode‹.32 Augustinus verleiht der ›méthode d’immanence‹ posthum eine von einem Kirchenlehrer verbriefte Bestätigung ihrer Orthodoxie (D 210). Im Anschluß an diese These verfolgt Blondel zweitens den Gedanken, Augustinus sei nicht nur »der ›docteur‹ der Sünde, der Konversion, der Gnade«, nicht nur ›der Gegner des Pelagius‹ (D 217), sondern »der Meister des inneren Lebens in seinen verborgensten Windungen und der ›docteur‹ der Geschichte, die mit einem einzigen Blick den providentiellen Plan umfaßt« (D 221).33 Das Eindringen in das Erkenntnisproblem bei Augustinus wird von Blondel als Korrelat zu seiner Theorie von der Illumination angesehen (D 161). Die erste ›certitude concrète‹, der man sich nicht entledigen kann, die allerdings von einer höheren Gewißheit abhängt, ist das Bewußtsein von uns selbst (D 164). Das unleugbare erste Wissen, das sich lediglich als Optativ darstellen lasse, sei »Noverim me!« Dieser Wunsch gründet auf einer ›impliziten Wissenschaft‹, die sich im anderen Optativ als »Noverim Te, Deus« ausspricht (D 164 f.). Wenn das menschliche Leben eine ›métaphysique en acte‹ (HD 168/405) ist, dann ist es vonnöten, daß es durch die action das Ich, das in der Sinnsuche stets die Übereinstimmung mit sich selbst in der orientierenden ›volonté voulante‹ sucht, den Weg der Wahrheit ins Innere geht. Doch zunächst beschränkt sich Blondel in La Pensée noch auf die Feststellung des inneren Strebens des Denkens und möchte damit dem Weg nicht vorgreifen, »der Schritt für Schritt gesichert werden muß«, da »manche Gefahren des Intellekts noch erkannt und vermieden« werden sollten. Er möchte das Sehnen Augustins erst im Menschen bewahrheitet finden und fügt hinzu, daß ›einige seiner Ausdrücke‹ angeführt und erläutert werden müßten, die über seine aktuellen Perspektiven zwar hinausgingen, sie allerdings erleuchteten (P I [1934] 157/168). Augustinus plaziere sich nicht nur an einen spekulativen Standpunkt, sondern mache Anhalt an einem ›moralischen und religiösen‹; und das heißt für Blondel, daß er diese Lehre lebendig lebe und vollziehe. Und dies gelingt nur dann, wenn der Weg der Selbsterkenntnis über den der Gotteserkenntnis verläuft (D 204): Vgl. Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung, 182 – 196. Goulven Madec (Maurice Blondel citant saint Augustin, 113) macht darauf aufmerksam, daß Blondel an dieser Stelle sich auch auf Etienne Gilsons Augustinus-Buch (hier auf die Introduction, 299) bezieht: »Le psychologue de la vie intérieure ne pouvait que renforcer chez lui les tendances du philosophie de l’histoire.« Auf die Darstellung der Zeit und Geschichtsauffassung Augustins in der Deutung Blondels wird an dieser Stelle verzichtet. Sie wurde aufgearbeitet und zwar mit Hilfe bisher von der Literatur unberücksichtigt gebliebenen, wichtigen Blondel-Texten, z. B. LP 276 – 278; vgl. hierzu Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung (vorbereitend durch die Analyse von L’Action-Texten unter der Überschrift Augenblick und Zeittranszendenz (272 – 277), dann direkt in Bezug auf Augustinus unter der Überschrift Reintegration der Zeit in die Ewigkeit, 277 – 284. 32 33
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»Um sich selbst zu erkennen, muß man Gott erkennen, ihn, sozusagen in sich aufnehmen und in Ihm unsere eigene Form finden: noverim me, noverim Te.« Denn viel gewisser als die Kenntnis von uns ist die Erkenntnis Gottes »als Bedingung selbst unseres persönlichen Denkens« (D 165). Das ergriffene Ich der Seele ist ein Faktum, das sich Gott verdankt und nicht, so wird Blondel nicht müde zu unterstreichen, dem ›Cogito‹ Descartes’ entspricht. Das »si enim fallor, sum« Augustins (civ. 12,27) entspringt dem gelebten Leben eines ›réalisme intégrale‹ (vgl. D 168), »alle seine Gedanken haben eine tiefe Anbindung in einer erleuchteten Einheit«, wohingegen Descartes ›Cogito‹ dieses intellektualistisch umkehrt und in einen Idealismus verkehrt, in dem er ›ein Denken an sich‹ statuiert.34 Descartes gibt dem ›Cogito‹, so Blondel, einen verfrühten ontologischen Sinn, isoliert es künstlich von der Wirklichkeit – und damit gerät es in einen falschen Realismus und eine abstrakte Spekulation hinein (vgl. D 204). Auch in La Pensée (I [1934], 157/168) klingt die Kommentierung des ›Noverim me‹ an: »Augustinus […] gestand, der Mensch müsse, um sich selbst zu erkennen und zu erreichen und so von sich aus zu sich selbst wieder zu gelangen, ›über Gott gehen‹: noverim me, sed ideo noverim Te!« [›sed ideo‹ von Blondel hinzugefügt]. Denn er hatte tief empfunden, daß die gesamte Erfahrung, das gesamte Wissen über die äußere wie innere Welt uns nur zerstreuen und innerlich zu zerreißen vermag (»distentus in omnibus et in phantasmatibus meis dilaceror«),35 während wenn wir uns ad superiora erheben, wir die feste Einheit finden, die uns nicht nur in Besitz unseres Endzieles, sondern auch in die Lage versetzt, alles übrige zu fassen und zu beherrschen, »extentus per omnia, solidabor in Te, forma mea, Deus« (D 218). Ziel ist die Formwerdung aus dem Urbild: die Erkenntnis Gottes bedeutet zugleich Gestaltwerdung des Menschen, ›solidificatio‹ (›solidité‹, D 219). Die Festigung und der Bestand des Menschseins in Gott spielen im Zusammenhang seiner ethisch-ontologischen späteren Anschauungen, in der Trilogie, also im gesamten Rahmen der ›normative‹ eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die einschlägigen Stellen aus der Trilogie sind deshalb parallel zu denen der Augustinus-Aufsätze zu lesen.36 So ist etwa das gesamte dritte Kapitel von L’Être et les Êtres vom Gedanken 34 35
D 165; vgl. A (37) 71/62. Zur Authentizität des Zitats vgl. Goulven Madec: Maurice Blondel citant saint Augustin,
114. Vgl. hierzu die wertvollen Hinweise Goulven Madecs zum Spätwerk: Maurice Blondel citant saint Augustin, 114.85 P I, 157.302 (vgl. Buch XI überhaupt); P II, 280 (›se solidifier‹). 294 ›informe et solidifie‹; L’Être, 57 (›solidum quid […] solidificatio‹); 100 (›distentus per omnia[…]‹); 289 (mit Bezugnahme auf Buch XI). 290 (›solidité de Dieu, forme‹) ; 306 (›solidité ontologique de la création […] solidabor in Te, forma mea, Deus‹); 467 (›solidification de nos êtres‹) 496 (Interpretation von conf. XI, XXIX, 39 – XXX, 40). A I, 335 (»être consistant et comme solidifié en lui et par lui: Tu forma mea, Deus«). La philosophie et l’esprit chrétien I, 206: (»notre extension, loin de s’éparpiller […] tu forma mea, Deus«) La philosophie et l’esprit chrétien II, 58: 36
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der ›solidification des êtres‹ durchdrungen, wenn auch die Rede von ›consistence des êtres‹ und ›consolidation des personnes‹ ist.37 Die Anfrage an das Denken Blondels wäre dann, ob diese Schwerpunktsetzung Einfluß auf die Struktur, und die Dynamik der action hat. Eine kleine Einschränkung bzw. einen Hinweis auf die Richtung der ›solidité‹ erfährt die kritische Nachfrage, wenn man etwa die frühe Eintragung aus den Carnets intimes vom 21.10.1889 entgegenhält: »Was sind wir? Eine Tat der Liebe Gottes. Hätte er uns nicht ewig gekannt, gewollt, geliebt, so wären wir nicht. Unseren ganzen Bestand (›consistance‹) haben wir in dieser Liebe.«38 Es ist die Ausfaltung des Gedankens der Formwerdung des Menschen – aus dem Urbild – in Gott, und dabei ist Blondel die enge Anlehnung an das elfte Buch der Confessiones wichtig (11,29 – 40); er bindet gleichsam auf die Weise des ›vinculum‹ seine Gedanken mit denen des Kirchenlehrers zusammen.39 Auch schon in der phänomenologisch-transzendentalen Phase seines Denkens sucht Blondel die Beständigkeit des Lebens, die sich nicht in den Dingen der Wirklichkeit finden lassen. Die Konzeption von Zeit und Ewigkeit bei Augustinus wird nun in Bezug zur Beständigkeit gesetzt (D 218.160, cf. LP 276 – 278): »Woher rühren seine tiefe Konzeption von Zeit und Ewigkeit. Er stellt sich unter die Perspektive, in der die Dauer wie jene Form erscheint, unter der sich unser psychologisches und moralisches Leben entwickelt, jedoch nicht wie eine physische Wirklichkeit; unsere Illusion wäre es, unser Denken, unser Leben, unsere Affekte in diesem Staub der Phänomene umher zu streuen, in dem Maße wie sie durch die Vielheit und die Folge hindurchgehen: in diesem Fall wären wir wie aufgelöst und verloren in den Dingen, ›distenti per omnia: tumultuosis varietatibus dilaniuntur cogitationes meae‹.«40 Blondel schiebt beim Zitieren den Text Augustins ineinander, doch gerade im freien Umgang mit Augustins eigentlicher Intention trifft er den Skopos des Gedankens und gibt ihm eine tiefe existentielle Ausdeutung im Sinne der Verlorenheit der Existenz durch die Selbstvergessenheit an die Dinge und Rettung durch die eschatologische Purificatio in der Liebe des göttlichen Feuers. Im Zentrum steht der Gedanke der Confessiones (11,39 ff.): »Zerfahrenheit ist mein Leben. Und Deine Machthand hat mich ergriffen in meinem Herrn, dem Menschensohn, dem Mittler zwischen Dir, dem Einen, und uns Vielen, die mit viel (»cor irrequietum donec requiescat in Te, dues, forma mea, in quo solidabor, distentus per omnia et super omnia«); 245 f. (»notre dispersion […] conformes à dieu: ecce distentio est vita mea […]«). 37 Goulven Madec: Maurice Blondel citant saint Augustin, 114. 38 Carnets intimes (1883 – 1894); dt. Übers.: Tagebuch vor Gott 1883 – 1994, 261/280. 39 Goulven Madec: Maurice Blondel citant saint Augustin, 109. 40 Vgl. Goulven Madec: Maurice Blondel citant saint Augustin, 113. Vgl. Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung, 277–284.
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zu vielem beschäftigt dahinleben«. Die rechte Haltung besteht nun darin, alle Dinge, die lediglich zur Verwirklichung des höheren Ziels dienen, zu umfassen und in eine Art Coextensivität zur göttlichen Ordnung zu treten, um uns Gott im ewigen Leben anzugleichen und dies schon unter den Bedingungen der Zeit: wenn ich mich nicht an das Viele verliere, »dann werde ich gefestigt stehen in Dir, meinem Urbild, Deiner Wahrheit […]«. Das vereinheitlichende Denken (vgl. D 143.144.193) Augustinus entspreche dem katholischen Denken (D 218): »Unter diesem Eindruck der Ewigkeit faßt und vereinheitlicht Augustin alle Dinge.« »Wir sehen den Leib der Kirche und wir haben an den historischen Christus, an den unsichtbaren, an den ewigen Christus zu glauben.« Christus, der ›Médiateur‹,41 das lebendige vinculum schlechthin steht im Mittelpunkt des Denkens Blondels und gerade auch des Augustinischen von der vitalen Einheit und Einfachheit. Diesen Gedanken entfaltet Blondel ebenfalls in der Trilogie. Zusammenfassend läßt sich sagen: Blondel möchte zum Zentrum der Augustinischen Perspektive, die in der ›tiefen Einheit‹ ist, finden (vgl. D 209). Die Gangart zur Vollendung des Menschen ist umgekehrt zu den allgemeinen Lehren: sie geht nicht nach außen, sondern nach innen. Es gilt, die inneren Sinne auszuprägen (vgl. s. 159,1). Denn »Gott ist uns viel innerlicher als unserer Innerstes (interior intimo meo); Er ist es, daß ich sagen muß: intus est, ego foris.42 Auf daß ich aufs äußerste über mich hinausgehe, auf daß ich am meisten in die Tiefe absteige, dies ist die Lehre, die ich finde, wenn ich in mich einkehre […] und diese Lehre kann nur durch und von Gott erfüllt werden.« (D 209 f., vgl. 167). Der Weg zur Selbsterkenntnis und damit zu Gott geht nur über das Verlassen von Idolatrie und Egoismus; selbst wenn das Ich die Trennung von sich selbst erfährt, ist der ›unsichtbare Gast‹ (vgl. A (340) 374/366) stets innerlicher als das eigene Icherfahren: »Absum a me; ego, foris; Tu autem, intus.« (D 167) Die action ist die Bedingung einer möglichen inneren Einkehr. Damit ist sie selbst das Licht, das die von ihr selbst gestellten Probleme erleuchten hilft.43 Um die Beziehungen zwischen Geist und Denken aufzusuchen, um das Denken zu seiner vollendenden Bestimmung zu führen, ortet Blondel die Dynamik des Denkens in einer inneren, alles einenden Blickrichtung, die das Prinzip des Intellekts abbildet. Damit nimmt er die Augustinische Tradition in seiner Bewegung vom Geheimnis der inneren Erweckung auf. Im Spätwerk nennt Blondel den Weg der action zu seinem inneren Prinzip hin ›métaphysique de la spiritualité‹ (vgl. A I, 476). Die Seele hat demnach ihre eigene Sinnrichtung (vgl. ›sens de l’âme‹, D 166), ihren eigenen inneren Sinn, (vgl. retr. I,1,2), der durch die einzige Quelle des inneren Vgl. Peter Reifenberg: Blondel und Balthasar – eine Skizze, hier: 199 ff. mit Anm. Das Wortpaar ›foris-intus‹ findet sich in den Confessiones: 1,7 f.; 7,11; 9,10; 10,10; 10,39; 10,52; 11,7; 13,53. 43 Vgl. Aimé Forest: L’augustinisme de Blondel, 186. 41 42
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Lichts des Wortes das Innere des Menschen erleuchtet (vgl. D 204). Die Selbstsuche aber setzt die Einsicht voraus: »Der Mensch ist nicht von sich aus sein eigenes Licht.« (D 209) Alles Suchen nach der Wahrheit verläuft nicht über die Objekte, nicht über die Bewußtseinstatsachen, die rationellen Ideen. Die Einsicht, daß allein von Gott die Wahrheit kommt, verleiht erst Klarheit. b) Der zweite thematische Schwerpunkt ist das Problem des ›surnaturel‹ und die Vollendung des Menschen auf die Weise des ›transnaturel‹. Die Grundfrage der Verwirklichung der Selbst- in der Gotteserkenntnis auf dem Weg der Seele faßt Blondel in die Frage nach der Vollendung der Bestimmung des Menschen, die ihn seit L’Action umtreibt und später in die Frage gießt: »Wie wird Gott im Menschen geboren, wenn der Mensch nicht beginnt, in sich Gott Raum zu schaffen und damit selbst abzusterben?« (D 217). Die Seele ist meist außer ihrer selbst, sich selbst wie ein Fremder oder ein Gast, der in keiner Weise in das intimste Heiligtum einzutreten vermag (›l’intime sanctuaire‹; A II, 128 f.). Nur die Unterwerfung unter das Prinzip von action und être führen zum Ausgleich des Wollens und zur Übereinstimmung des Ich mit sich selbst. Das tiefe Verlangen der Seele ist ausgerichtet, Gott zu kennen und zu schauen und an seiner Glückseligkeit teilzuhaben. (vgl. D 186). Die philosophische und theologische Idee des Übernatürlichen44 (›surnaturel‹) versucht in einer umfassenden Sehweise, diesem tiefen Verlangen gerecht zu werden. Die Vernunft akzeptiert das natürliche Desiderium wie die Unerreichbarkeit Gottes einerseits als ›désir normal‹ und andererseits in der Feststellung des menschlichen Ungenügens, seiner ›impuissance normale‹. Blondel ist bei seiner Vorgehensweise darauf bedacht, mit der anthropologisch wie theologisch zentralen Anschauung einen Ausgleich herbeizuführen, um nicht die Wunden des Modernismusstreites aufzureißen. Unter dem Blickwinkel der Philosophie Augustins erscheinen Blondel ehedem die Kontroversen um den Immanenzbegriff und den Extrinsezismus als bloße Mißverständnisse, da die Aspekte, die man abstrakt aufrichtete, in seinem Denken eine Einheit fanden, ohne sich zu vermischen (vgl. D 210). Es geht ihm darum, sowohl eine ›Zweistockwerkstheorie‹ zu vermeiden, die von der Unbezüglichkeit zwischen Natürlichem und Übernatürlichem ausgeht, dann eine rein formal-abstrakte, ungeschichtliche ›natura-pura-Lehre‹ auszuschalten, die für die Ethik verhängnisvoll wäre, und damit insgesamt eine Anschauung zu korrigieren, die einen extrinsezistischen, den Menschen erlösenden Gnadenakt durch ein willkürliches und zugleich verpflichtendes Dekret Gottes propagiert (vgl. D 232 f.). Diese schwierige Vermittlungsaufgabe im Spannungsfeld zwischen philosophischer Anthropologie und Gnadenlehre gelingt Blondel durch eine geschmeidige Auslegung, die im augustinischen Denken die Möglichkeit erblickte, zugleich die scholastische Systembildung, aber auch antibaianistische extrinsezistische Fassung 44
Vgl. Peter Henrici: Supranatural; Supranaturalismus.
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einzufalten: denn die augustinische Idee, die mit der lebendigen Tradition übereinstimmt (›conforme à la vivante tradition‹) hat von den ›abstrakten Analysen‹ profitiert, sie hat sie eingefaltet (›envelopper‹) und überstiegen (›dépasser‹; vgl. D 186). Denn der Mensch hat um der Vollendung willen nicht die Eigenschaft, sich »damit zufrieden zu geben, lediglich Mensch zu bleiben« (D 216). Hierzu bedarf es, sich in der Lebens-Alternative zu entscheiden. Ausgehend von der Analyse der Strukturen der faktischen ›action‹ findet Blondel bereits in L’Action auf dem Weg der ›option fondamentale‹ zum Begriff des Übernatürlichen als der Vollendung, welche die ›action‹ je anstrebt, aber ebenso nicht selbst zu erwirken vermag, so daß sich die Erfüllungsruhe nur durch die ungeschuldete Initiative Gottes gegenüber dem sein Ungenügen eingestehenden Geist einstellt, der die ›Gottesliebe bis zur Verachtung des Selbst‹ lebt, anstatt in die ›die Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes‹ zu flüchten (vgl. D 186, 216). In der Ordnung der Gnade kann der Mensch aus sich heraus nichts, sondern ist auf den Überschuß göttlicher Liebe angewiesen, »auf die er hin erschaffen ist« (»nos fecisti ad Te, Domine«, conf. 1,1), um dann alles zu können. Die Formaldefinition des Übernatürlichen entsteht aus der Unerreichbarkeit und dem notwendigen Angestrebtsein durch die menschliche ›action‹ (A (388) 422/412): »Absolut notwendig und absolut unmöglich für den Menschen, das ist genau der Begriff des Übernatürlichen.« Der von Blondel existentialisierte Zentralgedanke findet sich bei Augustinus in De civitate Dei 14,28.45 In L’Action (A (355) 389/380) wird nun der Weg zur Freiheit durch die radikale Alternative dramatisch aufgezeigt: »Ja oder nein. Wird er leben wollen oder nicht, selbst wenn er […] daran sterben würde, es hinzunehmen, von Gott verdrängt zu werden? Oder wird er sich selbst genügen wollen ohne ihn; aus seiner notwendigen Gegenwart Gewinn ziehen, ohne sich für sich zu wollen […] sich selbst lieben bis zur Verachtung Gottes, Gott lieben bis zur Selbstverachtung.« Blondels Denken steht an diesem Punkt vor dem lebensdramatischen Scheideweg: Die einzige Möglichkeit der Sinnerfüllung und Teilnahme am übernatürlichen Leben geht weg vom Egoismus über die Akzeptanz der ›mortification naturelle‹ zur Demutshaltung, zum Opfer, zur Unterwerfung und liebenden Selbstverleugnung. »Es gibt keinen Mittelweg, keine andere Bestimmung als zwischen dem Heil oder der Verdammnis.« (vgl. D 216)46 Im stets nach der Erfüllungsruhe suchenden Leben des Augustinus bewahrheitet sich paradigmatisch die konkrete Einheit der Bestimmung des Menschen und seinem ›état transnaturel‹ (D 221 f.). Mit diesem Neologismus, den er im Lalande erstmals deutlicher ausformuliert (vgl. D 222 mit Bezug auf Vocabulaire Lalande II, Hier heißt es: »Zweierlei Liebe also hat die beiden Staaten gegründet, und zwar den Weltstaat die bis zur Verachtung Gottes gesteigerte Selbstliebe, den himmlischen Staat die bis zur Verachtung seiner selbst gehende Gottesliebe.« 46 Wichtige Referenzstellen aus L’Action bei Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung, 344 – 355. 45
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1151), beschreibt47 er die Dynamik des menschlichen Wesens in seiner Faktizität: ein rein abstraktes Konstrukt einer ›natura pura‹ ist unnötig und wird der menschlichen Wirklichkeit nicht gerecht; der Mensch verwirklicht sich in der bereits verwirklichten Wirklichkeit durch die Dynamik der action im Streben und Denken sowohl retrospektiv als auch prospektiv gemäß des Bildes des sich drehenden Rades. Eine wirkliche ›philosophie catholique‹ als ›philosophie intégrale et ouverte‹ (vgl. D 144. 147. 150 f. 193. 218) und als ›Philosophie des Heils‹ (vgl. D 222) findet in dieser Denkwirklichkeit des ›état transnaturel‹ auf die Weise der Heiligkeit der Vernunft (A (442) 476/468) ihre eigentliche Aufgabe und ihre dem unstillbaren Verlangen der Seele entsprechende Richtung. Augustins Verdienst ist es, daß die rein formalabstrakte Ansätze einer vermeintlichen ›philosophie chrétienne‹ als überflüssig entlarvt werden können. Er gibt der ›philosophie catholique‹ den Sinn der umfassenden humanen Philosophie.
4. Schlußüberlegung
Die Reihe der Themen wäre noch fortzusetzen. Es ginge dabei um einen Ausgleichsversuch zwischen Thomas und Augustinus und seine Kritik; um die Kritik an Malebranche hinsichtlich der Fundierung des Ich; um die Möglichkeit einer ›philosophie chrétienne‹; um die Auseinandersetzung mit vermeintlichen Fehlinterpretationen und deren Kritik etc. Schon im Frühwerk denkt Blondel in der Spur Augustins, damals noch mehr intuitiv, ohne ihn hinreichend studiert zu haben. Augustin gelingt es, eine Umkehrung der gewohnten Perspektiven und eine Erneuerung der Gangart innerhalb der Forschung herbeizuführen, in dem er die theoretische Sehweise von der gelebten Wirklichkeit her ins dann lebendige Denken einbringt. Die Lebensdramatik des Augustinus, »die geistliche Konversion, die Reinigung der Sinne, die intellektuelle Demut und die gelehrte Aufnahme eines Gottes, der selbst nicht Begriff, sondern ein Lebendiger ist« lassen sein Werk als ›wunderbare Einheit‹ authentisch erscheinen. Denn in ihm, dem »docteur der Sünde, der Konversion, der Gnade, der Rechtfertigung; dem maître der mystischen Wege, dem Philosophen der inneren Illumination, dem Boten der Liebe, der Eucharistie, der Tradition […]« (D 221) wird das »Gleichgewicht zwischen der Rolle der Vernunft, dem Sinn des moralischen Lebens und den reinen Erfordernissen zur Liebe unserer übernatürlichen Berufung« (D 214) wach. Insofern sind zugleich die Einheit einer ›Geistmetaphysik‹ und einer ›Metaphysik der Liebe‹ möglich. Der Gedanke des Strebens und Verlangens auf Gott hin, des Itinerarium der Seele zu Gott, dann des Verhältnisses von Natürlichen zum 47
Vgl. Peter Reifenberg: Verantwortung aus der Letztbestimmung, 235 ff.
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Übernatürlichen, all das, was Blondel im frühen Denken transzendental-phänomenologisch über die Analyse der action erschließt, wird im mittleren und späteren Werk, vor allem in der Trilogie, auf die ›solidité‹ hin im Spiegel des Denkweges Augustins ontologisch fundiert, um zugleich eine vermittelnde, aussöhnende Linie mit dem (neu-)thomistischen Gedankengebäude zu finden. Dabei repräsentiert Erstere die geschmeidige ›logique de l’action‹. Letztere die durch sie einzufaltende, jedoch für das logisch-grammatikalische Denkgerüst durchaus nützliche ›logique abstraite‹. Die Auseinandersetzug Blondels mit der Philosophie Augustins ist ein beredtes Beispiel, um einerseits die Kontinuität des Gesamtwerkes Blondels lebendig nachzuvollziehen, andererseits gibt der Kirchenlehrer ihm die Möglichkeit einer Neuverortung und Weiterentwicklung seines Denkens jenseits eines einseitigen neuthomistisch, neoscholastischen starren Substanz-Denkens (vgl. D 229). Ohne Bedenken läßt sich von einem Augustinismus im Spätwerk Blondels sprechen.
›Salus tua ego sum‹ Rilke (1875 – 1926) liest die ›Confessiones‹ des heiligen Augustinus von August Stahl
In dem Band Die Confessiones des Augustinus von Hippo. Einführung und Interpretationen zu den 13 Büchern von Norbert Fischer und Cornelius Mayer taucht der Name ›Rilke‹ im Register auf, in den Anmerkungen und im ›bibliographischen Anhang‹. Es werden zwei Arbeiten von 1948 und 1966 zitiert, die mehr oder weniger auf die Beziehung des Dichters zu dem Kirchenvater eingehen. In der Rilke-Literatur sucht man lange nach Hinweisen auf den heiligen Augustinus. Dabei zeigt ein kurzer, vergleichender Blick in die Korrespondenz etwa Stefan Georges und Hugo von Hofmannsthals, der beiden großen Zeitgenossen, die einzigartig dastehende Aufmerksamkeit Rilkes für den ›Lehrer des Abendlandes‹. Die Betrachtung der Beziehung ist also, insofern es sie gibt, sinnvoll, und sie ist notwendig, weil sie im Bewußtsein der Liebhaber und der besten Kenner nicht den angemessenen Platz einnimmt bis heute. Die Biographien von Wolfgang Leppmann1 und Ralph Freedman,2 die Kommentare von Hermann Mörchen,3 Jakob Steiner4 und August Stahl,5 ja sogar das eben erschienene Rilke-Handbuch6 haben in ihren Registern nicht einmal den Namen des heiligen Augustinus. Schopenhauer und Nietzsche, die ›Erzväter der Moderne‹, werden von den Interpreten immer wieder zur Erklärung des Werkes und bestimmter Grundhaltungen des Dichters herangezogen, der Kirchenvater so gut wie nie.7 Es gibt eine Doktorarbeit zu Rilkes Übersetzung der fünf Liebesbriefe der Marianna Alcoforado,8 eine Dissertation über die Valéry-Übertragungen,9 Rilkes Übersetzung Wolfgang Leppmann: Rilke. Sein Leben, seine Welt, sein Werk. Ralph Freedman: Rainer Maria Rilke. Erwähnt sind die Lektüre der Confessiones und die Übersetzungspläne bei Donald A. Prater: Ein klingendes Glas. Das Leben Rainer Maria Rilkes, 321 und 344. So auch bei Tina Simon: Rilke als Leser. 3 Rilkes Sonette an Orpheus. 4 Rilkes Duineser Elegien. 5 Rilke-Kommentar Bd. 1, Zum lyrischen Werk; Bd. 2, Zu den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, zur erzählerischen Prosa, zu den essayistischen Schriften und zum dramatischen Werk. 6 Manfred Engel (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. 7 Im Register der Arbeit von Manfred Engel (Rilkes ›Duineser Elegien‹ und die moderne deutsche Lyrik) ist Nietzsche 42mal, Schopenhauer 18mal angeführt, Augustinus nicht ein einziges Mal. 8 Charlotte Frei: Übersetzung als Fiktion. Die Rezeption der Lettres Portugaises durch Rainer Maria Rilke. 9 Karin Wais: Studien zu Rilkes Valéry-Übertragungen. 1 2
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der 12 ersten Kapitel der Confessiones ist kaum zur Kenntnis genommen worden. Jedenfalls ist sie nicht mal erwähnt in dem Abschnitt des Rilke-Handbuchs, der sich mit Rilkes übersetzerischem Werk beschäftigt.10 Sollte die späte Publikation (1997) der übersetzerischen Bemühungen des Dichters um die Bekenntnisse des Kirchenvaters dafür verantwortlich gemacht werden, so wäre das nichts als die Bestätigung des einen Versäumnisses durch das andere. Danach wundert es fast nicht, daß selbst in einschlägigen Untersuchungen wie der Doktorarbeit von Adriana Cid (Mythos und Religiosität im Spätwerk Rilkes), in der sich gelegentlich die Nähe Augustinischer Gedanken geradezu aufdrängt, oder der eben erschienenen Studie von Günther Schiwy (Rilke und die Religion) der Name des heiligen Augustinus nicht zu finden ist. Ganz unbemerkt ist die Beziehung nicht geblieben. 1948 schon hat Ernst Zinn, der große Rilke-Philologe, festgestellt, daß die Augustinus-Übersetzung Rilkes ›noch ihrer Erschließung‹ harre und man ihr ›im Vorübergehen‹ nicht gerecht werden könne.11 Es dauerte aber noch fast 50 Jahre, bis die Übersetzung im Rahmen der Sämtlichen Werke allgemein zugänglich gemacht wurde.12 1966 erschien in Madrid und also in spanischer Sprache die Arbeit Rilke y San Agustín von Jaime FerreiroAlemparte,13 die einigen wichtigen Themen nachgeht, dem Thema der Kindheit bei Rilke und Augustinus z. B. oder dem Problem der Zeitvorstellung. Diesem Aspekt widmet sich auch ein kleiner Beitrag von Takeshi Tako: Quo enim abiit? La notion du temps chez Rilke et St. Augustin.14 Im deutschen Sprachraum sind allenfalls die wenigen Seiten zu nennen in Otto Olziens Buch Rainer Maria Rilke, Wirklichkeit und Sprache,15 auf denen der Verfasser, wie es heißt, ›auf einige Anklänge an Augustin‹ hinweisen will. Es zeigt sich aber beim genaueren Hinsehen, daß die Aufmerksamkeit des Dichters für den Kirchenvater andauerte über viele Jahre, ein ganzes Leben lang und bis zuletzt. Immer wieder kam er auf den Kirchenvater zu sprechen, las ihn, zitierte ihn, Bernard Dieterle: Das übersetzerische Werk, 454 – 479. Ernst Zinn: Rilke und die Antike, 201 – 250; Zitate 220. 12 Die Übersetzung der Confessiones jetzt in: SW VII, Rainer Maria Rilke: Die Übertragungen, 926 – 961. Zitiert werden die Werke Rilkes nach Band I – VI der Sämtlichen Werke. Wertvoll auch das Nachwort Ernst Zinns in: Ernst Zinn und Karin Wais (Hg.): Rilke. Übertragungen, 319 – 323. 13 Rilke y San Agustín. 14 Auf diesen im Internet erschienenen Artikel hat mich freundlicherweise Norbert Fischer hingewiesen. 15 Otto H. Olzien: Rainer Maria Rilke, Wirklichkeit und Sprache, 12 – 17 (Rilke und die ontologische Tradition). Vgl. auch Rüdiger Görner: Rainer Maria Rilke. Im Herzwerk der Sprache. Auf 82 (und Anm. 55) wird auf Augustinus und die Soliloquia I, 1/2 hingewiesen, beispielhaft wie auf eine atmosphärische Tradition: »um die Soliloquia des Augustinus beschreibt das ›mönchische‹ Ich einen Kreis, wenn es heißt: ›Gott befiehlt mir, daß ich male‹«. 10 11
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versuchte sich an einer Übersetzung der Confessiones und las aus dieser Übersetzung sogar vor.16 Ob Rilke außer den Confessiones noch ein anderes Werk Augustins gelesen hat, ist bislang nicht nachgewiesen und ist auch eher unwahrscheinlich. Aber die Confessiones, die hat er gelesen, teilnehmend und aufmerksam.
1. Begegnungen Rilkes mit Gedanken Augustins
Wann Rilke zum ersten Mal auf den heiligen Augustinus aufmerksam wurde, ist nicht mehr genau festzustellen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß dies schon lange vor der Zeit war, zu der er ihn zum ersten Mal namentlich erwähnte und zitierte, also lange vor 1902. Dem Denken und sogar wichtigen Sätzen des Heiligen wird Rilke schon auf der Militärunterrealschule (1886 – 1890) begegnet sein. Sein Religionslehrer in St. Pölten war Professor Franz Horaček,17 ein gebildeter Mann, der 1900, 1902 und 1907 seine ›religiösen Vorträge für die reifere katholische Jugend‹ in drei Bänden veröffentlichte. In diesen Vorträgen finden sich nicht nur, wie etwa in der Predigt Vom Gebete ›Paraphrasen augustinischer Lehrsätze‹, sondern auch direkte Zitate aus den Werken Augustins. Meistens wird ›der große Kirchenlehrer Augustinus‹, wie ihn Professor Horaček nennt, ohne Quellenangabe zitiert wie eine über alle philologische Übung erhabene Autorität. Den berühmtesten Satz18 der Confessiones, den Rilke später – genau am Wortlaut des Originals bleibend – übersetzen wird, den hatte er sicher schon zwanzig Jahre lang im Ohr, so wie er ihn gehört haben wird in der Schule, aus dem Munde seines Lehrers, ein wenig emphatischer noch als er ursprünglich dasteht. Horaček in seinem Vortrag Von der Vernunft des Menschen: »Gott, in welchem das arme menschliche Herz endlich ausruhen kann nach dem Zeugnisse des heiligen Augustinus: ›Unruhig ist unser Herz, o Herr, und hat keinen Frieden, bevor es nicht ausruht in dir!‹«19 Die Einleitung des Zitats (›das arme menschliche Herz‹), die Apostrophe (›o Herr‹), die aphoristische Negation (›und hat keinen Frieden‹) sind ebenso Zutaten des ›k. und k. Militär-Seelsorgers‹ wie das Ausrufezeichen am Schluß. Die pathetische Rhetorik bezeugt eine Begeisterung, die Hertha Koenig: Erinnerungen an Rainer Maria Rilke, 39: »Nach dem Abendessen las Rilke vor, in kleinem oder bisweilen größerem Kreis. Aus seiner Augustinus-Übersetzung, an der er damals arbeitete, oder von ungedruckten Gedichten.« Rilke war vom 25. Juli bis zum 4. Oktober Gast auf Hertha Königs Gut Böckel. 17 Franz Horaček: Religiöse Vorträge für die reifere katholische Jugend. Zu der möglichen Wirkung dieses St.-Pöltener Religionslehrers s. Stefan Keppler: ›Zu einem genetischen Verständnis der Kunst‹. Rilke und der Religionsunterricht in St. Pölten, 11 – 31. 18 Bekenntnisse. Ausgabe von Kurt Flasch und Burkhard Mojsisch, 409 (Anm. 1). 19 Horaček: Religiöse Vorträge I, Von der Vernunft des Menschen, 25. 16
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der St. Pöltener Religionslehrer sicher an seine Schüler weitergegeben haben wird. Man versteht, daß der für sprachliche Inszenierungen empfängliche Rilke, (wie er später schreiben wird) »diesem liebenswürdigen Gelehrten eine große Verehrung und eine durch die Jahre dauernde Dankbarkeit« bewahren wird.20 Der Name des heiligen Augustinus erscheint zum ersten Mal in Rilkes RodinEssai (SW V, 142 f.), den er Ende 1902 in Paris niederschreibt. Sonst begegnet man dem Namen in der Korrespondenz mit der Mutter,21 in Briefen an Freunde,22 an den Verleger, und die Anlässe sind unterschiedlich. Meistens geht es um die geplante, 1911 begonnene und dann nicht weitergeführte, aber lange nicht aufgegebene Übersetzung der Confessiones, um die Lektüre unabhängig oder im Zusammenhang mit der Übersetzung. Zweimal erinnert er an das Wirken Augustins gelegentlich seiner Reise nach Ägypten, die ihn auch in die Nähe der afrikanischen Geburts- und Wirkungsstätte Augustins führte. Zwei Widmungen sind zu erwähnen, die eine eingeschrieben in ein Exemplar des Stunden-Buchs,23 das er 1912 verschenkte, die andere in die Ausgabe der Bekenntnisse, die er 1911 seiner Mutter als Geschenk mitnahm nach Prag.24 Verschiedentlich erwähnt und zitiert er Augustins Bekenntnisse im Brief an Franz Xaver Kappus vom 17. Februar 1903, in: Briefe an einen jungen Dichter, 10. Vgl. auch Horačeks Erinnerung an diesen »stillen, ernsten, hochfähigen Jungen, der sich gerne abseits hielt« (Byong-Ock Kim: Rilkes Militärschulerlebnis und das Problem des verlorenen Sohnes, 76 und Ingeborg Schnack: Rilke, Chronik seines Lebens und Werkes, 17). 21 19. Dezember 1910 aus Tunis: »Hier stehen Moscheen, Gotteshäuser eines anderen Glaubens, aber desselben Gottes, das fühlt man an der Innigkeit mit der das Leben der Moslem religiös sich zusammennimmt, es ist ein Land großen und leidenschaftlichen Glaubens, und man muß sich nur erinnern, wie gerade auf diesem Boden das erste Christentum starke Wurzeln ansetzte, Carthago oder die Gegend um Carthago ist die Heimat des heiligen Augustinus.« Zitiert nach Hella Sieber-Rilke (Hg.): Rainer Maria Rilke, Weihnachtsbriefe an die Mutter, 39. Und Brief an die Mutter vom 2. September 1911 (SW VII, 1310): »Daß Du im Augustinus weiter Deine Freude und Erbauung findest, macht mich recht froh, – denk Dir, ich komme jetzt gar nicht zu ihm, so sehr ich mich danach sehne.« 22 Magda von Hattingberg, Marie von Thurn und Taxis, Lili Schalk, Manon zu Solms-Laubach, Nanny Wunderly-Volkart, Thankmar von Münchhausen. 23 Widmung in ein Exemplar des Stunden-Buchs für Pia de Valmarana am 14. Mai 1912 (Ingeborg Schnack: Rilke, Chronik, 403): »Et vae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt. Augustinus: Conf. 1.4.« 24 Widmung ›für Frau Phia Rilke‹, eingeschrieben in die Hertlingsche Ausgabe der Confessiones (SW II, 211): Lass dich nicht irren die Zeit: was ist nah, was ist fern? Hören wir nicht dieses Herz, wie es hinging zum Herrn? wie es uns, über vieles Geschehne, berührt und erreicht: so erreichen wir unsere sichere Seele vielleicht. Lautschin, Ende July 1911 Meiner lieben Mama dieses herrliche Buch im Gedächtnis der gemeinsam darüber verbrachten Stunde. René 20
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Zusammenhang mit der Lektüre des berühmten Petrarca-Briefes über die Besteigung des Mont Ventoux.25 Nicht übergehen möchte ich Rilkes Übersetzung einer Augustinus zugeschriebenen Regel, die über dem Eingang zum Refektorium eines ehemaligen Dominikaner-Klosters in Taormina zu lesen war und die ihm brieflich übermittelt wurde.26 Die letzte, rührende Erwähnung Augustins steht in der Korrespondenz Rilkes mit der Fürstin Marie von Thurn und Taxis. Der Brief ist auf den 16. September 1926 datiert, wurde also dreieinhalb Monate vor Rilkes Tod geschrieben und es ist der letzte Brief des gesamten Briefwechsels. Er ist an Rilke gerichtet: »ich bin«, schrieb die Fürstin, »tief in Büchern welche mir Mima Gagarine geschickt hat – St Jérôme, St Augustin, St Jean Chrysostome«.27 Man hätte gerne gewußt, was mit ›St Augustin‹ genau gemeint war, die Bekenntnisse oder eine andere Schrift, und was Rilke zu dieser Lektüre gesagt hätte, wenn es noch zu einer Antwort gekommen wäre. Unabhängig davon, sieht man aber ein, daß der heilige Augustinus die Briefpartner verband, daß er ein Gesprächsstoff war zwischen ihnen, auf den man verweisen konnte wie auf Vertrautes. Man muß da einrechnen, daß die Confessiones aus der Bibliothek der Fürstin im Winter 1911/12 zur Lektüre Rilkes auf Schloß Duino gehörten und daß Rilke der Fürstin gegenüber bedauert hatte, mit seiner Übersetzung nicht weiter gekommen zu sein.28 Brief an Lili Schalk vom 14. Mai 1911, in: Rainer Maria Rilke – Briefe aus den Jahren 1907 – 1914, 126 – 129, bes. 127 f.: »ich war also wirklich in Algier, in Tunis, schließlich in Ägypten, aber es wäre mir recht geschehen, hätte ich überall vor den größesten Außendingen den heiligen Augustinus an der Stelle aufgeschlagen, die Petrarca trifft, da er oben auf dem Mont Ventoux, neugierig das gewohnte kleine Buch öffnend, nichts als den Vorwurf findet, über Bergen, Meeren und Entfernungen von sich selber abzusehen. So sehr war diese Reise, in die ich mich mitnehmen ließ, eine Ausrede.« Ähnlich in seiner Meditation Über den jungen Dichter (SW VI, 1052). Zu Petrarcas Blick vom Mont Ventoux und seiner Augustinus-Lektüre vgl. auch Karine Winkelvoss: Rilke, la pensée des yeux, Paris 2004, 78 – 87. 26 An Nanny Wunderly-Volkart am 11. 3. 1921, in: Rainer Maria Rilke – Briefe an Nanny Wunderly-Volkart, 389 und Anm.: »Ihr sollt euch nicht nur nicht die Mäuler vollstopfen, sondern auch Gottes Wort in die Ohren nehmen.« 27 Rainer Maria Rilke – Marie von Thurn und Taxis, Briefwechsel, 884. Sicher handelt es sich bei dem ›St. Augustin‹ nicht um die von Ferreiro-Alemparte (Anm. 13) erwähnte Ausgabe der Bekenntnisse: Aurelius Augustinus. Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übersetzt von Adolf Gröninger. Münster 1859, die offensichtlich schon länger zum Bestand der Duineser SchloßBibliothek gehörte. 28 Brief vom 13. August 1911, wie vorige Anm., 57: »Nicht einmal meine Lückenarbeit am heiligen Augustinus hab ich weitergebracht.« Es kann hier nur angedeutet werden, daß zu dieser Mythengemeinschaft noch ein gemeinsamer Bekannter gehörte: Rudolf Kassner. Sein 1911 im Insel Verlag erschienenes Buch Von den Elementen der menschlichen Größe stand unter dem Motto: »Ubi magnitudo, ibi veritas. Augustinus«. Das Buch spielt in der Korrespondenz zwischen Rilke und der Fürstin von Thurn und Taxis eine große Rolle (Briefe vom 31. Mai und 2. Juni 1911 (Briefwechsel, 41 – 45). Schon in einem Brief an seinen Studienfreund Gottlieb Fritz hatte Kassner am 6. 2. 1898 über den heiligen Augustinus geschrieben: »Aber er ist doch die glorreichste Figur, die je eine Religion den ihren nennen konnte.« 25
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2. Rilkes Vorbehalte gegenüber dem Christentum und die bleibende Zuwendung zu Augustinus
Die Bedeutung des Heiligen Augustinus geriet nicht zufällig in den Aufmerksamkeitsschatten der Rilke-Leser und Rilke-Verehrer. Die Schriften Augustins standen und stehen, allen voran natürlich die Confessiones, für jeden Quellenforscher in Konkurrenz zur Bibel und zu anderen Zeugnissen der christlichen Tradition, Legendensammlungen, Dokumenten der bildenden Kunst. Es ist oft nicht zu entscheiden, ob ein Psalmen-Zitat oder die Paraphrase einer Stelle aus den Evangelien unmittelbar aus der Bibel stammt oder einen Umweg genommen hat u. a. über einen Augustinischen Text. Rilke war, wie man weiß, ein intensiver Leser der Heiligen Schrift. Und was für die Bibel gilt, gilt auch für die Legenden und Heiligenviten, die er oft nebeneinander las wie etwa die Flos Sanctorum des Spaniers Pedro de Ribadeneira,29 die er 1911 neben den Confessiones las auf Schloß Duino.30 Rilkes Nähe zur christlichen Überlieferung wurde zudem verstellt durch seine (in der Nachfolge Schopenhauers und Nietzsches) erklärte Opposition gegen das christliche Weltbild. Diese Opposition war Teil seiner Auflehnung gegen die eigene Sozialisation, gegen gesellschaftliche Rituale, gegen die theatralische Frömmigkeit der Mutter.31 Damit verbunden war sein Verdacht und der immer wiederholte Vorwurf, das Christentum habe das Diesseits an das Jenseits verraten. Die Belege dafür finden sich von den frühesten Produktionen an bis in die späte Zeit. Ich erwähne ein Gedicht wie
Flos Sanctorum (1599 – 1604) in der Übersetzung von Johannes Hornig: Leben aller Heiligen Gottes. 30 Brief an Manon zu Solms-Laubach vom 12. Januar 1912 aus Duino (Briefe 1907 – 1914, 167): »Wahrscheinlich bleib ich noch eine Weile, ganz allein, es ist ein strenger Aufenthalt in riesigen Mauern zwischen Karst und Meer, als Lektüre den heiligen Augustinus und die schönen alten Heiligenlegenden des Spaniers Ribadaneira.« 31 Vgl. etwa das in diese Richtung weisende Gedicht von 17. November 1897: 29
Arme Heilige aus Holz kam meine Mutter beschenken; und sie staunten stumm und stolz hinter den harten Bänken. Haben ihrem heißen Mühn sicher den Dank vergessen, kannten nur das Kerzenglühn ihrer kalten Messen. Aber meine Mutter kam ihnen Blumen geben. Meine Mutter die Blumen nahm alle aus meinem Leben. (SW III, 207)
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Glaubensbekenntnis vom 2. April 189332 und den polemischen Brief des jungen Arbeiters vom Februar 192233 und ich zitiere aus dem ›Neuen Gedicht‹ Der ÖlbaumGarten (Mai/Juni 1906) die gegen die Bibel gerichtete Erklärung des Dichters für das Leid Jesu. Für Rilke bestand dieses Leid wesentlich in der im Opfer geleisteten Aufgabe des eigenen Selbst: »Die Nacht, die kam, war keine ungemeine; so gehen hunderte vorbei. […………………………………………..] Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern, und Nächte werden nicht um solche groß. Die Sich-Verlierenden läßt alles los, und sie sind preisgegeben von den Vätern und ausgeschlossen aus der Mütter Schooß.«34
Die zum Teil heftige (in den Negationen fühlbare) Frontstellung gegen die Erlösergestalt Christi und gegen die Jenseitsverheißungen des Christentums fand ihren positiven Ausdruck in Rilkes entschiedener Feier des Diesseits. ›Christus‹, heißt es im Brief des jungen Arbeiters, »Christus mochte recht haben, wenn er, in einer von abgestandenen und entlaubten Göttern erfüllten Zeit, schlecht vom Irdischen sprach. Obwohl es (ich kann es nicht anders denken) auf eine Kränkung Gottes hinauskommt, in dem uns hier Gewährten und Zugestandenen nicht ein, wenn wir es nur genau gebrauchen, vollkommen, bis an den Rand unserer Sinne uns Beglückendes zu sehen!«35 Es kann, wenn überhaupt, an dieser Stelle nicht entschieden werden, ob Rilke den heiligen Augustinus in seinem Urteil über das ›große Irdische‹ wahrgenommen, mißverstanden oder ob er ihm nur nicht gefolgt ist. Rilkes Verteidigung Gottes gegen jede Entwertung der Welt und des Lebens, »des uns hier Gewährten und Zugestandenen« ist nicht ohne weiteres die Verteidigung des augustinisch-christlichen Schöpfers. Die von führenden Augustinus-Forschern vertretene These von der ›ontologischen Gutheit der Schöpfung‹ oder von der ›guten Schöpfung‹ und dem heiligen Augustinus als einem ›Fürsprecher des Lebens‹ ist nicht unumstritten und SW III, 489 – 491 (»Ihr lippenfrommen Christen/nennt mich den Atheisten«). SW VI, 1111 – 1127. In die Zeit zwischen das Glaubensbekenntnis (1893) und den Brief des jungen Arbeiters (1922) fällt ein Satz, der zeigt, wie anhaltend und durchgehend die antichristliche Polemik formuliert ist: »Übrigens müssen Sie wissen, Fürstin, ich bin seit Cordoba von einer beinah rabiaten Antichristlichkeit« (An Marie von Thurn und Taxis am 17. Dezember 1912 aus Ronda, wie Anm. 27, 245). 34 SW I, 492 – 494; Zitat 494. 35 SW VI, 1115. Vgl. den ›legendär gewordenen Jubel‹ (Angelloz) der Siebenten Elegie: »Hiersein ist herrlich.« 32 33
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wird immer gegen ganz andere Deutungen vorgetragen. Der Rilkesche Verdacht gegen das Christentum ist insoweit nicht leicht zu widerlegen.36 Rilke vermied den Begriff der Sünde (und entsprechend den des Sündenfalls, der Erbsünde, des Sünders und der Sünderin). Den Begriff und die entsprechenden Ableitungen verwendet er beinahe nur in der Frühzeit, und auch da allenfalls voller Hohn, kritisch und ablehnend. In dem Brief des jungen Arbeiters verwirft der Dichter mit der Gestalt des Erlösers zugleich die Vorstellung des Sündenfalls und der Erbsünde: »Ich will mich nicht schlecht machen lassen um Christi willen, sondern gut sein für Gott. Ich will nicht von vornherein als ein Sündiger angeredet sein, vielleicht bin ich es nicht.« Es ist daher nicht überraschend, daß nach 1902 Rilke den Begriff der Sünde so gut wie nicht mehr gebraucht, er aber einzig im Jahre 1911 allein 16mal auftaucht. Die Belege finden sich allerdings nur in seiner Übersetzung der ersten Kapitel der Bekenntnisse, aber in keinem eigenen Text der Zeit. Rilke hatte keine übersetzerischen Schwierigkeiten mit dem ›testimonium peccati‹ und dem ›Vae peccatis hominum!‹, der ›remissio peccatorum‹. Er übersetzte die Begriffe und Wendungen ins unauffällig Vertraute (›Vergebung der Sünden‹), vermied sie aber konsequent in seinen poetischen und brieflichen Äußerungen. Und wo er sich kritisch äußerte wie etwa im Brief des jungen Arbeiters, da erwähnte er nie den Namen Augustins. Eine Distanzierung hätte nahegelegen, wo er sich dagegen auflehnt, »von vorneherein als Sündiger angeredet« zu sein. Die Formulierung läßt sich ohne Schwierigkeit auf den ›Sündenfall‹ beziehen, der doch eine Augustinische Lehrmeinung ist.37 Die Schonung des Kirchenvaters oder, sagen wir einmal, die alles andere verdrängende Aufmerksamkeit für die den eigenen Sehnsüchten entgegenkommenden, förderlichen Seiten war so etwas wie ein Akt der Selbstrettung. Der heilige Augustinus, wo er ihn zitiert, hat ›wirklich recht‹38 und die Confessiones sind
