Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts: Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft [Reprint 2014 ed.] 9783486992137, 9783486644388

Anstelle einer Untersuchung von "Modernisierungstendenzen", wie sie in den letzten Jahrzehnten im Zentrum gesc

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German Pages 392 [396] Year 2004

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Table of contents :
Einleitung
Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt
Von der „monarchischen Republik“ zum Gottesgnadentum? Monarchie und politische Theologie in England von Elisabeth I. bis zu Karl I
Vom ständischen Widerstandsrecht zum modernen Naturrecht. Die ‚Politica‘ des Johannes Althusius in ihrem deutschen Kontext und ihre schottische Rezeption
Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die politica Christiana als Legitimitätsgrundlage
„Par un pur motief de religion et en qualité de Républicain“. Der außenpolitische Republikanismus der Niederlande und seine Aufnahme in der Eidgenossenschaft (ca. 1670-1710)
Republikanismus in Europa. Deutsch-Niederländische Perspektiven 1580-1650
„Nicht für die Religion selbst ist die Conföderation inter dissidentes eingerichtet...“. Bekenntnispolitik und Respublica-Verständnis in Polen-Litauen
Staatsräson, Benehmen und Melancholie: Ein politischer Teufelskreis der italienischen Renaissance?
Die Erfindung des Politikers. Bemerkungen zu einem gescheiterten Professionalisierungskonzept der deutschen Politikwissenschaft des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts
Abkürzungen
Die Autoren
Register
1. Personenregister
2. Länder- und Ortsregister
3. Sachregister
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Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts: Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft [Reprint 2014 ed.]
 9783486992137, 9783486644388

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Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts

HISTORISCHE ZEITSCHRIFT Beihefte (Neue Folge) Herausgegeben von Lothar Gall Band 39

R. Oldenbourg Verlag München 2004

Luise Schorn-Schütte (Hrsg.)

Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts Politische Theologie - Res PublicaVerständnis - konsensgestützte Herrschaft

R. Oldenbourg Verlag München 2004

Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2004 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und die Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf, München Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München ISBN 3-486-64438-6

Inhalt Vorwort. Von Luise Schorn-Schütte Einleitung. Von Luise Schorn-Schütte

VII 1

Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt. Non Wolf gang Mager

13

Von der „monarchischen Republik" zum Gottesgnadentum? Monarchie und politische Theologie in England von Elisabeth I. bis zu Karl I. Von Ronald G. Asch

123

Vom ständischen Widerstandsrecht zum modernen Naturrecht. Die .Politica' des Johannes Althusius in ihrem deutschen Kontext und ihre schottische Rezeption. Von Robert von Friedeburg

149

Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die politica Christiana als Legitimitätsgrundlage. Von Luise Schorn-Schütte

195

„Par un pur motief de religion et en qualité de Républicain". Der außenpolitische Republikanismus der Niederlande und seine Aufnahme in der Eidgenossenschaft (ca. 1670-1710). Von Thomas Maissen

233

Republikanismus in Europa. Deutsch-Niederländische Perspektiven 1580-1650. Von Martin van Gelderen

283

„Nicht für die Religion selbst ist die Conföderation inter dissidentes eingerichtet...". Bekenntnispolitik und Respublica-Verständnis in Polen-Litauen. Von Michael G. Müller

311

Staatsräson, Benehmen und Melancholie: Ein politischer Teufelskreis der italienischen Renaissance? Von Pierangelo Schiera

329

VI

Inhalt

Die Erfindung des Politikers. Bemerkungen zu einem gescheiterten Professionalisierungskonzept der deutschen Politikwissenschaft des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts. Von Wolfgang E. J. Weber ...

347

Abkürzungen

371

Die Autoren

373

Register

375

1. Personenregister

375

2. Länder- und Ortsregister

380

3. Sachregister

382

Vorwort Allen, die am Zustandekommen dieses Bandes beteiligt waren und es mit Langmut ertrugen, daß dessen Drucklegung frühneuzeitlichen Zeitdimensionen entsprach, danke ich. Frankfurt am Main, den 19. Februar 2003

Luise

Schorn-Schiitte

Einleitung Von

Luise Schorn-Schütte I. Wer die letzten vierzig Jahre historischer Frühneuzeitforschung überblickt, wird je nach Standort mehr oder weniger überrascht feststellen, daß nach dem Ende der Dominanz der politischen Geschichte nun auch das Ende der Dominanz der historischen Sozialwissenschaft eingeläutet wurde, um - angeregt nicht zuletzt durch die angelsächsische Diskussion - unter anderem einer differenzierten Form der „neuen Ideengeschichte" wieder mehr Raum zu geben.1 Damit wird dem auch vom Doyen „historischer Sozialwissenschaft" in Deutschland, dem Bielefelder Neuzeithistoriker H.-U. Wehler, selbst eingeräumten Defizit Rechnung getragen, wonach deren methodischer Schwachpunkt „von Anfang an darin" bestanden habe, daß „kulturelle Traditionen [...] in ihrer wirklichkeitsprägenden Kraft [...] unterschätzt [...] wurden."2 Für die Geschichtsschreibung der europäischen Frühneuzeit rückt damit die Bedeutung der Religion als prägender Faktor in das Zentrum des Interesses - eine Rolle, die nicht nur als Sozialgeschichte der Religion3, sondern darüber hinausgehend in ihrer engen Verbindung mit der Artikulation politischer Normen zu sehen ist. Nicht zu Unrecht wurde mit Blick auf das 16. und 17. Jahrhundert wiederholt von „politischer Theologie" gesprochen, wenn es um die Er1 Hinweise darauf bietet das Schwerpunktprogramm der DFG, das unter dem Titel: „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskräfte der Neuzeit" von 1998 bis 2002 erfolgreich arbeitete; auch die Verfasserin hat über vier Jahre ein Teilprojekt innerhalb dieses Förderungsverfahrens geleitet: „Deutungsmuster sozialer Wirklichkeit in der Frühen Neuzeit: Die Politica Christiana (16./17. Jahrhundert)". Anregend wirkt das Themenheft „Neue Ideengeschichte" der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft 27, 2001, H. 1, die sich selbst als Zeitschrift für historische Sozia/wissenschaft bezeichnet; einen knappen Einblick in den gegenwärtigen Forschungsstand gibt Luise Schorn-Schütte, Neue Geistesgeschichte, in: Günther Lottes/Joachim Eibach (Hrsg.), Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Göttingen 2002, 270-280. 2 Hans-Ulrich Wehler, Die Herausforderung der Kulturgeschichte. München 1998, 145. 3 Diese Forschungen wurden seit den ausgehenden sechziger Jahren unter anderem im Rahmen der Deutungskonkurrenz zwischen marxistischer und nicht-marxistischer Reformationsgeschichtsschreibung intensiviert. Eine umfassende Aufarbeitung jener Zeitbindungen steht noch aus; vgl. vorläufig Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter. (Kontroversen um die Geschichte, Bd. 5.) Darmstadt 2002, bes. 12 u. ö., sowie Luise Schorn-Schütte, Forschungen zur Geschichte der Reformation. Eine Standortbestimmung (im Druck).

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Luise

Schom-Schiitte

forschung von frühneuzeitlichen Weltdeutungsmustern und deren Bedeutung für die praktische Politik jener Jahrhunderte ging. 4 Bereits diese knappen Hinweise machen deutlich, auf welche anregenden Perspektivenwechsel die Forschungen zur Geschichte der Frühen Neuzeit in den letzten Jahren gestoßen sind. Die Beschäftigung mit der Geschichte politischer Ordnungen und Weltdeutungsmuster in Gestalt der Analyse der Formen politischer Kommunikation gehört zu diesen neu zu erschließenden Feldern. Ausgehend von den Anregungen der Forschungen zur „intellectual history", vornehmlich in England, aber auch in den Niederlanden und den USA 5 , ist damit der Versuch benannt, die Ideengeschichtsschreibung durch konsequente Kontextualisierung der „großen Ideen" in Gestalt der sie tragenden sprachlichen Konventionen ebenso wie der sozialen und mentalen Bezugssysteme, in denen sie faßbar werden, aus ihrer „Verbannung" zu befreien. Daß jene „Verbannung" insbesondere im deutschsprachigen Raum intensiv und lang andauernd war, ist angesichts der spezifischen geistesgeschichtlichen Traditionen im Deutschland des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und der Distanzierung von jenen nach 1945 nachvollziehbar.6 Der auch wissenschaftsgeschichtlich signifikante Einschnitt von 1989 allerdings zwang marxistische wie nicht-marxistische Geschichtsforschung in Europa, über methodische und inhaltliche Paradigmen erneut nachzudenken.7 Für die Forschungen zur Geschichte der europäischen Frühneuzeit war diese Zäsur insofern bedeutsam, als daß das bis dahin in Befürwortung oder Ablehnung dominante 4

Siehe dazu Wolfgang Reinhard, Was ist europäische politische Kultur? Versuch zur Begründung einer politischen Historischen Anthropologie, in: GG 27, 2001, 593-616. 5 Einen kompetenten Überblick geben Eckhart Hellmuth/Christoph von Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain. Die Cambridge School und ihre Kritiker, in: GG 27, 2001, 149-172. 6 Zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft nach 1945 vgl. Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. (HZ, Beihefte, NF., Bd. 10.) München 1989. Eine befriedigende Gesamtdarstellung zur Geschichte der Geschichtswissenschaft in der Zwischenkriegszeit (1919-1939) existiert nicht, zu einzelnen Historikerpersönlichkeiten wie Friedrich Meinecke oder Gerhard Ritter vgl. unter anderem Christoph Cornelißen, Gerhard Ritter. Geschichtswissenschaft und Politik im 20. Jahrhundert. (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 58.) Düsseldorf 2001, sowie Otto Gerhard Oexle, Meineckes Historismus. Über Kontext und Folgen einer Definition, in: ders./Jörn Rüsen (Hrsg.), Historismus in den Kulturwissenschaften. Geschichtskonzepte, historische Einschätzungen, Grundlagenprobleme. (Beiträge zur Geschichtskultur, Bd. 12.) Köln/Weimar/Wien 1996, 139-199. 7 Siehe allgemein dazu Karl Acham, Geschichte und Sozialtheorie. Zur Komplementarität kulturwissenschaftlicher Erkenntnisorientierung. Freiburg/München 1995, bes. 22 ff. Damit wurde eine Debatte über die Relevanz modernisierungstheoretischer Orientierungen in der Geschichtsschreibung angestoßen, die sich in den letzten Jahren breit entfaltet hat; informativ dazu Thomas Mergel, Geht es weiterhin voran? Die Modernisierungstheorie auf dem Weg zu einer Theorie der Moderne, in: ders./Thomas Welskopp (Hrsg.), Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte. München 1997, 203-232, und aus der Sicht der Frühneuzeitgeschichtsschreibung Barbara Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: ZHF 27, 2000, 389^105.

Einleitung

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Deutungsmuster einer „frühbürgerlichen Revolution" obsolet geworden war. Die Forschungen zur europäischen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts standen vor der Notwendigkeit, den Zusammenhang von Religion und Politik, von sozialer und mentaler Ordnung, von Sprache und politischem Handeln völlig neu zu durchdenken.8 Zumindest in der deutschsprachigen Geschichtsforschung ist dieser Prozeß erst seit der Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts erkennbar; von einem allseits akzeptierten Forschungsfeld kann aber noch keineswegs gesprochen werden. Noch immer wird innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung all das, was als Intellectual History bezeichnet werden kann, mit dem Verdikt einer abgestandenen Ideengeschichtsschreibung belegt. Daß dies wenig weiterführend, vielmehr erkenntnisbehindernd ist, liegt schon allein deshalb auf der Hand, weil der Anschluß an die angelsächsischen Forschungen zur Struktur politischer Kommunikation verpaßt zu werden droht. Darüber hinaus aber begibt sich die Forschung zur Geschichte des Alten Reichs im 16. und 17. Jahrhundert eines zentralen Zugangs zum Verständnis theologisch-politischer Weltdeutungsmuster. Denn anders als dies die Forschung bisher betont hat, waren die politiktheoretischen Diskussionen im Alten Reich nicht ein deutschsprachiger „Sonderweg", sondern Teil einer europäischen Kommunikationsordnung, einer Ordnung politischer Sprachen9, die in ihren aufeinander bezogenen Strukturen allerdings bislang kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die Mehrzahl der Forschungen, die sich mit den zeitgenössischen Debatten um die Struktur des Zusammenhanges von Religion und Politik als der Grundfrage politischer Legitimität in diesen Jahrzehnten befaßten, ging von der modernisierungstheoretischen Annahme aus, wonach das Auseinandertreten beider Bereiche die Richtung der frühneuzeitlichen Entwicklung bestimmt habe. Dieser Blickwinkel allerdings erfaßt nur einen Teil der frühneuzeitlichen politischen Debatten; ein anderer großer Bereich, der unter dem Stichwort der politica Christiana weiterhin an der engen Verzahnung von Religion und Politik festhielt, blieb unbeachtet. Eine derart selektive Wahrnehmung ist dann vermeidbar, wenn im Sinne der New Intellectual History davon ausgegangen wird, daß politische Normen und Weltdeu8

Siehe dazu auch Reinhard, Kultur (wie Anm. 4). Arbeiten, die die Entwicklung im Alten Reich unter diesem methodischen Zugriff mit einbeziehen, sind keineswegs zahlreich. Einen informativen Überblick gibt Iain Hampsher-Monk/Karin Tilmans/Frank van Vree (Eds.), History of Concepts: Comparative Perspectives. Amsterdam 1998, sowie Antony Pagden (Ed.), The Languages of Political Theory in Early Modern Europe. (Ideas in Context, Bd. 4.) Cambridge 1987. Unter dem Spezialaspekt eines europäischen Republikanismus vgl. Martin van Gelderen/Quentin Skinner (Eds.), Republicanism. A Shared European Heritage. Vol. 1: Republicanism and Constitutionalism in Early Modern Europe. Cambridge 2002, sowie knapp, aber äußerst informativ, Thomas Maissen, Art. „Republik", in: Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 15/2: Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart/Weimar 2002,714-742. 9

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Luise

Schorn-Schütte

tungsmuster Teil einer auf die Überzeugung des Gegners oder Partners ausgerichteten komplexen Argumentationsstrategie sind. Traditionale ebenso wie solche Normen und Weltdeutungsmuster, die im Sinne der Modernisierung wirken sollen, sind demnach aufs engste miteinander verbunden. Nur in der Beschreibung beider Seiten dieser politischen Sprache einer Zeit wird die Realität des Vergangenen ganz lebendig.10 Mit der hier vorgelegten Sammlung von Untersuchungen zu den politischtheologischen Weltdeutungsmustern im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts wird der Versuch unternommen, diesen Anschluß durch eigenständige Weiterführung nicht nur zu gewinnen, sondern zu gestalten. Die Debatten um die Legitimität politischer Ordnungen als Institutionalisierung von Herrschaft hatten ihr eigenes Vokabular. Dieses gilt es zu benennen, um sodann die Verzahnung jener politischen Kommunikationsmuster in ihrer europäischen Dimension deutlicher herausarbeiten zu können, als dies bisher gewagt wurde. Denn bislang geht die Forschung noch immer von den getrennten west- und osteuropäischen Handlungs- und Theorieräumen aus - eine nationalstaatliche Tradition des 19. Jahrhunderts vermutlich auch dies. Im folgenden soll das Konzept der politischen Kommunikation skizziert werden, das den Beiträgen dieses Bandes zugrunde liegt. Daß dabei eine gewisse Bandbreite der zeitgenössischen politischen Sprachen, ein unterschiedlich dichtes Vokabular zutage tritt, ist nicht überraschend. Allerdings wird auch sichtbar, daß die Deutungskoozepte der Historiker, wie sie in Gestalt von Republikanismus und Kommunalismus derzeit diskutiert werden, überdacht werden müssen. Die umfassenden begriffsgeschichtlichen Untersuchungen von Wolfgang Mager in diesem Band, die den Einzelanalysen vorangestellt sind, zeigen die starke Zeitbindung dieser Begriffsbildungen seit den Arbeiten Otto von Gierkes auf; die Ergebnisse veranlassen zur neuerlichen Reflexion über die Tragfähigkeit jener Konzepte.

II. Was also ist politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit? Oder forschungsstrategisch gefragt: wie lassen sich die Beziehungen zwischen institutionalisierten politischen Ordnungen und den jeweiligen zeitgenössischen Werthaltungen und Normgefügen erforschen?

10 „Dieses Verfahren, ein Muster (stabiler) Deutungen und Assoziationen als Scharnier zum Transfer hin zu einem ganz anderen Muster mit einer ganz anderen Bedeutung zu benutzen, ist ein typisches Beispiel für politische Rhetorik und gleichzeitig für den Wandel politischer Theorien." Iain Hampsher-Monk, Neuere angloamerikanische Ideengeschichte, in: Lottes/Eibach (Hrsg.), Kompass (wie Anm. 1), 296.

Einleitung

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Die gegenwärtige Forschung entdeckt diese Fragestellung erst langsam; die lange Jahrzehnte dominierende, eher vulgärmarxistische Sichtweise der Abhängigkeit der geistigen Bewegungen von den materiellen Bedingungen ist weitgehend zu den Akten gelegt. Die Komplexität der Wechselwirkung von Sprache (als Ausdruck von mentalen Haltungen und Normgefügen) und politischer Realität ist in den Diskussionen seit dem linguistic turn sehr präsent; allerdings fehlt das Instrumentarium, um diese Beziehung für einzelne Epochen exakt zu bestimmen. Die Begriffsgeschichtsschreibung stellt sich als ergänzungsbedürftig dar, da sie zusammen mit der Festlegung der Begriffe auch den Blick der Historiker auf diese Ausschnitte vergangener Wirklichkeiten festlegt.11 Diesem Problem versucht das Konzept der political languages der Cambridge School (Pocock/Skinner) zu entgehen, indem es die Erforschung politischer Sprachen in der zeitgenössischen Verwendung politischer Begrifflichkeiten im Sinne des Gebrauchs paralleler oder auch kontroverser Semantiken verankert. Forschungsgeschichtlich ist es somit Teil einer europäisch/nordamerikanischen Forschungsrichtung, die die Beziehungen zwischen Sprache und Realität als „Historische Semantik" charakterisiert.12 Für sie ebenso wie für die Begriffsgeschichte und den systemtheoretischen Ansatz Niklas Luhmanns ist der Begriff der Kommunikation zentral13, geht es doch allen Ansätzen um das Verhältnis von Sprache und vergangener Wirklichkeit, um die Beziehung zwischen Nomen und Phänomen. Während aber die begriffsgeschichtliche Forschung von einer Dichotomie zwischen der materiellen Welt und dem Begriff bzw. der Sprache von ihr ausgeht, betrachten die mit dem Instrumentarium der historischen Semantik arbeitenden Vertreter der Cambridge School die Vergangenheit als Einheit in der Kommunikation. Für den Historiker wird historische Realität auch mittels Sprache konstituiert, sie ist nie lediglich Reflex der Wirklichkeit; vielmehr ist Sprache zugleich Handeln: „words are deeds". 14 Obgleich beide Ansätze Geschichte als Bedeutungsgeschichte von Schlüsselwörtern, als eine Geschichte der zielgeführten und insofern hin und wieder erfolgreichen Verwendung des Bedeutungspotentials einer Sprache zu schrei11 Siehe dazu lain Hampsher-Monk, Speech Acts, Languages or Conceptual History?, in: ders./Tilmans/Vree (Eds.), History of Concepts (wie Anm. 9), 37-50. 12 Siehe dazu neben der Literatur in Anm. 5 Raingard Eßer, Historische Semantik, in: Lottes/Eibach (Hrsg.), Kompass (wie Anm. 1), 281-292; Günter Lottes, Neue Ideengeschichte, in: ebd. 261-269, sowie Rolf Reichhardt, Historische Semantik zwischen lexikometrie und New Cultural History, in: ders. (Hrsg.), Aufklärung und Historische Semantik. Interdisziplinäre Beiträge zur westeuropäischen Kulturgeschichte. (ZHF, Beih. 21.) Berlin 1998, 7-28. 13 Vgl. dazu Niklas Luhmann, Was ist Kommunikation?, in: ders., Aufsätze und Reden. Stuttgart 2001, 94-110. 14 Dazu in knapper Zusammenfassung Schorn-Schiitte, Neue Geistesgeschichte (wie Anm. 1).

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Luise Schorn-Schiitte

ben beabsichtigen, haben die Unterschiede bei der Charakterisierung des Verhältnisses von Sprache und Realität bemerkenswerte Konsequenzen. Da die Begriffsgeschichtsschreibung davon ausgeht, daß sich der Wandel sozialer Wirklichkeiten im Wandel des Sprechens über diese wiederfindet, konzentriert sie sich auf solche Leitbegriffe, in denen sich aus der Perspektive der schreibenden Historiker jener Umbruch am sinnfälligsten wiederfindet. Die Folge ist die Reduzierung der Kommunikationsmuster auf eben jene Schlüsselbegriffe, die das Moderner-Werden der Gesellschaften am nachhaltigsten verdeutlichen können. Die Traditionen aber, in denen bestimmte Sprachmuster stehen, ebenso wie die Begriffsentstehungsgeschichte und solche Leitbegriffe, die das beharrende Moment sozialen und politischen Wandels bezeichnen, werden nicht immer ausreichend berücksichtigt; entsprechendes gilt für die sogenannten „nicht intendierten" Folgen der Kommunikation.15 Der Ansatz der Cambridge School bietet die Chance, solche Verengungen zu vermeiden, arbeitet er doch mit einem den sprachphilosophischen Theorien entlehnten Begriff, mit deren Hilfe Sprachintentionen ebenso strikt berücksichtigt werden wie die Tatsache, daß Begriffe in Traditionen stehen, die ihre je eigene Entstehungsgeschichte haben. Zudem geht es der Cambridge School ausdrücklich nicht allein um den Nachweis des Moderner-Werdens historischer Gesellschaften. Vielmehr ist es deren Anliegen, mit dem Begriff der „kommunikativen Absicht" deutlich zu machen, daß jeder noch so innovative Sprechakt nur vor dem Hintergrund konventioneller, in Traditionen eingebundener Kommunikationsformen identifiziert werden kann. Deshalb ist für die Cambridge School die Analyse der Begriffsentstehungsgeschichte als konsequente Kontextualisierung politischer Ideen unverzichtbar.16 Ihr Ansatz beschreibt daher Kommunikation als die Verwendung „ein(es) Muster(s) (stabiler) Deutungen und Assoziationen als Scharnier zum Transfer hin zu einem ganz anderen Muster mit einer anderen Bedeutung".17 Da es sich dabei stets um die Kommunikation und die Intentionen politischer Akteure in historischen Gesellschaften handelt, wird das Ganze als „politische Kommunikation" bezeichnet. Den skizzierten Vorzügen der angloamerikanischen Ideengeschichtsschreibung stehen nach Meinung ihrer Kritiker etliche Nachteile gegenüber.18 So wird es als problematisch betrachtet, die Intentionen eines Autors allzu strikt 15

Zu dieser Kritik zusammenfassend Eßer, Historische Semantik (wie Anm. 12). Hampsher-Monk hat zutreffend darauf hingewiesen, daß Pocock den beharrenden Momenten politischer Sprache ein besonderes Augenmerk gewidmet hat, während Skinner vornehmlich die innovativen Sprechakte untersucht; beides ergänzt sich in dem skizzierten Sinne. Vgl. Hampsher-Monk, Ideengeschichte (wie Anm. 10), 297. 17 Ebd. 296. 18 Sie sind zusammengestellt bei Hellmuth/Ehrenstein, Intellectual History (wie Anm. 5), 161-170. 16

Einleitung

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im Umfeld eines einzelnen Sprechaktes zu verankern, zeitlich vorgelagerte Motive und Traditionen sollten auch ernstgenommen werden. Ebenso auf Kritik stößt die Neigung der Cambridge School, den untersuchten Kommunikationsmustern und -traditionen eine zu große Kohärenz zuzusprechen. Dieser Vorwurf wird sehr konkret gegenüber jenem „Metatext"19 erhoben, den Pocock als „Sprache des Republikanismus" rekonstruiert hat20. Ernstgenommen erleichtern solche Einwände das Arbeiten mit dem Konzept der Cambridge School eher, als daß sie es erschweren. Denn der Gewinn, den diese Variante der historischen Semantik zusätzlich zum Ertrag der begriffsgeschichtlichen Arbeiten für die historische Forschung bringt, ist beträchtlich. Versteht man Kommunikation, wie oben beschrieben, als Verwendung eines stabilen Deutungsmusters sozialer und politischer Realität, um ein anderes, neues und dennoch stabiles Muster der Deutung zu erschließen, so ist es für den Historiker unverzichtbar, die Kategorien zu benennen, mit deren Hilfe dieser Wandel gemessen wird. Diese können als Normgefüge und Werthaltungen bezeichnet werden; ohne sie ist Kommunikation im hier gemeinten Sinne nicht möglich. Wie aber kann der Historiker ein solches Normgefüge erschließen und beschreiben? Auch dieses ist stetem Wandel unterworfen oder, mit Luhmann gesprochen, auch Werte sind „kommunikative Artefakte". 21 Gerade sie aber existieren nicht ohne Bezug zur politischen Ordnung - politische Kommunikation ist demnach zu bestimmen als „Wechselverhältnis zwischen politischer Ordnung und den jeweiligen politischen Normen und Werten".22 Greifbar für den Historiker wird dieses in der Untersuchung der politischen Begriffe und Semantiken einer Zeit, die sich zu einer zeitgenössischen politischen Sprache zusammenfügen. Die so festgelegte politische Kommunikation ist im Ergebnis offen, insofern trifft ihre Bezeichnung als „riskante Kommunikation" zu. Nicht immer nämlich ist das Ergebnis ein Konsens, auch die Zuspitzung des Problems ist möglich23, und keineswegs ist sie immer „erfolgreich". Denn was als Erfolg charakterisiert werden könnte, ist ja erst Teil der Kommunikation über politische Ordnungen. Immer aber ist sie an Institutionalisierungen gebunden, ver-

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So die Formulierung bei Günther Lottes, „The State of the Art". Stand und Perspektiven der „intellectual history", in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Fschr. für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn u. a. 1996, 27-45, hier 42. 20 Siehe mit genauen Nachweisen Hellmuth/Ehrenstein, Intellectual History (wie Anm. 5), 164. 21 Luhmann, Kommunikation (wie Anm. 13), 106. 22 So die Definition bei Herfried Münkler, Ideengeschichte (Politische Philosophie), in: Otfried Jarren u. a. (Hrsg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen 1998, 65 23 Luhmann, Kommunikation (wie Anm. 13), 103.

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standen als Verstetigung und Reglementierung von Prozessen der Verteilung von politischer Macht. 24 In jedem politischen Gemeinwesen gibt es deshalb Institutionen politischer Kommunikation, die getragen werden von sozialen Gruppen und/oder Individuen, für deren Funktionieren es Regeln und Verfahrensweisen gibt 25 ; und diese sind sprachlicher Analyse zugänglich.

III. In allen europäischen Regionen der Frühen Neuzeit gab es zwar vergleichbare, aber doch im einzelnen voneinander abweichende Institutionen der politischen Kommunikation. Kann deshalb überhaupt von europäischer politischer Kommunikation gesprochen werden? Gab es eine inhaltlich vergleichbare Wechselwirkung zwischen Norm und Institution? Herrschaft in der Frühen Neuzeit des 16./17. Jahrhunderts war begrenzte Herrschaft, also war sie verteilte Herrschaft, ihre Ausübung bedurfte des Konsenses.26 Die Kommunikation über diese Norm hatte unterschiedliche Erscheinungsformen, ebenso wie es unterschiedliche Formen der Konsensfindung bzw. des Austrags von Konflikten über sie gab. Das allgemein zur Verfügung stehende politisch-theoretische Vokabular war die aristotelische Lehre von den Herrschaftsformen der Aristokratie, der Monarchie und der Demokratie. Debatten über die Vorzüge dieser Institutionalisierungen von Herrschaft gab es überall dort, wo die vorhandenen Mechanismen in Zweifel gezogen wurden, und das war aufgrund der Verzahnung von dynastischen und religiösen Konflikten seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in ganz Europa der Fall. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß trotz aller Unterschiede überregionale Gemeinsamkeiten in der Struktur politischer Kommunikation identifizierbar sind, wie sie sich unter anderem in den Debatten um die Legitimität von Gegenwehr, Notwehr oder Widerstand bis hin zum Recht zur Herrscherkritik (correctio principis), in den Debatten um Form und Notwendigkeit von

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Münkler, Ideengeschichte (wie Anm. 22), 66. Diese Institutionen gelten als primäre Kommunikation, während das Reden und Schreiben über sie als sekundäre Kommunikation charakterisiert wird (Reden, Presse, Geschichtsschreibung) . 26 Die gegenwärtige Mediävistik betont in wachsendem Maße die Existenz konsensgestützer Herrschaft; vgl. Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig/Sigrid Jahns/ Hans-Joachim Schmidt/Rainer Christoph Schwinges/Sabine Weiers (Hrsg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Fschr. für Peter Moraw. (Historische Forschungen, Bd. 67.) Berlin 2000, 53-87. Die Forschungen zur Frühen Neuzeit machen immer deutlicher, daß es jenen traditionellen Absolutismus nicht gab, der seit Jahrzehnten die Geschichtsbücher dominiert. Vgl. dazu zuletzt Heinz Duchhardt, Die Absolutismusdebatte eine Antipolemik, in: HZ 275, 2002, 323-332. 25

Einleitung

9

konsensgestützter Herrschaft und in den Debatten um das Verständnis von res publica zeigen. Von der Annahme einer europäischen Gesamtperspektive gehen die hier versammelten Beiträge aus; sie analysieren die regionalen Eigenständigkeiten stets im Blick auf die Gemeinsamkeiten und/oder wechselseitigen Prägungen in der politischen Kommunikation. Deren Gegenstand war der Charakter von Herrschaft angesichts selbstbewußter Teilhabetraditionen, der in den deutschen Reichsstädten ebenso begegnete wie im englischen Parlament, in der niederländischen Republik ebenso wie in der polnischen Adelsrepublik oder der schweizerischen Eidgenossenschaft und den die Historiker mit jenem Kunstbegriff des vormodernen Republikanismus zu beschreiben versuchen. Wolfgang Magers These lautet, daß es eine über diese formale Gemeinsamkeit hinausgehende „vormoderne Wurzel des modernen Republikanismus"27 gar nicht gegeben habe, statt dessen die Existenz konsensgestützter Herrschaft als Charakteristikum im Unterschied zur Einherrschaft benannt werden sollte. Ob dies als Republikanismus bezeichnet wird, ist eine Frage der Übereinkunft. Die englische Debatte des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, die Ronald G. Asch skizziert, stärkt diese These. Wenn die englische Forschung für die Zeit Elisabeths I. betont, daß England Republik und Monarchie zugleich gewesen sei, so ist damit eben diese Begrenzung der königlichen Herrschaft gemeint, die sie zur konsensgestützten macht. Asch stellt heraus, daß diese Mischung auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht bezweifelt wurde, selbst nicht von jenen Autoren, die den konzentrierten Herrschaftsanspruch des Königs verteidigten, wollten diese damit ja keineswegs die unverbrüchlichen Rechte des Parlaments angreifen. Inwieweit diese Gegensätze als Ausdruck zweier unterschiedlicher politischer Sprachen, einer politisch-theologischen und einer politisch-juristischen, charakterisiert werden können, die sich auf einer dritten Ebene zusammenführen lassen, ist Gegenstand des Beitrags. Asch vermag zu zeigen, wie intensiv die englischen Debatten um das Widerstandsrecht an diejenigen im Alten Reich anschlossen, sich wechselseitig rezipierten. Daß dies auch für die politische Theorie des Johannes Althusius galt, ist aufgrund seiner exponierten Stellung in Emden und seiner klaren Positionierung in den Reformdebatten des Alten Reichs, die immer wieder die Widerstands- als Notwehrproblematik thematisierten, nicht verwunderlich. Wie intensiv die Rezeption der politica insbesondere im Schottland des 17. Jahrhunderts allerdings gewesen ist, wurde in der Forschung kaum beachtet. Robert von Friedeburg skizziert deren Wege und Mißverständnisse in seinem Beitrag. Obgleich die Rahmenbedingungen der schottischen Legiti-

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Vgl. den Beitrag von Wolfgang Mager in diesem Band.

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mitätsdebatte sich von derjenigen im Alten Reich erheblich unterschieden, diente die „Politica" des Althusius als „Steinbruch" der Argumentation. Uradeutungen, die den Kern des Anliegens des Althusius verfehlten, waren die Folge. Daß die wechselseitige Kenntnisnahme so intensiv war, ist einerseits ein ernstzunehmender Beleg für die europäische Dimension der politischen Kommunikation: die Problematik der Herrschaftsbegrenzung durch Mischverfassungstypen schuf die Verbindung. Andererseits wird zugleich deutlich, wieviel Behutsamkeit der Deutung für die Existenz semantischer Parallelen und vergleichbarer Begriffe (unter anderem res publica) dem Historiker abverlangt wird. Daß Herrschaftsbegrenzung durch Teilhaberechte auch in der deutschen Debatte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ein Kernthema politischer Kommunikation war, ist in der Forschung lange bestritten worden; Kommunalismus- und Republikanismusdebatten der vergangenen Jahre haben gewisse Differenzierungen zugelassen. Über diese Interpretationsmuster hinausgehend hat die Wiederbelebung der Drei-Stände-Lehre eine ganz neue Variante der politischen Kommunikation eröffnet, die, so die These des Beitrages von Luise Schorn-Schutte, als eigenständige Form der polìtica, als politica Christiana nämlich, existiert hat. Jenseits der Verfassungsdebatten sollte die Wechselseitigkeit der Ämter-/Ständeordnung die Begrenzung von Herrschaft gewährleisten. Voraussetzung dieser Aussage war das Festhalten an der Einheit von Bekenntnis und Politik, die als Einheit der Schöpfungsordnung theologisch fundiert blieb. Unter diesen Voraussetzungen differenzierte und erweiterte sich die Auseinandersetzung um das Recht zum Widerstand zu einer Debatte über das Recht zur Obrigkeitskritik, deren Träger sich zudem aus neuen sozialen Gruppen rekrutierten. Während für diese politica-Variante im Alten Reich der Begriff der res publica eine nachgeordnete Rolle spielte, da sich eine klare Präferenz für das Modell der res publica mixta, das auch als monarchia mixta auftreten konnte, feststellen läßt, war er für die Verständigung über die Eigenarten schweizerischer und niederländischer Herrschaft unverzichtbar. Wie Thomas Maissen ausführt, gab es eine republikanische Variante politischer Ordnung in Europa, deren Charakteristikum nicht zuletzt in einer nichtmonarchischen Außenpolitik zu finden war. Auf diesem Befund basiert Maissens These, die die historiographische Debatte um den Republikanismus in der Frühen Neuzeit erweitert: Für ihn existiert dieser auch schon dort, wo noch keine republikanische Verfassung festgeschrieben ist, sich vielmehr unter anderem in außenpolitischem Handeln erst noch vorbereitet. Ein gewichtiger Indikator dafür ist der Wandel der politischen Kommunikation zwischen außenpolitischen Akteuren. Darüber hinaus betont Maissen einen eigenen Begriff von Republikanismus, der sich von demjenigen der res publica mixta sichtbar unterscheide: Nicht konsensgestützte Herrschaft könne als Indikator ausreichen, vielmehr müsse der

Einleitung

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Ort der Souveränität betrachtet werden; und dieser sei in der Republik bei den Besten, in der Monarchie bei der Einherrschaft.28 Martin van Gelderen nimmt diesen Diskussionsstrang auf und skizziert den Wandel des res publica- Verständnisses innerhalb der deutsch-niederländischen politischen Kommunikation anhand der Ansätze des H. Grotius, des J. Althusius, des H. Arnisaeus und des B. Keckermann. Trotz der gemeinsamen Einbindung in den nordeuropäischen Späthumanismus lassen sich eigenständige politische Sprachen und Systematiken unterscheiden; sie werden für den Historiker greifbar in der unterschiedlichen Rezeption der Bodinschen Souveränitätslehre. Ohne der Unterscheidung durch Maissen zu folgen, betont auch van Gelderen, daß die Frage nach dem Sitz der Souveränität die Debatten um die rechte Verfassungsform geprägt hat. Das Ergebnis waren Konzepte von res publica mixta, die zwar aufeinander Bezug nahmen, im Kern aber voneinander abwichen. Für die deutsche Diskussion blieb der politische Aristotelismus dominant, unter dessen breitem Dach sich verschiedene Herrschaftsentwürfe zusammenfanden, so daß die Formen, welche die Monarchie begrenzten, dem Blick der Forschung wiederholt zu entgleiten drohten. 29 Hier hat die vergleichende Forschung der letzten Jahre, wie sie vorbildlich durch englische und niederländische Arbeiten betrieben wurde, manche Verengung zu überwinden verstanden. Im Verständnis der Zeitgenossen galt die polnische Adelsrepublik (rzeczpospolita) als frühneuzeitliche Republik, als res publica mixta eigener Art, in der sich Wahlkönigtum und Ständeparlament verbanden. Die zeitgenössische polnische Sicht der Differenzierungen des res publica- Verständnisses erschöpfte sich nicht in der gelehrten Debatte der Zeit, vielmehr muß die Wandlung des politischen Wertesystems in Verbindung mit der Konfessionsproblematik und der politischen Praxis der Adelsgesellschaft gesehen werden. Diese Wechselwirkung zwischen Bekenntnispolitik und politischer Normbildung war ein Grundzug frühneuzeitlicher Politikkommunikation, der besonders ausgeprägt auch im Kontext der politica Christiana im Alten Reich existierte. Die These, die Michael G. Müller in seiner Untersuchung der polnischen Diskussionen verfolgt, geht einerseits davon aus, daß sich die Toleranzpolitik des ausgehenden 16. Jahrhunderts in einer Bevorzugung konstitutioneller Modelle in der politischen Kommunikation wiederfinden läßt, daß sich andererseits die Durchsetzung der katholischen Reform seit Beginn des 17. Jahrhunderts nicht als konfessionelle Verhärtung zeigte. Die Erklärung für dieses Paradox ist, so Müllers Vorschlag, in der Rolle zu suchen, die das res publica-Verständnis für die Entschärfung des Bekenntniskonfliktes einerseits, 28

Siehe dazu Maissen, Republik (wie Anm. 9), 722 f. Das klassische Beispiel ist die Darstellung durch Friedrich Meinecke in seinem Werk: Die Entstehung der Staatsräson in der neueren Geschichte. 2. Aufl. München/Berlin 1925, bes. 147 ff. 29

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für die ständische Integration seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts andererseits gespielt hat. Daß in diesen polnischen Debatten der Bodinsche Souveränitätsbegriff ohne besondere Relevanz geblieben ist, kann hier zunächst nur konstatiert werden. Und es muß betont werden, daß die Souveränitätsdebatte durchaus nicht in Frankreich allein wurzelte. Die Skizze, die Pierangelo Schiera über den Ursprung der Staatsräsondebatte in Italien und deren breite Rezeption im Deutschland des ausgehenden 17. Jahrhunderts gibt, markiert die Notwendigkeiten vergleichender systematischer Forschungen, die den regionalen Vergleich ergänzen. Voraussetzung und Bedingung frühneuzeitlicher politischer Kommunikation waren die institutionalisierte Vermittlung des politiktheoretischen Wissens und dessen praxisbezogene Umsetzung. Die Existenz eines breiten „politicus"-Schrifttums belegt, so die These von Wolfgang E. J. Weber, daß die politische Kommunikation des 16. und 17. Jahrhunderts eingebunden war in die Entstehung einer praktischen „Begleitwissenschaft", mit deren Hilfe sich ein neues Berufsfeld zu etablieren versuchte, dasjenige des politicus, des politischen Beraters. Mit seiner Hilfe sollten die politischen Entscheidungen der Landesherrn, der Stadträte unter anderem an fachwissenschaftlich fundierter Kompetenz gewinnen, die Ausrichtung der Entscheidung am Wohl von Obrigkeit und Untertanen gelingen. Damit verbunden war die Entfaltung einer Theorie des Rechts zur Kritik am Fürsten und zur Notwendigkeit der Beratung weltlicher Obrigkeit, die sehr genau zur theologischen Rechtfertigung der Pflicht zur Obrigkeitskritik im Rahmen der Drei-Stände-Lehre paßt. Demnach kooperierten die gelehrten Trägergruppen der politischen Kommunikation in einem bisher noch nicht ausreichend bekannten Umfang miteinander. Ob das, wie Weber meint, als Scheitern der Professionalisierungsbemühungen charakterisiert werden kann, wird zu diskutieren sein.

Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment Zur Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt Von

Wolfgang Mager I. Vorüberlegungen Das Konzept der Genossenschaft ist in der deutschen Stadtgeschichtsschreibung1 seit langem heimisch; dasjenige des Republikanismus hat in ihr seit den 1980er Jahren ebenfalls Hausrecht erlangt. Beide Begriffe heben auf das freiheitliche Potential der sich selbst regierenden deutschen Bürgerstadt des Mittelalters und der frühen Neuzeit ab. Genossenschaft und Republikanismus stehen für eine politische Ordnung, die nicht, wie das fürstliche Regiment, „von oben", vom Fürsten, vom Hof, von der Zentralverwaltung, bestimmt gewesen, sondern „von unten" ausgegangen sei: von den sich zur Gemeinde (Kommune) zusammenschließenden (Schwur-)Genossen oder Bürgern. Folgt man diesem Ansatz, traten die Genossen oder Bürger in Bürgerversammlungen zusammen, um über grundlegende Angelegenheiten der Gemeinde zu befinden, oder bildeten in Zunft-, Bauernschafts-, Kirchspielversammlungen und ähnliche Teilgliederungen (Sondergemeinden) der Bürgerschaft, um Angelegenheiten einzelner Gruppen oder Stadtteile zu regeln. Die laufenden Geschäfte wurden demzufolge durch den Rat (Magistrat) als Organ oder Vertretung der Bürgergemeinde besorgt oder oblagen Amtsträgern, die delegierte Gewalt ausübten. Wo die Verhältnisse diesem in der deutschen Geschichtsschreibung vorherrschenden Bild des Bürgerregiments „von unten" nicht entsprechen, neigen die Stadthistoriker dazu, von „Verobrigkeitlichung" und Oligarchisierung zu reden. Begriffen wird darunter die Verselbständigung des Rats zum obrigkeitlichen Regiment sowie die Monopolisierung des städtischen Rats 1 Erste Fassungen des Aufsatzes wurden im Bielefelder Kolloquium „Zu aktuellen Forschungsproblemen des Mittelalters und der frühen Neuzeit" vorgestellt. Den Mitgliedern des Kolloquiums danke ich für Kritik und Anregung. Mein besonderer Dank gilt Stefan Brakensiek, Horst Dreitzel, Axel Flügel, Robert von Friedeburg, Frank Konersmann, Ulrich Meier, Andreas Suter und Hans-Ulrich Wehler, welche die Entstehung des Manuskripts mit kritischer Lektüre begleiteten. Das Mauskript wurde Ende 1999 abgeschlossen.

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durch Angehörige ratsfähiger Geschlechter, die dazu tendieren mochten, ihr Eigeninteresse über das Wohl des Ganzen zu stellen. Vielfach werden genossenschaftliches Institutionengefüge und republikanische Bürgergesinnung vorzüglich der hochmittelalterlichen Kommune zuerkannt, vor allem dann, wenn sie aus einer Schwureinung (coniuratio) hervorging, während die seitherige politische Ordnung in der deutschen Stadt primär im Zeichen des Ratsregiments gestanden habe.2 Das Konzept des Regiments „von oben" im Fürstentum und dasjenige des Regiments „von unten" in der genossenschaftlich oder republikanisch regierten Bürgerstadt fußen auf dem Grundgedanken, daß der innere Zusammenhalt eines politischen Verbandes nur dann gewährleistet sei, wenn der Kernbereich der politischen Gewalt in einer einzigen Hand liegt. Diese Auffassung hat ihre klassische Ausprägung in Jean Bodins Souveränitätskonzept gefunden, demzufolge kein Staat ohne Souveränität, ohne summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas, auf Dauer bestehen könne. Das schließt das Mischregiment aus, da die Fraktionierung der politischen Gewalt in unterschiedliche Träger nach Bodins Überzeugung den Keim des Bürgerkrieges in sich trägt und letztlich die Auflösung des Staates nach sich zieht. Die jüngere Absolutismusforschung3 hat deutlich gemacht, daß diejenigen europäischen Monarchien, die Bodins Souveränitätskonzept zu ihrer Maxime erhoben, daraus keineswegs die Folgerung ableiteten, im Alltag der Geschäfte absolut, unter Einsatz der summa potestas, zu herrschen. Vielmehr überwog die Überzeugung, daß der Fürst im Normalfall gut daran tue, im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung und mittels herkömmlicher Verfahren zu regie2 Soweit der Tenor der einschlägigen Darstellungen; deren Quintessenz bei Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft. Stuttgart 1988, vor allem Kap. 4: Das Stadtregiment: Ratsverfassung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit, 131-209, mit erschöpfender Literatur. Ähnlich die Bewertung in den Überblicksdarstellungen von Klaus Gerteis, Die deutschen Städte in der frühen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der bürgerlichen Welt'. Darmstadt 1986, 65-75, und Heinz Schilling, Die Stadt in der frühen Neuzeit. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 24.) München 1993, 48f.; schärfer nuancierend Peter Blickle, Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 1.) München 1988, passim; Evamaria Engel, Die deutsche Stadt des Mittelalters. München 1993, Kap. 3: Ratspolitik, Bürgerrechte, Bürgerpflichten, 55-116, und Kap. 4: Bürgerkämpfe, 117-141; Christopher R. Friedrichs, The Early Modem City, 1450-1750. London/New York 1995, Kap. 2: City and State, 43-60. Einen Neuansatz, dem die vorliegende Untersuchung wesentliche Impulse verdankt, entwickelt der in Anm. 7 aufgeführte Sammelband von Schreiner/Meier (Hrsg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. 3 Vgl. die Debatte über den Absolutismus als Mythos, ausgelöst von Nicholas Henshall, The Myth of Absolutism. Change and Continuity in Early Modern European Monarchy. London/New York 1992; dazu: Heinz Duchhardt, Absolutismus - Abschied von einem Epochenbegriff?, in: HZ 258, 1994, 113-122; Ronald G. Asch/Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700). (Münstersche Historische Forschungen, Bd. 9.) Köln/Weimar/Wien 1996.

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ren, und daß er nur dann, wenn das fürstliche Interesse und der Bestand des Staates auf dem Spiel stünden, dazu aufgerufen sei, von der Handhabung der „ordentlichen Gewalt" zu derjenigen der „außerordentlichen Gewalt" Uberzugehen. Auch in solchen Monarchien, die sich wie die französische im 17. und 18. Jahrhundert ausdrücklich als absolute Monarchie begriffen, wurde die monarchische Gewalt normalerweise nicht autokratisch gehandhabt. In Frankreich beispielsweise war auch noch unter den bourbonischen Königen die Regierung stets um Zustimmung und Mitwirkung der hohen Richterschaft (Robe), der ständisch-regionalen und -kommunalen Gewalten sowie, wenn kirchliche Angelegenheiten berührt wurden, um diejenige des Klerus bemüht. Außer bei Ubergesetzlichem Notstand, wenn die Maxime galt: „Not kennt kein Gebot" (nécessitas non habet legem), stellte sich die absolute Monarchie nicht als Regiment „von oben" dar.4 Erst recht war das nicht bei der ständisch beschränkten Monarchie (monarchia mixta und monarchia limitata) der Fall.5 Bereits diese sehr kurzen Bemerkungen zur Handhabung der monarchischen Gewalt in der absoluten Monarchie mögen vor Augen führen, daß sich die Eigenheiten dieses Regiments schwerlich einer Betrachtungsweise erschließen, die bei der Untersuchung der Institutionen stehenbleibt. Vielmehr empfiehlt sich ein akteurs- und handlungsorientierter Ansatz, der das Wechselspiel zwischen dem Fürsten und den eigenständigen Gewalten des Fürstentums als Kommunikation zwischen Akteuren hervortreten läßt.6 Wie im Prozeß der politischen Kommunikation die Gewichte verteilt waren, und inwieweit der Fürst den beherrschenden Part spielte oder nicht, das ist dann von Mal zu Mal zu bestimmen. 4

Grundlegend Denis Richet, La France moderne: l'esprit des institutions. Paris 1973; ders., De la Réforme à la Révolution. Études sur la France moderne. Paris 1991; s. ferner Wolfgang Mager, Frankreich vom Ancien Régime zur Moderne. Wirtschafts-, Gesellschafts- und politische Institutionengeschichte 1630-1830. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1980; Robert Descimon/Alain Guéry, Un Etat des temps modernes?, in: André Burguière/ Jacques Revel (Eds.), Histoire de la France: L'État et les pouvoirs. Paris 1989, 181-356. 5 Zur Nomenklatur vgl. Horst Dreitzel, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz. Köln/Weimar/Wien 1991, 69-119; zur Theorie der Mischverfassung s. Wilfried Nippel, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit. Stuttgart 1980. 6 Zur Handlungstheorie vgl. Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. (Theorie und Gesellschaft, Bd. 1.) 3. Aufl. Frankfurt am Main/New York 1997 (engl. Cambridge 1984); Jacques Lagroye, Sociologie politique. 2. Aufl. Paris 1993, Kap. 4: L'interaction politique, 165-213. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht grundlegend die Beiträge zu dem Tagungsband: Kommunikation und Alltag in Spätmittelalter und früher Neuzeit. (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte, Bd. 596.) Wien 1992; vgl. ferner Michèle Fogel, Les cérémonies de l'information dans la France du XVIe au milieu du XVIIIe siècle. Paris 1989; Andreas Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 103.) Göttingen 1994.

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Eine solche akteurs- und handlungsorientierte Betrachtungsweise empfiehlt sich auch zur Kennzeichnung des Verhältnisses von Rat und Bürgern in der sich selbst regierenden vormodernen deutschen Stadt. Untersucht man die Wirksamkeit der politischen Institutionen in den Städten des Alten Reiches, tritt einerseits die bestimmende Rolle des Rates hervor. In solchen Städten, in denen die Statuten und Gewohnheiten bei gewissen Angelegenheiten (Statutenänderung, Steuer- und Eigentumsfragen, Krieg und Frieden und ähnlichem, im Zeitalter der Reformation auch der Konfessionswechsel) den Bürgern ein Zustimmungsrecht zu den Ratsentscheidungen zugestanden, erschöpfte sich dieses Anrecht zumeist in der „schweigenden Zustimmung" (tacitus consensus), das heißt in der Hinnahme der Ratsentscheidungen. Bisweilen steigerten die Bürger ihr Zustimmungsrecht bis zur Forderung nach förmlichem Gehör und förmlicher Billigung in bürgerschaftlichen Institutionen, zum Beispiel in der Bürgerversammlung. Daraus konnte der Widerspruch, gegebenenfalls der gewaltsame Protest gegen Ratsentscheidungen erwachsen. Dieser Befund läßt sich auch so ausdrücken: In der sich selbst regierenden deutschen Bürgerstadt übte der Rat das Regiment aus. Der Bürgerschaft stand vielfach ein förmliches Approbationsrecht zu wesentlichen Ratsentscheidungen zu. Es ist zu beachten, daß selbst dort, wo das nicht der Fall war, die Bürger bei unliebsamen Entscheidungen des Rats nicht zum „leidenden Gehorsam" verdammt blieben. Um ihre Stimme zu erheben, vermochten sie sich vielmehr auf die gemeinrechtliche Maxime „Quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet" zu berufen. Sie stützten dann ihr Handeln entweder auf bestehende bürgerschaftliche Institutionen oder bildeten Schwureinungen. Die Grenzlinie zwischen rechtmäßigem Protest und hochverräterischem Aufruhr war in solchen Fällen freilich stets fließend. Es sei festgehalten: In der vormodernen Stadt hatte im Wechselspiel von Rat und Bürgern der Rat den bestimmenden Part inne. Das Ratsregiment fand seine Grenze im informellen und formellen Konsens- und Approbationsrecht der Bürgerschaft. In Anlehnung an eine auf Ulrich Meier zurückgehende Begriffsbildung7 schlage ich vor, diesen aus der akteurs- und handlungsorien-

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Meier spricht in bezug auf die politische Ordnung und speziell das Verhältnis von Rat und Bürgern in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen europäischen Stadt von „konsensgestützter Herrschaft"; vgl. Ulrich Meier, Konsens und Kontrolle. Der Zusammenhang von Bürgerrecht und politischer Partizipation im spätmittelalterlichen Florenz, in: Klaus Schreiner/Ulrich Meier (Hrsg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. (Bürgertum, Bd. 7.) Göttingen 1994, 147-187, hier 148; vgl. ferner Ulrich Meier/Klaus Schreiner, .Regimen civitatis'. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften, in: ebd. 11-34, vor allem Abschnitt 1 : Konsensgestützte Herrschaft. Probleme der Begriffsbildung bei der Rekonstruktion des politischen Handlungsfeldes ,Stadt', 15-18.

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tierten Betrachtung hervortretenden Aufbau der politischen Ordnung in der Alten Stadt mit dem Ausdruck „konsensgestütztes Ratsregiment" zu umschreiben. Was damit gemeint ist, wird in Abschnitt V unter dem Titel „Die politische Ordnung in der Alten Stadt - Überlegungen zur Konzeptionalisierung" näher erläutert. In dem daran anschließenden Abschnitt VI wird unter dem Titel „Das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt" die Tragfähigkeit dieses Konzepts geprüft. Das geschieht unter drei Gesichtspunkten: Betrachtet wird zunächst das Wechselspiel von Rat und Bürgerschaft in der politischen Praxis (Abschnitt VI.l), dann, zweitens, die Lehrmeinung der zeitgenössischen Juristen (Abschnitt VI.2), schließlich, drittens, diejenige der zeitgenössischen Philosophen, speziell der politischen Aristoteliker (Abschnitt VI.3). Die „Zusammenfassung" (Abschnitt VII) mündet in die Frage ein, welche Übereinstimmungen und Abweichungen zwischen dem Ratsregiment in der Stadt und dem monarchischen Regiment im Fürstentum bestanden. Vorausgeschickt werden den Abschnitten V-VII Erörterungen konzeptgeschichtlicher Art. Zunächst wird in Abschnitt II unter dem Titel „Die Tragfähigkeit von Gierkes Genossenschaftskonzept für die deutsche Stadtgeschichtsschreibung" das in der deutschen Mediävistik und Frühneuzeithistorie beheimatete Konzept der Genossenschaft besprochen, das auf die germanistische Schule der deutschen Rechtswissenschaft und speziell auf Otto von Gierkes Genossenschaftslehre zurückgeht. Der Abschnitt III über „Republikanismus" befaßt sich mit diesem Konzept zunächst als Quellenbegriff im Zeitalter der Amerikanischen und der Französischen Revolution (Abschnitt III. 1 ) und dann als Ordnungsbegriff der angelsächsischen Frühneuzeithistorie und der deutschen Stadtgeschichtsschreibung (Abschnitt III.2). Gierkes Konzept der Genossenschaft in der Fassung, die sich in seiner „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft" von 1868 vorfindet, und der geschichtswissenschaftliche Ordnungsbegriff des Republikanismus geben das Verhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft in der vormodernen deutschen Stadt, so wie es in der akteurs- und handlungsorientierten Betrachtungsweise zutage tritt, meines Erachtens nicht angemessen wieder. Gierkes Konzept der verdichteten Genossenschaft oder Körperschaft, das der Autor seit der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" von 1873 vertrat, kommt demgegenüber dem Aufbau der kommunalen Ordnung als eines konsensgestützten Ratsregiments weit entgegen. Eine noch überzeugendere Konzeptionalisierung der politischen Ordnung in der vormodernen Bürgerstadt brachte bereits während der Epoche der Restauration der Schweizer Staatswissenschaftler Karl Ludwig von Haller in seinem zwischen 1816 und 1834 erschienenen sechsbändigen Hauptwerk „Restauration der Staatswissenschaft" zustande. Über das dort entfaltete Genossenschaftskonzept unterrichtet der Abschnitt IV über „Genossenschaft bei

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Karl Ludwig von Haller". Ich plädiere dafür, Gierkes Konzept der verdichteten Genossenschaft oder Körperschaft und vor allem Hallers Konzept der Genossenschaft für die deutsche Stadtgeschichtsschreibung nutzbar zu machen. 8

II. Die Tragfähigkeit von Gierkes Genossenschaftskonzept für die deutsche Stadtgeschichtsschreibung Genossenschaft und dessen Gegenbegriff, Herrschaft, beschreiben den inneren Aufbau menschlicher Verbände. Es handelt sich um Begriffsbildungen des 19. Jahrhunderts, die von ihrer Entstehung an als universell gültige Allgemeinbegriffe und zugleich als geschichtswissenschaftliche Kategorien verwendet wurden. Genossenschaft wurde bemüht, um das soziale und politische Handeln zwischen gleichgestellten Personen und Gruppen zu kennzeichnen, Herrschaft herangezogen, um das entsprechende Handeln zwischen über- und untergeordneten Personen und Gruppen zu charakterisieren. D i e deutsche Mittelalter- und Frühneuzeitforschung steht im Bann der beiden Konzepte das lehrt der Blick in jede beliebige Darstellung. Andererseits tut sich die außerdeutsche Geschichtsschreibung mit d e m Begriffspaar schwer. Das weist

8 An dieser Stelle sei eine Bemerkung zur Materialgrundlage des Aufsatzes gestattet. Die Studie beruht in den konzeptgeschichtlichen Abschnitten II., III. und IV. im wesentlichen auf den Äußerungen der herangezogenen Autoren; die Belege beschränken sich vorwiegend auf den Nachweis der Zitate. Abschnitt V. hat eine essayistische Ausrichtung. Abschnitt VI.l stützt sich auf die einschlägige Literatur, auf Belege wurde weitgehend verzichtet. Inwieweit die in den Abschnitten VI.2 und VI.3 ins Feld geführten Zivilisten und Aristoteliker als beispielhaft für die juristischen und philosophischen Lehrmeinungen ihrer Epoche gelten dürfen, wird nicht im einzelnen erörtert - ich verweise statt dessen auf meine begriffsgeschichtlichen Untersuchungen: Wolfgang Mager, Zur Entstehung des modernen Staatsbegriffs. Wiesbaden 1968; ders., Art. „Republik", in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck. 8 Bde. Stuttgart 1972-1997, Bd. 5, 549-651; ders., Respublica und Bürger. Überlegungen zur Begründung frühneuzeitlicher Verfassungsordnungen, in: Gerhard Dilcher (Hrsg.), Res publica. Bürgerschaft in Stadt und Staat. (Der Staat, Beih. 8.) Berlin 1988, 67-84 sowie Aussprache, 85-94; ders., République, in: Archives de philosophie du droit 35, 1990, 257-273; ders., Res publica chez les juristes, théologiens et philosophes à la fin du Moyen age: sur l'élaboration d'une notionclé de la théorie politique moderne, in: Théologie et droit dans la science politique de l'État moderne. (Collection de l'Ecole française de Rome, 147.) Rom 1991, 229-239; ders.. Art. „Republik" in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 8. Basel 1992, 858-878; ders., Spätmittelalterliche Wandlungen des politischen Denkens im Spiegel des res publica-Begriffs, in: Jürgen Miethke/Klaus Schreiner (Hrsg.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen. Sigmaringen 1994, 401-410; ders., Republikanismus. Überlegungen zum analytischen Umgang mit einem geschichtlichen Begriff, in: Peter Blickle (Hrsg.), Verborgene republikanische Traditionen in Oberschwaben. (Oberschwaben - Geschichte und Kultur, Bd. 4.) Tübingen 1998, 243-260.

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auf eine spezifisch deutsche Problemlage der Konzeptbildung hin, die es zu bedenken gilt. Während die Konzepte der Genossenschaft und der Herrschaft erst der „Sattelzeit" (Reinhart Koselleck) im Übergang des alten Europa zur Moderne angehören, haben die Ausdrücke „Genossenschaft" und „Herrschaft" eine lange Geschichte - sie lassen sich bereits seit dem Mittelalter beobachten. Über die Wort- und Begriffsgeschichte von „Herrschaft" informiert der gleichnamige Artikel des Lexikons „Geschichtliche Grundbegriffe". 9 Er führt vor Augen, daß sich der Gebrauch von Herrschaft als rechtlichem und staatswissenschaftlichem Grundbegriff erst seit dem zu Ende gehenden 18. Jahrhundert abzeichnet. Vorher bezog sich der Ausdruck „immer auf einen konkreten Herren, auf seine Gerechtsame und seinen Machtbereich, sei er nun Dorfherr, Stadtherr, Grundherr, Gerichtsherr oder Landesherr"10, also auf die Verfügung eines bestimmten Herrn über bestimmte Personen, Sachen und Gebiete. Zu einem universalen Rechts- und Politikbegriff rückte Herrschaft erst in der deutschen Staatslehre des 19. Jahrhunderts auf. Zum soziologischen Allgemeinbegriff geriet Herrschaft schließlich bei Max Weber. Schulbildend wurde der Herrschaftsbegriff, den der Jurist Karl Friedrich Gerber11 in seinem Werk „Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts" entwickelte. Gerber umschrieb den Staat als „die höchste rechtliche Persönlichkeit, welche die Rechtsordnung kennt". 12 Er legte dar, „der Staat als Persönlichkeit" habe „eine eigenthümliche Willensmacht, die Staatsgewalt", führte aus, die Staatsgewalt sei „das Recht zu herrschen, das heißt das Recht, zur Ausführung der im Staatszwecke liegenden Aufgaben einen das ganze Volk verbindenden Willen zu äussern"13, und brachte diesen Gedanken dann auf die lapidare Formel: „Die Willensmacht des Staats ist die Macht zu herrschen; sie heisst Staatsgewalt."14 „Durch die Unterwerfung unter das staatliche Herrschaftsrecht" - so Gerber - „treten Menschen und Dinge in ein eigenthümliches Rechtsverhältnis zum Staate", werden zu „beherrsch9

Horst Günther/Dietrich Hilger/Karl-Heinz Ilting/Reinhart Koselleck/Peter Moraw, Art. „Herrschaft", in: Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 8), Bd. 3, 1-102. 10 Ebd. 2. 11 Vgl. Peter von Oertzen, Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Eine wissenssoziologische Studie über die Entstehung des formalistischen Positivismus in der deutschen Staatsrechtswissenschaft. Hrsg. u. mit ein. Nachw. v. Dieter Sterzel. Frankfurt am Main 1974, vor allem der Abschnitt: Carl Friedrich von Gerber, 163-248; Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs (1871-1918). (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 12.) Frankfurt am Main 1997, Abschnitt: Zu Gerbers Begriff der .Herrschaft', 52-55. 12 Karl Friedrich Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts (1865). 2. Aufl. Leipzig 1869, 2 f. 13 Ebd. 220. 14 Ebd. 3.

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ten Menschen und Sachen" und bilden damit „Objecte des staatlichen Herrschaftsrechts"15, der „Staatsherrschaft"16. Die Wort- und Begriffsgeschichte von „Genossenschaft" ist noch nicht geschrieben. Der materialreichen Studie von Karl Siegfried Bader über Genossenschaft im Kontext der Rechtsgeschichte des deutschen Dorfes 17 läßt sich immerhin entnehmen, daß der Ausdruck seit dem hohen Mittelalter in der Wortform „genossame" oder „genotschap", als Ableitung von „genoß" in der Bedeutung ,der Mitnutzende', ,Mitgenießende', nachgewiesen ist.18 Genossenschaft bezeichnete die Dorfbewohner als Verband, der gemeinsame Nutzungsverhältnisse in Feld und Flur regelt.19 Weite Verbreitung fand Genossenschaft offenbar erst seit dem späten 18. Jahrhundert, und zwar zunächst als zivilrechtliches Fachwort. Genossenschaft umschrieb ständische Vereinigungen mit gemeinnützigem Zweck, die vom Staat als Rechtssubjekt anerkannt waren, zum Beispiel Innungen und Gilden, und kennzeichnete in objektiver Sinnfüllung solche Vereinigungen als Rechtssubjekt, hob in subjektiver Sinnfüllung auf die ständische Ebenbürtigkeit der Mitglieder ab. 20 Im Zusammenhang mit dem aufblühenden freien Assoziationswesen wurde seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts in der Privatrechtslehre die Frage aufgeworfen, ob solche freien Vereinigungen, obwohl sie keinen gemeinnützigen Zweck verfolgen und ohne amtliche Genehmigung ins Leben treten, den Rang der Genossenschaft und mithin der juristischen Person beanspruchen können. Georg Beseler sprach sich 1843 in seiner wegweisenden Studie über „Volks'5 Ebd. 220. 16 Ebd. 222. Daran anknüpfend Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. 5. Aufl. Tübingen 1911, Ndr. Aalen 1964, 68: „Herrschen ist das Recht, freien Personen (und Vereinigungen von solchen) Handlungen, Unterlassungen und Leistungen zu befehlen und sie zur Befolgung derselben zu zwingen. Hierin liegt der Kernpunkt für den Gegensatz der öffentlichen Rechte und der Privatrechte. Das Privatrecht kennt eine Herrschaft nur über Sachen." Laband zufolge hat .jeder Staat, auch der kleinste, Herrschaftsrechte", das unterscheide ihn vom Kommunalverband (ebd.). 17 Karl Siegfried Bader, Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes. Bd. 2: Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde. Weimar 1962. 18 Ebd. 3-13; lateinische Entsprechungen waren: socius, consors, aequalis, ebd. 11 Anm. 39. 19 In quellennaher Begriffssprache definiert Bader Genossenschaft (in Abgrenzung von Gemeinde) wie folgt: „Wo wir im folgenden von der Dorfgenossenschaft sprechen, heben wir auf Formen ab, bei denen das nachbarliche Miteinander einer Vielzahl von Dorfbewohnern deutlich zum Ausdruck kommt, vor allem in Fragen der gemeinsamen Nutzung der inneren und äußeren Allmende. Von der Dorfgemeinde dagegen reden wir vornehmlich dort, wo der auf das Dorf radizierte Verband [...] über die Gemeinnutzung hinausgehende Befugnisse in Anspruch nimmt und tatsächlich ausübt." Ebd. 29. 20 Dazu eingehend Jan Schröder, Zur älteren Genossenschaftstheorie. Die Begründung des modernen Körperschaftsbegriffs durch Georg Beseler, in: Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 11/12, 1982/83, 399-^459 mit weiterführender Literatur; zur Konvergenz der objektiven Bedeutung (.ständischer Verband') und der subjektiven Bedeutung (.ständische Gleichheit', .Ebenbürtigkeit') des alten Genossenschaftsbegriffs vgl. ebd. 452.

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recht und Juristenrecht" in diesem Sinne aus und begründete eine solche Aufwertung der freien Vereinigungen mit dem Argument, daß sie „zur Erreichung gemeinschaftlicher Zwecke auf die Dauer errichtet" seien. 21 Dieser Schule machende Genossenschaftsbegriff leitete die Rechtsfähigkeit aus dem inneren Gefüge der Vereinigung ab. Mit Jan Schröder läßt sich von einem Strukturbegriff „auf der Basis einer soziologischen Rechtstheorie" sprechen.22 Von dort war der Weg nicht weit zur Übertragung von Genossenschaft aus dem Privatrecht auf das öffentliche Recht, nämlich zur Verwendung von „Genossenschaft" - zugleich des Gegenbegriffs „Herrschaft" - , um den inneren Aufbau politischer Verbände zu beschreiben. Eine solche Ausbildung von Genossenschaft und Herrschaft zu staats- und geschichtswissenschaftlichen Grundbegriffen ist von Ernst-Wolfgang Böckenförde in seiner Studie über „Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert" im einzelnen nachgezeichnet worden.23 Demzufolge konstruierten die deutschen Juristen und Verfassungshistoriker des „langen" 19. Jahrhunderts, soweit sie sich zum sogenannten „organischen Liberalismus" bekannten, die deutsche Geschichte von den (vermeintlich) germanischen Ursprüngen über das Mittelalter und die Neuzeit hinweg bis zu ihrer Gegenwart als eine zweitausend Jahre überspannende Gesamtentwicklung. Sie maßen der Dialektik von Genossenschaft und Herrschaft als geschichtsbestimmenden Kräften eine zentrale Rolle bei der Entfaltung des deutschen Volksgeistes (im Sinne Herders) bei. Der Ausgangspunkt eines solchen Geschichtsentwurfs war Justus Mosers „Osnabrückische Geschichte".24 Voll zur Geltung gelangte diese Betrach21

Georg Beseler, Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig 1843, 161; vgl. Schröder, Zur älteren Genossenschaftstheorie (wie Anm. 20), 426-431, Abschnitt: Beselers Neufassung des Korporationsbegriffs; vgl. auch Bernd-Rüdiger Kern, Georg Beseler. Leben und Werk. (Schriften zur Rechtsgeschichte, Bd. 26.) Berlin 1982. 22 Schröder, Zur älteren Genossenschaftstheorie (wie Anm. 20), 450. 23 Emst-Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder. 2., um eine Vorbemerkung u. Nachträge erg. Aufl. (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 1.) Berlin 1995 (ursprünglich 1961); vgl. die grundlegende Gesamtdarstellung der deutschen Staatsrechtsund Verwaltungslehre im „langen" 19. Jahrhundert von Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 2: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800-1914. München 1992. 24 Das Begriffspaar Genossenschaft und Herrschaft in der abstrakten Bedeutung kam bei Moser freilich noch nicht vor. Zwar läßt sich in der „Osnabrückischen Geschichte" (Einleitung 1768, Teil 1 u. 2 1780, Teil 3 posthum 1824) der Ausdruck „Herrschaft" mehrfach und der Ausdruck „Genossenschaft" immerhin einmal (sowie einmal der Ausdruck „Hausgenossenschaft") beobachten. Die Begriffsbildung verharrte indessen bei der herkömmlichen konkreten Bedeutung von ,Herr' (bzw. .Gerichts-, Grund-, Guts-, Haus-, Hofes-, Lehnsherr') und .Genösse' (bzw. .Gerichts-, Mark-, Mit-, Moor-, Rechts-, Reichs-, Staatsgenosse'); vgl. Justus Moser, Osnabrückische Geschichte und historische Einzelschriften. Bearb. v. Paul Göttsching. 4 Bde. (Justus Mosers Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 12-14.) Oldenburg/Hamburg 1964-1976, sowie Kommentarbd. Osnabrück 1990, hier Register. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts setzte sich dann das Begriffspaar

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tungsweise dann bei den Autoren, die im Mittelpunkt von Böckenfördes Darstellung stehen: Das sind vor allem Friedrich Eichhorn, Georg Waitz, Georg Ludwig von Maurer und Otto von Gierke, auch Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker als Herausgeber und Mitverfasser des „Staatslexikons" sowie weitere Mitarbeiter zu dieser zwischen 1834 und 1849 herausgekommenen liberalen „Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände". Die Autoren dieser Denkrichtung ergründeten die Wirksamkeit genossenschaftlicher Institutionen in der deutschen Vergangenheit vornehmlich in dem Bestreben, den bürokratischen Fürstenstaat mit genossenschaftlichen Einrichtungen zu durchsäuern. Sie akzeptierten den im Zeitalter des Absolutismus entstandenen Zentralstaat und setzten sich für die Verankerung der „Schwurgerichte, Volkswehr, Volksrepräsentation, gesetzlichen Freiheit, Beistimmung zu Gesetzen und Steuern, Gemeindefreiheit, Bindung des politischen Rechts an freies Eigentum" 25 in dessen Rahmen ein. Herrschaft stand bei ihnen für flächenstaatliche Einheit, Genossenschaft für politische Freiheit im Sinne der Teilhabe der Bürger am Gemeinwesen. In diesem Sinne erschien ihnen die konstitutionelle Monarchie als der geeignete Rahmen für die Versöhnung von Herrschaft und Genossenschaft. Dieses Verfassungsprogramm setzte sich von drei Gegenmodellen ab. Das war, zum einen, der Gesellschafts- und Politikentwurf der Französischen Revolution, der auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhte, vorrangig auf die Sicherung der politischen Freiheit abhob und die Verwirklichung dieses Zieles von der gewaltenteilig-repräsentativen Verfassung erwartete. Das war, zum andern, das in der Wiener Schlußakte von 1820 für die Fürstenstaaten des Deutschen Bundes festgeschriebene „monarchische Prinzip", das die politische Ordnung auf die Fürstensouveränität gründete. 26 Das war schließlich, drittens, die Ausdeutung der Lehre von der Staatssouveränität durch Karl Friedrich Gerber, Paul Laband und den staatsrechtlichen Positivismus, demzufolge der Staat vornehmlich als Herrschaftsverband begriffen und auf anstaltliche Herrschaftsausübung verkürzt wurde. 27 Die von Böckenförde beHerrschaft versus Genossenschaft in der seitherigen Bedeutung der Termini durch; vgl. die Belege bei Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung (wie Anm. 23), passim. Zu Mosers Geschichtsanschauung vgl. Jonathan B. Knudsen, Justus Moser and the German Enlightenment. Cambridge 1986, Kap. 4: Möser's historical universe: regional history and cosmopolitan history, 94-111. 25 Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung (wie Anm. 23), 86; zum Verfassungsprogramm der konstitutionellen Monarchie in Deutschland grundlegend Hans Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz. (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 56.) Düsseldorf 1975. 26 Zum monarchischen Prinzip vgl. Boldt, Deutsche Staatslehre (wie Anm. 25), Abschnitt: Das monarchische Prinzip, 15-54; vgl. ferner Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 23), Bd. 2, 102-105. 27 Dazu Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat (wie Anm. 11), 21-182.

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handelten Autoren standen demgegenüber für ein Programm der Durchdringung des monarchischen Anstaltsstaats mit genossenschaftlichen Institutionen, wenn nicht gar der Umwandlung des Anstaltsstaats in einen Genossenschaftsstaat unter einem monarchischen Oberhaupt. Das zeigt zugleich die dem genossenschaftlichen Freiheitsverständnis inhärenten Grenzen auf. Die monarchische Gewalt als eigenständige Ordnungsmacht wurde von den Vertretern des „organischen Liberalismus" nie in Frage gestellt. Die Teilhabe der Bürger am Staat, die im Namen der Genossenschaftsidee eingefordert wurde, blieb hinter der auf verbriefte Rechte und Gewaltenteilung abhebenden liberty der angelsächsischen Verfassungstradition und der auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhenden liberté der Französischen Revolution (auch der Freiheit im Sinne von Kants Republikanismus-Konzept) weit zurück. Das genossenschaftliche Freiheitsverständnis soll am Beispiel von Gierkes Anschauungen verdeutlicht und daraufhin betrachtet werden, welche Tragfähigkeit es für die deutsche Stadtgeschichtsschreibung besitzt. Gierke Schloß mit seiner Genossenschaftslehre eng an die Auffassungen an, die sein Lehrer Beseler in der bereits erwähnten Studie über „Volksrecht und Juristenrecht" und dort speziell in dem Kapitel „Das Recht der Genossenschaft" 28 entwickelt hatte. Deshalb zunächst einige Hinweise auf Beselers Anschauungen und Thesen, soweit sie für Gierke besonders wichtig geworden sind. Beseler, einer der führenden Vertreter der germanistischen Schule der deutschen Rechtswissenschaft29, sprach sich im Geist der national-liberalen Bewegung für die Bildung eines starken deutschen Gesamtstaates aus und plädierte im Sinne der Germanisten dafür, diesen Staat mit korporativen Kräften und Institutionen zu durchdringen. Beseler kennzeichnete die Genossenschaft zugleich mit der Gemeinde als zwei Spielarten der Korporation. Er definierte die Korporation als „Vereinigung mehrerer Personen", die „zur Erreichung gemeinschaftlicher Zwecke auf die Dauer errichtet" ist. Beseler zufolge kommen „dabei nicht die einzelnen Mitglieder als solche ausschließlich oder nur vorzugsweise in Betracht", vielmehr werde „durch die Vereinigung ein selbständiges Rechtssubject hervorgerufen", das „unabhängig von dem Willen der Einzelnen da steht" und, wie die Stiftung, eine „juristische Person" bildet.30 Unter Gemeinde verstand Beseler den von allen Bewohnern eines Bezirks getragenen Verband, der, zwischen dem einzelnen und der Gesamtheit stehend, an der Handhabung der Staatsgewalt teilhat. Unter Genossenschaft faßte er alle sonstigen von den Mitgliedern getragenen Verbände einschließlich der freien Vereinigungen.31 28

Beseler, Volksrecht und Juristenrecht (wie Anm. 21), 158-184. Zu Beselers Stellung in den Auseinandersetzungen zwischen Germanisten und Romanisten ausführlich Schröder, Zur älteren Genossenschaftstheorie (wie Anm. 20). 30 Beseler, Volksrecht und Juristenrecht (wie Anm. 21), 161. 31 „Die Corporation theilt sich [...] in zwei Arten; sie ist entweder eine Gemeinde oder 29

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Beseler rühmte die Fähigkeit der Germanen zur korporativen Verbandsbildung. Er leitete daraus die bemerkenswerte Wirksamkeit der Genossenschafts- und Gemeindebildungen in der deutschen Geschichte ab. Es habe „die Vorsehung [...] wunderbar für die Menschheit gesorgt, als sie, nachdem das Alterthum in der grauenvollen Öde des römischen Principats untergegangen war, die Germanen zur Begründung eines neuen Lebens in der Weltgeschichte auftreten ließ, ausgerüstet nicht nur mit der nöthigen Naturkraft, um körperlich und geistig eine umfassende Regeneration zu bewirken, sondern auch mit dem tiefen Familiensinn und mit jenem Associationsgeiste, welcher, der höchsten Entwicklung zum Staate fähig, sich doch auch in den niedern Sphären des Lebens, in der Gemeinde und der Genossenschaft, mit einer beschränkteren Wirksamkeit genügen ließ, so wie neben der Liebe zum großen Vaterlande auch die zur trauten Heimath sich erhalten konnte".32 Das „germanische Mittelalter" habe sich „vorzugsweise in jenen engeren Kreisen" bewegt, und die deutsche Geschichte biete „noch zur Zeit, als die Nation schon politisch in Verfall gerathen war, in dem corporativen Leben ein Bild der Fülle und Tüchtigkeit dar". 33 Vor der „einseitig erweiterten Fürstengewalt" seien seit dem 17. Jahrhundert „die Selbständigkeit und freie Bewegung der Corporationen" zurückgetreten. Auf deren Kosten hätten die Fürsten „eine einheitliche Staatsgewalt begründet, welche sich in der unmittelbaren Herrschaft auch über das Einzelne und Kleine gefiel".34 „So erlosch auch der Associationsgeist in seiner bildenden Kraft fast ganz, da ihm seine erste Bedingung, die Freiheit, versagt war, und allein England zeigte noch, was er zu wirken vermöge."35

eine Genossenschaft. Die erstere ist an einen bestimmten geographischen Bezirk gebunden, und erfaßt, wenn auch auf verschiedene Weise, alle Bewohner desselben, so daß eine Ausnahme davon besonders begründet seyn muß, und diejenigen, welche nicht im Gemeindeverband stehen, als Eximirte oder als Fremde zu betrachten sind; sie hat femer eine unmittelbare politische Bedeutung, und schließt sich als ein vermittelndes Glied zwischen den Einzelnen und der Gesammheit, dem Staatsorganismus als integrirender Theil an. Die Genossenschaft dagegen ist nicht nothwendig und nicht einmal gewöhnlich auf einen bestimmten Bezirk beschränkt, und hat keine so gleichmäßig wirkenden Zwecke wie die Gemeinde; sie zieht daher nicht alle Bewohner in ihre Rechtssphäre, sondern nur solche, welche aus besonderen Gründen ihr angehören. Auch bildet sie, so groß auch im Allgemeinen ihre politische Bedeutung seyn kann, für gewöhnlich doch keinen Theil der Staatsverfassung, und wenn in einzelnen Fällen eine solche Beziehung besteht, eine Stadtverfassung zum Beispiel auf Zünften beruht, oder die Provinzialritterschaft in einer Landesverfassung eine bestimmte Stellung einnimmt, so ist das nicht die Folge des genossenschaftlichen Principe, sondern einer Verschmelzung desselben mit andern Institutionen." Beseler, Volksrecht und Juristenrecht (wie Anm. 21), 161 f. 32 Ebd. 159. 33 Ebd. 159 f. 34 Ebd. 160. 35 Ebd.

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Vor dem Hintergrand der massenhaften Gründung freier Vereinigungen in seiner Zeit und angesichts der Erneuerung der städtischen Selbstverwaltung in vielen deutschen Territorien gelangte Beseler zu dem hochgemuten Urteil, daß in Deutschland „an dem festen Unterbau der politischen Freiheit mit Erfolg gearbeitet" werde. „Die Gemeinden namentlich haben eine würdigere Stellung erhalten, und auch der Associationsgeist regt sich wieder mit frischer Kraft, und vereint die Einzelnen zur gemeinsamen Bestrebung."36 Sei auch „bei den heutigen, selbst räumlichen Verhältnissen der Staaten, die Theilnahme Aller an der Ausübung der höchsten Gewalt undenkbar", strebten doch alle danach, „das, woran ihr Leben in Freude und Leid gebunden ist, in unmittelbarer Nähe" zu erfassen und entsprechende Rechte auszuüben.37 In bewegten Worten pries Beseler „die Association, oder wie ich es mit einem guten deutschen Worte nenne, die Genossenschaft" als ein Institut, „welches fast nach allen Seiten hin seine Zweige" ausdehne „und für das ganze Volks- und Rechtsleben der Gegenwart von der allergrößten Wichtigkeit" sei. Es habe „so recht im deutschen Nationalcharakter seine Wurzel." „Eben deswegen von dem römischen Recht und den Romanisten auf alle Weise beengt, gehemmt und unterdrückt", friste es „doch stets bei den traurigsten Zuständen des Vaterlandes sein Leben". „In neuester Zeit aber, da sich in der Nation der Anfang einer freieren Erhebung" zeige, habe es „sofort seine volle Kraft wieder entwickelt". Es greife „auf die großartigste Weise in das öffentliche und Privatleben" ein.38 In entschiedenem Widerspruch zur romanistischen Fiktionstheorie sprach Beseler dabei den „von dem germanischen Associationsgeiste [...] hervorgerufenen Instituten"39 eine eigenständige Persönlichkeit zu. Die Genossenschaft und die Gemeinde seien so wenig eine Fiktion wie der Staat. Es liege „in der so geordneten Gesammtheit ein organisches Leben, eine Persönlichkeit, deren Bedeutung man ganz mißversteht, wenn man sie bloß im Gegensatz zu den einzelnen Menschen auffaßt". 40 Hier wurde im Namen der Korporationsidee das Modell eines Staatsaufbaus entwickelt, demzufolge Individuum und Staat nicht unmittelbar einander gegenüberstehen, sondern zwischen beide die von ihren Mitgliedern gebildeten und getragenen Verbände der mannigfaltigsten Art treten, darunter nicht zuletzt die sich selbst verwaltende Gemeinde. Wenn in diesem Zusammenhang von Freiheit die Rede war, zielte das auf eine politische Ordnung, die der Korporation und speziell der gemeindlichen Selbstverwaltung unterhalb der staatlichen Zentralgewalt Entfaltungsspielraum eröffnet. Korporative Freiheit bedeutete insofern, wie Beseler ausführte, „Autonomie", das heißt „die ur36 37 38 39 40

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

159. 157. 174. 173.

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sprünglich auch den Gemeinden zustehende Befugniß freier Corporationen, innerhalb ihrer Rechtssphäre das heißt soweit nicht die Rechte Dritter oder ein bestimmtes öffentliches Interesse dabei in Betracht kommt, ihre Verfassung selbständig zu ordnen, und dauernde Normen, welche die Corporation als solche und also auch alle einzelnen Mitglieder binden, gültig zu erlassen".41 Nach Beselers Urteil war es seit dem Zeitalter des absolutistischen Obrigkeitsstaates als Folge „der in Deutschland so übertriebenen Bevormundung freier Bürger durch die Staatsgewalt"42 mit der Korporation nicht gut bestellt. Was die Gemeinden anbetrifft, sei deren „Autonomie fast ganz entrissen, obgleich sie denselben erst die rechte Selbständigkeit giebt, und weise beschränkt und den Anforderungen des modernen Staat unterworfen, das beste Mittel seyn würde, die so lästige und demüthigende Bevormundung der Bürger durch eine stets thätige Regierungsgewalt zu beseitigen".43 Beselers Argumentation lief auf ein Plädoyer zur Erneuerung und Stärkung der gemeindlichen Selbstverwaltung und des Assoziationswesens überhaupt hinaus. Unter den Bedingungen der konstitutionellen Monarchie bedeutete ihm Freiheit soviel wie Stärkung der Genossenschaften und Gemeinden als Gliedern des Staates in einer Mittellage zwischen Individuum und Zentralgewalt, außerdem die Wirksamkeit einer „Repräsentation des Volkes" und die Verpflichtung der Beamten nicht auf den Fürsten, sondern auf den Staat.44 Gierke griff die Gedanken Beselers in seiner ersten großen Arbeit, der 1868 publizierten „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft", auf - es handelte sich um die erweiterte Fassung der im Jahre zuvor der Juristischen Fakultät der Berliner Universität vorgelegten Habilitationsschrift des Autors. Sie bildete den ersten Band von Gierkes bis 1913 auf vier Bände angewachse41 Ebd. 182 f. 42 Ebd. 176. 43 Ebd. 183. 44 „Der eigentliche Schwerpunct des heutigen deutschen Staatsrechts liegt in dem zur Verwirklichung gekommenen Staatsbegriff, dessen deutlichste Manifestation in der Souveränität enthalten ist. Denn wie der Souverain als der selbstberechtigte Träger einer einheitlichen Staatsgewalt erscheint, so ist dadurch auch ihm gegenüber ein Staatsbürgerthum entstanden, welches die einzelnen Classen der Unterthanen in wesentlichen Puncten gleichmäßig erfaßte; es ist, statt der einstigen Vertretung gesonderter ständischer Interessen, eine Repräsentation des Volkes in seiner Gesammtheit in den Reichsständen nothwendig geworden, und im Gegensatz zu der landesherrlichen Dienerschaft der älteren Zeit hat sich das Institut der Staatsbeamten entwickelt, welche nicht mehr berufen, sind, dem Lande gegenüber die besonderen fürstlichen Interessen zu wahren, sondern den im Gesetz ausgeprägten Staatswillen zur Ausübung zu bringen und als die Organe des Souverains in freier Thätigkeit für das gemeine Beste zu sorgen und zu wirken. Die Genossenschaft und Gemeinde und die weiteren Territorialbezirke stehen daher auch nicht mehr in abgeschlossener Haltung neben einander, nur durch das Regierhaus und den landständischen Verband zusammengehalten, sondern sie kommen als die organischen Glieder des Staatswesen in Betracht, und vermitteln zugleich die Beziehungen der Einzelnen zu den nächsten Genossen und zur Gesammtheit, insofern diese sie nicht unmittelbar zu Recht und Pflicht heranzieht." Beseler, Volksrecht und Juristenrecht (wie Anm. 21), 152 f.

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nem, unvollendet gebliebenen Hauptwerk „Das deutsche Genossenschaftsrecht". 45 D i e Habilitationsschrift 4 6 entstand vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden deutschen Einheit und der Bildung des Norddeutschen Bundes, der, 1866 geschlossen, im darauffolgenden Jahr seine Verfassung e r h i e l t 4 7 Gierke trat in diesem Zusammenhang dafür ein, daß in dem neuen deutschen Reich die Idee der genossenschaftlichen Freiheit den gleichen Rang w i e die Idee der staatlichen Einheit erhalte. Ähnlich w i e Beseler rechtfertigte Gierke den hohen Stellenwert, den er für die Genossenschaft im Rahmen des zu errichtenden

deutschen Einheitsstaats in Anspruch nahm, aus der Geschichte.

Er konstruierte die Entwicklung der politischen Ordnung in Deutschland zwischen der Germanenzeit und seiner Gegenwart als eine zweitausend Jahre überspannende Auseinandersetzung zwischen Genossenschaftsidee und Herrschaftsidee, genossenschaftlicher Freiheit und herrschaftlicher Einheit, die sich nun in dem neuen deutschen Nationalstaat vollende. In den drei nachfolgenden Bänden des „Deutschen Genossenschaftsrechts" und zahlreichen weiteren Untersuchungen, Vorträgen und Rezensionen 4 8 arbeitete Gierke Genossenschaft als rechtliches und staatswissenschaftliches Konzept und als geschichtswissenschaftliche Kategorie zu einer umfassenden Genossenschaftslehre aus, die von den Zeitgenossen bald als maßgebend beurteilt wurde

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Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht. Bd. 1 : Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft. Berlin 1868; Bd. 2: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs. Berlin 1873; Bd. 3: Die Staats- und Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland. Berlin 1881; Bd. 4: Die Staats- und Korporationslehre der Neuzeit. Durchgeführt bis zur Mitte des siebzehnten, für das Naturrecht bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 1913 (Ndr. von Bd. 1-4. Graz 1954. In diesen Kontext gehört auch Otto von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik. Breslau 1880, 3. Aufl. Breslau 1913, Ndr. Aalen 1981. 46 Zur Entstehung vgl. Ulrich Stutz, Zur Erinnerung an Otto von Gierke. Gedächtnisrede, in: ZRG GA 43, 1922, 7-63, hier 12-15. 47 „Unseren Tagen ist das großartige Schauspiel vorbehalten, des deutschen Volkes politische Wiedergeburt zu sehen. Das Fundament des Baues, welcher sich zum deutschen Reich gestalten und den zugleich einigen und freien deutschen Volksstaat als ersten Staat der Erde errichten soll und wird, ist gelegt." Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), 841. 48 Vgl. das Verzeichnis von Gierkes Schriften in Stutz, Gierke (wie Anm. 46), 45-63. 49 So bereits das Urteil Labands in einer Arbeit von 1885, in der es unter anderem um die Widerlegung von Gierkes deutschrechtlichem Genossenschaftsbegriff in Bd. 2 des „Deutschen Genossenschaftsrechts" ging: „Seit der Mitte unseres Jahrhunderts ist der Ausdruck Genossenschaft' ein politisches und sozialpolitisches Schlagwort geworden, indem man in der .Macht der Association' das Mittel zur Lösung der sozialen Probleme gefunden zu haben glaubte; aus dem ursprünglich privatrechtlichen Begriff ist ein dankbares Objekt der Volkswirthschaftlehre und der Politik geworden; die halbwissenschaftliche Literatur und die Tagespresse haben mit dem Worte ihren Mißbrauch getrieben und dasselbe mit Vorliebe verwendet, wenn für unklare Vorstellungen ein vieldeutiger Ausdruck verwendet wurde. Auch die Gesetzgebung hat es rezipirt. Endlich wurde ,das deutsche Genossenschaftsrecht' zum Gegenstand eines sehr umfangreichen Werkes von Gierke gemacht,

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Hervorzuheben sind die Studie über „Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung"50 aus dem Jahre 1887, die umfänglichen Auslassungen Uber „Das Recht der Verbandspersönlichkeit" in dem 1895 herausgekommenen ersten Band des „Deutschen Privatrechts"51, die Rede von 1909 über „Die Steinsche Städteordnung"52, schließlich der 1919 nach dem verlorenen Weltkrieg gehaltene Vortrag „Der germanische Staatsgedanke"53, in dem Gierke seine rechts- und staatswissenschaftlichen Überzeugungen zusammenfaßte und eine Bilanz zog 54 . welches durch imponirende Gelehrsamkeit und Gründlichkeit, sowie durch eine Fülle geistreicher Erörterungen, eindringender historischer Untersuchungen und dogmengeschichtlicher Entwicklungen einen sehr hervorragenden Platz in der juristischen Literatur einnimmt. Man kann daher alle früheren Erörterungen über dieses ,aus germanischer Wurzel entsprossene Rechtsinstitut' nunmehr bei Seite lassen, da sie durch die von Gierke gegebene Darstellung antiquirt sind, und sich ausschließlich an die letztere halten." Paul Laband, Beiträge zur Dogmatik der Handelsgesellschaften, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 30, 1885, 469-532 und 31, 1885, 1-62, zitiert nach dem Abdruck in: ders., Abhandlungen, Beiträge, Reden und Rezensionen. T. 4: Abhandlungen und Rezensionen (1861-1899) aus Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht. Leipzig 1983, 363^188, hier 377 f. 50 Otto von Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung. Berlin 1887, Ndr. Hildesheim 1963. 51 Otto von Gierke, Deutsches Privatrecht. Bd. 1: Allgemeiner Teil und Personenrecht. (Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft, Abt. 2, T. 3.) Leipzig 1895. 52 Otto von Gierke, Die Steinsche Städteordnung. Rede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs, gehalten in der Aula der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 27. Januar 1909. Berlin 1909. 53 Otto von Gierke, Der germanische Staatsgedanke. Vortrag, gehalten am 4. Mai 1919. Berlin 1919. 54 Jüngste Würdigung von Gierkes Genossenschaftslehre bei Schönberger, Parlament im Anstaltstaat (wie Anm. 11), 338-367, und bei Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts (wie Anm. 23), Bd. 2, 359-363 mit erschöpfender Literatur. Vgl. ferner: Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte. 4. Aufl. Tübingen 1963, Kap. 16: Otto von Gierke, 669-712; Albert Janssen, Otto von Gierkes Methode der geschichtlichen Rechtswissenschaft. Studien zu den Wegen und Formen seines juristischen Denkens. (Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte, Bd. 8.) Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1974; Gerhard Dilcher, Genossenschaftstheorie und Sozialrecht: Ein .Juristensozialismus' Otto v. Gierkes? in: Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 3/4,1974/75, 319-365; Maurizio Fioravanti, Giuristi e costituzione politica nell'Ottocento tedesco. (Biblioteca „Per la storia del pensiero giuridico moderno", Voi. 8.) Mailand 1979, 319-333, 356-368; Helga Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft. Kritische Darstellung der Sozialrechtslehre Otto von Gierkes. (Rechtshistorische Reihe, Bd. 16.) Frankfurt am Main/Bem 1982; Hans Boldt, Otto von Gierke, in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker. Bd. 8. Göttingen 1982, 7-23; Gerhard Dilcher, Zur Geschichte und Aufgabe des Begriffs Genossenschaft. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtstheorie, in: ders./Bernd Distelkamp (Hrsg.), Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Berlin 1986, 114—135; Otto Gerhard Oexle, Otto von Gierkes .Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft'. Ein Versuch wissenschaftsgeschichtlicher Rekapitulation, in: Notker Hammerstein (Hrsg.), Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900. Stuttgart 1988, 193-217; Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung (wie Anm. 23), Abschnitt: Die Verfassungsgeschichte als vorbestimmter Entwicklungsgang zum monarchisch-liberalen Verfassungsstaat: Otto v. Gierke, 147-176; Peter Blickte,

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Es sei bereits an dieser Stelle daraufhingewiesen, daß Gierkes Umgang mit dem Ausdruck „Genossenschaft" beim Übergang vom ersten zum zweiten Band seines „Deutschen Genossenschaftsrechts" eine Veränderung erfuhr. Bezeichnete Gierke in der „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft" von 1868 mit diesem Ausdruck sowohl den genossenschaftlichen Verband ohne Rechtspersönlichkeit als auch denjenigen mit Rechtspersönlichkeit, verwendete er seit der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" von 1873 „Genossenschaft" zumeist nur noch für den erstgenannten Verbandstyp und bevorzugte für den zweitgenannten den Ausdruck „Körperschaft". Wir werden auf diese terminologische Umstellung unten näher eingehen. Gierkes Ideen sind für uns zum einen von hohem Interesse, weil er das Konzept der Genossenschaft (Körperschaft) für die Erfassung der mittelalterlichen Stadt fruchtbar gemacht hat, zum andern, weil sich die deutsche Stadtgeschichtsschreibung allenthalben darauf bezieht. Die mittelalterliche Stadt nahm in Gierkes Geschichtsbild eine Scharnierfunktion ein. Das hing damit zusammen, daß sie nach seiner Ansicht die erste Ausprägung des modernen Staates auf deutschem Boden überhaupt darstellte: „Legen wir den Maßstab des heutigen Staatsbegriffes an, so war überhaupt die deutsche Stadt der älteste deutsche Staat."55. Unter dem modernen Staat verstand Gierke einen politischen Verband, der seinen Mitgliedern als überindividuelles Rechtssubjekt, als „Staatspersönlichkeit", entgegentritt und höchste Gewalt (Souveränität) beansprucht.56 Gierke unterschied zwischen dem anstaltlichen und dem genossenschaftlichen (körperschaftlichen) Staatsaufbau. Im frühmodernen absoluten Fürstenstaat erblickte er das Modell des anstaltlichen Staates und stellte dem in Gestalt der mittelalterlichen Stadt das Modell des genossenschaftlichen (körperschaftlichen) Staates gegenüber. Mit der Entgegensetzung eines anstaltlichen Fürstenstaates und eines genossenschaftlichen (körperschaftlichen) Stadtstaates waren Bewertungen und verfassungspolitische Absichten verbunden. Die fürstliche Landesherrschaft hat Gierke zufolge in Deutschland den modernen Zentralstaat geschaffen und damit dem Prinzip der flächenstaatlichen Einheit zum Durchbruch verholfen. In der Erfüllung dieser geschichtlichen Aufgabe findet der anstaltliche Fürstenstaat nach Gierkes Überzeugung seine Rechtfertigung. Als ein auf Befehl und Gehorsam, Zentralgewalt und Bürokratie gegründeter Obrigkeitsstaat Otto Gierke als Referenz? Rechtswissenschaft und Geschichtswissenschaft auf der Suche nach dem Alten Europa, in: ZNR 17, 1995, 245-263. 55 Gierke, Die Steinsche Städteordnung (wie Anm. 52), 13. 56 Vgl. Gierkes Definition des modernen Staats in Otto von Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 30, 1874, 153-198, 265-335. Unveränderter Abdruck Tübingen 1915, Ndr. Aalen 1973; vgl. auch: ders., Besprechung von: ,Paul Sander, Feudalstaat und Bürgerliche Verfassung. Ein Versuch über das Grundproblem der deutschen Verfassungsgeschichte. Berlin 1906', in: ZRG GA 28, 1907, 612-625.

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habe er freilich den Gemeingeist getötet. Es sei an der Zeit, ihn zu einem „deutschen Volksstaate"57 fortzuentwickeln. Gierke begriff unter Volksstaat die „Zurückverlegung des Staates in das Volk, die Wandlung des anstaltlichen Staates in den genossenschaftlichen Staat".58 Eine zentrale Rolle in der genossenschaftlichen (körperschaftlichen) Umgestaltung des anstaltlichen Staates maß er der Stärkung und Fortentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung bei. Stand die Zentralgewalt für politische Einheit, so die kommunale Selbstverwaltung für bürgerliche Freiheit. Gierke untermauerte seine Forderung nach dem Ausbau der gemeindlichen Selbstverwaltung durch den Rückgriff auf die mittelalterliche Bürgerstadt. Er folgte dabei den Ideen des Freiherrn vom Stein und der preußischen Reformer, die bei der Abfassung der Städteordnung von 1808 den Grundgedanken vertreten hatten, so Gierke, „die Organisation der Stadt im Sinne eines selbständigen Gemeinwesens" „aus der deutschen Vergangenheit" zu schöpfen.59 Ausdrücklich bekannte sich Gierke zu dem Geschichtsbild der Reformer, das er auf diese Weise umschrieb: „Unauslöschlich lebte im Herzen der Nation das Gedächtnis der Blütezeit des deutschen Städtewesens fort. Schon die herrlichen Denkmäler mittelalterlicher Kunst, von denen man umgeben war, mußten es wachhalten. Im verklärenden Lichte der Überlieferung sah man die sich selbst regierenden bürgerlichen Gemeinwesen der Vorzeit. An ihrem Beispiel richtete man sich auf und nährte man die Überzeugung, daß das deutsche Volk zu bürgerlicher Freiheit befähigt und zu ihrer Wiedererringung berufen sei." 60 Das ist der Hintergrund, vor dem Gierke seine Anschauung von der mittelalterlichen Bürgerstadt als Genossenschaft (Körperschaft) und Hort bürgerlicher Freiheit entwickelte. Dieses Genossenschafts- und Körperschaftskonzept ist jetzt näher zu betrachten und auf seine Tragfähigkeit für die Erfassung der vormodernen Stadt zu beurteilen. Zunächst ein Wort zur deutschen Stadtgeschichtsschreibung, soweit sie sich auf Gierkes Vorstellungen bezogen hat. Gierkes Ansicht von der mittelalterlichen Stadt als einem Entfaltungsraum gemeindlich-genossenschaftlicher Freiheit wurde von den Stadthistorikern besonders mit der Absicht aufgegriffen, eine eigenständige deutsche Tradition politischer Freiheit ans Licht zu bringen und zu würdigen. Die Historiker verstanden dabei unter genossenschaftlicher Freiheit in der Bürgerstadt außer der Geltung verbriefter Rechte zum Schutz der Person und des Eigentums vor allem die Bindung des städtischen Rats an den Bürgerwillen - institutionell gesprochen: an die Bürgerversammlung (oder aus ihr hervorgegangene Institutionen, wie zum Beispiel den 57

Gierke, Die Steinsche Städteordnung (wie Anm. 52), 34. Ebd. 5. 59 Ebd. 11. 60 Ebd. 11 f. 58

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vielerorts bestehenden Großen Rat, oder Zunft-, Stadtteil-, Kirchspielversammlungen und ähnlichem). Ein solches Freiheitsverständnis gründete auf den Gedanken der Gewaltenteilung. Demzufolge oblag dem Rat die Handhabung der laufenden Geschäfte, während das Machtzentrum des kommunalen Regiments bei der Bürgerversammlung als dem unmittelbaren Träger des Bürgerwillens ruhte. Die Übertragung dieses gewaltendifferenzierenden Modells der Freiheitssicherung auf die vormoderne Stadt führt meines Erachtens in die Irre. Dieses Modell wurde erst in der Spätphase des hier betrachteten Zeitraumes entwikkelt, nämlich zunächst von John Locke und anderen englischen Autoren im Zeitalter der Glorious Revolution von 1688 sowie vor dem Hintergrund der seitherigen Ausgestaltung des englischen Parlamentarismus, dann seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vornehmlich von französischen Autoren, allen voran Montesquieu. Freiheit stand dabei für den Schutz der Stände und des „Volkes" vor Übergriffen der Regierung, zugleich für die Teilhabe der Stände und des „Volkes" an grundlegenden Entscheidungen der Regierung, sei es unmittelbar, sei es mittels Repräsentanten. Ein solches Konzept der gewaltenteilig-repräsentativen Verfassung als Gewähr individueller und politischer Freiheit läßt sich schwerlich auf die vormoderne deutsche Stadt übertragen. Jedenfalls trifft es nicht Gierkes Auffassung von der Bürgerfreiheit. Genossenschaftliche (körperschaftliche) Freiheit in der mittelalterlichen Bürgerstadt hatte nach Gierkes Auffassung zwei Ausrichtungen, eine negative und eine positive. Negativ bedeutete für Gierke Freiheit die mehr oder weniger weit gehende Unabhängigkeit der Reichsstadt vom Kaiser, der Landstadt von einem Landesherrn; positiv die Handhabung der städtischen Angelegenheiten durch die Bürger. Beides hob auf die Eigenart der sich selbst regierenden Bürgerstadt in einem Zeitalter ab, das von der Adels- und Fürstenherrschaft geprägt war. Stadtbürgerliche Freiheit meinte bei Gierke nicht Vorkehrungen zum Schutz der Bürger vor Übergriffen der Obrigkeit, sondern umschrieb - auf Max Webers Terminologie zurückgegriffen - die Autonomie und Autokephalie der Stadt. Voraussetzung einer solchen stadtbürgerlichen Freiheit war Gierke zufolge „die lebendige Teilnahme aller Bürger am Gemeinleben"61, also Bürgergesinnung. Die Kernthese Gierkes über die Stadt als Ort der Freiheit war, daß sich die Bürger zu einem politischen Verband in der Eigenschaft eines überindividuellen Rechtssubjekts vereinten, der als unabhängiger Verband, als Staat, die Autonomie der Stadt sicherte und der als genossenschaftlich (körperschaftlich) aufgebauter Verband die Autokephalie der Stadt herstellte. Gierke hat diese Gedanken in zwei Anläufen entwickelt. Zunächst in der „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft" von 1868, dann, zweitens 61

Ebd. 31.

