Aspekte der Transformation in Ostdeutschland: IEW-Tagungsband anläßlich eines Symposiums in Leipzig im September 1995 [1 ed.] 9783428487752, 9783428087754

Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung hat sich in Ostdeutschland nach der anfänglich euphorischen Einschätzung nun der w

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Aspekte der Transformation in Ostdeutschland: IEW-Tagungsband anläßlich eines Symposiums in Leipzig im September 1995 [1 ed.]
 9783428487752, 9783428087754

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CLAUS KÖHLER • RÜDIGER POHL (Hg.)

Aspekte der Transformation in Ostdeutschland

Veröffentlichungen des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung Band 34

Aspekte der Transformation in Ostdeutschland IEW-Tagungsband anläßlich eines Symposiums in Leipzig im September 1995

Herausgegeben von

Claus Köhler und Rüdiger Pohl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Aspekte der Transformation in Ostdeutschland : IEW-Tagungsband anlässlich eines Symposiums in Leipzig im September 1995 I hrsg. von Claus Köhler und Rüdiger Pohl. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Veröffentlichungen des Instituts für Empirische Wirtschaftsforschung ; Bd.34) ISBN 3-428-08775-5 NE: Köhler, Claus [Hrsg.]; Institut für Empirische Wirtschaftsforschung (Berlin): Veröffentlichungen des Instituts ...

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7239 ISBN 3-428-08775-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

E>

Inhaltsverzeichnis Einleitung ....................................................................................................

7

Privatisierung und Direktinvestitionen in Ostdeutschland: Das Problem der Zeitinkonsistenz Von Uwe Greiner, Axel lochem und Friedrich L. Seil ...........................

9

Ist die Treuhand ein Modell für die Transformationsländer? Einige skeptische Anmerkungen Von Axel Brüggemann und Martin Klein .. .. .................... .. .. .. ................. 43 Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg unter besonderer Berücksichtigung der Sozialausgaben Von Hermann Ribhegge ......................................................................... 69 Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit - Zur Makroökonomik defizitfinanzierter Staatsausgaben Von Wolfgang Cezanne .......................................................................... 95 Soziale Voraussetzungen für die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland. Arbeitskultur: Ost- und Westdeutschland im Vergleich Von Heinz Sahner ................................................................................... 149 Zur Dynamik von Arbeitslosigkeitsverläufen in Ostdeutsch land Von Hilmar Schneider ............................................................................ 163 Was verschafft der ostdeutschen Wirtschaft eine breite Exportbasis? Von Klaus-Dieter Schmidt ...................................................................... 179

Einleitung Das Institut für Empirische Wirtschaftsforschung hat vom 21. bis zum 22. September 1995 in Leipzig ein Symposium unter dem Generalthema "Perspektiven für die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland" veranstaltet. Die in dem Symposium diskutierten Beiträge werden in diesem Sammelband veröffentlicht. Fünf Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung hat sich in Ostdeutschland ein Wandel in der wirtschaftlichen Entwicklung und in deren Beurteilung eingesteIlt. Nach dem kräftigen Wachstum der ersten Jahre, welches anfänglich eine euphorische Einschätzung der wirtschaftlichen Chancen Ostdeutschlands zu rechtfertigen schien, ist nun der wirtschaftliche AIItag angebrochen. Die Entfaltung des unternehmerischen Potentials stößt an Grenzen, Investitionsplanungen werden nach unten revidiert, in vielen Betrieben lassen sich die bisherigen VorsteIlungen über den Ausbau der Arbeitsplätze nicht mehr realisieren. Die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung belastet die öffentlichen Haushalte enorm. Am Arbeitsmarkt verfestigt sich eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Unternehmen stoßen auf Schwierigkeiten beim Eindringen in neue, vor aIlem in überregionale Märkte. Dies aIles bedeutet nicht das Scheitern der ostdeutschen Transformation. Aber es fordert mühevoIle Anpassungen, auch das Zurückschrauben von Einkommensansprüchen, damit die zentrale Aufgabe gelingen kann: daß die ostdeutsche Wirtschaft an Wettbewerbs kraft gewinnt. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Transformationsprozesses in Ostdeutschland - aber nicht nur hier, sondern auch in den Transformationsländern Mittel und Osteuropas - ist noch längst nicht abgeschlossen. Aus dem vielseitigen Spektrum der ökonomischen Transformation wurden in dem Symposium vier Aspekte herausgegriffen: die Privatisierung der Unternehmen, einige Implikationen für die öffentlichen Finanzen, ArbeitskuItur und Arbeitslosigkeit sowie die Frage der Exportbasis. Greiner, lochem und Seil zeigen, daß der Privatisierungsansatz der Treuhandanstalt, von den Investoren konkrete Zusagen für Investitionen und Arbeitsplätze zu verlangen, zu einem zeitinkonsistenten Verhalten der Investoren führen kann, welches letztlich in der NichterfüIlung vorher gemachter Zusagen mündet. Brüggemann und Klein steIlen dem die Privatisierungspraxis in Mittel- und Osteuropa gegenüber. Aufgrund der im Vergleich zur Treuhandanstalt viel "härteren" Budgetrestriktion der östlichen Privatisierungsagenturen können diese die Unternehmenspolitik der (ausländischen) Direktinvestoren kaum beeinflussen, und es kommt insgesamt zu einer Verlangsamung des Privatisierungsprozesses. Die schwierige Finanzlage ost-

8

Einleitung

deutscher Kommunen zeigt Ribhegge am Beispiel des Haushaltes der Stadt Frankfurt (Oder) auf, wobei als Vergleichsmaßstab der Haushalt der Stadt Flensburg ausgewählt wurde. Auf gesamtstaatlicher Ebene hat die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung Finanzierungsdefizite hervorgerufen, deren Implikationen Cezanne darstellt. Dem Thema Arbeitskultur ist der Beitrag von Sahner gewidmet. Zwar herrschen auf individueller Ebene in Ostdeutschland traditionelle Wertmuster, die als Transformationsbremse definiert werden, doch können bestimmte Elemente dieser Wertmuster auch Defizite ausgleichen, die sich im Modernisierungsprozeß westlicher Industriegesellschaften gezeigt haben. Langzeitarbeitslosigkeit trifft in Ostdeutschland bestimmte Personengruppen in besonderem Maße. Dies gilt, wie Schneider zeigt, insbesondere für Frauen, ältere Arbeitnehmer und Personen, die unter gesundheitlichen Einschränkungen leiden. Für die ostdeutsche Wirtschaft bleibt die Verbreiterung der Exportbasis eine Schlüsselaufgabe. Welche Schwachstellen ostdeutsche Unternehmen in dieser Hinsicht aufweisen und wie darauf die Förderpolitik reagieren kann, wird von Schmidt untersucht.

Kronberg im Taunus und Halle (Saale), im April 1996 Claus Köhler

Rüdiger Pohl

Privatisierung und Direktinvestitionen in Ostdeutschland: Das Problem der Zeitinkonsistenz Von Uwe Greiner, Axel lochem und Friedrich L. Seil

I. Einleitung l Als Birgit Breuel Ende 1994 am Berliner "Hauptquartier" der Treuhand eigenhändig das Türschild abschraubte, glaubte im Ernst niemand daran, daß damit das Kapitel der Privatisierung der ehemaligen volkseigenen Betriebe der DDR abgeschlossen sein würde. Von den zahlreichen kritisch zu beurteilenden Aspekten der Treuhandarbeit in der ehemaligen DDR soll in diesem Aufsatz lediglich einer herausgegriffen werden, der allerdings in der öffentlichen Diskussion in den neuen Bundesländern eine wichtige Rolle spielte und immer noch spielt: es geht um die Aktivitäten jener westdeutschen und ausländischen Käufer von Treuhandobjekten, die mehr oder weniger schnell nach Vertragsabschluß die erworbenen Produktionskapazitäten stillgelegt haben - im Volksmund wurde auch vom "Plattmachen ostdeutscher Betriebe" gesprochen - und/oder in Nachverhandlungen höhere Subventionen der Treuhand bzw. geringere eigene Investitions-/Arbeitsplatzzusagen durchgesetzt haben. 2 In diesem Beitrag wird nun der Ver~uch gemacht, diesem Verhalten mit einem Ansatz aus der modernen, spiel theoretisch fundierten Makroökonomik nachzugehen: Die Theorie von Zeitinkonsistenz und Politikunglaubwürdigkeit, die auf grundlegende Aufsätze von KydlandlPrescott (1977) sowie Barro/Gordon (1983) zurückgeht, leistet womöglich einen guten Erklärungsbeitrag für das oben skizzierte Investorenverhalten. Das von uns gewählte Vorgehen sieht wie folgt aus: Zunächst werden synoptisch die in der Literatur vorhandenen Ansätze zur Motivation von Direktinvestitionen vorgestellt. Im nächsten Abschnitt werden dann ein der Theorie der ZeitinkonsistenzIPoli-

I Für wertvolle Hinweise danken die Verfasser Silke Gehle. Henrich Maaß. Birgit Sander. VIrich Koes/er. sowie den Teilnehmern an der Tagung des IEW zu den "Perspektiven für die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland" vom 21. - 22.9.95 in Leipzig. 2 Respektive noch durchzusetzen versuchen!

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Uwe Greiner, Axel lochern und Friedrich L. Seil

tikunglaubwürdigkeit entsprechender Modellrahmen und notwendige Fallunterscheidungen entwickelt. Anschließend wird - trotz logischerweise katastrophaler Datenlage - der Versuch gemacht, exemplarisch empirische Belege für unseren Erkärungsansatz zu bringen. Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung und einigen Politikempfehlungen.

11. Theoretische Erklärungsansätze für Direktinvestitionen Die Entscheidung eines repräsentativen Unternehmens, einen ostdeutschen Treuhandbetrieb zu übernehmen, ist mit hohen Risiken verbunden. In der Literatur werden eine Fülle möglicher Motive genannt, die dennoch zu einem derartigen Engagement führen können. Die wichtigsten Erklärungsansätze werden im folgenden kurz vorgestellt 3 Renditehypothese:

Sie geht von international differierenden Kapitalrenditen aus und unterstellt, daß der international mobile Faktor Kapital in die Verwendung mit der höchsten Entlohnung alloziert wird. Die bei den wichtigsten Ausprägungen, die Zinssatzhypothese (Niveau des Realzinses) und die Profitabilitätshypothese (Rendite des einzelnen Projekts), setzen auf der makroökonomischen bzw. der mikroökonomischen Ebene an. Da zumindest langfristig die Gewinnmaximierung das wesentliche Ziel eines Unternehmens darstellt, muß sie auch in das Kalkül eines potentiellen Investors in Ostdeutschland eingehen. Marktvolumenhypothese:

Dieser Ansatz beruht auf der Beobachtung eines positiven statistischen Zusammenhangs zwischen getätigten Direktinvestitionen und dem Sozialprodukt des Gastlandes. Obwohl nicht ausdrücklich formuliert, könnte die Nutzung des Marktpotentials als zugrunde liegendes Motiv vermutet werden. Produktzyklushypothese :

Die Produktzyklushypothese wurde im wesentlichen von Vernon (1966) entwickelt und von Krugman (1979) sowie Klodt (1992) durch die explizite Berücksichtigung einer technologischen Lücke zwischen Heimat- und Gastland ausgebaut. Im Kern geht sie davon aus, daß die meisten Produkte typischerweise die folgenden Phasen durchlaufen: Markteinführung ~ Ausreifung ~ Standardisierung. In dieser letzten Phase weisen Niedriglohnländer einen komparativen Kostenvorteil gegenüber Industrieländern auf, die sich auf die Entwicklung neuer Produkte mit hoher Einkommens- und geringer Preiselastizität

3 Die Darstellung folgt - soweit nicht anders angegeben - Stehn (1992), S. 17 - 62.

Privatisierung und Direktinvestitionen in Ostdeutschland

11

spezialisieren. Die Größe der technologischen Lücke ist dabei eine wesentliche Determinante für die Länge des Produktzyklus und kann von Branche zu Branche variieren. 4 Für die Privatisierungsproblematik in Ostdeutsch land scheint dieser Ansatz wenig ergiebig, da die neuen Bundesländer hinsichtlich der Faktorausstattung und der Faktorpreise den westlichen Industrieländern ähnlicher sind als den von Vernon anvisierten Entwicklungsländern. Oligopolistische Reaktionshypothese:

Bei einer oligopolistisch geprägten Marktstruktur steht für die einzelnen Unternehmen die Sicherung, bzw. der Ausbau ihres Marktanteils im Vordergrund. Knickerbocker (1973) geht davon aus, daß Direktinvestitionen stets in Wellen erfolgen, da einem "Pionier" eine Schar von Konkurrenten folgen wird. Als Unternehmensziel der nachziehenden Investoren steht also die Sicherung des Marktanteils im Vordergrund. Eine solche Strategie der Minimierung eines ganz speziellen Risikos (nämlich des Verlusts der Wettbewerbsfähigkeit) steht im Widerspruch zu der herkömmlichen Oligopoltheorie [Cournot (1838), Stakkelberg (1951)], die in diesem Aufsatz Verwendung findet (Kapitel 3.2.2.) und auf der Annahme der reinen Gewinnmaximierung beruht. In der Realität dürften beide Aspekte eine Rolle spielen, in jedem Fall aber kann für den Erstinvestor der Erwerb und das Stillegen fremder Kapazitäten vorteilhaft sein, wenn ein positiver Zusammenhang zwischen Marktanteilen und Produktionskapazitäten unterstellt wird. Eine plausible Erweiterung zu den genannten oligopoltheoretischen Überlegungen stellt der Kartellfall dar: Hier würde ein Direktinvestor Vorteile daraus ziehen, einen (potentiellen) Anbieter aufzukaufen, um eine mögliche Außenseiterkonkurrenz zu verhindern. Die fremden Produktionskapazitäten stehen dann gewissermaßen für entgangene Gewinnanteile. Portfoliohypothese: Das aus der Portfoliotheorie bekannte Diversifikationsmotiv wurde von Rugman (1979) und anderen Autoren zu einem Erklärungsansatz für Direktinvestitionen weiterentwickelt. Demnach versuchen international tätige Unternehmen, das Risiko einer ungünstigen Nachfrage- bzw. Inputentwicklung, aber auch politische Risiken dadurch zu mindern, daß sie sich international diversifizieren. Bezogen auf die Privatisierung in Ostdeutschland bedeutete dies, daß insbesondere solche Unternehmen an einem Engagement interessiert wären, deren bisherige Standorte eine hohe negative Korrelation der genannten Risiken zu Ostdeutschland aufweisen. Ein nennenswerter Diversifikationsvorteil ist durch den Kauf eines Treuhandbetriebes zunächst nicht zu erwarten, da die Ri4 Klodt (1992) unterscheidet dabei zwischen Industrien mit weitgehend standardisierter Technologie einerseits sowie den forschungsintensiven mobilen und immobilen Schumpeter-Industrien andererseits. Als mobile Schumpeter-Industrien bezeichnet er solche, deren EntwickJungsabteilungen nur in geringem Maße auf Rückkoppelungen aus dem Poduktionsbereich angewiesen sind und daher in der Wahl ihrer Produktionsstandorte relativ mobil sind.

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Uwe Greiner, Axel lochern und Friedrich L. Seil

siken einerseits in hohem Maße mit jenen Westdeutschlands korrelieren dürften, gleichzeitig aber auch wesentlich höhere Ausmaße annehmen. In Verbindung mit anderen Vorzügen der neuen Bundesländer gegenüber der alten Bundesrepublik (z.B. den nach wie vor bestehenden Kontakten zu Osteuropa und den GUS-Staaten), könnte das Diversifikationsmotiv jedoch zunehmend an Bedeutung gewinnen. Wechselkurshypothesen:

In einer Reihe von Ansätzen wird der Wechselkurs des Gastlandes als entscheidender Einflußfaktor auf Direktinvestitionen angesehen. Dabei wird in der Regel auf den Wettbewerbsvorteil eines Produktionsstandorts mit unterbewerteter Währung einerseits und die Finanzierungsvorteile des Mutterunternehmens mit Sitz in einem Land mit überbewerteter Währung andererseits abgestellt. 5 Obwohl die Entwicklung des realen Wechselkurses seit 1990 eher auf eine Verschlechterung der Wettbewerbsposition des Produktionsstandorts Deutschland hinweist, könnten langfristige Wechselkurserwartungen bei der Kaufentscheidung ausländischer Investoren eine Rolle gespielt haben. 6 In diesem Fall gingen die Motive "Gewinnmaximierung" und ,,Finanzierungs vorteile" in die Zielfunktion des Unternehmers ein. "Soziologische Verhaltenshypothese ": Die Entscheidungsträger eines Unternehmens sind nach Aharoni (1966) grundsätzlich risikoscheu und konservativ. Es bedarf daher besonderer Anreize, sie zu einem neuen und riskanten Engagement zu bewegen. Dabei spielen Subventionen und andere Vergünstigungen eine besondere Rolle, da sie das Gefühl vermitteln, etwas "geschenkt" zu bekommen. In diesem Lichte rücken die von der Treuhand gewährten Finanzierungs- und Kaufpreisvergünstigungen in den Vordergrund, die U.U. selbst dann einen Anreiz zu einem Kaufvertrag bieten, wenn sie wertmäßig nicht ins Gewicht fallen. Für dieses Motiv sind - von den Marktformen her gesehen - sowohl der Oligopol- bzw. Kartellfall als auch der Konkurrenzfall relevant: Der Erwerb von Produktionskapazitäten kann als Instrument dazu dienen, die Kapitalkosten zu senken, bzw. allgemeiner den Zugang zu einem segmentierten Finanzmarkt zu erleichtern. Eklektischer Ansatz:

Der eklektische Ansatz Dunnings (1977) stellt einen weithin unumstrittenen Ausgangspunkt einer Vielzahl neuerer Untersuchungen zu ausländischen Direktinvestitionen dar. Wie jedoch schon der Name suggeriert, werden keine wirklich neuen Aspekte in die Diskussion eingebracht, vielmehr werden die bereits' bekannten Motive zusammengefaßt. 5 VgL zR Aliber (1970) oder Froot / Stein (1991). 6 VgL Deutsche Bundesbank (1994), S. 59.

Privatisierung und Direktinvestitionen in Ostdeutschland

13

Die folgende Tabelle 1 bietet in Anlehnung an Sander (1992) einen Überblick über die mit den einzelnen Hypothesen verbundenen Unternehmensziele und gibt an, ob letztere in die Zielfunktion eines potentiellen Käufers eines Treuhandunternehmens eingehen könnten. Der Ansatz Dunnings wird darin nicht nochmals extra berücksichtigt. Tabelle 1

Investitionshypothesen und Direktinvestitionen in Ostdeutschland Rendite

Renditenhypothese

Umsatz

Lohnkosten

Finanzierungskosten

Risikodiversifizierung

X

Marktvolumenhypothese

X

Produktzyklushypothese

X

Oligopolistische Reaktionshypothese

X

Portfoliohypothese

X

Wechselkurshypothesen

X

X X

"Soziologische Verhaltenshypothese" Von besonderer Bedeutung für die neuen Bundesländer

Marktanteil

X

X

X

X

X

Quelle: Sander, 1992, S.llIEigenentwurf.

Zu beachten ist, daß Lohnkosten und Finanzierungskosten streng genommen keine eigenständigen Unternehmensziele, sondern Bestandteile des übergeordneten Kriteriums "Rendite" sind. Gleichwohl ist ihre explizite Berücksichtigung wegen ihrer besonderen Bedeutung sinnvoll und analytisch ohne Schwierigkeiten zu bewältigen.

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Uwe Greiner, Axel lochern und Friedrich L. SeIl

111. Theoretische Analyse 1. Die Spielsituation im Zeitinkonsistenzmodell Ausgangspunkt der Überlegungen von KydlandlPrescott (1977) und von BarroKiordon (1983) ist die Spielsituation zwischen Notenbank und privatem Sektor, bei der sich die Privaten typischerweise zu Beginn des Spiels auf die Höhe der Nominallöhne festlegen, an die sie bis zum Ende des Spiels gebunden sind. Die Notenbank hat dagegen die Chance, vor Ende des Spiels von ihrer angekündigten Inflationsrate abzuweichen und somit "Überraschungsinflation" zu produzieren; gleichzeitig beeinflußt sie damit die Höhe der Reallöhne in einer vom Privatsektor unerwünschten Richtung. Von Zeitinkonsistenz sprechen die genannten Autoren immer dann, wenn einer der Akteure (hier: die Zentralbank) aufgrund seiner Zielfunktion einen Anreiz besitzt, sich - nachdem eine Festlegung der Gegenseite erfolgt ist - am Ende des Spiels anders zu verhalten als zu Beginn angekündigt. Entscheidend ist also, daß einer der Spieler einen höheren Freiheitsgrad als der andere besitzt, in dem Sinne, daß "Retorsion" der anderen Seite bis zum Ende dieses Spiels nicht möglich ist. Der Nachteil des Überraschungsspielers besteht logischerweise darin, daß er für folgende Spiele an Glaubwürdigkeit eingebüßt, wenn er nicht sogar dieselbe vollends verloren hat. Im Falle der Notenbank muß diese im folgenden mit erheblich erhöhten Nominallohnforderungen des Privatsektors rechnen, auch wenn sie selbst möglicherweise zu einer Politik der Preisniveaustabilität zurückkehrt. Die sozialen Kosten sind dann besonders hoch, weil der monetäre Spielraum für kostenbedingte Preissteigerungen zu niedrig ist, um Beschäftigungseinbrüche zu vermeiden. 2. Das Privatisierungs- und Direktinvestitionsmodell Die Behauptung dieses Beitrags, die es im folgenden zu illustrieren gilt, lautet nun, daß die Spielsituation zwischen der Treuhand und den Käufern von Treuhandvermögen ähnliche Züge der Zeitinkonsistenz aufweist. Die Besonderheit dieses Spiels liegt in der Einmaligkeit (je Kaufobjekt). Während die Treuhand gegenüber dem Investor, der den Zuschlag bekommt, mit Finanzierungsvergünstigungen aufwartet und sich auf die Gewährung dieser festlegt, verspricht der Käufer nach dem Erwerb des Objektes Investitionen in bestimmer Höhe vorzunehmen bzw. eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen zu schaffen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sind diese Strategien aus der jeweiligen Sicht der Akteure optimal. Nach Abschuß des Vertrages ist es aber für den Investor möglicherweise besser, den Vertrag zu brechen und dabei entsprechende direkte (Strafzahlungen) sowie indirekte Sanktionskosten (Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber prospektiven Vertragspartnern) in Kauf zu nehmen. Denn möglicherweise weist seine Zielfunktion einen höheren Nutzen bzw.

Privatisierung und Direktinvestitionen in Ostdeutschland

15

Gewinn aus, wenn er die Vorteile des Vertragsbruchs (Stillegung von Kapazitäten, Senkung der Finanzierungskosten, vgl. oben) in Anspruch nimmt. Eine weniger radikale aber in der Sache kaum anders einzuschätzende Strategie des Käufers besteht darin, Nachverhandlungen zu fordern, bei denen die Treuhand erhebliche Abstriche bei den von ihr gewünschten Investitionen/Arbeitsplätzen machen muß. Unterstellt man eine Orientierung der Treuhandpolitik an volkswirtschaftlicher Effizienz, so stellt die Erfüllung des ursprünglichen Vertrages durch den Investor das für eine Beurteilung der Modellergebnisse heranzuziehende Referenzsystem dar. 2. J Das Basismodell

Den Kern des hier vorzustellenden Modells bildet die Zielfunktion des Unternehmens (Z). Darin sind die in Tabelle 1 als für Direktinvestitionen in Ostdeutschland relevant betrachteten Unternehmensziele zu berücksichtigen, d.h. die Rendite, der Umsatz, die Finanzierungskosten und (im erweiterten Modell) der Marktanteil. Ohne ausdrückliche Darstellung bleiben hingegen die Lohnkosten und eine eventuelle Risikodiversifizierung. Als problematisch erweist sich die Tatsache, daß Umsatz und Marktanteil sowohl mit dem Gewinnziel, als auch untereinander stark verflochten sind und eine analytische Isolierung kaum möglich ist. Entgegen der Logik der obigen Ausführungen gehen der Umsatz und (später) der Marktanteil daher nur über ihre Beeinflussung der Unternehmensgewinne in die Zielfunktion ein:

(1)

Z=G+F-S

Die Zielfunktion setzt sich aus den diskontierten Gewinnen (G) des Engagements, aus den Finanzierungsvergünstigungen (F) und den bei Vertragsbruch anfallenden Sanktionskosten (S) zusammen. Die lineare Homogenität der Produktionsfunktion bewirkt ein konstantes Verhältnis des Umsatzes zu den realisierten Investitionen (IR), vorausgesetzt alle übrigen Inputs werden im gleichen Verhältnis variiert. Die Güterpreise (p) sind konstant und auf eins normiert. Weiter wird unterstellt, daß sämtliche Investitionen einmalig zu Beginn des Engagements getätigt werden, dadurch bleiben die Umsätze (uIR) in allen künftigen Perioden unverändert, der Gegenwartswert dieser Annuitäten entspricht den Umsätzen einer Periode, dividiert durch den Kalkulationszinssatz:

(3a) u = U

und

(3b)

a=a

16

Uwe Greiner. Axe1 Jochem und Friedrich L. Sell

mit u = (konstante) Produktivität der Investitionen; a der Investitionen; r = Kalkulationszinssatz.7

= (konstante) Stückkosten

Unter Investitionen sind in diesem Kontext nicht unbedingt Kapitalzuflüsse zu verstehen. sie können auch als Arbeitsplatzgarantien oder sonstige Zusagen verstanden werden. Dabei ist zu beachten, daß Umsatz und Investitionen immer positiv korreliert sind, der Zusammenhang zwischen Investitionen und Gewinn dagegen - wie (2) demonstriert - auch negativ sein kann. Die weiteren Summanden der Ziel funktion stellen die gewährten Finanzierungsvergünstigungen (genauer: der Gegenwartswert derselben) (F) und die U.U. anfallenden Sanktionen für das Nichteinhalten von Zusagen (S) dar. Sie werden im folgenden spezifiziert:

(4) F =ce ; 0 < c S; 1 Die Finanzierungsvergünstigungen fallen demnach proportional zu den im Vertrag gemachten Investitionszusagen des Investors (I z ) aus. Der Begriff ,,Finanzierungsvergünstigung" ist dabei weit gefaßt: Er beinhaltet zins günstige Kredite ebenso wie eine Senkung des Kaufpreises. Grundsätzlich umfaßt der Ausdruck F also jede monetär meßbare Zuwendung der Treuhand an den Investor, die zu einer effektiven Senkung der Investitionskosten führt.

Gleichung (5) verwendet eine quadratische Sanktions-Kostenfunktion als einfachste Ausprägung eines überlinearen Funktionstyps. Die unterstellte Überlinearität wird im folgenden begründet: Sanktionskosten fallen für den Käufer eines Treuhandbetriebes immer dann an, wenn er sich nicht an die von ihm gemachten Investitionszusagen hält. 8 Das Ausmaß ist wesentlich abhängig von dem Faktor (d) mit der Dimension l/DM. Für den überproportionalen Anstieg der Sanktionskosten gibt es zunächst eine "technische" Erklärung: Für den Fall eines linearen Verlaufs der Kostenfunk-

7 Die Produktivität der Investition entspricht dem Verhältnis der Umsatzsteigerung. die auf die Investition zurückzuführen ist. zu dem Volumen der Investition; mit Stückkosten der Investition sind die Bereitstellungskosten zuzüglich dem Gegenwartswert aller Folgekosten einer Investitionseinheit gemeint. 8 "If the promised investment is not made. a penalty, often equal to one third of the contracted investment volume, has to be paid" Schmidt (1994, S. 5).