Erinnert sei beispielhaft an die Ausführungen Ernst Dassmanns: »sie [die geschichtliche Zeit] ist zunächst doch Schöpfung Gottes und damit der ontologischen Gutheit teilhaftig, die die gesamte Schöpfung auszeichnet.« In: E. D.: Augustinus. Heiliger und Kirchenlehrer, 138 – 142; Zitat 138. Vgl. auch Norbert Fischer: »Deum et animam scire cupio«, 81 – 101. Das von Fischer zitierte und gegen Drecoll gewendete bonmot (»Vorspiegelung eines Großgrundbesitzes auf dem Mond«) entspräche in etwa Rilkes Vorwurf eines Verrats an das Jenseits. Überzeugend die Ausführungen Franz Josef Brechts in: Schicksal und Auftrag des Menschen, 37: »das Jenseitige wird im Diesseits selbst beheimatet, aber so, daß dieses nicht Stufe oder Brücke zum Jenseitigen wird, sondern in der Tat selber den Duft und Zauber des Ganz-Anderen enthält.« 37 Vgl. James J. O’Donnell in seiner eben erschienenen ›neuen‹ Biographie (Augustine, 296): »Different forces drove Augustine to that doctrine of original sin, his most original and nearly single-handed creation.« 38 Magda von Hattingberg an Rilke am 15. Februar 1914: »Ich meine immer, wir halten unsere Kindheit in uns verschlossen, in einem besonderen Schrein weißt Du, denn er hat wirklich recht der heilige Augustin (wie genau erinnere ich mich des Wortes: wohin sollte sie gegangen sein?) Wir haben sie […].« In: Rainer Maria Rilke – Magda von Hattingberg. Briefwechsel, 89. 36
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die ›herrlichen Confessiones des heil. Augustinus‹.39 Die positive Wahrnehmung des Kirchenvaters umgeht erstaunlicher Weise sogar dessen Vorbehalte gegenüber der Kunst und vor allem dem Kunstgenuß.40 Der selektive, Kritik vermeidende Umgang mit einer Autorität wie der des Kirchenvaters läßt sich auch sonst beobachten, etwa beim Bild des heiligen Franz von Assisi, dessen soziales Engagement und dessen Ausrichtung auf die Passion Rilke ganz ausläßt. Beiden Heiligen bewahrt er auf diese Weise eine unumstritten förderliche Zeugenschaft.41 Es muß in der Tat sehr hilfreich gewesen sein für den Dichter, der sich zeit seines Lebens beklagte über seine Leiden in der Kindheit, auf der Militärschule42 und während seiner Prager Gymnasialjahre, die Klagen des Heiligen in den Konfessionen zu lesen: über die Abhängigkeit des Kindes »von dem Recht der Eltern und von dem Übergewicht der Erwachsenen« (I, 8). Die einleitenden Sätze des 9. Abschnitts des ersten Buches müssen Rilke wie eine Bestätigung der Stimme des eigenen Innern vorgekommen sein. Augustinus (conf. 1,8): »quas ibi miserias expertus sum et ludificationes«. Man vergleiche diese Klage mit der Rilkes im Brief an seinen ehemaligen Lehrer General-Major von Sedlakowitz (9. Dezember 1920): [Mir erschien] »jene lange, weit über mein damaliges Alter hinaus, gewaltige Heimsuchung meiner Kindheit unbegreiflich – und ich vermochte ebenso wenig ihr undurchdringliches Verhängnis zu verstehen, wie das Wunder, das mich schließlich – vielleicht im letzten Moment – aus dem Abgrunde unverschuldeter Not befreien kam.«43 Liest man von hier aus zurückblickend Rilkes Charakterisierung der Kindheit Rodins, dann spürt man, wie schon damals, zwanzig Jahre früher, das eine im anderen anklingt, die Klage Augustins, die Sicht der eigenen und die Vermutungen über die Kindheit die französischen Bildhauers (SW V, 142): »Wir wissen nichts [von diesem Leben]. Es wird eine Kindheit gehabt haben, irgendeine, eine Kindheit in Armut, dunkel, suchend und ungewiß. Und es hat diese Kindheit vielleicht noch, denn –, sagt der heilige Augustinus einmal, wohin sollte sie gegangen sein?« Mitte des Jahres 1911, also nach den Neuen Gedichten, den großen Requien und nach Abschluß der Aufzeichnungen des Malte Laurids begann Rilke mit der Übersetzung der Confessiones, die ihn bis weit in die Kriegsjahre beschäftigte, die er aber irgendwann dann doch aufgab oder jedenfalls nicht weiter verfolgte. Die ÜbersetRainer Maria Rilke – Anton Kippenberg: Briefwechsel I, 261. Vgl. das von Rilke übersetzte Kapitel zehn des ersten Buches und beispielsweise die Anmerkung Joseph Bernharts zum zehnten Buch in: Augustinus: Confessiones – Bekenntnisse, 899: »aber der Verdacht, daß der Mensch sittlich dem Schöpfungsgenuß nicht gewachsen ist, behält die Oberhand.« 41 Vgl. dazu meinen Beitrag Rilkes Franz von Assisi. (Spuren, Kontext, Ethik), 76 – 107. 42 Dazu vor allem Byong-Ock Kim: Rilkes Militärschulerlebnis und das Problem des verlorenen Sohnes. Zu erwähnen wäre auch die Doktorarbeit von Stefan Schank: Kindheitserfahrungen im Werk Rainer Maria Rilkes. 43 Rainer Maria Rilke: Briefe in zwei Bänden. Band II, 92. 39 40
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zung ist ein besonderes Zeichen für die intensive Lektüre Augustins und man darf vermuten, daß der Dichter auch eine Orientierungshilfe suchte in dem Werk, in dem der Kirchenvater Zeugnis ablegt von seinem Lebensweg, seinen Irrtümern, Leiden, seinen Fragen, seinen Hoffnungen, der Geschichte seiner Rettung. Zur Zeit seiner intensivsten Beschäftigung mit den Confessiones befand sich Rilke in einer Schaffenskrise, die ihn außerordentlich belastete und die länger andauern sollte, als er vermutete. Die Übersetzungen, mit denen er sich in dieser Phase befaßte, waren auch ein Versuch, die Lähmung der eigenen Produktivität zu überbrükken. Zugleich hielt er Ausschau nach Anregungen und neuen Möglichkeiten. Man braucht nur die Briefe an Lou Andreas-Salomé aus dieser Zeit zu lesen, um einen Eindruck zu erhalten von den Klagen, der Ratlosigkeit und der Suche nach einem Ausweg und nach Hilfe. Erstaunlicher Weise findet sich in dieser Korrespondenz (weder in den Jahren 1911/12, noch früher und auch nicht später) ein direkter Hinweis auf die Augustinus-Lektüre. Aber gelegentlich scheint doch die Sprache und der Ton der Bekenntnisse durch. In dem Brief vom 28. Dezember 1911 sind die Klagen und Leiden in einer nicht enden wollenden Liste aneinander gereiht und immer wieder zusammengefaßt in langen Perioden: »Soll ich mich wundern, daß das lebensgroße Leben in solchen Zwischenzeiten recht verächtlich mit mir umgeht, und was in aller Welt ist diese Arbeit wenn man in ihr nicht alles durchmachen und erlernen kann, wenn man außerhalb ihrer herumsteht und sich schieben und stoßen, ergreifen und loslassen läßt, verwickelt wird in Glück und Unrecht und nie nichts versteht.«44
Gegen Schluß dieses Briefes und nach den vielen Anklagen und Selbstanklagen hört man von der hinzugedachten Augustinus-Lektüre her eine Bedeutungsvariante der Confessiones heraus, wenn es heißt: »Hier, Lou, ist wieder eine meiner Beichten.«45
Wenn wir keine anderen Zeugnisse hätten als die Übertragung der 12 Kapitel des ersten Buches der Confessiones, wir müßten schon davon überzeugt sein, daß Rilke ein Bewunderer des heiligen Augustinus war und insbesondere der Bekenntnisse. Mit spürbarer Empfänglichkeit für die ›oratio figurata‹ des rhetorisch gebildeten Kirchenvaters ist Rilke, der gerade Meister werke seiner mittleren Schaffenszeit abgeschlossen hatte, auch als Übersetzer der Wortkünstler, der er immer war. Gleich beim ersten Satz wird es offensichtlich, daß er sich einläßt auf den Stil, den Rhythmus, die syntaktischen Figuren, die Parallelismen, die anaphorischen Einsätze, die chiastische Anordnung der Satzglieder, die Variation der Formen, erstaunlich in der Rilke – Lou Andreas-Salomé, Briefwechsel, 239. Rilke – Lou Andreas-Salomé, Briefwechsel, 241. Zu den verschiedenen Bedeutungen von ›confessio‹ siehe Erich Feldmann: Einführung, 20 – 25. 44 45
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geschickten Anlehnung an den lateinischen Text und mit dem erkennbaren Willen, dem Original nicht nur nahe zu kommen, ihm ebenbürtig zu sein. Man muß nur andere Übersetzungen sich anhören, die im Vergleich wie Prosa klingen, um Rilkes Kritik zu verstehen: »Zu meinen Abendbeschäftigungen«, schrieb er an seinen Verleger, »gehören die herrlichen Confessionen des heil. Augustinus, ich lese sie jetzt lateinisch, mit dem unbeschreiblich erbärmlichen französischen Text nebenan, die lahmste und lächerlichste Paraphrase, die sich denken läßt.«46 »Magnus es, domine, et laudabilis valde.« Durch die Umstellung des Adverbs im zweiten Teil des Satzes entsteht nicht nur ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Satzeingang und Schluß, es wird zugleich die semantische Verwandtschaft zwischen ›Magnus‹ und ›valde‹ betont. Die Musik der Worte geht natürlich verloren, wenn man den Regeln der französischen Syntax folgt: »Vous êtes grand, Seigneur, et infiniment louable.« Nicht besser klingt die Übersetzung von M de Saint Victor: »Vous êtes grand, Seigneur, et toute louange est au-dessous de vous«47 oder die deutsche Fassung von Georg Graf von Hertling ,48 die Rilke 1911 seiner Mutter schenkte: »Groß bist du, oh Herr, und überaus lobwürdig«. Da hört sich nicht nur im Vergleich die Rilkesche Version geradezu augustinisch an: »Groß bis du, Herr, und löblich sehr.« Rilke hat mit anderen Worten alles getan, daß auch in der deutschen Fassung erfahrbar ist, was Klaus Kienzler über den ersten Satz gesagt hat: »Die Confessiones des Augustinus beginnen wohlgeformt den Dialog mit Gott.«49 Es könnte sein, daß Rilke das ›löblich‹ aus seiner Lutherbibel übernommen hat. Aber in der Satzführung und in der Symmetrie der rhythmischen Organisation ist er der Vorgabe Augustins gefolgt (abgesehen natürlich von der perspektivischen Ausrichtung). Die genauere Betrachtung der Übersetzung Rilkes steht noch aus, wie sie 1948 noch ausstand.50 Die Übersetzung ist ein Sonderfall und ein Glücksfall für die Wahrnehmung und Deutung einer Rezeption. Andere Zeugnisse sind oft viel schwerer zu identifizieren und einzuordnen. Ich gebe ein paar Beispiele für die Mühseligkeit des Suchens und das Glück zugleich des Findens. Am 26. März 1920 schrieb Rilke einen Brief an Frau Nanny Wunderly-Volkart, in dem er einen anderen Brief erwähnt, den er kurz zuvor an eine ihrer jungen Bekannten geschrieben hatte:
Brief an Anton Kippenberg am 28. Juni 1911 (Rilke – Anton Kippenberg: Briefwechsel, 261). Die französische Version, die Rilke vorlag, ist noch nicht ermittelt. 47 Paris 1841. 48 Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus. Buch I – X. (Ausgabe von Georg Graf von Hertling). 49 Klaus Kienzler: Die unbegreifliche Wirklichkeit der menschlichen Sehnsucht nach Gott, 61. 50 Leider sind auch heute noch nicht die ›zahlreichen Entstehungsvarianten‹ (SW VII, 1310) zugänglich, die für eine abschließende Wertung unentbehrlich sind. 46
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»Mittwoch schrieb ich Briefe, darunter sieben Seiten an Anita, die mit einer ganzen Artillerie von großkalibrigen Fragen gegen mir über aufgefahren war: ›Glauben Sie an Gott?‹ ›Glauben Sie an ein Leben nach dem Tode?‹ –, ach, Liebe, ich habe nicht mit augustinischen Bekenntnissen geantwortet, sondern ganz abwartend; immer sonderbarer muthet mich diese Ungeduld des Geistes an, die alles überspringt, um so fragen zu können. Dieses An-den-Rand-Laufen, wie naiv ist es, gerade als dächte man, vom nächsten Bergrand aus in den Weltraum zu schauen. Wo doch unsere Blicke so beschäftigt worden sind! Wo doch Gott nichts thut, als uns immerfort aufhalten.«51
Natürlich schaut man da nach, wie denn die »augustinischen Bekenntnisse« umgangen worden sind, und wieso die Antwort auf die Frage nach der Existenz Gottes, gleichwohl, eine Augustinische Versuchung gewesen sein könnte. Die ›großkalibrige Frage‹ nach dem Glauben an Gott stand im Brief der jungen Frau vom 20. März 1920 und der Dichter antwortete umgehend, weit ausholend und gründlich und er brauchte mehr Raum, als er für ein Ja oder Nein gebraucht hätte. Der Brief trägt das Datum 22. – 24. 3. 1920. Anita Forrer hatte am Abend (»wenn ich Ihnen heute Abend schreibe«) des 20. geschrieben. Rilke beginnt mit der Antwort also unmittelbar nach dem Empfang, braucht aber fast drei Tage. Sosehr ihn die Frage in ihrer alles überspringenden Naivität auch überrascht haben mag, er war mit ihr gerade befaßt. Anita Forrers Brief erreichte ihn montags. Am vorhergehenden Wochenende, am Samstag und Sonntag, hatte er im Baseler Münster Bachs Matthäus-Passion gehört. Darüber berichtet er Nanny Wunderly-Volkart an dem Tag, an dem ihn Anita Forrers Anfrage erreicht haben muß.52 Was ihn nachdenklich machte, das war die Wirkung der ›Gefühle Bachs‹, gerade da, wo er »seine schlichtesten und strengsten Erfahrungen in Gebrauch nahm: ein unermüdlich gekonntes Handwerk und einen ununterbrochen geübten Glauben«. Es muß uns hier nicht beschäftigen, welches Gewicht der Glaube des Protestanten durch das gekonnte Handwerk des Künstlers in der Wahrnehmung Rilkes gewann und welche Schwierigkeit er selbst insbesondere mit der Mittlergestalt Christi immer hatte. In unserem Zusammenhang ist es allein von Bedeutung, daß das musikalische Wochenende im Baseler Münster ihn auf die naive Frage der jungen Frau vorbereitet hatte oder beides ihn mit dem gleichen Problem konfrontierte. Noch in der behaupteten Differenz zwischen seiner Antwort und den »augustinischen Bekenntnissen« ist das Bewußtsein des Negierten anwesend.
Rainer Maria Rilke – Briefe an Nanny Wunderly-Volkart, 196. Vgl. die anregenden Überlegungen von Hans Blumenberg: Rilke als Hörer der Matthäuspassion angehört, 70 – 75. 51 52
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»Die landläufige Frage, ob einer ›an Gott glaube‹, scheint mir schon (so wie wir sie heute hören) aus der falschen Voraussetzung hervorzugehen, als ob Gott auf dem Wege menschlicher Anstrengung und Überwindung überhaupt zu erreichen sei; denn immer mehr ist dem Begriff ›Glauben‹ die Bedeutung von etwas Mühsamem zugewachsen, ja sie hat gerade innerhalb des christlichen Bekenntnisses einen Grad angenommen, der befürchten ließe, daß eine Art Unlust zu Gott der ursprüngliche Zustand der Seele sei. Nichts aber ist weniger zutreffend. Nehme jeder des Momentes wahr, da der Verkehr mit Gott sich ihm in unbeschreiblicher Hinreißung eröffnet; oder knüpfe er, in gründlicher Besinnung, an einen solchen oft unscheinbaren Augenblick an, da er zuerst, unabhängig von den Einflüssen seiner Umgebung, ja oft im Widerspruch zu ihr, von Gott ergriffen war.«53
Es ist nicht nur der Verdacht gegen das geschichtlich Gewordene, der verweist auf bessere Anfänge, es ist vor allem die Diagnose des gegenwärtigen Zustands und es sind die vorgetragenen Alternativen, die an den heiligen Augustinus und seine Bekenntnisse erinnern. Der Einwand gegen die Annahme, der ›ursprüngliche Zustand der Seele‹ sei eine ›Art Unlust zu Gott‹ klingt wie eine Variation des bekannten: »Tu excitas, ut laudare te delectet«. Die Rilkesche Übersetzung: »daß, dich zu loben, ihn freue« entspricht eher der ›unbeschreiblichen Hinreißung‹ als der ›Unlust zu Gott‹. Die im achten Buch beschriebene Bekehrungsszene und die beispielhaft erinnerten Varianten des »zufällig bemerkten Buchs auf dem Spieltisch« und des »sich zufällig bei einer Evangelienverlesung« einfindenden Antonius wirken wie bildliche Vorgaben für Wendungen wie die von der ›unbeschreiblichen Hinreißung‹ und die Formulierung vom ›unscheinbaren Augenblick‹, da einer »von Gott ergriffen war«. Es versteht sich, daß ein Dichter wie Rilke in den Confessiones besonders das entdecken und schätzen wird, was, wie im Falle der Leiden des Kindes, den eigenen Erfahrungen, Vorstellungen und Anliegen entsprach, was der Rechtfertigung der eigenen Lebensführung entgegenkam. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn man in dem Teil der Confessiones, den Rilke übersetzte, Vorstellungen findet, die z. B. seinem ethischem Grundsatzprogramm entsprachen oder eigene Anliegen formulierten, denen er auch in anderen Zusammenhängen begegnet war, in der Lebensgeschichte des heiligen Franz z. B., der Legende des heiligen Alexius und (mutatis mutandis) in der Geschichte vom verlorenen Sohn oder dem Märchen vom Drachentöter. In allen diesen Geschichten handelt es sich um Gestalten, die in Konflikt gerieten mit der väterlichen Ordnung (die Mütter spielen in diesen Geschichten – Rainer Maria Rilke – Anita Forrer. Briefwechsel, 42 f. Vgl. auch Rede / Über die Gegenliebe Gottes von 1913 (SW VI, 143): »Dieses Wort hat einen Nebensinn von Zwang. von Anstrengung angenommen, daß man fast nur noch die langen Mühen einer Bekehrung darin erkennt und vergißt, daß Glaube nur eine leise Färbung der Liebe ist, auf derjenigen Seite mit der sie sich dem Unsichtbaren zukehrt.« 53
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im Unterschied zu Augustins und Rilkes Lebensdramen – kaum eine Rolle). Im zwölften Kapitel des ersten Buches, dem letzten, das er übersetzte, fand Rilke einen solchen Satz, der auch jedem Rilke-Leser sofort auffällt als eine Bestätigung der obersten Maxime der Rilkeschen Ethik (conf. 1,19): »Nemo autem invitus bene facit, etiamsi bonum est quod facit« oder in Rilkes Übersetzung: »Niemand aber handelt gut wider Willen, mag auch das, was er tut, gut sein.« Seit Sommer (vielleicht auch schon seit Mai) 1911 arbeitet Rilke an den Confessiones und Anfang Januar 12 berichtete er von der Lektüre54 in einem Brief an Manon zu Solms-Laubach. Zwischen dem 15. und dem 22. Januar entsteht der Zyklus Das Marien-Leben. Eines der eindrucksvollsten, dramatisch gestalteten Gedichte ist Die Darstellung Mariae im Tempel. Der Kontext ist bekannt, die Kinderlosigkeit von Anna und Joachim, die Gebete der Eheleute, das Gelübde, die Geburt, der Gang in den Tempel. Maria, das dreijährige Mädchen, tut, was die Eltern gelobt haben und was der Ritus verlangt. Rilkes Gedicht thematisiert genau diese Beziehung und bietet alles auf, ›das kleine Mädchen zwischen Frauen‹ aus aller Abhängigkeit zu befreien zu einem selbstbestimmten Handeln. »Sie aber kam und hob den Blick, um dieses alles anzuschauen. (Ein Kind, ein kleines Mädchen zwischen Frauen.) Dann stieg sie ruhig, voller Selbstvertrauen, dem Aufwand zu, der sich verwöhnt verschob: So sehr war alles, was die Menschen bauen, schon überwogen von dem Lob in ihrem Herzen. Von der Lust sich hinzugeben an die innern Zeichen: Die Eltern meinten, sie hinaufzureichen, der Drohende mit der Juwelenbrust empfing sie scheinbar: Doch sie ging durch alle, klein wie sie war, aus jeder Hand hinaus und in ihr Los, das, höher als die Halle, schon fertig war, und schwerer als das Haus.«55
Der Einfluß der Eltern und die Macht der Tradition sind um der Unabhängigkeit des Kindes willen zum bloßen Schein entwertet. Die zukünftige Mutter Gottes handelt nicht (um Augustinus zu zitieren) ›invita‹ und also handelt sie gut. Fast zehn Jahre nach diesem Gedicht schreibt Rilke auf Schloß Berg das sogenannte Testa54 55
12. Januar 1912 an Manon zu Solms-Laubach (Briefe 1907 – 1914, 167). Das Marien-Leben (SW I, 667 – 681) entstand zwischen dem 15. und 23. Januar 1912.
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ment. Der Kerngedanke ist die Bitte um den Erhalt der Freiheit des Einzelnen in der Liebe. Entsprechend hatte Rilke als Motto zwei Verse aus Jean Moréas’ Stances gewählt: »Mais j’accuse surtout celui qui se comporte/contre sa volonté.«56 Man könnte unvorsichtig werden und der Versuchung nachgeben, im MarienLeben auch sonst den Spuren der Augustinus-Lektüre zu folgen. Im Brief an Manon zu Solms-Laubach aus Duino erwähnte er neben der Lektüre der Heiligenlegenden auch die des heiligen Augustinus: »Wahrscheinlich bleibe ich noch eine Weile, ganz allein, es ist ein strenger Aufenthalt in riesigen Mauern zwischen Karst und Meer, als Lektüre den heiligen Augustinus und die schönen alten Heiligenlegenden des Spaniers Ribadaneira.«
Dem Einfluß der Heiligenlegenden Ribadeneiras wurde in der Forschung intensiv nachgegangen, eine mögliche Wirkung der Confessiones wurde gar nicht Betracht gezogen. Dabei legte sich eine, vorsichtig gesagt, bestärkende Orientierung an Augustinus nahe, bedenkt man die Bedeutung, die im Marien-Leben (im Rilkeschen besonders) die Beziehung zwischen Mutter und Sohn hat. Man muß da nur an Gedichte denken wie Von der Hochzeit zu Kana oder Pietà. Es ist ganz ausgeschlossen, daß Rilke, der seiner Mutter eine Ausgabe der Confessiones gerade geschenkt hatte, der mit ihr über die Lektüre korrespondierte, daß er das Verhältnis Augustins zu seiner Mutter übersehen hätte. Die Szene am Fenster von Ostia wird ihm nicht entgangen sein, zählt sie doch zu den ganz berühmten des Buches.57 In vielem erinnert die Begegnung Jesu mit seiner Mutter in Die Stillung Mariae mit dem Auferstandenen (»da er erleichtert zu ihr trat«) an die Szene zwischen Augustinus und seiner Mutter Monika am Fenster von Ostia (conf. 9,23: »provenerat […] ut ego et ipsa soli staremus«). In die Begegnung Jesu mit Maria wird Rilke wie in das Gespräch zwischen Augustinus und seiner Mutter die Vision eines glücklichen Verhältnisses zwischen Mutter Sophie und Sohn René eingedacht haben.58 Die Sehnsucht nach Freiheit und die Ausrichtung auf Unabhängigkeit von allem störenden und verfremdenden Zwang hat ein Korrelat in der Sehnsucht nach einem unabweisbaren Auftrag, nach Unterwerfung unter einen, wie es im Brief an Anton Kippenberg vom 9. Februar 1922 und nach Vollendung der Elegien heißt, unter einen Rainer Maria Rilke: Das Testament, 12 und 85. Verwiesen sei auf die Seiten 426 – 433 von Dieter Hattrups Artikel zu Confessiones 9: Die Mystik von Cassiciacum und Ostia. 58 Rilke über seine Mutter an Lou Andreas-Salomé am 19. Februar 1912 (Briefwechsel, 263): »Wenn man einmal zu etwas Ruhe und Fassung käme, ließe sich sicher […] ihre ganze unaufgeklärte Erscheinung einsehen, beschreiben, möglicherweise bewundern.« Rilkes enge, wenn auch nicht konfliktfreie Beziehung belegen die gerade im Druck befindlichen um die tausend Briefe ›Renés‹ an seine ›Maman‹. Was Augustins Beziehung angeht, zitiere ich aus der gerade erschienenen Augustinus-Biographie von James J(oseph) O’Donnell: »No bit player in the history of autobiography plays quite the role that she [Monnica] plays in Augustine’s.« (55) 56 57
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»namenlosen Gehorsam im Geiste«. Solche das eigene Selbst in seiner Authentizität bestärkende und zugleich antreibende Kraft zeigt sich bei Augustinus in einem Motiv, das man das Motiv des wegweisenden Zufalls nennen könnte. Augustinus spricht von einem Befehl Gottes (conf. 8,29): »nihil aliud interpretans divinitus mihi iuberi«. Jeder Rilke-Leser kennt die von Rilke hin und wieder zitierte Stelle aus dem Brief Petrarcas über die Besteigung des Mont Ventoux und die von ihm mit großem Aufwand vorgetragene Versicherung, ›zufällig‹ die in die Situation passende Stelle aus dem 10. Buch der Konfessionen aufgeschlagen zu haben,59 so ›zufällig‹ wie der heilige Antonius gerade beim Verlesen der Stelle aus dem Matthäus-Evangelium die Kirche betrat (›forte super venerat‹), so ›zufällig‹ wie Pontianus das Buch auf dem Spieltisch bemerkt (conf. 8,14: »forte adtendit codicem«) und die Paulus-Stelle aufschlägt. In welcher Reihenfolge unser Dichter diesen Fundstellen begegnet ist, kann offenbleiben. Augustins Beschreibung und Betonung seiner Entdeckung der Stelle in der Epistel an die Römer (13,13) hat Rilke sicher gekannt. In den Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge finden sich mehrere Begegnungen mit Büchern und Buchstellen, die auffällige Verwandtschaft zeigen mit den erwähnten Passagen in den Bekenntnissen. Das gilt vor allem für die Begegnung mit dem ›kleinen grünen Buch‹ im 54. Abschnitt der Aufzeichnungen. Wenn man die Stellen nebeneinander liest, dann kann es einem geschehen, daß man überzeugt ist, daß das ›schmale Leseband‹, das nach Maltes Überlegungen »seit Gott weiß wann immer zwischen den gleichen Seiten lag«, genau das Merkzeichen war, das der Kirchenvater seiner ungenauen Erinnerung nach (»nescio quo signo interiecto codicem clausi«) in den Band mit den Römerbriefen des Apostels gelegt hatte. Im 61. Abschnitt der Aufzeichnungen wird die Leidensgeschichte des französischen Königs Karl VI. nicht einfach erzählt, sie wird teilnehmend und bewundernd (›dieser Stille, dieser Geduldige‹) erinnert. Auch er ist ein Lesender mit dem »kleinen Buch der Christine de Pisan« in der Hand, das »sich ihm immer an den einfachsten Stellen« aufschlug.60 Die noch in der reflexiven Wendung erkennbare Tradition des Augustinischen »divinitus mihi iuberi« verleiht der ›sanften Gestalt‹ des Königs eine weit über den erfahrenen Augenblick hinausreichende Gegenwärtigkeit des Vergangenen. Die Wahrnehmung des Gewesenen im Gegenwärtigen wird zu einer Bestätigung der eigenen Erfahrung. Dazu aber bedarf es eines Wissens um das kulturelle Erbe. Augustinus, Petrarca,
Vgl. oben Anm. 25. SW VI, 910. Vgl. auch die ähnliche Formulierung (SW I, 872): »irgendwann ist dasselbe Buch unter meine Bücher geraten […]. Nun schlägt es sich auch mir an den Stellen auf, die ich gerade meine, […].« Erinnert sei auch an die Stelle in Rilkes Vorwort zu Balthus Klossowskis Mitsou, 17 und der dort gegebenen Definition von ›finden‹: »eine Erwartung übertreffen, von der man nicht wußte«. Manches ließe sich übertragen auf Rilkes Schaffensprozeß zur Zeit der Duineser Elegien, den er eher als eine Offenbarung denn als eine Arbeit beschrieben hat. 59
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Thomas von Celano61 begegneten diesem Erbe lesend und haben es schreibend weiter gereicht zukünftigen Lesern. Ein dankbarer Leser unter diesen war Rainer Maria Rilke.
3. Zu Rilkes Anverwandlung Augustinischer Motive
Rilke aber war nicht nur ein Leser, er war ein schreibender Leser, und er hat als belesener Schreiber die mythische Tradition, die er aufnahm, auch wiederholend weitergegeben, unbewußt und bewußt. Im Mai 1912 verschenkte Rilke ein Exemplar seines in den Jahren 1899 bis 1903 geschriebenen und 1905 erschienenen Stunden-Buchs an Pia de Valmarana. Als Widmung schrieb er in das Buch: »Et vae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt. Augustinus: Conf. 1.4.«
Alles an dieser Widmung ist bedenkenswert und man sollte nichts übersehen. Das Zitat aus den Confessiones bestätigt zunächst die andauernde Beschäftigung, ja den lebendigen Umgang mit dieser Schrift des Kirchenvaters. Die Sprache des Originals und die beinahe akademische Angabe der Fundstelle ist womöglich nicht nur eine Reverenz gegenüber der Adressatin, sondern vielleicht auch ein Ausdruck der Achtung vor der Quelle, dem Autor und seinen Worten. Die Sprache Augustins beläßt dem Gedanken die Autorität einer hehren Tradition und die Aura des Authentischen. Rilke, der 1912 diese Passage bereits übersetzt hatte und wohl auch die französische Variante seiner Vorlage erinnerte, wird das Latein des Originals wie eine Legitimation seiner eigenen Kompetenz angesehen und vorgezeigt haben. Wichtiger aber ist die Tatsache, daß mit dieser Widmung eine Form der Selbstdeutung verbunden ist. Das Stunden-Buch und seine schon in den Titeln der ersten Bücher62 anklingenden religiösen Bilder, Themen und Motive werden von dieser Widmung her in die Tradition eingefügt, die entschieden von dem Kirchenvater geprägt wurde. Aus dieser Sicht und von der Widmung her erscheint eine Zeile wie: »Gott, du bist groß« aus dem ersten Teil des Stunden-Buchs nicht mehr nur als eine Eingebung des Augenblicks, sondern als Anschluß und Wiederaufnahme des ersten Satzes der Confessiones Augustins.
Vgl. Thomas von Celano: Leben und Wunder des hl. Franziskus v. Assisi I, 93: »Es geschah aber, daß er beim Öffnen des Buches zuerst auf das Leiden unseres Herrn Jesus Christus stieß, und zwar nur auf jene Stelle, die sein bitteres Leiden ankündigte. […] Da erkannte nun der Mann, der voll des Geistes Gottes war, daß er durch viele Drangsale, durch viele Nöte und viele Kämpfe in das Reich Gottes eingehen müsse.« 62 Das Buch vom mönchischen Leben, Das Buch von der Pilgerschaft. 61
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»Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister, und bauen dich, du hohes Mittelschiff. Und manchmal kommt ein ernster Hergereister, geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister und zeigt uns zitternd einen neuen Griff. Wir steigen in die wiegenden Gerüste, in unsern Händen hängt der Hammer schwer, bis eine Stunde uns die Stirnen küßte, die strahlend und als ob sie Alles wüßte von dir kommt, wie der Wind vom Meer. Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern und durch die Berge geht es Stoß um Stoß. Erst wenn es dunkelt lassen wir dich los: Und deine kommenden Konturen dämmern. Gott, du bist groß.«
So, wie er dasteht, in syntaktischer Unabhängigkeit, abgesetzt, optisch hervorgehoben, betont, rhythmisch in sich geschlossen (Gott, du bist groß. – X v v X), liest sich dieser Satz wie die Zusammenfassung und der Ertrag der symbolischen Handlung, die das Gedicht beschreibt: Sinn aller Mühe und Ziel aller Arbeit – die Einstimmung in den Chor Davids und des heiligen Augustinus, die Einstimmung in den Preis Gottes. Der Anschluß an die Sprache, die Wortwahl, den Ton der Confessiones läßt sich dann verfolgen über die gebetshafte Dichtung des Stunden-Buchs hinaus, in Gedichten des Buchs der Bilder bis zum Einsatz der Ersten Duineser Elegie mit ihrem unterdrückten Hilferuf. Bis in die Wortwahl, aber natürlich auch bei der Perspektive sollte man auf den Augustinischen Tonfall achten. Bei dem bekannten Herbsttag, der ziemlich genau drei Jahre nach dem zitierten Stunden-Buch-Gedicht entstand, gilt das für die Anrede ›Herr‹ (»Herr: es ist Zeit«) und auch für das Prädikat, mit dem die Confessiones beginnen: ›Groß‹. Der erste Satz der Bekenntnisse (»Groß bist du, Herr, und löblich sehr.«) erscheint aus dieser Sicht wie eine Vorgabe zum ersten Satz des Herbstgedichtes: »Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.«63 Die Sehnsüchte und Ängste und die Gebete, die Fragen und Bitten des heiligen Augustinus, sie finden sich wieder in Rilkes Briefen und im Eingang der Ersten Duineser Elegie. Den von Augustinus aus den Psalmen in die Confessiones übernommenen Zuspruch hat Rilke in seiner Übersetzung im Original belassen: »Salus tua ego sum.« Er hat diesen Satz nicht nur nicht übersetzt, er hat ihn auch noch unterstrichen (also doppelt hervorgehoben): SW I, 398, entstanden am 21. 9. 1902. Erinnert sei auch an die Eingangszeile des Schlußstücks: »Der Tod ist groß.« (SW I, 477), entstanden 1900 – 1901. 63
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»Sag meiner Seele: Salus tua ego sum. Sag es so, daß ich es höre. Hier, die Ohren meines Herzens sind vor dir, Herr; tu sie auf und sprich zu meiner Seele: Salus tua ego sum.«64
Dieses intensive Bittgebet des Heiligen und die darin umschriebene frohe Botschaft sollte man mithören und mitdenken, wenn man die Eingangsverse der Ersten Duineser Elegie liest: »Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen?«
In der verzweifelten Einsamkeit des Dichters Rilke ist noch das im Rückblick bedachte Bittgebet Augustins fühlbar. Was sie unterscheidet, ist der Zweifel des einen und die Hoffnung des anderen, was sie verbindet, ist die Ausrichtung nach einem Gegenüber. Wer nur das Trennende sieht, dem muß man raten, ›zu nehmen und zu lesen‹. Und er muß dann nur die Erste Elegie weiter lesen bis in die ersten Zeilen der dritten Strophe, um die in den Confessiones erbetene und vorformulierte Botschaft durchzuhören: »Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten […].«
Wie eine ins Menschliche, ins zwischenmenschlich Erfahrbare eingebrachte Umsetzung des ›Dic animae meae‹ liest sich dann die Zeile im wenige Tage vorher an Lou Andreas-Salomé geschriebenen Brief: »Ich hab mir, darfst mir glauben, viel [aus Deinem Brief] herausgelesen, ich ging damit im Garten auf und ab, wie mit etwas, was man auswendig lernen will, was thät ich ohne diese Stimme: Deine.«65
Noch der im Irrealis und negiert vorgestellte Verlust der Nähe ist wie der unterdrückte und doch im Konjunktiv anwesende Schrei nicht weit entfernt von der nur in der Bitte und nur im Gebet gegenwärtigen, aber doch noch ausstehenden Zuwendung Augustins. Heftigste Polemik ist häufig mit denselben Ängsten beladen wie schwärmerischste Hoffnung. Wer Rilke mit Blick auf Augustinus liest und umgekehrt, vom Heiligen aus auf das Werk Rilkes schaut, der wird Sätze finden über den einen, die auch für den anderen gelten könnten. James O’Donnells Urteil über den Gott Augustins ist ein solcher Satz. O’Donnell schreibt: »For Augustine’s god is a silent god. Though […] god hears human prayers, the response is, to every mortal SW VII, 933; ›unterstrichen‹ ist in diesem Falle metaphorisch zu verstehen. Der Satz ist in lateinischen Buchstaben geschrieben, im Druck kursiv gesetzt. 65 Brief vom 10. Januar 1912 (Briefwechsel, 242). Die erste Elegie entstand nach Mitte Januar, vor dem 21. Januar. 64
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ear, silence.«66 Das hätte der amerikanische Augustinforscher auch über Rilkes Gott schreiben können, Rilkes fernen Gott, den man suchen muß, und der verborgen ist in Dunkelheit und Stille, den man nicht besitzen kann. »Welche Stille um einen Gott!« beginnt ein Gedicht aus der Zeit der Vollendung der Duineser Elegien.67 Die rettende Botschaft ist gegenwärtig in einer Sprache, die Erwartungen Raum läßt, Erfüllung schonend verweigert, aber nicht ins Hoffnungslose verdrängt. Die von dem stillen, verschwiegenen Gott ausgehende Beunruhigung (»inquietum est cor nostrum«) zeigt sich bei Augustin wie bei unserem Dichter in einer Kultur des Fragens. Gerade die ersten Kapitel der Confessiones, die Rilke übersetzt hat, belegen diese Beunruhigung. Fragen über Fragen füllen diese Abschnitte. Ich zitiere aus Rilkes Übersetzung des dritten Kapitels: »Fassen dich also Erde und Himmel, da du sie erfüllst? Oder erfüllst du sie und es bleibt etwas zurück, was sie nicht fassen? Und wohin gießest du weg, was von dir bleibt, wenn Erde und Himmel erfüllt sind? Oder hast du nichts, um irgendwo enthalten zu sein, der du selber alles enthältst; was du enthältst, füllst du es aus im Enthalten?«
Für Rilke wird dieser fragende Umgang mit dem Thema sehr überzeugend geklungen haben, weil er der eigenen Sicht entsprach. In dem berühmten Brief an L[otte] H[epner] vom 8. November 1915 hat er auf die ›großkalibrige Frage‹ nach dem Glauben an Gott in einer Weise geantwortet, für die Augustins Fragesequenzen beispielhaft gewesen sein könnten: »Es läßt sich, L. H., auf so vielen Seiten an Ihren Brief anschließen, fast jeder Satz fordert zehn Briefe heraus – nicht, daß man allem, was darin Frage ist (und was darin ist nicht Frage?) Antworten entgegenzustellen hätte, nein, aber dies sind ja alle die Fragen, die immer wieder mit Fragen zugedeckt worden sind oder (bestenfalls) durcheinander sich gaben unter dem Einfluß anderer selbstleuchtender Fragen –; das sind die großen Fragedynastien – wer hat denn je geantwortet?«68
James J. O’Donnell: Augustine, 293. SW II, 480, entstanden 17./18. Februar 1922. 68 Briefe in zwei Bänden, 599 – 605; Zitat 599. Der Brief wurde zusammen mit dem Brief des jungen Arbeiters veröffentlicht in Rainer Maria Rilke: Über Gott. Zwei Briefe. Vgl. auch SW II, 209: »wir raten nur und sagen alles fragend«. 66 67
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4. Fundstellen
1885 – 1890: Rilke ist Schüler des Religionslehrers und geistlichen Professors Franz Horaček, eines Augustinus-Kenners. Nov./Dez. 1902: Rodin-Buch (SW V,142 f.): »Es [das Leben Rodins] wird eine Kindheit gehabt haben, irgendeine, eine Kindheit in Armut, dunkel, suchend und ungewiß. Und es hat diese Kindheit vielleicht noch, denn –, sagt der heilige Augustinus einmal, wohin sollte sie gegangen sein.« 28. Juni 1911: Rilke (vom 22. September – 8. Oktober 1909 in Avignon) schreibt im Brief an Anton Kippenberg vom 28. Juni 1911 (Briefwechsel I,261): »Petrarcabrief […] die Originalausgabe […] Meine französische, die ich in Avignon fand, hat die Überschrift: François Petrarque / à Denis Robert / de Borgo San sepolcro / Salut. / Il raconte son acension du Mont Ventoux.« 19. Dezember 1910: Brief an die Mutter aus Tunis (Weihnachtsbriefe an die Mutter, 39): »Hier stehen Moscheen, Gotteshäuser eines anderen Glaubens, aber desselben Gottes, das fühlt man an der Innigkeit mit der das Leben der Moslem religiös sich zusammennimmt, es ist ein Land großen und leidenschaftlichen Glaubens, und man muß sich nur erinnern, wie gerade auf diesem Boden das erste Christentum starke Wurzeln ansetzte, Carthago oder die Gegend um Carthago ist die Heimat des heiligen Augustinus!« Vgl. Hella Sieber-Rilke (Hg.): Rainer Maria Rilke. Weihnachtsbriefe an die Mutter, 3. 14. Mai 1911: Brief an Lili Schalk aus Paris Briefe aus den Jahren 1907 – 1914, 127 f.): »ich war also wirklich in Algier, in Tunis, schließlich in Ägypten, aber es wäre mir recht geschehen, hätte ich überall vor den größesten Außendingen den heiligen Augustinus an der Stelle aufgeschlagen, die Petrarca trifft, da er oben auf dem Mont Ventoux, neugierig das gewohnte kleine Buch öffnend, nichts als den Vorwurf findet, über Bergen, Meeren und Entfernungen von sich selber abzusehen.« 2. Juni 1911: Brief an Marie von Thurn und Taxis aus Paris (Briefwechsel, 43 – 45): Rilke liest Rudolf Kassners Buch Von den Elementen der menschlichen Größe (Leipzig, Insel Verlag 1911), das als Motto ein Wort Augustins hat: »Ubi magnitudo, ibi veritas. Augustinus« (trin. 8,2). 28. Juni 1911: Brief an Anton Kippenberg (Briefwechsel I,261): »Zu meinen Abendbeschäftigungen gehören die herrlichen Confessionen des heil. Augustinus, ich lese sie jetzt lateinisch, mit dem unbeschreiblich erbärmlichen französischen Text nebenan, die lahmste und lächerlichste Paraphrase, die sich denken läßt.«
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13. Juli 1911: Anton Kippenberg an Rilke (Briefwechsel I,265 f.): »Wir senden heute die Hertling’sche Uebersetzung der ›Bekenntnisse des heiligen Augustinus‹ an Sie ab, die, soweit sich beurteilen lässt, wohl die beste Verdeutschung ist, denn der Münchner Philosoph Hertling ist wohl die anerkannteste Autorität in der katholischen Philosophie des Altertums und des Mittelalters.« 14. Juli 1911: Brief an Anton Kippenberg (Briefwechsel I,267): »und nun suchen Sie noch einen Augustinus für mich und den Petrarca-Brief«. Ende Juli 1911: Widmung ›für Frau Phia Rilke‹ in die Hertlingsche Ausgabe der Confessiones (SW II,211): »Lass dich nicht irren die Zeit: was ist nah, was ist fern?/ Hren wir nicht dieses Herz, wie es hinging zum Herrn?/ Wie es uns, über vieles Geschehne, berührt und erreicht:/ so erreichen wir unsere sichere Seele vielleicht./ Lautschin, Ende July 1911/ Meiner lieben Mama dieses herrliche Buch im Gedächtnis der gemeinsam darüber verbrachten Stunde./ René« 13. August 1911: Brief an Marie von Thurn und Taxis (Brief wechsel, 57): »Nicht einmal meine Lückenarbeit am heiligen Augustinus hab ich weitergebracht.« 2. September 1911: Brief an die Mutter (SW VII,1310): »Daß Du im Augustinus weiter Deine Freude und Erbauung findest, macht mich recht froh, – denk Dir ich komme jetzt gar nicht zu ihm, so sehr ich mich danach sehne.« 12. Januar 1912: Brief an Manon zu Solms-Laubach aus Duino (Briefe 07 – 14, 167): »Wahrscheinlich bleib ich noch eine Weile, ganz allein, es ist ein strenger Aufenthalt in riesigen Mauern zwischen Karst und Meer, als Lektüre den heiligen Augustinus und die schönen alten Heiligenlegenden des Spaniers Ribadaneira.« 14. 5. 1912: Widmung in ein Exemplar des Stunden-Buchs für Pia Valmarana (Chronik, 403): »Et vae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt. Augustinus: Conf. 1.4.« 16. August 1913: Anton Kippenberg an Rilke (Briefwechsel I,431): »Augustinus!! Wie würde er uns für geraume Zeit aus allen Sorgen reißen. Darüber gleichfalls mündlich.« Spätsommer 1913: Über den jungen Dichter (SW VI,1052): »müsste er dann nicht wie Petrarca vor den zahllosen Aussichten des erstiegenen Berges zurück in die Schluchten seiner Seele flüchten, die, ob er sie gleich nie erforschen wird, ihm doch unaussprechlich näher gehen als jene zur Not erfahrbare Fremde.«
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30. Dezember 1913: An Pia de Valmarana aus Paris (Briefe 07-14, 322): »Vous souvient-il, chère P., du moment, où Pétrarque, tout en haut sur la montagne, sur le sommet quasi inaccessible du Ventoux, ouvre son Saint-Augustin à la page sévère qui le renvoie, qui le rejette en soi-même par la reproche de vouloir acquérir le monde sans avoir acquis même le droit d’entrer en soi-même?« S.a. den Anklang im Briefwechsel mit Magda von Hattingberg, 92: »-: so hat Gott mich doch auf den Berg geführt«. 12. 2. [1914]: Brief an Magda v. Hattingberg (Briefwechsel, 66 f.): »Die Kindheit –, Was war es doch? Was war es doch, Schwester, die Kindheit? Kann man anders nach ihr fragen als mit dieser rathlosen Frage, – was war es – jenes Brennen, jenes Staunen, jenes ununterbrochene Nichtanderskönnen, jenes süße, jenes tiefe, jenes strahlende Thränenaufsteigenfühlen? Was war es? – Wie durchfuhrs mich, als ich (in der Zeit des Rodin-Buchs) zuerst beim heiligen Augustinus las: ›Wohin sollte sie gegangen sein?‹ Ist es möglich, sie wäre wirklich noch da, in uns, die Kindheit, die nicht hatte, wo sie hätte hin gehen können, fort von uns? Aber da schwand sie so tief in uns hinein, und wir wandten uns hinüber zu den Dingen der Welt und nun stehn wir da mit fremdlings überfüllten Gesichtern und fragen: was war es?« 15. Februar [1914]: Magda von Hattingberg an Rilke (Briefwechsel, 89): »Ich meine immer, wir halten unsere Kindheit in uns verschlossen, in einem besonderen Schrein weißt Du, denn er hat wirklich recht der heilige Augustin (wie genau erinnere ich mich des Wortes: wohin sollte sie gegangen sein?) Wir haben sie […].« Juli 1915: Editha Klipstein an Ilse Erdmann (Chronik, 374 f.): »Er versprach mir noch, mir eine Übersetzung aus dem heiligen Augustinus zu schicken. Er sei unbefriedigt von den vorhandenen.. Freilich seien diese von ihm übersetzten 18 Kapitel Manuskript geblieben.« 24. Juli 1915: Brief an Marianne Mitford (Chronik, 507): »Mit einer Art Gier hab ich heute morgen meine Schriften durchgesehen, die Elegien, die Übertragungen aus dem Heiligen Augustinus, die Gedichte Michelangelos, und wieder eigene Verse, was für zerbrochene Anfänge.« 7. September 1915: Marthe Hennebert an Rilke (Chronik, 510): »Les meditations de S. Augustin et tout ce que j’en lis il me semble que c’est vous qui me lisez à haute voix.« 13. September 1915: Rilke an Thankmar von Münchhausen (Briefwechsel, 46): »Tu étais à peine parti que j’ai reçu une longue et adorable lettre d’une de mes Amies
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de Paris –, c’est une toute jeune fille, une ouvrière que j’ai prise chez moi dans le temps –. je ne t’ai jamais parlé d’elle ? Son cœur sublime ne fait que grandir depuis que je la connaisse – il est arrivé à me surpasser de beaucoup, car elle passe ses jours au bord de la mer en lisant Saint-Augustin! Et moi, ici, je n’ose pas ouvrir le mien de peur de me trouver trop restreint en face de son inexorable grandeur.« Vgl. Joachim W. Storck (Hg.): Rainer Maria Rilke. Briefwechsel mit Thankmar von Münchhausen 1913 – 1925, 46. 7. 12. 1915: Anton Kippenberg an Rilke, (Briefwechsel II, 42 f.): »Was mag die Kriegszeit Ihnen und mir im stillen gebracht haben oder bringen? Augustin? Michelangelo? Die Franziskus-Hymnen […]? Die Reihe der Elegien? 1917: Rilke war Gast vom 25. Juli – 4. Oktober 1917 auf Gut Böckel (Herta Koenig berichtet in ihren Erinnerungen): »Nach dem Abendessen las Rilke vor, in kleinem oder bisweilen größerem Kreis. Aus seiner Augustinus-Übersetzung, an der er damals arbeitete, oder von den ungedruckten Gedichten.« Vgl. Hertha Koenig: Erinnerungen an RMR,39. 26. März 1920: Brief an Nanny Wunderly-Volkart (Briefe, 196): »sieben Seiten an Anita […], die mit großkalibrigen Fragen gegen mir über aufgefahren war: ›Glauben Sie an Gott?‹ […] –, ach Liebe, ich habe nicht mit augustinischen Bekenntnissen geantwortet, sondern ganz abwartend«. 11. 3. 1921: Brief an Nanny Wunderly Volkart nach Taormina, San Domenico Palace Hôtel (Briefe, 329): «Ihr sollt euch nicht nur die Mäuler vollstopfen, sondern auch Gottes Wort in die Ohren nehmen!/ So spricht man mit Mönchen.« Vgl. »De refectione utriusque hominis./ Cum acceditis ad mensam, donec inde surgatis, quod vobis secundum consuetudinem legitur, sine tumultu et contentionibus audite. Nec solae vobis fauces sumant cibum, sed et aures esuriant Dei verbum. Augustinerregel. S. Aug. in Rec. Vgl. auch die Anmerkung in: Briefe, 1253. »D. O. M. Silentium. Ne solae obbis fauces sumant cibum sed aures esuriant verbum Dei.« 16. September 1926: Marie von Thurn und Taxis an Rilke (Briefwechsel, 884): »Ich bin tief in Büchern welche mir Mima Gagarine geschickt hat – St Jérôme, St Augustin, St Jean Chrysostome«.