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und endgültig, in der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" von 1873, an die seine seitherigen Schriften anschlossen. Wenden wir uns jetzt in einem ersten Schritt der „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft" zu, dem genialen Jugendwerk des 1841 geborenen, mithin 27jährigen Autors. Im Zentrum des Werks stand in geschichtlicher und typologischer Betrachtung das Genossenschaftskonzept. Gierke blickte bei der Bestimmung der Genossenschaft bis zu den (vermeintlich) germanischen Anfängen der deutschen Geschichte zurück. Er sprach von der den Germanen eigenen „Gabe der Genossenschaftsbildung", „jenem unerschöpflichen germanischen Associationsgeist, der alle engeren Gliederungen des Staates ein eigenes, selbständiges Leben zu wahren" verstanden habe62, betrachtete als Urbild der Genossenschaft den „weiteren Familienkreis oder das Geschlecht"63, das heißt die „Gesammtheit aller Hausväter, welche sich eines gemeinschaftlichen Stammvaters erinnerte"64, und hob als „allgemeine Charakteristik" dieser „altgermanischen Genossenschaft" hervor, „daß sie eine auf angeborener Zugehörigkeit beruhende persönliche Gemeinschaft" gebildet habe, „die in sich einen besonderen Frieden und ein besonderes Recht" erzeugte. Er stellte dann fest: „Die Mitgliedschaft dieser Genossenschaft ist die Freiheit."65 Unter Freiheit verstand er einerseits die „Freiheit der Schutzgenossen", das heißt die passive „Antheilnahme an Frieden und Recht und dem darin durch die Gesammtheit oder ein Mitglied gewährten Schutz", andererseits die „Freiheit der Vollgenossen", das heißt die aktive Teilhabe der „zur Vollgenossenschaft geborenen und waffenfähigen Männer" an „der vollen Trägerschaft des Gesammtfriedens und Gesammtrechts, in ihrer Mithandhabung nach innen und außen".66 „Einander vollkommen gleich", wurden die Vollgenossen, in der „Versammlung Aller" tätig, „welche die in Alle zerstreute Einheit zur Erscheinung" brachte.67 Weit mehr als ein bloßes Friedensund Rechtsverhältnis war die Genossenschaft für Gierke eine alle Lebensbereiche umfassende Verbindung.68 62

Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), 3. „Die gesammte deutsche Verfassungsentwicklung" läßt, so Gierke, „die Gegensätze der Genossenschaft und der Herrschaft" hervortreten. „Beide Gegensätze lagen vorgebildet schon in der Familie zu Tage. Denn die Familie sonderte sich von je in zwei Kreise, die häusliche Gemeinschaft und den weiteren Familienkreis oder das Geschlecht. Jene war herrschaftlich, dieses genossenschaftlich organisirt. Aus der Erweiterung und Nachbildung beider Verbände waren einerseits Herrschaften und andererseits Genossenschaften höherer Ordnung erwachsen." Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), 12. 64 Ebd. 16. 65 Ebd. 13. 66 Ebd. 67 Ebd. 68 „Endlich ist die alte Genossenschaft aber nicht, wie man wol gemeint hat, ein bloßer Friedens- und Rechtsverein, sondern sie ergreift den ganzen Menschen, sie umfaßt mit 63

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Von den Genossenschaften des altgermanischen Typs unterschied Gierke die im Mittelalter aufgekommenen, auf dem „Princip der freien Vereinigung (Einung)"69 beruhenden „gewillkürten Genossenschaften" oder „gekorenen Genossenschaften".70 Diese „geschworenen Einungen"71 beruhten seiner Auffassung nach auf „planmäßiger Ueberlegung und frei gefaßtem Beschluß".72 Es rief sie „der gegenseitige Eidschwur, die feierliche Willenserklärung [...] ins Dasein".73 Das entscheidend Neue an der freien Einung im Vergleich zur herkömmlichen Genossenschaft sei gewesen, daß sie nicht „einer natürlichen Zusammengehörigkeit oder der durch einen Herrn gegebenen äußeren Einheit ihr Dasein" verdankte74, sondern einem schöpferischen Akt entsprang, mochte sie auch in ihren Grundzügen mit der altgermanischen Genossenschaft übereinstimmen.75 Die freie Einung verhalf nach Gierkes Überzeugung seit dem hohen Mittelalter „dem deutschen Genossenschaftswesen zu glänzender Wiedergeburt".76 Von der Genossenschaft hob Gierke die Herrschaft (den Herrschaftsverband) ab. Darunter begriff er nach dem Urbild des Hauses, in dem der Familienvater Herr über die Familienangehörigen und übrigen Haushaltsmitglieder ist, einen Verband, in dem „Einer das ist, was in der Genossenschaft Alle sind. Einer - und dieser Eine nicht als Träger einer abstrakten Idee, sondern als sinnlich lebendige Persönlichkeit - ist der Herr und stellt in sich die gesammte rechtliche Einheit des Verbandes dar."77 gleicher Macht alle Seiten des Lebens und begründet zugleich eine religiöse, gesellige, sittliche, wirthschaftliche Verbindung." Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), 13. 69 Ebd. 9; vgl. ferner ebd., Abschnitt: Die freie Einung, 220-249. 70 Ebd. 9. 71 Ebd. 226. 72 Ebd. 224. 73 Ebd. 74 Ebd. 221. 75 „Genossenschaftlicher Friede und Recht, Gesammtrecht und Gesammtpflicht, Selbstgerichtsbarkeit und Selbstverwaltung, Wahl eines Vorstandes, Gleichheit der Mitglieder unter einander wurden hier wie dort anerkannt." Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), 224. 76 Ebd. 155. Zum alten Genossenschaftstyp zählte Gierke die Dorf- und Markgenossenschaft, die Gau-, Stammes- und Volksgenossenschaft, die hof-, dienst- und lehnsrechtliche Genossenschaft. Zur freien Einung rechnete er Bruderschaften und Gilden, Hansen und Handwerkerzünfte, adlige, geistliche, gelehrte und Berufsgenossenschaften, Bünde der mannigfaltigsten Art, auch das Deutsche Reich unter dem Kaiser als dem gewählten „Hauptmann einer gewillkürten, auf der Einung der Stände beruhenden Friedens- und Rechtsgenossenschaft" (ebd. 509), außerdem freie Landesgemeinden, bundesstaatliche Bildungen, die Landstände im fürstlichen Territorialstaat. Eine besondere Stellung unter den auf freier Einung beruhenden Genossenschaften wies Gierke der im hohen Mittelalter entstandenen Bürgerstadt zu. 77 Ebd. 89. Zu den Herrschaftsverbänden zählte Gierke die germanische Gefolgschaft, das (vom Volkskönigtum zu unterscheidende) herrschaftliche Königtum, die mittelalterliche Hof-, Dienst-, Lehns- und Grundherrschaft und vor allem die fürstliche Landesherrschaft.

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Nun zu Gierkes Auslassungen über die mittelalterliche deutsche Stadt. Diese stellte nach seinem Urteil die erste Ausprägung der „modernen Kultur"78 dar und brachte seit der Mitte des 12. Jahrhunderts79 „den ältesten Staat auf deutschem Boden" hervor.80 Bestimmend für den staatlichen Charakter der mittelalterlichen Stadt sei gewesen, daß sie zum überindividuellen Rechtssubjekt aufrückte. Das war nach Gierkes Auffassung das Ergebnis zweier Entwicklungen. Zum einen der Verbindung der altgermanischen mit der auf Schwureinung beruhenden Genossenschaft, in Gierkes Worten: die „Verschmelzung des alten Markgemeindeprincips mit dem neuen Einungsprincip".81 Auf diese Weise habe „die alte Gemeinde das neue Princip der Einung" in sich aufgenommen und „aus der Verschmelzung und Durchdringung beider Rechtsbegriffe den neuen Begriff der Kommune, der Stadtgemeinde erzeugt".82 Grundlegend für die Entstehung des kommunalen Stadtstaats war nach Gierke zum anderen die Bindung der Stadtgemeinde an den „räumlichen Begriff der Stadt"83, also an ein dingliches Substrat. Blieb „bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts [...] der räumliche Begriff der Stadt von dem der Bürgerschaft durchaus gesondert" und konnte es „bis dahin nur zur Ausbildung einer Bürgergemeinde als einer städtischen Genossenschaft komDie deutschen Fürsten hätten das herkömmliche Herrenrecht „in einen einzigen Begriff zusammengefaßt" (ebd. 642), denjenigen des Staates, der als „Obrigkeitsstaat" (ebd.), „die Verwirklichung des absoluten Staates" anstrebte (ebd. 643), keine eigenständigen Herrenund Genossenverbände mehr neben sich gelten ließ und nur noch Untertanen kannte. Am Ausgang des Alten Reiches waren „der absolute Staat und die absolute Individualität [...] die Devisen der Zeit" geworden (ebd. 10). 78 Ebd. 300. 79 Vgl. ebd. 262, 311. 80 Ebd. 9. „Unsere gesammte heutige Rechts- und Staatsauffassung ist aus den Anschauungen des Mittelalters erst durch das Medium der Städte erwachsen. In den Städten wurde die Scheidung des öffentlichen und des privaten Rechts und die Anerkennung der Einheit und Unveräußerlichkeit des ersteren zuerst vollzogen, wurde der Gedanke einer einheitlichen Gewalt und Verwaltung, eines Alle gleichmäßig verbindenden Gesetzes, kurz eines Staates überhaupt zuerst in seiner eigenthümlich deutschen Gestaltung erzeugt und erst von hier aus auf die landesherrlichen Territorien übertragen; Kriegs-, Polizei- und Finanzwesen der letzteren wurden geradezu nach dem Vorbild der städtischen Einrichtungen entwickelt; und die Selbstverwaltung sowie die hohe Idee der Korrespondenz von bürgerlichen Pflichten und bürgerlichen Rechten, welche wir heute im Staat zu verwirklichen, in der Gemeinde wiederherzustellen suchen, waren in den mittelalterlichen Städten für ihren engen Kreis als oberste Principien anerkannt und oft vollkommen durchgeführt." Ebd. 300 f. 81

Ebd. 221. Ebd. 264. 83 Ebd. 262; das Prinzip der freien Einung habe „statt der alten, blos auf natürliche Grundlagen gestellten Genossenschaften gewillkürte Genossenschaften erzeugt, in den Städten aber die freie Willenseinigung mit der natürlichen Grundlage" verbunden, ebd. 9. Grundlage der städtischen Gemeindebildung sei „die altgermanische freie Genossenschaft" gewesen; „zur Stadtgemeinde aber wurde sie dadurch, daß sie den neuen Gedanken der freien Einung in sich aufnahm und mit dem Markgemeindeprincip zu einer Einheit verschmolz", ebd. 250. 82

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m e n , nicht aber zur Hervorbringung e i n e s einheitlichen durch die Bürger selbst nur vertretenen Rechtssubjekts, einer Stadt oder Stadtgemeinde im heutigen Sinne" 8 4 , habe sich seitdem die „ A u f f a s s u n g der Identität v o n Bürgerschaft und Stadt" 8 5 durchgesetzt. D a s war für Gierke z u g l e i c h die Vollendung der Erhebung der Stadt zur rechtlichen Einheit und damit z u m Staat. 8 6 D i e E n t w i c k l u n g der Stadt z u m Staat orientierte sich Gierke z u f o l g e an einer idealtypischen Grundform 8 7 , deren A u s b a u in das 13. und 14. Jahrhundert

fiel88.

D e m z u f o l g e bildete die Stadtgemeinde - unter Beachtung der kaiserlichen oder landesherrlichen Obergewalt - einen v o m platten Land abgesonderten Friedens- und Rechtsbereich, ihre B e w o h n e r g e n o s s e n spezifische Freiheitsrechte, die G e m e i n d e verfügte über eigenständige Rechtsprechung, Verwaltung und Rechtssetzung, sie war geschäfts- und e i g e n t u m s f ä h i g . 8 9 Getragen 84

Ebd. 262. „Das Verhältniß der Gesammtheit zu den Einzelnen erhielt eine ganz veränderte Gestaltung. Zum ersten Male wurde eine Organisation, wurden Organe gebildet; zum ersten Male wurde mit Absicht und Bewußtsein daran geändert; zum ersten Male entstand der uns heute so geläufige Begriff einer Verfassung. - Hiermit war eine unabsehbare Reihe von Konsequenzen gegeben: die Tilgung der in alle staatlichen Verhältnisse eingedrungenen privatrechtlichen Auffassung, die Wiederherstellung eines öffentlichen Rechts neben einem davon getrennten Privatrecht, die Begründung einer einheitlichen Verwaltung mußten sich ergeben; es mußte zum ersten Mal der Begriff eines wirklichen Gemeinwesens erstehen; ein einheitliches, von der Gesammtheit verschiedenes Rechtssubjekt mußte anerkannt und damit an die Stelle des alten Gesammtrechts oder neben dasselbe ein eigentliches Gemeinderecht und ein wahres Gemeindevermögen gesetzt werden." Ebd. 270. 86 „In den Städten zuerst wurde mehr und mehr eine Einheit gesucht und gefunden, es wuchsen mehr und mehr Stadtrecht und Bürgerrecht, Stadtgebiet und Bürgerschaft innerlich zusammen", „seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts" war „das mehr oder minder klare Bewußtsein jener Einheit vorhanden". „Der Ausdruck dieser neuen Einheit aber war die Erhebung des idealen Begriffes der Stadt zur Rechtseinheit", ebd. 311. 87 „Mit der Hervorbringung dieser inneren Einheit hat die Verfassung der Städte einen gewissen inneren Abschluß erreicht. Nicht als ob damit die Bewegung auf diesem Gebiet aufgehört hätte: im Gegentheil, sie fieng nunmehr eigentlich erst an. Denn es galt der inneren Einheit auch äußere Form zu geben, es galt unter dieser Einheit das Recht der Vielheit und der Einzelnen in der Vielheit zu normiren. Aber es war damit [...] eine gewisse Grundform vorgezeichnet, welche alle Städte erreichen mußten, ehe sie wirklich als Städte gelten konnten, die aber, wenn sie einmal erreicht war, der Rahmen für alle späteren Bewegungen blieb", ebd. 88 Es „läßt sich nun in all der fast unübersehbaren Mannichfaltigkeit, welche in dem reichen und großartigen Leben des 13. und 14. Jahrhunderts die Verfassungen der einzelnen Städte aufweisen, eine gewisse ihnen allen gemeine Grundform nicht verkennen und es läßt sich nicht bestreiten, daß alle Umwälzungen, welche die Verfassungsgeschichte der größeren Städte sah, nicht ihren Umsturz, sondern einen Ausbau dieser Grundform herbeiführten", ebd. 89 „Die Stadt in objektivem Sinne war ihrem Wesen nach ein äußerlich und innerlich vom Lande und von dessen Recht abgesonderter Friedens- und Rechtskreis, mit dem eine Reihe besonderer Vorrechte politischer und kommercieller Art, eine mehr oder minder vollkommene Freiheit des Gebietes und seiner Bewohner an Personen und Eigenthum, eine besondere städtische Gerichtsbarkeit, Selbstverwaltung und Autonomie, sowie endlich ein bewegliches und unbewegliches Gemeingut verbunden war. Ihre verschiebbare Grenze fand diese Rechtssphäre an den gegenüberstehenden Rechten des Reichsoberhaupts und bei den 85

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wurden diese Rechte der Stadt von der Vollbürgergemeinde.90 Ausgeübt wurden sie indessen nicht durch diese „Gesamtheit", sondern durch den Rat als das herausragende Organ der Gemeinde. Was hat es mit dieser herausragenden Stellung des Rates auf sich? Grundlegend für das städtische Gemeinwesen war für Gierke, daß es nicht in der Personengesamtheit der Bürger aufging, sondern als Gesamtperson ein überindividuelles politisches Subjekt bildete. Willens- und handlungsfähig wurde diese „Stadtpersönlichkeit" Gierke zufolge in der Wirksamkeit ihrer Organe, deren Zusammensetzung und Zuständigkeit - in Gierkes Sprache: deren „Organisation" - die „Verfassung" regelte.91 Der entscheidende Schritt auf dem Weg von der herkömmlichen Markgemeinde, die ihren Willen in der Mitgliederversammlung kundtat, zur Stadtgemeinde, die mittels Organen tätig wurde, war nach seiner Überzeugung die Entstehung des Rats als des zentralen gemeindlichen Organs. In einem an Max Webers Verwaltungslehre gemahnenden Ansatz hob Gierke darauf ab, daß in „entwickelten Zuständen" das Gesamthandeln der Gemeindemitglieder unpraktikabel sei, so daß ohne Verwaltung das „Zerfallen aller öffentlichen Gewalt in eine zahllose Menge nutzbarer Amtsgerechtigkeiten" drohe.92 Ausgehend von der Feststellung, daß die mittelalterliche Stadt „als über allen Ständen, Parteien und Behörden stehende höhere Einheit das eigentliche Subjekt aller Gewalt und alles auf der Gemeinschaft beruhenden Rechts" gewesen sei und daß deshalb „auch äußerlich sich in allen Zweigen die Verwaltung mehr und mehr koncentriren" mußte93, gelangte Gierke zu der Folgerung, daß die Verwaltung eine kontinuierlich tätige Behörde erforderte, eben den Rat 94 . Dieser nahm, so Gierke, die Stellung „des eigentlichen Stadtorgans" ein. 95

nicht völlig freien Städten überdies an den Hoheitsrechten und nutzbaren Regalien eines Herrn oder eines herrschaftlichen Beamten", ebd. 90 „Aktiv berechtigt, eigentliche Trägerin des städtischen Rechts, war [...] die Genossenschaft der Vollbürger" (ebd. 312), das heißt die „Vollbürgergemeinde", ebd. 319-330. Dazu zählten zunächst Ritter, Patrizier und Kaufleute, später, nach der „Zunftbewegung" des 13. und 14. Jahrhunderts, auch Handwerker. „Mochten immerhin bezüglich des politischen Rechts Abstufungen bestehen, die erbgesessenen oder die geschlechtigen Bürger oder die Mitglieder gewisser Korporationen Vorrechte verschiedener Art besitzen: zur Vollbürgergemeinde als der Trägerin des städtischen Rechts hatten die Handwerker sich für immer den Zutritt errungen, die ständische Gliederung war der Standesgleichheit des neuen freien Bürgerstandes gewichen", erfolgt war die Bildung „einheitlicher Bürgergenossenschaften in den einzelnen Städten", ebd. 327. 91 Zum Folgenden ebd. 270-278. 92 Ebd. 271. 93 Ebd. 312. 94 Tätig wurde die Kommune Gierke zufolge „nicht durch die Gesammtheit, sondern durch ihre Organe, und zwar war schließlich überall das Organ der Gemeinde ein Rath mit Bürgermeisterthum an der Spitze", ebd. 312. 95 Ebd. 319.

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Gierke hielt in der Tätigkeit des Rates zwei Ausrichtungen auseinander: Vertretung und Regierung. Der Rat war, so Gierke, „eine die ganze Bürgerschaft als solche [...] in allen bürgerlichen Angelegenheiten zugleich vertretende und regierende Behörde".96 Diese wichtige Unterscheidung ist näher zu betrachten. Kennzeichnend für die Eigenschaft des Rats als vertretender Behörde war für Gierke, daß er nicht aus eigenem Recht tätig wurde, sondern im Namen und Interesse der Gemeinde handelte. Gegenüber „Kaiser, Bischof oder Stadtherrn" habe er „nie für etwas Anderes gelten wollen als für den Repräsentanten der städtischen Genossenschaft". Er habe „immer den hohen Gesichtspunkt festgehalten, daß es seine Pflicht sei, das Interesse der Gesammtheit wahrzunehmen".97 Dem habe zum einen das „alte Princip der Wahl in Verbindung mit den neuen Principien der Kollegialität und des Wechsels bezüglich seiner Bildung" Rechnung getragen98, zum andern, „daß er in gewissen Dingen an die Mitwirkung der Bürgerschaft gebunden und ihr verantwortlich blieb" 99 . Die Frage bleibt, mittels welcher institutionellen Mittel die Rückbindung des Rates an das Gemeinwesen, also seine Funktion als Vertretung, gewährleistet wurde. Diesem Zweck dienten nach Gierke weitere Organe. Das waren vor allem Ausschüsse, mit denen der Rat bei bestimmten Angelegenheiten zusammenzuwirken hatte. Meist anläßlich von Konflikten zwischen Rat und Bürgern geschaffen, beispielsweise zur Überprüfung der Rechnungsführung des Rates, wurden sie, wie Gierke erläuterte, häufig ständig und nahmen dann oft die Gestalt eines erweiterten oder „äußeren" Rates neben dem eigentlichen oder „engeren" Rate an. Mochte auch , jeder der Räthe zugleich Obrigkeit und zugleich Vertreter der Bürgerschaft" 100 sein, war in den Ausschüssen der vertretende Charakter wesentlich stärker ausgeprägt als der obrigkeitliche. Das führt zur zweiten Funktion des Rats, der regierenden oder obrigkeitlichen. Als regierende Behörde war der Rat Gierke zufolge nicht „ein bloßer Bevollmächtigter der Gemeinde für einzelne Zwecke", also Inhaber delegierter Gewalt, „sondern erhob sich im Laufe der Zeit zur wahren einheitlichen Stadtobrigkeit, er stellte die Staatsgewalt im heutigen Sinne in sich dar". 101 Der Eigenschaft der Stadtgemeinde als Staat entsprach es nach Gierke, daß „alle einzelnen obrigkeitlichen Befugnisse" als „Ausflüsse dieser Einen Staats- oder Regierungsgewalt" erschienen und „dadurch eine stets wachsende Neigung zur wirklichen Centralisation der Ämter" entstand.102 Der Rat 96

Ebd. " Ebd. 98 Ebd. Ebd. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 Ebd.

273. 277.

316. 277. 277 f.

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vereinte infolgedessen nicht nur alle Gewalt in sich, sondern baute zugleich abhängige Behörden auf und verwirklichte „in stufenweisem Fortschritt die Einheit der Regierungsgewalt in Gedanken und Form". 103 „Die Spitze dieser Entwicklung" sei „dann endlich das Bürgermeisteramt" gewesen, die „Erhebung des Bürgermeisters zum republikanischen Haupt der Stadt". 104 Das habe im übrigen für die Reichsstadt so gut wie für die Landstadt gegolten. 105 Was hatte es angesichts der beherrschenden Rolle des Rats im städtischen Institutionengefüge mit der Bürgerversammlung (dafür auch: „Versammlung aller Bürger" 106 , „Gesammtheit der Vollbürger" 107 ) auf sich? Diese führte in Gierkes Erörterungen ein widersprüchliches Dasein. Einerseits betrachtete Gierke sie als „sichtbare Trägerin der Gemeinde" 108 und insofern „als die höchste, wenn auch nur in den allerwichtigsten, jedes Einzelnen Recht und Interesse berührenden Fällen zu berufende Autorität" 109 . Das sei darin zum Ausdruck gekommen, so Gierke, daß der Rat vielerorts „in gewissen Dingen an die Mitwirkung der Bürgerschaft gebunden und ihr verantwortlich" geblieben sei 110 , nämlich „bei der Abfassung neuer Statuten, bei dem Abschluß von Bündnissen und dem Beschluß von Kriegszügen, bei der Auflage von Steuern oder der Kontrahirung einer städtischen Schuld, bei der Erneuerung des Stadtfriedens oder sonstigen außerordentlichen Anlässen" 111 . Häufig habe auch die Bürgerversammlung, „wo der Rath sich nicht selbst ergänzte", die Wahlen zu den Ratsherren vorgenommen. 112 Trotzdem sei der Gedanke unangetastet geblieben, „daß eine kollegialische Behörde mit einheitlicher Spitze - und zwar allmälig überall .Bürgermeister und Rath' - die Stadt als Organ nach innen und außen vertrete". 113 Es sei „zu keiner Zeit die Existenz des Raths, als des eigentlichen Stadtorgans, angefochten", noch „niemals der Versuch gemacht worden, den Schwerpunkt in die allgemeine Bürgerversammlung zurückzuverlegen oder einen Einzelnen zu erheben". 114 Gierke tendierte dahin, das Spannungsverhältnis zwischen der Rolle des Rats „als des eigentlichen Stadtorgans" und der Stellung der Bürgerversammlung als höchster Autorität geschichtlich aufzulösen. Demzufolge läßt sich nach seiner Ansicht in vielen deutschen Städten - insbesondere im Verlauf der 103 104 105 106 107 108 109 110 III 112 113 114

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

278. 309 f. 316. 313. 734. 316. 277. 313 f. 314. 313. 319.

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Zunftbewegung des 13. und 14. Jahrhunderts - die Ausweitung der Altbürgergemeinde auf weitere soziale Gruppen beobachten. Dieser Öffnungsprozeß habe „die genossenschaftliche Entwicklung der Stadt und die Durchbildung der neuen Rechtsideen vollendet" und „die Einheit in der Vielheit, das in Allen lebende und zugleich doch Uber Allen stehende gemeine Wesen"115 verwirklicht. Bis dahin habe „die Gesammtheit der Vollbürger dem Rath nirgend die Ausübung der Gewalt vollständig übertragen", sondern „Mitwirkung und Kontrole" ausgeübt116, bis sich schließlich die Grundform der Stadt vollendete.117 Halten wir fest: Gierke erachtete den Aufstieg des Rats zur beherrschenden Obrigkeit in der Stadt und das Zurücktreten der Bürgerversammlung als gegenläufige Vorgänge. Gleichwohl hielt er an der These fest, daß die Bürgerversammlung als Trägerin der gemeindlichen Rechte die Gemeinde unmittelbar darstellte und insofern dem Rat übergeordnet war. Das war eine widersprüchliche Position. Dahinter stand letztlich die Frage, ob die politische Macht bei den versammelten Bürgern oder beim Rat lag. In seiner Habilitationsschrift hat Gierke diese Frage offengelassen. In der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" hat er dann eindeutig optiert, nämlich zugunsten des Rates, in dem er nun die Bürgerversammlung unter die Organe der Gemeinde einreihte und damit grundsätzlich mit dem Rat gleichstellte. Das bot ihm die Möglichkeit, den Rat faktisch an die oberste Stelle zu rücken. Damit gelangen wir zu den Grundgedanken von Gierkes „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs". Diese zweite große Monographie des Autors nahm außer der veränderten Charakterisierung der Bürgerversammlung eine terminologische Erweiterung vor, nämlich die Einführung der Ausdrücke „Körperschaft" und „Anstalt". Zunächst einige Hinweise dazu. Gierke trug mit der Einführung der Ausdrücke „Körperschaft" und „Anstalt" in seine Verbandslehre der Kritik Rechnung, die an Beselers Genossenschaftskonzept bemängelt hatte, daß in ihm die Abgrenzung zwischen der Einheit des Verbandes und der Vielheit seiner Mitglieder verwischt werde.118 Gierke hatte in seiner Habilitationsschrift jedwede Verbindung gleichgestellter Verbandsmitglieder als Genossenschaft bezeichnet, sei es, daß der Verband mit der Summe seiner Mitglieder zusammenfällt, wie er das bei den 115

Ebd. 327. Ebd. 313. 117 „In allen diesen Beziehungen indeß pflegte der Rath sich mehr und mehr von ihr [das heißt der „Gesammtheit der Vollbürger"] unabhängig zu machen, so daß er häufig in einen gewissen Gegensatz zur Bürgergemeinde trat, namentlich wo er sich selbst ergänzte und so ein Theil der Bürger dauernd von ihm ausgeschlossen wurde." Ebd. 314. Das führte nach entsprechenden Kämpfen zur „Vergrößerung der Vollbürgergemeinde" insbesondere durch den Handwerkerstand, ebd. 315. 118 Vgl. dazu Gierke, Die Genossenschaftstheorie (wie Anm. 50), Einleitung, 1-14; ders., Deutsches Privatrecht (wie Anm. 51), Bd. 1,480 f. 116

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Genossenschaften des altgermanischen Typs und der Schwureinung beobachtete, sei es, daß der Verband den Mitgliedern als eigenständiges Rechtssubjekt entgegentritt, wie das nach seiner Überzeugung bei der mittelalterlichen Stadtgemeinde und den nach ihrem Modell geformten Verbänden der Fall war. Demgegenüber verwendete Gierke seit 1873 den Ausdruck „Genossenschaft" zumeist nur noch für den herkömmlichen Assoziationstyp, bei dem die Gesamteinheit nicht von der Gesamtvielheit unterschieden wird, und bevorzugte den Ausdruck „Körperschaft", wenn es darum ging, den durch die mittelalterliche Stadt ins Leben getretenen neuen Assoziationstyp, bei dem die Gesamteinheit aus der Gesamtvielheit heraustritt, zu benennen. Körperschaft stand also für den genossenschaftlich 119 aufgebauten Verband, der, so Gierke, eine „Verbandspersönlichkeit" 120 oder „Verbandsperson" 121 , das heißt „eine wirkliche und volle Person gleich der Einzelperson, jedoch im Gegensatz zu dieser eine zusammengesetzte Person" 122 oder „Person höherer Ordnung" 123 darstellt und deshalb über die Fähigkeit verfügt, „als ein von der Summe der verbundenen Personen unterschiedenes einheitliches Ganze Subjekt von Rechten und Pflichten zu sein" 1 2 4 und insofern ein „Gemeinwesen" zu bilden 125 . Analog zur Unterscheidung von Genossenschaft und Körperschaft nahm Gierke in der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" eine Unterscheidung zwischen Herrschaft und Anstalt vor. Kennzeichnete der Ausdruck „Herrschaft" in Gierkes Habilitationsschrift jedweden Verband, bei dem ein Herr über abhängige Personen gebietet, schränkte er jetzt die Verwendung dieses Ausdrucks tendenziell auf solche herrschaftlichen Verbände ein, bei denen der Herr „in seiner konkreten menschlichen Erscheinung" 126 , also als

1 1 9 Gierke verwendete das Adjektiv „genossenschaftlich" weiterhin für beide Assoziationstypen. 120 Gierke, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs (wie Anm. 45), 39. 1 2 1 Ebd. 4 0 f . 122 Gierke, Deutsches Privatrecht (wie Anm. 51), 4 7 0 . 1 2 3 „In der Körperschaft trat die Gesammteinheit der Gesammtvielheit als eine im Wechsel beständige Person höherer Ordnung gegenüber. Das Körperschaftsrecht forderte daher eine Sonderung des einheitlichen Bereiches der Verbandsperson vom vielheitlichen Bereiche der verbundenen Einzelpersonen, womit zugleich sein begrifflicher Gegensatz zum bloßen Gemeinschaftsrecht errungen war." Ebd. 4 5 8 .

Ebd. 4 6 9 . „Zur Entstehung einer Körperschaft bedarf es der Erzeugung eines zu selbständigem Dasein geeigneten Gemeinwesens und der Anerkennung desselben als Verbandsperson." Ebd. 4 8 3 . „Die Erzeugung von Gemeinwesen erfolgt durch Lebensvorgänge, in denen sich die soziale Schöpfungskraft des Menschen offenbart. Diese Vorgänge gehören der Welt der geschichtlichen Thatsachen an. Sie haben aber, da sie sich durch äußere menschliche Willensaktionen vollziehen, eine der Rechtsordnung zugängliche Seite. Ungleich dem Werden der Einzelwesen wird daher das Werden der Gemeinwesen in größerem oder geringerem Umfang durch Rechtssätze bestimmt." Ebd. 124 125

126

Gierke, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs (wie Anm. 4 5 ) , 43.

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„Individuum" 1 2 7 , wirkt und bevorzugte den Ausdruck „Anstalt", u m s o l c h e Verbände zu benennen, bei denen der Herr „als Repräsentant e i n e s unsichtbaren idealen Rechtssubjekts" 1 2 8 , also als „Haupt e i n e s G a n z e n " 1 2 9 , auftritt. 1 3 0 Gierke z u f o l g e besteht z w i s c h e n Körperschaft und G e n o s s e n s c h a f t s o w i e z w i s c h e n Anstalt und Herrschaft ein Entstehungszusammenhang. D e m g e m ä ß „ v o l l z o g sich in der z w e i t e n Hälfte des Mittelalters eine Fortbildung des Verbandsrechtes, die in der Erhebung der Verbandseinheit zu einer v o n ihrem sinnlichen Träger unterschiedenen Verbandsperson gipfelte". Dabei wurde, s o Gierke, „das ererbte B a n d z w i s c h e n Verbandspersönlichkeit und Einzelpersönlichkeit nicht zerschnitten, sondern nur verändert und begrenzt". 1 3 1 Gierke beschrieb die Ausbildung der Körperschaft aus der G e n o s s e n s c h a f t als Prozeß der Verdichtung der G e n o s s e n s c h a f t 1 3 2 , die A u s b i l d u n g der Anstalt aus der Herrschaft als Prozeß der Vergeistigung der Herrschaft 1 3 3 . 127 „In herrschaftlichen Verbänden [...] erschien als Subjekt der Verbandssphäre der Herr in seiner sinnlichen Erscheinung, ohne Unterscheidung seiner Stellung als Haupt eines Ganzen und als Individuum, Träger einer Verbandseinheit und Einzelner zugleich." Gierke, Deutsches Privatrecht (wie Anm. 51), Bd. 1, 457. 128 Gierke, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs (wie Anm. 45), 43. 129 Gierke, Deutsches Privatrecht (wie Anm. 51), Bd. 1, 457. 130 „In der Anstalt trat die dauernde Verbandseinheit dem wechselnden Verbandshaupte als eine selbständige Person gegenüber. Hierdurch wurde die Sonderung des dem jeweiligen Herrn nur für das Verbandsganze zuständigen Herrschaftsbereiches von seinem eignen Herrschaftsbereiche möglich und erforderlich, womit zugleich der begriffliche Gegensatz zu bloßen Herrschaftsverhältnissen errungen war. Die Anstaltsperson aber, die als transcendente Einheit außerhalb der durch sie verbundenen Gesammtheit stand, behielt in ihrem Verwalter einen sichtbaren Träger, in dessen Persönlichkeit sie sich offenbarte und wirksam wurde." Ebd. 458 f. 131 Ebd. 457 f. 132 „In der Erhebung der Verbandseinheit zu einer von ihrem sinnlichen Träger unterschiedenen Verbandsperson [...] verdichteten sich Genossenschaften zu Körperschaften. In der Körperschaft trat die Gesammteinheit der Gesammtvielheit als eine im Wechsel beständige Person höherer Ordnung gegenüber. Das Körperschaftsrecht forderte daher eine Sonderung des einheitlichen Bereiches der Verbandsperson vom vielheitlichen Bereiche der verbundenen Einzelpersonen, womit zugleich sein begrifflicher Gegensatz zum bloßen Gemeinschaftsrecht errungen war. Allein die körperschaftliche Verbandsperson des deutschen Rechts blieb eine der verbundenen Gesammtheit immanente Einheit, sie war eine Gesammtperson, sie bedeutete nichts Anderes als das in seiner Lebenseinheit erkannte und zum Rechtssubjekt erhobene gemeine Wesen. Darum schied sie sich von den verbundenen Einzelpersonen nicht wie ein ihnen fremdes Drittes, sondern wie das von ihnen getragene und ihnen zugehörige Ganze. So verlange denn auch das deutsche Körperschaftsrecht keineswegs die Aufzehrung des Vielheitsbereiches durch den Einheitsbereich, sondern behielt für eine verfassungsmäßige Verknüpfung von gemeinheitlichem Recht des Ganzen und Sonderrecht der Einzelnen Raum. In ihm war das alte Genossenschaftsrecht nicht untergegangen, sondern vollendet." Ebd. 457 f. 133 „In entsprechender Weise vergeistigten sich Herrschaftsverbände zu Anstalten." Ebd. Es konnte in der Anstalt „mit dem Rechte des Verbandes Individualrecht des Verbandshauptes verfassungsmäßig verwoben bleiben. Das alte Herrschaftsrecht war wiederum nicht zerstört, sondern vollendet." Ebd. 459.

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Der Körperschaftsbegriff tritt nach Gierkes Urteil dem Betrachter erstmals im Selbstverständnis der mittelalterlichen Stadt entgegen. 134 Damit haben wir uns jetzt zu befassen. Da Gierke bei seinen Auslassungen über die mittelalterliche Stadt als Körperschaft durchweg auf die Darlegungen seiner Habilitationsschrift über die mittelalterliche Stadt als Genossenschaft (neuer Art, das heißt begriffen als Verbandsperson) zurückgriff, kommt es im folgenden materiell zu Wiederholungen. Sie werden in Kauf genommen, da sie der konzeptionellen Präzisierung dienen. Wie bereits in der Habilitationsschrift unterschied Gierke in der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" zwischen einer Frühphase der Stadtentwicklung, die noch im Zeichen der herkömmlichen Genossenschaft gestanden habe, und dem Durchbruch zur Erhebung der Stadt zum Rechtssubjekt „seit dem Beginn der Hohenstaufenzeit etwa".135 Nun sei „in den Städten, den Geburtsstätten der neuen Zeit"136, die „Idee des städtischen Gemeinwesens" 137 und damit der Körperschaftsbegriff zum Durchbruch gelangt 138 und die Stadtgemeinde entstanden, die Gierke als „einen in sich selbst geeinten freien Verband des öffentlichen Rechtes" 139 charakterisierte. Sie wies nach Gierke eine „Stadtverfaßung" auf, „für welche die Idee eines freien bürgerlichen Gemeinwesens das treibende Princip war".140 Als die beiden entscheidenden Schritte auf dem Weg dahin erachtete Gierke - wie bereits 1868 - zum einen die auf dem Wege der Schwurverbrüderung herbeigeführte

134 „Am frühesten und vollständigsten entwickelte sich dieser Körperschaftsbegriff im städtischen Gemeinwesen, seitdem die Stadt über die Bürgerschaft getreten war." Gierke, Deutsches Privatrecht (wie Anm. 51), Bd. 1, 458. In der mittelalterlichen Stadt trat Gierke zufolge „die erste Verwirklichung des Gedankens eines freien staatlichen Gemeinwesens auf deutschem Boden" in Erscheinung. „In der Stadt zuerst wurde die altgermanische Genossenschaft zur Körperschaft verdichtet. Als selbständige Person trat die Stadt in ihrer unsichtbaren, dauernden Einheit der Vielheit der in ihr verbundenen Personen gegenüber. Aber diese Körperschaft war nicht die Negation, sondern die Fortbildung der Genossenschaft. Sie wahrte die genossenschaftliche Struktur. Ihre Persönlichkeit war und blieb die der verbundenen Gesamtheit immanente Einheit. So eben erwuchs die Stadt zum freien, durch seine Organe sich selbst regierenden Gemeinwesen." Gierke, Die Steinsche Städteordnung (wie Anm. 52), 12. 135 Gierke, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs (wie Anm. 45), 20. 136 Ebd. 137 Ebd. 4. 138 „Wie in allen Beziehungen die Städte als die Geburtsstätten der neuen Gedanken zu betrachten sind, welche den Uebergang von der mittelalterlichen Kulturepoche zur modernen angebahnt haben, so vollendete sich hier auch der deutsche Körperschaftsbegriff und erzeugte durch die Erhebung der Stadt zur Person das erste wahrhaft staatliche Gemeinwesen deutscher Bildung. Wie aber in allen Beziehungen die städtische Entwicklung nur die organische Entfaltung uralter Keime des germanischen Gemeinlebens ist, so ist auch der Begriff der Stadtpersönlichkeit in langsamer Bildung aus den älteren Vorstellungen der Genoßenschaft und des Gesammtrechts herausgewachsen." Ebd. 573. 139 Ebd. 578. 140 Ebd.

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„innere Ausgestaltung der Bürgerschaft zu einer von allen bisherigen Genoßengesammtheiten specifisch verschiedenen Gemeinheit", zum anderen die Absorption aller „im Stadtgebiet bestehenden öffentlichen und herrschaftlichen Gewalten" durch „die so konstituirte Bürgerschaft". 141 Erneut unterstrich Gierke, daß insofern „die Stadt zum staatlichen Gemeinwesen mit eigener Persönlichkeit" aufrückte 142 , und sprach jetzt von der Stadt als Körperschaft und schließlich 1919 sogar vom „Körperschaftsstaat"143. Was den Rat anbetrifft, folgte Gierke in der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" den entsprechenden Auslassungen der Habilitationsschrift, indem er den Rat erneut als Organ der Gemeinde kennzeichnete und zwischen zwei „Momenten" oder „Funktionen" des Rates unterschied, nämlich „Vertretung" und „Regierung" (Obrigkeit).144 In seiner vertretenden Funktion sei der Rat als „Selbstregierungsbehörde der Gesammtbürgerschaft" 145 tätig gewesen. In dieser Eigenschaft habe er nicht „im eigenen Namen, sondern im Namen der Stadt und daher auch im Namen der gesammten Bürgerschaft, welche den Stadtkörper bildete" 146 , gewirkt und im Sinne der „Vertretung einer Gesammtheit durch ihr Organ" 147 gehandelt. Diese „repraesentative Stellung"148 kam Gierke zufolge unter anderem darin zum Ausdruck, daß der Rat der Gemeinde den Amtseid leistete und ihr rechnungspflichtig war, daß seine Amtsführung kontrolliert wurde und er bei bestimmten Angelegenheiten der „Zustimmung oder Mitwirkung der Bürgerschaft oder anderer städtischer Organe" bedurfte. 149 „Der Rath war also nicht der Herr der Stadt, sondern eine städtische Behörde; er war das verfaßungsmäßige Organ für die Selbstregierung der Bürgerschaft." 150 In seiner regierenden Funktion vereinte der Rat nach Gierke „die gesammte eigentliche Regierung in seiner Hand". Außer „seinen richterlichen und gesetzgeberischen Funktionen" habe er „das Gemeinwesen als solches nach außen wie nach innen" dargestellt, also „Alles ,zum Nutzen und zur Ehre der Stadt' Erforderliche anzuordnen" gehabt. „Beim Rath stand daher die Regierung der Stadt, er war der eigentliche Träger der positiven Staatsgewalt."151 141

Ebd. 588. Ebd. 626. „Seit dem 12. Jahrhundert und von da in immer wachsender Klarheit tritt die Stadt als Person des öffentlichen Rechts auf. Dadurch daß und soweit dies der Fall ist, erscheint die Stadt als das älteste wahrhaft staatliche Gemeinwesen in Deutschland und führt den neu errungenen Staatsgedanken nach außen und innen durch." Ebd. 705. 143 Gierke, Der germanische Staatsgedanke (wie Anm. 53), 15. 144 Gierke, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs (wie Anm. 45), 616-619. 145 Ebd. 617. 146 Ebd. 803. 147 Ebd. 618. 148 Ebd. 616. 149 Ebd. 803. 150 Ebd. 151 Ebd. 802. 142

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Zwischen der vertretenden und der regierenden Funktion des Rates konnten Gierke zufolge die Gewichte ungleich verteilt sein. Bei der Entstehung der Kommune im Hochmittelalter überwog nach Gierkes Urteil zunächst das Moment der Vertretung152, dann sei das obrigkeitliche Element in den Vordergrund getreten153, bis im späten Mittelalter das Pendel wieder zurückgeschwungen und eine „Stärkung der repraesentativen gegen die obrigkeitlichen Elemente" 154 mit dem Ziel eingetreten sei, „eine Vertretung der Gesammtheit gegen deren eigne Regierung zu schaffen".155 Dem habe, wie Gierke bereits in der Habilitationsschrift erläutert hatte, die Einrichtung eines „großen Rats" an der Seite des herkömmlichen Rates entsprochen, der sich nunmehr „kleiner Rat" nannte. Der „kleine Rat" habe stärker die obrigkeitliche, der „große Rat" sowie auch die von der Bürgerversammlung geschaffenen Ausschüsse stärker die vertretende Funktion des Regiments zum Ausdruck gebracht.156 Letztendlich kamen, wie Gierke unterstrich, „auch die weiten und großen Räthe und alle verwandten Kollegien als Organe der einheitlichen Stadt zu Stande".157 Sie umgaben den eigentlichen Rat wie konzentrische Kreise und brachten die Einheit von Regierung und Vertretung zur Entfaltung.158 152 Es erschien die „repraesentative Stellung zunächst als die Hauptsache und die zugleich übertragene Machtfülle mehr nur als Ausfluß derselben", ebd. 616. 153 „Bei längerem Bestände" des Rates drängte sich dann „das in seiner Stellung enthaltene obrigkeitliche Element, nachdem dasselbe nach unten hin selbständig geworden war, auf das Entschiedenste in den Vordergrund". Je mehr der Rat „in seiner Hand alle städtische Gewalt koncentrirte, je unabhängiger er vom augenblicklichen Gesammtwillen wurde, j e häufiger er nicht blos für sondern auch gegen die Gesammtheit von seiner Macht Gebrauch machte, desto schärfer mußte sich in seinem Wesen das Merkmal der Obrigkeit ausprägen." Ebd. 154

Ebd. 617. Ebd. „Entweder man suchte den bestehenden Rath im Sinne einer Selbstregierungsbehörde der Gesammtbürgerschaft zu reformiren, indem man Bildung, Zusammensetzung oder Befugniße änderte, also zum Beispiel die Wahl den Bürgern zurückgab oder den bürgerlichen Genoßenschaften übertrug, den bisher ausgeschloßenen Ständen den Zutritt eröffnete oder bestimmte Rathsstellen sicherte, gewiße Rathshandlungen an die Zustimmung der Gesammtheit oder der Zünfte band und so weiter. Oder aber man schuf zu lebhafterer Verkörperung des Gedankens der Vertretung ein neues Organ, welches dem vorzugsweise regierenden alten Organ korrigirend zur Seite trat." Ebd. 156 „Während also nunmehr der regierende, kleine, enge, innere Rath vorzugsweise den Gedanken der städtischen Obrigkeit zum Ausdruck brachte war in dem großen Rath oder den entsprechenden Kollegien ein kräftigerer Ausdruck des repraesentativen Gedankens gewonnen. Indeß handelte es sich dabei immer nur um ein Mehr oder Minder. Ganz trat auch in der Stellung des kleinen Raths das Moment der Vertretung nie zurück; und der große Rath oder jeder ähnliche Bürgerausschuß war in irgend einem Grade immer zugleich mitregierendes Organ der Stadt, hatte also Theil an den obrigkeitlichen Funktionen. Es überwog nur, und zwar in sehr verschiedener Proportion j e nach den Besonderheiten der Verfaßung, dort das eine und hier das andre Moment." Ebd. 6 1 7 f . ! " Ebd. 799. 158 „Indem der kleine Rath immer zugleich Theil des großen und jedes engere Kolleg Theil des weiteren war, existirte im Grunde nur Ein Rath, der nur j e nach seinen verschiedenen Funktionen sich ringfömig erweiterte und in den engeren Ringen dem Gedanken der 155

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Nun zur Bürgerversammlung. Diese erschien in der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" nicht länger als Trägerin der Gemeinde und insofern mit dieser identisch, sondern als ihr Organ. In den Worten Gierkes: „Im vollendeten Gemeinwesen war die Bürgerversammlung nicht mehr die selbstberechtigte Gesammtheit, sondern ein Organ des Gemeinwesens. Sie war so wenig wie der Rath das Gemeinwesen selbst und so wenig wie er souverän; sondern wie der Rath das spitzeste und beweglichste, so war sie das breiteste und der Basis am nächsten stehende Organ der Stadt." 159 Die Bürgerversammlung geriet also nach Gierkes Urteil sozusagen zu einer Behörde neben anderen, war dem Rat nicht Ubergeordnet, sondern im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse zugeordnet und vielfach auch verzichtbar160, beispielsweise bei der Ratswahl161. Die Wahl der Ratsherren mochte durch die „Vollbürgergemeinde in ihrer Gesammtheit" oder „die Bürgerschaft in ihrer korporativen Gliederung" erfolgen, aber auch ohne Beteiligung der Bürgerversammlung vonstatten gehen, etwa indem „die Vorstände der engeren Bürgerverbände von vorn herein in den Rath berufen wurden" oder „der Rath den Rath" bzw. „der abgehende Rath den neuen Rath" wählte, oder schließlich auch andere Behörden, zum Beispiel das Zunftmeisterkollegium oder ein äußerer Rat, die Ratswahl durchführten. Es ging bei der Wahl stets darum, so Gierke, „einen vom Gesammtheitswillen durchaus verschiedenen Gemeinwillen zum Ausdruck zu bringen". Deshalb die vielerorts praktizierten hochkomplexen Wahlverfahren162, die dem Zweck dienten, die Unabhängigkeit der Ratsherren von ihren Wählern zu sichern163. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Rat und Bürgerversammlung hob Gierke darauf ab, daß die Bürgerversammlung zwar „der Zusammensetzung des Gemeinwesens aus der Gesammtheit seiner Glieder Ausdruck" verlieh und „näher an seiner Grundlage" stand, während der Rat „der Einheit und Aktivität des Gemeinwesens Ausdruck" gab und „an dessen Spitze" stand164, Regierung, in den weiteren Ringen dem Gedanken der Vertretung stärkeren Ausdruck verlieh." Ebd. 159 Ebd. 804. 160 „Sobald nun aber die Bürgerschaft in ihrer Organisation als Trägerin des städtischen Rechtes gesetzt wurde, war der alte Begriff der Genoßenschaft und ihres Gesammtrechts überwunden. Denn damit war die Identificirung der Gesammteinheit mit der Gesammtvielheit unmöglich gemacht. Der bürgerschaftliche Organismus deckte sich nicht mit der versammelten oder versammelt gedachten Menge der Bürger, sondern er war der nach Art eines einheitlichen Körpers gegliederte und organisirte Bürgerverband, welcher je nach den Umständen in verschiedenen dazu berufenen Organen, und nur in wenigen Fällen noch in einer Versammlung aller Bürger zur Erscheinung kam." Ebd. 620f. 161 Vgl. ebd. 792-796, Zitate 792-794. 162 Ebd. 793 f. 163 „Die einzelnen Rathmannen waren von ihren Wählern unabhängig, und hatten nicht ihr, sondern der Stadt Interesse in dem einheitlichen Stadtrath zu vertreten." Ebd. 792. Ebd. 805.

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unterstrich aber nachdrücklich nicht nur den Organcharakter des Rats, sondern auch denjenigen der Bürgerversammlung165. Halten wir fest: Das Kennzeichnung der Bürgerstadt als „Körperschaft" in Gierkes „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" entsprach in den meisten Punkten der Charakterisierung der Bürgerstadt als „Genossenschaft" in der Habilitationsschrift des Autors. Eine zentrale Rolle in der Bildung und Sicherung der Bürgerstadt als Staat maß Gierke 1873 nicht anders als bereits 1868 dem Rat bei. Im Unterschied zur Habilitationsschrift setzte Gierke indessen seit der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" die Bürgerversammlung nicht mit der Bürgergemeinde gleich, sondern ordnete sie unter die Organe der Gemeinde ein. Er arbeitete heraus, daß die Bürgerversammlung „nicht in eignem Namen zu wollen und zu handeln, sondern als Organ des Gemeinwesens bestimmte Funktionen, welche die Verfaßung ihr gab, zu erfüllen" hatte. Nicht anders als die übrigen Organe der Gemeinde sei sie „nur in verfaßungsmäßigen Formen und nach Maßgabe der korporativen Gliederung zur Erscheinung" gekommen. 166 Die angesprochene Machtfrage fand in der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" jetzt eine klare Antwort. Die Macht in der sich selbst regierenden mittelalterlichen Stadt lag nach Gierkes nunmehriger Überzeugung eindeutig beim Rat. Das brachte der Körperschaftsbegriff zum Ausdruck. Zum Abschluß der Wiedergabe von Gierkes Hauptgedanken über die deutsche Bürgerstadt als Genossenschaft und als Körperschaft ist darauf einzugehen, daß der Autor ihr nur eine kurze Blütezeit zubilligte, nämlich die drei Jahrhunderte zwischen ihrer Entstehung im 12. und 13. Jahrhundert und dem Ausgang des Mittelalters. Die daran anschließende Entwicklung der deutschen Stadt bis zum Ende des Alten Reiches sah Gierke als Niedergangsgeschichte an. Er handelte sie in seiner Habilitationsschrift unter der bezeichnenden Kapitelüberschrift „Der Untergang des städtischen Gemeinwesens" ab. 1 « Was hat es damit auf sich? Gierke Grundthese lautete, daß seit dem ausgehenden Mittelalter und vollends nach dem Zwischenspiel der (Gemeinde-)Reformation der städtische Rat nicht länger namens der Gemeinde amtiert habe, sondern daß in den Reichsstädten die ratsfähigen Gruppen, in den Landstädten der Landesherr aus eigenem Recht regierten und die Bürger zu Ratsuntertanen bzw. landesherrlichen Untertanen herabstuften.

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„Diese verschiedenartigen Seiten waren nur Seiten desselben Gemeinwesens, und die ungleichartigen Organe, in welchen sie sich ausprägten, brachten daher erst miteinander die höhere Einheit der Stadt zur Erscheinung." Ebd. 166 Ebd. 804. 167 Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), Überschrift von § 56, 697-710.

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Was die Reichsstädte anbetrifft, setzte nach Gierkes Überzeugung eine solche Entwicklung zunächst im Hanseraum ein. Hier habe bereits im späten Mittelalter die Idee Platz gegriffen, „daß der Rath eine nicht im Namen der Bürgerschaft, sondern aus eignem Recht regierende wahre Stadtobrigkeit sei, zu der die Bürger ähnlich wie Unterthanen zu einem Landesherrn stünden".168 Zu dieser Entwicklung trug bei, so Gierke, daß die „eigentliche Stadtregierung [...] bei einem sich aus dem kaufmännischen Patriciat ergänzenden Rath" lag, „der verfassungsmäßig Jedem, welcher sein Geld durch Handwerk gewonnen, den Eintritt verwehrte". 169 Den dagegen aufbegehrenden Handwerkern sei „höchstens die Theilnahme an einem dem regierenden inneren Rath zur Seite tretenden Bürgerausschuß" gelungen.170 Eine ähnliche Überwältigung der Bürger durch den Rat beobachtete Gierke in Süd- und Westdeutschland, nachdem „das Princip der Wahl dem der Kooptation" gewichen oder „zur leeren Form" geraten sei. „An Stelle kurzer Amtsperioden trat Lebenslänglichkeit der Rathsstellen oder regelmäßiger Wechsel alter und neuer Räthe, die faktische Mitgliedschaft im Rath kam kaum mehr aus dem Kreise bestimmter Familien heraus." 171 Damit seien „Bevormundung, Vielregiererei und Polizeisystem" einhergegangen. Im Rat trat „an Stelle der öffentlichen Verhandlung der Stadtangelegenheiten [...] Heimlichthuerei".172 Schließlich seien die „wichtigsten Befugnisse des vollen Raths auf zahlreiche Kommissionen und Rathsausschüsse" übertragen worden, „die sich zuletzt als ständige, oft lebenslängliche und durch Kooptation ergänzte, in strengstem Geheimniß verfahrende Körper für Finanzen, Krieg oder das .Regiment' überhaupt aller eigentlichen Gewalt bemächtigten und schon im 15. Jahrhundert gerade manche auf Zunftverfassungen gegründete Städte [...] rein oligarchisch regierten". 173 Gierke gelangte zu dem Urteil, daß „mit dem Ende des Mittelalters" in den Reichsstädten „die Verdrängung des Princips einer sich durch ihre Organe selbst regierenden Bürgerschaft durch das Princip des obrigkeitlich regierenden Raths" überall entschieden war. „Anstatt des alten Gegensatzes zwischen Aktivbürgern und Passivbürgern trat nun der Gegensatz von Rath und Bürgerschaft im Sinne von Obrigkeit und Unterthanen in den Vordergrund und die inneren städtischen Konflikte drehten von da an sich weniger um das Verhältniß der Bürger zu einander, als um das Verhältniß des städtischen Volks zum städtischen Regiment." 174 Zugleich habe „der Einfluß der Bürgerschaft auf die 168 169 170 171 172 173 174

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

700. 698. 699. 701.

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Besetzung der Rathsstellen" aufgehört. 175 Der in manchen Städten an die Stelle der Bürgerversammlung getretene große oder äußere Rat sei zu einer Scheinvertretung geraten oder habe selbst den Charakter einer obrigkeitlichen Behörde angenommen. 176 „Von verantwortlicher Amtsführung und Rechnungslegung des Raths gegenüber der Bürgerschaft war nicht die Rede." 177 „Oeffentliches Recht und öffentlicher Sinn", so Gierke, wichen „mehr und mehr einer privatrechtlichen Auffassung und Behandlung" der städtischen Angelegenheiten, „die Hervorkehrung der nutzbaren Seite aller öffentlichen Rechte" war die Folge, es wurde „das Gemeininteresse vom Egoismus, der Ehrgeiz vom Eigennutz absorbirt". „An Stelle des genossenschaftlich gegliederten bürgerlichen Gemeinwesens" sei „eine nach Privilegskörperschaften gegliederte Privilegskörperschaft" getreten. Dem habe entsprochen, daß „Bürgerstolz, Gemeinsinn und weiter Blick [...] Herrschenden wie Beherrschten entschwanden". 178 Betroffen vom Siegeszug der Herrschaftsidee waren nach Gierke, zweitens, die Landstädte. Eine solche Entwicklung sei in dem Maße zu beobachten, wie die Fürsten die „Landeshoheit zur Obrigkeit des Territoriums" steigerten179 und darauf aus waren, „alle öffentliche Bedeutung der Gemeinden und Genossenschaften durch den Staatsbegriff aufzusaugen". 180 Das habe die „Hinabdrückung der Stadtorgane zu obrigkeitlichen Unterbeamten, der Städte zu Polizeibezirken"181 zur Folge gehabt. Parallel zur „Unterdrückung der landständischen Verfassungen" in den deutschen Territorialstaaten habe sich „die Unterdrückung der Autonomie und Selbstverwaltung in den landsässigen Städten" zugetragen.182 Die Landstädte, so Gierke, mußten sich „als abhängige Gemeinden fremder Landeshoheit fügen, um politisch zu Staatsverwaltungsanstalten, privatrechtlich zu Privilegskorporationen, deren Privilegien zu zerbrechen mehr und mehr die Forderung der Zeit wurde, herabzusinken". 183 175

Ebd. 703. „Die echten Dinge der gesammten Bürgerschaft wurden nicht mehr berufen. Ihre Stelle vertrat in manchen Städten ein großer oder äußerer Rath, der nunmehr auch selbst die Bürgerschaft oder die Gemeinde genannt wurde: auch er aber war entweder eine unwesentliche, nur selten befragte Scheinvertretung, oder er nahm, indem er nicht mehr frei gewählt, sondern entweder aus den ebenfalls mehr und mehr oligarchisch gebildeten Zunftvorständen und Zunftausschüssen zusammengesetzt oder vom regierenden Rath beliebig ernannt wurde oder endlich sich selbst ergänzte, selbst den Charakter einer der Bürgerschaft gegenüber abgeschlossenen obrigkeitlichen Behörde an." Ebd. 177 Ebd. 178 Ebd. 179 Ebd. 705. '»o Ebd. 644. ι«1 Ebd. 706. '82 Ebd. 183 Ebd. 697. 176

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S o w e i t die Grundlinien v o n Gierkes A u s l a s s u n g e n in seiner Habilitationsschrift über den „Untergang d e s g e n o s s e n s c h a f t l i c h e n G e m e i n w e s e n s i m obrigkeitlichen Princip". 1 8 4 In seinen seitherigen Schriften urteilte Gierke ähnlich. S o liest man in der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs", in der deutschen Stadt sei seit d e m ausgehenden Mittelalter „die Idee des G e m e i n w e s e n s verloren gegangen", da „man d e m Rath e i n e entweder v o m Landesherrn abgeleitete oder zu e i g n e m Recht b e s e ß e n e obrigkeitliche G e w a l t " b e i l e g t e . 1 8 5 In seiner R e d e über „ D i e S t e i n s c h e Städteordnung" beklagte Gierke 1 9 0 9 aufs neue den Niedergang der deutschen R e i c h s - und Landstadt während der drei letzten Jahrhunderte des Alten R e i c h e s . 1 8 6 H a b e im Mittelalter d i e Stadt „gegenüber der v o m L e h n s w e s e n untrennbaren patrimonialen Ausgestaltung aller Herrschafts- und Unterwerfungsverhältnisse" „eine wahrhaft öffentlichrechtliche G e w a l t " 1 8 7 entfaltet und insofern d e n modernen Staat hervorgebracht 1 8 8 , sei diese historische A u f g a b e der Staatsbildung „mit d e m scheidenden Mittelalter" „an den neuen Territorialstaat" übergegang e n . 1 8 9 D e r v o n d i e s e m verkörperte „anstaltliche G e d a n k e " habe „in den Städten den g e n o s s e n s c h a f t l i c h e n Gedanken" zurückgedrängt 1 9 0 und d e n Niedergang der Stadt herbeigeführt.

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Ebd. Gierke, Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs (wie Anm. 45), 803. 186 „Der anstaltliche Gedanke ergriff allmählich mit solcher Gewalt die Geister, daß er auch in den Städten den genossenschaftlichen Gedanken verdrängte. Selbst in den Reichsstädten verblaßte die Idee des bürgerlichen Gemeinwesens. Das Subjekt der Landeshoheit ist hier ausnahmsweise eine Korporation. Aber der zur Ausübung der Landeshoheit berufene Rat tritt auch hier als Obrigkeit kraft eignen Rechts außer und über die Gesamtheit und setzt die Bürger zu bloßen Untertanen herab. Der einst so lebendige Fluß der von innen und unten vordringenden Verfassungserneuerung gerät ins Stocken, und vielfach, wenn auch nicht überall, kommt es zu einer oligarchischen Entartung des Stadtregiments. In den Landstädten bietet sich uns, soweit ihnen öffentliche Gewalt verbleibt, dasselbe Bild in meist noch grelleren Farben dar. Verknöcherung der Ratsverfassung wie der Verfassung der einzelnen Gilden und Zünfte. Selbstergänzung statt freier Wahl. Heimlichkeit statt Öffentlichkeit. Wegfall der Bürgerversammlungen und an ihrer Stelle keine oder bloß scheinbare Bürgervertretungen. Wachsende Verengerung und Abschließung des Kreises der Bevorrechteten gegen die von der Aktivbeteiligung an den städtischen Korporationsrechten ausgeschlossene gemeine Menge. Mit dem Verfall der Form des Gemeinwesens aber vollzog sich zugleich in notwendiger Wechselwirkung der Niedergang des Geistes, der einst die Form geschaffen und beseelt hatte. Spießbürgerliche Gesinnung, selbstische Privilegiensucht, engherziger Zunftgeist drohten den lebendigen bürgerlichen Gemeinsinn zu ersticken." Gierke, Die Steinsche Städteordnung (wie Anm. 52), 16f. 187 Ebd. 13. 188 „Legen wir den Maßstab des heutigen Staatsbegriffes an, so war überhaupt die deutsche Stadt der älteste deutsche Staat. In den städtischen Gemeinwesen zuerst sind bei uns alle jene Umbildungen vollzogen, die das Wesen des modernen Staats gegenüber der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung konstituieren." Ebd. 13. Ebd. 14. 190 Ebd. 16. 185

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Aufzugreifen ist nun die Frage nach der Tragfähigkeit von Gierkes Genossenschafts- und Körperschaftskonzept für die deutsche Stadtgeschichtsschreibung. Außerdem ist die Stichhaltigkeit der Periodisierung der deutschen Stadtentwicklung in die Phase des Aufstiegs im hohen und späten Mittelalter und diejenige des Niedergangs während der drei letzten Jahrhunderte des Alten Reiches zu prüfen. Zunächst zur Tragfähigkeit von Gierkes Konzeptionalisierung der mittelalterlichen Stadt. Es sei als erstes eine zentrale Aussage benannt, in der die „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft" und die „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" völlig miteinander übereinstimmen. Das ist Gierkes These, daß die Bildung der städtischen Kommune im 12. und 13. Jahrhundert auf dem Gedanken - gegebenenfalls auch dem geschichtlich nachweisbaren Vorgang - der Schwureinung fußte. Einung bedeutete in diesem Zusammenhang politische Integration der Bürger zu einem überindividuellen Rechtssubjekt, zum genossenschaftlichen (körperschaftlichen) Gemeinwesen, das dem einzelnen Bürger als ein auf Dauer gestellter, vom Kaiser oder Landesherrn weitgehend unabhängiger politischer Verband, als Staat, entgegentritt. Die Forschung hat sich diese Auffassung voll zu eigen gemacht, sie hat mit Otto Gierke und nicht zuletzt auch mit Max Weber den mittelalterlichen Stadtstaat als eine der Wurzeln des modernen okzidentalen Staates gewürdigt. Insofern hat in diesem Punkt Gierkes Konzept der mittelalterlichen Stadt als ein auf genossenschaftlicher (körperschaftlicher) Verbandsbildung gegründeter kommunaler Stadtstaat, der zu dem auf herrschaftlicher (anstaltlicher) Verbandsbildung gegründeten fürstlichen Flächenstaat in einem deutlichen Kontrast stand, seine Tragfähigkeit für die deutsche Stadtgeschichtsschreibung glänzend unter Beweis gestellt. Was die Stellung von Rat und Bürgerversammlung in der mittelalterlichen Stadt anbetrifft - damit wird ein weiterer, zentraler Punkt von Gierkes Genossenschafts- und Körperschaftskonzept angeschnitten - , ist zwischen der ursprünglichen Konzeptbildung des Autors, derjenigen der Habilitationsarbeit, und der fortentwickelten Konzeptbildung, derjenigen der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" und der daran anschließenden Schriften, zu unterscheiden. In der Habilitationsschrift erachtete Gierke die Bürgerversammlung als Trägerin der Gemeinde und ordnete sie insofern dem Rat Uber. Andererseits definierte Gierke den Rat als Organ der Gemeinde, das heißt als Emanation und Konkretion des Gemeindewillens und nicht etwa nur als vollziehende Gewalt. Gierke schätzte also das Verhältnis von Bürgerversammlung und Rat nicht als Gewaltenteilung ein, sondern betrachtete die Bürgerversammlung und den Rat als zwei unterschiedliche Modi, in denen die mittelalterliche Bürgerstadt als willens- und handlungsfähiges Subjekt in Erscheinung trat. Die Frage, bei welcher der beiden Institutionen die politische Macht lag, bei der Bürgerversammlung oder dem Rat, blieb in der Habilitationsschrift ungeklärt.

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In der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" bezog Gierke dann in dieser Hinsicht einen eindeutigen Standpunkt. Er reihte die Bürgerversammlung nun unter die Organe der Gemeinde ein. Die Bürgerversammlung hatte demzufolge nicht anders als der Rat am kommunalen Regiment teil, freilich, wie Gierke auseinanderlegte, nur in bestimmten, wenn auch wichtigen Angelegenheiten. Die Generalkompetenz zur Handhabung des kommunalen Regiments wies Gierke jetzt dem Rat zu, die politische Machtfrage war zu dessen Gunsten entschieden. Eine solche Erhebung des Rates zum zentralen Machtträger im städtischen Regiment deckt sich mit der in diesem Aufsatz vertretenen Charakterisierung der politischen Ordnung in der Alten Stadt als konsensgestütztem Ratsregiment. Zu beachten ist, daß Gierkes Blick auf die Ergründung von Rechtsbeziehungen gerichtet war. Die Kennzeichnung der sich selbst regierenden Bürgerstadt als Rechtssubjekt verdeckt die ständischen Abstufungen, die zwischen den rechtlich gleichgestellten Bürgern im Hinblick auf die Ratsfähigkeit bestanden. Gierke begründete die Handhabung der obrigkeitlichen Macht durch den Rat aus dessen Eigenschaft als Organ, also institutionell. Das läßt außer Acht, daß in der Alten Stadt die Machtstellung des Rates nicht zuletzt auf der ständischen Vornehmheit (honor, dignitas) und dem ständischen Amtsprestige (auctoritas) der Ratsherren als der Voraussetzung dafür beruhte, daß die Amtsgewalt (potestas) Fügsamkeit fand. Eine andere Frage ist, von welchen verfassungspolitischen Leitbildern sich Gierke bei der ursprünglichen Charakterisierung der Bürgerversammlung als Trägerin der Gemeinde leiten ließ und was ihn nach der Reichsgründung dazu veranlaßte, die Bürgerversammlung unter die gemeindlichen Organe einzuordnen. Darauf kann hier nicht in der erforderlichen Breite eingegangen werden. Nur soviel sei angemerkt: Die Habilitationsschrift war, was die erkenntnisleitenden Interessen anbetrifft, wesentlich ein Plädoyer zugunsten der Stärkung und Ausweitung der gemeindlichen Selbstverwaltung, über die Gierke sich 1868 ausführlich in dem Kapitel „Die Ortsgemeinde nach den Gemeindeordnungen des 19. Jahrhunderts" ausließ.191 Er vertrat hier die These, daß die Gemeinde ein „durch sich selbst lebender Organismus mit einer ihr selbst entstammenden Persönlichkeit" sei, es sei „von der Ebenbürtigkeit des Staates und der Gemeinde" 192 auszugehen. Dem würden die Gemeindeordnungen des 19. Jahrhunderts nicht gerecht, da sie dazu neigten, so Gierke, die Gemeinde als „die mit einem bestimmten Bezirk des Staatsgebiets verknüpfte und einen bestimmten Theil der Staatsbürger ergreifende Staatsanstalt zur lokalen Erreichung des Staatszweckes"193, als „örtlichen Staatsverwaltungs-

191 Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), § 57, 710— 765. 192 Ebd. 714. 193 Ebd.

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bezirk" 194 zu betrachten. Es sei an der Zeit, die gemeindliche Selbstverwaltung von der Mitverwaltung des Staates zu lösen195 und die Gemeinden mit weitreichenden Kompetenzen auszustatten196, sosehr „von einer solchen Auffassung [...] nicht nur die Gesetzgebung und die Praxis, sondern auch die Wissenschaft und selbst die Volksanschauung noch weit entfernt" seien 197 . „Man entschließe sich endlich einmal, wenigstens im Kreise der Gemeinde den Ursprung einer öffentlichen Gewalt im Volke zu finden!"198 In diesem Zusammenhang äußerte Gierke scharfe Kritik an der Charakterisierung der Gemeindeversammlung als Organ. Die von den Gemeindeordnungen des 19. Jahrhunderts geschaffene Gemeindeversammlung sei „nicht mehr die sichtbare Trägerin der Gemeinde, sondern ein gewöhnliches Gemeindeorgan, welches die juristische Persönlichkeit der Gemeinde vertritt und gleichzeitig als Staatsorgan handelt". Und weiter: „Des Rechtes der Selbstversammlung beraubt, obrigkeitlich berufen, in staatlich bestimmten Formen verhandelnd und beschließend, streng auf bestimmte Gegenstände der Berathung [...] beschränkt und ohne jede Spur ihrer ehemaligen Souveränität" sei die Gemeindeversammlung „nicht einmal ein Schatten der alten Genossenversammlung mehr". 199 Im Gegensatz dazu beschrieb Gierke 1868 die Bürgerversammlung in der mittelalterlichen Stadt als Trägerin und nicht als Organ der Gemeinde. Das geschah, um die Forderung nach der Unabhängigkeit der Ortsgemeinden seiner Zeit vom Staat zu untermauern. Zu der Frage, warum Gierke nach der Reichsgründung von der Gleichsetzung der Bürgerversammlung mit der Gemeinde abrückte und nun die Bürgerversammlung in den Kreis der kommunalen Organe aufnahm, nur diese Bemerkung: Bei der Neubestimmung der Bürgerversammlung spielte es vermutlich eine erhebliche Rolle, daß die besagte Gleichsetzung und die daraus abgeleitete Überordnung der Bürgerversammlung über den Rat den Gedanken 194

Ebd. 715. „An Stelle der in den wichtigsten Beziehungen fortbestehenden staatlichen Bevormundung muß eine bloße Aufsicht treten." Ebd. 763. 196 „Ihrem Inhalt nach umfassen die Gemeindeangelegenheiten, welche so der selbständigen Verwaltung gebühren, alle Seiten des menschlichen Daseins, so weit es für ihre Durchführung beziehungsweise für einen Theil ihrer Durchführung nicht einer höheren Gemeinschaft bedarf. Die Aufrechterhaltung des Friedens, der Ordnung und der Sicherheit und zu diesem Behufe die Wehr- und Waffenfähigkeit der Gemeinde; die Sorge für das materielle wie für das geistige Wohl ihrer Glieder und zu diesem Behufe eine selbständige Polizeigewalt, wobei streng festzuhalten ist, daß es sich nicht um die Uebertragung eines Stückes der Staatspolizei, sondern um die Sonderung zwischen dem natürlichen Recht des Staats auf Landespolizei und dem natürlichen Recht der Gemeinde auf Ortspolizei handelt: das Schul-, Armen-, Wege-, Feuer- und Sittlichkeitswesen: das alles sind nur einzelne Seiten des auf den menschlichen Gemeinschaftzweck schlechthin gerichteten genossenschaftlichen Gemeinwesen einer selbständigen Gemeinde." Ebd. 764. 195

197 198 199

Ebd. 714. Ebd. 761. Ebd. 334.

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der Volkssouveränität nahelegte. Ganz in diesem Sinne hatte bereits 1840 Savigny im zweiten Band seines Werkes „System des heutigen Römischen Rechts"200 dargetan, daß die privatrechtliche „Verwechslung sämmtlicher einzelnen Mitglieder mit der Corporation" auf die „publicistische Lehre von der Volkssouveränität" hinauslaufe.201 Savigny hatte das als Meinung von der „Allmacht der einzelnen Mitglieder"202 verworfen und erläutert, eine solche Auffassung führe in bezug auf die deutschen Städte, in denen sich „von sehr alter Zeit her eine Verfassung mit Bürgermeister und Rath, daneben auch sehr gewöhnlich eine (zuweilen noch mannichfaltig eingerichtete) Bürgervertretung" finde, zu der abwegigen Annahme, daß „Bürgermeister, Rath und Bürgervertretung nur beschränkte Verwaltungsrechte" hätten, „untergeordnet der allmächtigen Totalität der einzelnen Bürger".203 Dieses Urteil Savignys machte sich Gierke nach der Reichsgründung ausdrücklich zu eigen. Er charakterisierte die „von der älteren Korporationstheorie" vertretene Auffassung, daß „sich die Körperschaft als solche mit der jeweiligen Gesammtheit ihrer Mitglieder" decke und „die Mitgliederversammlung" deshalb „zur wollenden und handelnden ,universitas ipsa'" gerate, als eine „heute" überwundene Vorstellungsweise. 204 „In der Theorie hat ihr Savigny den Todesstoss versetzt"205, so Gierkes Urteil. Dem Dualismus von Mitgliederversammlung und Körperschaftsorgan setzte Gierke die These entgegen, „dass die jeweiligen Mitglieder auch in ihrer Gesammtheit nicht die Körperschaft sind, dass daher jede Versammlung nur als Organ einer dahinterstehenden unsichtbaren Per200

Karl Friedrich von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts. 9 Bde. Berlin 1840-1851. 201 Vgl. die Auslassungen Savignys über die juristischen Personen ebd. Bd. 2, § 85-102, und speziell den Abschnitt: Juristische Person - Verfassung, § 96-100, 324-359, in dem es Savigny um die Zurückweisung der These ging, daß die Korporation „aus der Totalität aller vorhandenen Mitglieder" bestehe, ebd. § 97, 329. Demgegenüber Savigny: „Das Wesen aller Corporationen besteht [...] darin, daß das Subject der Rechte nicht in den einzelnen Mitgliedern (selbst nicht in allen Mitgliedern zusammengenommen) besteht, sondern in dem idealen Ganzen" (ebd. § 86, 243), und: „Gerade die Grundannahme ist verwerflich, daß, in den Angelegenheiten der Corporation, der Totalität der Mitglieder eine wahre Allmacht zukomme" (ebd. § 97, 331 ), denn: „Der letzte Grund jener Lehre besteht [...] in der [...] Verwechslung sämmtlicher einzelnen Mitglieder mit der Corporation selbst". Letztlich beruhe, jene Lehre [...] auf der stillschweigenden, ganz willkührlichen Voraussetzung einer absoluten Demokratie in der Verfassung aller Corporationen", ebd. 332. Das sei „im Wesentlichen die publicistische Lehre von der Volkssouveränität, übertragen auf die juristischen Personen im Privatrecht", ebd. Daraus ergebe sich die unsinnige Folgerung, daß bei Korporationen wie den Stadtgemeinden, die sich nach Maßgabe der universitas ordinata mittels Organen regieren (vgl. ebd. § 86, 245), diese Organe gegenüber der unbegrenzten Macht „der Totalität der Mitglieder" gegenstandslos werden „oder blos als untergeordnete und abhängige Werkzeuge der laufenden Verwaltung angesehen" werden, ebd. § 97, 333. 202 Ebd. 334. 203 Ebd. 333. 204 Gierke, Die Genossenschaftstheorie (wie Anm. 50), 616f. 205 Ebd. 617.

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sönlichkeit thätig wird, jedes andere Körperschaftsorgan aber in seinem verfassungsmäßigen Wirkungskreise diese Persönlichkeit gleich unmittelbar darstellt".206 Das war, bezogen auf die mittelalterliche Bürgerstadt, ein eindeutiges Abrücken von einer Position, welche die kommunale Ordnung auf den (empirischen) Bürgerwillen gründet, war die Hinwendung zu einer Position, derzufolge die kommunale Ordnung aus der Wirksamkeit von Organen hervorgeht. Hatte Gierke bereits in der Habilitationsschrift erklärt, daß die „Staatspersönlichkeit in vier verschiedenen Organen unmittelbar lebendig" werde, nämlich „im Fürsten als dem nach außen ausschließlich vortretenden, nach innen verwaltenden und ausführenden Organ, in der Volksvertretung als dem die Vielheit gegen die Einheit vertretenden, überwachenden Organ, in beiden zusammen als dem rechtschaffenden Gesammtorgan, in den Gerichten als rechtsprechenden Organen, in den Urversammlungen als wählenden Organen" 207 , übertrug er dieses Modell jetzt auch auf die „Stadtpersönlichkeit" und verkürzte die Bürgerversammlung in der mittelalterlichen Stadt zum Organ. Die konservative Wende in Gierkes politischem Denken ist unverkennbar. Die herkömmliche deutsche Stadtgeschichtsschreibung hat, soweit sie sich auf Gierke beruft, sein ursprüngliches Genossenschaftskonzept im Blick, das der Habilitationsschrift. Sie hat dieses Konzept insofern weiterentwickelt, als sie die angesprochene Machtfrage zugunsten der Bürgerversammlung entschied und unter stadtbürgerlicher Freiheit den Schutz der Bürger - für welche die Bürgerversammlung eintrat - vor Übergriffen des Rates und der sonstigen kommunalen Obrigkeiten begriff. Demgegenüber ist festzuhalten, daß Gierke unter kommunaler Freiheit die Selbstregierung der Bürgerstadt in einem von Herrschaftsbildungen - darunter nicht zuletzt der fürstlichen Landesherrschaft - geprägten Umfeld verstand. Selbstregierung hieß dabei soviel wie: Handhabung des politischen Willens der Gemeinde durch die Bürger, sei es nach dem Ansatz der Habilitationsschrift durch die Bürgerversammlung als „Trägerin der Gemeinde" und durch den Rat (und gegebenenfalls weitere Institutionen) als Organ der Gemeinde, sei es nach dem Ansatz der „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" und der seitherigen Schriften ausschließlich durch Organe, darunter an oberster Stelle der Rat. Ein abschließendes Wort zur Stichhaltigkeit von Gierkes Periodisierung. Im Zentrum von Gierkes Verdikt über den Niedergang der deutschen Reichsund Landstadt während der letzten Jahrhunderte des Alten Reiches stand die These, daß seit dem Ausgang des Mittelalters der Rat das Regiment nicht mehr namens der Gemeinde, sondern in den Reichsstädten namens einer Rats206

Ebd. Gierke, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft (wie Anm. 45), 829; davon seien zu unterscheiden „alle anderen Staatsbeamten und Staatsfunktionäre" als „nur mittelbare Staatsorgane", ebd. 207

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Oligarchie, in den Landstädten namens des Landesherrn ausgeübt habe. Dadurch wurde der Rat Gierke zufolge von einem kommunalen Organ zu einem Instrument oligarchischer oder landesherrlicher Herrschaft. Was ist von diesem Urteil zu halten? Daß der Rat dann und wann oder häufig das Interesse der in ihm vertretenen Gruppen oder des Landesherrn vor das Interesse der Bürger gestellt haben mag, ist eine banale Aussage und entspricht der Hinfälligkeit eines jeden irdischen Regiments. Die nicht nur während der frühen Neuzeit, sondern auch im Mittelalter allenthalben zu beobachtenden Bürgerproteste gegen den Rat zeugen davon, daß das Ratshandeln in vielen Fällen als unrechtmäßig betrachtet wurde. Die Frage ist, ob in dieser Hinsicht während der frühen Neuzeit ein grundlegender Wandel eintrat. Läßt sich seit dem ausgehenden Mittelalter die Tendenz ausmachen, daß der Rat seine Bindungen an die Gemeinde abstreifte und nur noch dem Interesse der ratsfähigen Geschlechter oder des Landesherrn diente? Das Kriterium, an dem ein solcher Verfassungswandel festgemacht werden könnte, wäre die Untergrabung des Konsensprinzips, institutionell hieße das: die Aushöhlung der politischen Rechte der Bürgerschaft oder gar deren förmliche Beseitigung. Die Forschungen der letzten Jahrzehnte zu den Bürgerunruhen in den Reichs- und Landstädten der frühen Neuzeit haben erwiesen, daß davon nicht die Rede sein kann, im Gegenteil. Sie belegen die ungebrochene Wirksamkeit der Bürgerversammlung (oder ebenbürtiger Einrichtungen) als einer kommunalen Institution, auf deren Konsens der Rat angewiesen blieb. Dort wo bei Konflikten zwischen dem Rat und den Bürgern die Bürgerversammlung nicht tätig wurde, kam es im übrigen vielfach zu beschworenen Verbindungen von Bürgern mit dem Zweck, vor Gericht verwendbare Eingaben, beispielsweise an den Kaiser, zu machen, um Abhilfe einzuklagen. Als im 17. und 18. Jahrhundert der Rat in Reichsstädten des Hanseraums, aber auch in Oberdeutschland den Anspruch erhob, Inhaber der Souveränität in der Stadt zu sein - für die Bürger bedeutete das: Herabstufung zu Ratsuntertanen, Beseitigung des Konsensprinzips - , scheiterte ein solches Unterfangen am Widerstand der Bürger und dem Einschreiten des Kaisers.208 Analoge Bestrebungen von Landesherren, den Rat ihrer Städte in untergeordnete Behörden der Zentralgewalt umzuwandeln, blieben meist auf halbem Wege stecken.209

208 Vgl. Otto Brunner, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der früheren Neuzeit, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 50, 1963, 329-360 (wiederabgedr. in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. 2. Aufl. Göttingen 1968, 294-321). 209

In konzeptioneller Hinsicht wegweisend die Studie von Luise Schorn-Schiitte, Von der autonomen zur beauftragten Selbstverwaltung. Die Integration der deutschen Stadt in den Territorialstaat am Beispiel der Verwaltungsgeschichte von Osnabrück und Göttingen in der frühen Neuzeit, in: Osnabrücker Mitteilungen 82, 1976, 29-59. Vgl. auch die vorzügliche Fallstudie von Nicolas Riigge, Im Dienst von Stadt und Staat. Der Rat der Stadt Her-

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Soviel scheint gewiß: Die These einer zunehmenden „Verherrschaftlichung" des Ratsregiments während der frühen Neuzeit im Dienste reichsstädtischer Oligarchen oder der landesherrlichen Gewalt läßt sich nicht aufrechterhalten. Diese Auffassung hat freilich ein fundamentum in re: Es ist die bereits im späten Mittelalter einsetzende und seitdem unaufhörlich voranschreitende Professionalisierung der Tätigkeit im Rat. Das Ratsamt geriet vom Stand zum Beruf. Damit ging die akademische Fachschulung der Ratsherren und des sonstigen städtischen Leitungspersonals - der Syndici, Ratsschreiber etc. - einher. Zwar weiterhin Beratungs- und Entscheidungsgremium, nahm der Rat im Alltag der Geschäfte die Züge einer Verwaltungsbehörde an. In der Tendenz führte ein solcher Wandel dazu, daß das Ratsregiment nicht mehr den Patriziern und Honoratioren herkömmlichen Profils vorbehalten blieb, sondern in die Hand fachgeschulter Verwaltungsexperten - diese mochten durchaus dem Kreis der ratsfähigen Familien und Gruppen entstammen - gelangte. Das mochte die Bande zwischen Rat und Bürgern lockern, hatte indessen nichts mit einer Auslieferung des Rates an reichsstädtische Oligarchen oder die landesherrliche Zentralgewalt zu tun. Als Reaktion auf die Professionalisierung des Ratsamts kam dann seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nach französischem Vorbild und entsprechend den physiokratischen Lehren die Forderung auf, dem Rat gewählte Bürgervertretungen entgegenzustellen. Diese Forderung blieb bekanntlich nicht ohne Wirkung auf den Freiherrn vom Stein und die preußischen Reformer, als sie die Städteordnung von 1808 schufen. 210 Gierkes Verdikt über den Niedergang der deutschen Stadt trug der Weiterentwicklung der Ratsverwaltung vom Stand zum Beruf und der damit einhergehenden Rationalisierungs- und Modernisierungsleistung nicht Rechnung. Sein Urteil beruhte letztlich auf der geschichtsphilosophischen und durchaus politischen Annahme, daß im Zeitalter der absoluten Monarchie die Ausbildung des anstaltlichen Flächenstaats auf der Agenda gestanden habe. Folgt man der jüngeren Forschung, kann von einem Niedergang der deutschen Stadt während der frühen Neuzeit nicht die Rede sein. Seit den 1970er Jahren wird das Bild der frühmodernen deutschen Stadt in hellen Farben gezeichnet, wird deren Rolle im Zeitalter des aufsteigenden fürstlichen Territorialstaats neu bestimmt. Heinz Schilling ist diesem „Paradigmawechsel in der Erforschung von Stadt und Bürgertum in der Frühen Neuzeit" 211 nachgegangen. Ins Blickfeld ford und die preußische Zentralverwaltung im 18. Jahrhundert. (Bürgertum, Bd. 15.) Göttingen 2000; hier der Stand der Forschung zur Konzeptbildung. 210 Vgl. Hedwig Hintze, Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich und in der Revolution. Stuttgart 1928, Ndr. mit ein. Einl. v. Rolf Reichardt. Frankfurt am Main 1989, 102-119; dazu auch: Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen. 2. Aufl. Stuttgart 1969 (ursprünglich 1950), 49 Anm. 1 und 84-103. 211 Schilling, Die Stadt in der frühen Neuzeit (wie Anm. 2), 51-56.

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tritt die frühneuzeitliche Stadt als Trägerin der Urbanisierung, das heißt der Verstädterung und Ausbildung von Städtenetzen; als Vorort protoindustrieller Gewerbelandschaften; als Verwaltungszentrum; als Förderin der Reformation und der Konfessionalisierung; als Sitz von Bildungseinrichtungen; als Entfaltungsraum stadtbürgerlicher Lebensart und damit als eine der wesentlichen Grundlagen der deutschen Aufklärung.

III. Republikanismus 1. Republikanismus als normatives Konzept im Zeitalter der Amerikanischen und der Französischen Revolution Als Schlagwort und Kampfbegriff zur Verunglimpfung antimonarchischer, auf Einführung der Republik gerichteter Einstellungen ist Republikanismus bereits seit dem späten 17. Jahrhundert in England und seit dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts in Frankreich belegt, als konzeptionell gehaltvoller Begriff zur Umschreibung der gewaltenteilig-repräsentativen Verfassung indessen erst seit dem Zeitalter der Amerikanischen und der Französischen Revolution.212 Zunächst zu Republikanismus als Kampfbegriff zur Anprangerung republikanischer Prinzipien und Haltungen. Die frühesten englischen Belege stammen von 1689 und 1716. Republikanismus stand für die von den Tories gegen die Whigs gerichtete Anschuldigung antimonarchischer Umtriebe, war also eine diskreditierende Parole im Parteienkampf.213 Der früheste französische Beleg findet sich in der Abhandlung des Marquis d'Argenson über die Frage „Jusques où la démocratie peut-elle être admise dans le gouvernement monarchique?" 214 Der französische Staatsmann trat in dieser Schrift für die Stärkung der lokalen Selbstverwaltung ein und nannte unter den Einwänden, die man „ohne Zweifel gegen diesen Traktat einwenden" werde, den „schweren Vorwurf', daß die Schrift „allenthalben einer Art von Republikanismus das Wort rede". 215 D'Argenson wies für seine Person solche Vorhaltungen mit dem Argument zurück, daß die Selbstverwaltung keineswegs die gesetzge212

Zur Begriffsgeschichte von Republikanismus s. Mager, Republikanismus (wie Anm. 8). 213 Belege ebd. 245 f. 214 Diese von 1737 zu datierende Abhandlung wurde erst 1764 unter dem Titel „Considérations sur le gouvernement ancien et présent de la France" posthum veröffentlicht. Das Manuskript kursierte am Hofe und in den Pariser Salons, vgl. die „Einführung" der Übersetzers in: René Louis Marquis d'Argenson, Politische Schriften (1737). Übers, u. komm, v. Herbert Hömig. (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution, Bd. 13.) München 1985, 9-42. Der Übersetzung liegt das Manuskript zugrunde. 215 Ebd. 157. Dieser Passus ist in der Publikation von 1764 ausgelassen worden.

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bende Gewalt des Königs beeinträchtige, sondern ganz im Gegenteil geeignet sei, „das Gute der Republik mit der Monarchie" zusammenzuführen. 216 In diesem Sinne ist auch die aus dem Jahre 1750 stammende Tagebuchnotiz d'Argensons zu lesen: „Le républicanisme gagne chaque jour les esprits philosophiques. On prend en horreur le monarchisme par démonstration." 217 Vom Schlagwort im politischen Parteienkampf zum konzeptionell gehaltvollen Begriff rückte Republikanismus im Verlauf der Amerikanischen Revolution auf. In der Neuen Welt, wo seit der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 mit ihrer emphatischen Absage an den britischen König die monarchische Staatsform hinfällig geworden war, geriet Republikanismus zu einem positiv besetzten Begriff, der die Prinzipien, Werte und Institutionen umschrieb, auf denen das anvisierte „popular government" oder „republican government", also die zu errichtende republikanische Ordnung, beruhen solle. Vorab in einem knappen Exkurs einige terminologische Klärungen zum Republikbegriff. 218 In der herkömmlichen juristischen Lehre von der Körperschaft (universitas) wurde unter Republik (respublica) die unabhängige Körperschaft verstanden, in der die allen Bürgern (cives) gemeinsamen Interessen durch die Wirksamkeit des öffentlichen Rechts (ius publicum) zur Geltung gebracht werden. Respublica war also ein normativer Begriff. In den Worten Ulpians, die in den Eingang der Digesten aufgenommen wurden: „Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem: sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim, publicum ius in sacris, in sacerdotibus, in magistratibus consistit." 219 Für Republik (respublica) in dieser normativen juristischen Begriffsfüllung traten seit dem hohen Mittelalter im Deutschen Ausdrücke wie „Gemeiner Nutzen", „Gemeines Wesen" ein. Von dieser weitgefaßten juristischen Begriffsfüllung ist eine enger gefaßte zu unterscheiden, nämlich Republik für freie Republik (libera respublica), wortwörtlich: ,freies Gemeinwesen', das heißt Gemeinwesen ohne fürstliches Haupt, regiert von den Bürgern. In dieser Bedeutung des Bürgerregiments war Republik der Gegenbegriff zu Fürstenregiment (principatus).

216

Ebd. René Louis Marquis d'Argenson, Mémoires et journal inédit du marquis d'Argenson. Ed. par Chr. M. René d'Argenson. Vol. 3. Paris 1857, Ndr. Nendeln 1979, 313. D'Argenson fuhr fort: „En effet des esclaves seuls, des eunuques, aident de leur fausse sagesse le monarchisme. Mais quelle sagesse chez les républiques qui gouvernent économiquement au dedans, et n'intimident jamais leurs voisins, qui les considèrent cependant! Heureuses les monarchies gouvernées comme des républiques! Mais où sont-elles? Je ne vois que le règne d'Henri IV, et le ministère de M. de Sully." Ebd. 218 Vgl. dazu die in Anm. 8 aufgeführten begriffsgeschichtlichen Beiträge von Mager. 219 Dig. 1, 1, 1, 2 zitiert nach: Iustiniani Digesta. Recognovit Theodorus Mommsen, retractavit Paulus Krueger. (Corpus Iuris Civilis, Bd. 1.) Berlin 1868, Ndr. Berlin 1962, 29. Res Romana steht hier für res publica, vgl. Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 550-556. 217

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Von Republik in der Sprache der Juristen ist zu unterscheiden Republik in deqenigen der Philosophen, speziell in der auf Aristoteles zurückgehenden Regimentenlehre. Wilhelm von Moerbeke mied in seiner um 1260/65 angefertigten Übersetzung von Aristoteles' „Politik" ins Lateinische den Ausdruck respublica. Er gab den griechischen Ausdruckpoliteia (das heißt .politische Ordnung schlechthin', .politisches Regiment') durch politia wieder und bezeichnete in Anlehnung an Aristoteles' Klassifikation die drei „guten" Regimentsformen mit monarchia, aristocratia und politia (im engen Sinn, das heißt ,Volksregiment'), die drei schlechten mit tyrannis, oligarchia und democratia (Pöbelregiment). Es sei hinzugefügt, daß Polybius in seiner „Weltgeschichte" (Historiae), abweichend von Aristoteles' Wortgebrauch, das Volksregiment als Demokratie und das Pöbelregiment als Ochlokratie bezeichnete. Polybius' Wortgebrauch hat in der Sprache des abendländischen politischen Aristotelismus die Oberhand gewonnen. In den politischen Aristotelismus rückte Republik ein, als Leonardo Bruni in seiner 1438 abgeschlossenen humanistischen Übertragung der „Politik" des Stagiriten politeia nicht wie Wilhelm von Moerbeke mit politia, sondern mit respublica wiedergab. Neben die bereits genannten beiden juristischen Bedeutungen von Republik traten daraufhin zwei philosophische: Republik bedeutungsgleich mit politia im weiteren Sinn, also zur Kennzeichnung der politischen Ordnung oder des politischen Regiments schlechthin, und Republik bedeutungsgleich mit politia im eigentlichen Sinn, also zur Kennzeichnung des Volksregiments. Ein letzter Punkt: Die dreigliedrige philosophische Klassifikation der Regimentsformen wurde mit der zweigliedrigen juristischen der politischen Körperschaftslehre in Kongruenz gebracht. Monarchie wurde mit Fürstenregiment (principatus) gleichgesetzt, Aristokratie und Demokratie (in der Bedeutung ,Volksregiment') unter (freie) Republik subsumiert. Das ergab als Gegenbegriff zu Monarchie zwei Spielarten von Republik: die aristokratische und die demokratische Republik. Im übrigen bürgerte sich als Gegenbegriff zu Monarchie bereits seit der Scholastik auch der Ausdruck Polyarchie ein. Nun zurück zum Republikanismus in der Neuen Welt. Wenn die amerikanischen Verfassungsväter auf Republik und Republikanismus rekurrierten und den beiden Ausdrücken einen neuen Inhalt gaben, trug das angesichts der bereits bestehenden Bedeutungsvarianten von Republik begreiflicherweise mehr zur Verwirrung als zur Klärung bei. Kein geringerer als John Adams hat das rückblickend 1807 in einem Schreiben an Mercy Otis Warren beklagt: „There is not a more unintelligible word in the English language than republicanism."220 In einem weiteren Schreiben an Warren aus dem Jahre 220

John Adams an Mercy Warren, 8. August 1807; vgl. Correspondence between John Adams and Mercy Warren relating to her .History of the American Revolution', JulyAugust, 1807, in: Collections of the Massachusetts Historical Society, 5th Ser., Vol. 4, Boston 1878, 315-511, hier 425-441, Zitat 432.

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1807221 hielt er fest, während des Unabhängigkeitskrieges sei das Recht des Volkes, sich eine politische Ordnung zu geben, von niemandem bestritten worden, man habe sich keine andere Ordnung als eine republikanische vorstellen können 222 , und die Verfassung der Vereinigten Staaten von 1787 habe allen Gliedstaaten der Union eine republikanische Verfassung zugesichert223. Er habe freilich nie den besagten Artikel der Verfassung begriffen und glaube, das sei niemandem bisher gelungen und werde auch in Zukunft nicht anders werden. 224 Der Sinngehalt des Wortes Republik sei völlig unbestimmt.225 Adams listete die folgende Bedeutungsvarianten von Republik auf: „A Republican government is a government of more than one. The word Republic has been used, it is true, by learned men, to signify every actual and every possible government among men, - those of Constantinople as well as that of Geneva. But the most accurate writers distinguish republics from despotisms and simple monarchies, and call every government by that name in which more than one person is concerned in the sovereignty; and in this sense the kingdoms of Sparta, Poland, and England were republics as truly as San Marino. Venice, Holland, and other States were universally called Republics both by the learned and unlearned; yet the people in these States had certainly no more liberty than those of England or France." Adams Option zugunsten der Unterscheidung der Republiken in freie und unfreie trug nicht sonderlich zur Klärung bei 226 , abgesehen davon, daß diese Abgrenzung, wie er einräumte, nicht vom Verfassungstext gedeckt wurde 227 . Was verstanden die amerikanischen Verfassungsväter unter Republik und Republikanismus? Die politischen Institutionen, die sie unter diese Begriffe faßten, hatten nichts mit der Körperschaftslehre der Zivilisten und der Regi221

John Adams an Mercy Warren, 20. Juli 1807, ebd. 332-354, Zitate 352 f. „We all acknowledged the right of the people to frame their own governments, and we knew they would not think of any other than Republican governments." Ebd. 223 „The first appearance of a national stipulation in favor of Republican government was in the Constitution of the United States, in which a Republican constitution was guaranteed to the several States." Ebd. Gemeint ist in Art. IV, Sect. 4 der Satz „The United States shall guarantee to every State in this Union a Republican Form of Government." 224 „But I confess I never understood it, and I believe no other man ever did or ever will." Correspondence between John Adams and Mercy Warren (wie Anm. 220). 225 „The word is so loose and indefinite that successive predominant factions will put glosses and constructions upon it as different as light and darkness; and if ever there should be a civil war, which Heaven forbid, the conquering General in all his triumphs may establish a military despotism, and yet call it a constitutional republic, as Napoleon has already set him the example. The only effect of it that I could ever see is to deceive the people." Ebd. 226 „The most accurate distinction, then, has been between free republics and republics which are not free." Ebd. 227 „It is not even said in our Constitution that the people shall be guaranteed in a free republican government." Ebd. 222

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mentenlehre der politischen Aristoteliker zu tun. Zielte im zivilistischen Wortgebrauch Republik auf die Wirksamkeit öffentlicher Institutionen in der Hervorbringung des Gemeinwohls und im politischen Aristotelismus auf die Handhabung des politischen Regiments, so umschrieben Republik und Republikanismus im Verständnis der amerikanischen Verfassungsväter die Geltung unverbrüchlicher Menschenrechte, die Sicherung der politischen Freiheit mittels einer gewaltenteilig-repräsentativen Verfassung und die Bedeutung der auf das Gemeinwohl bezogen Bürgergesinnung. Was hat es damit auf sich? Zunächst empfiehlt es sich, einen Blick auf die Entstehung dieser Verfassungsvorstellungen im England des 18. Jahrhunderts zu richten. Anschließend soll erörtert werden, in welchen Punkten die amerikanischen Verfassungsväter an solche Auffassungen anknüpften, in welcher Hinsicht sie davon abwichen, und was sie veranlaßte, ihre Verfassungslehre unter die Begriffe der Republik und des Republikanismus zu bringen. Wir kommen zum ersten Punkt, der Entstehung des Konzepts der gewaltenteilig-repräsentativen Verfassung in England, und befassen uns zunächst mit der Frage der Gewaltenteilung.228 Diese Lehre von der Unterscheidung der staatlichen Gewalt in gesetzgebende, vollziehende und richterliche wurde vor dem Hintergrund der politischen Praxis in Großbritannien seit der Glorious Revolution von 1688 und dem daran anschließenden Revolution-Settlement der Jahre 1689 bis 1701 entwickelt. Während das Mischregiment der klassischen Regimentenlehre dem Ziel diente, allen ständischen Formationen Anteil am Regiment zu verschaffen und dadurch die politische Ordnung auf Dauer zu stellen, antwortete die Lehre von der Gewaltenteilung auf eine neuartige Problemlage. Gewaltenteilung bedeutete unter den englischen Verhältnissen außer der Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz vor allem den Vorrang des Parlaments über König und Regierung. Die Suprematie des Parlaments drückte sich nicht nur in der Zuständigkeit für die Gesetzgebung aus, sondern auch in dem Recht der Steuerbewilligung sowie in der davon herrührenden Kontrolle der Regierungstätigkeit. Dem lag die Vorstellung zugrunde, daß der König nicht wie der absolute Monarch des Kontinents die Souveränität innehabe, sondern als oberster Amtsträger zu betrachten sei, als „Chief Magistrate" (John Locke). 229 Gewaltenteilung versprach Schutz vor willkürlicher, das heißt nicht durch das Gesetz gedeckter Handhabung der Regierungsgewalt und insofern Sicherung der Freiheit gemäß der Maxime, daß in einem freien Gemeinwesen der Mensch nicht Menschen gehorche und damit zum Sklaven werde, sondern dem Gesetz gehorche und damit frei sei.

228 Zum Folgenden vgl. Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 589-591 ; vgl. Peter Wende, Geschichte Englands. 2. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln 1995, 142-197. 229

John Locke, Two Treatises of Government (1690). Ed. by Peter Laslett. 2. Aufl. Cambridge 1970, Second Treatise, § 105,420 und § 207, 421.

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Das führt zum Repräsentativsystem.230 Gewährleistet die Gewaltenteilung die Gesetzesförmigkeit der vollziehenden Gewalt, zielt das Repräsentativsystem darauf, den modernen Gesetzespositivismus zu legitimieren, der in dem Maße in Erscheinung trat, wie der Rückgang der ständischen Bindungen und Regulierungen die unaufhaltsame Vermehrung staatlicher Aufgaben nach sich zog. Während die absolut regierenden Monarchen des Kontinents auf diese Problemlage mit verstärkter Kodifikationstätigkeit antworteten, reagierte Großbritannien mit dem Mittel des Repräsentativsystems. Zu verstehen ist darunter die Vertretung des „Volkes" auf der Grundlage eines durch Wahl übertragenen freien Mandats, verkörpert durch das englische Unterhaus (House of Commons). Von der mandatsmäßigen Repräsentation ist die ständische Identitätsrepräsentation231 zu unterscheiden, welche von den Peers des englischen Oberhauses (House of Lords) verkörpert wurde. Die mandatsmäßige Repräsentation wurde bereits von den Zeitgenossen als die eigentliche angesehen, während die Identitätsrepräsentation der Lords zur ständischen Prärogative232 und Zwischengewalt233 verblaßte. Dazu trug wesentlich bei, daß das Unterhaus die alleinige Zuständigkeit in Steuerangelegenheiten innehatte. Repräsentation schuf nach zeitgenössischem Verständnis Freiheit im Sinne der Unterwerfung unter das selbstgegebene Gesetz. Halten wir fest: Im englischen Verfassungsverständnis des 18. Jahrhunderts wurden Gewaltenteilung und Repräsentativsystem zur freiheitssichernden Verfassung zusammengefügt, in zeitgenössischer Formulierung: zur „constitution of free government" oder „free constitution of government" oder schlicht „Constitution" als der Grundlage des „free Commonwealth", des „free state".234 Montesquieu hat in den berühmten Auslassungen des „Esprit des lois" über die englische Verfassung - das entsprechende Kapitel trägt den Titel „De la constitution d'Angleterre" 235 - diese Zweckbestimmung und die

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Dieser Ausdruck bereits bei Jean-Louis de Lolme, Constitution de l'Angleterre; ou, État du gouvernement anglais comparé avec la forme républicaine et avec les autres monarchies de l'Europe. Amsterdam 1771, Vol. 2, Kap. 8, 12: „Constitution représentative". Zum Verhältnis von Großgrundbesitz, Patronage, Wählerschaften und Repräsentation im England des 18. Jahrhunderts vgl. Hermann Wellenreuther, Repräsentation und Großgrundbesitz in England 1730-1770. Stuttgart 1979. 231 Nähere Erläuterungen dazu in Abschnitt VI.2. 232 Charles-Louis de Montesquieu, De l'esprit des lois (1748), benutzt nach: ders., Oeuvres complètes. Ed. par Daniel Oster. Paris 1964, Buch 11, Kap. 6, 588: „Le corps des nobles doit être héréditaire. Il l'est premièrement par sa nature; et d'ailleurs il faut qu'il ait un très grand intérêt à conserver ses prérogatives, odieuses par elles-mêmes, et qui, dans un État libre, doivent toujours être en danger." 233 De Lolme, Constitution de l'Angleterre (wie Anm. 230), Bd. 2, Kap. 19, 213: „Ces grands, unis en assemblée régulière, formeront un corps intermédiaire dans l'état." 234 Vgl. dazu die politischen Schriften David Humes, vgl. auch Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 591. 235 Montesquieu, De l'esprit des lois (wie Anm. 232), Überschrift von Buch 11, Kap. 6.

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darauf gerichtete Verfassungsordnung in ihrer Einzigartigkeit herausgestellt und emphatisch begrüßt. Von demselben Geist beseelt war der Lobpreis der englischen Verfassung in dem für die Zeitgenossen maßgeblichen Werk über den inneren Aufbau der englischen Verfassung, das der aus Genf, also einer Republik, stammende Jean-Louis de Lolme 1771 unter dem Titel „Constitution de l'Angleterre" 236 verkündete. In dieser Arbeit, deren Breitenwirkung kaum überschätzt werden kann - sie erlebte in rascher Folge mehrere Auflagen 237 und wurde bereits 1775 ins Englische und 1776 ins Deutsche übersetzt - verglich der Autor die englische Verfassung Punkt für Punkt mit dem politischen Aufbau der europäischen Monarchien seiner Zeit sowie mit demjenigen der zeitgenössischen und der vergangenen Republiken einschließlich derjenigen der Antike und gelangte zu dem Fazit, daß die gewaltenteiligrepräsentative Verfassung Englands im Hinblick auf die Sicherung der politischen Freiheit nicht nur die europäischen Monarchien des Festlandes in den Schatten stelle, sondern auch alle bekannten Republiken. Nun zurück zu der Frage nach den nordamerikanischen Verfassungsvorstellungen im Zeitalter der Amerikanischen Revolution.238 Zunächst sei darauf hingewiesen, daß die Entwicklung der politischen Institutionen in den dreizehn nordamerikanischen Kolonien der britischen Krone während des 18. Jahrhunderts im wesentlichen in dem Rahmen verlief, den die Verfassungsordnung des Mutterlandes vorgezeichnet hatte. Am Vorabend des Unabhängigkeitskrieges war das self-government in Nordamerika durch eine weitreichende Gewaltenteilung sowie durch die Wirksamkeit von Vertretungskörperschaften charakterisiert, deren Befugnisse denjenigen des englischen Unterhauses nachgebildet waren. Den Gouverneuren und den diesen zugeordneten Gouverneursräten (Councils) standen Vertretungskörperschaften (Assemblies) der Siedler gegenüber. Zu deren wichtigsten Befugnissen zählten das Steuerbewilligungsrecht und die Kontrolle der Ausgaben. In zwei Kolonien wurde bereits der Gouverneur durch Wahl bestimmt, in diesen sowie einer weiteren Kolonie auch die Gouverneursräte. Sonst aber wurden Gouverneure und Gouverneursräte - diese auf Vorschlag der Gouverneure von der Krone ernannt. Das Problem, vor das sich die amerikanischen Verfassungsdenker zum Zeitpunkt der Revolution gestellt sahen, war das, eine politische Ordnung ins Das Buch 11 trägt den Titel: Des lois qui forment la liberté politique dans son rapport avec la constitution. 236 De Lolme, Constitution de l'Angleterre (wie Anm. 230). 237 Mir lag die 4. Auflage vor, erschienen in London 1785. 238 Zum Folgenden: Horst Dippel, Die Amerikanische Revolution 1763-1787. Frankfurt am Main 1985, und speziell: Willi Paul Adams, Republikanische Verfassung und bürgerliche Freiheit. Die Verfassungen und politischen Ideen der amerikanischen Revolution. (Politica, Bd. 37.) Darmstadt/Neuwied 1973; vgl. auch Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 593-595; ders., Republikanismus (wie Anm. 8), 246-250.

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Leben zu rufen, die in allen ihren Institutionen vom „Volk" (people) ausging. Von vornherein ausgeschlossen war die Schaffung eines Oberhauses nach britischem Vorbild, da es in der Neuen Welt keine ständische Sozialformation, vergleichbar den englischen Peers, gab. Nach dem Bruch mit dem Mutterland befürwortete außerdem niemand ernsthaft die Schaffung einer monarchischen Exekutive. Zur Handhabung der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt in Form des „popular government", also auf der Grundlage gewählter Mandatsträger mit zeitlich befristetem Amt, gab es weder auf der Ebene der Einzelstaaten noch für die Bundesverfassung von 1787 eine Alternative. Das stellte die amerikanischen Verfassungsväter vor eine beispiellose Herausforderung. Anders als in Großbritannien stand bei einem konsequenten „popular government" den Volksvertretern nicht in Gestalt eines Erbmonarchen und eines ständischen Oberhauses ein Widerlager gegen ein Abgleiten in Unvernunft, Übereilung und Faktionswesen entgegen. Daß eine solche Entwicklung zu befürchten sei, schien alle bisherige Erfahrung mit der Demokratie, das heißt dem unmittelbaren Volksregiment, nahezulegen. Die (unmittelbare) Demokratie galt von jeher als ein höchst unstabiles, zur inneren Zerrissenheit neigendes Regiment. Im politischen Aristotelismus wurde sie als die gefährdetste der drei „guten" politischen Regimentsformen angesehen. Die Entartung des Volks- zum Pöbelregiment und zur Anarchie, dann der Übergang zur Tyrannis schienen vorgezeichnet. Was die mittelbare Demokratie anbetrifft, modern formuliert: die parlamentarische Demokratie, schien sie mit ähnlichen Mängeln behaftet wie die unmittelbare. Nichts schien das besser zu belegen als das krisengeschüttelte „Commonwealth and Free State" in England zwischen 1649 und 1660, als das Unterhaus nach der Enthauptung König Karls I. und der Abschaffung des Oberhauses die politische Macht innehatte. Der unrühmliche und vom religiösen Fanatismus der Leveller und später der Fifth Monarchists begleitete Parlamentarismus dieser Zeit schien die These zu bestätigen, daß das vom „Volk" ausgehende Repräsentativsystem ohne monarchisches und aristokratisches Gegengewicht von seiner Anlage her instabil sei und eine Militärherrschaft wie die des Lord Protector Oliver Cromwell die zwangsläufige Folge darstelle. Die amerikanischen Verfassungsväter begegneten der Herausforderung, eine politische Ordnung auf das Volk zu gründen, ohne sich ihm auszuliefern, zum einen mit der Fortentwicklung der Gewaltenteilung zu einem System der checks and balances. Zweck einer solchen Interorgankontrolle war, unbedachte Entscheidungen anhalten und korrigieren zu können. Besonders konsequent wurde ein solches System in der Bundesverfassung von 1787 verankert, da nicht nur das Repräsentantenhaus und der Senat im Sinne eines Bikameralismus einander entgegengestellt wurden, sondern darüber hinaus dem amerikanischen Präsidenten gegen Entscheidungen des Kongresses ein Vetorecht eingeräumt wurde.