Privatisierung und Direktinvestitionen in Ostdeutschland

17

tion, der etwa durch die Formel DM 25.000,- pro zugesagtem, jedoch nicht realisiertem Arbeitsplatz dargestellt werden kann, wird die Rechnung des Investors denkbar einfach: Fällt die Vertragsstrafe für die Nichteinhaltung von Zusagen pro Rechnungseinheit höher aus als die Finanzierungsvergünstigung pro zugesagter Einheit (S > F), tritt das Problem der Zeitinkonsistenz nicht auf. Liegt die Strafe dagegen unter den zuvor erhaltenen Vergünstigungen, wird der Käufer versuchen, die Investitionsvereinbarungen unabhängig von seinen tatsächlichen Investitionsabsichten soweit in die Höhe zu treiben, wie dies von der Treuhand honoriert wird. Ein überlinearer Verlauf der Kostenfunktion ist jedoch auch ökonomisch plausibel: Erstens wird das Unternehmen versuchen, in Nachverhandlungen die Treuhand von der Unmöglichkeit einer vollständigen Vetragserfüllung aufgrund angeblich veränderter Rahmenbedinungen zu überzeugen. Dabei wird es bei geringfügigen Abweichungen von der gemachten Zusage auf relativ wenig Widerstand stoßen. Zweitens ist unter den Sanktionskosten keineswegs nur die unmittelbare Vertragsstrafe zu verstehen, sondern auch der Vertrauensverlust bei dem Abschluß künftiger Verträge. 9 Diesen Aspekt müssen insbesondere international tätige Unternehmen berücksichtigen, die häufiger Direktinvestitionen im Ausland tätigen und in die Verhandlungen um finanzielle Unterstützung durch die Gastländer ihren guten Ruf als vertragstreuer Geschäftspartner einbringen möchten. Der durch diesen Vertrauensverlust entstehende Schaden wächst mit Sicherheit überproportional zu dem Umfang des Vertragsbruchs, da allein schon das Medieninteresse erst ab einer bestimmten Schwere des Vergehens geweckt wird. 1O Da dieser Vertrauensverlust eher langfristiger Natur ist, dürfte er in aktuellen empirischen Untersuchungen (noch) schwer nachweisbar sein. Damit wird aber das Argument im Grundsatz nicht entkräftet. Um die Sanktionsfunktion etwas handlicher zu gestalten, wird nun die Dummy-Variable do eingeführt:

9 Die Sanktionskosten sind unabhängig von den diskutierten Motiven des Investors, d.h. die Treuhandanstalt betreibt keine Motivforschung mit dem Ziel, einen wortbrüchigen Vertragspartner besonders empfindlich zu treffen. 10 Anders als in dem Modell von Barro / Gordon (1983), in dem das Problem der Zeitinkonsistenz anhand eines Spiels zwischen Zentralbank und Privaten verdeutlicht wurde, können die Kosten eines Vertrauensverlustes hier nicht internalisiert werden. Bei Barro / Gordon beruhte die Sanktionierung der Privaten auf der Vorwegnahme der zeitinkonsistenten Strategie der Zentralbank in ihren Erwartungen. Eine entsprechende Erwartung der Treuhand würde von vorneherein zu einem anderen Vertragsabschluß führen, die Sanktionierung kann nicht in der Weise auftreten, daß entgegen den Vereinbarungen von vorneherein nur Finanzierungsvergünstigungen in Höhe der von der Treuhand erwarteten (nicht der zugesagten) Investitionen gewährt werden. Stattdessen sind die gesamten anfallenden Sanktionskosten, inc1usive der erst bei späteren Spielrunden auftretenden Kosten des Vertrauensverlustes, in die Ziel funktion des Unternehmens aufzunehmen.

2 Köhler I Pohl

Uwe Greiner, Axel lochern und Friedrich L. Seil

18

(5')

1 (Z R)2 ,mit. S=-d()dl-I 2 o ,wenn IR ~ I Z d() ={ 1 , wenn IR < I Z

Durch Einsetzen der Gleichungen (5'), (4), (3) und (2) in Gleichung (1) erhält man die neue Zielfunktion:

(6)

1 (Z U Z=-bl R+cI Z-"2dod I -I R)2.. ,mit -b=-;-a

Das Minuszeichen vor dem Koeffizienten b steht für die Annahme, daß die Übernahme eines Treuhandbetriebs für den Käufer ohne Finanzierungsvergünstigungen mit Verlusten verbunden, ohne Subventionen das Engagement also unterblieben wäre. Diese Unterstellung bedeutet ein nicht immer gerechtfertigtes Zugeständnis an die Effizienz der Treuhandverträge, ist aber für das Modell nicht notwendig, da auch Werte von b < 0 zugelassen werden. Die Zielfunktion gilt es nun über die Kontrollvariablen IZ und IR zu maximieren, wobei zwischen der zeitkonsistenten Strategie (a) mit IR ~ IZ und do = 0 und der zeitinkonsistenten Strategie (b) mit IR < IZ und do = 1 zu unterscheiden ist. Führt die zeitinkonsistente Strategie zu einem höheren Wert der Zielfunktion als die zeitkonsistente Lösung, liegt auf Seiten des Investors offensichtlich ein Anreiz zu einem bewußten, bereits bei Vertragsabschluß vorgesehenen Bruch der Vereinbarungen vor. Im folgenden werden die entsprechenden Kalküle formal dargestellt: (7)

Partielle Ableitung von (6) nach IZ : (a) IR~Iz~do=O (7a)

az al z =c>O

Da die partielle Ableitung der Zielfunktion nach den zugesagten Investitionen stets größer als null ist, liegt offensichtlich eine Randlösung des Maximie= IR die optimale zeitkonsistente rungsproblems vor. Wegen IR ~ IZ ist Strategie.

e

(b)

IR

c ~ der potentielle Investor wird keinen Vertrag mit der Treuhand

(ii)

b = c

(iii)

b c:

Die Ableitung der Zielfunktion nach Ir ist negativ. Wegen der Annahme, daß IR ~ 0, wird das Unternehmen real nichts investieren, jedoch entsprechend (7b) eine Investitionszusage in Höhe von eId machen. Die Zielfunktion nimmt den Wert

1 c2 =-->0 2d 2d C 2

d

an. Die zeitinkonsistente Strategie ist somit der zeitkonsistenten Strategie, die zu einem Verzicht auf einen Vertragsabschluß geführt hätte, überlegen. Fall ii: b=c:

Auch in diesem Fall beträgt die Zielfunktion ink 1 c2 0 (IOii) Z Ib=c = - - > . 2 d

Der Investor wird jeder geforderten Investitionszusage zustimmen und anschließend Investitionen realisieren, die um den Betrag cld hinter seiner Zusage zurückbleiben. Auf diese Weise erreicht er ein besseres Ergebnis als mit einer zeitkonsistenten Strategie. Fall iii: b < c:

···) (1 0III

Zink Ib 0), um das Risiko eines Verlustes an Marktrnacht auszuschließen. Es läßt sich zeigen, daß eine entsprechende Reaktionsfunktion zwar das reale Investitionsvolumen des (Erst-)Investors senkt, den Anreiz zu zeitinkonsistentem Verhalten aber nicht beeinflußt. Werden nun die Gleichungen (11) und (13) in die Gewinnfunktion des Investors eingesetzt, resultiert die folgende Zielfunktion:

(14) Z =~IR {I-n{ uI R+ l-n~I~ -a K ,

)]_aI R+~ -~d()d(IZ - IR r 'F~

• G

bzw. nach geeigneter Umformung:

(14') Z=--'!l(UIRr +~uIR +~uIR -aIR +ce -..!..dod(I Z-IRr 2r

(15)

2r

2r

Partielle Ableitung von (14') nach

2

IZ :

(a) IR~Iz~do=O (ISa)

az =c >0 ae

Wegen IR ~ I Z ist I Z

=IR die optimale zeitkonsistente Strategie.

(b) IR J+rw\QA +Q/

=( I -1-2y - - . - 2w +w

A

Q +qQ/

2ww * qQ = ( I - 1-2y --.-+ / I-y q 3

Auszahlung V =(I-yt 1

Absatz

-qw tyQ/-tf> lJ+}WQ/ )

wW

~A

QA

I-y

w

q

3

wW

~A-f

1-2y =( 1-2w+--·-

G=(I_ QA : qQ/

1-2y Q =( 1-2w*+--·A I-y q 3

G=(1- QA :qQ/

M

2

w*

= (1- w)2

=0

Absatz

r(

1 4 QA

G=-(l-w) M-f+L-A

M

= (1- y)A + }W(1- w)2

Auszahlung V

= (1- w*)2

M

QA

=0

Q/

Absatz

= -(1- W*)2 M + L- A

G

= (1- y) A

1 4

Ausländisches Unternehmen

Auszahlung V

Inländische Privatisierungsagentur

+qQ Exportkonkurrenz: Auszahlung V=(I-yll- QAM/

Restrukturierung:

Exportmonopol:

Tabelle 3

Lösungsgleichungen des Privatisierungsspiels

:i"

0-

;;0::

:r

~ co :4

0-

:l

c:

:l :l

3 co

o

gg

2:

O:l

;I>

~

Vl 00

Ist die Treuhand ein Modell für die Transformationsländer?

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spielen sind in Tabelle 3 zusammengefaßt. Da diese Ergebnisse die Basis für unsere weitere Argumentation bilden, wollen wir sie im folgenden kurz erläutern und diskutieren. 1. Exportmonopol (EM) Das ausländische Unternehmen erwirbt das inländische Unternehmen für den Preis A und legt es still. Das inländische Unternehmen wird zerschlagen und die vorhandenen Aktiva werden einzeln verkauft. Der Käufer erhält dafür den Liquidationserlös L. Dieser Vorgang wird auch als Asset stripping bezeichnet. Man beachte, daß der Liquidationserlös auch negativ sein kann, etwa dann, wenn der Käufer für ökologische Altlasten des übernommenen Unternehmens haften muß. Ein negativer Liquidationswert bedeutet dann, daß die Sanierungskosten für diese Altlasten den Wert der verbleibenden Vermögensbestände (z.B. Grundstücke) überschreiten. Nach Liquidierung der inländischen Konkurrenz bedient der Käufer den inländischen Markt als Monopolist aus ausländischer Produktion, also über Exporte. Der maximale Gewinn des ausländischen Unternehmens - also der Gewinn beim Monopolabsatz - ist gleich dem Deckungsbeitrag (J - w/ M/4 zuzüglich der Differenz von Liquidationswert und Kaufpreis. Man beachte, daß der Gewinn linear mit dem Marktvolumen zunimmt. Die Auszahlung der Privatisierungsagentur hängt in diesem Fall nur vom Verkaufspreis der inländischen Unternehmung ab, denn der inländische Output und die inländische Beschäftigung in diesem Markt werden vollständig abgebaut. Eine derartige Situation wird nur für Regierungen von Interesse sein, die geringes Gewicht auf die Beschäftigungssituation legen, entweder weil Arbeitslosigkeit - wie momentan in der Tschechischen Republik - kein dringendes politisches Problem ist oder weil das Erlösziel aufgrund staatlicher Budgetprobleme Vorrang hat. 2. Restrukturierung (RE)

In manchen Situationen wird das ausländische Unternehmen es vorziehen, die zum Preis A erworbene inländische Unternehmung nicht stillzulegen, sondern sie zu "restrukturieren", m.a.W. sie mit seiner eigenen modernen und effizienten Technologie auszustatten und sie dann als Produktions stätte vor Ort weiterzubetreiben. Hier sind verschiedene Szenarien denkbar. So könnte es etwa sein, daß zwischen dem inländischen und dem ausländischen Unternehmen besondere "Synergien" existieren, die dazu führen, daß der "Restrukturierungswert" den Liquidationswert übersteigt. Solche Situationen dürften allerdings eher selten sein. Wie gerade die Erfahrung in den neuen Bundesländern gezeigt hat, ist es meist kostengünstiger, die alten Betriebe komplett zu liquidie-

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ren und mit neuer Technologie von Grund auf neu zu errichten. In diesem Fall - den wir im folgenden unterstellen - wird der Käufer die Vermögenswerte des erworbenen Unternehmens mit dem Liquidationswert L bilanzieren, so daß in dieser Hinsicht zur vorher besprochenen Variante kein Unterschied besteht. Bei einer Produktion vor Ort ändert sich allerdings die Kostenfunktion, so daß der maximale Gewinn des Investors sich entsprechend ändert. Der Deckungsbeitrag muß nun mit dem inländischen Lohnsatz berechnet werden, (1 - w/ M/4, außerdem müssen die Fixkosten f abgezogen werden. Die Auszahlung der Privatisierungsagentur hängt in diesem Fall nicht nur vom erzielten Kaufpreis A ab, sondern zusätzlich noch von der Höhe der vom ausländischen Investor geschaffenen inländischen Beschäftigung, die durch seinen optimalen Output (1 - w)MI2 angenähert wird. 3. Exportkonkurrenz (EK)

Wenn der inländische Betrieb nicht verkauft wird, so wird er von der Privatisierungsagentur vorerst weiter betrieben. Es ergibt sich dann potentiell ein Cournot'sches Dyopol zwischen dem ausländischen Unternehmen, das den Markt durch Exporte versorgt, und dem inländischen Betrieb. Die optimalen Absatzmengen und die dazugehörigen Auszahlungen der beiden Kontrahenten in Tabelle 3 wurden unter der Annahme berechnet, daß beide Anbieter im Gleichgewicht mit positiven Mengen am Markt sind. Ist dies nicht der Fall, ist also für einen der beiden Anbieter die gewinnmaximierende Menge null, so reduziert sich die Marktstruktur zum Monopol des jeweils anderen Anbieters. Wenn z.B. die inländische Menge QL kleiner oder gleich Null ist, so ergibt sich die ausländische Menge QA nicht aus der rechts daneben stehenden Formel, vielmehr ist sie gleich der Monopolmenge (1 - w*)MI2. 4. Grüne Wiese (GW)

In diesen Fall kauft die ausländische Unternehmung den inländischen Betrieb nicht, sondern errichtet eine eigene inländische Produktionsstätte auf der grünen Wiese. Die resultierende Marktstruktur ist wie im Fall der Exportkonkurrenz, mit dem Unterschied, daß nun auch die ausländische Unternehmung zu inländischen Löhnen produziert und deshalb im Cournot-Spiel eine höhere gewinnmaximierende Absatzmenge wählt. Ihre ,,Marktrnacht" nimmt zu. Auch hier ist es möglich, daß die gewinnmaximierende Menge eines Anbieters null ist, worauf er aus dem Markt ausscheidet und diesen dem anderen als Monopolist überläßt.

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V. Privatisierung durch Direktinvestitionen: Zusammenfassung der Resultate 1. Gleichgewicht Auf jeder Spielstufe des Spieles wählen die Spieler ihre beste Antwort auf die Strategienwahl des anderen. Aufgrund der Annahme, daß die inländische Firma nicht mittels eines bindenden Vertrages, weIcher den Käufer auf eine bestimmte Option verpflichtet, verkauft werden kann, werden wir im folgenden nur teilspielperfekte Gleichgewichte betrachten. In unserem Modellaufbau wird der Käufer stets die für ihn gewinnträchtigste Alternative wählen, eine Entscheidung, auf die die Regierung keinen Einfluß hat. Allerdings kann sie über ihre Handlungen im Nichtverkaufs-Gleichgewicht Einfluß auf den Verkaufspreis ausüben. Eine Drohung den Output der Firma zu erhöhen, kann den Wert des zu erwerbenden Marktanteils in die Höhe schrauben. Aufgrund des teilspielperfekten Gleichgewichtkonzeptes ist ihre Macht zu drohen jedoch auf die Politikalternativen begrenzt, deren Realisierung auch in ihrem Interesse liegen. Andere Drohungen haben keine Glaubwürdigkeit.

2. Reservationspreise Um die Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) einer Privatisierung per Firmenverkauf im Rahmen unseres Modells abzuschätzen, verwenden wir Reservationspreise als ~alytisches Vehikel. Der Reservationspreis des ausländischen Unternehmens, A, kennzeichnet den höchsten Preis, den es für den inländischen Betrieb zu zahlen bereit ist. Der Reservationspreis der Privatisierungsagentur, A, mißt den niedrigsten Preis, den sie für den inländischen Betrieb verlangt. 16 Überschreitet der Reservation~reis der Privatisierungsagentur den des ausländischen Unternehmens, A > A, so wird es offensichtlich zu keiner Einigung kommen, da die Regierung mehr verlangt, als der Investor zu zahlen bereit ist. Dieser Fall wird hauptsächlich dann auftreten, wenn die Privatisierun~sagentur großen Wert auf das Beschäftigungsziel legt. Im umgekehrten Fall A > A ist eine Einigung möglich, es muß dann nur noch d~ tatsächliche Privatisierungspreis A ausgehandelt werden. Offenkundig ist A (d) der höchste (niedrigste) Preis, de~ im Falle eines Verkaufes möglich ist. Somit gilt auf jeden Fall A E [~ A]. Wir machen hier die Annahme, daß der Privatisierungspreis in der

16 Beide Reservationspreise sind durch Indifferenzbedingungen definiert. Die ausländische Unternehmung ist bei ihrem Reservationspreis indifferent zwischen Kauf oder Nichtkauf. die Privatisierungsagentur ist im entsprechenden Fall indifferent zwischen Verkauf und Nichtverkauf.

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Mitte zwischen den beiden Reservationspreisen liegt, A (d + A) /2. Man kann sich dies vorstellen als die Lösung eines Verhandlungsspiels zwischen den beiden Parteien. 17 Rechnerisch ergeben sich die Reservationspreise der beiden Kontrahenten aus dem Vergleich ihrer Auszahlungen mit und ohne Verkauf: Der Reservationspreis des ausländischen Unternehmens ist derjenige Kaufpreis, der seinen Gewinn vor und nach dem Kauf des inländischen Betriebs gerade unverändert läßt. Er ist die Summe aus dem Liquidationswert des inländischen Betriebs und dem Wert seines Marktanteiles. Der Liquidationswert kann aufgrund von Altlasten negativ sein, der Wert des Marktanteils jedoch nicht. Der Reservationspreis des a~sländischen Unternehmens kann den Liquidationswert nicht unterschreiten, A ~ L, andernfalls lägen unausgenutzte Arbitragemöglichkeiten vor. Der Reservationspreis der Privatisierungsagentur ist derjenige Verkaufspreis, der ihre Auszahlung vor und nach einem Verkauf des inländischen Betriebs gerade unverändert läßt. Auch er kann den Liquidationswert nicht unterschreiten, d ~ L, da es ansonsten für die Privatisierungsagentur günstiger wäre, den inländischen Betrieb selbst zu liquidieren. Es ist zu beachten, daß beide Reservationspreise unter Berücksichtigung von endogenen Änderungen der Marktsituation berechnet werden müssen. Beispielsweise ist es möglich, daß die ausländische Unternehmung vor dem Kauf des inländischen Betriebs den Markt durch Exporte versorgt, nach dem Kauf aber auf inländische Produktion umschwenkt, weil dies nun, da sie den Markt als Monopolist bedienen kann, den höchsten Gewinn verspricht. Als Regel kann hierzu folgendes festgehalten werden: Durch den Aufkauf des inländischen Betriebs bleibt die Marktversorgungspolitik des ausländischen Unternehmens entweder unverändert, oder sie verändert sich von Exporten zu Produktion vor Ort. Im Rahmen des gegebenen Modells kommt es jedoch nie vor, daß ein ausländisches Unternehmen, das sich schon für Produktion vor Ort entschieden hatte, nach dem Aufkauf des inländischen Konkurrenten zurückzieht und den Markt nur noch durch Exporte versorgt. Der Grund liegt darin, daß durch den Aufkauf des Konkurrenten das effektive Marktvolumen, das der ausländischen Unternehmung zur Verfügung steht, vergrößert wird, so daß die Entscheidung zugunsten lokaler Produktion nur verstärkt werden kann.

17 Wir unterstellen hier den einfachsten Fall, und zwar daß die Verhandlungsgewinne zwischen den beiden Partnern gleich verteilt werden. ("Split the difference") Andere Lösungen sind selbstverständlich möglich, ändern aber nichts am zugrundeliegenden Tatbestand, unter welchen Umständen eine Einigung generell möglich ist.

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3. Resultate Wir beginnen mit einer Zusammenfassung, unter welchen Parameterkonstellation es zu einem Vertragsabschluß zwischen der Regierung und der internationalen Firma kommen wird. Im Anschluß werden diese Resultate auf ihre Stichhaltigkeit hin diskutiert. Bei hinreichend hoher Beschäftigungspräferenz (y) der Regierung wird der inländische Betrieb nicht verkauft. Bei hinreichend niedriger inländischer Produktqualität kann der inländische Betrieb immer verkauft werden. Konstellationen von Reservationspreisen, die eine Privatisierung ermöglichen, sind vor allem in "sehr großen" Märkten zu erwarten, in denen die Übernahme eines inländischen Betriebs für ausländische Unternehmen sehr wertvoll ist, in denen aber gleichzeitig die Marktrnacht der Privatisierungsagentur mit dem ineffizienten inländischen Betrieb relativ gering ist. In kleinen oder mittleren Marktgrößen kann es zu Gleichgewichten kommen, in denen kein Verkauf stattfindet. Das erste Resultat ist leicht einsichtig. Bei einem geringen Gewicht des Beschäftigungszieles (y --t 0) orientiert sich die Regierung hauptsächlich am Erlösziel. Sie zieht es dann immer vor, den Betrieb zu verkaufen, weil sie sich dadurch der Verluste entledigt, die der Betrieb aufgrund der Ineffizienz der alten Technologie erwirtschaftet. Ist das Beschäftigungsziel dagegen sehr wichtig (y --t I), so wird die Regierung den Verkauf scheuen, da er grundsätzlich mit starken Beschäftigungsverlusten verbunden ist. Der Reservationspreis der Regierung wird dann ein hohes Kompensationselement enthalten, um diese Beschäftigungsverluste auszugleichen. Liegt y hinreichend nahe bei 1, so wird der Reservationspreis der Regierung den des potentiellen Investors stets übersteigen, so daß ein Verkauf nicht möglich ist. Das zweite Resultat klingt paradox, besagt es doch, daß sich "schlechte" Betriebe in Transformationsländern leichter privatisieren lassen, als "gute" Betriebe. Es ergibt sich aber stringent aus der Logik des Modells, und zwar aus der Ineffizienz der Technologie des unrestrukturierten inländischen Betriebs. Aus den Absatzgleichungen der Marktsituationen "Exportkonkurrenz" und "Grüne Wiese" ist ersichtlich, daß die geringe Produktqualität des inländischen Betriebs seine Grenzkosten effektiv von w auf w/q anhebt. Dies erhöht nicht nur seinen Verlust, sondern reduziert auch seine Marktrnacht im Cournot-Spiel gegenüber dem ausländischen Unternehmen. Je niedriger q ist, desto stärker diese Effekte, die beide die Verhandlungsposition der Privatisierungsagentur schwächen und ihren Reservationspreis drücken. Bei einem gegebenen Reservationspreis des

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Investors nimmt deshalb die Wahrscheinlichkeit zu, daß es zu einem Verkauf kommt. Übersicht 3

Reservationspreise

A

Marktvolumen

Das dritte Resultat läßt sich am anschaulichsten diskutieren, wenn man Übersicht 3 betrachtet, welche A und d als Funktion der Marktgröße M zeigt. Die Abbildung, die sich aus einer konkreten Simulation des spieltheoretischen Modells ergibt, unterstellt, daß der Liquidationswert des inländischen Betriebes null ist. Die verwendete Parameterkonstellation erzeugt eine Situation, in denen der inländische Betrieb bei mittleren Marktgrößen nicht verkauft werden kann. Dies entspricht in diesem Beispiel der Region zwischen den Marktgrößen M z und M4 . Fortschreitend von geringen zu großen Marktvolumina läßt sich die Abbildung wie folgt beschreiben. In sehr kleinen Märkten (M < MI) haben Privatisierungsverhandlungen zwischen der Privatisierungsagentur und ausländischen Unternehmen keine Basis. Der Reservationspreis der Privatisierungsagentur gleicht hier dem Liquidationswert, so daß bei Fehlen eines Käufers der inländische Betrieb durch die Agentur liquidiert wird. Die Privatisierungsagentur hat in dieser Lage effektiv keine Verhandlungsmacht, und potentielle ausländische Käufer wissen dies. Deren maximales Gebot (ihr Reservationspreis) ist demzufolge auch null. Der inländische Betrieb wird in dieser Situation auf jeden Fall liquidiert und der Markt wird vollständig durch einen ausländischen Exporteur versorgt. Bei etwas größeren Märkten (MI::; M < M z) kann es zu einem Verkauf des inländischen Betriebs kommen, obwohl der ausländische Investor den Betrieb

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nur zum Zwecke der Stillegung erwirbt. Der Grund dafür liegt im niedrigen Reservationspreis der Regierung, für die das Beschäftigungsziel in diesen kleinen Märkten von untergeordneter Bedeutung ist, während ihr aufgrund der Fixkosten des inländischen Betriebs erhebliche Verluste erwachsen. Mit zunehmendem Marktvolumen kann der inländische Betrieb mehr Beschäftigung generieren, was den Reservationspreis der Privatisierungsagentur stark in die Höhe treibt. Ab M2 übersteigt die Forderung der Regierung die Zahlungsbereitschaft des ausländischen Unternehmens. Wenn das Marktvolumen weiter ansteigt (M ~ M3 ), wird für den Investor die Einrichtung einer Produktionsanlage vor Ort profitabel, allerdings vorerst nur unter der Bedingung, daß er als Monopolist den Markt alleine bedienen kann, also im Falle einer Übernahme des inländischen Betriebes. Ab diesem Marktvolumen sinkt sowohl das Niveau als auch die Steigung des Reservationspreises der Privatisierungsagentur, da nun der ausländische Investor eine positive Beschäftigungsmenge erzeugt und so den Zielen der Regierung entgegenkommt. Dagegen nimmt die Steigung des Reservationspreises des ausländischen Unternehmens zu, da dieses im Falle eines Kaufs des inländischen Betriebes zu den geringeren inländischen Lohnsätzen produzieren kann, was den Wert zusätzlicher Marktanteile erhöht. Durch die geänderten Steigungsverhältnisse steigt ab dem Marktvolumen M4 der Reservationspreis des ausländischen Investors wieder über den der Privatisierungsagentur, so daß ein Verkauf des inländischen Betriebes möglich wird. Schließlich reduziert sich ab dem Marktvolumen M 5 der Reservationspreis der Privatisierungsagentur um einen weiteren diskreten Betrag. Ab dieser Marktgröße wird die ausländische Unternehmung auf jeden Fall eine inländische Produktionsstätte einrichten, auch wenn es den inländischen Betrieb nicht aufkaufen kann. Die Privatisierungsagentur befindet sich dann gegenüber dem ausländischen Unternehmen in einer schwachen Verhandlungsposition. Die Marktrnacht des inländischen Betriebs ist nach dem Marktzutritt des ausländischen Unternehmens gering, und das Beschäftigungsziel kann mit ineffizienten Technologien nur unter hohen Verlusten erreicht werden. Dies erklärt, warum der Reservationspreis der Privatisierungsagentur zurückgeht. Dadurch wird es wahrscheinlich, daß es zu einem Vertragsabschluß zwischen den beiden Parteien kommt.

VI. Zusammenfassung In vielen Reformländern scheint die Privatisierung der staatseigenen Betriebe ins Stocken geraten zu sein. Erklärungen, die dafür gewöhnlich in Feld geführt werden, sind die mangelhafte Vorbereitung von Privatisierungsprogrammen, die

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Tatsache, daß die Rosinenstücke der Wirtschaft inzwischen privatisiert seien und eine allgemeine Reformmüdigkeit der Wähler und der Regierungen. Obwohl diese Erklärungsansätze ohne Frage ihre Berechtigung haben, schlagen wir in der vorliegenden Arbeit eine weitere, "rein ökonomische" Erklärung dieses Phänomens vor, wobei wir uns auf die Rolle ausländischer Direktinvestitionen im Rahmen des Privatisierungs- und Restrukturierungsprozesses in den Transformationsländern beschränken. Unser Ausgangspunkt war die Beobachtung, daß Privatisierungsagenturen in Transformationsländern in der Wahl ihrer Privatisierungsstrategien größeren Beschränkungen unterliegen, als die Treuhandanstalt bei der ostdeutschen Privatisierung. Aufgrund z.T. enormer Budgetprobleme ihrer Regierungen können sie nicht Preisnachlässe ("implizite Subventionen") als Steuerungsvariable der Privatisierung einsetzen. Sie unterliegen "harten" Budgetrestriktionen, die es für sie unumgänglich machen, bei der Privatisierung das Ziel der Erlöserzielung nicht aus den Augen zu verlieren. Dadurch verlieren sie gleichzeitig die Möglichkeit, die Unternehmenspolitik ausländischer Investoren zu beeinflussen und diese an eine bestimmte Zusage - Z.B. Beschäftigungserhalt - zu binden. Wie wir gezeigt haben, kann diese Restriktion zu einer Verlangsamung des Privatisierungsprozesses führen. Die Transformationsländer haben wohl keine andere Wahl, als diese "Langsamkeit" zu akzeptieren. Nur mittel- bis langfristig dürfte eine Beschleunigung der Privatisierung durch eine konsequente, wachstumsfördernde Wirtschaftpolitik zu erreichen sein. Hier dürfte in erster Linie die Ordnungspolitik gefordert sein, wie z.B. die Schaffung klarer Eigentumsrechte, stabiler institutioneller Rahmenbedingungen und einer erhöhten administrativen Effizienz. Allerdings hat unsere Analyse auch gezeigt, daß in wachsenden Märkten die relative Marktmacht der ineffizienten inländischen Betriebe in Transformationsländern schwächer wird, weil die Transformationsländer als Standort für ausländische Unternehmen dann attraktiver werden. Die Privatisierung wird also in expandierenden Märkten leichter, aber möglicherweise nur deshalb, weil die staatlichen Privatisierungsagenturen in eine zunehmend schwächere Verhandlungsposition geraten und ihre Preisforderungen zurücknehmen müssen.