Begegnungen mit Augustinus in den Phänomenologien von Edmund Husserl (1859 – 1938), Max Scheler (1874 – 1928) und Martin Heidegger (1889 – 1976) von Friedrich-Wilhelm von Herrmann
1. Hinführung
Der philosophiegeschichtliche Tatbestand, daß die drei wegweisenden phänomenologischen Denker: Edmund Husserl, Max Scheler und Martin Heidegger nicht nur gelegentlich auf Augustinus Bezug nehmen, sondern sich für die Ausarbeitung ihrer jeweiligen Kernthematik auf Augustinus berufen, deutet darauf hin, daß sich das Denken Augustins sowohl in der Weise seines Vorgehens wie in seinen Fragestellungen in einer Wesensverwandtschaft mit dem hält, was sich in der Philosophie des 20. Jahrhunderts als ›Phänomenologie‹ versteht. Dieser Titel zielt zuerst auf eine besondere Vorgehensweise des Denkens. Ein Denken und dessen Fragen vollziehen sich ›phänomenologisch‹, wenn sie in einer betonten Weise die zu erfragenden und zu denkenden ›Sachen‹ so angehen und entfalten, wie diese ›Sachen‹ an ihnen selbst verfaßt sind. Edmund Husserl, der Begründer der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts, hat diesen Denkhabitus in der Einleitung zum zweiten Band seiner Logischen Untersuchungen (1901) als methodische Forschungsmaxime formuliert (§ 2): »Wir wollen auf die ›Sachen selbst‹ zurückgehen. An voll entwickelten Anschauungen wollen wir uns zur Evidenz bringen, dies hier in aktuell vollzogener Abstraktion Gegebene sei wahrhaft und wirklich das, was die Wortbedeutungen im Gesetzesausdruck meinen«.1 Diese Untersuchungsmaxime »auf die ›Sachen selbst‹ zurückgehen« haben Scheler und Heidegger aufgegriffen und auf je eigene Weise ausgeformt. Ihre philosophische Verwandtschaft mit Husserl gründet in diesem gemeinsamen methodischen Fundament. Freilich ist ein Denken in seinem Grundzug nicht nur dann ›phänomenologisch‹, wenn es sich aus der ausdrücklich formulierten phänomenologischen Methode begreift. Ein Denken kann sich sehr wohl ohne diese Methodenreflexion in seinem Habitus im Sinne des phänomenologischen Sehens der ›Sachen selbst‹ vollziehen. Zu dieser aus einer betonten Nähe zu den ›Sachen selbst‹ sich ergebenden Denkungsart gehört offensichtlich das Denken und Fragen Augustins. Diese Denkungs- und Frageart Augustins ist es, die auf die drei phänomenologischen Denker des 20. Jahrhunderts eine große Anziehung ausgeübt hat. 1
Vgl. Logische Untersuchungen. Zweiter Band, Erster Teil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, 10. Hierzu Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Hermeneutik und Reflexion. Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl.
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Denn diese Denkungs- und Frageart führt Augustinus zur Ansetzung von Grundfragen, die auch im Zentrum des Denkens jener drei Phänomenologen stehen. Dabei ist es gerade die Art, in der Augustinus seine Grundfragen ansetzt, die für die phänomenologischen Denker Wegweisungscharakter hat. Für Husserl ist es die Frage nach dem Eigensten der Zeit, für Scheler die Frage nach dem Eigensten von Liebe und Erkenntnis im neutestamentlichen Verständnishorizont, für Heidegger die Frage nach dem Eigensten des menschlichen Lebens und dessen Zeitverständnisses.
2. Augustinus und Husserl: Distentio animi und inneres Zeitbewußtsein
Augustins Zeit-Untersuchung aus dem elften Buch seiner Confessiones 2 ist in der Art, wie Augustinus die Frage nach der Zeit ansetzt, entfaltet und beantwortet, für Husserl eine Vorgestalt seines eigenen phänomenologischen Fragens nach der Zeit. Der phänomenologische Grundzug seines Fragens, Suchens und Findens ist es, der Husserls Bewunderung findet. Die Augustinische Zeit-Untersuchung erfährt deshalb durch Husserl eine hohe Würdigung. So läßt Husserl seine ersten und grundlegenden phänomenologischen Analysen des ›inneren Zeitbewußtseins‹, die im Jahre 1905 einsetzen, mit einem würdigenden Hinweis auf Augustins Zeit-Untersuchung beginnen: »Die Analyse des Zeitbewußtseins ist ein uraltes Kreuz der deskriptiven Psychologie und der Erkenntnistheorie. Der erste, der die gewaltigen Schwierigkeiten, die hier liegen, tief empfunden und sich daran fast bis zur Verzweiflung abgemüht hat, war Augustinus. Die Kapitel 14 – 28 des XI. Buches der Confessiones muß auch heute noch jedermann gründlich studieren, der sich mit dem Zeitproblem beschäftigt. Denn herrlich weit gebracht und erheblich weiter gebracht als dieser große und ernst ringende Denker hat es die wissensstolze Neuzeit in diesen Dingen nicht. Noch heute mag man mit Augustinus sagen: si nemo a me quaerat, scio, si quaerenti explicare velim, nescio.«3
Husserl selbst hat für sein eigenes Zeit-Denken das elfte Buch der Confessiones aufmerksam gelesen und durchdacht, was die Lesespuren in seinem im Löwener Husserl-Archiv zusammen mit der übrigen Bibliothek Husserls aufbewahrten Handexemplar bezeugen. Der langjährige Direktor des Löwener Husserl-Archivs und bedeutende Husserl-Forscher Rudolf Bernet äußert sich über Husserls Nähe zu Augustins Zeit-Untersuchung in dessen eigenen Analysen des inneren ZeitbewußtVgl. Confessiones – Bekenntnisse. Ausgabe von Joseph Bernhart. Vgl. Norbert Fischer: Einführung (Tusculum). Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, bes. 145 – 169. 3 Vgl. Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 3. 2
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seins so: »Dies [daß Husserl das XI. Buch der Confessiones aufmerksam gelesen hat] nimmt nicht wunder, denn er läßt sich in seiner phänomenologischen Beschreibung des inneren Zeitbewußtseins so sehr durch die Beobachtungen und impliziten Voraussetzungen der Augustinischen Zeitanalyse inspirieren, daß man geradezu von Husserlschen ›Randbemerkungen‹ zu Augustinus sprechen möchte.«4 Husserl sieht in der Augustinischen Zeit-Untersuchung zu Recht entscheidende Tendenzen hin zu seiner eigenen Fragestellung. Augustins Zeit-Untersuchung konnte aber nur deshalb für Husserl von so großem Gewicht sein, weil Augustinus selbst in der Art seines Fragens, Ansetzens, Untersuchens und Bestimmens durch ein phänomenologisches Sehen geleitet ist. Die in der Geschichte des philosophischen Fragens erstmalige ausschließliche Ortung des Zeitproblems in der Immanenz des zeitverstehenden Geistes ist für Husserl das Bedeutsame an der Augustinischen Fragestellung. Denn für Husserl ist es selbstverständlich, daß das philosophische Zeitproblem als Analyse des inneren Zeitbewußtseins angesetzt und durchgeführt werden muß. Was für Augustinus die Innerlichkeit des zeitverstehenden Geistes ist, wird für Husserl zum inneren Zeitbewußtsein. Husserl faßt die Innerlichkeit des Geistes neuzeitlich als Immanenz des Bewußtseins. Beide Abschnitte der Augustinischen Zeit-Untersuchung, die Kapitel 14 bis 20 und die Kapitel 21 bis 28, sind wesentlich bestimmt durch den Rückgang auf die Zeitverhaltungen der ›anima‹ und ›vita‹, um in deren Blickbahn nach dem Zeitlichen und den Zeitdimensionen zu fragen. Im ersten Abschnitt, der nach dem Sein oder Nichtsein des Zeitlichen als des Gegenwärtigen, Vergangenen und Künftigen fragt, ist es der Rückgang auf die Zeitverhaltungen des Wahrnehmens, Wiedererinnerns und Erwartens, um durch deren Analyse das Sein (›esse‹) des wahrgenommenen Gegenwärtigen, erinnerten Vergangenen und erwarteten Künftigen als ein Gegenwärtigsein (›praesens‹) für die zeitverstehende Seele zu bestimmen. Im zweiten Abschnitt, der nach der Wesensverfassung der Zeit Ausschau hält und diese in ihrer Gedehntheit sucht, ist es der Rückgang auf die ursprünglicheren Zeitverhaltungen des sicherstreckenden Geistes (›distentio animi‹), auf die ›attentio‹ als das Verstehen des jeweiligen Jetzt, auf die primäre ›memoria‹ als das behaltende Verstehen des Soebengewesen und auf die primäre ›expectatio‹ als das vorweghaltende Verstehen des Sogleichseins. In diesen drei ursprünglichen Zeitverhaltungen dehnt sich die Zeit durch das dreifache Sicherstrecken des zeitverstehenden Geistes (›distentio animi‹). Diese drei ursprünglichen Zeitverhaltungen heißen ›ursprünglich‹, weil sie in ihrer unauflösbaren Einheit die Zeitverhaltungen der Wahrnehmung, Wiedererinnerung und Erwartung aufbauen. Was für Augustinus der Rückgang auf die Zeitverhaltungen ist, wird für Husserl der Rückgang von der objektiven Zeit auf das reine subjektive Zeitbewußtsein und 4
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dessen Zeiterlebnisse. So wie schon Augustinus unterscheidet zwischen den Zeitverhaltungen der Wahrnehmung, Wiedererinnerung und Erwartung einerseits und den ursprünglichen Zeitverhaltungen des Verstehens von Jetzt, Nicht-mehrjetzt und Noch-nicht-jetzt, so unterscheidet auch Husserl innerhalb des inneren Zeitbewußtseins zwischen den selbständigen Zeiterlebnissen der Wahrnehmung, Wiedererinnerung und Erwartung und den unselbständigen, aber ursprünglichen Zeitverhaltungen der Urimpression, Retention und Protention, die in ihrer Zusammengehörigkeit die selbständigen Zeiterlebnisse konstituieren. Es ist gerade die Augustinische Entdeckung der primären Zeitverhaltungen, der Husserl die größte Bedeutung für seine phänomenologische Analyse des inneren Zeitbewußtseins beimißt. Grundsätzlich gesehen bewegen sich daher Husserls phänomenologische Analysen des inneren Zeitbewußtseins auf einem Boden, den Augustinus erstmals in der Geschichte des philosophischen Zeitproblems freigelegt hat. Was Augustinus als ›distentio animi‹, als das Sicherstrecken des zeitverstehenden Geistes in die Dimensionen des Jetzt, Nicht-mehr-jetzt und Noch-nicht-jetzt, freigelegt hat, ist für Husserl eine Vorgestalt der drei ursprünglichen zeitkonstituierenden Bewußtseinsweisen des reinen subjektiven Zeitbewußtseins. 3. Augustinus und Scheler: Liebe und Erkenntnis
Der unter dem Titel Liebe und Erkenntnis 5 stehende Text aus dem Jahre 1915 ist das wichtigste und ausführlichste Zeugnis für eine eingehende Beschäftigung Schelers mit Augustinus und für die Bedeutung, die das Augustinische Denken für Schelers eigenes Philosophieren hat. Für Scheler ist Augustin der ›größte Denker des Christentums‹, weil er »die Liebe ausdrücklich zur ursprünglichsten Bewegungskraft des göttlichen wie menschlichen Geistes macht« (GW 6,79). Der Augustinische Begriff der Liebe und deren Verhältnis zur Erkenntnis ist das große Thema, das sich Scheler in seinem Studium Augustins von diesem für sein eigenes phänomenologisches Denken vorgeben läßt. Was Scheler damit sagen will, wenn er Augustinus den größten Denker des Christentums nennt, klärt sich, wenn er hervorhebt, man könne nicht sagen, »daß das größte und folgenreichste Erlebnis des europäischen Menschen, die Erscheinung Christi, sich zu einem ebenso festen ideellen Typus der Verhältnisbestimmung von Erkenntnis und Liebe verkörpert habe« (GW 6,87). Mit anderen Worten »die gedankliche und philosophische Ausprägung dieser einzigartigen Revolution des menschlichen Geistes [hat] in fast unbegreiflicher Weise versagt« (ebd.). Denn es sei eine »Tatsache, daß es zu einem philosophischen Welt- und Lebensbild, das originär und spontan aus dem christlichen Erlebnis heraus entsprunHierzu vgl. Johannes Schaber OSB: Zwischen Thomas von Aquin und Kant. Max Schelers Augustinus-Rezeption. 5
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gen wäre, […] nur in ganz schwachen Ansätzen, gekommen ist« (ebd.). Scheler faßt seine Feststellung dieses Tatbestandes so zusammen: »Es gibt in diesem Sinne und gab nie eine ›christliche Philosophie‹, sofern man unter diesen Worten nicht, wie üblich, eine griechische Philosophie mit christlichen Ornamenten, sondern ein aus der Wurzel und dem Wesen des christlichen Grunderlebnisses […] entsprungenes Gedankensystem versteht« (ebd.). Was Scheler fordert, ist eine ›christliche Philosophie‹, die aus der Wurzel und aus dem Wesen des christlichen Grunderlebnisses, des Erscheinens Christi und des damit gewandelten Gott- und Welterlebens, sich erhebt. Stattdessen griff das christliche Gott- und Welterfahren, als »die begriffliche Feststellung eines festen Lehrgehaltes« (GW 6,88) gefordert wurde, auf das »Gebäude des Begriffsgefüges der griechischen Philosophie« (ebd.) zurück. Durch den Anschluß des christlichen Glaubensverständnisses an den »griechischen Typus« (GW 6,91) der Philosophie tat sich für Scheler »die innere Disharmonie zwischen dem religiösen Bewußtsein und der mit ihm verknüpften Weltweisheit« (ebd.) auf. Und nun erfolgt die bedeutsame Hinwendung Schelers zu Augustinus, wenn er seinen vorangehenden Feststellungen entgegensetzt: »Nur bei Augustinus und seiner Schule finden wir starke Ansätze, eine unmittelbare Umsetzung des christlichen Erlebnisgehaltes in philosophische Begriffe zu gewinnen« (GW 6,88). Was Scheler also als Verlust für das christliche Gottes- und Weltverständnis konstatiert, ist das, was unter dem Stichwort der ›Hellenisierung des Christentums‹ bekannt ist. Was er philosophisch fordert, ist die ›Enthellenisierung‹ durch eine dem Christentum genuine philosophische Durchdringung seiner Grundgehalte. Worin sieht nun Scheler das radikal Neue im christlichen Erlebnisgehalt? Hierauf antwortet er: Im »christlichen Erlebnis selbst [ist] eine radikale Umstellung von Liebe und Erkenntnis […] vollzogen« (ebd.), die Scheler in Das Ressentiment im Aufbau der Moralen als »die ›Bewegungsumkehr‹ der Liebe« gekennzeichnet hat (GW 3,72). Diese ›Bewegungsumkehr der Liebe‹ besagt, daß »nun nicht mehr das griechische Axiom gilt, es sei Liebe eine Bewegung des Niedrigen zum Höheren […], des Menschen zum selbst nicht liebenden Gott«, sondern daß »die liebevolle Herablassung des Höheren zum Niederen, Gottes zum Menschen, des Heiligen zum Sünder […] selbst in das Wesen […] des ›Höchsten‹, d. i. Gottes, aufgenommen wird« (GW 6,88). Und was für Scheler von größter Bedeutung ist, ist der Tatbestand, daß »dieser Bewegungsumkehr der Liebe […] eine neue Fundierungsart von Liebe und Erkenntnis« zugrunde liegt (ebd.). Diese neue Fundierungsart zeigt sich religiös darin, »daß die religiöse Erkenntnis« nicht mehr nur »ein spontaner Akt des Individuums ist«, sondern daß »der erste Bewegungsanstoß für sie in Gott selbst verlegt ist«, nämlich »in den liebegeleiteten Erlösungswillen Gottes und seine hierzu erfolgende Selbstoffenbarung in Christo« (GW 6,88 f.). Das besagt für Scheler (GW 6,89): »An die Stelle der […] griechischen Selbsterlösung durch Erkenntnis tritt also die Idee des Erlöstwerdens durch die göttliche Liebe.«
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Die Liebe als bewegende Kraft ist für Augustinus primär göttlichen Ursprungs. Sie ist Gottes Liebe zum Menschen und der übrigen Kreatur, während die Liebe des Menschen zu Gott Antwort auf die göttliche Liebe ist. Aus der Liebe Gottes zum Menschen ist diesem aufgegeben, seinerseits die Mitmenschen in der Nächstenliebe und die übrige Kreatur so zu lieben, wie Gott sie liebt. Deshalb betont nun auch Scheler, daß »mit der rechten Gottesliebe« die Nächstenliebe »mitgesetzt ist«, und daß »gleichzeitig alles tiefere erkenntnismäßige Eindringen in die göttlichen Dinge durch Gottes- und Menschenliebe gleichmäßig fundiert ist« (GW 6,90). Die »Liebe ›zu Gott‹ [muß] immer gleichzeitig ein Mitlieben der Menschen, ja aller Kreaturen mit Gott – ein amare mundum in Deo – in sich einschließen«. Zusammenfassend sagt Scheler: »›Amor Dei et invicem in Deo‹ ist Augustins feste Formel für die unteilbare Einheit dieses Aktes« (ebd.). Die radikale Umstellung von Liebe und Erkenntnis im christlichen Grunderlebnis, dergestalt, daß in der Liebe Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott, zu den Mitmenschen und zu der Kreatur alle Erkenntnis fundiert ist, besteht nicht nur in der religiösen, sondern auch in der außerreligiösen Dimension. Wiederum – sagt Scheler – »finden wir einzig bei Augustinus und der augustinischen Tradition bis zu Malebranche und Blaise Pascal ernsthafte Anfänge, das christliche Grunderlebnis über die Beziehung von Liebe und Erkenntnis auch im Zusammenhang mit außerreligiösen Problemen begrifflich zu fassen« (GW 6,93 f.). Augustinus denkt im religiösen wie im außerreligiösen Bereich den »Liebesprimat«, d. h. den »Primat des Liebesaktes sowohl vor der Erkenntnis als auch vor dem Streben und Wollen« (GW 6,94). Mit dieser Kennzeichnung des Liebesprimats wird das Wesen dieser Liebe näher beleuchtet. In ihrem Primat vor der Erkenntnis ist sie nicht etwa ein besonderes Wollen und Streben, weil sie auch diesen Vermögen fundierend voraufgeht.Wollen und auch Vorstellen folgen »bei Augustin gleichmäßig der Liebe als einer dritten, ursprünglichsten Einheitsquelle alles Bewußtseins« (ebd.). Das besagt aber, »daß die Liebe an erster Stelle das Erkennen und erst durch dieses vermittelt das Streben und Wollen bewegt« (ebd.). Nun gehört aber nach Scheler zum Liebesprimat Augustins auch der »Primat der interessenehmenden Akte«, die Scheler als »niedrigere Regungen der ›Liebe‹« bestimmt. Es ist der Primat der interessenehmenden Akte »vor den wahrnehmenden, vorstellenden, erinnernden und Denkakten« (ebd.). »Liebe und Interessenehmen« sind Scheler zufolge für Augustinus »die elementarste Grundtendenz des menschlichen Geistes« (ebd.). In das Ganze dieses Grundgedankens von Augustin gehört, »daß bei Augustin auch im Wesen der Gottheit die Liebe den letzten Wesenskern ausmacht« (GW 6,95). Und Scheler fährt fort: »So wird die Schöpfung ›aus Liebe‹ […] der grundlegende Schöpfungsgedanke seiner Theologie« (ebd.). Das aber führt Scheler zu der Einsicht: »Zum erstenmal ist damit der Gedanke der schöpferischen Natur der Liebe rein […] verkündet« (ebd.). Scheler unterstreicht, daß »›Gott‹ im
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ursprünglich christlichen Sinne […] die Welt schon ›aus Liebe‹ erschaffen« hat (GW 6,92). Die »schöpferische Kraft der Liebe« kann durch nichts anderes »so scharf hervorgehoben werden wie durch diese Lehre, daß auch der schöpferische Willensakt Gottes in einer vorhergehenden Liebe fundiert sei« (ebd.). Ein zweites Mal aber »erweist sich die Liebe Gottes tätig in der göttlichen Erlösungstat in Christo« (GW 6,95). Und schließlich ist auch »die Gnadenwahllehre Augustins […] nur eine der Folgen [Wesensfolgen] seiner Lehre vom Primat der Liebe vor aller rational abmessenden Gerechtigkeit« (ebd.). Noch wichtiger aber »als diese theologischen Folgen des augustinischen Satzes vom Primat der Liebe im Geiste« sind für Scheler »die Ansätze, in denen Augustin auch den Versuch macht, die ganze Psychologie und Erkenntnislehre von diesem Satze her neu aufzubauen« (ebd.). Diese Ansätze liegen z. B. im ganzen zehnten und elften Buch der Confessiones vor. Die stufenweise Selbstauslegung der Gott suchenden ›anima‹ im zehnten Buch und die Analyse der Zeit und des zeitverstehenden Geistes des elften Buches sind getragen von der Gottesliebe des Fragenden als einer auf die Liebe Gottes antwortenden Liebe. Scheler räumt ein, daß die Ansätze Augustins für einen Umbau von Psychologie und Erkenntnislehre »nur wenige« sind (ebd.). Er fährt jedoch fort: »Aber schon, daß sie da sind, ist darum von großer Tragweite, da sie den ersten und einzigen Versuch darstellen, aus der neuen christlichen Erlebnisstruktur auch neue psychologische und metaphysische Einsichten zu gewinnen« (ebd.). Diesen für Scheler zentralen Gedanken Augustins führt er weiter aus: »Was nämlich Augustin […] behauptet, ist, daß der Ursprung aller intellektuellen Akte und der ihnen zugehörigen Bild- und Bedeutungsinhalte – anfangend von der einfachsten Sinneswahrnehmung bis zu den kompliziertesten Vorstellungsund Gedankengebilden – nicht nur an das Dasein äußerer Gegenstände und der von ihnen ausgehenden Sinnesreize (oder Reproduktionsreize, z. B. beim Erinnern), sondern außerdem an Akte des Interessenehmens und der durch diese Akte geleiteten Aufmerksamkeit, in allerletzter Linie aber an Akte der Liebe und des Hasses wesenhaft und notwendig geknüpft sei« (ebd.). Was dieses Geknüpftsein der intellektuellen Akte an die Akte des Interessenehmens und der Liebe des näheren besagt, führt Scheler wie folgt aus: »Nicht also kommen für Augustin diese Akte zu einem schon vorher dem Bewußtsein gegebenen Empfindungsgehalt, Wahrnehmungsgehalt usw. bloß hinzu, so daß diese Gegebenheiten einer intellektualen Tätigkeit verdankt würden, sondern das Interessenehmen ›an etwas‹, die Liebe ›zu etwas‹ sind die primärsten und alle anderen Akte fundierenden Akte, in denen unser Geist überhaupt einen ›möglichen‹ Gegenstand erfaßt« (GW 6,95 f.). Die primärsten Akte des Interessenehmens und der Liebe »sind zugleich Grundlage für die sich auf denselben Gegenstand richtenden Urteile, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Erinnerungen, Bedeutungsintentionen« (GW 6,96).
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4. Augustinus und Heidegger
a) Selbstauslegung der Gott suchenden ›anima‹ (›vita‹) und Hermeneutik des faktischen Lebens: Im Sommersemester 1921 hält Heidegger als Privatdozent an der Universität Freiburg die Vorlesung Augustinus und der Neuplatonismus.6 Diese Vorlesung gehört zu den Frühen Freiburger Vorlesungen (1919 – 1923), in denen Heidegger seinen eigenen philosophischen Weg als hermeneutisch-phänomenologische Urwissenschaft bzw. Ursprungswissenschaft, als Ontologie des faktischen Lebens und Daseins bahnt. Zugleich ist aber Heideggers Augustinus-Vorlesung zusammen mit der ihr unmittelbar vorangehenden Vorlesung vom Wintersemester 1920/21 Einleitung in die Phänomenologie der Religion7 von der Absicht geleitet, die »wahrhafte Idee der christlichen Philosophie« auszuarbeiten, wie es in der Vorlesung Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks vom Sommersemester 1920 heißt (GA 59,91). Auch für Heidegger ist die wahrhafte Idee der christlichen Philosophie durch eine Befreiung des Christlichen von der griechischen Philosophie bestimmt. Hier zeigt sich eine Verwandtschaft mit Scheler, der jedoch für dasselbe Ziel einen anderen Weg gegangen ist als Heidegger in seiner Augustinus-Vorlesung. Heidegger liest das zehnte Buch der »Confessiones«, das Gegenstand seiner Augustinus-Vorlesung ist, als eine von der Gottsuche geleitete Selbstauslegung der ›anima‹ bzw. ›vita‹ als des ›faktischen Lebens‹. Er vermag zu zeigen, daß Augustinus sich für seine Auslegung der ›anima‹ unausdrücklich in einem Verständnis dessen hält, was er als das faktische Leben oder Dasein in Ansatz und zur Auslegung bringt. In Abgrenzung gegen eine ›objektgeschichtliche‹ Zugangsweise, in der das zeitlichgeschichtliche Leben als objektiver Vorgang angesetzt ist, interpretiert Heidegger Augustins bekennende Selbstauslegung der anima aus der ›vollzugsgeschichtlichen‹ Zugangsweise zum eigensten Vollzugsgeschehen des faktischen Lebens. Das Vollzugsgeschehen des Lebens faßt er als ›Bekümmerung‹ des Lebens um sein eigenes Sein, und diese ›Bekümmerung‹ kennzeichnet er mit dem Augustinischen Terminus ›cura‹ in der Bedeutung des Sorgetragens-für, für das eigene Sein. Dieses in der Weise der Bekümmerung sich vollziehende Leben ist wesenhaft Welt-bezogenes, Welt-verstehendes Leben, und die Welt ist die ›Lebenswelt‹, ein Ganzes sinnhafter Bedeutsamkeit, in und aus der das Leben lebt. Die Lebenswelt gliedert sich nach drei Erfahrungsrichtungen in umweltliche, mitweltliche und selbstweltliche BedeutHierzu Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Die »Confessiones« des Heiligen Augustinus im Denken Heideggers. Darin: Das X. Buch der »Confessiones« im Horizont von Heideggers Hermeneutischer Phänomenologie des faktischen Lebens, 113 – 129. Ders.: Gottessuche und Selbstauslegung: Confessiones X im Horizont von Heideggers Hermeneutischer Phänomenologie des faktischen Lebens, 206. 7 Hierzu Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität. Heideggers phänomenologische Auslegung Paulinischer Briefe. 6
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samkeit. Das unterschiedliche Wie der Bekümmerung, wie das Weltleben sich zu ihm selbst verhält, zeigt sich in zwei vollziehbaren Grundmöglichkeiten. Die eine Bekümmerungsmöglichkeit ist die Lebensmöglichkeit des Abfalls an die lebensweltlichen Bedeutsamkeiten, die andere die Lebensmöglichkeit des eigensten Selbstseinkönnens. Es ist Heideggers Entdeckung, daß und inwieweit Augustinus im X. Buch der Confessiones die Selbstauslegung seiner ›anima‹ (›vita‹) vollzugsgeschichtlich in dem jetzt angedeuteten Sinne durchführt. Der Weg der Gottsuche verläuft als eine dreistufige Selbstauslegung der Seele. Die erste Stufe vollbringt sich als eine Analyse der ›memoria‹, des Gedächtnisses im weiteren Sinne des menschlichen Bewußtseins und seiner Gehalte. Die memoriaAnalyse wird von Heidegger mit Blick auf ihren außerordentlichen Gewinn an Einsichten gewürdigt. Was Augustinus an konkreten Phänomenen freilege, sprenge den Rahmen und die Struktur des üblichen Begriffs. Die zweite analytische Stufe vollzieht die Gottsuche als ein Suchen nach der ›vita beata‹ in der Selbstbekümmerung des Lebens. In der Frage Augustins, wie ich das Selige Leben suche, sieht Heidegger die Frage nach den zwei unterschiedlichen Vollzugsweisen meines Lebens, in denen ich auf diese oder jene Weise Sorge trage für die Nähe oder Ferne meines Lebens zu dem Gesuchten. Für Heidegger versteht Augustinus sein Gottsuchen als ein Wie der Selbstbekümmerung des faktischen Lebens. Nicht alle Menschen streben die echte und wahre vita beata an, wenn sie das Selige Leben in einer anderen Richtung, die nicht die Nähe zu Gott ist, suchen. Es ist die Richtung des Abfallens (›cadere‹) an die lebensweltlichen Bedeutsamkeiten, um in diesen allein oder primär das Selige Leben zu gewinnen. Die andere Vollzugsweise in der Selbstbekümmerung des Lebens ist die Sorge für das wahre Selige Leben, in der sich das Leben in seinem eigensten Sein gewinnt. In der Vollzugsweise der Abwendung von Gott verfällt das Leben primär an die lebensweltlichen Bedeutsamkeiten. Dagegen läßt sich das Leben in der Vollzugsweise seiner primären Hinwendung zu Gott seinen unablegbaren Weltbezug aus seiner gewonnenen Nähe zu Gott bestimmen. Die dritte analytische Stufe erfolgt als Selbstauslegung des selbstbekümmerten Lebens in seinem Grundcharakter der tentatio, des ständigen Versuchtwerdens. Solange ich noch nicht ganz von Gott erfüllt bin, d. h. solange ich mein irdisches Leben vollziehe, lebe ich in der Versuchung, mich in meiner Lebensbekümmerung von den lebensweltlichen Bedeutsamkeiten dergestalt gefangen nehmen zu lassen, daß ich mich, wenn ich den Versuchungen nachgegeben habe, vom wahren Seligen Leben in Gott abwende und ein Weltleben ohne Ausrichtung auf die Nähe zu Gott führe. Wenn nun in der dritten analytischen Stufe der Selbstauslegung der anima die drei Hauptrichtungen der ›tentatio‹ freigelegt werden als Versuchungen, die ›vita beata‹ in der falschen Lebensrichtung zu suchen, dann leuchtet der sachliche Zusammenhang der dritten mit der zweiten analytischen Stufe auf. Die erste Haupt-
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richtung der ›tentatio‹ im selbstbekümmerten Leben ist die Versuchung, die in der ›concupiscentia carnis‹, in der Begierlichkeit des Fleisches, liegt. Diese Versuchung gehört zu allen Wegen der sinnlichen Bedeutsamkeitserfahrung als jene Vollzugsweise des Lebens, in der die sinnlichen Bedeutsamkeitserfahrungen um ihrer selbst willen und nicht aus der primären Bekümmerung um Gott vollzogen werden. – Die zweite Richtung der ›tentatio‹ ist die Versuchung der ›concupiscentia oculorum‹, der ›curiositas‹, d. h. der Neugier. Die Neugier ist für Augustinus eine Bekümmerungsweise des Lebens, in der wir uns mit Nichtigkeiten abgeben, die uns gegen die Lebensmöglichkeit einer primären Sorge für die Nähe zu Gott verschließt. – Als dritte Richtung der ›tentatio‹ hebt Augustinus die Versuchung der ›ambitio saeculi‹, der Eitelkeit der Welt ab. Diese abfallende Vollzugsweise des Lebens liegt in dem Verlangen, von den Menschen gefürchtet und geliebt zu werden nur wegen der Freude daran. Ein Leben, das der Versuchung der Eitelkeit nachgibt und sich primär um die Eitelkeit bekümmert, verschließt sich gegen die ergreifbare Vollzugsmöglichkeit, sich aus der Liebe zu Gott und der frommen Furcht vor ihm zu verstehen. Auch das Gelobtwerden von einem Anderen hält sich in der Versuchung der Eitelkeit, dann nämlich, wenn ich die Gabe, deretwegen ich gelobt werde, mir selbst zurechne statt sie als Gabe Gottes hinzunehmen. Die tentatio als Grundzug des in der Seinsweise der Bekümmerung sich vollziehenden Lebens hält das Leben im Zwischen der beiden ergreifbaren Seinsmöglichkeiten des Sichverlierens an die Bedeutsamkeiten oder des Sichgewinnens als ein solches Weltleben, das sich aus seinem Gottesbezug eine gewandelte Orientierung geben läßt. b) ›Distentio animi‹ und ekstatische Zeitlichkeit: Nicht nur Husserl, sondern auch Heidegger konnte mit gutem Recht in der Art, wie Augustinus die Frage nach der Zeit ansetzt, entfaltet und beantwortet, eine Vorgestalt seines eigenen, auch von Husserl abweichenden Fragens nach der Zeit erblicken. Der phänomenologische Grundzug des Augustinischen Fragens, Suchens und Findens hat Heidegger wie Husserl in einem starken Maße angezogen. Am 26. Oktober 1930 hielt Heidegger im Kloster Beuron vor Mönchen, Klerikern und Novizen – als Dank für die wiederholte freundschaftliche Aufnahme im Kloster zur stillen Arbeit in äußerster Zurückgezogenheit – einen Vortrag unter dem Titel Des heiligen Augustinus Betrachtungen über die Zeit (Confessiones, liber XI).8 Dieser Vorgetragen in Beuron, Erzabtei St. Martin, am 26. x. 1930. Zitiert nach der Kopie des Typoskripts (Eigentum der Bibliotheca Beuronensis). – Zu Heideggers Interpretationen von Confessiones liber XI: Norbert Fischer: Confessiones 11. ›Distentio animi‹. Ein Symbol der Entflüchtigung des Zeitlichen. Weiterhin Aurelius Augustinus: Was ist Zeit? (Confessiones XI / Bekenntnisse 11). Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, 170 – 202; Ders.: Die »Confessiones« des Heiligen Augustinus im Denken Heideggers; darin 130 – 146: Das XI. Buch der »Confessiones« von Augustinus im frühen und späten Denken Heideggers. 8
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Vortrag beginnt so: »In der abendländischen Philosophie sind uns drei bahnbrechende Besinnungen auf das Wesen der Zeit überliefert: die erste hat Aristoteles durchgeführt; die zweite ist das Werk des heiligen Augustinus; die dritte stammt von Kant.« Vor dem Beuroner Vortrag hatte sich Heidegger bereits mehrfach zur Bedeutung der Augustinischen Zeituntersuchung geäußert: so in seinem bekannten Marburger Vortrag von 1924 Der Begriff der Zeit, ferner in der einen oder anderen Marburger Vorlesung und in Sein und Zeit, hier ist es die Zeit als ›distentio animi‹, die er hervorhebt (vgl. GA 2,564). In der Marburger Vorlesung vom Wintersemester 1926/27 Geschichte der Philosophie von Thomas v. Aquin bis Kant sagt Heidegger (GA 23,69): »Merkwürdig, daß Augustinus’ Analyse der Zeit, Confessiones lib. XI, im Mittelalter und besonders im 13. Jahrhundert wohl bekannt, aber ständig unterschlagen wurde«. Mit Blick auf die Aristotelische und auf die Augustinische ZeitUntersuchung heißt es in der Marburger Vorlesung vom Sommersemester 1927 Die Grundprobleme der Phänomenologie (die zweite Ausarbeitung der Fortsetzung von Sein und Zeit), daß »die Antike schon das Wesentliche herausgestellt hat, was den Gehalt des traditionellen Zeitbegriffs ausmacht. Die beiden fortan maßgebenden antiken Interpretationen der Zeit, die schon genannte des Augustinus und die erste große Abhandlung über die Zeit von Aristoteles, sind auch die weitaus umfangreichsten und wirklich thematischen Untersuchungen des Zeitphänomens selbst«. »Im Vergleich sind die Aristotelischen Untersuchungen begrifflich strenger und stärker, während Augustinus einige Dimensionen des Zeitphänomens ursprünglicher sieht« (GA 24,328). Schließlich betont Heidegger in der Vorlesung vom I. Trimester 1941 Die Metaphysik des deutschen Idealismus, und zwar im Zuge seiner Rückbesinnung auf Sein und Zeit und die darin durchgeführte Analytik der Zeitlichkeit des Daseins, daß er »von Augustinus (Confessiones liber XI, c.1 – 31) in bezug auf die eine Frage: ›Sein und Zeit‹« gelernt habe (GA 49,48). Die jetzt genannten Textstellen machen deutlich, wie hoch Heidegger die Augustinische Zeit-Untersuchung ansetzt. Die Hervorhebung ihrer größeren Radikalität und Ursprünglichkei im Vergleich mit der Aristotelischen Zeit-Abhandlung erfolgt mit Blick auf Heideggers eigene Analytik der existenzialen Zeitlichkeit des Daseins, in deren Richtung die Augustinische Zeit-Untersuchung hinzeigt. Während für Husserl – wir hatten es gesagt – die ›distentio animi‹ in das innere Zeitbewußtsein und dessen ursprünglich-zeitkonstituierende Zeiterlebnisse hineinzeigt, ist für Heidegger die ›distentio animi‹ ein deutlicher Zeiger auf den ekstatischen Charakter des Daseins und damit auf die ekstatisch-horizontale Zeitlichkeit des Daseins. Diese zweifache, unterschiedliche Hinzeigefunktion der ›distentio animi‹: zum einen in das innere subjektive Zeitbewußtsein und zum anderen in die ekstatische Zeitlichkeit des existierenden Daseins, ist deshalb möglich, weil sich die Augustinische ›distentio animi‹ vor ihrer möglichen Gabelung in die eine und andere philosophische Ausformung hält. Wenn Augustinus das Wesen der Zeit in der distentio animi,
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d. h. im dreifachen Sicherstrecken des zeitverstehenden Geistes erblickt, dann ist für ihn die Zeit nicht das bloße Nacheinander der abfolgenden Jetztpunkte, dann sieht er das Wesen der Zeit nicht in der nivellierten Jetztfolge, sondern er ahnt vielmehr, daß das Wesen der Zeit das Eigentümliche der daseinsmäßigen Existenz ist und daß die Existenz als das Wesen des Menschen sich als ein dreifach zeitigendes Sicherstrecken, d. h. als ein – wie Heidegger in Sein und Zeit sagt – Auf-sich-zukommen, Auf-sich-zurückkommen und Gegenwärtigen vollzieht. In der Sichtweise Heideggers ist Augustinus unterwegs zur existenzialen und das heißt ekstatischen Zeitlichkeit, und dieses Unterwegssein Augustins läßt Heidegger noch 1941 bekennen, er habe für die eine, seine einzige Frage nach ›Sein und Zeit‹ von Augustinus gelernt.