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Dem Unterfangen, der Pöbelherrschaft einen Riegel vorzuschieben, diente zum andern das Repräsentativsystem in einer Ausgestaltung, die als Filter der Leidenschaften dienen sollte. Das Wahlrecht wurde nur (männlichen, weißen) Eigentümern oder zumindest Steuerzahlern zuerkannt. Das Schloß die wenig bemittelten Personen aus und brachte eine politische Elite von Mandatsträgern ans Ruder, die sich durch Abkömmlichkeit und Bildung auszeichneten und funktional durchaus mit den französischen Notabein der Zeit vergleichbar waren. Das freie Mandat nach dem Vorbild des englischen Unterhauses sicherte den Abgeordneten Unabhängigkeit vom schwankenden Wählerwillen. Andererseits wurde der Rückbindung an das „Volk" durch die zeitliche Begrenzung des Mandats - bzw. bei Wahlämtern: des Amts - Rechnung getragen. Die Pressefreiheit tat ein übriges, um Abgeordnete und Amtsträger an der öffentlichen Meinung als Richtschnur ihres Handelns zu orientieren. Bei den Wahlen fanden denn auch häufig ausgesprochene Wahlkämpfe statt. Das geschah bereits bei den Wahlen von Abgeordneten zu den Conventions der Einzelstaaten, die über die Ratifizierung der Bundesverfassung von 1787 zu entscheiden hatten. Als dritte Schutzwehr gegen die Eigenmächtigkeit und demagogische Anfälligkeit von Vertretungskörperschaften und gewählten Amtsträgern diente die Bekräftigung vor- und überstaatlicher Grund- und Freiheitsrechte, so wie sie in den Declarations of Rights mancher Einzelstaaten sowie in den 1791 verabschiedeten ersten zehn Zusatzartikeln der Bundesverfassung verankert wurden. Vor diesem Hintergrund wuchs „Republik" ein von den herkömmlichen Bedeutungen abweichender neuartiger Inhalt zu und rückte „Republikanismus" von einem polemischen Schlagwort zu einem gehaltvollen Konzept auf. Maßgeblichen Einfluß auf eine derartige Begriffsbildung nahm Thomas Paine 239 , der 1774 aus England in die Neue Welt gelangt war und im Januar 1776, also ein halbes Jahr vor der Unabhängigkeitserklärung, sein Pamphlet „Common Sense" 240 veröffentlichte, das alsbald zum Bestseller aufstieg: Bereits nach drei Monaten waren 120000 Exemplare verkauft, bis um 1800 fast 500000. 241 Paine verwarf in dieser Schrift jedwedes erbliche Amt nach Art des englischen Königs und der englischen Peers als tyrannisch und pries das englische Unterhaus als Vorbild und Unterpfand republikanischer Freiheit. 242 Damit war die antimonarchische und antiaristokratische Stoßrichtung 239

Dazu Mager, Republikanismus (wie Anm. 8), 250-255. Benutzt nach der Ausgabe: Thomas Paine, Rights of Man, Common Sense, and Other Political Writings. Ed. by Mark Philp. Oxford/New York 1995, 1-59. 241 Vgl. die Einleitung des Bearbeiters in: Thomas Paine, Die Rechte des Menschen. In der zeitgenössischen Übertragung von D. M. Forkel. Bearb. u. eingel. v. Theo Stemmler. Frankfurt am Main 1973, 7-28, hier 10. 242 „If we will suffer ourselves to examine the component parts of the English constitution, we shall find them to be the base remains of two ancient tyrannies, compounded with some 240

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der amerikanischen Auffassung von Republik und Republikanismus vorgezeichnet. Paine kehrte 1787 nach Europa zurück. Er agitierte nach dem Fluchtversuch Ludwigs XVI. und der Festnahme des Königs in Varennes (20./21. Juni 1791) für die Umwandlung Frankreichs in eine Republik und gab zusammen mit Condorcet und Achille Duchatelet die kurzlebige Zeitschrift „Le Républicain, ou le Défenseur du gouvernement représentatif" heraus. 243 1792 wurde Paine in den Nationalkonvent gewählt. Er publizierte 1791/92 in England eine weitere, vielgelesenen Schrift, „Rights of Man" 244 , von der bis 1793 bereits 200000 und bis zur Jahrhundertwende insgesamt 500000 Exemplare verkauft wurden. 245 Die Bedeutung dieser Arbeit liegt nicht zuletzt darin, daß Paine in ihr unter dem Begriff des Republikanismus die Neuartigkeit des nordamerikanischen Repräsentativsystems und der es tragenden Werthaltungen herausstellte und zum Modell der freiheitlichen Verfassung erklärte. 246 Paine knüpfte bei seiner Begriffsbildung an die Entgegensetzung von Demokratie und Republik an, welche die Autoren des „Federalist"247 und insbesondere James Madison 1787/88 vorgenommen hatten. Dieses klassische Werk der politischen Theorie ging aus Zeitungsartikeln aus der Feder von John Jay, Alexander Hamilton und James Madison hervor, die sich für die Ratifizierung der Bundesverfassung von 1787 einsetzten. In Buchform gebündelt, rückten die Artikel zu einem Grundtext des amerikanischen Verfassungsverständnisses auf. Madion unterschied in der Nr. 10 des „Federalist"248, der die folgenden Zitate entnommen sind, Republik, umschrieben als „a government in which the scheme of representation takes place", von Demokratie genauer: von reiner Demokratie (pure democracy) - und definierte diese als „society consisting of a small number of citizens, who assemble and admininew republican materials. First. - The remains of monarchical tyranny in the person of the king. Secondly. - The remains of aristocratical tyranny in the persons of the peers. Thirdly. - The new republican materials, in the persons of the commons, on whose virtue depends the freedom of England. The two first, by being hereditary, are independent of the people; wherefore in a constitutional sense they contribute nothing towards the freedom of the state", Paine, Rights of Man (wie Anm. 240), 8. Vgl. auch folgendes Urteil: „It is the republican and not the monarchical part of the constitution of England which Englishmen glory in, viz. the liberty of choosing an house of commons from out of the own body"; „the house of commons" sei „the republican part in the constitution", ebd. 19. 243 Abgedr. als Bd. 3 in dem Nachdruck republikanischer Schriften: Aux origines de la République 1789-1792. Ed. par Marcel Dorigny. 6 Vols. Paris 1991; zur Geschichte der Zeitschrift und zur Rolle Paines vgl. die Einleitung von Marcel Dorigny in Vol. 1,1-XVIII, hier X-XIV. 244 Benutzt nach der Ausgabe Paine, Rights of Man (wie Anm. 240), 83-331. 245 Paine, Die Rechte des Menschen (wie Anm. 241), Einleitung des Bearbeiters, 14. 246 Vgl. Mager, Republikanismus (wie Anm. 8), 252-255. 247 Benutzt nach der Ausgabe: The Federalist or, The New Constitution. Ed. by Max Beioff. 2. Aufl. Oxford 1987. 248 Ebd. 41^*8.

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ster the government in person" 2 4 9 . Er legte dar, die Republik sei eine neuartige Verfassungsordnung; anders als die instabile D e m o k r a t i e 2 5 0 sei die Republik geeignet, politische Entscheidungen auf Weisheit, Patriotismus und G e rechtigkeitsliebe zu gründen 2 5 1 und z u g l e i c h die für „zivilisierte Nationen" k e n n z e i c h n e n d e n Interessengegensätze zugunsten des A l l g e m e i n w o h l s a b zugleichen252. Paine griff d i e s e s Verständnis v o n Republik als Repräsentativsystem 2 5 3 auf, unterstrich in emphatischen Worten die N e u a r t i g k e i t 2 5 4 und das g e m e i n wohlstiftende Potential des Repräsentativsystems 2 5 5 und führte in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g „Republikanismus" e i n 2 5 6 . Hierbei setzte er Republik als Repräsentativsystem einerseits und Republik i m Sinne der altüberkommenen normativen B e g r i f f s f ü l l u n g der Zivilisten, also Republik als G e m e i n w e s e n , 249

Ebd. 45. „Democracies have ever been spectacles of turbulence and contention; have ever been found incompatible with personal security, or the rights of property; and have, in general, been as short in their lives, as they have been violent in their deaths." Ebd. 251 Die Republik sei geeignet, „to refine and enlarge the public views, by passing them through the medium of a chosen body of citizens, whose wisdom may best discern the true interest of their country, and whose patriotism and love of justice, will be least likely to sacrifice it to temporary or partial considerations. Under such a regulation, it may well happen, that the public voice, pronounced by the representatives of the people, will be more consonant to the public good, than if pronounced by the people themselves, convened for the purpose." Ebd. 252 „A landed interest, a manufacturing interest, a mercantile interest, a moneyed interest, with many lesser interests, grow up of necessity in civilized nations, and divide them into different classes, actuated by different sentiments and views. The regulation of these various and interfering interests forms the principal task of modern legislation." Ebd. 43. 253 „The only forms of government are, the democratical, the aristocratical, the monarchical, and what is now called the representative." Paine, Rights of Man (wie Anm. 240), 230, nämlich: „representation ingrafted upon democracy", ebd. 233. 254 „Various forms of government have affected to style themselves a republic. Poland calls itself a republic, which is an hereditary aristocracy, with what is called an elective monarchy. Holland calls itself a republic, which is chiefly aristocratical, with an hereditary stadtholdership. But the government of America, which is wholly on the system of representation, is the only real republic in character and in practice, that now exists." Ebd. 230f. 255 „Simple democracy was society governing itself without the aid of secondary means. By ingrafting representation upon democracy, we arrive at a system of government capable of embracing and confederating all the various interests and every extent of territory and population; and that also with advantages as much superior to hereditary government, as the republic of letters is to hereditary literature." Ebd. 232. „That which is called government, or rather that which we ought to conceive government to be, is no more than some common center, in which all the parts of society unite. This cannot be accomplished by any method so conducive to the various interests of the community, as by the representative system. It concentrates the knowledge necessary to the interest of the parts, and of the whole. It places government in a state of constant maturity. It is [...] never young, never old. It is subject neither to nonage, nor dotage. It is never in the cradle, nor on crutches. It admits not of a separation between knowledge and power, and is superior, as government always ought to be, to all the accidents of individual man, and is therefore superior to what is called monarchy." Ebd. 233. 256 Zum Folgenden vgl. Mager, Republikanismus (wie Anm. 8), 250-255. 250

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andererseits, in eins. „What is called a republic, is not any particular form of government. It is wholly characteristical of the purport, matter, or object for which government ought to be instituted, and on which it is to be employed, RES-PUBLICA, the public affairs, or the public good; or, literally translated, the public thing."251 Republik und Republikanismus wurden in der amerikanischen Diskussion vielfach deckungsgleich verwendet. Bei genauerer Betrachtung treten indessen Bedeutungsnuancen hervor. Republik zielte auf die institutionelle Dimension der in Nordamerika geschaffenen neuen Ordnung, Republikanismus umschrieb die dieser Ordnung zugrunde liegenden Prinzipien und Werthaltungen sowie die dem Repräsentativsystem zuerkannte sozialintegrative Wirksamkeit. Unter Republik und Republikanismus wurden auf diese Weise Gewaltenteilung und Interorgankontrolle, Repräsentativsystem und die Geltung universalistischer Rechtsprinzipien zur Einheit eines Konzepts zusammengefügt. Dem lagen drei Freiheitsbegriffe zugrunde: Freiheit als Schutz des Bürgers vor Willkürakten von Regierung und Verwaltung; Freiheit als Teilhabe des Bürgers an der Bestellung von Mandatsträgern und damit an der Handhabung der politischen Gewalt; Freiheit als Selbstbestimmung des Individuums in der ständisch entbundenen bürgerlichen Gesellschaft neuer Art - das hieß nicht zuletzt: Freiheit der Person und des Eigentums. Das in Amerika entwickelte Republik- und Republikanismuskonzept hat alsbald auf Europa zurückgewirkt. Georg Forster stellte 1793 in seiner Schrift „Parisische Umrisse" fest, „die durch die Freiwerdung von Amerika, und Frankreichs Antheil daran, in Umlauf gekommenen Ideen von Regierung, Verfassung und Republikanismus" hätten in Frankreich wesentlich zur Entstehung einer revolutionären Lage beigetragen.258 In Frankreich fand die Debatte Uber Republik und Republikanismus vornehmlich in den ersten Jahren der Revolution statt, bis mit dem Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 und dem Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur Republik am 21. September 1792 das Thema seine Aktualität einbüßte. Besonders intensiv wurde der Streit für und wider Republik und Republikanismus während der 257

The Federalist (wie Anm. 247), 230. Und weiter: „Every government that does not act on the principle of a Republic, or in other words, that does not make the respublica its whole and sole object, is not a good government. Republican government is no other than government established and conducted for the interest of the public, as well individually as collectively. It is not necessarily connected with any particular form, but it most naturally associates with the representative form, as being best calculated to secure the end for which a nation is at the expence of supporting it." 258 Georg Forster, Parisische Umrisse, Nr. 3, „Paris, den 24. Wintermonds, 2" (14. November 1793), in: Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Hrsg. v. der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte. Bd. 10: Revolutionsschriften 1792/93. Reden, administrative Schriftstücke, Zeitungsartikel, politische und diplomatische Korrespondenz, Aufsätze. T. 1 : Text. Bearb. v. KlausGeorg Popp. Berlin 1990, 593-637, hier 603.

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kurzen Zeitspanne zwischen der Flucht Ludwigs XVI. aus den Tuilerien am 20. Juni 1791 und der blutigen Auflösung eines antimonarchischen Aufmarsches auf dem Pariser Marsfeld am 17. Juli 1791 ausgefochten, als die bereits getroffene Entscheidung der Nationalversammlung zugunsten der konstitutionellen Monarchie unter das Feuer der republikanischen Partei geriet. Vor diesem Hintergrund rückte Republikanismus, ähnlich wie bereits vorher in Nordamerika, aus einer stigmatisierenden Parole im Parteienkampf zu einem konzeptionell gehaltvollen Begriff auf. Es kann hier nicht auf Einzelheiten eingegangen werden. 259 Wesentlich für die französische Begriffsbildung wurde, daß Republikanismus, verstanden als gewaltenteilig-repräsentative Verfassung, aus der antimonarchischen Verklammerung, die dem Konzept in Nordamerika zu eigen war, gelöst wurde. Eine freiheitssichernde Verfassung und insofern Republik und Republikanismus schienen der Mehrheitspartei in der Nationalversammlung durchaus mit einem konstitutionellen oder parlamentarischen Monarchen vereinbar. In diesem Sinne sprachen sich Jacques Pierre Brissot de Warville, der spätere Girondist, und vor allem der Abbé Sieyès im Sommer 1791 für die Beibehaltung der Monarchie aus. Brissot unterstrich dabei, daß der Unterschied zwischen einer parlamentarischen Monarchie und der vollen Republik geringfügig sei. 260 Die Zukunft werde der Übergang von der Monarchie zur Republik bringen.261 259

Vgl. Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 596-607; ders., Republikanismus (wie Anm. 8), 255-258. 260 Brissot äußerte sich dazu im Sommer 1791, gegen die Mehrheitsfraktion der Nationalversammlung gerichtet, wie folgt: „Que veulent ceux qui s'élèvent ici contre les républicains? Craignant l'anarchie, la voyant dans les Assemblées tumultueuses, ils détestent les démocraties d'Athènes et de Rome; ils redoutent la division de la France en Républiques fédérées; ils ne veulent que la Constitution françoise, la Constitution représentative: ils ont raison. Que veulent de leur côté ceux qu'on appelle républicains? Ils craignent, ils rejettent également les démocraties tumultueuses d'Athènes et de Rome; ils redoutent également les quatre-ving-trois Républiques fédérées; ils ne veulent que la Constitution représentative, homogene, de la France entière ... [Auslassungspunkte im Original]. Nous sommes donc tous d'accord; nous voulons tous la Constitution françoise." Dann folgte das Bekenntnis zur parlamentarischen Monarchie: „La seule question qui nous divise en apparence, se réduit à ceci: le chef du pouvoir exécutif a trahi ses sermens, a perdu la confiance de la Nation. Ne doit-on pas, si on le rétablit, ou si on le remplace par un enfant, les investir d'un conseil électif qui inspire la confiance, si nécessaire dans ces momens de troubles?" Brissots Antwort auf diese Frage lautete: „Les patriotes disent oui; ceux qui veulent disposer, ou d'un Roi méprisé, ou de son foible sucesseur, disent non, et crient au républicanisme, afin qu'on ne crie pas contr'eux à la liste civile. " Jacques Pierre Brissot de Warville, Discours sur la question de savoir si le roi peut être jugé, prononcé à l'assemblée des Amis de la Constitution, dans la séance du 17 juillet 1792, in: Aux origines de la République (wie Anm. 243), Vol. 5, Nr. 15, 3f. Zu Brissots Verfassungsvorstellungen vgl. auch Dorigny, Introduction (wie Anm. 243). 261 Brissot erklärte Anfang Juli 1791, die von der Nationalversammlung dekretierte Monarchie sei zu fünf Sechsteln, nämlich mit der alleinigen Ausnahme des Königs als des Inhabers der exekutiven Gewalt, bereits republikanisch, insbesondere, wenn man den König mit einem „conseil indépendant de lui, élu par le peuple et ses représentans, et

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An die Überlegungen Brissots und Sieyès' Schloß Kants Verzeitlichung von Republikanismus zu einem Bewegungsbegriff an, der den Weg zur konstitutionellen und parlamentarischen Monarchie sowie letztendlich zur Republik wies. 262 Es verdient Beachtung, daß Kant die im England des 17. und 18. Jahrhunderts vorgezeichnete und seit der Amerikanischen und der Französischen Revolution zur Signatur der Moderne gewordene Abkehr vom obrigkeitlichen Regiment und die Hinwendung zur gewaltenteilig-repräsentativen Verfassung auf den Begriff des Republikanismus brachte. An Jean Bodins Unterscheidung zwischen „estât" (Reipublicae status) und „gouvernement" (imperandi ratio)263 anknüpfend, unterschied Kant 1795 in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden"264, „damit man die republikanische Verfassung nicht

amovible" umgebe. „Tous sont d'accord sur les cinq sixièmes de la constitution françoise; c'est-à-dire, que ces cinq sixièmes sont entièrement dans les principes du républicanisme." Er folgerte daraus: „Le passage de l'état où nous sommes à la république, sera presque insensible; où plutôt on y est déjà sans le savoir." Und weiter: „Les républicains n'attendent cette opération que du temps, des progrès de la raison, et de la discussion.", J e crois qu'en appelant notre constitution un gouvernement représentatif, on accorde les partis de républicains et de monarchistes, et qu'on éteint leurs divisions." Zitate aus: Ma profession de foi sur la monarchie et sur le républicanisme, in: Brissot, Recueil de quelques écrits, principalement extraits du Patriote François, Relatifs à la discussion du parti à prendre pour le Roi, et de la question sur le Républicanisme et la Monarchie. Paris Juli 1791, in: Aux origines de la République (wie Anm. 243), Vol. 5, Nr. 21, 3-16, hier 13-16. 262 Vgl. Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 607-618. 263 „Car il y a bien difference de Testât, et du gouvernement: qui est une reigle de police qui n ' a point esté touchee de personne: car Testât peut estre en Monarchie, et neantmoins il sera gouverné populairement si le Prince fait part des estats, Magistrats, offices, et loyers également à tous sans avoir esgard à la noblesse, ni aux richesses, ni à la vertu. Il se peut faire aussi que la Monarchie sera gouvemee Aristocratiquement quand le prince ne donne les estats et benefices qu'aux nobles, ou bien au plus vertueux seulement, ou aux plus riches: aussi la seigneurie Aristocratique peut gouverner son estât populairement, distribuant les honneurs et loyers à tous les sujects également: ou bien Aristocratiquement, les distribuant aux nobles ou aux riches seulement: laquelle varieté de gouverner a mis en erreur ceux qui ont meslé les Republiques, sans prendre garde que Testât d'une Republique, est different du gouvernement, et administration d'icelle." Jean Bodin, Les six livres de la république (1576). Benutzt nach der Ausgabe Lyon 1593, Ndr. Paris 1986, Buch 2, Kap. 2, 34; lat. Fassung: „Illud enim admonendi sumus, Reipublicae statum ab imperandi ratione distare plurimum: quod antea, nemo, quantum intelligere potuimus, animadvertit. Nam Reipublicae status Regalis esse potest, gubernatio tarnen popularis futura est, si Rex omnia Imperia, sacerdotia, curationes, poenas item ac praemia omnibus ex aequo distribuât: si vero Princeps Imperia, honores, magistratus patriciis, vel divitibus, vel fortibus, vel studiosis tantum impertiat, regia potestas erit, et quidem simplex ac pura, sed Aristocratica ratione temperata. Ita quoque optimates pauci Rempublicam populari modo regere possunt, si cives omnes, omnium magistratuum participes fecerint: aut Aristocratice, si paucis quibusdam, qui aut virtute, aut censu aut nobilitate caeteris praestent: quae diversitas eos in errorem impulit qui Respublicas plures tribus, erroris opinione sibi finxerunt." Jean Bodin, De república libri sex. Paris 1586, Buch 2, Kap. 2, 189. Vgl. Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 571. 264 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795), in: ders., Werke in zehn Bänden. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Darmstadt 1971, Bd. 9, 191-251.

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(wie gemeiniglich geschieht) mit der demokratischen verwechsele", zwischen Beherrschungs- und Regierungsform. „Die Formen eines Staats (civitas)" so Kant - „können entweder nach dem Unterschiede der Personen, welche die oberste Staatsgewalt inne haben, oder nach der Regierungsart des Volks durch sein Oberhaupt, er mag sein welcher er wolle, eingeteilt werden; die erste heißt eigentlich die Form der Beherrschung (forma imperii), und es sind nur drei derselben möglich, wo nämlich entweder nur einer, oder einige unter sich verbunden, oder alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, die Herrschergewalt besitzen (Autokratie, Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt)." Von der Beherrschungsform - in unserer Sprache: vom Regiment - grenzte Kant die Regierungsform - in unserer Sprache: die Verfassung - ab und unterschied in dieser Hinsicht zwischen Republikanismus und Despotismus. „Die zweite [i.e. „Form eines Staats"] ist die Form der Regierung (forma regiminis), und betrifft die auf die Konstitution (den Akt des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder republikanisch oder despotisch. Der Republikanism ist das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; der Despotism ist das der eigenmächtigen Vollziehung des Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird." Gewaltenteilung bedinge Repräsentation: „Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person zugleich Vollstrecker seines Willens [...] sein kann." 265 Damit war zugleich das Verdikt über die (unmittelbare) Demokratie gefällt. 266 Halten wir fest: Republikanismus als geschichtlicher Begriff und als Gegenbegriff zu Despotismus gehört dem Zeitalter der Amerikanischen und der Französischen Revolution an. Republikanismus umgriff Gewaltenteilung, Repräsentativsystem (mit oder ohne einen Monarchen) und die Geltung universalistischer Rechte der Individuen. Das waren die drei Kernelemente der auf Schutz der Bürger vor Übergriffen der Staatsgewalt und auf Teilhabe der Bürger an der Handhabung der Staatsgewalt gerichteten, zugleich auf Bürgersinn gegründeten modernen Verfassung. Dieses mit Republikanismus umschriebene Verfassungsprogramm bezog nachdrücklich Distanz zur alteuro265

Ebd. 206 f. Zu der „Regierungsart", „wenn sie dem Rechtsbegriffe gemäß sein soll", gehört nach Kant „das repräsentative System, in welchem allein eine republikanische Regierungsart möglich, ohne welches sie [...] despotisch und gewalttätig ist. - Keine der alten sogenannten Republiken hat dieses gekannt, und sie mußten sich darüber auch schlechterdings in dem Despotism auflösen, der unter der Obergewalt eines Einzigen noch der erträglichste unter allen ist." Ebd. 208. 266

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päischen Regimentenlehre und belegte die herkömmlichen politischen Ordnungen Alteuropas, da nicht gewaltenteilig-repräsentativ, mit dem Verdikt des Despotismus.

2. Republikanismus als Ordnungsbegriff in der angelsächsischen Frühneuzeithistorie und in der deutschen Stadtgeschichtsschreibung

Republikanismus als geschichtswissenschaftlicher Ordnungsbegriff 267 tritt dem Beobachter erstmals 1939 entgegen. Das geschah in dem von Hans Baron 268 verfaßten programmatischen Aufsatz über „Calvinist Republicanism and its Historical Roots" 269 , in dem der Autor überdies eine eingehende Untersuchung zum Thema „Calvinist Republicanism. Its Origin and Place in History" 270 ankündigte - diese Studie ist freilich nie erschienen. Barons Artikel Schloß an seine bis in die 1920er Jahre zurückreichenden und in den 1930er Jahren fortgeführten Untersuchungen über die Wirkungen an, die nach seiner Überzeugung von der calvinistischen Staatsanschauung auf die Festigung des ständisches Rechts auf Widerstand gegen eine ungerechte Obrigkeit ausgegangen sind. Wie Baron in der 1924 erschienenen Druckfassung seiner Dissertation herausarbeitete271, bekannte sich Calvin zum „Ideal der aristokratischen Republik" 272 und trat für die „Übertragung des aristokratischen Staatsideals auf den ständischen Staat"273 ein. Der Genfer Reformator knüpfte dabei an Auffassungen an, so Baron, die Bucer in Straßburg entwickelt hatte, als diese 267 Nicht als theoretisch gehaltvolles Konzept, sondern als sprachliche Variante für „republican idea", „republican ideology", ,republican sentiment" findet sich der Ausdruck bereits bei Peter Richard Rohden, Art. „Republicanism", in: Encyclopaedia of the Social Sciences. Vol. 13. New York 1934, 317-321. 268 Zu Barons Werdegang und Oeuvre vgl. Riccardo Fubini, Renaissance Historian: The Career of Hans Baron, in: JModH 64, 1992, 541-574; vgl. auch Denys Hay, The Place of Hans Baron in Renaissance Historiography, in: Anthony Molho/John A. Tedeschi (Eds.), Renaissance. Studies in Honor of Hans Baron. (Biblioteca storica Sansoni, NS., Voi. 49.) Florenz 1971, 11-29; August Buck, Hans Baron's Contribution to the Literary History of the Renaissance, in: ebd. 31-58; Eugenio Garin, Le prime ricerche di Hans Baron sul Quattrocento e la loro influenza fra le due guerre, in: ebd. 59-70; vgl. ferner: John A. Tedeschi/Andrew W. Lewis, Bibliography of the Writings of Hans Baron, 1924-1969, in: ebd. 71-87. 269 Hans Baron, Calvinist Republicanism and its Historical Roots, in: Church History 8, 1939, 30-42. Ich danke Robert von Friedeburg, der mich auf diesen Aufsatz hingewiesen hat. 270 Ebd. 30 Anm. 1. 271 Vgl. Hans Baron, Calvins Staatsanschauung und das Konfessionelle Zeitalter. (HZ, Beih. 1.) Berlin/München 1924; vgl. dazu: ders., ,Christliches Naturrecht' und ,Ewiges Recht'. Eine Erwiderung, in: HZ 133, 1926,413-432. 272 Baron, Calvins Staatsanschauung (wie Anm. 271), Abschnitt: Staat und Volk - Das Ideal der aristokratischen Republik, 58-76. 273 Ebd. Unterabschnitt: Das Widerstandsrecht der .Volksbehörden' und die Übertragung des aristokratischen Staatsideals auf den ständischen Staat, 89—97.

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Stadt zusammen mit den übrigen protestantischen Reichsstädten gegen Karls V. Rekatholisierungspolitik vorging. 2 7 4 Vor diesem Hintergrund habe Bucer den magistratus

inferiores,

darunter den Reichsstädten, das Recht zum Wider-

stand gegen religiöse Bedrückung durch die Obrigkeit zuerkannt 2 7 5 und sei zu konstitutionellen, dem Ansatz nach republikanischen Ideen vorgedrungen 2 7 6 . Calvin und bald darauf die Monarchomachen hätten diese Ideen aufgriffen und zum „calvinistischen Republikanismus" fortentwickelt. 2 7 7 Wenn Baron die 1939 angekündigte Studie über den calvinistischen Republikanismus schuldig blieb, hing das fraglos damit zusammen, daß in den Vordergrund seines Interesses seit seiner erzwungenen Emigration aus N S Deutschland ein zweites Forschungsgebiet rückte, mit dem er sich ebenfalls bereits seit den 1920er Jahren beschäftigt hatte, nämlich die Entstehung der Bürgergesinnung in den italienischen Stadtstaaten der Frührenaissance. 2 7 8 In der Einleitung zu seiner 1928 erschienenen Edition von Schriften Leonardo Brunis hatte Baron die Hinwendung Florentiner Bürger zu ihrem Gemeinw e s e n herausgestellt und dafür den Ausdruck „politisch-bürgerlicher Humanismus" oder „Bürgerhumanismus" eingeführt. 2 7 9 Seine daran anknüpfenden Forschungen mündeten in eine breit angelegte Monographie ein, die 1955 274

Vgl. Hans Baron, Religion and Politics in the German Imperial Cities during the Reformation, in: EHR 52, 1937, 4 0 5 ^ 2 7 , 614-633. 275 Baron, Calvinist Republicanism (wie Anm. 269), 31 und 35-38. 276 „It was the consequence of his religious thought which drove him further along the path of constitutional and even republican ideas." Ebd. 37. „On the one hand, the existing monarchies were recognized, but interpreted as constitutional governments which legally guaranteed a half republican self-administration for the cities and estates. On the other hand, this interpretation was based on three religious claims: that God must remain the only absolute ruler on earth; that the place at the helm of the state must be accessible to those who should be elected by God; and that the three political institutions of the early Jewish state must be the model for all later times." Ebd. 40 Anm. 23. 277 Ebd. 38^12. 278 Vgl. dazu Hans Baron, The Course of My Studies in Florentine Humanism (1965), in: ders., In Search of Florentine Civic Humanism. Essays on the Transition from Medieval to Modem Thought. 2 Vols. Princeton, N. J. 1988, Vol. 2, 182-193. 279 Vgl. Leonardo Bruni Aretino, Humanistisch-philosophische Schriften mit einer Chronologie seiner Werke und Briefe. Hrsg. u. eri. v. Hans Baron. Leipzig/Berlin 1928, Ndr. Wiesbaden 1969. In seiner Einleitung, Abschnitt: Die Sonderstellung des Florentiner BUrgerhumanismus, 11-16, würdigte Baron den „politisch-bürgerlichen Humanismus" (ebd. XIV), oder „bodenständigen Bürger-Humanismus von Florenz" (ebd. XVI), das heißt einen Humanismus, der „wesentliche Züge der politischen Bürgerinteressen" angenommen habe (ebd. 15), und grenzte ihn vom „freien Literaten-Humanismus" (ebd. 16) ab. Baron verwendete den Ausdruck „Bürgerhumanismus" erstmals in seiner 1925 erschienenen Rezension (in: HZ 132, 1925, 136-141) der Schrift von Friedrich Engel-Jánosi über „Soziale Probleme der Renaissance" (1924). Baron stimmte hier Friedrich von Bezolds Urteil bei, „daß wenigstens der ältere Bürgerhumanismus von Florenz in der Zeit der Staatskanzler Salutati und Leonardo Bruni dem Ideale des stoisch aufgefaßten Römertums eine lebendige Liebe zur heimischen Respublica entnahm und daß auch dem übrigen Humanismus das Vorbild römischer Freistaatsherrlichkeit lange Zeit niemals verloren ging." Ebd. 139; vgl.dazu Fubini, Renaissance Historian (wie Anm. 268), 560.

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unter dem Titel „The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny" herauskam. 280 Baron erbrachte in diesem epochemachenden Werk den Nachweis, daß in Florenz das Leitbild des Bürgers, der aktiv am politischen Leben teilnimmt und darin seine Erfüllung findet, an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert zum Durchbruch gelangte. Das geschah Baron zufolge in einer ganz bestimmten geschichtlichen Lage, nämlich als sich der Mailänder Herzog Giangaleazzo Visconti anschickte, die Arnostadt zu erobern. Mochte auch der plötzliche Tod des Gewaltherrschers Florenz vor dem Verlust der Eigenständigkeit bewahrt haben - die Wirkung der Krise war nach Barons Urteil nachhaltig. Die Bedrohung durch einen auswärtigen Machthaber habe den Florentiner Humanisten die Einzigartigkeit und zugleich die Gefährdung der republikanischen Ordnung ihrer Stadt vor Augen geführt. Sie zogen daraus die Lehre, so Baron, daß ein republikanisches Gemeinwesen nur dann Bestand habe, wenn es auf Bürgersinn gegründet sei, und verkündeten in ihren Schriften das Ideal der Bürgertugend, allen voran Coluccio Salutati und Leonardo Bruni, beide Kanzler der Republik. Sie priesen Florenz als Verkörperung der Bürgerfreiheit und orientierten sich in der „Laus Florentinae urbis" - so der Titel einer Lobesrede Leonardo Brunis auf die Arnostadt281 - an der römischen Republik nach dem verklärenden Bild, das ihnen Ciceros Schriften darboten. Wie bereits 1928 bezeichnete Baron erneut 1955 in seiner Studie über die Krise der italienischen Frührenaissance die Hinwendung des Bürgers zur vita activa im Dienst des Gemeinwesens als „Bürgerhumanismus" (civic humanism) und führte nun dafür nunmehr auch den Terminus „Republikanismus"282 oder „gemeindlicher Republikanismus" (communal republicanism)283 ein. Baron erblickte zwischen den von ihm herausgearbeiteten beiden Spielarten des Republikanismus, der calvinistischen und der humanistischen, einen inneren Zusammenhang. Das war bereits in seiner Untersuchung über Calvins Staatsanschauung der Fall gewesen, freilich noch ohne Rückgriff auf den Ausdruck „Republikanismus". Humanismus und Calvinismus standen ihm

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Hans Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny. 2 Vols. Princeton, N. J. 1955; gekürzte 2. Aufl. ebd. 1966. Ergänzend erschien gleichzeitig: ders.. Humanistic and Political Literature in Florence and Venice at the Beginning of the Quattrocento. Studies in Criticism and Chronologie. Cambridge, Mass. 1955. vgl. ferner die Aufsatzsammlungen: ders., From Petrarch to Leonardo Bruni: Studies in Humanistic and Political Literature. Chicago 1968; ders., In Search of Florentine Civic Humanism (wie Anm. 278). 281 Vgl. die Edition durch Baron, From Petrarch to Leonardo Bruni (wie Anm. 280), 217-263 (Einführung: 219-231, Text: 232-263), abgefaßt 1403/04; zum Datum: Baron, Crisis of the Early Italian Renaissance, 2. Aufl. (wie Anm. 280), 225. 282 Vgl. Baron, Crisis of the Early Italian Renaissance (wie Anm. 280), Abschnitt: Republicanism Versus Dante's Glorification of Caesar, 1. Aufl., 38^13; 2. Aufl., 48-54. 283 Ebd. 1. Aufl., 46; 2. Aufl., 57.

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damals für die „Wiedererneuerung des politischen Menschentums"284 an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit: der Humanismus für die „Wiedererneuerung antiken Geistes" 285 , in Sonderheit für „die Wiedergeburt römischer Staatsgesinnung in der Renaissance"286, der Calvinismus für „die religiöse Staatsbejahung"287. In der Abwägung zwischen diesen beiden geschichtlichen Kräften maß er in seinen Schriften der 1920er und 1930er Jahre dem Calvinismus größere Bedeutung als dem Humanismus bei. Die Renaissance sei „viel zu sehr die Blüte eines Augenblicks" gewesen, „die welkte, eh' sie ganz vollendet war, als daß sie Macht besessen hätte, aus eigener Kraft die abendländische Welt im Innersten neu zu gestalten".288 Das habe vielmehr erst der „individualistisch-freiheitliche Geist" des Calvinismus bewirkt, der „in das ganze breite Leben des sozialen und staatlichen Daseins" eingeströmt sei. 289 In dem Aufsatz von 1939 über den calvinistischen Republikanismus griff Baron diese Bewertungen auf und bekräftigte die These, daß die „civic initiative and regional independence"290 der italienischen Stadtstaaten dem fürstlichen Zentralstaat erlegen seien. „The city-state of the Italian Renaissance had been doomed in the end."291 Wenn dem Absolutismus nicht der volle Sieg glückte und konstitutionelle und sogar republikanische Ideen vorankamen, sei das nicht zuletzt dem Calvinismus zu verdanken.292

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Baron, Calvins Staatsanschauung (wie Anm. 272), 103. Ebd. 101. 286 Ebd. 103. 287 Ebd. „Lange Jahrhunderte hindurch hatten stoisches und evangelisches Ideal in gleicher Weise den Menschen vom Staate fortgeführt und auf die Bildung der Persönlichkeit allein verwiesen. Auch von Luthers religiösem Individualismus aus hatte sich noch kein direkter Weg zu einem weltlichen eröffnet. Es mußte sich erst ein völliger Umschwung des geistigen Lebens vollziehen, bevor der Staat im Leben des modernen Menschen wieder wie einst in der griechischen und römischen Antike eine entscheidende geistige Bedeutung und kulturelle Allmacht gewinnen konnte. Die Wiedergeburt römischer Staatsgesinnung in der Renaissance und die religiöse Staatsbejahung des Calvinismus haben zusammengewirkt zu dieser Wiedererneuerung des politischen Menschentums." Ebd. 102f. 288 Ebd. 101. 289 Ebd. 102. 290 Baron, Calvinist Republicanism (wie Anm. 269), 34. 291 Ebd. 292 „Calvinist political thought helped more than any other tendency of the time to prevent a full victory of absolutism, and to prepare the way for constitutional and even republican ideas. However embarrassing at first sight, this fact loses its puzzling character at once when we discover the support for a republican attitude, which Calvinism was able to draw from that half political and half religious school of thought which we have tried to trace from the Strassburg city-state. All the Calvinist thinkers down to the end of the sixteenth century interpreted the existing European monarchies as half-constitutional states or even semi-republics in which the estates were the legally appointed guardians of the laws, and every minor authority responsible to Gold for the defence of its special,Sparta'. All these Calvinist writers and politicians [...] felt certain that the final sentence on the hereditary monarchy had been passed as an inevitable consequence of the enduring sovereignty of 285

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Von dem skeptischen Urteil über die langfristige Kulturbedeutung des Bürgerhumanismus rückte Baron 1955 ab. Seitdem erachtete er den Florentiner Bürgerhumanismus und Republikanismus als eine Hervorbringung, die nicht mit der Arnorepublik 1530 untergegangen sei, sondern als Vermächtnis der italienischen Renaissance eine bleibende Wirkung entfaltet habe. Das geschichtswissenschaftliche Ordnungskonzept des Republikanismus, das Baron 1939 in die Debatte um die Wurzeln des auf Freiheitssicherung und Bürgerbeteiligung gerichteten neuzeitlichen Verfassungsdenkens einführte, hat alsbald Schule gemacht. Den Ausgangspunkt bildete die 1945 erschienene Studie von Zera S. Fink über die „klassischen Republikaner" im Zeitalter der Puritanischen Revolution. 293 Fink erörterte unter Republikanismus die gegen die Stuarts gerichteten freiheitssichernden Verfassungsvorstellungen, die während des englischen Bürgerkriegs seit 1640 entwickelt und nach der Restauration der Stuarts vor dem Hintergrund der Exclusion Crisis der Jahre 1679-1681 weiter entfaltet wurden, darunter an vorderster Stelle die Lehre vom „Mischregiment" (mixed government) aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Bestandteilen als Gewähr der Freiheit und der Langlebigkeit des Gemeinwesens. Fink wies nach, daß sich die Autoren, die für das Mischregiment eintraten, einerseits an der zeitgenössischen Republik Venedig, andererseits und vor allem am antiken Sparta und an der antiken römischen Republik orientierten (wobei sie das monarchische Element in Venedig durch die Dogen, in Sparta durch die Könige, in Rom durch die Konsuln verkörpert sahen) - deshalb die Charakterisierung solcher Anschauungen als „klassischer Republikanismus" oder „antiker Republikanismus" („classical, antique republicanism"). In ihrer 1959 erschienenen Untersuchung über die politischen Ideen der sogenannten Real Whigs wies Caroline Robbins die fortdauernde Wirksamkeit solcher Anschauungen in England zwischen der Restauration der Stuarts und dem Beginn des Krieges mit den amerikanischen Kolonien nach. 294 Die an Finks und Robbins' Arbeiten anknüpfende Studie von Bernard Bailyn aus dem Jahre 1967 über die ideologischen Wurzeln der Amerikanischen Revolution 295 unterstrich den Einfluß, der von diesen Ideen

God, and that, if only for these religious reasons, no other monarchy could be agreeable to God than the one which limited the power of the ruler through a binding law." Ebd. 41. 293 Zera S. Fink, The Classical Republicans. An Essay in the Recovery of a Pattern of Thought in Seventeenth Century England. 2. Aufl. Evanston, 111. 1962 (ursprünglich 1945). 294 Caroline Robbins, The Eighteenth-Century Commonwealthman. Studies in the Transmission, Development and Circumstance of English Liberal Thought from the Restoration of Charles II until the War with the Thirteen Colonies. 2. Aufl. Cambridge, Mass. 1961 (ursprünglich 1959). 295 Bernard Bailyn, The Ideological Origins of the American Revolution. Cambridge, Mass. 1967; vgl. bereits vorher ders., General Introduction. The Transforming Radicalism of the American Revolution, in: ders. (Ed.), Pamphlets of the American Revolution. 1750-1776. Vol. 1: 1750-1765. Cambridge, Mass. 1965, 1-202.

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in der Neuen Welt ausging. Anders als Fink mieden Robbins und Bailyn den Ausdruck Republikanismus. Das hing damit zusammen, daß sie, ähnlich w i e bereits Fink, nicht so sehr auf die humanistische Bürgerethik als vielmehr auf die Wirksamkeit freiheitssichernder, „liberaler" Institutionen abhoben. Immerhin ist Bailyn die Einsicht zu verdanken, daß in Nordamerika ein sozialethischer Diskurs gepflegt wurde, der um den Gegensatz von „virtue" und „corruption" kreiste und dabei das „Erbe der klassische Antike" einbezog 2 9 6 ; Bailyn maß dem freilich nur eine begrenzte Bedeutung bei 2 9 7 . Zur Einbürgerung des Republikanismuskonzepts in der nordamerikanischen Geschichtsschreibung trug die 1969 erschienene Untersuchung von Gordon S. Wood über die Entstehung der Amerikanischen Republik wesentlich bei. 2 9 8 Wood arbeitete heraus, daß die Amerikanische Revolution vor allem während ihrer ersten Phase im Zeichen des egalitären Bürgerhumanismus und klassischen Republikanismus gestanden habe, bevor dann mit der Bundesverfassung von 1787 der politische Vorrang von Notabein (the better sort of people, the worthy) und der Ausgleich von Interessen an die Stelle der Tugend getreten seien. A n diesem Punkt setzte die 1975 erschienene Studie von John G. A. Pocock über das Florentiner politische Denken im Zeitalter Machiavellis und die atlantische republikanische Tradition ein. 2 9 9 Pocock machte sich Barons Hoch296

„Most conspicuous in the writings of the Revolutionary period was the heritage of classical antiquity. Knowledge of classical authors was universal among colonists with any degree of education, and references to them and their works abound in the literature." Bailyn, Ideological Origins (wie Anm. 295), 23 f.; die Kolonisten „saw their own provincial virtues - rustic and old-fashioned, sturdy and effective - challenged by the corruption at the center of power, by the threat of tyranny, and by a constitution gone wrong. They found their ideal selves, and to some extent their voices, in Brutus, in Cassius, and in Cicero [...] They were simple, stoical Catos, desperate, self-sacrificing Brutuses, silvertongued Ciceros, and terse, sardonic Tacituses eulogizing Teutonic freedom and denouncing the decadence of Rome." Ebd. 26. 297 „The classics of the ancient world are everywhere in the literature of the Revolution, but they are everywhere illustrative, not determinative, of thought. They contributed a vivid vocabulary but not the logic or grammar of thought, a universally respected personification but not the source of political and social beliefs." Ebd. 26. 298 Gordon S. Wood, The Creation of the American Republic, 1776-1787. Chapel Hill 1969. 299 John G. A. Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition. Princeton, N. J. 1975; dazu ders., The Machiavellian Moment Revisited: A Study in History and Ideology, in: JModH 53, 1981, 49-72; vgl. ferner ders., Politics, Language and Time. Essays on Political Thought and History. London 1971; ders., Virtue, Commerce and History. Essays on Political Thought and History, Chiefly in the Eighteenth Century. (Ideas in Context, Vol. 2.) Cambridge 1985; ders., States, Republics, and Empires: The American Founding in Early Modern Perspective, in: Terence Ball/John G. A. Pocock (Eds.), Conceptual Change and the Constitution. Kansas 1988, 55-77; dersVGordon J. Schocket, Interregnum and Restoration, in: John G. A. Pocock (Ed.), The Varieties of British Political Thought, 1500-1800. Cambridge 1993, 146-179; ders., Political Thought in the English-speaking Atlantic, 1760-1790, I:

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Schätzung des Florentiner Bürgerhumanismus zu eigen und legte dar, daß in den Schriften Machiavellis und Guicciardinis, auch Giannottis und Contarinis die politische Ethik der „virtù" und des „vivere civile" einen wirkungsmächtigen und folgenreichen Ausdruck gefunden habe. Nach Amerika sei deren Republikanismus durch James Harringtons Hauptwerk „The Commonwealth of Oceana" (1656) und vor allem durch die von Pocock als „Neo-Harringtonianer" getauften Commonwealthmen des späten 17. und 18. Jahrhunderts gelangt. So wie diese die Tugend (virtue) der Country-Partei der Verderbtheit (corruption) der Court-Partei und des Handels (commerce) entgegenstellten, so die Wortführer der Revolution die tugendhafte Neue Welt dem korrumpierten Mutterland. Nach diesem Republikanismuskonzept kämpften die amerikanischen Revolutionäre nicht so sehr um die Sicherung der Freiheit im Sinne der sich auf John Locke berufenden „liberalen" Verfassungslehre300 als vielmehr um die Erhaltung der Bürgertugend. Bei Pocock und seiner Schule geriet Republikanismus insofern zum Gegenbegriff zu Liberalismus. Republikanismus in der von Wood und Pocock propagierten Begriffsfüllung ist in der jüngeren nordamerikanischen Geschichtsschreibung ein geradezu inflationäres Konzept geworden. 301 Es werden freilich Bedenken angemeldet. Die Forschung spricht sich zunehmend dafür aus, daß in der Amerikanischen Revolution Liberalismus und Republikanismus im Sinne eines „liberal republicanism" (Garrett Ward Sheldon) Hand in Hand gegangen seien. 302 Republikanismus als geschichtswissenschaftlicher Ordnungsbegriff findet inzwischen auch in der englischen Geschichtsschreibung eine breite Verwendung, und zwar in erster Linie um das seit der Puritanischen und der GlorreiThe Imperial Crisis. II: Empire, Revolution and the End of Early Modernity, in: ebd. 246-317, sowie die Einführungen Pococks zu: James Harrington, The Political Works of James Harrington. Ed. by John G. A. Pocock. Cambridge 1977, 1-152; ders., The Commonwealth of Oceana and A System of Politics. Ed. by John G. A. Pocock. Cambridge 1992, 7-24. Zu Pococks Oeuvre vgl. Werner Sewing, John G. A. Pocock und die Wiederentdeckung der republikanischen Tradition, in: John G. A. Pocock, Die andere Bürgergesellschaft. Zur Dialektik von Tugend und Korruption. Aus d. Engl. v. Klaus Blocher. Frankfurt am Main/New York 1993, 7-32. 300 Vgl. Louis B. Hartz, The Liberal Tradition in America: An Interpretation of American Political Thought since the Revolution. New York 1955. 301 Zur „Karriere" von Republikanismus in Nordamerika vgl. Daniel T. Rodgers, Republicanism: the Career of a Concept, in: JAmH 79, 1992, 11-38; vgl. bereits: Robert E. Shalhope, Toward a Republican Synthesis: The Emergence of an Understanding of Republicanism in American Historiography, in: William and Mary Quarterly 3rd Ser., 29, 1972, 49-80. Von deutscher Seite vgl. Paul Nolte, Bürgerideal, Gemeinde und Republik. .Klassischer Republikanismus' im frühen deutschen Liberalismus, in: HZ 254, 1992, 609-656. 302 Garrett Ward Sheldon, The Political Philosophy of Thomas Jefferson. Baltimore/London 1991, 170. Sheldon stützt sein Urteil insbesondere auf Michael Lienesch, New Order of the Ages. Time, the Constitution, and the Making of Modern Thought. Princeton, N. J. 1988, und Thomas L. Pangle, The Spirit of Modern Republicanism. The Moral Vision of the American Founders and the Philosophy of Locke. Chicago/London 1988.

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chen Revolution propagierte freiheitssichernde Mischregiment zu umschreiben. 303 Zu beachten ist, daß in England nur ausnahmsweise die Forderung nach Abschaffung der Monarchie erhoben wurde. Individuelle und politische Freiheit schienen durchaus mit dem Fortbestand des Königtums vereinbar. Das veranlaßte Quentin Skinner in seinem 1998 erschienenen Essay über „Freiheit vor dem Liberalismus", in dem er die auf Bürgerhumanismus gegründeten Verfassungsauffassungen im England des 17. und 18. Jahrhunderts analysierte, zu dem Vorschlag, den Republikanismusbegriff aufzugeben und statt dessen von der „neo-roman theory of free states" zu sprechen.304 Ein solcher terminologischer Purismus ist freilich nicht zwingend, solange deutlich bleibt, daß sich der geschichtswissenschaftliche Ordnungsbegriff „Republikanismus" nicht mit dem vorne erläuterten Quellenbegriff „Republikanismus" deckt - ganz abgesehen davon, daß Republikanismus als Quellenbegriff zumindest bei Brissot, Sieyès und Kant durchaus mit der (konstitutionellen oder parlamentarischen) Monarchie vereinbar blieb. Halten wir fest: Republikanismus als geschichtswissenschaftlicher Ordnungsbegriff wurde zunächst von Hans Baron und dann vor allem von der angelsächsischen Geschichtswissenschaft in die Fachsprache der Historiker eingeführt, um vormoderne Wurzeln des modernen Republikanismus, desjenigen der Amerikanischen und der Französischen Revolution, herauszustellen und in ihrer Bedeutung zu würdigen. Es ging um die Ergründung eines „Republikanismus vor dem Republikanismus". In diesem Unterfangen hat sich der geschichtswissenschaftliche Ordnungsbegriff des Republikanismus als außerordentlich fruchtbar erwiesen. Das ermunterte dazu, auch anderswo als in Nordamerika, in England und im italienischen Bürgerhumanismus nach einem „Republikanismus vor dem Republikanismus" Ausschau zu halten: sei es in der Schweiz, sei es in den Niederlanden, sei es nicht zuletzt im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Städtekosmos. Damit gelangen wir zur Rezeption von Republikanismus als geschichtswissenschaftlichem Ordnungsbegriff durch die deutsche Stadtgeschichtsschreibung. Zunächst ist Peter Blickle zu nennen. Der Autor führte in seinem 1981 303

Zu dieser Verwendung von Republikanismus vgl. vor allem: Blair Worden, English Republicanism, in: J. H. Bums/Mark Goldie (Eds.), The Cambridge History of Political Thought, 1450-1700. Cambridge 1991, 443-475; Nicholas Phillipson/Quentin Skinner (Eds.), Political Discourse in Early Modern Britain. Cambridge 1993; David Wootton (Ed.), Republicanism, Liberty, and Commercial Society, 1649-1776. Stanford, Cal. 1994; David Armitage/Armand Himy/Quentin Skinner (Eds.), Milton and Republicanism. (Ideas in Concept, Vol. 35.) Cambridge 1995. Zur Verwendung von Republikanismus als Konzept der politischen Philosophie vgl. Philip Pettit, Republicanism. A Theory of Freedom and Government. Oxford 1997. 304 Quentin Skinner, Liberty before Liberalism. Cambridge 1998; vgl. Kap. 1, überschrieben mit „The neo-roman theory of free states". Zur „Verabschiedung" von „republicanism in the strict sense", nämlich „of opposing the institution of monarchy", vgl. dort 11 Anm. 31, 21 f. Anm. 65, 54 Anm. 174, 55 Anm. 176 u. 177.

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publizierten Essay „Deutsche Untertanen"305 Kommunalismus als geschichtswissenschaftlichen Ordnungsbegriff in die Auseinandersetzung um die politische Rolle des Gemeinen Mannes im vormodernen Europa ein und zog zugleich Verbindungen zum Republikanismus. Wurden in der DDR-Forschung Bürger und Bauern zu Akteuren einer vermeintlichen frühbürgerlichen Revolution aufgewertet, gerieten die Bauern bei Blickle in einer Perspektive der longue durée zum Träger nicht nur der dörflichen Selbstverwaltung, sondern vor allem auch landschaftlicher und landständischer Einrichtungen. Blickles ausgesprochener Vorsatz war es und ist es geblieben 306 , den gemeinen Mann, speziell den Bauern, als „Subjekt der Geschichte"307 zu würdigen, und den von Bauern getragenen Institutionen als Alternative und Widerpart zum feudalen und fürstlichen Regiment die gebührende Beachtung zu verschaffen. In dieser Blickrichtung wandte sich Blickle auch der Schweizer Eidgenossenschaft zu, um an ihrem Beispiel das freiheitliche Potential kommunal-bündischer Verbands- und Staatsbildung nachzuweisen. 308 Festzuhalten bleibt freilich, daß sich das Schweizer Modell nicht auf das Reich übertragen ließ. 309 Außerdem blieb der Entfaltungsspielraum des Kommunalismus an Bedingungen geknüpft, die im wesentlichen nur in Oberdeutschland und in den Alpenländern erfüllt waren. Das hing damit zusammen, daß hier der fürstliche „Territorialismus" früh ins Stocken geraten oder gänzlich gescheitert war.310 305

Peter Blickle, Deutsche Untertanen. Ein Widerspruch. München 1981. 306 vgl. die neueren von Blickle herausgegebenen Sammelwerke, in denen zugleich die einschlägigen älteren Arbeiten des Autors nachgewiesen sind: Peter Blickle (Hrsg.), Landgemeinde und Stadtgemeinde in Mitteleuropa. Ein struktureller Vergleich. München 1991, mit dem von Blickle verfaßten Beitrag „Kommunalismus. Begriffsbildung in heuristischer Absicht", in: ebd. 5-38; vgl. auch den von André Holenstein, Beat Kiimin, Andreas Wiirgler abgefaßten „Diskussionsbericht" über das Kommunalismuskonzept, in: ebd. 489-505; Peter Blickle (Ed.), Resistance, Representation, and Community. (The Origins of the Modern State in Europe, E.) Oxford 1997 mit Blickles „Conclusions", 325-338; ders. (Hrsg), Gemeinde und Staat im Alten Europa, (HZ, Beihefte, NF., Bd. 25.) München 1998, mit Blickles „Einführung. Mit den Gemeinden Staat machen", 1-20. Vgl. auch ders., Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800. (Enzklopädie deutscher Geschichte, Bd. 1.) München 1988. 307 Blickle, Deutsche Untertanen (wie Anm. 305), 142. 308 vgl. die entsprechenden Abschnitte in: Blickle, Deutsche Untertanen (wie Anm. 305); ders., Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil. München 1985; ders., Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, in: HZ 242, 1986, 529-556; ders., Kommunalismus und Republikanismus in Oberdeutschland, in: Helmut G. Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 11.) München 1988, 57-75. 309 Vgl. Thomas A. Brady Jr., Turning Swiss. Cities and Empire, 1450-1550. Cambridge 1985. 310 Volker Press, Kommunalismus oder Territorialismus? Bemerkungen zur Ausbildung des frühmodernen Staates in Mitteleuropa, in: Heiner Timmermann (Hrsg.), Die Bildung des frühmodemen Staates - Stände und Konfessionen. (Forum: Politik, Bd. 6.) Saarbrükken 1989, 109-135.

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Innerhalb seines Beobachtungsrahmens hat das Kommunalismus-Konzept seine forschungsanleitende Fruchtbarkeit nachhaltig unter Beweis gestellt. Eine andere Frage ist indessen die, inwieweit vom Kommunalismus ein Weg zum Parlamentarismus und zum modernen Republikanismus führt. Ausgehend von der These, daß der Kommunalismus „das Modell der republikanischen Staatsform in nuce in sich trug"311, hat Blickle solche Verbindungslinien gezogen 312 , ohne daraus eine rigide Ablauftypologie abzuleiten.313 Es soll darauf, wie auch auf die Kritik am Kommunalismuskonzept314, nicht weiter eingegangen werden, da wir uns auf die Stadt konzentrieren, die am Rande von Blickles Forschungsinteresse blieb. Den entscheidenden Anstoß für die Aufnahme des angelsächsischen Republikanismuskonzepts durch die deutsche Stadtgeschichtsschreibung gab eine Tagung, die Helmut G. Koenigsberger im Mai 1985 am Historischen Kolleg in München zum Thema „Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit" abhielt.315 Peter Blickle brachte dort seine Forschungen zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kommunalismus in einen genetischen Zusammenhang mit dem modernen Republikanismus. Wichtiger für unseren Zusammenhang ist, daß auf dieser Tagung Heinz Schilling in einem wegweisenden Vortrag über die politische Kultur des alteuropäischen Stadtbürgertums seine stadtgeschichtlichen Arbeiten unter das Konzept des städtischen Republikanismus brachte.316 Damit haben wir es hier zu tun. Seit jener Tagung hat Schilling das Thema des städtischen Republikanismus oder Stadtrepublikanismus in zahlreichen weiteren Publikationen vertieft. 317 Der Aus311

Blickle, Deutsche Untertanen (wie Anm. 305), 139. Vgl. Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus (wie Anm. 308); ders., Kommunalismus und Republikanismus in Oberdeutschland (wie Anm. 308). 313 Blickle, Kommunalismus. Begriffsbildung in heuristischer Absicht (wie Anm. 306). 314 Vgl. außer Press, Kommunalismus oder Territorialismus? (wie Anm. 310), vor allem Robert von Friedeburg,,Kommunalismus' und .Republikanismus' in der frühen Neuzeit? Überlegungen zur politischen Mobilisierung sozial differenzierter ländlicher Gemeinden unter agrar- und sozialhistorischem Blickwinkel, in: ZHF 21, 1994, 65-91; siehe auch Blickles Replik: Peter Blickle, Begriffsverfremdung. Über den Umgang mit dem wissenschaftlichen Ordnungsbegriff Kommunalismus, in: ZHF 22,1995, 246-253. 315 Vgl. Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus (wie Anm. 308). 316 Heinz Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen .Republikanismus'? Zur politischen Kultur des alteuropäischen Stadtbürgertums, in: Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus (wie Anm. 308), 101-143. 317 Als die wichtigsten seien genannt: Heinz Schilling, Calvinismus und Freiheitsrechte. Die politisch-theologische Pamphletistik der ostfriesisch-groningischen ,Patriotenpartei' und die politische Kultur in Deutschland und in den Niederlanden, in: Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden 102, 1987, 403-434; ders., Stadt und frühmoderner Territorialstaat: Stadtrepublikanismus versus Fürstensouveränität. Die politische Kultur des deutschen Stadtbürgertums in der Konfrontation mit dem frühmodernen Staatsprinzip, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt. (Städteforschung, Rh. A: Darstellungen, Bd. 31.) Köln/Wien 312

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druck „städtischer Republikanismus" oder „Stadtrepublikanismus" zielt auf die Aufwertung der städtischen Bürger und ihrer politischen Kultur im Zeitalter des fürstlichen Obrigkeitsstaates. Hatte Gierke den Niedergang der Bürgergemeinde seit dem 15. Jahrhundert beklagt, so setzte Schilling dem die These entgegen, daß die während der frühen Neuzeit allenthalben zu beobachtenden Widerstandshandlungen der Bürger gegen die Anmaßungen des Rats von einer politischen Kultur zeugten, die dem gemeindlich-genossenschaftlichen Ordnungsmodell verpflichtet geblieben sei und insofern als Ausweis von Republikanismus gelten könne. Das lief - zumindest was das stadtbürgerliche Freiheitsverständnis anbetrifft - auf die Revision von Gierkes abschätzigem Urteil über die frühneuzeitliche deutsche Stadt hinaus. Nach Schilling zeichnen den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadtrepublikanismus vier Strukturmerkmale aus. Das waren, erstens, „das Vorhandensein persönlicher ,Grund- und Freiheitsrechte'" 318 wie zum Beispiel „der Schutz der Bürger gegen willkürliche Verhaftungen"319 und „das Recht auf freie und ungeschmälerte Verfügung über den Besitz" 320 ; zweitens, „die Vorstellung von der im Bürgereid fundierten Teilhabe aller an den Lasten und Pflichten"321; drittens, „der Anspruch des genossenschaftlichen Bürgerverbandes auf Beteiligung an der politischen Gewalt" 322 im Sinne einer „Teilhabe des Bürgerverbandes an der Bestimmung des .Gemeinen Besten'" oder doch der „Kontrolle darüber" 323 - und zwar nach Maßgabe des „Grundprinzips, das sich aus der mittelalterlichen Norm entwickelt hatte, derzufolge alle Grundsatzentscheidungen von der Bürgergemeinde mitzutragen waren" 324 ; viertens, „die oligarchisch-egalitäre Struktur der stadtbürgerlichen Politikelite"325. Oligarchisch sei die Politikelite gewesen, weil sich der Rat 1991, 19-39; ders., Die ,Emder Revolution' als europäisches Ereignis, in: Hajo van Lengen (Hrsg.), Die ,Emder Revolution' von 1595. Kolloquium der Ostfriesland-Stiftung vom 17. März 1995 zu Emden. Aurich 1995, 113-136; vgl. auch ders., Die Stadt in der frühen Neuzeit. (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 24.) München 1993, insbes. 87-93, und in gesamteuropäischer Perspektive ders., Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten, 1250-1750. (Siedler-Geschichte Europas.) Berlin 1999, Abschnitt: Städte, Universitäten und Staaten - Kräfte politischer Verdichtung und rationaler Umgestaltung des Lebens, 345-381. Zum niederländischen „Republikanismus" vgl. ders., Der libertär-radikale Republikanismus der holländischen Regenten. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Radikalismus in der frühen Neuzeit, in: GG 10, 1984, 498-533; ders., Dutch Republicanism in its Historical Context, in: ders., Religion, Political Culture and the Emergence of Early Modern Society. Essays in German and Dutch History. (Studies in Medieval and Reformation Thought, Vol. 50.) Leiden 1992, 4 1 3 ^ 2 7 . 318 Schilling, Städtischer Republikanismus (wie Anm. 316), 103. 319 Ebd. 104. 320 Ebd. 105. 321 Ebd. 107. 322 Ebd. 103. 323 Schilling, Stadt und frühmoderner Territorialstaat (wie Anm. 317), 37. 324 Ebd. 325 Schilling, Städtischer Republikanismus (wie Anm. 316), 103.

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nur aus ratsfáhigen Familien rekrutierte, und egalitär, weil die Ratsherren als Kollegen untereinander gleichrangig waren 326 und die „Einpersonenherrschaft" radikal ablehnten 327 . Schillings Konzept des deutschen Stadtrepublikanismus ist schulbildend geworden und schlug sich rasch in der Titelgebung einschlägiger Untersuchungen nieder. Hingewiesen sei beispielsweise auf die 1989 erschienene Studie von Hartmut Zückert über den „Republikanismus in der Reichsstadt des 18. Jahrhunderts" 328 oder auf den 1993 publizierten Aufsatz von Rolf Kießling zum Thema „Städtischer Republikanismus" in Oberschwaben 329 , oder auch auf den jüngst von Peter Blickle publizierten Tagungsband über „Verborgene republikanische Traditionen in Oberschwaben", wo Republikanismus im Titel mehrerer Beiträge erscheint. 330 Die Frage bleibt, inwieweit in der frühneuzeitlichen deutschen Stadt ein „Republikanismus vor dem Republikanismus" im Sinne der angelsächsischen Begriffsbildung erkennbar wird, inwieweit also erste Schritte auf dem Weg zur Geltungskraft universalistischer Individualrechte, zur Ausbildung einer auf Gewaltenteilung und mandatsmäßige Repräsentation abhebenden Verfassungslehre und zur Wirksamkeit eines an der klassischen Antike orientierten Stadtpatriotismus auszumachen sind. Das läßt sich m.E. kaum vor dem ausgehenden 18. Jahrhundert in nennenswertem Umfang beobachten. Es gab in der vormodernen Stadt keine universalistisch gefaßten Freiheitsrechte, keine Gewaltenteilung im Sinne der Abgrenzung zwischen vollziehender, gesetzgebender und richterlicher Gewalt, keine auf Mandat beruhenden Repräsentativkörperschaften, am ehesten noch Ansätze zur Ausbildung einer Bürgergesinnung nach Art des von Hans Baron in Oberitalien beobachteten Bürgerhumanismus. Insofern lassen sich nur spärliche Elemente eines „Republikanismus vor dem Republikanismus" ausmachen. Die Rede vom Republikanismus in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt scheint mir geeignet, deren institutionelle Verhältnisse und politische Kultur „moderner" erscheinen zu lassen, als sie es waren. Dieser Bewertung entspricht das Urteil der Verfechter des Republikanismus im Zeitalter der Amerikanischen und Französischen Revolution. Sie bezogen, wie erläutert, entschieden Distanz

326

Vgl. ebd. 120 f. Ebd. 141. 328 Hartmut Zückert, Republikanismus in der Reichsstadt des 18. Jahrhundert, in: Aufklärung 4, 1989, 53-74. 329 Rolf Kießling, Städtischer Republikanismus. Regimentsformen des Bürgertums in oberschwäbischen Stadtstaaten im ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Frühneuzeit, in: Peter Blickle (Hrsg.), Politische Kultur in Oberschwaben. Tübingen 1993, 175-205. 330 Peter Blickle (Hrsg.), Verborgene republikanische Traditionen in Oberschwaben. (Oberschwaben - Geschichte und Kultur, Bd. 4.) Tübingen 1998; vgl. dort die Artikel von Rolf Kießling, Jörg Rogge und Peer Frieß. 327

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zum herkömmlichen politischen Regiment und waren geneigt, die überkommenen politischen Ordnungen, da nicht gewaltenteilig-repräsentativ, mit dem Verdikt des Despotismus zu belegen. Ein solcher Bannstrahl traf nicht nur die Fürstenstaaten - vor allem dann, wenn der Monarch außer der Gesetzgebung und Regierung auch die Rechtsprechung in seiner Hand vereinigte - , sondern auch die zeitgenössischen Republiken. Montesquieu zögerte nicht, die italienischen Stadtrepubliken seiner Zeit in die Nähe der türkischen Despotie zu rücken, da sie, anders als die gemäßigten Monarchien, keine unabhängige Rechtsprechung kennten.331

IV. Genossenschaft bei Karl Ludwig von Haller Als theoretisch gehaltvolles Konzept läßt sich Genossenschaft bereits zwei Jahrzehnte vor Beselers Pilotstudie „Volksrecht und Juristenrecht" beobachten, nämlich in dem 1825 unter dem Titel „Von den Republiken oder freien Kommunitäten" herausgekommenen sechsten Band 332 des zwischen 1816 und 1834 erschienenen Hauptwerkes „Restauration der Staatswissenschaft" 333 des Berner Patriziers und Staatswissenschaftlers Karl Ludwig von Haller 334 . Anders als die Verfechter eines deutschen Stadtrepublikanismus zielte Haller nicht auf die Vor- und Entstehungsgeschichte des modernen Republikanismus, desjenigen der Amerikanischen und der Französischen Revolution, sondern stellte gleichsam das politische Vermächtnis des Schweizer Ancien Régime an die Nachwelt - und damit nicht zuletzt an die Historiker dar. Anders als Gierke verkürzte er die Betrachtung des politischen Aufbaus der Schweizer Republiken nicht auf die rechtliche Dimension, sondern ließ die politische Ordnung aus der ständischen hervorgehen. Sein Republik- und Genossenschaftskonzept übertrifft darin Gierkes Körperschaftskonzept. Es bietet ein kongeniales analytisches Instrument, um die Eigenheiten der vormodernen Stadtrepublik nicht nur in der Schweiz, sondern auch im deutschen Städtekosmos des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit zu erfassen. Deshalb das nachdrückliche Plädoyer zugunsten der Tragfähigkeit von Hallers Genossenschaftskonzept für die deutsche Stadtgeschichtsschreibung. 331

Vgl. Mager, Republikanismus (wie Anm. 8), 259. Ich danke Horst Dreitzel, der mich auf Hallers Genossenschaftskonzept hingewiesen hat. Bd. 5, der die „Makrobiotik der geistlichen Herrschaften oder Priesterstaaten" behandelt, erschien erst 1834. 333 Karl-Ludwig von Haller, Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustande, der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt. Bd. 1-4. Winterthur 1816-1820; 2. Aufl. in 6 Bden. Winterthur 1820-1834, Ndr. Aalen 1964. 334 Vgl. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland (wie Anm. 23), Bd. 2, 144 f. mit weiterführender Literatur. 332

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Haller ging in seinen staatswissenschaftlichen Betrachtungen von der sozialen und politischen Ungleichheit als einer elementaren Tatsache aus. 335 Es bestünden von Natur und nicht etwa erst durch Vertrag „gesellige Verhältnisse" unter den Menschen, und zwar stets als Über- und Unterordnung zum Ausgleich der Bedürfnisse. 336 Die Natur gebe „dem Mächtigeren die Herrschaft, dem Schwächeren, dem Bedürftigeren die Abhängigkeit oder Dienstbarkeit"337, der Staat stelle in dieser dialektischen Zuordnung von „Herrschaft und Dienstbarkeit"338 „die höchste Gradation"339 dar. Haller unterschied zwei Ausprägungen des Staates: „Fürstenthum" (Monarchie) und „Republik" (Polyarchie). 340 Sie stimmen nach Haller darin überein, daß Herrschaft über Untertanen ausgeübt wird, sei es Herrschaft des Fürsten über das ihm unterstellte Volk, sei es Herrschaft der Republik über die dieser unterstellten Nichtbürger. Für die hier zu erörternde Frage nach der Entfaltung eines theoretisch gehaltvollen Begriffs der Genossenschaft 341 ist grundlegend, daß Haller im Sinne seines patrimonialherrschaftlichen Ansatzes keinen institutionellen Unterschied zwischen den sogenannten Privatgenossenschaften einerseits und der Republik als Genossenschaft andererseits machte. Er definierte Genossenschaft als „Vereinigung mehrerer Menschen zu einem gemeinschaftlichen Endzwek mit gleichen Vortheilen und gleichen Beschwerden"342 und konstatierte: „Man sieht in der ganzen Welt eine Menge 335

Vgl. dazu Haller, Restauration der Staatswissenschaft (wie Anm. 333), Bd. 1 ; dieser trägt den Titel: „Darstellung, Geschichte und Kritik der bisherigen falschen Systeme. Allgemeine Grundsätze der entgegengesetzten Ordnung Gottes und der Natur". 336 „Daß es also durch die bloße Natur gesellige Verhältnisse gebe und geben müsse, ist nicht nur durch die Vernunft und allgemeine Erfahrung bewiesen, sondern auch heut zu Tage ziemlich angenommen. Gleichwie aber die Natur diese Bande der Menschen durch Verschiedenheit der Kräfte und wechselseitige Bedürfnisse knüpft: so schaffet sie auch nothwendiger Weise in jedem derselben Herrschaft und Abhängigkeit, Freyheit und Dienstbarkeit, ohne welche jene Verbindungen nicht bestehen könnten. Sie macht die einen Menschen abhängig, die andern unabhängig, die einen dienstbar, die andern frey. Oder ist etwa das unmündige Kind, der Arme, der Schwache, der Unwissende und Rathsbedürftige nicht durch seine Natur abhängig, so weit sein Bedürfniß geht? Der Mächtige, der Reiche, der Weise nicht durch seine Natur frey, wenigstens so weit diese ihm von Gott gegebenen Kräfte reichen?" Ebd. 351. 337 Ebd. 444. 338 Ebd. 354. 339 Ebd. 463. 340 „Gleichwie es nur physische oder sogenannt moralische, das heißt collektive Personen, einzelne Menschen oder künstliche Gesellschaften mehrerer vereinigter Menschen giebt: so kann es auch nur unabhängige Individuen oder unabhängige Corporationen geben; folglich sind alle Staaten entweder Fürstenthümer (Einzelherrschaften) oder Republiken (Vielherrschaften, Gemeinwesen), Monarchien oder Polyarchies" Ebd. 494. 341 Haller verwendete gleichbedeutend mit „Genossenschaft": „Communität", „Corporation", „Societät", „Consociation", „Gemeinwesen", vgl. Haller, Von den Republiken oder freien Kommunitäten, in: ders. (Hrsg.), Restauration der Staatswissenschaft (wie Anm. 333), Bd. 6, passim. 342 Ebd. 49.

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von Communitäten, Dorf- und Stadt-Gemeinden, Handwerkszünfte, Gilden und Innungen, geistliche und weltliche Orden, Handels-Societäten, Gelehrten-Vereine, Congregationen und Consociationen von mancherley Art und zu sehr verschiedenen Zweken." 343 Jede dieser Genossenschaften sei „eine Art von Republik, das heißt dem etymologischen Sinn des Wortes nach eine res publica, ein gemeines Wesen, zum Unterschied von dem Privat-Wesen, welches nicht mehreren zusammen, sondern irgend einem Einzelnen gehört". 344 In jeder bestehe „eine Vereinigung unter Gleichen, mit ähnlichen Rechten und ähnlichen Beschwerden"; alle hätten „ein gemeines Wesen und irgend eine positive Verfassung desselben; gemeinsam Güter und Einkünfte, gemeinsame Geseze und Statuten, einen gemeinsamen Zwek" und übten „als collektive Personen [...] theils über ihre Mitglieder, theils über andere auf ihrem Gebiet wohnende, von ihnen abhängige oder ihnen durch Vertrag dienstbare Menschen [...] Herrschaft aus". 345 Was die Republiken als „freye Gemeinwesen, unabhängige Communitäten oder Genossenschaften" von den sogenannten „Privat-Genossenschaften" unterscheide, sei „die Unabhängigkeit oder vollkommene Freyheit". 346 Der innere Aufbau der Republik, also das Verhältnis, das „zwischen ihren Mitgliedern selbst herrschet (jus societatis domesticum)" 347 , wird nach Haller durch „positive Geseze" 348 geregelt, deren Inbegriff „die Organisation oder auch die Constitution, die Verfassung des gemeinen Wesens" 349 , ausmache. Im Mittelpunkt von Hallers Auslassungen über die Genossenschaft stand die Frage, mittels welcher Institutionen der Genossenschaftswillen, ihr „Gesammtwillen" 350 , herbeigeführt werde. Die Genossenschaft wird Haller zufolge einerseits als Versammlung ihrer Mitglieder tätig, andererseits mittels Stellvertretung. Eine Mitgliederversammlung - in der Republik: das Zusammentreten der Bürger zur Bürgerversammlung (Bürgergemeinde) - sei nur ausnahmsweise möglich und wünschenswert, nämlich nur „bey ganz kleinen Communitäten oder freyen Corporationen, deren Mitglieder oft und leicht für jedes wichtige Geschäft vollständig versammelt werden" können. 351 Sobald 343

Ebd. 3. Ebd. 345 Ebd. 3 f. 346 Ebd. 5. 347 Ebd. 49. 348 Ebd. 145. 34 9 Ebd. 141. 350 Ebd. 77. 351 Ebd. 173. „Ist aber, wie es meistentheils der Fall zu seyn pflegt, die ganze Genossenschaft so zahlreich, daß ihre Mitglieder, der Entfernung wegen, nicht für jedes vorkommende Geschäft versammelt werden können oder auch nicht immer versammelt werden wollen, weil sie dabey dem gemeinen Wesen alle ihre Zeit und mit derselben ihre PrivatAngelegenheiten aufopfern müßten: so muß man bereits von jener Einfachheit, die gleichwohl schon ziemlich künstlich ist, abweichen." Ebd. 173 f. 344

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die zu behandelnden Angelegenheiten kompliziert würden und deshalb „schwierigere und verwikeltere Anordnungen nöthig" seien, sei die Mitgliederversammlung überfordert. Die Genossenschaft werde dann „mit oder ohne ihren Willen, durch die Natur der Dinge selbst gezwungen", also ob sie es wolle oder nicht, „ihre Gewalt ganz oder zum Theil an einen aus ihrer Mitte genommenen Ausschuß, nicht sowohl zu übertragen als vielmehr zu überlassen, oder nach dem Gesez ihrer ursprünglichen Stifter ausschließend einzuräumen". 352 Stellvertretung (Repräsentation) wird also erforderlich. Haller verstand darunter nicht Übertragung, das heißt Mandat im Auftrag eines Dritten, sondern Überlassung, das heißt Eintreten in die Rechte eines Dritten. Dieses Repräsentationskonzept entsprach der Identitätsrepräsentation der klassischen und bis ins 18. Jahrhundert forttradierten römischrechtlichen Lehre. 353 Im Sinne dieses zivilistischen Repräsentationsbegriffs tritt Haller zufolge der für die Genossenschaft handelnde Ausschuß uneingeschränkt in deren Rechte ein und gilt mit dieser als identisch. Die „Ausgeschossenen" bilden in ihrer Eigenschaft als „Stellvertreter oder Repräsentanten der ganzen Communität" nicht etwa Mandatsträger der Genossenschaft, sondern stellen als „eine verengte oder verjüngte Genossenschaft" diese unmittelbar dar, handeln freilich „nicht in eigenem Namen, sondern im Namen der ganzen Gemeinde" 354 und „für ihre Zweke" 355 . Repräsentation als alter ego der Repräsentierten macht nach Haller den Wesenszug der herkömmlichen Stellvertretung im Unterschied zum modernen, auf Mandat beruhenden Repräsentativsystem aus. 356 Dem entsprach es, wenn Haller für die Rekrutierung des Großen Rates in der Republik die Kooptation vor anderen Wahlformen befürwortete 357 , und wenn er empfahl, die Mitglieder des Kleinen Rats durch den Großen Rat zu bestellen358.

352

Ebd. 174. Näheres dazu in Abschnitt VI.2. Haller, Von den Republiken oder freien Kommunitäten (wie Anm. 341), 174. 355 Ebd. 179. Haller zufolge gibt es nur „wenige Communitäten oder Republiken, die nicht einer solchen Repräsentation nöthig hätten. Fast jede Stadtgemeinde, jede Handwerkerzunft hat ihre allgemeine Versammlung, ihren größeren Ausschuß (große[r] Rath, Vörgesezte) und eine kleinere, dirigirende Commission. Bald muß die Gewalt ganz dem Ausschuß überlassen werden, bald werden, wenn es möglich ist, einige Theile davon der gesammten Gemeinde vorbehalten." Ebd. 174 f. 356 Haller verwarf es mit dem Argument, es liege ihm keine „wirkliche Corporation", keine handlungsfähige „souveraine Bürgerschaft" zugrunde, die Verfechter des Repräsentativsystems beanspruchten, „Genossenschaften repräsentiren (durch Ausschüsse vorstellen)" zu wollen, die gar nicht vorhanden seien, ebd. 175; das Repräsentativsysten sei „nur ein anderes Wort für Aristokratie in einer fingirten oder fiktiv erweiterten Genossenschaft", Haller, Darstellung, Geschichte und Kritik, in: ders. (Hrsg.), Restauration der Staatswissenschaft, 2. Aufl. (wie Anm. 333), Bd. 1, 501. 357 Haller, Von den Republiken oder freien Kommunitäten (wie Anm. 341), 366-381. 358 Ebd. 388 f. 353 354

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Was den Großen Rat 359 und den Kleinen Rat 360 in der Republik anbetrifft, ist zunächst festzuhalten, daß Haller beide als Republik „in verjüngtem Maßstab" betrachtete. Der Große Rat sei, so Haller, „in verjüngtem Maßstab die ganze Genossenschaft selbst, und durch die Natur der Dinge bestimmt, in allen Dingen ihren Plaz zu vertreten".361 In der Republik sei der Große Rat „die höchste Behörde", der „solche Gegenstände oder Entscheidungen" vorbehalten seien, die „für die Existenz und das Wohl der Republik von unmittelbarem wesentlichem Einfluß sind". 362 Dazu zählte Haller: Zu- oder Aberkennung des Bürgerrechts; Wahl oder Absetzung der wichtigsten Amtsträger; Ankauf oder Veräußerung von Besitzungen der Republik; Bewilligung größerer Geldausgaben; Entscheidungen über Statuten und Gesetze, Krieg und Frieden; Bündnisse und Verträge; Ausschreibung von Steuern und indirekten Abgaben; Rechnungsprüfung. 363 Der Kleine Rat, wie der Große Rat, so Haller, die Republik „in verjüngtem Maßstabe" 364 , besorge die laufenden Geschäfte und bereite diejenigen Angelegenheiten vor 365 , die dem Großen Rat bzw. der Bürgergemeinde vorbehalten seien, als „die Reservate oder Vorrechte des stellvertretenden Ausschusses [...] im Verhältniß gegen die Funktionen oder die zum Gang der Geschäfte nothwendige Competenz des dirigirenden engeren Collegiums oder der eigentlichen Magistratur der Republik". 366 Haller unterstrich im Sinne der Identitätsrepräsentation, daß der Kleine Rat nicht anders als der Große Rat die Bürgergemeinde darstelle. Es seien „die Communität und ihr dirigirendes Collegium, die Bürger und ihre Räthe" nicht als „zwey verschiedene Behörden oder Corporationen" zu betrachten, sondern als „Theile desselbigen Ganzen" anzusehen, es bestehe „der kleine Rath nur in einem engern Ausschuß der ganzen Gemeinde oder ihrer Stellvertreter", das heißt des Großen Rats. Insofern stelle der Kleine Rat „dieselbige Corporation" dar, wenn auch „weniger zahlreich".367 Daraus leitete Haller die Schluß-

359

Dafür auch: „Größerer stellvertretender Ausschuß", „Größerer Ausschuß", „Repräsentativer Ausschuß", „Stellvertretender Ausschuß". Dem Großen Rat ist gewidmet ebd., Kap. 14: Organisation der Republiken. Abschnitt C: Größerer stellvertretender Ausschuß, wenn er nöthig ist, 173-191. 360 Dafür auch: „Engeres dirigirendes Collegium", „Dirigirender kleiner Rath", „Magistratur", „Regierung". Dem Kleinen Rat ist gewidmet ebd., Kap. 15: Organisation der Republiken. Abschnitt D: Engeres dirigirendes Collegium, 192-214. 361 Ebd. 379. 362 Ebd. 185. 363 Vgl. ebd. 209-211. „Solche und ähnliche Gegenstände, deren Entscheidung die höchste Gewalt voraussezt und ohne welche sie nicht behauptet werden könnte, müssen daher auch den obersten Räthen der Republiken oder freyen Communitäten vorgetragen werden, und so ist es auch von jeher in allen ohne Ausnahme geschehen." Ebd. 211. 364 Ebd. 197. 365 Ebd. 202-214. 366 Ebd. 185. 367 Ebd. 197.

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folgerung ab, daß „die beyden höchsten Behörden, die Bürgergemeinde oder ihre Stellvertretung" einerseits „und der Rath oder das dirigirende Collegium" andererseits, „ein einziges republikanisches Corpus" bilden. 368 Im Hinblick auf das Verhältnis des Kleinen Rats zum Großen Rat bzw. zur Bürgergemeinde369 orientierte sich Haller an der zivilistischen Lehre, derzufolge der (oder die) Leiter einer Körperschaft den Körperschaftsmitgliedern in deren Eigenschaft als Personenvielheit (singuli) übergeordnet, in deren Eigenschaft als Personengesamtheit (universi) untergeordnet sei(en). Demgemäß „herrschen" die „republikanischen Magistraten" Haller zufolge „im Einzelnen (distributive) Uber diejenigen selbst welche zusammen genommen und mit ihnen vereiniget (collective) ihr Herr sind". 370 Haller unterstrich in diesem Zusammenhang die herausgehobene Stellung der Mitglieder des Kleinen Rats, die im Alltag der Geschäfte „keinen Oberen über sich" hätten, gegenüber den Bürgern und den Mitgliedern des Großen Rats.371 Erheben sie in der Bürgerversammlung oder im Großen Rat ihre Stimme, gelte das als „die Meynung der Mächtigeren, der Ersten, Vordersten, sachkundigsten und mit besonderem Zutrauen beehrten Mitglieder". Deren Meinung werde so großes Gewicht beigemessen, „daß sie wenigstens in dem gesunden Zustand einer Republik gewöhnlich die Stimmen der übrigen nach sich zieht". 372 Hallers Genossenschaftskonzept ist aus der intimen Kenntnis eines Berner Patriziers von den politischen Institutionen seiner Heimatstadt und denjenigen der anderen Schweizer Republiken erwachsen. Das wird deutlich, wenn man seine Ausführungen über den inneren Aufbau der Stadtgemeinde und speziell über das Verhältnis zwischen Kleinem und Großem Rat mit den Darlegungen von Josias Simler über das Regiment in den Schweizer Städten und den entsprechenden Erläuterungen des Herausgebers Hans Jakob Leu aus dem Jahre 1722 vergleicht.373 Es tritt die Traditionslinie hervor, in der Haller 368

Ebd. 199. „Ein zweyfaches, zum Theil seltenes und eben daher von wenigen richtig gekanntes Verhältniß, ist dasjenige in welchem die Magistraten oder Vorgesezte einer Republik gegen die ganze souveraine Corporation, zum Beispiel die dirigirenden kleinen Räthe gegen die großen Räthe oder gegen die freye Bürgerschaft selbst stehen." Ebd. 113. 370 Ebd. 114 f. 371 Ebd. 114. 372 Ebd. 373 Josias Simler, Von dem Regiment der loblichen Eydgenoßschaft [...] mit erforderlichen Anmerckungen erläuteret und bis auf disere Zeiten fortgesetzet von Hans Jacob Leu. Zürich 1722 (ursprünglich 1576), Buch 2, 450-717. Vgl. Leonhard von Muralt, Renaissance und Reformation, in: Handbuch der Schweizer Geschichte. Bd. 1. Zürich 1972, Abschnitt: Staat und Gesellschaft, 401-414, sowie den tabellarischen Überblick über die „Städteverfassungen", 548-557. Vgl. ferner Ulrich Im Hof, Ancien Régime, in: Handbuch der Schweizer Geschichte. Bd. 2. Zürich 1977, Abschnitt: Die Auseinandersetzungen zwischen Aristokratie und Demokratie in den regierenden Ständen, 708-713. 369

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stand. Es war das Konzept der Genossenschaft und speziell der städtischen Republik, geleitet vom Kleinen und Großen Rat im Namen und Interesse der Bürger, indessen faktisch ohne deren Beteiligung. Die von Haller beschriebene Überordnung des Rates über die Bürgerversammlung rührte von dem Sachverhalt her, daß der Zugang zum Großen Rat und mehr noch zum Kleinen Rat solchen Bürgern vorbehalten blieb, die durch Ansehen, Abkömmlichkeit und gegebenenfalls Zugehörigkeit zu einem vornehmen Geschlecht aus dem Kreis der übrigen Bürger herausgehoben waren. Hallers patrimonialherrschaftliches Konzept der Monarchie war zu dem Zeitpunkt, als die „Restauration der Staatswissenschaft" erschien, bereits anachronistisch, da sich im 17. und 18. Jahrhundert die meisten europäischen Monarchen (mit Ausnahme freilich mancher deutscher Duodezfürsten) nicht länger als Patrimonialherren, sondern als Staatsoberhäupter betrachteten. Doch hellsichtig und zutreffend war sein Konzept der Republik als einer von ständischen Kräften getragenen und geleiteten Genossenschaft. Grundlegend war in Hallers Bild der Schweizer Stadtrepubliken der Vorrang des Kleinen über den Großen Rat und des Rates insgesamt über die Bürgerversammlung. Das deckt sich mit der von Gierke seit 1873 vertretenen Überordnung des Rates über die Bürgerversammlung und entspricht dem zivilistischen Verständnis der Vertretung (Repräsentation) als Identitätsrepräsentation. In der Zuordnung der institutionellen Hierarchie in der Republik zum ständischen Gefälle ging Haller über die rechtliche Betrachtungsweise Gierkes weit hinaus. Seine Beschreibung der genossenschaftlichen Ordnung in der Stadt als einer ständisch fundierten Ratspolyarchie liegt den nachstehenden konzeptionellen Überlegungen zugrunde.

V. Die politische Ordnung in der Alten Stadt Überlegungen zur Konzeptionalisierung Ausgegangen wird von der Prämisse, daß das auf die Alte Stadt bezogene Konzept der politischen Ordnung in einen für die Vormoderne gültigen Begriff des Politischen einzubetten ist. Hierbei gilt es als ausgemacht, daß nach zeitgenössischem Verständnis sowohl der städtische Rat als auch der Fürst dem Gemeinen Besten zu dienen hatten. Geschah das im Einzelfall nicht, geriet der Rat oder der Fürst zum Tyrannen, gegen den Widerstand rechtens wurde. Die Frage ist freilich, wer das Gemeine Beste von Mal zu Mal definierte. Beim Stand der Absolutismusforschung ist die herkömmliche Auffassung zweifelhaft geworden, daß im absoluten Fürstenstaat der Fürst und die von ihm berufenen Amtsträger das Land in anstaltlicher Durchdringung, also i m Sinne innerer Staatsbildung, z u m Objekt obrigkeitlichen Handelns g e -

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macht hätten. 374 Vieles spricht dafür, daß selbst in Monarchien mit starker Zentralgewalt wie der französischen unter den Bourbonen - im zeitgenössischen Selbstverständnis seit Richelieu, Mazarin und Ludwig XIV. eine „monarchie absolue" - im Alltag der Geschäfte das Regiment in der Form der „ordentlichen Gewalt" (pouvoir ordinaire) gehandhabt wurde. Das besagt, daß der Monarch zunächst mittels Gesetzesbefehl oder Staatsratsentscheidung Regelungen traf oder Maßnahmen anordnete. Auf deren Befolgung und Durchführung konnte er indessen nur bauen, wenn die Betroffenen zustimmten - das hieß gegebenenfalls auch: Änderungen erwirkten. Vor allem galt ein solches Konsensrecht für Entscheidungen, welche „angestammte Rechte" (iura quaesita) oder das Eigentum berührten. Wenn das Staatsinteresse auf dem Spiel stand, griff der französische König gegebenenfalls zum Mittel der „außerordentlichen Gewalt" (pouvoir extraordinaire), um Widerstand zu brechen, das heißt zu Androhung und gegebenenfalls Handhabung von Zwangsmitteln. Das war ein riskanter Schritt, weil sich der Monarch (bzw. seine Minister und Räte) dem Verdacht des Despotismus aussetzten und unabsehbare Weiterungen drohten. Das Verhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft war nach zeitgenössischer Auffassung ähnlich beschaffen wie das zwischen Fürsten und Land. Aus der von Christoph Lehman verfaßten, 1612 erschienenen Chronik der Reichsstadt Speyer 375 sei ein Abschnitt zitiert, der diese Analogie bildkräftig wiedergibt und zugleich den „Gelehrten" zuschrieb, also der juristischen Schulmeinung. Der Passus verdient auch deshalb Beachtung, weil er wenige Jahrzehnte später wortwörtlich in die vielgelesene Abhandlung des Eßlinger Stadtsyndikus Philipp Knipschild über die Rechte und Privilegien der Reichsstädte aufgenommen wurde - auf diesen Autor kommen wir weiter unten zurück. Der Abschnitt lautet: „Von Würdigkeit eines Rahts in Reichs Stätten schreiben die Gelehrten deß Innhalts/ wie den Menschen die Vernunfft regiert/ den Leib die lebendige Seele/ die Sonn den Himmel/ ein Schiff der Steurmann: Also sey ein Raht der Statt Verstand/ Leben/ Liecht und Ancker 374 Vgl. dazu die „Vorüberlegungen" und speziell Anm. 3 und 4. Zusätzlich: Hans Erich Bödecker/Ernst Hinrichs (Hrsg.), Alteuropa - Ancien Régime - Frühe Neuzeit. Probleme und Methoden der Forschung. (Problemata, Bd. 124.) Stuttgart-Bad Cannstatt 1991; vgl. darin vor allem die Beiträge: Hans Erich Bödeker/Ernst Hinrichs, Alteuropa - Frühe Neuzeit - Moderne Welt? Perspektiven der Forschung, 11-50; Ernst Hinrichs, Die Voraussetzungen gesellschaftlicher Stabilität im Absolutismus: Bemerkungen zu Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert, 78-98; Rudolf Vierhaus (Hrsg), Frühe Neuzeit - Frühe Moderne? Forschungen zur Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 104.) Göttingen 1992; vgl. darin vor allem die Beiträge: Rudolf Vierhaus, Vom Nutzen und Nachteil des Begriffs,Frühe Neuzeit'. Fragen und Thesen, 13-25; Reinhard Blänkner, ,Absolutismus' und ,frühmoderner Staat'. Probleme und Perspektiven der Forschung, 48-74. 375

Christoph Lehmann, Chronica der freien Reichsstadt Speier. Frankfurt am Main 1612, benutzt nach der 2. Aufl. Frankfurt am Main 1662.

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deß Friedens. Und wie der Leib ohne lebendige Seel/ todt und erstorben: Also könne ohne Raht keine Statt bestehen. In einer jeden Reichs Statt ist der Raht gleich einem Fürsten oder Grafen deß Reichs in seinem Land/ wird auch von der Bürgerschafft an statt eines Fürsten erwählet und gesetzt: Und gleich wie andere Unterthanen ihrem Landes Fürsten/Grafen und Herren zu Treu/ Huldt und Gehorsam/ vermittelst leiblichen Eyds/verbunden/ also auch die Bürgerschafften in Reichs Stätten ihrer Obrigkeit dem Raht/wie solches von fürnehmen Juristen mit guten Gründen bestritten." 376 D i e Analogie im Verhältnis des fürstlichen Landesherren zu seinen Untertanen einerseits, des städtischen Rats als Obrigkeit zu den Bürgern der Stadt andererseits läßt ein Konzept politisch-sozialer Ordnung hervortreten, das wesentlich auf vorgegebener Ungleichheit beruhte. Mit Ungleichheit soll nicht ein banaler, weil in allen Gesellschaften zu beobachtender Sachverhalt wiedergegeben werden. Vielmehr soll Ungleichheit eine das politische Denken bestimmende Vorstellung v o m wünschbaren Aufbau der Gesellschaft, entsprechend dem um die Wende v o m ersten zum zweiten Jahrtausend entwickelten alteuropäischen Modell der politisch-sozialen Ordnung, benennen. 3 7 7

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Ebd., Buch 4, Kap. 13,316. 377 Vgl. Georges Duby, Les trois ordres ou l'imaginaire du féodalisme. Paris 1978; Jacques Le Goff, Les trois fonctions indo-européennes, l'historien et l'Europe féodale, in: Annales 34, 1979, 1187-1215; vgl. auch Hartmut Zwahr, Herr und Knecht. Figurenpaare in der Geschichte. Leipzig/Jena/Berlin 1990. Grundlegend die Untersuchungen von Oexle: Otto Gerhard Oexle, Die funktionale Dreiteilung der Gesellschaft' bei Adalbero von Laon. Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im früheren Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 12, 1978, 1-54; ders., Tria genera hominum. Geschichte eines Deutungsschemas der sozialen Wirklichkeit in Antike und Mittelalter, in: Lutz Fenske/Werner Rösener/Thomas Zotz (Hrsg.), Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Festschrift für Josef Fleckenstein zu seinem 65. Geburtstag. Sigmaringen 1984, 483-500; ders., Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Wissens, in: Frantisek Graus (Hrsg.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. (Vorträge und Forschungen, Bd. 35.) Sigmaringen 1987, 65-117; ders., Le travail au Xle siècle: réalité et mentalité, in: Jacqueline Hamesse/Colette Muraille-Samaran (Eds.), Le travail au Moyen age. Une approche interdisciplinaire. (Publications de l'Institut d'Etudes Médiévales, Textes, études, congrès, Vol. 10.) Louvain-la-Neuve 1990,49-60; ders., Potens und Pauper im Frühmittelalter, in: Wolfgang Harms/Klaus Speckenbach (Hrsg.), Bildhafte Rede in Mittelalter und Früher Neuzeit. Probleme ihrer Legitimation und ihrer Funktion. Tübingen 1992, 131-150; ders., ,Die Statik ist ein Grundzug des mittelalterlichen Bewußtseins'. Die Wahrnehmung sozialen Wandels im Denken des Mittelalters und das Problem ihrer Deutung, in: Jürgen Miethke/ Klaus Schreiner (Hrsg.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen. Sigmarignen 1994, 45-70; ders., Die Entstehung politischer Stände im Spätmittelalter - Wirklichkeit und Wissen, in: Reinhard Blänkner/ Bernhard Jussen (Hrsg.), Institutionen und Ereignis. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 138.) Göttingen 1998, 137-162. Vgl. femer zum Verhältnis von Herren und Bauern: Gadi Algazi, Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Herrschaft, Gegenseitigkeit und Sprachgebrauch. (Historische Studien, Bd. 17.) Frankfurt am Main/New York 1996.

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Bestimmend für dieses Modell war zunächst das Verhältnis von „Herr und Knecht", das heißt die Überordnung der gebietenden Stände über die unterständischen Gruppen. Die „Herren", das waren die von Erwerbsarbeit freigestellten, zum Regiment bestimmten vornehmen Stände. Die „Knechte", das waren die auf Erwerbsarbeit angewiesenen, den Herren gehorchenden und sie alimentierenden gemeinen Leute. Dieses Modell der Zuordnung von „Herr und Knecht" wurzelte in einem Weltbild, das um 1000 durch Adalbero von Laon - der Bischof stellte die oratores und bellatores den laboratores entgegen - entworfen worden war. Es lag dem politischen Aristotelismus des hohen und späten Mittelalters und auch noch der frühen Neuzeit zugrunde. Die Hauptlinien dieser Ordnungsvorstellung blieben bis zum Siegeszug des naturrechtlichen Gesellschafts- und Politikmodells im 17. und 18. Jahrhundert in Geltung. Demzufolge bestand das Grundproblem der politischen Ordnung zunächst darin, die Überordnung der gebietenden Stände über den „gemeinen Mann" aufrechtzuerhalten. Für die gebietenden Stände ergab sich daraus das Grundgebot der Eintracht (unanimitas, concordia). Bestimmend für das alteuropäische Modell der politisch-sozialen Ordnung war, zweitens, die Über- und Zuordnung der gebietenden Stände zueinander nach Abstufungen der Vornehmheit, denen unterschiedliche Grade der Würde (dignitas), der Ehre (honor) und des Ansehens (auctoritas) entsprachen. Diese Ordnung bestand wesentlich in der ritualisierten Darstellung und Verstetigung solcher Rangstufen und der Zuerkennung obrigkeitlicher Befugnisse an Gewaltenträger nach Maßgabe der Abstufungen. Die Über- und Zuordnung der gebietenden Stände zueinander konkretisierte sich in zwei Hauptgestaltungen, im Fürstentum (principatus) und in der sich selbst regierenden Bürgerstadt (libera respublica). Aus dem Lehnswesen erwuchs das Verhältnis des Lehnsherrn zu seinen Vasallen als ein im Lehnshof, später im Fürstenhof sich darstellendes Über- und Zuordnungsverhältnis von Schutz und Schirm einerseits, Rat und Hilfe andererseits mit einer auf Treue begründeten wechselseitigen Verpflichtung. Demzufolge lag das Regiment im Fürstentum beim vornehmsten Stand, dem Fürsten, der den Ständen des Fürstentums übergeordnet war. Dem entsprach institutionell seit dem hohen Mittelalter die den Fürsten und die Stände zusammenführende Ständeversammlung (Landtag, Reichstag, Parlament, Cortes etc.). In dem Maße, wie sich das Souveränitätsprinzip durchsetzte, wurden in den absolut regierten Staaten die Stände freilich zunehmend zu (privilegierten) Untertanen herabgestuft. Der zweite Grundtyp in der Über- und Zuordnung der gebietenden Stände zueinander stellte sich in dem Verhältnis zwischen dem städtischen Rat und der Bürgerschaft dar. Nach dem Modell des Schöffengerichts, in dem unter der Leitung des Gerichtsherrn die Schöffen für alle Glieder einer Gerichtsgemeinde Recht sprachen, und der Umstand seinen Vollbort (Konsens) gab und

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das Urteil vollstreckte, stand der von den vornehmen Bürgern gebildete Rat der aus den weniger vornehmen und gemeinen Bürgern gebildeten Bürgerschaft gegenüber. Der Rat handhabte das Regiment nach eigenem Ermessen im Interesse der Bürgerstadt. Bei grundlegenden Angelegenheiten war er auf die Zustimmung und Mitwirkung der Bürger angewiesen, die institutionell als Bürgerversammlung handelten. Die Zeitgenossen haben dieses Über- und Zuordnungsverhältnis von Rat und Bürgerschaft in der deutschen Stadt vielfach verdeutlicht, indem sie von der antiken Römischen Republik die Formel SPQR übernahmen und den Rat mit dem römischen Senat (senatus), die Bürger mit dem römischen Volke (populus) in eins setzten. Sie orientierten sich an Ciceros Diktum, daß der Senat die auctoritas, das Volk die potestas innehabe, daß also der Senat das Regiment ausübe, während das Volk die gesetzgebende Gewalt, das heißt das Konsensrecht, gegebenenfalls Widerspruchsrecht, im Hinblick auf die vom Senat vorgelegten Gesetze beanspruche und die Amtsträger (Magistrate) bestimme. Der in kommunalen Selbstzeugnissen in diesem Zusammenhang gerne bemühte locus classicus entstammte Ciceros „De Legibus" (3, 28) und lautet: „Potestas in populo, auctoritas in senatu". Es empfiehlt sich, das angedeutete Über- und Zuordnungsverhältnis zwischen dem Fürsten und den Ständen, zwischen dem Rat und den Bürgern mit den Ausdrücken „Regiment" und „Konsensrecht" zu charakterisieren: Regiment des Fürsten oder des Rates, alle Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen zu ergreifen, die dem Wohl des Ganzen dienen, ohne dabei den Ständen oder den Bürgern rechenschaftspflichtig zu sein; Konsensrecht der Stände oder der Bürgerschaft im Hinblick auf solche Entscheidungen und Maßnahmen, auf welche der Rechtssatz Quod omnes tangit, ab omnibus approbari debet gemünzt war. Die hier skizzierten Thesen zum Konzept der politischen Ordnung heben auf die Analogie zwischen dem Fürstentum und der sich selbst regierenden Bürgerstadt ab. In dem einem wie dem anderen Fall handelte es sich um ein „konsensgestütztes Regiment". 378 Damit sollen strukturelle Unterschiede im Aufbau der politischen Ordnung des Fürstentums und der Bürgerstadt nicht verwischt werden. Die Frage wird in der Zusammenfassung aufgegriffen. Was die Stadt im Alten Reich anbetrifft, kommt dem vorgeschlagenen Modell der politischen Ordnung am ehesten Hallers Genossenschafts- und Republikkonzept entgegen und in gewissem Ausmaß Gierkes Konzept der kommunalen Körperschaft als verdichteter Genossenschaft.

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Zu diesem Ausdruck, einer Abwandlung des von Ulrich Meier eingeführten Ausdrucks „konsensgestützte Herrschaft", vgl. Anm. 7.

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VI. Das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt Die Tragfähigkeit des vorgestellten Konzepts der städtischen Ordnung soll unter drei Hauptgesichtspunkten erörtert werden. Zunächst werden im Unterabschnitt VI.l einige Thesen über das Zusammenspiel von Rat und Bürgerschaft in der institutionellen Praxis formuliert. Im Anschluß daran wird im Unterabschnitt VI.2 das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft in der zeitgenössischen Rechtstheorie und im Unterabschnitt VI. 3 in der zeitgenössischen politischen Theorie beleuchtet. 1. Das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft in institutioneller Hinsicht Die folgenden Feststellungen zum Verhältnis von Rat und Bürgerschaft im institutionellen Zusammenspiel begnügen sich mit der Erläuterung von Thesen. Eine ausführliche Erörterung des Gegenstandes würde den Rahmen der Untersuchung sprengen. Es wird die Auffassung vertreten, daß in der vormodernen Stadt der Rat ein obrigkeitliches Regiment über die Bürger ausübte und daß das auf der Grundlage eines nie angezweifelten Ordnungskonzepts, und nicht etwa als Folge von Amtsanmaßung und Verfassungsbruch geschah. Diese These soll an zwei grundlegenden Sachverhalten verdeutlicht werden: zunächst an der Eigenschaft des Rates als senatus perpetuus; anschließend am typischen Verlauf von Konflikten zwischen Rat und Bürgerschaft. Zunächst zum ersten Hauptpunkt, der Eigenschaft des Rates als senatus perpetuus, der in der Bürgergemeinde analog dem römischen Senat die auctoritas beanspruchte, also das aus ständischer Vornehmheit und Ehre gespeiste Regiment. Unter der Perpetuität des Rats ist der Sachverhalt zu verstehen, daß die Ratsherren in der Regel ihr Amt auf Lebenszeit innehatten, und das ungeachtet des in den meisten Städten geltenden Annuitätsprinzips, das heißt der Bestellung einer Person ins Ratsamt für die Dauer eines Jahres. Perpetuität und Annuität bildeten keinen Widerspruch, da in der Regel der Ratsherr von Jahr zu Jahr im Amt bestätigt wurde. Geschah das im Einzelfall nicht, etwa wegen mangelhafter Amtsführung oder aus politischen Gründen - in manchen Städten umschrieb man eine solche Verweigerung euphemistisch als „Vergessen" - , galt das als Schande. In der Regel wurde eine Ratsstelle nur neu besetzt, wenn sie durch Alter, Krankheit oder Tod ihres Inhabers oder auch wegen dessen Wegzug aus der Stadt freigeworden war. Die von Jahr zu Jahr durchgefühlte Ratserneuerung diente im wesentlichen der Bestätigung der bisherigen Ratsherren im Amt. Sie eröffnete weder dem Wettbewerb um den Eintritt in den Rat Spielraum, noch war sie darauf gerich-

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tet, Ratsherren in Abhängigkeit von Wählern zu bringen. Stand die Besetzung einer vakanten Stelle an, galt die Kandidatur als unschicklich. Die Kooptation wurde als rechtmäßiges Verfahren der Ratsergänzung betrachtet. Die Einflußnahme zugunsten einer bestimmten Person wurde als Wurzel der Zwietracht angesehen und als Einfallstor der Faktionsbildung mißbilligt. Im Regelfall wurden hochkomplexe, meist mehrstufige, oft Wahlmänner einbeziehende Verfahren durchgeführt, die dem Ziel dienten, das Geflecht der Interessen und sozialen Vernetzungen zu unterlaufen, die Gewählten vor Pressionen zu bewahren, und die Distanz zwischen Rat und Bürgerschaft zu erhalten. Die Ratserneuerung setzte stets die Rechnungslegung voraus und fand in der Erneuerung des Ratsherreneides ihren Abschluß. Sie war durchweg mit der Ratsumsetzung verbunden. Auf die Tätigkeit im Sitzenden Rat folgte diejenige im Ruhenden Rat, dann amtierte der Ratsherr erneut im Sitzenden Rat. Bisweilen, beispielsweise in Köln, wurde auch ein Dreijahresturnus praktiziert. Mit der Ratsumsetzung ging die Neuverteilung der Zuständigkeiten der Ratsherren in der kommunalen Verwaltung und Rechtsprechung einher. Ratserneuerung und Ratsumsetzung konnten mit dem Schwörtag verknüpft sein. „Auf ihm beruhten die Bürgerpflichten, die Geltung des Stadtrechts, die Gewalt des Rats" und wurden von den Bürgern „dem neuen Rat Treue und Gehorsam geschworen, der Bürgerschwur durch den Eid des Rats beantwortet, und mit dem Eide die pax und die Verbindlichkeit des gesamten, aus diesem Anlaß verlesenen Stadtrechts erneuert". 379 Der Bürgereid enthielt „die Ermächtigung an den Rat, Satzungsrecht zu machen, und zugleich die Unterwerfung unter das damit geschaffene Gebotsrecht".380 Schwor auf dem Schwörtag die Bürgerversammlung dem Rat Treue und Gehorsam, leisteten der Neubürger und der selbständig gewordene Bürgersohn dem Rat den analog gefaßten Einzelbürgereid. In der Wahrnehmung seiner Regierungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsfunktionen war der Rat keiner Kontrolle durch die Bürgerschaft, das heißt den in der Bürgerversammlung, in Sondergemeinden, im Erweiterten oder Großen Rat und ähnlichen Institutionen korporativ zusammentretenden und zusammen handelnden Bürgern, unterworfen. Folgerichtig unterlagen die Erörterungen des Rats der Geheimhaltung, Übertretungen wurden streng geahndet. Die Bürger haben bezeichnenderweise nie vom Rat die Offenlegung seiner Arcana eingefordert. Der Rat setzte sich in der Frühgeschichte der mittelalterlichen Kommune durchweg aus den Mitgliedern vornehmer Geschlechter - vielfach handelte es sich um Ministerialen und deren Nachkommen - und abkömmlicher Kauf379

Wilhelm Ebel, Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des deutschen mittelalterlichen Stadtrechts. Weimar 1958, 22f. 380 Ebd. 37.