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5*

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Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg unter besonderer Berücksichtigung der Sozialausgaben Von Hermann Ribhegge

I. Die unterschiedliche Ausgangslage Wenn man die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Stadt Frankfurt untersuchen will, so ist es sinnvoll, einen Vergleichsmaßstab auszusuchen. Um die unterschiedlichen Lagen in Ost- und Westdeutsch land darzustellen, wurde die Stadt Flensburg ausgewählt. F1ensburg ist als Vergleichsstadt besonders geeignet, da sie mit 87.500 fast genauso viele Einwohner hat wie Frankfurt mit 86.000. Beide Städte haben immense Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenrate liegt in beiden bei 15 %. Flensburg gehört zu den 15 strukturschwächsten der 166 Regionen Westdeutschlands. Vor dem EG-Beitritt Dänemarks war Flensburg wie Frankfurt eine Grenzstadt mit all den Schwierigkeiten, die sich aus der peripheren Lage ergeben. Des weiteren hat F1ensburg durch den Abzug der Marine ähnliche - wenn auch nicht so gravierende - Konversionsprobleme wie Frankfurt, wobei die AItlastenproblematik im UmweItbereich in Frankfurt gravierender ist. Trotz dieser strukturellen Gemeinsamkeiten beinhaltet ein solcher Ost-WestVergleich Risiken, sind doch die Ausgangspositionen beider Städte grundlegend verschieden. Damit sollen nicht so sehr quantitative Unterschiede wie etwa die wesentlich höhere Verschuldung von F1ensburg angesprochen werden. Während Frankfurt im Vergleich zu anderen ostdeutschen Kommunen zu Beginn des Haushaltsjahres 1994 eine Verschuldung von nur 35,5 Mio. DM (417,91 DM pro Einwohner) hatte, lag sie in F1ensburg schon bei 237 Mio. DM (2.709 DM pro Einwohner). Im Vordergrund stehen vielmehr qualitative Faktoren, die einen Vergleich erschweren und die verdeutlichen, wie unterschiedlich die jeweiligen Ausgangspositionen nach der Vereinigung waren. Besonders dramatisch war die Beschäftigungsentwicklung in Frankfurt. Vor der Wende gab es nur einen einzigen großen Arbeitgeber, das Halbleiterwerk mit ca. 8.000 Beschäftigten. Heute sind nur noch 370 Personen in diesem immer noch in sei-

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Hermann Ribhegge

ner Existenz gefährdeten Unternehmen beschäftigt. Durch ABM, Ansiedlung kleiner mittelständischer Unternehmen sowie die Verlagerung von Landeseinrichtungen nach Frankfurt wurde es geschafft, daß sich die Arbeitslosenrate in Frankfurt auf das Durchschnittsniveau des Landes Brandenburg einpendelte. Eine große Herausforderung war für Frankfurt, zentralstaatliche Aufgaben zu rekommunalisieren. Die ehemalige DDR charakterisierte ein hierarchisch-zentralistischer Staatsaufbau. Die letzten rudimentären Selbstverwaltungselemente wurden per Gesetz 1957 beseitigt. Während die Verwaltung in den westdeutschen Kommunen kontinuierlich aufgebaut werden konnte, mußte nach der Wende in kürzester Zeit eine einigermaßen effizient arbeitende Verwaltung geschaffen werden. Der Eintritt in die Marktwirtschaft war für die ostdeutschen Kommunen besonders schwer, weil in der DDR ein völlig anderes Sozialsystem existierte. Dort dominierte - anders als in Westdeutschland - ein auf den Betrieb ausgerichtetes System der sozialen Sicherung. Kindertagesstätten, Polikliniken usw. waren Bestandteil der VEB 's. Soziale Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft hatten nur subsidiäre Funktion. Mit dem Niedergang der ostdeutschen Unternehmen, die um zu überleben das Personal in den betrieblichen Sozialeinrichtungen abbauen mußten, sowie durch die Privatisierungsstrategie der Treuhandanstalt waren die Kommunen völlig unvorbereitet gezwungen, betriebliche Sozialeinrichtungen zu übernehmen und weiterzuführen, damit nicht das ganze Sozialsystem in sich zusammenbrach. Während in den alten Bundesländern die Kommunen mehr oder weniger kontinuierlich eine vorsichtige Privatisierungsstrategie bei ihren kommunalen sozialen Einrichtungen verfolgen konnten, mußten die ostdeutschen Kommunen abrupt eine Strategie der Sicherung sozialer Einrichtungen durch Kommunalisierung fahren und sahen sich dann zur Konsolidierung der Haushalte gezwungen, eine Privatisierungsstrategie einzuschlagen. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Städten liegt in der Ausstattung mit Infrastruktur: Schulen, Telekommunikation und Abfall- und Abwassereinrichtungen.

11. Einnahmen der Verwaltungs haushalte von Frankfurt und Flensburg Die unterschiedliche finanzielle Situation von Frankfurt und Flensburg zeigt der Gesamtbetrag der Einnahmen des Verwaltungs haushaltes im jeweiligen Haushaltsplan 1994 in Tabelle 1. Während Frankfurt nur Einnahmen in Höhe von 267,8 Mio. DM ausweist, beträgt das Aufkommen in F1ensburg 420,5 Mio.

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg

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DM im Haushaltsansatz. Besonders deutlich werden die Differenzen, wenn man die einzelnen Komponenten auf der Einnahmenseite betrachtet. Diese Differenzen sind dramatisch im Steueraufkommen, das in Frankfurt mit 32 Mio. DM viermal niedriger als das von Flensburg mit 122 Mio. DM ist. Das entspricht aber den Ost-Westrelationen. Nach Berechnungen des DIW (l994b) lag die Steuerkraft der ostdeutschen Kommunen bei 23% derjenigen der westdeutschen. KarrenberglMünstermann (1995) S. 118 gehen für 1994 von 34% und 1995 VOn 40,7% aus. Das niedrige Steueraufkommen Frankfurts wird auch nicht durch die Schlüsselzuweisungen des Bundes und des Landes Brandenburg ausgeglichen. Sie betragen für Frankfurt 86 Mio. DM und für Flensburg 53,6 Mio. DM. Besonders problematisch ist für Frankfurt, daß zum Abbau des Fehlbetrages im Verwaltungshaushalt 25,5 Mio. DM aus dem Vermögenshaushalt abgezogen worden sind. Dies bedeutet, daß Mittel, die eigentlich für die dringend benötigten Investitionen vorgesehen waren, nun zur Deckung konsumtiver Ausgaben verwendet werden. Tabelle 1

Einnahmen des Verwaltungshaushalts im Jahr 1994 (in Mio. DM) Frankfurt (Oder) Steuern davon:

32,8

I

Flensburg 122,1

5,4 6,0

15,7 52,0

20,5

51,8

86,0

53,6

127,4

186,3

Gebühren usw.

31,5

102,8

Zuführung vom Vermögens haushalt

25,5

-

Gesamteinnahmen

267,8

420,5

Grundsteuer B Gewerbesteuer Anteil an der Ei nkommensteuer

Schlüsselzuweisungen Allgemeine Deckungsmittel

Wie ungünstig die Einnahmensituation Frankfurts ist, zeigt sich besonders deutlich beim Gewerbesteueraufkommen. Die Gewerbesteuer war immer der zentrale Steuereinnahmeposten der Gemeinden. Insbesondere reichte sie aus, die Sozialausgaben der Kommunen zu decken. Seit Anfang der neunziger Jahre hat sich die Situation in den alten Bundesländern grundlegend geändert. Die Sozialausgaben der Kommunen sind rapide gestiegen und übersteigen nun das Gewerbesteueraufkommen. Dies gilt auch für Frankfurt, dessen Aufkommen nur

Hermann Ribhegge

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6 Mio. DM beträgt und demgegenüber Flensburg ein Aufkommen von 52 Mio. DM ausweist. Nach Berechnungen von West (1994) liegt das GewerbesteueraufKommen der ostdeutschen Kommunen pro Einwohner bei nur 15 % der westdeutschen. Tabelle 2 Gewerbesteueraufkommen im Jahr 1994

Frankfurt (Oder)

Flensburg

Anzahl der Unternehmen

Anteil in %

Anzahl der Unternehmen

Anteil in %

keine Gewerbesteuer

413

56

4.971

83

I bis 1.000 DM

78

10

176

3

1.001 - 10.000 DM

181

25

506

8

10.001-100.000 DM

63

8,5

304

5

über 100.000 DM

4

0,5

62

1

Der wichtigste Grund für die immensen Unterschiede in der Gewerbesteuer ist das immer noch niedrige Produktionsniveau in den neuen Bundesländern. Darüber hinaus wird der Aufschwung in den ostdeutschen Kommunen von den kleinen und mittelständischen Unternehmen getragen. Aufgrund der hohen Freibeträge bei der Gewerbesteuer sind diese aber weitgehend von der Steuer befreit. Betrachtet man das GewerbesteueraufKommen gegliedert nach der Höhe der Zahlungen, so haben in Frankfurt nur 67 Unternehmen, aber in Flensburg immerhin 366 Unternehmen mehr als 10.000 DM Gewerbesteuer gezahlt. Des weiteren wird in den ostdeutschen Kommunen keine Gewerbekapitalsteuer erhoben. Hinzu kommt, daß Frankfurt und Flensburg bei der Gewerbesteuer einen recht niedrigen Hebesatz von 350 % beschlossen haben. Damit liegen sie nach Rieger (1994) S. 18 unter dem Bundesdurchschnitt von 407 % und haben einen großen Abstand z. B. zum Spitzenhebesatz von Frankfurt am Main mit 515 %. Auf der anderen Seite hat selbst das Wirtschaftszentrum Berlin einen wesentlich niedrigeren Hebesatz von 300 %. Um Industrie anzuwerben, müssen die Kommunen niedrige Hebesätze anbieten, um im Wettbewerb der Industriestandorte zu bestehen, da für die Unternehmen der Hebesatz ein entscheidender Indikator für die Industriefreundlichkeit einer Kommune ist. Aus diesem Sachverhalt ergibt sich ein besonderes Dilemma für Rückstandsgebiete wie Frankfurt und Flensburg. Um im Wettbewerb

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mithalten zu können, müssen sie niedrige Hebesätze beschließen. Dies führt zu einem entsprechend niedrigen Steueraufkommen, so daß sich der Ausgabenspielraum verengt und der dringende Bedarf an Infrastrukturinvestitionen nicht befriedigt werden kann. Dies führt zu einem weiteren Standortnachteil, der durch noch niedrigere Hebesätze aber nur unzureichend kompensiert werden kann. All die Einnahmen der Stadt Frankfurt reichen insgesamt nicht aus, um einen ausgeglichenen Verwaltungshaushalt zu realisieren. Der Haushalt von Frankfurt schließt in 1994 mit einem Fehlbetrag von 41 Mio. DM ab. Auch Flensburg hat einen Fehlbetrag von 12,2 Mio. DM, dem aber ein entsprechender Übertrag in den Vermögenshaushalt gegenübersteht.

III. Ausgaben im Verwaltungshaushalt von Frankfurt und Flensburg Spricht man die Ausgabenseite des Verwaltungshaushaltes ostdeutscher Kommunen an, so hört man immer wieder den pauschalen Vorwurf, daß deren Personalausgaben völlig überdimensioniert seien. Tabelle 3 scheint diese These zu bestätigen: Frankfurt hat 2.492 Beschäftigte, hingegen Flensburg nur 1.958 trotz eines wesentlich höheren Haushalts. Auf tausend Einwohner kommen in Frankfurt 29 und in Flensburg 22 Beschäftigte. Die Personalausgaben betragen 151 Mio. DM, das sind 51 % der Ausgaben im Verwaltungshaushalt. Die von Flensburg betragen 130 Mio. DM, also nur 29 %. Diese Relation ist aber typisch für das Ost-West-Verhältnis. Nach Junkernheinrich (1994) S. 177 liegt der Anteil der Personalausgaben westdeut scher Kommunen bei etwa einem Drittel, hingegen bei den ostdeutschen bei der Hälfte der Ausgaben des Verwaltungshaushalts. Günstiger stellt sich die Personalsituation Frankfurts dar, wenn man den enormen Personalabbau der letzten Jahre berücksichtigt. So waren im März 1992 noch 3.500 Personen bei der Stadt beschäftigt. Es ist ihr gelungen, im Kernbereich der Verwaltung die Beschäftigtenzahl auf die Landesvorgabe von 22 Mitarbeitern pro 1 000 Einwohner zu reduzieren. Überproportional ist aber der Anteil der Personalausgaben Frankfurts im Bereich Kindergärten und Horte mit 45 Mio. DM. 1993 wurden in diesem Bereich noch 953 Mitarbeiter beschäftigt. Deren Zahl ist 1994 auf 691 gesunken. Es sollen in 1995 weitere 9 der noch bestehenden 39 städtischen Kindergärten geschlossen werden. Die Übertragung von städtischen Einrichtungen in freie Trägerschaft löst hingegen nicht die finanziellen Probleme Frankfurts. Sie führt im wesentlichen nur zu einem Substitutionsprozeß von Personal ausgaben durch

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Hermann Ribhegge

Zuschüsse. So stieg das Zuschußvolumen in diesem Bereich in Frankfurt von 1993 auf 1994 von 3,8 Mio. DM auf 10 Mio. DM. Tabelle 3 Indikatoren der Personalstruktur- und ausgaben Frankfurt (Oder) I.

Beamte Angestellte Arbeiter Beschäftigte insgesamt

2.

Beschäftigte pro 1.000 Einwohner

3. a) Personalausgaben in Millionen DM b) Beiträge zu Versorgungskassen in Millionen DM 4.

5.

Prozentualer Anteil der Personalausgaben am Verwaltungshaushalt Beschäftigte im Sozialbereich davon Kindergärten usw.

Flensburg

42 1.975 475 2.492

405 831 722 1.958

29

22

151.3

130.0

-

10.0

51

29

907

577

691

102

Andererseits hat Frankfurt den Prozeß der Privatisierung wesentlich weiter vorangetrieben als Flensburg. Während Flensburg im Bereich Abwasser und Abfall über 171 Beschäftigte verfügt, ist der Personal bestand Frankfurts in diesem Bereich minimal, da dieser Bereich von Frankfurt privatisiert worden ist. Entsprechend fällt auch das Gebührenaufkommen im Haushalt Frankfurts wesentlich niedriger aus. Dennoch kommt die Deutsche Bundesbank (1994) S.32 zu einer positiven Beurteilung: "So betrachtet ist das ostdeutsche Gebührenaufkommen pro Einwohner in Höhe von rund zwei Dritteln des westdeutschen Niveaus ein Anzeichen dafür, daß vorhandene Gebührenspielräume in den erfaßten Bereichen relativ stark ausgeschöpft werden." Wesentlich informativer als eine pauschale Gegenüberstellung der absoluten Beschäftigtenzahlen ist - wie die obigen Ausführungen zeigen sollten - eine detaillierte Analyse der Beschäftigungsstruktur. Hier fällt auf, daß Flensburg einen

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg

75

immens hohen Anteil an Beamten hat, der mit 20 % über dem Durchschnitt von 9 % bei den Kommunen Westdeutsch lands liegt. Während Flensburg 405 Beamte zu versorgen hat, sind dies in Frankfurt nur 42 Beamte, wobei von den 42 Planstellen zur Zeit weniger als 10 tatsächlich besetzt sind. Hinzu kommt, daß in den alten Bundesländern die Angestellten im öffentlichen Dienst versorgungsmäßig den Beamten gleichgestellt sind. Durch die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst werden die Renten im Prinzip auf das Versorgungsniveau der Beamten angehoben. Diese Zusatzversorgung wird gemäß Tarifvertrag in Ostdeutschland erst in den nächsten Jahren eingeführt. Werden für die Beamten keine Pensionsrückstellungen vorgenommen, so müssen die anfallenden Pensionen aus den zukünftigen Haushalten gezahlt werden. Die Kommunen haben aber in dem Sinne Vorsorge getroffen, daß sie Beiträge für ihre Beamten in eine Versorgungskasse einzahlen und so das Risiko auf die entsprechende Versicherungsgemeinschaft überwälzen. Die Einzahlung in die Versorgungskasse ist aber keine Lösung des intertemporalen Versorgungsproblems der Kommunen, da sich die Beiträge zur Versorgungskasse verfünffachen werden. Nach einer Untersuchung des Forschungsinstituts für Verwaltungswissenschaften in Speyer werden die Versorgungsaufwendungen für Pensionen bei dem Bund, den Ländern und den Kommunen Westdeutschlands von 35 Mrd. DM in 1993 auf 165 Mrd. DM in 2030 zunehmen. "Nach überschlägigen Berechnungen wird das immer größere Gewicht der Versorgungsbezüge den Zuwachs der Personal ausgaben künftig um bis zu einem halben Prozentpunkt jährlich erhöhen. (DIW (l994a) S. 783)." Wollte z. B. die schleswig-holsteinische Landesregierung sämtliche Pensionskosten durch Rückstellungen abdecken, so müßten bis 2030 einschließlich der bis dahin anfallenden Zinsen rund 21 Mrd. DM angespart werden. Die Versorgungskasse führt zu keiner intertemporalen Entlastung der Kommunen, da sie nach dem Umlage verfahren aufgebaut ist. Es werden nicht - wie dies das Kapitaldeckungsverfahren kennzeichnet - Rückstellungen vorgenommen, so daß keine Kapitalakkumulation erfolgt. Aufgrund der extrem schlechten Altersstruktur bei den Beamten werden die Beiträge zur Versorgungskasse in der Zukunft immens steigen. Während Frankfurt aufgrund seiner wenigen Beamtenstellen fast keine Beiträge zur Versorgungskasse zahlen muß, belaufen sich die Beiträge F1ensburgs schon heute auf 11 Mio. DM, und sie werden in den nächsten Jahren enorm steigen. Aber auch für das Land Brandenburg und damit ebenso für Frankfurt ergeben sich immense Risiken, wenn es zum Zusammenschluß von Berlin und Brandenburg kommt. Denn auf Landesebene liegt der Beamtenanteil bei 44,5 %, und das Land Berlin hat weder Beiträge zur Versorgungskasse geleistet noch Rückstellungen für seine Beamten vorgenommen. Beim Zusammenschluß muß Brandenburg nicht nur die hohen Schulden, sondern auch die Altlasten einer unzureichenden Rückstellungspolitik übernehmen. Aber auch für Frankfurt stellen sich Risiken im Bereich Personal. Nach der mittelfristigen Finanzplanung der Stadt sollen als Beitrag zur Haushaltskonsoli-

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Hermann Ribhegge

dierung die Personal ausgaben nominal nicht steigen. Dies ist ein durchaus ehrgeiziges Ziel. Da die Gehälter heute erst bei 82 % der Westgehälter liegen, wird es zu einem sukzessiven Anpassungsprozeß von zu erwartenden jährlichen 2 % kommen. Rechnet man niedrige Lohnsteigerungen von ca. 2 % in den alten Bundesländern hinzu, so bedeutet Konstanz der Personalausgaben für Frankfurt einen jährlichen, nicht unerheblichen Personalabbau von 4 %. Im Vergleich der Verwaltungshaushalte Frankfurts und Flensburgs ist festzustellen, daß sich die Ausgabenseite - anders als die Einnahmenseite - in ihrer Struktur weitgehend angeglichen hat. Abbildung 1

Ausgaben des VerwaItungshaushalts 1994 nach Haushaltsstellen (in Mio. DM) Vergleich der Ausgaben des Gesamtplans des VelWaltungshaushalts 1994 der Städte Frankfurt (Oder) und Flensburg in Millionen DM Allgemeine Verwaltung Öftentl. Sicherheit und Ordnung Schulen Wissenschaft, Forschung. Kultur

Soziale Sicherung Gesundheit. Sport. Erholung Bau- und Wohnungswesen. Verkehr

Öffentl. Einrichtungen. Wirlschaftsförderung Winschaftl. Unternehmen. a1Jg. Grund- u. Sondervermögen ol.....-"L---5o----~OO----1~50---2-'OO

1- Frankfurt (Oder)

Acnshurg

Natürlich übertreffen die Ausgaben im Verwaltungs haushalt Flensburgs mit 435,4 Mio. DM die von Frankfurt mit 296,8 Mio. DM. Wenn sich auch in vielen Bereichen die Ausgabenstruktur beider Kommunen ähnelt, so kann man doch drei grundlegende Unterschiede auf der Ausgabenseite beider Kommunen aufzeigen: 1. Frankfurt hat wesentlich höhere Ausgaben im Bereich Wissenschaft, Forschung und Kultur. 2. Flensburg hat mit gravierend umfangreicheren Sozialausgaben zu kämpfen. 3. Frankfurts Ausgaben im Bereich öffentlicher Einrichtungen sind wesentlich geringer als die von Flensburg.

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg

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Der letzte Unterschied ist relativ leicht zu erklären. Frankfurt hat in kurzer Zeit konsequenter als Flensburg privatisiert. Abwasser und Müll werden in Frankfurt nicht mehr von öffentlichen Unternehmen besorgt. Insbesondere werden die Abwassergebühren nicht mehr über den Haushalt der Stadt Frankfurt, sondern über eine 100 %ige Tochter der Stadtwerke GmbH der Stadt Frankfurt abgerechnet. Frankfurt hat mit 22 Mio. DM ein wesentlich höheres Defizit im Bereich Wissenschaft, Forschung und Kultur als Flensburg mit 12 Mio. DM ausgewiesen. Besonders gravierend sind die Ausgabenunterschiede im Bereich "Theater, Konzerte und Musikpflege". Hier betragen die Gesamtausgaben Frankfurts 28,8 Mio. DM, hingegen die F1ensburgs nur 7,8 Mio. DM. Bei dem Klischee, der Osten sei arm und der Westen reich, überrascht die große Diskrepanz in den Sozial ausgaben in Frankfurt und F1ensburg von 108 Mio. DM zu 183 Mio. DM. Gemäß diesem Klischee unterstellen Schropp-Koneffke/Kemper (1994) S. 406 "erhöhte Ausgaben (z. B. wegen Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe)" bei fast allen Kommunen der neuen Länder. Sehr deutlich wird die unterschiedliche soziale Situation beider Städte, wenn wir die Sozialhilfeausgaben vergleichen, die in Frankfurt nur 26 Mio. DM und in Flensburg 109 Mio. DM betragen. Insgesamt betragen die Sozialhilfeausgaben der ostdeutschen Kommunen nach Grömig (1994) S. 406 nur 40 % der Sozialhilfeausgaben der westdeutschen Kommunen. Für wesentlich höhere Ausgaben für laufende Hilfe zum Lebensunterhalt würde sprechen, daß die Einkommen in Ostdeutschland immer noch wesentlich niedriger als in Westdeutschland sind. Dies hat zur Folge, daß die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe in den neuen Bundesländern mit 750 DM bedeutend niedriger als in den alten Bundesländern rriit 1000 DM ist, so daß eigentlich viel mehr Arbeitslosenhilfeempfänger im Osten Anspruch auf Sozialhilfe haben müßten. Hinzu kommt, daß die Zahl der Langzeitarbeitslosen (s. Tabelle 4) im Raum Frankfurt grundlegend höher ist als in Flensburg, so daß eigentlich mehr Sozialhilfeempfänger in Ostdeutschland zu erwarten wären. Dabei wird aber die hohe Erwerbsquote der Frauen in Ostdeutschland übersehen, die in den letzten Jahren wider Erwarten nicht rapide zurückgegangen ist. Da es in Frankfurt wesentlich mehr Doppelverdiener als in F1ensburg gibt, führt Arbeitslosigkeit nicht so schnell in die Sozialhilfe. Anders formuliert: Aufgrund der hohen Erwerbsquote der Frauen in Ostdeutschland bedeutet eine gleich hohe Arbeitslosenrate im Osten, daß dort weniger Familien in dem Sinne von Arbeitslosigkeit betroffen sind, daß beide Elternteile kein Einkommen erzielen. Unter diesem Aspekt ist die Arbeitslosenrate kein guter Indikator für die soziale Situation der Familien in West- und Ostdeutschland. Die relativ günstigere Situation Frankfurts bei der Sozialhilfe läßt sich zum einen mit der unterschiedlichen Zahl der Sozialhilfeempfänger und zum anderen

78

Hermann Ribhegge

mit den unterschiedlichen Kosten pro Sozialhilfeempfänger erklären. Nach den Mitteilungen der jeweiligen Landesämter für Statistik (siehe Tabelle 5) wurden 1993 in Frankfurt nur 5.580, in Flensburg hingegen 12.137 Sozialhilfeempfänger registriert. Als Grund für diese Diskrepanz wird oft das Argument - so von Diepgen (1994) S. 58 f. - angeführt, "daß viele Berechtigte noch Hemmungen haben, ihre Ansprüche geltend zu machen oder aber den Papierkrieg scheuen", so daß in den neuen Ländern der Prozentsatz der Inanspruchnahme sozialer Leistungen geringer sei, da z. B. viele Sozialhilfeberechtigte ihre Rechte nicht kennen würden. Wichtiger ist aber, daß in Frankfurt die Zahl der Arbeitslosen nicht höher ist als in Flensburg. Ursache dafür ist der wesentlich größere Umfang an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in den neuen Bundesländern. Gemeint sind hier die ABM, insbesondere § 249 h AFG, sowie die Vielzahl an Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Tabelle 4 Langzeitarbeitslose in Flensburg und Frankfurt Ende September 1994

Arbeitsamtsbezirk Flensburg Langzeitarbeitslose (Anteil an Arbeitslosen insgesamt)

Arbeitsamtsbezirk Frankfurt (Oder)

1456

(10,4%)

4320

(15,4%)

Männer (Anteil an den Langzei tarbei ts losen)

824

(56,6%)

1000

(23,1%)

Frauen (Anteil an den Langzeitarbeitslosen)

632

(43,4% )

3320

(76,9%)

darunter:

Quellen: Arbeitsamt Frankfurt (Oder) (1994): Sonderuntersuchung über Arbeitslose, und Arbeitsamt Flensburg (1994): Sonderauswertung zum Zeitraum September 1992- 1994, Übersichten 1- 3.

Eine weitere Ursache für die geringere Zahl an Sozialhilfeempfängern bildet die günstige Rentensituation der Frauen in den neuen Bundesländern. In Frankfurt (siehe Tabelle 6) sind nur 1,5 % der Empfänger von laufender Hilfe älter als 65 Jahre, in Flensburg aber 5,0 %. Auch liegt der Frauenanteil unter den Sozialhilfeberechtigten mit 45,5 % wesentlich niedriger als in Flensburg mit 53,9 %. Da die Erwerbsquote der Frauen in der DDR bei über 90 % lag und damit doppelt so hoch wie in den alten Bundesländern war, haben viele Frauen einen eigenen Rentenanspruch, der sie von der Inanspruchnahme der Sozialhilfe befreit. So lag die Eckrente Ost im Juli 1995 bei 79 % der Eckrente West. Nach

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg

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Tabelle 5 Empfänger(innen) laufender Hilfe und von Hilfe in besonderen Lebenslagen nach regionaler Gliederung (1993) Flensburg

Frankfurt (Oder)

12.137

5.580

Empfänger insges. laufende Hilfe Hilfe in besonderen Lebenslagen Mehrfachzählungen Aus1änder(innen) absolut

10.750

88,6%

4.052

72,6%

1.804

14,9%

2.100

37,3%

417

3,4%

572

10,3%

1.442

870

Quellen: Statistisches Landesamt Schleswig-Holstein: Die Sozialhilfe in Schleswig-Holstein im Jahre 1993, Teil 2, S. 23. Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg: Sozialhilfe in Brandenburg 1993, Teil 2, S. 47. Aus den Angaben wurde die zu grundeliegende Einwohnerzahl von Frankfurt (Oder) (83.283) ermittelt. Die Anteile addieren sich insbesondere durch Mehrzählungen der Empfänger von Hilfen verschiedener Arten zu mehr als 100%.

Tabelle 6 Empfänger(innen) von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach Geschlecht, Altersgruppen und regionaler Gliederung (1993)

Gesamt

Flensburg

Frankfurt (Oder)

10.694

3.955

Männlich

4.927

46,1%

2.154

54,5%

Weiblich

5.767

53,9%

1.801

45.5%

unter 7 Jahre

1.679

15,7%

704

17,8%

7 - 11 Jahre

712

6,7%

290

7,3%

11 - 15 Jahre

620

5,8%

259

6,5%

15 - 21 Jahre

972

9,1%

386

9,8%

22 - 65 Jahre

6.178

57,7%

2.257

57,1%

über 65 Jahre

533

5,0%

59

1,5%

Quelle:

Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg: Sozialhilfe in Brandenburg 1993, Teil 2, S. 64.