Philosophie aus religiöser Erfahrung Karl Jaspers (1883 – 1969) interpretiert Augustinus von C. Agustín Corti
Graf Paul Yorck von Wartenburg schrieb Wilhelm Dilthey in einem Brief vom 24. Juli 1884, er hätte den Sinn des Augustinischen Denkens gefunden: das Denken sei erst aus dem Motiv des Lebens zu verstehen. Demgemäß sei der Gegensatz zwischen Gnadenwahl und Prädestination in der Gnadenlehre des Augustinus aus dem Motiv seines Lebens zu gewinnen und nicht aus einer tradierten Problematik scholastischer Tradition: »Aus dem Motive heraus ist allein alles Leben und so auch lebendiges Denken zu verstehen.«1 Mit dieser Einsicht erschließt sich ein neuer hermeneutischer Schlüssel, dem höchste Bedeutung in der nachkommenden Philosophie zuteil wird. Um sich ein philosophisches Denken anzueignen, soll man seine Quellen, seine Motivation herausfinden. Das Motiv eines Denkens kann laut Yorck zur Sprache gebracht werden, indem man es als geschichtlich betrachtet und nicht als Objekt einer bestimmten Wissenschaft. Die Geschichtlichkeit des Denkens kann also nicht Objekt einer Disziplin wie die der Geschichte sein, sondern soll als Ausdruck des Lebens betrachtet werden.2 Da Philosophie selbst Ausdruck des Lebens ist, soll sich die Philosophie mit der Geschichtlichkeit des Lebens auseinandersetzen, um überhaupt in das Motiv eines philosophischen Denkens einzudringen; nicht das Ergebnis eines fertigen Denkens, sondern das Motiv dieses Denkens ist relevant. Die Geschichtlichkeit des Denkens, da sie Ausdruck eines Lebens ist, knüpft ihrerseits an die Bestimmungen eines Selbst an. Selbst heißt zunächst das Moment des Lebens, in dem ich einerseits objektive Erkenntnis erlangen kann und andererseits das Bewußtsein dieser Erkenntnis habe. Deshalb scheint es unmöglich, irgendeine Wilhelm Dilthey – Graf Paul Yorck von Wartenburg: Briefwechsel, 45. Die ganze Passage lautet: »Ich glaube den Sinn, weil das Motiv der Lehre des Augustin von der Gnadenwahl und damit den Unterschied zwischen ihr und der Theorie der Praedestination gefunden zu haben. Aus dem Motive heraus ist allein alles Leben und so auch lebendiges Denken zu verstehen. Das ganze antinomische Weg widerspruchsvoller Scholastik wäre aus den Lebensimpulsen zu verstehen, ein Schritt hinaus in das Positive über die kritisch-negative Erkenntnis der psychischen Provenienz des Widerspruchs, seiner Unvermeidlichkeit wegen der Unübertragbarkeit der Daten der psychischen Grundfunktionen.« Dilthey antwortet, 47: »Sehr interessiert mich, was Sie über Augustin und die Gnadenwahl andeuten. Die Antinomien liegen nach meiner Ansicht nur im Gebiet der Vorstellung. Dringt man zu dem Motiv, das heißt, dem religiös-sittlichen Vorgang, so liegt dieses jenseit der Wiedersprüche […] Der Wechsel in dem tiefsten Leben ist durch die Einseitigkeit jedes persönlichen Lebens bedingt, und dies ist der tiefste und wahrhaft tragische Punkt in der Lebensarbeit des Individuums das Ewige zu besitzen.« 2 Ebd., 251: »Weil philosophieren leben ist, darum – erschrecken Sie nicht – giebt es nach meiner Meinung eine Philosophie der Geschichte – wer sie schreiben könnte!« 1
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Objektivität erlangen zu können, ohne die Zurückführung dieses objektiv Erkannten auf die Geschichtlichkeit des Lebens. Yorck erklärt: »Daß die gesammte psychophysische Gegebenheit nicht ist, sondern lebt, ist der Keimpunkt der Geschichtlichkeit. Und eine Selbstbesinnung, welche nicht auf ein abstraktes Ich sondern auf die Fülle meines Selbstes gerichtet ist, wird mich historisch bestimmt finden«.3 Deshalb scheint es auch unsinnig, die Problematik eines Denkers nur innerhalb einer Geschichte der Philosophie zu begreifen, als ob sie lediglich ein Glied einer längeren und überlegenen Kette wäre. Die Rückführung des Denkens auf eine Instanz der Existenz wird eine zentrale Rolle in der Existenzphilosophie, in der Phänomenologie, sowie in der späteren philosophischen Hermeneutik spielen. Dieses Motiv findet man auch in der Existenzphilosophie Karl Jaspers und es kann anhand seiner Interpretation früherer ›großer Philosophen‹ exemplarisch aufgezeigt werden.4 Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf seine Interpretation Augustins, aus dessen Werk die angedeutete Tradition entscheidende Anstöße bekam.5 Jaspers findet das Motiv von Augustins Werk in seiner Bekehrung und deutet es als Philosophie, die der religiösen Erfahrung entströmt. An diesem Punkt findet der Heidelberger Philosoph Augustins Stärke wie auch seine Schwäche. Das Ziel meines Aufsatzes ist es, diese Beziehung methodisch und inhaltlich aufzuklären. Nach einer methodischen Einleitung zur Analyse der Verbindung von Geschichtlichkeit und Geschichtsphilosophie im Werk von Jaspers wird der Begriff der menschlichen Größe dargestellt. Auf diesem methodischen Grund wird der Interpretation Augustins in Jaspers’ Werk Die großen Philosophen nachgegangen, in dem der Bekehrung und ihrem Bezug zur Philosophie und zum Glauben zentrale Bedeutung zukommt. Abschließend versuche ich, zwei Kritikpunkte Jaspers zu entschärfen und eine kritische Bemerkung zu seiner Rezeption des Augustins anzufügen.
Ebd., 71. Vgl. auch Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode, 255. Vgl. Die großen Philosophen I. 5 In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, daß Augustinus große Bedeutung erlangte. Gerade diese Tradition des Denkens hat Augustins Werk große philosophische Bedeutung zugemessen.Vgl. Wilhelm Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften, 258 ff.; Edmund Husserl: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 3; Martin Heidegger: Augustinus und der Neuplatonismus, 160 – 299; Hannah Arendt: Der Liebesbegriff bei Augustin, 1929; Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode, 424 ff.; Paul Ricœur: Temps et récit. 3 4
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1. Geschichtlichkeit, Geschichtsphilosophie und menschliche Größe
Bereits Yorck hat auf den Gegensatz zwischen einer historischen Betrachtung der Geschichte zu dem geschichtlichen Bewußtsein großes Gewicht gelegt. Ein solcher Gegensatz sei zunächst in zweifacher Weise zu verstehen. Auf der einen Seite stelle die Geschichtlichkeit ein Merkmal des Daseins dar, welches als Selbst primär zu bestimmen sei. Auf der anderen Seite sei die Aneignung der Geschichte des Denkens eine zentrale Aufgabe des Philosophierens. Philosophie kann und solle aus der Geschichte des Denkens ihre Inhalte gewinnen, die aber erst im Philosophieren selbst angeeignet werden können. Insofern wir Philosophierende sind, sei unser Dasein je in seinem Selbst durch Geschichtlichkeit bestimmt. Diese Geschichtlichkeit des Lebens, die im Selbst als einem verbindenden Moment des Objektiv-Erkannten und des Bewußtseins dieser Erkenntnis zu Tage tritt, prägt auf diese Weise jede Auslegung der Geschichte. Jaspers nennt das Wissen über die Geschichte ein ›historisches Bewußtsein‹, das er als Objekt der Geschichtswissenschaften versteht.6 Dagegen stellt das ›geschichtliche Bewußtsein‹ das Innewerden eines Selbst über seine eigene Geschichtlichkeit dar (EE 119): »In ihm bin ich mir meiner in der Kommunikation mit anderem geschichtlichen Selbstsein bewußt; ich bin als ich selbst in der Erscheinung zeitgebunden an ein Nacheinander in Einmaligkeiten meiner Situationen und Gegebenheiten.« Jaspers erklärt, daß in dieser Situation Sein und Wissen untrennbar seien. Ich erkenne mich als geschichtlich im Geschichtlichsein und kann diese Situation, im Gegensatz zu den historischen Objekten, nicht als Objekt erfassen. Deshalb hebt Jaspers die existenzielle Identität dieser beiden Momente hervor. Wie Yorck behauptet Jaspers, das historische Wissen sei nur ein äußerliches Bild, würde es nicht »angeeignet in einem geschichtsphilosophischen Bewußtsein zur Funktion ewiger Gegenwart des Existierens« (EE 120). Fragt man nach der Beziehung des geschichtlichen Bewußtseins zur Geschichte der Philosophie, scheint die Frage nach der Geschichtlichkeit des Lebens bei der Auslegung philosophischer Werke unentbehrlich. Philosophische Geschichte kann lediglich aus einer grundlegenden Erfassung der Geschichtlichkeit entstehen. Zu fragen ist also, wie sich diese Geschichtlichkeit näher bestimmen läßt. Zuerst drückt Geschichtlichkeit die Polarität des Lebens aus, in der ein Dasein in der Zeit als ein einziges und durch Andere nicht ersetzbares Dasein lebt. Zudem bin Ich beschränke mich bei dieser Analyse der Geschichtlichkeit auf Karl Jaspers: Philosophie II. Existenzerhellung (= EE). Jaspers definiert das historische Bewußtsein dort so (118): »Wir nennen historisches Bewußtsein das Wissen von der Geschichte. Aber nicht als dieses Wissen von etwas, das geschah, wie jederzeit überall irgendetwas geschieht, sondern dieses Wissen erst, sofern es das Geschehene erfaßt als die objektiven Voraussetzungen unseres gegenwärtigen Daseins, und zugleich als ein Anderes, das, indem es selbst gewesen, für sich einmalig und einzigartig war. Dieses historische Bewußtsein ist erfüllt in den Geschichtswissenschaften«. 6
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ich als Dasein fähig, zu denken und zu urteilen, das heißt: ein mögliches Wahres zu erstreben. So entsteht ein Gegensatz zwischen dem möglichen Wahren, das – wenigstens in einem engen Sinn – in seiner Objektivität nicht zeitbedingt ist, und der beschränkten Situation, aus der jedes Beurteilen entsteht. Die Spaltung meines Daseins ist der Punkt, in dem die Zeitlichkeit des Lebens und die Zeitlosigkeit des Objektiven zusammentreffen. So braucht die Existenz für Jaspers die Zeitlichkeit ebenso wie die Zeitlosigkeit, es ist »das eine im anderen, nicht das eine ohne das andere« (EE 126). Die angedeutete Beschränktheit meines Daseins kommt mir jedoch nur als Erscheinung vor. Indem ich existiere, erfahre ich meine Geschichtlichkeit. Das will meinen: ich bin das Moment, in dem ich mir im Selbstsein meiner Bedingtheit bewußt bin. Jaspers betont jedoch, diese Doppelheit sei nur ein Charakter des Denkens, da dieses Selbstbewußtsein keinen reflexiven Akt darstellt, in dem das Subjekt einem Objekt gegenüber stehe. Allerdings tritt für die Existenz jene Bedingtheit gerade als einzige Möglichkeit der Freiheit auf. Meiner zeitlichen Bedingtheit bewußt, bin ich mögliche Freiheit für das Handeln. Wenn man dagegen die Objektivität als bloß bedingt betrachtet, »so verlieren wir die Existenz, weil wir die Unbedingtheit und damit jeden Ursprung verlieren. Die Konzentration der Unbedingtheit auf die geschichtlich-konkrete Gegenwart läßt diese Unbedingtheit allein wahr bleiben« (EE 124). Beide Momente zugleich machen die Existenz aus und verwahren die Objektivität im zeitbedingten Selbstsein.7 Bleibt diese Bestimmung der Geschichtlichkeit dennoch nicht rein formal? Kann diese Formalität überwunden werden? Man kann diese Fragen in zweifacher Weise beantworten: ›Nein‹, insofern jede Objektivität nur in der Welt der Erscheinung treten kann und die Existenz immer mehr als bloße Objektivität und Erscheinung ist. Aber man kann auch mit ›Ja‹ antworten, indem man zuerst das, was den Grund der Existenz ausmacht, negativ einschränkt und jene Existenz positiv als eine mögliche Selbstaneignung zeigt. Mit dem Begriff der Geschichtlichkeit läßt sich gerade das anzeigen, was in einer objektiven Betrachtung als paradox erscheint. Zudem gewinnt man Einsicht in einen Bereich, der früher vernachlässigt wurde und jetzt als notwendiger Bestandteil jeder Begründung erklärt werden soll.8 EE 126: »Existieren ist die Vertiefung des Augenblicks, so daß die zeitliche Gegenwart Erfüllung ist, die, Vergangenheit und Zukunft in sich tragend, weder auf die Zukunft noch auf die Vergangenheit abgelenkt wird.« 8 Die Einbeziehung der Existenz in den Interpretationsprozeß, die heute zum koiné der Hermeneutik zählt, war zu Jaspers Zeit überhaupt nicht selbstverständlich. Der Gedanke findet ein Vorbild im Werk des Augustinus, der mit seinem De doctrina christiana und den Confessiones die Grundlagen der Hermeneutik vorgelegt hat. Vgl. dazu Karla Pollmann: De doctrina christiana und Agustín Corti: Zeitproblematik, 179 ff. 7
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Da es sich in der vorliegenden Arbeit vor allem um Jaspers’ Interpretation Augustins handelt, das heißt um eine geschichstphilosophische Auslegung, soll gefragt werden: in welchem Sinne ist Geschichtlichkeit die Grundlage der Philosophiegeschichte? In Philosophie enthüllt Jaspers den Bezug der Geschichtlichkeit der Existenz zum Wissen über die Geschichte und besonders zur Philosophiegeschichte. Er behauptet, das Wissen könne nur in einer Relation zur Gegenwart Sinn haben. Diese Relation gründet im geschichtlichen Bewußtsein dergestalt, daß die Darstellung des Vergangenen für eine bestimmte Gegenwart der Existenz von Bedeutung ist.9 Mit Gegenwart bezeichnet Jaspers zwar eine zeitliche Größe, die aber in sich Vergangenheit und Zukunft disparat umfaßt. So bedeutet Geschichtsphilosophie das Innewerden des geschichtlichen Bewußtseins mittels des Wissens von Vergangenem. Es ist durchaus kein Wissen, das über die Zeiten Allgemeingültigkeit erringen könnte. Vielmehr stellt es im geschichtlichen Bewußtsein eine Art Frage nach der Möglichkeit der Existenz und ihrer Grenzen dar.10 Während historisches Wissen durch kritische Methoden gewonnen werden kann, bedeutet die Geschichtsphilosophie laut Jaspers ›existenzielles Selbstverständnis‹. Historische Forschung hat in bezug auf die Existenz einen dreifachen Sinn: sie stellt erstens fest, was war und demzufolge, was Existenz immer war. Sie legt zweitens den Grund, aus dem geschichtliches Bewußtsein die Notwendigkeit der immer neu zu vollziehenden und nie wiederholbaren Gegenwart gewinnt. Drittens dient sie der Aneignung des Wissens, das nicht als Erfüllung des Lebens verabsolutiert werden soll. Geschichtsphilosophie macht ihrerseits die Selbsterhellung der Existenz aus. Jaspers beschreibt die Geschichtsphilosophie durch drei wichtige Merkmale: 1) Sie dient dazu, die Grenzen des historischen Wissens zu offenbaren, indem sie zeigt, daß Historie ihren Sinn mit eigener Methode nicht erfassen kann. 2) »Sie wird gegenwärtige, gehaltvolle Existenzerhellung, sofern sie die Objektivität der Geschichte ergreift als das Ganze, worin ich mit den anderen existiere« (EE 400). Geschichtsphilosophie bleibt so nicht bei dem Objekt der Historie, sondern richtet sich nach der Existenz und dem Grund dieser Existenz. 3) Indem die Geschichtsphilosophie die Geschichtlichkeit des Ganzen aufzeigt, wird sie zur »Chiffre transzendenten Wesens« (ebd.). Statt das Ganze vom Anfang bis zum Ende zu verabsoPhilosophie, 139: »Während aber für die Historie als Wissenschaft Vergangenheit nur vergangen ist und sie keine Zukunft sieht, bezieht Geschichtsphilosophie alle Zeit auf gegenwärtige Existenz.« 10 EE 139: »Existenzielles Gegenwartbewußtsein expliziert sich daher nicht zum festen Gehalt, sondern darüber hinaus zur eigentlichen Frage. Seine gegenständliche Gestalt bedeutet einen Mythus, obgleich er an das Wissen gebunden ist. Das Faktische wird in ihm scheinbar noch einmal durchsichtig. Das Faktische als Faktisches unberührt lassen, nichts Faktisches, das relevant sein könnte, vergessen, das Mögliche erdenken, aber alles Faktische und Mögliche als Chiffre der Einheit von Existenz mit ihrer Transzendenz lesen, ist der Weg geschichtsphilosophischer Vertiefung des Gegenwärtigen zur ewigen Gegenwart«. 9
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lutieren und daraus ein Modell zu schaffen, vermag das geschichtliche Bewußtsein einen befreienden Mythus zu gestalten, welcher offen für die Zukunft ist und nicht autoritativ wirkt. Gerade diese Funktionen des geschichtlichen Bewußtseins sind für die Analyse der Geschichtsphilosophie von Bedeutung. Die Philosophie ist Ausdruck eines Lebens, das die Kristallisation ihrer Zeit erhellt und ausdrückt. Jaspers nennt diese Kommunikationsfähigkeit die menschliche Größe. Man findet sie namentlich als Maßstab für das, was möglich ist und sein sollte (EE 405). Ein Mensch ist groß, indem er Orientierung durch sein Schaffen bringt (EE 406): »Groß ist der Mensch erst als eine in Subjektivität und Objektivität zu einem universalen Gesamtausdruck sich rundende Gestalt.« Die Größe beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Funktion, sondern kommt in unterschiedlichen Gestalten zum Vorschein. Der Philosoph ist nur einer diesen Typen.11 Dennoch hat er eine hervorragende Funktion, indem er auf kein Ideal ausgerichtet ist, sondern nur ›mögliche Existenz‹ ist. Er faßt keine Wahrheit als endgültige auf und betreibt seine Existenz gegen jede objektive Autorität, welche die Geschichtlichkeit der Existenz verdeckt. Der Philosoph kann Größe besitzen, wenn er Unersetzliches leistet, um die Existenz zu erhellen. Diese Größe ist ein Merkmal, die nur wenigen Philosophen der Geschichte zukommt. So wie die menschliche Größe immer unzureichend und unvollkommend ist, weil sie in der Welt der Erscheinung tritt, so erscheint auch die Größe eines Werkes der Geschichtsphilosophie für seine Interpreten. Sie kann nicht endgültig erfaßt werden und bleibt immer offen für weitere Interpretationen. Wie oben erwähnt wurde, läßt sich die Geschichtlichkeit der Existenz nicht in einer allgemeingültigen Wahrheit erfassen, sondern bleibt immer nur angezeigt, sie stellt eine Art von Appell zur Freiheit des Existierens dar. Deshalb kann ein Philosoph das Werk eines vergangenen Philosophen nur als Ausdruck einer möglichen Existenz erfassen und beurteilen, indem dieses Werk einen Bezug zur Gegenwart des denkenden Menschen besitzt. In Die großen Philosophen arbeitete Jaspers die Größe in Bezug auf die Geschichtsphilosophie aus und interpretiert Augustinus als einen großen Philosophen. Zuerst sieht Jaspers in der Größe eines Menschen das Merkmal der Unersetzlichkeit, indem diese eine objektive Gestalt annimmt und einer bestimmten Situation unterworfen ist. Darüber hinaus ist die Größe und Allgemeingültigkeit der ErscheiJaspers hatte bereits eine solche Typologie in seinem früheren Werk Psychologie der Weltanschauungen ausgearbeitet. Auch dort wird die Persönlichkeit als entscheidend bezeichnet, 38: »Alle echte, aus dem Wesen des Menschen geborene Weltanschauung, die ihrem Träger als wahlverwandt sehr wohl von außen durch die Tradition gebracht werden konnte, zeichnet sich durch Hartnäckigkeit für das ganze Leben aus. Sie ist nicht vorzubringen. […] Die echten Weltanschauungen sind ferner in das gesamte Leben des Individuums verwebt, sie hängen ihm nicht äußerlich an.« 11
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nung selbst geschichtlich zu betrachten. Die philosophische Größe wird dann zu unterschiedlichen Zeiten anders wahrgenommen. Dennoch bleibt der Appell der Größe über die Zeiten, das heißt je selbst zu sein, bestehen.12 Jaspers nennt drei wesentliche Merkmale des Schaffens großer Philosophen: erstens kann ihr Werk über die Zeiten wirken, indem es eine bleibende Kraft besitzt. Zweitens sind sie originell. Sie denken etwas ursprünglich neu und erweitern auf dieser Weise die Erfassung der Existenz. Drittens sind sie unabhängig von festgehaltenen Wahrheiten (JGP 39 f.). Diese Merkmale, die eher den Charakter eines Philosophen und seines Werkes bezeichnen, haben entsprechende sachliche Eigenschaften. Das Werk eines Philosophen soll systematisch sein und in diesem Sinne der Wissenschaft Rechnung tragen. Außerdem strebt das Werk eines großen Philosophen nach Universalität (JGP 40 f.): »Sie erhellen, über alle besonderen Zwecke hinaus, unseren Lebensweg im Ganzen, sind ergriffen von den Fragen der Grenzen, suchen das Äußerste.« Darüber hinaus soll das Werk eines großen Philosophen vorbildlich sein, so daß es den Menschen dazu bringt, sich selbst zu denken. Sein Werk besitzt eine gewisse Autorität, welche aber paradoxerweise nicht autoritativ wirkt, sondern der Freiheit des Denkens dient. Anhand dieser Eigenschaften teilt Jaspers die großen Denker in drei Hauptgruppen. Die erste Gruppe stellen die ›maßgebenden Menschen‹ dar, die eine hohe Wirkung in der Geschichte hatten, auch wenn sie keine reinen Philosophen waren.13 Zahlreicher ist die zweite Gruppe, die Jaspers in vier Untergruppen unterteilt und von eigentlichen Philosophen vertreten wird. In der ersten Untergruppe finden sich ›fortzeugende Denker‹, die mit ihren Werken das Denken und Philosophieren fördern. Ihr Denken ist kein fertiges Bild, sondern Anfang für eigenes Denken: »Ich kenne nur drei Denker, deren Werk geschichtlich und für uns so charakterisiert werden kann: Plato, Augustinus, Kant.«14 Die dritte und letzte Hauptgruppe enthält Dichter, Forscher und Personen, die durch ihr Tun Philosophisches geleistet haben. Das Bild der Größe fordert keine Nachahmung, sondern den Vollzug der eigenen Existenz, vgl. Die großen Philosophen (= JGP), 35: »Wo Größe des Menschen als Menschen gesehen wird, da wird nie ein Einziger allein gesehen. Der große Mensch bleibt Mensch. Seine Größe erweckt, was ihm ähnlich in jedem sein kann. Der Unersetzlichkeit der in der Welt geltenden Größe entspricht die Unersetzlichkeit jeder Menschenseele, die unsichtbar im Verborgenen bleibt. Wer Größe sieht, erfährt den Anspruch, er selbst zu sein.« 13 Jaspers hebt hervor, daß die Menschen dieser Gruppe (JGP 46): »durch ihr Dasein und Wesen das Wesen des Menschsein wie keine anderen Menschen geschichtlich bestimmt haben. Sie sind bezeugt durch Jahrtausende bis heute fortdauernde Wirkung: Sokrates, Buddha, Konfuzius, Jesus«. 14 Die drei folgende Untergruppen bringen erstens ›Visionen des Gedankens‹ (Metaphysiker, Weltfrommen, Wahr- und Wahnträumer sowie konstruktive Köpfe), zweitens Auflockerung (in seiner Negativität oder als Erwecker) und drittens systematische Gebäude und Systeme; vgl. JGP 47. 12
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Ich beschränke mich hier auf einige Aspekte der Auslegung Augustins, die im nächsten Absatz entfaltet werden.15
2. Augustins Motiv: die Bekehrung als Spaltung von Philosophie und Glaube
Indem Jaspers Augustinus einen Platz neben Plato und Kant in der Geschichte der Philosophie zuerkennt, hebt er ihn entscheidend von anderen Philosophen ab. Seine Meinung über Augustinus bleibt aber stets gespalten. Einerseits taucht Augustinus als ein tiefsinniger Denker auf, andererseits wird er als der kirchlichen Autorität unterworfen vorgestellt. Gerade dieser zweite Aspekt ruft die schärfste Kritik von Jaspers an Augustinus hervor.16 Was Augustinus ursprünglich denkt, führt Jaspers zum Teil auf einen Punkt zurück, in dem er die kirchliche Autorität des Katholizismus überragt. Das Gewebe von reinem Philosophieren und autoritativem kirchlichen Denken führt – so Jaspers – zu widersprüchlichen Aussagen, die Augustinus zugunsten der Autorität der Kirche gelöst habe. Die Jasperssche Auslegung umfaßt gewisse Aspekte von Augustins Werk, die aber alle ein zentrales Thema umkreisen: die Bekehrung. Dieses Geschehen bleibt in der Interpretation der ausschlaggebende Punkt. Daraus kann man ableiten, daß hier das Motiv des Denkens, wie Yorck es gefordert hatte, entscheidend ist.17 Jaspers nennt die Bekehrung »die Voraussetzung des Augustinischen Denkens« und deutet ihre Rolle als Befreiung Augustins von einer erstarrten antiken Bildung.18 Die Bekehrung Ob die Darstellung menschlicher Größe oder die Eingruppierung der großen Philosophen sachgemäß ist, bleibt hier unberücksichtigt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit lassen sich lediglich die notwendigen Voraussetzungen darstellen, um Jaspers Augustinus-Auslegung zu entschlüsseln. Hier werden außerdem gewählte Grundzüge von Jaspers Interpretation des Augustinus bevorzugt, die dem Verfasser der vorliegenden Arbeit als wichtig erscheinen, und somit wird keine Vollständigkeit erstrebt. Eine allgemeine darstellende Sicht bietet Italo Sciuto in Karl Jaspers. La chiarificazione della Fede und z. T. auch Monique Samuel in Karl Jaspers, lecteur de saint Augustin. 16 Vgl. dazu Walter Minella: Nota sull’interpretazione di Agostino di Karl Jaspers, Victorino Capánaga: San Agustín, según K. Jaspers und Norbert Fischer: Karl Jaspers. 17 JGP 320: »Augustins Denken ist begründet in seiner Bekehrung.« Daß die Bekehrung einen privilegierten Rang in Jaspers Interpretation besitzt, stellt keine Besonderheit dar. Es ist gerade diese Problematik, welche eine Wiederaufnahme des Interesses für Augustins Confessiones Ende des XIX. Jahrhunderts erweckt habe. Die bereits erwähnten Angaben von Dilthey und Yorck folgen Adolf von Harnacks Augustins Confessionen (1888) und Gaston Boissiers La conversion de saint Augustin (1891). Thema dieser bahnbrechenden Arbeiten war gerade die Bekehrung in Zusammenhang mit dem philosophischen Inhalt der Cassiciacum-Dialoge und die Autorität der Kirche. In dieser Hinsicht bedeuten Jaspers Ausführungen eine Stellungnahme in dieser Diskussion. 18 JGP 321: »Umständlichkeit, Weitschweifigkeit, logische Spielerei und rhetorische Künste, 15
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folgt weder dem philosophischen Impuls von Ciceros Hortensius noch der Vertiefung des Neuplatonismus in das Christliche. Vielmehr heißt Bekehrung bei Augustinus, von der Einmaligkeit eines Moments getroffen zu werden, in dem »sich der Mensch bis in die Leiblichkeit des Daseins [wandelt], in alle Triebe und Zielsetzungen«.19 Augustinus selbst beschreibt die Schlagartigkeit der Liebe zu Gott, mit der sich alles verwandelt (conf. 10, 8: »percussisti cor meum verbo tuo, et amavi te«). Diese Neubegründung des Lebens wirkt sich in Augustins Denken aus. Obgleich das philosophische Suchen immer noch Aufgabe des Denkens sein wird, ist nun das Denken vom Christlichen bestimmt.20 Damit nimmt philosophisches Denken einen sekundären Charakter an, sofern es dem Glauben unterworfen wird. Jaspers betont, daß Glaube unabhängig vom Denken fraglos wirkt, während das Gegenteil nicht der Fall sei. Durch Vernunft kann höchstens bestätigt werden, was Glaube bereits gewonnen hat. Auch wenn Augustins Denken rein philosophisch betrachtet werden kann, verliert es den Glaubenscharakter nicht, den die Bekehrung entscheidend begründete. Diese Tatsache wirkt sich unmittelbar in der Weise des Philosophierens aus, aber auch auf das Bild des biblischen Gottes bei Augustinus. Jaspers betont, daß der Gott der Bibel, der durch das philosophische Denken ausgesiebt wird, ebenso eine gewisse Verwandlung erfährt. Die Bekehrung wirkt also beim Philosophieren nach, besonders bei der Konzeption, die Philosophie sei Bekümmerung um Gott und um sich selbst. Eine solche Bekümmerung, die Jaspers in Zusammenhang mit dem Plotinischen Denken interpretiert, erzielt die Berührung des Übersinnlichen. Während Plotin jedoch die Welt als einen Übergang zur ekstatischen Anschauung sieht, erfaßt Augustinus den Bezug zu Gott innerhalb der Welt. Das Ziel der Selbsterkenntnis sei immer Erhellung des Glaubens, die nur in einer Welt vollzogen und der Autorität der Kirche unterworfen werden kann.21 In dieser Hinsicht bewirkt die Bekehrung eine Verwandlung, endlose Argumentationen und Streitereien, eine auf Cicero sich gründende Art des Umgangs mit griechischen Gedanken, das konnte Augustin nicht genügen, während er noch daran teilnahm. Dieses Philosophieren Augustins, wie ein Spiel mit Gedanken und Gefühlen spätantiken Denkens, hatte aber im Untergrund schon die vollzogene Bekehrung, die Entschlossenheit des christlichen Glaubens.« 19 JGP 322. Augustinus behauptet in conf. 10,38: »sero te amavi, pulchritudo tam antiqua et tam nova, sero te amavi! et ecce intus eras et ego foris et ibi te quaerebam et in ista formosa, quae fecisti, deformis inruebam. mecum eras, et tecum non eram. ea me tenebant longe a te, quae si in te non essent, non essent. vocasti et clamasti et rupisti surditatem meam, coruscasti, splenduisti et fugasti caecitatem meam, flagrasti, et duxi spiritum et anhelo tibi, gustavi et esurio et sitio, tetigisti me, et exarsi in pacem tuam.« 20 JGP 323: »Diese Bewegung im Philosophieren vom eigenständigen zum christlich-glaubenden Philosophieren ist, als ob noch vom gleichen die Rede wäre. Und doch ist alles wie von einem anderen, fremden Blut durchströmt.« 21 JGP 325: »Plotin betet nicht. Beten ist das Lebenszentrum Augustinus. Plotin findet den Aufschwung in der Spekulation mit dem Ziel der Ekstase, Augustin in der durchdringenden
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welcher Sinn »ein Leben lang wiederholt und dadurch erst vollendet wird« (ebd.). Da Jaspers zu sehen meint, daß diese Aufgabe mehr in die Richtung der kirchlichen Interessen als in die des philosophischen Denkens erfüllt wird, behauptet er, daß die Philosophie nach der Bekehrung vor allem dem Glauben diene.22 Die Transformation der Philosophie nach der Bekehrung in eine Bekümmerung um Gott und um sich selbst stellt den Kernpunkt der Jaspersschen Interpretation Augustins dar. Hier erkennt er am meisten die Kraft dieses Denkens und spürt seine Nähe, indem Augustinus die ›Erfahrung der Seele‹ und ›die Gegenwärtigkeit unseres Daseins‹ durchforscht (JGP 326). An diesem Punkt kommen Augustins Philosophie und Jaspers Darstellung der Geschichtlichkeit überein, denn nur in der Selbsterfassung des eigenen Selbst wird die eigene Geschichtlichkeit als Grenze und Möglichkeit verstanden. Während Augustinus jedoch die Möglichkeit der Freiheit mit der Wahrheit Gottes identifiziert, bleibt bei Jaspers die Transzendenz nur als Negativität der Existenzerhellung. Wenn Augustinus den Weg zu Gott durch die Innerlichkeit der Seele zu finden sucht, denn findet er einen originellen Durchgang, welcher das Wissen und die Erfahrung in einem neuen Licht erscheinen läßt. Zu Recht betont Jaspers in dieser Hinsicht, daß Augustinus keine ›Metaphysik der Seele‹ erstrebt, wenn Metaphysik eine neue und unabhängige Thematisierung des Vorgehens der Seele bedeute. Seiner Ansicht nach ist Augustins Weg in das Innere des Menschen deshalb keine bloße Psychologie. Die Beschreibung des Vorgehens der Seele dient dazu, die Erfahrung selbst in ihrer Möglichkeit und in ihrer Beziehung zu Gott zu klären. In diesem Sinne zitiert Jaspers den bekannten Satz Augustins: »deum et animam scire cupio« quasi als Motto seiner gesamten Auslegung.23 Tiefer geht nun die Suche und das Fragen nach der Seele, in denen die Grenzen des Denkens und des Selbst getroffen werden. Jaspers deutet es am Beispiel der Selbstgewißheit an. Mit dem bekannten cogito-Argument führt Jaspers Augustins Analyse der Selbstserkenntnis ein. Augustinus zeigt in De civitate Dei, daß der Zweifel selbst eine Bestätigung des ›ich bin‹ ist.24 Was Jaspers an dem bekannten Argument interessiert, Selbstdurchleuchtung mit dem Ziel der Erhellung des Glaubens. Plotin findet sich in der freien Verbindung von je einzelnen Philosophierenden, zerstreut in der Welt, Augustin in der Kirche als Autorität in der Gegenwart einer machtvollen Organisation.« 22 Ob die Philosophie bei Augustinus ancilla theologiae sei, diskutiere ich im nächsten Paragraphen. 23 sol. 1,7. In seinem Buch Sources Of The Self stellt Charles Taylor fest, 132: »Augustine makes the Step to inwardness, as I said, because it is a step towards God.« Augustinus soll gerade deswegen mit einem Vertreter der modernen Philosophie nicht verwechselt werden. 24 civ. 11,26 »[…] quid si falleris? si enim fallor, sum. nam qui non est, utique nec falli potest; ac per hoc sum, si fallor. quia ergo sum si fallor, quo modo esse me fallor, quando certum est me esse, si fallor? quia igitur essem qui fallerer, etiamsi fallerer, procul dubio in eo, quod me noui esse, non fallor.« Jaspers zitiert auch sol. 2,1.
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ist aber nicht der logische Beweis der Existenz, sondern daß diese Selbstgewißheit mir etwas mehr zeigen kann, nämlich, ›was‹ ich bin. Die Selbstgewißheit zeigt sich zuerst im Denken als die Möglichkeit des menschlichen Fragens. Ein anderes Wesen besitzt diese Fähigkeit nicht.25 Außerdem kann die Selbstgewißheit erfahren, daß sie nicht nur Kunde über das Sinnliche geben kann, sondern auch über das Übersinnliche. Eine dritte Eigenschaft der Selbstgewißheit wäre die Liebe, vor allem die Liebe zum Leben und das Streben nach der Glückseligkeit (conf. 10,30 ff.). Dennoch betont Jaspers, daß die Selbstgewißheit auch negativen Charakter aufweisen kann (JGP 330 ff.): »Die Augustinische Gewißheit aber – so denken wir – kann zusammensinken: zur Unbezweifelbarkeit einer bloßen gehaltlosen Seinsaussage, – zur Brutalität der Liebe zum Leben, welcher Art es auch sei, – zur Leerheit der Wahrheit als bloßer Richtigkeit.« Jaspers Argumentation besitzt ein gewisses Recht, indem Augustinus selbst, im zweiten Teil des elften Buches seiner Confessiones, das Leben als Versuchung beschreibt.26 In einer eher schematischen Skizze legt er dar, daß alle ›Erfüllung‹ und ›Ruhe‹ in Gott gefunden wird, während alle ›Nichtigkeiten‹ Abkehr von Gott sei.27 Zwar findet man bei Augustinus die Identität zwischen Wahrheit und Gott, aber die Beziehung des Menschen zur Wahrheit und zu Gott, die Augustinus gerade in den Confessiones thematisiert, wird nahezu ignoriert. Erstaunlicherweise urteilt Jaspers, daß Augustinus eine nicht philosophische Geborgenheit erreicht, die jene philosophische Intuition verblassen läßt (JGP 332): »In schroffen Nebeneinander also läßt Augustin stehen die Selbstgewißheit und die anderen Zeugen (die Autorität von Kirche und Offenbarung).« Jaspers meint, der autoritative Charakter der Kirche habe so viel Macht über Augustins Denken, daß er auch über seine wichtigsten Einsichten stand. Jaspers erweitert seine Interpretation von Augustins Entfaltung der Problematik der Selbstgewißheit in Zusammenhang mit der Freiheit. Mittels der Selbstreflexion Vgl. z. B. conf. 10, 10: »homines autem possunt interrogare.« conf. 10, 39 ff. Martin Heidegger hat in seiner Vorlesung vom Sommer 1921 Augustinus und der Neuplatonismus aus der tentatio-Interpretation seinen Begriff von ›Ruinanz‹ abgeleitet, einen Vorgänger der ›Uneigentlichkeit‹ im Hauptwerk Sein und Zeit. Heidegger betont, daß die Versuchungen eher einen existenziellen Zug nachweisen als einen deskriptiv-normativen Charakter. Vgl. Agustín Corti: Zeitproblematik, 182 ff. Zu Heideggers Auffassung von Jaspers Methode vgl. Martin Heidegger: Anmerkung zu K. Jaspers ›Psychologie der Weltanschauungen‹. 27 JGP 331. Auch in Psychologie der Weltanschauungen hatte Jaspers eine ähnliche Meinung vertreten und Augustinus als Vertreter einer ›negativen Theologie‹ bezeichnet, 201: »Die Hoffnungslosigkeit einer anschaulich erfüllten Übertragung unseres Denkens auf das Absolute oder Übersinnliche in Verbindung mit dem Drange, doch das Absolute zu wissen, und der Notwendigkeit, sonst jede denkende Intention auf das Absolute entbehren zu müssen, zeigt sich z. B. großartig in den bekannten Formulierung Augustinus: Intelligamus deum, si possumus, sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, sinde indigentia creatorem, sine situ praesentem, sine habitu omnia continentem, sine loco ubique totum, sine tempore sempiternum, sine ulla sui mutatione mutabilia facientem nihilque patientem.« 25 26
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findet Augustinus Versuchungen, die »seinem bewußt Gewollten widerstreiten« (JGP 354). Die Versuchungen zeigen aber auch in eine andere Richtung, weil sie vor allem darstellen, was den Versuchten von seinem eigenen Selbst entfernen kann. Solange man einer Versuchung unterworfen ist, lebt man nicht in der Gewißheit des eigenen endlichen Daseins, sondern sucht Stütze in etwas Anderem. In der Selbstgewißheit wird gerade erfahren, daß kein externer Halt die Verantwortung für das eigene Leben tragen kann. In diesem Sinne sind wir nackt vor der Wahrheit, die bei Augustinus mit Gott übereinstimmt. Die Versuchungen stellen dagegen eine Art Entfremdung dar. Die Selbsterkenntnis erfährt gewisse Grenzen, so daß die Denkkraft das eigene Selbst nicht ganz erfassen kann. Die Unmöglichkeit, sich ganz erfassen zu können, führt bei Augustinus zu einem Ruf zu Gott, der allwissend ist, von dem alles gekannt wird, was freilich keine Auflösung der eigenen Grenzen bedeutet. Deshalb hebt Jaspers hervor, daß Augustinus »zum erstenmal den Kampf des Willens mit sich selbst rückhaltlos gezeigt« (JGP 355) und zudem auf die Notwendigkeit des Willens, wollen zu müssen, hingewiesen hat. Damit zeige sich die ›Schwäche‹ des Menschen und seine Entscheidungsnotwendigkeit. Die Endlichkeit des Menschen führt zu der Notwendigkeit, sich jederzeit entscheiden zu müssen (JGP 356): »In der Freiheit unseres Handelns ist die Grunderfahrung: Ich will, aber ich kann nicht mein Wollen wollen. Ich muß ursprünglich erfahren, woraus ich will, ich kann diesen Ursprung nicht hervorbringen, nicht das Michentschließenkönnen.« Obgleich Gott dem Menschen die Freiheit schenkt, kann sich der Mensch gegen Gott und gegen sich selbst entscheiden. Eine totale Sicherheit des guten Handelns kann es also nie geben. Jaspers betont mit Recht, daß alles, was der Mensch nach Augustinus tut, eine Antwort ist. Indem ich mich für etwas in einer begrenzten Situation entscheide, habe ich bereits auf etwas in einer oder anderer Weise reagiert. Eine solche Antwort ist in Augustins Auffassung immer eine Antwort auf die Wahrheit bzw. auf Gott. Deshalb findet man bei Augustinus – und Jaspers interpretiert ihn richtig so – keine dogmatischen Vorschriften für das Leben. Dagegen wird mittels psychologischer Einsichten und alltäglicher Darstellungen die Verfassung des Menschen in seinem intimen Bezug auf Gott erforscht. Diese Verfassung zeigt das Selbst in einem disparaten Zustand, der einerseits seine endliche und zeitliche Begrenztheit und andererseits die Transzendenz dieses Selbst zeigt. Solch eine Entwicklung hat Augustinus maßgeblich im zehnten Buch der Confessiones dargelegt, in dem das Moment der Freiheit hervorgehoben wird, das heißt, daß jeder seinen eigenen Entscheidungen unterworfen ist.
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3. Philosophie und Glaube: ein Problem der Methode?
Obgleich die Selbsterfassung der menschlichen Existenz den zentralen Punkt Jaspers Interpretation Augustins ausmacht, behandelt Jaspers darüber hinaus andere wichtige Themen des Augustinischen Denkens wie die Zeitanalyse,28 die Bibelinterpretation, sowie die Lehre über die Dreieinigkeit. Zudem entwickelt Jaspers eine Charakterisierung der Biographie Augustins und bringt diese in Zusammenhang mit seiner Interpretation. Hier möchte ich zwei Aspekten nachgehen: der erwähnten Beziehung zwischen Philosophieren und kirchlichem Glauben und der von Jaspers entfalteten biographischen Auffassung Augustins. Jaspers behauptet lobend, daß Augustinus echte Einsichten gewinnt, solange er sich ›im reinen Denken‹ bewegt (JGP 335): »Es gelingen ihm die tiefsinnigen Spekulationen in der konkreten Daseinserhellung.« Dennoch führe der Gottesbezug eine andere Färbung in das philosophische Denken ein, indem das Philosophieren »Erhellung der Existenz und Erdenken Gottes nicht aus der bloßen Selbstgewißheit sein [will], sondern im Bewußtsein glaubender Interpretation der Bibel seine Wahrheit finden« (ebd.). Zu Recht betont Jaspers die Wichtigkeit der Bibelauslegung für das philosophische Denken Augustins und die Änderung, die das rein philosophische Denken bei diesem Vorgehen erfährt. Er interpretiert diese Bewegung jedoch einseitig. Jaspers denkt, daß das Zusammenspiel von Vernunft und biblischer Autorität in Augustins Werk aus einem freien Umgang mit den biblischen Inhalten entsteht (JGP 336): »Die unphilologischen und unhistorischen Interpretationsmethoden, die schon vor Augustin entwickelt waren, erlaubten es, fast jeden Glaubenssinn in Bibeltexten wiederzufinden.« Einerseits übersieht Jaspers auf diese Weise, daß Augustinus die Grundlage der biblischen – und nicht nur biblischen – Hermeneutik in seiner Schrift De doctrina christiana vorgelegt hat – und er läßt das unbesprochen.29 Außerdem meint er andererseits, daß dieses Vorgehen und der Offenbarungsglaube Augustins Denken nicht gänzlich beeinträchtigen, indem das Denken dem Raum der Vernunft angehöre. Freilich hatte Jaspers vorher hervorgehoben, bei Augustinus 28
JGP 332 ff. Leider sind Jaspers Anmerkungen zum elften Buch der Confessiones eher knapp
und beschreibend als tiefergreifend. Er betont den Geheimnischarakter der Zeitanalyse, den Augustinus mit seinem fragenden Denken erreicht habe (»Die Zeit wird erst durch das fragende Erdenken, was sie sei, als Geheimnis ganz fühlbar«, 334). Auch wenn es bei der klassischen Zeitbetrachtung das Paradox der Zeit erforscht wird, leistet Augustinus viel mehr als nur den problematischen Charakter der Zeit anzuzeigen. Überraschend hat Jaspers hier die überwältigende Nähe zu seiner eigenen Philosophie außer Acht gelassen. Wenn Augustinus die Zeit in Verbindung mit dem Geist und den Geist in seiner Erfassbarkeit untersucht, dann legt er die Grundlage zu jeder späteren Philosophie, die das Selbst in seiner zeitlichen Verfassung untersucht. Vgl. zu diesem Thema Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Augustinus und die phänomenologische Frage nach der Zeit, Agustín Corti: Zeitproblematik. 29 Vgl. dazu Karla Pollmann: De doctrina christiana.