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mannsfamilien zusammen.381 Seit den Bürgerunruhen des hohen und späten Mittelalters gelangten in nicht wenigen Städten auch Zunftvertreter - ihrem sozialen Status nach meist Honoratioren - in den Rat. Das soziale Profil des Rats veränderte sich im Verlauf der frühen Neuzeit insoweit, als eine Entwicklung „vom Stand zum Beruf erkennbar wird. 382 Das hing damit zusammen, daß sich der Rat aus einem von Fall zu Fall zusammentretenden Beratungs- und Entscheidungsgremium zu einer ständig tätigen Behörde fortentwickelte. Die Vergütung, die den Ratsherren entrichtet wurde, nahm nach und nach die Eigenschaft einer Besoldung an, die ihren Mann ernährte. Die Aufgaben, die anläßlich der jährlich stattfindenden Ratsumwandlung zugewiesen wurden, folgten zunehmend einem cursus honorum, der Züge einer Laufbahn erkennen läßt. Für eine erfolgreiche Ratskarriere wurde Sachverstand - das hieß je länger je mehr ein akademisches Studium - unerläßlich.383 Es rückten infolgedessen mehr und mehr Universitätsabsolventen in den Rat ein, sei es ohne Abschluß - das war insbesondere bei Ratsherren aus Patrizier- und Honoratiorengeschlechtern der Fall - , sei es im Rang von Baccalaurei der Artistenfakultät und von Lizentiaten oder Doktoren der Rechte, auch der Medizin und der Theologie. Die Bekleidung bestimmter Ämter war an den förmlichen Nachweis eines akademischen Grades gebunden. Das traf nicht nur auf die im Dienst der Kommune tätigen Syndici - meist Doktoren beider Rechte - und Sekretäre - meist Baccalaurei der Artistenfaktultät - zu, sondern auch auf die Bürgermeister, während der frühen Neuzeit durchweg graduierte Juristen. In solchen Städten, in denen die Statuten die Aufnahme von Juristen in den Rat untersagten, wirkten die im städtischen Dienst stehenden Syndici und Sekretäre eng mit dem Rat zusammen, sei es in der Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse, sei es in der Rechtsprechung. Das Ratsregiment war in grundlegenden, jeden Bürger berührenden Angelegenheiten an den Konsens der Bürgerschaft und der für diese eintretenden bürgerschaftlichen Institutionen gebunden. Das galt insbesondere für neue 381

Vgl. die Beiträge zu dem Sammelband: Jörg Jarnut/Peter Johanek (Hrsg.), Die Frühgeschichte der europäischen Stadt im 11. Jahrhundert. (Städteforschung, Rh. A: Darstellungen, Bd. 43.) Köln/Weimar/Wien 1998. 382 Vgl. Filippo Ranieri, Vom Stand zum Beruf. Die Professionalisierung des Juristenstandes als Forschungsaufgabe der europäischen Rechtsgeschichte der Neuzeit, in: lus Commune 13, 1985, 83-105. 383 Zum folgenden vgl. die Beiträge zu den Sammelbänden: Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts. (ZHF, Beih. 18.) Berlin 1996; Wilfried Ehbrecht (Hrsg.), Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit. (Städteforschung, Rh. A: Darstellungen, Bd. 9.) Köln/Wien 1980; ders. (Hrsg.), Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas. Beiträge zu Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit. (Städteforschung, Rh. A: Darstellungen, Bd. 34.) Köln/Weimar/Wien 1994; Michael Stolleis (Hrsg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt. (Städteforschung, Rh. A: Darstellungen, Bd. 31.) Köln/Wien 1991.

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Steuern und Abgaben, Statutenänderungen, Entscheidungen über Krieg und Frieden, während der Reformationsepoche auch für den Konfessionswechsel. „Konsens" bedeutete nicht Beteiligung der Bürgerschaft am Ratshandeln im Sinne von Aufsicht und Mitwirkung, sondern drückte die Befugnis aus, Gravamina vorzubringen und Ratsentscheidungen zu beanstanden, ohne in den Geruch der Unbotmäßigkeit oder gar des Hochverrats zu gelangen. Im Alltag der Geschäfte erschöpfte sich das Konsensrecht in der „schweigenden Zustimmung" (tacitus consensus) zum Ratshandeln. In Not- und Krisenzeiten konnte der Konsens rasch in den Dissens umschlagen und sich dann bis zum offenen Widerstand gegen den Rat steigern. Das führt zum zweiten Hauptpunkt, den Konflikten zwischen Rat und Bürgerschaft. Zu unterscheiden sind - in idealtypischer Betrachtung - Gegenstand, Ablauf und Ergebnis solcher Konflikte. Was die Gegenstände anbetrifft, an denen sich die Konflikte zwischen Rat und Bürgerschaft entzündeten, waren das - mit Ausnahme des Streits um die reine Lehre und die Kirchenorganisation im Zeitalter der Reformation, auf den hier nicht weiter eingegangen wird - fast immer finanzielle Angelegenheiten, an vorderster Stelle die Erhöhung bestehender Steuern und Abgaben oder die Einforderung neuer Leistungen, etwa zur Abtragung städtischer Schulden. Auch nicht von steuerlichen Belastungen ausgelöste Konflikte zwische Rat und Bürgerschaft hatten meist einen ökonomischen Hintergrund. Angesichts der Arkanpolitik des Rates blieben den Bürgern die Ursachen der finanziellen Bedrängnisse, unter denen sie litten, in der Regel verborgen. Das förderte die Tendenz, die Bedrückungen auf Inkompetenz und Korruption des Rates zurückzuführen. Beim Fettmilchaufstand in Frankfurt (1612-1616) entzündeten sich beispielsweise die Gewaltakte Fettmilchs und seiner Partei an den Privilegien, die der Rat den Frankfurter Juden zugestanden hatte, und die angeblich die christlichen Handwerker und Kaufleute beienträchtigten.384 Der Gülichaufstand in Köln (1680-1685) nahm seinen Ausgang von der Weigerung des Rates, den Kölner Bürger und Kaufmann Gülich zu entschädigen, nachdem diesem als Repressalie für nicht abgezahlte stadtkölnische Schulden im Territorium des Herzogs von Jülich von dessen Leuten Waren gepfändet worden waren. 385 Die Reiserschen Unruhen in Lübeck (1598-1605) gingen von der schlechten wirtschaftlichen Lage der Stadt im Vergleich zum Auf-

384 Yg] Anton Schindling, Wachstum und Wandel vom Konfessionellen Zeitalter bis zum Zeitalter Ludwigs XIV. Frankfurt am Main 1555-1685, in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen. (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, Bd. 17.) Sigmaringen 1991, Abschnitt: Magistrat contra Bürgerschaft: Der Fettmilch-Aufstand 1612-1616, 229-238. 385 y g ] Bernd Dreher, Vor 300 Jahren - Nikolaus Gülich. (Kleine Schriften zur Kölner Stadtgeschichte, Bd. 4.) Köln 1986.

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schwung Hamburgs aus. 386 Diese Beispiele mögen vor Augen führen, daß Bürgerunruhen stets auf Abhilfe konkreter, im einzelnen benannter Beschwerungen und Belastungen zielten. Es ging um die Beseitigung eines Übelstandes und die Bestrafung der Schuldigen. Der Protest war nie darauf gerichtet, das Ratsregiment zugunsten eines Mitregiments der Bürger zu beschneiden. Das leitet zur Betrachtung des Konfliktverlaufs über. Der Bürgerprotest setzte zumeist mit der Eingabe von Gravamina an den Rat und der Forderung nach Abhilfe ein. Führte das nicht zum gewünscheten Erfolg, verliehen die Bürger ihrem Begehren häufig dadurch Nachdruck, daß sie auf die Straße gingen, Gewalt androhten, das Rathaus belagerten und anderes mehr. Bisweilen steigerte sich der Protest dann in einem weiteren Schritt bis zum offenen Widerstand gegen ein als tyrannisch erklärtes Ratsregiment. Rasch konnten die Grenzen eines geregelten Konfliktverlaufs überschritten werden, es drohten dann blutige Gewalt und Lynchjustiz. Die gegen den Rat aufbegehrenden Bürger bewegten sich stets auf einer Gratwanderung zwischen rechtsförmigem Protest und hochverräterischem Aufruhr. Während der beiden letzten Jahrhunderte des Alten Reiches läßt sich eine Tendenz zur Verrechtlichung der Auseinandersetzungen beobachten. Vor allem in den Reichsstädten nahmen die gegen den Rat angehenden Bürger die Möglichkeit wahr, vor dem Reichshofrat als Kläger aufzutreten und als Prozeßpartei anerkannt zu werden. Daran war ihnen besonders in den Fällen gelegen, wo der Protest nicht von bürgerschaftlichen Institutionen getragen und kanalisiert wurde, sondern von ad hoc gebildeten Schwureinungen ausging, die nur allzu rasch in den Geruch der Rebellion gerieten. Die Verrechtlichung des Konflikts erleichterte es den Widersachern des Rats, einen Trennungsstrich zum einfachen Volk, dem vielbeschworenen „Pöbel" oder „Herrn Omnis", zu ziehen und die Gefahr abzuwenden, daß die klein- und unterbürgerlichen Gruppen, welche die überwiegende Mehrheit der Stadtbevölkerung bildeten, den Protest aufgriffen und Anarchie drohte. Johann Jacob Moser führte in dem 1750 publizierten Abschnitt „Von der Burgerschafft in denen Reichs = Stätten" seines vielbändigen „Teutschen Staatsrechts" zahlreiche Beispiele dafür an, daß der Reichshofrat geneigt war, bürgerschaftlichen Institutionen und Schwureinungen ein Klagerecht gegen den Rat zuzugestehen und sie dadurch als Konfliktpartei anzuerkennen.387 Er erörterte auch die „delicate Frage", „Ob, wann und wie die Burgerschafft in denen Reichs-Stätten befugt seye, unter sich selbst Zusammenkünffte zu hal386 Vg] Jürgen Asch, Rat und Bürgerschaft in Lübeck. 1598-1669. Die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert und ihre sozialen Hintergründe. (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck, Bd. 17.) Lübeck 1961, Abschnitt: Die Reiserschen Unruhen 1598-1605, 56-98. 387

Johann Jacob Moser, Teutsches Staats-Recht. T. 42. Hanau 1750, Ndr. Osnabrück 1969,461-515.

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ten und darinnen insonderheit auch von denen das gemeine Statt-Wesen betreffenden Puncten zu berathschlagen".388 Aus den Quellen, die Moser abdruckte - es handelt sich vor allem um Reichshofratsbeschlüsse - , geht hervor, daß die obersten Reichsinstitutionen solche Zusammentritte als Notstandsakte hinnahmen. So räumte beispielsweise 1734 ein Reichshofratsbeschluß in Sachen Biberach contra Biberach, also von Bürgern dieser Reichsstadt gegen den Magistrat derselben, den beim Reichshofrat vorstelligen Mitgliedern der „Burgerschafft" das Recht ein, „ihrer Nothdurfft halber zusammen(zu)kommen" und zu „deliberiren".389 Betrachtet man die Konfliktresultate, erweist sich: Der Bürgerprotest zielte stets darauf, einem konkreten Übelstand abzuhelfen, und nicht etwa, die angestammte politische Ordnung zu verändern. Der obrigkeitliche Charakter des Ratsregiments wurde nie zur Disposition gestellt. Das war auch dann nicht der Fall, wenn die Bürger die Forderung durchsetzten, einem von ihnen gewählten Ausschuß Einblick in die Ratsgeschäfte zu gewähren. Diese Bürgervertretungen, die dem Rat besonders häufig zur Überprüfung der Rechnungsführung oder zur Einsicht in die Steuer- und Abgabenveranlagung aufgenötigt wurden, dienten stets nur als Ad-hoc-Instrument zur Durchsetzung konkreter Forderungen. Sie stellten keine Vorformen einer auf Mandat beruhenden Bürgervertretung im Sinne der Stadtverordneten des 19. Jahrhunderts dar. Es war denn auch nicht mehr als folgerichtig, daß die Ausschußmitglieder stets auf die Arkana des Rates eingeschworen wurden und es ihnen untersagt blieb, den Bürgern im Detail zu berichten. Die Bürgerausschüsse bildeten also nicht das Einfallstor für die Entstehung einer politischen Öffentlichkeit. Wo im Einzelfall ein solcher Ausschuß nach der Beendigung eines Konflikts erhalten blieb, wurde er in den Rat integriert, geriet also aus einem Instrument der Bürgerschaft zu einer Institution des Rates. Die Erläuterungen zur Eigenschaft des Rates als senatus perpetuus lassen vergleichende Aussagen über das Verhältnis zwischen Rats- und Fürstenregiment zu. Die Hinweise zum typischen Verlauf der Konflikte zwischen Rat und Bürgerschaft eröffnen Einblick in die kommunalen Machtverhältnisse. Zu beiden Punkten einige resümierende Schlußbemerkungen. Zunächst zum Rat als senatus perpetuus. Als solcher war der Rat nicht minder als der Fürst Inhaber eines auf Dauer gestellten obrigkeitliches Regiments. Das Ratsregiment unterschied sich vom Fürstenregiment freilich durch zwei bedeutsame Merkmale. Es beruhte im Unterschied zum Fürstenregiment zum einen auf dem Kollegialitätsprinzip. Dem monarchischen Regiment des Fürsten stand das polyarchische Regiment des Rats gegenüber. Es beruhte im Unterschied zum Fürstenregiment zum andern auf dem Annuitätsprinzip, das vor 388 Ebd. 505. 389

Ebd.

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allem in der von Jahr zu Jahr vollzogenen Ratserneuerung und Ratsumsetzung seinen Ausdruck fand und den amtsmäßigen Charakter des Ratsregiments stets aufs neue zum Ausdruck brachte. Das auf Lebenszeit übertragene Fürstenregiment zog demgegenüber die Bildung des fürstlichen Hofes und der höfischen Gesellschaft nach sich und förderte die patrimonialen Züge, die dem Fürstenregiment von seinen feudalen Wurzeln her anhafteten und vor allem dann fortbestanden, wenn der Fürst sein Amt nicht durch Wahl, sondern im Erbgang übernahm. Was die in den Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgerschaft zutage tretenden kommunalen Machtverhältnisse anbetrifft, macht der Konflikt das Modell einer politischen Ordnung offenkundig, derzufolge der Rat sein Regiment eigenständig und unkontrolliert ausübte, indessen auf den Konsens - den schweigenden oder ausdrücklichen - der Bürgerschaft angewiesen war, wollte er erfolgreich amtieren. Die Konflikte zwischen Rat und Bürgerschaft waren nie darauf gerichtet, den Rat in die Abhängigkeit der Bürgerschaft zu bringen. Es ging den Bürgern stets nur um die Beseitigung von Mißständen und die Behebung von Unrecht, nicht um Neuerungen. Das Ziel war die Wiederherstellung der als gestört betrachteten alten Ordnung. 2. Rat und Bürgerschaft in der zeitgenössischen Rechtstheorie Die Juristen begriffen die Städte als Körperschaften. Sie folgten dabei den Lehren des Bartolus (t 1357) und des Baldus (t 1400). Nachdem der Turiner Jurist Nicolaus Losaeus deren Körperschaftstheorie 1601 in seinem „Tractatus de jure universitatum"390 lehrbuchmäßig zusammengefaßt hatte, bildete dieses Werk während der frühen Neuzeit den einschlägigen Grundtext der Körperschaftslehre. Knipschild, von dem sogleich die Rede sein wird, bezog sich in seinem Traktat fortlaufend auf Losaeus. Unter Körperschaft (universitas)391 faßten die Juristen die Umwandlung von Personen ut singuli zu Personen ut universi, also die Überleitung einer 390

Nicolaus Losaeus, Tractatus de jure universitatum. Lyon 1601. Benutzt nach der Ausgabe Speier 1611. 391 Vgl. dazu Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 559-563; ders., Art. „Republik" (1992) (wie Anm. 8), 861-864. Grundlegend: Pierre Michaud-Quantin, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le moyen-âge latin. (L' Eglise et l'Etat au moyen-âge, Vol. 13.) Paris 1970; Jeannine Quillet, Universitas populi et représentation au XlVe siècle, in: Albert Zimmermann (Hrsg.), Der Begriff der Repräsentatio im Mittelalter. Stellvertretung, Symbol, Zeichen, Bild. (Miscellanea mediaevalia, Bd. 8.) Berlin/New York 1971,186—201; ¿íes·., Community, Counsel and Representation, in: J. H. Burns (Ed.), The Cambridge History of Medieval Political Thought, c. 350-c. 1450. Cambridge 1988, 520-572; Antony Black, The Individual and Society, in: ebd. 588-606; ders.. Guilds and Civil Society in European Political Thought from the Twelfth Century to the Present. London 1984; vgl. auch die einschlägigen Auslassungen Blacks in: ders., Political Thought in Europe, 1250-1450. Cambridge 1992.

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Menge in einen Verband, in welchem natürliche Personen (personae verae) zu einer gedachten Gesamtperson (persona ficta) oder zur Einheit eines gedachten Körpers (corpus mysticum, corpus intellectuale) zusammengeführt werden. Sie begriffen diese Gesamtperson als ein juristisches Zweckgebilde (nomen juris), das den natürlichen Personen, aus denen es hervorgebracht wird, als eigenständiges Rechtssubjekt gegenübertritt und in dieser Eigenschaft, ähnlich wie eine natürliche Person, geschäftsfähig ist, also über Namen und Siegel verfügt, Vermögen besitzt, Verpflichtungen, zum Beispiel Schulden, eingeht, Verträge abschließt, für seine Handlungen haftet. Der Gedanke war bestimmend, daß die Körperschaft ungeachtet des Austritts und Eintritts ihrer Mitglieder fortbestehe. Insofern galt entsprechend dem Rechtssatz universitas non moritur die Körperschaft als dauerhaft. Bezogen wurde das Konzept der Körperschaft auf Verbände der unterschiedlichsten Art: im weltlichen Bereich auf Zünfte und Gilden, kleine und große Städte, Fürstentümer und das Römische Reich; im kirchlichen Bereich auf Dom- und Stiftskapitel, klösterliche Gemeinschaften und Kongregationen, die Gliedkirchen und die Gesamtkirche. Unter den universitates erkannten die Juristen seit dem 13. Jahrhundert solchen Körperschaften, die, wie Fürstentümer oder sich selbst regierende Bürgerstädte, keine höhere Gewalt über sich anerkannten (qui superiorem non recognoscunt), also ein eigenständiges politisches Regiment ausübten, die Qualität der respublica zu. Das galt auch für die deutschen Städte. Nach zivilistischer Lehre wird die Körperschaft auf zweierlei Weise tätig: Entweder als Gesamthandeln ihrer Mitglieder oder mittels Vertretung (Repräsentation). Zunächst zum Gesamthandeln. Dieses wurde konzipiert als förmliche Versammlung (adunatio, congregatio, contio, concilium, parlamentum) der Mitglieder, die ihren Willen mittels Abstimmungen kundtun, wobei der unterliegende Teil gehalten ist, der sanior oder maior pars zu folgen. Dieses Verfahren wurde seit dem 11. Jahrhundert zunächst in kirchlichen Korporationen, bald auch in weltlichen Institutionen praktiziert. Zuständig war die Mitgliederversammlung für alle wesentlichen Entscheidungen der Körperschaft. Was das Zusammentreten des „Volkes" (populus) zur Volks- oder Bürgerversammlung anbetrifft, legten die Juristen dar, daß eine solche Urversammlung nur in kleinen Orten zustande gebracht werden könne. 392 Sie machten sich die Auslassungen des Pomponius zu eigen, daß aus diesem Grund in Rom die Leitung des Gemeinwesens vom Volk an den Senat habe übertragen werden 392

„Quia igitur ubi est maximus populus, ibi difficilis est eius congregatio. Dicitur enim difficile, quod cum labore aut multo tempore fit [...] Cuius difficultatis praetextu, et ratione antiquitus Populus cornu, sive buccina fuisse in concionem vocatum tradit Dionysius; quippe quod fieri non poterat ut parvo tempore tanta hominum multitudo per nomenclátores vocaretur, et coepit plebs difficile convernire." Losaeus, Tractatus (wie Anm. 390), T. 1, Kap. 3, Nr. 4 f., 56.

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müssen. 393 Deshalb sei in den römischen Munizipien der Gemeinderat (ordo decurionum) und sei später - das bezog sich auf die mittelalterliche Stadt der städtische Rat (concilium civitatis) geschaffen worden. 394 Was das Verhältnis zwischen dem Rat und der Volks- oder Bürgerversammlung (totus populus) anbetrifft, wurde es von den Juristen auf zwei Ebenen behandelt. Zum einen auf deijenigen des gemeinen Rechts, zum andern auf derjenigen des statutarischen oder Gewohnheitsrechts. Folgt man Losaeus, verfügt der Rat nach gemeinem Recht zwar nicht über die gleiche politische Gewalt (potestas, auctoritas, iurisdictio) wie die Volks- oder Bürgerversammlung, aber dennoch über eine höchst umfassende Gewalt (maxima potestas et auctoritas). Losaeus machte des weiteren deutlich, daß nach statutarischem und Gewohnheitsrecht (per legem, statuta, vel consuetudinem) der städtische Rat die im Volk ruhende Gewalt zur Gänze handhaben könne. Losaeus sah das als den Normalfall an 395 und bezeichnete dieses Eintreten des Rats in die Rechte des Volkes als „vertreten" (repraesentare)396. Was hat es mit diesem Konzept der Vertretung (repraesentatio) auf sich? 397 Darüber hat sich besonders scharfsinnig der Basler Konzilsvater Johannes

393

„Deinde quia difficile plebs convenire coepit, populus certe multo difficilius in tanta turba hominum, nécessitas ipsa curam rei publicae ad senatum deduxit: ita coepit senatus se interponere et quidquid constituisset observabatur, idque ius appellabatur senatus consultum." Dig. 1.2.2.9, zit. nach Iustiniani Digesta (wie Anm. 219), 30; vgl. Losaeus, Tractatus (wie Anm. 390), Nr. 9, 56. 394 „Hac igitur ratione et antiquitus decuriones constituti et creati fuerunt, et postea consiliarii civitatum, et aliarum universitatum, qui decurionum loco suffecti et subrogati sunt, ut scilicet facilius simul convenire, et se congregare possent pro publicis negotiis expediendis, et terminandis, et per quos Respublicae regerentur, administrarentur, nec non conservarentur." Losaeus, Tractatus (wie Anm. 390), Nr. 10,56. „Concilium igitur civitatis aequiparatur ordini decurionum, et sic consiliarii decurionibus." Ebd. Nr. 12, 57. 395 „Dicendum est decurionum ordinem, seu concilium civitatis de iure communi non habere eandem potestatem, auctoritatem, et iurisdictionem quam habet totus populus, nisi aliter expressim per legem, statuta, vel consuetudinem sit introductum, et sancitum." Ebd. Nr. 49, 64. Und weiter: „Licet concilium civitatis repraesentet totum populum, id tarnen eatenus intelligitur, quatenus concilium ex statutis vel consuetudine potestatem habet, et nemini dubium debet esse maximam ex iuris communis dispositione circumscripto omni statuto et consuetudine competere ordini decurionum et conciliis universitatum potestatem, et auctoritatem." 396 „Repraesentat [i.e. „concilium civitatis"] enim totum populum, et totam civitatem. Et factum a concilio civitatis, et cuiusque alterius communitatis videtur, et censetur factum a toto populo, et universa civitate." Ebd. Nr. 47f., 63. Voraussetzung sei die ordnungsgemäße Einberufung und Verhandlungsführung: „Quod autem supra dictum est concilium civitatis repraesentare totum populum, et universam civitatem, factumque a concilio censen factum a toto populo, id ita demum procedit, et verum est si ipsa universitas, seu ipsius concilium recte, rite, et legitime fuerit convocatum, et congregatum, et consensum accommodaverit servatis solemnitatibus a iuris civilis dispositione introductis, et adinventis." Ebd. Nr. 65, 67. 397 Grundlegend: Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. (Schriften zur Verfassungsgeschichte,

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von Segovia ( t 1458) in seinem 1453 abgeschlossenen „Liber de magna auctoritate episcoporum in concilio generali" ausgelassen. 3 9 8 Johannes von Segovia listete bei der Erörterung der Frage, auf welche Weise das Konzil für die Universalkirche eintrete, zunächst vier Arten der Vertretung (Repräsentation) auf 3 9 9 - die repraesentatio similitudinis in der Art der imitativen Gleichheit

Bd. 22.) 3. Aufl. Berlin 1998 (ursprünglich 1974); ders, Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit. Zur Frage des Repräsentationsprinzips in der .Politik' des Johannes Althusius, in: Karl-Wilhelm Dahm/Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius. (Rechtstheorie, Beih. 7.) Berlin 1988, 513-542, wiederabgedr. in: ders., Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie. Frankfurt am Main 1986, 1-30; ders., Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, in: Der Staat 27, 1988, 523-545. Vgl. außerdem: Zimmermann (Hrsg.), Begriff der Repräsentatio (wie Anm. 391); Antony Black, Monarchy and Community. Political Ideas in the Later Conciliar Controversy 1430-1450. (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, 3rd Ser., Vol. 2.) Cambridge 1970; ders., Council and Commune. The Conciliar Movement and the Fifteenth-Century Heritage. London/Shepherdstown 1979; ders., The Conciliar Movement, in: Burns (Ed.), The Cambridge History of Medieval Political Thought (wie Anm. 391), 573-587. 398 Johannes von Segovia, Liber de magna auctoritate episcoporum in concilio generali. Hrsg. v. Rolf de Kegel. Freiburg, Schweiz 1995, zum Repräsentationskonzept vgl. vor allem Buch 1. Erste Fassung dieses Konzepts in der Rede des Johannes von Segovia auf dem Mainzer Reichstag 1441, abgedruckt in: Hermann Herre (Hrsg.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. 1. Abt. 1440-1441. (Deutsche Reichstagsakten, Bd. 15.) Stuttgart 1915, Ndr. Göttingen 1957, Nr. 349, 648-759. Nähere Informationen zu Leben und Werk des Johannes von Segovia durch Rolf de Kegel in der Edition des „Liber de magna auctoritate episcoporum", 25-50, sowie bei Black, Council and Commune (wie Anm. 397), Abschnitt: Juan de Segovia, 118-193; Werner Krämer, Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, NF., Bd. 19.) Münster 1980, Abschnitt: Die stufenweise Systematisierung des Basler Konziliarismus durch Johannes von Segovia, 207-255. Zum Repräsentationskonzept des Johannes von Segovia und der Basler Konzilsväter vgl. vor allem Black, Council and Commune, 184—193; Werner Krämer, Die ekklesiologische Auseinandersetzung um die wahre Repräsentation auf dem Basler Konzil, in: Zimmermann (Hrsg.), Begriff der Repräsentatio (wie Anm. 391), 202-237; ders., Konsens und Rezeption, Abschnitt: Ausprägungen des Repräsentationsprinzips, 326-337, sowie die Studien von Hasso Hofinann (wie Anm. 397). Zum Basler Konzil vgl. auch Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431-1449: Forschungsstand und Probleme. (Kölner Historische Abhandlungen, Bd. 32.) Köln/Wien 1987. 399 „Quadruplex representado concilii ad universalem ecclesiam: similitudinis, nature, potestatis et idemptitatis." Johannes von Segovia, Liber de magna auctoritate episcoporum (wie Anm. 398), Buch 1, Kap. 10, Überschrift, 141; „Est autem quadriformis representado: similitudinis, nature, potestativa et idemptica. De qua igitur istarum quaturo intelligitur, quod concilium représentât universalem ecclesiam, considerandum est." Ebd. § 1,141. Vgl. auch die Mainzer Reichstagsrede vom 28. März 1441: „Ceterum cum representado sit quadruplex (similitudinis, quomodo in nummo aut in pariete imago regis impressa eum représentât, nature item, qua filius représentât patrem, potestatis quoque, sicut procurator dominum constituentem eum, idemptitatis eciam, ut consulatus representat civitatem eodem utens nomine et potestate), manifestum est, quod hii modi omnes respecta ecclesie universalis pocius generali synodo quam persone pape solius competere videntur." Herre (Hrsg.), Reichstagsakten (wie Anm. 398), 681.

Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment d e s B i l d e s mit d e m A b g e b i l d e t e n 4 0 0 ; die repraesentatio

naturae

in der Art der

genetischen Gleichheit des S o h n e s mit d e m Vater 4 0 1 ; die repraesentatio statis

105

pote-

in der Art der prokuratorischen Gleichheit des B e v o l l m ä c h t i g t e n mit

d e m Vollmachtgeber 4 0 2 ; schließlich die repraesentatio

identitatis

(per m o d u m

identitatis) in der Art der essentiellen Gleichheit des städtischen Rats mit der B ü r g e r g e m e i n d e . 4 0 3 D e r Konzilsvater, d e s s e n Argumentation darauf abzielte, g e g e n ü b e r d e m päpstlichen Suprematieanspruch den Anspruch des K o n z i l s auf das Kirchenregiment z u behaupten 4 0 4 , erklärte die letztgenannte Art der Vertretung, also die Identitätsrepräsentation der Bürgergemeinde durch den Rat, als Vertretung höheren Grades (alcioris gradus) und z u g l e i c h als das M o dell für das Verhältnis v o n Kirche und K o n z i l . 4 0 5 Johannes v o n S e g o v i a gründete das Rats- und das Konzilsregiment gleichermaßen auf die Identitätsrepräsentation und leitete daraus d i e obrigkeitlichen B e f u g n i s s e d e s Rates über die Bürger, des K o n z i l s über die G l ä u b i g e n ab. D e u t l i c h tritt das K o n z e p t des Rates nicht als Versammlung v o n Mandatsträgern, sondern als .Vergegenwärtigung' ( r e p r a e s e n t a t i o i m Wortsinne) der Körperschaftsmitglieder ut universi 400

g e g e n ü b e r den Körperschaftsmitgliedern ut singuli

und insofern als

„Prima utique representacio est similitutinis, quemadmodum imago représentât regem", Johannes von Segovia, Liber de magna auctoritate episcoporum (wie Anm. 398), B u c h i , Kap. 10, § 2, 141. 401 „Ideo est altera representacio, que dicitur nature, sicut filius représentât patrem." Ebd. § 3 , 141. 402 „Sed est tercia representacio facultatis seu potestatis derívate, sicut procurator représentât dominum se constituentem, cuius potestas ab ilio originatur et dependet ampliaturque et diminuitur seu modificatur, prout illi placet." Ebd. § 4. 403 „Representacio [...] qui est per modum idemptitatis, quemadmodum représentât civitatem aut quamvis communitatem liberam consulatus, pretorium vel senatus aut quocumque nomine appelletur congregado habens supremum tribunal in regimine communitatis illius." Ebd. § 5, 141 f. 404 „Concilium generale représentât ecclesiam essencialiter et proprie operacione quoque et illimitata potestate." Überschrift von Buch 1, Kap. 11, 142. „Unde merito concilium dicitur ecclesiam representare primo in essencia, quia generalis synodus vere est ecclesia legittime congregata. [...] Representat denique ecclesiam in qualitate essenciali seu propria passione." Ebd. Buch 1, Kap. 11, § 1, 142; „Representat demum ecclesiam in operacione, quia operaciones ecclesie competunt eciam synodo generali, utpote deffinire, statuere, mandare, decernere et ordinare. Representat, quod amplius est, in effectus universalitate, omnem siquidem effectum operari potest generalis synodus, quia ad ecclesiam proprie dicitur pertinere." Ebd. § 2, 142; „Generaliter igitur loquendo dicendum est, quod simpliciter et absque ulla illimitacione casu occurente, quo sic fieri deceat, generali synodo competit per se operando aut committendo exercere omnem operacionem universaliter spectantem ad bonum regimen ecclesie." Ebd. 142 f. 405 „Hinc est, quod representacio, qua concilium generale representat catholicam ecclesiam, videter esse alcioris gradus, qui est per modum idemptitatis." Ebd. Kap. 10, § 5, 141 f.; „Sic igitur ex premissis manifeste intelligere possumus, quamvis synodus generalis ecclesiam universalem representat idemptitate, potestate, nature condicione et similitudine propria, tarnen representacio sua est ultima declarata, que vocatur idemptica, secundum quam quelibet generalis synodus dicitur catholicam ecclesiam representare, prout quarta asserit descripcio tribus premissis magis auctentica." Ebd. Kap. 11, § 5, 143 f.

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Regiment hervor. Die beiden folgenden Passagen bringen diesen Sachverhalt in bemerkenswerter Präzision zum Ausdruck und sollen deshalb unverkürzt wiedergegeben werden: „Quid enim ilia [i.e. die congregado habens supremum tribunal in regimine communitatis, [gemeint ist der Rat 406 ] facit, dicitur civitas facere et omnes incole illi obedire tenentur et nemo civium est a regimine ipsius exemptus et potestas ei competit absque limitacione. Sic igitur generalis synodus representat ecclesiam catholicam per modum idemptitatis, quia est idem cum ea retinetque nomen ipsius eiusdemque est potestatis. Et quod est illi singulare, est concilium sicut ecclesia potestatis illimitate. Nemo quippe fidelium est ab ipsius synodi iurisdiccione exemptus, sed omnes illi tenentur obedire. 407 Ex hac ultima representacione, que dicitur idemptica, illud est annotandum, cum se habeat ad modum civilis consulatus, quod non omnes de ecclesia pertinent ad generalis concilii celebracionem, nec enim omnes de civitate, sed certi sunt, qui vocantur senatores, cónsules, rectores communitatis aut gubernatores constituentes consulatum et civitatem representantes, quorum non vulgaris aut communis omnibus incolis, sed aliorum respectu civium est specialis potestas populum gubernandi."408

Halten wir fest: Die von Losaeus entwickelte Vertretung der Bürger durch den Rat stellte sich in der Terminologie des Johannes von Segovia als Identitätsrepräsentation der Bürger durch den Rat dar, das bedeutete: als Regiment (regimen, potestas populum gubernandi) des Rates (consulatus, pretorium, senatus) oder der Ratsherren (senatores, cónsules, rectores, gubernatores) über die Gemeinde (communitas libera, civitas), zugleich als Verpflichtung der Bürger (cives) und sonstigen Eingesessenen der Stadt (incole) zum Gehorsam (obedire). Mit der herausgehobenen Stellung des Rates korrespondierte die von Losaeus zum Ausdruck gebrachte Überzeugung der Zeitgenossen, daß das zur Urversammlung zusammentretende Volk nicht geeignet sei, eine eigenständige politische Rolle zu spielen. In der Volks- oder Bürgerversammlung, so Losaeus, überwiegen die einfachen Leute. Diese neigen zur Uneinigkeit. Deshalb komme in der Volksversammlung schwerlich eine einhellige Meinung zustande.409 Zur Verdeutlichung der Juristenlehre von der Stadt als körperschaftlicher respublica sei ein in seiner Zeit maßgebender Traktat über die Rechte und Privilegien der deutschen Reichsstädte herangezogen, der bereits erwähnte dickleibige „Tractatus politico-historico-juridicus de civitatium imperialium iuribus et privilegiis" des Esslinger Stadtsyndikus Philipp Knipschild aus dem 406

Vgl. Anm. 403. Johannes von Segovia, Liber de magna auctoritate episcoporum (wie Anm. 398), Kap. 10, § 5, 142. 408 Ebd. Kap. 11, § 3 , 143. 409 „Vulgares, et plebei facile dissentiunt [...] Populus vero difficilius, quia augetur numerus personarum, et consequenter diversitas animorum. In populo enim inest plebs [...] Homines enim faciles sunt ad dissentiendum." Losaeus, Tractatus (wie Anm. 390), T. 1, Kap. 3, Nr. 6-8, 56.

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Jahre 1657. Das Werk wurde 1687 erneut aufgelegt 410 und kam 1740 in dritter Auflage mit Anmerkungen des bekannten Reichsjuristen Johann Jakob Schmauß heraus. Der Traktat war nach dem Urteil von Dietmar Willoweit das „Standardwerk zum reichsstädtischen Staatsrecht im 17. und 18. Jahrhundert überhaupt".411 Knipschild behandelte die deutschen Reichsstädte, wie der Titel verdeutlicht, im übrigen nicht nur als Jurist, sondern auch als politischer Philosoph und als Historiker. Im Zentrum von Knipschilds Erörterungen stand der Körperschaftsbegriff. In Anlehnung an Bartolus, Baldus und Losaeus definierte der Autor Körperschaft als Vereinigung von Menschen zu einem „mystischen Körper"412, einem „gedachten Körper", oder einem „Rechtsnamen"413. Knipschild maß jeder Stadt und somit auch den deutschen Reichsstädten den Rechtscharakter der Körperschaft bei. 414 Er legte dar, daß nicht nur den völlig unabhängigen Städten, sondern auch den Reichsstädten und den sich selbst regierenden Landstädten die Eigenschaft der respublica zukomme. 415 Er definierte die reichsstädtische respublica in zweierlei Hinsicht, im materialen und im formalen Sinne. Respublica umschreibe im materialen oder konkreten Sinne die in einer bestimmten politischen Ordnung an einem bestimmten Ort als öffentlicher Verband zusammentretenden Bewohner der Stadt, beispielsweise der Respublica Norimbergensis, der Republik Nürnberg.416 Respublica um-

410

Philipp Knipschild, Tractatus politico-historico-juridicus de civitatium imperialium iuribus et privilegiis. 2. Aufl. Ulm 1687, danach im folgenden zitiert. Dietmar Willoweit, Juristische Argumentation in den Werken von Rechtskonsulenten mindermächtiger Stände, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 131, 1995, 189-202, hier 191. 412 „Universitas nihil aliud est, quam ipsimet homines universitatis [...] collective sumti, nam homines separati et singuli, non faciunt universitatem, et populum, et ideo universitas proprie non dicitur homines, sed hominum collectio in unum corpus mysticum, et abstractive sumtum." Knipschild, Tractatus (wie Anm. 410), Buch 1, Kap. 1, Nr. 53, 9. 413 „Corpus quoddam intellectuale et juris nomen." Ebd. Buch 5, Kap. 7, Nr. 10, 1077. 414 „Différant [...] civitas et universitas, ut latius et augustius; recte enim dicitur: Omnis Civitas est universitas, sed non vice versa, omnis universitas est civitas." Ebd. Buch 1, Kap. 1, Nr. 53, 9; „Civitates Imperiales, quatenus c o n s i d e r a n t e ut universitates et coramunitates, universitatum quoque juribus et privilegiis utuntur et gaudent." Ebd. Buch 2, Kap. 32, Nr. 1, 553. 415 Quandoque etiam, ac proprie Respublica sumitur pro civitate tantum Romana [...] Olim enim Rempublicam non habebat, nisi populus Romanus, vel Imperator, hodie vero quaelibet civitas, quae superiorem non recognoscit, aliae vero civitates, castra et municipia subdita, non dicuntur proprie et stricte habere Rempublicam, sed improprie, et largo modo [...] Atque ita improprie Respublica sumitur etiam pro civitate, urbe, municipio [...] Omnis civitas, que est constitutio populi, Respublica est, inquit Cicero [...] et sie dicitur Respublica Argentinensis, Norica, Augustana, Ulmensis, Eslingensis, Reutlingensis, etc. et quaelibet civitas venit appellatione Reipublicae, et habet Rempublicam, scribit Baldus." Ebd. Buch 1, Kap. 1, Nr. 43 f., 7 f. 416 „Concretive Respublica sumitur pro coetu hominum publico, certo loco habitantium, et certo ordine gubernatorum, veluti si Respublica Norimbergensis, vel alia, sumatur pro ipsa 411

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schreibe im formalen oder abstrakten Sinne die politische Ordnung dieses öffentlichen Verbandes, beispielsweise der Republik Nürnberg.417 Was das Verhältnis der Bürgerschaft zum Rat anbetrifft, erläuterte Knipschild entsprechend der Körperschaftslehre: Die Stadt sei wie jede Körperschaft ein nomen juris, eine Rechtsfiktion, die, um zur persona repraesentata aufzurücken, der Leitung durch rectores und moderatores bedürfe.418 In den rein aristokratisch verfaßten Reichsstädten stelle der Rat die Stadt bzw. das Volk ausschließlich dar.419 In solchen aristokratisch verfaßten Reichsstädten, in denen sich die Zunftvertreter gewisse Mitwirkungsrechte am Regiment vorbehalten hätten, nämlich bei Entscheidungen über Krieg und Frieden, Statutenänderung, Bündnissen, neuen Steuern, Veräußerung von Gemeindeeigentum und ähnlichem, hätten die Zünfte bzw. deren Vorsteher einen Anteil an der Repräsentation 420 In den demokratisch verfaßten Reichsstädten finde im Unterschied zu den aristokratisch regierten Städten keine Repräsentation statt, sondern trete das Volk zu Beratungen und Gericht zusammen, delegiere Gewalt an Amtsträger oder beständen Mischformen zwischen diesen beiden Ausprägungen der Demokratie.421 civitate, et hominibus Norimbergicis, et sic dénotât materiale, seu objectum Reipublicae." Ebd. Buch 1, Kap. 4, Nr. 45, 8. „Abstractive sumitur Respublica pro ordine, sive statu, regimine et administratione publici coetus, veluti quando Rempublicam Norimbergensem aeeipimus pro ordine et regimine in administranda República Norimbergensi, quae formale istius Reipublicae dénotât." Ebd. Nr. 46, 8. 418 „Civitas, universitas et collegium sunt nomina juris, et dicuntur personae repraesentatae per eorum rectores et moderatores." Ebd. Buch 5, Kap. 1, Nr. 9, 1038. 419 „Quando igitur constat, Imperatorem constituisse Senatum, eique jus civitatem, ejusque jura regendi et homagium a civibus reeipiendi potestatem concessisse, vel cives ipsos in concessione magistratus, in statu democratico nihil sibi juris reservasse, sed omnia in senatum, sive temporarium, sive perpetuum, tanquam optimates transtulisse, tunc reliqui cives mere fiunt subditi,et non immediate Caesari, sed soli senatui juramento adstricti, nec eorum consensus in rebus civitatis peragendis requiritur. Cum in civitatibus Imperialibus populus o m n e m potestatem in Senatum transtulerit" sei hier der Rat „in locum Principis electus." Es gelte, daß „talis magistratus civitatem repraesentet" und sei festzuhalten: „Senatum Principis personam repraesentare . . . eumque totum populum repraesentare, ejusque potestatem obtinere". Daraus folgere „quod proceres, sive Senatus civitatis, quibus guvematio, et omnis administratio rerum publicarum concessa est, faciunt, id pro eo habetur, ac si tota civitas fecisset". Ebd. Nr. 3 - 8 , 1038. 420 „Quod si vero populus jura quaedam et causas sibi reservavit, Senatus in his civitatem non omnino repraesentat, sed tribunorum Consilio et consensu ipsius habet, qualia plerumque sunt actiones belli et pacis, legum civitatis rogationes, foedera, munerum novorum, tam ordinariorum, quam extraordinariorum injungendorum, necessitates, rerum universitatis alienationes, et similia, quae ad totam universitatem, den Rath/Zunfft und Gemeinde/ definienda pertinent. Et in his casibus civitas non aliter, quam per hoc generale consilium repraesentatur. [...] Cujusmodi jura, conditiones, leges et privilegia civibus vel tribubus reservata et competentia, inviolabiliter servanda sunt, indeque in talibus casibus et causis obligationes, mandata et decreta Senatus inscribi et subscribi non sufficit Wir Burgermeister und Rath/ sed addendum est, und aller Burger gemeiniglich." Ebd. Nr. 9f., 1038. 421 Ebd. Buch 1, Kap. 8, Nr. 3 6 - 4 0 , 65. 417

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Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Rechtsauffassungen für das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft? Nach Knipschild sind die Befugnisse des Rats in der Stadtverfassung, der constitutionis forma, festgelegt. 422 Diese sei dem Rat entweder vom Kaiser oder von den für die städtische Korporation handelnden Bürgern gegeben worden und regele die Zuständigkeiten des Rats sowie der kommunalen Amtsträger, soweit diese nicht dem Rat angehören.423 Nachdrücklich stellte der Eßlinger Stadtsyndikus in diesem Zusammenhang den obrigkeitlichen Charakter des Ratsregiments heraus. Das Volk, der populus, habe in den Reichsstädten alle Gewalt dem Rat überantwortet, dieser nehme die Stellung des Kaisers ein. 424 Zustimmend zitierte Knipschild425 bei der Behandlung dieser Frage aus der 1612 erschienenen „Chronica der freien Reichsstadt Speier" des Christoph Lehmann den oben (in Abschnitt V.) wiedergegebenen Passus über die „Würdigkeit eines Rahts in Reichs Stätten". Aus der obrigkeitlichen Stellung des Rats leitete Knipschild eine strenge Gehorsamspflicht der Bürger ab. Er widmete diesem Punkt ein eigenes (wenn auch kurz gehaltenes) Buch 426 und stellte heraus: Die Bürger schulden ihrem Rat Achtung, Ehrerbietung, Gehorsam und Ehrenbezeugungen.427 Die Gehorsamspflicht gilt auch gegenüber ungerechten und verbrecherischen städtischen Amtsträgern, da deren Gewalt von Gott stammt.428 Knipschild führte des weiteren aus, daß die Bürger dem Rat nicht anders unterstellt und zum Ge-

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„Potestas et officium magistratus consistit in ipsius concessionis et constitutionis forma." Ebd. Buch 5, Kap. 1, Nr. 3, 1038. 423 „Cum enim in arbitrio constituentis Imperatorie, vel universitatis, sive civium fuerit, quid et quantum de proprio, vel concesso sibi imperio, jurisdictione, regalibus, et aliis juribus Senatui, aliisque magistratibus tribuere voluerint, et sie magistratus nullam videatur habere jurisdictionem, nisi quatenus per ipsam concessionem, vel civitatis statuta, ipsi expresse tributum." Ebd. 424 Vgl. Anm.419. 425 Ebd. Nr. 6, 1038. 426 .¿Iber sextus. Agens de officio civium et subditorum erga magistratum." Ebd. 1156— 1164. 427 Knipschild beschrieb im Eingang des 6. Buches den zu behandelnden Gegenstand wie folgt: „Restât nunc, ut paucis indicemus, quodnam civium et subiditorum officium erga Dominos et magistratus suos." Ebd. Buch 6, Kap. 1, Nr. 1,1156 und hielt fest: „Cives magistratui suo tenentur ad reverentiam, honorem et obsequium". Ebd. Buch 6, Kap. 1, Nr. 1, 1156. „Quod nihil aliud est, quam debitas cultus, honor et veneratio, quae magistratui a subdito, cum timore et tremore debetetur." Ebd. Nr. 2, 1156. „Atque inde omnes subditi et cives Dominum et magistratum suum honorare, eique reverentiam praestare tenentur." Ebd. Nr. 3. 1157. „Persona Domini et magistratus subditis et civibus semper debet esse saneta et honesta." Ebd. Nr. 8, 1157. „Et sie subditas et civis Magistratui, Senatori et Domino suo tenetur facere reverentiam, adsurgendo ipsi, honorando eum cum bireto, eumque salutando, etc." Ebd. Nr. 10,1157. „Tenentur [...] subditi et cives Dominis et Magistratibus praestare obedientiam, et subjectionem." Ebd. Kap. 2, Nr. 1, 1159. 428 „Et non tantum bonis, sed etiam impiis magistratibus et sceleratis obedientia et reverentia praestanda, si non propter ipsos, ipsorumque malitiam, propter ilium tarnen, qui eos propter peccata nostra elegit, Deum videlicet." Ebd. Kap. 2, Nr. 2, 1159.

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horsam verpflichtet seien als die fürstlichen Untertanen ihrem Herrn 429 , und verwies die vom Rat bedrängten Bürger auf den Klageweg vor die obersten Institutionen des Reiches 430 . Daß die auf den Vorrang des Rats gegenüber der Bürgerschaft abhebende Körperschaftslehre auch noch im 18. Jahrhundert in Deutschland das Feld beherrschte, belegt niemand nachdrücklicher als Johann Jacob Moser. In seiner 1772 herausgekommenen Abhandlung „Von der Reichs-Stättischen Regiments-Verfassung" umschrieb Moser die Stellung des reichsstädtischen Magistrats wie folgt: „Der Magistrat einer Reichstatt ist dasjenige Collegium von Personen, welche ordentlicher Weise das Stattregiment führen und der gemeinen Statt Angelegenheiten besorgen." 431 Zur Bürgerschaft vermerkte Moser: „Die Burgerschafft und übrige Eingesessene einer Reichsstatt haben in Corpore und einzeln gegen die Obrigkeit eben diejenige Pflichten, wie anderer Reichsstände Unterthanen gegen ihre Landesherrschaft; nemlich 1. Ehrerbietigkeit und 2. Gehorsam; dahero auch die Vergehung wider das eine oder andere von denen höchsten Reichsgerichten ernstlich geahndet wird." 432 Als Fazit sei festgehalten: Die Juristen, hier vor allem vertreten durch Losaeus und Knipschild, begriffen Repräsentation in der sich selbst regierenden Bürgerstadt außer bei der Demokratie nicht als Mandat, sondern als Identität. Sie wiesen dem Rat als dem vorzüglichen Inhaber der Identitätsrepräsentation der Bürgergemeinde das volle Regiment über diese zu und beschränkten die Rechte der Bürgerschaft auf ein Zustimmungs- und in bestimmten Fällen Mitwirkungsrecht zum Ratshandeln, traten also für das „konsensgestützte Ratsregiment" ein.

3. Rat und Bürgerschaft in der zeitgenössischen politischen Theorie Für das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen politischen Theorie soll die alles beherrschende Schule des „maestre di coloro chi sanno" (Dante, Divina Commedia) stehen, der politische Aristotelismus. Aristoteles' Grundansatz war, erstens, daß der Mensch von Natur aus und nicht etwa als Folge eines Gesellschaftsvertrags ein geselliges Wesen (zoon politikon, animal sociale) sei, geschaffen zu einem familien-, haushalt- und dorfübergreifenden Zusammenleben in der polis (civitas) 429

„Cives Senatui subsunt et parent, non secus ac subditi Principi." Ebd. Nr. 1, 1159. „Cives Senatus corpori parent, non aliter, quam alii subditi suo Principi." Ebd. Buch 2, Kap. 1, Nr. 37, 163. 430 „Ita enim in Imperio nostro Romano subditi habent Caesarem, Cameram Imperialem et Status Imperii, ubi plangant et mandata impetrent." Ebd. Buch 6, Kap. 4, Nr. 16, 1163. 431 Johann Jacob Moser, Von der Reichs-Stättischen Regiments-Verfassung. (Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 18.) Frankfurt/Leipzig 1772, Ndr. Osnabrück 1967, 30. 432 Ebd. 73.

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als dem Ort auskömmlichen Daseins; zweitens, daß die Menschen von Natur aus und nicht etwa als Folge eines zivilisatorischen Prozesses ungleich geschaffen seien: die einen zum Herrschen, die anderen zum Gehorchen geboren. Die Rezeption der „Politik" des Stagiriten durch die Scholastiker vollzog sich vor dem Hintergrund der Geltungskraft eines Sozialmodells, das im Sinne der in Abschnitt V angesprochenen Ständelehre auf die Ungleichheit von „Herr und Knecht" sowie - innerhalb der gebietenden Stände - auf ungleiche Grade der Vornehmheit und damit der Befähigung zum Regiment abhob. Dem entsprach in anthropologischer Hinsicht die von den Scholastikern nie verworfene, wenn auch durch ihr Vertrauen auf das Vernunftpotential des Menschen entschärfte Lehre des Kirchenvaters Augustinus, daß die Menschen als Folge des Sündenfalls und wegen der Hinfälligkeit ihrer natura lapsa einer von Gott gesetzten Obrigkeit bedürfen, damit sie in Eintracht zusammenleben können. Während Aristoteles darauf vertraute, daß die Menschen dazu bestimmt und deshalb auch geeignet seien, als Bürger (polites, cives) in der Bürgergesellschaft (koinonia politike, societas civilis) zusammenzutreten, rückte in der scholastischen Rezeption seines Gesellschafts- und Politikmodells von Anbeginn an die friedens- und ordnungsstiftende Bestimmung der Obrigkeit in den Vordergrund. Das hatte weitreichende Folgen für den Begriff des Politischen, wie das bereits bei Thomas von Aquin hervortritt. Hatte Aristoteles die politische Ordnung (politela) als „Ordnung der Polis" (poleos taxis) 433 umschrieben und war Wilhelm von Moerbeke in seiner für die Scholastiker maßgebenden Übersetzung der „Politik" des Stagiriten434 der griechischen Vorlage wortwörtlich gefolgt 435 , wurde daraus im Kommentar des Thomas von Aquin: „Dicit quod politia nichil est aliud quam ordinatio civitatis quantum ad omnes principatus qui sunt in civitate, sed precipue quantum ad maximum principatum qui dominatur omnibus aliis principatibus."436 Diese Steigerung von ordo zu ordinatio, also von Ordnung zur Hervorbringung der Ordnung, wurde noch deutlicher im Kommentar des Aquinaten zu politeuma. Aristoteles begriff darunter die oberste Gewalt, das Regiment als den Kern der politeia 437 Wilhelm von Moerbeke folgte in seiner Übersetzung dem

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Vgl. Aristoteles, Politik. Benutzt nach: Aristotelis Politica. Ed. by W. D. Ross. Oxford 1957, 1278b, 78. 434 Franz Susemihl (Hrsg.), Aristotelis politicorum libri octo, cum vetusta translatione Guilelmi de Moerbeka. Leipzig 1872. 435 „Est autem politia ordo civitatis aliorum principatuum et maxime dominantis omnium. Zitiert nach dem Abdruck in: Thomas von Aquin, Sententia libri politicorum. (Opera omnia, Ed. Leonina, Vol. 48.) Rom 1971, Buch 3, Kap. 5, S. A 200. 436 Ebd. Buch 3, Kap. 5, S. A 201. 437 Vgl. Aristoteles, Politik (wie Anm. 433), 78.

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griechischen Wortlaut.438 Die Paraphrase des Thomas von Aquin rückte demgegenüber wiederum den Gesichtspunkt der ordinatio in den Vordergrund: „Politeuma civitatis, id est positio ordinis in civitate, tota consistit in eo qui dominatur civitati; et talis impositio ordinis est ipsa politia."439 Diese Bestimmung des politischen Regiments als einer gestaltenden Kraft findet sich erneut in dem um 1300 abgefaßten Traktat „De regimine principum" des Aegidius Romanus 440 und wurde auf dem Weg über diesen Grundtext des abendländischen politischen Aristotelismus zur maßgeblichen Anschauung. Untermauert wurde dieses Konzept des politischen Regiments durch seine ontologische Fundierung im Entelechiekonzept des Stagiriten. Demzufolge wurde das Regiment als forma (für griechisch dynamis) begriffen, welche eine als materia (für griechisch hyle) umschriebene, also sozusagen amorphe Menge zur Einheit der Bürgergesellschaft zusammenfügt, wie das bereits 1374 Nicole Oresme in dem Kommentar zu seiner Übersetzung von Aristoteles' „Politik" ins Französische zum Ausdruck brachte: „Les hommes ou les gens sunt la matiere de la cité, mes l'ordenance et la gubernacion de elle, ce est la forme de elle." 441 Es ist also festzuhalten: Ging Aristoteles von der bestehenden Bürgergesellschaft aus und erörterte dann die zweckmäßige Ausgestaltung von Regierung, Verwaltung und Rechtsprechung, erkannte der abendländische politische Aristotelismus dem Regiment die bestimmende Rolle bei der Hervorbringung der Bürgergesellschaft zu - diese wurde nachgerade zum Objekt des obrigkeitlichen Handelns. Eine solche Tendenz verstärkte sich in dem Maße, wie seit dem späten 16. Jahrhundert Bodins Souveränitätskonzept von den politischen Aristotelikern aufgenommen wurde. Das galt für das fürstliche Regiment über Stände und Untertanen so gut wie für das Ratsregiment über Bürger und sonstige Eingesessene der Bürgerstadt. In Deutschland rückte unter dem Einfluß Melanchthons auch im protestantischen Raum die politische Lehre des Aristoteles zur bestimmenden Doktrin auf. Als ein Gewährsmann unter vielen möglichen sei Henning Arnisaeus her-

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„Dominans quidem enim ubique est politeuma civitatis; politeuma autem est politia." Zitiert nach dem Abdruck in: Thomas von Aquin, Sententia libri politicorum (wie Anm. 435), S. A 200. 439 Thomas von Aquin, Sententia libri politicorum (wie Anm. 435), S. A 201. 440 „Politia enim quasi idem est, quod ordinatio civitatis quantum ad omnes principatus qui sunt in ea, et principaliter quantum ad maximum principatum qui dominatur [im Text: dominantur] omnibus aliis. Politia enim consistit maxime in ordine summi principatus, qui est in civitate. Omnis ergo ordinatio, civitatis Politia dici potest." Aegidius Romanus (Egidio Colonna), De regimine principum libri III. Benutzt nach der Ausgabe Rom 1607, Ndr. Aalen 1967, Buch 3, Teil 2, Kap. 2 , 4 5 5 . 441

Nicole Oresme, Le livre de politiques d'Aristote. Ed. par Albert Douglas Menut. (Transactions of the America Philosophical Society, NS., 60/6.) Philadelphia 1970, 119 Α.; weitere Belege bei Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 565.

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angezogen. 442 In seinen beiden dickleibigen Traktaten über „Politik"443 und „Republik"444, erschienen 1606 und 1615, stellte der Helmstedter Professor nach scholastischer Manier Bürger und Regiment als materia und forma der politischen Ordnung einander gegenüber, umschrieb die Bürger als civitas und kennzeichnete - entsprechend dem von Leonardo Bruni propagierten humanistischen Wortgebrauch445 - das Regiment als respublica (anstelle von Moerbekes politia). Arnisaeus faßte unter civitas die in der Stadt oder in einem Gebiet zusammenlebenden Familien und Haushalte im Sinne einer Vielheit von Personen und Personen verbänden. Er begriff respublica als die Kraft, welche, als forma simul et finis civitatis, solche Personen und Verbände zur Einheit eines politischen Verbandes zusammenfügt. 446 Durch die respublica, so Arnisaeus, wird den Bürgern eine politische Ordnung auferlegt. Das sei erforderlich, da die Menge, die multitudo, ohne eine solche Ordnung nichts als Verwirrung hervorbringe, und deshalb Glück und Eintracht zunichte würden.447 Diesem Ansatz folgend definierte Arnisaeus respublica als die zwischen Gehorchenden und Befehlenden unter der Leitung der souveränen Gewalt aufgerichtete Ordnung. 448 Respublica, begriffen als politische Ordnung der civitas, stelle sich als das Gefüge der Obrigkeiten unter der Leitung der obersten Gewalt dar, von der aus mittels Amtsträgern das Regiment über die Untertanen gehandhabt werde. 449 Nach dieser Definition von respublica fügt das Regiment die Haushalte und sonstigen vorpolitischen Gestaltungen der Gesellschaft, die civitas, zur Einheit 442

Über dessen Gedankenwelt vgl. die Dissertation von Horst Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die ,Politica' des Henning Arnisaeus (ca. 1575-1636). (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Bd. 55.) Wiesbaden 1970. 443 Henning Arnisaeus, Doctrina politica in genuinam methodum, quae est Aristotelis, reducta. Frankfurt am Main 1606, benutzt nach: ders., Opera politica omnia. 2 Bde. Augsburg 1648, hier Bd. 1. 444 Ders., De república, seu relectionis politicae libri duo. Frankfurt am Main 1615. Benutzt nach: ders., Opera politica omnia (wie Anm. 443), Bd. 1. 445 Dazu Mager, Art. „Republik" (1992) (wie Anm. 8), 865 f. 446 Vgl. Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 567f.; ders., Art. „Republik" (1992) (wie Anm. 8), 867 f. 447 Die „respublica" sei „taxis, quia per Rempublicam cives in ordinem coguntur, cum multitudo sine ordine confusiones pariat, et felici concordique vitae obsistat". Arnisaeus, Doctrina politica (wie Anm. 443), Kap. 7, 59. „Taxis" sei gleichbedeutend mit „ordo" und „ordinario. Utrumque enim vocabulum désignât legitimam Constitutionen! civitatis, in ordine consistentem." Ebd. 448 „Ordo inter parentes et imperantes, dependens potissimum ab una summa potestate, quam nos Majestatem proprie dici [...] probabimus." Arnisaeus, De república (wie Anm. 444), Buch 2, Kap. 1, Abschnitt 1, Nr. 12, 296. 449 „Perfecta [...] definitio Reipublicae est, quod sit ordo civitatis, tum aliorum imperiorum, tum praecipue summae potestatis, a qua produit regimen per medios magistratus in universos subditos." Ebd. Nr. 14, 296.

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des politischen Verbandes zusammen. 450 Eine andere Frage war die, ob das Regiment in einer, mehreren oder vielen Händen liegen oder in Gestalt eines Mischregiments gehandhabt werden solle. Die politischen Aristoteliker blieben in diesem Punkte offen und erkannten Monarchie, Aristokratie und Demokratie sowie das Mischregiment gleichermaßen als „gute" Ausprägungen der respublica an, sofern nur das Regiment auf das öffentliche Wohl gerichtet sei. Es geht jetzt darum zu prüfen, wie die politischen Aristoteliker das Verhältnis von Rat und Bürgern in der libera respublica und speziell in den deutschen Städten charakterisierten. Zu diesem Zweck wird erneut auf Knipschilds Traktat zurückgegriffen und dieser Autor nun als politischer Theoretiker zu Rate gezogen. Knipschild entwickelte zunächst den allgemein gefaßten Begriff der respublica und erläuterte, unter respublica sei das souveräne Regiment über Menschen zu verstehen und das, was sie je für sich und was sie gemeinsam zu eigen hätten.451 Er führte dann aus, respublica könne auf jedwedes Regiment bezogen werden: auf das Römische Reich, auf Königreiche, auf Provinzen und Nationen. 452 Er ging anschließend zu respublica im engeren Sinn, also in der Bedeutung libera respublica, über und vermerkte, in dieser Verwendung beziehe sich Republik auf die politische Ordnung der Stadt Rom sowie „heutzutage" (hodie) auf jede unabhängige Stadt und nicht zuletzt auf das politische Regiment der deutschen Reichsstädte.453 Die hier interessierende Frage ist die nach der Bewertung des aristokratischen Regiments im Vergleich zum demokratischen sowie die nach diesen beiden Ausprägungen der libera respublica im Vergleich zum Fürstenregiment. Das führt zu der bereits von Aristoteles aufgeworfenen Frage nach der besten politischen Ordnung. Die Aristoteliker des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit haben diesen Punkt eingehend erörtert. Knipschild griff seinerseits diese Debatte der politici auf. 454 Er stellte Monarchie, Aristokratie und Demokratie einander gegenüber und gelangte zu dem Urteil: Im Vergleich mit der Monarchie und der Aristokratie falle die Demokratie weit ab 4 5 5 Die meisten 450

Zu den analogen Positionen von Balthasar Cellarius und Hermann Conring vgl. Mager, Art. „Republik" (1984) (wie Anm. 8), 568 f. 451 „Definitur enim Respublica, quod sit hominum plurium, ac rerum privatarum, tum inter se communium, summa cum potestate ac ratione gubernatio." Knipschild, Tractatus (wie Anm. 410), Buch 1, Kap. 1, Nr. 41, 7. Knipschild variierte (unter Anlehnung an zeitgenössische Gewährsleute): „Vel quod sit ordo consistens in regimine, summae potestatis, et magistratus [...]; vel, quod sit universitas legitimae civitatis uno Imperio contentae." Ebd. 452 Ebd. Nr. 42, 7. 453 Ebd. Nr. 43 f . , 7 f. 454 „Quaenam porro inter has Rerumpublicarum formas, Monarchiam, Aristocratiam et Democratiam, praestantior et aliis praefenda sit, contendunt Politici." Ebd. Buch 1, Kap. 8, Nr. 69, 70. 455 „Comparatione cum Monarchie et Aristocratia facta, Democratiam illis deteriorem et imperfectiorem esse, non videtur esse dubitandum." Ebd. Nr. 94, 73.

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politischen Philosophen, s o Knipschild, erachten die D e m o k r a t i e ungeachtet der Chance, d i e sie für d i e Entfaltung v o n Bürgerfreiheit und Bürgergeist b i e t e 4 5 6 , als die schlechteste R e g i m e n t s f o r m . 4 5 7 D a s Volksregiment n e i g e zur Unvernunft und z u m Gesetzesbruch, zur Ungerechtigkeit und Unbilligkeit, z u m inneren Z w i s t und letztendlich zur A n a r c h i e . 4 5 8 D a s Volk sei ein Tier mit v i e l e n K ö p f e n 4 5 9 , ohne Vernunft, U m s i c h t und Beständigkeit, z u m Umsturz g e n e i g t 4 6 0 . D a s m a c h e starke Obrigkeiten erforderlich, die man am w e n i g s t e n in der D e m o k r a t i e finde.461 Z u unterscheiden sei freilich z w i s c h e n der absolut besten und der unter bestimmten B e d i n g u n g e n besten R e g i m e n t s f o r m . 4 6 2 B i s w e i l e n k ö n n e durchaus auch die D e m o k r a t i e e i n e g e e i g n e t e R e g i m e n t s f o r m sein.463 Was die deutschen Reichsstädte anbetrifft, urteilte Knipschild: Es l i e g e im Interesse der Bürger, v o n würdigen und reichen Männern regiert zu werd e n . 4 6 4 D i e Vornehmen und die Patrizier s e i e n besser als die einfachen Leute

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Es lasse sich die These vertreten, so Knipschild, „quod in Démocratie cives plerique omnes, vere sint cives; in aliis vero Rerumpublicarum formis, cives videntur subditi, et servi magis, quam cives [...] magisque cives in Democratia publicae saluti Student, et a proditionibus abharrent [...] et minus largitionibus corrumpuntur, patriaeque amicis fideles existunt". Und weiter: „Democraticum hoc Imperium magis legitimum esse et humano generi per conditiones cunctis communes, naturalique libertati magis congruere videtur, qua omnes homines singulique aequali nascendi jure, a Deo mundi Domini facti sunt". Ebd. Nr. 85 f., 72. 457 „Plerumque tarnen Politici Democratiam infimam ac postremam Rerumpublicarum formam esse judicant." Ebd. Nr. 93, 72. 458 „Quamvis libertas Civitatum Imperialium omnibus civibus inter se aequa et aequali ratione competat", bestehe die Tendenz, daß „tarnen tali regimine populari [...] non ratio, non lex, non justitia, non aequitas, sed impetus regnaret, et imperia popularía, crudeliora quam tyrannica, et maxime mutationibus obnoxia essent." Ebd. Buch 2, Kap. 8, Eingang und Nr. 1, 324. Es gelte: „Anarchia nihil sit periculosius et detenus. Praestetque sub malo, quam nullo vivere magistratu". Ebd. Nr. 5, 325. 459 „Bestia multorum capitum populus est; et vulgus inter bestias commemoratur a Demosthene." Ebd. Buch 1, Kap. 8, Nr. 94, 73. 460 Ebd. 461 „Parumque fuisset universitatem habere bona, res, privilegia, et alia jura, nisi essent officiates et magistratus, qui ipsas universitates regerent et administrarent." Denn es gelte, daß „nihil tarn aptum censeatur ad jus, conditionemque Naturae quam Imperium, ac sine Imperio, sive magistratu, nulla gens, nulla Respublica, nulla domus, nulla civitas, nec hominum universum genus stare, nec rerum natura omnis, nec mundus ipse consistere posset." Ebd. Nr. 2f., 324. 462 „Quod si non simpliciter, et per se formas Rerumpublicarum perlustramus, nulla Reipublicae species absolute alteri praeferenda erit, sed quemadmodum Medicina una, non omnibus et singulis corporum constitutionibus ac complexionibus prodest, sic quoque et populorum diversi sunt mores, ingenia, habitus, non omnibus una eademque Reipublicae forma congruit." Ebd. Nr. 95, 73. „Atque ita distinguendum est inter id, quod absolute et ex ipsa rerum natura praestandus est, et inter id, quod propter certas quasdam temporum, locorum, personarum conditiones magis optabile et convenien est." Ebd. Nr. 96, 73. 463 Vgl. ebd. Nr. 95-97, 73. 464 „Reipublicae interest, per digniores et ditiores regi [...] et divitiae authoritatem et po-

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geeignet, öffentliche Ämter zu bekleiden. 465 Die Aristokratie komme am ehesten dem Gemeinwohl entgegen, da sie mehr als die Demokratie (und auch die Monarchie) die Gewähr biete, daß tugendhafte Männer zum Regiment gelangen. 466 Das hieß indessen nicht, daß sich Knipschild zugunsten der reinen Aristokratie aussprach. Vielmehr erklärte er sich für ein Mischregiment (mixtus status) aus Aristokatie und Demokratie. Das hatte bereits Aegidius Romanus (in Fortführung entsprechender Erörterungen des Aristoteles) getan.467 Anders als der italienische Aristoteliker optierte Knipschild freilich zugunsten eines Mischregiments, in welchem die aristokratischen Elemente gegenüber den demokratischen überwiegen, also, in unserer Terminologie, zugunsten des konsensgestützten Ratsregiments. In Anlehnung an Bartholomäus Keckermann468 legte er dar, ein solches Mischregiment komme Handel und Gewerbe zugute, stärke die städtischen Rechte und bewahre die kommunale Eigenständigkeit in einem fürstenstaatlichen Umfeld 4 6 9 Es sei in den meisten deutschen Städten anzutreffen.470 tentiam facilius conciliant: melius enim divites rerum experientia instruí possunt, quia non ut pauperes domi delitescunt, sed in luce vivunt." Ebd. Buch 2, Kap. 8, Nr. 82, 337. „Nobiles et Patritii potius, quam ignobiles et plebei ad magistrates assumendi sunt." Ebd. Nr. 85, 338. 466 Ebd. Buch 1, Kap. 8, Nr. 81-83, 71 f. 467 Aegidius Romanus unterschied zwischen Aristokratie („Si ergo regatur civitas non per unum solum, sed per quosdam paucos, tunc illi pauci vel sunt virtuosi et boni, et intendunt commune bonum; et tunc talis principatus dicitur Aristocratia, quod idem est quod princip a t o bonorum et virtuosorum") und Oligarchie („Sed si illi pauci non sunt virtuosi, nec intendunt commune bonum, sed sunt divites, et opprimentes alios intendunt proprium lucrum: huiusmodi principatus Oligarchia dicitur, quod idem est quod principatus divitum"), Aegidius Romanus, De regimine principum (wie Anm. 401), Buch 3, Teil 2, Kap. 2, 454, und beschrieb dann das in den italienischen Städten verbreitete Mischregiment wie folgt: „Possunt distingui principatus, ex eo quod in civitate dominantur multi, communiter enim in civitatibus Italiae dominantur multi, ut totus populus: ibi enim requiritur consensus totius populi in statutis condendis, in potestatibus eligendis, et etiam in potestatibus corrigendis. Licet enim semper ibi adnotetur potestas, vel dominus aliquis, qui civitatem regat; magis tarnen dominatur totus populus, quam dominus adnotatus, eo quod totius populi est eum eligere et corrigere, si male agat: etiam eius totius est statuta condere, quae non licet dominum [im Text: dominium] transgredí." Ebd. 455; unter „potestas" ist der kommunale Podestà zu verstehen. 465

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Bartholomaeus Keckermann, Systema disciplinae politicae. Hannover 1607. Benutzt nach der Ausgabe Hannover 1616. „Status mixtus ex Aristocratia et Democratia est accommodatissimus civitatibus sive urbibus; utpote in quibus praecipue debeant florere mercatores et opifices, qui cupiunt gaudere suis libertatibus, si florere debeant, et idcirco diffidunt statui Monarchico et Principum ministris atque aulicis, praesertim cum hodie tam magna sit aularum licentia." Buch 2, Kap. 5, 577. 469 „Mixtum statum ex Aristocratia et Democratia accommodatissimum esse civitatibus, in quibus mercaturae et opifices florent, qui gaudere cupiunt suis libertatibus, Principumque ministris et Aulis diffidunt, prudenter judicat Keckermann." Knipschild, Tractatus (wie Anm. 410), Buch 1, Kap. 8, Nr. 96, 73. 470 „Nostra aetate plerasque civitates mistim, Aristocratia et Democratia regi, perhibet Keckermann." Ebd. Nr. 96, 73; dazu Keckermann, Systema disciplinae politicae (wie Anm. 468), 576: „Per eminentiam hic status vocatur status urbium; quia hodie urbes plere-

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In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß in dem Maße, wie sich im Verlauf der frühen Neuzeit der Rat aus einem von Mal zu Mal zusammentretenden Beratungs- und Entscheidungsgremium zu einer ständig tätigen Behörde fortentwickelte, „Aristokratie" nicht länger eine herkömmliche Regimentsform umschrieb, sondern auf eine moderne, nämlich bürokratische Züge annehmende Verwaltung bezogen war. Knipschild hat den Wandel des Rats aus einem Regiment der Patrizier und Honoratioren zur professionellen Kommunalverwaltung erkannt und ihm in seinen Darlegungen zum Ausbildungs- und Tätigkeitsprofil der Ratsherren Rechnung getragen. Das soll zum Abschluß am Beispiel seiner Ausführungen über die Qualifikation des Ratsherrn verdeutlich werden. Knipschild plädierte nachdrücklich dafür, daß die kommunale Verwaltung Fachleuten überantwortet werde. Die Tätigkeit im Rat erfordere Eignung.471 Da im Gemeinwesen die Unwissenheit die Quelle allen Übels sei 472 , solle die städtische Obrigkeit von fachgeschulten Männern gebildet werden 473 . Damit sei nicht das jahrelange Studium des homo scholasticus, des Stubengelehrten, gemeint, sondern ein kurze, praxisbezogene Ausbildung. 474 Der Ratsherr benötige nicht viele, sondern nützliche Kenntnisse 4 7 5 Dazu zählte Knipschild die Beschlagenheit in Fremdsprachen und vor allem im Lateinischen, da das die gehobene europäische Verkehrssprache sei. 476 Der Ratsherr benötige soque ista forma reguntur, ita ut, qui velit Politiam urbium particulatim describere, eum oporteat praecipue respicere ad hunc statum mixtum ex Aristocratie et Democratia." „In magistratum eligendi sunt viri idonei, scilicet qui sciant, velint et possint Rempublicam bene administrare." Knipschild, Tractatus (wie Anm. 410), Buch 2, Kap. 8, Nr. 32, 328 f. 472 Es stehe fest: „Inscitiam in República miseriarum et calamitatum omnium causam esse [...] Quod adeo verum, ut etiam Consiliarii et Syndici cum indoctis principibus et magistratibus longe majores labores habeant, quam cum doctis et peritis, cum hi facile sentiant consilii vires, et an jure fundatum et profuturum sit, indocti vero et imperiti, qui principia ignorant vel non credunt, semper haereant, nec rationibus facile moveantur". Ebd. Nr. 46, 332. 473 „Imprimis ad Reipublicae gubernationem et in magistratus eligendi sunt viri docti et eruditi." Ebd. Nr. 45, 332. „Ars imperandi populo, et recte formandi Rempublicam res non minus difficilis, quam sublimis, et scientiarum scientia." Ebd. Nr. 47, 332. „Reipublicae moderatoribus summopere necessaria est eruditio et imperandi ars et scientia." Ebd. 474 „Aliter tarnen literas tractare debet magistratus, maxime Princeps, aliter homo Scholasticus, vel alius. Dum enim doctrinam et eruditionem in magistrate requirimus, non hoc volumus, quod is in studiis pene consenescere debeat: nam si exactissime omnia cognoscere velit, multum requiretur temporis, ita ut nunquam, vel nimis sero ad gubernacula possit accedere, consiliis, negotiisque publicis interesse, omnia ipse perpendere et judicare." Ebd. Nr. 50, 332 f. 475 „Modus igitur ipse tenendus, et obervandum quod is, qui non multa novit, sed qui utilia novit, sapiens est." Ebd. 333. 476 „Imprimis autem magistratus variarum, maxime vero Latinae linguae cognitionem habere debet, utpote quae apud omnes propemodum nationes frequens et usitata, et nunc quasi commune vinculum est, quod Europam inter se commerciis literarum et sermonis jungit."Ebd. Nr. 51,333. 471

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dann hinreichende Kenntnisse der Geschichte als eines unentbehrlichen Erfahrungsschatzes.477 Er müsse rhetorisch geschult sein, denn nur dann könne er sich gegenüber dem einfachen Volk behaupten.478 Unverzichtbar seien ferner solide Kenntnisse des öffentlichen Rechts. 479 Nicht minder wichtig sei die Beschlagenheit in der politischen Wissenschaft 480 Alles das mache, zusammengenommen, den Verwaltungsexperten, den politicus, aus.481 Das von Knipschild entworfene Ausbildungs- und Tätigkeitsprofil des Ratsherrn spiegelte den in Abschnitt VI.l erörterten Wandel des Ratsamts vom Stand zum Beruf. Dem entsprach es, daß Knipschild den Aufstieg im Rat als Laufbahn konzipierte482 und für die Tätigkeit im Rat eine standesgemäße Besoldung empfahl, damit der Ratsherr weder auf Geschenke angewiesen sei noch dazu verleitet werde, sich aus seinem Amt zu bereichern483. Wir brechen hier ab und halten als Ergebnis fest: In ihren Auslassungen über die geeignete politische Ordnung in der deutschen Stadt waren die politischen Aristoteliker geneigt, dem Mischregiment aus Aristokratie und Demokratie den Vorzug vor dem reinen aristokratischen und erst recht dem reinen demokratischen Regiment zu geben, das heißt aber, in unserer Sprache: Sie optierten zugunsten des konsensgestützten Ratsregiments.

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„Deinde historiarum cognitionem ante omnia Reipublicae moderatores cognitam habere debent, et quid ante ipsos antecessores gesserint in República, qualia ipsorum Consilia et facta fuerint, qualesque eventus. Cum cognitiones hujusmodi ad deliberationes publicas utilissimae sint." Ebd. Nr. 52, 333. 478 „Eloquentia quoque magistratibus et Rerempublicarum moderatoribus summe utilis et necessaria est, siquidem magistratus populum tractat admodum insolentem, delicatum, contumacem, non obedientem in omnibus, ita necesse habet, verbis et oratione multa fingere et conformare, non pauca, quae impedimento sunt." Ebd. Nr. 54, 333. 479 „Ante omnia autem Rerumpublicarum gubernatores decet, ipsisque necessaria est Jurisprudentia, [...] cum enim ipse magistratus civibus et subditis ad justitiae administrationem teneatur, [...] necessarium omnino erit, ut ipse juris scientiam habeat [...] Unde juris Civilis sapientia dicitur sanctissima et inaestimabilis." Ebd. Nr. 55, 333. 480 „Non minus quoque, imo maxime necessaria est magistratibus prudentia politica, utpote, quae nihil aliud est, quam prudentia de República judicandi, eamque recte constituendi, et ad salutem civium administrandi." Ebd. Nr. 56, 334. 481 „Unde homines politici appellantur, vel qui artis administrandi Rempublicam habentur periti [...] vel qui actu in politiae gubernatione versantur, qui Reipublicae gerendae salutaribus consiliis et ope adsunt [...] Et Politicus dici et describi solet, qui salutaribus consiliis Reipublicae gerendae in partibus ejus sibi commissis prodesse potest, neque scientiam tantum rerum gerendarum, sed et usum habet." Ebd. Nr. 57, 334. 482 „Consultum est sensim et per gradus ad magistratum pervenire, exemplo ipsius naturae, quae non illico, sed sensim et gradatim perfectum quiddam producit, tum etiam aliarum rerum, quae summo gradu prius non perficiuntur, quam in mediis ac inferioribus data fuerint documenta, tum etiam celebratissimarum Rerumpublicarum, praesertim Romanae, quae transcensis mediis honoribus ad supremam Consulatus dignitatem benemeritis aditum patefecit." Ebd. Nr. 33, 329. 483 „Non ergo muñera accipiant magistratus, sed ipsis potius salaria de publico constituenda sunt, quae ad tuendam eorum dignitatem sufficiant, et ne quaestum facere, et lucrum ex officio quaerere teneantur." Ebd. Nr. 135, 345.

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VII. Zusammenfassung Die Überlegungen zu Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztem Ratsregiment werden knapp zusammengefaßt. Zunächst zu Gierkes Genossenschaftskonzept und dessen Weiterentwicklung im Konzept der verdichteten Genossenschaft oder Körperschaft. Das Genossenschaftskonzept, so wie Gierke es in seiner 1868 erschienenen „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft" niederlegte, zielte in der Tradition der germanistischen Schule der deutschen Rechtswissenschaft darauf ab, den genossenschaftlichen Aufbau politischer Verbände als Gegenpol zum herrschaftlichen Aufbau zur Geltung zu bringen und die deutsche Geschichte von ihren germanischen Wurzeln her bis zur Gegenwart aus der Dialektik von Herrschaft und Genossenschaft hervorgehen zu lassen. Gierke pries die sich selbst regierende mittelalterliche deutsche Stadt als ein von ihren Bürgern getragenes Gemeinwesen und erkor sie zum Vorbild der gemeindlichen Selbstverwaltung in der konstitutionellen Monarchie seiner Gegenwart. Was das Verhältnis von Rat und Bürgergemeinde anbetrifft, blieben Gierkes Auslassungen in der Habilitationsschrift widersprüchlich. Einerseits sah Gierke die Bürgerversammlung als institutionellen Träger der Bürgergemeinde an. Andererseits erklärte er den Rat als Organ der Bürgergemeinde und charakterisierte ihn in dieser Eigenschaft nicht nur als eine mit Regierungs- und Verwaltungsaufgaben betraute Behörde, sondern zugleich als eine namens der Gemeinde tätige Vertretung. Nach diesem Genossenschaftskonzept traten sowohl der Rat als auch die Bürgerversammlung für die Bürgerschaft ein, ohne daß deutlich wurde, wie die Gewichte zwischen diesen beiden Institutionen verteilt waren, anders formuliert: wie die politische Macht in der Stadt gelagert war. Die „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs" von 1873 brachte in diesem Punkt Klarheit. Gierke begriff nun nicht nur den Rat, sondern auch die Bürgerversammlung als Organ der Bürgergemeinde und erkannte dem Rat den Vorrang vor der Bürgerversammlung zu. Die Machtfrage war geklärt. Das unter den Begriff der Körperschaft gebrachte revidierte Genossenschaftskonzept kommt der in dieser Untersuchung entwickelten Charakterisierung der politischen Ordnung in der Alten Stadt als „konsensgestütztes Ratsregiment" weit entgegen. Gierkes Körperschaftskonzept leidet freilich an einer auf Rechtsfragen beschränkten Engführung der Betrachtung. Der ständische Aufbau der alten Stadtgesellschaft und die sich daraus ergebenden politischen Weiterungen bleiben weitgehend ausgeblendet. Gierkes abfälliges Urteil über die Geschichte der deutschen Stadt zwischen dem ausgehenden Mittelalter und dem Ende des Alten Reiches tauchte drei Jahrhunderte deutscher Stadtentwicklung in ein düsteres Licht. Die Revision dieses auf Gierkes geschichtsphilosophischen Prämissen beruhenden Urteils

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geht nicht zuletzt auf diejenigen Historiker zurück, darunter an vorderster Stelle Heinz Schilling, die seit den 1980er Jahren bemüht waren, in der politischen Kultur des vormodernen deutschen Stadtbürgertums freiheitliche Traditionen aufzuzeigen. In diesem Unterfangen führten sie das Konzept des städtischen Republikanismus oder Stadtrepublikanismus ein. Sie griffen dabei aktuelle Tendenzen der angelsächsischen Geschichtsforschung auf. Diese hat seit dem Zweiten Weltkrieg „Republikanismus" auf ihre Fahnen geheftet, um den modernen politischen Liberalismus und die ihn tragenden Werthaltungen in eine geschichtliche Tiefendimension einzubetten. Als Ordnungsbegriff der angelsächsischen Frühneuzeithistorie charakterisiert Republikanismus zum einen die politischen Auffassungen jener englischen Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts, die im Sinne der modernen, normativen Verfassungslehre für die Bildung freiheitssichernder Institutionen eintraten, zum andern wird Republikanismus bemüht, um die im Humanismus der italienischen Renaissance wurzelnde und der Neuen Welt durch Harrington und die Neo-Harringtonianer vermachte Tradition der Bürgergesinnung zu kennzeichnen, die in der Amerikanischen Revolution wirkungsmächtig geworden sei. In beiden Fällen dient Republikanismus als analytisches Instrument der rückwärtsgewandten Betrachtung. Als Quellenbegriff mit theoretischem Gehalt gehört Republikanismus erst dem Zeitalter der Amerikanischen und der Französischen Revolution an. Republikanismus „in seiner Epoche" umschrieb die Geltung vor- und überstaatlicher, universalistischer Individualrechte, deren Schutz die politische Ordnung zu dienen habe, kennzeichnete die gewaltenteilig-repräsentative Verfassung als freiheitssichernde Ordnung und postulierte die Bürgergesinnung als sozialethische Grundlage einer solchen Ordnung. Wenn die angelsächsische Geschichtsforschung diesen Quellenbegriff aufgriff und ihm den Rang eines geschichtswissenschaftlichen Ordnungsbegriffs verlieh, tat sie das mit dem Ziel, die vormodernen Wurzeln des modernen Republikanismus, desjenigen der Amerikanischen und der Französischen Revolution, zu würdigen. Fraglos läßt sich die in der Amerikanischen und der Französischen Revolution wirksam gewordene Bürgerethik auf den Bürgerhumanismus der Renaissance zurückverfolgen. Und genauso fraglos erwuchsen Gewaltenteilung, Repräsentativsystem und universalistische Menschen- und Bürgerrechte, also der politische Liberalismus als Ensemble freiheitssichernder Einrichtungen, aus Rechten und Freiheiten der Stände im vormodernen Fürstentum, speziell in England. Insofern ist die Ausschau nach einem „Republikanismus vor dem Republikanismus" erhellend und fruchtbar. Der Stellenwert solcher Elemente von „Republikanismus vor dem Republikanismus" ist freilich von Mal zu Mal zu bestimmen. Das führt zu Republikanismus als Ordnungsbegriff in der jüngeren deutschen Stadtgeschichtsschreibung zurück. Die Rede vom frühneuzeitlichen

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deutschen Stadtrepublikanismus zielt auf die Aufwertung der städtischen Bürger und ihrer politischen Kultur im Zeitalter der fürstlichen Obrigkeitsstaates. Hatte Gierke den Niedergang der Bürgergemeinde seit dem 15. Jahrhundert beklagt, wurde dem die These entgegengesetzt, daß die während der frühen Neuzeit allenthalben zu beobachtenden Widerstandshandlungen städtischer Bürger gegen das Ratsregiment von einer politischen Kultur zeugen, die als Ausweis von Republikanismus gelten könne. Die Frage bleibt freilich, inwieweit in der frühneuzeitlichen deutschen Stadt ein „Republikanismus vor dem Republikanismus" auszumachen ist, inwieweit also erste Schritte auf dem Weg zur Geltungskraft universalistischer Individualrechte, zur Ausbildung einer liberalen Verfassungslehre und zur Entstehung einer „klasisschen" Bürgergesinnung nach Art des italienischen Bürgerhumanismus erkennbar werden. Damit ist es meines Erachtens nicht weit her. In der vormodernen deutschen Stadt blieb im Vergleich zu Florenz und anderen italienischen Republiken der Bürgerhumanismus schwach entwickelt. Es kamen keine Repräsentativorgane des modernen, auf Mandat beruhenden Typs auf. Es bildete sich keine Gewaltenteilung im Sinne der Differenzierung zwischen gesetzgebender, vollziehender und richterlicher Gewalt aus. Der Gedanke universalistischer Menschen- und Bürgerrechte blieb der Alten Stadt fremd - dazu wurde das Bürgerrecht zu exklusiv gehandhabt und war das Gefälle zwischen den patrizischen und Honoratioreneliten einerseits und den nicht ratsfähigen Bürgern andererseits zu groß. Das macht die Rede von einem vormodernen deutschen Stadtrepublikanismus problematisch. Das in dieser Untersuchung entwickelte Konzept der politischen Ordnung in der vormodernen Bürgerstadt orientiert sich im Hinblick auf das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft an dem Konzept der mittelalterlichen Stadt als Körperschaft, das Gierke von 1873 an vertreten hat, vor allem aber an Hallers Genossenschafts- und Republikkonzept. Es begreift die kommunale Ordnung in der Alten Stadt als konsensgestütztes Ratsregiment. Folgt man diesem Modell, wies das polyarchische Ratsregiment in der Bürgerstadt nicht minder obrigkeitliche Züge als das monarchische Regiment im Fürstenstaat auf. Man sollte freilich die Übereinstimmung nicht zu weit treiben und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Um das an drei Punkten zu veranschaulichen: Die Zugehörigkeit zum Rat war nicht erblich, sondern höchstpersönlich. Die von Jahr zu Jahr wiederholte Ratserneuerung bekräftigte stets aufs neue den Amtscharakter der kommunalen Obrigkeiten. Die Besetzung vakanter Stellen auf dem Wege der Wahl oder der dafür eintretenden Kooptation verdeutlichte von Mal zu Mal die körperschaftliche Bindung des Rats an die Gemeinde. Darin lagen wesentliche Unterschiede zum Fürstentum oder besser: zum Erbfürstentum, das - mit Ausnahme Englands - seine patrimoniale Herkunft nie völlig verleugnete. Man könnte diese Überlegung auch so formulieren: Während sich am Fürstenhof alle Blicke auf den Monarchen

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richteten, war im Rathaus das Regiment auf viele Schultern verteilt und bildeten die Trinkstuben der Geschlechter oder die Versammlungshäuser der Zünfte Nebenzentren der Macht. Das hatte weitreichende Folgen für die politische Kultur.

Von der „monarchischen Republik" zum Gottesgnadentum? Monarchie und politische Theologie in England von Elisabeth I. bis zu Karl I. Von

Ronald G. Asch I. In einer jüngeren Standarddarstellung zur Geschichte der politischen Ideen in England zwischen 1603 und 1642 heißt es einleitend: „In 1603 England was a monarchy in fact as well as name. This basic reality underlay the theory of royal absolutism, or to give it its traditional title, the divine right of kings."1 Dieser Feststellung Johann Sommervilles kann man eine Aussage von Patrick Collinson, des ehemaligen Regius Professors für Geschichte an der Universität Cambridge, gegenüberstellen, die er 1986 in seiner John Neale Memorial Lecture traf: „Elizabethan England was a republic which happened also to be a monarchy: or vice versa."2 Die beiden Aussagen verdeutlichen den Kontrast zwischen dem England Elisabeths I. und dem der beiden ersten Stuarts oder zumindest die Tatsache, daß auch gegenwärtig in der historischen Forschung die Überzeugung weit verbreitet ist, ein solcher Gegensatz habe bestanden. Doch zunächst ist zu fragen, was Collinson mit der These meint, England sei unter Elisabeth zugleich Republik und Monarchie gewesen. Collinson will damit hervorheben, daß trotz des unbezweifelbar monarchischen Charakters des Tudor-Staates die königliche Herrschaft durch Recht und Herkommen und durch das Mitspracherecht des Parlaments soweit eingeschränkt war, daß man von republikanischen Zügen in der Verfassung sprechen könne. Diese republikanischen Verfassungselemente hätten ein zusätzliches Gewicht erhalten durch eine öffentlich geführte politische Debatte über die Grenzen der Autorität des Herrschers. Auf den ersten Blick erstaunt diese Aussage Collinsons, 1 Johann P. Sommerville, Politics and Ideology in England 1603-1640. London 1986, 9. Nach 1997 erschienene Literatur konnte in diesem Aufsatz in der Regel nicht berücksichtigt werden, da er ursprünglich zu diesem Zeitpunkt zur Publikation eingereicht wurde. 2 Patrick Collinson, The Monarchical Republic of Queen Elizabeth I, in: Bulletin of the John Rylands Library 69, 1986/87, 394-412, hier 407. Der Aufsatz ist wiederabgedruckt in: John Guy (Ed.), The Tudor Monarchy. (Arnold Readers in History.) London 1997, 110-134, wird hier aber nach dem Erstabdruck zitiert.

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zumal gemeinhin betont wird, daß gerade in England die für weite Teile des Kontinents, aber auch für das Nachbarland Schottland so wichtige Tradition des Widerstandsrechtes nach 1558 kaum noch eine größere Bedeutung gehabt habe.3 Auch die Deutung der englischen Verfassung als Mischverfassung, wie man sie noch in Thomas Smiths „De Re Publica Anglorum" aus den 1570er Jahren findet, hatte, so scheint es, auf konkrete politische Auseinandersetzungen (etwa über die Rechte der beiden Häuser des Parlaments) allenfalls einen sehr eingeschränkten Einfluß.4 Dieser Auffassung widerspricht Collinson jedoch. Sicherlich habe man nach 1558, als England sich abermals von Rom getrennt habe, von protestantischer Seite gegenüber der eigenen Königin nie die Möglichkeit eines offenen Widerstandes ins Feld geführt. Aber die Widerstandstheorien, die man vor 1558 im europäischen Exil gegen Maria die Katholische entwickelt habe, seien dennoch keineswegs vergessen worden - im Gegenteil. Wie lebendig sie noch waren, sei deutlich geworden in den Debatten über das Verfahren gegen die in England als Staatsgefangene lebende Königin von Schottland, Maria Stuart, in den 1570er und 1580er Jahren.5 Ihren Höhepunkt habe das Bekenntnis zum Widerstandsrecht im sogenannten Bond of Association von 1584 erreicht.6 Der Bond of Association war eine durch Eid bekräftigte Einung. eine Schwurgenossenschaft, der vor allem, aber nicht ausschließlich, Mitglieder der sozialen und politischen Führungsschicht, der „political nation", beitraten. Die Unterzeichner des Bond gelobten nicht nur, das Leben Elisabeths I. zu verteidigen, sondern auch, nach einer eventuellen Ermordung der Königin, ihren Tod zu rächen und die Nachfolge eines Prätendenten, der an ihrem Tode 3 So etwa John Morrill, Charles I, Tyranny and the English Civil War, in: ders., The Nature of the English Revolution. London 1993, 285-306, hier 295 f. Vgl. aber Sommerville, Politics (wie Anm. 1), 71-77. 4 Zu den Mischverfassungstheorien in England in dieser Epoche siehe Michael Mendie, Dangerous Positions. Mixed Government, the Estates of the Realm and the Making of the Answer to the XIX Propositions. Tuscaloosa, Ala. 1985, 38-113. Mendie kommt für das frühe 17. Jahrhundert zu dem Schluß: „From 1606 to 1640, the ideas of the three estates as king, Lords and Commons and of mixed government by these estates virtually disappeared from English political thought" (111). Diese Aussage muß jedoch zumindest im Hinblick auf das Werk des Juristen John Seiden eingeschränkt werde. Siehe dazu: Paul Christiansen, Royal and Parliamentary Voices on the Ancient Constitution, in: Linda Levy Peck (Ed.), The Mental World of the Jacobean Court. Cambridge 1991, 71-95, und ders., Discourse on History, Law and Government in the Public Career of John Seiden, 1610-1635. Toronto 1996. 5

Collinson, Republic (wie Anm. 2), 407-413; vgl. Gerald Bowler, An Axe or an Acte, the Parliament of 1572 and Resistance Theory in Early Elizabethan England, in: Canadian Journal of History 19, 1984, 349-359, und ders., English Protestant and Resistance Writings 1553-1603. Ph. D. thesis London 1981 (Masch.). 6 Collinson, Republic (wie Anm. 2), 413-417, und David Cressy, Binding the Nation, the Bonds of Association, 1584 and 1696, in: Delloyd J. Guth/John W. Mckenna (Eds.), Tudor Rule and Revolution. Essays for G. R. Elton from his American Friends. Cambridge 1982, 217-234.

Von der „ monarchischen Republik " zum Gottesgnadentum ?

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mitschuldig war, mit allen Mitteln - offenbar auch unter Einschluß des politischen Mordes - zu verhindern. Indirekt war mit dem Bond of Association auch die Entscheidung über die Nachfolge der Königin in die Hand seiner Mitglieder oder Anführer gelegt. Sicherlich richtete sich diese Schwurgenossenschaft nicht gegen die regierende Monarchin, aber für den Ausnahmefall sah dieser Bund eben doch vor, wie Collinson betont, daß die Herrschaftsgewalt nicht unmittelbar auf einen durch dynastisches Erbrecht bestimmten Nachfolger, sondern auf die „political community", die res publica insgesamt, überging, die berechtigt war, gegen jeden nicht-protestantischen oder aus anderen Gründen nicht genehmen Thronanwärter Widerstand zu leisten. In der extremen Bedrohungssituation der 1580er Jahre, als sich bereits ein Angriff Spaniens abzuzeichnen begann, und man überdies mit einer Ermordung Elisabeths I. durch die Anhänger Maria Stuarts rechnen mußte, waren auch die Königin und ihre Berater bereit, auf Traditionen eines potentiell antimonarchischen Widerstandsrechtes zurückzugreifen, auch wenn Elisabeth I. selbst bis zuletzt die Hinrichtung ihrer schottischen Rivalin vermeiden wollte und eine stille Beseitigung etwa durch Gift vorgezogen hätte.7 Die Zugeständnisse an Bewegungen, deren Ziele eigentlich in einem Gegensatz zur Politik der Königin standen, gingen jedoch über den rein politischen Bereich hinaus. Auch in der religiösen Sphäre erfreuten sich jene Kritiker des kirchlichen Status quo, die die vermeintlich unvollendete Reformation im Sinne des Presbyterianismus oder allgemein eines konsequenten Calvinismus zum Abschluß bringen wollten, einer erheblichen Protektion von seiten einflußreicher Amtsträger der Königin, wenn auch Elisabeth selbst diese kirchliche Richtung, den Puritanismus, scharf ablehnte.8 Unter Elisabeth I. gelang es somit in den ersten Regierungsjahrzehnten und noch in den 1580er Jahren trotz aller Spannungen immer wieder, einen Modus vivendi zu finden zwischen dem Herrschaftsanspruch der Königin einerseits und politischen und kirchlichen Strömungen wie dem Puritanismus zumindest in seiner gemäßigteren Form andererseits, die eigentlich die Einschränkung jeder monarchischen Herrschaft durch die Rechte der politischen communitas und der Kirche als Gemeinschaft der Auserwählten betonten. Für solche Kompromisse, und seien es auch nur Formelkompromisse, blieb unter Jakob I. und seinem Nachfolger Karl I. immer weniger Raum. Folgt man der traditionellen Deutung, so ließ sich schon Jakob I., noch mehr aber sein Sohn Karl I., von der Idee eines absolutistischen Gottesgnadentums leiten, die mit den Bindungen an Recht und Herkommen und an die Mitwirkung des Parlamentes unverein7

Penry Williams, The Later Tudors. England 1547-1603. (The New Oxford History of England.) Oxford 1995, 313-315. 8 Patrick Collinson, The Elizabethan Puritan Movement. Oxford 1967; Diarmaid MacCulloch, The Later Reformation in England 1547-1603. (British History in Persepective.) Basingstoke 1990, 33-56.

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bar war. Zudem habe Karl sich von seinen Untertanen nicht zuletzt durch seine auf die vollständige Unterdrückung des Puritanismus ausgerichtete Kirchenpolitik immer mehr isoliert.9 Nun ist diese herkömmliche Interpretation durch die Forschung der letzten zwei oder drei Jahrzehnte - es genügt hier das Schlagwort des „Revisionismus" zu nennen - stark relativiert worden. Zu Recht ist betont worden, daß sich sowohl Jakob I. - unabhängig von seinen Äußerungen als politischer Theoretiker - als auch Karl I. stärker von pragmatischen Überlegungen lenken ließen. Wenn es dennoch zu Konflikten mit dem Parlament kam, so nicht zuletzt deshalb, weil die Verwaltungsstruktur Englands und die Steuerverfassung namentlich in Kriegszeiten den Anforderungen nicht mehr gewachsen waren, die die Konkurrenz der europäischen Mächte an den Staat des 17. Jahrhunderts stellte.10 Dennoch ist es insbesondere Johann Sommerville ohne Zweifel gelungen, zu zeigen, daß die Idee einer göttlich sanktionierten absoluten monarchischen Herrschaft nach 1603 unter den oft geistlichen Theoretikern und Autoren, die die Ansprüche der Krone verteidigten, weit verbreitet war und Einfluß auch auf die offizielle Legitimation der monarchischen Herrschaft hatte.11 Die Schriften Jakobs I., der sich ja auch selbst als politischer Theoretiker betätigte, und einer Reihe von „konformistischen", also anti-puritanischen Theologen, die oft ihre Feindschaft gegen den Puritanismus mit einer Verherrlichung des Königtums verbanden, werden hier von Sommerville, aber auch von anderen Historikern als Beleg angeführt. 12 Sommerville berücksichtigt, wie noch zu zeigen sein wird, den konkreten politischen Kontext der Schriften des ersten Stuart-Königs, der oft eher ein schottischer als ein englischer war, nicht immer ausreichend.13 Er macht über9

Jüngere Arbeiten, die zu dieser Interpretation neigen, sind etwa Michael B. Young, Charles I. (British History in Persepective.) Basingstoke 1997; Richard Cust, The Forced Loan and English Politics. Oxford 1987, und L. J. Reeve, Charles I and the Road to Personal Rule. (Cambridge Studies in Early Modern British History.) Cambridge 1989. 10 Ronald G. Asch, Triumph des Revisionismus oder Rückkehr zum Paradigma der bürgerlichen Revolution? Neuere Forschungen zur Vorgeschichte des englischen Bürgerkrieges, in: ZHF 22, 1995, 523-540. Siehe zur revisionistischen Interpretation auch allgemein Conrad Russell, The Causes of the English Civil War. (The Ford Lectures delivered in the University of Oxford 1987/88.) Oxford 1990. 11 Siehe zuletzt: Johann P. Sommerville, The Ancient Constitution Reassessed: the Common Law, the Court and the Languages of Politics in Early Modern England, in: R. Malcolm Smuts (Ed.), The Stuart Court and Europe. Cambridge 1996, 39-64; vgl. Sommerville, Politics (wie Anm. 1), 117 ff. 12 Johann P. Sommerville, James I and the Divine Right of Kings: English Politics and Continental Theory, in: Peck (Ed.), Mental World (wie Anm. 4), 55-70, und ders., Politics (wie Anm. 1), 115-117. Die wichtigste ältere Arbeit zum Divine Right of Kings ist John Neville Figgis, The Divine Right of Kings (1896). (Harper Torchbooks, Vol. 1191.) Ndr. New York 1965. 13 J. H. Burns, The True Law of Kingship. Concepts of Monarchy in Early-Modern Scotland. Oxford 1996, 222-282.

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dies möglicherweise den Fehler, nicht genau genug zwischen eher allgemein gehaltenen Apologien der Monarchie als Verfassungsform und der Herrschaft der Stuarts einerseits und konkreten Stellungnahmen zu aktuellen politischen Auseinandersetzungen andererseits zu unterscheiden. Keineswegs jeder Autor, der den unantastbaren Herrschaftsanspruch des Königs mit der Berufung auf die Bibel und das Naturrecht verteidigte, wollte damit die Privilegien und Rechtsansprüche des Parlamentes angreifen. Oft ging es ihm, wie seinerzeit schon J. W. Allen in seinem Werk „English Political Thought 1603-1660" betont hat, nur darum, für den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit eine ausreichende moralisch-religiöse Rechtfertigung zu finden.14 Die Diskussionen um konkrete politische Probleme wie um das Besteuerungsrecht des Königs waren oft auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt und wurden in einer anderen politischen Sprache geführt, wie vor wenigen Jahren Glenn Burgess betont hat. 15 Diese Unterscheidung unterschiedlicher Diskurse ist freilich jüngst von Sommerville ebenso nachdrücklich zurückgewiesen worden wie die Annahme, das politische Denken in England habe sich - schon durch seine Orientierung an der genuin englischen Rechtstradition des Common Law - fundamental von dem des Kontinents im frühen 17. Jahrhundert unterschieden.16 Sommerville kritisiert nicht ganz zu Unrecht die mangelnde Trennschärfe des Konzeptes der politischen Sprache. Dort, wo Burgess etwa im wesentlichen nur drei Sprachen, die des Common Law, des Civil Law und der Theologie unterscheidet, glauben andere Ideenhistoriker noch ganz andere Sprachtraditionen zu erkennen. In der Tat, „it may be disheartening for the modern student, who is not always particularly adept at learning languages, to find that early modern political discussion was conducted in quite so many of them." Darüber hinaus aber zu schließen, „what people said and believed is more important than their choice of vocabulary", simplifiziert die Probleme allzusehr17, denn auch, wenn es für den Historiker im nachhinein ein Leichtes sein mag, die theoretischen und publizistischen Äußerungen einer Epoche so miteinander zu verknüpfen, daß sie alle aufeinander zu antworten scheinen, so entspricht dies dem zeitgenössischen Kontext doch in der Regel nicht. Eine theologische Abhandlung - bei einer Predigt mit politischer Botschaft mochten die Dinge anders liegen - stand eben nicht in demselben Diskurszusammenhang wie eine Rede im Parlament oder die Wiedergabe eines State Trial in 14 J. W. Allen, English Political Thought 1603-1660. Vol. 1: 1603-1644. London 1938, Ndr. London 1967, insbes. 98 und 107f. 15 Glenn Burgess, The Politics of the Ancient Constitution. Basingstoke 1992, 115 ff.; vgl. ders., .Absolutism' and Monarchy in Early Stuart England, in: ders., Absolute Monarchy and the Stuart Constitution. New Haven, Conn. 1996, 17-62. 16 Sommerville, The Ancient Constitution (wie Anm. 11); vgl. ders., English and European Political Ideas in the Early Seventeenth Century: Revisionism and the Case of Absolutism, in: Journal of British Studies 35, 1996, 168-194. 17 Ders., Ancient Constitution (wie Anm. 11), 44 und 45.