80

Hermann Ribhegge

Berechnungen der Bundesbank (1995) S.24 übersteigt aber schon heute die Durchschnittsrente der Frauen im Osten mit 1.035 DM die der Rentnerinnen im Westen, die sich auf 790 DM beläuft. Hingegen stellt sich die Lage der Männer mit 1.640 DM im Osten und 1.800 DM im Westen genau umgekehrt dar. Hinzu kommt der für die neuen Bundesländer bis 1996 gültige Sozialzuschlag, durch den - wie bei der Rente nach Mindesteinkommen - die niedrigen Renten auf Sozialhilfeniveau angehoben werden. Des weiteren ist die Zahl der Ausländer, die Sozialhilfe empfangen, mit 870 in Frankfurt niedriger als in Flensburg mit 1.442. Hinzu kommt, daß das Land Brandenburg alle anfallenden Sozialausgaben für Ausländer übernimmt. Hingegen übernimmt das Land Schleswig-Holstein nur 81 % sämtlicher Ausgaben bei Asylbewerbern und 30 % bei den sonstigen Ausländern. Wenden wir uns den Kosten pro Sozialhilfeempfänger zu, die durch die Sozialhilfe abgedeckt werden müssen, so stellt sich auch hier die Situation für die Stadt Frankfurt günstiger dar. Die Regelsätze der Sozialhilfe sind in den neuen Bundesländern noch geringfügig niedriger als in den alten. 1994 beispielsweise lag der Regelsatz in Brandenburg bei 500 DM, in Schleswig-Holstein bei 519 DM. Wichtiger sind aber die Wohnungskosten, die von der Sozialhilfe übernommen werden müssen. Zum einen sind die Mieten in den neuen Bundesländern sehr viel niedriger, die Bruttokaltmiete liegt nach der zweiten Grundrnietenverordnung zur Zeit bei durchschnittlich 6,90 DM pro Quadratmeter. Nach Berechnungen des DIW (1995) liegt die Bruttokaltmiete pro Wohnung in Ostdeutschland bei etwa 60 % der Bruttokaltmiete in Westdeutschland. Zum anderen zahlt der Bund in den neuen Bundesländern ein Sonderwohngeld, durch das die ostdeutschen Kommunen entlastet werden. Völlig anders stellt sich die Situation in großen westdeutschen Städten dar. Z. B. zahlt die Stadt München für Sozialhilfeempfänger, die in Einfachpensionen untergebracht werden müssen, "25 DM pro Bett und Tag, ohne selbst für geordnete oder gar menschenwürdige Verhältnisse sorgen zu können" (Kronawitter (1994) S. 115).

IV. Einnahmen und Ausgaben im Vermögens haushalt von Frankfurt und Flensburg Besonders deutlich zeigt die Einnahmenseite des Vermögenshaushaltes (siehe Abbildung 2), mit welchen finanziellen Schwierigkeiten ostdeutsche Kommunen wie Frankfurt konfrontiert sind. Frankfurt kann aufgrund des Fehlbetrags keine Zuführung vom Verwaltungshaushalt in den Vermögenshaushalt realisieren. Selbst durch Zuführungen aus dem Vermögenshaushalt wird das Defizit im Verwaltungshaushalt nicht voll-

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg

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ständig gedeckt. Des weiteren greift Frankfurt zum Ausgleich im Verwaltungshaushalt auf Rücklagen in Höhe von 11,6 Mio. DM zurück. Darüber hinaus werden Sach- und Anlagevermögen in Höhe von 39,8 Mio. DM veräußert, nicht um entsprechende Investitionen zu finanzieren, sondern in erster Linie um 25,5 Mio. DM vom Vermögenshaushalt in den Verwaltungshaushalt fließen zu lassen. Es werden Vermögensbestandteile zur Finanzierung konsumtiver Ausgaben verwendet. Des weiteren kann Frankfurt aufgrund seiner desolaten Haushaltslage überhaupt keine Kredite aufnehmen. Die Stadt ist aufgrund ihres chronischen Fehlbetrages im Verwaltungshaushalt nicht kreditfähig. Wäre Frankfurt eine westdeutsche Stadt, so würde sofort die Kommunalaufsicht einschreiten. Da auch in den nächsten Jahren der Verwaltungshaushalt nicht ausgeglichen sein wird, kann Frankfurt auch in Zukunft keine Kredite für Investitionsvorhaben aufnehmen. Frankfurt ist so ganz auf die Zuweisungen des Landes in Höhe von 58 Mio. DM angewiesen, während Flensburg nur 16,7 Mio. DM erhält. Abbildung 2 Einnahmen des Vermögenshaushalts 1994 (in Mio. DM) Vergleich der Einnahmen des Vermögenshaushalts 1994 der Städte Frankfurt (Oder) und Aensburg in Millionen DM ZutUhrung vom Verwaltungshaushalt

".--..,.--:r--,-----,---.,-----,----,

Entnahmen aus Rücklagen \

Veräul~rung

von Sachen des Anlagevermögens

,,

\' "

'\

\

\ Zuweisung von Zuschüssen

\

Kreditel"""'==-~_~_~_~,--_~_...J

o

Einnahmen insgesamt: Frankfurt (Oder) 110 Mio. Rensburg 82,2 Mio.

10

20

30

40

50

60

rl--F-,..-k-fu,-,(::COd-:-e-:-r)--f'!-en-sbu-,g'l

Die Zuweisungen Frankfurts wurden bis Ende 1994 durch den Fond Deutsche Einheit, an dem F1ensburg über die Gewerbesteuerumlage 1994 mit 2,7 Mio. DM beteiligt war, sowie über das "Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" finanziert. Ab 1995 tritt an ihre Stelle der horizontale Finanzausgleich der Länder. Durch das "Föderale Konsolidierungsprogramm" werden sich nach Berechnungen des DIW (1994 b) S. 447 die Transfers an die ostdeutschen Länder von 31 Mrd. DM auf 47 Mrd. DM erhöhen. Entsprechend plant das Land Brandenburg 7,2 Mrd. DM - nur 371 Mio. DM mehr als 1994 - an die Kommunen

6 Köhler I Pohl

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Hermann Ribhegge

abzugeben. Dies reicht aber nicht aus, um die dringenden Ausgaben im Vermögenshaushalt zu finanzieren. Anhand der Abbildung 3 wird deutlich, daß es Frankfurt gelungen ist, trotz ungünstiger finanzieller Bedingungen ein wesentlich höheres Investitionsvolumen als Flensburg zu realisieren. So beträgt das Ausgabenvolumen im Vermögenshaushalt in Frankfurt 113,8 Mio. DM, das in Flensburg nur 104 Mio. DM. Auffällig ist die große Diskrepanz bei den Ausgaben der Haushaltsstelle öffentlicher Unternehmen. Dies liegt daran, daß Frankfurt stärker als F1ensburg privatisiert hat. So ist der gesamte Abwasserbereich aus dem Haushalt herausgenommen worden und erscheint bei der privaten Stadtwerke GmbH, die eine 100 %ige Tochter der Stadt ist. Von daher spiegelt der Vermögens haushalt die immensen Investitionsaktivitäten Frankfurts auch nur unzureichend wider. Abbildung 3 Ausgaben des Vermögenshaushalts 1994 (in Mio. DM) Vergleich der Ausgaben des Gesamtplans des Vermögenshaushalts 1994 der Städte Frankfurt (Oder) und Flensburg in Millioen DM Allgemeine Verwaltungn---,,-,----,----,---;---..,---,---,

Wissenschaft. Forschung, Kultur SOl.late Sicherung

Gesundheit, Sport, Erholung

...........

Bau- und Wohnungswesen, Verkehr

.....

,"'

Öffentl. Einrichtungen, Wirtschaftsförderung Wirtschaft!. Unternehmen, allg. Grund-

ll.

Sondervennögen

AUg. Finanzwirtschaft 0':...-~--~-~---::"'-~--""3"-O--'35

1- Frankfurt (Oder)

Flcnshurg

V. Mittelfristige Perspektiven in den Sozialausgaben der Kommunen Eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen werden einen immensen Einfluß auf die Sozialausgaben der Kommunen haben. Zu denken ist hier an den mit dem Abtreibungsgesetz eingeführten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Während in den ostdeutschen Kommunen diese Leistungsvorgabe relativ problemlos zu erfüllen ist, da in diesem Bereich schon heute eine Überversor-

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gung besteht und aufgrund des dramatischen Geburtenrückganges Kindergärten geschlossen werden müssen, stellt sich die Situation für die westdeutschen Gemeinden völiig anders dar. So hat Schleswig-Holstein im Kindergartenbereich einen Versorgungsgrad von ca. 70 %, und die Gemeinden müßten immense Investitionen tätigen, um einen 100 %igen Versorgungsgrad zu erreichen. Nach Berechnungen des Deutschen Städtetages fehlen in den alten Bundesländern ungefähr 600.000 Plätze, wobei ein Kindergartenplatz rund 35.000 DM kostet. Um ihren Gesetzesauftrag von 1992 zu erfüllen, hätten die Gemeinden Westdeutschlands bis heute ein Investitionsvolumen von 21 Mrd. im Kindergartenbereich verwirklichen müssen. Dies stellt eine Überforderung der westdeutschen Kommunen dar. Hinzu kommt, daß in den alten Bundesländern - im Gegensatz zu den neuen Bundesländern - überhaupt kein ausreichendes qualifiziertes Personal zur Verfügung steht, um diese neu zu schaffenden Einrichtungen zu betreiben. Entlastungen für die Kommunen wird hingegen die auf dem Umlageverfahren aufbauende Pflegeversicherung mit sich bringen. Zum 1. April dieses Jahres werden von ihr Leistungen im ambulanten und ab dem I. Juli 1996 im stationären Pflegebereich erbracht. Die Bundesregierung - siehe Rudolph (1994) - geht davon aus, daß durch diese Versicherung die Kommunen um mehr als 10 Mrd. DM entlastet werden. Diese Berechnung wird jedoch von dem Deutschen Landkreistag als völlig unrealistisch angesehen. Er geht davon aus, daß sich für die Kommunen im Bereich der Pflege für die Hilfe in besonderen Lebenslagen Ausgaben in Höhe von 19,5 Mrd. DM ohne die Einführung der Pflegeversicherung ergeben würden. Nach Einführung der Pflegeversicherung müssen die Kommunen weiter über die Sozialhilfe für Pflege 13,7 Mrd. DM sowie für die Investitionsförderung von Selbstzahlern 1,2 Mrd. DM aufbringen, so daß sich der Entlastungseffekt auf rund 4 Mrd. DM beläuft. Wie lassen sich diese Diskrepanzen in der Beurteilung des Entlastungseffektes der Pflegeversicherung begründen? Natürlich ist die Datenlage noch unzureichend. Wir wissen nicht, wie viele Personen eine relativ preiswerte ambulante bzw. kostenintensive vollstationäre Pflege in Anspruch nehmen werden. Daß der Entlastungseffekt aber nicht so stark ausfallen wird, liegt u. a. daran, daß nicht alle pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger Leistungsansprüche bei den Pflegekassen geltend machen können, da sie eine Pflege von weniger als 1,5 Stunden pro Tag benötigen und so nicht in die I. Pflegestufe eingeordnet werden. Des weiteren deckt die Pflegeversicherung mit der Leistung von 2.800 DM bzw. bei besonderen Härtefällen 3.300 DM nicht einmal die im vollstationären Bereich zu erwartenden Pflegekosten von 4.000 - 6.000 DM ab, so daß neben den anteiligen Investitionskosten und den Kosten für Unterkunft und Verpflegung (Hotelkosten) auch dieser Fehlbetrag von der Sozialhilfe ausgeglichen werden muß.

6*

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Hermann Ribhegge

Überdies ist noch völlig offen, auf welche Pflegesätze sich die Pflegekassen und die Anbieter von Pflegeleistungen einigen werden. Statt der bisher erwarteten Stundensätze von 30 - 35 DM fordern Anbieter von den Pflegekassen schon bis zu 70 DM. Besonders hart trifft die Kommunen die im Pflegeversicherungsgesetz vorgesehene Finanzierung der Investitionen. Anstatt sich auf ein monistisches Finanzierungssystem zu einigen, bei dem die Pflege kassen sowohl die laufenden Pflegekosten als auch die Investitionskosten tragen, hat der Gesetzgeber sich wie im Krankenhausbereich für ein duales Finanzierungssystem entschieden. Das Gesetz ordnet dabei die Regelzuständigkeit, nicht aber die Durchführungsverantwortung den Ländern zu. Die Länder haben so nach § 9 SGB XI die Infrastrukturverantwortung im Pflegebereich. Finanziert werden sollen diese Infrastrukturmaßnahmen, indem die Einsparungen genutzt werden, die den Trägern der Sozialhilfe durch die Einführung der Pflegeversicherung entstehen, d. h. das Einsparpotential der Kommunen soll genutzt werden. Dies führt dazu, daß der Entlastungseffekt bei den Kommunen zu einem Großteil kompensiert wird. Insbesondere können die Kommunen die Investitionskosten den Nachfragern nicht in Rechnung stellen, sofern öffentliche Mittel zur Investitionsfinanzierung genutzt worden sind. Hingegen können freie Träger, die keine öffentlichen Mittel in Anspruch genommen haben, die Investitionskosten den Pflegefällen anrechnen, so daß die Selbstzahler diese Kosten tragen müssen. Bei Sozialhilfeempfängern, die in solchen Einrichtungen untergebracht worden sind, müssen dann die Kommunen diese Investitionskosten übernehmen. Bezüglich der Investitionskosten gibt es immense Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Während nach Auskunft des Sozialministeriums in Schleswig-Holstein ein zahlenmäßig ausreichendes Angebot an stationären Pflegeplätzen existiert, ist die Ausstattung in den neuen Bundesländern wesentlich schlechter, und es besteht ein hoher Investitionsbedarf. Hinzu kommt, daß östliche Kommunen wie Frankfurt nicht auf freie Träger zurückgreifen können, wie dies im etablierten System von Wohlfahrtsverbänden in Westdeutschland der Fall ist. Da die Ostkommunen im wesentlichen selbst die pflegerische Infrastruktur aufbauen müssen, müssen sie nicht nur die hohen Investitionskosten von 150.000 DM pro Pflegebett in der stationären Pflege für die Sozialhilfeempfänger, sondern auch die der Selbstzahler übernehmen, da eine Ungleichbehandlung vom Gesetzgeber ausgeschlossen worden ist. Das System der dualen Finanzierung führt dazu, daß die armen Kommunen auch für Personen mit hohem Einkommen und Vermögen, die keine oder geringfügige Beiträge zur Pflegeversicherung geleistet haben, die Investitionskosten tragen. Dies ist weder allokativ erwünscht noch gerecht.

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Um die ostdeutschen Kommunen im Investitionsbereich zu entlasten, ist ein Sonderinvestitionsprogramm beschlossen worden, das im Verhältnis 80 : 20 von Bund und Ländern getragen wird und das öffentliche Fördermittel in Höhe von 6,4 Mrd. für die Jahre 1995 - 2002 vorsieht. Ob dieses Programm die finanzschwachen ostdeutschen Kommunen ausreichend entlastet, muß sich noch herausstellen. Nicht nur der hohe Investitionsbedarf läßt bezweifeln, daß die Pflegeversicherung die Sozialetats der Kommunen ausreichend entlastet. Aufgrund der fehlenden Dynamisierung und des gesetzlich verankerten Bilanzgleichgewichts der Versicherung, die dazu führen, daß die Einnahmen nicht steigen bzw. die Ausgaben diese nicht übersteigen dürfen, wird die Pflegeversicherung die Sozialhilfe in Zukunft immer weniger entlasten. Eine Kostenexplosion ist in diesem Bereich besonders in den neuen Bundesländern zu erwarten. Nach Recker (1995) S. 65 lag der monatliche Aufwand bei vollstationärer Pflege 1992 in Westdeutschland bei 3.970 DM, aber in Ostdeutschland nur bei 1.800 DM. Kommt es zur "Angleichung der Lebensverhältnisse" , so bedeutet dies einen immensen Kostenschub für die ostdeutschen Kommunen, wie er schon bei den Personalausgaben der Kommunen existiert. Durch den starken Einsatz arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen ist es gelungen, die Zahl der Arbeitslosen in Ostdeutschland um etwa 115.000 auf ungefähr eine Million zu verringern. Im Frühjahr 1995 waren 600.000 Personen in Arbeitsbeschaffungsprogrammen sowie Weiterbildungs veranstaltungen. Betrachtet man aber die Referentenentwürfe der Bundesregierung zur Arbeitslosen- und Sozialhilfe, so kann man nur das Fazit ziehen, daß die Bundesregierung ihr arbeitsmarktpolitisches Engagement reduzieren und eine Kommunalisierung der Verantwortlichkeit für Arbeitslose beabsichtigt. So bedeutet die geplante Beschränkung der Arbeitslosenhilfe auf maximal 2 Jahre einen Entlastungseffekt für den Bund auf Kosten der Kommunen von 4,3 Mrd. DM in 1995 und von 6,5 Mrd. DM in 1996. Auch der Entwurf, die Höhe der Arbeitslosenhilfe zeit- und situationsgerecht jährlich und nicht wie bisher alle drei Jahre anzupassen, führt zu höheren Sozialhilfeausgaben der Gemeinden, insbesondere der ostdeutschen, da in ihnen das Lohneinkommen niedriger und mittelfristig mit einem hohen Anteil Langzeitarbeitsloser zu rechnen ist. Auch der geplante Wegfall des Bundeszuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit wird die ostdeutschen Kommunen besonders hart treffen, da dies zu einer drastischen Reduzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen führen wird. Während in Frankfurt im Januar 1995 vom Arbeitsamt 732 Stellen finanziert wurden, sind dies im Juli nur noch 643, und es ist geplant, diese Zahl bis Ende

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des Jahres auf 400 ABM zurückzufahren. Besonders dramatisch stellt sich dabei die Situation bei den Auszubildenden dar. Während in den alten Bundesländern rein zahlenmäßig ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Lehrstellenmarkt existiert, kamen in den neuen Bundesländern sechs Wochen vor Beginn des Ausbildungsjahres auf 11.000 noch unbesetzte Stellen 55.000 Bewerber. Von den 1.657 Bewerbern auf eine Lehrstelle hatten in Frankfurt 574 keinen Lehrvertrag abschließen können. In dieser prekären arbeitsmarktpolitischen Situation wird die angestrebte Reform der Sozialhilfe die Kommunen besonders treffen, beabsichtigt die Bundesregierung nicht nur die Arbeitsvermittlung von Sozialhilfeempfängern von den Arbeitsämtern auf die Kommunen zu übertragen, sondern sie auch noch mit der Finanzierung der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu belasten. So sieht der Referentenentwurf vor, daß die SozialhilfesteIlen Einarbeitungszuschüsse usw. gewähren. Allein die vorgesehene Bindung der Regelsätze an die Nettoarbeitsentgelte in den nächsten drei Jahren bedeutet eine Entlastung der Kommunen. All diese Reformmaßnahmen werden aber nicht verhindern, daß die Sozialausgaben der Sprengsatz der Etats der Kommunen sein werden. Und dies gilt insbesondere für die ostdeutschen. Denn mittelfristig werden sich die Sozialausgaben pro Empfänger, die sich nach Neuhäuser (1995) im Jahr 1993 in den neuen Bundesländern auf 257 DM beliefen, an das westdeutsche Niveau von 552 DM anpassen.

VI. Kommunale Autonomie und Subsidiarität Die Verschiebung immer mehr staatlicher Aufgaben im Bereich der Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf die Kommunen wird oft mit dem Subsidiaritätsprinzip begründet. Das Subsidiaritätsprinzip ist nach Riklin (1994) S. 433 f. "ein Legitimations-, Kompetenzvermutungs- und Entscheidungsprinzip. Es umfaßt zwei Wesensmerkmale: a) Aufgaben, welche das Individuum allein nicht zu leisten vermag, sind jener Gemeinschaft anzuvertrauen, die dafür am besten geeignet ist. b) Für die Zuweisung solcher Aufgaben gilt die Kompetenzvermutung zugunsten der kleineren bzw. nicht staatlichen Gemeinschaften." Dies besagt aber nicht, daß die Gemeinschaft erst dann solidarisch dem einzelnen zur Seite treten soll, wenn der einzelne ein Problem allein nicht lösen kann. Mit Recht weist v. Nell-Breuning darauf hin, daß das Subsidiaritätsprin-

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zip nicht als Begründung zum Abbau des Sozialstaates dienen kann, sondern daß es beinhaltet, die Voraussetzungen - z. B. über präventive Maßnahmen - zu schaffen, daß der einzelne in der Lage ist, seine Aufgaben selbständig zu bewältigen. Von daher kann man mit diesem Prinzip eine pauschale Abwälzung von Aufgaben auf die Kommunen nicht begründen. Es muß immer geprüft werden, welche Institution am besten für die Lösung einer Aufgabe geeignet ist. Sowohl das Motivations- als auch das Informationsargument sprechen dafür, daß für die Lösung sozialer Aufgaben die Kommunen besser als Bund und Länder geeignet sind. Sie sind besser informiert über die spezifische Situation eines Antragstellers auf Sozialhilfe. Sie können vor Ort beraten. Und in kleinen Kommunen ist das Verantwortungsgefühl und die Betroffenheit gegenüber Sozialfällen größer als in anonymen zentralen Einrichtungen. Dennoch sollte man das Subsidiaritätsprinzip nicht vorbehaltlos anwenden, widerspricht es doch in vielen Situationen zwei grundlegenden ökonomischen Prinzipien, dem der Identität von Entscheidung und Haftung sowie dem Verursacherprinzip. Gemäß der Property-Rights-Theorie soll, um effiziente Anreizstruktur zu schaffen, derjenige entscheiden, der auch die Konsequenzen seiner Entscheidung zu tragen hat. Im Bereich der Sozialhilfe haften mit ihren Unterstützungsverpflichtungen die Gemeinden, ohne Einfluß auf den einzelnen Sozialhilfeempfänger zu haben. So kann der einzelne Sozialhilfeempfänger durch die Wahl seines Wohnortes autonom bestimmen, welche Kommune seine Sozialhilfe zu tragen hat. Dies hat dazu geführt, daß sich die Sozialhilfe in den Großstädten konzentriert, die sich nach Berechnungen des Städtetages - siehe Gemeindefinanzbericht 1995, S. 142 - in kreisfreien Städten auf 713 DM und in kreisangehörigen auf 406 DM je Einwohner beläuft. Dieses Problem der Großstädte wird sich noch verschärfen, wenn wie z. B. von der CDU vorgeschlagen, die großen Städte höhere Regelsätze erhalten sollen. Erschwert wird das Zuwanderungsproblem durch die Zuweisung von Asylanten durch die Länder, auf die die Kommunen keinen Einfluß haben und die oft wie in Schleswig-Holstein nicht die vollen Kosten der Unterbringung usw. von den Ländern erstattet bekommen. Nicht nur auf die für die Kommunen kosten wirksamen Entscheidungen der Länder, sondern auch auf die der Sozialhilfeempfänger können die Gemeinden nur geringen Einfluß nehmen. Z. B. ist es schon heute möglich, Arbeitsfähigen, aber -unwilligen die Sozialhilfe zu kürzen; hier bringt der Referentenentwurf Verbesserungen. Aber die Gemeinden haben gar nicht die finanziellen Mittel, um Sozialhilfeempfänger in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wie dies im Entwurf verlangt wird. Insgesamt kann man nur dem Urteil von Voscherau (1994)

Hermann Ribhegge

88

S. 97 zustimmen, daß "die kommunale Wohnungs-, AufenthaIts- und Sozialpolitik durch Bundesrecht »fremdbestimmt«" wird. Des weiteren kollidiert das Subsidiaritätsprinzip im Bereich der Sozialpolitik mit dem Verursacherprinzip, nach dem derjenige die Kosten tragen soll, der sie zu verantworten hat. Wendet man sich den in Tabelle 7 dargestellten Gründen für die Inanspruchnahme der Sozialhilfe zu, so sind es in erster Linie die Tatbestände der Arbeitslosigkeit, der Scheidung und einer niedrigen Rente, die zur Inanspruchnahme von Sozialhilfe führen. Für all diese Faktoren sind aber die Kommunen nicht verantwortlich. Keinen der drei Faktoren können sie im Gegensatz zum Bund beeinflussen, der auf diese mit seiner Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik sowie - eingeschränkt - mit seiner Familienpolitik einwirken kann. Tabelle 7

Empfänger(innen) von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach Hauptursache der Hilfegewährung (1993) Flensburg

Frankfurt (Oder)

Bezieher Gesamt

10.750

4.052

Haushalte oder Haushaltsteile Gesamt

6.091

2.214

262

4,3%

39

1,8%

43

0,8%

I

0,0%

427

7,0%

2

0,1%

10

0,2%

26

1,2%

3.149

51,7%

1.017

45,9%

Unzureichende Versicherungsoder Versorgungsansprüche

574

9,4%

131

5,9%

Unzureichendes Einkommen

401

6,6%

129

5,8%

1.225

20,1%

869

39,3%

Krankheit Tod des Ernährers Ausfall des Ernährers unwirtschaftl. Verhalten Arbeitslosigkeit

Sonstige Ursachen

Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg: Sozialhilfe in

Brandenburg 1993, Teil 2, S. 52.

Würde man sowohl für eine Identität von Entscheidung und Haftung sorgen als auch das Verursacherprinzip konsequent im Bereich der sozialen Hilfe anwenden, so würde man damit das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz verwirkli-

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg

89

ehen, demgegenüber nach Zimmermann (1995) S. 69 ff. das Subsidiaritätsprinzip nur eine ergänzende Funktion beinhaltet. Dieses von Olson (1969) aufgestellte Prinzip wird gerade in Ostdeutschland aufgrund unzureichender Finanzierungsverfahren auf der Ebene der Kommunen verletzt. Es besagt, daß die Nutznießer eines Projektes, also die Bürger, auch die Kosten selbst tragen sollen, damit nur effiziente Projekte realisiert werden. Entsprechen die Kosten der Erstellung eines öffentlichen Gutes der Summe der Zahlungsbereitschaften der Bürger für dieses Projekt, so ist Effizienz gewährleistet. Dieses Prinzip wird leider durch die Zuweisungspolitik der ostdeutschen Länder in Frage gestellt. Bis zu 90 % der Kosten kommunaler Maßnahmen wie die Erschließung von Gewerbegebieten werden durch zweckgebundene Zuweisungen des Landes in Brandenburg übernommen. Dies vermittelt bei den Frankfurter Parlamentariern und auch bei den Bürgern das Gefühl, daß das vom Land geförderte Projekt ja nur 10 % des wahren Betrages kostet. Geringes Kostenbewußtsein in Ostdeutschland ist so kein Mentalitätsproblem in dem Sinne, daß die Ostdeutschen nicht mit Geld umzugehen verstünden. Dieses Fehlverhalten findet man entsprechend auch in Westdeutschland. Ursache für das unzureichende Kostenbewußtsein sind vielmehr die Fehlanreize, die von der Zuweisungspolitik der Länder ausgehen und bei den Bürgern eine Nullkostenmentalität entstehen lassen. Darüber hinaus beinhaltet das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz, daß diejenigen über die Realisierung eines Projektes entscheiden, die auch die Nutznießer und gleichzeitig die Zahlenden sind. Bei den in den neuen Bundesländern so bedeutsamen zweckgebundenen Zuweisungen entscheiden nicht die Nutznießer, sondern die Landesbehörden, die nicht die entsprechenden Kenntnisse vor Ort haben und nur unzureichend die Zahlungsbereitschaft der Bürger kennen. Das Instrument der zweckgebundenen Zuweisungen führt nach Ansicht von Zimmermann (1995) S. 72 dazu, daß die Position der Verwaltungen auf Kosten der Parlamente gestärkt wird. Denn die Verwaltungen handeln die Zuschüsse aus, und die Kommunalparlamente können die Vereinbarungen nur noch zur Kenntnis nehmen. Gerade in Ostdeutschland ist diese Entwicklung fatal. Unter dem Aspekt der fiskalischen Äquivalenz ist es deshalb notwendig, die Position der Kommunen zu stärken. Von daher ist es wenig überzeugend, daß die Länder im Rahmen des vertikalen Finanzausgleichs, die um 27 % gestiegenen Transfers von West nach Ost in erster Linie zur Konsolidierung der eigenen Länderfinanzen verwenden und die Zuweisungen an die Kommunen nur um 3 % in 1995 erhöhen. Mit Recht kritisiert der Städtetag - siehe KarrenbergIMünstermann (1995) S. 152ff. - diese Umverteilung von den westdeut-

90

Hermann Ribhegge

schen Konununen, die 40 % der Transfers tragen, an die ostdeutschen Länder und fordert eine 40 %ige Beteiligung der Kommunen, wie dies bis Ende 1994 gesetzlich vorgeschrieben war. Darüber hinaus bedarf es zur Verwirklichung des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz einer Reform der Finanzierung der Sozialhilfe. Hier existiert eine breite Palette von Reformvorschlägen. Zum einen gibt es die Forderung der Konununen nach einer 50 %igen Beteiligung des Bundes an der Sozialhilfe, da ja schon die Arbeitslosenhilfe zu 100 % vom Bund getragen wird; zum anderen existiert der Vorschlag von Bossrrrapp (1995) S. 17, die Höhe der Sozialhilfe nicht mehr von den Ländern, sondern von den Kommunen bestimmen zu lassen.