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finde man keine Unterwerfung der Vernunft unter den Glauben. Wie solche Urteile produktiv zu verstehen sind, bleibt rätselhaft. Wenn es um die Offenbarung geht, unterzieht Jaspers Augustins Vorgehen einer bitteren Kritik: »Es ist nicht die Grunderfahrung des Selbstseins als Sichgeschenktseins, sondern darüber hinaus noch einmal die Überwältigung dieses Selbstseins von außen, so daß es sich und dem, wodurch es sich geschenkt ist, nur dann vertraut, wenn die irdische Kirche die Bestätigung vollzieht.«30 Auch wenn im Werk Augustins Stellen gefunden werden können, die eine solche Interpretation stützen, vernachlässigt dabei Jaspers Augustins fortwährende Suche nach der Wahrheit. Eine solche Suche setzt den Glaube und seinen Bezug zur Kirche voraus, wird aber sehr oft durch undogmatisches Hinterfragen untermauert. Man kann deshalb nicht die Autorität der Kirche als beherrschenden Grundzug Augustinischen Denkens geltend machen, ohne große Teile seines Werkes zu vernachlässigen. Man braucht hier nur die Confessiones als Beispiel zu nennen. In einer späteren Schrift von 1962, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, wiederholt und vertieft Jaspers seine Meinung über den autoritativen Charakter der Kirche und nimmt er dort Augustinus als Paradebeispiel.31 Laut Jaspers begründet Augustinus die Autorität zunächst in der Unmöglichkeit einer Gewißheit über die Wahrheit. Dem Mensch gelinge es nicht, allein durch seine eigene Kraft die Wahrheit zu erreichen. Die Wahrheit sei ihm nur in Christus zugänglich. Christus kann aber nur im Glauben erreicht werden. In diesem Glauben werde erst die Autorität der Wahrheit offenbar. Da der Glaube aber von der Kirche verwaltet wird, werde Christus als absolute Wahrheit zu einer geschichtlich-bedingten Wahrheit herabgesetzt.32 So wird Offenbarung »die durch die Kirche bestätigte Ereignisfolge der Handlungen Gottes in der Geschichte und der Verheißenen oder angedrohten Zukunft diesseits und jenseits«.33 Allein erleidet eine solche Annahme eine prinzipielle Folgewidrigkeit, indem sie eine allgemeingültige Erfahrung und Offenbarung vor einen in der Welt der Erscheinung eintretenden Gericht bringen JGP 341. Jaspers fügt dort hinzu: »Die allgemein menschliche Grunderfahrung, bei wirklichem Ernst des eigenen Tuns doch mich ergriffen zu wissen von dem, was nicht ich selber bin, daher mit meinem Tun im Dienste zu stehen, nimmt bei Augustin die bestimmte historische Gestalt des Dienstes in dieser Kirche an.« 31 Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, 77: »Augustinus hat den großartigen einfachen Satz geschrieben (Migne 8, 176): ego vero Evangelio non crederem, nisi me catholicae Ecclesiae commoveret auctoritas. […] Das heißt: Das Christliche ist kirchlich. Was es vorkirchlich und außerkirchlich ist, ist Deutung und Aneignung Einzelner unabhängig vom Anspruch der allein wahren Auslegung durch die Kirche.« Das Zitat stammt aus c. ep. Man., 5. 32 Der philosophische Glaube, 76: »Die Autorität ist, so dürfen wir Augustin verstehen, durch Vernunft weder zu erreichen noch hervorzubringen, noch zu beurteilen. Sie ist eine einzige, umgreifende.« Vgl. dazu auch Leonard Ehrlich: Philosophy as Faith, 129 ff. 33 Der philosophische Glaube, 79. 30
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will.34 Jaspers sieht in diesem Zug das Verlassen der ursprünglichen Geschichtlichkeit der Existenz zugunsten des Versuchs, eine allgemeingültige Lehre in der Welt der Erscheinung geltend zu machen, was allerdings prinzipiell unmöglich sei. Diese Erfassung des Glaubens trifft Augustins Bezug zum Philosophieren und ändert dieses Denken ursprünglich.35 Diese Erklärung läßt aber unbesprochen, auf welche Weise Geschichtlichkeit positiv erhellt werden kann und vereinfacht offensichtlich Augustins Werk. Ein anderer wichtiger Punkt der Jaspersschen Interpretation besteht darin, daß er Augustinus zum Teil in seiner Persönlichkeit erfassen möchte. Jaspers hat dauernd Augustins Taten vor Augen und beurteilt sein Werk oftmals aus seiner Biographie. Dadurch bleiben jedoch beide Ebene unscharf getrennt. Einerseits gewinnt Jaspers das Bild von Augustins Persönlichkeit aus seinem Werk und andererseits beurteilt er dieses Werk aufgrund seiner Persönlichkeit. Wenn sich das Motiv, das Jaspers im Werk Augustins als solchem zu untermauern sucht, als Bekehrung zeigt, dann soll dieses Motiv aus dem Inhalt der überlieferten Werke verstanden werden. Daß die Bekehrung tatsächlich für eine Interpretation des Augustinus wichtig ist, kann nicht in anderen Quellen als in seinem Werk gefunden werden. Deshalb ist es nicht erlaubt, ein Bild Augustins aus seinem Werk zu gewinnen, das später als Maß dieses Werkes dienen soll. Fraglich ist es also, ob Meinungen wie folgende einen Sinn machen (JGP 387): »Er ist ein chaotischer Mensch, darum begehrt er die absolute Autorität«; oder: »Ein Denken wie das Augustins ist nur nach diesem Jugendleben, nicht ohne ein solches, möglich und daher immer noch von diesem Leben als einem von ihm abgestoßenen bestimmt« (JGP 387). Das Jasperssche AugustinusBild steht unter einer Wandlung, die es zeitbedingt in unterschiedlichen Gesichten erscheinen läßt.36 Werden dennoch Augustins Kontraste und Widersprüche auf Epochen seines Lebens zurückgeführt, werden überhaupt keine Einsichten gewonnen. Denn das Werk soll als Grund des Lebens und das Leben zugleich als Grund des Werkes fungieren, was keinen produktiven Zirkel darstellt.37 Die Bekehrung ist JGP 396: »Durch die Größe seines Denkens haben wir in Augustin das eindrücklichste Beispiel für diesen unumgänglichen Tatbestand: den ungeheuren Anspruch, daß der Mensch den Menschen über Gott belehren will, und daß er Zeugen der Offenbarung absolut setzt, die doch für menschliches Wissen ohne Ausnahme selber nur irrende Menschen waren.« 35 Ob Jaspers Darstellung von Augustins Denken in Bezug auf den Glaube zutreffend ist, kann hier nicht beurteilt werden. Man sollte jedoch unterschiedliche Epochen und Schriften des Augustinus philologisch trennen, damit erst ein philosophisch produktives Bild entstehen kann. Freilich hat Jaspers in seiner Kritik eine solche Aufgabe nicht unternommen. 36 JGP 374: »Die großen Sachlichen Fragen sind in ihrer Dialektik zugleich Momente seines persönlichen Lebens. Er scheint sich ins Äußerste zu wagen und ist doch fast gefahrlos gebunden in der nicht wankenden Grundgewissheit. Sein Denken bewegt sich in gewaltigen Widersprüchen.« 37 JGP 98: »Die Persönlichkeit ist im Werk, wenn das Werk Größe hat.« 34
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in dieser Weise zwar als zentrales Motiv Augustinischen Denkens erkannt worden, aber dank einer nicht scharf getrennten Durchführung zum Teil schematisch geblieben. Was Jaspers mit Augustins Interpretation zu erreichen versucht, gehört zum allgemeinen Ziel seines Werkes über die großen Gestalten der Philosophie, das heißt daß er »mit den Philosophen« philosophiert und daß er versucht, »die Gehalte und Wirklichkeiten den Leser philosophisch ansprechen und ihn erfahren zu lassen, was zu seinen Lebensnotwendigkeiten als denen eines vernünftigen Wesens gehört«.38 Das ist genau das, was Jaspers in seiner Analyse der Geschichtlichkeit in Zusammenhang zur Geschichtsphilosophie darstellte. Da seine theoretischen Vorgaben vielversprechend waren, enttäuscht die eher traditionelle Hermeneutik, der Jaspers das Augustinische Werk unterzieht.39 Wenn ein Werk der Philosophiegeschichte, wie Jaspers in Philosophie methodisch zutreffend dargelegt hatte, zu uns sprechen soll, dann soll es Züge des Allgemeinen haben, die bedauerlicherweise selten in Jaspers Interpretation Augustins zu finden sind. Das Werk Augustins behält über jede einzelne Interpretation hinaus seine Bedeutung, was uns jedoch nicht daran hindert, von Jaspers etwas über das Werk Augustins lernen zu können. Daß dabei die ins Spiel gesetzte Beziehung zwischen Geschichtlichkeit und Geschichtsphilosophie produktiv an Augustins Werk gezeigt wurde, mag dennoch fraglich bleiben.
38
JGP 100 ff. Dazu fügt Jaspers hinzu, daß er mit dem Zitieren der Schriften frei vorgeht,
weil »das Prüfen meiner Darstellung mehr als das Nachsehen von ein paar Stellen [erfordert], es erfordert die selbstständige Beschäftigung mit dem ganzen Werk eines Philosophen«. 39 In seiner Schrift Philosophische Autobiographie betont Jaspers wieder, den Sinn seiner Geschichte der Philosophie, 115: »Nicht Vollständigkeit des Materials, nicht Alleswissen, sondern die knappe Darstellung der Grundschemata der geschichtlichen Auffassung, ständig durch bedeutende Beispiele veranschaulicht; – den Sinn wecken für das geschichtliche Ganze, die Rangordnung und die Größe und für die wenigen einzig Großen; die Orientierung finden im Wesentlichen der Zeitalter, der Sachprobleme, der im Denken wirksamen Mächte.«
Die gefährdete Subjektivität Paul Ricœurs (1913 – 2005) Verhältnis zum Denken Augustins von Jakub Sirovátka »Man muß verstehen, um zu glauben, und man muß glauben, um zu verstehen.« Paul Ricœur: Symbolik des Bösen
Paul Ricœur hat stets strikt zwischen Philosophie und Theologie unterschieden, zwischen seinen philosophischen Schriften und seinen Schriften mit religiös-christlicher Thematik. Er wollte nicht als ein ›christlicher Philosoph‹ verstanden werden, sondern als ein Philosoph, dem unter anderem auch der Glaube zu denken gibt.1 Trotz dieser radikalen Trennung findet Ricœur einen Denker, den man sowohl als Theologen als auch als Philosophen lesen kann: den heiligen Augustinus, dem er unter den Vätern einen gewissen Vorrang einräumt. Ricœur selbst nimmt für sich in Anspruch, Augustinus von der Philosophie her zu lesen.2 Der Einfluß des Augustinischen Denkens erstreckt sich auf das gesamte Werk von Ricœur, mal mehr mal weniger sichtbar und in unterschiedlicher Akzentuierung. Das Verhältnis Paul Ricœurs zum Denken Augustins soll aus einer Doppelperspektive beleuchtet und exemplarisch am Phänomen der Subjektivität gezeigt werden. Im ersten Teil meines Beitrags werden die expliziten Bezugnahmen Ricœurs auf das Werk Augustins vorgestellt, die sich verstreut in seinem gesamten Œuvre finden und verschiedene Themenfelder betreffen. Etwas näher wird auf die Problematik der ›Erb-‹ bzw. ›Ursünde‹ eingegangen. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Sicht der Subjektivität. Es soll gezeigt werden, daß sowohl Ricœur als auch Augustinus implizit eine nicht unähnliche Charakteristik des Subjekts liefern, indem sie es vor allem in seiner Gefährdung vorstellen. Insbesondere die Problematik der Endlichkeit, des menschlichen Willens, des Bösen und der Sünde sollen zur Sprache kommen. Es sind vor allem die Confessiones, die sich für solch einen Vergleich eignen. Damit soll aber nicht behauptet werden, die beiden entwürfen eine identische Anthropologie. Allein die Tatsache, daß Ricœur methodisch (!) den Bezug zur Transzendenz aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit von vorne herein in seiner Eine ähnliche Position finden wir bei Emmanuel Levinas, der ebenfalls als ein Philosoph verstanden werden wollte, dem auch die Quellen des jüdischen Glaubens zu denken geben und nicht als ein jüdischer Philosoph. 2 Vgl. Paul Ricœur: La critique et la conviction. Entretiens avec François Azouvi et Marc de Launay, 212: »Augustinus a toujours joui, à mes yeux, d’une sorte de préférence. Cela n’exclut pas qu’il y a ait des échanges entre ces deux corpus de textes, au sens topologique même, et qu’on puisse aussi bien mettre Augustin du côté philosophique […].« 1
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Philosophie ausblendet (in seiner Intellektuellen Autobiographie spricht er über seine Philosophie als einer Philosophie ›ohne ein Absolutes‹),3 markiert eine klare Zäsur zwischen den beiden Denkern.
1. Ausdrückliche Anknüpfungen an Augustinus 4
1.1 Die Zeituntersuchung in Zeit und Erzählung. Martin Heidegger hat die Zeituntersuchung Augustins im elften Buch der Confessiones als eine der drei (neben der des Aristoteles und der von Kant) bahnbrechenden ›Besinnungen auf das Wesen der Zeit‹ bezeichnet.5 Paul Ricœur spricht wiederum von der ›unbestrittenen Meisterschaft‹ Augustins im Zusammenhang mit der Zeitproblematik – und das trotz der zugestandenen ›Genialität Husserls und Heideggers‹.6 Die Zeit ist nur eines der Themen, wenn auch ein gewichtiges, in denen Ricœur an Augustins Gedanken direkt anknüpft: das große dreibändige Werk Zeit und Erzählung (Temps et récit 1983 – 85) beginnt mit der Zeituntersuchung aus dem elften Buch der Confessiones, 7 um sie danach mit der Poetik des Aristoteles zu konfrontieren. Den Ansatz, »die dreifache Gegenwart als Ausdehnung und die Ausdehnung als diejenige der dreifachen Gegenwart« zu denken, hält Ricœur für den genialen Gedanken »des Elften Buches der Bekenntnisse des Augustinus, an den Husserl, Heidegger und MerleauPonty anknüpfen«.8 In Zeit und Erzählung untersucht Ricœur das Verhältnis der Zeitlichkeit und der Narrativität zueinander und entwirft seine eigene Theorie der ›erzählten Zeit‹(›le temps raconté‹), die er auch als eine dritte Zeit bezeichnet. Den Ausdruck ›dritte Zeit‹ verwendet Ricœur deshalb, weil sie eine Brücke darstellt, die den Abgrund zwiEine intellektuelle Autobiographie, 78. Es bleibt zu betonen, daß der Ausschluß der Transzendenz aus methodischen Gründen geschieht. Praktisch war es jedoch für den gläubigen Protestanten Ricœur eine ›schizophrene‹ Situation. 4 Viele Hinweise und Anregungen verdanke ich dem Buch von Isabelle Bochet: Augustin dans la pensée de Paul Ricœur. Es scheint bis heute die einzige Monographie zu sein, die sich explizit der Präsenz des augustinischen Denkens im Werk Paul Ricœurs widmet. Vgl. auch Isabelle Bochet: Paul Ricœur. Soggetto e negatività, 157 – 185. 5 Vgl. Martin Heidegger: Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI., 1. Eine Fotokopie des Vortrags, gehalten von Heidegger in Kloster Beuron am 26. 10. 1930. 6 Vgl. Paul Ricœur: Eine intellektuelle Autobiographie, 61. 7 Vgl. dazu Stefanie Haas: Aporetischer, als Augustinus zugeben würde: Paul Ricœurs Interpretation der Zeit-Abhandlung aus dem elften Buch der Confessiones, 43 – 58. 8 Vgl. Zeit und Erzählung I, 32. Durch die Tatsache, daß der Anlaß der Zeituntersuchung Augustins die Bestimmung der Beziehung zwischen der Zeit der Seele und der ewigen Gegenwart Gottes darstellt, läßt sich das XI. Buch nur gewaltsam von den letzten zwei Büchern der Confessiones abtrennen, die mit der Genesisauslegung beginnen. Vgl. dazu Paul Ricœur: Eine intellektuelle Autobiographie, 62. 3
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schen der phänomenologischen und der kosmischen Zeit zu überbrücken im Stande ist.9 Er ist überzeugt, daß die Zeit sich als eine menschliche Zeit nur in narrativer Art ereignet – und deshalb widmet er seine Untersuchung der Frage nach dem zeitlichen Charakter der menschlichen Erfahrung.10 Im Gang der Untersuchung durch mehrere historische Zeittheorien hindurch analysiert Ricœur neben der Theorie Augustins die von Aristoteles, Kant, Husserl und Heidegger. Augustinus wird – als eine inhaltliche Klammer, die die drei Bände des Werkes zusammenhält – zweimal mit Aristoteles konfrontiert: im ersten Kapitel des ersten Bandes L’intrigue et le récit historique (dt. Zeit und historische Erzählung) wird die Augustinische Zeitauffassung anhand des elften Buches der Confessiones vor allem unter dem Aspekt der Aporie der Zeiterfahrung untersucht. Im zweiten Kapitel wird dem die Poetik des Aristoteles gegenüber gestellt, in der Ricœur einen Gegenentwurf zu Augustinus zu finden glaubt: im dichterischen Akt wird der Triumph der ›harmonischen Übereinstimmung‹ (concordance) über die ›disharmonische Nichtübereinstimmung‹ (discordance) des Lebens mit sich selbst gefeiert.11 Augustinus stöhnt dagegen unter der existentiellen Last der distentio animi, aus der Erstreckung des Geistes wird eine Zerstreckung,12 die den Geist zu zerreißen droht. In Augustins Zeituntersuchung unterstreicht Ricœur insbesondere die Aporien, in die hinein die Augustinischen Analysen geraten. Diese Aporien dürfen jedoch nicht negativ aufgefaßt werden, sie gelten vielmehr als Zeichen eines tiefen Nachdenkens, das neue Fragen aufwirft und so das Denken auf eine neue Spurensuche bringt. Auch wenn Ricœur sieht, daß die Zeituntersuchung Augustins in den großen Rahmen des Verhältnisses ZeitEwigkeit gesetzt ist, betrachtet er die Dialektik von intentio und distentio als den zentralen Kern der Analysen. Distentio, die auf der Passivität des Eindrucks in der Seele basiert, und intentio, in der sich die Aktivität des Geistes ausdrückt, weisen aufeinander hin und sind aufeinander angewiesen. In einer Parallele zum ersten Band gestaltet Ricœur im ersten Kapitel des dritten Bandes von Zeit und Erzählung die zweite Konfrontation zwischen Augustinus und Aristoteles direkter als eine Gegenüberstellung von zwei unterschiedlichen Zeittheorien: der psychologisch-phänomenologischen und der kosmischen, als einem ›temps de l’âme‹ und ›temps du monde‹.13 Ricœur analysiert beide ZeitvorstellunTemps et récit III, 439: »Le temps raconté est comme un pont jeté par-dessus la brèche que la spéculation ne cesse de creuser entre le temps phénoménologique et le temps cosmologique.« 10 Das spekulative Nachdenken über die Zeit führt laut Ricœur zu keinem Ergebnis. Die einzig wahre Antwort auf diese Sackgasse stellt die Narrativität dar, jedoch nicht als eine theoretische Lösung (die es ja eben nicht gibt), sondern als eine poetische. Vgl. dazu Temps et récit I, 24. 11 Temps et récit I, 66. 12 Vgl. dazu Norbert Fischer: Einleitung (Was ist Zeit?), LV. 13 Vgl. Temps et récit III, 21 – 42. 9
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gen: da die Zeitbetrachtung Augustins schon im ersten Band erfolgte, nimmt die Lektüre der Zeituntersuchung aus der Aristotelischen Physik nun den größten Raum ein. Das Ergebnis zeigt einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den beiden Theorien. Augustinus ist es laut Ricœur nicht gelungen, die kosmologische Zeit durch eine psychologische zu ersetzen, indem er von der Definition ›Zeit gleich Bewegung‹ wegzukommen versucht. Aristoteles habe auch nicht behauptet, daß Zeit mit Bewegung identisch ist, sondern lediglich, daß Zeit von Bewegung abhängig ist, wodurch die Zeit überhaupt für den Menschen feststellbar wird. Den Unterschied zwischen den beiden Theorien macht Ricœur an der Unterscheidung von Augenblick bei Aristoteles und Gegenwart bei Augustinus fest: die Dualität von Augenblick und Gegenwart sei vor Kant »la plus grande aporie du problème du temps«.14 Das Scheitern der Zeittheorie Augustins beginnt nach Ricœur in dem Augenblick, in dem Augustinus aus der ›distentio animi‹ das Prinzip der Ausdehung und des Maßes der Zeit ableiten will.15 Die Differenz zwischen der kosmologischen und der psychologisch-phänomenologischen Sicht der Zeit muß jedoch versöhnt werden, denn für eine Theorie der Zeit werden beide Zugänge benötigt: von der Seele und von der Bewegung her. Die Absicht Ricœurs bei der Parallellektüre der beiden Zeittheorien liegt nun offen zutage: die oben bestehende Differenz kann allein im narrativen Zugang versöhnt werden. Nur die ›Poetik des Erzählens‹ kann dazu beitragen, daß dasjenige verbunden wird, was die Spekulation entzweit. 1.2 Die ›Erbsünde‹ als ›rationales Symbol‹. Die Auseinandersetzung Ricœurs mit dem Themenkomplex der ›Erbsünde‹ endet mit einem scharfen, ironischen Fazit: »Man wird nie ermessen können, welchen Schaden die buchstäbliche, man müßte sagen, die ›historische‹ Interpretation des Adamsmythos16 der Christenheit zugefügt hat; sie verstrickte sie in das Bekenntnis einer absurden Geschichte und in pseudorationale Spekulationen über die quasi-biologische Übermittlung einer quasi-juridischen Schuld der Fehltat eines anderen Menschen, den sie in die Nacht der Zeiten, irgendwo zwischen den Pithekanthropus und den Neandertaler, zurückversetzte.«17 Nach diesem vernichtenden Urteil würde man ebenfalls eine harte Kritik an Augustinus erwarten, der in der Tradition als Hauptverantwortlicher für die begriffliche Temps et récit I, 36. Temps et récit I, 21. 16 Unter ›Mythos‹ versteht Ricœur keine falsche Erklärung mittels Fabeln, sondern »einen überlieferten Bericht, bezogen auf Ereignisse, die sich am Ursprung der Zeiten zugetragen haben, und dazu bestimmt, das rituelle Tun der jetzt von ihm angesprochenen Menschen zu untergründen und überhaupt alle Formen des Tuns und Denkens zu regeln, durch welche der Mensch sich selbst in seiner Welt versteht.« Symbolik des Bösen, 11. 17 Paul Ricœur: Die ›Erbsünde‹ – eine Bedeutungsstudie, 159. Schon in der Symbolik des Bösen wird eine genaue Interpretation des Adamsmythos dargelegt (265 – 317), sodaß Ricœur in der Auseinandersetzung mit Augustinus’ Begriff der Erbsünde nahtlos an seine Auslegung des Adamsmythos anknüpfen kann. 14 15
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Ausformulierung des peccatum originale gilt.18 Ricœurs Kritik an Augustinus fällt jedoch differenziert aus: Er unterscheidet zwischen seiner anti-manichäischen und anti-pelagianischen Argumentation. Darüber hinaus ist Ricœur überzeugt, Augustinus habe mit seiner ›dogmatischen Mythologie‹ eine wesentliche metaphysische Einsicht vermittelt – trotz der abzulehnenden und fatalen Begrifflichkeit. Seinen Ausführungen über die erste Sünde legt Ricœur den französischen Ausdruck des ›péché originel‹, also der ›Ursünde‹ zugrunde. Nur an einigen ausgewählten Stellen kommt der Begriff ›péché héréditaire‹ vor. Der Begriff der Ur- bzw. Erbsünde enthält laut Ricœur ein falsches Wissen: ein »quasi-juridisches Wissen von der Schuld der Neugeborenen« und ein »quasi-biologisches Wissen von der Übertragung einer erblichen Last«.19 Ricœurs Intention zielt auf die Destruktion des Begriffs der Ursünde, um die Sinnhaftigkeit dessen anzuzeigen, was in ihm ausgesagt wird. Dieser Sinn ist nicht in einem Begriff faßbar, sondern in einem, in den Ausführungen der Symbolik des Bösen entwickelten, ›rationalen Symbol‹.20 Die Ursünde muß laut Ricœur als ein rationales Symbol verstanden werden, das heißt als ein Symbol, das zu denken gibt, als ein mit einem ungeheueren Sinnreichtum geladenes Symbol: »das Symbol gibt, aber was es gibt, das ist: zu denken, etwas zu denken«.21 Für Ricœur ist der Begriff der Ursünde anti-gnostisch und quasi-gnostisch zugleich. Von seiner Motivik her wurde dieser Begriff in der Auseinandersetzung mit der Gnosis entwickelt, beziehungsweise in ihrer Abwehr. Da die Gnosis das Böse in seiner Exteriorität für eine quasi-physische Realität hält, wurde seitens der Kirchenväter betont, das Böse habe keine Natur, sei kein Sein, sondern stamme von uns und sei infolgedessen als ein Tun zu begreifen. Im Hinblick auf Augustinus zeigt Ricœur, daß Augustinus im Zuge der Auseinandersetzung mit den Manichäern seine ethische Auffassung vom Bösen entwickelt: der Mensch mit seinem freien Willen ist für das Böse verantwortlich. Ricœur bezieht sich vor allem auf Contra Fortunatum, Contra Felicem, Contra Secundinum und De libero arbitrio.22 In der anti-pelagianischen Kontroverse sieht Ricœur Augustinus unter Druck geraten, einen ähnlich konsistenten Begriff der Ursünde zu entwickeln wie die Gnosis: so wird aus der Anti-Gnosis eine Quasi-Gnosis. Aber schon in Ad Simplicianum finden wir in der Auslegung von Röm 9,10 – 29 einen entwickelten Begriff der Erbsünde vor. Ricœur wirft Augustinus vor, die Paulinische Theologie vor allem im Römerbrief (5,12; 5,19) Erbsünde, 151: »Augustinus ist für die klassische Fassung des Begriffs der Ursünde verantwortlich und dafür, daß er auf gleicher Stufe wie die Christologie, als ein Kapitel der Gnadenlehre in den Dogmenschatz der Kirche eingegliedert worden ist.« 19 Vgl. Erbsünde, 141. 20 Vgl. Erbsünde, 155 f. 21 Symbolik des Bösen, 396. 22 Vgl. Erbsünde, 146 f. 18
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falsch interpretiert zu haben. Neben der berühmten Kontroverse, wie das griechische ¦nz ø [πάvτες »μαρτov; in quo omnes peccaverunt] zu verstehen sei – ob ›in dem/in Adam‹ oder ›wodurch, weil‹ alle gesündigt haben – ist es laut Ricœur allem voran die Verkennung der mythischen, überpersonalen Dimension des Adam als einen Anti-Typus, die Augustinus »zur Auflösung der über-persönlichen Größe der Sünde in einer juridischen Interpretation der individuellen Schuld führt, die ihrerseits durch einen Biologismus der erblichen Übermittlung ergänzt wird«.23 Wie schon erwähnt, plädiert Ricœur für das Verständnis der Ursünde als eines rationalen Symbols. Die begriffliche Engführung in der Augustinischen Theorie der Erbsünde möchte Ricœur mit dem symbolischen Verständnis der biblischen Adamserzählung (die Erzählung der Fallgeschichte im Adamsmythos stellt keine Pseudo-Geschichte dar, sondern hat eine ›offenbarende Bedeutung‹) und mit einigen Elementen der Sündenerfahrung und des Sündenbekenntnisses korrigieren. Die Ursünde – als Symbol verstanden – verknüpft im Adamsmythos mehrere Aspekte: die jeder Bewußtwerdung vorgängige Realität der Sünde, die kommunitäre Dimension der Sünde und »die Ohnmacht des Wollens, von der jede aktuelle Fehltat umhüllt wird«.24 Obwohl Augustinus nach Ricœur begrifflich an der Erbsündentheorie gescheitert ist, behält er sachlich durch dieses Scheitern hindurch für immer recht, indem er eine tiefe Einsicht in die menschliche Erfahrung vermittelt: nämlich in die Spannung zwischen einem zurechenbaren Willentlichen, das bewahrt werden muß und der Tatsache, daß wir immer schon inmitten eines Unwillentlichen stehen.25 1.3 Weitere Augustinische Motive. Es lassen sich verschiedene Phänomenbereiche angeben, um die das Denken beider kreist, wenn auch unter diversen Gesichtspunkten. Neben der Zeit sind es vor allem die Problemfelder der Schuld, des Bösen und der Erbsünde, die Ricœur in Auseinandersetzung mit Augustinus entfaltet. Neben den Werken des Projektes einer Philosophie des Willens (Le volontaire et l’involontaire 1950; Finitude et Culpabilité I. L’homme faillible 1960; Finitude et Culpabilité II. La symbolique du mal 1960) sei auf das kleine Büchlein Le mal (1986) hingewiesen. Ferner wäre das Phänomen des Gedächtnisses (›memoria‹) und des Vergessens zu nennen. In seiner ›phénoménologie de la mémoire‹, die Ricœur vor allem in seinem Werk La mémoire, l’histoire, l’oubli (2000; Gedächtnis, Geschichte, Vergessen 2004) entwirft, läßt er sich vom zehnten Buch der Confessiones und von De Trinitate 26 inspirieren. Diese Untersuchung weist drei relativ selbständige Teile Erbsünde, 151. Erbsünde, 159. 25 Vgl. ebd., 161: »Der Wille selbst umfaßt eine Quasi-Natur; das Böse bildet eine Art Unwillentliches im Kern des Willentlichen selbst, nicht mehr diesem gegenüber, sondern unmittelbar in ihm, und gerade hierin erkennen wir den unfreien Willen.« 26 Vgl. dazu L’attribuation de la mémoire à soi-même, aux proches et aux autres: un schème pour la théologie philosophique?, 21 – 29. 23 24
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auf, die jedoch eine gemeinsame Problematik beleuchten: ›die der Repräsentation des Vergangenen‹.27 Der erste Teil des Werkes entwickelt eine Phänomenologie des Gedächtnisses Husserlscher Prägung. Der zweite versucht sich an einer Epistemologie der Geschichtswissenschaften. Der dritte Teil schließlich fällt in den Rahmen einer Hermeneutik der conditio historica. Ausdrücklich wird Augustinus von Ricœur – neben John Locke und Edmund Husserl – im ersten Teil als ein Repräsentant der ›Tradition der Innerlichkeit‹ vorgestellt und zwar im Rahmen der Frage nach dem Gedächtnis-Subjekt, das heißt in der Frage, ob das Gedächtnis als individuell oder als kollektiv aufzufassen ist. Diese Traditionslinie des individuellen Gedächtnisses, das sich laut Ricœur insbesondere auf die Alltagserfahrung und Alltagssprache stützt, macht sich für den streng privaten Charakter des Gedächtnisses stark. Die größte Leistung Augustins ist nach Ricœur die Verbindung der Analyse des Gedächtnisses mit der der Zeit (in Confessiones 10 und 11).28 Augustinus habe »die Innerlichkeit auf der Grundlage der christlichen Bekehrungserfahrung erfunden«.29 Ricœur stellt die Augustinische Memoria-Analyse vor und stellt fest, daß es keine Phänomenologie des Gedächtnisses ohne die schmerzhafte Suche nach der Innerlichkeit geben könne. Neben der Problematik des Gedächtnisses ist das Phänomen des Erzählens nicht zu vergessen, das bei beiden Autoren virulent ist. Schließlich darf auch darauf hingewiesen werden, daß sich Ricœur sehr intensiv mit dem Bekennen (v. a. Symbolik des Bösen) auseinandergesetzt hat. Indem er beteuert, er versuche zu denken, was wir bekennen und verkünden,30 eignet er sich eine Augustinische Geisteshaltung an. Im Hinblick auf Augustinus beschäftigt sich Ricœur mit den Phänomenen des Bekennens allerdings rein analytisch-theoretisch. Im Gegensatz dazu konnte Augustinus die theoretische und die praktische Seite des Bekennens in ein großes literarisches Werk verschmelzen, indem er die Bekenntnisse seines Lebens als etwas niederschreibt, ›was zu denken gibt‹. Es wirkt so, als ob Ricœur eine treffende Beschreibung der Confessiones liefern wollte, wenn er schreibt: ›die Sünde als Selbstentfremdung‹ sei »eine erstaunliche, bestürzende, anstößige Erfahrung: sohin ist sie die reichste Quelle des fragenden Denkens«.31 Es erstaunt eigentlich, daß Ricœur bei seinen allgemeinen Analysen zum Sündenbekenntnis nicht auf die Confessiones zurückgegriffen hat, obwohl es sich nahe legen würde.32
Paul Ricœur: Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 17. Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 153. 29 Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, 152. 30 Erbsünde, 143. 31 Symbolik des Bösen, 14. 32 Ricœur wußte von der Mehrdeutigkeit des Begriffs des Bekennens (confiteri) bei Augustinus, wie eine Stelle aus der Symbolik des Bösen, 354 belegt. 27
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2. Die gefährdete Subjektivität und die Fehlbarkeit
Auch wenn Ricœur seine Anthropologie nicht in direkter Beziehung zu Augustinus entwickelt, ist sie meiner Meinung nach von einigen Augustinischen Motiven durchzogen, die Ricœur allerdings oft umdeutet und selbstständig entwickelt. Es sind vor allem die Frage nach dem Bösen, die Problematik des freien Willens und die Thematik des unruhigen Herzens, des cor inquietum. Ricœur entwirft eine ›Anthropologie der Disproportion‹, die von einer Nicht-Koinzidenz des Menschen mit sich selbst ausgeht. Er sieht den Menschen in einer Spannung zwischen den Polen der Endlichkeit und der Unendlichkeit. Die Vermittlung zwischen diesen zwei Polen macht die spezifische Schwäche und seine wesensmäßige Fehlbarkeit aus.33 Ricœur möchte seine Anthropologie vom methodischen Ansatz her ausdrücklich nicht als eine ›Philosophie der Endlichkeit‹ verstanden wissen, sondern versucht die Verfassung des Menschen aus der polaren Dialektik von Endlichkeit und Unendlichkeit zu denken. Es ist jedoch zu betonen, daß Ricœur im Ergebnis seiner Untersuchungen doch zur Endlichkeit als dem Grundzug des Menschen überhaupt gelangt: zur Endlichkeit als Inkarnation, die aus dem Doppel-Charakter endlich/unendlich der menschlichen Vermögen resultiert.34 Die Unendlichkeit versteht Ricœur auch als Offenheit, die Endlichkeit als eine Einengung: »die Endlichkeit ist immer das Gegenläufige, und die Offenheit die erste und unmittelbare Bedeutung des menschlichen Daseins unter allem Seienden in der Welt«.35 Ricœur weist die Disproportion des Menschen im Erkennen,36 im Handeln37 und im Gefühl38 auf. Im Hinblick auf das Erkenntnisvermögen ist es die Reflexion, die einen Riß zwischen Sinnlichkeit und Verstand verursacht: zwischen der Endlichkeit des Empfangens, der endlichen perspektivischen Wahrnehmung und der Unendlichkeit des Bestimmens, des Sagens. Die originäre Endlichkeit ist für Ricœur jedoch nicht gleichbedeutend mit Rezeptivität oder Leiblichkeit, die die Öffnung zur Welt vermitteln. Sie ist vielmehr ein ›Prinzip der Einengung, eine Verschlossenheit in der Öffnung‹.39 Das vermittelnde Dritte findet Ricœur in der ›reinen Einbildungskraft‹. Die zweite, praktische, das Handeln betreffende Disproportion tut sich zwischen der Endlichkeit des Charakters und der Unendlichkeit des Glücks auf. Die praktische Vermittlung stellt die Konstitution der Person in der Achtung dar. Unter dem Begriff des Charakters versteht Ricœur die ›endliche Offenheit meines Daseins als Ganzes‹. Der Charakter 33 34 35 36 37 38 39
Vgl. Fehlbarkeit des Menschen, 9. Vgl. Hans-Jörg Ehni: Das moralisch Böse. Überlegungen nach Kant und Ricœur, 167. Hans-Jörg Ehni: Das moralisch Böse. Überlegungen nach Kant und Ricœur, 80. Fehlbarkeit des Menschen, 34 – 69. Fehlbarkeit des Menschen, 70 – 109. Fehlbarkeit des Menschen, 110 – 172. Fehlbarkeit des Menschen, 42.
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verschmilzt drei verschiedene Erscheinungsweisen der Endlichkeit zu einer Ganzheit: die affektive Perspektive (Motivation; Neigungen als Passionen des Willens; Begehren), die ursprüngliche Selbstliebe und die Trägheit als Form der Beharrung.40 Der Mensch befindet sich mit seinen Neigungen und seinem Begehren im Zustand ›der affektiven Verschlossenheit‹, er entdeckt ein Gefühl der Urdifferenz zwischen sich und jedem anderen. Diese zuerst rein affektive ›Verklammerung mit sich selbst‹ kann jedoch angesichts des Anderen in die Selbstbevorzugung umkippen: aus der ›Differenz‹ wird eine ›Präferenz‹, eine ›in sich selbst verliebte Differenz‹, wie Ricœur sagt.41 Die Endlichkeit des Charakters zeigt sich als die Einengung meiner ursprünglichen Offenheit auf die Menschheit hin, als das Faktische meiner Existenz. Demgegenüber steht das menschliche Streben nach Glück als ›die Totalabsicht aller Züge der Überschreitung‹.42 Ricœur betont unermüdlich, daß er die Glückseligkeit keineswegs als ein endliches Ziel versteht. Sie kann in keiner Erfahrung gegeben werden, sondern zeigt sich nur als ein Richtungsbewußtsein. Die Glückseligkeit ist das unendliche Ziel unserer Gesamtorientierung, sie stellt als Totalität den Horizont unserer Existenz in jeder erdenklichen Hinsicht dar. Die Synthese dieses Mißverhältnisses zwischen Charakter und Glück geschieht in der Person, verstanden als die Menschlichkeit des Menschlichen. Im Anschluß an Kant sieht Ricœur die Person sich in der Achtung als Zweck an sich selbst konstituieren. 2.1 Das unruhige Herz. Ricœur möchte diejenige Schwachstelle, denjenigen Ort finden, der es ermöglicht, daß der Mensch Böses tut: er sucht nach der ›Einbruchstelle des Bösen in die menschliche Realität‹.43 Es geht ihm darum, hinter dem bereits ›Fehlgegangenem‹ die ›Struktur der Fehlbarkeit‹ zu finden, die eben das ›böse‹ Verhalten ermöglicht.44 Die Fehlbarkeit resultiert, wie schon gezeigt, aus der schlechten Vermittlung beider Pole, zwischen die der Mensch gespannt ist: Endlichkeit und Unendlichkeit. Die Synthesis zwischen diesen disparaten Polen zeigt sich als eine zerbrechliche Angelegenheit, die nicht unbedingt gelingen muß. Das Zerbrechlichste im Menschen überhaupt findet Ricœur im Augustinischen Motiv des unruhigen Herzens: »Das Gemüt wäre nun das Zerbrechlichste von allem; das unruhige Herz [Hervorh. durch d. Verf.]: in ihm würden sich alle Disproportionen, die wir in der Disproportion von Glück und Charakter gipfeln sahen, verinnerliFehlbarkeit des Menschen, 83. Fehlbarkeit des Menschen, 80. 42 Fehlbarkeit des Menschen, 91. 43 Fehlbarkeit des Menschen, 8. 44 Somit korrespondiert der Begriff der Fehlbarkeit mit dem kantischen ›Hang zum Bösen‹ in Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Unter einem ›Hang‹ versteht Kant einen »subjektiven Grund der Möglichkeit einer Neigung«, eine »Prädisposition zum Begehren eines Genußes« (RGV B 20 = AA 6,28), die sich nach einer erfahrungsmäßigen Unterfütterung zu einer Neigung herausbildet. Der ›Hang zum Bösen‹ ist somit »der formale Grund aller gesetzewidrigen Tat« (RGV B 25 = AA 6,31). 40 41
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chen.«45 Die Quelle der affektiven Zerbrechlichkeit des Menschen findet Ricœur in der Antinomie zwischen dem endlichen Prinzip der Lust und dem unendlichen Prinzip der Glückseligkeit. Zwischen der vorübergehenden Ruhe in der Lust und der angestrebten bleibenden Ruhe in der Glückseligkeit zeigt sich das Herz, das Gemüt (der ›thymos‹) als dasjenige, was in mir unruhig ist und das allem menschlichen Handeln das Mal der Unbestimmtheit verleiht.46 2.2 Das Böse und der (un)freie Wille. Das Problem des Bösen ist ein Thema, das Ricœur sein Leben lang begleitet und beschäftigt hat. In seinem späteren Büchlein Le mal 47 wird dieses Thema monographisch untersucht. Ricœur nähert sich dem Bösen zuerst auf einer phänomenologischen Art im Ausgang von der Erfahrung mit dem Übel und dem Bösen. Im Rahmen einer theoretischen Auseinandersetzung werden unterschiedliche Ebenen der Argumentation unterschieden, wie zum Beispiel die Ebene des Mythos, das in einer kosmischen Gesamtschau den Ursprüngen des Bösen nachgeht oder dann die Phasen der Weisheit, der Gnosis oder der Theodizee. Eine der vielschichtigen Problematik des Phänomens des Bösen angemessene Antwort scheint Ricœur in einer Einheit von ›penser, agir, sentir‹48 gefunden zu haben. Spekulativ ist das Problem des Bösen nicht zu lösen. Wir müssen laut Ricœur nicht so sehr nach einer Lösung suchen, sondern eine Antwort finden, wie wir mit dem brennenden Problem des Bösen umzugehen haben. Sich also fragen, was wir gegen das Böse tun können und wie wir emotional auch eine Situation aushalten könnten, in der sich angesichts des erfahrenen Bösen unsere Unwissenheit und Ohnmacht zeigt. Es ist letztlich die Frage nach einer Hoffnung ›trotz allem‹. Die moralische Anschauung des Bösen sieht Ricœur in der Tradition vor allem bei Augustinus und Kant entfaltet, die er in einer tiefen Verwandtschaft sieht.49 Bei Augustinus rekurriet er vor allem auf seine früheren vorpelagianischen Werke, die betonen, das Böse sei keine Natur, sondern entstehe aus dem Willen des Menschen. Da Augustinus jedoch nach Ricœur noch nicht über den Begriffsapparat verfügt hat, der seiner Einsicht voll Rechnung tragen könnte, konnte er auf den Irrweg der Erbsündenlehre geraten.50 Erst Kant entwickelt in seiner Religionsschrift nach Fehlbarkeit des Menschen, 111. Fehlbarkeit des Menschen, 165. 47 Vgl. Le mal. Un défi à la philosophie et à la théologie. 48 Vgl. Le mal, 56. 49 Vgl. dazu Paul Ricœur: Hermeneutik der Symbole und philosophische Reflexion (I), 179: »Geschichtlich betrachtet, scheint mir die moralische Anschauung vom Bösen durch zwei große Namen geprägt worden zu sein, die man für gewöhnlich nicht miteinander in Verbindung bringt und deren tiefere Verwandtschaft ich jedoch wahrnehmbar machen möchte: Augustinus und Kant.« Die inhaltliche Nähe zwischen Kant und Augustinus wird an etlichen Stellen in Ricœurs Werk erwähnt, oft nur nebenbei wie z. B. im Beitrag Das Bild Gottes und das Epos des Menschen, 140. 50 Vgl. Hermeneutik der Symbole und philosophische Reflexion (I), 180. 45 46
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Ricœur den Begriffsrahmen, der Augustinus fehlte, um die moralische Bestimmung des Bösen auch begrifflich konsistent einzuholen. Im Rahmen der Beschreibung des Übergangs von der Fehlbarkeit, das heißt der Fähigkeit zum Bösen, zur Fehltat, zu einer wirklichen bösen Tat entwickelt Ricœur den Begriff des unfreien Willens, des servum arbitrium. Mit dieser von Luther51 inspirierten Bezeichnung wird ein Wille charakterisiert, wie wir ihn tatsächlich in der Welt vorfinden, also bereits nach dem Sündenfall. Es handelt sich um einen Willen, der sich in einer ›selbstverschuldeten Sklaverei‹ befindet. Das Böse kann laut Ricœur nicht allein von der Freiheit her verstanden werden, sondern es müssen die vielen Einschränkungen berücksichtigt werden, denen die Freiheit unterliegt (Moment der Passivität in der Aktivität). Das Böse wird zwar von der menschlichen Freiheit gesetzt, findet sich aber bereits vom Bösen affiziert. Ricœur macht hier eine ursprüngliche Affektion durch das Böse innerhalb der Freiheit selber aus, und zwar in den Leidenschaften. Es ist Ehni zuzustimmen, wenn er schreibt, daß »der Wille, der sich seinen Leidenschaften oder seiner Leidenschaft unterworfen hat, nicht mehr Herr seiner selbst [ist] (und) [; er] hat sich sehenden Auges in die selbstverschuldete Sklaverei des Willens begeben. Hier findet man die grundlegende Paradoxie des Bösen nach Ricœur in einer ersten Form: die Freiheit bindet sich selbst an ein Nichts, der selbstverschuldete Verlust der Freiheit wird vollzogen. Darin besteht der Zustand des ›servum arbitrium‹.«52
3. Weitergehende Fragen und Ausblick
Für das Verfassen eines wissenschaftlichen Beitrages gilt dieselbe Maxime, die für die Kunst eine allgemeine Gültigkeit besitzt: Form ist immer eine Auswahl und Beschränkung. So konnten auf diesem engen Raum nicht alle Aspekte des Verhältnisses Ricœur-Augustinus angesprochen werden. Für weitergehende Untersuchungen würden sich folgende Themen anbieten: Die Bestimmung der Beziehung zwischen der menschlichen, erzählten Zeitauffassung bei Ricœur und der Zeit als distentio bei Augustinus; ein Vergleich zwischen dem ›Symbol‹ im Sinne Ricœurs und Martin Luther verfaßte bekannterweise die polemische Schrift De servo arbitrio. Obwohl Luther die Schrift Augustins De libero arbitrio wahrscheinlich nicht kannte (in der AugustinusAusgabe, die Luther verwandte, war De libero arbitrio nicht enthalten), wählt er für seine Schrift eine Augustinische Wendung aus Contra Iulianum. Vgl. dazu Winfried Lesowsky: Einleitung, XVI. De servo arbitrio erschien im Zusammenhang des Streites zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam und war eine Antwort auf das Buch von Erasmus De libero arbitrio διατριβή sive collatio, das sich gegen die Luthersche Auffassung über den freien Willen richtete. Zu diesem Streit vgl. Karl Zickendraht: Der Streit zwischen Erasmus und Luther über die Willensfreiheit. 52 Vgl. Hans-Jörg Ehni: Das moralisch Böse, 180. 51
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dem ›Zeichen‹ (signum) im Sinne Augustins; die Charakterisierung der Leidenschaften im Projekt der Philosophie de la volonté und ihre Beziehung zu den drei Konkupiszenzen (Confessiones 10,41: »concupiscentia carnis et concupiscentia oculorum et ambitione saeculi«) bei Augustinus;53 die Anwendung der Figur der ›narrativen Identität‹54 an die Confessiones; die Reinterpretation des Augustinischen Begriffs der memoria bei Ricœur. Nicht zuletzt wäre lohnend, die Hermeneutiken der beiden Denker ins Gespräch zu bringen. So möchte ich mit einem Zitat schließen, in dem Ricœur die Aufgabe der Textauslegung umreißt und das mir im Augustinischen Geist (bei aller Verschiedenheit der beiden Positionen) getragen zu sein scheint: Das Ziel der Hermeneutik »ist es viel eher, einen Raum von Variationen offen zu halten. […] Mit dieser hermeneutischen Freiheit konfrontiert, könnte man sagen, daß die Aufgabe einer Kunst der Interpretation weniger die ist, […] eine Meinung gegen eine andere durchzusetzen, als einem Text zu erlauben, soviel zu bedeuten, wie er kann, nicht eine Sache eher als eine andere zu bedeuten, sondern ›mehr zu bedeuten‹ […].«55
Augustinus zitiert 1 Joh 2,16. Das Problem der drei Konkupiszenzen nimmt später Blaise Pascal auf. Vgl. dazu in den Pensées (Brunschvicg/Lafuma) die Nummern 458/545, 460/933 und 461/145. Zum Verhältnis Pascals zu Augustinus vgl. Geneviève Rodis-Lewis: Les trois concupiscences, 81 – 92; Philippe Sellier: Pascal et saint Augustin, v.a. 169 – 196. 54 Vgl. Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, 175: »Die narrative Identität ist die Form von Identität, die Personen oder Gemeinschaften zugeschrieben werden kann, ohne daß man sich in den Problemen verfängt, die durch die Annahme seines selbstidentischen Subjekts entstehen.« 55 Zitiert nach der Übersetzung von Jens Mattern: Ricœur zur Einführung, 109 (Original: Rhétorique, poétique, herméneutique de la distanciation; in Paul Ricœur: Lectures II. La contrée des philosophes, 490). Weitere zu beachtende Literatur: Luigi Alici: Temporalità e memoria nelle ›Confessiones‹. L’interpretatione di Paul Ricœur und ›Agostino e Ricœur‹, Isabelle Bochet: ›Transibo et memoriam …‹ La métamorphose d’un thème augustinien dans la pansée de Paul Ricœur, Donald Capps: Augustine as Narcissist. Comments on Paul Rigby’s ›Paul Ricœur, Freudianism and Augustine’s Confessions‹, Stefan Orth / Peter Reifenberg (Hg.): Facettenreiche Anthropologie. Paul Ricœurs Reflexionen auf den Menschen, James R. Pambrun: The Relationship between Theology and Philosophy, John Protevi: ›Inventio‹ and the Insurpassable Metaphor: Ricœur’s Treatment of Augustine’s Time Meditation, Paul Rigby: Crítica a la interpretatión de Paul Ricœur sobre la doctrina agustiniana del pecado original und Paul Ricœur, Freudianism and Augustine’s Confessions, Derek Simon: ›Ad Regnum Caritatis‹: The Finality of Biblical Interpretation in Augustine and Ricœur, Judith Ch. Stark: The Problem of Evil: Augustin and Ricœur, Clarence P. Walhout: On Symbolic Meaning: Augustine and Ricœur. 53
Rezeption durch den Autor und aus der Sicht des Lesers Lektüren von Augustinus und Jacques Derrida (1930 – 2004) von Florian Bruckmann
Die folgenden Ausführungen verfolgen ein doppeltes Ziel: Einerseits soll sowohl darauf hingewiesen werden, daß sich Jacques Derrida mit den Confessiones des hl. Augustinus beschäftigt und auf sie bezogen hat, als auch untersucht werden, wie sich Derrida auf Augustinus bezieht. Auf der anderen Seite soll herausgearbeitet werden, daß die beiden Autoren in ihren Ansichten einander sehr viel ähnlicher sind, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Obwohl Derrida landläufig unter dem Vorwurf des Relativismus steht, wohingegen Augustinus als Hort der Rechtschaffenheit und unzweideutigen Wahrheitserkenntnis gilt, nehmen beide Autoren in vielen bedeutenden Punkten dieselbe hermeneutische Position ein. Um diese beiden Ziele zu erreichen, wird zuerst der Begriff der Rezeption näher beleuchtet; danach wird der Rezeption der Confessiones in Derridas Text Circonfession1 nachgespürt, bevor die verblüffende Parallelität der beiden Denker aufgewiesen wird. 1. Verschiedene Ebenen der Rezeption
Auf einer ersten Ebene bedeutet Rezeption die Berufung eines Autors auf einen anderen bzw. die Beeinflussung des einen durch seine Kenntnis des anderen. Der klassische Fall von Rezeption liegt vor, wenn ein Autor sich direkt zum Werk eines anderen Autoren äußert und man in der glücklichen Lage ist, zwei Bücher auf seinen Schreibtisch legen zu können, um sie direkt zu vergleichen: welchen Gedankengang übernimmt der spätere Autor vom früheren, welchen läßt er aus, welchen ändert er ab und wo versteht er seine Vorlage womöglich falsch oder benutzt sie als ZitatenSteinbruch. Zusätzlich zu dieser grob skizzierten ersten Ebene von Rezeption wird hermeneutisch noch eine zweite ins Spiel gebracht. Beim Rezeptionsbegriff auf der ersten Ebene kommen zwei Texte in den Blick, die miteinander verglichen werden. Die hermeneutisch gewendete zweite Ebene der Rezeption blickt zusätzlich zu den beiden zu vergleichenden Texten auf denjenigen, der vergleicht. Um das zu bedenken, was Rezeption wirklich ist, ist es in den Augen der Hermeneutiker unerläßlich, denjenigen mitzubedenken, der die Rezeption des einen Autors durch einen anderen aufdeckt.2 Jacques Derrida: Circumfession (dt. Zirkumfession). Hans Robert Jauß: Rezeption, 996: »Eine […] Umorientierung der herkömmlichen Philologien ging seit 1967 von dem neuen Konzept einer R.- und Wirkungsästhetik aus. Sie forderte, 1 2
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In den folgenden Ausführungen soll deutlich gemacht werden, daß sowohl Augustinus als auch Jacques Derrida höchsten Wert darauf legen, daß bei der Rezeption das rezipierende Subjekt nicht außen vor bleiben darf, sondern in seiner herausragenden Bedeutung berücksichtigt und bedacht werden muß. Wenn die beiden eingeführten Ebenen der Rezeption näher betrachtet werden, ergibt sich eine nochmalige Differenzierung der zweiten, der hermeneutischen Ebene. Auf dieser geschieht Rezeption, wenn sich der Leser seiner konstitutiven Rolle im Rezeptionsvorgang bewußt wird. Er hat dabei folgende Wahl: Entweder begibt er sich in die Vogelperspektive und untersucht klassisch hermeneutisch die direkte Aufnahme bzw. Beeinflußung des einen Werkes durch ein anderes unter Berücksichtigung seiner eigenen Fragestellung oder Erkenntnissituation. Darüber hinaus kann er sich aber noch zu einer anderen, sehr viel stärkeren RezipientenRolle entscheiden, die auf dem Hintergrund des gerade Ausgeführten gleichermaßen legitim erscheint und trotzdem im wissenschaftlichen Betrieb sehr viel seltener eingenommen wird. Wenn man sich für die von mir eingeführte starke RezipientenRolle entscheidet, verläßt man die Außenperspektive und tut etwas zunächst Unerhörtes, indem man aktiv wird und sich zum Rezipienten ermächtigt. In der Rolle des starken Rezipienten ist etwas in der traditionellen, historisierenden Werk- und Darstellungsästhetik Ungewöhnliches möglich: Man kann ganz legitim zwei Werke und Autoren vergleichen, die voneinander nichts wußten und zueinander nicht in Beziehung stehen. Oder um das vorhin benutzte Bild noch einmal zu gebrauchen: Der starke Rezipient ist in der Lage, zwei beliebige Bücher aus seiner Bibliothek zu greifen, sie auf seinen Schreibtisch zu legen und sie miteinander zu vergleichen, um zu sehen, ob er den einen Text besser versteht, wenn er ihn mit dem anderen in Beziehung setzt – und das, obwohl der spätere Autor vom früheren keine Ahnung hatte. Dies ist die erste wichtige These des vorliegenden Aufsatzes. Im folgenden werden zwei der angesprochenen drei Möglichkeiten von Rezeption eine Rolle spielen, die entgegen dem Lebensweg von Jacques Derrida angeordnet sind: Im zweiten Teil wird der sehr eigentümliche Text Circonfession von Derrida in den Blick genommen, in dem er ausführlich Augustins Confessiones zitiert. Hier liegt der klassische Fall von Rezeption eines Autors durch einen anderen vor. Im dritten Teil wird aus der Rolle des ›starken‹ Rezipienten heraus aufgezeigt, daß die Position, die Derrida in seinen frühen Schriften einnimmt mit der Position Augustins zu vergleichen ist, obwohl er ihn zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte.