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einem Law Report, und entsprechend unterschied sich auch das Vokabular dieser unterschiedlichen Texte. Darüber geht Sommerville wohl allzu leichtfertig hinweg. 18 Aber selbst wenn man von dem Problem absieht, daß in England im späten 16. und im frühen 17. Jahrhundert parallel zueinander - wenn auch niemals vollständig voneinander getrennt - unterschiedliche politisch-juristische und politisch-theologische Debatten geführt wurden, die sich nur schwer auf einen Nenner bringen lassen, ist die These vom Aufstieg einer absolutistischen Staatstheorie unter den Stuarts nur mit erheblichen Einschränkungen plausibel. So schrieben nur sehr wenige politische Theoretiker und Theologen dem König das Recht zu, ohne das Parlament Gesetze erlassen zu können. Absolutisten waren sie nur in dem eingeschränkten Sinne, daß sie ein Widerstandsrecht der Untertanen strikt ablehnten und auf den göttlichen Ursprung der Herrschaft des Monarchen, der auch die Unanfechtbarkeit des monarchischen Erbrechtes implizierte, verwiesen.19 Dennoch ist unverkennbar, daß sich der Begriffsapparat und die Argumente, deren sich die Verteidiger der protestantischen Monarchie in England zur Legitimation der königlichen Herrschaft bedienten, unter den frühen Stuarts im Vergleich zur elisabethanischen Zeit gewandelt hatten. Es stellt sich daher die Frage, ob dieser Wandel der zunächst eher abstrakten Legitimationsstrategien nicht früher oder später auch in die Debatte um konkrete Rechts- und Verfassungsfragen einfließen mußte.20

II. Eine neue Auffassung von der Natur monarchischer Herrschaft entwickelte sich in England vor allem seit den späten 1580er Jahren, einerseits im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um konfessionelle Fragen und die Deutung des königlichen Kirchenregiments, andererseits im Kontext der Debatte über die Thronfolge nach dem Tode der kinderlosen Monarchin. In den letzten anderthalb Jahrzehnten der Herrschaft Elisabeths I. trat in England sowohl politisch als auch konfessionell ein tiefgreifender Wandel ein, der die von Patrick Collinson beschriebene „monarchische Republik" oder doch ihre staatstheoretischen und theologischen Grundlagen auflöste. Mit der Hinrichtung 18 Vgl. hierzu Ronald G. Asch, Das Common Law als Sprache und Norm der politischen Kommunikation in England (ca. 1590-1640), in: Heinz Duchhardt/Gert Melville (Hrsg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. (Norm und Struktur, Bd. 7.) Köln 1997, 103-138, bes. 115-119. 19 Dieser Punkt wird zu Recht von Russell, Causes (wie Anm. 10), 149-151, betont: „it is rather a poor sort of absolutist who does not believe that the King by himself can make law" (150). Vgl. Glenn Burgess, The Divine Right of Kings Reconsidered, in: ders., Absolute Monarchy (wie Anm. 15), 91-123, hier 98 f. 20 Dieses Problem wird von Glenn Burgess in seinen Arbeiten vielleicht nicht immer gebührend berücksichtigt. Siehe etwa Burgess, Politics (wie Anm. 15), 179-211.

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Maria Stuarts 1587 und dem Sieg über die Armada 1588 war die unmittelbare Gefahr einer katholischen Machtergreifung trotz des fortdauernden Krieges gegen Spanien gebannt. Um so gefährlicher erschienen der Königin jetzt die radikalen Protestanten im eigenen Land, vor allem jener Flügel der puritanischen Bewegung, der der englischen Kirche um jeden Preis nach Genfer und schottischem Vorbild eine presbyterianische Verfassung geben wollte. Im Auftrag der Königin zerschlug der Erzbischof Whitgift zusammen mit seinem Gehilfen Bancroft, seinem späteren Nachfolger in Canterbury, die inoffiziellen Ansätze zu einer presbyterianischen Kirchenorganisation. Einige oppositionelle Theologen, die anders als die Presbyterianer eine Trennung ihrer Anhänger von der nationalen Kirche befürwortet hatten, wurden sogar hingerichtet.21 Whitgifts Maßnahmen wurden dadurch erleichtert, daß Ende der 1580er Jahre die meisten Amtsträger und Höflinge, die in der Vergangenheit den Puritanern Rückendeckung gegeben hatten, starben, so vor allem Walsingham und Leicester.22 Der Earl of Essex, der in den 1590er Jahren in der Nachfolge Leicesters versuchte, ein Eintreten für eine aggressive Außenpolitik mit einer Schirmherrschaft über den radikalen Protestantismus im In- und Ausland zu verbinden, scheiterte politisch. Er endete schließlich 1601 als Hochverräter auf dem Schafott 23 Doch vollzog sich um 1590 mehr als eine durch kirchliche Disziplinarmaßnahmen untermauerte Verschiebung der Machtverhältnisse am elisabethanischen Hof. Vielmehr kam es in diesen Jahren konfessionell und auf der politisch-intellektuellen Ebene zu einer umfassenden, freilich stets kontroversen Neudefinition der Stellung der englischen Kirche. Im Jahre 1593 veröffentlichte Richard Hooker die ersten vier Bücher seiner „Laws of Ecclesiastical Polity". Apologien der Ecclesia Anglicana hatte es schon vorher gegeben, aber nie zuvor war die Position der englischen Kirche als via media, als Mittelweg zwischen Rom und Genf, in dieser systematischen Weise gerechtfertigt worden.24 Das Ideal der via media besaß in den 1590er Jahren ohne Zwei21

Leo F. Solt, Church and State in Early Modern England 1509-1640. New York/Oxford 1990, 114-120; Collinson, Puritan Movement (wie Anm. 8), 385 ff.; und John Guy, The Elizabethan Establishment and the Ecclesiastical Polity, in: ders. (Ed.), The Reign of Elizabeth I. Court and Culture in the Last Decade. Cambridge 1995, 126-149. 22 Solt, Church and State (wie Anm. 21), 119; Williams, Later Tudors (wie Anm. 7), 341-356. 23 Wallace MacCaffrey, Elizabeth I. London 1993, 393-416; Paul E. Hammer, Patronage at Court, Faction and the Earl of Essex, in: Guy (Ed.), Reign of Elizabeth I (wie Anm. 21), 65-86. Zu Essex siehe jetzt auch ders. The Polarisation of Elizabethan Politics. The Political Career of Robert Revereux, 2nd Earl of Essex, 1585-1597. Cambridge 1999. 24 Richard Hooker, Of the Laws of Ecclesiastical Polity, in: W. Speed Hill (Ed.), The Folger Library Edition of the Works of Richard Hooker. 4 Vols. Cambridge, Mass. 1977-1982; Zu Hooker vgl. jetzt vor allem Peter Lake, Anglicans and Puritans? Presbyterian and English Conformist Thought from Whitgift to Hooker. London u.a. 1988, 145-238, sowie H( J. Torrance Kirby, Richard Hooker's Doctrine of the Royal Supremacy. (Studies in the

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fei die Sympathie der Königin, die für den konfessionellen Manichäismus der Puritaner nie sehr viel übrig gehabt hatte. Im übrigen stand Hooker als Verfechter der via media nicht allein. Vielmehr erschienen in den Jahren um 1590 eine ganze Reihe von Traktaten, die eine spezifisch „anglikanische" - auch wenn dieser Begriff hier noch anachronistisch erscheinen mag - Position im Kampf gegen Katholizismus und Presbyterianer gleichermaßen zu entwickeln suchten.25 Ja, man kann sagen, daß in diesen Jahren der lange verzögerte Konfessionsbildungsprozeß in England zu einem gewissen Abschluß gelangte. Nach 1558/59 hatten in England zunächst eine vorkonfessionelle, vorreformatorische Frömmigkeitstradition und ein entschiedener Protestantismus gegeneinander um Einfluß gerungen.26 Die von Hooker und anderen Theologen verkündete via media stellte hier einen Ausgleich dar und gab der englischen Kirche eine klarer umrissene eigene Gestalt. Zu dieser Gestalt gehörte auch die äußere Kirchenverfassung. Die Stellung der Bischöfe war vor den späten 1580er Jahren gegen presbyterianische Kritik meist mit dem Hinweis auf die bloße Zweckmäßigkeit dieses kirchlichen Amtes gerechtfertigt worden. Ja, manche Apologeten der bestehenden Kirchenverfassung hatten sogar daran gedacht, die Bischöfe nur als „superintendents", als bloße Superintendenten zu bezeichnen.27 In den Jahren 1588 bis 1593 erschienen jedoch nun eine Reihe von Schriften, die beanspruchten, nachweisen zu können, daß das Bischofsamt ein Merkmal jeder wahren Kirche sein müsse, daß die Bischöfe ihre Amtsgewalt unmittelbar von Gott, nicht von der Königin erhalten hätten, und daß sie in einer apostolischen Sukzession stünden, die Uber die mittelalterliche Kirche bis zur Urgemeinde zurückreiche. Diese Deutung des Bischofsamtes verringerte nicht nur die Distanz zum Katholizismus, da die Lehre von der apostolischen Sukzession nötigte, die mittelalterliche Kirche als wahre Kirche anzuerkennen; sie riß auch zwischen dem reformierten Protestantismus Genfer Prägung und der anglikanischen Kirche einen tiefen Graben auf. 28 History of the Christian Thought, Vol. 43.) Leiden 1990, und Richard Tuck, Philosophy and Government 1572-1651. (Ideas in Context, Vol. 26.) Cambridge 1993, 146-153. 25 Lake, Anglicans (wie Anm. 24), 88-144. 26 Zur Verzögerung des Konfessionsbildungsprozesses in England siehe Christopher Haigh, English Reformations. Oxford 1993; ders. (Ed.), The English Reformation Revised. Cambridge 1987, und ders., The Church of England, the Catholics and the People, in: ders. (Ed.), The Reign of Elizabeth I. Basingstoke 1984, 195-215. 27 Ursprünglich hatte man in England nach 1558 sogar erwogen, die Bischöfe ähnlich wie in Deutschland nur als „superintendents" zu bezeichnen; Patrick Collinson, Episcopacy and Reform in England in the Late Sixteenth Century, in: ders., Godly People: Essays on English Protestantism and Puritanism. London 1983, 155-189, hier 169 (zu John Ponet); vgl. Lake, Anglicans (wie Annm. 24), 92. 28 Lake, Anglicans (wie Anm. 24), 111-139; vgl. W. D. J. Cargill Thompson, Sir Francis Knollys's Campaign against the Iure Divino Theory of Episcopacy, in: ders., Studies in the Reformation: Luther to Hooker. London 1980, 94-130. Siehe auch Anthony Milton, Cath-

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Diese Distanz wurde noch weiter vertieft durch die rigorose Ablehnung jener Widerstandslehren, die die politische Philosophie der reformierten und der lutherischen Kirchen des Kontinents prägten. Noch 1585 hatte der spätere Bischof Thomas Bilson eine Abhandlung veröffentlicht, die eine Ablehnung des Widerstandsrechtes in England mit einer Rechtfertigung der Haltung der Hugenotten und der niederländischen Aufständischen zu verbinden suchte.29 Bilsons Traktat „The True Difference between Christian Subjection and Unchristian Rebellion" hatte sich offen zu dem Prinzip bekannt, daß die Herrschaft eines Fürsten oder Königs ihre Legitimität verliere, wenn sie sich gegen die wahre Kirche richte: „For if in temporali things princes may not dissolve the lawes of their progenitors, nor frustrarte the liberties of their people against reason and iustice, how much lesse ought they to violate the true canons, and evacuate the good orders and discipline of the church, concluded by so many godly fathers." 30 Andererseits hatte Bilson sich bemüht, möglichst viele Gegenargumente gegen eine Übertragung des in anderen Ländern von den Ständen oder anderen Trägern untergeordneter Herrschaftsrechte beanspruchten Widerstandsrechtes auf England in seine Abhandlung einzubauen. Dies wird namentlich an seiner Behandlung der eklatantesten Beispiele für ein von Protestanten ausgeübtes Widerstandsrecht deutlich, und dies waren neben dem niederländischen Aufstand vor allem die französischen Religionskriege und die Auseinandersetzungen in Deutschland zwischen 1546 und 1552. Für Frankreich verwies Bilson darauf, daß der Kampf der Hugenotten sich nicht eigentlich gegen den König richte, sondern gegen das katholische Geschlecht der Guise, das die Macht der Krone usurpiert habe. Überdies seien die Führer der Hugenotten, die Bourbonen, als Könige von Navarra selbst halb-souveräne Herrscher und nur Lehensleute, nicht Untertanen des französischen Königs.31 Ähnliches gelte in Deutschland, für das Bilson Luther und das Magdeburger Bekenntnis von 1550 als Belege für seine Deutung des Widerstandsrechtes anführte 32 : „In Germany the Emperor him-

olic and Reformed. The Roman Protestant Churches in English Protestant Thought 16001640. (Cambridge Studies in Early Modern British History.) Cambridge 1995, 454-475. Zu den wichtigsten Abhandlungen, die den Gedanken einer apostolischen Sukzession der Bischöfe verteidigten, gehörte Thomas Bilson, The Perpetual Government of the Church. London 1593. 29 Zu Bilson William Lamont, The Rise and Fall of Bishop Bilson, in: Journal of British Studies 5, 1966, 22-32; Lake, Anglicans (wie Anm. 24), 132-139. Zu den in der elisabethanischen Zeit in England zunächst weit verbreiteten Widerstandslehren siehe Bowler, Resistance Writings (wie Anm. 5), insbes. 319 zu Bilson. Vgl. auch Donald Kelley, Elizabethan Political Thought, in: John G. A. Pocock u.a. (Eds.), The Varieties of British Political Thought 1500-1800. Cambridge 1993,47-79, hier 53-61. 30 Thomas Bilson, The True Difference between Christian Subjection and Unchristian Rebellion. 2. Aufl. London 1586, 330. 31 Ebd. 266-269. 32 Ebd. 276 f. Zur Rezeption der Magdeburger Confessio - unter anderem über die histo-

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seife hath his bounds appointed him which he may not passe by the laws of the Empire, and the princes, dukes and cities that are under him have power to governe and use the sword as shall be decreed in the convent of all their states and according to that direction are to furnish the Emperor with men and money for his necessary wars and defenses yet if he touch their policies, infringe their liberties, or violate the specialities which he by oath and order of the Empire is bound to keepe: they may lawfully resist him." 33 Während Bilson noch den Versuch unternahm, eine grundsätzliche Anerkennung des Widerstandsrechtes gegen „Tyrannen" mit einer Verteidigung der über jeden Widerstand erhabenen Herrschaft Elisabeths I. zu verbinden, war es wenige Jahre später schon sehr viel schwieriger geworden, in England eine solche Position zu vertreten. Das politische Klima hatte sich mittlerweile gewandelt.34 Die Veränderung in der Argumentation zumindest jener Autoren, die auf offizielle Billigung ihrer Äußerungen rechnen konnten, wird deutlich an den Schriften Hadrian Saravias. 1593 veröffentlichte der in England im Exil lebende Niederländer Saravia eine Abhandlung über die Legitimität von Herrschaft: „De imperandi autoritate". Saravia war um 1530 in den südlichen Niederlanden geboren worden; vor den Unterdrückungmaßnahmen der Spanier floh er in den 1560er Jahren nach England, wo er die King Edwards School in Southampton leitete. Nach 1580 kehrte er noch einmal in seine Heimat zurück, um an der Universität Leiden zu lehren, dort geriet er jedoch in Konflikt mit den radikalen Calvinisten. Nach seiner endgültigen Niederlassung in England wurde er dort 1588 Pastor und veröffentlichte zunächst ein Werk über die Hierarchie der Kirche „De diversis gradibus ministrorum", in

rischen Werke Sleidans - in England Bowler, Resistance Writings (wie Anm. 5), 320f. Zur Bedeutung der Confessio für den kontinentaleuropäischen Protestantismus siehe Winfried Schulze, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken, monarchomachischer Widerstand, in: Peter Blickle (Hrsg.), Zwingli und Europa. Referate und Protokolle des Internationalen Kongresses aus Anlaß des 500. Geburtstages von Hyldrich Zwingli vom 26. bis 30. März 1984. Zürich/Göttingen 1985, 199-216, hier bes. 208-211; vgl. Luise Schorn-Schutte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 62.) Gütersloh 1996, 397 f. 33

Bilson, Difference (wie Anm. 30), 270. Lamont, Rise and Fall (wie Anm. 29); Burgess, Divine Right (wie Anm 19), 101, bestreitet zwar, daß es seit den 1580er Jahren einen „growth of absolutism" gegeben habe, betont aber, daß die starke Bedrohung der etablierten weltlichen und kirchlichen Ordnung von katholischer und presbyterianischer Seite - und beide Seiten argumentierten unter Berufung auf ein grundsätzliches Widerstandsrecht gegen ungerechte oder ungläubige Herrscher - seit der späten elisabethanischen Zeit zu einer Veränderung der politischen Diskussion geführt habe: „The former [Presbyterian and Catholic threats, R. G. Α.] produced an increase in the vigour and singlemindedness with which resistance theory was pursued by English controversialists, and a greater care in closing off possible paths to the development of resistance theory" (101). 34

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der er die Episkopalverfassung der englischen Kirchen als gottgewollt verteidigte, und drei Jahre später das erwähnte Buch „De imperandi autoritate".35 Saravias Abhandlung sollte dem Nachweis dienen, daß gegen den Herrscher einer Erbmonarchie nie und unter keinen Umständen Widerstand erlaubt sei. Als einer der ersten formulierte Saravia in England gegen katholische gleichermaßen wie gegen calvinistische Monarchomachen den Gedanken eines unbedingten, jeden Widerstand ausschließenden Gottesgnadentums. Die Lehre von der Mischverfassung lehnte Saravia ebenso ab wie das Widerstandsrecht der einem Fürsten untergeordneten Magistrate und die Auffassung, die Stände hätten mehr als eine nur beratende Funktion.36 Auch verwarf er rigoros den Gedanken, ein ungläubiger Herrscher könne von der Kirche exkommuniziert und damit seiner Legitimität beraubt werden.37 Allerdings hielt er auf der anderen Seite an der konventionellen Unterscheidung zwischen einer Königsherrschaft über freie Untertanen (dominatio regia) und einer quasi despotischen Herrschaft über Unfreie (dominatio herilis) fest. 38 Saravias „De imperandi autoritate" markiert zusammen mit ähnlichen Publikationen etwa den „Dangerous Positions" des späteren Erzbischofs Bancroft 39 den Beginn einer politischen Tradition in England, die das göttliche Herrschaftsrecht des Monarchen so stark betonte, daß daneben die rechtlichen Bindungen des Königs zumindest in den Hintergrund traten, auch wenn sie nicht grundsätzlich negiert wurden. 40 Auch Saravia versuchte mit Hilfe komplizierter Hilfskonstruktionen noch einen Platz für den Kampf der Stände Kontinentaleuropas gegen katholische 35 Adrianus Saravia. De Imperandi Autoritate et Christiana Obedientia. London 1593; ders., De Diversis Gradibus Ministrorum. London 1590; und ders., Diversi Tractatus Theologici. London 1611; die gesammelten Werke von 1611 enthalten auch eine Ausgabe der beiden vorher genannten Hauptschriften Saravias. Willem Nijenhuis, Adrianus Saravia (c. 1532-1613). Dutch Calvinist, First Reformed Defender of the English Episcopal Church Order on the Basis of lus Divinum. (Studies in the History of Christian Thought, Vol. 21.) Leiden 1980; Johann P. Sommerville, Richard Hooker, Hadrian Saravia, and the Advent of the Divine Right of Kings, in: History of Political Thought 4, 1983, 229-245; vgl. Lake, Anglicans (wie Anm. 24), 93-96, 135-139. 36 Saravia, De Autoritate (wie Anm. 35), lib. II, cap. VIII, zur Ablehnung der Mischverfassung; vgl. cap. III, wo betont wird, daß der Herrscher legibus solutus sei. Gegen das Widerstandsrecht der magistratus inferiores: lib. IV, cap. XXXI, 239-244 (Ausgabe von 1593, diese wird, wenn nichts anderes vermerkt ist, auch im folgenden benutzt); zu den Ständen lib. IV, cap. XII, 207 f. und XIII, 211: .Absurdum est adserere leges latas esse coercendis regibus". 37 Ebd., lib. III, cap. L, 262 f. (hier nach der Ausgabe in den gesammelten Werken von 1611 zitiert!). 38 Ebd., lib. II, cap. XIX, bes. 77 (Ausgabe von 1593). Saravia betont hier, in einer Herrschaft über freie Untertanen könnten Steuern nicht „contra civium voluntatem et consensum taciturn vel professum" eingezogen werden. 39 Richard Bancroft, Dangerous Positions and Proceedings, Published and Practised within this Hand of Brytaine. London 1593; Lake, Anglicans (wie Anm. 24), 111-113. 40 Vgl. allerdings Burgess, Divine Right (wie Anm. 19), 99 f., mit anderer Akzentuierung.

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Herrscher zu finden, auch wenn ihm dies im Einzelfall nicht immer leicht fiel. So argumentierte er, daß in den Niederlanden Wilhelm von Oranien als eigentlich souveräner Fürst - in seiner Eigenschaft als Herr des Fürstentums Orange - zum Kampf gegen Philipp II. berechtigt gewesen sei. Überdies sei der Kaiser der eigentliche Herrscher der Niederlande, nicht der spanische König, der ihm dort unterstellt sei, und gegen den Kaiser habe sich der Aufstand nicht gerichtet.41 Weniger kompliziert waren für Saravia die Verhältnisse in Deutschland. Hier hätten die Reichsfürsten eine Herrschaftsgewalt, die ihnen unwiderruflich übergeben und nicht einfach delegiert sei, sie verhielten sich zum Kaiser wie emanzipierte Söhne zu ihrem Vater und stünden somit nicht mehr unter der patria potestas des Herrschers.42 Noch einfacher war es für Savaria, den Kampf der französischen Hugenotten zu rechtfertigen, denn diese hatten ja mittlerweile (1593) den Thronprätendenten mit dem besten Erbanspruch auf ihrer Seite, so daß die radikalen französischen Katholiken als die wahren Rebellen erscheinen konnten, die ja in der Tat gerade in den späten 1580er und in den 1590er Jahren Widerstandstheorien von einer bis dahin nahezu beispiellosen Radikalität vertraten 4 3 In der Entwicklung, die die französischen Religionskriege nach 1589 nahmen, dem Jahr, in dem Heinrich III., der letzte Valois, von einem katholischen Attentäter ermordet wurde, ist wohl auch ein Schlüssel für die Position Saravias zu sehen. Dadurch, daß sich die katholische Liga in Frankreich nachdrücklich auf die Lehre von der Volkssouveränität und vom Tyrannenmord berief, wurden auch die gemäßigteren Widerstandslehren der protestantischen Tradition zunehmend diskreditiert.44 Dies galt jedenfalls für England, wo in den 1590er Jahren besonders gewichtige Gründe vorlagen, Widerstandstheorien jeder Art mit Skepsis zu betrachten. In den Auseinandersetzungen um die Nachfolge Elisabeths I. vertraten katholische Publizisten wie etwa der Jesuit Robert Parsons die Ansicht, selbst in Erbmonarchien gebe es ein Wahlrecht der Stände und Untertanen, das sie berechtigte, ungeeignete Erbfolger von der Herrschaft auszuschließen. Ungeeignet waren aus Parsons Sicht vor allem Kronprätendenten, die der falschen Konfession anhingen. In Abwehr solcher Argumente 41

Saravia, De Autoritate (wie Anm. 35), lib. IV, cap. XLI, 254f. (Ausgabe von 1593). Ebd., lib. IV, cap. XXXII, 244 f. 43 Ebd., lib. IV, cap. XLI, 253 f. 44 Zu den französischen Monarchomachen: J. H. M. Salmon, Catholic Resistance Theory, Ultramontanism, and the Royalist Response, 1580-1620, in: J. H. Burns (Ed.), The Cambridge History of Political Thought 1450-1700. Cambridge 1991, 219-246, hier 221-231, 236-241; Frederic Baumgartner, Radical Reactionaries: the Political Thought of the French Catholic League. (Etudes de philologie et d'histoire, Vol. 29.) Genf 1975. Zum politischen Hintergrund vgl. auch Mack P. Holt, The French Wars of Religion 1562-1629. (New Approaches to European History, Vol. 8.) Cambridge 1995, 121-152. Siehe femer Denis Crouzet, Les Guerriers de Dieu. La Violence au Temps des Troubles de Religion, 42

vers 1 5 2 5 - vers 1 6 1 0 . 2 Vols. Paris 1 9 9 0 , Vol. 2, 4 2 7 ff.

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beriefen sich protestantische Autoren auf ein unanfechtbares Erbrecht, das selbst dann nicht außer Kraft zu setzen sei, wenn der potentielle Erbe unter schweren körperlichen oder gar geistigen Defekten leide.45 Die Unanfechtbarkeit des dynastischen Erbrechtes vertrat man vor 1603 in England auch deshalb so nachdrücklich, weil sich das Erbrecht Jakobs VI. von Schottland, der an sich die besten Ansprüche auf den englischen Thron hatte, wenn man nur auf seine Abstammung blickte, und überdies als zuverlässiger Protestant galt, durchaus in Frage stellen ließ. Heinrich VIII. hatte durch sein vom Parlament bestätigtes Testament die Stuarts von der Erbfolge ausgeschlossen, überdies war Jakob VI. ein Ausländer (Ausländer waren privatrechtlich in England nicht erbberechtigt) und es gab Gerüchte, daß er nicht der legitime Sohn seiner Mutter sei, sondern ein Bastard. Das letztere Argument hätte naturgemäß sogar sein Erbrecht als solches in Frage gestellt, allen anderen Einwänden konnte man aber dadurch begegnen, daß man ein von Gott selber sanktioniertes unbedingtes Herrschaftsrecht der legitimen Dynastie postulierte, das sich jeder menschlichen Überprüfung entzog. Als Jakob VI. 1603 englischer König wurde, war die Anerkennung seiner Herrschaft durch das Parlament ebenso wie seine Krönung in der Tat nur als deklaratorischer Akt konzipiert, der lediglich einen unbestreitbaren Rechtsanspruch noch einmal der Öffentlichkeit verkündete.46 So sehr die Situation in England in den 1590er Jahren Parallelen zur französischen aufwies - in beiden Fällen waren es die Protestanten, die für die Unanfechtbarkeit des Erbrechtes und des königlichen Herrschaftsrechtes eintraten - so ist doch nicht zu verkennen, daß sich im englischen politischen Denken in den 1590er Jahren eine Wende vollzog, die zumindest in der radikalen Ablehnung eines Widerstandsrechtes der Stände oder Untertanen die Distanz zu den anders gelagerten Traditionen des kontinentaleuropäischen Protestantismus wachsen ließ, von denen man sich z.B. in Deutschland, wo vor 1618 die Friedensordnung von 1555 zunehmend brüchig und damit das Problem des Widerstandes gegen den Kaiser wieder aktueller wurde, nicht ohne weiteres abkehren konnte. 47 Aber auch in anderen europäischen Ländern blieb der Protestantismus bedroht, nicht zuletzt in Frankreich, wo trotz der Verkehrung der Fronten zwischen königstreuen Protestanten und Widerstand leistenden katholischen Ligisten in den 1590er Jahren das Edikt von

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Howard Nenner, The Right to be King: The Succession to the Crown of England, 16031714. (Studies in Modern History.) Basingstoke u.a. 1995, 26-65, bes. 35. 46 Ebd. 55-61. Zur Krönung Jakobs I. und dem veränderten Krönungsritual siehe auch Linda Levy Peck, Kingship, Counsel and Law in Early Stuart Britain, in: Pocock u.a. (Eds.), Varieties (wie Anm. 29), 80-115, hier 81 f. 47 Zum Widerstandsrecht in Deutschland siehe Horst Dreitzel, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. 2 Bde. Köln 1991, Bd. 2, 529-546, sowie Robert von Friedeburg (Hrsg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. (ZHF, Beih. 26.) Berlin 2001.

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Nantes die prekäre Position der Hugenotten nicht dauerhaft hatte sichern können, wie sich nach 1610 zeigte. 48 Daß die anglikanische Kirche als gefestigte Staatskirche hier seit etwa 1590 einen ganz anderen Weg einschlug, wird auch und gerade in den Schriften Hadrian Saravias - und an den Konsequenzen, die spätere englische Autoren aus ihnen zogen - deutlich, obgleich oder weil Saravia der Herkunft nach vom Kontinent stammte. Bei Saravia, der für die Episkopalverfassung als gottgewollte Herrschaftsordnung der wahren Kirche ebenso eintrat wie für das Gottesgnadentum des weltlichen Herrschers, wird auch erstmals die enge Verbindung zwischen iure í&'ví/io-Monarchie und iure div/no-Bischofsgewalt sichtbar, die für die englische Spielart des Gottesgnadentums im 17. Jahrhundert bis in die 1680er Jahre maßgeblich bleiben sollte.

III. Die von Saravia und seinen theologischen Mitstreitern formulierten Auffassungen erwiesen sich als außerordentlich einflußreich. Als 1606 die Synode der Erzdiözese Canterbury in umfassender Weise zur Frage des Widerstandsrechts der Untertanen Stellung nahm - eine Stellungnahme, die allgemein als „Bishop Overall's Convocation Book" bezeichnet wird, da das königliche Veto ihr den offiziellen Status als gültiges Kirchenrecht der englischen Kirche vorenthielt - , stützte sie sich dabei unter anderem auf Saravias „De imperandi auctoritate", das 1611 zum zweiten Mal aufgelegt wurde. Diese zweite Auflage war im übrigen der Synode, der „convocation", gewidmet. 49 Auf Saravia griff auch der Cambridger Theologe David Owen 1622 zurück, als er einen Traktat gegen den deutschen reformierten Theologen David Pareus schrieb, dessen Römerbriefkommentar in England auf Befehl des Königs verbrannt worden war, weil er eine Rechtfertigung des Widerstandsrechtes enthielt, die englische Geistliche in Predigten aufgegriffen hatten. Owen stellt in seinem ,AntiParaeus' Puritaner und „Papisten" bezeichnenderweise als Feinde der Monarchen auf eine Stufe. Es seien die „Puritano-Papistae", die die Theorie von vertraglich abgesicherten Fundamentalgesetzen entwickelt hätten, zu deren Einhaltung Monarchen verpflichtet seien. Diese Lehre sei ebenso abzulehnen wie das Widerstandsrecht der magistratus inferiores oder das Recht von Untertanen, sich gewaltsam gegen einen ungläubigen Herrscher zu wehren.50 Zum Abschluß der Religionskriege Mark Greengrass, France in the A g e of Henry IV. 2. Aufl. London 1995; Holt, Wars of Religion (wie Anm. 44), 173-189, für die Zeit nach

48

1610. 49

Sommerville, Advent of the Divine Right (wie Anm. 35), 243f; Solt, Church (wie Anm. 21), 151 f. 50 David Owen, Anti-Paraeus. Cambridge 1622, 2f., 6, 14f. Vgl. ders., Herod and Pilate

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O w e n s T h e s e n dürften ganz i m Sinne seines K ö n i g s , Jakobs I., g e w e s e n sein, der Puritaner und Jesuiten w i e O w e n gleichermaßen als G e g n e r der v o n Gott eingesetzten Monarchen bekämpfte, auch w e n n er sich verpflichtet fühlte, seinen e i g e n e n Lehrer, d e n M o n a r c h o m a c h e n Buchanan, z u w e i l e n g e g e n allzu harte Vorwürfe in Schutz zu n e h m e n . 5 1 Jakob I. b e g n ü g t e sich bekanntermaßen nicht damit, seine Politik durch die in s e i n e m D i e n s t stehenden Juristen und T h e o l o g e n legitimieren zu lassen, er trat v i e l m e h r selbst als A u tor theoretischer Werke und politischer Streitschriften a u f . 5 2 N o c h in Schottland hatte er 1598 ein Manuskript verfaßt, das er in Griechisch als „Basilikon Doron", als „königliche Gabe" bezeichnete. D i e Abhandlung war für seinen N a c h f o l g e r b e s t i m m t und ist z u g l e i c h Fürstenspiegel und politisches Testament, wurde aber anders als andere Instruktionen für Kronprinzen zunächst als Privatdruck und später, 1603, auch in größerer A u f l a g e veröffentlicht. Im selben Jahr ( 1 5 9 8 ) publizierte der K ö n i g „The Trew L a w o f Free Monarchies", einen Traktat, der die Herrschaftsrechte der M o n a r c h e n g e g e n die Vertreter des Widerstandrechtes verteidigte. In dieser recht kurzen Schrift vertrat Jakob I. (oder v i e l m e h r Jakob VI. v o n Schottland) mit b e s o n d e r e m N a c h druck d i e Idee des Gottesgnadentums. K ö n i g e s e i e n ein Ebenbild Gottes, sie

Reconciled or the Concord of Papist and Puritan. Cambridge 1610. Zur Verurteilung des Schriften von Pareus in England siehe Milton, Catholic and Reformed (wie Anm. 28), 519f.; Kenneth Fincham/Peter Lake, The Ecclesiastical Policy of James I, in: Journal of British Studies 24, 1985, 169-207, hier 199. 51 James I, A Remonstrance for the Right of Kings and the Independence of their Crowns, against an Oration of the Most Illustrious Cardinal of Perron, Pronounced in the Chamber of the Third Estate Ian. 15., 1615, in: Political Works of James I. Ed. by Charles H. Mcllwain. (Harvard Political Classics, Vol. 1.) Cambridge, Mass. 1918, 169-269, hier 264: „Buchanan I reckon and ranke among Poets, not among Divines, classicall or common. If the man hath burst out here and there into some tearmes of excesse, or speach of bad temper: that must be imputed to the violence of his humour, and heate of his spirit, not in any wise to the rules and conclusions of trew religion, rightly by him conceived before." Zu Buchanan siehe jüngst Burns, True Law (wie Anm. 13), 185-221. 52 Zu Jakob I. als politischem Theoretiker siehe Bums, True Law (wie Anm. 13), 222282; Maurice Lee, Jr., Great Britain's Solomon: James VI and I in His Three Kingdoms. Urbana/Chicago, 111. 1990, 63-92; Jenny Wormald, James VI and I,,Basilikon Doron' and the ,Trew Law of Free Monarchies': the Scottish Context and the English Translation, in: Peck (Ed.), Mental World (wie Anm. 4), 36-54; femer Sommerville, James I and the Divine Right of Kings (wie Anm. 12); Kevin Sharpe, The King's Writ: Royal Authors and Royal Authority in Early Modem England, in: Kevin Sharpe/Peter Lake (Eds.), Culture and Politics in Early Stuart England. (Problems in focus.) Basingstoke u. a. 1994, 117-138, hier 123-131, zum historischen Kontext auch Jenny Wormald, Der schottische König Jakob VI. (1588-1625), in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Herrscher in der Doppelpflicht. Europäische Fürsten und ihre beiden Throne. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beih. 43.) Mainz 1997, 99-122. Zum schottischen Hintergrund der Schriften außerdem den Beitrag von Robert von Friedeburg in diesem Band. - Die einschlägigen Ausgaben der Schriften sind die von Macllwain herausgegebene (wie Anm. 51) und neuerdings auch King James VI and /, Political Writings. Ed. by Johann P. Sommerville. Cambridge 1994.

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säßen auf Erden auf seinem Throne, ein Widerstand gegen sie sei schon deshalb verwerflich, aber auch weil ihre Autorität eine väterliche sei und Kinder sich nicht gegen ihre Eltern auflehnen dürften. 53 Dieses Argument kehrt mit noch mehr Nachdruck in späteren Schriften wieder, wo Jakob I. darauf verweist, daß man auch Vätern, die Häretiker seien, ihre patria potestas nicht nehmen könne.54 Diese Ansicht hebt sich deutlich von der Argumentation vieler kontinentaleuropäischer protestantischer Theoretiker ab, auch dort wo es sich etwa um eher gemäßigte Lutheraner handelte, wie etwa im Falle des Gießener Juristen Theodor Dietrich Reinking, der 1619 ausdrücklich hervorhob, der Herrscher sei zwar communis patriae et omnium pater, aber in bestimmten Fällen, wenn ein Vater seine Autorität mißbrauche, könne ein Richter die Zwangsemanzipation der Söhne verfügen, und erst recht sei die Herrschaftsgewalt des paterfamilias über die Ehefrau bei Rechtsverletzungen durch Auflösung der Ehe aufhebbar. In Analogie dazu gebe es auch ein Widerstandsrecht gegen den tyrannischen Herrscher.55 Solche Argumente wären für Jakob I. unannehmbar gewesen, denn „most certain it is, that Kings representing the image of God in earth and Gods place, have better and closer seate in theire chaires of estate, then any private persons have in the saddle of their inheritances and patrimonies."56 Könige stehen über dem Gesetz, das sie selber geschaffen haben, insbesondere dann, wenn sie wie die Könige von Schottland und England ihre Herrschaft dem Rechte des Eroberers verdanken.57 Alle theoretischen Schriften des Königs sind vom dem Bewußtsein durchdrungen, daß die Position des Herrschers in einer Welt, in der er von religiösen Fanatikern und den Apologeten des Herrschermordes umgeben ist, eine prekäre ist, eine Tatsache, die Jakob I. in seiner Jugend in Schottland, aber auch durch die Pulververschwörung in England und die Ermordung des französischen Königs Heinrichs IV. 1610 nur allzu deutlich vor Augen geführt worden war. Die Betonung der gottgleichen, sakral legitimierten Stellung des 53 „Kings are called Gods by the propheticall King David, because they sit upon GOD his Throne in the earth" und „By the Law of Nature the King becomes a naturall Father to all his Lieges at his Coronation", James [VI and] I, The Trew Law of Free Monarchies, in: ders., Political Writings (wie Anm. 52), 62-84, hier 64 f. 54 James /, A Remonstrance (wie Anm. 51 ), 234 f. - Zum Kontext der Remonstrance - sie verteidigte die Ablehnung des päpstlichen Rechtes Monarchen abzusetzen durch den dritten Stand der französischen Generalstände gegen die Kritik des ersten Standes, der Geistlichen - siehe Yves-Marie Bercé, La Naissance dramatique d'absolutisme 1598-1661. (Nouvelle histoire de la France moderne, Vol. 3.) Paris 1992, 64-66. 55 Theodorus Reinking(k), Tractatus de Regimine Saeculari et Ecclesiastico. [l.Aufl. 1619] Marburg 1641, Lib. I, cap. ν, §§ 69-71, 2 I f . Zu Reinking siehe Christoph Link, Dietrich Reinkingk, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Deutsche Staatsdenker in der Frühen Neuzeit. 3. Aufl. München 1995, 78-99. 56 James I, A Remonstrance (wie Anm. 51), 234. 57 James [VI and ]I, Trew Law (wie Anm. 53), 73-75.

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Herrschers durch Jakob I. war zunächst eine Reaktion auf die Schwäche des Königtums, mit der sich der Sohn einer vertriebenen und schließlich hingerichteten Königin in Schottland konfrontiert fand. Dort standen dem Königtum eigentlich wenig reale Machtmittel zur Verfügung, sondern eben nur die sakrale Legitimation seines Herrschaftsanspruches, die überdies vor allem von presbyterianischer Seite energisch bestritten wurde; daher wurde diese Legitimation von Jakob I. so nachdrücklich betont. Wenn man Jakob VI (I.) als Absolutisten bezeichnen will, gilt es daher zu bedenken, daß Jakob in einem Land - Schottland - seine entscheidenden politischen Erfahrungen gesammelt hatte, in dem der Herrscher kaum wirkliche Zwangsmittel zur Durchsetzung seiner Anordnungen anwenden konnte und in dem seine Einkünfte so gering waren, daß er sich nicht einmal eine Leibgarde leisten konnte. 58 Dies schränkt sicherlich die Aussagekraft des Begriffes „Absolutismus" in seinem Fall erheblich ein. Im übrigen ist schwer zu übersehen, daß sich der prinzipielle Kampf Jakobs I. für den Gedanken des Gottesgnadentums vor allem in Schottland, aber in gewisser Weise auch später in England in erster Linie gegen theologische Gegner wie Presbyterianer und Jesuiten richtete, nicht gegen Juristen, die für konkrete, aber begrenzte Freiheitsrechte des Parlamentes und seiner Untertanen fochten - auch wenn er sicherlich nicht zögerte, im Einzelfall den überlegenen Rang seiner Prärogativgewalt auch gegenüber Parlament und Gerichten zu betonen.59 Der eigentliche Kontext der Staatstheorien Jakobs I. ist aber dennoch zunächst der Kampf um das königliche Kirchenregiment, das ihm für Schottland von den Presbyterianera und für England vor allem von den Katholiken bestritten wurde. 60 In Schottland hatte sich Jakob VI. mit einer calvinistischen Theologie konfrontiert gesehen, die ihm als weltlichem Herrscher jede Autorität im Reich Gottes, der Kirche, verweigerte. Hier war er nur „God's sillie vassall", eine Tatsache, die auch seine Stellung im weltlichen Bereich berühren mußte, da aus der Sicht der Presbyterianer die weltliche Ordnung sich an den Normen der geistlichen Ordnung, der Kirche, messen lassen mußte.61

58

Lee, Great Britain's Solomon (wie Anm. 52), 138. Siehe etwa die Rede Jakobs I. 1610 im Parlament oder seine Ansprache im Court of Starchamber 1616, in: James VI and I, Political Writings (wie Anm. 52), 179-203, und ebd. 204-228. Das Verhältnis des Königs zu seinen Richtern und zum Common Law ist differenziert analysiert in: G. W. Thomas, James I, Equity and Lord Keeper Williams, in: EHR 91, 1976, 506-528. 60 Vgl. Burgess, Divine Right (wie Anm. 19), 119, der, allerdings ohne dabei Jakob I. im Blick zu haben, meint: „Many of the most debated expressions of the divine right of kings were in fact asides in works devoted to issues of episcopal jurisdiction and church government." 61 Roger A. Mason, George Buchanan, James VI and the Presbyterians, in: ders. (Ed.), Scots and Britons. Scottish Political Thought and the Union of 1603. Cambridge 1994, 112-137, hier 123-129; dort auch 123 zu Andrew Melville und seiner bekannten Bezeich59

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In England hingegen erhielt nach 1603 die Debatte über das Verhältnis von kirchlicher Amtsgewalt und weltlicher Obrigkeit eine neue Dynamik durch die Auseinandersetzungen mit dem Papsttum. Die Pulververschwörung von 1605, der der König, seine Räte und das Parlament beinahe zum Opfer gefallen wären, stärkte nicht nur den traditionellen Antikatholizismus, sondern löste auch eine intensive intellektuelle Auseinandersetzungen mit dem Katholizismus aus. Diese Auseinandersetzung fand ihren Ausdruck vor allem in der Kontroverse über den sogenannten Oath of Allegiance. Jakob I. hatte 1603 ursprünglich die Hoffnung gehabt, einen Keil zwischen die politisch loyalen katholischen Untertanen und die Anwälte eines päpstlichen Herrschaftsrechtes auch in weltlichen Angelegenheiten treiben zu können. An dieser Hoffnung hielt er prinzipiell auch nach dem Attentat fest. Die kleine Gruppe von Fanatikern, die er als verantwortlich für das Attentat ansah, glaubte er langfristig isolieren zu können. Nicht zuletzt diesem Zweck diente der Oath of Allegiance.62 Die Eidesformel, auf die jeder Rekusant, also jeder Katholik und nach 1610 auch jeder Amtsinhaber und in letzter Konsequenz jeder Untertan verpflichtet werden konnte, enthielt ein Loyalitätsbekenntnis zum König als weltlichem Herrscher - jedoch nicht als Herr über die Kirche - und eine ausdrückliche Ablehnung des vom Papst in Anspruch genommenen Rechts, weltliche Herrscher absetzen zu können. Bei der Kurie stieß der Eid auf entschiedene Ablehnung. Tendenzen des in England tätigen katholischen Klerus, den Eid zu akzeptieren, wurden sofort unterbunden. Dies veranlaßte den König 1607, eine Schrift zu verfassen und zu publizieren, in der er den Eid verteidigte: die „Apology of the Oath of Allegiance". Auf die ursprüngliche „Apology" entgegnete einer der führenden katholischen Theologen Europas, Kardinal Bellarmin, unter dem Pseudonym Mathaeus Tortus mit einer Gegenschrift. An der Debatte, die sich nunmehr entzündete, beteiligten sich einerseits zahllose englische Theologen und Juristen und andererseits die führenden katholischen Theologen Europas.63

nung des Königs als „Vasall Gottes". Vgl. auch den Beitrag von Robert von Friedeburg in diesem Band. 62 Zur Oath of Allegiance-Kontroverse siehe Peter Milward, Religious Controversies of the Jacobean Age: A Survey of Printed Sources. London 1978, Kap. 3; Sommerville, Politics (wie Anm 1), 117-121; Milton, Catholic and Reformed (wie Anm. 28), 255-263; Solt, Church (wie Anm. 21), 149-153; und Ronald G. Asch, No bishop no king oder Cuius regio eius religio. Die Deutung und Legitimation des fürstlichen Kirchenregiments und ihre Implikationen für die Genese des „Absolutismus" in England und im protestantischen Deutschland, in: ders./Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700). (Münstersche Historische Forschungen, Bd. 9.) Köln 1996, 79-123, hier 96-101. 63 Die gründlichste Auseinandersetzung mit der Debatte ist Johann P. Somerville, Jacobean Political Thought and the Controversy over the Oath of Allegiance. Ph. D. thesis Cambridge 1981 (Masch.).

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Wichtig war diese Auseinandersetzung für Jakob und seine geistlichen Wortführer vor allem deshalb, weil die katholische Polemik sie zwang, ihre eigene Position zu überdenken und ihre Auffassung vom Kirchenregiment schärfer zu formulieren. So warfen die katholischen Kritiker der englischen Staatskirche Jakobs I. vor, ihr „supreme governor" könne schon deshalb kein Regiment über die Kirche ausüben, weil kirchliche Herrschaftsgewalt nur unmittelbar von Gott verliehen werden könne, jeder weltlicher Herrscher seine Autorität aber nur mittelbar, unter Vermittlung menschlicher Institutionen von Gott erhalten habe. 64 Daher wurde es für die Apologeten der ecclesia Anglicana um so wichtiger zu betonen, daß der König unmittelbar von Gott eingesetzt worden sei.65 Die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus stärkte aber auch die Tendenz, die grundsätzliche Autonomie kirchlicher Autorität zu betonen. Denn von katholischer Seite wurde der Vorwurf erhoben, der englische Monarch nehme für sich die gleiche geistlich-weltliche Allgewalt in Anspruch, jedoch mit weitaus weniger Recht, deren Ausübung die Protestanten dem Papst zum Vorwurf machten. Dies war der Vorwurf des Caesaropapismus, der durch das Argument verschärft wurde, es sei eine bloße Inkonsequenz, wenn der englische König oder die Königin nicht auch selber priesterliche Funktionen ausübten, da er oder sie doch Oberhaupt der Kirche seien.66 Von anglikanischer Seite mußte also ein Weg gefunden werden, das königliche Kirchenregiment mit einer gewissen Autonomie der Kirche zu verbinden. Dies war mit einer streng erastianischen Auffassung vom Kirchenregiment schwer zu vereinen und ebensowenig mit der caesaropapistischen Tradition, die auf die Zeit Heinrichs VIII. zurückging. In diesem Sinne betonte einer der Apologeten der englischen Kirche, Robert Burhill, 1611, der König habe keinen eigentlich geistlichen Primat, er sei keineswegs Oberhaupt der Kirche, sondern besitze nur einen Primat über die Angehörigen der Kirche und ihre Angelegenheiten, „non primatum spiritualem aut ecclesiasticum [...] sed potius quoad res et personas spirituales".67 Den Bischöfen verleihe der König zwar ihre äußerliche Autorität, so argumentierte man von anglikanischer Seite, aber ihre eigentlich geistliche Autorität leiteten sie unmittelbar von Gott ab. 68

64

Siehe z. B. Martin Becanus, Serenissimi Jacobi Angliae regis Apologiae [...] Refütatio. Mainz 1609,21-23. 65 Vgl. Burgess, Divine Right (wie Anm. 19), 120. 66 Martin Becanus, Refütatio Torturae Torti. Mainz 1610, 26; vgl. ders., Regis Apologiae Refütatio (wie Anm. 64), 118-122. 67 Robert Burhill, Pro Tortura Torti. London 1611, 132, vgl. 99-101. 68 Francis Mason, Of the Consecration of the Bishops in the Church of England. London 1613,145 f., vgl. 113 und ders., Vindiciae Ecclesiae Anglicanae, sive de Legitimo eiusdem Ministerio [...] Editto Secunda, Priori Anglicana Longe Auction London 1625, Buch III, cap. 4, 287 sowie Buch IV, cap. 2, 433.

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Grundsätzlich führte die Auseinandersetzung über den Oath of Allegiance also dazu, die relative Autonomie der bischöflichen Amtsgewalt hervorzuheben. Die Stellung der Bischöfe hatte Jakob I. schon zu Anfang seiner Herrschaft in England in der Hampton Court Conference (1604) energisch verteidigt, da er glaubte, auf die Prälaten als Instrument seines Kirchenregimentes in England genausowenig wie in Schottland verzichten zu können, oder wie er es während der Konferenz formulierte: „My Lords the Bishops, I may thanke you, that these men [die Puritaner] doe thus plead for my supremacie: they thinke they cannot make their partie good against you, but by appealing unto it, as if you [...] were not well affected towards it, but if once you were out and they in place, I knowe what would become of my supremacie. [...] No bishop, no King as before I sayd." 69 Durch diese Hervorhebung der bischöflichen Autorität wurden in gewisser Weise die Grundlagen für den protestantischen Klerikalismus gelegt, der vor allem jene Bischöfe und Würdenträger der englischen Kirche in den 1620er und 1630er Jahren auszeichnete, die den strengen Calvinismus ablehnten. Auf dieses Phänomen kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden.70 Kein Zweifel kann aber daran bestehen, daß in den 1630er Jahren Erzbischof Laud und eine ganze Reihe anderer Bischöfe wie nie zuvor die Autorität der Kirche als hierarchischer Anstalt betonten, ja tendenziell wurde die sichtbare Kirche geradezu mit der Hierarchie gleichgesetzt und nicht wie bei den Puritanern mit der Gemeinde.

IV. Die Betonung der relativen Eigenständigkeit der Kirche und der Autorität ihrer Hierarchie begünstigte andererseits auf eine paradoxe Weise tendenziell eine Auffassung von der Herrschaft des Königs, die ihre sakralen Grundlagen und das Gottesgnadentum in den Vordergrund stellte. Die Trennung der weltlichen und geistlichen Sphäre gab dem König eine Schlüsselrolle als einzig möglichem Garanten eines trotzdem noch fortdauernden Zusammenhangs der beiden Bereiche. Diese indirekte politische Wirkung der Trennung von sakra69

William Barlow, The Sum and Substance of the Conference [...] at Hampton Court January 14, 1603. London 1605, 82; vgl. Patrick Collinson, The Jacobean Religious Settlement: the Hampton Court Conference, in: Howard Tomlinson (Ed.), Before the English Civil War. Basingstoke u.a. 1984, 27-52; Frederick Shriver, Hampton Court Revisited: James I and the Puritans, in: JEcclH 33, 1982, 48-71. 70 Siehe Julian Davies, The Caroline Captivity of the Church. Oxford 1992; Nicholas Tyacke, Anti-Calvinists. The Rise of English Arminianism c. 1590-1640. Oxford 1987; Milton, Catholic and Reformed (wie Anm. 28), 418-447, und generell die Beiträge zu Kenneth Fincham (Ed.), The Early Stuart Church, 1603-1642. Basingstoke 1993, insbesondere Andrew Foster, The Clerical Estate Revitalised, in: ebd. 139-160, hier 147-159.

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1er und weltlicher Sphäre durch die Theologen der 1620er und 1630er Jahre hat jüngst auch Conrad Russell betont mit dem Hinweis auf die Memoranden des Kronanwaltes (Attorney General) Sir John Bankes über das Kirchenregiment aus den späten 1630er und frühen 1640er Jahren. Diese Denkschriften operieren mit einer Art von Zweireichelehre sui generis. Kirche und Reich der Welt sind streng von einander getrennt und nur durch ihr gemeinsames Oberhaupt, den König, verbunden.71 Diese Lehre vom Kirchenregiment hatte die Konsequenz, daß das für die weltliche Ordnung gültige Recht, das Common Law, für die Kirche keine Geltung besaß.72 Dies ist ein besonders wichtiger Punkt. Denn hier trafen die seit den 1590er Jahren entwickelte klerikale Auffassung von der Autonomie der Kirche und das in der englischen Führungsschicht, ganz besonders aber unter den professionellen Juristen, weit verbreitete Bekenntnis zum Common Law als Grundnorm der gesamten weltlichen und eben auch kirchlichen Ordnung unmittelbar aufeinander. Aus der Sicht der Common Lawyers - hier ist ganz besonders, aber nicht nur der Name von Sir Edward Coke zu nennen, des Verfassers der „Institutes of the Laws of England" - war das Common Law für die Lösung von Verfassungskonflikten ebenso kompetent wie für die Regulierung des Verhältnisses von weltlicher Obrigkeit und Kirche.73 Die Auffassung von dieser allumfassenden Kompetenz des Common Law und der Juristen, die es auslegten, hatte sich freilich in dieser dezidierten Form auch erst gegen Ende der elisabethanischen Epoche ausgebildet, also etwa gleichzeitig mit dem neuen protestantischen Klerikalismus. Coke selbst hatte seine Auffassung vom königlichen Kirchenregiment erstmals ausführlich in einem Prozeß des Jahres 1591 dargelegt: in Cawdreys Case, in dem es um die Rechtsprechung des Konsistorialgerichtes, der High Commission, ging. Coke betonte hier, daß das eigene Recht der Kirche, das 71 Conrad Russell, The Fall of the British Monarchies 1637-1642. Oxford 1991,39f., bes. 40, Zitat aus den Memoranden von Bankes: „The kingdome of England is an absolute empire and monarchie successive by inherent birthright, consisting of one head, which is the king, and of a bodye, which the law divideth into two severall partes, that is to say, the clergy and the laity, both of them next and immediately under God, subject and obedient to the head." 72 Russell, Fall (wie Anm. 71), 40 mit dem Hinweis auf Bankes' These, nur die „ecclesiastical lawes of the realm" hätten für die Kirche Gültigkeit. 73 Zu Coke John G. A. Pocock, The Ancient Constitution and the Feudal Law. A Study of English Historical Thought in the Seventeenth Century. 2. Aufl. Cambridge 1987, 30-69; Charles M. Gray, Reason, Authority and Imagination: the Jurisprudence of Sir Edward Coke, in: Perez Zagorin (Ed.), Culture and Politics: From Puritanism to the Enlightenment. Berkeley, Cal. 1980, 25-66; vgl. ders., Liberty, Parliament and the Law, in: Jack H. Hexter (Ed.) Parliament and Liberty from the Reign of Elizabeth to the English Civil War. Stanford, Cal. 1992, 155-200; Glenn Burgess, The Political Thought of Sir Edward Coke, in: ders., Absolute Monarchy (wie Anm. 15), 165-208; ders.. Politics (wie Anm. 15), 44-46, 57 f., 72-77; und Alan Cromartie, Sir Matthew Hale 1609-1676: Law, Religion and Natural Philosophy. Cambridge 1995, 11-29.

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kanonische Recht, nur innerhalb des Rahmens, der durch das Common Law gesetzt war, gelte.74 Aus der Sicht Cokes und anderer Common Lawyers war die Reformation kein wirklicher Einschnitt, sondern nur die Bestätigung jener Rechte, die der englische Monarch schon vorher teils gewohnheitsrechtlich, teils auf Grund mittelalterlicher Gesetze besessen hatte; nur zeitweilig seien sie von der mittelalterlichen Kirche usurpiert worden.75 Das Argument, die Reformation sei nur die Vollendung einer kontinuierlichen, weit in die vornormannische Zeit zurückreichenden Rechtstradition, die niemals unterbrochen worden war, sollte den englischen Protestantismus vor dem Vorwurf schützen, er stelle eine Neuerung dar; zugleich sollte es die englischen Katholiken als Gegner der englischen nationalen Tradition hinstellen. In dieser Abwehr katholischer Kritik an der protestantischen englischen Kirche dürfte eines der Hauptmotive für den Versuch der Common Lawyers zu sehen sein, die ununterbrochene Kontinuität der englischen Rechtstradition zu betonen und darüber hinaus darauf zu beharren, daß diese Tradition jedem anderen Recht und jeder anderen Autorität überlegen sei und sie in ihrer Geltung definiere. Die Common Lawyers versuchten das eigentlich theologische Problem der Legitimität der englischen Reformation und des königlichen Kirchenregiments in ein reines Rechtsproblem umzudeuten, um auf diese Weise die theologischen Argumente ihrer katholischen Gegner ins Leere laufen zu lassen. Diese Tendenz der Common Lawyers zur Verrechtlichung politischer und kirchlicher Probleme war in ihrer ursprünglichen Intention somit nicht gegen die Krone gerichtet, mußte aber faktisch auch Rückwirkungen auf die Deutung der königlichen Prärogativgewalt haben, die in ihrem Umfang durch die Versuche zur umfassenden Verrechtlichung aller politischen Fragen und damit auch der königlichen Autorität tendenziell begrenzt wurde. Andererseits wurde durch die neue theologische Deutung des königlichen Kirchenregimentes als Herrschaft über eine Körperschaft, die von dem weltlichen Königreich des Königs weitgehend getrennt war, ein Bereich geschaffen, der der Geltung des Common Law ganz und gar entzogen war.76 Ihre besondere Bedeutung erhielt die Debatte über das Kirchenregiment im frühen 17. Jahrhundert auch dadurch, daß die Stellung des englischen Königs gegen74

Asch, Common Law (wie Anm. 18), bes. 130-133; Guy, Elizabethan Establishment (wie Anm. 21), 131-133, und The Reports of Sir Edward Coke. Ed. by J. H. Thomas and J. F. Frazer. 13 Parts in 6 Vols. London 1826, Vol. 3, Part 5, Cawdrey's Case; sowie J. R. Tanner (Ed.), Tudor Constitution Documents. Cambridge 1940, 360-374. 75 Vgl. hierzu und zum Folgenden Burgess, Politics (wie Anm. 15), 102-104 sowie 82-86. Zur gegenteiligen katholischen Auffassung siehe Robert Parsons, An Answer to the Fifth Part of the Reportes Lately Set forth by Syr E. Cooke. St. Omer 1606, Preface. 76 Zum Spannungsverhältnis zwischen weltlichen und geistlichen Gerichten Roland G. Usher, The Rise and Fall of the High Commission [1913]. 2. Aufl. Oxford 1968, 180-226; Richard H. Helmholz, Roman Canon Law in Reformation England. (Cambridge Studies in English Legal History) Cambridge u.a. 1990, 171-194.

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über der Kirche seit der Loslösung von Rom stets doppeldeutig gewesen war. Zum einen nahm er für sich die Stellung eines Nachfolgers der spätantiken Kaiser in Anspruch, der die Kirche als absoluter Herrscher mit genuin geistlicher Autorität lenkte, zum anderen konnte die Kirche auf Grund der Mitwirkung des Parlamentes an der Reformation aber auch als ein Bereich erscheinen, in dem die königliche Prärogative ebenso an die Mitsprache des Parlamentes gebunden war wie in weltlichen Angelegenheiten.77 Die Verselbständigung des Kirchenregimentes gegenüber der weltlichen Herrschaft des König erreichte ihren Höhepunkt im Jahre 1640. Gegen Ende des persönlichen Regimentes Karls I. entschloß sich die Synode der Kirche, die Convocation, respektive die beiden Convocations von Canterbury und York nicht gleichzeitig mit dem Parlament, dem Short Parliament, aufzulösen, sondern weitertagen zu lassen. Dies verstieß an sich gegen das Herkommen, überdies beschloß die Convocation von Canterbury aber auch noch eine Reihe von Cánones, die sich als besonders unpopulär erwiesen, weil sie nun ihrerseits beanspruchten, Regeln für die weltliche Herrschaft des Königs und das Verhalten seiner Untertanen zu setzen. Darunter erregte Kanon I besonderen Anstoß, der das unbedingte gottgewollte Herrschaftsrecht des Königs betonte, gegen das kein Widerstand möglich sei. Hier hieß es unter anderem: „The most high and sacred order of kings is of divine right, being the ordinance of God himself, founded in the [...] laws of nature and clearly established by express texts both of the Old and New Testamtents. [...] For any person or persons to set up, maintain or avow in any their said realms or territories, under any pretence whatsoever, any independent coactive power either papal or popular, whether directly of indirectly, is to undermine their great royal office, and cunningly to overthrow that most sacred ordinance which God Himself hath established: and so it is treasonable against God as well as against the King." 78 77

Siehe dazu John Guy, Thomas Cromwell and the Intellectual Origins of the Henrician Revolution, in: ders., Tudor Monarchy (wie Anm. 2), 213-232; ders., Tudor England. Oxford 1988, 369-378; ders., The Henrician Age, in: Pocock u.a. (Eds.), Varieties (wie Anm. 29), 13-46, hier 35-46, dort auch zu den Nachwirkungen der Debatten der Reformationszeit nach 1603; ferner Walter Ulimann, This Realm of England is an Empire, in: JEcclH 30, 1979, 175-203, sowie Clare Cross, The Royal Supremacy in the Elizabethan Church. London 1969. 78 William Laud, The Works of William Laud. Ed. by William Scott and James Bliss. 7 Vols, in 9 Vols. Oxford 1847-1860, Vol. 5, 614f. Dieser Kanon bestätigte im übrigen auch ausdrücklich das königliche Kirchenregiment, von dessen Einschränkung durch die Macht der Bischöfe war an dieser Stelle nicht die Rede. Über das königliche Besteuerungsrecht hieß es: „And although tribute and custom and aid and subsidy and all manner of necessary support and supply be respectively due to kings from their subjects by the law of God, nature and nations, for the public defence, care and protection of them; yet nevertheless sujects have not only possession of, but a true and just right, title, and property to and in all their goods and estates and ought to so to have; and these two are so far from crossing one another, that they mutually go together for the honourable and comfortable support of both.

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In den Beschlüssen der Synode hatte die enge Verbindung zwischen einer Episkopalkirche, die für das bischöfliche Amt und die bischöfliche Autorität eine göttliche Vollmacht in Anspruch nahm, und dem „divine right of kings" noch einmal handgreiflichen Ausdruck gefunden. Nachdem aber Ende 1640 das Parlament wieder zusammengetreten war, kam es zu scharfen Angriffen auf die Beschlüsse der Synode. Nicht nur die „absolutistischen" politischen Lehren der Kirchenversammlung wurden angegriffen, sondern auch ihre Autorität in kirchlichen Fragen wurde bestritten.79 Den Kritikern des Klerus schienen die Konflikte zwischen weltlicher und geistlicher Autorität nur lösbar zu sein, wenn man das Bischofsamt als solches beseitigte und die Kirche ganz unter die Aufsicht des King in Parliament, also einer weltlichen Autorität stellte. In diesem Sinne erklärte auch Henry Parker, ein Fiennes nahe stehender führender politischer Publizist dieser Jahre: „The pattern of the state would be sufficient to present to us a fit and harmonious pattern for the church, and the body and head of both church and state would appeare to be the self same." 80 Indem die Mehrheit des Unterhauses im Langen Parlament die Bischöfe angriff, hoffte es, zur vermeintlichen Harmonie der elisabethanischen Herrschaft zurückzukehren. Den Bischöfen warf man nicht ohne Widersprüchlichkeit einerseits vor, die königlich Autorität usurpiert und andererseits den König zu einem exzessiven Gebrauch, ja Mißbrauch seiner Prärogativgewalt verführt zu haben.81 So problematisch das Idealbild von der durchweg harmoFor as it is the duty of subjects to supply their king, so is it part of the kingly office to support his subjects in the property and freedom of their estates" (614f.). Zur Convocation von 1640 siehe Esther Cope, The Short Parliament of 1640 and Convocation, in: JEcclH 25, 1974, 167-184, und Davies, Captivity (wie Anm. 70), Kap. 7, insbes. 259 zu dem 1640 durch den Kanon I bestätigten Zusammenhang zwischen iure ¿¿v/no-Episkopat und iure di'vi'no-Königtum. 79 Nathaniel Fiennes, einer der schärfsten Kritiker der Bischöfe, griff im Parlament im Dezember 1640 die Beschlüsse der Convocation vom Frühjahr 1640 mit dem bezeichnenden Argument an, alle „ecclesiastical jurisdiction" stehe der „imperial crown of this realm" zu, und meinte sogar, die Definition von Häresie falle in die Kompetenz des Parlamentes (John Rushworth [Ed.], Historical Collections of Private Passages of State. 4 Vols. London 1659-1692, Vol. 3, 1, 107f.; vgl. die gesamte Debatte, ebd. 100-110, Dec. 14 und 15, 1640). Siehe auch John Morrill, The Attack on the Church of England in the Long Parliament, in: ders., The Nature of the English Revolution (wie Anm. 3), 69-90, insbes. 8If. und 85 f., und ders., The Religious Context of the English Civil War, in: ebd. 45-68, hier 55 f. 80

Henry Parker, The Question Concerning the Divine Right of Episcopacie Truly Stated. London 1641, 11. Zu Parker und seiner ekklesiologischen Position siehe Michael Mendie, Henry Parker and the English Civil War: The Political Thought of the Public's „Privado". Cambridge 1995, 53-69. 81 Morrill, Attack (wie Anm. 79), 81 f. Siehe etwa die Begründung des Impeachment gegen Laud: Rushworth (Ed.), Historical Collections (wie Anm. 79), Vol. 3, 1, 196-200; vgl. aus der Zeit vor 1640 Henry Burton, For God and King. London 1636. Siehe ferner William M. Lamont, Godly Rule: Politics and Religion 1603-1660. (Puritanism and English Revolution, Vol. 2.) London 1969, Ndr. Aldershot 1991, 46f. und 59f.

Von der „monarchischen Republik" zum Gottesgnadentum?

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nischen Regierungszeit Elisabeths I. war, so ist doch nicht zu übersehen, daß zumindest auf dem Gebiet der Staatstheorie die politischen Probleme, deren Zuspitzung in den Bürgerkrieg führte, ihren Ursprung in der Tat erst in der Endphase der Regierung der letzten Tudorherrscherin hatten. Auch im elisabethanischen England hatte es stets eine Spannung gegeben zwischen dem zumindest unter den protestantischen Untertanen der Königin verbreiteten Vertrauen in die Königin als „Godly Prince", als gottesfürchtige und gottgefällige Herrscherin, die unmittelbar von Gott beauftragt war, Staat und Kirche zu regieren, und dem Ideal eines vom Recht regierten Gemeinwesens, aber diese Spannung hatte nicht zu unlösbaren Konflikten geführt. 82 Zu einer Eskalation der Spannungen kam es jedoch seit den 1590er Jahren. Parallel und in Konkurrenz zueinander entwickelten sich zwei ganz unterschiedliche Deutungen der königlichen Herrschaftsgewalt in weltlichen und geistlichen Dingen. Auf der einen Seite standen eine Staatslehre, die jedes Widerstandsrecht a limine verwarf, und eine politische Theologie, die mit der Betonung der von Gott verliehenen Autorität der Bischöfe und der kirchlichen Autonomie ein Eintreten für eine unantastbare sakrale Herrschaftsgewalt des Monarchen verband. Auf der anderen Seite stand eine in einer ganz anderen politischen Sprache derjenigen des Common Law - formulierte politische Theorie, die die nationale englische Rechtstradition als Grundlage des königlichen Kirchenregimentes und Fundament einer seit Menschengedenken durch keine willkürliche Rechtsetzung veränderten Ancient Constitution sah. Die beiden unterschiedlichen Theoriegebäude waren zunächst nicht entwickelt worden, um Aussagen über das Verhältnis zwischen König und Parlament zu treffen; sie waren auch, da in unterschiedlichen „Sprachen" formuliert, nicht direkt auf einander bezogen. Ihr Kontext war vielmehr in beiden Fällen primär ein konfessioneller. Es ging - neben der Sicherung des Erbrechts für das Haus Stuart in den Jahren 1587-1603 - um die Verteidigung des kirchlichen und politischen Status quo gegen die Kritik der Gegenreformation, und im Falle der theologischen Doktrin vom göttlichen Recht des Königs und der Bischöfe auch um den Kampf gegen den Presbyterianismus. Das Ideal der Ancient Constitution und der Divine Right Monarchy dienten also ursprünglich beide, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise und unter Verwendung eines unterschiedlichen Vokabulars, durchaus verwandten Zwecken. Was jedoch anfanglich Legitimation für Staat und Kirche Englands war, verselbständigte sich. Das Ideal der universellen Herrschaft des Common 82 Vgl. Burgess, Politics (wie Anm. 15), 105: „In these brief remarks upon Elizabethan thought there is apparent a degree of tension between faith put in the Godly Prince (monarchy by divine right, essentially) and the continuing vision of England as a law-govemed polity. Was there perhaps a contradiction between these things? In the early Stuart period did divine right monarchy and constitutionalism, things kept in a tense but fruitful partnership under the Tudors, go their separate ways?"

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Law erwies sich mit der königlichen Prärogativgewalt im traditionellen Sinne als unvereinbar, die sich gerade dadurch ausgezeichnet hatte, daß sie juristisch nicht klar definierbar war; hingegen drohte die von den Theologen der anglikanischen Kirche zunehmend betonte Autonomie der Kirche und ihrer Hierarchie in Verbindung mit dem Bekenntnis zum Gottesgnadentum des Königs das englische Verfassungsgefüge, wie es sich seit der Reformation ausgebildet hatte, aufzulösen.

Vom ständischen Widerstandsrecht zum modernen Naturrecht Die ,Politica' des Johannes Althusius in ihrem deutschen Kontext und ihre schottische Rezeption* Von

Robert von Friedeburg Am 11. Juli 1668 wurde der schottische Bischof Andrew Honeyman von der Kugel eines Attentäters in die Brust getroffen, während er den höchsten Würdenträger der schottischen Kirche, den Erzbischof von St. Andrews, James Sharp, in dessen Kutsche begleitete. Die Kugel galt Sharp, der jedoch unverletzt blieb - nur um acht Jahre später in St. Andrews aus seiner Kutsche herausgerissen und auf offener Straße von presbyterianischen Attentätern erschlagen zu werden.1 Für Honeyman bestätigten diese Attentate nur, wovon er ohnehin überzeugt war - Aufforderungen an den Gemeinen Mann zum Kreuzzug auf eigene Faust und zum Widerstand gegen die Obrigkeit waren, gleich unter welchem Vorwand, gemeingefährlich für jedes Gemeinwesen. Dem mußte öffentlich entgegengetreten werden. Nur deshalb hatte er sich überhaupt in Edinburgh aufgehalten. Nachdem der 1651 zum König von Schottland gekrönte Sohn des hingerichteten Karl I. als Karl II. 1660 als König nach England zurückgekehrt war und in der Kirche von Schottland die Ämter des Bischofs und Erzbischofs wieder einführte, entstanden presbyterianische Gemeinden im Untergrund. Die Verfolgung dieser Konventikel und die Verhaftung ihrer Prediger führten * Der folgende Aufsatz beruht auf Forschungen zu Johannes Althusius und seiner Rezeption außerhalb des Reiches, die im Sommersemester 1997 am Reformation Studies Institute der Universität St. Andrews, Schottland, weitergeführt werden konnten. Ich danke den Studierenden meines Konstanzer Hauptseminars zu Johannes Althusius vom Wintersemester 1995/96, den Teilnehmern der Tagung zu „Strukturen des politischen Denkens in der frühen Neuzeit" im Dezember 1996, des Forschungsseminars am Reformation Studies Institute und des 3. ESF-Treffens zum Republikanismus in Europa im Mai 1997, ganz besonders aber James Cameron, Horst Dreitzel, Wolfgang Mager, Andrew Pettegree, Jonathan Scott, Luise Schorn-Schütte und Blair Worden für Anregungen und Kritik. Eine umfassendere Darstellung des Problemkreises Widerstandsrecht ist als Monographie erschienen: Robert von Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530-1669. (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, 27.) Berlin 1999. 1 Honeyman starb im selben Jahr an den Folgen der Kugel, die ihn an Stelle von Sharp getroffen hatte; siehe A. Van Doren Honeyman, The Honeyman Family in Scotland and America. Plainfield, N. J. 1909, 26-41.

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zusammen mit der Belastung der Bevölkerung durch einquartierte Truppen immer wieder zu Konflikten. Die Befreiung eines Gefangenen in Galloway am 13. November 1666 und der erfolgreiche Überfall einiger hundert Bauern auf eine Garnison weiteten sich dann zu einer Aufstandsbewegung aus, die zwei Wochen später von rund 2600 Soldaten niedergeschlagen werden konnte.2 Der Prediger James Stirling und der Jurist James Steuart verteidigten mit der 1667 veröffentlichten Streitschrift ,Naphtali' die Aufständischen mit der Behauptung, jeder schottische Untertan habe nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, auf eigene Faust das schottische Bekenntnis und seine Ausübung zu verteidigen und könne sich dazu mit anderen zusammenschließen.3 Terrorakte wie das Attentat auf Sharp waren für Honeyman die notwendige Folge solcher Behauptungen. In einer ausführlichen Rezension führte er die lutherische und reformierte Gelehrsamkeit des Kontinents zum Beweis dafür an, daß, wenn überhaupt, nur die Repräsentanten des Gemeinwesens, aber niemals jeder einzelne Untertan auf eigene Faust zur Tat schreiten dürfe. Selbst ein schottischer Widerstandstheoretiker von Rang und Namen wie Samuel Rutherford, erinnerte Honeyman seine Leser, erlaubte nur den Repräsentanten des Gemeinwesens, der „community, orderly convened", sich dem Monarchen zu widersetzten.4 Schon der schottische Reformator John Knox erinnerte die Gläubigen, als es um den Widerstand gegen Königin Maria ging: „It is plaine that the slaying of ydolateris appertanis not to every particular man".5 Für Honeyman war ,Naphtali' daher ein Aufruf zum Terror durch verwirrte, aber gerade deshalb gemeingefährliche Sektierer. Einer der Autoren von ,Naphtali', James Steuart, war nicht bereit, die Sache damit auf sich beruhen zu lassen. Er wollte beweisen, daß der Gedanke der Handlungsfähigkeit 2

John Willcock, A Scots Earl in Covenanting Times. Being Life and Times of Archibald 9th Earl of Argyll (1629-1685). Edinburgh 1907, 140-146. 3 James Steuart/James Stirling, Naphtali, or the Wrestlings of the church of Scotland, for the Kingdom of Christ, contained in a true and short deduction thereof, from the beginning of the reformation of religion until the year 1667, together with the last speeches and testimonies of some who have died for the truth since the year 1660.0. O. 1667, ed. by William Wilson. Perth 1845; George W T. Omond, Sir James Stewart, in: ders., The Lord Advocates of Scotland. Edinburgh 1883, 243-276; Robert Wodrow, Analecta: or Materials for a History of Remarkable Providences. 4 Vols. Edinburgh 1842-1883, Vol. 1, 71, Vol. 2, 202-207, 327f.; The Coltness Collections 1608-1840. Edinburgh 1842, Part II, 38-52, 359-367. 4 Andrew Honeyman, A Survey of the insolent and infamous libel, entituled, Naphtali. Edinburgh 1668; ders., Survey of Naphtali. Part II. Edinburgh 1669; Van Doren Honeyman, The Honeyman Family (wie Anm. 1), 20-43; Samuel Rutherford, Lex Rex. London 1644, 29—41 ; vgl. zu Rutherford John Coffey, Politics, Religion and the British Revolutions. The Mind of Samuel Rutherford. (Cambridge Studies in Early Modern British History.) Cambridge 1997, 176-177; John D. Ford, Lex Rex iusta posita: Samuel Rutherford and the Origins of Government, in: Roger A. Mason (Ed.), Scots and Britons. Scottish Political Thought and the Union of 1603. Cambridge 1994, 262-292. 5 Zit. nach James Henderson Burns, The True Law of Kingship. Concepts of Monarchy in Early Modem Scotland. Oxford 1996, 128.

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jedes einzelnen Untertanen mit der Möglichkeit eines geordneten Gemeinwesen durchaus korrespondiere und daß diese Behauptung von der kontinentalen Gelehrsamkeit durchaus unterstützt würde. Sein 1669 veröffentlichtes „Jus Populi Vindicatum" führte als Beleg hierfür die .Politica' des Johannes Althusius von 1614 an.6 Diese Rezeption von Althusius ist nicht als isolierte akademische Übung zu verstehen. Seit dem Beginn der Reformation und der sie begleitenden Glaubenskonflikte wurden Fürsten, Stände und Gemeiner Mann durch die Sturmflut der Flugschriften beeinflußt, die ihrerseits Bezug auf die sich überschlagenden Ereignisse nahmen. Politische Theorie wurde insbesondere infolge der sich verschärfenden Glaubenskonflikte ein genuiner Bestandteil politischen Handelns.7 Ihre Entwicklung ist daher ohne Einbettung in die Ereignisund Verfassungsgeschichte der Zeit und in den sie beherrschenden Glaubensstreit nicht möglich. Umgekehrt ist aber auch ein Verständnis des Verhaltens der Zeitgenossen ohne Einsicht in die durch die politische Theorie ausgedrückten Überzeugungen und deren Veränderung unmöglich, weil sonst ahistorische Annahmen aus der jeweils eigenen Zeit der Vergangenheit unterstellt werden. Das gilt für die schottischen Attentäter ebenso wie für die Entwicklung des Widerstandsrechts und seinen Bezug zur Entstehung des modernen Naturrechts. Im folgenden werden daher drei Ziele verfolgt. Erstens soll der Frage nach der Entstehung von Widerstandsrecht als Naturrecht jedes Individuums nachgegangen werden. Zweitens soll bei der Untersuchung dieser Entwickung das Ineinander von Ereignissen und der theoretischen Reflexion dieser Ereignisse, von politischer Theorie und von ihr beeinflußtem Handeln, verfolgt werden. Drittens soll gezeigt werden, daß diese gegenseitige Bedingtheit in Schottland und im Reich von unterschiedlichen Verfassungsstrukturen geprägt wurde, welche die Konfessionskonflikte in unterschiedliche Bahnen lenkten und zu verschiedenen Reflexionen dieser Entwicklung führten, die ihrerseits in verschiedene politische Kulturen der Bändigung des Konfessionskonfliktes mündeten. Die Rezeption von Althusius steht am Schnittpunkt dieser Untersuchungsstränge. An ihr läßt sich die Entwicklung eines individuellen Widerstandsrechts in ihrem zeitlichen Horizont und damit als das darstellen, was sie war eine Entwicklung gegen den Willen der Beteiligten, die aufgrund ihrer eigenen 6

James Steuart, Jus populi vindicatum. London 1669 (der Titel ist möglicherweise angelehnt an Henry Parker, Jus Populi. 1644, vgl. zu Parker Margaret Atwood Judson, Henry Parker and the Theory of Parliamentary Sovereignty, in: Essays in History and Political Theory. In honor of Charles Howard Mcllwain. Cambridge 1936,138-167, hier 159-164); Johannes Althusius [1557/63-1638], Politica Methodice Digesta. Herborn 1603, 1610, 1614. 7 Vgl. Quentin Skinner, The Foundations of Modem Political Thought. Vol. 1 : The Renaissance. Cambridge 1978, lOf.

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Vorstellungen vom Gemeinwesen die Auflösung menschlicher Gesellschaft von einer Berechtigung erwarteten, die im Schottland der Restauration Wirklichkeit zu werden schien. Damit im Zusammenhang soll zugleich auf das Eigengewicht politischer Theorie verwiesen werden, mit dem sie als eigene Form der Praxis ihrerseits auf Völkerrecht, Öffentliches Recht und die Gestaltung von Staat und Verwaltung einwirkte. Der Ausgangspunkt zur Schilderung dieser Eigendynamik politischer Theorie als genuiner und eigenständiger Form sozialen Handelns im Rahmen der Verfassungsstrukturen und der Konfessionskonflikte der Zeit ist die Frage danach, was entstand, als Steuart die These von der frommen Pflicht jedes Untertanen zum Widerstand gegen das Gemeinwesen aus der eschatologischen Streitschrift ,Naphtali' zur Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer politischen Theorie machte, die ausdrücklich die Gemeinwesen hinieden beschreiben sollte, und dazu zu Althusius' .Politica' griff. Dieser Einsatz von Althusius' .Politica' war ein schwerwiegendes und zugleich produktives Mißverständnis - ein Mißverständnis, das zugleich zum Ausgangspunkt der Behandlung der Strukturen politischen Denkens im Reich und in Schottland gemacht werden soll. Im folgenden soll die These vertreten werden, daß sich solche Strukturunterschiede nachweisen lassen, daß diese jedoch wenig mit einer vermeintlichen Obrigkeitshörigkeit der Lutheraner im Reich oder dem vermeintlichen Freiheitsgeist des Calvinismus zu tun haben, sondern daß sie die Unterschiede in der Fähigkeit der politischen Systeme des Reiches bzw. der britischen Königreiche zur Regulierung und Verrechtlichung der Konfessionskonflikte spiegeln. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob Steuarts Mißverständnis eine Folge dieser unterschiedlichen Strukturen politischen Denkens war, die sich bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts diesseits und jenseits des Kanals als Spiegel unterschiedlicher verfassungs- und ereignishistorischer Rahmenbedingungen herausgebildet hatten und zwischen denen es, kam es zu ihrem Austausch, zu Mißverständnissen kommen mußte. Die Mißverständnisse und Umdeutungen, denen Althusius' Werk durch Steuarts Deutung unterlag, weisen, so soll gezeigt werden, auf eben diese fundamental unterschiedlichen verfassungsrechtlichen und ereignisgeschichtlichen Rahmenbedingungen hin, vor deren Hintergrund die Zeitgenossen diesseits und jenseits des Kanals des Konfessionskonfliktes Herr zu werden versuchten. Sie verweisen damit zugleich auf fundamental unterschiedliche Strukturen politischen Denkens und politischer Rhetorik, die sich bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts als Folge dieser verschiedenen verfassungsrechtlichen Strukturen und als Reflexion auf die unterschiedliche Ereignisgeschichte herausgeschält hatten und für welche die ,Politica' einerseits und ,Naphtali' andererseits stehen. Steuarts ,Jus Populi' verknüpfte beide Stränge. Die systematische Beschreibung des Gemeinwesens, seines Ursprungs und seiner Institutionen aus der ,Politica' wurde in einen Kontext eingebettet, aus dem aristotelische Annahmen vom guten Leben als Ziel des

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Gemeinwesens, von seinem Charakter als Herrschaftsordnung, von der unbedingten Unterwerfung der Menschen unter diese Ordnung und von korporationsrechtlichen Annahmen über die Repräsentation dieses Gemeinwesens verschwunden waren. Althusius hatte im Rahmen dieser Annahmen argumentiert. Die Entwicklung im Reich zwischen 1555 und dem Beginn des 17. Jahrhunderts gab keinen Anlaß, sie aufzugeben. Ihre Erosion war eine Folge der Erfahrungen des Konfessionskonfliktes unter den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der schottischen Monarchie. Es soll weiter gezeigt werden, daß aus der Amalgamierung beider Stränge eine im Kern moderne naturrechtliche Konzeption von der Errichtung der Gesellschaft durch vertragsschließende Individuen entstand. Nach einem einleitenden Hinweis zum Stand der Forschung (I) werden an die Debatte zwischen Honeyman und seinen Gegnern zwei Fragen geknüpft, um diesem Problem nachzugehen. Wie stellte sich das Verhältnis zwischen ereignisgeschichtlichen Umständen, verfassungsgeschichtlichen Strukturen und ideengeschichtlicher Tradition im Reich und in Schottland dar, die zu dieser Rezeption von Althusius führten (II, III)? Wie konnte es durch die Rezeption politischer Theorie in einem neuen Kontext zu derart produktiven und fast revolutionär wirkenden Mißverständnissen kommen wie im vorliegenden Fall (IV)?

I. Obwohl ältere Anschauungen über Althusius' Werk als „blueprint of revolution" 8 bis in jüngste Veröffentlichungen weitergetragen werden, versteht die Althusius-Forschung sein Werk längst nicht mehr als Ausdruck eines modernen Naturrechts oder als Argument zugunsten einer Souveränität des Volkes im modernen Sinne.9 Demgegenüber ist die Analyse der spezifischen histori-

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Edward J. Cowan, The Making of the National Covenant, in: John Morrill (Ed.), The Scottish National Covenant in its British Context 1638-1651. Edinburgh 1990,68-89, hier 78 zur .Politica' als „blueprint for the Scottish Revolution"; zum Stand der Forschung siehe Robert von Friedeburg, Reformed Monarchomachism and the Genre of the .politica' in the Empire: The Politica of Johannes Althusius in its constitutional and conceptual Context, in: Archivio della ragion di Stato 6, 1998, 129-153. 9 Die letzte umfassende Monographie liegt vor von Carl Joachim Friedrich, Johannes Althusius und seine Wirkung im Rahmen der Entwicklung der Politik. Berlin 1975, siehe aber dazu die Rezension von Michael Stolleis, in: ZHF 4, 1977, 364-366; knapper Überblick in Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800. München 1988, 106-108; der heterogene Forschungsstand kommt zum Ausdruck in Karl Wilhelm Dahm u. a. (Hrsg), Politische Theorie des Johannes Althusius. (Rechtstheorie, Beih. 7.) Berlin 1988, vgl. dazu die Rezension von Horst Dreitzel, Neues über Althusius, in: lus Commune 16, 1989, 276-302; Horst Dreitzel, Besprechung von Thomas O. Hiiglin, Sozietaler Föderalismus.

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Friedeburg

sehen Entstehungsbedingungen der .Politica' inzwischen erheblich vorangetrieben worden. 10 Aber mit dem Hinweis auf verschiedene mögliche Lesarten der ,Politica' ist das Problem nicht erledigt. Der Befund mißverständlicher zeitgenössischer Deutung muß in den Umbruch der Forschung eingeordnet werden, der seit den 1970er Jahren in Gang kam. Bis zu diesem Zeitpunkt diente die Ideengeschichte nicht zuletzt der Exemplifizierung zentraler Annahmen der neuen Geschichte über den Zusammenhang der konfessionellen und politischen Konflikte des 17. Jahrhunderts mit dem Erfolg der liberalen Demokratie oder des monarchischen Anstaltsstaates - je nach Standpunkt im 19. Jahrhundert. Die englische und schottische Historiographie hatte bereits bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine Ahnenreihe liberaler Theoretiker und Vordenker konstruiert11, die unter dem Einfluß der englischen Max Weber-Rezeption, vor allem bei Richard Tawney, seit den 1920er Jahren zu Vordenkern der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft umfunktioniert wurden. Auf der anderen Seite des Kanals wurden Max Webers und Ernst Troeltschs Diktum über die Obrigkeitshörigkeit des Luthertums und den calvinistischen Geist der Freiheit12 seit den 1930er Jahren durch liberale Emigranten aufgenommen, um den historischen Ursachen für das Scheitern der

Die politische Theorie des Johannes Althusius. Berlin 1991, in: ZHF 22, 1995, 567-70; verschiedene Aspekte des Forschungsstandes geben wieder Hasso Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit, in: Dahm u.a. (Hrsg.), Althusius (wie Anm. 9), 513-542; Peter J. Winters, Johannes Althusius, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik, Politik, Naturrecht. Frankfurt am Main 1977, 29-51; Michael Behnen, Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der Politica des Johannes Althusius, in: ZHF 11, 1984, 417-472; Horst Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland. Ein Beitrag zur Kontinuität und Diskontinuität der politischen Theorie in der frühen Neuzeit. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beih. 24.) Mainz 1992. 10 Gerhard Menk, Johannes Althusius und die Reichstaatslehre, in: Dahm u. a. (Hrsg.), Althusius (wie Anm. 9), 255-300, hier 276; Emilio Bonfetti/Giuseppe Duso/Merio Scattola (Hrsg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Johannes Althusius. Wiesbaden 2002; Merio Scottola, Von der „maiestas" zur „symbiosis". Der Weg des Johannes Althusius zur eigenen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice Digesta, in: ebd. 291-314; Horst Dreitzel, Althusius in der Geschichte des Föderalismus, in: ebd. 49-112. 11 George Peabody Gooch, English Democratic Ideas in the Seventeenth Century (1898). 2nd ed. with supplementary notes and appendices by H. J. Laski. Cambridge 1927, meint 48, daß „in the concatenation of political ideas, the aristocratic superstructure is easily lost sight of and the democratic substratum easily borrowed"; siehe noch James Anthony Froude, Condition and Prospects of Protestantism, in: ders., Short Studies on Great Subjects. London 1898, 146-179, vor allem zur „spiritual affinity" der „teutonic races" (158 f.). 12 Luise Schorn-Schiitte, E. Troeltschs „Soziallehren" und die gegenwärtige Frühneuzeitforschung. Zur Diskussion um die Bedeutung von Luthertum und Calvinismus für die Entstehung der modernen Welt, in: Friedrich Wilhelm Graf/Trutz Rendtorff (Hrsg.), Ernst Troeltschs Soziallehren. Studien zu ihrer Interpretation. (Troeltsch-Studien, Bd. 6.) Gütersloh 1993, 133-151.

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Republik von Weimar beizukommen. Als ganz besonders einflußreich erwiesen sich der liberale Historiker Hans Baron und sein Aufsatz in der „Church History" von 1939, der den Emigranten noch als ehemaliges Mitglied der Humboldt-Universität in Berlin auswies. In diesem Aufsatz über „Calvinist Republicanism" tritt neben die Bedeutung des Florentiner Bürgerhumanismus der Calvinismus als religiöse Einstellung, welcher dem Freiheitskampf gegen die absolute Monarchie Rückendeckung verschafft habe.13 Damit war der Gedanke einer antiabsolutistischen Internationale des Widerstandsgedankens formuliert, die von den französischen Monarchomachen über Althusius bis zu den schottischen und englischen Presbyterianern und Locke reicht und bis auf den heutigen Tag, wenn auch in gewandelter Gestalt, in Veröffentlichungen deutscher und englischer Sprache auftaucht14 und auch die Beweisführung über die vermeintliche Rezeption des Althusius bestimmt15. Der nach dem 13

Hans Baron, Calvinist Republicanism and its Historical Roots, in: Church History 8, 1939, 30-42. 14 So noch Frederick Smith Carney, The Associational Theory of Johannes Althusius. A Study in Calvinist Constitutionalism. PhD Thesis University of Chicago 1960. Die landständische Opposition gegen Reichsstände wird heute vor allem von amerikanischen Historikern als Vorgeschichte einer nichtabsolutistischen und partizipatorischen deutschen Verfassungsgeschichte gelesen, siehe Thomas A. Brady Jr., Some Peculiarities of German History in the Early Modem Era, in: Andrew C. Fix/Susan C. Karant-Nunn (Eds.), Germania Illustrata: Essays on Early Modern Germany Presented to Gerald Strauss. Kirksville 1992, 197-217, hier 211 zur „parliamentary governance" in Südwestdeutschland; und Peter Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, in: HZ 242, 1986, 529-556, wo Althusius zum Gegenspieler von Bodin erklärt wird. 15 Es liegen zur Rezeption auf den britischen Inseln nur verstreute Hinweise vor: siehe vor allem Menk, Althusius (wie Anm. 10), 255-300; Gooch, English Democratic Ideas (wie Anm. 11), 48. Immer wieder hingewiesen wird auf zwei verstreute Nennungen - unter anderem in dem Tagebuch eines der Autoren des National Covenant {Archibald Johnston of Waríston, Diary. Ed. by G. M. Paul. Edinburgh 1911, 348). Trotz dieses augenfälligen Mangels an Belegen fehlt es nicht an weitreichenden Thesen, siehe Karl-Wilhelm Dahm, Johannes Althusius - ein Herborner Rechtsgelehrter als Vordenker der Demokratie, in: ders. u.a. (Hrsg.), Althusius (wie Anm. 9), 21-41, 22 zu Althusius als „father of the American constitution" (keine Belege zitiert), der seinerseits aber als Beleg bei Peter Blickle, Über den Umgang mit dem wissenschaftlichen Ordnungsbegriff Kommunalismus, in: ZHF 22, 1995, 246-253, 251, angeführt wird; Hugh Dunthorpe, Resisting Monarchy: The Netherlands as Britain's School of Revolution in the Late Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Robert Oresko/G. C. Gibbs/H. M. Scott (Eds.), Royal and Republican Sovereignty in Early Modern Europe. Cambridge 1997, 125-48, führt an: erstens Waristons Pamphlete (139 Anm. 59), zitiert aber das Tagebuch, in dem nur die Lektüre als solche, nicht die Weiterverwendung von Althusius belegt ist; zweitens Cowan, National Covenant (wie Anm. 8), 78, zur ,Politica' als „blueprint for the Scottish Revolution", der aber ebenfalls nur Wariston anführt; drittens Samuel Rutherfords Lex Rex. London 1644, als „most Althusian of all Covenanter's tracts". Aber die Nennung von Althusius auf 102 ist im Kontext einer viel häufigeren Nennung anderer Autoren zu sehen, darunter Aristoteles, Suarez, Bodin und John Mair; viertens Edward J. Cowan, The Political Ideas of a Covenanting Leader: Archibald Campbell, Marquis of Argyll, in: Mason (Ed.), Scots and Britons (wie Anm. 4), 241-61, der behauptet, des Earl of Argylls Hinweis auf die Notwendigkeit einer guten Ausbildung von Magistraten - einer der weitverbreitetsten Gemeinplätze der Zeit -

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zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts nahezu vergessene Johannes Althusius war zu diesem Zeitpunkt bereits durch die Veröffentlichung Otto von Gierkes von 1879 zum Protagonisten der „historisch-organischen Auffassung der Zwischenverbände" gemacht worden, die zugleich der Ausgangspunkt der Idee vom Rechtsstaat, der Volkssouveränität und des Föderalismus gewesen sei. 16 Gierkes Ziel war dabei nicht zuletzt, sich historischer Munition für seine Auseinandersetzung mit dem westlichen Naturrecht einerseits, den deutschen Rechtspositivisten um Paul Laband andererseits zu vergewissern. Er wandte sich dabei sowohl gegen die Deutung der reichsdeutschen Gesellschaft als Summe einzelner Individuen wie gegen die Behauptung, das neue deutsche Kaiserreich sei allein als ein Bund souveräner Fürsten zu verstehen.17 Diesen Alternativen stellte er seine, angeblich bis in die germanische Zeit zurückreichende und spezifisch deutsche, Genossenschaftlehre entgegen, in der Gemeinschaft ohne die Atomisierung in Individuen oder die Unterordnung unter fürstliche Reservatrechte verwirklicht worden sei. Althusius wurde sein Kronzeuge.18 Ohne dieser für den deutschen Liberalismus des 19. Jahrhunsei ein Nachweis für seine Althusius-Lektüre; fünftens zum ebenfalls als AlthusiusRezipient angeführten Alexander Henderson, Instruction for Defensive Arms (1639), in: Andrew Stevenson, History of the Church of Scotland From the Accession of Charles I. to the Restoration of Charles II. 4 Vols. Edinburgh 1753, Vol. 2 , 6 8 6 - 6 9 5 , der jedoch ebenfalls keine klaren Anleihen bei Althusius erkennen läßt. Schließlich figuriert Althusius immer noch als Autor, um gegenwärtigen politischen Thesen eine höhere Weihe zu verleihen, siehe Thomas O. Hiiglin, Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des Johannes Althusius. (Europäisches Hochschulinstitut, Ser. C, 13.) Berlin 1991 (Althusius als Vater des Föderalismus). Demgegenüber legt Friedrich, Althusius (wie Anm. 9), 108 f., dar, daß die ,Politica' die Position des Königs von Schottland und England Jakob I./VI. bei der Frage des Untertaneneides stützte, und tatsächlich besaß Jakob eine eigene Kopie der .Politica' von 1610, die sich jetzt in der British Library befindet, siehe E. C. Simoni (Ed.), Catalogue of Books from the Low Countries 1601-1621 in the British Library. London 1990, 12. 16 Otto von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien (1879). 6. Aufl. Aalen 1968, Zitat 263. 17 Ebd. 262 zur „naturrechtlichen Gesellschaftslehre" als „individualistisch und mechanisch", deren „geheime Empfindung" (263) es sei, „die Korporation überhaupt durch die frei geschlossene und frei lösliche Assoziation der Individuen zu ersetzen" (ebd.); zu Gierke vgl. Otto G. Oexle, Otto von Gierkes ,Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft', in: Notker Hammerstein (Hrsg.), Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900. Stuttgart 1988, 193-219, hier 199-202; Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreiches (1871-1918). (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 102.) Frankfurt am Main 1997; sowie der Beitrag von Wolf gang Mager in diesem Band. 18 Vgl. auch Otto von Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht. 4 Bde. Berlin 1868-1913, hier Bd. 2. Breslau 1873, unterscheidet ein „älteres deutsches Recht" ( 1. Kap.), Bd. 3. Berlin 1881, enthält den Kern seines Argumentes. Er beschreibt darin die mittelalterliche Theorie der Volkssouveränität, die auf vertraglichen Verpflichtungsverhältnissen der Magistrate zum Volk beruht habe, bei Babenberg, Marsilius von Padua und Nicolaus von Cues ausgeführt gewesen sei und den Boden für den „repräsentativen Verfassungsstaat" bereitet habe (577-595). Der sei durch den Territorialabsolutismus (765-790) ersetzt, die deutsche mittelalterliche Stadtverfassung sei durch die Einrichtung städtischer Obrigkeiten über-

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derts charakteristischen Frontstellung gegen den monarchischen Obrigkeitsstaat und den naturrechtlichen Individualismus des Westens gewahr zu sein, übernahm die englischsprachige Forschung Althusius seit Gierkes Wiederentdeckung in ihren Kanon der Erzväter des politischen Liberalismus avant la lettre.19 Die Forschung bewegte sich freilich weiter. Die Emanzipation der Frühneuzeitforschung von den Problemstellungen des 19. Jahrhunderts hat manchen Stein dieses Gebäudes zum Einsturz gebracht. Sie hat die katholisch konziliaristischen und - nicht zuletzt im Umkreis des Magdeburger Bekenntnisses und seiner Rezeption - lutherischen Wurzeln vermeintlich calvinistischer Widerstandstheorien herausgearbeitet20, auf das Mißtrauen gegen den Gemeinen Mann bei vorgeblichen frühneuzeitlichen Revolutionären wie Knox, Buchanan, Rutherford und Althusius hingewiesen21 und die Entwicklung im Reich von dem Diktum des Weges in den Obrigkeitsstaat behutsam befreit. Mit diesen Ergebnissen stellt sich die Frage neu, wie die verfassungsrechtlichen und ideengeschichtlichen Entwicklungen an den deutschen Universitäten und im englischsprachigen Raum im 17. Jahrhundert eigentlich zu bewerten sind. Denn unstreitig gab es signifikante Unterschiede zwischen der politischen Theorie des Reiches einerseits und der in England und Schottland andererseits, die so schwerwiegend waren, daß sie bereits im Verlauf des 18. Jahrhunderts zu Übersetzungsschwierigkeiten englischsprachiger Werke ins Deutsche führten und im 19. Jahrhundert in ganz unterschiedliche politische Kulturen mündeten. Aber lassen solche Feststellungen Rückschlüsse auf das 17. Jahrhundert zu? Welche Strukturen politischen Denkens unterschieden das Reich von den britischen Königreichen, wenn es überhaupt solche Strukturen gab? Auszugehen ist von den völlig unterschiedlichen spätmittelalterlichen Verfassungsstrukturen im Reich und den Königreichen der britischen Inseln.22 wölbt worden (791). Althusius' „consociationes" (vgl. Gierke, Althusius [wie Anm. 16], 23-26) und seine Sicht des Aufbaus des Gemeinwesens auf ihnen sei durch eine Lehre vom Gesellschaftsvertrag ersetzt worden, die immer „mechanischer, rationalistischer und individualistischer" geworden sei (vgl. 117-119). 19 Gooch, English Democratic Ideas (wie Anm. 11). 20 Quentin Skinner, The Origins of the Calvinist Theory of Revolution, in: Barbara C. Malament (Ed.), After the Reformation. Essays in honor of J. H. Hexter. Philadelphia 1980, 309-30; Winfried Schulze, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken, monarchomachischer Widerstand, in: Peter Blickle u. a. (Hrsg.), Zwingli und Europa. Zurich 1985, 199-216; Adolf Laube, „Daß die Untertanen den Obrigkeiten zu widerstehen schuldig sind", in: Günter Vogler (Hrsg.), Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Weimar 1994, 259-276. 21 Ford, Lex Rex (wie Anm. 4); John Coffey, Politics, Religion and the British Revolutions. The Mind of Samuel Rutherford. Cambridge 1997, 187; Behnen, Herrscherbild (wie Anm. 9); Burns, True Law (wie Anm. 5), 122-151. 22 Vgl. schon Reinhart Koselleck, Föderale Strukturen in der deutschen Geschichte. (Vortrag bei der Entgegennahme des Reuchlinpreises der Stadt Pforzheim.) Pforzheim 1974, 8-13.

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Zwischen dem Augsburger Religionsfrieden 1555 bzw. der Etablierung der Kirchen von England und von Schottland nach 1559 und der Mitte des 17. Jahrhunderts kam es daher zu ganz unterschiedlichen Erfahrungen in der Handhabung der Konflikte um die jeweiligen Bekenntnisse der Kirche. Diese Erfahrungen spiegelten sich in unterschiedlichen Konzeptualisierungen des Widerstandsrechts. Im Reich wurde Nachdenken und Handeln zum Widerstand durch die immer wieder gelungene Befriedung und Verrechtlichung des Glaubenskonfliktes seit den 1520er Jahren und nicht zuletzt durch die Friedensperiode nach dem Augsburger Religionsfrieden mitgeprägt, die zugleich zur Inkubationsphase des Genres der .Politica' im Reich wurde. Die Bündelung der Vielzahl einzelner Lehrstreitigkeiten durch die Konfessionsbildung und die Möglichkeit, die Konflikte zwischen diesen Konfessionen durch die Anbindung ihrer Handhabung an die Territorialisierung des Reiches stillzustellen, bot sich weder in der schottischen noch in der englischen Monarchie. 23 Die divergierenden Meinungen über das wahre Bekenntnis und den Charakter der Kirche mußten hier innerhalb der Kirche aufeinanderprallen und zu ständigen Konflikten um die Natur der Kirche und ihr Bekenntnis führen. Eine Verrechtlichung der Konflikte um das Bekenntnis der Kirche und eine Umgehung der Wahrheitsfrage24 wie im Reich blieb unmöglich. In England brachen seit den 1570er Jahren die „streetwars of religion" aus, in denen der Gemeine Mann in Stadt und Land in einer Vielzahl lokaler Konflikte den Kampf um die Form des Gottesdienstes, die Handhabung der Predigt und der Sündenzucht und die Regulierung der Volkskultur mit der Waffe in der Hand aufnahm. 25 In Schottland wurde die katholische Königin Maria 1567 durch 23

Vgl. Heinz Schilling, Die konfessionellen Glaubenskriege und die Formierung des frühmodemen Europa, in: Peter Herrmann (Hrsg.), Glaubenskriege in Vergangenheit und Gegenwart. (Veröffentlichungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg, Nr. 83.) Göttingen 1996, 123-137; ders., Alternative Konzepte der Reformation und Zwang zur lutherischen Identität. Möglichkeit und Grenzen religiöser und gesellschaftlicher Differenzierung zu Beginn der Neuzeit, in: Vogler (Hrsg.), Wegscheiden (wie Anm. 20), 277-308; Volker Press, Außerhalb des Religionsfriedens? Das reformierte Bekenntnis bis 1648, in: ebd. 309-335. 24 Martin Heckel, Religionsbann und landesherrliches Kirchenregiment, in: Hans Christoph Rublack (Hrsg.), Die lutherische Konfessionalisiening in Deutschland. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 97.) Gütersloh 1992, 130-162; ders., Reichsrecht und „Zweite Reformation": Theologisch-Juristische Probleme der reformierten Konfessionalisiening, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland - Das Problem der „Zweiten Reformation". (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 195.) Gütersloh 1986, 11^13. 25 Patrick Collinson, The Cohabitation of the Faithful with the Unfaithful, in: Ole Peter Grell/Jonathan I. Israel/Nicholas Tyacke (Eds.), From Persecution to Toleration. The Glorious Revolution and Religion in England. Oxford 1991, 51-76; ders., The Birthpangs of Protestant England. Religion and Cultural Change in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. New York 1988, Zitat 124; Robert von Friedeburg, Sündenzucht und sozialer Wandel. Earls C o i n è (England), Springfield und Ipswich (Neuengland) im Vergleich, ca.

1524—1690. Stuttgart 1993; ders., Anglikanische Kirchenzucht und nachbarschaftliche

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Adel und Kirche gestürzt. Zwischen ihrem protestantischen Sohn und einem Teil der Kirche entbrannte der Konflikt um die Kontrolle der Kirche, zu deren Zweck der König Bischöfe in der Kirche etablieren wollte. Diese Konflikte entluden sich schließlich 1638 in einer Erklärung zur kollektiven Notwehr gegenüber dem Sohn des Königs, Karl I., die in die Bürgerkriege in England und Schottland und die Hinrichtung des Königs 1649 überleitete - eine unscharf als englische Revolution apostrophierte Entwicklung.26 Die Umgehung der Frage nach dem wahren Glauben und die Verrechtlichung der Konflikte war zwischen den 1560er Jahren und den 1630er Jahren immer wieder gescheitert. Die politische Theorie im Reich und auf den britischen Inseln reflektierte im 17. Jahrhundert nicht zuletzt diese fundamental unterschiedliche Erfahrung. Die .Politica' des Johannes Althusius und ihre schottische Rezeption reflektieren auch diese unterschiedlichen Erfahrungen. Althusius' .Politica' läßt sich trotz aller Eigentümlichkeiten ihrer Terminologie und Argumentation und trotz ihrer Zugehörigkeit zum reformierten Diskussionszusammenhang27, dem Genre der deutschen Politica zurechnen. Ihre zentralen Argumente entstanden, ehe nach dem Waffenstillstand des Hauses Österreich mit der Pforte 1606 die Mechanismen der Reichsverfassung zur Schlichtung des Konfessionskonfliktes endgültig zu zerbrechen begannen.28 Ihre Ziele waren Ordnung und Harmonie im Gemeinwesen, nicht Revolten gegen die Obrigkeit. Die schottischen Konfessionskonflikte kannten keine Reichsgerichte und keine dem Augsburger oder dem Westfälischen Frieden vergleichbaren Schlichtungsinstrumente. Sie kannten nur die Unterordnung unter die Kirchenpolitik der Krone oder die Opposition gegen sie mit der Behauptung, die Schergen des Fürsten brächen das Recht. Das Königreich Schottland kannte keine Reichsstände, deren Privilegien und Vorrechte denen der Reichsstände des Alten Reiches vergleichbar gewesen wären. Eine Lösung des Konfessionskonfliktes, wie sie schon im Kompromiß zwischen Kaiser und Reichsständen von 1526 vorgedacht und im Augsburger Religionsfrieden und im Westfälischen Frieden ausgebaut und vollendet wurde, konnte nie zum Repertoire politischen Denkens werden. Die schottischen Presbyterianer stützten sich

Sittenreform: Reformierte Sittenzucht zwischen Staat, Kirche und Gemeinde in England, 1559-1642, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa. (ZHF, Beih. 16.) Berlin 1994, 153-182. 26 Vgl. Ronald G. Asch, Triumph des Revisionismus oder Rückkehr zum Paradigma der bürgerlichen Revolution?, in: ZHF 22, 1995, 523-540. 27 Press, Religionsfrieden (wie Anm. 23), 321. 28 Albrecht P. Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich. Politische Führung und Friedenssicherung unter Ferdinand I. und Maximilian II. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Bd. 149.) Mainz 1994; Ronald G. Asch, The Thirty Years War. The Holy Roman Empire and Europe 1618-1648. (European History in Perspective.) Basingstoke 1997; Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg. München 1995.