VII. Ausblick Der Vergleich der Haushalte von Frankfurt und Flensburg ist aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive nur sinnvoll, wenn beide Städte mehr oder weniger repräsentativen Charakter für die jeweilige Situation der Konununen in Ost- und Westdeutschland haben. Wie aber die Ausführungen der letzten beiden Abschnitte gezeigt haben, unterscheiden sich wohl rein quantitativ nicht aber qualitativ die Haushalte in Ost und West. Dies zeigt sich insbesondere, wenn wir die Kommunalfinanzen in den alten Bundesländern mit denen in den neuen vergleichen (s. Tabelle 8). So ist festzustellen, daß sich in den letzten Jahren der Finanzierungsbeitrag in den westdeutschen Konununen zu ihrem Vermägenshaushalt dramatisch verschlechtert hat und die westdeutschen Gemeinden in eine totale Abhängigkeit von den Zuweisungen der Länder geraten. Dies ist eine Abhängigkeit, in der sich die ostdeutschen Gemeinden schon heute befinden. Die Sozialausgaben sind in Ost und West mit über 9 % bzw. 8 % angestiegen. Dies verdeutlicht, daß die Sozialausgaben kein Ost-West-Prob1em, sondern der Sprengsatz in allen kommunalen Haushalten sind.

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg Tabelle 8a Kommunalfinanzen 1993 bis 1995 im alten Bundesgebiet*

1993 Einnahmen!Ausgaben Einnahmen

I 1994 I

1995

1994

Mrd.DM

91

I 1995 +/-

221,71

226,00

232,01

1,9

2,7

davon: Steuern

82,06

80,00

81,00

-2,5

1,3

Gebühren Laufende Zuweisungen vonLand/Bund Investitionszuweisungen von Land/Bund

31,18

33,40

35,40

7,1

6,0

52,64

53,50

54,00

1,6

0,9

12,46

11,50

11,00

-7,7

-4,3

Sonstige Einnahmen

43,37

47,60

50,60

9,8

6,3

230,39

233,00

238,50

1,1

2,4

Ausgaben davon: Personal

59,83

60,00

61,00

0,3

1,7

Sachaufwand

41,11

41,70

42,90

1,4

2,9

Soziale Leistung

44,04

47,08

51,70

8,5

8,2

Zinsen

10,03

10,10

10,70

0,7

5,9

44,71

41,00

38,00

-0,8

-7,3

34,91

31,80

29,60

-8,9

-6,9

9,80

9,20

8,40

-6,1

-8,/

Sonstige Ausgaben

30,67

32,40

34,20

5,6

5,6

Finanzierungssaldo

-8,68

-7,00

-6,50

-

-

Sachinvestitionen davon: Baumaßnahmen Erwerb von Sachvermögen

nachrichtlich: Nettokreditaufnahmen

9,20

5,00

4,50

-

-

Einnahmen des Verwaltungshaushalts

193,39

196,60

201,90

1,7

2,7

Ausgaben des Verwaltungshaushalts

176,78

183,00

191,50

3,5

4,6

15,88

12,60

8,90 -20,7

-29,4

Finanzierungsbeitrag des Verwaltungs- zum Vermögenshaushalt

*

1994 und 1995 Schätzung der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, ohne Krankenhäuser, ohne besondere Finanzierungsvorgänge.

Quelle: Gemeindefinanzbericht 1995 des Deutschen Städtetages, S.116.

Hermann Ribhegge

92

Tabelle 8b Kommunaltinanzen 1993 bis 1995 in den neuen Ländern* 1993 1 1994 1 1995

1994 11995

1993 1 1994 1 1995

Mrd.DM

+/-

% des Westniveaus**

Einnahmen!Ausgaben Einnahmen

54,51 55,10

57,30

1,1

4,0

104,5 103,6

105,0

davon: Steuern

5,18

6,50

7,75

25,5

19,2

26,8

34,4

40,7

Gebühren

4,89

5,20

5,50

6,3

5,8

66,6

66,2

66,0

23,00 23,20

23,65

0,9

1,9

185,7 184,3

186,1

Laufende Zuweisungen von LandIBund Investitions zuweisungen von Land/Bund

8,20

8,70

-14,9

6,1

328,8 303,0

336,1

11,80 12,00

11,70

1,7

-2,5

115,6 107,1

98,3

59,98 60,80

62,70

3,1

3,1

108,8 110,9

111,7

Personal

19,34 18,50

18,50

-4,3

0,0

137,4 131,0

128,9

Sachaufwand

10,47

10,90

11,30

4,1

3,7

108,2 111,1

111.9

Soziale Leistung

5,83

6,40

7,00

9,8

9,4

56,3

56,9

57,5

Zinsen

0,98

1,50

1,90

53,1

26,7

41,5

63,1

75,5

17,99

18,50

18,50

2,8

0,0

171,0 191,7

206,9

15,54

16,15

16,20

3,9

0,3

189,2 215,8

232,6

2,45

2,35

2,30

-4,1

-2,1

106,2 108,5

116,4

4,37

5,00

5,50

14,4

10,0

60,5

-4,47

-5,70

-5,40

-

-

-

6,07

-

-

Sonstige Einnahmen Ausgaben

9,64

davon:

Sachinvesti !ionen davon: Baumaßnahmen Erwerb von Sachvermögen Sonstige Ausgaben Finanzierungssaldo

65,6

68,3

-

-

nachrichtlich: 4,00

4,40

Einnahmen des Verwaltungshaushalts

Nettokreditaufnahmen

41,46 42,90

44,40

3,5

3,5

91,1

92,7

93,4

Ausgaben des Verwaltungshaushalts

39,82 40,90

42,70

2,7

4,4

95,7

95,0

94,8

23,3 -13,9

39,1

60,7

74,0

Finanzierungsbeitrag des Verwaltungs- zum Vermögenshaushalt

1,46

1,80

1,55

280,4 340,0

415,5

*

1994 und 1995 Schätzung der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, ohne Krankenhäuser, ohne besondere Finanzierungsvorgänge.

** Relation der jeweiligen DM je Einwohner für die neuen Länder zu denen der alten Länder.

Quelle: Gemeindefinanzbericht 1995 des Deutschen Städtetages, S. 118

Eine komparative Analyse der Haushalte von Frankfurt (Oder) und Flensburg

93

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Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit - Zur Makroökonomik defizitfinanzierter Staatsausgaben 1 Von Wolfgang Cezanne

I. Einleitung Die Staatsverschuldung ist in Deutschland im Gefolge der Vereinigung sprunghaft angestiegen. Im Zeitraum von 1989 bis 1995 hat sich der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte von ca. 900 Mrd. DM auf ca. 2.000 Mrd. DM mehr als verdoppelt. Das zentrale ökonomische Problem des vereinigten Deutschlands war und ist der krasse Unterschied der Arbeitsproduktivität (1991 ca. 29 % Ost gegenüber West), gepaart mit dem wirtschaftlichen Ziel einer möglichst schnellen Angleichung der Lebensverhältnisse. Nach der Vereinigung ist die Produktion in Ostdeutschland durch Währungsaufwertung, Lohnkostenanstieg und Wegfall der angestammten Absatzmärkte drastisch eingebrochen. Die schnelle Inangriffnahme der Rekonstruktion des veralteten Produktionsapparates war zusammen mit der monetären Einkommensschaffung nur durch erhebliche Finanztransfers aus dem Westen möglich. Zwischen 1991 und 1994 sind ca. 600 Mrd. DM an öffentlichen Finanztransfers nach Ostdeutschland geflossen. Ohne entsprechende Umschichtungen im Staatsbudget führte dies zwingend zu einem drastischen Anstieg der Staatsausgaben. Die Staatsquote beträgt 1995 ca. 51 % gegenüber ca. 45 % 1989 vor der Vereinigung. Der Verzicht auf Steuererhöhungen auf der Einnahmenseite hatte einen entsprechenden Anstieg des Staatsdefizits zur Folge. In der Spitze betrug das Staatsdefizit unter Einschluß von Treuhandanstalt, Bahn und Post 1993 ca. 160 Mrd. DM (VGR-Abgrenzung). Eine Defizitfinanzierung in diesem Ausmaß wirft eine Reihe von Problemen auf, die im folgenden in einem Überblick dargestellt werden.

I Der folgende Beitrag ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung von Cezanne und Maennig (1994). Der Verfasser dankt Wolfgang Maennig für die fruchtbare Zusammenarbeit und die Großzügigkeit bei der Überlassung des Textes für diesen Zweck.

Wolfgang Cezanne

96

In Abschnitt 2 werden zunächst einige Meßgrößen der Staats verschuldung skizziert, um die Entwicklung einordnen zu können. In Abschnitt 3 werden die alternativen Finanzierungsformen der Staatsdefizite dargestel1t. Anhand der Unterscheidung zwischen in- und ausländischer Finanzierung einerseits und Geldmengen- und Kapitalmarktfinanzierung andererseits wird verdeutlicht, daß die Wirkungen der Staatsverschuldung von ihrer konkreten Finanzierungsform abhängen. Auf diese Wirkungen wird dann in Abschnitt 4 detailliert eingegangen. Dabei werden insbesondere die Bedingungen für eine langfristige Solvenz des Staates analysiert sowie die Wirkungen der steigenden Staatsverschuldung auf Inflation, Lastenverteilung und Wachstum. Abschnitt 5 faßt die Ergebnisse zusammen.

11. Entwicklung und Stand der Staatsverschuldung Aus Abbildung 1 wird deutlich, daß der Stand der nominalen Staatsschuld seit 19502 kontinuierlich ansteigt. Für Ende 1995 wird inklusive der Verbindlichkeiten der Treuhandanstalt ein Schuldenstand von ca. 2.000 Mrd. DM erwartet. 3 Abbildung 1 Staatsverschuldung in Deutschland in Mrd. DM 2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 1960

Quelle,'

1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

Deutsche Bundesbank, Monatsberichte ; 1995 Schätzung.

2 Für einen Überblick über die Staatsverschuldung in Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg vgl. Albers (1976), Haller (1976), Hansmeyer und Caesar (1976) sowie Neumark (1976). Für eine detaillierte Analyse der Zeit nach 1950 vgl. Dreissig (1976). 3 Vgl. Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht 1994, S. 64.

Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit

97

Das Staatsdefizit (der Finanzierungssaldo) gibt die im jährlichen Staatsbudget auftretende Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben an. Die Angaben über die Höhe des Staatsdefizits klaffen aufgrund unterschiedlicher Abgrenzungen teilweise erheblich auseinander. Für einen internationalen Vergleich eignet sich das Staatsdefizit in der Abgrenzung der VGR, definiert als die Änderung des Geldvermögens (netto) des Sektors Staat einschließlich der Sozialversicherungsträger, eventueller Nebenhaushalte und der Bundesbank. Das Geldvermögen (netto) ist definiert als die Differenz zwischen Forderungen und Verbindlichkeiten. Unter der Voraussetzung konstanter Forderungen entspricht somit dieses Staatsdefizit der Änderung der Verbindlichkeiten des Staates, d. h. der Änderung der Staatsverschuldung. Zu beachten ist, daß das Staatsdefizit Deutschlands in dieser VGR-Abgrenzung: in der Regel die Defizite der Treuhandanstalt und der Bahn und Post nicht enthält, von dem Finanzierungssaldo in der Abgrenzung der Finanzstatistik zu unterscheiden ist, der exklusive der Sozialversicherungsträger und inklusive geldvermögens neutraler Ausgaben (z.B. Darlehensgewährung) ermittelt wird und in der Regel sehr viel höher ausfällt. 4 Abbildung 2 Staatsdefizit (VGR) in Deutschland in Mrd. DM 20 0 -20 -40 -60 -80 -100 -120 -140 -160 -180 1960

1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

Quellen: SVR, JG (1960 - 1989) ; OECD, Wirtschaftsausblick, Juni 1995, S.65 (1990 1996); 1990 - 1996 einschließlich Treuhandanstalt, Bahn, Post.

4 Zur unterschiedlichen Ermittlung von Finanzierungssalden des Staates vgl. Essig (1990).

7 Köhler I Pohl

Wolfgang Cezanne

98

Aus der Darstellung der Entwicklung des Finanzierungssaldos gemäß VGRAbgrenzung in Abbildung 2 wird deutlich, daß das Budget bis ca. Mitte der 70er Jahre mittelfristig ausgeglichen war. Das Defizit stieg sodann in der Rezession 1975 auf 58 Mrd. DM und blieb in den Folgejahren trotz zwischenzeitlicher Konjunkturerholung hoch. Beginnend 1983 wurde eine Konsolidierungspolitik verfolgt, in deren Folge das Staatsdefizit bis auf 25 Mrd. DM in 1986 zurückging. Nach einem kurzen Wiederanstieg der Defizite 1987/88 gelang 1989 erstmals wieder ein etwa ausgeglichenes Staatsbudget. Im Gefolge der deutschen Vereinigung stieg das Staatsdefizit drastisch an bis auf 164 Mrd. DM in der Spitze in 1993 (inklusive Treuhandanstalt, Bahn und Post). 5 Seit 1994 ist eine gewisse Rückführung der Staatsdefizite zu verzeichnen bis zu einem geschätzten Defizit für 1996 von 82 Mrd. DM.6 Aus ökonomischer Sicht von größerer Bedeutung als diese absoluten Kennziffern ist das Verhältnis dieser Größen zu der dahinter stehenden Wirtschaftskraft der gesamten Volkswirtschaft. Der Verlauf der bundesdeutschen Verschuldungsquote (Bruttostaatsschuld dividiert durch das Bruttoinlandsprodukt) ist in Abbildung 3 dargestellt. Abbildung 3 Internationaler Vergleich der Schuldenquoten in % vom BIP 140

,

120

~--~-----

100

80

--

----....

60

.--

40 r----..,..,......~

. --_._-~.:_.-

-

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-...: ::...:: :.::;--:>---'

0 durch einen positiven Primärsaldo zzgl. Seigniorage ausgeglichen werden muß, soll ein explosives Ansteigen der Verschuldungsquote vermieden werden.

Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit

119

Abbildung 6 Wachstum und Realzins in Deutschland 7

-2

o

co

0\

BSP-Wachstum

Zinsniveau

Anmerkungen: - Wachstumsrate des BSP in Preisen von 1985. - reales Zinsniveau definiert als Public Authority Bond Yield minus Inflationsrate aus dem Consumer Price Index.

Quelle: IMF International Financial Statistics, versch. Jahrgänge.

Drittens ist es möglich, daß bei einem Realzins über der Wachstumsrate der Primärsaldo zzgl. Seigniorage negativ ist. Dieser Fall ist zwingend instabil. Die anfängliche Verschuldungsquote V o steigt gemäß (8) permanent an. Der Staatsbankrott ist ohne eine dauerhafte Veränderung des Primärsaldos zzgl. Seigniorage unvermeidbar. Allgemein gilt, je höher der Realzins, je niedriger die Wachstumsrate und je größer (absolut) die primäre Defizitquote ist, desto eher ergibt sich eine instabile Entwicklung. Oder m. a. W.: Die notwendige Höhe des positiven Primärsaldo zuzüglich Seigniorage steigt mit der anfänglichen Höhe der Verschuldung und der Differenz zwischen Zins- und Wachstumsrate an. Zur Überprüfung der langfristigen Stabilität der bundesdeutschen Verschuldungsentwicklung müssen Annahmen über die zukünftige Entwicklung der durchschnittlichen Höhe der abgeleiteten Einflußfaktoren getroffen werden. Was das reale Wachstum des Bruttosozialproduktes betrifft, so wäre ein Wachstum von durchschnittlich 3 % jährlich schon aus arbeitsmarktpolitischen Erwägungen heraus wünschenswert. Allerdings erscheint dieser Wert vor dem Hintergrund der genannten geringen Wachstumsrate für 1974 - 1992, die auch durch die

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durchschnittliche Wachstumsrate von knapp 2,8 % in den aus heutiger Sicht sehr günstigen Jahren 1983 bis 1992 kaum revidiert wird, eher optimistisch. Deshalb soll in einem ersten Szenario von einem zukünftigen durchschnittlichen Wachstum in Höhe von 2,5 % ausgegangen werden. In einem zweiten, eher pessimistischen Szenario soll entsprechend dem tendenziellen Fall der Wachstumsraten (Maddison, 1982) von künftig nur 1,5 % Wachstum ausgegangen werden, um die Analyse der aktuellen Verschuldungsentwicklung möglichst breit abzusichern. Was die realen Zinsen betrifft, so spricht für weiter steigende Realzinsen der große Kapitalbedarf in den heutigen und zukünftigen Wachstumsregionen im oSiasiatischen Raum, in Osteuropa und in Ostdeutschland. Andererseits ist die durchschnittliche reale Umlaufrendite im Deutschland der Nachkriegszeit mit über 4 % international recht hoch. Die Suche nach einem Gleichgewichtsrealzins bzw. "natürlichen Zins" ist wenig erfolgreich geblieben; die deutlichste Orientierung gibt die auf Wicksell aufbauende neoklassische Zinstheorie mit ihrer Aussage, daß der Gleichgewichtszins der Wachstumsrate des Sozialproduktes entsprechen muß.44 Bei der heutigen hohen Kapitalmobilität ist die relevante Wachstumsrate des Sozialproduktes jedoch nicht mehr die des jeweiligen Landes, sondern eher die Wachstumsrate des Weltsozialproduktes. 45 Die Abschätzung des zukünftigen gleichgewichtigen realen Wachstums des realen WeItsozialproduktes kann nicht Gegenstand dieser Arbeit sein; der Einfachheit halber soll im folgenden alternativ von 3 bzw. 4 % Realzins 46 ausgegangen werden. Die Messung der Seigniorage ist nicht unproblematisch (vgl. Abschnitt 4.2.2). Zur Kalkulation der Stabilitätsbedingungen soll sie mit den ausgeschütteten Bundesbankgewinnen gleichgesetzt werden. Der daraus resultierende Finanzierungsbeitrag zu den Staatsausgaben belief sich in den Jahren 1983 - 1992 auf jeweils durchschnittlich gut 10 Mrd. DM oder rund 0,5 % des BSP. Ausgehend von einer Verschuldungsquote von 62,5 % Ende 1995 ergeben sich damit für das optimistische und das pessimistische Szenario folgende

44 Vgl. beispielsweise Conrad (1963) und Lutz (1967). Der aktuelle Marktzins, der um den natürlichen Zins herum schwankt, ergibt sich aus dem Zusammenspiel des Angebotes an Ersparnissen und der Investitionsnachfrage, vgl. für eine entsprechende Simulation auf weItwirtschaftlichem Niveau Bruno und Sachs (1985), insb. S. 79ff. 45 Unterschiede in nationalen Zinssätzen sind bei erwarteten Wechselkursänderung, Transaktionskosten, Risikoprämien und unterschiedlichen nationalen Besteuerungen möglich (Gaab, 1983); jedoch zeigt sich empirisch ein relativ enger internationaler Zinszusammenhang, vgl. beispielsweise Frenkel und Mussa (1985), sowie die dortigen Literaturhinweise.

46 Strenggenomrnen ist der Zinssatz nach Steuern relevant. Bei einer effizienten Zinsbesteuerung verringert sich somit die Zins-Wachstumsdifferenz, wodurch die Grenzen der Staatsverschuldung weiter nach außen verschoben werden.

Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit

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Werte für die zur Vermeidung einer explosiven Verschuldungssituation notwendigen Primärsalden exklusive Seigniorage: Optimistisches Szenario: y=2,5 % r = 3,0 % (J=

ergibt x =

0,5 % Vo

(r - y) -

(J

= - 0,19 %

Pessimistisches Szenario:

Y= 1,5 % r = 4,0 % (J=

0,5 %

ergibt x = v0 (r - y) -

(J

= 1,1 %

Der tatsächliche Primärsaldo beträgt 1995 inklusive Seigniorage 1,2 % (vgl. Tab. 1), und der Primärsaldo exklusive Seigniorage von 0,5 % somit x = 0,7 %. Gemessen an diesen Werten ist im optimistischen Szenario keine konsolidierende Anpassung notwendig, dagegen besteht im pessimistischen Szenario diese Notwendigkeit. Die tatsächlichen Primärsalden sind jedoch 1995 konjunkturbedingt relativ hoch. Setzt man für den aktuellen konjunkturbereinigten (strukturellen) Primärsaldo inklusive Seigniorage % an, dann bedeutet dies sowohl im optimistischen als auch im pessimistischen Szenario die Notwendigkeit einer konsolidierenden Anpassung.

°

Wenn man davon ausgeht, daß diese notwendige konsolidierende Anpassung zunächst nicht erreicht werden kann, so stellt sich die Frage, wie hoch die Verschuldungsquote werden muß, damit eine dann allfällige Anpassung im Primärüberschuß unwahrscheinlich erscheint. Auch wenn der dauerhaft zu erzielende maximale Primärüberschuß nur schwer exakt berechnet werden kann,47 so dürfte der 1995 erzielte bundesdeutsche Rekord-Primärüberschuß von 1,2 % des BSP im Jahre 1995 ein guter Anhaltspunkt sein. Unter der Annahme eines dauerhaften Primärüberschusses inklusive Seigniorage in dieser Höhe ergibt sich im pessimistischen Szenario eine maximal zulässige Verschuldungsquote von 48 %, im optimistischen Szenario von 240 %.

47 Die Primärüberschüsse der OECD-Länder in den Jahren 1984 - 1994 lagen zwischen -11,2 % für Schweden in 1993 und + 8,8 % für das erdölreiche Norwegen in 1985, vgl. OECD (1993), Tab. 48.

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Während die letztgenannte Verschuldungsquote deutlich über dem liegt, was für Deutschland auf absehbare Zeit "erreichbar" bleibt, ist die maximal zulässige Verschuldung im pessimistischen Szenario mit 62,5 % bereits überschritten. Sofern also das pessimistische Szenario für die langfristig relevante Entwicklungsperspektive angesehen wird, ist eine erhebliche Konsolidierung, die über die bisherigen Anstrengungen hinausgehen müßte, dringend erforderlich. Allerdings ist zu betonen, daß dieses pessimistische Szenario auch eine Reihe anderer, negativer Konsequenzen, beispielsweise im Bereich der Beschäftigung, haben würde. 2.2 Geldmengenjinanzierung und Inflation Die in der Öffentlichkeit am häufigsten befürchtete Wirkung der Staatsdefizite ist die Inflation. Das Notenemissionsmonopol der staatlichen Zentralbank versetzt den Staat in die Lage, sich im Prinzip technisch unbegrenzt gesetzliches Zahlungsmittel zu verschaffen und in Umlauf zu bringen. Der Anreiz für den Staat, sich hierdurch seiner Schulden zu entledigen, ist ein zweifacher. Erstens kann der Staat versuchen, durch Inflation den Realzins zu drücken. Durch eine übermäßige Papiergeldschaffung kommt es über kurz oder lang zur Inflation. Hierdurch können die Staatsschulden real entwertet werden. Dies ist in dem Umfang möglich, wie die Kapitalmärkte Jücht in der Lage sind, die Inflation richtig zu antizipieren. Ansonsten bleibt der Realzins konstant48 und die Entwicklung der Verschuldung von der Inflation unberührt (vgl. Gleichung (5) oben). Zweitens kann der Staat versuchen, durch die Geldschaffung seine Seigniorage zu erhöhen 49 und so zu einer Verringerung der Verschuldungsquote zu ge-

48 Bei unendlich lebenden Wirtschaftssubjekten und konstanter Zeitpräferenz sind die Realzinsen unabhängig von der Inflation, vgl. für ein entsprechendes Modell Sidrauski (1967). Die inflation kann jedoch die Grenzproduktivität des Kapitals und somit das Realzinsniveau langfristig verringern. Für einen entsprechenden empirischen Befund vgl. Carmichael und Stebbing (1983), sowie teilweise im Widerspruch hierzu die Beiträge in Tanzi (1984). 49 Wenngleich ein wesentliches Argument zum staatlichen Anreiz, über eine Geldmengenfinanzierung eine Inflation herbeizuführen, an Zugkraft verliert, ergibt sich langfristig u. U. für den Staat ein Zwang hierzu. Selbst wenn er zunächst eine Kapitalmarktfinanzierung wählt und somit kurzfristig inflationäre Wirkungen kaum zu befürchten sind, da kein expansiver Effekt auf die monetären Aggregate ausgeht, kann dies langfristig anders aussehen. Sofern das Primärdefizit nicht abgebaut wird und der reale Zinssatz höher ist als das reale Wachstum, wächst - wie oben gezeigt die Verschuldungsquote an. An einem Zeitpunkt, zu welchem dem Staat die Schuldenbedienung nicht mehr zugetraut wird, entfällt die Möglichkeit der Finanzierung über den Kapitalmarkt, so daß ausschließlich die Geldmengenfinanzierung als Ausweg verbleibt. Die inflationären Wirkungen der Staatsverschuldung können somit in diesem Fall bei der Kapitalmarktfinanzierung allenfalls hinausgezögert werden. Vgl. Sargent und Wallace (1981) sowie in der Diskussion hierzu beispielsweise McCallum (1984).

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langen (vgl. Gleichung (5) oben; zwischen Änderung der Verschuldungsquote und der relativen realen Seigniorage besteht ein negativer Zusammenhang). Die Seigniorage wird unterschiedlich interpretiert und gemessen. Zunächst wurde darunter ausschließlich der Prägegewinn, also die Differenz zwischen dem Nennwert und den Herstellungskosten des Geldes verstanden. Da die Geldproduktion heutzutage vernachlässigbar geringe Kosten verursacht, entspricht die relative reale Seigniorage der in Umlauf gebrachten zusätzlichen (Zentral bank-) Geldmenge. Die reale Seigniorage entspricht somit dem (Zentralbank-)Geldmengen wachstum multipliziert mit der realen (Zentral bank-)Geldmenge. Diese Definition und die häufig synonym verwendete "Inflationssteuer"50 verwenden als zentrale Größe die Kostenbelastung des privaten Sektors aus der Geldhaltung. Nach dieser Definition belief sich die bundesdeutsche Seigniorage (gemessen durch das Wachstum der Zentralbankgeldmenge dividiert durch das BSP in den Jahren 1963 bis 1990) für Deutschland auf durchschnittlich 0,75 % des BSp.51 Für die bundesdeutschen Verhältnisse sind diese Konzepte zwar nur mittelbar geeignet, den monetären Beitrag zur Finanzierung des Staatsdefizites darzustellen, weil die Bundesbank autonom über die (Zentral bank-)Geldmenge entscheidet und eine Erhöhung nicht unmittelbar zu Staatseinnahmen führt. 52 . 53 Da jedoch der Barwert der laufenden und zukünftigen Notenbankgewinne bei marktgerechter Verzinsung der Zentralbankaktiva der Höhe des geschaffenen Zentralbankgeldes entspricht, kann die Seigniorage mit der Änderung der Zentralbankgeldmenge M langfristig gleichgesetzt werden. Möglichen Abweichungen hiervon wird durch den Faktor f Rechnung getragen. 54

50 Diese entspricht der Kaufkraftumverteilung von der Gesamtheit der Kassenhalter auf die Geldproduzenten und somit der Inflationsrate multipliziert mit der realen Geldmenge, vgl. Friedman (1953). Seigniorage und Inflationssteuer entsprechen sich jedoch nur dann, wenn die reale Geldmenge konstant ist, vgl. beispielsweise Sachs und Larrain (1993), S. 339 - 344. 51 Vgl. Cezanne und Maennig (1994), S. 64. Internationale Vergleiche zeigen, daß die Seigniorage in den Industrieländern, nicht aber in einigen Entwicklungs- und Schwellenländern, regelmäßig von nur untergeordneter Rolle ist, und daß die Bundesrepublik in relativ geringem Umfang darauf zurückgreift; vgl. beispielsweise Fischer (1982). 52 Vgl. ausführlich Klein und Neumann (1990), die den Unterschied zwischen der Kostenbelastung des privaten Sektors und der Erlössituation der Bundesregierung mit den Administrationskosten der Bundesbank. den mit der Diskont- und Kassenkreditpolitik implizierten Transfers an den Banken- und Staatssektor sowie der Bundesbank-Thesaurierungspolitik insbesondere bis Ende der siebziger Jahre erklären. 53 Anders sieht dies bei der Münzemission aus, die jedoch nach dem Münzgesetz ebenfalls in Abstimmung mit der Bundesbank zu erfolgen hat. Die daraus resultierenden Münzgewinne stehen dem Bund unmittelbar zu. Da die Münzgewinne außerordentlich gering sind (sie betrugen 0,73 Mrd. DM im Jahre 1992), wird dieses im folgenden vernachlässigt. 54 Vgl. hierzu Schlesinger, Weber und Ziebarth (1993), S. 58 - 67.