die Geschichte der Literatur und der Künste nunmehr als einen Prozeß ästhetischer Kommunikation zu begreifen, an dem die drei Instanzen von Autor, Werk und Rezipient (Leser, Zuhörer und Betrachter, Kritiker und Publikum) gleichermaßen beteiligt sind. Das schloß ein, den Rezipienten als Empfänger und Vermittler, mithin als Träger aller ästhetischen Kultur endlich in sein historisches Recht einzusetzen.«
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2. Rezeption im Text des Autors
2.1 Anlaß und Absicht der Werke. Die Confessiones markieren ungefähr die Schwelle, die die Auseinandersetzung Augustins mit dem Manichäismus von seiner antidonatistischen Phase trennt. Augustinus schreibt seine Confessiones wohl in den Jahren von 397 bis ungefähr 400, also nachdem er das Bischofsamt von Hippo im Jahre 396 angetreten hat. Es könnte sein, daß die Übernahme des Bischofsamtes sowohl äußerer als auch innerer Anlaß für dieses Werk gewesen ist, das gewiß zu den aufregendsten der Weltliteratur gehört, eigentlich keine Vorbilder kennt und dessen Einfluß kaum überschätzt werden kann und immer noch anhält. Augustinus gibt in seinen Confessiones sich und der Öffentlichkeit einen Rechenschaftsbericht über seinen bisherigen Lebensweg, mit all seinen Irrungen und Wirrungen, und greift so möglichen Vorwürfen gegen ihn und seine Person vor und nimmt ihnen alle argumentativ-polemische Kraft, hat er sie doch selbst bekannt und sind sie nicht erst rufmörderisch durch Mundpropaganda bekannt geworden. Die Confessiones dienen so einem doppelten Ziel: Auf der einen Seite helfen sie ihm bei der Selbstreflexion und Selbsterkenntnis, durch die er lernt, seinen Lebensweg vor Gott zu deuten, auf der anderen Seite gelingt es ihm durch die Darstellung der eigenen Zweifel und dem nicht einfachen Berufungs- und Selbstfindungsweg in einmaliger und unübertroffener Weise, möglicher Kritik am jungen Bischof durch seine Gegner vorwegzugreifen. 1991 veröffentlicht Geoffrey Bennington eine Einführung in das Denken von Jacques Derrida.3 Dieser selbst hat dem Text von Bennington 59 Absätze hinzugefügt, die sich nicht diekt auf Benningtons Text zu beziehen scheinen,4 sich aber auf der gleichen Seite im Kleindruck unterhalb des Fließtextes befinden und eine Art von biographischer Selbstreflexion darstellen. Der äußere Anlaß für Derridas Text ist die Bitte des mit ihm befreundeten Bennington, etwas zu seinem Buch über ihn beizutragen.5 Innerlich ist Derrida im Abfassungszeitraum zwischen Januar 1989 und April 1990 vom Sterben seiner Mutter bewegt, die dement auf dem Totenbett liegt und ihren eigenen Sohn nicht mehr zu erkennen scheint.6 Derrida, der zum Jacques Derrida par Bennington Geoffrey et Derrida Jacques; dt.: Jacques Derrida. Ein Portrait von Geoffrey Bennington und Jacques Derrida. 4 Robert Dodaro: Loose canons, 83: »By reading both texts together, moving from one to the other and back again, one observes that Derrida’s discourse moves in deconstruvtive harmony with Bennington’s superimposed text.« 5 Dabei ist Derrida gleichzeitig von der Angst getrieben, daß Bennington, weil er ihn ›durchschaut‹ hat, alles weiß, was Derrida schreiben könnte, so daß dieser sich noch mehr als sonst dazu aufgefordert sieht, etwas ganz neuartiges und unerwartetes zu schreiben (vgl. Zirkumfession, 38 f.). 6 Zirkumfession, 29. Trotz dieses Umstandes wehrt sich Derrida gegen den Gedanken, daß er für seine Mutter schreibt; ebd. 33. 3
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Zeitpunkt der Abfassung 59 Jahre alt ist, reflektiert über sich selbst in 59 Absätzen. Abgesehen von den Augustinus-Zitaten sind die Absätze meist überlange Ein-SatzGebilde 7 und nach eigenem Bekunden hat nur die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit des Computer-Programms Derrida dazu zwingen können, diese Ein-Satz-Absätze nicht noch länger werden zu lassen.8 Der Text selbst ist im Inhaltsverzeichnis mit ›circonfession – Zirkumfession‹ betitelt.9 Dabei handelt es sich um ein Kunstwort, zusammengesetzt aus ›circoncision‹ für Beschneidung und dem so gut bekannten ›confession‹ für Bekenntnis.10 Anhand von zwei Gedankengängen bzw. Motiven soll aufgezeigt werden, wie Derrida Augustinus rezipiert. Das eine Motiv sind Derridas Gedanken dazu, was es bedeutet, etwas zu bekennen; das andere Motiv bezieht sich auf die existentielle Unruhe, die sich aus der anwesenden Abwesenheit von etwas oder jemandem ergibt. Diese Unruhe soll zuerst untersucht werden. 2.2 Unruhe. Augustinus charakterisiert sich in seinen Confessiones als sehr leidenschaftlichen Menschen, der von seinen Gefühlen geplagt, manches Mal fast getrieben scheint. Es plagen ihn aber nicht nur seine Triebe, sondern auch sein Gewissen und seine Sehnsucht nach gutem, sinnvollem Leben und deswegen auch nach Gott, den er allerdings nicht wie einen beliebigen Gegenstand finden kann. Diese Sehnsucht nach dem, was er nicht finden kann, erscheint als durchgängiges Motiv innerhalb der Confessiones und sie wird zum Leitbild der Gottsuche Augustins und gleichzeitig seines Gottesbildes. Zu Beginn des ersten Buches formuliert er (1,1): »tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.« Also: »Du selbst stachelst den Menschen an, denn Dich zu preisen ist Wohlgefallen, weil Du uns auf Dich hin geschaffen hast und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir.« Augustinus sucht den, den man nicht finden kann, und so wird ihm die Unruhe zum Zeichen der Echtheit seiner Gottsuche, hat Gott doch keinen Gefallen an der Sicherheit dessen, der etwas gefunden hat, sondern an der Unruhe dessen, der ihn ständig sucht und so zu seinem Lob beiträgt. Die Unruhe und das Nicht-findenKönnen sind für Augustinus der Hinweis darauf, daß er sich auf dem richtigen Weg befindet. Hätte er etwas gefunden und hätte er die Ruhe, die aus der Sicherheit folgt, etwas gefunden zu haben, dann wäre er sicher auf dem Holzweg bzw. in einer Sackgasse gelandet.11 Augustinus ist überzeugt, daß er unruhig bleiben muß, daß die Derrida beschreibt die Angst »des Schriftstellers, der vor dem Ende eines langen Satzes zu sterben fürchtet« (Zirkumfession, 62). 8 Jacques Derrida par Bennington Geoffrey, 43. 9 Geoffrey Bennington: Derridabase, 6. 10 Vgl. Anm. des Übers.: Jacques Derrida. Ein Portrait, 410. 11 s. 117,5: »si enim comprehendis, non est deus.« Vgl. Benedikt XVI.: Enzyklika Deus caritas est, 53. 7
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Gemütsruhe Zeichen wäre für etwas, was es auf Erden und zu Lebzeiten nicht geben wird und prinzipiell nicht geben kann: Ruhe würde das Ende der Suche nach Gott bedeuten. Aber diese ist erst im Jenseits zu Ende, so daß Augustinus leidenschaftlich gegen jegliche Selbstberuhigungstaktik vorgeht. Ruhe ist bei Augustinus ein exklusives Wesensmerkmal Gottes.12 Der nun anstehende Vergleich der Augustinischen Unruhe als leitendem Motiv seiner Confessiones mit einem Gedanken von Jacques Derrida mag auf den ersten Blick etwas gewagt erscheinen, ist es aber nicht. Ich gehe davon aus, daß Derrida Augustins Confessiones nicht nur deshalb als Lektüre gewählt hat, um seine Beziehung zu seiner Mutter mit der Beziehung Augustins zu dessen Mutter zu parallelisieren13 und so auf einen mehr oder minder geheimen Konstruktionspunkt der Confessiones aufmerksam zu machen. In beiden Texten spielt vielmehr das Motiv der Unruhe eine bedeutende Rolle: Während Augustinus beunruhigt ist, weil er auf Erden Gottes nicht habhaft werden kann und ihn nie als sicheren Besitz finden wird, so ist Derrida beunruhigt durch die Beschneidung, die ihm als Kind jüdischer Eltern widerfahren ist. Derrida sinniert eingehend über ein unbedeutend kleines Stück Haut, das nicht lange zu seinem Körper gehörte, das aber, gerade weil es nicht mehr zu ihm gehört, sein Leben auf subtile Art und Weise geprägt hat – ohne da zu sein. Das einzige, was Derrida geblieben ist, ist eine Narbe, die er in seiner biographisch anmutenden Selbstvergewisserung nicht übergehen kann und will. Gleichzeitig muß er eingestehen, daß ihn seine jüdische Herkunft eigentlich nie wirklich geprägt hat, daß sie ihm während seiner Kinderzeit geradezu verheimlicht und verschleiert wurde14 und er sich niemals intensiv mit dem Judentum, geschweige denn mit seinem eigenen Judentum auseinandergesetzt hat.15 Dies gilt besonders für die erste Schaffensphase von Derrida, denn seit 1974 taucht zumindest die Beschneidung immer wieder als literarischer Topos auf.16 Welche Unruhe hinterläßt nun die Beschneidung bei Derrida? In einer im vierzehnten Absatz zitierten Tagebucheintragung vom 20. 12. 1976 17 verbindet Derrida die Beschneidung mit all dem, was er bis dahin geschrieben hat: Eingedenk seiner eigenen Beschneidung sieht er in ihr einerseits ein Beispiel für sein Lebensthema, auf der anderen Seite aber auch eine unterbewußte Prägung, aufgrund derer er sein conf. 13,53: »Et sunt quaedam bona opera nostra ex munere quidem tuo, sed non sempiterna: post illa nos requituros in tua grandi sanctificatione speramus. Tu autem bonum nullo indigens bono semper quietus es, quoniam tua quies tu ipse es.« 13 Vgl. Zirkumfession, 25. 14 Zirkumfession, 297 f. 15 Vgl. Florian Bruckmann: Die Schrift als Zeuge analoger Gottrede, 170 f. Vgl. Zirkumfession, 295: »wie mir das Hebräische verschlossen ist.« Vgl. Robert Dodaro: Loose canons, 81. 16 Zirkumfession, 81. 17 Zirkumfession, 82 – 85. 12
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Lebensthema gesucht und gefunden hat, ohne es selber gewählt zu haben.18 Dieses Lebensthema müßte wohl als das Phänomen anwesender Abwesenheit beschrieben werden. Im Bezug auf die Beschneidung geht es darum, daß sie eine Narbe hinterläßt, die markiert, daß hier etwas war, das aber nicht mehr ist. Bei Derrida korreliert mit dem Gedanken der anwesenden Abwesenheit der Gedanke Gottes, was mit zwei Aufsätzen belegt werden kann, die in großer zeitlicher Nähe zu dem hier untersuchten Text von Circonfession entstanden sind.19 Es handelt sich um die 1986 in Jerusalem gehaltene Rede Wie nicht sprechen, in der sich Derrida mit der Negativen Theologie beschäftigt,20 und den 1991 geschriebenen Aufsatz Außer dem Namen, der eine Auseinandersetzung mit dem Cherubischen Wandersmann von Angelus Silesius ist.21 Derrida vertritt nicht nur dort die These, daß Gott von seiner vergangenen Anwesenheit eine Spur hinterläßt22 und dieser Vorgang des Spuren-Hinterlassens analog zu der von ihm so oft beschriebenen Bewegung der différance, also dem sich selbst Verbergen bzw. Entziehen, gedacht werden kann.23 Im elften Absatz des vorliegenden Textes reflektiert Derrida in auffällig paralleler Weise zum Verbergen und Entbergen bzw. zum Suchen und Finden über Augustins Frage, warum wir Gott etwas bekennen, obwohl dieser es doch wissen müßte (cur confitemur deo scienti).24 In diesem Zusammenhang spricht er in Augustinischer Jacques Derrida: Composing ›Circumfession‹, 21: »If I so much insist on circumcision in this text, it is because circumcision is preciesely something which happens to a powerless child before he can speak, before he can sign, before he has a name. It is by this mark that he is inscribed in a community, whether he wants it or not.« 19 Zum folgenden vgl. Günter Bader: Die Emergenz des Namens, 338 – 363; Florian Bruckmann: Schrift, 291 – 301; Josef Wohlmuth: An der Schwelle zum Heiligtum, 163 – 178; ders.: ›Wie nicht sprechen‹. 20 Jacques Derrida: Wie nicht sprechen. 21 Jacques Derrida: Außer dem Namen. 22 Florian Bruckmann: Schrift, 215: »In sich überschlagender Dichte wird für Derrida das Schriftzeichen selbst zum Ausdruck, zum Anzeichen Gottes, zum Anzeichen der Abwesenheit dessen, der sich verbirgt.« Vgl. Jacques Derrida: Edmond Jabès und die Frage nach dem Buch, 114 f.: »Aber, so wird man einwenden, man muß immer schon das Sein denken […] Gewiß, das ›man muß immer schon‹ bezeichnet aber gerade das originäre Exil aus dem Reich des Seins, das Exil als das Denken des Seins, und daß das Sein sich nie selbst zeigt, jetzt, außer in der Differenz, in allen Bedeutungen, die dieses Wort heute erfordert, nie präsent ist. Ob er das Sein oder der Herr des Seienden ist, Gott selbst ist, erscheint als das, was er in der Differenz ist, das heißt als die Differenz und in der Verbergung.« Vgl. ders.: Gewalt und Metaphysik, 165: »Das Angesicht Gottes entzieht sich auf ewig, indem es sich zeigt.« 23 Florian Bruckmann: Schrift, 293: »Gott selbst wäre wohl als absolutes Geheimnis anzunehmen, aber auch der Name Gottes unterliegt nach Derrida der Bewegung des sich selbst teilenden und mitteilenden Geheimnisses, das im Sich-Verbergen entsteht. Aber deshalb muß nicht zwingend gedacht werden, daß die Bewegung der différance selbst göttlich ist.« 24 Zirkumfession, 1; 24; 58; 69; 150; 153; 201; 243 u. ö.; weiterhin 100: »ich frage mich, wonach ich mit diesem maschinengeschriebenen Bekenntnis suche, jenseits der Institutionen, die Psychoanalyse eingeschlossen, jenseits der Kenntnis der Wahrheit, die hiermit nichts zu tun hat.« 18
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Manier Gott direkt an und offenbart eine Unruhe über den nicht dingfest zu machenden Gott, die auch schon Augustinus umgetrieben hat: »du, der Wissende in deiner vom Wunsch und ersten Überschwang des Eingestehens geforderten Wissenschaft, der Zeuge, nach dem ich suche, ja pour, nach wegen für um …, bevor ich noch wüßte, was diese erhabene Vokabel, pour, in so vielen Sprachen bedeuten mag, nach dem ich suche, da ich ihn, und dich, nein da ich ihn dir folgend bereits gefunden habe, da ich ihn zu finden versucht – beim Finden gesucht – als das gesucht habe, was es zu finden gilt im Umkreis einer Trope oder eine Ellipse.«25 Ohne das Zitat hier im einzelnen analysieren zu können, wird doch sehr deutlich, daß es sich um eine direkte Anlehnung und Anspielung auf den un-findbaren Gott bei Augustinus handelt: Gott wird findend gesucht, d. h. Derrida scheint Gott zu finden, indem er den Texten Augustins nachspürt und ihn in dessen Nachfolge aufspürt, ohne ihn doch direkt finden zu können, denn was gefunden und gewußt wird, ist nicht Gott.26 Gott wird suchend gefunden und als Gefundener gesucht, ohne daß das Suchen ein Ende haben könnte, weil das Gott-Suchen das Gott-Finden ist. Dieses Gott-Suchen und Gott-Finden hängt nun mit dem Wahrheitsverständnis zusammen, das Derrida in Circonfession von Augustinus her entwirft und das aufs engste mit seinem Verständnis von dem zu tun hat, was er schreibend tut: bekennen. 2.3 Confiteri. Wie angekündigt ist die ständige Reflexion über das Bekennen das zweite Motiv Derridascher Augustinus-Rezeption, das untersucht werden soll. Neben dem »cur confitemur deo scienti« (warum bekennen wir etwas dem Gott, der schon alles weiß) sind es zwei weitere Augustinus-Zitate, die Derrida faszinieren und immer wieder Gegenstand der Reflexion werden: Auf der einen Seite ist es »et nunc domine, confiteor tibi in litteris – und heute, Herr, bekenne ich dir in diesem Buche«,27 und auf der anderen Seite: »volo eam [veritatem] facere in corde meo coram te in confessione, in stilo autem meo coram multis testibus«.28 Derrida nähert Zirkumfession, 69 f.; vgl. 208: »ich möchte mich sammeln im Zirkel des cum, im Zirkus des circum [von circumfession; FB], mich zusammenfügen im Angesicht dessen, nach dem ich stets suchte, indem ich ihn floh.« 26 Io. ev. tr. 63,1,3 – 5;14 – 18. Im 49. Absatz zitiert Derrida einen eigenen Tagebucheintrag vom 4. 9. 1981, in dem er über die Richtung des Gebetes bei Augustinus nachdenkt, vgl. Zirkumfession, 271 f.: »wenn er ›du‹ sagt und sie sich alle fragen, wen er damit nur aufrufen, zu wem er nur sprechen mag, antwortet er: aber zu dir, der du nicht unter diesem oder jenem Namen bekannt bist, zu dir, diesem in mehr als einem verborgenen Gott, der mein Gebet jedes Mal zu empfangen weiß, du bist das Geschick meines Gebetes, du weißt alles vor mir, du bist der unbewußte Gott (meines Unbewußten).« 27 conf. 9,33 f.; zitiert in Zirkumfession, 57. Zu diesem Zitat fällt Derrida ein Satz ein, den er bereits in Die Postkarte veröffentlicht hatte: »man bittet stets um Vergebung, wenn man schreibt« (ebd. 56). 28 conf. 10,1. Jacques Derrida: Außer dem Namen, 69: »Denn Augustinus beantwortet nicht 25
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diese beiden Zitate Augustins so sehr einander an, daß man fast formulieren könnte: »confiteor tibi in litteris, quia volo veritatem facere« (vgl. conf. 10,1); also: Ich bekenne dir in Schriftform, weil ich Wahrheit herstellen will. Zwei Punkte erregen Aufmerksamkeit: a) Derrida interpretiert Augustins Confessiones so, daß dieser Wahrheit herstellen will (veritatem facere), »indem er schreibt« (25), denn Gott weiß ja alles (deo scienti), was Augustinus getan hat, so daß er ihm nichts Neues erzählen oder darlegen kann: Man bekennt demjenigen, der schon alles weiß, so daß Bekennen etwas ganz anderes ist als informieren.29 Von daher kann man eigentlich nur dem etwas bekennen, der schon weiß, was man ihm bekennen will, weil nur so der Unterschied zwischen bekennen und informieren gewahrt werden kann.30 Neben der Tatsache, daß der Adressat des Bekenntnisses den Inhalt des Bekenntnisses bereits wissen muß, gehört auf der Seite des Bekenners die Reue notwendig mit dazu und diese Reue ist der zweite Unterschied zwischen Bekenntnis und Information.31 In gleicher Weise sieht sich Derrida in den Absätzen fünf und sechs von Bennington durchschaut (Zirkumfession, 34 – 45), der ein Buch über Derrida schreibt und in sein Denken einführt. Bennington weiß also alles über Derrida, so wie Gott alles über Augustinus weiß. In diesem Sinne sieht sich Derrida unter dem Gesichtspunkt der Schriftstellerei in der gleichen Lage wie Augustinus, so daß ihm G. – wie er des öfteren Geoffrey Bennington abkürzt – zu einem Gottesersatz wird.32 Theologisch ist diese Aussage natürlich nicht tragbar, im Text von Derrida allerdings sehr interessant, weil er durch diese abstruse Konstruktion darauf hinweisen kann, warum Augustinus einem Gott etwas bekennt, der doch schon alles weiß: er versucht Wahrheit herzustellen, und das bedeutet, etwas Neues, etwas Neuartiges zu produzieren, das vorher nicht dagenur die Frage: warum bekenn ich mich dir, Gott, der du allwissend bist? Er spricht davon, ›die Wahrheit zu tun‹ (veritatem facere) (X, I, 1), was auf keine Offenbarung, Enthüllung oder Information im Sinne der kognitiven Vernunft hinausläuft. Vielleicht darauf, für etwas Zeugnis abzulegen. Er antwortet auf die Frage des öffentlichen, das heißt des schriftlichen Zeugnisses.« 29 Zirkumfession, 59 und 68. Vgl. ders.: Derrida’s response, 141. Vgl. ders.: Composing ›Circumfession‹, 23. Vgl. ders.: Außer dem Namen, 69. 30 Jacques Derrida: Derrida’s response, 141: »For a confession to be a confession worthy of the name, you have to assume that the other knows already, because knowing is not the point. That’s why God is required – God as the one who knows everything. If I confess something to someone who doesn’t know my crime, then my confession might look like or sound like a report, that is, just an act of letting the other know.« 31 Jacques Derrida: Composing ›Circumfession‹, 23: »For instance, when one asks for forgiveness, when one confesses […] it’s not a question of truth, at least not a question of the constative truth. When I ask, when I confess, I´m not reporting a fact. I can kill someone. I can hijack a plane and then report; it’s not a confession. It becomes a confession only when I ask for forgiveness and, according to the tradition, when I promise to repent, that is, to improve, to love, to transform my hatred into love, to transform myself, and to do so out of love.« 32 Vgl. Robert Dodaro: Loose canons, 82; 98.
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wesen ist. Und Derrida tut es ihm gleich und versucht dem vorgeblich allwissenden Bennington gegenüber ein Schreibereignis zu provozieren, das diesen überrascht.33 Allerdings verhält es sich mit dem Ereignis wie mit der Gnade: Beide können nicht selber hergestellt werden, sondern werden geschenkt und gewährt.34 b) Ein zweiter Punkt ist mit diesem ersten eng verwandt: Derrida begeht selbstverständlich nicht die allzu leicht durchschaubare Identifikation Benningtons mit der Idee eines allwissenden Gottes: Denn wenn Bennington wirklich, wie scheinbar unterstellt, allwissend wäre, dann könnte er Derrida auch »sagen, an wen ich meine Gebete richten soll, et ubi esse tantae preces et tam cerebrae sine intermissione? nusquam nisi ad te – wo wären auch ihre so inständigen und so zahlreichen Gebete ohne Unterlaß geblieben? Sie erreichten dich doch, allein dich«.35 Auch Bennington kann Derrida natürlich nicht sagen, an wen dieser sein Gebet richten soll, denn Gott ist für das Denken Derridas radikal transzendent und verborgen.36 Trotzdem läßt die mögliche Gebetsrichtung zu Gott hin durchscheinen, daß das Gebet sich nicht an ein Nichts richtet, weil das Nichts richtungslos wäre. Dies wird z. B. im Absatz 32 deutlich, in dem Derrida seine Mutter um Vergebung dafür bittet, daß er sich nicht an Gott wendet. Während er diese Worte schreibt, werden sie ihm unter der Feder zu einer Vergebungsbitte an Gott, daß er ihm verzeihe, sich nicht an ihn gewandt zu haben.37 Ein ebenso eindrückliches Beispiel für die Adressierung des Sprechens an Gott im Gebet findet sich im 49. Absatz, in dem Derrida eine Tagebucheintragung vom 4. 9. 1981 zitiert, die er sehr dicht hinter der Passage aus den Confessiones platziert, in der Augustinus nach dem Tod seiner Mutter Tränen um sie vergießt und dem Leser frei stellt, diese Gemütsregung, die er in einem Buch bekennt, zu interpretieren, wie er will. Im Hinblick auf den weinenden Augustinus schreibt Derrida: »wenn er ›du‹ sagt und sie sich alle fragen, wen er damit nur aufrufen, zu wem er nur sprechen mag, antwortet er: aber zu dir, der du nicht unter diesem oder jenem Namen bekannt bist, zu dir, diesem in mehr als einem verborgenen Gott, der mein Gebet Zirkumfession, 39: »kein Ereignis, das von mir, zumindest von mir als einem Sprechenden oder Schreibenden, noch zu erwarten wäre, kein zukünftiges Ereignis meiner selbst mehr, es sei denn, ich entginge seinem Gesetz, indem ich eben hier, rette sich wer kann, unwahrscheinliche Dinge schriebe, die G.s Programm ihrerseits überraschen, es aus dem Gleichgewicht, aus der Fassung bringen würden.« 34 Jacques Derrida: Composing ›Circumfession‹, 23: »What does it mean to ›make‹ the truth? If you make the truth in the performative sense that I mentioned earlier, it is not an event. For the truth to be ›made‹ as an event, then the truth must fall on me – not be produced by me, but fall on me, or visit me.« 35 Zirkumfession, 200; vgl. conf. 5,17. 36 John D. Caputo: Shedding tears beyond being, 97: »Where do his prayer arrive? Nusquam nisi ad te, he can say with Augustine, but with this difference, that Derrida does not know who this ›you‹ (te, toi) is. To or with God, whom he loves, he can also say with Augustine.« 37 Zirkumfession, 177 f. 33
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jedes Mal zu empfangen weiß, du bist das Geschick meines Gebetes, du weißt alles vor mir, du bist der unbewußte Gott (meines Unbewußten), wir (ver)-fehlen einander gleichsam nie.«38
Auch wenn sich das Gebet an den unbekannten Gott richtet,39 macht die Richtung deutlich, daß das Gebet nicht als bloßer Laut verhallt, sondern von dem angenommen wird, an den es gerichtet ist, auch wenn von diesem Gott wenig mehr bekannt zu sein scheint, als daß er Gebete annimmt.40 Diese Überlegungen zu dem Text Circonfession müssen genügen. In ihnen liegt – wie vorhin ausgeführt – der klassische Akt von Rezeption des einen Autors durch einen anderen vor und ich habe zu verdeutlichen versucht, in welcher Weise Derrida Augustinus aufnimmt, indem er ihn z. T. gegen den Strich liest, wodurch allerdings dieser manchmal leicht zu übersehende Strich wieder neu und etwas verschoben zutage tritt. Wie angedeutet will ich in einem weiteren Punkt die Rolle eines starken Rezipienten einnehmen und Werke aus der ersten Schaffensphase Derridas mit Texten von Augustinus vergleichen. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, daß diese Herangehensweise nicht willkürlich ist, sondern sich durch die analogen Positionen von Derrida und Augustinus rechtfertigen läßt, weil beide in ihrer je eigenen Weise Wert auf die Möglichkeit der starken Rezipienten-Rolle legen. Das gilt es zu belegen.
3. Rezeption aus der Sicht des Lesers – Parallellektüre
Augustinus und Derrida scheinen sich an einem Punkt zu entsprechen, der nicht ganz leicht zu ermitteln, aber für den Interpretationsprozeß ungemein wichtig ist. Sowohl Augustinus als auch Derrida relativieren die Wichtigkeit der Rolle des Autors, um die Beziehung zwischen Text und Leser bzw. Text und Interpret zu verstärken. Und so lautet die zweite wichtige These dieses Aufsatzes: Augustinus und Derrida denken ein starkes Rezeptions-Subjekt, dem eine starke Bindung zwischen
Zirkumfession, 271 f. John D. Caputo: Shedding tears beyond being, verwahrt sich gegen eine Identifizierung des unbewußten mit dem unbekannten Gott (98 f.): »Being a little lost, his ›Circumfession‹ is like a postcard gone astray, beset by desinterrance, sent off only to arrive heaven knows where, addressed to the ›secret‹, which is not to be identified with the deus absconditus, which is in fact a more assured destination and the stuff of a docta ignorantia.« 40 Hent de Vries: Instances, schlägt eine temporale Interpretation vor: »Derrida does not simply deny some ›presence‹ of an Absolute Referent – or addressor, address, and addressee. But this ›presence‹ is affirmed only paradoxically, aporetically, in a virtually hypothetical and indeed confessional, circumfessional mode, whose specific temporal mode – but also experience, trial, experiment – should give us pause.« (71 f.) 38 39
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Text und Interpret entspricht, so daß die Rolle des Autors im Wahrheits- und Interpretationsprozeß unwichtig zu werden scheint. Für Augustinus will ich diese These mit ein paar Hinweisen auf De utilitate credendi, De doctrina christiana und die Confessiones belegen, für Derrida beziehe ich mich auf die Schriften aus dem Jahre 1967, also auf Die Stimme und das Phänomen, Grammatologie und Die Schrift und die Differenz. 3.1 Augustinus. Um die These zu erhärten, daß Augustinus die Bindung zwischen Leser bzw. Interpret und Text erhöht und gleichzeitig die Autoren-Intention schwächt, will ich auf acht Punkte hinweisen. 1. Augustinus schreibt De doctrina christiana, um Auslegungsregeln für die Hl. Schrift denjenigen zu vermitteln, »die sich dem Bibelstudium widmen«.41 Bereits in diesem ersten Satz seiner Schrift über die christliche Bildung spricht sich der Kirchenvater somit für eine starke Rezipienten-Rolle aus: der Leser der Hl. Schrift soll mit Hilfe von Auslegungsregeln dazu in die Lage versetzt werden, selber die Hl. Schrift zu lesen und nicht nur durch die Lektüre anderer Autoren Erkenntnisfortschritte zu machen. Augustinus setzt auf das Erkenntnisvermögen des Einzelnen, nicht auf überkommenes Wissen. 2. Gleichzeitig macht Augustinus im Prolog darauf aufmerksam, daß Gott Menschen zwar inspiriert, niemandem aber unvermittelt von sich kund gibt, so daß auch der Inspirierte, wenn schon nicht auf Auslegungsregeln, so doch zumindest darauf angewiesen ist, daß ihm seine Muttersprache und das Lesen von anderen Menschen beigebracht wurde. Ohne Vermittlung und Lernprozeß kann sich niemand der Kunde Gottes nähern. Diese zwei Aspekte bilden im Prinzip den Kern der These, daß Augustinus von einem starken Rezipienten-Subjekt ausgeht: Er plädiert für die Eigen-Lektüre der Hl. Schrift, ohne daß sich jemand dazu versteigen sollte, etwas von Gott zu wissen, also für Augustinus: eine wahre Aussage machen zu können, die sich nicht auf Vermitteltes bezieht. Somit hat der Rezeptionsvorgang zwei Seiten: Es muß ein Subjekt geben, das etwas rezipiert, und das Subjekt muß sich beim Rezipieren klar machen, daß es nichts rezipieren könnte, wenn es nicht durch andere dazu in die Lage versetzte worden wäre. 3. Augustinus betont eindringlich, daß es dem Menschen nicht angemessen wäre, wenn Gott sein Wort jedem Menschen unvermittelt, d. h. ohne die Vermittlung durch andere Menschen zukommen ließe.42 Gott könnte dies zwar, aber diese Art der Wahrheitserkenntnis wäre dem Menschen nicht angemessen. Hier findet sich eines der starken Argumente für die Notwendigkeit von Tradition und von Vermittlungsinstanzen. Denn Augustinus hält denjenigen, die sich rühmen, direkt von Gott inspiriert zu sein, vor, daß sie selber ihre Erkenntnisse weitergeben und ihre An41 42
Augustinus: Die christliche Bildung, 7. Augustinus: Die christliche Bildung, 11.
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hänger nicht zur gleichen Art der Erkenntnisgewinnung anleiten (ebd. 12). Damit sich Augustinus nicht des gleichen Fehlers schuldig macht, will er die Regeln vermitteln, die es bedarf, um »zu dem verborgenen Sinn […] [dunkler und schwer verständlicher; FB] Stellen ohne irgendeinen Irrtum ganz von selbst« zu kommen (ebd. 13).43 4. Augustinus hält eisern und sehr konsequent an der absoluten Vorgegebenheit der Hl. Schrift fest.44 Die Hl. Schrift muß in allen ihren Teilen als von Gott eingegeben gedacht werden,45 weil sonst ihre Autorität wankt und man sich nur den Stellen zuwendet, die einem leicht erklärlich erscheinen und das schwer Verständliche sogar unter dem Vorwand von Interpolation und Verfälschung aussondert (util. cred. 94,9 – 12). Aus diesen Gründen hält Augustinus an der Gesamtheit der Hl. Schrift fest und löst das Problem der dunklen Stellen durch ein Konzept starker Rezeption: Man soll das, was schwer verständlich ist, über Buch- und Autorengrenzen hinweg innerhalb der Hl. Schrift aus solchen Stellen heraus erklären, die leichter zugänglich sind. Wenn man sich die starke Auseinandersetzung von Joseph Ratzinger mit dem hl. Augustinus vergegenwärtigt, ist es vielleicht weniger verwunderlich, daß er in seinem Jesus-Buch für das Konzept kanonischer Bibellektüre plädiert. Der dritte und der vierte Aspekt, also die Notwendigkeit, die ganze Hl. Schrift zu übernehmen, und die Möglichkeit, dunkle Stellen auch über Autoren- und Buchgrenzen hinweg innerhalb der Hl. Schrift durch helle zu erleuchten, sind weitere wichtige Punkte zur augustinischen Konzeption einer starken Rezipienten-Rolle: Wer die Hl. Schrift liest, darf sich deren Sinn erschließen, indem er sie in ihrer Gesamtheit als Hl. Schrift annimmt und Bezüge in ihr herstellt, die sich vor dem Hintergrund der historisch-kritischen Exegese, wie wir sie kennen, verbieten. 5. Die Idee des starken Rezipienten hat zur Folge, daß Augustinus von der Mehrdeutigkeit der Hl. Schrift sprechen kann. Er geht davon aus, daß es zu ein und derselben Textpassage ganz legitim mehrere gleichermaßen richtige Auslegungen geben kann.46 Ja noch mehr, für ihn ist die Vieldeutigkeit des heiligen Textes ein doct. christ. 2,14. ep. 82,7: »veritas diuinarum scripturarum ad nostram fidem aedificandam memoriae commendata non a quibuslibet sed ab ipsis apostolis ac per hoc in canonicum auctoritatis culmen recepta, ex omni parte uerax atque indubitanda persistat.« 45 Hieraus folgt auch die Möglichkeit, die Hl. Schrift wie einen Steinbruch zu benutzen (doctr. christ. 3,38): »id tamen eo conante, qui divina scrutatur eloquia, ut ad voluntatem perveniatur auctoris, per quem scripturam illam sanctus operatus est spiritus; sive hoc assequatur sive aliam sententiam de illis verbis, quae fidei rectae non refragatur, exsculpat, testimonium habens a quocumque alio loco divinorum eloquiorum.« 46 Vgl. conf. 12,41: »In hac diversitate sententiarum verarum concordiam pariat ipsa veritas, et deus noster misereatur nostri, ut legitime lege utamur, praecepti fine, pura caritate.« Vgl. Reinhard Klockow: Confessiones 13: Versuch der Orientierung einer ›unwegsamen Lektüre‹, 123 f.; mit Bezug auf De trinitate vgl. Alfred Schindler: Wort und Analogie in Augustins Trinitätslehre, 162 f. 43 44
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Hinweis auf seine Inspiriertheit. Augustinus sieht klar die Möglichkeit, daß viele, sich unterscheidende Auslegungen gleichermaßen wahr sein können.47 Kein Ausleger der Hl. Schrift kann darüber hinaus für sich beanspruchen, die Intention des Autors zu erkennen,48 weswegen Auslegung nicht nur notwendig, sondern auch legitim ist. 6. In gleicher Weise wie die Autorenintention nicht erkennbar ist, ist es sogar möglich, einen Text besser zu verstehen, als der Autor ihn verstanden hat.49 Von hierher ist es zudem legitim zu sagen, daß es bei der Interpretation weniger auf das ankommt, was der Autor sagen wollte, als vielmehr auf den Nutzen des Lesers.50 Und hier kommt auch dem Heiligen Geist eine tragende Rolle in der Interpretationsarbeit zu: er hat bei der Inspiration des Autors alle möglichen Interpretationen und Auslegungen des Texte vorausgesehen.51 7. Und Augustinus macht sich sogar darüber Gedanken, um was er gebeten hätte, wäre ihm die Aufgabe zuteil geworden, einen Text für die Hl. Schrift zu schreiben. Nach eigener Auskunft hätte er darum gebeten, alle Gedanken, die zu einem Thema gehören, auszusprechen und nicht nur die, die ihm selber einsichtig erscheinen.52 8. Und ein letztes: Augustinus schreibt von der Entdeckerfreude, die die dunklen Stellen der Hl. Schrift beinhalten können, wenn man sie denn endlich versteht. Dabei halten diese dunklen Stellen den Leser auf der einen Seite in Bann, so daß das Lesen nicht langweilig wird, und auf der anderen Seite bewahren sie vor Hochmut, weil man lange braucht, um zu verstehen bzw. einiges nie verstehen wird.53 3.2 Derrida. Nach diesen acht Aspekten der Reflexionen des hl. Augustinus über die Rolle des Interpreten im Interpretationsprozeß, sollen ein paar Gedanken zu Derrida genügen. Folgende drei Aspekte scheinen mir im Hinblick auf die nicht zu unterschätzende Rolle des Interpretations-Subjektes wichtig zu sein: 1. Genau wie Augustinus geht Derrida von der Arbitrarität der Zeichen aus:54 Zeichen hängen nicht natürlich mit dem Bezeichneten zusammen, sondern beruVgl. folgende Stelle, die frappant an Cusanus (De visione dei XIII) erinnert (conf. 12,34): »neque tamen negat, quod uterque nostrum dicit, utrumque verum esse, o vita pauperum, deus meus, in cuius sinu non est contradictio«. 48 conf. 12,33 – 35; 12,42. 49 Vgl. util. cred. 10 und 11. 50 Vgl. util. cred. 11. 51 doctr. christ. 3,38. Vgl. Ursula Schulte-Klöcker: Das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit als Widerspiegelung der Beziehung zwischen Schöpfer und Schöpfung, 205: »Augustinus betont den Reichtum und die Fruchtbarkeit des biblischen Textes, insofern er eine Vielfalt von Verständnismöglichkeiten in sich birgt.« 52 conf., 12,36; vgl. 12,42. 53 doctr. christ. 2,8; 2,7; 4,9.; 4,15; 4,23. Vgl. Io. ev. tr. 45,6. Vgl. Reinhard Klockow: Confessiones 13. Versuch der Orientierung einer ›unwegsamen Lektüre‹, 131: »Axiom der pädagogischen Staffelung der Wahrheit.«; doctr. chr. 3,40. 54 Jacques Derrida: Grammatologie, 513: »Die Buchstaben, die selbst keinerlei Sinn haben, 47
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hen auf menschlicher Konvention. Dabei legt Derrida Wert darauf, daß aus der Nicht-Erkennbarkeit des Dinges an sich,55 der eigentlichen Wirklichkeit hinter der von uns wahrzunehmenden und wahrgenommenen Schein-Wirklichkeit, nicht auf Sinnlosigkeit geschlossen werden darf.56 Zwar muß alles gedeutet werden, aber es kann auch alles gedeutet werden, wobei diese Deutung vom Subjekt verantwortet wird. Derrida insistiert gegenüber einer in seinen Augen überholten Substanzontologie alt-europäischer Metaphysiktradition darauf, daß der vom InterpretationsSubjekt hergestellte Sinnzusammenhang selber ein Zeichen ist und somit in der Diktion von Derrida Sinn immer nur zeichenhaft gedacht wird.57 Trotz dieser ›bloßen‹ Zeichenhaftigkeit des erschlossenen und konstruierten Sinnes denkt Derrida einen überzeichenhaften Sinn, der allerdings mit Hilfe der menschlichen Sprache nicht ausgedrückt werden kann, weil diese eben arbiträr ist. Dieser überzeichenhafte Sinn deutet sich für Derrida in einer Spur an, die im Vorgang des Sich-selbst-Verwischens in der Sprache einen Abdruck von sich hinterläßt. 2. Um Derridas Gedanken der Spur, bzw. der Bewegung der différance zu charakterisieren, ist es meiner Meinung nach am besten, auf seinen frühen Aufsatz Die Stimme und das Phänomen zu verweisen. Nach der dort vorgelegten Husserl-Analyse gibt es keinen idealen, überzeitlichen Sinn.58 Sinn muß jeweils neu vom Subjekt hergestellt werden und wird nicht aus der Transzendenz zeitneutral abgerufen. Und weil das geschichtliche Subjekt den nur in der Zeit zu denkenden Sinn59 jeweils neu herstellen muß – zu erinnern ist an Derridas Faszination für das Augustinische Herstellen der Wahrheit –, ist dieser Sinn gegenüber seinem ersten Auftauchen auch immer etwas verschoben und anders. Wer nun gewahr wird, daß er zum wiederholten Mal einen Gedankengang vollzogen hat, der weiß auch, daß er diesen Gedanken schon einmal hatte; und dieses Wissen um die Wiederholung bezeichnet unfehlbar die Verschiebung oder kleinstmögliche Andersartigkeit des Gedankens gegenüber bezeichnen nur elementare phonetische Signifikanten, die nur in einer in bestimmter Weise geregelten Zusammenfassung Sinn ergeben.« 55 Grammatologie, 86: »Das Ding selbst ist ein Zeichen.« Georg W. Bertram: Hermeneutik und Dekonstruktion, 108 f.: »Was Saussure als Signifikat bezeichnet und als eigenständige Größe gegenüber den Signifikanten profilieren will, funktioniert letztlich genauso wie ein Signifikant.« 56 Zum Vorwurf der Sinnlosigkeit: z. B. Bernhard Waldenfels: Phänomenologie in Frankreich, 543: »Mit dem Schwinden eines vorgeordneten ›transzendentalen Signifikanten‹ bleibt nur ein Bedeutungsspiel ohne Zentrum, Ursprung und Ziel.« Vgl. Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? (1983), 549 f. Vgl. ders.: Was ist Neostrukturalismus?, 370. 57 Grammatologie, 87: »Es gibt also nur Zeichen, wofern es Sinn gibt. We think only in signs. Das aber bedeutet, den Zeichnbegriff in dem Augenblick zugrunde zu richten, wo – wie bei Nietzsche – sein Absolutheitsanspruch anerkannt wird.« 58 Vgl. Grammatologie, 116. 59 Jacques Derrida: Die Stimme und das Phänomen, 112: »Der Sinn ist, schon bevor er ausgedrückt wird, durch und durch zeitlich.«
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dem ersten Mal. Somit denkt das Subjekt und erkennt, daß es denkt, und diese Erkenntnis des Denkens ist eine Unterbrechung des eigentlich Gedachten, so daß sich Sinn-Erkenntnis in der Unterbrechung einstellt. Für Derrida bedeutet diese Unterbrechung die Geburt des Subjekts.60 Im Sinne Derridas müßte man wohl formulieren, daß das Subjekt vor seiner Sprache entspringt und nicht erst im Sprachakt bzw. im aktiven Erkennen, Deuten und Benennen der Welt zu sich selber kommt. Das Subjekt kommt von vor der Sprache her und spürt in der Sprache und im Deuten seinem eigenen Ursprung nach, ohne ihn sprachlich fassen zu können. 3. In letzter Konsequenz ergibt sich aus diesen zwei Aspekten der Gedanke, daß Sinn sich dem Subjekt nicht ergibt, wenn es gewaltsam auf die Wirklichkeit zugreift und diese in sein selbst-gemachtes Koordinaten- und Denksystem, in seine rein arbiträr gemachte Sprache zwingt. Sinn zeigt sich für Derrida nur im Entzug an, in der Unmöglichkeit, diesen Sinn zu greifen und zur Sprache zu bringen.61 Von diesem Gedanken her erscheint es sehr geboten, den am Anfang eingeführten Begriff des starken Rezipienten, der sich im beliebigen Zugriff auf seine Bibliothek Sinn erschließt und Deutung von Wirklichkeit ermöglicht, noch einmal zu differenzieren: Sowohl Augustinus als auch Derrida denken das Rezeptions-Subjekt nicht willkürlich absolutistisch, sondern betonen, daß Sinn einerseits vom Subjekt im Rezeptionsvorgang in eigener Verantwortung gewonnen werden muß. Andererseits wissen beide nur zu gut, daß Sinn nicht einfach hergestellt wird, sondern sich geradezu gnadenhaft einstellt und eben nicht herbeigezwungen werden kann.62 Eine Erkenntnis drängt sich auf, ohne daß sich das Subjekt ihrer entziehen könnte. Aber diese Erkenntnis steht dem Subjekt nicht zur Verfügung, sondern ist im gleichen Augenblick auch schon wieder entzogen. So wäre es wohl am angemessensten bei Derrida und bei Augustinus von einem stark-schwachen Rezeptions-Subjekt auszugehen.