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schon 1550 auf das Magdeburger Bekenntnis.29 Aber die Argumentationen und Topoi, welche sie im Verlauf des runden Jahrhunderts des schottischen Konfessionskonfliktes entwickelten, hatten kaum etwas mit denen zu tun, in deren Rahmen Althusius seine Gedanken entwickelte. Jede Rezeption einer vor dem Hintergrund der Reichs Verfassung entstandenen,Politica' auf den britischen Inseln mußte daher im wesentlichen aus Mißverständnissen und Umdeutungen bestehen - die freilich produktive Konsequenzen haben konnten.

II. Althusius unterstützte zwar den Aufstand der Niederlande und führte die Stadt Emden in ihrer Auseinandersetzung gegen den Grafen von Ostfriesland an. Er tat das jedoch zum Teil gegen den Widerstand der Emdener Bürgerschaft, den er mit einer massiven Einschränkung ihrer Partizipationsmöglichkeiten an der städtischen Regierung und durch scharfe Maßnahmen gegen angebliche Verräter in den eigenen Reihen zu brechen suchte.30 Das Argumentationsgerüst der ,Politica' entstand, ehe Althusius 1604 Herborn verließ, um nach Emden zu gehen.31 Es entstammt dem Herborner Kontext der gelehrten Debatte Uber die Kontrolle des Kaisers im reformierten Lager.32 Althusius beteiligte sich mit der,Politica' an der Debatte im Alten Reich über den Charakter der Reichsverfassung und die Instrumente, die ein wohlgeordnetes Gemeinwesen stiften und erhalten würden. Seit den 1580er Jahren erschien eine ganze Fülle von Abhandlungen im selben Problemkreis, die das Genre der .Politica' zu bilden begannen. Althusius, in den reformierten wetterauischen Grafschaften arbeitend, lehrte in einem Umkreis, der die älteren Widerstandskonzeptionen der Lutheraner aus den 1530er bis 1550er Jahren über die Apologie Wilhelms von Oraniens zu seinem Eingreifen in den Niederlanden 1568 und den Politiktheorien der reformierten Grafen bis hin zu der , Politica' als jüngerem Genre verband.33 29

Burns, True Law (wie Anm. 5), 178; Steuart, Jus populi (wie Anm. 6), 78. H. W. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden. (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, Bd. 32.) Aurich 1955, 130-143. 31 Michael Stolleis, De Regno Recte Instituendo et Administrando, in: Guiseppe Duso u. a. (Eds.), Su una sconosciuta ,disputatio' di Althusius. (Quaderni Fiorentini, 25.) Florenz 1996, 13-46, hier 20; allerdings gingen in die Neuauflagen von 1610 und 1614, insbesondere in sein 38. Kapitel der Auflage von 1614 zum Tyrannenproblem, die Erfahrungen aus der Auseinandersetzung Emdens mit seinem Landesherren ein, siehe Antholz, Wirksamkeit (wie Anm. 30), 143-144; so schon Gierke, Althusius (wie Anm. 16), 14. 32 Vgl. Menk, Althusius (wie Anm. 10), Press, Religionsfrieden (wie Anm. 23), 321 ff. 33 Zu den spezifischen Rahmenbedingungen in den reformierten Grafschaften jetzt bahnbrechend Menk, Politiktheorie, (wie Anm. 11), zur Politica als Genre vgl. den Beitrag Wolf gang Webers in diesem Band. Bis 1620 entstanden in fast jeder wichtigeren deutschen Universität .Políticas', vgl. Horst Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und absoluter 30

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D i e Politica als Typ gelehrter Veröffentlichung verknüpfte in enzyklopädischer Gelehrsamkeit eine ganze Reihe von Anliegen. Das Wichtigste war die Erarbeitung einer ars conservandi

zur Erhaltung des Gemeinwesens im Ange-

sicht der verfassungsrechtlichen und konfessionellen Spannungen der Zeit. 3 4 Bis zum Waffenstillstand zwischen der Pforte und d e m Hause Österreich 1606 blieb die Perspektive dieser Arbeiten aber die Möglichkeit, den Frieden im Reich durch geeignete Instrumente und eine entsprechend geschulte Staatsklugheit zu erhalten. D i e Politica behandelte zu diesem Z w e c k die Reichsverfassung und trug damit zur Entstehung des Reichsstaatsrechts bei. 3 5 Sie reflektierte über die Entstehung der ständischen Herrschaftsordnung und suchte ihren Lesern, den Vertretern der Obrigkeit in Stadt und Land, detaillierte Hinweise über die Einrichtung und Erhaltung guter Gemeinwesen zu geben. D i e Auseinandersetzung mit Bodins Thesen zum Begriff der Souveränität und dem Charakter des Reiches gab diesen verschiedenen Anliegen ein Zentrum. 3 6 Trotz erheblicher Unterschiede innerhalb des Genres 3 7 teilten die Autoren dieser Traktate doch eine Reihe von Annahmen über die Verfassungswirklichkeit des Reiches. D i e s e Annahmen wurden durch die Entste-

Staat. Die „Politica" des Henning Arnisaeus (ca. 1575-1636). (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Bd. 55.) Wiesbaden 1970, 4 1 1 ^ 1 4 ; ders., Die Staatsräson und die Krise des politischen Aristotelismus: Zur Entwicklung der politischen Philosophie in Deutschland im 17. Jahrhundert, in: A. Enzo Baldini (Ed.), Aristotelismo Politico e Ragion di Stato. Florenz 1995, 129-156; Stolleis, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1,111; Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1992, 9-89. Autoren waren beispielsweise Arnold Clapmarius [1574-1604, Altdorf], De arcanis rerumpublicarum libri sex. Bremen 1605; Henning Amisaeus [15757-1632, Helmstedt], Doctrina politica in genuinam methodum, quae est aristotelis. Frankfurt 1605; Adam Contzen [Mainz], Politicorum libri decern. Mainz 1620; Dietrich Reinkingk, Tractatus de regimine saeculari et ecclesiastica. Gießen 1619; Johannes Limnaeus, Juris publici Imperii Romano-Germanici. Straßburg 1629-1634; Bartholomaeus Keckermann, Systema politica. Hanau 1608; Lambertus Danaeus, Politices Christianae Libri Septem. O. O. 1596; Hermann Kirchner, Res publica. Marburg 1608. 34 Vgl. zum Beispiel die Konflikte um Würzburg, die Auseinandersetzungen um die Rekatholisierung evangelischer Gebiete, die von katholischen Reichsständen umgeben waren (1575/76), und den Streit um die Verwaltung von Magdeburg. Siehe Dietrich Kratsch, Justiz - Religion - Politik. Das Reichskammergericht und die Klosterprozesse im ausgehenden 16. Jahrhundert. (lus Ecclesiasticum, Bd. 39.) Tübingen 1990. 35 Notker Hammerstein, Kommentar, in: ders., (Hrsg.), Staatslehre der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1995, 1011-1078. 36 Jean Bodin, Six livres de la république. Paris 1576, lateinisch Leiden 1586; vgl. J. H. M. Salmon, The Legacy of Jean Bodin: Absolutism, Populism or Constitutionalism?, in: History of Political Thought 17, 1996, 500-521; Julian H. Franklin, Sovereignty and the Mixed Constitution: Bodin and His Critics, in: James H. Bums (Ed.), The Cambridge History of Political Thought, 1450-1700. Cambridge 1991, 298-328, 308f.; Simone GoyardFabre, Jean Bodin et le droit de la république. Paris 1989, 255-78; Stolleis, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1, 180-183. 37 Vgl. zur Kategorisierung Dreitzel, Staatsräson (wie Anm. 33), und Stolleis, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1, 221-224.

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hung der Landeshoheit seit dem Spätmittelalter und die Mitwirkung der Stände am Reichsregiment bestimmt.38 Der Hinweis auf die Rechte der Reichsstände und die Wahl des höchsten Magistrats waren daher noch keine Stellungnahmen mit Bezug auf den Status der Untertanen in den Territorien. Innerhalb des Genres lassen sich je nach Betrachter verschiedene Gruppen unterscheiden. Darunter sind die lutherische Konzeption der Monarchia Christiana39, der lutherische Aristotelismus40, tacitistisch beeinflußte Staatsräsonlehren41 und katholische thomistisch-aristotelische Arbeiten zu nennen. Althusius' Zuordnung bleibt ein Gegenstand der Kontroverse, die Einordnung der .Politica' als monarchomachische Schrift umstritten.42 Das liegt nicht zuletzt an der eigenwilligen Terminologie Althusius', dem Fehlen einer textkritischen Ausgabe und der ausgesprochen heterogenen Situation der Forschung. Auf der einen Seite machte die .Politica' den Weg frei zu einer Interpretation der Bürgerschaft des Reiches als der Summe der Reichsstände - unter völliger Ausklammerung der Untertanen.43 Andererseits wurde sie zur Zielscheibe von Conring und Arnisaeus und erhielt dadurch früh einen Ruf, der ihrem Anliegen nicht notwendig entsprach.44 Althusius verstand, ebenso wie sein Gegenspieler Arnisaeus, das regnum er vermied den Begriff res publica - als institutionellen Ausdruck der Herrschaftsordnung, deren Bestand das Gemeinwesen überhaupt erst möglich

38

Heinz Angermeier, Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter. München 1966; ders., Die Reichsreform 1410-1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart. München 1984; Christine Roll, Das zweite Reichsregiment: 1521-1530. (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 15.) Köln u. a. 1996; Luttenberger, Kurfürsten, Kaiser und Reich (wie Anm. 28); zur Rückwirkung auf die Entwicklung der politischen Theorie durch diese Entwicklungen siehe Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. München 1990, 105-150; Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 7.) Göttingen 1966, 337-417, speziell zu Althusius 4 2 5 ^ 5 0 . 39

Vgl. zu den lutherischen Konzeptionen und ihrer Kulmination in der Interimskrise den Beitrag von Luise Schorn-Schütte in diesem Band. 40 Horst Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus (wie Anm. 34). 41 Z u m Beispiel Arnold Clapmarius, vgl. Stolleis, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1, 9 8 101. 42 Jürgen Dennert, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Beza, Brutus, Hotman. (Klassiker der Politik, Bd. 8.) Köln/Opladen 1968, I X - X zu Otto von Gierke und dessen nachträglicher Einordnung unter diese Kategorie durch Barclay; Hans Ulrich Scupin, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Theorien von Staat und Gesellschaft des Johannes Althusius und des Jean Bodin, in: Dahm u.a. (Hrsg.), Althusius (wie Anm. 9), 301-311, stellt sich 301 gegen diese Denominierung; Dreitzel, Absolutismus (wie Anm. 9), verteidigt sie 2 3 - 2 5 vorsichtig43 Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Berlin 1974, 370-371. 44 Zu den Angriffen von Henning Arnisaeus siehe Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus (wie Anm. 33), 145-147; zu Conring siehe Menk, Althusius (wie Anm. 10), 2 6 1 - 2 7 2 .

Vom ständischen

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mache. 45 Nur das Leben im Gemeinwesen ermögliche, ein weiterer aristotelischer Gemeinplatz, ein gutes und glückseliges Leben. 46 Der Bestand der Herrschaftsordnung ist daher eine conditio sine qua non. Er schaltete der Beschreibung der Herrschaftsordnung des regnum allerdings eine Beschreibung des Gemeinwesens voran. Den Stand der Forschung hierzu repräsentieren die Ergebnisse von Hasso Hofmann.47 Die „sozialwissenschaftliche Theorie des genossenschaftlichen Aufbaus des Gemeinwesens" wird bei Althusius, wie Hofmann gezeigt hat, weitgehend unreflektiert von der „Eigenlogik des vom Hoheitsrecht geprägten Charakters der staatsrechtlichen Beispiele" der Rechtsordnung des regnum überwölbt.48 Während sich in der Theorie des Gemeinwesens die consociatio universalis aus den einzelnen consociationes particulares zusammensetzt, tritt in der Herrschaftsordnung der einzelne aus seinen sozialen Zusammenhängen hinaus und wird zum cives 4 9 Nur der 45

Der wichtigste Vertreter des monarchischen Absolutismus, Henning Arnisaeus, wurde für diese Sicht ebenso zitiert wie Althusius selbst, siehe Henning Arnisaeus, De república seu relectionis politicae libri duo. Frankfurt 1615, cap I, s. 1 η. 14: „Perfecta igitur definitio reipublicae est, quod sit ordo civitatis, tum aliorum imperium, tum praecipue summae potestatis, a quo profluit regimen per medios magistratus in universos subditos" (zit. nach Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus [wie Anm. 33], 171-174); siehe zur Heranziehung von Althusius zum selben Punkt Christian Liebenthal, Collegium Politicum. Amsterdam 1652, VI, 185, zitiert Althusius für „res publica constat ex imperantibus & obedientibus", und bezieht sich damit vermutlich auf Althusius, Politica (wie Anm. 6), c I, 36: „ita conventus & societas in Rep. imperantium & obedientium se habet". Althusius nutzt allerdings häufiger Termini wie „consociatia publica particularis" (für civitas) und civitas oder regnum oder consociatia publica universalis (für res publica). 46 Althusius, Politica (wie Anm. 6), c 130 „Finis politicae, es usus vitae commodae, utilis, & felicis, atque salutis communis". 47 Hofmann, Repräsentation (wie Anm. 43); ders., Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, in: Der Staat 27, 1988, 523-545; ders., Repräsentation in der Staatslehre (wie Anm. 9). 48 Hofinann, Repräsentation (wie Anm. 43), 533; zum verfassungsgeschichtlichen Rahmen ders., Rechtsbegriff (wie Anm. 47). 49 Gierke, Althusius (wie Anm. 16), 25, stützt sich, um den föderativen Charakter des regnum bei Althusius zu belegen, mi Althusius, Politica (wie Anm. 6), IX, 5 („Membra regni, seu symbioticae universalis consociationis hujus voco, non singulos homines, ñeque familias [...] sed civitates, provincias & regiones"). Vgl. dagegen ebd. V, 10: „Membra universitatis sunt privatae diversaeque consociationes conjugum, familiarum & collegiorum, non singuli cujusque consociationis privatae [...] sed cives ejusdem universitatis sunt a coeundo, ideo, quod ex privata symbiotica transeúntes (Hervorhebung im Originai), coeunt in unum corpus universitatis." Peter J. Winters, Die „Politica" des Althusius und ihre zeitgenössischen Quellen. Freiburg 1963, 200, versteht Mitgliedschaft in der consociatio privata und in der universitas als komplementär, aber es ist die Frage, ob Althusius mit der Begriffswahl „transeúntes" nicht eher den Austritt aus der Sphäre des Eigennutzes von Familie oder Zunft und den Eintritt in die Sphäre des Gemeinnutzes signalisieren wollte, schließlich scheut er sich nicht, durch die Wahl des Begriffs des „cives" die Partizipation dieser Bürger vorauszusetzen, die aber bedarf der Befreiung vom Einfluß des Eigennutzes. Der Begriff „consociatio" stammt von Cicero, vgl. Althusius, Politica (wie Anm. 6), c I, 7: „Unde Cicero dixit, populum esse coetum juris consensu & utilitatis communione consociatum."

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höchste Magistrat im regnum kann den einzelnen Gliederungen, die in der Theorie des Gemeinwesens als consociationes particulares die consociatio universalis erst bilden, diejenigen Rechte verleihen, welche sie allererst zu einer Korporation mit Rechten machen. 50 Als Akteure in der Herrschaftsordnung des regnum treten nurmehr die Repräsentanten des gegliederten Volkes, nicht dieses selbst, geschweige seine einzelnen Mitglieder, hervor.51 Althusius' Erwähnung eines pactum bei der Errichtung der Herrschaftsordnung darf daher nicht als Hinweis darauf mißverstanden werden, den Untertanen stehe bei einem Fehlverhalten der Magistrate das Recht zum Austritt aus der Herrschaftsordnung zu. 52 Herrschaftliche Akte bleiben den Ephoren vorbehalten, die als Gruppe das corpus consociatio, den gegliederten Volkskörper, repräsentieren.53 Bilder, die den Magistrat als Lotse des Schiffs Gemeinwesen und als die Seele des Körpers Gemeinwesen zeichnen, unterstreichen Althusius' zentrales Anliegen. Das gilt der Ordnung und Erhaltung des geordneten Gemeinwesens, und zu diesem Zweck sind Herrschaft und Unterordnung unersetzbar.54 Ebenso wie die meisten anderen Autoren des Genres zog Althusius die Monarchie daher anderen Regierungsformen vor, weil sie den gewöhnlichen Menschen weniger Möglichkeiten gab, mit ihren Unzulänglichkeiten den Bestand des Gemeinwesens zu gefährden.55 50

Ebd. c V, 32-42, zu den verschiedenen Gemeindeformen, 42 zur Rechtsvergabe: „Ex sola magistratus summi volúntate civitatis jus constituitur." 51 Hofmann, Repräsentation (wie Anm. 43), 368-372; ders., Rechtsbegriff (wie Anm. 47), 529-535. 52 Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XIX, 18; „pactum" erscheint nur zweimal im Register der Ausgabe von 1614, und zwar mit Hinblick auf das alttestamentarische jüdische Gemeinwesen und die Kirche, vgl. ebd. c XIX, 34; c XXVIII, 16f. 53 Ebd. c XVIII, 48: „Ephori sunt, quibus populi in corpus politicum consociati consensu demandata est summa Reip. seu universali consociationis, ut repraesentantes eadem"; ebd. c XIX, 18: „De constitutione summi magistratus, & de ejusmodi pacto & contractu inter magistratum summum, ephoros, populum totum corporum consociatorum repraesentates"; ebd. 31 : „Populus igitur hic stipulatur, seu interrogat vel administrandi & imperandi mandatum dat per ephorum". 54 Ebd. c XIX, 23: „Rationes evidentes hujus constitutionis summi magistratus plurimae sunt. Nam hanc magistratus summi constitutionem sua sit utilitas & nécessitas Reip. summa. Nam teste Cie. lib. 3 de legib. nihil tam aptum es ab jus conditionemque naturae, quam imperium, sine quo nec domus ulla, nec civitas, neque gens, nec hominum universum genus stare, nec rerum natura ommnis, nec ipse mundus potest. In apibus [er benutzt hier den Begriff apex, der für die Tiara der asiatischen Fürsten gebraucht wurde, um höchste Macht zu symbolisieren, R. v. F.] princeps & rex unus est, quo presente totum agmen tenetur, quo amisso dilabitur, migratque ad alios, & sine rege esse non potest. Si navis sine nauclero, bellum sine duce, corpus sine anima regi non potest." 55 Die Beschreibung der Demokratie ist nur am Rande und mit Mißtrauen abgehandelt, vgl. ebd. c XXXIX „De speciebus summi magistratus", 11, 32: „Polyarchicus magistatus summus est, qui subditis, cum aliis soeiis pari vel eodem imperio summo instruetus, imperat, & jura majestatis administrât: hoc est, vicissitudo administrationis inter plures communicata", und betont, daß in diesem Fall (33) wie auch im Falle der Monarchie, selbst „plures administratores hic non habent diversas potestas & imperia [...] sed omnes con-

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Warum wurde trotz dieser ganzen Reihe fundamentaler Gemeinsamkeiten innerhalb des Genres der »Politica' Althusius von Autoren w i e Arnisaeus und C o m i n g so scharf angegriffen? Zum einen gab seine Tyrannenlehre eine besonders enge Definition von den Rechtsübertretungsmöglichkeiten des höchsten Magistrats. 5 6 Zum anderen piazierte Althusius die Souveränitätsrechte beim Volk, welches seinerseits als das gegliederte Gemeinwesen der politeama gedacht wurde. 5 7 D i e Repräsentation des gegliederten Volkes lag bei den Ephoren. Denn das Gemeinwesen war als Rechtsperson gedacht, welches durch seine Repräsentanten handlungsfähig wurde. D i e s e Repräsentanten ergaben sich aus den Lehren der spätmittelalterlichen Lehre möglicher Repräsentationsformen. Im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Papst und Konzil wurden diese Anschauungen zu politischen Waffen in der Hand der Konzile und im Verlauf des 16. Jahrhunderts - in w e l c h e m Maße, ist umstritten - auch in der Hand protestantischer Theorien v o m Widerstand. 5 8 Im Sinne der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung - etwa eines Vormundes für ein Mündel - repräsentierte bei Althusius der höchste Magistrat das regnum w i e die Bürgermeister ihre Städte ( r e p r a e s e n t a t i o potestatis).

ebenso

D i e Identitätsre-

präsentation ließ die Ephoren, soweit sie als Gruppe nach bestimmten Regeln handelten, das regnum sein bzw. den Senat der Stadt die civitas, und daher

als

junctim simul unam supremam potestatem habent", Bodin zitierend). In Krisensituationen gilt es daher für jedes demokratisch verfaßte Gemeinwesen, einen Diktator zu benennen (40): „Plane in magnis periculis, manisque calamitatibus Resp. polyarchica nulla ratione melius servan potest, quam si ex communi imperantium consensu, imperii administratio uni vel alteri commendetur." Wahlen werden überdies als gefahrlich bewertet, weil der Einfluß des gemeinen Volkes nicht zu sehr wachsen darf (50): „Populo indistincte electionem dare, periculosum videtur, utpote qui privatis suis affectibus ducitur" (erneut Bodin zitierend). Die Demokratie leidet daher als Regierungsform von dem Einfluß des einfachen und sündigen Volkes (64): „Populäre est, mutabiles & temporales esse magistrates, ut evitetur invidia". 56 Vgl. dagegen Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus (wie Anm. 33), zum Tyrannenbegriff bei Henning Amisäus, der für die Praxis kaum anwendbar blieb, weil unter Umständen auch der Bruch positiver Gesetze dem Monarchen gestattet blieb. 57 Althusius, Politica (wie Anm. 6), c V, 5: „Politeuma in genere, est ius & potetas communicandi & participandi utilia & necessaria, quae ad corporis constituti vitam a membris consociatis conferentur. Vocari potest jus symbioticum publicum." Althusius' politeuma entspricht der res publica des Arnisaeus, siehe Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus (wie Anm. 33), 341. 58 Vgl. Antony Black, The Juristic Origins of Social Contract Theory, in: History of Political Thought 14, 1993, 57-76; Francis Oakley, Natural Law, Conciliarism and Consent in the Middle Ages. London 1984; ders., Nederman, Gerson, Conciliar Theory and Constitutionalism: Sed Contra, in: History of Political Thought 16, 1995, 1-19; Brian Tierney, Religion, Law, and the Growth of Constitutional Thought 1150-1650. Cambridge 1982, 50-78 zu Althusius' Anleihen bei diesen Entwicklungen; zur Frage der Anleihen bei Stephanus Junius Brutus, Vindiciae, Contra Tyrannos. Ed. by George Garnett. Cambridge 1994, siehe dort George Garnett, Einleitung, S. XIX; Gunter Zimmermann, Konziliaristische Ideen in einer Calvinistischen Streitschrift: Hubert Languets „Vindiciae contra Tyrannos", in: ZRG KA 74, 1988, 412^*35.

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sie handeln.59 Der höchste Magistrat steht über allen anderen einzelnen Magistraten, und nur er kann Rechtsprivilegien zur Verwaltung und Rechtssprechung an andere Körperschaften vergeben60, aber die Ephoren sind ihm als Repräsentation des gegliederten Volkes übergeordnet61. Obwohl Wahlen als Möglichkeit der Amtseinsetzung erwähnt sind, sind sie doch nur eine unter vielen und aufgrund des Charakters des Gemeinen Mannes mit Vorsicht zu behandeln. Bei der Amtseinsetzung wird die Bevölkerung in Termini des römischen Staatsrechts beschrieben, die sich als Äquivalente ständischer Gliederungen beschreiben lassen. 62 Der für zeitgenössische republikanische Verfassungstheoretiker erstaunliche Mangel an Interesse an den Details von Wahl und Amtseinsetzung63 weist daraufhin, daß Althusius eben nicht auf die technische Legalität einer Wahl, die im Verfahren Legitimität erzeugt, weil die Mehrheit des Volkes ihr Votum gegeben hat, abzielte, sondern auf die Legitimität eines gottgefälligen Gemeinwesens, dessen Repräsentation durch ständische Gruppen zu selbstverständlich blieb, um im einzelnen ausgeführt werden zu müssen. 64 59

Hofmann, Repräsentation (wie Anm. 43), 211, 3 5 7 - 3 7 3 ; ders., Rechtsbegriff (wie Anm. 47), Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XIX 98 (representatio potestatis): „Gerunt vero & repreasentat hi summi Magistratus personam totius regni, omnium subditorum & Dei, a quo omnis potestas"; ebd. C XVIII, 11 (representatio identitatis): „Ideo ejusmodi administratores & curatores totum populum repraesentant [ . . . ] & ministri constituti instar tutoris, gerentes & representantes personam totius populi"; ebd. c V 54—55, „Senatus, est virorum collegium [...] collegium repraesentat totum populum & totam civitatem". 60 Ebd. c V, 42: „Ex sola magistratus summi volúntate civitatis jus constituitur." 61 Ebd. c IX, 23 f.: „Rex enim populum, non contra populus regem repraesentat"; ebd. c XIX, 98: „Gerunt vero & repraesentant hi summi Magistratus personam totius regni, omnium subditorum & Dei, a quo omnis potestas. Gerunt quasi typum divinae potentiae, majestatis, gloriae, imperiae, gloriae, imperii, clementiae, providentiae, curae, protectionis & gubemationis. Ideo in suis titulis utuntur, Nos gratia Dei"; ebd. c XVIII, 4 9 - 6 6 , 8 4 - 8 8 (70): „Rex vero, seu summus magistratus, generalem in singulos etiam optimates habet potestatem, majestam & praeeminentiam, a cujus potestate & administratione omnia pendent [...] (73) Deinde hi ephori universi quidem magistratu summo sunt superiores". 62 Ebd. c XVIII, 59 „Eliguntur autem & constituuntur ejusmodi Ephori consensu populi, tributim, centuriutim, curiatim"; siehe Schubert, Reichstage (wie Anm. 38), 4 1 0 - 4 1 2 , zum Modell der Reichsstände; Hofmann, Rechtsbegriff (wie Anm. 47), 517f.; vgl. entsprechend zu Althusius' Schilderung der Lage innerhalb einzelner Territorien Althusius, Politica (wie Anm. 6), V, 5 2 - 5 5 ; dazu Hofmann, Rechtsbegriff (wie Anm. 47), 527. 63 Vgl. Stolleis, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1, 106-108; das Interesse am Detail für den Wahlvorgang, das in tatsächlich republikanischen Werken zu finden ist, beispielsweise bei James Harrington, Political Works. Ed. by John G. A. Pocock. Cambridge 1977, 361-368: „The Manner and Use of the Ballot", steht in markantem Kontrast zu Althusius' Desinteresse, welches sich auch aus seiner Skepsis gegen einen zu großen Einfluß des Volkes auf die Politik erklärt, vgl. Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XVIII, 56: „Esset enim difficilinum [...] suffragia omnium civium, & eorum, qui alicujus Reip. partes sunt, a singulis exigere, idcirco convenit, plebis multidudinem per ejus optimates negotia publica ita expedire, ut absque tumultibus & seditionibus tuto a Repub. negotia illius peragantur". 64 Ebd. c XVIII, 48: „Ephori sunt, quibus populi in corpus politicum consociati consensu demandata est."

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Wenn die Kategorien der Dichotomie von Volks- und Herrschersouveränität im modernen Anstaltsstaat65 und die Vorstellung einer freiwilligen oder rücknehmbaren Entscheidung des einzelnen für oder gegen seine Unterordnung im Gemeinwesen am Verständnis von Althusius vorbeiführen, wie ist dann das Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen zu denken? Althusius' Konzeption des regnum als Herrschaftsordnung verbannt den einzelnen Untertanen effektiv von jeder aktiven Mitwirkung außerhalb der unteren Herrschaftsebenen. Gleichwohl problematisiert Althusius das Verhältnis von Obrigkeit und Untertan in seiner Studie. Er tut das vor allem unter Bezug auf Begriffe wie „symmetria", „concordia", „symphonia", und „harmonía".66 Der Konsens über Ziel und Organisation des Gemeinwesens, den Althusius voraussetzt, muß zugleich durch die Erhaltung dieser Qualitäten gesichert werden. Michael Behnen hat darauf hingewiesen, daß sich innerhalb der enzyklopädischen Breite der .Politica' vor allem die mittleren Kapitel (XXI bis XXXI) mit der praktischen Durchsetzung dieser Harmonie im Gemeinwesen beschäftigen. Sie widmen sich Gegenständen wie den „Trieben des Volkes" (XXIII), der Zensur (XXX) und den Maßnahmen zur Erhaltung der Eintracht (XXXI). Vor allem diese Kapitel sind Staatsräsonautoren wie Botero und Clapmarius verpflichtet.67 Die für den Bestand des Gemeinwesens notwendige Harmonie ist allerdings nicht das Ergebnis weltlicher Machtmechanik, sondern ergibt sich als Folge der natürlichen Arbeitsteilung der Menschen. Althusius orientiert sich dabei am Bild vom Orchester und dem Zusammenspiel verschiedener Instrumente zu einer Melodie. 68 65

Stolleis, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1, 108; vgl. auch die Kritik von Richard Tuck, Philosophy and Government 1572-1651. Cambridge 1993, 158, zu Gierkes Interpretation. 66 Behnen, Herrscherbild (wie Anm. 9), zitiert 422 Althusius, Politica (wie Anm. 6), V, 4 („Homines congregati sine jure symbiotico, sunt turba, coetus, multitudo, congregatio, populus, gens") und verweist auf Cicero, De re publica, Liber primus, 25, und seine Definition des „coetus multiduninis juris consensu et utilitate communione sociatus". 67 Vgl. Behnen, Herrscherbild (wie Anm. 9), 423-426; Giovanni Botero, Della Ragion die stato. Venedig 1589; vgl. zur Kritik an Behnens Deutung von Althusius' Absicht im Sinne einer tacitistischen Dikatur (425) Stolleis, Geschichte (wie Anm. 9), Bd. 1, 108; zur durchaus geläufigen Praxis der frommen Kooperation von kirchlicher und weltlicher Obrigkeit vgl. Monika Hagenmeier, Predigt und Policey. Der gesellschaftspolitische Diskurs zwischen Kirche und Obrigkeit in Ulm 1614-1639. (Nomos-Universitätsschriften, Geschichte, Bd. 1.) Baden-Baden 1989; Schilling (Hrsg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung (wie Anm. 25). 68 Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XIX 23: „Symmetria etiam in civili hac societate necessaria, quae non nisi ex diversitate imperantium & obtemperantium. Nam ut ait Pet. Greg, quemadmodum ex diversi tonifidibus ad symmetriam intensis, somus dulcissimus oritur & melodia suavis, gravibus mediis conjunctis, ita in Rep. ex imperantium & obedientium, divitum, pauperum, artificium, sedentariorum & diversum graduum, personarum, consensu & concordia [ . . . ] & bona harmonía nasci non potest ex chordis unius toni, sic nec Resp. consistere posset, si omnes essent aequales, qui mutuo contenderent sibi obsequi, aut inservire, aut singuli pro arbitrio vellent alios regere, & alii recusarent regi: unde discordia, ex qua dissolutio societatis."

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So sehr die ,Politica' die Rechte der Reichsstände unterstrich und Ständen, den Territorien als Bekenntnisgemeinschaften und den Untertanen ein je nach Gruppe und Rahmenbedingungen ausgefeiltes Widerstands- bzw. Notwehrrecht zugestand, so wenig ermächtigte sie den einzelnen Untertanen zu Widerstand69 und so wenig hob seine ,Politica', blickt man auf die gesamte Konzeption, auf die Partizipation der Untertanen im Gemeinwesen ab, schon gar nicht auf diejenigen in Landstädten und Dörfern. 70 Seine Akzentsetzung auf der Rolle der Ephoren spiegelt die Lösung des Konfessionskonfliktes im Reich von 1555 und 1648 und damit zugleich die Territorialisierung des Reiches, die es erlaubte, mehreren unterschiedlichen Bekenntnissen auf seinem Boden nebeneinander Parität zuzuerkennen.71 Einerseits mochte die theoretische Reflexion der verfassungsrechtlichen Mechanismen und Praktiken der Wahlmonarchie des Reiches, die von vielen Zeitgenossen eben wegen der Verteilung der Souveränitätsrechte gar nicht mehr als Monarchie verstanden wurde72, und ihre Erhebung zur Norm guter Regierung Anstoß erregen. Andererseits muß man mit den zeitgenössischen Bewertungen politischer Polemik vorsichtig umgehen. Der prononcierte Vertreter der absoluten Monarchie, Barclay de Tolly, verstand Luther als gefährlichen Königsmörder, weil er den Widerstand der Reichsfürsten gegen den Kaiser nach 1530 gebilligt hatte.73 Bodin verstand ihn dagegen als vorbildlichen Vertreter des Gehorsams gegen die Obrigkeit, weil er gegenüber den Bauern in der Tat auf ihre Gehorsamsverpflichtung insistiert hatte.74 Im Reich ließen sich eben Obrigkeiten auf verschiedenen Ebenen finden. Widerstand gegen die eine Obrigkeit gefährdete nicht grundsätzlich das Gehorsamsgebot gegen Obrigkeit überhaupt. Wir werden sehen, daß sich das in Schottland ganz anders darstellte. 69

Ebd. c XXXVIII, 30 u. 37, unterstreicht Althusius, daß nur die Ephoren zur Feststellung von Rechtsbrüchen des höchsten Magistrats berechtigt sind, und auch nur sie haben ein Recht zum aktiven und koordinierten Widerstand (30): „Juris vero resistendi summo magistratui [...] quod habent optimates nomine populi". Daran ändern auch die in c 38 zu findenden Ausführungen zu den Eingriffsmöglichkeiten einzelner Ephoren nichts; c 38 η 67, welches dem einzelnen Untertan erlaubt, „in casu necessitatis et vitae suae defendae", ist scharf von der Möglichkeit aktiven und koordinierten Widerstandes zu unterscheiden und folgt eher den einschlägigen Paragraphen zur Notwehr bei unmittelbarer unberechtigter Bedrohung, wie sie beispielsweise bereits in der Carolina ausgeführt sind, vgl. dazu Robert von Friedeburg, Resistere, defendere und die Repräsentation des Gemeinwesens in der Politica des Althusius und in der schottischen Althusius-Rezeption, in: Duso u. a. (Hrsg.), Herrschaft und politische Ordnung (wie Anm. 10), 291-314. 70

Vgl. hierzu Uwe Goppold, Die Theorie der Stadt bei Johannes Althusius. Magisterarbeit Universität Konstanz 1997, 73 ff. zu c VI. 71 Ronald G. Asch, No Bishop No King oder Cuius Regius Eius Religio, in: ders./Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700). (Münstersche Historische Forschungen, Bd. 9.) Köln u. a. 1996, 79-123. 72 Bodin, Les six livres (1583) (wie Anm. 36), 320. 73 Vgl. Dennert, Einleitung (wie Anm. 42), 9 74 Bodin, Les six livres (1583) (wie Anm. 36), 305 f.

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III. Konzeptionen, die unter den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der doppelten Staatsbildung auf dem Boden des deutschsprachigen Mitteleuropa, sowohl auf der Ebene des Reiches als auch in den Territorien, entstanden waren, mußten, übertragen auf die verfassungsrechtlichen Bedingungen Englands oder Schottlands, fast notwendig ihren Sinn verändern. Die jüngere Diskussion über die Bedeutung und gegenseitige Beeinflussung von Humanismus, Reformation und politischen Konflikten in Schottland bis zum Vorabend des Bürgerkrieges seit 1642 ist noch längst nicht abgeschlossen, so daß jede Charakterisierung der Situation in Schottland vorläufig bleiben muß.75 Um aber die eigenwillige Nutzung von Althusius' .Politica' nachzuvollziehen, muß das Zusammenspiel verfassungsrechtlicher und ereignisgeschichtlicher Entwicklung und der Entwicklung bestimmter Topoi der presbyterianischen Kritik an der Krone und ihrer Kirchenpolitik geschildert werden. Schottland war, obwohl die historische Legitimität dieses Tatbestandes mit Hinweis auf die angebliche Wählbarkeit früherer Monarchen noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts immer wieder angezweifelt wurde76, eine Erbmonarchie. Das Haus Stewart besaß im Verlauf des gesamten 16. Jahrhunderts, im Gegensatz beispielsweise zur Lage des Hauses Tudor, einen unanfechtbaren Rechtstitel auf den Thron. Die schottischen Könige konnten sehr viel weitreichendere Ansprüche auf den Besitz und die Handhabung der Souveränitätsrechte für sich geltend machen als irgendein in Deutschland gewählter König. 77 Andererseits 75

Vgl. Bums, True Law (wie Anm. 5); Jenny Wormald, Court, Kirk and Community. Scotland 1470-1625. Edinburgh 1981; dies., James VI and I, Basilikon Doron and The Trew Law of Free Monarchies: the Scottish Context and the English Translation, in: Linda L. Peck (Ed.), The Mental World of the Jacobean Court. Cambridge 1991, 36-54; Roger A. Mason, George Buchanan, James VI and the Presbyterians, in: ders. (Ed.), Scots and Britons (wie Anm. 4), 112-137; ders., The Scottish Reformation and the Origins of AngloBritish Imperialism, in: ders. (Ed.), Scots and Britons (wie Anm. 4), 161-86; ders.. Usable Pasts: History and Identity in Reformation Scotland, in: Scottish Historical Review 76, 1997, 54-68; Colin Kidd, Subverting Scotland's Past: Scottish Whig History and the Creation of an Anglo-Whig Identity 1689 - c. 1830. Cambridge 1993; Ford, Lex Rex (wie Anm. 4); A. H. Williamson, A Patriot Nobility? Calvinism, Kin-Ties and Civic Humanism, in: Scottish Historical Review 72, 1993, 1-21; ders., Scottish National Consciousness in the Age of James VI. The Apocalypse, the Union and the Shaping of Scotland's Public Culture. Edinburgh 1979. 76 Siehe Bums, True Law (wie Anm. 5), 64-74, zu den Argumenten des Konziliaristen John Mair vom Beginn des 16. Jahrhunderts; Kidd, Subverting Scotland's Past (wie Anm. 75), 12-18; Williamson, Scottish National Consciousness (wie Anm. 75), 95-103; Steuart, Jus Populi (wie Anm. 7), 93 f., nimmt die konziliaristischen Thesen wieder auf und spricht von dem Wahlkönigtum des mythischen Königs Fergus. 77 John Morrill, The National Covenant in its British Context, in: ders. (Ed.), Scottish National Covenant (wie Anm. 8), 1-30; zur so weit ich sehe einzigen Ausnahme von dieser Regel siehe die Ansprüche des Earl of Menteith auf die Grafschaft (earldom) von Strathearn als direkter männlicher Erbe von David, Sohn von Robert II., und damit potentiel-

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setzte sich die Reformation in Schottland gegen eine katholische Monarchin, Königin Maria, durch. Aufgrund ihrer Weigerung, sich dem Bekenntnis der Kirche von Schottland anzuschließen, nahm sie eine außerordentlich problematische Stellung in ihrem Königreich ein. Obwohl sie Unterstützung unter Teilen des Adels fand - unter den katholisch gebliebenen Adligen, aber auch unter persönlichen Gegnern, die ihre Opposition nicht akzeptierten - , wurde sie 1567 durch eine protestantische Adelsfaktion abgesetzt, ihr 1566 soeben geborener Sohn zum Monarchen erklärt und der Fürsorge adliger Regenten überantwortet. Zur formalen Institutionalisierung eines Reichsregiments unter Zuziehung der Stände, etwa im Vergleich zu den Reichsregimenten im Reich, kam es aber nicht. Die schottische Erbmonarchie sah hierfür keinen Spielraum vor. In den folgenden Jahren stritten rivalisierende Adelsgruppen um die Kontrolle des königlichen Kindes, teils mit, teils ohne Unterstützung aus London.78 Die Entscheidung für die protestantische Reformation war damit gefallen, nicht aber die Entscheidung über die Organisation der protestantischen Kirche. Während sich unterschiedliche Adelsgruppen um die Kontrolle und Erziehung des minderjährigen Königs und der Festung Edinburgh stritten, blieb die Kirche bis 1584 sich selbst überlassen. Die Flucht des Königs aus der Kontrolle einer der rivalisierenden Faktionen, die seine Person für kurze Zeit in ihre Kontrolle gebracht hatte, markierte 1583 jedoch den Beginn seines Versuchs, sich selbst in seinem Königreich durchzusetzen.79 Dabei mußte es dem König auch darum gehen, die Kirche erneut unter seine Kontrolle zu bekommen. Schließlich war die Absetzung seiner Mutter in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behauptung der Kirche erfolgt, jene bedrohe den wahren Glauben. Die ohne Abstimmung mit der Krone durch mehrere Synoden durchgeführten Exkommunikationen schottischer altgläubiger Adliger bedrohten die königliche Politik bis in die 1590er Jahre. Innerhalb der Kirche hatte sich aber zwischen der Absetzung Marias 1567 und dem Beginn einer eigenständigen Politik ihres Sohnes seit 1583 die presbyterianilem Konkurrenten von König Karl, und den sich daraus ergebenden Problemen, vor allem angesichts der Abwesenheit von Karl, Sir John Scot of Scotstarvet, The Staggering State of Scottish Statesmen, from 1550 to 1650 (1660). Ed. by Charles Rogers. Edinburgh 1872, 90-107; Allan J. Macinnes, Charles I. and the Making of the Covenanting Movement 1625-1641. Edinburgh 1991, 83-85; Maurice Lee Jr., The Road to Revolution. Scotland under Charles I. Chicago 1985, 43-118. 78 Wormald, Court, Kirk and Community (wie Anm. 75), 143-148; Mason, George Buchanan (wie Anm. 75), 113-131; Morrill, National Covenant (wie Anm. 77), erinnert daran, daß Karl I. der erste Monarch seit über hundert Jahren war, der den Thron mündig bestieg. 79 Zum Überfall von Ruth ven von 1582 und der Flucht des Königs aus der Gefangenschaft 1583, zu den „Black Acts" zur Kontrolle der Kirche von 1584 und der Krise im Zusammenhang mit der Hinrichtung von Maria 1587 und der Bedrohung durch die Armada siehe Mason, George Buchanan (wie Anm. 75), 129-135; Burns, True Law (wie Anm. 5), 223-244; Wormald, Court, Kirk and Community (wie Anm. 75), 149-168.

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sehe Richtung um Andrew Melville durchgesetzt, welche Bischöfe in der Kirche strikt ablehnte, statt dessen auf die Leitung der Kirche durch Synoden und Presbyterien setzte und sich auf das Magdeburger Bekenntnis berief, um ihr Recht auf Widerstand gegen königliche Einmischungen zu unterstreichen.80 Es ist ausgesprochen schwer, den tatsächlichen Einfluß dieser Richtung auf die zugelassenen Prediger der Kirche zu bewerten. Es lag nicht zuletzt an dem für die Durchführung einer Synode gewählten Ort, den Modalitäten der Einladung und dem konkreten Verlauf der Synode, welche Meinungen sich dort durchsetzten, wie die Synode von Perth 1597 bewies. Bis zu diesem Zeitpunkt gelang es jedoch Andrew Melville und seinen Anhängern, ihre Sicht der Organisation der Kirche als diejenige darzustellen, die allein dem Bekenntnis der Kirche von Schottland entspräche und allein mit der Verkündigung des Evangeliums vereinbar sei.81 Es versteht sich, daß die Meinungen darüber im reformierten Lager geteilt waren. Anhänger einer episkopalen Kirchenverfassung konnten auf eine ganze Reihe prominenter reformierter Theologen verweisen, die in England und auf dem Kontinent eine Episkopalverfassung als mit den reformierten Bekenntnissen vereinbar verstanden. Jakob VI. war selbst ein frommer Reformierter und unbedingt willens, den wahren Glauben verkünden zu lassen. In seinen Augen schoben seine Kontrahenten in der Kirche von Schottland religiöse Argumente nur vor, zielten aber im Grunde auf eine Mitbeteiligung an der Macht im Gemeinwesen. Der Zusammenhang zwischen den Beschlüssen der Kirche und der Absetzung seiner Mutter stand ihm lebhaft vor Augen. Die Trennung der Bereiche Kirche und Staat, die Melville und seine Amtsträger anstreben, hätte die Krone in seinen Augen zum Diener der Kirche gemacht. Jakob war jederzeit bereit, seinem Glauben zu dienen. Aber bereits vor der Wende zum 17. Jahrhundert mußten in Schottland Thesen über die Unabhängigkeit der Kirche vom Fürsten und ihre synodale Organisation, die in Deutschland von lutherischen Universitätsprofessoren ohne Anfeindungen in der Lehre vertreten werden konnten, als demokratische Unterwühlung des Gemeinwesens verstanden werden - und so schilderte James seinem Sohn auch die Gefahr. 82 Bischöfe in der Kirche sollten das Gemeinwesen daher als 80

Michael Lynch, Calvinism in Scotland, 1559-1638, in: Menna Prestwich (Ed.), International Calvinism 1541-1715. Oxford 1985, 225-250. Zu den pro-presbyterialen „Golden Acts" von 1592 siehe Wormald, Court, Kirk and Community (wie Anm. 75), 128-129; G. D. Henderson, The Burning Bush. Studies in Scottish Church History. Edinburgh 1957, 61-73; R. G. Cant, The St. Andrews University Theses 1579-1747, in: Edinburgh Bibliographical Society Transactions. Vol. 2. Edinburgh 1946; ders., The University of St. Andrews. Edinburgh 1970,50-67; Burns, True Law (wie Anm. 5), 266-273; zur Berufung auf das Magdeburger Bekenntnis durch John Knox ebd. 178; noch Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 78, erinnerte 1669 daran. 81 Mason, George Buchanan (wie Anm. 75), 122f. 82 Siehe zum Beispiel David Calderwood, The True History of the Kirk of Scotland. O. O.

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Kontrollelement vor den zum Teil schwer voraussehbaren Entscheidungen der Synoden schützen. Das galt zum Beispiel für die politisch kompromittierenden Exkommunikationen katholisch gebliebener Adliger, die den König angesichts seiner Abhängigkeit von der Kooperation des Adels in eine heikle Lage bringen konnten und daher immer wieder Gegenstand des Streites wurden. Seit der Synode von Perth 1597 gelang es Jakob denn auch schrittweise, zusammen mit den episkopalen Elementen seine eigene Position innerhalb der Kirche auszubauen.83 Die zeitweilige Durchsetzung der Presbyterianer in der schottischen Kirche während der Minderjährigkeit des Königs und die zeitweilige Annäherung der Krone an die Presbyterianer hatten jedoch auch zu Rechtsakten wie der Negative Confession von 1581 und den Golden Acts von 1592 84 geführt, die den presbyterialen Status der Kirche zu bestätigen schienen und auf die sich die Presbyterianer nun immer wieder gegen die Krone berufen konnten, um jede Änderung von diesem Status als Rechtsbruch zu verunglimpfen. Seit den 1590er Jahren wuchs eine Generation presbyterianischer Prediger nach, welche die anfängliche Durchsetzung des synodalpresbyterialen Systems während der Minderjährigkeit von Jakob als die einzig rechtmäßige Grundlage der Kirche verstand und ihre polemischen Angriffe gegen die Veränderungen nach 1597, zum Teil vom holländischen Exil aus, fortsetzte.85 Jakob konnte sich darauf verlassen, daß insbesondere der Adel, gegen dessen geschlossenen Widerstand er kaum etwas im Königreich durchsetzen 1678, 428, zu Jakobs VI. Vorwürfen in ,Basilikon Doron', daß die synodale Organisation der Kirche „sought to establish a Democracie"; vgl. dagegen zu Deutschland zum Beispiel den Rintelner Professor Reinhard König, Disputationum Politicarum Methodice. Gießen 1619, der sich eindeutig für die Unabhängigkeit der Kirche und eine synodale Organisation einsetzt: „Ex eadem ratione deducit ide Besold jus vocandi Ministros Eccl. non soli competere Magistratur, ut Politici hodie contendunt, sed toti Ecclesiae. Quae est communis nostrorum Theologorum sententia & ipsa ventas" (XI 21); „Ratio autem pro vocatione totius Ecclesiae est Quia quod omnes tangit, ab omnibus debet approbari" (XI 26). 83

Lee, Road to Revolution (wie Anm. 77), 4 f . ; Wormald, Court, Kirk and Community (wie Anm. 75), 129-138; Mason, George Buchanan (wie Anm. 75), 131-135. 84 Lynch, Calvinism in Scotland (wie Anm. 80); Wormald, Court, Kirk and Community (wie Anm. 75), 128 f. 85 George Gillespie, A Dispute against English Popish Ceremonies obtruded on the Church of Scotland. Edinburgh 1637, in: The Works of Mr. George Gillespie. Ed. by W. M. Hetherington. Edinburgh 1846, Kap. VIII, 136 und 145 zur eingeschränkten Pflicht, Magistraten zu gehorchen mit Bezug auf Gerson (vgl. Oakley, Natural Law [wie Anm. 59]), und IX, 184: „This is, therefore, the first precept of the law of nature, that man seek his own conservation, and avoid his own destruction"; David Calderwood, Parasynagma Perthense et Iuramentum Scotinae Ecclesia. 1620. Leyden 1626; ders., Altare Damascenum, ceu Politia Ecclesia Anglicianae obtrusa Ecclesia Scoticanae. 1623 (publiziert in den Niederlanden), zitiert 112 Beza und führt 116 die Autorität der Konzile gegen den Papst an; ders., A re-examination of the Articles of Perth anno 1618. O . 0 . 1 6 3 6 , 1 3 6 zur Pflicht gegen Gott zu „maintaine the puritie and integritie of God's ordinances"; ders., The Pastor and the Prelate on Reformation and Conformity. Edinburgh 1628, in: Presbyterian Armoury. Vol. 3. Edinburgh 1846.

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konnte, ihm allein wegen Streitigkeiten um den Aufbau der Kirche, solange das Bekenntnis nicht selbst gefährdet schien, nicht in den Rücken fallen würde. Erst sein Sohn, König Karl I. (1625-1649), ließ diese Tatsache außer acht. Seine Pläne zur Veränderung der Liturgie der schottischen Kirche stellten eine neue Qualität im Konflikt um die Kirche dar. Dazu kamen die Auseinandersetzungen um die Umverteilung des seit der Reformation an den Adel gefallenen Kirchenlandes. Nach 1637 entstand eine Koalition aus Adel und Kirche, die sich zum Ziel setzte, die von Karl intendierten Veränderungen zu verhindern. 1638 kam es zur Formulierung des „National Covenant". Dort wurde in sehr allgemeiner Form die Bewahrung von Kirche und Gemeinwesen zur Verpflichtung aller Schotten gemacht und die kollektive Notwehr des Gemeinwesens im Falle eines Angriffs - von wem auch immer - in Aussicht gestellt. Es handelte sich nicht um eine klare Stellungnahme gegen das Episkopat, geschweige denn um eine Absage an die Monarchie. Schließlich mußte im Königreich um Unterstützung für das Dokument geworben werden. 86 Die Kriege gegen die Truppen des Königs von 1639 und 1641 und das Ergebnis der 1642 ausbrechenden Bürgerkriege, nämlich die Hinrichtung des Königs von Schottland durch eine kleine Minderheit englischer Republikaner im Jahre 1649, führten zur Spaltung des schottischen Gemeinwesens in eine Fülle von Splittergruppen. Einzelne Adlige wandten sich schon vor 1649 von der Sache des „National Covenant" ab und führten Plünderungszüge auf eigene Faust im Namen der Krone.87 Die große Mehrheit der Schotten und praktisch der gesamte Adel bekannte sich nach der Hinrichtung Karls I. zu seinem Sohn, der 1651 in Schottland als Karl II. zum König gekrönt wurde. Nur ein Teil der Schotten war aber zur Fortführung des Krieges gegen die englische Republik bereit. Nach der Besetzung Schottlands durch Cromwells Truppen waren wiederum einige zur Kooperation mit Cromwell bereit - so der Vater von James Steuart. Nach dem Scheitern der Republik wurde Karl II. 1660 auch in England König. In Schottland verbanden eine Fülle unterschiedlicher und untereinander im Verlauf der Bürgerkriege verfeindeter Fraktionen kaum vereinbare Hoffnungen mit der Rückkehr des Monarchen. Diese spezifisch schottischen Rahmenbedingungen kontroverser Ekklesiologie wurden von der Polarisierung des politischen Denkens auf dem Kontinent während des Aufstandes der Niederlande und der französischen Bürgerkriege umrahmt. Beide Seiten in der polemischen Auseinandersetzung in Schottland um den Aufbau der Kirche, Presbyterianer und Episkopalisten, griffen in ihren Streitschriften auf die je unterschiedlich bewerteten Erfahrun86 Margaret Steele, ,The Politick Christian': The Theological Background to the National Covenant, in: Morrill, National Covenant (wie Anm. 77), 31-67. 87 Vgl. Allan A. W. Ramsay, Challenge to the Highlander. London 1933.

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gen des Kontinents und vor allem des Reiches zurück - die Presbyterianer seit John Knox auf das Magdeburger Bekenntnis, ihre Gegner auf die vermeintlichen Erfahrungen und zeitgenössischen Klischees im Zusammenhang mit dem Täuferreich in Münster. Der schottische Konflikt wurde vor dem Hintergrund eines europäischen Erfahrungsraums und, bei einigen Presbyterianern, eines zum Teil chiliastischen Erwartungshorizontes ausgefochten. Die schottischen Schriften zur Verteidigung der Kirche gegen die katholische Monarchin und zur Rechtfertigung ihrer Absetzung gerieten in den Strom monarchomachischer Schriften der Zeit und provozierten bei Jakob eine entsprechend harte anti-monarchomachische Reaktion, wenigstens was seine größeren schriftlichen Äußerungen anging - in der Praxis seiner Politik blieb er vermittelnd.88 Während die politische Theorie im Reich zwischen 1555 und 1606 den Erfolg der Lösung des Religionskonfliktes durch die Instrumente des Augsburger Religionsfriedens spiegelte - das Genre der Politica hielt denn auch in der Regel an der monarchischen Einheit des Reiches fest, modifizierte Bodins Thesen über die Notwendigkeit der Zusammenfassung der Souveränitätsrechte in einer Hand aber in erheblichem Umfang - , wurde die Polarisierung der politischen Argumentation in Schottland sowohl von den Konflikten vor Ort als auch der Polarisierung der politischen Theorie in Frankreich vorangetrieben. In keiner Polemik wurde in Schottland daher der Weg gewiesen, wer der irdische Richter über einen König, dessen Erbanspruch auf den Thron schließlich unbestritten blieb, sein sollte. Knox und Buchanans Schriften blieben in dieser entscheidenden Frage zweideutig89, nur in einer Überzeugung war man sich einig: Widerstand sei keine Option jedes einzelnen Untertanen, denn, wie Buchanan unterstrich, jedermann habe den Gesetzen zu gehorchen und niemand könne sich dem mit dem Hinweis auf eigene Entscheidung entziehen.90 Der Bund Schottlands mit Gott von 163891 und die Kriege Schottlands zur Verteidigung der Kirche bis 1643 standen noch nicht unter dem Zwang, präziser darauf einzugehen, wer unter welchen Umständen Widerstand leisten könne, weil Adel und Kirche, mit wenigen Ausnahmen, geschlossen in der Verteidigung des Gemeinwesens zusammenfanden. Die Rechtsfigur der Notwehr gegen einen Rechtsbruch und die Figur eines Bundes des Gemeinwesens mit Gott zur Organisation und Verpflichtung dieser Notwehr, wie er beispielsweise 1588 im Angesicht der Bedrohung durch die Armada beschlossen und von den Kanzeln verkündigt wurde, standen im Mittelpunkt des 88

Vgl. Mason, George Buchanan (wie Anm. 75), Wormald, Court, Kirk and Community (wie Anm. 75). 89 Bums, True Law (wie Anm. 5), 145. 90 Vgl. ebd. 128. 91 Henderson, Instruction for Defensive Arms (wie Anm. 15), 692; Morrill, National Covenant (wie Anm. 77); Steele, ,The Politick Christian' (wie Anm. 86).

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Argumentationsreservoirs der Kirche. 9 2 Dabei dachte jedoch niemand an einen freiwilligen Zusammenschluß von Individuen zu einem Bund mit dem Recht, diesen wieder zu verlassen; vielmehr ging es um eine Bestätigung und Untermauerung der Pflichten aller Schotten als Untertanen der Krone und gläubige Christen. 9 3 Eben weil der National Covenant bewußt offen formuliert war, um allen Schotten die Zustimmung zu ihm zu erleichtern, konnte Honeyman den Presbyterianern, die mit Hinweis auf den National Covenant die Legitimität der schottischen Bischofskirche bestritten, vorhalten, dieser Bund sei „an Ark for unclean cattle", darunter „Socians, Arians, Familists, Antinomians, Arminians, Antitrinitarians". 94 Insofern war es unter den Zeitgenossen strittig, ob die Wiedereinführung des Episkopats in der Kirche von Schottland nach der Rückkehr König Karls II. 1660 nach London einen Eidbruch des Königs gegenüber seinen Versprechungen von 1651 - seiner Krönung in Schottland und seiner Verpflichtung auf den National Covenant bedeutete oder nicht. In j e d e m Fall kam es bei der Durchsetzung der Bischofskirche und bei der Verfolgung presbyterianischer Gläubiger nach 1660 selbst in den A u g e n der Zeitgenossen, die an dem Recht des Königs, B i s c h ö f e wiedereinzusetzen,

92

Vgl. so auch Henderson, Instruction for Defensive Arms (wie Anm. 15); Anon., A short relation of the state of the kirk of Scotland since the Reformation. Edinburgh 1638; Archibald Johnston ofWariston, Causes of the Lord's Wrath against Scotland. O.O. 1651, in: Presbyterian Armoury. Edinburgh 1846; George Gillespie, A Treatise of Miscellany Questions. Edinburgh 1642; ders., Aaron's rod Blossoming, or, The Divine Ordinance of Church Government Vindicated. London 1646; vgl. als Überblick Ian Michael Smart, The Political Ideas of the Scottish Covenanters, 1638-1688, in: History of Political Thought 1, 1980, 167-192, hier 172-183. 93 Mit Hinblick auf den Begriff des Bundes gilt es scharf zu unterscheiden zwischen: erstens, der akademischen Lehre im reformierten Lager, die als Bundestheologie bezeichnet wird, und die von Heidelberg und Herborn ausstrahlend schließlich auch in St. Andrews und Edinburgh in Schottland gelehrt wurde (vgl. David Alexander Weir, The Origins of the Federal Theology in Sixteenth Century Reformation Thought. Oxford 1990), und deren eigentliche Vertreter in Schottland, Robert Rollock und Robert Howie, nicht nur in überhaupt keiner Weise zur Opposition gegen die Krone gezählt werden können, sondern sogar gegen eine solche Opposition Stellung bezogen und daher unter den Presbyterianern zwar als gelehrt, aber auch als lau angesehen wurden; zweitens, die fromme Glaubenspraxis und deren Beschreibung in England und Neuengland (vgl. Michael McGiffert, Grace and Works: The Rise and Division of Covenant Divinity in Elizabethan Puritanism, in: Harvard Theological Review 75, 1982, 463-502; Stephen Baskerville, Not Peace but Sword. The Political Theology of the English Revolution. London 1993, 96-130); drittens, die oberflächliche Verbindung des Begriffs „Covenant" mit der Praxis derjenigen „bonds", die alle Untertanen des Königreichs Schottland nachdrücklich an ihre Loyalität zur Krone banden und auf die in Gefahrensituationen wie gegenüber der Armada zurückgegriffen wurde (vgl. Henderson, Burning Bush [wie Anm. 80]; Williamson, Scottish National Consciousness [wie Anm. 75], 76-85). 94 Honeyman, Survey, Part II (wie Anm. 4), 184; vgl. David Stevenson, The Covenanters. Edinburgh 1988, 35-44.

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nicht zweifelten, zu Rechtsbeugungen durch die königliche Justiz.95 Truppeneinquartierungen und Repressalien durch Soldaten in Gegenden, die für ihre Loyalität zur presbyterianischen Kirche im Untergrund bestraft werden sollten, verschlechterten die Stimmung auch in großen Teilen der Bevölkerung weiter. Die gewaltsame Befreiung eines durch die Truppe Verhafteten im November 1666 durch Bauern der Umgebung von Pentland leitete in eine regelrechte Aufstandsbewegung mit rund 700 Beteiligten über, die erst nach rund zwei Wochen von über 2600 Soldaten niedergeschlagen werden konnte.96 Die presbyterianische Untergrundkirche rechtfertigte den Aufstand wenig später mit einem anonym erschienenen Pamphlet. Seine Autoren wurden jedoch bereits den Zeitgenossen bekannt. Es handelte sich um den Prediger der Gemeinde Paisley, James Stirling, und den gerade zum Rechtsanwalt avancierten James Steuart. Steuart hatte sich bereits einen Namen bei der Verteidigung seines Vaters gemacht, der unter diversen Vorwänden angeklagt worden war, weil er während der Besetzung Schottlands durch Truppen der englischen Republik mit Cromwell zusammengearbeitet hatte. Besonders kontrovers wurde ihre Streitschrift durch ihren Hinweis auf den alttestamentarischen Tyrannenmörder Phineas. Die „True and short deduction of the Wrestling of the church of Scotland for the Kingdom of Christ, contained in a True deduction thereof from the beginning of the reformation of religion until the year 1667, together with the last speeches and testimonies of some who have died for the truth since the year 1660" legte es für den Leser nahe, Phineas' Tat auf die Lage der Kirche in Schottland zu beziehen. Der Untertitel und die Aufforderung an alle Gläubigen, „to repent of backslidings and cease from their opposition to his [God's, R. v. F.] cause and Covenant" 97 , vermitteln die Botschaft dieser Märtyrergeschichte der Kirche von Schottland. Allein 130 ihrer 420 Seiten widmen sich der Nacherzählung dieses Martyriums seit den Tagen von Maria und der Vergegenwärtigung der Pflichten der Gläubigen gegenüber Gott. Nachdrucke der Aussagen und „last speeches" nach 1660 hingerichteter Anhänger der presbyterianischen Kirche wie des Marquis of Argyle unterstrichen die Wahrhaftigkeit jener Märtyrer.98 Die Schergen des Episkopats erschienen als Diener Satans auf der Bühne dieses Stücks.99 95

David M. Walker, The Scottish Jurists. Edinburgh 1985, 111-113; ders. (Ed.), The Institutes of the Law of Scotland by James, Viscount of Stair. Edinburgh 1981, 10-14; Omond, Lord Advocates (wie Anm. 3), 188 f. 96 Omond, Lord Advocates (wie Anm. 3), 189f.; Coltness Collections, Part II (wie Anm. 3), 40 f. 97 Steuart/Stirling, Naphtali (wie Anm. 3), 208. 98 Vgl. schon die pro-presbyterianische Kirchengeschichte von Calderwood, True History (wie Anm. 83), 96, zur Confession of Faith von 1581; zu Argyll siehe Stevenson, History of the Church of Scotland (wie Anm. 15), 696-717; John Willcock, The Great Marquess. Edinburgh 1903; Cowan, Political Ideas (wie Anm. 15). 99 Zum Beispiel Steuart/Stirling, Naphtali (wie Anm. 3), 70-77, 80, 180.

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,Naphtali' war keine politische Theorie, sondern Märtyrergeschichte und eschatologische Schilderung des Endkampfes mit dem Antichrist, aber der Jurist Steuart hatte einige praktische Folgerungen für die Gläubigen in der Schilderung untergebracht. Nachdrucke des Solemne League and Covenant von 1643, des National Covenant von 1638 und der Negative Confession von 1581 sollten den Lesern die verbrieften Rechtsansprüche der Presbyterianer und die Rechtsbrüche der Krone vor Augen halten. Die Erfüllung der Gebote Gottes sei die höchste Aufgabe aller Christen, die durch die Bünde von 1581, 1638 und 1643 noch einmal bekräftigt und im einzelnen formuliert worden sei. Die Magistrate seien nur eingesetzt, um diesen Geboten Folge zu leisten, und fielen aus dem Stande der Obrigkeit, wenn sie ihnen nicht folgten. 100 Jeder Gläubige habe unabhängig von den Befehlen seiner Magistrate die Pflicht, die Anordnungen Gottes, gespiegelt in den wiederabgedruckten Dokumenten, zu befolgen und zu verteidigen. Er mache sich mitschuldig an den Sünden anderer, wenn er diese nicht verhindere, besonders wenn „inferior rulers are [...] so far corrupted and perverted that they become the authors and patronizers of these abominations".101 Um den Nachweis der Beauftragung jedes einzelnen Untertanen mit dem Werk der Verteidigung des Glaubens zu führen, wird das Alte Testament herangezogen.102 Die Verpflichtungen gegen Gott und die natürlichen Rechte jedes Individuums auf „seif defence, mutual assistance, and reformation" leiten im Fall von „necessity and collapse" von Staat und Kirche zur Verpflichtung jedes Untertanen über, das Schwert selbst in die Hand zu nehmen. 103 ,Naphtali' schildert die schottische Geschichte zwischen den 1560er und 1660er Jahren als eine ununterbrochene Folge von Ausnahmezuständen, in denen Märtyrer immer wieder das Schwert für die Kirche ergriffen hätten. Im eschatologisch gezeichneten Kampf der Kirche gegen das „kingdom of darkness" 104 , ohne jede Hoffnung auf Hilfe durch einen gerechten weltlichen Richter105, konnten die Aufständischen von Pentland nurmehr ihre Verpflichtungen gegen Gott befolgen 106 und besaßen dazu, durch „necessity" gezwun-

100

Ebd. 181-187. Ebd. 81-89, Zitat 87; und erneut ebd. 180-184 zu Gottes Zorn gegenüber denen, die sich nicht an dieser Verteidigung beteiligen. 102 Zum Beispiel ebd. 92 mit Deut. XXVII, 14 zum Beweis, daß Gott „delivered the kingdom to the people, and not to the king", ebd. 84—87. Im Hinblick auf Phineas' Widerstand hebt Naphtali auf seine gemeine Herkunft ab, was von Honeyman, Survey, Part I (wie Anm. 4), 59 f., bestritten wird. 103 Steuart/Stirling, Naphtali (wie Anm. 3), 127. 104 Ebd. 104. 105 Ebd. 177. •06 Ebd. 120-170. 101

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gen, das Recht zur Selbstverteidigung.107 Es waren daher die Soldaten des Königs, welche sich im Widerstand gegen Gottes Befehle befanden. 108 Geschrieben von einem Theologen und einem Juristen, kombinierte ,Naphtali' eschatologische, naturrechtliche und privatrechtliche Argumente. Es hob auf die alttestamentarische Verbindung Gottes zu seinem Volk ab und wies auf das Naturrecht der Notwehr und das Recht zur Nichtausführung von Befehlen hin, die den geschriebenen Gesetzen widersprachen - die Bünde von 1638 und 1643 waren als Quellen für die Leser, um sich von der Rechtslage zu überzeugen, eigens beigegeben. Daraus ergab sich die Behauptung einer perpetuierten Rechtsverweigerung durch die irdischen Magistrate bei gleichzeitiger Verpflichtung aller Schotten, an den Bestimmungen der Bünde weiter festzuhalten oder Gottes Strafe zu vergegenwärtigen.109 „God's special ordinance", in den Bünden Schottlands mit Gott wiedergegeben110, macht den Widerstand bei Pentland „lawful" 111 . Die Schrift nahm damit eine Reihe von klassischen Versatzstücken des Widerstandsrechts auf, die sich bereits in den lutherischen Widerstandslehren finden. Dazu zählen die eschatologische Schilderung des Kampfes gegen Satan112 und die privat- und naturrechtlichen Überlegungen zur Notwehr und zum Verhalten bei Rechtsverweigerung113. Eigenartig blieb das Schwanken der Schrift zwischen theologisch-eschatologischen und juristischen Argumenten. Wirklich neu war die Umdeutung der Schwurbünde in Schottland, wie sie schon 1588 im Angesicht der Bedrohung durch die Armada geschlossen worden waren, zu Verträgen gegenseitiger Verpflichtung, bei deren Bruch der Magistrat seine Rechte als Obrigkeit verlor.114 Gleichwohl war .Naphtali' nicht als Theorie der Gesellschaft geschrieben worden, sondern als Rechtfertigung der Notwehr in äußerster Gewissensnot. Es parallelisierte die Bindung des Volkes Israel an Gott und die Geschichte Schottlands seit der Reformation und thematisierte das Verhältnis der schottischen Gläubigen zu Gott, nicht die Konstruktion des weltlichen Gemeinwesens. 107 Ebd. 177; zur ubiquitären Anwendung des necessitas-Argumentes durch die englische Opposition gegen Karl I. vgl. Tuck, Philosophy and Government (wie Anm. 65), 222 f. Im Reich blieben solche Argumente wohl in der Regel den Fürsten vorbehalten, vgl. Christoph Fiirbringer, Necessitas und Libertas. Staatsbildung und Landstände im 17. Jahrhundert in Brandenburg. (Erlanger Historische Studien, Bd. 10.) Frankfurt am Main 1985. 108 Steuart/Stirling, Naphtali (wie Anm. 3), 174, führt aus, ein Soldat sei „killed in his resistance". 109 Ebd. 112, 91 f., 161, 182. 110 Ebd. 110. 111 Ebd. 92. 112 Vgl. beispielsweise zu Müntzer Eike Wolgast, Obrigkeit und Widerstand in der Frühzeit der Reformation, in: Vogler (Hrsg.), Wegscheiden (wie Anm. 21), 235-258, hier 244-249, sowie den Beitrag von Luise Schorn-Schutte in diesem Band. 113 Vgl. Skinner, Calvinist Theory (wie Anm. 20). 114 Siehe Calderwood, True History (wie Anm. 82), 223: „The Bond [...] subscribing the King, Councel and divers of the Estates".

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Genau hier setzte die Kritik von Honeyman ein. Honeyman hatte den Bund von 1638 unterstützt, als Steuart noch ein Kind von acht Jahren gewesen war. Er zählte zusammen mit Samuel Rutherford zu den Gesprächspartnern von König Karl II. während seines Aufenthaltes in Schottland im Jahre seiner Krönung 1651. Ähnlich wie der andere bekannte Leser von Althusius auf den britischen Inseln, der Presbyterianer George Lawson, zählte Honeyman zu jenen Geistlichen, die sich keiner der Parteien des Bürgerkrieges völlig verschrieben hatten, sondern deren Hauptaugenmerk auf der Verteidigung der Kirche lag.115 Ebenso wie Lawson konnte sich Honeyman daher mit der Restauration arrangieren. Bereits auf der Synode von 1658 gehörte er zum mäßigenden Flügel. Bis zum April 1661, als er für den König eine Willkommensbotschaft formulierte, die von dem harten Kern des presbyterianischen Flügels als Verrat bezeichnet wurde, verlor dieser mäßigende Flügel seinen integrierenden Einfluß. Die Verteidigung des Episkopats als legitime Form einer reformierten Kirche durch Honeymans „The seasonable case of submission to Church Government" von 1662 stempelte ihn in den Augen der Presbyterianer endgültig zum Verräter. Honeyman akzeptierte das Episkopat jedoch nicht einfach als Entree für sein eigenes Bischofsamt. Seine Position reflektierte vielmehr eine veränderte Perzeption der Gefahren, die der Kirche in seinen Augen drohten. Die Bürgerkriege hatten schließlich weder die Einheit der Kirche noch des Glaubens bewahrt, sondern Sekten in England und Neuengland eine Spielwiese eröffnet. Die erbitterte Gegnerschaft der Presbyterianer zu dieser Entwicklung verhieß nur, daß sie der Folgen der Rebellion gegen die Krone, die sie selbst in Gang gesetzt hatten, nicht mehr Herr wurden. Die Gefahr ging für Honeyman daher nicht von der Entscheidung über ekklesiologische Äußerlichkeiten wie der Frage um das Bischofsamt aus, sondern von der Zersplitterung der Kirche in örtliche Kongregationen, wie sie seit den 1640er Jahren in England und in Neuengland beobachtet werden konnten.116 Honeyman begegnete seinen presbyterianischen Gegnern gleichwohl mit Verständnis, so lange sie die kirchliche Ordnung nicht bedrohten. Aber die 115 Vgl. John Howie of Lochgoin, The Scots Worthies. Glasgow 1853, 265-274 zu Wariston und 217-220 zu Rutherford, den wesentlich kompromittierteren Führern der Opposition gegen die königliche Kirchenpolitik; zu Lawson vgl. Conal Condren, George Lawson's Politica and the English Revolution. Cambridge 1989, 9-28. 116 Van Doren Honeyman, Honeyman Family (wie Anm. 1), 19-43. Das Vorwort zu „The Seasonable Case" stellt fest, „It hath been and is the lot of the Lord's Militant church to be tossed with manifold tempests and to be (as it were) guided betwixt the two millstones of a professedly profane and atheistical world, and of a party pretending high for Truth and Piety, hanging out the Flag of the Fairest profession for both, while both are really undermined and fought against" (ebd. 25). Zu anderen Schotten mit ähnlicher Haltung vgl. Robert H. Macdonald, A Disputed Maxim of State in „Forth Feasting", 1619, in: Journal of the History of Ideas 32, 1971, 295-305; Thomas Ian Rae, The Political Attitudes of William Drummond of Hawthomden, in: Geoffrey Wallis Steuart Barrow (Ed.), The Scottish Tradition. Essays in honour of Ronald Gordon Cant. Edinburgh 1974, 132-146.

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Aufforderung an die Untertanen zum Kreuzzug auf eigene Faust in .Naphtali' hielt er für gemeingefährlich. Seiner Ansicht nach leistete diese Polemik nur dem Zerfall der Kirche in „Libertinism, Quakerism, Rantism and Atheism" 117 mit der Behauptung Vorschub, „Treason, sedition and disorder are but formalities and notions, pretended to palliate the Kings ursurpation".118 An dieser Äußerung wird sein Platz in der zeitgenössischen Debatte deutlich, den er mit den Hobbes-Kritikern in der Kirche von England teilte.119 Ihnen ging es, wie dem englischen Althusius-Rezipienten George Lawson, um die Bewahrung von Harmonie und Eintracht im Gemeinwesen. Die moderne naturrechtliche Konzeption dieses Gemeinwesens als freiwilliger Zusammenschluß von Individuen erschien ihnen unvereinbar mit der Schöpfungsordnung und gefährlich für die Kirche. Naturrechtliche Verteidiger des Absolutismus wie Hobbes und Geistliche, die durch die bedingungslose Verteidigung der presbyterianischen Kirchenorganisation der Zersplitterung der Kirche in Kongregationen Vorschub leisteten, waren gleichermaßen als Gegner anzusehen. Honeyman hob in seinem Angriff auf ,Naphtali' daher auch auf die Strukturnotwendigkeiten jeder „politique society" ab, die sich so auch in der deutschen Politica wiederfinden lassen und zitierte zum Beleg Calvin, Luther, Zwingli, Melanchthon, Bucer und Bullinger. Selbst Samuel Rutherford 120 konnte er zum Beleg dafür heranziehen, daß Eintracht und Unterordnung im Gemeinwesen unverzichtbar seien und einzelnen Untertanen daher in keinem Falle ein Handeln auf eigene Faust gestattet werden könne, sondern nur den Repräsentanten des Gemeinwesens121 - denn „there is no political society but [for] a Sovereign Power" 122 . Er erinnerte die Leser daran, die Argumente von ,Naphtali' seien denjenigen der Jesuiten entlehnt, die zur Ermordung protestantischer Fürsten aufforderten 123 , und wies dann darauf hin, daß die Umdeutung des Vertragsgedankens in einen Volk und Monarch freiwillig bindenden Vertrag, von dem auch das Volk entbunden sei, wenn der Monarch fehle, die Wurzel allen Übels sei, weil damit dem Chaos Tür und Tor geöffnet werde 124 . Damit berührte Honeyman einen wunden Punkt der presbyterianischen Theorie. Denn in der Tat bemühten sich die Widerstandstheoretiker auf beiden Seiten des Kanals, von Knox über Althusius zu Rutherford, ihre Schriften 117

Honeyman, Survey, Part I (wie Anm. 4), 5. Ebd. 35. 119 Siehe Quentin Skinner, Reason and Rhetoric in the Philosophy of Hobbes. Cambridge 1996, 308-315. 120 Honeyman, Survey, Part I (wie Anm. 4), 68, Zitate 327-329. 121 Ebd. 53. 122 Ebd. 72; zur Rezeption von Bodin siehe David Stevenson, ,The „Letter on sovereign power" and the Influence of Jean Bodin on Political Thought in Scotland, in: Scottish Historical Review 61, 1982, 2 5 ^ 3 . 123 Honeyman, Survey, Part I (wie Anm. 4), 48, 83-86. 124 Ebd. 100. 118

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gegen das Mißverständnis zu schützen, jeder Untertan könne zum Schwert greifen. 125 Honeyman mußte sich jedoch in seiner Abrechnung mit .Naphtali' mit solchen Versuchen der Verteidigung widerstandstheoretischer Argumente durch ihre Abmilderung nicht auseinandersetzen, denn ,Naphtali' war es um die Reflexion der einschlägigen Argumentationsstränge der widerstandstheoretischen Debatte gar nicht gegangen. Honeyman konnte es deshalb als das beschreiben, was es war, eine Streitschrift, die ihre Argumente allein aus der Behauptung zog, den Willen Gottes zu kennen. Honeyman schlußfolgerte dazu, „provoking people to go about meddling with the advancement of religion, actibus Imperatis, which is the magistrate's part, and not only actibus elicitis, is but a ruining of all order God hath set". 126 Es verrät Gottes Ordnung an die „Munster Madness". 127

IV. ,Naphtali' hatte gleichwohl den Boden der etablierten Argumentationen zum Widerstandsrecht keineswegs verlassen, vielmehr hatte es diesen Boden gar nicht erst betreten. Schließlich war es seinem Charakter nach nicht eine Reflexion auf den Stand und die Probleme politischer Theorie, sondern eine um rechtliche Argumente nur angereicherte eschatologisch gefärbte Märtyriologie. Um jedoch Honeymans Vorwurf über die Gefahren solcher Traktate zu begegnen, mußte Steuart den Kampf mit Honeyman auf dessen Terrain aufnehmen - dem der reflektierten politischen Theorie. Mit dem Hinweis auf den Willen Gottes war es jetzt nicht mehr getan. ,Ius Populi' suchte Honeyman auf 470 Seiten nicht nur im Hinblick auf einzelne Streitpunkte zu begegnen, sondern eine Theorie des Gemeinwesens zu liefern, welche mit dem Recht der Untertanen zur einseitigen Aufkündigung der diese Gesellschaft konstituierenden Gehorsamsverhältnisse kompatibel erschien. Diese Quadratur des Kreises war aber im Grunde nur durch die Preisgabe eben dieser Gehorsamsverhältnisse möglich - und damit der Aufgabe zentraler Annahmen politischer Theorie von Melanchthon über Bodin bis Althusius. Das eben macht die Bedeutung von ,Jus Populi' aus. 128 ,Jus Populi' gliedert sich in 22 Kapitel unterschiedlicher Länge, die sich in vier Abschnitte zusammenfassen lassen. Der erste Abschnitt (Kapitel I-IV, 77 Seiten) faßt die Thesen der Abhandlung zusammen und belegt sie mit Beispielen aus der Heiligen Schrift und der europäischen Geschichte. Der nächste 125 126 127 128

Ebd. 68, zu Rutherford 326-329; vgl. zu Rutherford Ford, Lex Rex (wie Anm. 4). Honeyman, Survey, Part I (wie Anm. 4), 103. Ebd. 106 f. Vgl. hierzu Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus (wie Anm. 33).

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Abschnitt (Kapitel V-VIII, 80 Seiten) enthält den neuen Kern von Steuarts Argumentation. Steuart bemüht sich um eine explizite Theorie der Entstehung menschlicher Gemeinwesen, des Bundes von Untertanen und Magistraten, des Wesens der Obrigkeit und ihrer Rechte und der „people's safety" als oberstem Gesetz. 39 der insgesamt 92 Zitationen anderer Werke der politischen Theorie des 16. und 17. Jahrhunderts, darunter 14 von 27 Hinweisen auf Althusius' .Politica', finden sich allein in diesem Abschnitt. Im dritten Abschnitt (IX-XIV, 138 Seiten) werden eine Reihe von Punkten wiederholt, die bereits in ,Naphtali' auftauchten, unter anderem die Verpflichtung der Untertanen gegen Gott, das Werk der Reformation im Zweifel selbst auszuführen, und die Frage des Martyriums der Urchristen. Der letzte Abschnitt nimmt eine Reihe von Vorwürfen von Honeyman auf und schließt die Debatte mit einer Auslegung der biblischen Geschichte von Phineas. Folgen wir Steuarts Argumenten durch das Werk. Im ersten Abschnitt verlagert Steuart das Augenmerk von der Frage des Widerstandsrechts einzelner Untertanen auf die Frage der Gehorsamsverpflichtung gegenüber rechtsbrecherischen Magistraten. Mit Hinweis auf die Selbstverteidigung des Gemeinwesens gegen den König und gegen die englische Republik in den Kriegen zwischen 1639 und 1651 129 folgert er weiter, „private subjects" komme dieses Recht zur Selbstverteidigung ebenfalls zu 130 . Mit dieser Ableitung des Rechtes auf individuelle Notwehr aus der Notwehr des Gemeinwesens hatte er den Rahmen der etablierten Theorie zum Widerstandsrecht bereits verlassen. 131 Einzelnen Untertanen ein Recht auf Notwehr gegenüber rechtsbrecherischen Magistraten zuzugestehen, war durchaus üblich 132 , Steuart veränderte diese Möglichkeit jedoch qualitativ, indem er darunter das Recht zur kollektiven und koordinierten Verteidigung mehrerer Untertanen subsumierte. Für die von ihm zitierte Autorität Rutherford - so wie für alle anderen Widerstandstheoretiker - blieb dem einzelnen Untertan gegenüber dem rechtmäßigen Herrscher, selbst wenn er tyrannisch 129

Steuart, Jus populi (wie Anm. 6), 29f. Ebd. 37-39, weitere Bibelbeispiele in Kapitel III, 46-58, Althusius 38 und Knox 58f.; historische Beispiele von Grotius 61, zu Deutschland 62 und Schottland 64-72, mit Hinweis auf Knox zur Legitimität des „purging of the church". 131 Vgl. so schon Smart, Political Ideas (wie Anm. 92), 184. 132 Steuart, Jus populi (wie Anm. 6), 23, 29, zitiert unter anderem Barclay und Arnisaeus. Aber sein Hinweis, daß die Versklavung der Indianer durch den König von Spanien ein Akt der Tyrannei und ein Bruch des Naturrechtes sei, zeigt, wie wenig er tatsächlich mit beiden gemein hatte (169). Denn für Arnisaeus besaß ein Eroberer naturrechtlich sehr wohl das Recht zur Versklavung der Besiegten. Steuart führt also Arnisaeus zum Recht auf Selbstverteidigung an, transferiert die Bedeutung dieses Argumentes in einen anderen Kontext, dem Arnisaeus nicht zugestimmt hätte. Entsprechend tituliert er auch den organisierten Widerstand einer Gruppe als „seif defence (against) tyrannical oppression" (15 f.). Beispiele wie von der Frau „defending her chastity" (28) untermalen die Rhetorik der Legitimität von Selbstverteidigung. 130

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handelte, nur der p a s s i v e U n g e h o r s a m . Selbstverteidigung in N o t w e h r war für Rutherford zwar ein Naturrecht aller G e s c h ö p f e , aber streng v o m kollektiven Widerstand, der nur d e m G e m e i n w e s e n als G a n z e m zustand, zu unterscheiden. Steuart verzichtete für das v o n ihm beanspruchte kollektive und koordinierte Notwehrrecht mehrerer Untertanen j e d o c h auf die Legitimation durch niedere Magistrate als Repräsentanten des G e m e i n w e s e n s - der Inflationierung des Notwehrrechts z u m kollektiven Widerstand war das G e m e i n w e s e n i m Sinne einer Herrschaftsordnung, die nur durch ihre Repräsentanten z u m Handeln befähigt war, z u m Opfer gefallen. A n ihre Stelle trat die R e d e v o n R e c h t e n der Individuen aus d e m Naturzustand. 1 3 3 In Kapitel V über „the p e o p l e s p o w e r in erecting governors" beginnt der Kern der neuen Argumentation. Es bezieht sich auch auf B o x h o r n , Calvin und den Lutheraner Gerhardt, aber vor allem auf A l t h u s i u s . 1 3 4 D e r v o n ihm g e schilderte Naturzustand unterscheidet sich j e d o c h grundlegend v o n der Politica. Politeuma

und ius symbioticum,

die Grundlagen des gegliederten Volkes

bei Althusius, bleiben unerwähnt. 1 3 5 Statt d e s s e n verfügen die Individuen über einen Katalog v o n Rechtstiteln, darunter das Recht zu deren Verteidig u n g . 1 3 6 Steuart verabschiedet sich auch v o n Althusius' natürlicher Arbeitsteilung z w i s c h e n Herrschenden und Beherrschten 1 3 7 - e i n e Sicht, die Althu-

133 Ebd. 6-14; 41-45 zum Naturrechtstitel der Selbstverteidigung und zu Rutherford und Voetius. Zu Rutherford vgl. Ford, Lex Rex (wie Anm. 4), 276. Steuart suchte durch eine Anzahl kleinerer kosmetischer Wendungen sein Argument weniger radikal zu gestalten, so, daß es nicht um „any private person" (Jus Populi [wie Anm. 6], 14) gehe, sondern um „considerable company, joyning together, upon just grounds, may endeavour their own safety" (14). Zur Rezeption von Vater und Sohn des hier benutzten Voetius siehe T. B. Smith, Scots and Roman-Dutch Law, in: ders., Studies Critical and Comparative. Edinburgh 1962,46-61,49-52; David M. Walker, Introduction, in: ders. (Ed.), The Institutes of the Law of Scotland by James Viscount of Stair. Edinburgh 1981, 1-76. 134 Steuart, Jus populi (wie Anm. 6), 80, 85, 87: Marcus Zuerius Boxhorn, De Majestate Regum. Leiden 1649; Johannes Calvin, Christianae religionis Institutio. Genf 1536. Steuart gab nicht an, welche Ausgabe er benutzte. 135 Steuart, Jus populi (wie Anm. 6), 81. 136 Ebd. 40f.; Winters, Johannes Althusius (wie Anm. 9), 33-37; Howell Α. Lloyd, Constitutionalism, in: Burns (Ed.), Cambridge History of Political Thought (wie Anm. 36), 288-289. 137 Althusius, Politica (wie Anm. 6), c II-V; c I, 36: „Deinde conservatio & duratio omnium rerum consistit in ilia ordinationis, & subjectionis concordia. Nam sicut ex diversi toni fidibus, ad symmetriam intensis, sonus dulcissimus oritur & melodia suavis, gravibus, mediis & acutis conjunctis: ita conventus & societas in Rep. imperantium & obedientium se habet, & ex divitum, pauperum, artificum, sedentatiorum & id genus diversorum graduum personarum statu, quam suavissima oritur & conveniens harmonía; & si ad concentum reducantur, efficitur concordia laudabilis, felix & pene divina, & durabilior. Quod si vero omnes aequales, singulique pro arbitrio vellent alios regere, & alii recusarent regi, hinc facilis esset discordia, & discordia dissolutio societatis: Nullus esset gradus virtutis, nullus meritum, & sequeretur, ut ipsa aequalitas esset summa inaequalitas [...] Hinc inter signa irae divinae refertur, quando haec imperantium & obtemperantium symmetria, ejusque ministri, & duces non sunt [...] ut ipsa aequalitas esset summa inaequalitas";

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sius mit Honeyman teilt. Statt dessen erinnert Steuart daran, auch Magistrate seien keine Engel 138 , und das Ziel der „politic association"139 sei schließlich die bessere Bewahrung der Rechtstitel aus dem Naturzustand140, nicht aber das gute und glückselige Leben 141 . Das Recht zur Verteidigung dieser Anrechte muß daher auch um den Preis der Desintegration des Gemeinwesens weiterbestehen.142 Kapitel VI deutet den „Bund zwischen König und Volk" als gegenseitige bedingte Verpflichtung um, derer jede Seite im Falle des Vertragsbruchs ledig sei 143 - eine von Honeyman besonders energisch bekämpfte Behauptung, die Althusius sinnlos vorgekommen wäre - denn wie sollte das Schiff ohne Steuermann den Stürmen der Zeit trotzen? In Steuarts Sicht ist das Gemeinwesen als Herrschaftsordnung jedoch keine Vorbedingung menschlichen Le-

c XIX, 23: „Symmetria etiam in civili hac societate necessaria, quae non nisi ex diversitate imperantium & obtemperantium. Nam ut ait Pet. Greg, q u e m a d m o d u m ex diversi tonifidibus ad symmetriam intensis, somus dulcissimus oritur & melodia suavis, gravibus mediis conjunctis, ita in Rep. ex imperantium & obedientium, divitum, pauperum, artificium, sedentariorum & diversum graduum, personarum, consensu & concordia [...] & bona harmonía nasci non potest ex chordis unius toni, sic nec Resp. consistere posset, si omnes essent aequales, qui mutuo contenderent sibi obsequi, aut inservire, aut singuli pro arbitio vellent alios regere, & alii recusarent regi: unde discordia, ex qua dissolutio societatis". Entsprechend meint Honeyman, Survey II (wie Anm. 4), 105: „As when a great Prince commits to an Architect a master of work, the building of a far palace to him, diverse sorts of men, Borrow men, Masons, Sklaiters, Wrights are all imployed about the work [...] the master of work doth none of all their work, yet he looketh to the right ordering of all [...] put order to their differences [...] So the magistrates of a town, although they be not tradesmen [...] may be appealed to by the wronged party". 138 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 81-83; und siehe VII, 146, w o er die Körpermetapher für das politische Gemeinwesen explizit zurückweist, da sie die Gleichheit der Menschen nicht wiedergebe. Vgl. dagegen Althusius, Politica (wie Anm. 6), XIX, 23: „Nam teste Cie. lib. 3 de legib. nihil tarn aptum est ab jus conditionemque naturae, quam imperium, sine quo nec domus ulla, nec civitas, neque gens, nec hominum universum genus stare, nec rerum natura ommnis, nec ipse mundus potest. In apibus princeps & rex unus est, quo presente totum agmen tenetur, quo amisso dilabitur, migratque ad alios, & sine rege esse non potest. Si navis sine nauclero, bellum sine duce, corpus sine anima regi non potest". 139 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 80. 140 v g l . zu seiner Akzentsetzung auf Vernunftentscheidung und Kalkulation zur Nutzenmaximierung ebd. 80, 83, 88, der zentrale Begriff ist „the people's interest in the erection of civil government" (80). 141 Althusius, Politica (wie Anm. 6), c I, 30f.: „Finis politicae, es usus vitae commodae, utilis, & felicis, atque salutis communis [...] At cum Deus ipse per naturam dederit rebus singulis facultatem se conservandi suisque contrariis resistendi, quantum ad incolumitatem salutis opus est, nec homines facultatem hanc exequi dispersi potuissent, instinctus iisdem adjectus est gregatim vivendi, societatemque civilem constituendi". 142 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 82f., 85, 8 8 - 9 0 . Konventioneller ist sein Hinweis, das Amt der Obrigkeit sei von Gott gestiftet, und er zitiert hierzu Althusius, Politica (wie Anm. 6), e.g. c XIX. 143 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 95, 110-112, mit Hinweisen auf Althusius, Hoenonius und Junius Brutus; vgl. zu Jakobs VI. Ansichten Bums, True Law (wie Anm. 5), 235 f.

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bens. D e m Magistrat kann daher bei e i n e m Vertragsbruch sein Heirschaftstitel sofort e n t z o g e n werden, o h n e den Unterworfenen zu s c h a d e n . 1 4 4 Tyrann ist j e der Herrscher, der auch nur eine Einzelheit des Vertrages verletzt, ebenfalls e i n e Sicht, g e g e n die sich Althusius entschieden g e w a n d t hätte. 1 4 5 Kapitel VII beschreibt das G e m e i n w e s e n denn auch nicht mehr als politis c h e n Körper 1 4 6 , sondern als S u m m e v o n „righteous proprietors o f their o w n goods", deren Verletzung die Grenze z w i s c h e n Herrschaft und Tyrannei markiert. 1 4 7 D a d i e „safety o f the P e o p l e , both in soull and body, their religion, L i v e s , Liberties, Privileges, P o s s e s s i o n s , G o o d s and what w a s deare to them as Christians" der Z w e c k und damit auch das höchste G e s e t z j e d e s G e m e i n w e s e n s sei, besteht keine N o t w e n d i g k e i t mehr, seinen Z u s a m m e n h a l t zu schützen, w e n n der Magistrat d i e s e Rechte verletzt. 1 4 8 D a s auch v o n Althusius w i e selbstverständlich z u m aristotelischen Ziel des G e m e i n w e s e n s er144 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 112, der Magistrat „falleth from his sovereignty", so auch 117. Steuart führt 112-120 Rutherford gegen Arnisaeus an, um nachzuweisen, daß jeder Monarch sich auf einen impliziten oder expliziten Bund stütze. Zu Jakobs VI. erbitterter Ablehnung dieser Idee, vor allem im Kontext der Thesen von Buchanan, siehe Bums, True Law (wie Anm. 5), 231-234. Zur zentralen Bedeutung der Umdeutung der zu verteidigenden Akte als - legitime - Notwehr statt als - illegitimer - Widerstand siehe Conal Condren, The Language of Politics in Seventeenth Century England. New York 1994,60-95. Ein zeitgenössisches Vorbild für die Gegenseitigkeit und Aufkündbarkeit des Vertrages könnte für Steuart der Vertrag zwischen Meister und Gesinde sein, der von den Gerichten der Zeit als gegenseitige Verpflichtung interpretiert wurde, siehe Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 98; L. W. Towner, „A Fondness for Freedom": Servant Protest in Puritan Society, in: William & Mary Quarterly 19, 1962, 201-219. 145 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 98; ebd. 117 Hinweis auf Althusius, Politica (wie Anm. 6), c 19, um zu unterstreichen, daß die Etablierung eines Tyrannen gegen das Gesetz der Natur sei und daß Eroberung keinen Rechtstitel mit sich bringe. Ferner führt er gegen Honeyman an (120-127), daß der Monarch an die spezifischen Bedingungen des Vertrags gebunden bleibe, und bezieht sich dabei auf die angebliche Wahl von König Fergus und die Abmachungen zwischen General Monck und dem schottischen Adel am Vorabend der Restauration (128-137), schließlich den Krönungseid von Karl von 1651. Die Krönung zum König von England 1660, aber die Tatsache keiner erneuten Krönung in Schottland, beweise, daß die Bedingungen von 1651 immer noch Geltung besäßen (134). Zur Argumentation mit den frühen schottischen Königen siehe Burns, True Law (wie Anm. 5), 40-92; Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 140-143, zitiert zur Bindung des Magistrats Althusius, Politica, c XXXVIII, 30 und 37 und c XIX, 13. Aber Althusius sagt nur, c XIX, 13, daß ,jus summo magistratui a populo datum, esse minus populi iure & alienum, non ipsius proprium"; und macht c XXXVIII, 30 und 37 eindeutig klar, daß nur die Ephoren zur Kontrolle des höchsten Magistrats berechtigt sind; c XXXVIII, 30 erklärt er, daß .Juris vero resistendi summo magistratui [...] quod habent optimates nomine populi". Maßnahmen des Volkes sind auf ganz bestimmte Probleme eingeschränkt, siehe c XXXVIII, 37. Rutherford, Lex Rex (wie Anm. 4), IX, 34, konzediert, daß „every private man may kill a tyrant, void of title", aber erinnert, „it is the devil [...] not any of us, who teach that any private man may kill a lawful king, though tyrannous in his government". 146 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 146, in völligem Gegensatz zu Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XIX, 23. 147 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 146-148. 14 « Ebd. 160.

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klärte gute Leben, das eben nur in ihm zu verwirklichen sei 149 und sich daher ein Auseinanderbrechen des Gemeinwesens in Individuen schon im Interesse dieser selbst verbietet, ist zugunsten der Verteidigung der Rechte jedes einzelnen durch jeden einzelnen verabschiedet. Das längste Kapitel (IX) kehrt zur Pflicht der Gläubigen zurück, Gottes Gebote durchzusetzen.150 Steuart bemüht das konventionelle Bild vom Notwehrrecht gegen die Türken, das schon zur Rechtfertigung des lutherischen Widerstandes im Reich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts benutzt wurde. 151 Das rettet ihn jedoch nicht vor den Vorwürfen Honeymans zu den Implikationen seiner Argumente und zwingt Steuart, aus der Not eine Tugend machend, eine revolutionär neue Sicht des Naturzustandes zu entwickeln.152 In der Regel gingen die Zeitgenossen, und das gilt bei allen Unterschieden für den Deutschen Althusius ebenso wie für den Schotten Rutherford und den Engländer Lawson, davon aus, daß ein wünschenswertes soziales Leben nur in Gemeinschaft möglich und diese, nicht zuletzt aufgrund des sündigen Charakters der Mehrheit der Menschen, nur als Herrschaftsordnung vorstellbar sei. Diese Kernüberzeugungen des Neuaristotelismus setzten der Denkbarkeit des Widerstandes der Untertanen Grenzen. 153 Herrschaftshandeln konnte nur von den Repräsentanten des zur Herrschaftsordnung inkorporierten Gemeinwesens ausgehen - der Widerstand blieb der eigentlichen Herrschaftsordnung des Gemeinwesens äußerlich. Die Presbyterianer der britischen Inseln teilten diese Grundkonzeption des Gemeinwesens trotz aller Unterschiede innerhalb dieser Gruppe im einzel149

Althusius, Politica (wie Anm. 6), c I, 30: „Finis politicae, es usus vitae commodae, utilis, & felicis, atque salutis communis". 150 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 175-185. 151 Ekkehardt Fabian, Die Entstehung des Schmalkaldischen Bundes und seiner Verfassung 1524/29-1531/35. (Schriften zur Kirchen- und Rechtsgeschichte, Bd. 1.) Tübingen 1962; vgl. beispielsweise das Gutachten von Luther, Jonas, Bugenhagen, Amsdorf, Melanchthon und Cruciger vom Dezember 1536, in: Heinz Scheible (Hrsg.), Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523-1546. (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd. 10.) Gütersloh 1969, 91; Wolgast, Obrigkeit und Widerstand (wie Anm. 112); Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 197; auch mit Invektive wird nicht gespart, wenn es um den Vorwurf gegen Honeyman geht, die Kirchenorganisation als Adiaphora zu behandeln: ebd. 199-200: „It seemeth it is past question with him, that the vomite which he hath licked up is the most fatning morsel, that ever he got, but the most fatning food is not always the most wholesome." 152 Zur Vielschichtigkeit der Rede von Vertrag und Naturzustand siehe Martyn P. Thompson, Ideas of Contract in English Political Thought in the Age of John Locke. London 1987. 153 Zur Entpolitisierung der civitas und Entmachtung ihrer Mitglieder, der cives, zu subiecti im Herrschaftsverband der res publica siehe Wolfgang Mager, Res Publica und Bürger, in: Gerhard Dilcher (Hrsg.), Res Publica. Bürgerschaft in Stadt und Staat. (Der Staat, Beih. 8.) Berlin 1988, 67-94; Wolfgang Mager, Art. „Republik", in: Joachim Ritter/ Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 8. Darmstadt 1984, 858-878.

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nen. 154 Für den schottischen Presbyterianer Samuel Rutherford, das anerkannte Haupt der schottischen Widerstandstheorie des 17. Jahrhunderts, setzte das Gemeinwesen den Magistrat zwar ein, das Amt der Obrigkeit war aber von Gott gestiftet. Er unterschied die „virtual power" des Gemeinwesens zu dieser Einsetzung von der „formal power" der Magistrate zum herrschaftlichen Handeln, eine Unterscheidung, welche die Distinktion zwischen der Macht der Korporation als Ganzer zur Einsetzung ihrer Amtsträger und der Rechte der einzelnen Untertanen spiegelt. 155 Der englische Presbyterianer George Lawson arbeitete mit der Unterscheidung Christoph Besolds zwischen maiestas realis - dem Recht des Volkes als Korporation - und der maiestas personalis, dem Recht des Magistrats als des Repräsentanten dieser Korporation.156 Trotz des Abgrundes zwischen Rutherford und Lawson waren beide bemüht, die Amtsträger zwar als Repräsentanten des Gemeinwesens, ja als durch dieses eingesetzt zu verstehen, um den Widerstand niederer Magistrate gegen die Krone zu rechtfertigen, an der Gehorsamsverpflichtung jedes einzelnen Untertanen gegenüber den Magistraten insgesamt aber keinen Zweifel aufkommen zu lassen. 157 Aber sowohl Rutherford als auch Lawson fehlte das verfassungsrechtliche Instrumentarium in Gestalt der Reichsstände, das es Althusius und Besold ermöglichte, ein Widerstandsrecht der niederen Magistrate und die Gehorsamspflicht der Untertanen, angelehnt an die Rechte der Reichsfürsten, argumentativ abzusichern - die Ephoren bei Althusius

154

Zur englischen Debatte siehe Baskerville, Not Peace but Sword (wie Anm. 93). Rutherford, Lex Rex (wie Anm. 4), verläßt zwar völlig die aristotelische Argumentation mit einem sozialen Instinkt zur Vergemeinschaftung, denn „people, through the corruption of their nature, are reverse to submit to governors ,for conscience sake' as unto our Lord", beharrt aber darauf, daß „natural man, remaining in the state of nature, can do nothing that is truly good" (30), und folgert 38: „No society hath liberty to be without all government", denn „God hath given to every society a faculty of preserving themselves, and warding off violence and injuries"; vgl. Ford, Lex Rex (wie Anm. 4), 271-281, der die Divergenzen zwischen dieser Sicht Rutherfords, die vom gefallenen Menschen ausgeht, und modernen Naturrechtskonzeptionen betont. 156 George Lawson, Politica Sacra et Civilis (1657/60). Ed. by Conal Condren. Cambridge 1992; vgl. die Analyse zu Besold und Becmann bei Hofmann, Repräsentation (wie Anm. 43), 381 zu Christoph Besold, Dissertatio Politico-Iuridica. Straßburg 1625, Sectio I, Cap I § IV, 5 f.: „Nunquam sane censendum est, totam et universam Rempublicam per Principem representan. Caput est, non totum corpus"; 211, 357-375, 392 zu Johann Christoph Becmann, De Majestate, in: Meditationes Politicae XXIV dissertationibus academis expositae. Frankfurt am Main 1672, 89: „Quia nam princeps universos seu rempublicam represeantat (representatio identitatis) eadem non minor erit, sed ipsi aequalis: Veluti imago quam speculum repreasentat, prorsus aequalis est faciei extra speculum repreasentare." 157 Rutherford, Lex Rex (wie Anm. 4), IX, 34 konzediert, daß „every private man may kill a tyrant, void of title", aber erinnert den Leser, daß „it is the devil [...] not any of us, who teach that any private man may kill a lawful king, though tyrannous in his government" eine bis auf Thomas von Aquin zurückgehende Unterscheidung, der auch Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XXXVIII, 4, anhing: „Non vero talis protinus dicendus, quando in aliqua tantum officii & gubernationis suae parte lapsus est". 155

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bzw. die Träger der maiestas realis bei Besold waren immer die Reichsstände als Repräsentanten des Gemeinwesens.158 Weder England noch Schottland besaßen jedoch Reichsstände im deutschen Sinne. Die maiestas personalis lag im Rahmen der englischen Mischverfassung, dem Verständnis Lawsons zu Folge, beim „King in Parliament", also bei dem Monarchen und den Ständen gemeinsam. Die maiestas realis lag, wenn die Regierung des Landes sich aufgelöst hatte, bei der „community" - aber wer sollte die repräsentieren, wo die Stände doch bereits als Träger der maiestas personalis anzusehen waren? 159 Rutherford suchte mit seiner Unterscheidung von „virtual" und „formal power" zu verhindern, daß seine These, das Volk setze den Monarchen ein, als Lizenz zum Ungehorsam von den Untertanen mißverstanden werden könne. Jeder einzelne Schotte mochte vielmehr als Untertan leben und sterben, ohne je in eigener Person an der Einsetzung von Magistraten mitgewirkt zu haben. 160 Honeyman hatte zwar volles Verständnis für diese Versuche, sich gegen Mißverständnisse zu wappnen. Schließlich hatte er sich selbst dem Bund von 1638 angeschlossen. Aber seine Deutung der Ergebnisse der Bürgerkriege lehrten ihn Vorsicht. Attentate erschütterten das Gemeinwesen, Sekten waren entstanden. In seinen Augen war der Versuch, den niederen Magistraten ein Recht zum Widerstand zuzugestehen, ohne die Untertanen zur Rebellion zu ermuntern, gescheitert. Deshalb wies er eindringlich auf diejenigen Formulierungen bei Rutherford hin, die seiner Meinung nach bei den Lesern Anlaß zu dem Mißverständnis geben mußten, nun könne jeder Untertan auf eigene Faust zur Waffe greifen. Honeyman zog sich angesichts der Erfahrungen der Bürgerkriege auf den Standpunkt zurück, jede Obrigkeit sei direkt von Gott eingerichtet und Herrschaftsakte nur und ausschließlich durch Magistrate durchführbar.161 158 Vgl. schon die Überlegungen Philipps von Hessen in seinem Brief an Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach vom Dezember 1529, in: Scheible (Hrsg.), Widerstandsrecht (wie Anm. 151), 43-^7. 159 Das „ambivalent understanding of representation", das Conal Condren in Lawsons Handhabung der Begriffe maiestas realis und maiestas personalis entdeckt (Lawson, Politica Sacra [wie Anm. 156], 221) hängt mit der Frage zusammen, wer das Volk repräsentieren könne. Für Lawson steht die maiestas realis einerseits „the whole community" (221) im Gegensatz zur „personal majesty [...] fixed in some persons who are trusted with the exercise of it" (49) zu. Auf der anderen Seite spricht er das Parlament indirekt als Repräsentant des Volkes an („the people [making use] of such an assembly as a parliament, to alter the former government", 48). Lawson fehlte eine klare Unterscheidung der Stände als Teil der maiestas personalis in der englischen Mischverfassung und der Stände als Repräsentanten des Volkes und damit berechtigt, die maiestas realis zu handhaben. 160 Rutherford, Lex Rex (wie Anm. 4), 29; Ford, Lex Rex (wie Anm. 4), 281. 161 Honeyman, Survey, Part I (wie Anm. 4), 102f.; siehe zu Rutherfords Richtung oder Argument gegen diese Behauptung mit Hinweis auf seinen Fall gegen Ford, Lex Rex (wie Anm. 5), 271 f., die Einsetzung der Regierung durch Gott und die Errichtung der Magistrate durch Menschen unterscheidend.