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Der grundsätzliche Zusammenhang mit der Inflation kann durch alternative Darstellungen der relativen realen Seigniorage cr verdeutlicht werden (Friedman, 1953 und Buiter, 1993): (9)

• cr = tM/(PY) =f~m,

wobei m den Kassenhaltungskoeffizienten mit m = M/PY und Wachstum mit ~ = MIM•darstellt.

~

das monetäre

Somit wird im Zusammenhang mit der Budgetgleichung (1) deutlich, daß ein tendenzieller Anreiz bestehen kann, die Staatsausgaben durch Seigniorage, d. h. über eine Erhöhung der (Zentralbank-)Geldmenge und somit letztlich über eine Inflation zu finanzieren. Was das Ausmaß des über die Budgetdefizite ausgelösten Geldmengenwachstums und der Inflation betrifft, so ergibt sich aus den Gleichungen (5) und (9) für das monetäre Wachstum: (10)

~

=

fu [- x + (r -

y) v - • v],

wobei U = 11m = (YP)/M die Umschlaghäufigkeit des Geldes ist. Sofern im langfristigen Gleichgewicht (steady state) die Inflationsrate der Differenz zwischen dem monetären Wachstum und der realen BSP-Wachstumsrate entspricht, folgt bei konstanter Verschuldungsrate für die langfristige Inflationsrate: (11 )

-u

1t

=-

f

-----

[- x + (r - y) • v ] - y,

wobei der Querbalken über einer Variablen den entsprechenden langfristigen Gleichgewichtswert darstellt. Gleichung (11) verdeutlicht, daß die langfristige Inflationsrate positiv von der langfristigen relativen realen Seigniorage (eckige Klammer) abhängt und somit von ähnlichen Determinanten beeinflußt wird wie die Verschuldungsentwicklung in (5). Was die empirische Bedeutung der Budgetdefizite zur Erklärung der bundesdeutschen Inflation angeht, so betragen sowohl die ausgeschütteten Bundesbankgewinne als auch die Erhöhung der Zentralbankgeldmenge regelmäßig weniger als 1 % des Bruttosozialproduktes, wenngleich die Bundesbankausschüttungen in Bezug auf das Budgetdefizit von durchaus größerer Relevanz sind. Die Ursachen für den letztlich geringen Einfluß der Budgetdefizite auf die Inflation in Deutschland kann sowohl über das Angebotsverhalten zur Geldmengenfinanzierung seitens des Bankensystems als auch über die Nachfrage nach Geldmengenfinanzierung seitens des Staates erklärt werden:

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Eine direkte Einflußnahme der Regierung auf die Zentralbank ist in der Bundesrepublik durch das Grundgesetz und das Bundesbankgesetz (BBankG) ausgeschlossen; allerdings muß betont werden, daß diese gesetzliche Autonomie gerade Ausfluß der negativen Erfahrungen mit der deutschen Hyperinflation ist, die sich zum großen Teil über den gerade geschilderten Zusammenhang zwischen Budgetdefiziten und Inflation erklären läßt. 55 Was das Angebotsverhalten des Bankensektors betrifft, so waren Direktkredite bis zum 01.01.l994 nach § 20 des Bundesbankgesetzes (BBankG) nur in begrenztem Umfang und für kurze Frist zulässig. 56 Auf diese begrenzte Direktkreditgewährung wurden von der Bundesbank angekaufte Schatzwechsel angerechnet. Ferner darf die Bundesbank von staatlichen Stellen emitierte Schuldverschreibungen nicht direkt von öffentlichen Schuldnern erwerben; und der Erwerb am offenen Markt ist nach § 21 BBankG ausdrücklich nur zur Regelung des Geldmarktes zulässig. Ein Erwerb solcher Papiere mit dem direkten oder indirekten Ziel einer Finanzierung des Staatsdefizites wäre somit gesetzeswidrig. Schließlich ist festzuhalten, daß die oben genannte dritte Möglichkeit der Geldmengenfinanzierung via Kreditgewährung der Geschäftsbanken an den Staat nur unter Mitwirkung der Bundesbank möglich ist, da für den Bargeldabfluß und die Mindestreserve Zentralbankgeld benötigt wird. Abgesehen von diesen institutionellen Begrenzungen wird die Nachfrage nach Geldmengenfinanzierung seitens des Staates dadurch begrenzt, daß ein erhöhtes monetäres Wachstum J.l. via erhöhte Inflation zur Verringerung der realen Geldnachfrage m führt. 57 Es kann somit ein typischer Laffer~Kurven-Zusam­ menhang entstehen: bei hohen Inflationsraten wird die (negative) Elastizität der Geldnachfrage bzgl. der Inflation absolut größer als eins, so daß weitere Inflationserhöhungen die Erlöse aus der Seigniorage reduzieren. 58 Somit steht der Staat vor einem Optimierungsproblem, an dessen Ende i. d. R. eine begrenzte

55 Bei der in der Weimarer Republik geltenden Gesetzgebung war ein direkter Verkauf der Staatsschuldtitel an die Reichsbank möglich. Die nur begrenzte Kreditwürdigkeit des damaligen deutschen Staates auf den Kapitalmärkten drängte ihn, sein Recht auszuüben und somit die Zentralbankgeldmenge zu erhöhen. Ein sterilisierender Effekt durch Reserveverluste entfiel aufgrund mangelnder Verfügbarkeit weitgehend. Das Verlaufs muster der deutschen Hyperinflation entspricht weitgehend dem anderer Staaten auch in jüngerer Zeit, vgl. beispielsweise Sargent (1982). 56 Die äußersten Grenzen, bis zu der die Bundesbank Kredite gewähren darf, betrugen bis zum 31.12.1993 6 Mrd. DM für den Bund, 2,6 Mrd. DM für die Länder; für die Sondervermögen des Bundes (Bahn, Post, etc.) sind die Plafonds noch geringer. Vgl. hierzu und im folgenden Deutsche Bundesbank (1989), S. 21. Seit Inkrafttreten der Zweiten Stufe der Europäischen Währungsunion sind solche Kredite nicht mehr zulässig. 57 Ein erhöhtes monetäres Wachstum m kann als erhöhter Inflationssteuersatz, eine verringerte Geldnachfrage m als schrumpfende Steuerbasis interpretiert werden, vgl. Buiter (1993), S. 16f. 58 Für eine empirische Querschnittsuntersuchung dieses Lafferkurvenzusammenhanges vgl. Easterly und Schmidt (1991).

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Inflationsrate steht. Entscheidend für die "budgetoptimale" Inflationsrate bzw. Seigniorage ist somit das Ge1dnachfrageverhalten der Wirtschaftssubjekte. Zur Ermittlung der Inflationselastizität der Geldnachfrage kann die reale Geldnachfrage in der Form eines Fehlerkorrekturmodells geschätzt werden. Eine entsprechende Schätzung für die Periode 1974/111 bis 1990/1 ergibt, daß die gleichgewichtige Seigniorage durch Inflation nur geringfügig gesteigert werden kann. 59 Der Grenznutzen eines staatlichen Inflationsdranges ist gewissermaßen geringer als die Grenzkosten in Form von Reputations- und Stimmenverlusten. Vor diesen beiden Hintergründen der institutionellen Bindung der Bundesbank und der deutlich inflationsreagiblen Geldnachfrage der Wirtschaftssubjekte ist die inflationäre Gefahr der Staatsdefizite in der Bundesrepublik nur begrenzt. 60 Eine derart geringe (schleichende), offensichtlich auch weitgehend defizitresistente Inflation wie in der Bundesrepublik führt i. d. R. auch nur zu begrenzten temporären und dauerhaften realen Nutzen und Kosten, die zudem umstritten sind. 61 Im folgenden sind jedoch andere, nicht inflationsinduzierte reale Defizitwirkungen zu diskutieren. 2.3 Kapitalmarktjinanzierung, Umverteilung und Wachstum

Bei den Effekten der Kapitalmarktfinanzierung der Staatsverschuldung stehen neben der Frage nach der Verteilung der Lasten (teilweise in enger Beziehung hierzu) die Wirkungen auf die Investitionstätigkeit und das Wachstum im Vordergrund. Ein Argument für die Schuldenfinanzierung öffentlicher Ausgaben an statt der Steuerfinanzierung ist, daß der Staat bestimmte Investitionen tätigen muß (vgl. speziell für den Fall der deutschen Vereinigung Siebert, 1991, Müller, 1993 und Rürup, 1993), deren Nutzen auch künftigen Generationen zugute kommen und deren Kosten gerechterweise von diesen auch mitgetragen werden sollten (pay-as-you-use-Prinzip). Hierdurch ist eine intertemporale Lastenverschiebung notwendig und durch Schuldenfinanzierung auch möglich. Die Frage, 59 Vgl. Cezanne und Maennig (1994), S. 66f. 60 Für einen Überblick zum empirischen Arbeiten zum Zusammenhang zwischen Budgetdefiziten und monetärem Wachstum bzw. zwischen Budgetdefiziten und Inflation für andere Länder vgl. Hamburger und Zwick (1981), sowie Miller (1983). 61 Vgl. Okun (1975), Streissler u. a. (1976), Wagner (1983) sowie zusammenfassend (Cassei, 1992). Sie hängen insbesondere vom Umfang und der Variablität der Inflation sowie vom Umfang der Antizipation durch die Wirtschaftssubjekte und institutionellen Gegebenheiten wie z. B. der Zulässigkeit und Index- oder Revisionsklauseln in langfristigen Verträgen ab.

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ob durch Schuldenfinanzierung eine Lastenverschiebung in die Zukunft überhaupt möglich ist oder nicht, wird kontrovers diskutiert. 62 Die Möglichkeit einer Lastenverschiebung wird insbesondere von der ,,Neuen Orthodoxie" und in Form des Ricardo-Barro-Äquivalenz-Theorems bestritten. Die Vertreter der ,,Neuen Orthodoxie" behaupten, daß unabhängig von der Finanzierungsart durch Staatsausgaben der gegenwärtigen Generation aus dem gegenwärtigen BSP Ressourcen entzogen werden und dieser reale Ressourcentransfer sich nicht in die Zukunft verschieben läßt. 63 Nach dem Ricardo-Barro-Äquivalenztheorem ist eine Lastenverschiebung der Finanzierung der Staatsausgaben in die Zukunft bei rationalen Erwartungen nicht möglich. 64 Die Argumentation ist, daß der abdiskontierte Wert der künftigen Steuerzahlungen eine gegenwärtige Last ist, die der gegenwärtigen Steuererhöhung entspricht, die vorzunehmen wäre, wenn alternativ zur Schuldenfinanzierung die Steuerfinanzierung gewählt werden würde. Der Vorteil der gegenwärtigen Steuererleichterung im Fall der Schuldenfinanzierung wird hiernach kompensiert durch die gegenwärtige Last der Staatsschuld. Dem Gedanken der lastenfreien Staatsverschuldung sind mehrere Argumente entgegenzuhalten. Gegen die "Neue Orthodoxie" ist einzuwenden, daß nur eine Steuer als Zwangsabgabe eine Last darstellt, dagegen Staatsschuldtitel bei der Schuldenfinanzierung freiwillig gezeichnet werden. 65 Die Schuldenfinanzierung ermöglicht eine intertemporale Optimierung der Konsumströme. In der finanzwissenschaftlichen Literatur ist gesicherte Erkenntnis, daß die Staats verschuldung als ein reines Umverteilungsinstrument zwischen den Generationen angesehen werden kann. 66 Was das Ricardo-Barro-Äquivalenztheorem anbelangt, so ist dessen empirische Relevanz im allgemeinen schwach. 67 Von der Möglichkeit einer intertemporalen Umschichtung in der Einkommensverteilung durch Schuldenfinanzierung dürfte also in der Regel auszugehen sein. Aus dieser Möglichkeit ergibt sich jedoch nicht unbedingt eine uneingeschränkte Rechtfertigung für eine Schuldenfinanzierung öffentlicher Ausgaben.

62 Für einen Überblick zur Lastenverschiebungskontroverse vgl. BLankart (1991), S. 291 - 300, Vaughn und Wagner (1992). 63 Lerner (1948). Zur Darstellung der "Neuen Orthodoxie" vgl. Gandenberger (1979), S. 118. 64 Ricardo (1817), Barro (1974). 65 Buchanan (1958), S. 34 ff.

66 Vgl. z. B. Pestieau (1974), S. 233 und Rose und Wiegard (1983), S. 106. 67 Vgl. die diesbezüglichen Literaturangaben bei BLankart (1991), S. 300.

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Abgesehen davon, daß die Staatsdefizite in Deutschland höher sind als die Investitionen68 und daß eine hinreichend eindeutige intergenerationelle Zuordnung der volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen kaum möglich ist, wird bei diesem Argument meist nicht beachtet, daß die gegenwärtig in Deutschland lebende Generation von den vorausgegangenen Generationen entsprechende (öffentliche) Güter bereitgestellt bekommen hat, ohne mit entsprechend hohen Schulden belastet worden zu sein, und daß auch die zukünftigen Generationen investiv tätig werden, ohne die Nutzungen hieraus in vollem Umfang zu ziehen. Insofern erscheint es überdenkenswert, ob es nicht angemessener ist, daß jede Generation die von ihr verantworteten Investitionen und sonstigen Ausgaben selbst über Steuern finanzieren sollte. Zweitens haben die künftigen Generationen wahrscheinlich sowieso neuartige hohe reale Lasten zu tragen; z. B. durch die Folgen der demographischen Entwicklung der kommenden Jahrzehnte für das Alterssicherungssystem und im Umweltbereich. Im Sinne einer intergenerationellen Gerechtigkeit spricht daher vieles dafür, die künftigen Generationen nicht noch zusätzlich durch Zins- und Tilgungsverpflichtungen aus gegenwärtig begründeten Staatsschulden zu belasten. Drittens, und dies ist die wohl wichtigste und am meisten diskutierte Last der Staatsverschuldung, besteht die Möglichkeit, daß die - via Zinserhöhung69 - verringerte Investitionstätigkeit mittel- und langfristig zu einem verringerten Kapitalstock und Produktionspotential führt. Nach dieser, teilweise als neoklassisch bezeichneten Sicht, lösen defizitfinanzierte Staatsausgaben Zinssteigerungen aus,70 die zur verringerten Investition führen. 7! Wird versucht, den Crowding-Out-Effekt72 durch eine expansive Geldpolitik abzumindern, dann entspricht dies methodisch dem Fall eines geldmengenfi-

68 Vgl. Tabelle 3.

69 Zur Empirie der Zinswirkungen von Staatsdefiziten vgl. beispielsweise Cebula, R. J. (1988), Mankin (1983), Tanzi (1985) sowie Zahind (1988).

70 Bei einem kleinen offenen Land und festen Wechselkursen kann es aufgrund des gegebenen Zinsniveaus nicht zu diesem Zusammenhang kommen, vgl. MundeIl (1962) sowie Fleming (1962) sowie Frenkel und Razin (I 987a). 7! 1m (neo-)klassischen Modell ist die Zinssteigerung die Folge der gestiegenen Kreditnachfrage des Staates am Kapitalmarkt. 1m keynesianischen IS-LM-Modell geht durch die Zinssteigerung am Geldmarkt der negativ vom Zins abhängige Teil der Geldnachfrage (z. B. die Spekulationskasse) zurück, wodurch Raum geschaffen wird für die gestiegene Transaktionskasse (Transaktions-Crowding-Out). 72 Crowding-Out wird meist ausschließlich in Bezug auf die Investitionstätigkeit diskutiert. Freilich können auch andere wirtschaftliche Aktivitäten wie eine (zinsabhängige) Konsumnachfrage durch die Staatsverschuldung verdrängt werden, vgl. beispielsweise Andreoni (1993). Für eine offene Volkswirtschaft müssen zusätzlich, wie in Abschnitt 3 gezeigt, Verdrängungseffekte in

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nanzierten Staatsdefizits, und es kommen die im vorherigen Abschnitt erläuterten Argumente zum Zuge. Zur Verschärfung des Crowding-Out kann es bei flexiblen Preisen kommen: Selbst wenn Geldangebot und/oder -nachfrage nicht vollkommen unelastisch sind, führt die Erhöhung der güterwirtschaftlichen Nachfrage bei unelastischem Güterangebot nicht zur Erhöhung des Outputs, sondern ausschließlich zur Erhöhung des Preisniveaus. 73 Dieser "neoklassischen" Position stehen andere Denkschulen entgegen, die entweder derartige Crowding-Out-Wirkungen verneinen und vielmehr ein Crowding-In, also eine Erhöhung der privaten Investition und des Produktionspotentials für möglich halten oder aber jegliche reale Wirkungen der Staatsdefizite verneinen: Nach der teilweise als "post- oder neokeynesianisch" bezeichneten Schule kommt es insbesondere dann nicht zum Crowding-Out, wenn das Staatsdefizit dazu dient, "es einer sinnvollen Verwendung zuzuführen, da das Kapital anderenfalls ungenutzt bliebe"J4 In einer weitergehenden Sicht liegt eine solche Situation nicht nur kurzfristig zyklisch vor. Vielmehr ist für moderne Industriestaaten eine säkuläre Stagnation typisch, so daß ein dauerhaftes Vollbeschäftigungsgleichgewicht nur zu erreichen ist, wenn der Staat die (positive und wachsende) Lücke zwischen privater Ersparnis und Investition dauerhaft durch kreditfinanzierte Ausgaben schließt (Piel und Simmert, 1981). In einer portfolioorientierten Sicht erhöht sich durch die Realisierung eines Staatsdefizits das Geldvermögen der Privaten. 75 Von diesem Geldvermögenszuwachs gehen expansive Effekte auf die Güter- und Geldnachfrage und - bei unvollkommenen Kapitalmärkten - auf die Nachfrage nach Unternehmensbeteiligungen aus. Deren Zins - die Kapitalkosten der investierenden Unternehmen kann hierdurch per Saldo sinken, es kommt zum Crowding-In. 76

Bezug auf die inländischen (Netto-)exporte, aber auch auf die ausländische Investitions- und Konsumnachfrage beachtet werden. 73 Vgl. ausführlicher, insbesondere zu den Stabilitätsbedingungen Siebke, Knoll und Schmidberger (1981). In einer offenen Volkswirtschaft ist ein unelastisches Angebot jedoch unwahrscheinlich. Sofern die Importgüter zum Teil aus Konsumgütern bestehen, führt der Preisanstieg der inländischen Güter bei konstanten Preisen der ausländischen Güter nicht zu einer entsprechenden Lohnerhöhung. In der Folge fallt der (Produkt-)Reallohn und Produktion und Beschäftigung steigen.

74 Krupp (1981), S. 78; ähnlich auch Glastetter u. a. (1983). Zur völligen Vermeidung eines Crowding-Out ist allerdings entweder eine vollkommen zinsunelastische Investitionsnachfrage und/oder ein vollkommen elastisches Geld- und Kapitalangebot notwendig. 75 Vgl. Olt und Ott (1965), Christ (1968), Blinder und Solow (1973), Tobin und Buiter (1976). 76 Ein Crowding-In ist dann wahrscheinlich, wenn Geld- und Staatsschuldtitel enge Substitute sind, vgl. Tobin (1961) und Friedman (1978) sowie zur empirischen Überprüfung Frankel (1983), Friedman (1984) und Lehment (1984).

9 Köhler I Pohl

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In einer angebots orientierten Sicht führen Steuerverringerungen dazu, daß die Opportunitätskosten der Freizeit, und somit das Arbeits- und gesamtwirtschaftliche Angebot steigen. Das inländische Preisniveau fällt, was tendenziell zur Aktivierung der Leistungsbilanz und Aufwertung der inländischen Währung führt. Diese Angebotseffekte der Steuerverringerung kompensieren tendenziell die in der kurzfristigen Analyse beschriebenen Effekte auf den Wechselkurs und das Preisniveau; ein etwaiger positiver Nachfrageeffekt auf das Einkommen wird durch den Angebotseffekt erhöht (Schröder, 1985). Weiterhin sind positive Angebotseffekte durch die Bereitstellung von Infrastrukturinvestitionen möglich, wenngleich hier die Defizitfinanzierung, und nicht die Staatsausgaben an sich, im Vordergrund der Analyse stehen sollen. Was letztere betrifft, so ergeben sich einige Indizien, die - zumindest in weiten Bereichen der bisherigen Erfahrung und bei richtiger Ailsgestaltung - durchaus positive Beziehungen zwischen der Höhe der Staatsausgaben sowie Produktivität und Wachstum vermuten lassen.?7 Die Ricardianische Position hält hingegen die Staatsdefizite für neutral, d. h. ohne jeden Einfluß auf die Entwicklung der Volkswirtschaft. 78 Hiernach werden die aus Staatsdefiziten resultierenden Staatsschuldtitel von den Privaten im Gegensatz zum obigen Portfoliomodell nicht als Netto-Vermögenszugang angesehen. Bei gegebenen Staats ausgaben hat eine Änderung im Zeitpfad der Steuern - verringerte Steuern in der Gegenwart, erhöhte Steuern in der Zukunft - bei privaten Haushalten mit rationalen Erwartungen und zeitlich unbeschränktem Horizont keinen Einfluß auf ihr permanentes Einkommen: dem Zugang an Bruttovermögen in Form von Staatsschuldtiteln steht eine Zunahme der zukünftigen Steuerzahlungen gegenüber. Unter Berücksichtigung des Zinseszinseffektes bleibt der Barwert der laufenden und zukünftigen Steuerzahlungen und somit das permanente Einkommen und das Netto-Vermögen konstant; eine Steuerfinanzierung und eine Defizitfinanzierung von Staatsausgaben sind hinsichtlich ihrer Wirkungen äquivalent (Ricardo, 1817 und Barro, 1974). Bei Geltung des Äquivalenztheorems hat die Defizitfinanzierung weder Crowding-Out- noch Crowding-In-Effekte, sondern übt auf die Finanzierungsbedingungen für Investitionen überhaupt keinen Einfluß aus.

77 Vgl. Aschauer (1989) und Barro (1989), zitiert nach Sachs und Larrain (1993), S. 209. Grund hierfür kann beispielsweise sein, daß eine gelungene Ordnungspolitik und staatliche Infrastrukturbereitstellung die Grenzkosten der Produktion verringern kann. 78 Ebenfalls in Richtung einer möglichen Neutralität der Staatsverschuldung argumentiert die "Fontänentheorie", wonach der vom Staat in Anspruch genommene Kredit dem Kapitalmarkt nicht endgültig entzogen wird, sondern zumindest teilweise aufgrund der höheren "potentiell anlagebereiten Mittel" (Stützet und Krug, 1981, S. 51) bei anderen Wirtschaftsobjekten das Angebot von Neuem speisen.

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Empirische Untersuchungen zeigen tendenziell, daß die Crowding-Out-Effekte bei akkomodierender Geldpolitik bis ca. Mitte der 70er Jahre kaum eine RoHe spielen,79 danach bei entsprechend stabilitätsorientierter Geldpolitik jedoch durchaus von Bedeutung sind,so Die empirische Relevanz des RicardoBarro-Äquivalenztheorems ist im allgemeinen schwach. Die Substitution der Besteuerung durch Kreditaufnahme führt bei den Privaten nicht zu einer im gleichen Maße steigenden Ersparnis. 81 Langfristig besteht also zumindest die Gefahr, daß durch Staatsverschuldung der Kapitalstock sinkt und es zu Wachstumsverlusten kommt. Wegen nur teilweise rationaler Erwartungen wird das Instrument der Schuldenfinanzierung im politischen Wettbewerb eingesetzt ("to spend without to tax"). Steigende Realzinsen, sinkende Wachstumsraten und steigende Verschuldungsquoten sind die Folge und können langfristig zum Staatsbankrott führen.

V. Zusammenfassung Die Staatsverschuldung kann mit Hilfe verschiedener Indikatoren beschrieben werden, die im FaHe der Bundesrepublik Deutschland jedoch aHe anzeigen, daß das Problem in jüngster Zeit von tendenzieH wachsender Aktualität ist. Die Verschuldungsquote wird Ende 1995 ca. 62,5 % des BSP mit steigender Tendenz betragen; die Defizitquote liegt bei ca. 2 Y2 %. Damit erfüHt die Bundesrepublik zumindest eines der Konvergenzkriterien des Vertrages von Maastricht nicht mehr. Die deutsche Staatsverschuldung engt somit den nationalen und internationalen wirtschaftspolitischen Spielraum bereits deutlich ein. Den Staatsdefiziten steht in der Finanzierungsrechnung in erster Linie die Ersparnis der privaten Haushalte gegenüber; seit der deutschen Vereinigung reicht diese jedoch nicht mehr aus, so daß ein Teil des Staatsdefizites via Leistungsbilanzdefizite vom Ausland finanziert werden muß. Neben dieser Unterteilung in in- und ausländische Finanzierung ist zu beachten, daß das Staatsdefizit über das Bankensystem oder in Form der Kapitalmarktfinanzierung über die Nichtbanken finanziert werden kann. Die Wirkungen der Staatsdefizite hängen z. T. wesentlich von dem gewählten Finanzierungsmix ab. Ob über Staatsdefizite systematisch ein kurzfristig stabilisierender Effekt auf den Konjunkturverlauf ausgeübt werden kann, bleibt 79 Caesar (1984), Evans (1987b), Plosser (1982): Kein Crowding-Out über den Zins. Zur Kritik der Unterstellung einer akkomodierenden Geldpolitik vgl. Lehment (1984). 80 Ein Crowding-Out über den Zins wird nachgewiesen bei Dicke und Trapp (1984), Duwendag (1992), Lehment (1984 und 1985a). 81 Vgl. z. B. Holcombe, Jackson und Zardkoohi (1981), Perschau (1990).

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umstritten, ist jedoch angesichts der langfristigen Folgen der Staatsverschuldung von nur relativierter Bedeutung. In langfristiger Sicht ist bei der Bankenfinanzierung das Problem der Inflation zumindest theoretisch von großer Bedeutung, da sie c.p. zur Erhöhung der Geldmenge führen kann. Allerdings zeigt die institutionelle und empirische Analyse, daß diese Gefahr in Deutschland de facto nur recht gering ist. Bei der Kapitalmarktfinanzierung sind insbesondere die Wirkungen auf die privaten Investitionen bzw. die langfristigen Wachstumseffekte bedeutsam. Wenngleich auch hier die theoretische und empirische Evidenz nicht eindeutig ist, so ergibt sich zumindest tendenziell, daß in den letzten Dekaden die negativen Wirkungen auf den Kapitalstock und das Wachstum überwiegen. Diese eher gedämpft pessimistische Beurteilung steht allerdings unter dem Vorbehalt einer nichtexplosiven Entwicklung der Staatsverschuldung. Die theoretische Analyse verdeutlichte, daß unter der heute für Deutschland dauerhaft gegebenen Rahmenbedingung eines Zinssatzes, der oberhalb der Wachstumsrate des Bruttosozialproduktes liegt, für eine nichtexplosive Staats verschuldung die laufende, mit der Differenz zwischen Zins und Wachstum gewichteten Verschuldungsquote durch zukünftig durchschnittlich positive Primärsalden zzgl. Seigniorage ausgeglichen werden muß. Durch die Berechnung verschiedener Wachstums- und Zinsszenarien wurde deutlich, daß bei der Beantwortung der Frage, ob die augenblickliche Verschuldungssituation Deutschlands bereits zu einer explosiven Entwicklung führen kann, ein Unsicherheitsbereich eingeräumt werden muß. Immerhin wurde deutlich, daß sich unter nicht gänzlich unwahrscheinlichen zukünftigen Entwicklungen eine instabile Entwicklung ergibt. Sofern es hierzu kommt, greift die gedämpft pessimistische Sicht nicht mehr. In diesem Fall sind dramatisch negative Wirkungen in allen oben aufgezeigten Bereichen zu erwarten, und zwar auch in Bereichen (wie der Inflation), wo aufgrund der bisherigen Erfahrung kaum negative Wirkungen festgestellt werden konnten. Insofern besteht ein erheblicher Anpassungsbedarf in der deutschen Finanzpolitik.