Die Stimme und das Phänomen, 112: »Diese Bewegung der différance überfällt nicht unvermutet ein transzendentales Subjekt. Sie bringt es hervor.« Vgl. Manfred Frank: Was ist Neostrukturalismus? (1983), 330 f.; vgl. JoachimValentin: Atheismus in der Spur Gottes, 55–59. 61 Grammatologie, 114: »In Wirklichkeit ist die Spur der absolute Ursprung des Sinns im allgemeinen; was aber bedeutet, um es noch einmal zu betonen, daß es einen absoluten Ursprung des Sinns im allgemeinen nicht gibt. Die Spur ist die Differenz*, in welcher das Erscheinen und die Bedeutung ihren Anfang nehmen.« 62 Jacques Derrida: Composing ›Circumfession‹, 23: »What does it mean to ›make‹ the truth? If you make the truth in the performative sense that I mentioned earlier, it is not an event. For the truth to be ›made‹ as an event, then the truth must fall on me – not be produced by me, but fall on me, or visit me.« 60
Augustinus im Denken von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. (*1927) von Cornelius Petrus Mayer OSA
1. Einleitung
In den Erinnerungen aus seinem Leben1 kommt Joseph Kardinal Ratzinger bei den Schilderungen seines Studiums der Theologie des öfteren auf Augustinus zu sprechen. Offensichtlich las er bereits im Seminar zu Freising die Confessiones, denn dort lernte er über Theodor Steinbüchels Buch Der Umbruch des Denkens den Personalismus, jene philosophische Denkrichtung des 20. Jahrhunderts kennen, die aus christlich-humanistischem Weltbild hervorgegangen ist und sich als kritische Alternative zu kommunistischen und faschistischen Theorien verstand. Dieser Personalismus sei ihm auch in den Bekenntnissen »mit der ganzen Leidenschaft und Tiefe« des Augustinischen Denkens begegnet. Dagegen habe er Schwierigkeiten im Zugang zu Thomas von Aquin gehabt, »dessen kristallene Logik« ihm zu unpersönlich erschien (Aus meinem Leben. Erinnerungen, 49). In seinen Studienjahren in München prägte ihn am meisten der Fundamentaltheologe Gottlieb Söhngen, der die Theologie »immer von den Quellen selbst her dachte« (ebd. 61). Im Jahr 1950 war Söhngen in der Fakultät an der Reihe, die Preisaufgabe zu stellen, die bei erfolgreicher Bearbeitung mit der Zuerkennung des Preises zugleich als Dissertation mit dem Prädikat summa cum laude angenommen wurde. Das von Söhngen gestellte Thema lautete: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Ratzinger, der zuvor schon eifrig patristische Texte las und auch ein Seminar über Augustinus bei Söhngen besuchte, fühlte sich in die Pflicht genommen, zumal Söhngen selbst ihn zur Bearbeitung überredete. An weiteren glücklichen und wegweisenden Begegnungen erwähnt Ratzinger die Lektüre von Henri de Lubacs Catholicisme. Zusammen mit anderen Schriften Lubacs eröffneten sie ihm »ein neues Verstehen der Einheit von Kirche und Eucharistie«. »Aus diesen Horizonten heraus«, schreibt er, »konnte ich in das geforderte Gespräch mit Augustinus eintreten, das ich auf vielerlei Weise schon seit langem versucht hatte« (ebd. 69). Die Erfahrungen eines Kaplanjahres ließen in ihm zwar den Gedanken aufkeimen, ob die Seelsorge für ihn nicht der richtigere Weg wäre, doch die Berufung zur Dozententätigkeit in das Freisinger Priesterseminar im Jahr 1952 führte ihn zu seiner Habilitationsschrift mit dem Titel Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaven1
Joseph Kardinal Ratzinger: Aus meinem Leben. Erinnerungen.
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tura, die vom Offenbarungsbegriff Bonaventuras handelte, also eines Theologen des Mittelalters, dem das Denken Augustins alles andere als fremd war. Ratzinger bezeichnet zwar die Prozedur seiner Habilitation als Drama, aber diese Arbeit über Bonaventura dürfte seine Beziehung zum Kirchenvater nochmals vertieft haben. Mit der Ernennung zum Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik in Freising zum 1. Januar 1958 begann seine aufsehenerregende Karriere an deutschen Universitäten. Noch im Sommer 1958 erreichte ihn der Ruf nach Bonn, wo Kardinal Frings auf ihn aufmerksam wurde. Inzwischen hatte nämlich Johannes XXIII. das Konzil angekündigt, und Kardinal Frings, der in der Katholischen Akademie in Bensberg einen Vortrag über die Theologie des Konzils von Ratzinger angehört hatte, nahm diesen als seinen theologischen Berater mit nach Rom, wo er noch vor dem Ende der ersten Sitzungsperiode – sicher nicht ohne Grund – zum Konzilstheologen, zum ›Peritus‹, ernannt wurde. Schon im Hinblick auf das abgebrochene I. Vatikanische Konzil bestand unter den Bischöfen wie unter den Theologen allgemeine Übereinstimmung darüber, daß die Kirche das eigentliche Thema der Versammlung sein werde. Der ›Peritus‹ Ratzinger war nicht zuletzt dank seiner Promotionsarbeit aufs beste darauf vorbereitet. Auf sie müssen wir in gebotener Kürze eingehen.
2. Augustins Lehre von der Kirche
»Es gehört schon einiger Mut dazu, ein in der Vergangenheit so viel erörtertes Thema, wie es der Kirchenbegriff des heiligen Augustinus nun einmal ist, erneut aufzugreifen und über bloße Wiederholungen hinaus neue Gesichtspunkte und Ergebnisse anzustreben. J. Ratzinger unternimmt das Wagnis, indem er vom Hausund Volk-Gottes-Begriff ausgeht und von hier in das Herz des augustinischen Kirchenverständnisses vorstößt«. Mit diesen Sätzen begann Fritz Hofmann, Verfasser der im Jahr 1933 von Karl Adam angeregten und in Tübingen zur Promotion vorgelegten Studie, Der Kirchenbegriff des heiligen Augustinus, der zugleich der Rang einer Habilitationsschrift zuerkannt wurde, seine Rezension.2 Was Hofmann an Ratzinger rühmt, ist die Einbeziehung des durch die Priesterweihe und die Betrauung mit einem kirchlichen Amt um das Jahr 391 bedingten Paradigmenwechsels in der Ekklesiologie Augustins, in der nicht mehr die Hinführung des Menschen zu einer inneren Gottesverehrung, sondern die Hinwendung zu Gott mittels des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe deren konstitutive EleTheologische Revue 54, 1958, 122 – 125. An weiteren Rezensionen seien genannt: Münchener Theologische Zeitschrift 5, 1954, 220 f. (W. E. Gößmann); Scholastik 30, 1955, 284 f. (Röttges); Irénikon 30, 1957, 115 f. (D. E. N.); Angelicum 32, 1957, 404 f.; Studium 51, 1955, 53 f. (M. Pellegrino). 2
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mente bilden. Nun zeigt Ratzinger zugleich, daß schon in der voraugustinisch-afrikanischen Theologie ekklesiologische Reflexionen einen breiten Raum einnahmen, etwa die kirchenbildende Bedeutung der Eucharistie bei Tertullian,3 die Benennung der Gemeinde als ›Leib Christi‹ bei Cyprian (Volk und Haus, 87 – 102) und die Betonung der Einheit der mit Rom verbundenen Gesamtkirche bei Optatus von Mileve (ebd. 102 – 123). Darauf habe Augustinus seine eigene Ekklesiologie aufbauen können. Er tat dies sozusagen in einer doppelten Frontstellung: in der Kontroverse mit den schismatischen Donatisten (ebd. 127 – 184) und in der Auseinandersetzung mit den das Christentum bekämpfenden Heiden (ebd. 185 – 322). Bei der Kontroverse mit den Donatisten ging es Augustinus um den Nachweis der von diesen bestrittenen Integrität der katholischen Kirche. Seine Kernthese lautete: Die wahre Kirche ist katholisch, weil sie die Kirche nicht nur der Bewohner Afrikas, sondern die Kirche aller Völker ist (ebd. 131). Im Anschluß an die Deutung des Abrahamsamens (Gal 3,16), in dem die Völker auf Christus hin gesegnet werden sollten (laut Gen 22,18), erblickte Augustinus im verheißenen Abrahamvolk die Kirche als »das eine Volk aus Abrahams Samen« (ebd. 134). Hinzu kommt als weiterer wichtiger Aspekt der Ekklesiologie Augustins die Rolle und die Bedeutung der ›Caritas‹. Caritas meint bei Augustinus nicht nur ein sittliches, sondern stets auch ein kirchliches Verhalten. Caritas sei – das hält er den Donatisten wiederholt vor –, »was die nicht haben, die von der katholischen Kirche getrennt sind« (bapt. 3,21). Was also den Einzelnen in das Gottesvolk einschließt, ist die Caritas und das damit geforderte Stehen auf dem Boden des Evangeliums. Sie allein, die in der Catholica Verbleibenden, sind, weil Inhaber der Caritas, die wahre Kirche, ›Christi Leib‹, durch den die Sündenvergebung erteilt wird, und in denen sich die Eucharistie darstellt. Als die Glieder des Leibes sind sie zusammen mit dem Haupt zugleich jene Kirche, außerhalb derer es kein Heil gibt (Volk und Haus, 144 f.). Nach Augustinus, so lautet ein Zwischenresümee, ist die Kirche »ihrer eigentlichen Wirklichkeit nach (die) unbefleckte Kirche der Heiligen. In einem nicht aufhebbaren Schein-Sein haften ihr jedoch die Bösen an bis zu ihrer Reinigung am jüngsten Tag« (ebd. 148). Diese Betrachtung und Beurteilung der Kirche von der Caritas her bzw. auf die Caritas hin habe zu einer Umformung der ganzen Gedankenwelt des Kirchenvaters geführt. Entsprechend dieser Sicht hänge auch das Heil des Menschen nicht mehr vom Maß seiner intellektuellen Einsicht ab, sondern von der geforderten Demut, der ›humilitas‹, der Einsicht in die eigene Schwäche in bezug auf das Heil und dem Eingeständnis dieser Schwäche. Allem voran aber hat Augustinus nach Ratzinger der Kirche einen Ort in der Theologie zugewiesen und die Ansicht über sie zu einer innerdogmatischen Sache gemacht. 3
Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche (= Volk und Haus), 48 – 86.
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Gewiß sei die bereits in der frühchristlichen Tradition ausgeprägte rechtliche Sicht der Kirche auch in der Ekklesiologie Augustins erhalten geblieben, aber ihr Wesen erschließe sich nicht darin. Der Bischof von Hippo habe auch unter dem Begriff ›Haus Gottes‹ nicht den Tempel aus Stein verstanden, sondern die Gemeinde als »Gemeinschaft im eucharistischen Leib« (ebd. 174). Caritas, Eucharistie und Kircheneinheit erscheinen bei ihm aufs engste aufeinander bezogen. »Die Catholica«, so faßt Ratzinger Augustins Kontroverse mit den Donatisten zusammen, »ist die Weltkirche, die durch die Gemeinschaft des Herrenleibes sich als die eine erweist. Die Vielzahl der Völker in ihr ist geeint in Christus und auf diese Weise das eine Volk Gottes. Nur in der Einheit mit dieser Kirche wird dem Menschen das Heil« (ebd. 183). Weil dieses eine Volk Gottes in einer Vielzahl von Staaten lebt und der heidnische Staat der Römer von seinem Religionsverständnis her das Christentum immer noch mit dem Vorwurf des Atheismus bedachte, mußte Augustinus seine Ekklesiologie auch im Hinblick auf das Verhältnis dieses Volkes zum Staat, in dem es in der Zeit existiert, präzisieren. Ratzinger zog also auch Augustins ›civitas‹-Lehre in seine Untersuchung mit ein. Nun hat bereits Fritz Hofmann in seiner erwähnten Studie die These aufgestellt, daß zwischen der ›civitas dei‹, der ›Bürgerschaft Gottes‹, und der Kirche eine wesentliche Identität besteht.4 Ratzinger gelang es, diese These, indem er den irdischen Staat und die Kirche von ihrem Kult her in den Blick nahm, zu vertiefen. Im Kult, so führt er aus, manifestiere sich das Wesen beider Staaten. »Jede civitas«, so schreibt er, »ist Kultstaat ihrer Götter, und jedes Volk ist Kultvolk seiner Gottheiten« (Volk und Haus, 281). Im zehnten Buch des Gottesstaates setzt Augustinus sich mit den im Begriff Opfer kulminierenden Kultpraktiken beider Staaten kritisch auseinander. »Ein wahres Opfer«, so lehrt der Kirchenvater dort, »ist […] jedes Werk, das dazu beiträgt, daß wir in heiliger Gemeinschaft Gott anhangen« (civ. 10,6). Augustinus nennt dieses ›wahre Opfer‹ im Anschluß an den Römerbrief (12,1) zugleich einen ›vernünftigen Gottesdienst‹, ein ›rationale obsequium‹ (civ. 10,6). Was die Kirche als ›civitas dei‹ kennzeichnet und zugleich auszeichnet, ist dieser ihr ›vernünftiger Gottesdienst‹, den sie als ›Leib Christi‹ zusammen mit ihrem Haupt, dem ›verherrlichten Christus‹, in der Eucharistie feiert. Auf den Opfercharakter der Eucharistie wird denkbar großer Wert gelegt, vollbrachte doch Christus in seiner Knechtsgestalt das Werk der Erlösung als Opfer. Er brachte sich dar und er wurde zugleich dargebracht. Als ›Mittler zwischen Gott und den Menschen‹5 war er opfernder Priester und Opfer zugleich. »Das ist das Opfer der Christen«, resümiert Augustinus, »›die Vielen ein Der Kirchenbegriff des heiligen Augustinus, 505. Ein im Anschluß an 1 Tim 2,5 von Augustinus gern und häufig benützter christologischer Titel. 4 5
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Leib in Christus‹. Die Kirche aber feiert es in dem den Gläubigen bekannten Sakrament des Altars, wo ihr vor Augen gestellt wird, daß sie in dem, was sie darbringt, selbst dargebracht wird« (civ. 10,6). Weil Augustinus das Heil strikte an den Glauben an Christi Heilswerk knüpfte, gilt der Leitsatz ›Außerhalb der Kirche kein Heil‹ seiner Ansicht nach auch für das alttestamentliche Gottesvolk. Um diesen Satz auch biblisch zu legitimieren, griff der Bischof auf die in der Kirche bereits entwickelte Lehre von der Übereinstimmung beider Testamente, der ›congruentia testamentorum‹,6 zurück, der freilich die Überzeugung von einer gestuften Offenbarung zugrunde liegt. Das zeitlich vorausgehende Alte Testament, in dem das Heil noch verborgen ist, verweist auf das spätere Neue, in dem es bereits als Ereignis verkündet wird. Folgerichtig gehört der alttestamentliche Staat Israel als solcher dem Erdenstaat, der ›civitas terrena‹, an.7 Ebenso folgerichtig beinhalten auch die Kulthandlungen des Alten Testamentes nicht das ›wahre Opfer‹: sie ver weisen lediglich auf jenes, in dem die Kirche das ihr zuteil gewordene Heil bereits feiert. In seiner Zusammenfassung hält Ratzinger in bezug auf den Terminus ›Haus Gottes‹ fest, theologisch belangvoll sei für Augustinus nicht der Raum, sondern »die im Raum versammelte Gemeinde«. Deshalb führe auch die Betrachtung des Gotteshauses »sofort zu einer Theologie des lebendigen Volkes Gottes, der ecclesia sive congregatio, die sich in diesem Haus andeutet« (Volk und Haus, 322). Der ›VolkGottes-Gedankenkreis‹ ruhe »auf der vorchristlichen Wirklichkeit des alttestamentlichen Gottesvolkes und auf der außerchristlichen Wirklichkeit des heidnischen Götterstaates«. Demgegenüber ruhe der ›corpus-Christi-Gedanke‹ »auf der christlichen Wirklichkeit der opfernden Kirche« (ebd. 325). Das eigentlich Heilschaffende an der Kirche sei die Caritas. Äußerlich stelle die Kirche sich im Sakrament des Herrenleibes dar, ihrer inneren Wirklichkeit nach aber bestehe sie in der Gemeinschaft des Christusgeistes.8
Vgl. Cornelius Mayer: Congruentia testamentorum. civ. 17,16: »cuius civitatis impiae portio sunt et Israelitae«. 8 Ratzinger konnte die 1951 erschienene Studie von Wilhelm Kamlah Christentum und Geschichtlichkeit, die sich weithin ebenfalls mit Augustins De civitate dei beschäftigt, nicht mehr berücksichtigen. Er setzte sich damit auf dem Augustinus-Kongreß 1954 in Paris gründlich auseinander. Die ›civitas dei‹, so führt er dort aus, ist bei Augustin natürlich von ihrer eschatologischen Bestimmung her zu sehen und zu bewerten. Die Bürger des Gottesstaates gehören zwar prinzipiell dem ›mundus intellegibilis‹ genannten himmlischen Jerusalem an, sofern sie jedoch in ihrer Pilgerschaft noch auf dieses ihr Ziel hin unterwegs sind, befinden sie sich in der raum-zeitlichen Welt des ›mundus sensibilis‹. 6 7
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3. Die unerläßliche Bedeutung der Vätertheologie
Joseph Ratzinger war bereits 15 Jahre Kardinal, als der EOS-Verlag der Erzabtei St. Ottilien 1992 seine Dissertation mit der Bemerkung des Herausgebers nachdruckte, wer Ratzingers Theologie kennenlernen wolle, müsse dessen grundlegendes Werk, nämlich seine Dissertation lesen. Zweifelsohne zählt Ratzinger mit zu den produktiveren theologischen Schriftstellern unserer Zeit – man braucht nur einen Blick in seine Publikationsliste im Internet zu werfen, um sich davon zu überzeugen. Darunter gibt es eine beachtliche Anzahl von Titeln, die expressis verbis Augustinisches zum Thema haben. Ich erwähne: Herkunft und Sinn der Civitas-Lehre Augustins (1954); Originalität und Überlieferung in Augustins Begriff der ›confessio‹ (1957); Die Kirche in der Frömmigkeit des heiligen Augustinus (1961); Der Weg der religiösen Erkenntnis nach dem heiligen Augustinus (1970); Augustins Auseinandersetzung mit der politischen Theologie Roms (1971);9 Der Heilige Geist als communio. Zum Verhältnis von Pneumatologie und Spiritualität bei Augustinus (1974); Popolo e casa di Dio in Sant’Agostino (1978). Drei weitere Arbeiten behandeln ebenfalls Kernthemen Augustinischen Denkens: Licht und Erleuchtung. Erwägungen zu Stellung und Entwicklung des Themas in der abendländischen Geistesgeschichte (1960); Menschheit und Staatenbau in der Sicht der frühen Kirche (1961); Die Bedeutung der Väter für die gegenwärtige Theologie (1968). Verweilen wir beim letzten Titel: Ratzinger wirft darin die Fragen auf: »Warum die Väter? Genügt nicht die Schrift?« Er beantwortet sie zunächst mit dem Hinweis auf ein falsch verstandenes ›Aggiornamento‹ von Papst Johannes XXIII., die Kirche solle der Gegenwart mehr Rechnung tragen, und er illustriert diese seine Kritik an mehreren Strömungen der nachkonziliaren Theologie, allem voran an der Bibelexegese. Während die Konzilien von Trient bis zum Vaticanum II in bezug auf das Auslegen und Verstehen biblischer Texte an einem von den Vätern als normativ gehaltenen ›sensus ecclesiae‹, einem Schrift und Tradition umfassenden ›Sinn der Kirche‹, festhalten, scheinen moderne Exegeten kein anderes Gesetz der Auslegung akzeptieren zu wollen als das der historischen Kritik. Die Frage nach der Aktualität der Väter, so Ratzinger, habe die heutige Theologie vor eine Zerreißprobe gestellt.10 Aber selbst wenn die Väter für die Exegese sekundär wären, so seien sie doch dank ihrer zeitlichen Nähe zum maßgebenden Ursprung der in den neutestamentlichen Schriften verkündeten Heilsereignisse primär qualifizierte Zeugen der Überlieferung. Um diese Spannungseinheit der Vätertheologie mit der neutestamentlichen Verkündigung zu veranschaulichen, vergleicht Ratzinger die Hl. Schrift mit Enthalten in: Die Einheit der Nationen. Eine Vision der Kirchenväter, 71 – 103. Vgl. Joseph Ratzinger: Die Bedeutung der Väter für die gegenwärtige Theologie (= Die Bedeutung der Väter), 258 – 262. 9
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dem ›Wort‹ und die Theologie der Väter mit deren ›Antwort‹ auf dieses Wort (Die Bedeutung des Väter, 275): »Das Wort bleibt das Erste, die Antwort das Zweite«. Die Reihenfolge sei nicht umkehrbar, sie lasse aber auch keine Trennung zu. Ja dies sei überhaupt das entscheidende Verdienst der Vätertheologie, daß das ›Wort‹ ›Antwort‹ gefunden habe und zusammen mit der ›Antwort‹ auf diese Weise Tradition geworden ist. Gewiß transzendiert das ›Wort‹ der Schrift nach Ratzinger alle Antworten, aber die Antworten bezeugen das Wort. Ratzinger beruft sich erneut auf Augustinus, der bei seiner allegorischen Auslegung des Psalmverses 103,11: »Alle Tiere des Waldes trinken, die Wildesel stillen ihren Durst« das den Durst stillende Wasser mit der Hl. Schrift verglich, die im Bilde alle, Kleine und Große, Gelehrte und Ungelehrte, jeden nach seinem Durst tränkte. Ratzinger zieht daraus den Schluß: Das Wort dürfe in keinem Stadium seiner Geschichte mumifiziert werden. Aber zugleich gelte, »daß wir es nicht an jener Antwort vorbei lesen und hören dürfen, die es zuerst empfangen hat und die für sein Bestehen konstitutiv wurde« (ebd. 276). Die Bedeutung der Väter für die christliche Theologie aller Zeiten zeigt sich nach dem genannten Aufsatz an vier geschichtlichen Konkretisierungen, an denen Augustinus federführend mitwirkte. Er nennt als erstes die Kanonbildung. Was ist Hl. Schrift, und welche Schriften gehören dazu nicht? Die Konstituierung des Kanons und die Konstituierung der frühen Kirche waren ein und derselbe Prozeß, der »einen Vorgang geistiger Scheidung und Entscheidung« zur Voraussetzung gehabt hat (ebd. 277). Der Prozeß der Kanonbildung, dies bleibe nicht unerwähnt, wurde unter dem Einfluß Augustins auf dem afrikanischen Plenarkonzil zu Hippo (393) und dem Konzil von Karthago (419) definitiv zum Abschluß gebracht.11 Um Unrichtigkeiten in der Schriftauslegung wirksam begegnen zu können, schufen die Väter eine Auslegungsnorm, die sie kanw1n th/@ pístew@, ›regula fidei‹, ›Glaubensregel‹, nannten. Auf sie berief sich schon die junge Kirche, wenn Entscheidungen auf den Konzilien über Glaubenswahrheiten zu treffen waren. Die sogenannten Symbola, die Glaubensbekenntnisse der Kirche, etwa das Apostolicum, sind solche normativen Texte, die die Glaubensregel zur Voraussetzung haben. Augustinus berichtet in seinen Retractationes (1,17), daß er auf dem erwähnten Konzil zu Hippo, obgleich er damals noch Presbyter war, auf Drängen der anwesenden Bischöfe einen Vortrag über die wesentlichen Inhalte des Glaubens zur Abgrenzung von Häresien zu halten hatte, was übrigens sein Ansehen im Episkopat erheblich gefördert haben dürfte, und daß die gleichen Bischöfe ihn zu dessen Veröffentlichung drängten, was er auch tat. Er gab ihr den signifikanten Titel De fide et symbolo – Glaube und Bekenntnis.12 11 12
Vgl. Herbert Haag: Kanon, 921. Vgl. Alfred Schindler: Fide et symbolo (De-).
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»Schriftlesung und Glaubensbekenntnis sind in der Alten Kirche primär gottesdienstliche Akte der ganzen, um den auferstandenen Herrn versammelten Gemeinde gewesen. Das führt auf ein drittes«, schreibt Ratzinger, und er stellt fest: »Die alte Kirche hat die Grundformen des christlichen Gottesdienstes geschaffen, die als bleibende Basis und der unumgängliche Beziehungspunkt jeder liturgischen Erneuerung anzusehen sind«.13 Es dürfte m. E. einem theologisch interessierten Christen nicht schwer fallen, sich vorzustellen, daß der hochgebildete und sicher auch ästhetisch versierte ehemalige Rhetor Augustinus attraktive Gottesdienste feierte. Zahlreiche Tagesgebete unserer Sonntagsmessen artikulieren in ihrer knappen Diktion immer noch die auf die Väter, speziell auf Augustin zurückgehenden Anliegen der Kirche. Da ist z. B. die auch linguistisch in hohem Maße aufschlußreiche Kollekte des 17. Sonntags im Jahreskreis: »Gott, du Beschützer aller, die auf dich hoffen, ohne dich ist nichts gesund und nichts heilig. Führe uns in deinem Erbarmen den rechten Weg, und hilf uns, die vergänglichen Güter so zu gebrauchen, daß wir die ewigen nicht verlieren«. Wer erkennt darin nicht die Diktion Augustins? Es sei mir gestattet, auch auf die Eucharistielehre des Kirchenvaters hinzuweisen. In ihr spiegelt sich, wie schon dargelegt, brennpunktartig seine Lehre von der Kirche als ›Leib Christi‹. In einer Osternachtpredigt rief er den Neugetauften in bezug auf die eucharistischen Gaben von Brot und Wein zu (s. 272): »Estote quod videtis, et accipite quod estis«. Also: ›Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid!‹ Gibt es ekklesiologisch Tiefsinnigeres? Als vierte der den christlichen Glauben konkretisierenden Bedeutungen der Vätertheologie führt Ratzinger deren Sorge um die rationale Durchdringung der offenbarten Glaubenswahrheiten an. Die Kirchenväter waren insgesamt auch philosophisch gebildete Persönlichkeiten – allen voran wieder Augustinus. Ihm lag nichts ferner als das vom Häretiker Tertullian formulierte Bekenntnis: ›Credo quia absurdum‹ (›Ich glaube, weil es widersinnig ist‹).14 Der das theologische Denken und Bemühen charakterisierende Leitsatz des Bischofs von Hippo lautete vielmehr: »Credo ut intellegam« (›ich glaube, um zu verstehen‹).15 Eine rationale Verantwortung der Glaubenswahrheiten – dies zu betonen, wird Ratzinger bekanntlich auch als Benedikt XVI. nicht müde – sei »die Voraussetzung für das Überleben des Christentums in der antiken Welt« gewesen, und dies sei auch »die Voraussetzung für das Überleben des Christentums heute und morgen«.16 Hier ist nochmals die erwähnte Neuauflage der Dissertation Ratzingers zu beachten. Die zitierte Bemerkung, wer ihn kennenlernen wolle, müsse seine Dissertation Die Bedeutung der Väter, 279. Vgl. De carne Christi 5,4. 15 Siehe die ›notes complémentaires‹ von Goulven Madec: Croire pour comprendre und von Jean Rivière: Fois et raison. 16 Die Bedeutung der Väter, 281. 13 14
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lesen, hat ihren plausiblen Grund m. E. auch darin, daß die Laufbahn eines Wissenschaftlers in der Regel mit der Dissertation beginnt. Sie gleicht der ersten Liebe und prägt ein Gelehrtenleben aufs nachhaltigste. Ratzinger selbst hat dies nunmehr aus der Perspektive seiner Einsichten und Erfahrungen, die er als Konzilstheologe, als Bischof und als Präfekt der Glaubenskongregation machen konnte, in seinem Vorwort zu der Neuauflage verdeutlicht und unterstrichen. Eingehend schildert er darin die Erwartung seines Lehrers Söhngen, die dieser an das gestellte Thema knüpfte. In der Theologie der Zwischenkriegszeit setzte sich nämlich in einer gewissen Abwehr der vorzüglich hierarchisch in Erscheinung tretenden Kirche die Auffassung durch, die angemessene Bezeichnung für diese sei die des Volkes Gottes.17 Das Promotionsthema sollte also zeigen, ob diese Bezeichnung beim größten abendländischen Kirchenlehrer tatsächlich ein ekklesiologischer Leitbegriff war. »Ich ging mit dieser Frage an die Texte heran«, schreibt Ratzinger, »aber zugleich in der unbedingten Bereitschaft, mich von ihnen allein führen zu lassen«.18 Das Ergebnis war für ihn selbst überraschend. Es zeigte sich nämlich, »daß Augustinus und mit ihm die Väter generell auf der Linie des Neuen Testamentes blieben, in dem das Wort Volk Gottes […] nahezu ausschließlich das Volk Israel […] bezeichnet. Die neue, von Christus gerufene Gemeinschaft hieß demgegenüber ›Ecclesia‹, das heißt ›Versammlung‹, was sowohl einen eschatologischen wie einen kultischen Aspekt umfaßt« (ebd.). Nach Ratzinger setzt diese Ekklesiologie des Neuen Testamentes, der Augustinus folgte, eine geistliche Lektüre des Alten Testamentes auf Christus und die Kirche hin voraus. Rückblickend faßt er zusammen: »Kirche ist Volk Gottes nur im und durch den Leib Christi. Ein Gebrauch des Begriffs Volk Gottes für Kirche ist vom Neuen Testament und von den Vätern her ohne christologische und pneumatologische Transposition nicht möglich; die Christologie gehört in den Kirchenbegriff unverzichtbar hinein« (ebd. XIV). Insofern, so fügt er hinzu, »hatte ich nun die Zwischenkriegsekklesiologie korrigiert, aber in einem anderen Sinn, als Söhngen […] erwartet hatte. […] Im Grundlegenden«, fährt Ratzinger fort, »kam es ihm (Augustin) nicht darauf an, Neues in die Welt zu setzen, sondern das zu verstehen und verständlich zu machen, was die Catholica glaubte und lehrte. Für ihn (Augustinus) ist gerade dies das Kennzeichnende des wahren Theologen, daß er nicht eigenes und anderes schafft, sondern im Dienst des gemeinsamen Glaubens steht, der ihm als regula fidei Maß und Gestalt seines Denkens wird, das so, von der gemeinsamen Wahrheit geführt, fruchtbar werden und Beständiges hervorbringen kann« (ebd. XIV – XVI). Die treibende Kraft dieser kirchenkritischen Theologen war Mannes Dominikus Koster, Verfasser des Buches Ekklesiologie im Werden. 18 Vorwort zur Neuauflage, XIII. 17
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Diese Zusammenfassung wirft ein helles Licht nicht nur auf die von Ratzinger gerühmte, auf das Konservative, auf das Bewahren bedachte Geisteshaltung Augustins, sondern auch auf ihn selbst, der sich in diesem Lichte sieht und sich deshalb auch mit seiner Kritik unter Berufung auf den Kirchenvater sowohl an den schon genannten Strömungen der Zwischenkriegsekklesiologie wie auch an der postkonziliaren Theologie nicht zurückhält. Er kritisiert z. B. die in der neuzeitlichen Exegese vernachlässigte, bei den Vätern jedoch hochgeschätzte Allegorese,19 die ihm den Schlüssel zur Ekklesiologie Augustins geliefert hatte, mit der er seine eigene rechtfertigt. An der nachkonziliaren Theologie der späten sechziger Jahre beklagte er die rein soziologische Betrachtung der Kirche und die daraus resultierende politische Theologie. Abermals verwies und berief er sich in diesem Zusammenhang auf Augustinus.20 Zuvor schon entwickelte Eusebius von Caesarea (260 – 339) eine Theologie, in der Kirche und Staat identisch waren. In Wirklichkeit jedoch lief die Kirche Gefahr, ihre kulturelle Eigenständigkeit einzubüßen, wenn nicht Theologen vom Rang eines Ambrosius einer solchen Entwicklung Widerstand geleistet hätten. Gerade als der Verfasser von De civitate dei erkannte Augustinus die Gefahren einer Entwicklung der Theologie auf das Politische hin, wie diese sich im Heidentum darstellte, in der die Götter de facto im Dienste des Staates stehen und der Glaube der Politik untergeordnet wird. Ratzinger verweist in diesem Zusammenhang auf den politischen Augustinismus im Mittelalter, der als eine Fehlinterpretation des wahren Augustinismus der Kirche Prärogative einräumte, die ihr als eschatologischer ›civitas‹ vom Evangelium her nicht zukommen. Ratzinger beschließt seine Kritik mit den bedenkenswerten Sätzen: »Liest man aber gründlich die Werke des Heiligen, dann leuchtet die Größe seiner Gestalt wieder neu auf. Und ich denke, daß eine politische Philosophie und eine wahre Ekklesiologie, ein Glaube an den einen Gott, der der Gott aller ist, die Suche nach einer wahren Universalität des Glaubens, der sich in allen Kulturen ausdrückt und sich nie mit einer einzigen von ihnen identifizieren darf, auch heute noch viel aus dem Dialog mit dem heiligen Augustinus lernen können.«21
Vgl. Cornelius Mayer: Allegoria. Aufschlußreich dazu Lorenzo Cappelletti; Maria Pia Comunale (Hgg.): Il potere e la grazia. Attualità di Sant’Agostino. Dazu 30Giorni nella Chiesa e nel mondo – 30Tage in Kirche und Welt 16, 1998, Nr. 10, dort der Bericht: Die Vorstellung des Buches von 30Tage über die Aktualität des heiligen Augustinus mit Kardinal Joseph Ratzinger, 26 – 38. 21 Die Vorstellung des Buches von 30Tage, 31. 19 20
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4. Augustinus als Lehr- und Lebensmeister
Joseph Ratzinger hat sich Augustinus seit seiner Studienzeit nicht nur auf der Ebene der Theologie als Wissenschaft angenähert, in seiner Spiritualität ist er im Grunde genommen ebenfalls weithin dem Kirchenvater verpflichtet – er weiß dies: in seinen Memoiren bekannte er sich gleich mehrfach dazu. Für sein bischöfliches Wappen wählte er das Symbol einer Muschel unter anderem deshalb, weil sie ihn auch an eine Legende über Augustinus erinnerte. Diese erzählt, daß der über das Geheimnis der Trinität am Strande von Hippo meditierende Bischof ein Kind sah, das mit einer Muschel das Wasser des Meeres in eine kleine Grube schöpfte. Auf seine Erkundigung, was es denn da mache, erhielt er die Antwort: So wenig diese Grube die Wasser des Meeres fassen kann, so wenig vermag dein Verstand Gottes Wesen zu begreifen. Wörtlich heißt es dann (Aus meinem Leben. Erinnerungen, 179): »So ist die Muschel Hinweis für mich auf meinen großen Meister Augustinus, Hinweis auf meine theologische Arbeit und Hinweis auf die Größe des Geheimnisses, das weiter reicht als all unsere Wissenschaft.« Das bischöfliche Wappen Ratzingers schmückt auch ein Bär. Es erinnere ihn, schreibt er in seinen Erinnerungen, an eine Meditation Augustins zum Vers 23 im Psalm 72 (73): »Wie ein Lasttier bin ich vor dir. Dennoch bin ich stets bei dir.« Der Kirchenvater erblickte darin ein Bild seiner selbst unter der Last seines bischöflichen Amtes. Dazu notierte der schon in der Glaubenskongregation in Rom seines Amtes waltende Kardinal (ebd. 180 f.): »Er (Augustinus) hatte das Leben eines Gelehrten gewählt und war von Gott zum Zugtier bestimmt worden – zum braven Ochsen, der den Karren Gottes in dieser Welt zieht. Wie oft hat er aufbegehrt gegen all den Kleinkram, der ihm auf diese Weise auferlegt war und ihn an der großen geistigen Arbeit hinderte, die er als seine tiefste Berufung wußte. Aber da hilft ihm der Psalm aus der Bitterkeit heraus: Ja, freilich, ein Zugtier bin ich geworden, ein Packesel, ein Ochs – aber gerade so bin ich bei dir, diene dir, hast du mich in der Hand. Wie eben das Zugtier dem Bauern am nächsten ist und ihm seine Arbeit tut, so ist er gerade in solchem demütigen Dienst ganz nahe bei Gott, ganz in seiner Hand, ganz Werkzeug – nicht näher könnte er bei seinem Herrn sein, nicht wichtiger für ihn. […] Inzwischen habe ich mein Gepäck nach Rom getragen und wandere seit langem damit in den Straßen der Ewigen Stadt. Wann ich entlassen werde, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß auch mir gilt: Dein Packesel bin ich geworden, und so, gerade so bin ich bei dir.« Nicht weniger enthusiastisch äußerte sich Kardinal Ratzinger bei der Vorstellung eines 1998 in Rom erschienenen Sammelbandes, Die Macht und die Gnade. Die Aktualität des heiligen Augustinus, bei der von Giulio Andreotti herausgegebenen Zeitschrift 30Tage in Kirche und Welt.22 Andreotti begrüßte den Gast mit den Wor22
Vgl. Die Die Vorstellung des Buches von 30Tage.
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ten: »Ich glaube jedenfalls, daß es uns allen gut tut, wenn wir uns eine Weile mit Augustinus befassen. Eminenz, ich spreche Ihnen noch einmal aus ganzem Herzen meinen Dank aus, daß Sie sich bereit erklärt haben, diese unsere Veröffentlichung vorzustellen«. Der Kardinal leitete seine glänzende Rede mit der Entschuldigung ein, er sei wegen seiner zahlreichen Verpflichtungen »für eine wirkliche Buchvorstellung nicht genügend vorbereitet«. Dann aber fuhr er begeistert und begeisternd fort: »Trotzdem wollte ich die Einladung annehmen, weil ich den heiligen Augustinus sehr verehre und bewundere. Zudem freue ich mich sehr, daß ein Nachrichtenmagazin wie 30Tage einem großen Publikum diese Gestalt in einem Dialog mit unserer Zeit monatelang vorgestellt hat. Dieser Dialog macht die Tiefe und Aktualität seines Denkens deutlich, und die Tatsache, daß der heilige Augustinus in der heutigen Zeit unseren Fragen unterzogen wird, ist für mich ein Grund zur Freude. […] Als ich vor fünfzig Jahren begann, mich mit Augustinus zu befassen, erkannte ich ihn praktisch sofort als meinen Zeitgenossen, als eine Persönlichkeit, die nicht von einem Kontext sprach, der sich von dem unseren völlig unterscheidet, sondern, da sie in einem recht ähnlichen Kontext lebte, auf die Probleme, die auch unsere Probleme sind, wenn auch auf ihre Weise, eine Antwort gab«.23 Weil unsere Probleme, was unser Verhältnis zum Evangelium betrifft, immer auch noch dieselben sind, deshalb hört Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. nicht auf, in seinem eigenen Denken uns das Denken Augustins zu empfehlen. In den schon erwähnten Retractationes berichtet der Kirchenvater, etwa um das Jahr 421 habe ein Laie Namens Laurentius ihn um ein Handbuch gebeten, in dem das Wesentliche der Gottesverehrung und der wahren Weisheit dargestellt sei. »Das Buch beginnt: ›Mein lieber Sohn Laurentius! Ich kann nicht sagen, wie sehr ich mich über deine Gelehrsamkeit freue‹« (retr. 2,63). Augustinus gab diesem Handbuch den Titel: De fide, spe et caritate – Glaube, Hoffnung und Liebe. Es dürfte ein pastorales Anliegen von augustinischem Rang sein, wenn Benedikt XVI. in seinen bisher erschienenen beiden Enzykliken uns das Wesen des Christentums über die Liebe und über die Hoffnung zu erschließen versucht. Insider vermuten, die nächste Enzyklika werde den Glauben zum Thema haben.
23
Die Vorstellung des Buches von 30Tage, 29.
Siglenverzeichnis bearbeitet von Theresia Maier
1. Siglen der Werke Augustins Die Siglen der Werke Augustins folgen denjenigen des CAG (Corpus Augustinianum Gissense a C. Mayer editum (CD-ROM). Würzburg 22003). Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde ›u‹ in ›v‹ abgeändert, wo es dem deutschen ›v‹ entspricht. Acad. beata v. c. ep. Man. civ. conf. div. qu. doctr. chr. en. Ps. ench. ep. Gn. litt. Gn. adv. Man. gr. et lib. arb. Io. ev. tr. c. Iul. lib. arb. mend. nat. et gr. pecc. mer. persev. praed. sanct. retr. s. Simpl. sol. spir. et litt. trin. vera rel. util. cred.