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Steuart wies jedoch nicht nur diese Behauptung Honeymans zurück, sondern kümmerte sich auch nicht mehr um die Vorsichtsmaßnahmen von Rutherford oder Lawson. Seine Ausgangsbasis, der perpetuiate Notstand der Rechtsverweigerung, läßt die Individuen in einem Naturzustand zurück, in dem sie als „righteous proprietors of their own goods" 162 möglicherweise nicht in der Lage seien, „to exercise formally acts Magisteriall", wohl aber „exercise [them] Materially".163 Schließlich müßten diese „People of God [...] by the law of Nature care for their own soul [and] are to defend in their way true religion". 164 Dazu seien sie ohne Inkorporierung zur Herrschaftsordnung des Gemeinwesens und ohne „Kings, Judges, Nobles or in authority", also ohne Repräsentanten des Gemeinwesens zu sein, als „God's creatures created and formed to his own image and similitude and made equal" in der Lage. 165 Zwar übernahm Steuart diese Formulierung von Knox, nahm sie aber aus dem Zusammenhang der Notwendigkeit einer Herrschaftsordnung unter den Gesetzen, von der noch Knox und Rutherford wie selbstverständlich ausgingen. Bei Steuart führt statt dessen die Inflationierung des Notwehrzustandes zum Regelzustand in die Konzeption eines Naturzustandes, in dem er den Individuen die Möglichkeit sozialen Lebens ohne die Errichtung einer Herrschaftsordnung zuspricht. Diese Herrschaftsordnung ist nicht mehr unvermeidlich für das menschliche Zusammenleben und aufgrund der Rechtsbrüche der Obrigkeit ohnehin diskreditiert. Auf sie kann daher ohne weiteres verzichtet werden. Die Kapitel X-XIV entwickeln diese Annahmen weiter.166 Die ,Politica' wird dabei häufig mit Hinblick auf die Ephoren zitiert, aber die Vorstellung einer Identität von Ephoren und repräsentierten Gemeinwesen wird aufgegeben. Statt dessen erscheinen die Ephoren als beauftragte Delegierte. Das „Law of nature will allow the self defence even to private persons in cases of necessity" 167 , und „a discretive judgment [...] both of unrightous commands & wicked violence [...] doth necessary remaine with the people" 168 . 162

Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 146-148. Ebd. 208 f.; weitere Forschungen müßten die Unterscheidung von „elicite and imperate acts of people" weiter ergründen, vgl. 208-210. 164 Ebd. 209. 165 Ebd. 215; Ford, Lex Rex (wie Anm. 4), 272f. 166 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), Kap. X, entwickelt die Verantwortlichkeit aller Menschen für die Aufrechterhaltung des Vertrages; Kap. XI beschreibt die Treue des Königs mit Hinweis auf seine Pflichten; Kap. XII verweilt noch einmal im Notzustand bei der Invasion der Tartaren und Türken; Kap. XIII und XIV widerlegt eine Anzahl von Fällen des Gehorsams mit Beispielen aus der Schrift und des frühen Christentums, zum Beispiel 288 der Gehorsam ausschließlich gegenüber einem gerechten Magistrat; Kap. XV behandelt Honeymans Angriff, die Presbyterianer würden papistische Ideen verbreiten. 167 Ebd. 263. 168 Ebd. 323, Kap. XV; dabei fehlt nie der Hinweis, daß (337) die Stände „basely betrayed its trust", und daß (341) „there is no hope, or humaine probability now left, that ever the people of Scotland shall have a parliament by the course laid down of their inférieur judges to resent the injuries, oppression and tyranny". Die letzten Abschnitte, Kapitel XVII bis 163

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Robert von Friedeburg

Mit 27 Hinweisen auf 29 Stellen - rund doppelt so viele Belege wie zu dem nächst häufig zititerten Autor Rutherford (14 Hinweise) 169 - dient Althusius' ,Politica' Steuart nicht nur als Steinbruch, sondern als Gehäuse der Argumentation - freilich ein von den von Althusius in der .Politica' formulierten Kernüberzeugungen völlig entkerntes Gehäuse. Mit vier Ausnahmen konzentrieren sich die Hinweise auf Althusius auf den Kern von ,Jus Populi', den zweiten Abschnitt der Kapitel V bis VII und auf Kapitel XVI, die sich mit der Einrichtung des Gemeinwesens, dem Bund mit Gott, der Natur der königlichen Gewalt und dem Einwand Honeymans auseinandersetzen, nur Repräsentanten des Gemeinwesens seien zum Widerstand berechtigt. Mit vier Ausnahmen beziehen sich alle Zitate nur auf die vier der 39 Kapitel der ,Politica', die den Ephoren (XVIII), der Einrichtung des magistratus summus (XIX, XX) und dem Spezialproblem der Tyrannei am Ende der .Politica' gewidmet sind (XXXVIII). Auf diese Weise ließ Steuart den Rahmen der Politica und Althusius' Behandlung der Harmonie im Gemeinwesen, ius symbioticum und politeuma und die Verpflichtung des Gemeinwesens auf das gute und glückselige Leben, fallen. Aber auch diejenigen Stellen in den zitierten Kapiteln, die Althusius breit entfaltete, so seine Metaphern über den Magistrat als Kapitän eines Schilfes im Sturm und als Seele des politischen Körpers des Gemeinwesens, oder seine Ausführungen über die Gefährlichkeit des Volkes, die Steuarts Konzeption diametral entgegengesetzt sind, ließ Steuart weg. So führt Steuart Althusius an, um Honeymans Behauptung zu widerlegen, nur Repräsentanten des Gemeinwesens seien zu Widerstand berechtigt - ein für Althusius selbstverständlicher und im Kapitel über die Tyrannis eigens abgehandelter Tatbestand. 170 Steuart wies statt dessen auf diejenigen Passagen in der .Politica' hin, in denen von der Konstituierung des höchsten Magistrates durch das Volk und dessen Pflichten die Rede ist, und übernahm sie als staatstheoretische GrundXXII, beschäftigen sich mit weiteren Einwänden von Honeyman, dem Problem der Auflösung der Gesellschaft, der Union von England mit Schottland (XVIII), dem Problem der Sicherheit des Königs (XIX) und Fragen der Deutung der Phineas-Geschichte (XX). 169 Ein erster Überblick ergibt 92 Hinweise zu Werken der politischen Theorie des 16. und 17. Jahrhunderts. Von 22 genannten Autoren wurde rund ein Drittel nur einmal zitiert (Rivet, Martyr, Ames, Barclay, Contzen, Ferne, Grotius und Sanderson), ein weiteres Drittel wurde zwei- oder dreimal genannt (Brutus, Arnisaeus, Ambrose, Bodin, Buchanan, Cicero, Calvin und Voetius). Auf das letzte Drittel der zitierten Autoren entfallen zwei Drittel aller Zitate. Vier Autoren dieser Spitzengruppe (Knox, Boxhom, Gerhard und Hoenonius) wurden vier- bis siebenmal zitiert; Rutherford erhielt 14 Hinweise, Althusius mit 29 Hinweisen mehr als doppelt so viel und fast ein Drittel aller Zitate entfiel auf zeitgenössische politische Theoretiker. 170 Zum Beispiel Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XXXVIII, 29, 31, 45: „Resistentia igitur haec est, qua ephori verbis factisve tyrannidem summi magistratus impediunt [...] Juris vero resistendi summo magistratui quod habent optimates nomine populi [...] Ita ergo jus resistendi tyrannidi magistratus summi, ephoris & optimatibus universalis consociationis competens". 53 und 60 erläutern eigens, einzelne Untertanen könnten nicht auf eigene Faust handeln.

Vom ständischen Widerstandsrecht

zum modernen

Naturrecht

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läge in sein eigenes Werk. Wo Althusius klar und unmißverständlich zwischen dem Widerstandsrecht der Reichsstände, in Ausnahmefällen auch der Landstände, der Notwehr einzelner Untertanen bei unmittelbarer Bedrohung der eigenen Person und einem Naturrecht der Gegenwehr für das als Bekenntnisgemeinschaft verstandene Territorium als Vaterland unterschied, vermengte Steuart diese verschiedenen Ebenen zu einem individuellen Not- und Widerstandsrecht. Mißverständlich übersetzt und aus dem Zusammenhang gerissen, erhielt er so die vertragstheoretische Grundlage, derer er zur Verteidigung seiner widerstandstheoretischen Behauptungen bedurfte. 171

V. 1685 starb der Sohn des prominentesten der in ,Naphtali' zu Wort gekommenen Märtyrer, der neunte Earl of Argyl, ebenso wie sein Vater unter dem Beil des Henkers. Er hatte versucht, „Religion, life and liberties" der „honest protestants" seiner Heimat zu retten und war aus seinem holländischen Exil in Schottland eingefallen. 172 Sein Vater hatte in seinem politischen Testament, das er vor seiner Hinrichtung schrieb, den Sohn vor solchen Unternehmungen aus eigener Erfahrung gewarnt - er hatte zu den presbyterianischen Führern des schottischen Widerstandes gegen Karl I. gehört und wurde nach dessen Rückkehr hingerichtet. Seinem Sohn riet er, Gehorsam gegen den König zu hegen, so lange der protestantische Glaube unangetastet bliebe.173 Der Tod Karls II. 1685, die Krönung seines katholischen Bruders und die Geburt eines möglichen Thronfolgers führte dann zu der dramatischen Folge von Ereignissen, die in dem zweiten Fall des Hauses Stewart und der „Glorious Revolution" von 1688 ihren Abschluß fanden.

171 Ebd., e.g. c I, 16, c XIX, 23; zu Problemen bei Wahlen siehe c XVIII, 56; zu den besonderen Problemen der Demokratie c XXXIX, 11, 32. Bemerkenswert ist Steuarts Nutzung von Althusius c IX „De Jure majestatis ecclesiastico", 11 : „Ex quibus concludere licet, Rempub. mediocrem posse optimatem & constantem esse", zitiert Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 371, um Argumenten von Honeyman zu begegnen, die sich auf die Union der Königreiche bezogen. Ausführlich zur Differenzierung der drei Ebenen des ständischen Widerstands, der strafrechtlichen Notwehr einzelner Personen und der naturrechtlichen Gegenwehr vgl. Friedeburg, Resistere (wie Anm. 69). 172 Steuart/Stirling, Naphtali (wie Anm. 3), 136 zum Marquis of Argylls „work of God"; Willcock, A Scots Earl (wie Anm. 2), 266-366; The Declaration and Apology of the Protestant People. Campbeltown, Edinburgh 1685, 8; zum Konflikt über den Test-Act, nach dem Argyll das Land verlassen mußte, vgl. The Tenor of the Oath to be taken by Persons of Publick Trust, with the Earl of Argyll's explanation. O. O. 1681 (Advocate's Library, Edinburgh). 173 Robert Beddard (Ed.), The Revolutions of 1688. Oxford 1991; Ole Peter Grell/ Jonathan 1. Israel/Nicholas Tyacke (Eds.), From Persecution to Toleration. The Glorious Revolution in England. Oxford 1991, 129-170.

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Robert von Friedeburg

Der Autor von ,Jus Populi' hielt sich seit den 1680er Jahren ebenfalls im Exil in Holland auf und wurde vom Earl of Argyll 1685 gebeten, die öffentliche Rechtfertigung für die geplante Expedition nach Schottland zu verfassen. Sie sollte auf eigens nach Schottland mitgenommenen Druckerpressen gedruckt und verbreitet werden - denn der Sieg über die Herzen und Sinne der Schotten war eine Vorbedingung für den Sieg über die Truppen des Königs. Die ,Apology' aus Steuarts Feder sprach ebenso wie ,Naphtali' von der „conspiracy of popery and Tyranny", die es abzuwenden gälte. 174 Aber ganz im Gegensatz zu ,Naphtali' schwieg sie sich über die Rechte einzelner Untertanen aus und erwähnte statt dessen die Pflichten der „Friends, Blood Relations [and] Vassals" von Argyll.175 Der völlige Mangel plausibler Ausführungen über die Regierung Schottlands im Falle einer Niederlage des Königs wurde für die mangelnde Unterstützung für Argylls Expedition in Schottland verantwortlich gemacht - sie spiegelte damit aber nur die allgemein vorherrschende Verwirrung der politischen Theorie der Zeit. 176 Selbst wenn Argyll sich aber zu präziseren Angaben über die Legitimität der Herrschaft, die er im Falle eines Sieges hätte errichten müssen, hätte hinreißen lassen, hätte er kaum auf ,Naphtali', geschweige auf die theoretische Rechtfertigung von ,Naphtali' durch ,Jus Populi', zurückgegriffen - 1666 hatte er der Krone angeboten, den Bauernaufstand selbst niederzuschlagen, zu dessen Rechtfertigung beide Werke entstanden waren. 177 ,Naphtalis' Aufforderung zum Kreuzzug standen die meisten Zeitgenossen ebenso skeptisch gegenüber wie den eschatologisch gefärbten Thesen eines Thomas Müntzer oder Pierre Viret. J u s Populi' mußte gerade wegen des Versuchs, solche Thesen ohne den Rückgriff auf Gottes unmittelbaren Ratschluß zu verteidigen, revolutionär wirken. Das Recht jedes einzelnen Untertanen zum Widerstand ergab sich in dieser Schrift aus der Behauptung, jeder einzelne Untertan könne das Handeln der Magistrate als Rechtsbruch am einmal geschlossenen Bund erkennen und gegen sie in Notwehr handeln, auch organisiert und kollektiv. Das Instrument des Bundes, bis einschließlich 1643 zur Bekräftigung der Verpflichtung der Mitglieder des Gemeinwesens zu seiner Verteidigung gegen äußere Bedrohungen benutzt, wurde in Jus Populi' zur Verfassungsurkunde, auf deren Beachtung die Magistrate verpflichtet blieben und aufgrund derer sie ihre Herrschaftsrechte verloren, wenn ihr Handeln in Widerspruch zu diesem Dokument geriet.178 Es ist unstrittig, daß Jus Populi' 174

Declaration and Apology (wie Anm. 172), 5. Ebd. 8. 176 Willcock, A Scots Earl (wie Anm. 2), 357-359; Howard Nenner, Constitutional Uncertainty and the Declaration of Rights, in: Malament (Ed.), After the Reformation (wie Anm. 20), 291-308; ders., The Later Stuart Age, in: John G. A. Pocock (Ed.), The Varieties of British Political Thought 1500-1800. Cambridge 1993, 180-208. 177 Willcock, A Scots Earl (wie Anm. 2), 146. 178 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 120-123. 175

Vom ständischen Widerstandsrecht zum modernen Naturrecht

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damit die bisherigen Bahnen des Widerstandsdenkens im allgemeinen und des Bundesgedankens in Schottland im besonderen sprengte.179 Ob es Locke vorausnahm, indem er die Individuen durch die Perpetuierung des Notstandes unter die direkte Herrschaft Gottes auf Erden stellte und ihnen daher ein individuelles, zum Widerstandsrecht erweitertes Notwehrrecht zugestehen konnte, wäre eine offene Frage. 180 Wie aber konnte es zu diesem Bruch mit der Tradition kommen? An dieser Stelle kommt die .Politica' des Althusius ins Spiel. Im Rahmen der Gesamtkomposition der .Politica' und des Aufbaus der von Steuart benutzten Kapitel hat Althusius an so vielen Stellen die von ihm gewünschte Einordnung seiner Behauptungen über die Ephoren und den „pactum" deutlich gemacht, daß er in einzelnen Formulierungen in der Tat die Macht des Volkes über die der Magistrate setzte, weil er im selben Zusammenhang vom Volk immer nur als „ephorum, populum repraesentatium" sprach.181 Von diesem Rahmen völlig entkleidet, bieten die Kapitel XIX und XX über die Einrichtung des höchsten Magistrates, aus dem Zusammenhang gerissen und ungenau ins Englische paraphrasiert, für Steuart nicht nur die Legitimation kontinentaler Gelehrsamkeit, derer er bedurfte. Althusius ordnete die Souveränitätsrechte ja in der Tat dem „populus" zu. Indem Steuart diese Stellen aber des Argumentationsgefüges der ,Politica', ihrer Annahmen und Stellungnahmen über die Natur des Menschen, das Ziel und die korporative Struktur des Gemeinwesens beraubte, entstand eine völlig neue vertragsrechtliche Konstruktion.182 An die 179 Siehe bereits Smart, Political Ideas (wie Anm. 92), 185-187. ,Jus Populi' läßt sich trotz der häufigen Hinweise auf den „Covenant" dem Genre der „Covenant"-Schriften aus den angegebenen Gründen nicht mehr zurechnen. 180 Skinner, Calvinist Theory (wie Anm. 20), 311. 181 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 336: „If parliaments turne [...] tyrants, wolves, Tygers and enemies to the commonwealth themselves [...] the community is allowed to see to the preservation of their owne rights and priviledges, the best way they can". Das schottische Parliament habe „betrayed its trust" (337), weil es den Bund von 1638 nicht verteidigt habe. Deshalb habe es seinen Titel verloren. Er zitiert hierzu Althusius, Politica (wie Anm. 6), c XVIII, 48, der aber nur feststellt: „Ephori sunt, quibus populi in corpus politicum consociati vonsensu demandata est summa Reip. seu universali consociationis, ut representantes eadem". Im Kontext des Reiches weist das nur auf die Reichsstände als Repräsentanten des Volkes hin, insofern als die Familien und Korporationen der Reichsstände in der Tat das Reich waren. Kapitel XVIII „De ephoris, eorumque officio" wird fünfmal in Kap. XVI (S. 334 [zweimal], 335, 336, 337) angeführt, um zu belegen, daß die Macht des höchsten Magistrats „is from the people" (334, η 3), daß die Stände nur mandatarische Rechte haben (334, η 92), daß die Magistrate ihren Titel verlieren, wenn „they transgresse their true limits" (335, η 41), daß „the peoples right, sayeth Althusius, suffereth no prejudice" (336, η 124) und zu den Pflichten der Ephoren (337, η 48, 55, 63, 65, 68, 83, 84). Steuarts Auslassung des Kontextes ermöglicht es ihm, den Sinn jeder Zitation zu verändern. Althusius insistierte tatsächlich gegen Barclay c XVIII, 92, daß die Hoheit des Volkes über der des Monarchen steht, aber sprach an der von Steuart zitierten Stelle immer vom „ephororum, populum repraesentatium". 182 Zum Humanismus von Steuart und der schottischen Jurisprudenz siehe W. Caims/ T. David Fergus/Hector L. MacQueen, Legal Humanism and the History of Scots Law:

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Robert von Friedeburg

Stelle der Inkorporierung der Menschen zu Gemeinwesen und des Handelns der Gemeinwesen durch ihre Repräsentanten trat ein zur Regel gesellschaftlichen Zusammenlebens erklärter Notstand als Naturzustand, in dem die Individuen nur mehr an ihre Pflichten gegen Gott und ihre Naturrechte zur Verteidigung ihrer Güter gebunden waren. 183 ,Jus Populis' völlig neue Positionen entstanden also, indem Steuart, durch Honeyman zur reflektierten Verteidigung von ,Naphtali' gezwungen, die Thesen von .Naphtali' mit Teilen des durch Auslassungen entstellten Argumentationsgerüstes der,Politica' von Althusius verband. Es entstand durch Mißverständnisse und beim Ideentransfer unterlaufene Irrtümer. Vorbereitet wurden diese Irrtümer durch das halbe Jahrhundert divergierender ereignisgeschichtlicher Erfahrungen in Schottland und im Reich zwischen den 1550er Jahren und dem Beginn des 17. Jahrhunderts. In Schottland schwand darüber hinaus zwischen 1637 und 1666 die Hoffnung auf eine rechtliche Regelung dahin. Der Notstand wurde tatsächlich zur Regel. Der Kern dieser ideengeschichtlichen Innovation war daher der Zusammenprall völlig unterschiedlicher Strukturen politischen Denkens und des durch diese Strukturen geprägten Genres in ,Jus Populi', nämlich die in ,Naphtali' und der .Politica' des Althusius zum Ausdruck kommenden Reflexionen unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Rahmenbedingungen und Erfahrungshorizonte in Schottland und im Reich. Jeder Transfer der .Politica' aus dem Reich nach Schottland mußte unter diesen Umständen zu schwerwiegenden konzeptionellen Mißverständnissen führen. 184 Die Verteidigung von ,Naphtali' durch die .Politica' in Jus Populi' überführte die eschatologische Märtyrergeschichte in eine revolutionäre Theorie des Gemeinwesens. Diese Theorie entstand jedoch nicht etwa als Fortschreiten einer immanenten Entwicklung des Geistes in die Moderne. Ihre modern anmutenden Thesen entstanden als Reflexion auf das Scheitern der verfassungsrechtlichen Praxis in Schottland, die Probleme der Konfessionskonflikte zu lösen. Sie war das Scherbengericht über das gute und glückselige Leben, für das das Gemeinwesen doch eigentlich eingerichtet sein sollte. John Skene and Thomas Craig, in: John MacQueen (Ed.), Humanism in Renaissance Scotland. Edinburgh 1990, 48-79; Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 64-66, 209f„ 215. 183 Steuart, Jus Populi (wie Anm. 7), 98, 169; zu seiner Ausdrucksweise der Rechte vgl. 146-148 („rightous proprietors"), 160. 184 Vgl. so auch Julian Franklin, John Locke and the Theory of Sovereignty. Cambridge 1978, zu George Lawson: Er sucht zu zeigen, daß George Lawsons Politica das Modell Besolds der doppelten Souveränität zu übernehmen suchte, diese im Reich entstandene Argumentationsfigur aber auf England übertrug und dadurch eine Neuerung durch das entstehende konzeptionelle Mißverständnis zwischen dem Kontext des Reiches und Englands entstand, 66-85; vgl. auch Condren, Language (wie Anm. 144), 60-95; vgl. Steuart, Jus Populi (wie Anm. 6), 1 7 5 - 1 8 5 .

Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht Die politica Christiana als Legitimitätsgrundlage Von

Luise

Schorn-Schütte Einleitung

Das Thema dieses Beitrages erscheint nicht sonderlich originell. Eine gut hundertjährige Forschungsliteratur hat es aus verschiedenen Blickwinkeln bearbeitet, das Ergebnis steht offensichtlich fest: In Deutschland hat es zwar ein Recht auf Widerstand bzw. Notwehr im Extremfall gegeben, dessen ernstzunehmende Handhabung aber gab es weder im 16., noch im 17. oder im 18. Jahrhundert. Anders schien dies lediglich in Westeuropa, insbesondere in England und Frankreich gewesen zu sein. Während die deutschen Forscher des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts mit diesem Befund mehrheitlich recht einverstanden gewesen zu sein scheinen - schließlich ging es auch darum zu zeigen, wo die historischen Wurzeln der deutschen, nicht-westeuropäisch geprägten Staatlichkeit lagen - , haben die Historiker seit der Mitte der sechziger Jahre des soeben vergangenen Jahrhunderts dieses Defizit vehement beklagt und es in Umkehrung der Argumentation als ein Zeichen für die fehlende Demokratietradition der deutschen Geschichte charakterisiert.1 Es ist recht unfruchtbar, das Denken in diesen einander ausschließenden historiographischen Traditionen fortzusetzen und weiterhin ein „westeuropäisches Modell" frühneuzeitlicher Politikorganisation von einem solchen zu unterscheiden, das für das Alte Reich und vielleicht einige Territorien im Nor1 In den letzten Jahren ist das Problem wiederholt aufgenommen worden; vgl. den aus der Literatur gearbeiteten Überblick bei Robert von Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530 bis 1669. (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 27.) Berlin 1999, mit weiteren Literaturnachweisen sowie einer wissenschaftsgeschichtlich orientierten Einleitung; vgl. auch ders. (Hrsg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich. (ZHF, Beih. 26.) Berlin 2001; ders., Self-Defence and Religious Strife in Early Modern Europe. England and Germany, 1530-1680. Ashgate 2002. Für die Annahme der fehlenden „Demokratietradition" sei nur verwiesen auf Hella Mandt, Tyrannisiere und Widerstandsrecht. Studien zur deutschen politischen Theorie des 19. Jahrhunderts. Darmstadt 1974. Diese Arbeit kennt keinerlei begriffsgeschichtliche methodische Überlegungen.

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Luise

Schorn-Schiitte

den Europas gegolten haben könnte. Der Blick der Forscher aus dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war ebenso zeitgebunden wie derjenige der Forscher aus den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Da alle Historiker Zeitgenossen sind, wird sich keine Generation von entsprechenden Fragestellungen und Leitbildern freimachen können. Gerade für die hier zu behandelnde Thematik kann diese fast schon banale Einsicht kaum deutlich genug ausgesprochen werden, denn sie hat - ernst genommen - forschungsstrategigche Konsequenzen. Zum ersten ist es müßig, den vorhergehenden Historikergenerationen stets den warnenden Zeigefinger angesichts ihrer „falschen" Ergebnisse entgegenzuhalten.2 Zum zweiten ist es notwendig, jene nationale Sichtweise abzulegen, die sich immer wieder in der Entgegensetzung von westeuropäischer und deutscher bzw. osteuropäischer Entwicklung erschöpft. Vielmehr ist es Aufgabe, die engen Verzahnungen des europäischen politischen Denkens und Handelns in der Frühneuzeit in den Blick zu nehmen; dies nicht aufgrund von tagespolitischem Aktionismus, sondern weil die geographischen, politischen und Wissenskonturen Europas in der Frühen Neuzeit nationale Begrenzungen im Sinne des 19. Jahrhunderts nicht kannten.3 Seit dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts hat es hier erhebliche Bewegungen und wechselseitige Rezeptionen gegeben, deren Muster die Forschung noch kaum ausgeleuchtet hat.4 2

Diese Auffassung einer politischen Pädagogik, die die Geschichtsschreibung wahrzunehmen habe, wird allerdings innerhalb der gegenwärtigen geschichtstheoretischen Debatte durchaus behauptet; damit verbunden ist die Einbindung historischer Interpretation in eine Modernisierungsdeutung. An dieser Stelle ist es nicht möglich, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser und der entgegengesetzten Position zu führen; ich verweise dazu deshalb auf Luise Schorn-Schiitte, Wozu noch Geschichtswissenschaft? Heidelberg 2002 (im Druck) sowie Chris Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie. (Beiträge zur Geschichtskultur, Bd. 13.) Köln/Weimar/Wien 1997, 375 ff. 3 Damit wird nicht behauptet, daß es nationale Ansätze zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gegeben habe. Es muß aber nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die Maßstäbe des 19./20. Jahrhunderts für die Bewertung der frühneuzeitlichen Herrschaftsformen einfach nicht taugen. Dies kann angesichts der gegenwärtigen Debatte um die Staatlichkeit des Alten Reiches, die sich um das Buch von Georg Schmidt entzündet hat, nicht deutlich genug betont werden. Es ist deshalb sehr wohl legitim, wenn Schmidt die Parallelisierung der europäischen Wege ins 19. Jahrhundert versucht. Ob seine Bewertungen dabei immer Zustimmung finden können, ist eine ganz andere Frage. Dies sollte in der gegenwärtigen Debatte aber im Sinne präziser Erkenntnisse auseinandergehalten werden. Schließlich gibt es nicht die richtige Erkenntis historischer Abläufe. Gerade die allzustarke Einbindung der Geschichtsschreibung der vergangenen 25 Jahre in Modemisierungstheorien aller Provenienz zeigt die Begrenztheit der Deutungsmuster auf jeweils eine Generation; vgl. Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 14951806. München 1999. 4

Einen fundierten und souveränen Überblick, der auch diese Dimension im Blick hat, gibt Horst Dreitzel, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz. 2 Bde. Köln/Weimar/ Wien 1991; wichtige Aspekte auch bei Wolf gang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Obrigkeitskritik

und

Widerstandsrecht

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Unter diesen Vorzeichen soll im folgenden die Relevanz der sogenannten politica Christiana als Teil des politischen Denkens und Handelns im frühneuzeitlichen Europa ausgehend vom Alten Reich skizziert werden. Von Bedeutung ist dabei die Charakterisierung des Zusammenhanges von Religion und Politik in der Frühen Neuzeit, prägte doch die Ethik des Christentums die politischen Normen jener Jahrhunderte weiterhin ebenso nachhaltig, wie dies für das Mittelalter zu konstatieren ist. Nicht ohne Grund wird deshalb von „politischer Theologie" gesprochen.5 Der Charakter von Herrschaft ist unter diesen Voraussetzungen keineswegs als schlichter Gegensatz von monarchischer und nicht-monarchischer Ordnung zu beschreiben; der Kern politischer Legitimation bestand in den frühneuzeitlichen Gesellschaften Europas vielmehr in einem spezifisch verschränkten Miteinander von Herrschenden und Beherrschten. Dies umfaßte einerseits die fraglose Akzeptanz der Existenz von Obrigkeit, andererseits die als unverzichtbar angesehene Zustimmung der Beherrschten zu den praktischen Entscheidungen der Herrschaftsträger (Konsens), die alles andere als formalen Charakter trug. Nimmt man beide Linien zusammen, so liegt es auf der Hand, daß die politica Christiana eine zentrale Rolle in den frühneuzeitlichen Debatten um die Struktur politischer Ordnungen gespielt hat, galt doch das christliche Verständnis des „Elternamtes" (viertes Gebot) als Vorbild weltlicher Herrschaftsübung. Gerade dieses Modell aber lebte von der Annahme eines Aufeinanderangewiesenseins von Hausvater und Hausmutter.6 Um die Charakterisierung dieser „christlichen Politiklehre" soll es im folgenden gehen. Die Forschungsthese ist, daß es vergleichbare politica christiana-Ansätze in allen Regionen Europas im 16. Jahrhundert gegeben hat; Differenzierungen setzten vermutlich erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein. Die Ausführungen konzentrieren sich zunächst auf das Alte Reich verbunden mit ersten Ausblicken in die europäischen Nachbarregionen; sie München 1999. Vgl. auch ders., Was ist europäische politische Kultur?, in: GG 27, 2001, 593-616. Das Konzept der politischen historischen Anthropologie, das Reinhard dort skizziert, entspricht dem methodischen Ansatz, der auch unseren Ausführungen zugrunde liegt, ohne daß dies als historische Anthropologie bezeichnet werden müßte. Das hier verfolgte Konzept sieht sich, wie in der Einleitung skizziert, als Teil einer „neuen Ideengeschichtsschreibung"; siehe dazu auch Günther Lottes, „The State of the Art". Stand und Perspektiven der „intellectual history", in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Fschr. für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag. Paderborn u. a. 1996, 27-45, und Luise Schorn-Schutte, Neue Geistesgeschichte, in: Günther Lottes/Joachim Eibach (Hrsg.), Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Göttingen 2002, 270-280. 5 Ein souveräner Überblick über die Relevanz der christlichen Religion für soziale und politische Umbrüche bei Arnold Angenendt, Revolution in der Religion?, in: Johannes Fried/Johannes Süßmann (Hrsg.), Revolutionen des Wissens. Von der Steinzeit bis zur Moderne. München 2001, 76-95. Dort auch weitere Literaturhinweise. 6 Dies ist nur ein Hinweis auf die Verflechtung religiöser und politischer Strukturprinzipien bzw. Symbolisierungen von Herrschaft; vgl. auch dazu Angenendt, Revolution (wie Anm. 5), 89-90.

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Luise Schorn-Schiitte

gliedern sich in drei Abschnitte: In einem ersten Teil wird die gegenwärtige Forschungsdebatte knapp skizziert, um die Fragestellung zu verdeutlichen. In einem zweiten Teil werden einige Konfliktfelder beschrieben, in deren Rahmen Elemente der auch von den Zeitgenossen so bezeichneten politica Christiana zur Rechtfertigung politischen Handelns sichtbar werden. In einem dritten Teil schließlich sollen diese Phänomene in eine vorläufige Ordnung7 gebracht werden, indem sie in die zeitgenössische politiktheoretische und konfessionspolitische Diskussion eingeordnet werden.

I. Fragestellung und Forschungslage 1. Die Forschung, die sich derzeit mit der Frage nach der Praxis politischen Handelns und dessen theoretischer Fundierung im Europa des 16. und frühen 17. Jahrhunderts befaßt, konzentriert sich auf die zeitgenössischen Lösungsvorschläge für das epochenspezifische Problem des Zusammenhanges von Politik und Religion. Allein für den riesigen Bestand der Literatur zur deutschen politica werden gegenwärtig drei verschiedene Muster der Zuordnung unterschieden8: Zum ersten der (für Friedrich Meinecke seinerzeit allein maßgebliche) Aristotelismus/Spätaristotelismus, dessen Dominanz aber auch in der gegenwärtigen Forschung nicht bestritten wird.9 Unter seiner Flagge konnten zahlreiche Varianten segeln; wahrgenommen werden vor allem die sogenannten „politici"10, die einen Mittelweg propagierten, wonach Moralität in der Politik in stoischer Distanz zur Regierungsklugheit praktisch werden sollte. 7

Die hier vorgelegten Ausführungen sind eine erste Zusammenfassung längerfristig laufender Forschungen, die durch die DFG und die VW-Stiftung in verschiedenen Projekten gefördert wurden bzw. werden. Der Aufsatz ist Teil einer größeren Monographie, die 2004 unter dem Titel „Politische Kommunikation im frühneuzeitlichen Europa" in München erscheinen wird. Ich danke an dieser Stelle den Mitarbeitern in den genannten Projekten, speziell Matthias Weiß, Anja Moritz, Roxane Wartenberg und Marlies Grüter für ihr vorbildliches Engagement und ihre bemerkenswerte Kenntnis, die sie den gemeinsamen Forschungen widmen! 8

Das Folgende nach Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 4), Bd. 2,484ff.; siehe dazu auch Peter Nitschke, Einführung in die politische Theorie der Prämoderne 1500-1800. Darmstadt 2000, 15-39. 9 Zum Stand der Forschung allerdings in eigenwilliger, zu diskutierender Zuspitzung siehe Peter Nitschke, Zwischen Innovation und Tradition: der politische Aristotelismus in der deutschen politischen Philosophie der Prämoderne, in: ZfP 42,1995, H. 1,27-40. Nitschke bestreitet die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen politischem Aristotelismus und politica Christiana (ebd. 31 ) - die hier vorgelegten Ausführungen gehen weiterhin von dieser Annahme aus. 10 Diese Bezeichnung bei Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800. München 1988, 85 ff.

Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht

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Zum zweiten existierte der sogenannte Tacitismus, jene durch den Niederländer Justus Lipsius geprägte Wiederbelebung der politischen Lehren des Tacitus. 11 In dessen Gestalt wurde die Akzeptanz der machiavellistischen Funktionalisierung der Religion für die Politik real, ohne sie als solche bezeichnen zu müssen. Und zum dritten gab es die politica Christiana, die die politische Herrschaft als Teil der Schöpfungsordnung charakterisierte und damit weiterhin von einer christlichen Einbindung aller Politik ausging (princeps christianus). Alle drei waren sich einig in ihrem Antimachiavellismus, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts in die Staatsräsondiskussion einmündete, in der weiterhin die Frage nach den Steuerungsmechanismen der selbständig gewordenen Politik behandelt wurde. Der gemeinsame Antimachiavellismus macht deutlich, daß in diesen Jahrzehnten die Diskussionen geprägt waren vom Bemühen um Einbindung zentraler Herrschaftsübung in vorhandene, zumeist regional begrenzte Kontrollmechanismen. Die grundlegende Denkfigur dabei war der aus dem Mittelalter vertraute, in seiner Legitimität ungebrochene Vertragsgedanke (konkret als Lehnsvertrag), der in der Reformation eine Intensivierung durch die Berufung auf den biblischen Bundesgedanken erfahren hatte. 12 Es ist wiederholt dargestellt worden, daß in diesem Zusammenhang die Frage

11 Zu Lipsius vgl. Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 38.) Göttingen 1989 (Druck der Habilitationsschrift von 1954); zur Deutung durch Oestreich jüngst Martin van Gelderen, Holland und das Preußentum: Justus Lipsius zwischen niederländischem Aufstand und brandenburg-preußischem Absolutismus, in: ZHF 23, 1996, 29-56. 12 Zur Argumentationsfigur Gerhard Oestreich, Die Idee des religiösen Bundes, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Berlin 1969, 157-178, der ihn aber nur auf Calvin bezieht; innerhalb der lutherischen Theologie war er gleichwohl auch präsent! Vgl. zum Ganzen gundlegend Eike Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 47.) Gütersloh 1977, sowie ders., Melanchthon als politischer Berater, in: Hanns-Christof Brennecke/Walter Spam (Hrsg.), Melanchthon - zehn Vorträge. (Erlanger Forschungen, Rh. A, Bd. 85.) Erlangen 1998, 179-208; ders., Johannes Bugenhagens Beziehungen zur Politik nach Luthers Tod, in: Hans Rothe (Hrsg.), Gedenkschrift für Reinhold Olesch. (Mitteldeutsche Forschungen, Bd. 100.) Köln/ Wien 1990,115-138, und ders., Die Stellung von Johannes Brenz zu Bauernkrieg und Widerstandsrecht, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 100, 2000, 297-326. Auf die mittelalterliche Tradition verweist explizit Diethelm Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (1529-1530). (Historische Forschungen, Bd. 46.) Berlin 1991; zur mittelalterlichen Tradition der Herrscherkritik wichtig Klaus Schreiner, „Correctio principis". Gedankliche Begründung und geschichtliche Praxis spätmittelalterlicher Herrscherkritik, in: Frantisek Graus (Hrsg.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. (Vorträge und Forschungen, Bd. 35.) Sigmaringen 1987, 203-256. Damit ist ein weiterer Hinweis im Sinne der Einleitung (bei Anm. 4) gegeben, wonach die politische Theologie der Frühen Neuzeit eine entscheidende Rolle für die Legitimation von Herrschaftsordnungen eingenommen hat.

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nach dem Recht auf Widerstand bzw. Notwehr gegen eine unchristliche Obrigkeit intensiv diskutiert wurde - im protestantischen Lager ebenso w i e im altgläubigen - und daß man sich in dieser Frage auf die Vertrags- und Bundesfigur berief. 1 3 D i e reichsweite Debatte um dieses Recht war mit dem Frieden von 1555 stillgestellt, beendet aber war weder die Diskussion um die Praxis der Übung des Widerstands- bzw. Notwehrrechtes noch diejenige um das Recht zur Kritik an einer unchristlichen Obrigkeit. 1 4 2. D i e s e Tatsache ist zwar bekannt, ihre Bewertung im Blick auf die nachfolgenden Entwicklungen aber keineswegs einheitlich. Das gilt vornehmlich für das Deutungsmuster des sogenannten frühneuzeitlichen Republikanismus, das die Diskussionen innerhalb der Historiographie zur europäischen Frühneuzeit in den letzten Jahrzehnten mitbestimmt hat. 1 5 In der Deutungstradition Otto Brunners stehend formulierte 1988 Heinz Schilling einen Begriff von städtischem Republikanismus, der von einem als frühneuzeitspezifisch betrachteten Gegensatz meindlichem

zwischen „obrigkeitlichem Absolutismus" und „ge-

Autonomiestreben" ausgeht.

Stadtbürgerliche

Politik-

und

Rechtsideale seien dann als republikanische identifizierbar, wenn sie sich als Vorläufer des modernen Rechtsstaates charakterisieren ließen. In Konfliktfallen habe die Bürgerschaft auch der Landstädte dem Machtanspruch des Stadtherrn die aristotelische Mischverfassung als Ideal entgegengesetzt. 1 6 13 Siehe dazu Reinhard, Staatsgewalt (wie Anm. 4), 235 ff.; grundlegend Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 12), sowie jüngst mit überzeugendem Nachweis, daß die Debatten innerhalb des Schmalkaldischen Bundes ebenfalls diese spätmittelalterliche Kontinuität des Bundes betonten, Gabriele Haug-Moritz, Widerstand als Gegenwehr. Die schmalkaldische Konzeption der Gegenwehr und der „gegenwehrliche Krieg" des Jahres 1542, in: Friedeburg (Hrsg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 1), 141-161; zudem Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 1), und ders., Self-Defence (wie Anm. 1), sowie Böttcher, Ungehorsam (wie Anm. 12); Tobias Quilisch, Das Widerstandsrecht und die Idee des religiösen Bundes bei Thomas Müntzer. Gleichzeitig ein Beitrag zur politischen Theologie. (Beiträge zur politischen Wissenschaft, Bd. 113.) Berlin 1999, und Gabriele Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund - Form und Gestaltwandel eines Militärbündnisses (1530-1541/42). Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 44.) LeinfeldenEchterdingen 2002, schließlich auch Horst Carl, Der Schwäbische Bund 1488-1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation. (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 24.) Leinfelden-Echterdingen 2000. In dem von Friedeburg herausgegeben Band (wie Anm. 1 ) werden die Vergleichslinien innerhalb von Europa gezogen, die Einleitung von Friedeburg versucht einen Problemaufriß. 14 Siehe dazu jüngst Luise Schom-Schütte, Politikberatung im 16. Jahrhundert, in: Armin Kohnle/Frank Engehausen (Hrsg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Fschr. für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2001, 49-66. 15 Nachweise bei Helmut G. Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus im Europa der frühen Neuzeit. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 11.) München 1988. 16 Heinz Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit einen städti-

Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht

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Auch der nordamerikanische Reformationshistoriker Thomas Brady geht von jenem Gegensatz zwischen obrigkeitlichem Herrschaftsanspruch und gemeindlichem Autonomiestreben aus, bewertet aber anders als Schilling die politische Kultur der deutschen Reichsstädte negativer. Sein Maßstab ist der ursprüngliche Republikanismus der italienischen Stadtstaaten; diesen habe es in den deutschen Reichsstädten nie gegeben. 17 Statt dessen seien die politischen Vorstellungen insbesondere der reichsstädtischen Eliten18 durch einen „konservativen Monarchismus" geprägt gewesen. Wie Schilling und Brady kommt Wolfgang Mager in seiner stark rezipierten begriffsgeschichtlichen Studie von 1984 zu dem Ergebnis, daß es einen spezifisch frühneuzeitlichen Gegensatz zwischen einer Obrigkeit, die alleinige Herrschaft beanspruchte, und einem gemeindlichen Teilhabeanspruch gegeben habe. Die Autoren der politiktheoretischen Schriften des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts hätten den Begriff der „res publica" zur Bezeichnung von politischer als formaler Ordnung verwendet und in der damit gemeinten Gegenüberstellung von res publica und civitas die spätmittelalterliche Idee der Identität von Bürgerverband und Republik aufgegeben. 19 Die civitas als die Gemeinschaft aller Vollbürger habe erst als res publica ihre hierarchisch geordnete, feste Gestalt erhalten. Das heißt, der politische Verband der Stadt sei durch die Zentralgewalt geleitet worden, die die Untertanen mit Hilfe des Stadtrats beherrschte: „Bürger" seien zu „Untertanen" geworden. Das gelte sowohl im Blick auf die Verwendung der Begriffe als auch, wie

sehen „Republikanismus"?, in: Koenigsberger (Hrsg.), Republiken (wie Anm. 15),101141, hier 122. Eine vergleichbare Gegenüberstellung von monarchisch, absolutistisch und genossenschaftlich-selbstverwalteten Herrschaftsformen allerdings unter Bezugnahme auf die ländlichen Regionen formuliert Peter Blickle seit den ausgehenden siebziger Jahren mit seinem Deutungsmuster des Kommunalismus. Die gemeinwohlorientierte Republik setzt er ausdrücklich positiv ab von der eigennützigen Herrschaft, die zur Einherrschaft tendiert. Für Peter Blickle gibt es die Steigerungsformen: Kommunalismus, Republikanismus, Parlamentarismus; so in: ders., Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, in: HZ 242, 1986, 529-556. 17 Thomas A. Brady, Turning Swiss: Cities and Empire, 1450-1550. Cambridge 1985, 24-27, 85 f. 18 Siehe auch die noch ungedruckte Habilitationsschrift von Thomas Maissen, Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Göttingen 2003, 12-17. 19 Wolfgang Mager, Art. „Republik", in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 5. Stuttgart 1984, 549-651, hier 568 f. Dazu ist anzumerken, daß einige Autoren des 16. Jahrhunderts (Keckermann u. a.) die Trennung noch nicht kannten. Siehe dazu demnächst die Dissertation von Matthias Weiß, Die Politica Christiana. Grundzüge einer christlichen Staatslehre im Alten Reich. Diss. phil. Frankfurt am Main 2004. Ich danke Herrn Weiß für zahlreiche Hinweise, die im Rahmen der Arbeit im Forschungsprojekt „Politica Christiana" entstanden, das unter meiner Leitung in einem Schwerpunktprogramm der DFG für vier Jahre gefördert wurde.

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Mager formulierte, für die dem Sprachgebrauch entsprechende „realgeschichtliche" Entwicklung.20 Diese Befunde aus den späten siebziger und frühen achtziger Jahren, die ihre Maßstäbe aus der modernisierungstheoretischen Diskussion jener Jahrzehnte hergeleitet haben, müssen mit den Ergebnissen der gegenwärtigen Untersuchungen zur politischen Realität und zum Selbstverständnis jener Stadtgemeinden zusammengeführt werden. Zwar bestätigen die Arbeiten zur Bürgertumsgeschichte, die unter anderem Ulrich Meier und Klaus Schreiner seit der Mitte der neunziger Jahre vorgelegt haben, die Existenz von Herrschaft, die hierarchische Ordnung voraussetzte. Ihre Forschungsthese aber korrigiert die Gegensatzhypothese, wonach es so etwas wie einen genossenschaftlichen Urzustand gegeben habe, aus dem sich oligarchische Herrschaft entwickelte und an den diese im Konfliktfall immer wieder hätte zurückgebunden werden können.21 Meier und Schreiner gehen vielmehr von einer „konsensgestützten Herrschaft" aus, womit eine Wechselwirkung von Partizipation und Herrschaftsübung beschrieben wird, die von Anbeginn existiert habe. Herrschende und gehorchende Teile der Bürgergemeinde habe es immer gegeben; für das gemeinsame Politikziel der Sicherung des „gemeinen Nutzens" konnte die Zustimmung unterschiedliche Grade erreichen, die sich als Zwietracht oder Eintracht innerhalb der Bürgergemeinde artikulierten. Für die Organisation jener konsensgestützten Herrschaft wurden die aristotelischen Herrschaftsformen herangezogen. In seiner jüngst vorgelegten Habilitationsschrift knüpft Thomas Maissen an diese Debatten an und untersucht die Existenz eines eidgenössischen „Republikanismus".22 Dieser Versuch ist auch methodisch insofern interessant, als der Untersuchungsgegenstand städtische und ländliche Strukturen in einem bundesähnlichen Herrschaftsverband zusammenführt. Maissen erweitert den Blickwinkel zudem dadurch, daß er die deutsche Forschung mit derjenigen in den angelsächsischen Ländern verbindet, die sich seit geraumer Zeit mit Existenz und Eigenart eines frühneuzeitlichen Republikanismus befaßt. 23 Auch 20

Zum Problem des begriffsgeschichtlichen Verfahrens siehe meine Einleitung in diesem Band. Der Beitrag von Wolfgang Mager in diesem Band (S. 13-122) ist eine methodische und sachliche Weiterentwicklung seines Handbuchartikels (wie Anm. 19)! 21 Ulrich Meier/Klaus Schreiner, Regimen civitatis. Zum SpannungsVerhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften, in: dies. (Hrsg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 7.) Göttingen 1994, 9-34; dementsprechend auch Mager, Genossenschaft (wie Anm. 20). 22 Maissen, Die Geburt der Republic (wie Anm. 18). 23 John G. A. Pocock, The Machiavellian Moment: Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition. Princeton 1975; Quentin Skinner, The Foundations of Modern Political Thought. Vol. 1: The Renaissance. Cambridge 1978, sowie jüngst Martin van Gelderen/Quentin Skinner (Eds.), Republicanism. A Shared European Heritage. Vol. 1:

Obrigkeitskritik

und

Widerstandsrecht

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dort ist durch die konsequente Historisierung des Begriffes die Behutsamkeit im Umgang mit dem Deutungskonzept gewachsen. Schon 1966 betonte der niederländische Historiker Herbert H. Rowen, daß das Gegensatzpaar Monarchie - Republik eine Projektion der Sichtweise des 19./20. Jahrhunderts gewesen sei; für die weitere Forschung müsse deshalb die Verzahnung von „monarchischen" und „republikanischen" Elementen als Charakteristikum der ständischen Ordnung in der Frühneuzeit verstärkt ins Blickfeld rücken.24 Deren Bestimmung ist in der angelsächsischen Forschung allerdings ebensowenig einhellig wie in der deutschsprachigen. Während John Pocock, Quentin Skinner, Blair Worden unter anderem darauf bestehen, daß es erst die Verfassung ist, die eine Herrschaftsordnung als Republik sichtbar werden läßt, geht Maissen davon aus, daß einer polyarchischen politischen Ordnung durchaus bereits ein eigenständiges republikanisches Selbstverständnis eigen sein könne, ohne daß es eine entsprechende Verfassungsordnung geben müsse; diese könne deshalb auch erst später als sichtbare hinzutreten.25 Aus dem Gesagten folgt zunächst: Nicht so sehr die aristotelischen Modelle der Herrschaftsübung prägten das politische Selbstverständnis unter anderem der Stadtgemeinden, sondern eine frühneuzeitspezifische Verzahnung von Partizipation und Herrschaft, die sich an einem als gemeinsam artikulierbaren Interesse der (Stadt-)Bürger ausrichtete.26 Die Modelle, die der zeitgenössische Aristotelismus anbot, waren so weitreichend und vielfach gestaltbar, daß sie lediglich eine Folie für eine Vielzahl unterschiedlicher Realisierungen durch die praktische Politik anboten.27 Die Form der Republik war auch darunter, in der zeitgenössischen Diskussion fand sie aber keine herausgehobene Bewertung. Republikanismus in dem oben charakterisierten Sinn ist deshalb eher eine Kategorie der Forschungen über die Frühe Neuzeit als eine Kategorie der frühneuzeitlichen politischen Diskussionen selbst gewesen; schon des-

Republicanism and Constitutionalism in Early Modern Europe. Cambridge 2002. Einen Überblick gibt Maissen, Die Geburt der Republic (wie Anm. 18), 6-12. 24 Herbert H. Rowen, Kingship and Republicanism in the Seventeenth Century: Some Reconsiderations, in: Charles H. Cater (Ed.), From the Renaissance to the Counter-Reformation. Essays in Honor of Garret Mattingly. London 1965,420-432, hier 421 u. ö. 25 Maissen, Die Geburt der Republic (wie Anm. 18), 11 f. 26 Der Vorwurf einer ungebührlichen Harmonisierung der frühneuzeitlichen Konfliktordnung, der in der vergangenen Reformationsgeschichtsschreibung unter anderem durch Brady gegen Moeller vorgetragen wurde, trifft auch hier nicht zu. Die frühneuzeitliche Ordnung war eine den Konflikt als Mittel einsetzende Ordnung, die den Konflikt aber durch Konsens zu lösen versuchte. 27 Siehe hierzu Nitschke, Zwischen Innovation und Tradition (wie Anm. 9). Nitschkes Annahme (ebd. 31), daß die politica Christiana lediglich ein Teil des politischen Aristotelismus sei, ist insofern nicht falsch, ändert aber nichts daran, daß es sich bei dieser um eine spezifisch entfaltete praktische Politikform im 16./17. Jahrhundert handelte, die sich wie der politische Aristotelismus insgesamt der aristotelischen Staatsformenlehre bediente. Dazu ausführlich Weiß, Politica Christiana (wie Anm. 19).

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halb ist die Gegenüberstellung von positiv bewertetem Republikanismus und negativ bewerteter monarchischer Herrschaft eine zeitgebundene, die am Kern der frühneuzeitlichen Realität vorbeigeht. 28 Konsensgestützte Herrschaft 29 war nicht Teil der stadtbürgerlichen Ordnungen allein, sie war Bestandteil auch der verfaßten politischen Ordnung zwischen Landesherr und Landständen, zwischen Kaiser und Reichsständen. 30 Mit der Intensivierung der Religionsfrage seit dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts verdichtete sich zwar die Legitimität des Modells, drohte aber zugleich dadurch aus den Angeln gehoben zu werden, daß die weltliche Obrigkeit als unchristliche Obrigkeit aus dem Konsens über Herrschaft ausgenommen werden konnte. Das Verhältnis zwischen Kirche und Welt mußte in das Konsensmodell integriert werden. An dieser Stelle setzte die politica Christiana, die christliche Lehre von der Ordnung des Politischen, an. Indem sie unter anderem an die spätmittelalterliche Lehre von den drei Ständen anknüpfte 31 , stellte sie ein eigenständiges Modell konsensgestützter Herrschaft in Gestalt der Wechselseitigkeit der Steuerungsmechanismen des Politischen und des Religiösen zur Verfügung. 3. Es ist kennzeichnend für die gegenwärtige Forschungsdiskussion, daß die auch von den Zeitgenossen so betitelte politica Christiana zwar erwähnt wird, aber nur wenig weiterführendes Interesse fand. 32 Aus dem Anfang des

28

Diese Aussage ist für die Forschungen von Peter Blickle stets kennzeichnend gewesen: „Republikanismus ist für mich eine Erkenntiskategorie, die keinenswegs eine begriffliche Entsprechung in der Frühneuzeit benötigt"; vgl. ders., Deutsche Untertanen. Ein Widerspruch. München 1981, 142 u. ö. 29 Es ist zu unterstreichen, daß auch in der Forschung zur mittelalterlichen Geschichte diese Form der konsensualen Herrschaft in wachsendem Maße an Interesse gewinnt; vgl. dazu Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig/Sigrid Jahns/Hans-Joachim Schmidt/Rainer Christoph Schwinges/Sabine Weiers (Hrsg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Fschr. für Peter Moraw. (Historische Forschungen, Bd. 67.) Berlin 2000, 53-87. 30 Siehe dazu jüngst die verschiedenen Untersuchungen zu den Bünden im Alten Reich: Carl, Der Schwäbische Bund (wie Anm. 13), Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund (wie Anm. 13), und schließlich Friedeburg (Hrsg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 1). 31 Zur Wiederbelebung der spätmittelalterlichen Drei-Stände-Lehre vgl. Luise SchornSchutte, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch, in: Bemd Moeller (Hrsg.), Die Reformation als Umbruch. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 199.) Gütersloh 1998, 435-461; zur mittelalterlichen Struktur der Drei-Stände-Ordnung Otto Gerhard Oexle, Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Wissens, in: Graus (Hrsg.), Mentalitäten (wie Anm. 12), 65-117. 32 Eine ausdrückliche Würdigung bei Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 4); eine Würdigung und kritisch-anregende Deutung auch zuletzt in verschiedenen Arbeiten des

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18. Jahrhunderts stammt folgende Definition: „Politicam non ex ratione status, sed ex christianissimis principiis, deduxerunt, vel saltim cum iisdem combinarunt alii". 33 D i e politica Christiana unterschied sich von den als dominant charakterisierten Richtungen dadurch, daß die prinzipielle Trennung von Politik und Religion als gänzlich unnötig erachtet wurde, da die politische Herrschaft Teil der christlichen Schöpfungsordnung sei und bleibe. Sie findet sich konfessionsübergreifend und besaß deshalb eine enorme Praxiswirkung, weil sie die für die Gestaltung der Welt erforderlichen Prinzipien in der Bibel formuliert sah. Dementsprechend häufig ist die Berufung auf sie in den zahlreichen konfessionspolitischen Konflikten seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts. U m so erstaunlicher ist es, daß die politica auf ihre systematischen Konstituenten hin kaum untersucht worden ist. In der Forschung der siebziger und achtziger Jahre wird sie als quietistisch-konservativ und rückwärtsgewandt beschrieben 3 4 ; dies allerdings trifft die frühneuzeitliche Realität nicht, wird die politica Christiana doch gerade in praxisnahen Regimentsentwürfen, in radikaler Zeitkritik und in utopischen Gesellschaftsentwürfen realisiert. Lediglich aufgrund des noch immer dominanten Maßstabes des Modernerwerdens von sozialen und politischen Ordnungen 35 können alle diejenigen Deutungs-

Politologen Peter Nitschke, Staatsräson kontra Utopie? Von Thomas Müntzer bis Friedrich II. von Preußen. Stuttgart/Weimar 1995, ders., Einführung in die politische Theorie (wie Anm. 8), mit einem eigenen Kapitel, und ders., Zwischen Innovation und Tradition (wie Anm. 9). Im Blick auf die Differenzierungen innerhalb der politica Christiana ist der Aufsatz von Wolfgang Sommer, Obrigkeitskritik und die politische Funktion der Frömmigkeit im deutschen Luthertum des konfessionellen Zeitalters, in: Friedeburg (Hrsg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 1), 245-263, bemerkenswert. Er zieht die Linie der politica Christiana zeitlich noch sehr viel weiter aus, als hier angenommen wird (ebd. 252 ff.). Eine Zusammenführung der verschiedenen Chronologien hängt von der Bestimmung des Kerns der politica Christiana ab. 33 CarlArnd, Bibliotheca politico-heraldica, hoc est Recensus Scriptorum ad Politicam atque heraldicam. Rostock/Leipzig 1705, 103, zitiert aus: Wolfgang Weber, Staatsräson und Christliche Politik: Johann Elias Keßlers Reime und Unverfälschte Staats-Regul (1678), in: Enzo A. Baldini (Ed.), Aristotelismo politico e ragion di stato. Florenz 1995, 157-180, hier 157. 34 Horst Dreitzel, Der Aristotelismus in der politischen Philosophie Deutschlands im 17. Jh., in: Eckhard Keßler/Charles H. Lohr/Walter Sparn (Hrsg.), Aristotelismus und Renaissance. In memoriam Charles B. Schmitt. (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 40.) Wiesbaden 1988, 163-192, hier 171, lehnt diese Charakterisierung mit weiteren Nachweisen ausdrücklich ab; die negative Wertung der „Rückentwicklung" formulierte wiederholt Horst Denzer, Spätaristotelismus, Naturrecht und Reichsreform: Politische Ideen in Deutschland 1600-1750, in: Iring Fetscher/Herfried Münkler (Hrsg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen. Bd. 3. München/Zürich 1985, 233-273, hier 237 f. 35 Eine Skizze der Kritik und ihre weiterführende Verarbeitung bei Wolfgang Reinhard, Sozialdisziplinierung - Konfessionalisierung - Modernisierung. Ein historiographischer Diskurs, in: Nada Boskovska-Leimgruber (Hrsg.), Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft. Forschungstendenzen und Forschungserträge. Paderborn 1997, 39-55.

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muster der Zeitgenossen beiseite geschoben werden, die aus der Sicht der Historiker des 20. Jahrhunderts „unzeitgemäß", ohne Kulturbedeutung (Max Weber) gewesen zu sein scheinen. Dies aber entspricht dem gegenwärtig erreichten Reflexionsniveau politischer Theoriegeschichtsschreibung nicht mehr. Geht man mit Skinner und Pocock davon aus, daß politische Ideen und Ideenkomplexe als Antwort und als Eingriff in gesellschaftlich-operative Paradigmen zu verstehen seien36, die die Autoritäts- und Wertstruktur sozialer Ordnungen beschreiben, in Frage stellen oder legitimieren können, dann kann es nicht mehr nur darum gehen, eine dominante Richtung herauszustellen, die den Mythos einer linearen Entwicklung europäischen politischen Denkens stützt. Es muß vielmehr darum gehen, die Spannungsmomente zu charakterisieren, die die Lebensordnungen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts geprägt haben und die sich für den Historiker eben auch in der politiktheoretisch fundierten Legitimation von Ordnungen oder von Institutionen greifen lassen. In den folgenden Untersuchungen wird deshalb den Existenzbedingungen und theoretischen Ausprägungen der politica Christiana im Alten Reich seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts nachgegangen, das heißt ihrer funktionalen Bedeutung, ihren Trägergruppen, den Mitteln ihrer Durchsetzung und ihren „Leitideen". Dieser Versuch setzt voraus, daß die Normen und Deutungsmuster, die die politica Christiana umfaßte, in der zeitgenössischen Gesellschaft kommuniziert wurden; insofern kann sie als „politisches Vokabular" 37 jener Gemeinschaft aufgefaßt werden.

II. Konfliktfelder Die politica Christiana begegnet in materiell verschiedenen Konzeptionen38; diejenige aber, die in sehr konkreten Auseinandersetzungen immer wieder in Erscheinung trat, war die Drei-Stände-Lehre. Sie diente der Rechtfertigung des Anspruches auf Verteilung politischer Herrschaftskompetenz. Der Vergleich chronologisch aufeinander folgender Konflikte, innerhalb derer die Drei-Stände-Lehre als Argumentationsbasis diente, zeigt deutliche Veränderungen der Gewichtungen; sie gilt es im folgenden zu skizzieren.

36

So die Charakterisierung im einführenden Aufsatz von Hartmut Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie. Der Beitrag der „Cambrigde-School" zur Metatheorie, in: PVS 35, 1994, H. 2, 197-223. 37 Zum Einsatz des Konzeptes der politischen Sprache vgl. die Einleitung zu diesem Band (S. 1-12). 38 Siehe dazu Dreitzel, Aristotelismus (wie Anm. 34).

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Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht 1. Das „ Wächteramt Auseinandersetzungen

der

Geistlichkeit":

um das Interim

1548/50

a) In den protestantischen Städten und Territorien des Alten Reiches sind seit den vierziger Jahren und erneut seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts eine Fülle von Auseinandersetzungen zwischen weltlicher Obrigkeit und Gruppen der neuen Geistlichkeit zu verzeichnen, über deren Einordnung in die zeitgenössische politische Diskussion noch weitgehende Unkenntnis herrscht. Als Antwort auf das Drängen des Kaisers, das Augsburger Interim anzunehmen, formierte sich im ganzen Reich, mit Schwerpunkt in den norddeutschen Territorien und Städten Ablehnung mit dem Hinweis darauf, daß Stände und Obrigkeiten andernfalls die gesamte Reformation verraten würden, würden sie doch zugeben, Unrechte Lehre und falschen Gottesdienst geübt zu haben. Eine Obrigkeit also, „die das Interim annehme, [versündige] sich gegen Gott und [verfehle] ihr Amt [den Schutz des rechten Gottesdienstes]" 39 ; deshalb müsse man sich ihr in dieser Sache widersetzen. Diese Position, wie sie neben vielen anderen Predigern 40 zum Beispiel auch der Bremer Pfarrer Johannes Timann 1548 als Ratschlag für die Bremer Stadtobrigkeit formulierte, knüpfte an die von Johannes Bugenhagen und Nikolaus von Amsdorff bereits seit 1523 vertretene Auffassung an 41 , dehnte sie nun aber auch auf die Untertanen aus. Da man die erkannte göttliche Wahrheit höher achten müsse als alle weltlichen Dinge, sollten die Untertanen für den Fall,

39

Wolf-Dieter Hauschild, Der theologische Widerstand der lutherischen Prediger der Seestädte gegen das Interim und die konfessionelle Fixierung des Luthertums, in: Bernhard Sicken (Hrsg.), Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches. Beiträge zum Zeitalter Karls V. Franz Petri zum Gedächtnis (1903-1993). (Städteforschung, Rh. A, Bd. 35.) Köln 1994, 253-264, hier 259. 40 Im Rahmen eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes zur Bedeutung dieser Konflikte um das Interim sind in Frankfurt am Main etliche der erwähnten Auseinandersetzungen im ganzen Reich mit Schwerpunkt auf die nord- und mitteldeutschen Regionen identifiziert und archivalisch aufbereitet worden. Sie werden derzeit in einer inhaltlichen Analyse vergleichend ausgewertet. Als Basis dienen folgende Auseinandersetzungen: für das Herzogtum Pommern der Konflikt zwischen dem Stralsunder Superintendenten Johannes Freder und dem Prediger Alexius Grothe (unter anderem Stadtarchiv Stralsund: HS Nr. 155, Staatsarchiv Stettin: Rep. 5, Tit. 1), für das Herzogtum Mecklenburg die Auseinandersetzungen in den Hansestädten Wismar und Rostock (unter anderem Stadtarchiv Rostock: Nr. 1.1.3.10/1.1.3.15, Mecklenburgisches Landeshauptarchiv Schwerin: Nr. 2.1-3/4), für den mitteldeutschen Raum die Auseinandersetzungen zwischen den Theologen in Magdeburg/Torgau und Wittenberg/Leipzig (unter anderem Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden: Geheimer Rat Loc. 10298/2). 41 Zur Stellung Bugenhagens zur Notwehrfrage vgl. den aufschlußreichen Aufsatz von Wolgast, Johannes Bugenhagens Beziehungen (wie Anm. 12); die Texte der Gutachten bei Heinz Scheible (Hrsg.), Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523-1546. (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Bd. 10.) Gütersloh 1982; zum Ganzen mit Hinweis auf die Kontinuität zum mittelalterlichen Notwehrdiskurs Böttcher, Ungehorsam (wie Anm. 12), sowie Schorn-Schiitte, Politikberatung (wie Anm. 14), 56-58.

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Luise

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daß Kaiser, Bürgermeister oder Fürsten befehlen, das Unrecht (das Interim) hinzunehmen, diese meiden und ihnen nicht gehorchen.42 Den Predigern als der gewissermaßen dritten Kraft komme in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, auf das Unrecht öffentlich aufmerksam zu machen.43 Da es sich um einen Strukturkonflikt handelte, finden sich diese Kontroversen nicht nur in den großen Reichsstädten, sondern ebenso dicht in ländlichen und kleineren städtischen Gemeinden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Konflikt des Pfarrers Sigismundus Cephalus mit seinem Landesherrn, der sich gleichfalls im Jahr 1548 im Zusammenhang mit der Einführung des Interims entfaltete.44 Cephalus breitet eine reiche Palette theologischer Rechtfertigungen für die obrigkeitskritische, schließlich Gehorsam verweigernde Haltung der Geistlichkeit gegenüber einer Obrigkeit aus, die die Pfarrer daran hindern will, die unchristliche Lehre des Papsttums öffentlich anzuprangern. Damit machten sich diese Regenten ebenso wie ihre Räte, die „weltlichen Klüglinge", wie Cephalus sie nennt45, zu Handlangern des Antichrists, des Papsttums also. Angesichts solcher „Gegenlehrer" seien die Pfarrer verpflichtet, „Notwehr" in der Art zu üben, daß man die Leute vor dem Betrug, der falschen Lehre öffentlich warne und die Regenten öffentlich strafe. Dieser Pflichtenzuweisung liegt die von Cephalus ausdrücklich zitierte Drei-StändeLehre zugrunde: Ebenso wie es der weltlichen Obrigkeit geboten sei, das Unrecht zu strafen, habe sowohl der Hausvater die Aufgabe, das Gesinde und die Kinder um ihres Unverstandes willen zu strafen als auch Lehrer und Prediger 42

Eine sehr ähnliche Argumentation trägt auch der Torgauer Superintendent Gabriel Didymus in seiner Schrift „Auff die vntterredung so noch vbergebung, der schrifftenn, die neue kirchenordnung belanngend" Torgau 1549 vor, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar: Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. M: Interim, Pag. 435, Nr. 12. In verschiedenen Predigten unter anderem in Gegenwart des Kurfürsten Moritz spricht er sich öffentlich gegen die Leipziger Kirchenordnung (sogenanntes Leipziger Interim) aus. In jener Schrift wider das Interim legitimert er diese Haltung mit dem Hinweis darauf, daß auch die Obrigkeit dem ersten Gebot Gehorsam zu leisten habe, wenn sie dies nicht tue, seien Prediger und Gemeinden nicht mehr verpflichtet, dieser Obrigkeit, die den Teufel anbete, gehorsam zu leisten. Siehe dazu auch die Hinweise in Anm. 40. 43 Hauschild, Der theologische Widerstand (wie Anm. 39). 44 Über die konkreten Hintergründe des Konfliktes ist kaum etwas herauszufinden; lediglich die ausführliche Einleitung des Cephalus zu seiner Schrift gibt einige Informationen zum Geschehen. Hinter dem Pseudonym Sigismundus Cephalus verbirgt sich Hartmann Beyer, Prediger in Frankfurt am Main. 45 Sigismundus Cephalus, Warer Grundt vnnd beweisung / das die vnrecht handien / die jren Predigern verbieten / das Antichristisch Bapstumb mit seinen greweln zustraffen / Welche den heyligen geyst in schul füren / meystern vnd leren / wie er sein ampt füren vnd reden soll / Wider die Zärtling vnd vnleidsame heyigen / die Euangelische Stände weilandt genant / die verkette weltweise klüglinge. Auch wider die heuchel / gellt / vnd bauch prediger so disen zarten klüglingen vnd weltweisen hierinnen hofteren / rechtgeben / vnd gehorchen / Und darneben andere trewe lerer / die disen vnchristlichen mandaten der Gubernatoren nicht gehorchen / vervnglimpffen vnd verdammen. Magdeburg 1551, fol. BIr, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbiittel: 172.2 Qod (6).

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„schuldig falsche lehr und allerley Sünden zu straffen, dafür zu warnen und den falschen lehrern zu widerstehen."46 b) Diese Argumentation „vor Ort" wurde begleitet von einer dichten Publizistik in Gestalt von gedruckten Predigten, Flugschriften und einer neuen Gattung, der sogenannten Hausväterliteratur. Mit Justus Menius (1499-1558) und Georg Maior (1502-1574) 47 gehören zwei Autoren in diesen Kontext, die zum engsten Kreis der ersten Generation der Reformatoren gezählt werden können. Beide hatten während des gleichen Zeitraumes (1519-1523) in Wittenberg bei Martin Luther studiert, beide gehörten zur gleichen Generation der um 1500 Geborenen, beide nahmen seit den dreißiger Jahren geistliche Führungspositionen ein. Ihre Stellungnahmen wurden breit rezipiert, sie hatten traditionsbegründenden Charakter. In zwei Schriften des Justus Menius48 werden zwei Stränge der politischtheologischen Kommunikation jener Jahre aufgenommen, die Bugenhagen schon seit der Mitte der zwanziger Jahre entfaltet hatte: die Drei-StändeLehre und die spätmittelalterliche Notwehrtradition, die als Recht der Geistlichkeit erscheint, weltliche Obrigkeit zu kritisieren (correctio principis).49 Mit seiner Hausstandslehre (1528) band Menius die Drei-Stände-Lehre in die aktuelle Debatte um die Stellung der Ehe ein; der kleine Text wurde zur praktischen Stellungnahme in turbulenten Zeiten. 50 Dabei knüpfte der Autor an die aristotelische Tradition der Gleichordnung von politischer und Hausstandsethik an, führte diese Argumentation aber selbständig weiter. Denn in seiner Interpretation bestand die Schöpfungsordnung aus einem geistlichen und einem leiblichen/weltlichen Teil; über beiden herrscht Gott, die Geistlichkeit unterstützt ihn durch die Predigt innerhalb des geistlichen Teils. Der weltliche Bereich besteht aus den beiden anderen Ständen, der politia und der oeconomia, die wechselseitig aufeinander bezogen sind, da die politia (als Regierung) dem Vorbild der oeconomia (als gute Hausführung) folgt. 46

Vgl. ebd. fol. CIIr/v. Zur Biographie von Justus Menius vgl. Martin Hein, Art. .Justus Menius", in: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 22. Berlin/New York 1992,439-442; zu Georg Maior vgl. Heinz Scheible, Art. „Georg Maior", in: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 21. Berlin/ New York 1991, 725-730. 48 Justus Menius, An die hochgeborne Fürstin / fraw Sibilla Hertzogin zu Sachsen / Oeconomia Christiana / das ist / von Christlicher haushaltung [...] Mit einer schönen Vorrede D. Martini Luther. Wittenberg 1529, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: Li 5530, sowie ders., Von der Notwehr vnterricht / Nützlich zu lesen. Wittenberg 1547, HerzogAugust-Bibliothek Wolfenbüttel: 312. 46 Theol (1). 49 Vgl. dazu mit allen Nachweisen Schorn-Schiitte, Politikberatung (wie Anm. 14), 58-60. 50 Zur Diskussion um die Ehe in der Frühzeit der Reformation siehe Stephan E. Buckwalter, Die Priesterehe in den Flugschriften der Reformation. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 68.) Gütersloh 1998, und Schorn-Schiitte, Die DreiStände-Lehre (wie Anm. 31). 47

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In der Schrift von 1547 verbindet Menius diese Hausstandsethik als politische Ethik mit der Notwehrdebatte51; die Kontroversen um das Interim ein Jahr später schließen hier nahtlos an. Mit seinem Text will der sächsischthüringische Reformator die zeitgenössisch aktuelle Frage beantworten, wie Obrigkeit zu charakterisieren sei und welche Grenzen des Gehorsams ihr gegenüber (wenn überhaupt) benennbar seien. Menius tut dies in charakteristischer Doppelung: einerseits wird der Auftrag an die Geistlichkeit formuliert, ihr Mahneramt zu üben, andererseits werden die Situationen benannt, in denen ein Notwehrrecht in Anspruch genommen werden kann. Für den Fall, daß die weltlichen Gebote Gottes Wort widersprechen, müsse die Obrigkeit als „tyrannisch" bezeichnet werden, gegen die ein Gehorsamsgebot nicht gelte. In seiner 1546 gedruckten Schrift, die sich gegen den vom Kaiser in Interimsangelegenheiten ausgeübten Zwang richtete52, nahm Maior die Argumente des Bugenhagen und des Menius auf und intensivierte sie noch einmal. Als weltliche Obrigkeit im Reich habe der Kaiser die Pflicht, wenn er denn ein „Glidmaß unsers Reichs der hailigen wahrhafftigen Christlichen Kirchen sein wil" 53 , rechte Lehre und rechten Gottesdienst zu pflanzen, zu schützen und zu verteidigen. Da er dies alles aber nicht getan habe, sich vielmehr gegen die Kurfürsten, die ihn gewählt haben, gerichtet und damit gegen alle reichsrechtlichen Grundsätze verstoßen habe, sich zudem mit dem Antichristen verbündet habe und sich schließlich gegen die christliche Gemeinde, die allein auf dem Erbe der Apostel beruhe, gewendet habe, um die „Abgötterei" wieder einzuführen, könne dieser Kaiser nicht mehr als christliche Obrigkeit bezeichnet werden. Einer solchen Obrigkeit gegenüber besteht keine Gehorsamspflicht mehr, „wer [ihr] widerstrebt / der widerstrebet nicht Gottes / sonder des Teufels Ordnung". 54 Und im Bild des Körpers bleibend charakterisiert Maior die Strafe, die der Kaiser darüber hinaus zu erwarten hat: „und [er wird] aus dem Körper der heiligen christlichen Kirche als ein Glied, das die anderen Glieder zu beschädigen droht, abgeschnitten".55 Religion und Politik sind in Maiors Argumentation unauflösbar miteinander verbunden: Der dem Reichsrecht verpflichtete Wahlkaiser ist nur dann 51

Sie war entstanden in den zeitgenössischen Polemiken um Luthers Position zum Notwehrrecht, vgl. dazu Böttcher, Ungehorsam (wie Anm. 12). Zur Schrift von 1547 weiterführend Luther D. Peterson, Justus Menius, Philipp Melanchthon and the 1547 Treatise „Von der Notwehr Unterricht", in: ARG 81, 1990, 138-157; zudem Schorn-Schütte, Politikberatung (wie Anm. 14), 58-60. Im Lutherjahrbuch 2004 werden die Ergebnisse einer Sektion zu diesem Problemkreis publiziert werden, die Schrift von Menius war dort ein zentraler Diskussionspunkt. 52 Georg Maior, Ewiger: Göttlicher / Allmechtiger Maiestat Declaration / Wider Kaiser Carl / König zu Hispanien etc. / Und Papst Paulum III. Wittenberg 1546, Herzog-AugustBibliothek Wolfenbüttel: F 1435, Heimst. 4° (20). 53 Ebd. fol. E IIV. 54 Ebd. fol. FF. 55 Ebd. fol. EIVr.

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Obrigkeit, wenn er zugleich die Fürsorgepflicht der politia als Teil der christlichen Gemeinde/Kirche wahrnimmt. Ohne explizit die Drei-Stände-Lehre verwendet zu haben, fügt sich diese Argumentation dennoch in die zeitgenössische Debatte nahtlos ein, weil Maior mit der Charakterisierung des Kaisers als ein Teil der Kirche neben anderen die auch der Drei-Stände-Lehre zugrunde liegende Vorstellung von der christlichen Gemeinschaft als corpus christianum herausstellt. Darüber hinaus expliziert er jene zweite Linie der politischen Kommunikation, die seit Luthers Charakterisierung des Papstes als apokalyptischen Tyrannen, dessen Verbündeter (miles papae) der Kaiser sei56, in den folgenden Jahren wachsende Bedeutung erhielt. c) Die auch zeitgenössisch spektakulärste und weitreichendste Wirkung hatte das im gleichen Jahr 1550 publizierte Bekenntnis der Magdeburger Pfarrer („Confessio")57, in der Geistlichkeit und Rat angesichts der drohenden Belagerung der Stadt durch kaiserliche Truppen gemeinsam ihre Ablehnung des Interims begründeten. Entstanden als Teil einer dichten Flugschriftenproduktion, die sich gegen das Interim richtete, legitimierte auch dieser Text die Gehorsamsverweigerung gegenüber dem Kaiser mit der Berufung auf die Drei-Stände-Lehre als allgemeinem Ordnungsmodell einerseits, in Anknüpfung an das reichsrechtlich legitimierte Notwehrargument andererseits. Nikolaus von Amsdorff (1483-1565), einer der Unterzeichner des Textes58, gehörte zum engsten Kreis der Wittenberger Reformatoren der ersten Generation; als akademischer Lehrer an der Wittenberger Universität, als Superintendent, schließlich als erster evangelischer Bischof von Naumburg zählte Amsdorff zu den theologischen Köpfen der Reformation. Seine vehemente Ablehnung des Interims, die auch persönliche Konsequenzen für ihn hatte, setzte ihn zwar in Fragen der politischen Strategie in Gegensatz zu Philipp Melanchthon, nicht aber in der inhaltlichen Argumentation. Denn auch Melanchthon betonte wiederholt die Relevanz der Drei-Stände-Lehre als Muster für die Ordnung der

56

Vgl. dazu Arno Seifert, Der Rückzug der biblischen Prophetie von der neueren Geschichte. Studien zur Geschichte der Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus. Köln/Wien 1990; sodann Volker Leppin, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548-1618. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 69.) Gütersloh 1999. In einer Doktorarbeit im Rahmen des DFG-Forschungprojekts „Interim" wird diese Verzahnung um die Mitte des 16. Jahrhunderts vertieft. 57 Nielas von Amsdorff/Niclas Han/Lucas Rosental/Johannes Stengel/Henning Freden/ Ambrosius Hitfeld/Johannes Baumgarten/Joachim Wolterstorff/Heinrich Gercken, CONFESSIO ET APOLOGIA PASTOrum & reliquorum ministrorum Ecclesiae Magdeburgensis. Magdeburg 1550, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: 183.28 Theol. (1); dt. Ausgabe: Bekentnis Vntemcht vnd vermanung der Pfarrhem vnd Prediger der Christlichen Kirchen zu Magdeburgk. Magdeburg 1550. 58 Zur Autorschaft sowie grundsätzlich siehe Robert Kolb, Nikolaus von Amsdorf (14831565): Populär Polemics in the Preservation of Luther's Legacy. (Bibliotheca humanística et reformatorica, Vol. 24.) Nieuwkoop 1978, u. a. 85.

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Welt 5 9 , und auch er erkannte die Legitimität eines Notwehrrechtes gegenüber einer unchristlichen Obrigkeit an. 6 0 Einige der bekannten nach Magdeburg geflüchteten

„Exules Christi", w i e Matthias Flacius Illyricus ( 1 5 2 0 - 1 5 7 5 ) oder

Nikolaus Gallus ( 1 5 1 6 - 1 5 7 0 ) , gehörten schon zur zweiten Generation der protestantischen Theologen 6 1 , die ihrerseits aufgrund gemeinsamer Studien- und Amtszeiten s o w i e verwandtschaftlicher Beziehungen ein dichtes Kommunikationsnetz aufgebaut hatten 62 , mit dessen Hilfe die in der „Confessio" verdichteten Argumentationslinien auch für die folgende Generation verfügbar blieben. D i e 1548/50 gemeinsame Position bezog sich auf zwei Fragen, deren Beantwortung den Inhalt der „Confessio" ausmachte: Wer kann wann das Notwehrrecht für sich in Anspruch nehmen? Und: wieweit geht das Schutzrecht der weltlichen Obrigkeit gegenüber der Kirche? Zur Beantwortung der zweiten Frage bediente sich die „Confessio" der Drei-Stände-Lehre. In Anknüpfung an die zeitgenössischen Argumente ging die Schrift von der parallelen Existenz einer Ordnung der Kirche und einer Ordnung des „weltlichen und Hausregiments" aus. 6 3 Alle drei Ordnungen seien Gottes Ordnung, ihre in59

Siehe zum Beispiel Melanchthons Rede „De Misnia" von 1553; dazu die ausführliche Kommentierung durch Hans-Peter Hasse, Melanchthons Lobrede auf die Region Meißen (1553), in: Michael Beyer/Andreas Gössner/Giinther Wartenberg (Hrsg.), Kirche und Regionalbewußtsein in Sachsen im 16. Jahrhundert. (Leipziger Studien zur Erforschung von regionalbezogenen Identifikationsprozessen. Bd. 10.) Leipzig 2003, 101-150. 60 Vgl. Wolgast, Melanchthon als politischer Berater (wie Anm. 12). 61 Die Einteilung erfolgt innerhalb eines biographischen Corpus von 70 Theologen aufgrund der Geburtsjahre: I = bis 1500 (unter anderem Nikolaus von Amsdorff, Justus Menius); II = bis 1525 (unter anderem Matthias Flacius Illyricus, Thomas Rorarius), III = bis 1550 (unter anderem Andreas Oslander, Conrad Schlüsselburg). - Diese Theologengruppe stand insbesondere im Zusammenhang der Auseinandersetzungen um das Interim und die Veröffentlichung der ablehnenden Haltung der Theologen in engem Austausch mit Melanchthon. Olson hat soeben dargelegt, daß in diesen Kontroversen die Frage im Mittelpunkt stand, wer das Recht hat, über die theologischen Wahrheiten zu entscheiden. Während Melanchthon für geheime Verhandlungen eintrat, und so im Interesse der Konfliktvermeidung die Einheit der drei Stände, aus der die Gemeinde bestand, aufzugeben bereit war, betonten Flaccius und zahlreiche andere Theologen der jüngeren Generation die Notwendigkeit der öffentlichen, die Kirche als Einheit dokumentierenden Auseinandersetzung: „To negotiate in private, he wrote, was to treat members of the church like serfs." Oliver K. Olson, M. Flaccius and the Survival of Luthers Reform. (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, Bd. 20.) Wiesbaden 2002, 96. 62 Flacius und Gallus begegneten sich zu Zeiten der Auseinandersetzungen um das Interim in Wittenberg. Gallus hatte dort bereits 1530 bis 1540 studiert und war durch Bugenhagen ordiniert worden. Zusammen mit anderen Regensburger Geistlichen lehnte er das Interim ab und floh wie diese nach Nürnberg. Auf Vermittlung Melanchthons übernahm Gallus im Sommer 1548 die Vertretung des erkrankten Kaspar Cruciger in Wittenberg, wo auch Flacius als Professor für Hebräisch tätig war. Ein Jahr später verließ er Stadt und Universität und zog mit seiner Familie nach Magdeburg. Vgl. hierzu Hartmut Voit, Nikolaus Gallus. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte der nachlutherischen Zeit. (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, Bd. 54.) Neustadt an der Aisch 1977. 63

Amsdorff u. a., Confessio (wie Anm. 57), fol. GIIIr.

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nere Struktur sei vergleichbar. Während es in der Kirche Prediger und Zuhörer gebe, gebe es im weltlichen und im Hausregiment Obrigkeiten und Untertanen. Die Regimente/Ordnungen sollten zwar nicht wechselseitig in ihre Aufgaben eingreifen, aber jedes Regiment solle dem anderen dienen. Das weltliche Regiment habe deshalb in erster Linie die Aufgabe, den Bestand der Kirche, des geistlichen Regiments also, zu schützen. Da es dessen Aufgabe sei, das Wort Gottes zu lehren und den Gebrauch des Sakraments zu sichern, ferner die Zuhörer zum rechten Leben anzuhalten, müsse es dem weltlichen Regiment auch um den Schutz dieser Inhalte gehen. An dieser Stelle ist die Verbindung von Drei-Stände-Lehre und Notwehrargument angesiedelt. Denn gegenüber einer weltlichen Obrigkeit ebenso wie gegenüber einem Hausvater, die diesen Schutz nicht sicherstellen, vielmehr Untertanen bzw. Hausgesinde vom Gotteswort wegführen oder zu gottlosem Handeln verpflichten wollen, ist das Recht des Widerstehens, der Notwehr gegeben. 64 Die Begründung ist diejenige, die bereits Bugenhagen formuliert hatte: Angesichts solcher Pflichtverletzung ist die Obrigkeit nicht mehr Obrigkeit. „Wenn sie aber auch in dem fürhaben sind / das sie ausrottung der religion und guter sitten suchen / unnd die ware religion unnd erbarkeit verfolgen / so entsetzen sie sich ihrer selbst / das sie nicht mehr für Obrigkeit oder Eltern inn dem selben können gehalten werden / wider für Gott noch für den gewissen ihrer unterthanen."65 Angesichts der Verschärfung der Gegensätze innerhalb des protestantischen Lagers hatte diese Aussage der „Confessio" durchaus eine doppelte Stoßrichtung: Sie rechtfertigte Notwehr gegenüber dem unchristlichen Kaiser ebenso wie gegenüber einer unter Umständen auch protestantischen Obrigkeit, sofern diese auf die „Ausrottung der Religion" ziele. Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß es ein Irrtum aller zeitgenössischer Obrigkeit sei, zu behaupten sie „sey gar unstrefflich".66 Die größte Gefahr gehe davon aus, daß einerseits die Obrigkeit ihre Schutzfunktion gegenüber dem geistlichen Stand mißachte, andererseits die Grenze zwischen beiden Ordnungen überschritten werde. In dieser Situation habe die Geistlichkeit als Trägerin des geistlichen Regiments eine besondere Mahner- und Wächterfunktion; die Gleichrangigkeit beider Ordnungen wird dadurch erneut betont. Die Diskussionen im Umkreis des Interims gingen, so läßt sich zunächst resümieren, von der Gemeinsamkeit der drei Stände aus; eine Trennung von Religion und Politik war nicht denkbar, vielmehr ihre Zuordnung auf einer Ebene der Gleichrangigkeit zentrales Thema. Diese Zuordnung erschöpfte sich nicht in der Beschreibung von Machtsphären, sondern stellte sich dar als 64 65 66

Ebd. Ebd. fol. GIIIV. Ebd. fol. GIVV.

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eine Frage nach den Entscheidungsräumen theologischer, geistlicher Wahrheiten. Deren Regelung konnte immer nur von allen drei Teilen der christlichen Gemeinde zusammen vorgenommen werden. 67 2. „Die Weltliche Obrigkeit ist nur ein Stand innerhalb der Kirche". Das corpus christianum als Modell sozialer Ordnung in Konflikten des ausgehenden 16. Jahrhunderts In der Interimskrise wurden generationenbezogene Unterschiede im Blick auf die Gestalt der Kirche und deren Realisierung in der alltäglichen Politik sichtbar. Große Teile der zweiten und der dritten Generation der reformatorischen Theologen verfochten eine „wahrheitsliebende", weil kompromißlose Linie, in der Forschung werden sie als Gnesiolutheraner bezeichnet. 68 Ihre Vorstellung von der Gestalt der Kirche war präzise und sah sich in der unmittelbaren Tradition Luthers. Eine Unter- und Überordnung zwischen Kirche und Welt gibt es nicht, alle drei Stände stehen gleichberechtigt nebeneinander und bilden das corpus christianum. Die Realität in den Territorien des Reiches war seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts durch zahlreiche Konflikte zwischen der neuen protestantischen Geistlichkeit und ihrer jeweiligen weltlichen Obrigkeit gekennzeichnet. Die ältere Forschung betrachtete dies als Ergebnis einer streitsüchtigen Theologenmentalität, übersah aber, daß es sich in allen Fällen um das Ergebnis ein und desselben Strukturkonfliktes handelte, das Abgrenzungsproblem, das Kräfteverhältnis nämlich zwischen den drei Ständen der Kirche. 69 a) Diese Konfliktlage wurde sehr gut deutlich in der Auseinandersetzung zwischen dem ernestinisch-sächsischen Landesherrn Herzog Johann Friedrich dem Mittleren (1529-1595) und den Professoren der theologischen Fakultät seiner Landesuniversität Jena, der in den Jahren 1560/61 ausgetragen wurde. 1557 war Flacius Illyricus, Kopf des orthodoxen Luthertums, nach Jena berufen worden. Schon drei Jahre später standen sich der Herzog und Flacius in erbittertem Konflikt gegenüber. Grund dafür war die verschärfte Zensur theologischer Schriften und das Verbot öffentlicher Kritik von den Kanzeln des Landes durch den Herzog, eine Politik also, die sich im Rahmen der Frankfurter Vereinbarungen von 1559 zur Durchsetzung der von Melanchthon im „Corpus Doctrinae Christianae" niedergelegten Lehrformeln bewegte. Während Johann Friedrich die Kanzelkritik und die Zuchtpraxis der Theologen als Eingriff in 67

So auch die Argumentation bei Hauschild, Der theologische Widerstand (wie Anm. 39), 260. 68 Eine exzellente Studie zum Kopf dieser Gruppe gibt Oison, M. Flaccius (wie Anm. 61). 69 Vgl. dazu Luise Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 62.) Gütersloh 1996, 390-452.

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das Amt weltlicher Obrigkeit, den Aufgabenbereich des status políticas also betrachtete, gegen den er legitimerweise vorzugehen habe, bezeichneten Flacius und andere vom Publikations- und Predigtverbot betroffene Kollegen dieses als Eingriff in das Amt des status ecclesiasticus, an das sie sich deshalb nicht zu halten hätten. Statt dessen veröffentlichten sie zahlreiche Streitschriften, in denen das Vorgehen des Landesherrn als beginnende Tyrannei gebrandmarkt wurde. Diese dürfe der status ecclesiasticus nicht dulden, denn Gott habe die Geistlichkeit beauftragt, stets die Wahrheit zu bezeugen ohne Rücksicht auf die Macht derjenigen, die sie kritisiere. Der magistratus politicus sei nicht die Kirche selbst oder gar ihr Haupt: „gubernator politicus neque ipsa Ecclesia est ñeque caput eius". 70 Entscheidungen über Lehre und Lehrnormen, die die Lebenspraxis betreffen, könnten nur mit Zustimmung der übrigen Stände der Kirche getroffen werden: „Quin nec vero quidem episopo liceret, quique tale decernere sine deliberatione, consensu ac iudicio Ecclesiae."71 Die Gegenposition des Landesherrn, in Gutachten juristisch und theologisch geschulter Berater formuliert72, anerkannte ausdrücklich, daß der magistratus politicus als christliche Obrigkeit nur ein Teil der ganzen Kirche sei: „toti Ecclesiae, cuius membra cum sit pius princeps".73 Aber mit dieser Einordnung sei die Funktion christlicher Obrigkeit notwendig verbunden: „At politico Magistratui commendata est custodia utriusque tabulae" 74 ; der Obrigkeit sei die Pflicht anvertraut, über die Einhaltung beider Tafeln der Zehn Gebote zu achten, das heißt, sowohl die Verkündigung der theologischen Wahrheiten als auch die Wirkungen der Kirche in die Welt zu sichern. Für beide Seiten war demnach das Ordnungsmodell der drei Stände unbestritten, die Drei-Stände-Lehre war Soziallehre. Während sich aber die lutherische Geistlichkeit gegenüber einem tyrannischen gubernator politicus mit der Betonung des Rechtes der beiden anderen Stände zu wehren versuchte, verwies die weltliche Obrigkeit auf ihre besondere Verantwortung als pius magistratus, als christliche Obrigkeit. b) Diese Konflikte waren keineswegs ein Streit zwischen gelehrten Theologen der Universität und dem Landesherrn allein; die zeitgleichen Auseinandersetzungen unter anderem im benachbarten albertinischen Sachsen belegen, daß die politica Christiana auch in den Auseinandersetzungen zwischen Ge70

Gutachten „Gravissimae causae, cur forma et norma Consisterli publice iam edita in pluribus partibus pie probari non possit", Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: Cod. Guelf 11,9, Bll. A5-A1, zit. nach Martin Kruse, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte. (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, Bd. 10.) Witten 1971,62. 71 Ebd. 72 Caspar Molitor, Responsio brevis ad sophistica et tumultuaria Flacianiorum argumenta, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: Cod. Guelf 11,7, Bll. 197-202. 73 Zitat nach Kruse, Speners Kritik (wie Anm. 70), 62 f. 74 Ebd.

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meindegeistlichkeit, Landesherr und adligem Patronatsherrn als Argumentationsbasis diente. Dort hatte Kurfürst August (1526-1586) 1560 in einem Mandat die Anschaffung des umstrittenen „Corpus Doctrinae Christianae" für alle Gemeinden vorgeschrieben, womit zugleich die Verpflichtung für die Geistlichkeit verbunden war, ihre Predigten an den theologischen Positionen des „Corpus" auszurichten. Die kurfürstliche Maßnahme allerdings stieß sowohl unter Pfarrern als auch unter einigen adligen Patronatsherren auf nachdrücklichen Widerstand.75 Unter anderem Graf Wolfgang von Schönburg und sein Glauchauer Superintendent Mag. Nikolaus Beheim lehnten gemeinsam mit dem Prediger in der Landstadt Penig, Mag. Bartholomäus Wagner, die Anordnung des Kurfürsten ab. Die Geistlichen empfahlen dem Patronatsherren sogar, gänzlich auf die Einführung des „Corpus Doctrinae" zu verzichten. In einem für jenen eigens verfaßten Gutachten zur theologischen Begründung ihrer Empfehlung werden zahlreiche theologische Unterschiede zwischen dem „Corpus" und der Position der Prediger zu Zeiten des Interims nachgewiesen; dessen Anerkennung würde dazu führen, daß alle diejenigen, die 1548 die Ablehnung des Interims mitgetragen hätten, nachträglich verurteilt würden. Deshalb könnten weder sie selbst noch ihre Gemeindeglieder das Bekenntnis annehmen. In einem weiteren Gutachten für das Konsistorium stellten beide Theologen fest, daß die weltliche Obrigkeit nicht das Recht habe, Zeremonien und geistliche Bräuche ohne Zustimmung der anderen Stände der Kirche zu ändern. Da es sich um einen Eingriff in das Amt der Geistlichkeit handele, habe diese nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich zu widersetzen, eine daraus herrührende Amtsenthebung sei widerrechtliche Gewaltanwendung.76 Nicht nur die Berufung auf die Drei-Stände-Lehre hatte legitimitätsstiftenden Charakter für die aktuell ablehnende Haltung der Geistlichkeit, sondern auch der Hinweis auf die seinerzeit einhellige Ablehnung des Interims; in der gemeinsamen Abwehr des Eingriffs eines unchristlichen Kaisers hatte sich die Einheit des corpus christianum bewährt, dazu gehörte das Wächteramt der Geistlichkeit. Theologische Aspekte verbanden sich mit der im Entstehen begriffenen lutherischen Tradition; beides gewann eine sehr aktuelle politische Wirkung, indem es die „Bündnisbildung" zwischen Landadel und Geistlichkeit gegen den Landesherren begünstigte.77 Wagner, jener Pfarrer aus der 75

Zum Folgenden siehe die Überlieferung im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar: Reg. N, Pag. 345, Nr. 597-605. Ich danke den Mitarbeiterinnen am Interimsprojekt Frau Moritz, Frau Wartenberg und Frau Grüter sehr für die Aufarbeitung einiger Konflikte, mit deren Hilfe die Forschungen zur politica Christiana erheblich weitergeführt werden konnten. Die archivalische Überlieferung zu Wagner wurde von Frau Anja Moritz aufgearbeitet, sie wird in ihrer in Arbeit befindlichen Dissertation weiter entfaltet werden. 76

Ebd. fol. 13r. Zu entsprechenden Verbündungen zwischen Adel und lutherischer Geistlichkeit in zahlreichen anderen Territorien des Reiches seit dem Ende des 16. Jahrhunderts vgl. SchornSchütte,, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 69), 390-452. 77

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Landstadt Penig, hatte diese Position bereits 1553, also noch vor den Auseinandersetzungen um das „Corpus Doctrinae" von 1560 in einer Schrift publiziert, die unter dem Titel „Christliche Auslegung des schönen und herrlichen spruches Christi / gebet dem Keiser / was des Keisers ist / und Gotte / was Gottes ist" in Leipzig erschienen war.78 Mit der Auslegung gerade dieses Textes aus dem 22. Kapitel des Matthäus-Evangeliums knüpfte Wagner an die Debatte an, die wie skizziert, unter anderem durch Maior mit dem Ziel geführt worden war, die Rechtmäßigkeit der Kritik an bzw. des Ungehorsams gegenüber einem unchristlichen Kaiser als miles papae zu belegen. Wie Maior charakterisierte auch Wagner die weltliche Ordnung als corpus christianum, das aus der Gemeinsamkeit der von Gott eingesetzten Stände besteht.79 Dazu gehört neben dem Stand der Obrigkeit, der die Herrschaft führt, bei Wagner als „res publica" bezeichnet80, der Stand der Lehrer und Prediger, der Stand der Eltern, schließlich der Stand der Witwen und Waisen. Alle sind von Gott eingesetzt; die Obrigkeit regiert also nicht aus eigener Kraft, sondern hat alle Würde von Gott erhalten, ihm gegenüber hat sie Rechenschaft abzulegen. Damit sind die Grenzen weltlicher Herrschaft deutlich benannt. Die Prediger müssen als Delegierte, als Gesandte Gottes betrachtet und gewürdigt werden, ihre Verfolgung wird geahndet, „kein Tyrann unnd feind der armen Lerer [werden] eines guten tods sterben".81 Damit die weltliche Obrigkeit ihre Aufgaben erfüllen kann, ist jedermann verpflichtet, ihr gehorsam zu sein, sie zu ehren, nicht zuletzt Steuern zu zahlen. Denn nur wenn sie über ausreichende Mittel verfügt, kann sie Land und Leute vor Angriffen retten, „sich zur gegenwehr gefaßt machen". 82 Ausdrücklich wird die Beziehung zwischen Obrigkeit und Untertanen als eine beschrieben, die auf der Wechselseitigkeit der Pflichten und Rechte beruht. Deshalb auch gibt es verschiedene Situationen, in denen „wir der Oberkeit gehorsam zu leisten / nicht schuldig sind / sondern viel mehr ungehorsam zu sein pflichtig".83 Das gilt insbesondere dann, wenn die Obrigkeit verlangt, gegen Gottes Wort zu handeln: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Es gilt weiter auch dann, wenn die Obrigkeit die 78

Bartholomäus Wagner Weißenfels, Christliche Auslegung des schönen und herrlichen spruches Christi / gebet dem Keiser / was des Keisers ist / und Gotte / was Gottes ist. Leipzig 1554, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: 283.27 Theol. (11). Biographische Angaben zu Wagner liegen nur spärlich vor: erwähnt wird er als Diakon an der ThomasKirche in Leipzig, sodann seit 1556 Pfarrer in Penig. Bartholomäus Wagner scheint eine Übersetzung des Katechismus des Erasmus Sarcerius angefertigt zu haben, Sarcerius war ebenfalls einer der scharfen Kritiker des Interims aus der ersten Generation der Reformatoren. Siehe dazu E. Eckardt, Chronik von Glauchau. Glauchau 1882, 97 ff. und 321 ff. 79 Wagner Weißenfels, Christliche Auslegung (wie Anm. 78), fol. HIIIV. 80 Ebd. fol. DIIV: „non est respublica salva, quam non gubernant viri sapientes. - do ist kein glückseliges regiment / do nicht weise leut regieren." 81 Ebd. fol. LIr+v; IIr. 82 Ebd. fol. DIV. 83 Ebd. fol. MIVV.

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Untertanen zwingt, die Sakramente anders zu nehmen oder zu geben, als der Gebrauch durch Christus eingesetzt wurde. Weil die Obrigkeit Dienerin Gottes ist, muß sie die Ungerechtigkeit strafen und die Gerechtigkeit schützen, dazu gehört der Schutz des wahren Glaubens (custodia utriusque tabulae). Sofern sie diese Pflicht nicht erfüllt, endet das Gehorsamsgebot für die Untertanen. c) Nicht nur im Konflikt zwischen Geistlichkeit und weltlicher Obrigkeit war die Drei-Stände-Lehre als Argument präsent. Auch in solchen Konflikten, die zwischen Gemeinde (status oeconomicus) und weltlicher Obrigkeit (status politicus) ausgetragen wurden, diente sie zur Legitimation des Anspruches auf politische Teilhabe. Naturgemäß ist die Überlieferung solcher Konflikte und ihrer Kommunikation weniger dicht. Im Zusammenhang der Kontroversen um die Entlassung oder Beurlaubung des stadtbraunschweigischen Superintendenten Polycarp Leyser (1552-1610) aber, die seit 1592 geführt wurden, war die Virulenz der Drei-Stände-Lehre auch und gerade auf Seiten der Gemeinde greifbar. Wie in den beiden sächsischen Territorien ging es auch in der Hansestadt um die Balance zwischen den drei Ständen des corpus christianum. Entscheidend war nun, daß sich die politischen Vertreter der städtischen Gemeinde, die sogenannten Bürgerhauptleute, des bekannten Argumentationsmusters bedienten, stadtbürgerliche soziale Gruppen also, die weder gelehrte Theologen noch gelehrte Juristen, sondern wohlhabende Kaufleute und Handwerksmeister waren.84 Der bei der Bürgerschaft wachsende Eindruck, daß der dem orthodoxen Luthertum zuneigende, in der Stadt sehr anerkannte Superintendent gegen seinen eigenen Willen, den Willen der Gemeinde und den Willen der Gesamtheit der Geistlichkeit durch den Rat entlassen werden sollte, führte zu scharfem Widerspruch sowohl der Bürgerhauptleute als Vertretung der Gemeinde als auch der lutherischen Geistlichkeit. Der Wunsch an der Entscheidung über Entlassung oder Berufung des führenden Geistlichen der Stadt beteiligt zu werden, sei keine Widersetzlichkeit gegen den Rat der Stadt, hieß es in einem Schreiben der Bürgerhauptleute: „Und sagte die ehrliche Bürgerschaft, als je ein führnehmes Teil und Glied der christlichen Kirchen dieses Orts / ausdrücklich / sie setzten sich in diesem nicht wider Ε. E. Raht / sondern derselben als nur ein Gliedmaß der christlichen Kirchen / setzte sich wider das Ministerium und gantze Corpus der christlichen Gemeinde".85 Und indem sie explizit an den zeitgenössischen, ständischen Beteiligungsanspruch anknüpften, formulierten die Bürgerhauptleute weiter: „Was näm84 Zum Ganzen ausführlich Schorn-Schiitte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 69), 416-421. 85 Zitat nach Jörg Walter, Rat und Bürgerhauptleute in Braunschweig 1576-1604. Die Geschichte der Brabandtischen Wirren. (Braunschweiger Werkstücke, Bd. 45.) Braunschweig 1971, 100

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lieh alle berührt, dem muß auch von allen zugestimmt werden." 86 Weltliche Obrigkeit war in diesem Verständnis Teil der Stadtgemeinde, deren andere Teile die Gemeinschaft der Hausväter einerseits, die Geistlichkeit andererseits waren. Innerhalb dieser Gemeinschaft konnte die Obrigkeit natürlich den Anspruch erheben, ein vornehmer Teil zu sein, nicht aber den Anspruch, der vornehmste Teil. Auch der Rat der Stadt Braunschweig ging in seiner Antwort von der Existenz dreier Stände aus, aus denen sich die christliche Gemeinschaft bildete. Das aber, was der sächsische Landesherr Johann Friedrich 1562 noch als Einheit betrachtet hatte, galt knapp vier Jahrzehnte später als voneinander gelöst: Kirchen- und politischer Raum waren zwei getrennte Sphären, in denen den drei Ständen jeweils unterschiedliche Funktionen zukamen. Ihre Einheit war als soziale existent, als personale war sie abgesichert in der Person des pius magistratus, der christlichen Obrigkeit also, die die Fürsorge für beide Lebensbereiche wahrzunehmen hatte. Eine Mitsprache des status ecclesiasticus oder oeconomicus im Aufgabenbereich des status politicus war ausgeschlossen. Aufgrund dieses Selbstverständnisses bezeichnete der stadtbraunschweigische Rat die Bürgergemeinde als „schlechte / gemeine Bürger, also Untertanen", deren oppositionelle Haltung in der skizzierten Berufungsfrage deshalb als „Aufruhr" betrachtet werden müsse.

3. „Pius magistratus": Zum Charakter des status politicus in der politica-christiana-Literatur des ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Die Unterschiede zwischen stadtbraunschweigischem Rat und Bürgergemeinde markieren die Positionen, die sich seit den späten sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts gegenüberstanden: der Anspruch des status politicus, die Fürsorge für weltliche und kirchliche Ordnung wahrnehmen zu müssen, führte zum Konflikt um die Grenze zwischen externum und internum, zwischen Kirche und Welt und damit zum Konflikt um den Charakter christlicher Obrigkeit, um Umfang und Rolle des status politicus innerhalb des corpus christianum. Diese Frage war stets heikel gewesen; denn mit der Definition der Aufgabe weltlicher Obrigkeit als „Wächter über beide Tafeln" hatte Melanchthon schon 1535 in den Loci communes die Grenze undeutlich gelassen: „Magistratum custodem esse non solum secundae tabulae, sed etiam primae tabulae, quod attinet ad externam diseiplinam."87 Dies allerdings nicht in der

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„Quod enim omnes tangit, ab omnibus approbari debet", so Georg Mylius, Volumen disputationum. Jena 1598, Bl. 313 r.; zit. nach Kruse, Speners Kritik (wie Anm. 70), 76. 87 Corpus Reformatorum. Bd. 21. Braunschweig 1854, Sp. 553, Zitat nach Wolgast, Melanchthon als politischer Berater (wie Anm. 12), 191 ; zum Ganzen ebendort die abwägende Charakterisierung bes. 190 ff. mit weiterer Literatur.