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Soziale Voraussetzungen für die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland. Arbeitskultur: Ost- und Westdeutschland im Vergleich Von Heinz Sahner

I. Soziale Ressourcen als Wachstumsfaktoren· Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes hängt von einer Fülle von Faktoren ab, von materiellen wie immateriellen. Als Soziologe werde ich natürlich· danach fragen, wie die sozialen Randbedingungen beschaffen sein müssen, damit das Ziel erreicht wird? Dabei ist der Blick zumindest auf zwei Ebenen zu richten. Da ist einmal die gesellschaftliche Ebene, die Ebene der Institutionen und des implementi~rten Wert- und Normensystems, die eine wirtschaftliche Entwicklung fördern oder behindern können. Ein günstiges Institutionengefüge allein reicht aber nicht aus. Es wird belebt und aktiviert durch Menschen, deren Mentalitäten und Verhaltensmuster dem Institutionengefüge kompatibel sein muß. Was nützt die herrlichste Wasserversorgung, wenn - um eine Metapher von Keynes heranzuziehen, die Pferde nicht saufen. Die Analyse muß sich also auch auf die MikroEbene, auf die Ebene der Individuen und deren Mentalitäten und Verhaltensmuster richten. Die Kompatibilität beider Ebenen ist zumindest nach gesellschaftlichen Umbrüchen nicht immer gegeben. Schließlich, Wissenschaft lebt vom Vergleich. Welche Gesellschaften waren oder sind denn ökonomisch erfolgreich und wo liegen in Ostdeutschland möglicherweise die Defizite? Ich werde zuerst also danach fragen, was denn westliche Industriegesellschaften so erfolgreich gemacht hat. Daß sich als Ergebnis eine sehr komplexe Gemengelage konturiert, wird nur jemanden verwundern, der es gewohnt ist, mit Gewalt über Ein-Faktor-Theorien Komplexität zu reduzieren. Empirisch wird es zudem nur möglich sein, einige wenige Aspekte zu prüfen.

• Für die Hilfe bei· der Vorbereitung des Beitrages danke ich Roland Däumer und Thomas Ketzmerick.

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11. Was machte die westlichen Industriegesellschaften so erfolgreich? Was also machte die westlichen Industriegesellschaften nach verbreiteter Einschätzung so erfolgreich? Die Thematik wird im Fach vorwiegend unter der Überschrift "Modernisierungstheorien" abgehandelt. Eine prominente Variante orientiert sich an Zapf (1992) und an Parsons (1964), ein zentraler Begriff ist hier der der Institutionen. 1. Die Ebene der Institutionen

Institutionen sind soziale Erfindungen, die soziales Handeln kontextspezifisch mit einer gewissen Verbindlichkeit strukturieren. In westlichen IndustriegeseIlschaften spielt nun ein ganz bestimmter Satz von modernen Institutionen eine zentrale Rolle. "Modern" deshalb, weil sie neben anderen wichtigen Funktionen auch noch die der Innovationsfähigkeit umfassen und die Adaptionskapazitäten erweitern. Kurz, sie maximieren Optionen. Dies ist deshalb wichtig, weil gerade dem Institutionengefüge der sozialistischen Gesellschaften diese Eigenschaften offensichtlich fehlten. Zu den Grundinstitutionen moderner Gesellschaften zählt z. B. Zapf die Konkurrenzdemokratie, die Marktwirtschaft und die Wohlstandsgesellschaft mit Massenkonsum und Wohlfahrtsstaat (Zapf 1992: 186). Bei Parsons wird diese Problematik unter dem Begriff der "evolutionären Universalien" diskutiert. Dazu zählen vor allem demokratische Vereinigungen zur Legitimation politischer Entscheidungen, ein Verfahren der Statuszuweisung, das geeignet ist, soziale Ungleichheit zu legitimieren, ferner generalisierte Austauschmedien (Geldwirtschaft), Bürokratie, ein universalistisches Rechtssystem usw. (Parsons 1964). Wenn immer wieder behauptet wird, daß die Sozialwissenschaftler keine gültigen Prognosen über die Entwicklung des Sozialismus getroffen hätten, so kann das mit Parsons leicht widerlegt werden, dem klar war, was aus der aus seiner Sicht defizitären Institutionenstruktur sozialistischer Staaten folgen mußte, "nämlich, daß es die totalitäre kommunistische Organisation langfristig wahrscheinlich mit der 'Demokratie' und ihren politischen und integrativen Kapazitäten nicht voll aufnehmen kann. Ich stelle tatsächlich die Prognose, daß sich die kommunistische Gesellschaftsorganisation als instabil erweisen wird und entweder Anpassungen in Richtung auf die Wahlrechtsdemokratie und ein pluralistisches Parteiensystem machen oder in weniger entwickelte und politisch weniger effektive Organisationsformen 'regredieren' wird; im zweiten Fall würden sich die kommunistischen Länder viel langsamer weiterentwickeln als im ersten Fall. Diese Voraussage stützt sich nicht zuletzt darauf, daß die Kommunistische Partei überall die Aufgabe betont hat, das Volk für eine neue Gesell-

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schaft zu erziehen. Langfristig wird ihre Legitimität bestimmt untergraben, wenn die Parteiführung weiter nicht willens ist, dem Volk zu vertrauen, das sie erzogen hat. In unserem Zusammenhang aber heißt dem Volk vertrauen: ihm einen Teil der politischen Verantwortung anzuvertrauen. Das kann nur bedeuten, daß die monolithische Einheitspartei schließlich ihr Monopol der politischen Verantwortung aufgeben muß" (Parsons 1964, zitiert nach Zapf 1969: 70f). Deutlicher kann man Vorhersagen kaum treffen. So viel zu der Bedeutsamkeit von Institutionen hinsichtlich der Modernisierung von Gesellschaften und bezüglich ihrer adaptiven Kapazitäten.

2. Die Ebene der Individuen Solcherart als modern zu charakterisierende Gesellschaften sind durch Rationalisierungsprozesse (im Weberschen Sinne; Weber 1920; 1981: 238ff, 270) und durch Ausdifferenzierungsprozesse (vgl. hierzu schon Durkheim 1893; Luhmann 1970: 155) gekennzeichnet, die wiederum auf die individuelle Ebene durchschlagen. Zwar setzte der Modernisierungsprozeß bestimmte Wert- und Normensysteme voraus, gleichzeitig förderte er aber auch bestimmte Mentalitäten und Verhaltensmuster, durch die der Modernisierungsprozeß wiederum gefördert wurde. Allgemein kann man sagen, daß dieser Modernisierungsprozeß für die Individuen die Autonomie und die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit oder - noch genereller - die Optionen drastisch erweitert hat. Dieses Spektrum von Mentalitäten und Verhaltensweisen durch das einerseits der Modernisierungsprozeß gefördert, andererseits selbst durch diesen weiter entwickelt wird, kann man wie folgt umreißen (zum folgenden vgl. Hradil 1995: 6ff). Danach werden die Individuen in diesem Modernisierungsprozeß immer eigenständiger, zweckrationaler, individueller, ichbezogener und bindungsloser (z. B. in Bezug zur Familie, Gemeinde etc.). Eine Fülle von Studien zur sogenannten Milieuforschung (Vester u. a. 1993, Vester 1995), zum Wertewandel und zu den Lebensformen belegen diesen Prozeß gut. So stieg die (latente) Gruppe radikaler Individualisten, auch als "hedonistisches Milieu" bezeichnet, von 1982 bis 1991 von 10% auf 13% an. Der Anteil aufstiegsorientierter Bürger stieg im gleichen Zeitraum von 20% auf 24% an, dagegen sinken die Anteile der traditionalen Gruppe, die wenig subjektive Handlungskompetenzen vermitteln und fordern. So schrumpfe die traditionelle Arbeiterkultur zu der Charakteristika wie Bescheidenheit, Verantwortung gegenüber anderen (Solidarität!) und pflichtgemäße Arbeitsorientierung zuzuordnen seien von 9% auf 5%. In Ostdeutschland überwiegen gerade diese weniger modernen traditionalen Milieus, die hier im Jahre 1991 noch einen Anteil von 27% ausmachen (Vester 1995: 18, Hradi11995: 7).

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Überblickt man den Transformationsprozeß, so können wir folgendes Resümee ziehen. Auf gesellschaftlicher Ebene, was die Einführung moderner Institutionen betrifft, kann der Transformationsprozeß in Ostdeutschland als abgeschlossen gelten. Markt, Konkurrenzdemokratie, ein pluralistisches Parteiensystem, ein auf Freiwilligkeit basierendes Verbands- und Vereinswesen, Verwaltungsgerichtsbarkeit und andere Institutionen wurden vergleichsweise problemlos implementiert. Dagegen gibt es auf individueller Ebene Modernisierungsrückstände. Daraus könnte man also schließen, daß zwar die Randbedingungen für die Modernisierung der ostdeutschen Gesellschaft erfüllt seien, nämlich ein modernes System von Institutionen implementiert worden sei, daß aber auf individueller Ebene die Bedingungen nicht - oder nur unvollkommen gegeben seien, es wirksam werden zu lassen.

111. Modernisierungsrückstände in Ostdeutschland: Ballast oder Mitgift? Vor voreiligen Schlüssen sei jedoch gewarnt. Die für moderne Industriegesellschaften typischen Mentalitäten und Verhaltensmuster, so wie wir sie zu charakterisieren versucht haben, waren wichtige Voraussetzungen und Ergebnisse für diesen Modernisierungsprozeß mit den bekannten positiven Folgen: Sie sicherten auf hohem Niveau Wohlstand, Gesundheit, Bildung, Freiheit und Sicherheit. Dieser Modernisierungsprozeß hatte aber auch seine Schattenseiten, erinnert sei nur an die Umweltschäden, technischen Risiken und an die wachsenden inner- und zwischenstaatlichen Ungleichheitsphänomene. Und weniger materielle, sondern soziale Defizite lassen sich anfügen, wie die zunehmenden Verluste an Solidarität oder, wenn Ihnen das lieber ist, an Kohäsion, Gemeinsinn und Gemeinschaftlichkeit, ferner eine zunehmende Erosion moralischer Grundwerte und traditioneller Tugenden (Beispiele: Bescheidenheit, Pünktlichkeit). Der Satz von Institutionen hatte und hat aber so viel eingebaute Flexibilität (Sahner 1995: 11), daß sich Strukturen entwickeln konnten, die geeignet erscheinen, diese Defizite auszugleichen. Freilich, die Gesellschaft verändert dabei ihr Gesicht, in Abgrenzung von der traditionellen Industriegesellschaft wird auch in diesem Zusammenhang häufig von post-industriellen Gesellschaften gesprochen. Der fortschreitende Rationalisierungs- und Ausdifferenzierungsprozeß, hat andererseits eigendynamisch die Ausbildung von Netzwerken und informellen Gruppierungen erforderlich gemacht. Hradil (1995, auf den ich mich hier und im folgenden beziehe) hat auf diese flankierenden Prozesse hingewiesen. "Anders als die derzeit gängige Kulturkri-

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tik wissen will, stehen den Defiziten an Kohäsion, Gemeinsinn und personaler Identität in den 'postindustriellen Gesellschaften' so durchaus Strukturen zur Erfüllung der fehlenden Funktionen gegenüber. Vielleicht sind sie bisher noch häufiger im Entstehen begriffen als schon massenhaft vorhanden. Aber gerade das Aufkommen dieser neuen, kompensatorischen und korrigierenden Gegebenheiten zeichnet 'postindustrielle Gesellschaften' aus. So zeigen zum Beispiel die Ergebnisse der 'Wertewandeldebatte', daß von einem generellen Werteverfall keine Rede sein kann. 'Alte' materielle und Pflicht-Werte bleiben durchaus bestehen und mischen sich in unterschiedlicher Weise mit 'neuen' Werten. Das Aufkommen dieser 'neuen' postmateriellen und Selbstentfaltungswerte wird üblicherweise als Sozialisationsergebnis und Reaktion auf veränderte Lebensbedingungen erklärt. Es läßt sich aber auch als Ausgleichsfunktion, möglicherweise sogar als den Menschen durchaus bewußte Aktion zur Kompensation von Funktionsdefiziten deuten. Selbstverwirklichung wirkt der Funktionalisierung von Menschen in modernen Industriegesellschaften entgegen. Auch die Pluralisierung von Lebensformen - das heißt die Zunahme der Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften, Alleinerziehender und Singles - die sorgsam gepflegten Bekanntenkreise von Singles und Alleinerziehenden, die allerorten tätigen Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen mit ihren Milieus und Netzwerken stellen mittlerweile unersetzliche Strukturelemente 'postindustrieller Gesellschaften' dar. Es ist offenkundig, daß diese soziokulturellen Strukturen manchen Einseitigkeiten industriegesellschaftlicher Strukturen und deutlichen Funktionsdefiziten sozialstaatlicher, politischer, wirtschaftlicher Organisationen abhelfen. Sie entsprechen gerade nicht den funktional spezialisierten, formell organisierten, standardisierten Strukturformen herkömmlicher Industriegesellschaften (wie die 'Normalfamilie', die Volksparteien, die großen Sozialversicherungen)" (Hradil 1995: 12.). Wir haben es bei diesen so charakterisierten postindustriellen Gesellschaften also mit einer ganz besonderen Gemengelage zu tun. Einerseits beobachten wir weitergehende funktionale Differenzierung und Rationalisierung, andererseits aber auch Gegenbewegungen, die die Gemeinschaftlichkeit fördern. Im einen wie im anderen Fall werden aber besondere Ansprüche an die subjektiven Fertigkeiten gestellt. Und gerade hier kommt ein bestimmter Aspekt der Mentalitäten und Verhaltensmuster, also der häufig als Modernisierungsbremse charakterisierten Strukturen des Denkens und HandeIns ostdeutscher Bürger zum Tragen. In der Bildung von Beschaffungsgemeinschaften (Hanf 1992) und in der dafür erforderlichen Netzwerkbildung haben sie sich jahrelang geübt, und die starke Ausbildung von Solidaritäts- und Wir-Gefühlen ist nicht nur Propaganda, sondern läßt sich auch heute noch nachweisen. Die Funktionalität ganz typischer DDR-Mentalitäten für die postindustrielle Gesellschaft läßt sich also mit modernisierungstheoretischen Argumenten begründen, für die man den Begriff der weitergehenden Modernisierung (Zapf 1990: 35) heranziehen kann.

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Kurz, den "Modernisierungsrückständen" (Rückzugs mentalität, Privatismus, formales Pflichtdenken, Materialismus, Autoritäts- und Staatsgläubigkeit, (Hradil 1995: 4), steht auch ein beträchtliches Potential "fortschrittlicher", nämlich postmoderner Mentalitäten und Verhaltensweisen gegenüber. Frage, ist Ostdeutschland für eine reife Industriegesellschaft oder, wenn Sie so wollen, für eine postmoderne Gesellschaft, in der wieder verstärkt traditionelle Tugenden des Gemeinsinns und der Solidarität gelten und in der dem Bereich der Arbeit wieder eine höhere Bedeutung zukommt, zumindest doch partiell besser geeignet als Westdeutschland? Wie sehr man im Westen - und besonders in den USA, wo dem Liberalismus und Individualismus ein besonderer Stellenwert zukam und noch zukommt - die augenfälliger werdenden Defizite des Rationalisierungs- und Differenzierungsprozesses erkannt hat, zeigt die immer mehr raumgreifende Kommunitarismusdebatte (vgl. dazu z. B. Reese-Schäfer 1994) oder die Debatte um die Risikogesellschaft (Beck 1986).

IV. Empirische Befunde 1. Bedeutsamkeit der Arbeit in Ost- und Westdeutschland Alle empirischen Untersuchungen deuten zweifellos auf die Existenz eines vergleichsweise traditionelleren Wertmusters in Ostdeutschland hin. Die Frage ist nur, wie lange sich die spezifisch ostdeutschen Mentalitäten und Verhaltensweisen unter den veränderten gesellschaftlichen Randbedingungen halten. Wie wir schon bei der Diskussion des Modernisierungsprozesses gesehen haben, läßt sich - wenn auch nicht in so einseitig deterministischer Weise - behaupten, das Sein bestimmt das Bewußtsein. Unter bestimmten Gesellschaften bilden sich je spezifische Wert- und Verhaltensmuster aus. Und wird nicht gerade die besonders hohe Bewertung der Arbeit, wie sie für sozialistische Gesellschaften typisch war, sich mit den veränderten gesellschaftlichen Randbedingungen verflüchtigen? Bekanntlich nahm die Arbeit in der Ideologie und in der Indoktrination einen zentralen Stellenwert in sozialistischen Gesellschaften ein. Nach dem marxistischen Weltbild gehört sie zum Wesen des Menschen und ist die lebensbestimmende Äußerungsform seines Daseins. Entsprechend wurde sie auch in der Programmatik der SED als "Herzstück der sozialistischen Lebensweise betrachtet" (Stollberg 1988: 11). Die Erinnerung daran begleitete die Bürger der DDR ein Leben lang. Aber, so fragen Häder und Häder (1995:163), könnte man sich nicht gerade aufgrund dieser von der SED-Ideologie verkündeten zentralen Bedeutung der Arbeit für die sozialistische Lebensweise und als Folge des in der DDR völlig unzulänglich organisierten innerbetrieblichen Arbeitsprozesses, sowie aufgrund

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der Misere der gesamten DDR-Volkswirtschaft, eine Abwendung von der traditionellen Bedeutung der Arbeit vorstellen? Diese Abkehr könnte zudem durch die immens gestiegenen Freizeitmöglichkeiten gefördert werden. Wird in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland Arbeit und Beruf überhaupt noch höher bewertet? Wenn es um die Bewertung der Arbeit geht, gerade auch im Vergleich zu anderen Lebensbereichen, dann läßt sich eine solche Fragestellung leicht empirisch untersuchen. So gibt es in nationalen und international vergleichenden Untersuchungen eine Standardfrage über die Wichtigkeit von Lebensbereichen. Solchen Studien kann man entnehmen, daß die Arbeit den Westdeutschen vergleichsweise wenig wichtig ist (Tabelle I). Nur 35% halten sie für sehr wichtig. Sie bilden damit zusammen mit Portugal das Schlußlicht in einem Sampie ausgewählter westeuropäischer Staaten. Den nächst niedrigen Anteil hat Großbritannien mit immerhin schon 49%. In Spanien und Irland halten 65% die Arbeit für "sehr wichtig" und Schweden kommt gar auf 67%. Ab 1991 liegen auch Daten vor, die einen Vergleich zwischen Ost- und Westdeutsch land ermöglichen. Während der Anteil für Westdeutsch land für die Jahre 1991 und 1992 bei 39% liegt, ist für 64% bzw. 66% der Bürger von Ostdeutschland die Arbeit "sehr wichtig". Europaweit liegen sie damit in der Spitzengruppe. Das Bild wird bestätigt, wenn man nicht nur die Extremgruppe (sehr wichtig) betrachtet, sondern über einen Mittelwertvergleich alle Kategorien in die Betrachtung einfließen läßt. Gleichzeitig kann man sich einen Eindruck von der Stellung der Arbeit im Leben der Bürger machen, wenn man die subjektiven Bewertungen anderer in diesem Zusammenhang erfaßter Lebensbereiche mit einbezieht (Tabelle 2). Es zeigt sich eine hohe Übereinstimmung von Ost- und Westdeutschen, was die Bedeutung einzelner Lebensbereiche betrifft, bis auf einen gravierenden Unterschied. Während in Westdeutschland Arbeit und Beruf den 4. Rangplatz einnehmen, nimmt er in Ostdeutschland den 2. Rangplatz ein. Diese Befunde weisen über verschiedene Untersuchungen hinweg Konsistenz und bisher auch zeitliche Stabilität auf (Habich und Noll 1994: 490, 492; cf. auch die Diskussion bei Kistler und Strech 1992). Zusammenfassend kann man festhalten. Bisher verläuft der Vereinigungsprozeß so, wie er aufgrund bisheriger relativ gesicherter Theorie auch ablaufen mußte und die man vielleicht wie folgt kurz so charakterisieren kann: Die materielle Kultur wird schneller adaptiert als die immaterielle. Man steigt zwar schnell von einem Trabi auf den Golf um, aber mit der Adaption von Mentalitäten dauert es etwas länger. Auch die Implementation und Übernahme der In-

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7

20

die Familie

Bekannte, Freunde

Freizeit

Politik

Religion

14

8

31

41

82

61

F

18

10

44

48

89

49

GB

13

9

40

37

71

35

D

31

7

34

39

87

62

I

21

12

50

59

81

50

9

8

48

52

88

51

NL DK

17

7

40

47

84

56

B

21

6

38

45

83

65

E

48

5

32

55

91

65

34

6

31

53

95

57

IRL NI

10

11

55

69

87

67

S

14

3

47

43

84

54

SF

19

3

15

20

62

35

P

Quelle: Immerfall, 1995.

Hinweis: Zur Auswahl standen: "sehr wichtig", "wichtig", "nicht sehr wichtig", "gar nicht wichtig"; angegeben ist "sehr wichtig"

56

die Arbeit

Gesamt

World Value Survey 1990

- Angaben in Prozent -

Tabelle J Was einem im Leben wichtig ist

25

7

37

35

86

62

A

8

12

38

27

83

64

OstDtd.

14

13

37

33

65

39

WestDtd.

6

11

37

29

80

66

OstDtd.

ALLBUS 1992

Vorgegeben war ein Skalometer, der von (1) unwichtig bis (7) sehr wichtig reichte. Angegeben sind die Prozentzahlen für "sehr wichtig".

13

11

38

33

68

39

WestDtd.

Basisumfrage 1991

~.

...,

:r

'"~

Vl

N

::s

::c

VI

'"

Soziale Voraussetzungen für die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland

157

Tabelle 2 Rangfolgen und mittlere Wichtigkeitsratings auf einer siebenstufigen Skala in West- und Ostdeutschland

-West Mittelwert

Standardabweichung

n

Rangplatz

1991

1992

1991

1992

1991

1992

Eigene Familie und Kinder

I

6,30

6,20

1,29

1,41

1511

2395

Lebensbereiche

Freizeit und Erholung

2

5,84

5,75

1,21

1,27

1512

2393

Freunde und Bekannte

3

5,73

5,75

1,23

1,21

1510

2391

Beruf und Arbeit

4

5,68

5,63

1,54

1,59

1507

2388

Verwandtschaft

5

4,91

4,98

1,58

1,57

1509

2395

Nachbarschaft

6

4,83

4,91

1,57

1,59

1510

2395

Politik und öffentliches Leben

7

4,65

4,63

1,52

1,56

1510

2391

Religion und Kirche

8

3,88

3,86

2,00

2,00

1510

2394

- OstMittelwert

Lebensbereiche

Rangplatz

1991

1992

Standardabweichung

n

1991

1992

1991

1992

Eigene Familie und Kinder

I

6,61

6,52

1,10

1,20

1542

1142

Beruf und Arbeit

2

6,19

6,20

1,50

1,56

1537

1136

Freizeit und Erholung

3

5,73

5,75

1,34

1,33

1538

1143

Freunde und Bekannte

4

5,52

5,49

1,32

1,39

1538

1139

Verwandtschaft

5

5,38

5,23

1,47

1,53

1539

1141

Nachbarschaft

6

4,66

4,69

1,70

1,72

1541

1141

Politik und öffentliches Leben

7

4,37

4,16

1,69

1,77

1539

1142

Religion und Kirche

8

2,58

2,51

2,00

1,96

1539

1143

Der vollständige Fragetext lautete jeweils: ,,Auf diesen Karten stehen verschiedene Lebensbereiche, wir hätten gerne von Ihnen gewußt, wie wichtig für Sie diese Lebensbereiche sind."

Quelle: Baseline 1991 und ALLBUS 1992.

158

Heinz Sahner

stitutionen ging relativ problemlos vonstatten. Die Wert- und Verhaltensmuster sind jedoch immer noch deutlich traditionaler als in Westdeutschland. Sie muß man aber nicht als Vereinigungsballast, sondern man kann sie über weite Strekken als Mitgift betrachten und nicht nur hinsichtlich ihrer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands, sondern für die Funktionstüchtigkeit d~ser Gesellschaft überhaupt. Allerdings - auch hier ist langfristig eine Angleichung der Wertmuster zwischen Ost und West zu vermuten.

2. Kollektivarbeit und Gruppenarbeit im Vergleich Ist nicht auch die in Ostdeutschland favorisierte Kollektivarbeit eine derartige Mitgift? Bieten die hier erworbenen Erfahrungen nicht gute Voraussetzungen, die hochgelobte Gruppenarbeit - unabhängig davon, ob man skandinavische oder toyotistische Modelle bevorzugt - vergleichsweise problemlos einzuführen? Hofmann und Bungard unterziehen diese Frage einer eingehenden Überprüfung (vgl. zum folgenden Hofmann und Bungard 1994). Vielleicht kann man sie sogar problemloser einführen als in Westdeutschland. Vielleicht ist sogar für die Anwendung des Lean-Managaments der Boden hier besser bereitet als in Westdeutschland? Denn in diesem Konzept spielt Gruppenarbeit ebenfalls eine zentrale Rolle. Freilich bedarf es nicht viel, um im Vergleich zu Westdeutschland eine günstigere Ausgangsposition zu haben. Denn betrachtet man die Randbedingungen, dann sind für die Praktizierung der angeführten Verfahrens weisen die Voraussetzungen in Westdeutschland nicht besonders günstig. Dort wird zwar auf der Systemebene eine - wenn auch stark eingeschränkte - Marktwirtschaft praktiziert, doch innerhalb der Betriebe und Organisationen regiert eine radikal zentralisierte Planwirtschaft, die, so die Autoren, im internationalen Feld sogar zu gravierenden Wettbewerbsnachteilen geführt habe (S.125). Wurde hingegen in Ostdeutschland, wenn auch unter einem anderen Etikett, nicht schon lange Erfahrungen mit Gruppenarbeit gesammelt? Um diese Frage beantworten zu können, ist eine Analyse dessen, was unter Kollektivarbeit zu verstehen ist, erforderlich. Eine genauere Betrachtung ergibt jedoch, daß vielleicht vom Gedanken her die sozialistische Kollektivarbeit auf Gruppenarbeit ausgerichtet, in der real existierenden sozialistischen Praxis aber weit davon entfernt war. Denn der Tätigkeitsspielraum im Arbeitskollektiv orientierte sich an den klassischen Prinzipien des Taylorismus bzw. des Bürokratismus: "Jeder Mitarbeiter hatte ein eng umrissenes Arbeitsfeld mit genau definierten Zuständigkeiten; eine routinemäßige Rotation der Tätigkeiten über das ganze Kollektiv war selten anzutreffen, zumeist herrschte Spezialisierung vor.

Soziale Voraussetzungen für die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland

159

Bei allen Arbeitstätigkeiten wurde jedoch gegenseitige Hilfe und Unterstützung von den Kollegen erwartet" (Hofmann und Bungard 1994: 130). Die von den Autoren erarbeitete Übersicht veranschaulicht die Differenzen der Kollektivund der Gruppenarbeit (Übersicht 1). Übersicht J Vergleich zwischen Arbeitsbrigade/Kollektiv und Gruppenarbeit

Arbeitskollektiv bzw. Brigade

Gruppenarbeit

- formale Gruppe bzw. primäre Bezugsgruppe

- Realgruppe

- 5 - 15 Mitarbeiter

- 5 - 15 Mitarbeiter

- nicht mitarbeitender Vorarbeiter zumeist mit Weisungsbefugnis

- mitarbeitender Gruppensprecher ohne Weisungsbefugnis

- geringer bis mittlerer Grad an Selbstorganisation

- hoher Grad an Selbstorganisation

- geringer Tätigkeitsspielraum

- großer Tätigkeitsspielraum

- feste Arbeitstätigkeiten

- Rotation

- Spezialisierung

- Multi-Skilling

- wenig Entscheidungsbefugnisse

- viele Entscheidungsbefugnisse

- hohes Macht- und Drohpotential

- mittleres Macht- und Drohpotential

- Vorgesetzter ordnet an und kontrolliert

- Vorgesetzter unterstützt und berät Gruppe

- geringe Verantwortung

- hohe Verantwortung

- Fremd- und Selbstkontrolle

- Selbstkontrolle

- enge soziale Kontakte

- enge soziale Kontakte

- gegenseitige Hilfe und Unterstützung

- gegenseitige Hilfe und Unterstützung

Quelle: Hofmann und Bungard, 1994.