De Academicis libri tres De beata vita liber unus Contra epistulam Manichaei quam vocant fundamenti liber unus De civitate dei libri viginti duo Confessionum libri tredecim De diversis quaestionibus octoginta tribus liber unus De doctrina christiana libri quattuor Enarrationes in Psalmos De fide spe et caritate liber unus Epistulae De Genesi ad litteram libri duodecim De Genesi adversus Manicheos libri duo De gratia et libero arbitrio liber unus In Iohannis evangelium tractatus CXXIV Contra Iulianum libri sex De libero arbitrio libri tres De mendacio liber unus De natura et gratia liber unus De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum ad Marcellinum libri tres De dono perseverantiae liber ad Prosperum et Hilarium secundus De praedestinatione sanctorum liber ad Prosperum et Hilarium primus Retractationum libri duo Sermones Ad Simplicianum libri duo Soliloquiorum libri duo De spiritu et littera ad Marcellinum liber unus De trinitate libri quindecim De vera religione liber unus De utilitate credendi liber unus
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2. Weitere Siglen a) Zeitschriften, Serien, Quellenwerke A
AA
AL AM AT CCL D I–XVI GA GBr. GP
HN I–V HWP KA KS KSA
KSB
OC.LG
›Akademie-Ausgabe‹. Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Früher Darmstadt, später Leipzig, zuletzt Berlin: Akademie-Verlag 1923 ff. [römische Ziffer für die Reihe, arabische Ziffer für den Band]. ›Akademie-Ausgabe‹. Immanuel Kant: Gesammelte Schriften. Hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (Band 1–22); v. der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Band 23); v. der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (ab Band 24); Berlin: de Gruyter 1902 ff. Augustinus-Lexikon. Hg. v. Cornelius Mayer. Basel 1986 ff. René Descartes: Correspondance. 8 vol. Ed. par Charles Adam et Gerard Milhaud. Paris: PUF 1947. René Descartes: Œuvres de Descartes. 11 vol. Ed. par Charles Adam et Paul Tannery. Paris: Cerf 1897–1913 [Neuaufl. Paris 1964–1967]. Corpus Christianorum seu nova Patrum collectio ser. Latina. Turnhout: Brepols 1953 ff. Arthur Schopenhauer: Sämtliche Werke. 16 Bde. Ed. Paul Deussen. München: Piper 1911 ff. Martin Heidegger: Gesamtausgabe. Frankfurt: Klostermann 1975 ff. Arthur Schopenhauer: Gesammelte Briefe. Hg. v. Arthur Hübscher. Bonn: Bouvier 21987. Gottfried Wilhelm Leibniz: Die philosophischen Schriften. Bd. 1–7. Hg. v. Carl Immanuel Gerhardt. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1875–1890 [Neudr. Hildesheim: Olms 1960–1961]. Arthur Schopenhauer: Der Handschriftliche Nachlaß. 5 Bde. Hg. v. Arthur Hübscher. München: dtv 1985. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel 1971 ff. Rainer Maria Rilke: Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Hg. v. Manfred Engel u. Ulrich Fülleborn. Frankfurt a. M.: Insel 1996. Kant-Studien. Philosophische Zeitschrift der Kant-Gesellschaft. Berlin 1897 ff. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. München: dtv; Berlin u. a.: de Gruyter 1980. Friedrich Nietzsche: Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. München: dtv; Berlin u. a.: de Gruyter 1986. Blaise Pascal: Œuvres complètes. 2 Bde. Éd. Michel Le Guern. Bibliothèque de la Pleiade. Paris: Gallimard 1998.
siglenverzeichnis
OC.M OC.L PK PKS PL SW Vorl. I–IV VT
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Blaise Pascal: Œuvres complètes. Éd Jean Mesnard. Paris: Desclée de Brouwer 1964 ff. Blaise Pascal: Œuvres complètes. Éd. Louis Lafuma. Paris: Seuil 1963. Pascal im Kontext. Literatur im Kontext auf CD-ROM. Berlin: Worm 2003. Blaise Pascal: Kleine Schriften zur Religion und Philosophie. Hg. v. Albert Raffelt. Übers. v. Ulrich Kunzmann. Hamburg: Meiner 2005. Patrologia latina. Hg. v. Jacques Paul Migne. Paris 1841–1864 [Neudr. Turnhout: Brepols]. Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Hg. v. Ernst Zinn. Frankfurt a. M.: Insel 1975 ff. Arthur Schopenhauer: Philosophische Vorlesungen. 4 Bde. Hg. v. Volker Spierling. München: Piper 1984–1986. René Virgoulay, Claude Troisfonataines (Hg.): Maurice Blondel. Bibliographique Analytique et Critique. 2 Bde. Louvain 1975 f.
b) Abkürzungen von in den Beiträgen zitierten Quellen A AuN AZ BDG ChM D DSMR DSW E EC EE EGA EM Essai FEMW GwS HD IM JGP
L’Action. Essai d’une critique de la vie et d’une science de la pratique (Maurice Blondel) Augustinus und der Neuplatonismus (Martin Heidegger) Was ist Zeit? Confessiones XI / Bekenntnisse 11 (Augustinus) Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (Immanuel Kant) Die christliche Moral als Lehre von der Verwirklichung des göttlichen Reiches in der Menschheit (Johann Baptist Hirscher) Dialogues avec les philosophes. Descartes, Spinoza, Malebranche, Pascal, Saint Augustin (Maurice Blondel) Les deux sources de la morale et de la religion (Henri Bergson) Denken und schöpferisches Werden (Henri Bergson) Die beiden Grundprobleme der Ethik (Arthur Schopenhauer) Evolution créatrice (Henri Bergson) Philosophie II. Existenzerhellung (Karl Jaspers) Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins (Volker Henning Drecoll) Einführung in die Metaphysik (Henri Bergson) Essai sur les données immédiates de la conscience (Henri Bergson) Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (Max Scheler) Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (Immanuel Kant) Geschichte und Dogma (Maurice Blondel) Introduction à la métaphysique (Henri Bergson) Die großen Philosophen (Karl Jaspers)
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KMR KpV KrV KU Laf. LdS LN MAA Med. MpVT MST N OP P I/II P PM PR Prol RGV SE SF SwL Tusculum UDG W I/II WuM ZeF ZF ZQMR
Kants Metaphysik und Religionsphilosophie (Norbert Fischer) Kritik der praktischen Vernunft (Immanuel Kant) Kritik der reinenVernunft (Immanuel Kant) Kritik der Urteilskraft (Immanuel Kant) Fragmente der Pensées. Zitiert nach den Editionen Lafumas (Blaise Pascal) Logik des Schreckens (Kurt Flasch) Legitimität der Neuzeit (Hans Blumenberg) Metaphysik aus dem Anspruch des Anderen. Kant und Levinas (Norbert Fischer; Dieter Hattrup) Meditationes de Prima Philosophia (René Descartes) Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee (Immanuel Kant) Metaphysik der Sitten. Anfangsgründe der Tugendlehre (Immanuel Kant) Ueber den Willen in der Natur (Arthur Schopenhauer) Opus postumum (Immanuel Kant) Parerga und Paralipomena (Arthur Schopenhauer) La Pensée (Maurice Blondel) La Pensée et le mouvant. Essais et conférences (Henri Bergson) Le possible et le réel (Henri Bergson) Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (Immanuel Kant) Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (Immanuel Kant) Schöpferische Entwicklung (Henri Bergson) Der Streit der Fakultäten (Immanuel Kant) Suche nach dem wahren Leben. Confessiones X / Bekenntnisse 10 (Augustinus) Aurelius Augustinus: Confessiones / Bekenntnisse. Lat./dt. Übers. v. Wilhelm Thimme. Düsseldorf u. a.: Artemis &Winkler 2004 (Reihe Tusculum). Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (Immanuel Kant) Die Welt als Wille und Vorstellung (Arthur Schopenhauer) Wahrheit und Methode (Hans-Georg Gadamer) Zum ewigen Frieden (Immanuel Kant) Zeit und Freiheit (Henri Bergson) Zwei Quellen der Moral und Religion (Henri Bergson)
Quellen- und Literaturverzeichnis bearbeitet von Theresia Maier
Abkürzungen, die nicht oben angeführt sind, richten sich nach dem Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Walter Kasper u. a. Freiburg u. a.: Herder 31993 ff.
1. Werkausgaben und Übersetzungen der Schriften Augustins a) Gesamtausgabe Corpus Augustinianum Gissense a C. Mayer editum (CD-ROM). Würzburg 22003. b) Gesamt- und Teilausgaben der Confessiones NEANDER , August: Sancti Augustini Confessionum libri tredecim denuo typis exscripti ad edit. Benedict. Berlin: Duemmler 1823. AURELIUS AUGUSTINUS : Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übers. v. Adolf Gröninger. Münster: Theissing 1859. VERHEIJEN, Lucas: Sancti Augustini Confessionum Libri XIII (CCL 27). Turnhout: Brepols 1981. Bekenntnisse. Mit einer Einl. v. Kurt Flasch, übers., mit Anmerkungen versehen u. hg. v. Kurt Flasch u. Burkhard Mojsisch. Stuttgart: Reclam 1989. Bekenntnisse. Lat./dt. Eingel., übers. u. erl. v. Joseph Bernhart, Vorwort v. Ernst Ludwig Grasmück. Frankfurt: Insel 1992. Confessiones / Bekenntnisse. Lat./dt. Übers. v. Wilhelm Thimme. Einf. v. Norbert Fischer. Düsseldorf u. a.: Artemis & Winkler 2004 (Reihe Tusculum). Confessions. Éd. prés. par Philippe Sellier. Trad. d’Arnauld d’Andilly. Paris: Gallimard 2007. Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus. Buch I–X. Hg. v. Georg Freiherrn von Hertling. Freiburg i.Br.: Herder 8–101916. Suche nach dem wahren Leben. Confessiones X / Bekenntnisse 10. Lat./dt. Eingel., übers. u. mit Anmerkungen versehen v. Norbert Fischer. Hamburg: Meiner 2006. FLASCH , Kurt: Was ist Zeit? Augustinus von Hippo. Das XI. Buch der Confessiones. Historisch-philosophische Studie. Text – Übersetzung – Kommentar. Frankfurt a. M.: Klostermann 1993 (22004). Was ist Zeit? Confessiones XI / Bekenntnisse 11. Lat./dt. Eingel., übers. u. mit Anmerkungen versehen v. Norbert Fischer. Hamburg: Meiner 2000. c) Weitere Werke Augustins Vom Gottesstaat. Hg. u. eingel. v. Carl Andresen, übers. v. Wilhelm Thimme, München: dtv 2007. MARTIN, Ioseph: Sancti Aurelii Augustini De doctrina christiana (CCL 32; Aurelii Augustini Opera IV,1). Turnhout: Brepols 1962, 1–167.
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AURELIUS AUGUSTINUS : Die christliche Bildung / De doctrina christiana. Übers., Anm. u.
Nachwort v. Karla Pollmann. Stuttgart: Reclam 2002. AUGUSTINUS / HIERONYMUS : Epistulae mutatae – Briefwechsel. Übers. u. eingel. v. Alfons Fürst. Turnhout: Brepols 2002. WILLEMS , Radbodus: Sancti Aurelii Augustini in Iohannis evangelium tractatus CXXIV (CCL 36). Turnhout: Brepols 1954. Über die Dreieinigkeit. Übers. v. Michael Schmaus. München: Kösel 1935 (Die Hauptwerke des Aurelius Augustinus Bd. XII). MOUTAIN, Wilhelm J: Sancti Aurelii Augustini De Trinitate libri XV (CCL 50 u. 50A). Turnhout: Brepols 1968. An Simplicianus zwei Bücher über verschiedene Fragen. In: Schriften gegen die Pelagianer. Prolegomena. Band III. Eingel., übertragen u. erl. v. Thomas Gerhard Ring. Würzburg: Augustinus-Verlag 1991. Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo. De diversis quaestionibus an Simplicianum I 2. Deutsche Erstübersetzung v. Walter Schäfer. Lat./dt. Hg. u. erklärt v. Kurt Flasch. Zweite, verb. Aufl. Mainz: Dieterich 1995 (11990). Ueber den Grund und Nutzen des christlichen Glaubens. Zwey Bücher vom heiligen Augustinus. Uebersetzt u. mit Einleitungen begleitet v. Joseph Widmer. Ury: Z’graggen 1824.
2. Quellen bzw. Werke der in den Beiträgen untersuchten Autoren La Bible. Traduction de Louis-Isaac Lemaitre de Sacy. Préf. et textes d’introd. établ. par Philippe Sellier. Paris: Laffont 1990. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-lutherischen Kirche. Hg. im Gedankjahr der Augsburgischen Konfession 1930. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 71976. BENEDIKT XVI.: Enzyklika Deus caritas est. Hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2006. BERGSON, Henri: Schöpferische Entwicklung. Übers. v. Gertrud Kantorowicz. Jena: Diederichs 1912. – : Die beiden Quellen der Moral und der Religion. Übers. v. Eugen Lerch. Olten. Freiburg i. Br.: Walter 1980 (zuerst Jena: Diederichs 1933). – : L’évolution créatrice. Paris: PUF Quadrige 1983. – : Les deux sources de la morale et de la religion. Paris: PUF Quadrige 1984. – : Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge. Mit einem Nachwort v. Konstantinos P. Romanòs. Übers. v. Leonore Kottje. Mit einer Einführung hg. v. Friedrich Kottje. Frankfurt a. M.: Syndikat 1985 (zuerst Meisenheim am Glan: Hain 1948). – : Essai sur les données immédiates de la conscience. Paris: PUF Quadrige 1985. – : Matière et mémoire. Paris: PUF Quadrige 1985. – : La pensée et le mouvant. Paris: PUF Quadrige 1985. – : Zeit und Freiheit. Mit einem Nachwort v. Konstantinos P. Romanòs. Frankfurt a. M.: Athenäum 1989 (zuerst: Zeit und Freiheit. Eine Abhandlung über die unmittelbaren Bewusstseinstatsachen. Übers. v. Paul Fohr. Jena: Diederichs 1911). – : Cours I. Leçons de psychologie et de métaphysique. Clermont-Ferrand, 1887–1888. Éd. par
quellen- und literaturverzeichnis
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Henri Hude avec la collaboration de Jean-Louis Dumas. Avant-Propos par Henri Gouhier. Paris: PUF Épiméthée 1990. – : Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist. Mit einer Einl. v. Erik Oger. Übers. v. Julius Frankenberger. Hamburg: Meiner 1991 (zuerst Jena: Diedrichs 1919). – : Œuvres (›Édition du centenaire‹). Textes annotés par André Robinet. Introduction par Henri Gouhier. Paris: PUF 51991 (11959). – : Cours II. Leçons d’esthétique à Clermont-Ferrand. Leçons de morale, psychologie et métaphysique au Lycée Henri-IV. Éd. par Henri Hude avec la collaboration de Jean-Louis Dumas. Paris: PUF Épiméthée 1992. – : Leçons Clermontoises I. Texte établi, présenté et annoté par Renzo Ragghianti. Paris: L’Harmattan 2003. – : Leçons Clermontoises II. Texte établi, présenté et annoté par Renzo Ragghianti. Paris: L’Harmattan 2006. BLONDEL , Maurice: Le point de départ de la recherche philosophique. In: Annales de Philosophie Chrétienne 151, 1906, 337–360 u. 152, 1906, 225–249. – : L’Action I. Le problème des causes secondes et le pur agir. Paris: Alcan 1936. – : Vues concordantes et complémentaires: à propos de l’article de M.A. Forest. In: RThom 42, 1937, 273–283. – : La philosophie et l’esprit chrétien. 2 Bde. Paris: Presses Univ. de France. 1946–1950. – : Les premiers écrits de Maurice Blondel. Paris: PUF 1956. – : Principe élémentaire d’une logique de la vie morale. In: Les Premiers Ecrits de Maurice Blondel. Paris: PUF 1956, 123–147. BLONDEL , Maurice / VALENSIN, Auguste: Correspondance (1899–1912). 2 Bde. Texte annoté par Henri de Lubac. Paris: Aubier 1957. BLONDEL , Maurice: Carnets intimes (1883–1894). Paris: Cerf 1961. – : Geschichte und Dogma. Übers. v. Antonia Schlette. Mainz: Matthias Grünewald 1963. – : Œuvres complètes II. Mainz: Matthias Grünewald 1963. – : Tagebuch vor Gott 1883–1994. Übers. v. Hans Urs von Balthasar. Eingel. v. Peter Henrici. Einsiedeln: Johannes 1964. – : Die Aktion (1893). Versuch einer Kritik des Lebens und einer Wissenschaft der Praktik. Übers. v. Robert Scherer. Freiburg: Herder 1965. – : Jansénisme et antijansénisme de Pascal. In: Dialogues avec les philosophes. Paris: Aubier 1966, 91–128. – : Dialogues avec les philosophes. Descartes, Spinoza, Malebranche, Pascal, Saint Augustin. Paris: Aubier 1966. – : L’Action. Essai d’une critique de la vie et d’une science de la pratique. Paris: PUF 31973 (11893). – : Der Ausgangspunkt des Philosophierens. Hg. v. Albert Raffelt. Hamburg: Meiner 1992. – : Notes philosophiques. Version électronique v. Albert Raffelt. Hg. v. Peter Henrici (Digitale Ausgabe: www.ub.uni-freiburg.de/referate702/blondel/notes/not-ser0.pdf). DANNENMAYER , Matthias: Institutiones historiae ecclesiasticae. Wien: Graeffer 1788. – : Leitfaden in der Kirchengeschichte. Vierter und letzter Theil ( = V. Periode. Von Luther bis auf unsere Zeiten 1517–1787). Wien: von Trattner 1790.
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DERRIDA , Jacques: Edmond Jabès und die Frage nach dem Buch. In: Die Schrift und die
Differenz. Übers. v. Rodolphe Gasché, Ulrich Köppen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976, 102–120. – : Gewalt und Metaphysik. Essay über das Denken Emmanuel Levinas’. In: Die Schrift und die Differenz. Übers. v. Rodolphe Gasché, Ulrich Köppen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1976, 121–235. – : Grammatologie. Übers. v. Hans-Jörg Rheinberger, Hanns Zischler. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983. – : Wie nicht sprechen. Verneinungen. Übers. v. Hans-Dieter Gondek. Wien: Passagen 1989. DERRIDA , Jacques / BENNINGTON, Geoffrey: Jacques Derrida par Bennington Geoffrey et Derrida Jacques (Les Contemporains 11). Paris: Seuil 1991. DERRIDA , Jacques: Circumfession. In: Jacques Derrida par Bennington Geoffrey et Derrida Jacques. Paris: Seuil 1991, 7–291. DERRIDA , Jacques / BENNINGTON, Geoffrey: Jacques Derrida. Ein Portrait von Geoffrey Bennington und Jacques Derrida. Übers. v. Stefan Lorenzer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994. DERRIDA , Jacques: Zirkumfession. In: Jacques Derrida. Ein Portrait von Geoffrey Bennington und Jacques Derrida. Übers. v. Stefan Lorenzer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1994, 11–323. – : Außer dem Namen (Post-Scriptum). In: Über den Namen. Drei Essays. Übers. v. Markus Sedlaczek. Wien: Passagen 2000, 63–121. – : Die Stimme und das Phänomen. Einführung in das Problem des Zeichens in der Phänomenologie Husserls. Übers. v. Hans-Dieter Gondek. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2003. – : Composing ›Circumfession‹. In: John D. Caputo, Michael J. Scanlon (Hg.): Augustine and Postmodernism. Confessions and Circumfession. Bloomington u. a.: Indiana UP 2005, 19–27. – : Derrida’s response to Catherine Malabou. In: John D. Caputo, Michael J. Scanlon (Hg.): Augustine and Postmodernism. Confessions and Circumfession. Bloomington u. a.: Indiana UP 2005, 138–142. DESCARTES , René: Œuvres de Descartes. 11 vol. Ed. par Charles Adam et Paul Tannery. Paris: Cerf 1897–1913 [Neuaufl. Paris 1964–1967]. – : Correspondance. 8 vol. Ed. par Charles Adam et Gerard Milhaud. Paris: PUF 1947. – : Briefe. Hg. v. Max. Bense. Köln: Staufen 1949. – : Philosophical Letters. Tr. and ed. by Anthony Kenny. Oxford: Univ. Press 1970. – : Meditationen. Mit sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Hg. v. Artur Buchenau. Hamburg: Meiner 1972. – : Meditationes de Prima Philosophia / Meditationen über die Erste Philosophie. Hg. v. Gerhart Schmidt. Stuttgart: Reclam 2001. ERASMUS VON ROTTERDAM : Ausgewählte Schriften. 8 Bde. Lat./dt. Hg., eingel. u. mit Anm. versehen v. Winfried Lesowsky. Bd. 4: De libero arbitrio διατριβή sive collatio. Gespräch oder Unterredung über den freien Willen / Hyperaspistes diatribae adversus servum arbitrium Martini Lutheri. Liber primus. Erstes Buch der Unterredung ›Hyperaspistes‹ gegen den ›Unfreien Willen‹ Martin Luthers. Darmstadt: WBG 1969. GEERLINGS , Wilhelm (Hg.): Possidius. Vita Augustini. Paderborn: Schöningh 2002.
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HARNACK , Adolf von: Lehrbuch der Dogmengeschichte III. Freiburg i.Br.: Mohr 11890 (41910) [Neudr. Darmstadt: WBG 1983]. – : Rez. zu: Hermann Reuter: Augustinische Studien. In: Theologische Literaturzeitung 12,
1887, 350–355. – : Augustins Confessionen. Gießen: Toepelmann 1888. – : Augustins Konfessionen. In: Reden und Aufsätze Bd. I. Gießen: Toepelmann 1906, 49–79. – : Die Bedeutung der Reformation innerhalb der allgemeinen Religionsgeschichte. In: Reden und Aufsätze Bd. II. Gießen: Toepelmann 1906, 295–326. – : Die Höhepunkte in Augustins Konfessionen. In: Aus der Friedens- und Kriegsarbeit. Reden und Aufsätze Neue Folge Bd. III. Gießen: Toepelmann 1916, 67–99. – : Augustin – Reflexionen und Maximen. Tübingen: Mohr Siebeck 1922. – : Die Reformation und ihre Voraussetzung. In: Erforschtes und Erlebtes. Reden und Aufsätze Neue Folge Bd. IV. Gießen: Toepelmann 1923, 72–140. – : Aus der Werkstatt des Vollendeten. Hg. v. Axel von Harnack. Gießen: Toepelmann 1930. – : Das Wesen des Christentums. Hg. v. Claus-Dieter Osthövener. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. HARTMANN, Nicolai: Ethik (1925). Berlin: de Gruyter 41962. HEIDEGGER , Martin: Des hl. Augustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones lib. XI. (Manuskript des Vortrags vom 26. Oktober 1930 in der Erzabtei St. Martin in Beuron, zitiert nach einer Fotokopie des Originals aus dem Besitz der Erzabtei St. Martin in Beuron – Veröffentlichung vorgesehen in GA 80). – : Sein und Zeit (GA 2). Hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a. M.: Klostermann 1977. – : Sein und Zeit. Tübingen: Niemeyer 161986. – : Nietzsche. Pfullingen: Neske 1989. – : Kant und das Problem der Metaphysik (1929) (GA 3). Hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a. M.: Klostermann 1991. – : Augustinus und der Neuplatonismus (Vorlesung Freiburg Sommersemester 1921). In: Phänomenologie des religiösen Lebens (GA 60). Hg. v. Claudius Strube. Frankfurt a. M.: Klostermann 1995, 157–299. – : Anmerkungen zu K. Jaspers ›Philosophie der Weltanschauungen‹. In: Wegmarken. (GA 9). Hg. v. Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Frankfurt a. M.: Klostermann 1996, 1–44. – : Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie (GA 18). Hg. v. Mark Michalski. Frankfurt a. M.: Klostermann 2002. HIRSCHER , Johann B.: Ueber die Pflicht des Seelsorgers, Glauben zu predigen. In: ThQ 2, 1820, 195–235. – : Über das Verhältniß des Evangeliums zu der theologischen Scholastik der neuesten Zeit im katholischen Deutschland. Zugleich ein Beitrag zur Katechetik. Tübingen: Laupp 1823. – : Die christliche Moral als Lehre von der Verwirklichung des göttlichen Reiches in der Menschheit. Bde. I–III. Tübingen u. a.: Laupp 1845. HOLL , Karl: Augustins innere Entwicklung. Berlin: de Gruyter 1923 – : Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Bd. I: Luther. Tübingen: Mohr Siebeck 1921. – : Urchristentum und Religionsgeschichte. In: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Bd. II: Der Osten. Tübingen: Mohr Siebeck 1928, 1–32.
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– : Reformation und Urchristentum. In: Kleine Schriften. Hg. v. Robert Stupperich. Tübingen:
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Namenregister
Abercrombie, Nigel 26 Abraham 311 Adam 10, 73 f., 76, 117, 175, 286 Adam, Karl 310 Agobard 166 Alcoforado, Marianna 229 Alexius (Hl.) 241 Alici, Luigi 20, 292 Ambrosius 132, 142, 157, 171, 188, 318 Andreas-Salomé, Lou 238, 243, 247 Andreotti, Giulio 319 Aner, Karl 147 Anna (Hl.) 168, 242 Anscombe, Elizabeth 27 Anselm von Canterbury 130 f., 139, 141, 143, 198 Antonius 241, 244 Apulejus 62 Aquitanicus 57 Archambault, Paul 217 Arcuno, Olga 211 Arendt, Hannah 20, 266 Aristoteles 6, 27, 45, 80, 97, 143, 205, 215, 263, 282–284 Arkesilaos 27, 30 f. Arnauld, Antoine 26, 42, 70, 79, 80, 85 Arnauld d’Andilly, Robert 50–53, 56 Arnold, Gottfried 129 Assel, Heinrich 186 Athanasius d. Gr. 139 Attali, Jacques 45 Avicenna 144 Bader, Günter 298
Bähr, Carl 111 Balthasar, Hans Urs von 20, 223 Barth, Karl 181 Bartholomäus des Bosses 80 Baruzi, Jean 64 Baruzzi, Arno 102 Basilius von Cäsarea 73, 142 Basse, Michael 148 Baur, Ferdinand Christian 161 Beausobre, Isaac de 87 Beck, Leslie J. 37 Béguin, Albert 198 Bello, Angela Ales 20 Bennington, Geoff rey 295 f., 300 f. Benrath, Gustav Adolf 129 Bergson, Henri 16, 20, 197–210, 212 Bernet, Rudolf 254 f. Bernhard von Clairveaux 215 Bernhard, Joseph 237, 254 Berthold, Friedrich August 150 Bertram, Georg W. 306 Beth, Evert W. 37 Beurrier, Pierre 50, 57 Beyschlag, Karlmann 147, 154 Blanchet, Léon 26 f. Bloch, Ernst 20 Blondel, Maurice 16 f., 20, 56, 198, 211–227 Blumenberg, Hans 6, 9–11, 240 Bochet, Isabelle 20, 282, 292 Boella, Laura 20
Boethius 62 Böhmer, G. W. 62 Boissier, Gaston 272 Bonaventura, Johannes 310 Borghesi, Massimo 20 Borsche, Tilman 7 Bossuet, Jacques-Bénigne (Bischof) 61, 72 Boutroux, Émile 212, 215 Brachtendorf, Johannes 36, 39 f. Brecht, Franz Josef 236 Breger, Herbert 59 Brieger, Theodor 154 Bruckmann, Florian 19, 297 f. Bubner, Rüdiger 27 Bucer, Martin 66 Buddha 113, 124, 271 Burnaby, John 21 Burnyeat, Myles 28, 32 Byong-Ock, Kim 231, 237 Calixt, Georg 65 Camus, Albert 20 Capánaga, Victorino 272 Capograssi, Giuseppe 20 Cappelletti, Lorenzo 318 Capps, Donald 292 Caputo, John D. 301 f. Carnap, Rudolf 34 Carraud, Vincent 57 Cäsar, Gajus Julius 8 Cassander, G. 63 Cattaui, Georges 198 Celano, Thomas von 245 Chaix-Ruy, Jules 214 f. Chapelle de la Pachevie, Pierre 20
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anhang
Chaussy, Yves 128 Chevalier, Jacques 198 Cicero, Marcus Tullius 21, 27–32, 60, 188, 273 Cid, Adriana 230 Ciglia, Francesco Maria 20 Claudius von Turin 166 Clemens (Klemens) von Alexandrien 130, 135, 139, 142 f. Collenbusch, Samuel 96 Colvius, Andreas 25 f., 38 Compte, Auguste 212 Comunale, Maria Pia 318 Cook, Daniel J. 69 Cornelissen, Rob. J. F. 139 Corti, Agustín 18, 268, 275, 277 Coste, Pierre 67 f. Courcelle, Pierre 54 Cousin, Victor 212 Cunico, Gerardo 20 Cusanus (s. Nikolaus von Kues) 305 Cyprian von Kathago (Bischof) 139 f., 155, 170, 180, 311 Dagens, Jean 48 Daillé, Jean 63 Dannenmayer, Matthias 127, 129, 131 f. Dassmann, Ernst 236 Delahaye, Karl 89 Delbos, Victor 212 Delekat, Friedrich 89, 91, 96 f. Demokrit 27 Demopheles 112 f. Denis, Robert 249 Derrida, Jacques 293–303, 305–307 Descartes, René 4, 6, 13, 15,
25–29, 32, 34, 36–44, 57, 65, 82 f., 86, 90, 198, 205, 211, 221 Desing, Anselm OSB 128 Dessì, Giovanni 20 Devillairs, Laurence 6 Diestel, Ludwig 154 Dieterle, Bernard 230 Dilthey, Wilhelm 265 f., 272 Dionysius Pseudo-Areopagita 152, 156 Dodaro, Robert 295, 297, 300 Dolbeau, François 1 Doull, Floy Andrews 60 Drecoll, Volker Henning 5, 11, 106, 109, 147, 236 Dreyfus, Ginette 37 Ebbinghaus, Julius 37 Ehni, Hans-Jörg 288, 291 Ehrlich, Leonard 278 Eisenkopf, Paul 65 Engel, Manfred 229 Epiktet 47 Erasmus von Rotterdam 66, 185, 291 Erdmann, Ilse 251 Ernst von Hessen-Rheinfels 72, 74 Esposito, Costantino 20 Eusebius von Caesarea 318
109 f., 204, 229 f., 236, 254, 262, 272, 283 Flasch, Kurt 6, 11–13, 36, 89, 92, 106, 109, 198 f., 231 Fonseca, Pedro de 80 Fontaine, Nicolas 47 Forest, Aimé 214–217, 223 Forrer, Anita 240 f. Forster, Frobenius OSB 128 Frank, Manfred 306 f. Franz von Assisi (hl. Franziskus) 18, 237, 241, 245 Franz, Albert 142, 144 Frauenstädt, Julius 122 Freedman, Ralph 229 Frei, Charlotte 229 Fritz, Gottlieb 233 Fuhrer, Therese 34 Fulgentius Ruspensis 57
Gadamer, Hans Georg 2, 20, 109, 266 Gagarine, Mime 233, 252 Galilei, Galileo 72, 205 Galli, Giuseppe 20 Galli, Benedictini 63 Gatti, Roberto 20 Gebhardt, Carl 115–118, 121 f. Genghini, Nevio 20 George, Stefan 198, 229 Gerberon, Gabriel 80 Gerbert, Martin OSB 128 Feldmann, Erich 238 Gilson, Stefan (Étienne) 26, Ferreiro-Alemparte, Jaime 213, 220 230, 233 Goeters, Johann Friedrich Ferretti, Silvia 20 Gerhard 129 Ferretti, Giovanni 20 Goethe, Johann Wolfgang Ferreyrolles, Gérard 48 von 173 Fichant, Michel 69, 80, Görner, Rüdiger 230 82–84 Gouhier, Henri 26, 40, 47, 50, Fichte, Johann Gottlieb 44 198, 214 Fischer, Norbert 1, 3, 5 f., 12 f., Graevius, J.G. 63 15, 22 f., 51 f., 70, 77, 82, 84, Graf, Friedrich Wilhelm 148 89, 90 f., 94–99, 101–103, 107, Grätzel, Stephan 219
namenregister
Gregor d. Große (Papst) 133 Gregor VII. (Papst) 151, 159 Gregor von Nazianz 135, 139, 142 Gröner, Maria 119 Gröninger, Adolf 233 Guardini, Romano 20 Gueroult, Martial 37 Guhrauer, Gottschalk E. 60 Guitton, Jean 20, 198 f., 209 Gunkel, Andreas 100 Gutschera, Herbert 129 f.
Hieronymus (St. Jérôme) 61, 132, 139, 233, 252 Hildebrand, Eugen 111 Hintikka, Jaakko 37 Hirsch, Emanuel 147, 169, 186 Hirscher, Johann Baptist 16, 127, 135–138, 142, 145 Höffe, Otfried 90 Hofmann, Fritz 310 Hofmann, Michael 140 Hofmannsthal, Hugo von 229 Haag, Herbert 315 Holl, Karl 16, 147, 169, Haas, Stefanie 282 186–195 Hardt, Hermann von der 69 Hooff, Anton van 211 Harnack, Adolf von 16, Horaček, Franz 231 f., 249 147 f., 161–174, 176–179, 181 f., Horkheimer, Max 111 184–189, 191, 194, 272 Horn, Christoph 27, 29, 36, Hartmann, Nicolai 22 39 f., 100 Hattingberg, Magda von 232, Hornig, Johannes 234 236, 251 Hübscher, Arthur 111, 115 f., Hattrup, Dieter 3, 90, 243 119, 121 Haug, Eugen 127 Hugon, Joseph 59 Havet, Ernest 52 Hume, David 91 Hecht, Hartmut 85 Husserl, Edmund 18, 20, 44, Hegel, Georg Wilhelm Fried253–256, 262 f., 266, 282 f., rich 44, 112, 143–145, 212 287, 306 Heidegger, Martin 12 f., 18, 20, 22, 36, 45, 53, 55, 95, 97, Irrlitz, Gerd 98 107, 203, 253 f., 260–264, Iserloh, Erwin 168 266, 275, 282 f. Ivánka, Endre von 23, 90 Heilingsetzer, Georg 128 Hennebert, Marthe 251 Jabès, Edmond 298 Henrici, Peter 213, 224 Jankélévitch, Vladimir 198 Hepner, Lotte 248 Jansenius, Cornelius 49, 54, Herodot 60 57, 140 Herrmann, Friedrich-WilJansohn, Heinz 95 helm von 18, 253 f., 260, Jaspers, Karl 18–20, 265–280 262, 277 Jauß, Hans Robert 293 Herrmann, Wilhelm 184 Jesus von Nazareth (Jesus Hertling, Georg Graf von Christus) 55, 112, 145, 152, 232, 239, 250 165 f., 168, 179, 182, 194, 245, Heussi, Karl 129 271, 304
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355
Johann Friedrich von Hannover, Herzog 62 Johannes Chrysostomus 139, 233, 252 Johannes Duns Scotus 4 Johannes Scotus Erigena (Eriugena) 142 f., 145 Johannes von Damaskus (Johannes Damascenus) 135 f. Johannes XXIII. (Papst) 310, 314 Jonas, Hans 20 Joseph II. (Kaiser) 128 Julian von Aeclanum 4 Jung, Carl Gustav 20 Justin 63, 130 Kamlah, Wilhelm 313 Kant, Immanuel 6, 10, 13, 15, 33 f., 44, 59, 67, 89–110, 144, 256, 263, 271 f., 282–284, 288 f., 290 Kappus, Franz Xaver 232 Karl d. Gr. (Kaiser) 133 Karl VI. (König) 244 Karneades 27, 30, 33 f. Kassner, Rudolf 233, 249 Kattenbusch, Ferdinand 16, 47, 49. 152 f., 160, 194 Kenny, Anthony 37 Kepler, Johannes 205 Keppler, Stefan 231 Kienzler, Klaus 239 Kippenberg, Anton 237, 239, 243, 249 f., 252 Kirwan, Christopher 26, 29, 34 Klipstein, Editha 251 Klockow, Reinhard 304 f. Klossowski, Balthus 244 Klüpfel, Engelberg 127, 133–135, 140 Knuuttila, Simo 84 Koenig, Hertha 231, 252
356
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anhang
Kołakowski, Leszek 49 Kolbitsch, Reinhart 199, 210 Kolde, Theodor 154 Konfuzius 271 Kopernikus, Nikolaus 72 Köpf, Ulrich 127 Korsch, Dietrich 186 Koßler, Matthias 15, 112, 116, 119 Koster, Mannes Dominikus 317 Kretzmann, Norman 84 Kreuzer, Johann 60, 85 Krüger, Gerhard 89 Kunzmann, Ulrich 45 Laberthonnière, Lucien 20 Lacan, Jacques 20 Lafuma, Louis 45, 292 Lang, Johann 63 Le Maistre de Sacy, Isaac 47 f., 54 Le Guern, Michel 45, 50 Leclercq, Jean 20, 215 LeGall, André 45 Lehmann, Gerhard 91 f. Lehner, Ulrich 104 Leibniz, Gottfried, Wilhelm 10, 14 f., 37, 39, 43, 59–87, 89, 92 f., 143, 147, 205, 213 Lenfant, Jacques 87 Leppmann, Wolfgang 229 Lerinum, Vinzenz von 65 Lesowsky, Winfried 291 Lettieri, Gaetano 49 Levinas, Emmanuel 13, 281 Locke, John 67, 287 Löhrer, Guido 102 Loofs, Friedrich 148 Lortz, Joseph 168 Lösch, Stephan 139 Losito, Giacomo 20 Löwith, Karl 20 Lubac, Henri de 309
Luther, Martin 4 f., 7, 10, 15, 114, 117–120, 159, 162 f., 167– 169, 171, 177, 178 f., 181–187, 194 f., 239, 291 Lyotard, Jean-François 20
Mitford, Marianne 251 Möhler, Johann Adam 16, 127, 131, 135, 138–142, 145 Mojsisch, Burkhard 231 Molina, Luís de 80 Mollowitz, Gerhard 124 Mabillon, Dom Jean OSB Moltmann, Jürgen 20 128 Montaigne, Michel de 14, 47, Macedonius 173 53, 55, 57 Madam de Guyon 7 Mörchen, Hermann 229 Madec, Goulven 13, 214, Moréas, Jean 243 216 f., 220, 221 f., 316 Mounier, Emmanuel 198 Malebranche, Nicolas 85, 215, Mühlen, Karl-Heinz zur 154 226, 258 Mühlenberg, Ekkehard 154 Malter, Rudolf 114, 119 Münchhausen, Thankmar Mannion, Gerard 112 von 232, 251 Marc Aurel 164 Marcion (Markion) 158, 162 Neander, August 138 f., 148, Maritain, Raïssa 198 161 Markie, Peter 37 Newman, John Henry 56 Maron, Gottfried 168 Newton, Isaac 84 Marrou, Henri-Irénée 20 Nicole, Pierre 47 Mattern, Jens 292 Nicoletti, Michele 20 Matthews, Gareth B. 27, Niebuhr, Reinhold 20 36, 60 Nietzsche, Friedrich 6–10, Mauthner, Fritz 111 22, 36, 229, 234, 306 May, Gerhard 169 Nikolaus von Kues (CusaMayer, Cornelius OSA 19, 81, nus) 4, 7, 305 94, 229, 313, 318 Noronha Galvão, Henrique Meister Eckhart 4, 113 de 52 Melanchthon, Philipp 66, Nottmeier, Christian 162 f. 159 Nourrisson, Jean-Félix 59, Melcolm, Norman 43 78, 81 Menn, Stephen 27, 39 Nozick, Robert 44 Merleau-Ponty, Maurice 282 Mersenne, Marin 25 f., 28, 42 O’Daly, Gerard 29 Mesnard, Jean 45, 49 f. O’Donnell, James J. 236, 243, Meyer, Johannes Cyprian 247 f. 154 Ohst, Martin 16, 159 Miano, Francesco 20 Olzien, Otto 230 Miccoli, Paolo 20 Optatus von Mileve 155, 170, Miedaner, Michael 135 311 Minella, Walter 272 Origenes 70, 130, 135, 142 f., Mirbt, Carl 154, 159 156, 163
namenregister
Ortega y Gasset, José 20 Orth, Stefan 292 Osthövener, Claus-Dieter 147, 162 Overbeck, Franz 9 Pambrun, James R. 292 Pascal, Blaise 6, 14, 37–57, 89 f., 211 f., 215, 258, 292 Pascal, Gilberte 45, 47 Pasqua, Hervé 49 Paulus (Apostel) 4, 13, 55 f., 78, 104, 106, 166 f., 191 f., 194 f., 244 Pelagius 5, 148, 159, 171, 176, 220 Pellisson-Fontanier, Paul 63 Perissinotto, Luigi 20 Peroli, Enrico 20 Petavius, Dionysius 139 f. Peter Abaelard 4 Petrarca, Francesco (François Petrarque) 233, 244, 250 Petrosino, Silvano 20 Petrus (Apostel) 73, 75 f. Pflug, Julius 66 Philalethes 112 f. Piccolomini, Remo 20 Pieretti, Antonio 20 Pinsson, F. 63 Pisan, Christine de 244 Platon 2, 7, 10, 23, 27, 30f, 39, 54 f., 66, 90, 109, 205 Plinius 60, 62 Plotin 39 f., 198 f., 273 f. Polany, Michel 20 Pollmann, Karla 20, 268, 277 Possidius 2 Prater, Donald A. 229 Protevi, John 292 Przywara, Erich 20 Pyrrhon 27 Raffelt, Albert 14, 45, 53, 55 Rahner, Karl 49
Ratzinger, Joseph (Papst Benedikt XVI.) 19 f., 296, 316, 304–320 Rauch, Wendelin 133 Rautenstrauch, Franz Stephan 127 f., 133 Ravaisson, Felix 197 Rebours, Antoine 45–47 Reifenberg, Peter 16, 211, 213–215, 219 f., 222 f., 225 f., 292 Reinhardt, Rudolf 140 Renouvier, Charles Bernard 212 Reuschenberg, Johann Sigismund Wilhelm von 72 Reuter, Hermann 16, 149, 154–161, 163, 169, 177 f., 182, 187, 191 f., 194 Ribadeneira, Pedro de 234, 243 Richey, Lance Byron 124 Ricken, Friedo 30 Ricœur, Paul 19 f., 89, 100, 266, 281–292 Rieger, Reinhold 131 Rigby, Paul 292 Rigobello, Armando 20 Riley, Patrick 67, 89 Rilke, Phia 232, 250 Rilke, Rainer Maria 17 f., 23, 229–252 Ring, Gerhard 13 Ripanti, Graziano 20 Ritschl, Albrecht 16, 148–156, 158–161, 163, 179, 181, 184, 186, 194 Ritschl, Otto 149, 154 Rivière, Jean 316 Roannez, Charlotte de 51 Robilliard, Stéphane 20 Rodin, Auguste 232, 237, 249 Rodis-Lewis, Geneviève 37, 292
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357
Rosenzweig, Franz 20 Ruddies, Hartmut 148 Rudolph, Hartmut 6, 14, 65, 69, 71, 89 Sailer, Johann Michael 132, 140 Samuel, Monique 272 Schaber, Johannes OSB 1, 16, 128, 132, 140, 256 Schäfer, Rainer 6, 13 Schäfer, Rolf 149 Schalk, Lili 232 f., 249 Scheler, Max 18, 20, 22, 44, 253 f., 256–260 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 44, 122, 143 Schepers, Heinrich 64, 70, 74, 83 f. Schindler, Alfred 72, 304, 315 Schiwy, Günther 230 Schleiermacher, Friedrich 160 f., 184 Schmaus, Michael 40 Schmidt, Alfred 112 f. Schmidt, Martin 147 Schmitt, Carl 20 Schnack, Ingeborg 232 Scholz, Franz 135 Scholz, Heinrich 36 Schopenhauer, Arthur 6, 15, 111–124, 229, 234 Schröckh, Johann Matthias 127–131 Schubert, Anselm 148 Schulte-Klöcker, Ursula 305 Schüssler, Hermann 65 Sciuto, Italo 20, 272 Sedlakowitz, von (GeneralMajor) 237 Seeberg, Reinhold 148 Seifert, Josef 96 Selge, Kurt-Victor 161 Sellier, Philippe 47–58, 292
358
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anhang
Seneca, Lucius Annaeus 60 Shakespeare, William 44 Sieben, Hermann-Josef SJ 3 Sieber-Rilke, Hella 232, 249 Simon, Derek 292 Simon, Tina 229 Simplician 13, 54, 109, 176 Sinnich, Jean 49, 57 Sirovátka, Jakub 19, 89 Söhngen, Gottlieb 309, 317 Sokrates 30, 271 Solms-Laubach, Manon zu 232, 234, 242 f., 250 Sophie von Hannover (Kurfürstin) 66 Sophie Charlotte (Königin) 87 Sorabji, Richard 86 Spencer, George Herbert 201 f. Spinoza, Baruch de 143, 205, 211 Spitzel, Gottlieb 63 Stahl, August 17, 229 Stark, Judith Ch. 292 Stattler, Benedikt 135 Staudenmaier, Franz Anton 16, 127, 135, 142–145 Steck, Friedemann 162 Stein, Edith 20 Steinbüchel, Theodor 309 Steiner, Jakob 229 Steinmann, Jean 45 Stokes, Ella 59, 89 Stollberg, Jochen 115 Storck, Joachim W. 252 Stump, Eleonore 84 Tako, Takeshi 230 Taylor, Charles 20, 274 Teichner, Wilhelm 12 Tertullian 169 f., 180, 311, 316 Thévenaz, Pierre 198 Thimme, Wilhelm 35, 51
Thomas von Aquin 4, 49, 59, 89, 213, 215, 226. 256, 263, 309 Thomasius, Jakob 62 Thurn und Taxis, Marie von 232 f., 235, 249 f., 252 Tiedemann, Dieterich 130 f. Timotheus 79 Titius, Arthur 150 Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 193 Torrensis, Hieronymus 117 Tosetto, Maria Teresa 20 Trepte, Adolf 59 Troeltsch, Ernst 20, 148 f., 184 Tschackert, Paul 154 Unamuno, Miguel de 20 Valentin, Joachim 307 Valensin, Auguste 215 Valmarana, Pia de 232, 245, 250f Van der Meer, Frits 173 Vanier, Marie-Anne 20 Varro 62 Vinti, Carlo 20 Virgoulay, René 211 Voegelin, Eric 20 Vollet, Matthias 16 Vota, Carlo Maurizio 87 Vries, Hent de 302 Wahl, Jean 198 Wais, Karin 229 f. Waldenfels, Bernhard 306 Waldhoff, Stephan 79 Walhout, Clarence P. 292 Wallmann, Johannes 186 Wedderkopf, Magnus 62 Weinberg, Julius R. 37 Weitlauff, Manfred 128 Wetsel, David 51, 55
Widmer, Joseph 140 Wienbruch, Ulrich 39 Wiest, Stephan 127, 132 f., 138 Wiggers, Gustav Friedrich 117, 120, 123, 148 Wilhelm, Karl Werner 112 f. Williams, Howard 93 Wilmans, C.A. 96 Wimmer, Reiner 93 Winkelvoss, Karine 233 Winter, Aloysius 104, 108 Wittekind, Folkart 148 Wittgenstein, Ludwig 20, 34, 37 Wittwer, Hector 89 Wohlmuth, Josef 298 Wunderly-Volkart, Nanny 232 f., 239 f., 252 Wundt, Max 89 Xenokrates 39 Xenophon 60 Yorck von Wartenburg, Graf Paul von 265–267, 272 Zahn-Harnack, Agnes von 162 Zenon von Krition 31 Zickendraht, Karl 291 Zinn, Ernst 230
Augustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens – Band 1
Seit Aurelius Augustinus (354 – 430), dem bedeutendsten Denker der Spätantike, ist die Rückbindung der Frage nach der Wahrheit an die Frage nach dem Ich, also an die Selbsterkenntnis, ein Grundthema der Philosophie. Im ersten Band wird die direkte Wirkung des Augustinischen Denkens auf seine unmittelbaren und späteren Nachfolger deutlich herAugustinus Spuren und Spiegelungen seines Denkens Band 1: Von den Anfängen bis zur Reformation Herausgegeben von Norbert Fischer xii, 283 Seiten isbn 978-3-7873-1922-0 Kartoniert
www.meiner.de
ausgearbeitet. Ausgehend von der Betrachtung der zeitgenössischen Rezeption seiner Schriften folgen Untersuchungen zu den Einflüssen seines Werks auf Anselm, Abaelard, Hugo von St. Viktor, Bonaventura, Thomas von Aquin, Duns Scotus, Meister Eckhart, Cusanus, Luther, Jansen und andere.