Übereinstimmungen gibt es aber im kommunikativen und sozialen Bereich. Enge soziale Kontakte und gegenseitige Hilfe und Unterstützung haben sowohl im Kollektiv wie in der Gruppenarbeit eine gewichtige Bedeutung. Für die Akzeptanz der Gruppenarbeit in Ostdeutschland ist es dabei unerheblich, warum dieser sozialen Komponente eine solche Bedeutung zugemessen wurde. Denn das Kollektiv hatte in der DDR eine Mehrfachfunktion, nämlich eine soziale, eine persönlichkeitsbildende und eine produktive. Im Kollektiv sollten sowohl

Heinz Sahner

160

die soziale Harmonie, die Persönlichkeitsentwicklung wie die Produktivität gefördert werden. Allerdings hat man zunehmend den Eindruck gewonnen, daß die soziale Harmonie mehr und mehr auf Kosten der produktiven Funktion in den Vordergrund drängte. Wie auch immer, das "Kollektiv" ist in Ostdeutschland in guter Erinnerung. "Wir waren ein so schönes Kollektiv" (Halbig 1994) sagtj~mand durchaus typisch, der sich selber für den Westen entschieden hat. Gruppenarbeit ähnelt also zumindest bezüglich der sozialen Aspekte der Arbeit im Kollektiv. Kein Wunder, daß die Gruppenarbeit offensichtlich äußerst positiv eingeschätzt wird (Abbildung 1). In einer von Bungard und Hofmann durchgeführten Befragung in einem ehemaligen Kombinat äußern sich sowohl die ostdeutschen Führungskräfte wie die Gruppenleiter, Teamführer und Werker durchaus positiv über die Umgestaltung der Arbeitsorganisation von der klassischen Organisationsform in kleine, teilautonome Teams. Ausdrücklich wird dabei auf die positive Erfahrung verwiesen, die mit der Zusammenarbeit in Brigaden und Arbeitskollektiven gemacht worden waren. Abbildung 1

Beurteilung von Gruppenarbeit durch Werkerffeamführer, Gruppenleiter und das Management vor der Einführung

- Angaben in Prozent -

lOO~------------------~~---------------.-----------, 90+---------------------==~~-------------1 80+-------------------~

DWerkerffF

• Gruppenleiter EI Management

70+--------------------1 60+--------------------1 50+--------------------1 40+--------------------1 30+-------------------1 20 +-------------.-,,-Hf-------i 10+--r~~~--r-

o ~""'_iiiiiL""T"".L.-.. schlecht

teils/teils

gut

Quelle: Hofmann und Bungard, 1994.

Die Autoren ziehen folgendes Fazit: "Bedenkt man, daß die effiziente Einführung von Gruppenarbeit in Westdeutschland neben den rechtlichen und technischen Problemen oft an dem Unwillen der (mangelhaft vorbereiteten) Mitarbeiter und Vorgesetzten scheitert, individuelle Interessen und Vorteile für das 'höhere Wohl' der Gruppe zu opfern, liegt hier sicherlich ein 'Standortvorteil' in den neuen Bundesländern" (Hofmann und Bungard 1994: 136).

Soziale Voraussetzungen für die Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutsch land

161

v. Fazit Zusammenfassend kann man sagen, das Institutionensystem Westdeutschlands ist vergleichsweise problemlos implementiert worden. Wichtige Randbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands sind damit gegeben. Auf individueller Ebene dominieren noch traditionelle Wertmuster, die verbreitet als Transformationsbremse definiert werden. Wichtige Elemente dieser Wertmuster sind jedoch geeignet, Defizite, wie sie sich im Modernisierungsprozeß westlicher Industriegesellschaften gezeigt haben, auszugleichen. Allerdings muß man kritisch fragen, wie lange diese traditionellen Wertmuster noch vorherrschen. Die veränderten gesellschaftlichen Randbedingungen werden auch hier für eine Angleichung sorgen.

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11 Köhler I Pohl

162

Heinz Sahner

Immerfall, Stefan 1995: Soziale Integration in westeuropäischen Gesellschaften: Werte, Mitgliedschaften und Netzwerke (verf. Ms.) Kistler, Ernst / Strech, Karl-Heinz 1992: Die Sonne der Arbeit - Arbeitseinstellungen als Forschungsgegenstand im Transformationsprozeß. In: Dieter Jaufmann, Ernst Kistler, Klaus Meier, Karl-Heinz Strech (Hrsg.), Empirische Sozialforschung im vereinten Deutschland. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Frankfurt a. M./New York, S.155-189 Luhmann, Niklas 1970: Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. Opladen Parsons, TaIcott 1964: Evolutionary Universals in Society. American Sociological Review 29, S.339-357 Sahner, Heinz 1995: Aufhebung der Bipolarität - Veränderungen im Osten, Rückwirkungen im Westen. Einige einleitende Bemerkungen zum Stand der Transformation. In: Everhard Holtmann und Heinz Sahner (Hrsg.), Aufhebung der Bipolarität. Veränderungen im Osten, Rückwirkungen im Westen. Opladen, S.9-20 Stollberg, Rudhard 1988: Soziologie der Arbeit. Berlin Vester, Michael/von Oertzen, Peter / Geiling, Heiko / Hermann, Thomas / Müller, Dagmar 1993: Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Köln Veste r, Stefan 1995: Deutschlands feine Unterschiede. Mentalitäten und Modernisierung in Ost- und Westdeutschland. Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20/95, S.16-30 Weber, Max 1920: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Band I, Tübingen Weber, Max 1981 (vierte Auflage): Wirtschaftsgeschichte - Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Berlin Zapf, Wolfgang (Hrsg.) 1969: Theorien des sozialen Wandels. Köln/Berlin Zapf, Wolfgang 1990: Modernisierung und Modernisierungstheorien. In: Ders. (Hrsg.), Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Verhandlungen des 25. Deutschen Soziologentages in Frankfurt am Main 1990. Frankfurt a. M./ New York, S.23-39 Zapf, Wolfgang 1992: Entwicklung und Sozialstruktur moderner Gesellschaften. In: Korte, HermannlSchäfers, Bernhard (Hrsg.), Einführung in die Hauptbegriffe der Soziologie. Opladen, S.181-193

Zur Dynamik von Arbeitslosigkeitsverläufen in Ostdeutschland Von Hilmar Schneider

I. Einleitung: Indizien für eine zunehmende Konzentration der Arbeitslosigkeit Die Bestandsstruktur der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland gibt nur bedingt Auskunft über die Dynamik am ostdeutschen Arbeitsmarkt. Das Ziel des vorliegenden Beitrags besteht darin, etwas mehr Licht in den Umschlagsprozeß zu werfen, um einige diesbezügliche Besonderheiten besser herausarbeiten zu können. Das dabei auftretende Problem besteht darin, daß Verlaufsinformationen im Rahmen der amtlichen Statistik nur in rudimentärer Form zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund ist man gezwungen, auf Umfragedaten zurückzugreifen, die leider mit mehr oder weniger großen Unsicherheiten behaftet sind. Es ist daher zunächst sinnvoll, einen einleitenden Blick auf eine Reihe von Bestandsstatistiken zu werfen, die auf der amtlichen Statistik basieren, mit deren Hilfe jedoch zumindest ein indirekter Aufschluß über dynamische Besonderheiten möglich ist. Der zweite Teil des Beitrags befaßt sich dann mit dem methodischen Instrumentarium zur ModelIierung individueller Übergangschancen aus der Arbeitslosigkeit in die Erwerbstätigkeit. Dieser Ansatz wird im empirischen Teil auf einen Verlaufsdatensatz aus dem Sozio-ökonomischen Panel angewandt. Einige Hintergrundinformationen zu diesem Datensatz werden in Abschnitt 3 erläutert. Die eigentlichen Schätzergebnisse folgen in Abschnitt 4. Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Obwohl der Bestand an Arbeitslosen in Ostdeutschland zwischen 1991 und 1994 im Jahresdurchschnitt bei etwa 1,15 Mio. Personen gelegen hat, ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen relativ rasch angestiegen. Inzwischen hat dieser Anteil mit knapp 30 % praktisch mit dem entsprechenden Anteil in Westdeutschland von 33 % gleichgezogen. Offen ist jedoch, ob es sich dabei um eine ,,Normalisierung" oder nur eine Zwischenstation handelt. Mit anderen Worten: Wird sich der Trend zum Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit auch weiterhin fortsetzen und wenn ja, welche Personengruppen sind davon besonders betrof-

11*

Hilmar Schneider

164

fen? Je weiter die Langzeitarbeitslosenquote ansteigt, um so stärker konzentriert sich die Last der Beschäftigungskrise auf bestimmte Personengruppen. Eine Gruppe, die von dieser Last besonders betroffen ist, ist die der Frauen, wie die nachfolgende Abbildung 1 verdeutlicht. Mehr als drei Viertel aller Langzeitarbeitslosen in Ostdeutschland sind Frauen, wohingegen der entsprechende Anteil in Westdeutschland nur bei 45 % liegt. Abbildung 1

Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit im Ost-West-Vergleich (1994) Ostdeutsch land

Westdeutschland

Frauen

77.0 %

Quelle:

Bundesanstalt für Arbeit.

Für die These, daß das derzeitige Niveau der Langzeitarbeitslosigkeit noch nicht an einem Sättigungspunkt angelangt ist, spricht die Tatsache, daß die Umschlagsintensität am Arbeitsmarkt in Ostdeutschland weitaus schwächer ausgeprägt ist als in Westdeutschland. Die Anteile von Zu- und Abgängen bezogen auf den Arbeitslosenbestand sind in Ostdeutschland deutlich geringer als in Westdeutschland. Ein geringerer Austausch bedeutet aber, daß sich hier ein größeres Potential an Langzeitarbeitslosen aufbauen dürfte. Mildernd wirkt hier nur, daß der Anteil der Abgänge zumindest 1994 deutlich höher war als der Anteil der Zugänge (vgl. Abbildung 2). Einen weiteren Hinweis auf eine fortschreitende Konzentration der Arbeitslosigkeit liefert auch ein Blick auf die Relation zwischen Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebeziehern. Da Arbeitslosenhilfe erst nach dem Auslaufen von Arbeitslosengeld gewährt wird, ist eine relative Zunahme von Arbeitslosenhilfebeziehern unter den Leistungsempfängern ebenfalls ein Indiz für eine zunehmende Konzentration der Arbeitslosigkeit. Ein solcher Verlagerungsprozeß ist in der Vergangenheit tatsächlich erfolgt, wie aus der folgenden Abbildung 3 hervorgeht. Dennoch betrug die Relation von Arbeitslosenhilfe- zu Arbeitslosengeldbeziehern 1994 in Ost- wie Westdeutschland etwa 1:2, so daß hier wiederum offen bleibt, ob sich der Vergangenheitstrend in Ostdeutschland fortsetzen oder zum Stillstand kommen wird.

Zur Dynamik von Arbeitslosigkeitsverläufen in Ostdeutsch land

165

Abbildung 2

Arbeitsmarktumschlag

,.

.

Monatsdurchschnitt der Abgänge aus Arbeitslosigkeit im Verhältnis zum Bestand im Jahresdurchschnitt

Monatsdurchschnitt der Zugänge in Arbeitslosigkeit im Verhältnis zum Bestand im Jahresdurchschnitt

-

----

2.

~

"

..

--- ----

I.

l~

, 1992

WOIldculJchland

Ostdeut.o;chbnd

I

,, -

I.

-~ --- ---- I I~

,

1994

1'19'

--

-

-

1'19'

199'

Weudeutschland Qstdl..'UlJchland

I

1994

Quelle: Bundesanstalt für Arbeit; eigene Berechnungen. Abbildung 3

Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe im Ost-West-Vergleich in Tausend

2500

Cl Arbeilslose ohne Umerslülzungsanspruch Cl Arbeilslosenhilfebezieher

2000

- - - - - - - - - - . - . - . - .. - . - .... - ...

1500

- - - - - - - - - - - - - - - .. - .. - ..

1000

- . - - - - -

500

- - - - - - -

o

IIII!I Arbeilslosengeldbezieher

1992

1993

1994

Ost

Quelle:

1992

1993

West

1994

Bundesanstalt für Arbeit.

Sicher ist, daß eine Bereitschaft zum Rückzug vom Arbeitsmarkt bislang nur schwach zu erkennen ist. Die Erwerbsbeteiligungsquote weist zwar eine fallende Tendenz auf, ist aber nach wie vor deutlich höher als in Westdeutschland. Hier wirkt sich unter anderem eine unterdurchschnittliche Partizipation im Bildungsbereich aus. Auffallig ist aber auch, daß die Erwerbsbeteiligungsquote

Hilmar Schneider

166

bislang kaum geschlechtsspezifische Unterschiede aufweist. Dies ist um so bemerkenswerter als Frauen vom Stellenzuwachs in der Vergangenheit kaum profitiert haben [vgl. Gladischffrabert (1995)]. Unter den Arbeitslosen sind Frauen deshalb fast zwangsläufig überproportional vertreten. Abbildung 4 Geschlechtsspezifische Differenzierung der Erwerbsbeteiligunga in Ostdeutschland (in 1.000 Personen)

Frauen

Männer 6000

5000

5000

4000

4000

3000

3000

2000

2000

1000

1000

0

0 1992

1993

1994

1992

1993

1994

A: Erwerbstätige im ersten Arbeitsmarkt B: Unterbeschäftigte (Arbeitslose und Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen) C: Differenz zur erwerbsfähigen Bevölkerung a

Erwerbsbeteiligung: Erwerbstätige im ersten Arbeitsmarkt und Unterbeschäftigte.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesanstalt für Arbeit, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Berechnungen des IWH. Tabelle 1 Geschlechtsspezifische Struktur der Erwerbsbeteiligung in vH der Erwerbsnihigen 8 Männer Erwerbsbeteiligungsquote Erwerbstätigenquote im 1. Arbeitsmarkt Unterbeschäftigtenquote a

Frauen

1992

1993

1994

1992

1993

1994

94,1

91,7

89,1

93,7

90,3

87,9

64,1

66,3 25,4

67,9

58,2 35,4

58,1

59,3

32,2

28,7

29,9

21,1

Frauen im Alter von 15 bis 60 Jahren.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesanstalt für Arbeit, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung; Berechnungen des IWH.

Zur Dynamik von Arbeitslosigkeitsverläufen in Ostdeutschland

167

Verhaltenes Beschäftigungswachstum und eine geringe Bereitschaft zum Rückzug vom Arbeitsmarkt verstärken somit die Gefahr, daß sich Arbeitslosigkeit auf bestimmte Risikogruppen konzentriert.

11. Methodischer Ansatz zur Modellierung individueller Übergangschancen aus der Arbeitslosigkeit in die Erwerbstätigkeit Um ein differenzierteres Bild zeichnen zu können, eignet sich die Verwendung eines sogenannten diskreten Übergangsratenmodells [vgl. dazu Hamerlel Tutz (1989); HanIHausman (1990); Meyer (1990); Sueyoshi (1992); NarendranathanlStewart (1993)]. Im Zentrum des Modellansatzes steht die Übergangsrate als Maß für die Intensität des Übergangs aus einem Ausgangszustand in einen Zielzustand. Üblicherweise geht man dazu von einem sogenannten Proportional-Hazards-Ansatz aus [Cox (1972)]. Dieser besitzt folgende Struktur: (2.1)

Die Übergangsrate 1..( t I Xj(t), Ej) ist eine unbeobachtete nicht-negative Zufallsvariable. Je höher 1..( t I Xj(t), 10;), d~sto höher die Übergangsintensität. Das Niveau der Übergangsrate hängt von drei Komponenten ab: der Prozeßzeit t, das heißt der bereits zurückliegenden Dauer seit Eintritt in den Ausgangszustand, dem beobachteten zeit- und individualspezifischen Vektor x;(t) von Kovariaten und der unbeobachteteten individualspezifischen Störgröße Ej. Der Proportional-Hazards-Ansatz unterstellt eine multiplikative Verknüpfung zwischen diesen drei Komponenten. Der Einfluß der Prozeßzeit schlägt sich in der sogenannten Basisübergangsrate A.o(t) nieder. Der Einfluß der Kovariaten wirkt sich loglinear in einer proportionalen Verschiebung der Basisübergangsrate aus. Der zu schätzende Parametervektor ß enthält die Gewichte der Kovariaten. Der Vektor der Kovariaten kann in Abhängigkeit von der Prozeßzeit variieren. Ein monotoner Anstieg der Basisübergangsrate besagt, daß die Abgangsintensität unter sonst gleichen Bedingungen mit fortschreitender Zeit zunimmt. Entsprechendes gilt für eine monoton sinkende Basisübergangsrate. Die Spezifikation der Übergangsrate erlaubt die Formulierung eines Wahrscheinlichkeitsmodells, das letztlich zur Schätzung der Parameter genutzt werden kann. Allgemein gilt dabei für den Zusammenhang zwischen Übergangsrate und der sogenannten Überlebensfunktion:

168

Hilmar Schneider

Die Überlebensfunktion gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich eine Untersuchungseinheit nach einer Prozeßzeit t noch immer im Ausgangszustand befindet. Von praktischer Relevanz sind zwei Besonderheiten: Zum einen erfolgt die Messung der Prozeßzeit in einer kleinsten diskreten Zeiteinheit. Zum anderen liegt für eine solche Einheitsphase Konstanz der Kovariaten vor. Unter diesen Bedingungen läßt sich die Überlebensfunktion vereinfachen.

(2.3)

S( t I xi(t), Ei) = exp[-

t~

t+

k=Ok

1 A.('t I xik> Ei) d'tJ

t 1 k+l = exp[ - L I A.o('t) exp(Xik ß) exp(Ei) d't k=Ok

J

t 1 k+l = exp( - exp(Ei) L exp(xik ß) I A.o('t) d't k=O k

J

t-1 = exp( - exp(Ei) L exp(Xik ß + Yk)) k=O

k+l mit Yk = In( kI A.o('t) d't

J

Durch die Diskretisierung reduziert sich das Problem der Bestimmung der Basisübergangsrate auf die Schätzung einer endlichen Zahl von y-Parametern. Ein y-Parameter beziffert das logarithmierte Integral über die Basisübergangsrate in einem Einheitsintervall. Anschaulich interpretieren lassen sich die y-Parameter nur in ihrer Relation zueinander. Aus dem Verlaufsmuster der y-Parameter läßt sich direkt auf das zeitliche Verlaufsmuster der Basisübergangsrate schließen. In der praktischen Anwendung ist man aus Identifikationsgründen häufig auf gewisse Modellvereinfachungen angewiesen. Üblicherweise führt

Zur Dynamik von Arbeitslosigkeitsverläufen in Ostdeutsch land

169

man zu diesem Zweck Identitätsrestriktionen auf die y-Parameter em (z.B. yI = 12 = 13)· In der obigen Form setzt die Bestimmung der Überlebensfunktion die Kenntnis von E; oder seiner Verteilung voraus. Hier hat es sich bewährt, von einer Gammaverteilung für U; = exp(E;) auszugehen. Unter dieser Annahme läßt sich E; aus dem Ausdruck für die Überlebensfunktion herausintegrieren [Lancaster (1979)]: (2.4) S( I I Xi(l» =

f ( L o exp - ui

1-1

k=O

)

exp(Xik ß + Yk) J(Ui) dUi -2

[

= 1+

1-1

ci L exp(xik ß + Yk)

]

-CJ

k=O

Die Wahrscheinlichkeitsfunktion für den Eintritt eines Übergangs in den Ziel zustand im Intervall I in den Grenzen ]1-1; I] ergibt sich dann als Differenz zweier aufeinanderfolgender Überlebensfunktionen: (2.5)

J( I I Xj(I» = S( 1-1 I Xj(t» - S( I I xi(I»

Für die Parameterschätzung ist schließlich die Likelihoodfunktion relevant. Die Wahrscheinlichkeits beiträge der einzelnen Beobachtungen hängen dabei davon ab, ob es sich um beobachtete Übergänge (sogenannte Ereignisse) handelt oder um Beobachtungen, bei denen der Übergang noch nicht stattgefunden hat. Letztere bezeichnet man auch als Rechtszensuren. Ereignisse gehen mit der Wahrscheinlichkeitsfunktion in die Likelihoodfunktion ein, Rechtszensuren dagegen mit der Überlebensfunktion. Somit ergibt sich: (2.6)

2

L(ß;cr ) =

n

n

n

j=1

J( Ij I Xj(l»

c·l

] [ S(ti-IIXi(t» = i~1 S( Ij I Xj(I» - 1

S( li I Xj(I»

ci

I-c·l

.. S( Il I Xl(I»

. {I, falls ein Speil im Intervall I; mit einem Übergang endet mit Cj = 0 sonst

170

Hilmar Schneider

III. Datengrundlage: Das Sozio-ökonomische Panel Die im folgenden vorgenommenen Schätzungen basieren auf den Verlaufsdaten aus den Retrospektivkalendarien der Wellen 1993 und 1994 des Sozioökonomischen Panels für Ostdeutschland. Da die Retrospektivkalendarien jeweils das zurückliegende Jahr betreffen, umfaßt die Beobachtungsperiode den Zeitraum von Januar 1992 bis Dezember 1993. Anders als in Steiner/Kraus (1995) wurde der Zeitraum vor 1992 von der Analyse ausgeschlossen. Für dieses Vorgehen ist vor allem ausschlaggebend, daß registrierte Arbeitslosigkeit vor 1992 in Ostdeutschland nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Statt dessen wurde im Zuge der unmittelbaren Transformationswirren vornehmlich von den Instrumenten Kurzarbeit sowie Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen Gebrauch gemacht. Erst seit 1992 hat sich registrierte Arbeitslosigkeit zur dominanten Form der nach wie vor hohen Unterbeschäftigung entwickelt. An den 1993 und 1994 durchgeführten Befragungswellen nahmen gut 3.700 Personen im Alter ab 17 Jahren aus knapp 1.900 Haushalten teil. Auf monatlicher Basis enthalten die zugrundegelegten Kalendarien Informationen über den jeweiligen Erwerbsstatus einer Person und die jeweilige Höhe der wichtigsten Einkommensarten. Die daraus ermittelbaren Arbeitslosigkeitsphasen bilden eigenständige statistische Einheiten, auch wenn es sich um mehrere Arbeitslosigkeitsphasen der gleichen Person handelt. Diese sogenannten ArbeitslosigkeitsspeIls lassen sich nach Übergängen in Erwerbstätigkeit (Voilzeit, Kurzarbeit, TeilzeitiGeringfügige Beschäftigung oder Berufsausbildung) und Übergängen in Nicht-Erwerbstätigkeit (Rente, SchulelHochschule, Wehr-I Zivildienst, HausfraulHausmann, Sonstiges) differenzieren. Speils, bei denen eine solche Differenzierung aufgrund von Befragungsausfällen oder unvollständigen Kalendarien nicht möglich ist, werden als rechtszensiert berücksichtigt. Linkszensierte Speils, das heißt Speils, für die der Eintrittszeitpunkt in die Arbeitslosigkeit nicht zweifelsfrei zu ermitteln ist, wurden aus methodischen Gründen von der Analyse ausgeschlossen. Für den Zeitraum 1992 bis 1993 lassen sich insgesamt 880 ArbeitslosigkeitsspeIls generieren. Knapp 60 % von diesen sind vollständig in dem Sinn, daß sie durch einen Übergang in Erwerbstätigkeit oder einen Übergang in Nicht-Erwerbstätigkeit beendet wurden. Dies entspricht in etwa dem Anteil einer entsprechenden Stichprobe für Westdeutschland. Es fällt jedoch auf, daS der Anteil der Übergänge in Nicht-Erwerbstätigkeit in der Oststichprobe sowohl für Männer als auch für Frauen nur bei etwa 6 % liegt. In der entsprechenden Stichprobe für Westdeutschland beträgt die Quote für Männer 12,5 % und für Frauen sogar 16,5 %. Nicht zu allen Speils lassen sich die für die ModelIierung benötigten Kovariaten generieren. Insbesondere die Berufsgruppenzugehörigkeit, die Höhe von

Zur Dynamik von Arbeitslosigkeitsverläufen in Ostdeutschland

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Tabelle 2 Übersicht über die erklärenden Variablen Mittel- bzw. Gültige Bezeichnung Anteilswert Fälle 6,96 52,95 % 6,14%

.... __ ....................

36,21 41,02 % 85,73 % 52,50 % 28,30 % 2,16 %

.......................... 11,59 % 64,20 % 7,16 % .......................... 90,45 % 21,70 % 2,95 % 2,04 0,39 ..........................

17,44 % .......................... 93,18 % 15,90 1.037,80 49,59 %

Verlaufsinformationen SpeIldauer in Monaten 880 Übergänge in Erwerbstätigkeit 880 Übergänge in Nicht-Erwerbstätigkeit 880 ................. ....................................................................................................................... Sozio-demographische Variablen Alter in Jahren 880 880 Geschlecht (1 = Männer/O = Frauen) Paar-Haushalt (l = mit Partner zusammenlebend/O = nein) 848 Kinder im Haushalt (l =ja/O = nein) 880 848 Wohneigentümer (l =ja/O = nein) 880 Erwerbsminderung (l =ja/O =nein) ................. ....................................................................................................................... Bildung 880 Hochschul- oder Fachhochschulreife (1 =ja/O = nein) 880 Abgeschossene Lehre (1 =ja/O = nein) 880 Hochschul- oder Fachhochschulabschluß (l =ja/O = nein) ................. ....................................................................................................................... Erwerbsstatus vor der Arbeitslosigkeit 880 Vorherige Erwerbstätigkeit (l =ja/O = nein) Berufsausbildung für vorherige Tätigkeit erforderlich 880 (1 =ja/O = nein) Hochschul- oder Fachhochschulabschluß für vorherige 880 Tätigkeit erforderlich (1 =ja/O = nein) Kumulierte Zahl von Arbeitslosigkeitsmonaten innerhalb 880 von zwei Jahren vor dem aktuellen Speil 880 Kumulierte Zahl von ArbeitslosigkeitsspeIls innerhalb von zwei Jahren vor dem aktuellen Speil ................. ....................................................................................................................... Gesamtwirtschaftliche Arbeitsnachfrage 834 Arbeitslosenquote im Bundesland bei SpeIlbeginn ................. ....................................................................................................................... Unterstützungsleistungen Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenunterstützung 880 (I =ja/O = nein) 820 Dauer der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosengeld in Monaten 654 Höhe der Arbeitslosenunterstützung in DM 445 Replacement-Ratio bezogen auf vorheriges Bruttoarbeitseinkommen

Quelle: Das Sozio-ökonomische Panel, Oststichprobe 1992 bis 1993.

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Unterstützungsleistungen aus der Arbeitslosenversicherung und das vorherige Arbeitseinkommen lassen sich nur bei jeweils etwa 40 % aller Speils angeben. Eine Beschränkung auf die Fälle, die in allen generierten Kovariaten gültige Werte aufweisen, hätte im vorliegenden Fall zu einer Reduktion des SampIes von 880 auf 275 Fälle geführt. Aus diesem Grund beschränkt sich die spätere Modellbildung auf die Variablen, die nur einen relativ geringen Anteil von fehlenden Werten aufweisen. Für die Modellschätzung stehen danach noch 817 Speils zur Verfügung. Eine Übersicht über die Randverteilungen der verwendeten Kovarianten enthält Tabelle 2. Entsprechend dem Vorgehen, Speils als eigenständige statistische Einheiten zu betrachten, beziehen sich die Angaben in Tabelle 2 jeweils auf die Gesamtheit der ArbeitslosigkeitsspeIls, nicht auf die Gesamtheit aller Personen. Einen ersten Eindruck von den Analysemöglichkeiten der Kalendarien vermitteln die bei den folgenden Abbildungen. Darin sind auf der Basis sogenannter Sterbetafelschätzungen die Überlebensfunktionen für den Verbleib in der Arbeitslosigkeit nach drei Altersgruppen und Geschlecht dargestellt. Daraus geht klar hervor, daß die sich Abgangschancen aus der Arbeitslosigkeit mit zunehmenden Alter drastisch verschlechtern. Dies gilt für Frauen in ganz besonderem Maße. Von den Frauen aus der Altersgruppe der über 50jährigen bleiben 70 % mindestens 15 Monate arbeitslos. Von den Frauen unter 40 sind nach dieser Zeit in der Regel nur noch 20 % arbeitslos. Abbildung 5 Abgänge von Frauen aus Arbeitslosigkeit 1.0000 0.9000 O.SOOO

~

0.7000

C

0.6000



~

......

......

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0.5000

1 ... -e

0,4000

~

0,3000 0,2000

-

Frauen unter 40

'- ...... .....

--

..... .....

-

......

-Frauen zwischen 40 und 50 -Frauen ab 50

0,1000 0,0000 0

12 Arbeitslosigkeirsdauer in Monaten

Quelle: Das Sozio-ökonomische Panel, Oststichprobe 1992 bis 1993.

.....

-15

Zur Dynamik von Arbeitslosigkeitsverläufen in Ostdeutschland

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Abbildung 6 Abgänge von Männern aus Arbeitslosigkeit 1,0000

~-----------------------------,

0,9000 0,8000 ]

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