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Absicht, die Position des pius magistratus zu stärken, sondern mit dem Ziel, weltliche Obrigkeit an ihre Schutzfunktion für die noch junge evangelische Kirche zu erinnern. In der bedrängten Situation der dreißiger und vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts hatte diese Zuordnung gewiß ihre Funktion. In dem Augenblick aber, in dem die Existenz der evangelischen Kirche im Kern nicht mehr bedroht war, führte die Zuweisung zur Stärkung des status políticas, die dem Gleichgewichtsmodell der Drei-Stände-Lehre diametral entgegengesetzt war. Diese Konfliktlinien sind der Forschung bekannt; häufig wird die Stärkung des pius magistratus als Beginn unbegrenzter Herrschaft, eines „patriarchalischen Absolutismus" charakterisiert.88 Die Vertreter der politica Christiana allerdings argumentieren bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts deutlich differenzierter; die Fülle der Druckschriften und Gutachten, die dazu vorliegt, spricht eine klare Sprache. a) Einer der ersten und gewichtigen Texte, die diesen Corpus bilden, ist der 1566 erschienene Fürstenspiegel des oberpfälzischen Pfarrers Thomas Rorarius/Rorer (1521-1582). 89 Mit Flacius Illyricus, Martin Chemnitz und anderen gehörte Rorer zur zweiten Generation der Reformatoren, die ihre Prägungen durch Studien in Wittenberg einerseits, die Abgrenzung gegen das Interim andererseits erfahren hatten. Den Fürstenspiegel stellte er unter die Worte des Propheten Ezechiel „Ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel", eine Stelle des Alten Testamentes, die in den zeitgenössischen Diskussionen um die Legitimation des geistlichen Wächteramtes häufig herangezogen wurde. 90 Nicht der Fürst ist der Ausgangspunkt des Textes, sondern der

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Zur Diskussion um den Begriff und die Realität des Absolutismus ist in den letzten Jahren innerhalb der europäischen Geschichtswissenschaft ein intensiver Disput entstanden; zusammenfassend dazu im Hinblick auf die deutschen Ordnungen Ronald G. Asch/Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700). (Miinstersche Historische Forschungen, Bd. 9.) Köln/Weimar/Wien 1996; zuletzt in sehr klarer Distanzierung und der Aufforderung zur Öffnung bzw. Lösung vom eingefahrenen Bild des absoluten als unumschränkten Herrschers Heinz Duchhardt, Die Absolutismusdebatte - eine Antipolemik, in: HZ 275, 2002, 323-332. Zu den Wandlungen der zeitgenössischen Diskussionen mit deutlichem Hinweis auf die Bedeutung der Fürstenspiegelliteratur am Ende des 16. Jahrhunderts siehe Wolfgang Weber, „What a Good Ruler Should Not Do." Theoretical Limits of Royal Power in European Theories of Absolutism, in: SCJ 26, 1995, 897-915. 89

Thomas Rorarius, Fürstenspiegel / Christliche und notwendige vermanung / An alle Evangelische Chur und Fürsten / Stedt und Stende der Augspurgischen Confesion / Was die fürnemlich in ihrem Regiment teglich betrachten (mit einer Vorrede C. Spangenbergs). Schmalkalden 1566, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: 132. 7 Pol. (1); ich danke Herrn Weiß für seinen Hinweis auf diesen Text. Zur Biographie Rorers ebenso wie zu seinem Fürstenspiegel sehr allgemein Bruno Singer, Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. (Humanistische Bibliothek, Rh. 1, Abh. 34.) München 1981, 115f. 90 Vgl. Inge Mager, „Ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel". Zum

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Prediger, der als treuer Wächter das Wort Gottes an die weltliche Obrigkeit weiterleitet. Als Adressaten nennt Rorer dann auch beide Gruppen: „alle deutschen weltlichen Kur- und Fürsten, Stände und Städte der Augsburgischen Konfession" einerseits, alle Geistlichen, die nicht als „stumme Hunde" das Wirken der Obrigkeiten dulden sollen, sondern verpflichtet sind, aufzuwekken und mit Kritik und Mahnung zu ermuntern, andererseits.91 In dieser Zuordnung wird der Kern des Herrschaftsverständnisses greifbar: weltliche Obrigkeiten haben ihre Gewalt von Gott: „Nun HERR mein Gott / du (nit mein Vater oder die Landschaft) hast deine knecht zum König gemacht" 92 ; sie sollen sie so handhaben wie dies von getreuen Lehnsleuten erwartet wird 93 . Herrschaftsübung ist an die Einhaltung der göttlichen Gebote gebunden; es ist Aufgabe des status ecclesiasticus, unermüdlich an diese Bindungen zu erinnern. In sechs Regeln werden Grundlinien der politica Christiana formuliert; dazu gehören der Schutz der Kirche nach außen einerseits, der schuldige Gehorsam gegenüber dem Oberherrn, dem Kaiser, andererseits. Der Schutz der ecclesia externa umfaßt Errichtung und Unterhaltung guter Schulen und Kirchen, die Ausbildung gelehrter Prediger und Lehrer sowie deren angemessene Bezahlung, Fürsorge für die Armen, Aufnahme von Glaubensflüchtlingen und Abschaffung des Aberglaubens.94 Fürsorgepflichten der weltlichen Obrigkeit für geistliche bzw. theologische Fragen (also die ecclesia interna) schließt der Fürstenspiegel ausdrücklich aus; auch die Abschaffung des Aberglaubens ist explizit auf Beendigung katholischer Riten und Gebräuche begrenzt. Herrschaft ist von Gott, der Gehorsam ihr gegenüber ist deshalb unbestritten. Rorer betont diese Tatsache sowohl für das Verhältnis zwischen Reichsfürsten und Kaiser (als der höheren Obrigkeit)95 als auch für das Verhältnis zwischen Untertanen und weltlicher Obrigkeit im allgemeinen. Damit trägt er der für das Reich charakteristischen Doppelung von Herrschaft Rechnung, nicht ohne Grund ist sein Fürstenspiegel nicht an einen speziellen Herren gerichtet. Für beide Formen von Obrigkeit gilt, daß sie „nicht Tyrannen / sondern Patres patriae" sein sollen.96 Diese Formulierung ist keineswegs Worthülse, sondern benennt die Grenzen weltlicher Herrschaftsübung. Herrschaft konstituiert sich mit Hilfe eines Treueides, an den beide Seiten gebunden sind, Amtsverständnis des Braunschweiger Stadtsuperintendenten und Wolfenbütteischen Kirchenrats Martin Chemnitz, in: Braunschweigisches Jahrbuch 69, 1998, 57-69. 91 Rorarius, Fürstenspiegel (wie Anm. 89), Vorrede fol. Ir. 92 Ebd. fol. HIr. 93 „Sondern auch ire Land und leute Christlich und wol regieren [...] und sich als getrewe Lehnleute des Herrn Christi / welcher Könige ab und einsetzet / in irem gantzen leben beweisen." Ebd., Vorrede fol. IIr+v. 94 Ebd. fol. EV v+r u. ö. 95 Ebd.fol.GVIK 96 Ebd.

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unter bestimmten Umständen kann er deshalb auch wieder aufgelöst werden. Das ist zwar, wie Rorer betont, nur die Ausnahme, aber die Kriterien für einen solchen Ausnahmezustand zählt er detailliert auf. „Es were denn / das ir Maiestat / (das doch nit zu hoffen) oder jemand anders / wider Gott zu thun zwingen wollten / Als das man die heiligen geschrifft in bekandter sprachen nicht lesen oder singen / Das heilig Sacrament ausserhalb der ertichten Babstischen opffermess in beiderley gestalt nicht entpfangen / Das ein Priester kein Eheweib haben / Die Fürsten und Herrn am Tage Corporis Christi den Himel umbtragen / oder sunst mit ihrer gegenwertigkeit den Babstischen grewel zieren / Ire verstorbene besingen / Und keine euangelische Kirchen besuchen / Alles was in dem Tridentinischen Concilio beschlossen / als die warheit selber [...] da soll man [...] getrost und öffentlich sagen / Wir werden gelehret / dem gewalt / so von Gott ist / ehre zu beweisen / Aber doch solche / die dem Glauben nit zuwider ist." 97 Obrigkeit, die in dieser Weise die Untertanen daran hindert, das Wort Gottes richtig zu hören und zu lehren, greift über ihr Amt hinaus, ihr ist niemand zu Gehorsam verpflichtet: „Derhalben ists ein schwere große Sünde/ wo weltliche Oberkeit iren gehorsam also will gehalten haben/ das man Gott seinem gehorsam nit kann leisten. [...] In solchem und anderm schreitet sie aus irem ampt / und wollen Gott seinen Gehorsam hindern. [...] Wo aber die Oberkeit an solchem hindern wil/da sollen die Unterthanen wissen/das sie zu gehorsamen nicht schuldig sind." 98 Pflichten und Grenzen des pius magistratus hängen, so ist zu resümieren, auf das engste zusammen; der pater patriae sorgt dadurch für den Bestand des wahren Glaubens, daß die äußere Gestalt der Kirche gesichert ist. Verhindert sie dies, greift die Obrigkeit über die Grenzen ihres Amtes hinaus und wird zum Tyrannen, der die Untertanen am wahren Gottesglauben hindert. Diesem Tyrannen gegenüber ist Widerstand zulässig; dessen Träger sind Land- und Reichsstände (also auch die Räte der Reichs- und Landstädte), die Geistlichkeit hat das Wächteramt, das Amt der Obrigkeitskritik. b) In sehr ähnlicher Weise argumentierte knapp zwanzig Jahre später der Wismarer Superintendent Conrad Schlüsselburg (1543-1619) in einer Predigt über das Amt der Obrigkeit, die er sogar zweimal veröffentlichte: zunächst anläßlich der Ratswahl in der Stadt Wismar 1585, sodann 1593 anläßlich der Wahl des Syndicus Dr. Georg Platen zum Bürgermeister der Stadt. Schlüsselburg gehörte bereits zur dritten Generation der Reformatoren99; er hatte nach Schulunterricht unter anderem bei Chemnitz und Joachim Mörlin in Braunschweig Ende der sechziger Jahre in Wittenberg und Jena studiert100 und 97

Ebd. fol. HVI r Ebd. fol. IIIr+v. 99 Vgl. Anm. 62. 100 Seine Distanz zu Melanchthons Theologie verschärfte sich während der Studienjahre in Wittenberg. Wohl zutreffend wird Schlüsselburg zu den sogenannten Gnesiolutheranem 98

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durch seine Amtstätigkeit in Königsberg, Rostock, Wismar und Stralsund Kontakte zu jenem selbstbewußten Hansestadtbürgertum gepflegt101, das sich in der Ablehnung des Interims und der Bewahrung des gemeindlichen Teilhabeanspruchs (zum Beispiel in Braunschweig) einig war. Auch städtische Herrschaft ist von Gott: Mit dieser Festlegung zum Ursprung aller Obrigkeit betont Schlüsselburg wie Rorer die Begrenzung des status politicus, nicht dessen Machtfülle. „Demnach / lieben Herrn und Freunde / seid Ihr auch schuldig dem lieben Gott hertzlichen Danck zusagen / dass ihr nicht allein von Christlichen Gottseligen Eltern / und von Alten ehrlichen Geschlechten / seid herkommen / und geboren / Sondern dass euch Gott zu solchen hohen Ehren hat erhoben / das ihr nun Bürgermeister und Rathsherrn / durch eine ordentliche Wahl [...] seid geworden." 102 Für das städtische Regiment ist zudem die Konstituierung durch Wahl entscheidend. 103 Aufgabe des Rates ist es, die Ordnung der drei Stände zu sichern, zu bewahren und im Gleichgewicht zu halten.104 Ein Eingriff in die jeweils anderen Ämter ist damit untersagt, die herrschaftsbegrenzende Funktion der Drei-Stände-Lehre wiederum deutlich. Die Fürsorgefunktion des pius magistratus105 für die Aufrechterhaltung der rechten Lehre wird damit ebenso unterstrichen wie die Möglichkeit, einer Obrigkeit, die dieses Gleichgewicht der Stände/Ämter verläßt, Widerstand in Gestalt der Gehorsamsverweigerung zu leisten: „Aber wenn sie [die Obrigkeit] etwas befehlen / das wider Gottes Wort / wider das Gesetze der Natur / und wider die Christliche Liebe / wider eusserliche Zucht und Erbarkeit / streitet / darinen sollen die Unterthanen / ihrer Obrigkeit nicht gehorsamen / wie wir denn lesen / von Mose / von Daniel [...] von dem HErrn Christo selbst."106 Die Aufgabe des status ecclesiasticus besteht darin, sowohl den status politicus als auch den status oeconomicus an seine jeweiligen Aufgaben zu erinnern.107 (Flacius, Gallus, Tilemanns Heshusius, Chemnitz, Rorer, Cyriacus Spangenberg, Leyser und anderen) gezählt. 101 Zur Biographie siehe unter anderem in: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 31. Ndr. Berlin 1971, 606 f. Schlüsselburg war Schwiegersohn des bedeutenden Lutheranes Johannes Wigand; benutzt wurde das Exemplar der Predigt aus der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: Th 1982 (3): Conrad Schlüsselburg, Eine sehr nützliche Predigt von dem Ampt der Christlichen Oberkeit. Magdeburg 1671. Es ist dort zusammengebunden mit der Regentenpredigt des Joachim Lütkeman von 1655. Nicht nur der Erstdruck von 1585 fand eine weite Verbreitung, sondern auch diese Kompilation aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. 102 Schlüsselburg, Eine sehr nützliche Predigt (wie Anm. 101), fol. DIIV. 103 Dies ist die Parallele zur Konstituierung von Herrschaftsbeziehung durch Lehnsvertrag zwischen Kaiser und Reichsständen bei Rorarius, Fürstenspiegel (wie Anm. 89). 104 Schlüsselburg, Eine sehr nützliche Predigt (wie Anm. 101), fol. EIIV. 105 „für die löbliche Gemeine Väterlichen sorgen"; ebd. 106 Ebd. fol. FIIV. 107 „Hievon müssen getreue Prediger offtmals / die Obrigkeit selbst / und auch die Unterthanen erinnern." Ebd.

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c) Der pius magistrates war eingebunden in die Ordnung der Drei-Stände, deren wechselseitige Amtsführung diente der Herrschaftsbegrenzung ebenso wie der Stabilisierung der christlichen Kirche. Schon bei Wagner (1550) war die Amtsführung des status politicus, das christliche Regiment also, als res publica bezeichnet worden. In der charakteristischen Verbindung mit dem Adjektiv „christlich" erschien dieser Begriff zu Beginn 1602 als Titel einer Predigt, die der Hofprediger Mag. Johannes Fleck 108 zur Eröffnung des kurbrandenburgischen Landtages hielt: „Idea Christianae Reipublicae oder Einfeltiger Abriß eines Christlichen Regiments." 109 In komprimierter Fassung führt Fleck die Aspekte zusammen, die für die Zeitgenossen als Konstituenten der christianae reipublicae anerkannt waren. Strukturprinzip aller christlicher Ordnung ist die Drei-Stände-Lehre110; als Soziallehre regelt sie die Ordnung der Stände ebenso wie sie die politische Ordnung als Balance zwischen den Ämtern, den status, festschreibt. Herrschaft ist von Gott verliehen, deshalb ist sie nur als Gebundene gegenüber Gottes Geboten vorstellbar111; zudem ist die Macht des status politicus durch die Einbindung in die Drei-Stände-Ordnung begrenzt. Eine unbeschränkte Einherrschaft ist schließlich deshalb undenkbar, weil christliche Fürsten dem Vorbild der alttestamentlichen Propheten folgend, „Mitregenten" benannt haben, die die Last des weltlichen Regiments erleichtern helfen: „[...] hab er mit ihren vorbewust und guten willen / aus der Gemeine / Weise unnd Verstendige Männer erlesen / und dieselbe neben sich zu Mitregenten verordnet."112 Damit bindet Fleck die Gemeinsamkeit von Landständen und Fürst in die Charakterisierung des christlichen Regiments mit ein. Mit Hilfe von vier „Regimentssäulen" oder „Landscronen" bestimmt Fleck die Grundlagen einer respublica Christiana im einzelnen. Dies sind: reine und unverfälschte Religion, Gerechtigkeit, Weisheit, wechselseitige Fürsorge von Untertan und Obrigkeit. Zur Bewahrung der reinen Religion muß die weltliche Obrigkeit die Fürsorge für die äußere Gestalt der Kirche, die ecclesia externa, ernstnehmen. Wie für Wagner und Rorer gehört auch für Fleck vornehmlich die Ausbildung guter Lehrer und Seelsorger sowie die Abschaffung 108 Zur Biographie vgl. Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrtenlexikon. Bd. 2. Leipzig 1750, Ndr. Hildesheim 1961, 653; Fleck war Hofprediger des lutherischen Kurfürsten Joachim Friedrich, unter dessen Nachfolger trat das Herrscherhaus zum Calvinismus über. Innerhalb der sich daran anschließenden Auseinandersetzungen zwischen Ständen, lutherischer Geistlichkeit und Herrscherhaus vertrat Fleck das orthodoxe Luthertum. Seit 1610 war er Inspektor (Superintendent) der Inspektor Küstrin. 109 Johannes Fleck, Idea Christianae Reipublicae oder Einfeitiger Abriß eines Christlichen Regiments. Frankfurt/Oder 1602, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: Alvensl. Dm 235 (6). Ich danke Herrn Weiß für den Hinweis auf diesen Text. 110 Fleck, Idea Christianae (wie Anm. 109), fol. DIV. 111 Ebd. fol. DIr und DIIIV u. ö. 112

Ebd. fol. CUF.

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allen Aberglaubens zu diesen Aufgaben; angesichts der Kontroversen zwischen Lutheranern und Calvinisten im Kurfürstentum steht diese Grenzziehung im Vordergrund.113 Die Wechselseitigkeit der Verpflichtung von Obrigkeit und Untertanen ist das Wesen einer väterlichen, patriarchalischen Herrschaftsordnung, in dieser wird der Fürst mit dem Ehrentitel des pater patriae bedacht.114 Obrigkeit und Untertanen haben ihre Pflichten und dürfen deren Erfüllung erwarten; die Untertanen sind gehalten, anzuerkennen, daß die weltliche Obrigkeit auch menschliche Fehler machen kann, sie soll diese mit „Gegenlieb" ertragen, solange es geht.115 In den Auseinandersetzungen um den Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund 1614 war Fleck als Sprecher der lutherischen Geistlichkeit zu einer solchen Haltung allerdings nur sehr eingeschränkt bereit. Im Bündnis mit dem lutherischen Landadel lehnten die lutherischen Pfarrer (unter anderem auch der Stralsunder Superintendent Schlüsselburg) einen Konfessionswechsel ab und warfen dem Landesherrn die Verletzung seiner Fürsorgepflichten für die Bewahrung des rechten Glaubens vor, eine Formulierung, die zur Gehorsamsverweigerung berechtigte.116

III. Politiktheoretische und konfessionspolitische Systematisierung Die Skizzen der Konfliktfelder haben in Zeitschritten von rund zwanzig Jahren die Kontinuität bestimmter Argumentationsmuster sichtbar werden lassen. Zudem konnten die Trägergruppen der Auseinandersetzungen benannt werden: Gelehrte Juristen waren an ihnen ebenso beteiligt wie die gelehrten Theologen, politisch-soziale Führungsgruppen des Stadtbürgertums ebenso wie bis zu einem gewissen Zeitpunkt auch die hochadligen Landesherren selbst.

113

Ebd. fol. EIIIV. Ebd. fol. FIF. 115 „Das ist: Wenn dein Vater recht und billich mit dir umb gehet / solt du ihn hertzlich lieben / gebaret er aber etwas unbillich mit dir / soltu es mit gedult vertragen. Dieser kegenlieb der Unterthanen gegen ihre Erbehrren [...] haben wir exempel an den lieben Josaphat"; ebd. fol. FIIIV. 116 Zum Ganzen siehe Bodo Nischan, Prince, People and Confession. The Second Reformation in Brandenburg. Philadelphia 1994, bes. 161-203. Nischan verweist auf verschiedene Schriften protestantischer Theologen, in denen diese Gehorsamsverweigerung als Recht zum Widerstand charakterisiert wird, unter anderem durch Andreas Schoppe und Johann Behm. u4

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1. Die Trägergruppen Auf der Basis der hier analysierten Schriften und Konfliktfälle ist die Dominanz der gelehrten Geistlichkeit deutlich. Gelehrte Pfarrer waren auch die Gemeindepfarrer vor Ort, insofern sie eine Ausbildung an protestantischen Universitäten erhalten hatten. Diese Bildungsstätten waren für die Entfaltung jenes dichten Kommunikationsnetzes, das sich im Blick auf die Verbreitung der Argumentationsmuster der politica Christiana nachzeichnen läßt, von kaum zu überschätzender Bedeutung. Hinzu kommen die akademischen Gymnasien, die in vielen Städten seit der Reformation eine gewichtige Bildungsfunktion übernommen hatten. Neben der Aufnahme gelehrter Bildung wurden soziale bzw. verwandtschaftliche Kontakte geknüpft; der Blick auf die kleine Gruppe von Autoren, die hier nur ausschnitthaft behandelt werden konnte, zeigt, wie eng das verwandtschaftliche Netz schon innerhalb weniger Generationen geknüpft war. Zu diesen verwandtschaftlichen Verbindungen gehörten gleichgewichtig auch juristisch geschulte Amtsträger und wohlhabende städtische Kaufleute und/oder Handwerker.117 Daß auch gelehrte Juristen die Entfaltung der politica Christiana schon seit der Mitte des 16. Jahrhunderts mitgetragen haben, ist nachdrücklich zu betonen, selbst wenn ihre Zahl hinter derjenigen der gelehrten Theologen zurückblieb. Die bisher gültige Annahme von der Rezeption der Drei-Stände-Lehre durch die lutherischen Juristen erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts muß vor diesem Hintergrund korrigiert werden.118 Die Kooperation von Theologen und Juristen unter anderem in der Ablehnung des Interims konnte sich in dieser frühen Phase der Konsolidierung des Protestantismus noch nicht in universitärer Lehre niederschlagen; aus den Beratungen um die Handhabung des Interims sind aber zahlreiche Stellungnahmen von juristischen Fachleuten bekannt, die die Position der Theologen stützen.119 Vereinzelte Zeugnisse der 117 Siehe dazu die umfänglichen Nachweise in Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 69), 17-226, sowie unter anderem Emst Riegg, Konfliktbereitschaft und Mobilität. Die protestantischen Geistlichen zwölf süddeutscher Reichsstädte zwischen Passauer Vertrag und Restitutionsedikt. (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 43.) Leinfelden-Echterdingen 2002, und Johannes Wahl, Lebensplanung und Alltagserfahrung. Württembergische Pfarrfamilien im 17. Jahrhundert. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Abendländische Religionsgeschichte, Bd. 181.) Mainz 2000. 118 So die bisherige Feststellung bei Martin Heckel, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. (Jus ecclesiasticum, Bd. 6.) München 1968, 140 Anm. 749. Heckel beschreibt die Rezeption der Drei-Stände-Lehre durch die Juristen zu Beginn des 17. Jahrhunderts vermutlich ohne Kenntnis der Strukturen der politica Christiana, wie sie sich bereits seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts entwickelt hat. 119 Zu nennen sind einerseits die Gutachten der hessischen Juristen aus den Beratungen von 1548; andererseits ist zu verweisen auf: Christoph Cunradt, Vom ampt der Obrickait gegenn den vnderthanen vnd der vnderthanen gegen der Obrickait wie ferne mhan dersel-

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Zusammenarbeit aus den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, wie sie sich unter anderem in der Braunschweiger Kontroverse um 1590 oder im Werk des Jenenser Juristen Basilius Monner finden120, sind Hinweis auf Kooperationen auch an anderer Stelle. A m Ende des 16. Jahrhunderts wird man diese gelehrten Theologen und Juristen in dem Sinne als „Machteliten" 121 charakterisieren können, als sie in definiertem Umfang an der Festlegung und der Umsetzung von Herrschaftsstrukturen beteiligt waren. Zugleich waren sie aber auch immer „Werteliten", weil insbesondere die Aufgabe der Theologen in der Kontrolle der Einhaltung der Zwecke des Politischen bestand.

2. Systematische

Strukturen der,politica

Christiana '

Zweifelsohne war die christliche Herrschaftslehre dem frühneuzeitlichen Aristotelismus eng verbunden. Angesichts der Weite dieser dominanten Politiktradition ist das nicht verwunderlich; vielmehr ist es gerade deshalb notwendig, deren interne Differenzierungen stärker zu konturieren. Die politica Christiana war eine prudentia gubernatoria, eine Herrschaftslehre also, die auf einen Endzweck politischer Ordnung ausgerichtet war, insofern diese Ordnung als Schöpfungsordnung charakterisiert wurde, deren bigenn zughorsamen schuldig seye. O. O. 1550, HSTA Dresden, Geheimer Rat Loc. 10039/2. Letzteren Hinweis verdanke ich den Mitarbeiterinnen im Interimsprojekt, gefördert durch die DFG, Frau Moritz, Frau Wartenberg und Frau Grüter. Die Auswertung des umfangreichen Manuskriptes erfolgt im Rahmen dieses Projektes. 120 Dazu unter anderem zuletzt Luise Schorn-Schütte, „Den eygen nutz hindan setzen und der Gemeyn wolfart suchen". Überlegungen zum Wandel politischer Normen im 16./17. Jahrhundert, in: Helmut Neuhaus/Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Fschr. für Johannes Kunisch. (Historische Forschungen, Bd. 73.) Berlin 2002, 167-184, sowie Robert Kolb, The Legal Case for Martyrdom. Basilius Monner on Johann Friedrich the Elder and the Smalcald War, in: Irene Dingel/Volker Leppin/Christoph Strohm (Hrsg.), Reformation und Recht. Fschr. für Gottfried Seebaß. Gütersloh 2002, 145-160; im Druck zudem: Gabriele Haug-Moritz, „Ob wir uns auch mit Gott / Recht und gutem Gewissen / wehren mögen / und Gewalt mit Gewalt vertreiben?" Zur Widerstandsdiskussion des Schmalkaldischen Krieges, in: Luise Schom-Schütte (Hrsg.), Das Interim. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 102.) Gütersloh 2004. 121 Der Begriff nach Wolf gang Reinhard, Introduction: Power Elites, State Servants, Ruling Classes and the Growth of State Power, in: ders. (Ed.), Power Elites and State Building. (The Origins of the Modern State in Europe, Theme D.) Oxford u. a. 1996, 1-18. Allerdings muß betont werden, daß die von Reinhard stark betonte Funktionalisierung der Führungsgruppen für die hier betrachteten Gruppen des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts keine Gültigkeit besaß. Der Begriff der Machtelite wird deshalb ausdrücklich in Verbindung mit dem Begriff der Wertelite verwendet, um deutlich zu machen, daß die Befestigung einer neuen Herrschaftsordnung nicht automatisch als Prozeß der Unterordnung der Trägergruppen unter einen Herrschaftswillen stattgefunden hat. Insofern entspricht das hier Beschriebene dem von Reinhard als Meso-Level charakterisierten Status der Bildung von Herrschaft am ehesten (vor allem 9-14).

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Bewahrung (also unter Umständen auch Wiederherstellung) und zielbezogene Organisation Aufgabe aller Politik zu sein hat. Schon deshalb war der Zusammenhang von Religion und Politik für sie konstitutiv. Die frühneuzeitliche christliche Herrschaftslehre war eine Fortführung der mittelalterlichen Politiktheorie, die als christliche Politikauffassung durch Thomas von Aquin geformt worden war.122 Die Spaltung der einen Christenheit in mehrere Konfessionen schuf mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts neue institutionelle Rahmenbedingungen, in deren Konsequenz die alte Frage nach den Prinzipien der christlichen Herrschaftsübung neu beantwortet werden mußte. Insofern ist die frühneuzeitliche politica Christiana trotz ihrer Einbindung in die mittelalterliche Tradition etwas sehr Eigenständiges.123 Die Kernfragen lauteten: Wie wird Herrschaft als spezifisch christliche Herrschaft legitimiert? Ist damit eine bestimmte Form ihrer Institutionalisierung verbunden? Und welcher Art sind die Beziehungen zwischen Herrschenden und Beherrschten? a) Die obige Skizze der zeitgenössischen zunächst protestantischen Ordnungsentwürfe zeigt: eine Selbstlegitimation von Herrschaft ist für die politica Christiana undenkbar. Herrschaft ist von Gott, sie ist Bestandteil der Schöpfungsordnung, Politik ist deshalb zunächst immer nur Mittel zum Zweck. Für dessen Erreichung ist die im protestantischen Verständnis adäquate Verzahnung von Kirche und Welt Voraussetzung. Das ursprüngliche Anliegen Luthers nach Heiligung des Weltlichen führte zu einer neuerlichen Verflechtung beider Bereiche, die sich schon bei Luther selbst in der praktisch wirksamen Soziallehre der Ordnung der Drei Stände zu artikulieren begann. In den folgenden Generationen entfaltete sich die Drei-Stände-Lehre zum gültigen Ordnungsmodell. Jedes Amt hatte seine eigene Aufgabe, alle drei waren wechselseitig aufeinander bezogen, die Ordnung der Schöpfung bestand in der Kooperation und wechselseitigen Fürsorge der drei Stände/Ämter miteinander. In enger Verbindung mit der drei-Stände-Lehre stand die organologische Auffassung von politischer Ordnung, die ihre Wurzeln ebenfalls im mittelalterlichen politischen Denken hatte124, sich in der frühneuzeitlichen Verzahnung mit der Ordnung der drei Stände aber eigenständig weiterentwikkelte. Die Vorstellung von der Dreigliedrigkeit des kirchlichen bzw. politi-

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Diese Linien dargestellt zu haben, ohne den eigenständigen Wert der frühneuzeitlichen politica Christiana zu verkennen, ist das ganz unbestrittene Verdienst der jüngsten Arbeiten von Peter Nitschke\ Einführung in die politische Theorie (wie Anm. 8), ders., Politia, Politica und la République. Der Politikbegriff der Prämoderne, in: ders./Hans J. Lietzmann (Hrsg.), Klassische Politik. Politikverständnisse von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Opladen 2000, 145-160, sowie ders., Politische Philosophie. Stuttgart/Weimar 2002. 123 So auch Nitschke, Einführung in die politische Theorie (wie Anm. 8), 15. 124 Knapp dazu ders.. Politische Philosophie (wie Anm. 122), 44—47, unter anderem bezogen auf Johannes von Salisbury.

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sehen Körpers als Schöpfungsordnung, wie sie oben für Maior und die stadtbraunschweigische Diskussion begegnete, ist anschaulicher Beleg. b) Die Gewichtung der drei Stände unterlag Wandlungen, deren Abfolge oben skizziert wurde. Aufgrund der ursprünglichen Gleichrangigkeit der Ordnungen war eine bestimmte Form der Institutionalisierung von Herrschaft nicht festgelegt; eine aristokratische Struktur der Ordnung war ebenso denkbar wie eine monarchische Struktur. Res publica als fromme und christliche Gemeinschaft konnte sich sowohl als Monarchie institutionalisieren als auch als Herrschaft der Besten, z.B. in Gestalt einer reichsstädtischen Aristokratie. In jedem Falle wirkte die Drei-Stände-Ordnung herrschaftsbegrenzend, auch die Monarchie war stets an Gottes Gebote und die Kontrolle des pius magistrates durch die beiden anderen Stände gebunden. Mit res publica wurde in diesem Sinne zunächst noch alles bezeichnet, was mit Politik zu tun hatte, auch der christliche Monarch z.B. konnte ein „republikanischer" Herrscher sein, res publica galt als Gegenbezeichnung zu tyrannischer Herrschaft. Eine spezifisch verfaßte politische Ordnung im Sinne der späten Moderne war nicht gemeint. 125 c) Eine sehr eigenständige Entwicklung nahm die Widerstandsdebatte innerhalb der politica Christiana. Noch in der mittelalterlichen organologischen Politikvorstellung war ein solches im Prinzip ausgeschlossen, galt doch der Herrscher als Herz oder Magen des politischen Körpers, der den einzelnen Gliedern das Ihre zuteilte; dessen Infragestellung war im Kern illegitim.126 Aber ebenso wie in den spätmittelalterlichen Debatten andere Traditionen herangezogen wurden 127 , um diese Schwierigkeit zu überwinden, differenzierten die frühneuzeitlichen Debatten die Argumentationen; insbesondere die Frage nach dem Recht der Reichsstände, dem Kaiser im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen Widerstand zu leisten, verdichtete die Debatten und verknüpfte verschiedene Argumentationsstränge als politische Kommunikation. Deren Charakteristikum bestand in der Parallelität einer juristischen und einer theologischen Argumentation, die sich in ihrer Wirkung wechselseitig auch dadurch verstärkten, daß die Theologen seit den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts um gutachterliche Stellungnahmen gebeten wurden. 128 Seit 125 Entsprechend auch die Interpretation bei ders., Politia, Politica und la République (wie Anm. 122), 156. 126 Ebd. 147. 127 Vgl. Joseph Canning/Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Political Thought and the Realities of Power in the Middle Ages - Politisches Denken und die Wirklichkeit der Macht im Mittelalter. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 147.) Göttingen 1998; zudem Schreiner, Correctio Principis (wie Anm. 12). 128 Dazu weiterhin grundlegend Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 12). In dem sehr informativen Beitrag von Armin Kohnle, Wittenberger Autorität. Die Gemeinschaftsgutachten der Wittenberger Theologen als Typus, in: Irene Dingel/Günther

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den dreißiger Jahren verdichtete sich diese Debatte sichtlich, sie verbreiterte sich in den Diskussionen um den Umgang mit dem Interim und bot damit die Möglichkeit des Austausches beider Argumentationslinien in den konkreten Konflikten vor Ort. Auf die reichsrechtlich relevante Frage, ob der Kaiser für die Reichsfürsten Obrigkeit sei, so daß sie ihm als Untertanen zu Gehorsam verpflichtet seien, hatten die Juristen zunächst andere Antworten als Teile der Theologen; erst nach der sogenannten „Torgauer Wende" (März 1530) kam es zur gemeinsamen Festlegung, wenn auch in unterschiedlicher Begründung. 129 Unter anderem in Kooperation mit Amsdorff 1 3 0 und in inhaltlicher Nähe zur Argumentation Bugenhagens 131 hatten sächsische und hessische Juristen den Vertragscharakter der Beziehung zwischen Kaiser und Reichsfürsten herausgearbeitet, der im Lehnsrecht als dem Ursprung herrschaftlicher Ordnung im Reich wurzelte. Deshalb waren die Reichsfürsten nicht Untertanen, sondern Obrigkeiten aus eigenem Recht, magistratus inferiores (niedere Obrigkeiten) gegenüber dem magistratus superior (höhere Obrigkeit), dem Kaiser. Aufgrund dieser Zuordnung galt das Recht der Reichsstände (der Kurfürsten), einem magistratus superior den Gehorsam zu verweigern, der seine Vertragspflicht in Gestalt der Schutzpflicht für den magistratus inferior nicht einhielt. Während Bugenhagen und Amsdorff diese Argumentation unter ausdrücklichem Verweis auf die Figur der niederen Obrigkeit schon in den frühen zwanziger Jahren mittrugen und damit den gelehrten Juristen im Umkreis der sächsischen und hessischen Landesherren Argumentationshilfe gaben, lehnten Luther und Melanchthon diese Überlegungen ab und ließen sich erst in Torgau davon überzeugen, daß die Bibel die Befolgung des positiven Rechts verlangt; da dieses der lehnsrechtlichen Argumentation folgend ein Widerstandsrecht gegenüber einer Obrigkeit, die ihre Schutzpflicht nicht erfüllt, umfaßt, wurde das Recht des Widerstandes auch von Luther und Melanchthon anerkannt. Letzterer entfaltete die Argumentationen in den folgenden Jahren weiter, schließlich ordnete er der weltlichen Obrigkeit eine „custodia utrius-

Wartenberg (Hrsg.), Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. Beiträge zur 500. Wiederkehr des Gründungsjahres der Leucorea. (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 5.) Leipzig 2002, 189-200, wird der Wirkungsgrad dieser Gemeinschaftsarbeiten für den Zeitraum 1520 bis 1560 analysiert. 129 Siehe Wolgast, Melanchthon als politischer Berater (wie Anm. 12), 183-190, sowie ders., Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 12), 173-185. 130 Siehe die Belege bei Tilman Peter Koops, Die Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen die weltliche Obrigkeit in der lutherischen Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts. Diss. phil. Kiel 1968. 131 Siehe Luise Schorn-Schütte, „Papocaesarismus" der Theologen? Vom Amt des evangelischen Pfarrers in der frühneuzeitlichen Stadtgesellschaft bei Bugenhagen, in: ARG 79, 1988, 230-261.

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que tabulae" 132 zu, eine Aufgabenstellung, die, wie für Jena und Braunschweig skizziert, in den Diskussionen um die Grenzen zwischen den drei Ämtern/Ständen seit dem Beginn der sechziger Jahre des Jahrhunderts zu erheblichen Kontroversen führte. Zunächst aber differenzierten die Auseinandersetzungen um das Interim die theologisch-juristischen Argumentationsmuster zur Rechtfertigung eines Widerstandsrechtes: Sofern der Kaiser seine Schutzpflicht dadurch verletzte, daß er die Untertanen oder die niederen Obrigkeiten zur Annahme des Interims zwingt, vermengt er die voneinander strikt zu trennenden Bereiche der drei Ämter, wird er deshalb zur unchristlichen Obrigkeit und ist Tyrann. Eine solche Obrigkeit hört auf zu existieren, die Pflicht zum Gehorsam besteht nicht mehr. Diese Argumentation wird sowohl in der Magdeburger „Confessio" als auch in zahlreichen Druckschriften, die in den Auseinandersetzungen um das Interim entstanden waren, verknüpft mit einer weiteren, die der mittelalterlichen Tradition entstammte: Derjenige, der einer solchen tyrannischen Obrigkeit nicht widersteht, duldet die Wiedererrichtung des Reiches des Antichristen.133 Lehnsrechtliche Argumentation verbunden mit der Drei-Stände-Lehre und der Figur des Antichrist/Tyrannen bildeten ein Kommunikationsmuster, das für die Zeitgenossen als Sprache der politica Christiana seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts präsent war. In den folgenden Jahrzehnten stellte sie den Rahmen dar für alle Debatten um die Legitimität christlicher Herrschaft, ein sehr praktisches theologiepolitisches Problem. Daß dessen Aktualität bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts ungebrochen blieb, zeigt sich in der weiteren Differenzierung dieses Instrumentariums durch den Vorwurf des „Caesaropapismus". In besonderer Dichte tauchte dieser auf im Zusammenhang der Kontroversen unter anderem um das Lüneburger Mandat von 1562 und die Einführung des „Corpus Doctrinae Christianae" 1560; er blieb erhalten bis in 132 Wolgast, Melanchthon als politischer Berater (wie Anm. 12), 190-192. 133 Das hier aufscheinende Anknüpfen an die mittelalterliche apokalyptische Weltdeutung ist in der Forschung zur Geschichte des 16./17. Jahrhunderts noch kaum hinreichend zur Kenntnis genommen worden. Welch entscheidende Bedeutung dieser Traditionslinie zukommt, zeigt sich unter anderem im durchgängigen Rückgriff der lutherischen und calvinistischen Theologie des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts auf die Danielsprophetie, die das Aufhalten des Antichrist zur Aufgabe christlicher Obrigkeit macht (Katechon), dessen Fehlen aber als endzeitliches Zeichen deutet. Siehe dazu Klaus Koch, Europa, Rom und der Kaiser vor dem Hintergrund von zwei Jahrtausenden Rezeption des Buches Daniel. (Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V. Hamburg 15, 1997, H. 1.) Hamburg 1997, bes. lOlff; zur Bedeutung der Antichrist-Figur in der Flugschriftenpublizistik des 16./17. Jahrhunderts die grundlegende Studie von Leppin, Antichrist (wie Anm. 57). Die im Entstehen begriffene Doktorarbeit von Anja Moritz, Frankfurt am Main, widmet sich dieser Thematik. Siehe vorläufig dies., Das Malzeichen des Tieres. Der Widerstand der Magdeburger Geistlichkeit gegen das Augsburger Interim und den Leipziger Landtagsbeschluß 1548-1552. Magisterarbeit Phil. Fak. Universität Potsdam 2002.

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die frühen pietistischen Konflikte des 17. Jahrhunderts.134 Für das Obrigkeitsverständnis der politica Christiana ist diese Verzahnung ein weiteres Spezifikum; denn nunmehr wird aus dem Streiten über das Widerstandsrecht die Debatte über das Recht und die Pflicht des status ecclesiasticus zur öffentlichen Kritik am status politicus, zur Pflicht zur Obrigkeitskritik.135 Damit ist die Legitimation des Widerstandes keineswegs beendet, aber für das beginnende 17. Jahrhundert wird das Gleichgewicht dieser beiden (Herrschafts-) Stände zu einem gleichrangigen Problem. Eben deshalb war es ganz und gar nicht verwunderlich, daß der Pfarrer Johannes Sommer 1615 mit seiner Schrift „Von dem Recht und Gewalt der hohen Obrigkeit" eine Übersetzung der Widerstandsschrift des Theodore Beza in die deutsche Debatte einführte: Diese war hier mindestens ebenso gegenwärtig wie im übrigen zeitgenössischen Europa. 136 Die politica Christiana erwies sich als eine sehr praktisch handhabbare Politiklehre, als ein Argumentationsmuster politischer Theologie im 16. und 17. Jahrhundert. Diese Bestimmung schließt es aus, sie als eigenständige Politiktheorie zu bezeichnen; in einer theoriegeleiteten Fundierung von Herrschaft allerdings lag ihr Anspruch ebensowenig wie deijenige anderer zeitgenössischer Regimentslehren.137

134 Auf die damit zusammenhängende Dichte der Konflikte wurde jüngst verschiedentlich hingewiesen unter anderem durch Schorn-Schiitte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 69), bes. 399 ff., und Sommer, Obrigkeitskritik (wie Anm. 34). 135 Zur Bedeutung dieser Aufgabe der politica siehe Wolfgang E. J. Weber in diesem Band. 136 Johannes Sommer, Von dem Recht und Gewalt der hohen Obrigkeit. Magdeburg 1615, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel: 49. Pol. (2). Diese Interpretation korrigiert diejenige von Winfried Schulze, Eine deutsche Übersetzung von Bezas „De iure magistratuum in subditos" aus dem Jahre 1615, in: ARG 70,1979,302-307. Ich danke Herrn Weiß erneut für den Hinweis auf diesen Text und die Sekundärliteratur. 137 Darüber zuletzt, aber nicht abschließend Thomas Simon, „Gute Policey". Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit. Habilitationsschrift, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Masch.) 2001.

,Par un pur motief de religion et en qualité de Républicain" Der außenpolitische Republikanismus der Niederlande und seine Aufnahme in der Eidgenossenschaft (ca. 1670-1710)* Von

Thomas Maissen I. Seit einigen Jahren zieht der frühneuzeitliche „Republikanismus" ein verstärktes Interesse auf sich. D a s Phänomen von Freistaaten meist städtischen Charakters, die in einem von häufig absolutistischen Monarchien dominierten Europa (weiter-)existieren, ist als solches natürlich altbekannt und findet regelmäßig auch seine Darstellung. 1 Jünger ist die Fragestellung, inwiefern in ihnen ein republikanisches Selbstverständnis herrscht, ob also ein „Republikanismus", der diesen N a m e n verdient, vor den Revolutionen in Nordamerika und Frankreich existiert hat. Dieser wäre eher in der aristotelisch-antiken als in der naturrechtlichen Tradition zu verstehen und insofern in mancher Hinsicht verschieden v o m vertrauteren Republikanismus des 19. Jahrhunderts, * Vorstudien zu diesem Aufsatz wurden außer an der Potsdamer Tagung auch 1997 im Seminar von Prof. Le Roy Ladurie am Collège de France und im Forschungskolloquium Frühe Neuzeit, Bielefeld, vorgetragen. Ich bin den Teilnehmern für manche wertvolle Anregung dankbar. Der Beitrag wurde im Frühjahr 1998 abgeschlossen und danach nur noch notdürftig überarbeitet. Die neuere Literatur wurde nicht nachgetragen, und einige Gewichtungen würde ich heute anders vornehmen. Grundsätzlich sei deshalb hier auf meine inzwischen abgeschlossene Habilitationsschrift verwiesen: Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Göttingen 2004. Wesentliche weiterführende Überlegungen sind bereits formuliert in Thomas Maissen, Eine „Absolute, Independente, Souveraine und zugleich auch Neutrale Republic". Die Genese eines republikanischen Selbstverständnisses in der Schweiz des 17. Jahrhunderts, in: Michael Böhler/Etienne Hofmann/Peter Reill/Simone Zurbuchen (Hrsg.), Republikanische Tugend. Ausbildung eines Schweizer Nationalbewusstseins und Erziehung eines neuen Bürgers. Lausanne 2000,129-150. Auch über die 1998 in diesem Beitrag erstmals thematisierten Zürcher Sozietäten herrscht jetzt ein ganz neuer Wissensstand, dank Michael Kempe/Thomas Maissen, Die Collegia der Insulaner, Vertraulichen und Wohlgesinnten in Zürich, 1679-1709. Die ersten deutschsprachigen Aufklärungsgesellschaften zwischen Naturwissenschaften, Bibelkritik, Geschichte und Politik. Zürich 2002. 1 Eine vorbildliche Synthese liefert Yves Durand, Les Républiques au temps des Monarchies. Paris 1973; weniger ambitiös Richard Mackenney, The City-State 1500-1700. Republican Liberty in an Age of Princely Rule. London 1989.

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Thomas Maissen

der grundsätzlich antimonarchisch die Volkssouveränität in einer Repräsentativverfassung zu verwirklichen sucht und allgemeine Menschen- und Bürgerrechte einschließt, die durch institutionelle Vorkehrungen wie die Gewaltenteilung gesichert werden. 2 Dagegen stehen im „klassischen Republikanismus" die Bürgertugenden im Mittelpunkt einer dank Mischverfassung und Milizwesen stabilen und wehrhaften städtischen Gemeinschaft, allenfalls auch von landbesitzenden Bauern. 3 Dabei wird gedanklich von vergleichsweise kleinen Staaten ausgegangen, was der frühneuzeitlichen Realität entspricht: Republikanisch organisiert sind die demokratischen Talschaften etwa der Schweizer Landkantone oder - häufiger - freie und insofern aristokratische Städte, als der Zugang zu Ämtern meistens beschränkt und das dazugehörige Territorium der Stadt nicht anders unterworfen ist als einem fürstlichen Herren. Dieser Kategorie gehören die mittel- und norditalienischen Kommunen des Spätmittelalters an, von denen neben Genua, Lucca und San Marino vor allem das exemplarische Venedig trotz Degenerationserscheinungen im absolutistischen Zeitalter einflußreich fortbesteht, ferner die eidgenössischen Stadtorte und ihre Zugewandten und Verbündeten, insbesondere Genf, sodann die Freien oder Reichsstädte in Deutschland sowie schließlich die Städte beziehungsweise Provinzen der nördlichen Niederlande, wo es wie in der Eidgenossenschaft zu einer oft recht lockeren, aber dauerhaften Föderation der Stadtrepubliken und Provinzen kommt. Zu diesen Beispielen gesellt sich als großer Territorialstaat allein England von 1649 bis 1660, wobei der Charakter und das klägliche Ende der Cromwellschen Konstruktion den Zeitgenossen eher bestätigten, daß ein republikanisches Regiment allenfalls in überschaubaren geographischen Dimensionen Erfolg haben kann. Das englische Experiment hat allerdings einen Ausgangspunkt geliefert, um den frühneuzeitlichen Republikanismus als übergreifendes Phänomen zu verstehen. Pococks Entwurf des „Machiavellian Moment" 4 verbindet die vor allem auf Hans Baron zurückgehende Erforschung des Renaissance-Republikanismus in Florenz und Venedig 5 mit dem klassischen Republikanismus im 2

Vgl. etwa Biancamaria Fontana (Ed.), The Invention of the Modern Republic. Cambridge 1994; zum französischen Republikanismus des 19. Jahrhunderts grundlegend Claude Nicolei, L'idée républicaine en France (1789-1924). Essai d'histoire critique. Paris 1982, 2. Aufl. 1994. 3 Zur Mischverfassung Wilfried Nippel, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit. Stuttgart 1980. 4 John G. A. Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition. Princeton/London 1975; einen guten Überblick über den gegenwärtigen Stand der Diskussion ergeben die Beiträge in Gisela Bock/Quentin Skinner/ Maurizio Viroli (Eds.), Machiavelli and Republicanism. Cambridge 1990. 5 Grundlegend Hans Baron, The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny. Princeton 1955, 2. Aufl. 1966; zur Würdigung Barons vgl. zuletzt American Historical Review 101, 1996, 107-144

Der außenpolitische Republikanismus der Niederlande

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England des 17. Jahrhunderts (vor allem Harrington 6 , den A n f ä n g e n der politischen Ö k o n o m i e in Großbritannien 7 und den Verfassungsdebatten des revolutionären Nordamerika). 8 N i c h t zuletzt unter d e m Einfluß v o n P o c o c k hat sich die „Cambridger Schule" u m Quentin Skinner verstärkt des frühneuzeitlichen Republikanismus a n g e n o m m e n . 9 D a m i t fällt der B l i c k auch stärker auf die kontinentale Entwicklung, w i e sie - v o n Italien a b g e s e h e n -

erstmals

durch H e l m u t Koenigsbergers S a m m e l b a n d z u „Republiken und Republikan i s m u s im Europa der Frühen N e u z e i t " systematisch a n g e g a n g e n w o r d e n ist. 1 0 Was das Gebiet d e s H e i l i g e n R ö m i s c h e n R e i c h s anbetrifft, sind dabei besonders die Beiträge v o n Peter B l i c k l e und H e i n z Schilling und ihre K o n z e p t e v o n „Republikanismus" interessant. 1 1 B l i c k l e und e i n i g e seiner Schüler ver(mit Beiträgen von Werner Gundersheimer, John M. Najemy, Craig Kallendorf und Ronald Witt). 6 Grundlegend bereits Zera S. Fink, The Classical Republicans: An Essay in the Recovery of a Pattern of Thought in Seventeenth-Century England. Evanston 1945; Markku Peltonen, Classical Humanism in English Political Thought from 1570 to 1640 with Special Reference to Classical Republicanism. Helsinki 1992; sowie David Wootton (Ed.), Republicanism, Liberty, and Commercial Society, 1649-1776. Stanford 1994. 7 Vgl. auch John G. Λ. Pocock, Die Schule von Cambridge und die schottischen Philosophen. Zum Verhältnis der bürgerlich-humanistischen und der zivilrechtlichen Interpretation des sozialen Denkens des 18. Jahrhunderts, in: ders., Die andere Bürgergesellschaft. Zur Dialektik von Tugend und Korruption. (Edition Pandora, Bd. 12.) Frankfurt am Main/ New York 1993, 158-189; jetzt auch die gründliche Studie von Raimund Ottow, Markt Republik - Tugend. Probleme gesellschaftlicher Modernisierung im britischen politischen Denken 1670-1790. (Politische Ideen, Bd. 5.) Berlin 1996. 8 Pococks Arbeiten haben zahlreiche, zum Teil eher heilsgeschichtliche Untersuchungen nach sich gezogen: vgl. William R. Everdell, The End of Kings. A History of Republics and Republicans. New York/London 1983; Paul A. Rahe, Republics Ancient and Modern. Classical Republicanism and the American Revolution. Chapel Hill 1992; Μ. N. S. Sellers, American Republicanism: Roman Ideology in the United States Constitution. Basingstoke 1994. Zur Erfolgsgeschichte des Begriffs im Amerika der achtziger Jahre Daniel T. Rodgers, Republicanism: The Career of a Concept, in: JAmH 79, 1992, 11-38. 9 Vgl. jetzt Quentin Skinner/Martin van Gelderen (Eds.), Republicanism: A Shared European Heritage. Cambridge 2002. Vgl. zu Skinners Methode die Aufsatzsammlung von James Tully (Ed.), Meaning and Context: Quentin Skinner and his Critics. Cambridge 1988; als Beispiele der „Cambridger Schule" die erwähnte Arbeit von Peltonen, Classical Humanism (wie Anm. 6), und Anthony Pagden (Ed.), The Languages of Political Theory in Early Modem Europe. Cambridge 1987. In Auseinandersetzung mit Skinner die theoretische Aktualisierung bei Philipp Pettit, Republicanism: A Theory of Freedom in Government. Oxford 1997. 10 Helmut G. Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus im Europa der frühen Neuzeit. (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien, Bd. 11.) München 1988. 11 Peter Blickle, Kommunalismus und Republikanismus in Oberdeutschland, in: Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus (wie Anm. 10), 57-75; Heinz Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus"? Zur politischen Kultur des alteuropäischen Bürgertums, in: ebd. 101-143; ähnlich Heinz Schilling, Stadt und frühmoderner Territorialstaat: Stadtrepublikanismus versus Fürstensouveränität. Die politische Kultur des deutschen Stadtbürgertums in der Konfrontation mit dem frühmodemen Staatsprinzip, in: Michael Stolleis (Hrsg.),

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stehen darunter eine analytische und heuristische Kategorie des sozial- und verfassungsgeschichtlichen Wandels, wobei allerdings von einem republikanischen Selbstverständnis oder entsprechenden Äußerungen der Kategorisierten weitgehend abstrahiert wird. 12 Schilling ist seinerseits der Frage nachgegangen, ob es in Deutschland jenseits einer - offensichtlich fehlenden konsistenten politischen Theorie Indizien für einen impliziten „städtischen Republikanismus" gegeben habe. Seine Fragestellung ist stark entwicklungsgeschichtlich und vor dem Hintergrund der Modernisierungs- beziehungsweise Konfessionalisierungsdebatte zu verstehen. Einen „veritablen Republikanismus" sucht er ausgehend von modernen Konzepten wie Egalität, Konstitutionalität, Partizipation, Öffentlichkeit und persönlichen Grund- und Freiheitsrechten. Insofern diese in den Städten des Alten Reiches allenfalls unvollständig zu lokalisieren sind, werden die dortigen, genossenschaftlich geprägten Verfassungsordnungen - eher unbeabsichtigt - auf Vorstufen oder „Bausteine" einer wirklichen, auf Individualrechten beruhenden republikanischen Theorie reduziert, wie sie erst nach 1789 begegnet. Ausgeblendet bleibt in dieser entwicklungsgeschichtlichen Perspektive das ältere, „klassische" republikanische Gedankengut, namentlich der Antike oder der Renaissance, wie es in gewissen Gegenden Alteuropas verbreitet und gewissermaßen „alltäglich" ist, während Schillings Suche nach verrechtlichtem oder wenigstens positivierbarem „Republikanismus" vor allem Konfliktsituationen behandelt. Schilling geht der Frage nicht näher nach, inwiefern die unterschiedliche staatsrechtliche Stellung die Ausbildung eines „veritablen Republikanismus" präjudiziell - konkret also die fehlende Souveränität der Städte im Reich, die diesbezüglich in der politischen Theorie des 17. Jahrhunderts immer klarer anders kategorisiert werden als ihre italienischen, niederländischen oder schweizerischen Pendants. Vernachlässigt man diese für die Zeitgenossen entscheidende Differenz, so verringert sich auch der Erkenntnisgewinn beim Rückgriff auf das Begriffspaar „Republik/Republikanismus". Schilling greift nämlich nicht zuletzt darauf zurück, um es anstatt einseitig deutscher Termini wie „Genossenschaft" oder „Kommunalismus" als Paradigma zu verwenden, das auf internationaler Ebene ermöglicht, nicht-monarchische Ordnungsvorstellungen der Frühen Neuzeit zu vergleichen. 13 Dieser Vergleich bringt neben konstitutionellen Gemeinsamkeiten auch folgenreiche Unterschiede zwischen ähnlich scheinenden Freistaaten an den Tag. 14

Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt. (Städteforschung, Rh. A, Bd. 31.) Köln/Wien 1991, 19-39. 12 Vgl. zu Blickle, mit weiterer Literatur, auch Thomas Maissen, Petrus Valkeniers republikanische Sendung. Die niederländische Prägung des neuzeitlichen schweizerischen Staatsverständnisses, in: SZG 48, 1998, 149-176. 13 Schilling, Gab es einen städtischen „Republikanismus"? (wie Anm. 11), 143. 14 Dazu ausführlich Maissen, Geburt der Republic (wie Anm. *).

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Anders als b e i m systematisch-verfassungsgeschichtlichen Ansatz Schillings (und in g e w i s s e m Sinn auch B l i c k l e s ) stehen i m f o l g e n d e n nicht das Ziel einer Entwicklung, sondern - i m Sinne Franco Venturis 1 5 - die lokalen Wurzeln e i n e s B e w u ß t s e i n s i m Mittelpunkt der Ü b e r l e g u n g e n und damit der Begriff „res publica" selbst mitsamt seinen nationalsprachlichen Äquivalenten. Insofern orientiert sich diese Untersuchung an den erwähnten anglo-amerikanischen Forschungstraditionen, aber auch an W o l f g a n g M a g e r s grundsätzlichen Unters u c h u n g e n für die „Geschichtlichen Grundbegriffe". 1 6 A u s g a n g s p u n k t ist die Frage, w e l c h e Funktion der Terminus in den außenpolitischen Kontakten z w i s c h e n d e n Niederlanden und der E i d g e n o s s e n s c h a f t in der z w e i t e n Hälfte des 17. Jahrhunderts übernimmt, w o b e i sich die v o n Koenigsberger nur angedeutete ,republikanische Solidarität" und der v o n Schilling sogar b e z w e i f e l t e „republikanische Internationalismus" der Niederlande gut a u f z e i g e n lassen. 1 7 D e r niederländische Republikanismus des 17. Jahrhunderts ist als i d e e n g e schichtliches P h ä n o m e n gerade hinsichtlich seiner prominentesten Vertreter, der Gebrüder de la Court und Spinoza, seit den Arbeiten Ernst Heinrich K o s s m a n n s gut aufgearbeitet 1 8 ; E. O. G. Haitsma Mulier hat d i e B e d e u t u n g Venedigs bei d e s s e n Ausgestaltung a u f g e z e i g t 1 9 , während H e i n z Schilling d e n re15 Franco Venturi, Re e repubbliche tra Sei e Settecento, in: ders., Utopia e riforma nell'illuminismo. (Piccola biblioteca Einaudi, Voi. 139.) Turin 1970,29-59, hier 29 u. 31: „la tradizione repubblicana che affondava la sua radice nel medioevo e nel rinascimento". 16 Wolfgang Mager, Art. „Republik", in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache. 8 Bd. Stuttgart 1972-1997, Bd. 5, 549-651; ders., Art. „Republik", in: Joachim Ritter/ Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 8. Basel 1992, Sp. 858-878; ders., Respublica und Bürger. Überlegungen zur Begründung frühneuzeitlicher Verfassungsordnungen, in: Gerhard Dilcher (Hrsg.), Res publica. Bürgerschaft in Stadt und Staat. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar am 30./31. März 1987. (Der Staat, Beih. 8.) Berlin 1988, in weitreichender Auseinandersetzung mit 67-84,85-94 (Aussprache). Zur älteren Forschung vgl. den Beitrag von Wolf gang Mager in diesem Band. 17 Helmut Koenigsberger, Schlußbetrachtung: Republiken und Republikanismus im Europa der frühen Neuzeit aus historischer Sicht, in: ders. (Hrsg.), Republiken und Republikanismus (wie Anm. 11), 300f.; Heinz Schilling, Der libertär-radikale Republikanismus der holländischen Regenten. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Radikalismus in der frühen Neuzeit, in: GG 10, 1984, 498-533, hier 525. 18 Ernst Heinrich Kossmann, Politieke theorie in het zeventiende-eeuwse Nederland. (Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, afd. letterkunde, n. r. 57, Nr. 2.) Amsterdam 1960; gekürzte Fassung: ders., The Development of Dutch Political Theory in the Seventeenth Century, in: John Selwyn Bromley/Ernst Heinrich Kossmann (Eds.), Britain and the Netherlands. Vol. 1. London 1960; ders., Dutch Republicanism, in: L'età dei lumi. Studi storici sul settecento europeo in onore di Franco Venturi. Vol. 1. (Storia e diritto, Studi 16.) Neapel 1985, 4 5 3 ^ 8 6 . Vgl. auch Hans Willem Blom/Gert Onne van de Klashorst/Eco O. G. Haitsma Mulier, Bibliography of Dutch Seventeenth Century Political Thought. An Annotated Inventory, 1581-1710. Amsterdam/ Maarssen 1986. 19 Eco O. G. Haitsma Mulier, The Myth of Venice and Dutch Republican Thought in the Seventeenth Century. (Speculum Historiale, Vol. 11.) Assen 1980; darauf beruhend ders.,

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publikanischen Prinzipien der holländischen Regenten nachgegangen ist 20 . Wenig erforscht ist in dieser Hinsicht die Eidgenossenschaft, in der gemeinhin republikanische Bewegungen erst im (späten) 18. Jahrhundert geortet werden und Genf beziehungsweise Rousseau das Interesse der Forschung weitgehend monopolisieren.21 Daneben hat nur Bern größere Beachtung gefunden, so in der Kunstausstellung des Europarats „Zeichen der Freiheit".22 Bei derselben Gelegenheit wurden auch die alte Eidgenossenschaft und die Niederlande in ihrer Repräsentation und Symbolik dokumentiert, allerdings nicht vergleichend aufeinander bezogen. Erst vor kurzem hat Jonathan Israel begonnen, einen städtischen „republicanism of the big trading entrepots" mit Zentrum in den Niederlanden zu erforschen, der durch enge Beziehungen zum Reich, zum baltischen Raum und zur Eidgenossenschaft eine typisch kontinentale Prägung aufweise. 23 In diesem Sinn soll es hier darum gehen, den „außenpolitischen Republikanismus" der Niederlande aufzuzeigen, das freiheitliche „Dutch moment"24, wie es in der Schweiz im 17. Jahrhundert spürbar wird. Dabei geht es, gerade was die Eidgenossen anbetrifft, nicht um philosophische Gipfelgespräche, sondern um die Sprache des diplomatischen Alltags, kurzlebiger politischer Pamphlete, vergessener Dissertationen und Vorträge. Sie entstehen in einem Kontext mannigfaltiger Kontakte zwischen der Schweiz und Holland, aber auch familiärer und sozialer Netze, die am Beispiel von Zürich wenigstens ansatzweise prosopographisch aufgezeigt werden.

The Language of Seventeenth-Century Republicanism in the United Provinces: Dutch or European?, in: Pagden (Ed.), Languages (wie Anm. 9), 179-195. 20 Schilling, Der libertär-radikale Republikanismus (wie Anm. 17); darauf beruhend ders., Dutch Republicanism in its Historical Context, in: ders., Religion, Political Culture and the Emergence of Early Modern Society. Essays in German and Dutch History. (Studies in Medieval and Reformation Thought, Vol. 50.) Leiden 1992, 413-427. 21 So zuletzt bei Alain-Jacques Czouz-Tomare, L'idée républicaine en Suisse, in: AHRF 296, 1994,205-222; vgl. auch Pamela A. Mason, The Genevan Republican Background to Rousseau's Social Contract, in: History of Political Thought 14, 1994,547-572. Vgl. auch André Holenstein, Republikanismus in der alten Eidgenossenschaft, in: Peter Blickle/ Rupert Moser (Hrsg.), Traditionen der Republik - Wege zur Demokratie. (Collegium Generale Universität Bern, kulturhistorische Vorlesungen 1997/1998.) Bern/Berlin 1999, 103-144. 22 Dazu der Katalog von Dario Gamboni/Georg Germann/François de Capitani (Hrsg.), Zeichen der Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des 16. bis 20. Jahrhunderts. Bern 1991; außerdem Hans von Greyerz, Nation und Geschichte im bemischen Denken. Vom Beitrag Berns zum schweizerischen Geschichts- und Nationalbewußtsein. Bern 1953. 23 Jonathan Israel hat diesen Ansatz in seinem noch unveröffentlichten Beitrag zur European Sciene Foundation-Tagung in Wassenaar (September 1996) entwickelt, wo er über „Dutch Republicanism and the Rise of Commercial Society (1650-1730)" sprach. 24 Die Formulierung in Anlehnung an Jonathan I. Israel (Ed.), The Anglo-Dutch Moment. Essays on the Glorious Revolution and its World Impact. Cambridge 1991; vgl. insbes. 1-43 (General introduction).

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II. Der niederländische Republikanismus erfährt um die Mitte des 17. Jahrhunderts entscheidende Impulse. Mit dem Ende des Achtzigjährigen Krieges ist der Abfall von Spanien besiegelt und damit die staatsrechtliche Fiktion endgültig überlebt, beim Freiheitskampf handle es sich nur um legitimen Widerstand gegen einen Tyrannen beziehungsweise dessen despotische Minister. Bis dahin hat - von Ansätzen etwa bei Cornells Pietersz Hooft und Hugo Grotius abgesehen - keine republikanische Theorie, sondern allenfalls ein pragmatischer, auf den Batavermythos gestützter Republikanismus das Selbstverständnis der Niederländer bestimmt.25 Als ausländisches Modell spielt dabei Venedig, vorher aber, im 16. Jahrhundert, vor allem die Eidgenossenschaft eine erhebliche Rolle. Da dieser jedoch das „gemeinsame Oberhaupt" abgeht, das für den Kampf gegen Spanien unabdingbar scheint, verliert sie ihren Vorbildcharakter bald.26 Der Westfälische Friede drängt schließlich mit der Unabhängigkeit von Spanien und dem Ausscheiden aus dem Reichsverband zu der Frage, welche staatsrechtliche Form die neue Souveränität eigentlich hat. Verstärkt wird sie durch den Konflikt zwischen den städtebürgerlichen Regenten und den oranischen Statthaltern, der 1650 mit dem Tode Wilhelms II. vorübergehend zugunsten der „wäre vrijheid" entschieden wird: Bis zum traumatischen französischen Überfall von 1672 herrschen in der statthalterlosen Zeit die „Staatsgezinden" um den Regenten Johan de Witt. Auf philosophischem Gebiet geht mit diesem revolutionären Bruch die Rezeption von und Auseinandersetzung mit Descartes (insbesondere „Les passions de l'âme") und Hobbes einher, womit die systematischen, von der Souveränitätsproblematik und damit von der Realität des Absolutismus ausgehenden Werke Spinozas, Lambert van Velthuysens und der Gebrüder de la Court möglich werden.27 Die konkrete verfassungsrechtliche Situation der Vereinigten Provinzen wird jedoch eher bei weniger bekannten Autoren reflektiert, etwa bei Dirck Graswinckel, Raebolt Heerman Scheie, Adriaan Houtuyn, Gerard de Vries, Willem van der Muelen oder Ulric Huber, dem Rechtsgelehrten schweizerischer Abstammung in Franeker.28 Dabei ist die Spannweite der republikanischen Ideale erheblich, je nach dem, wo die Souveränitätsrechte

25 Kossmann, Politieke Theorie (wie Anm. 18), 10: „opinie meer dan doctrine, these meer dan redenering". 26 Nicolette Mout, Ideales Muster oder erfundene Eigenart. Republikanische Theorien während des niederländischen Aufstands, in: Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus (wie Anm. 10), 169-194, hier 178 f. 27 Kossmann, Development (wie Anm. 18), 100: „[...] by accepting absolutism, and by showing where absolute power resided, they [Lambert van Velthuysen, de la Court, Spinoza] made it possible for others to give new importance to the constitution." 28 Kossmann, Politieke Theorie (wie Anm. 18), 32f., 60-103.

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lokalisiert werden: Die egalitären Gerechtigkeitsvorstellungen des Antioraniers Scheie sind weit entfernt von Houtuyns aristokratischem Absolutismus. Auch der eher gegen die Statthalter als gegen ausländische Könige gerichtete Antimonarchismus ist nicht überall so ausgeprägt wie etwa bei den Gebrüdern de la Court.29 In unserem Zusammenhang wichtig ist eine weitere mögliche Kategorisierung: Während die „modernen", naturrechtlich argumentierenden Republikaner de la Court und Spinoza vom eigennützigen Individuum und von einer unteilbaren Souveränität ausgehen und so den Rekurs auf Bürgertugenden und die Mischverfassung vermeiden, bleiben andere Autoren dem klassischen Republikanismus verhaftet, verstehen sich also mehr oder weniger erklärtermaßen in der aristotelischen und nicht der cartesianischen Tradition. Dies gilt für Scheies Betonung der Gerechtigkeit und de Vries' Ablehnung nicht nur von Descartes und Hobbes, sondern auch von Machiavelli.30 Zu ihnen kann man auch Lieven de Beauforts 1737 postum gedruckte „Verhandeling over de vrijheit in den burgerstaat"31 zählen sowie die Werke Petrus Valkeniers, auf die unten ausführlich eingegangen wird. Es ist dieser traditionelle Republikanismus, der für die Schweiz wichtig wird, nicht zuletzt deshalb, weil er die oranische Wende von 1672 überdauert: Während die politischen Lehren der de la Court und Spinozas (der ohnehin kaum rezipiert wird) als Ideologie der bürgerlichen Regenten in Verruf geraten, wirkt de Vries problemlos an der konservativen Universität von Utrecht, und Valkenier bewährt sich als engagierter Anhänger der Statthalter und damit einer Mischverfassung. Noch mehr als in den Generalstaaten wird die Frage der staatsrechtlichen Identität in der Eidgenossenschaft lange vernachlässigt beziehungsweise pragmatisch und deskriptiv erledigt; so etwa durch den Zürcher Staatsrechtler Josias Simler, dessen „Respublica Helvetiorum" von 1576 bis zum Ende des Ancien Régime das Standardwerk zur Verfassung der Eidgenossenschaft und ihrer Kantone bleibt.32 Außenpolitisch drohen längst keine Forderungen eines Monarchen mehr; und innenpolitisch erzwingt keine Institution wie die Statthalterschaft die Rechtfertigung einer republikanischen Regierungsweise. Insofern erübrigt sich eine theoretische Begründung der real bereits im Spätmittelalter errungenen Freiheiten, während etwa in Italien und besonders im revolutionären Neapel von 1647 der verzweifelte Kampf gegen Spanien als 29

Vgl. dazu Wyger R. E. Velema, „That a Republic is Better than a Monarchy". Anti-Monarchism in Early Modern Dutch Political Thought, in: Skinner/van Gelderen (Eds.), Republicanism (wie Anm. 9), Bd. 1, 9-26. 30 Kossmann, Politieke Theorie (wie Anm. 18), 32f., 67f. 31 Dazu Velema, Anti-Monarchism (wie Anm. 29). 32 Josias Simler, De república Helvetiorum libri duo. Zürich 1576; deutsch: ders., Von dem Regiment der lobi. Eydgenoßschaft [...] fortgesetzt von Johann Jacob Leu. Zürich 1722.

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Nachahmung der republikanischen Tat der Niederlande gedeutet wird. 3 3 Wenn die Eidgenossenschaft gleichwohl verspätet und mittelbar den Anschluß an die ausländischen Debatten findet, so liegt das einerseits an der absolutistischen Herausforderung und andererseits am republikanischen Hilferuf. Das pompöse Zeremoniell Ludwigs XIV. hat den Schweizern beispielsw e i s e 1663 bei der Erneuerung des Soldbündnisses in Notre-Dame klargemacht, daß der französische König nicht mehr w i e zu Franz' I. Zeiten ein besserer Copain ist, sondern eine unnahbare Würde darstellen will, der es durchaus beliebt, das verfassungsrechtlich monströse Konstrukt der Eidgenossenschaft zu demütigen, deren Vertreter barhäuptig dem gekrönten Monarchen gegenüberstehen. 3 4 Ähnliches wiederholt sich 1687, als Heinrich Escher, der Bürgermeister des eidgenössischen Vororts Zürich, und der Berner Venner Nikiaus Dachselhofer von einer Reise nach Paris zurückkehren, ohne den König aufgesucht zu haben, weil trotz langer und zermürbender Verhandlungen keine Einigung über die Empfangszeremonie zustande g e k o m m e n ist. 3 5 Wenn die Schweizer Kantone sich nicht zum Gespött der Staatenwelt machen und überall ihren protokollarischen Rang aufs Spiel setzen wollen 3 6 , dann sind sie 33

Salvo Mastellone, I repubblicani del Seicento ed il modello politico olandese, in: Il pensiero politico 18, 1985, 145-163, mit Verweis auf frühere Arbeiten. 34 Zum Vertragsabschluß von 1663 Gamboni/Germann/de Capitani, Zeichen der Freiheit (wie Anm. 22), 138 f. (mit weiterer Literatur), sowie Tony Borei, Une ambassade suisse à Paris 1663. Ses aventures et ses Expériences. Paris 1910, insbes. 91-98 (Zeremoniell). Zum höfischen Zeremoniell in Frankreich zuletzt Peter Burke, Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs. Berlin 1993. Zum fehlenden Respekt für die Eidgenossen als einer „geringschätzigen Nation" der Augenzeugenbericht von Johann Georg Wagner, Parisische Reyß [...] Warhafftige Erzehlung, was sich in der zwischen [...] Ludovico dises Namens dem XIV. an einem: so danne der großmächtigen Republic der 13. und 5. zugewandten Orthen hochlobl. Eydtgnoßschafft im Jahre 1663 [...] zugetragen. Solothurn 1664, lOff.; vgl. auch die Schilderung des Empfangs von 1663 bei Gregorio Leti, Il ceremoniale histórico e politico. Vol. 6. Amsterdam 1685,400f., 466: „certo è che questa Ambasciata riusci vergognosa alla Suizza [...] in fatti qual maggior vergogna di quella di non permettere il Rè di coprirsi agli Ambasciatori d'una Potenza, apresso della quale egli tiene un'Ambasciatore ordinario?" 35 Vgl. Conrad Escher, Eine schweizerische Gesandtschaft an den französischen Hof in den Jahren 1687 und 1688, in: Zürcher Taschenbuch N.F. 11. Zürich 1888, 165-201; auch Hans Camille Huber, Bürgermeister Heinrich Escher von Zürich und die eidgenössische Politik im Zeitalter Ludwig XIV [sie], Zürich 1936, insbes. 34-36. Ähnliche demütigende Erlebnisse am piemontesischen Hof (1661) und bei Ludwig XIV. (1681) bei Leti, Ceremoniale historico (wie Anm. 34), Vol. 6, 467-469. 36 Vgl. zur ausländischen Reaktion auf die Gesandtschaft von 1687 etwa den anonymen Traktat: Frankreichs Geist oder des Itzt-regierenden Königs Ludovici des XIV. allergeheimeste Staats-Maximen [...]. Köln 1689,98: „Solches ist die allergröste Verachtung und allerempfindlichste Schande, die jemaln einem gevollmächtigten Haupt aufstosen und widerfahren kan, und wann dieses die Eydgenoßschafften also werden hingehen lassen, ohne daß sie nicht solten ihren darob gefasten Unwillen dem König zu verstehn geben, so versichere ich Sie, daß alle Europäische Printzen dieselbe verachten werden, und dörffte solches wol nicht das letztere Mißfallen seyn, so ihnen von eben dergleichen Gattung ins künfftige gar leichtlich begegenen kan."

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gehalten, Frankreich gegenüber ihren 1648 in der Exemtion erlangten Status zu behaupten. Und damit teilen sie ein Bedürfnis der Generalstaaten, die ebenfalls unter der Geringschätzung des Sonnenkönigs zu leiden haben, aber stets systematisch einen angemessenen, das heißt den Monarchien nicht nachgesetzten Rang in der Staatenwelt und den Zeremonien des Barock beanspruchen. 3 7 S o öffnen sich helvetische Ohren den republikanischen Sirenen Bataviens, zumal die beiden Freistaaten bei Gelegenheit auch v o m drohenden französischen Nachbarn in den gleichen Topf g e w o r f e n 3 8 und dessen Aggressionen gegen die Niederlande schon früh als prinzipielle Attacke auf republikanisch verfaßte Staaten gedeutet werden. 3 9 37

So während der Kölner Friedensverhandlungen von 1673, vgl. Das Erste Cabinet der Französischen und Niederländischen Gesandten zu Cölln versammlet wegen der FriedensHandlung durch Hippophilum Salicetum. Köln 1673, 18f.: „Die Monarchen nehmen es übel auf und erachten es für unwürdig, wann einer Republic Merckzeichen der Mayestät gegeben sind; zumal wann selbe den Königen gleich und nicht minder zu seyn scheinet. [...] Eben als ob die Mayestät (jus Majestatis) mehr in einem Fürsten und auch nicht weniger in einer Republic befindlich wäre; welche iederzeit die höchste ist, und keine höhere oder niedere Stapfei dulden kan." Vgl. Leti, Ceremoniale historico (wie Anm. 34), Vol. 6, 387: „Se la Francia, e l'Inthilterra considerassero [...] le cose passate [...] non farebbono difficoltà [...] d'accordare generosamente alla República d'Holanda, tutte le prerogative, e preminenze Reali, come si fa verso le altre teste Coronate, e República di Venetia". Allerdings erwähnt Leti (ebd. 466 f.) als entscheidenden Unterschied zwischen den Niederlanden und der Eidgenossenschaft, daß die Provinzen wohl innenpolitisch als Souverän agierten, außenpolitisch dagegen nur die Generalstände, während die vollständig souveränen Kantone jeder für sich Gesandtschaften unterhalten könnten. 38 Vgl. den aus dem Französischen übersetzten Traktat: Die Mittel der Cron Franckreich, den Kauff-Handel der Holländer zu verderben, benebenst dem Interesse der außländischen Fürsten. Dem König durch seinen Diener übergeben, s. 1., s. a. [1671], 14: „dieses ist heutiges Tages die Seele der Frantzösischen Reputation eines zu wagen wider die Holländer und Schweitzer und diese kleine Nachbaren und undanckbare Schuldener vor ihre Freyheit und Oberherrschafft an unsern Königen zu lehren, daß die Frantzosen Macht haben die Unterdrückten zu beschützen und die Undanckbaren zu straffen." 39 Eröffnete frantzösische geheime Raths-Stube, worinnen die Consilia über jetzigen Zustand zuammen getragen werden, s. 1. 1673, Cii: „Uberdiß stünde diese Republic [Venedig] mit Holland gar wohl der Handlung und dann auch des fast gleichen Standes halben. Es sey ein Geschrey allenthalben erschollen, nachdem der König die vereinigte Provintzen oder vielmehr Republiquen angegriffen, es würde allen freyen Städten und Communen auch also ergehen und würden auch die Italiänische nicht können verschont bleiben, zumahlen der Anfang schon mit Genua durch den Herzog von Saphoyen gemacht und hemach folgendes continuiret werden wollen, indem man selbige Republic in das Frantzösische Interesse mit Gewalt habe einschleissen wollen." Vgl. Der Erfährte Hahn oder kurtze Vorstellung [...] ob Franckreich sein vorgesetztes Ziel erreichen werde? Freystatt 1678, 55: „In dem sie [Venetianische Respublica] klüglich ermessen kan, daß Könige, welche despotice zu herrschen gewohnt sein, denen freyen Rebuspublicis von natur auffsätzig sind, absonderlich aber diejenigen, so denen Königen an herrlichkeit gleich sein wollen, ohnauffhörlich mit feindseeligen äugen anblicken: und daß das gemeine interesse derer Rerumpublicarum heysche daß sie einander bey ihrer freyheit schützen und handhaben sollen." Femer: Holland-Betreffende Stichel-Rede [...] Satyra Batavica, s. 1.1672: „Die Freye Staats-Gemeinden sind gleich wie Tauben, I Die Könige sind die Stoß-Vögele oder Habichte".

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Die Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und den Niederlanden sind traditionell eng und freundschaftlich.40 Der Wasserweg auf dem Rhein verbindet die beiden Randgebiete des Reichs und ermöglicht einen beträchtlichen wirtschaftlichen Austausch. Nach der Reformation zieht es Studenten aus dem Norden nach Basel, Zürich und besonders nach Genf, während später umgekehrt die Universitäten in Leiden, Franeker, Groningen und Utrecht die lernwilligen jungen Schweizer in großer Zahl anziehen - dies gilt beispielsweise für führende Zürcher Gelehrte wie den Theologen Johann Jacob Breitinger (1575-1645), den Orientalisten und Polyhistor Johann Heinrich Hottinger (1620-1667) und als Stadtärzte die beiden Johann Jacob Scheuchzer (1645-1688 bzw. 1672-1733). 41 Viele Studenten kommen in den Niederlanden erstmals mit dem „Bazillus freiheitlichen Denkens" in Berührung, den Neuerungen in Philosophie, Theologie, Naturwissenschaften und (Staats-) Recht, mit Descartes und nicht zuletzt mit Hobbes, während in der Heimat die reformierte Orthodoxie des 17. Jahrhunderts vorherrscht.42 In der niederländischen Kunst finden sich schweizerische Freiheitsszenen43, und ihrerseits prägen Holländer bis ins 19. Jahrhundert insbesondere die Schweizer Landschaftsmaler: Ihren Ausgang nimmt diese Schulung bei Jan Hackaert (1628vor 1700), der für die Zürcher Familie Werdmüller gleichsam als „Hofkünstler" wirkt und seinen Zürcher Kollegen und Freund Conrad Meyer stark beeinflußt.44 Meyer ist auch einer der zahlreichen Schweizer Künstler, die holländischen Vorbildern folgen, wenn es die Eidgenossenschaft oder einzelne

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Dazu allgemein Edgar Bonjour, Die Schweiz und Holland, eine geschichtliche Parallelbetrachtung, in: ders., Die Schweiz und Europa. Ausgewählte Reden und Aufsätze. Bd. 1. Basel 1958, 33-56. Als verfassungsgeschichtlicher Vergleich zudem Wolf gang Amédée Liebeskind, La République des Provinces-Unies des Pays-Bas et le Corps Helvétique. Etude comparative de deux fédéralismes, in: Recueil de travaux publié à l'occasion de l'assemblée de la société suisse des juristes à Genève, du 4 au 6 septembre 1938. Genf 1938, 215-242; ferner Matthijs Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen voor en na 1700. Deel 1 (1685-1697). Amsterdam 1930 (der zweite Teil ist nicht erschienen), xii-xxi. 41 Frieder Walter, Niederländische Einflüsse auf das eidgenössische Staatsdenken im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Neue Aspekte der Zürcher und Bemer Geschichte im Zeitalter des werdenden Absolutismus. Zürich 1979, 91-98 sowie Beilage I (Liste der Schweizer Studenten). 42 Otto Sigg, Das 17. Jahrhundert, in: Geschichte des Kantons Zürich. Bd. 2: 16.-18. Jahrhundert. Zürich 1996, 320; vgl. Christine von Hoiningen-Huene, Beiträge zur Geschichte der Beziehungen zwischen der Schweiz und Holland im 17. Jahrhundert. (Diss. Bern.) Dessau 1899, 32-37. Zu Hobbes vgl. die niederländische Ausgabe des Leviathan von 1667, die Lorenz Zellweger 1713 in Leiden erwarb, Zentralbibliothek Zürich: 16. 286; die holländischen Hobbes-Editionen finden sich bei Kossmann, Dutch Republicanism (wie Anm. 18), 468. 43 Bonjour, Die Schweiz und Holland (wie Anm. 40), 45, erwähnt ohne weitere Angaben Teils Apfelschuß und den Rütlischwur als Motive für Künstler des 17. Jahrhunderts. 44 Vgl. Ruth Vuilleumier-Kirschbaum, Die Rezeption der niederländischen Landschaftsmalerei in Zürich von Felix Meyer bis Caspar Huber, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 47, 1990, 135-141.

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Kantone als souveräne Republiken zu repräsentieren gilt.45 Auf theologischem Gebiet sind die Wechselbeziehungen bereits seit den Zeiten Calvins und Bullingers intensiv. Mit entsprechender Sympathie verfolgen die evangelischen Kantone die calvinistischen Erfolge in den beiden Niederlanden und den Unabhängigkeitskampf der sieben Provinzen gegen die katholische „Tyrannis" der Spanier. An der Dordrechter Synode von 1619 nimmt unter der Leitung des Zürcher Antistes Breitinger eine ansehnliche Schweizer Delegation teil. Diese Reise veranlaßt Breitinger, einen Büß- und Bettag einzuführen, wie er ihn in den Niederlanden erlebt hat. Auch auf militärischem Gebiet macht das Beispiel der Generalstaaten Schule: Die oranische Heeresreform inspiriert in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die neuen Dienstreglements nicht nur in den evangelischen Städten Zürich, Bern und Genf, sondern auch im katholischen Freiburg.46 Ferner ist es auch wahrscheinlich, daß der um 1630 faßbare Zuchthausgedanke in Bern und Zürich auf das Vorbild des neuartigen Amsterdamer „Tuchthuis" zurückgeht.47 Die „niederländische Bewegung" 48 in der Schweiz, also die Rezeption holländischen Gedankenguts über Politik, Militär und Sozialwesen (von der Theologie nicht zu reden), läßt sich auch anhand von Büchern belegen, die sich im Besitz von Zürcher oder Berner Bürgern befinden. Häufig handelt es sich um die Werke von Justus Lipsius, dem wichtigsten Vertreter des für politische und militärische Reformen zentralen Neostoizismus.49 Dessen „Politica" veranlaßt den Zürcher Goldschmied und Zunftmeister Johann Conrad Heidegger, 1632 ein „Regentten Kräntzli" zu verfassen. Dieses Opusculum mit zahlreichen, auch wörtlichen Übernahmen aus der „Politica" (beziehungs-

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Zu diesem bisher nicht beachteten Thema Thomas Maissen, Des insignes impériaux à un imaginaire républicain: la représentation de la Confédération Helvétique et des Provinces Unies autour de 1648, in: Klaus Bussmann/Jacques Thuillier (Eds.), 1648: Paix de Westphalie, Γ art entre la guerre et la paix. Paris 1999,477-511 ; sowie ders., Von wackeren alten Eidgenossen und souveränen Jungfrauen. Zu Datierung und Deutung der frühesten „Helvetia"-Darstellungen, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 56, 1999, 265-302. 46 Walter, Niederländische Einflüsse (wie Anm. 41), 18-81; ferner Hubert Foerster, Die niederländische Schule und ihr Einfluß in der Eidgenossenschaft am Beispiel von Bern und Freiburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Actes du Symposium 1989: Quelques influences ayant marqué la pensée militaire de la Renaissance à 1789. (Travaux d'histoire militaire et de polémologie, Vol. 6.) Pully 1990, 63-78. 47 Walter, Niederländische Einflüsse (wie Anm. 41), 159-193. 48 Das Konzept nach Gerhard Oestreich, Politischer Neustoizismus und Niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1969, 101-156, hier 101. 49 Walter, Niederländische Einflüsse (wie Anm. 41), 99-105 sowie Beilage II. Zu Lipsius Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 38.) Göttingen 1989, sowie die entsprechenden Aufsätze in ders., Geist und Gestalt (wie Anm. 48).

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weise der deutschen Übersetzung) wird in verschiedenen Handschriften überliefert und ein Jahrhundert später, 1733, auch gedruckt.50 Die diplomatischen Kontakte im eigentlichen Sinn zwischen den Generalstaaten und der Eidgenossenschaft, und dort vor allem mit Zürich und Bern, intensivieren sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.51 Dabei geht es um die Unterstützung der Waldenser und Hugenotten, die aus dem Piémont und aus Frankreich fliehen52, und um die holländischen Allianzbemühungen gegen das Frankreich Ludwigs XIV., wobei die Schweiz wegen ihres Potentials an Söldnern interessant und interessiert ist. Selbst das seit Zwingli dem Soldwesen abgeneigte Zürich duldet aus ökonomischen und konfessionspolitischen Überlegungen seit 1600 stillschweigend die Reisläuferei in die Niederlande, die schon mit Beginn des dortigen Freiheitskampfes eingesetzt hat.53 Allerdings bleiben die Limmatstadt wie auch die übrigen reformierten Kantone während des 17. Jahrhunderts formal in den traditionellen, 1663 feierlich erneuerten und für die Führungsgruppen lukrativen Soldvertrag mit dem französischen König eingebunden. Vor diesem Hintergrund geraten die Eidgenossenschaft und insbesondere Zürich in den Einflußbereich des holländischen Republikanismus, der sich mit der französischen Hegemonie zu reiben beginnt. Im 1662 gedruckten „Interest van Holland", das 1665 als „Holländisches Interesse" und in der erweiterten Fassung 1671 unter dem Titel Anweisungen der heilsamen politischen Gründe und Maximen der Republicqen Holland und Westfriesland" auf deutsch erscheint, stellt Pieter de la Court die Frage, inwieweit „Alliantzen" für die friedliebenden und auf Fischerei, Seefahrt, Manufaktur und Handel bedachten Niederländer sinnvoll sind. Grundsätzlich ist er skeptisch, besonders was die großen Monarchien Frankreich, England und Spanien betrifft. Wenn sich ein (Defensiv-)Bündnis nicht vermeiden lasse, dann sei es dienlicher, „eine Alliantz mit einer Republick als mit einem Herrn oder König zu schliessen; Dieweil man sich, indem solche Alliantz auff ein gemeines Interesse gebauet worden, auch versichern kan, daß dieselbe von den Regenten dieser Republicqen, welche noch darzu unsterblich sind 50

Walter, Niederländische Einflüsse (wie Anm. 41 ), 107-158, sowie die Parallelstellen als Beilage III, ebd. 51 Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 50-195; Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 157-183; außerdem die präzise, aber ungedruckte Zürcher Lizentiatsarbeit von Edwin A. van der Geest, „hij vloekt en zuipt als een oude zwitser". Militärorganisatorische und diplomatische Aspekte der Geschichte der Schweizer in niederländischen Diensten 1568 bis 1740 (Historisches Seminar Zürich, Liz. 169, 1989). 52 Dazu Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 157-183, und zuletzt Meindert Evers, Gabriel de Convenant. Avoué de la „Glorieuse Rentrée" des Vaudois. Correspondance avec les Etats-Généraux des Provinces-Unies 1688-1690. (Publications de l'Association Suisse pour l'Histoire du Refuge Huguenot, Vol. 4.) Genf 1995. 53 Walter, Niederländische Einflüsse (wie Anm. 41), 82-87.

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unnd immer währen, wol werde unterhalten werden: Da im Gegentheil die einhäuptige Regenten von denselben selten so viel Verstands unnd Wissenschaft haben, daß sie ihr eygen Interesse wol begreiffen können und noch vielweniger die Mühe nehmen wollen, darnach zu regieren, und über diß sehr unbeständig unnd sterblich sind, benebens auch von Natur alle Republicquen hassen." 54 Was die aktuelle Situation betrifft, so geht de la Court die potentiellen Verbündeten durch: Die „Republicquen, die auff Frieden und Kauffmanschafft gegründet sind", betrachtet er als wirtschaftliche Konkurrenten und damit kaum als verläßliche Gefährten; dies gilt vor allem für die „Hanseatischen Republicquen". Die „Teutschen Republicquen" sind allesamt schwächer als die Niederlande, und so ist ihr Nutzen gering, die Gefahr aber groß, ihretwegen in einen Konflikt verwickelt zu werden; die „Italiänische Republicquen" sind auf dem Land zu weit entfernt und zur See nur am Mittelmeer interessiert. 55 In der Not ist auch auf die Freistaaten kein Verlaß. De la Courts Einschätzung der Republiken entspricht weitgehend derjenigen von Johan de Witt und damit der holländischen Außenpolitik unter den Regenten. Der Großpensionär ist überzeugt, daß insbesondere die Reichsstädte das Interesse an „vrijheyt" und „commercie" mit seiner Heimat teilen und insofern ein Gegengewicht gegen expansionistische Landesfürsten bilden; aber auf europäischer Ebene stellten sie keine maßgebliche Kraft dar. Ebenfalls skeptisch betrachtet de Witt einen Vorschlag, den Willem Boreel, der niederländische Gesandte in Paris, am 21. Dezember 1663 ins Spiel bringt: „Une Ligue défensive entre les trois plus puissantes Républiques de la Chrétienté", ein republikanisches Bündnis der Vereinigten Provinzen mit der Serenissima und der - bei de la Court in diesem Zusammenhang nicht erwähnten - Eidgenossenschaft, deren Gesandte sich gerade wegen des Soldbündnisses mit Frankreich in Paris befinden. Gemeinsam könnten die Republiken - so Boreel - sich jeder expansionistischen Macht entgegenstellen und das Gleichgewicht in Europa aufrechterhalten. De Witt hält dagegen, daß die Entfernung und „la diférence de leurs intérêts" eine gemeinsame Politik unwahrscheinlich mache. 56 54

Pieter de la Court, Anweisungen der heilsamen politischen Gründe und Maximen der Republicqen Holland und Westfriesland. Rotterdam 1671, 247; diese starke Formulierung fehlt noch in der früheren, anonymen Ausgabe des gleichen Werks, vgl. ders., Holländisches Interesse oder Gründlicher Unterricht von Hollands Wohlfahrt. Durch V. D. H. angegeben. Frankfurt am Main 1665, 206. 55 De la Court, Anweisungen (wie Anm. 54), 224-226; ders.. Holländisches Interesse (wie Anm. 54), 179-181. Vgl. auch Mulier, Myth of Venice (wie Anm. 19), 120-169, und Venturi, Re e repubbliche (wie Anm. 15), 35-37. 56 Lettres et négociations entre Mr. Jean de Witt [...] et messieurs les plénipotentiaires des Provinces Unies des Pais-Bas [...] depuis l'année 1652 jusqu'à l'an 1669. Traduites du Hollandois. Vol. 2. Amsterdam 1725, 581-584, 601-606 (= Brieven geschreven ende ge-

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Obwohl diese Skepsis sich insgesamt als angebracht erweisen wird, umwerben die Generalstaaten in der zweiten Jahrhunderthälfte doch die S c h w e i z als potentielle Alliierte. 5 7 Sie genügt auch de la Courts Kriterien, was den niederländischen Diplomaten durchaus bewußt ist 5 8 : Das ferne Binnenland ist kein wirtschaftlicher Konkurrent; nach der Eroberung der Freigrafschaft Burgund zum Nachbarn Frankreichs geworden, wäre es trotz der Distanz ein wichtiger und zudem militärisch potenter Bundesgenosse, dessen Eigeninteresse durch den expansiven Monarchen ebenfalls bedroht ist - und nicht zuletzt handelt es sich um einen Zusammenschluß von zum Teil erst noch reformierten Republiken. D i e diplomatische Korrespondenz zwischen den eidgenössischen Orten und den Niederlanden zeigt, wie die traditionellen Freundschaftsbezeugungen, die manchmal auch Referenzen an das gemeinsame deutsche Vaterland 59 und im Umgang mit den reformierten Kantonen stets auch den Rekurs auf die Konfession enthalten 6 0 , allmählich das Motiv der verbindenden politischen Freiheit aufnehmen. 6 1 N o c h bei seiner Ankunft in der Schweiz, im Oktober 1655, spricht der niederländische Gesandte Rudolf van Ommeren von der geheimen Sympathie zwischen den beiden Ländern, die „nur auf brüderliche wisselt tusschen den Heer Johan de Witt [...] en de gevolmaghtigden van den Staedt der Vereenighde Nederlanden, 1652-1669. Vol. 1. Den Haag 1723,674-676). Vgl. zu de Witts Einschätzung der Republiken auch J. C. Boogman, Johan de Witt - Staatsräson als Praxis, in: Roman Schnur (Hrsg.), Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs. Berlin 1975,481^96, hier 490f. 57 Zum machtpolitischen Hintergrund dieser Jahrzehnte Paul Schweizer, Geschichte der Schweizerischen Neutralität. Frauenfeld 1895, 283-380; Edouard Rott, Histoire de la représentation diplomatique de la France auprès des cantons suisses, de leurs alliés et de leurs confédérés. Vol. 7 (1663-1676), Vol. 8 (1676-1684), Vol. 9 (1684-1698) und Vol. 10 (1698-1704). Bern 1921-1935. 58 Vgl. das an Zürich und die reformierten Kantone gerichtete Memorial der Generalstände in den Archives d'Etat de Genève, PH 3555 (7. Mai 1672), in dem die gemeinsamen Interessen dargelegt werden: „Erstlich, sind beide Lobi. Ständ einer Religion bygethan; habend einerley Satzungen, und sind von einanderen so wyt entlegen, daß sy keine verderbliche händel mit einanderen uff dem Land haben könnend; und wylen die lobi. Orth kein Interesse uff der See habend, so ist derhalben auch nicht zu besorgen, daß sy deßwegen mit den Vereinigten Niderlanden in Zwytracht gerathind. Alß habend sy beidersyts allerhand Ursachen, einanderen eine [...] wolfahrt anzuwtinschen, hingegen aber keinen anlaaß, weder zum Nyd noch zur yffersucht, noch zu besorgen, daß deß einten Standts glückselligkeit [...] deß anderen Standts Nachtheill und Schaden syn werde." 59 Zentralbibliothek Zürich: Ms Β 304, fol. 206v (April 1665; identisch ebd. fol. 183): „Placuit Deo, ut ejusdem corporis mystici essemus membra, & communis Patriae, Germaniae, duo veluti brachia, quae non possunt non in mutua fortunae societate trahi." Vgl. auch ebd. fol. 208v. 60 Vgl. etwa das niederländische Hilfegesuch gegen den Bischof von Münster, das an die reformierten Orte und Zugewandten gerichtet ist; Staatsarchiv Zürich: A 217 1 , 86 (14. März 1665): „precamur, ut vos ac subditos Vestros ab omnibus inimicorum et hostium insultibus, communi Reipublicae Christianae, et Religionis reformatae bono, Divino suo numine semper conservet". 61 Dazu ausführlich Maissen, Valkeniers republikanische Sendung (wie Anm. 12).

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Liebe und auf das Fundament der reformierten Religion gegründet ist".62 Als jedoch 1664 im Gefolge des Thurgauer Wigoltingerhandels ein Religionskrieg droht, und der Zürcher Gesandte Johann Heinrich Hottinger bei den Generalstaaten um ein hohes Darlehen nachsucht, spricht ihm van Ommeren die besten Wünsche aus, „afin que par une sainte union des deux puissances l'eglise de Dieu et la liberté de la patrie puisse jouir d'une tant plus forte protection".63 Damit wird die niederländische Devise „Pro Religione et libértate"64 als Motiv außenpolitischer Solidarität entdeckt und instrumentalisiert. So erbittet am 24. Februar 1666 van Ommeren Soldtruppen gegen den Bischof von Münster, mit „Rücksicht auf Eure Religon, auf dieselbe Staatsform und auf Euren grossen Mut, neben einer aussergewöhnlichen Treue".65 Parallel zu solchen Formulierungen etabliert sich die Anrede als „Republique"66, „Stadt ende Republique van Zurich"67 oder „Lobl. Stadt und Republiq von Zürich"68, welche neben die herkömmlichen diplomatischen Titel (wie „DD.nis Consulibus & Senatui Urbis Tigurini" oder „Burgermeister und Rath der Stadt Zürich"69) tritt und diese teilweise ersetzt. Dies ist um so auffälliger, als die Generalstaaten ansonsten in der diplomatischen Sprache „Republik" als Selbst- oder Fremdbezeichnung eher meiden. 70 Ein großer Vorteil dieser Freiheitsrhetorik liegt darin, daß sie sich auf die ganze Eidgenossenschaft anwenden läßt - also auch auf die katholischen Orte. Als die Generalstaaten 1668 die Schweizer einladen, als Garantiemacht 62

Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 59. Staatsarchiv Zürich: A 217 1 , 79 ( 11 ./21. Okt. 1664). Ähnlich ebd. A 217 1 , 80a (Resolution der Generalstaaten vom 17. Oktober 1664): „gestalten wir dieselbige [göttliche Majestät] aus dem gantzen Hertzen bidten, daß sie die Lobi. Stadt und Republiq von Zürich in das künfftige [...] in mehr und mehr die offenliche bekandtnuß seines heiligen worts und der einen Wahrheit beey ihnen bevestern [...]: Zugleich mehr und mehr bestetigen und bevestern ihre alte und theur erkaufte freiheit." Zu Hottingers Mission Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 61 f. 64 So bezieht sich im 1648 begonnenen Amsterdamer Rathaus die folgende Inschrift auf den Westfälischen Frieden: „Asserta patriae libertate et religione". 65 Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 82. 66 Staatsarchiv Zürich: A 217 1 , 69 (21./31. Okt. 1658): „Je finiray avec les voeux, q u e j e fais continuellement pour le bien et prospérité de Vre Republique". 67 Vgl. Staatsarchiv Zürich: A 217', 117 (22. Dezember 1666); die Briefadresse verbindet traditionelle und moderne Elemente: „Weledele Hoochachtbare, Wyse Voorsichtige Heeren Burgemeisteren ende Raet der Stadt ende Republique van Zurich, Onse besondere goede vrunden en Nabuyren." 68 Staatsarchiv Zürich: A 217 1 , 80a (Resolution der Generalstaaten vom 17. Oktober 1664). 69 Staatsarchiv Zürich: A 217 1 , 41/41a (23. Oktober 1641); vgl. noch am 17. Oktober 1664 (ebd. 81): „Den edelen, erentfesten, hoochgyeleerde, wysen und voorsichtigen Burgermeisteren und Raht der Stadt Zürch auch besondere günstige gotde Vrunde." 70 Ernst H. Kossmann, Freedom in Seventeenth-Century Dutch Thought and Practice, in: Israel (Ed.), Anglo-Dutch Moment (wie Anm. 24), 281-298, hier 288 (mit Beispielen): „Dutch diplomacy was generally not eager to underline the republican character of the state it represented." 63

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des Aachener Friedens mitzuwirken, erinnern sie an die „interests communs": „Ceux qui y tiennent le premier lieu, sont, sans doute, la conservation du repos public en toute la Chrestienté, et celle de la liberté parmy les deux Nations" neben einer christlichen Friedensordnung also „la conservation du trésor inestimable de la chere liberté, que nous possédons les uns et les autres".71 Freiheit ist das, was die Niederlande mit allen eidgenössischen Ständen verbindet; verhandeln sie mit den evangelischen allein, wird die Argumentation sofort wieder um die Konfession erweitert. Die Säkularisierung der Freundschaftsbeteuerungen wird in der Korrespondenz insofern reflektiert, als - wenigstens rhetorisch - bedauert wird, daß die vor allem von Katholiken betriebene „Politique purement mondaine, qui agit tout par authorite ou par force" die einst engen konfessionellen Bande gelockert habe: „l'ancienne correspondence & concurrence cordiale est change en Politique."72 Als am Vorabend des Holländischen Kriegs (1672-1678) den Regenten klar wird, daß sie international isoliert dastehen, wenden sie sich auch an die evangelischen Orte und Zugewandten der Eidgenossenschaft (einschließlich Genf) und erneuern ein bereits drei Jahre zuvor 73 gemachtes Angebot „de prendre avec elles, et avec leur Republique une liaison et un engagement plus estroit, pour l'interest commun d'eux et de nous; Il a pour principes la Religion et la liberté dont la conservation nous estant également chere et importante". 74 Wie sich jedoch bald zeigt, kann es um ein wirkliches Bündnis nicht gehen 75 , seitdem sich die Schweizer 1663 Frankreich verpflichtet haben. Daß die dort zugesagten Truppen offensiv gegen die - im Allianzvertrag nicht vorbehaltenen - Niederlande eingesetzt werden, empört jedoch gerade in den evangelischen Orten manche, und dort verspricht der Protest der Generalstaaten gegen die Transgressionen Erfolg: „[...] vos sujets, qui ont un mesme interest de Religion et de liberté avec nous, aident a opprimer l'une et l'autre." 76 Der Streit zwischen den Anhängern Frankreichs und denen der Niederlande wird in der Eidgenossenschaft mittels zahlreicher in- und ausländischer Traktate geführt. 77 Die in den Kriegsjahren publizierten niederländischen Traktate 71

Staatsarchiv Zürich: A 217 1 , 132 (17. Sept. 1668). Staatsarchiv Zürich: A 217 1 , 104 (4. Januar 1666, Memoire touchant le secours demande des Cantons Reformes, par les Provinces Unies). 73 1669 fordert der Berner Kleinrat Franz Ludwig von Bonstetten im Auftrag der Generalstaaten die Eidgenossen offiziell auf, sich der Tripelallianz anzuschließen; vgl. Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 70. 74 Staatsarchiv Zürich: A 217', 152 (8. Februar 1672); identisch Archives d'Etat de Genève, PH 3555. 75 Zu den Verhandlungen um eine Allianz oder Söldner im Vorfeld des Krieges von 1672 Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 79-93. 76 Staatsarchiv Zürich: A 2 1 7 1 , 1 5 4 (23. März 1672, an die evangelischen Orte). 77 Dazu mit viel Material, dessen Paraphrase die Analyse allerdings weitgehend erdrückt, die Dissertation von Rudolf Meyer, Die Flugschriften der Epoche Ludwigs XIV. Eine Untersuchung der in schweizerischen Bibliotheken enthaltenen Broschüren (1661-1679). 72

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bemühen sich aufzuzeigen, daß es um die ureigenen Anliegen der Eidgenossen geht: „Das gemeine Interesse derer freyen Republicken rahtet ihnen, dem betrangeten Holland wieder auffzuhelffen." 78 „Interesse" ist in niederländischen Traktaten, so bereits bei de la Court, gleichsam ein Synonym für Staatsraison, das aber - anders als bei französischen Autoren - des machiavellistischen Zynismus entbehren und den legitimen Selbsterhaltungstrieb gerade von Freistaaten umschreiben soll. 79 Unter den Eidgenossen ist Aufklärungsarbeit um so dringlicher, als sie wegen ihrer notorischen Uneinigkeit und Streitsucht das sie verbindende „Interesse" aus den Augen zu verlieren drohen. 80 In diesem Sinn wird die Abwehr der französischen Hegemonie häufig grundsätzlich gedeutet als Ringen schweizerischer „gefreyter Ständen", die von Ludwig XIV. auf die Dauer keine Schonung erwarten dürften, zumal die Monarchen allen „Republiquen" stets mit „Antipathia" begegneten.81 So warnt 1673 die Dichtung eines „Eidtgnössischen Patrioten" die Schweizer gar weltlich: „Wach auff und merck, wie viel die Glock geschlagen I Wie man begärt dem ganzen Land zu zwagen. I Man sucht uns nicht zu bringen I Umb die Relligion, I Man stellt vor allen dingen I Nach gmeiner Freyheitskron."82 Sowohl wegen der Konfession als auch „wegen dergleichen Qualität an der Regierung" sieht dagegen ein „Unpartheyisches Urtheil" von 1674 die Schweizer am niederländischen Schicksal interessiert, zumal sie „gut Städ-

(Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft, Bd. 50.) Basel 1955, insbes. 224-231 (Exkurs 14). 78 Der Erfährte Hahn (wie Anm. 39), 86. 79 Dazu Ernst H. Kossmann, Some Late 17th-Century Dutch Writings on Raison d'Etat, in: Schnur (Hrsg.), Staatsräson (wie Anm. 56), 497-504, hier 500f.; außerdem als Übersicht, allerdings ohne Behandlung der Niederlande Emst Wolfgang Orth, Art. „Interesse", in: Bninner/Conze/Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 16), Bd. 3, v. a. 321-325. 80 Vgl. auch Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 172; ebd. 170 außerdem die Übernahme des Begriffs durch den Berner Ratsherren von Muralt, der Valkenier bittet, der Stadt „ihr wahres Interesse klar zu machen". 81 Neuer Friedens-Curier, ins Teutsche übersetzet, welcher fürbringet, was allenthalben [...] von den gegenwärtigen Kriegs-Händeln discurriret wird [...], s. 1. 1673, fol. Eiv v : „Aber in disen sind sie [die Schweizer] alle einhälliger Meynung, man solte die holländische Republic nicht gar untertrucken lassen, auf welche sich die Schweitzer viel sicherer als auf Monarchen zu verlassen hätten, dann es blibe doch eine immerwährende Antiphatia [sie] zwischen den Republiquen und den Königen oder Fürsten und wäre nur eine simuline Freundschafft, die sie umb einiges Interesse willen mit ihnen hielten, welche dann sobalden verschwinde, als die Republiquen den Königen und Fürsten nicht mehr nutzlich zu seyn schienen." 82 Eidgenößisches Wach auff, und Eidtnößisches Klopff drauff. Das ist zwey wolmeinlich gestellte Gsang, darinn die gmeine hochlobliche Eidtgnoßschafft und alle derselben Glieder auffgemunteret werden zu der bey diesen gefährlichen Läuffen hochnothwendigen Wachtbarkeit und erforderlichen Dapfferkeit, s. 1. 1673.

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tisch oder Bürgerlich gesinnet sind, die schicken sich hinwieder zu ihres Gleichen, sind Liebhaber der Freyheit und Feinde der Tyranney".83 Ein Pamphlet folgt auf das andere: In Diensten Ludwigs XIV. verleumdet 1674 der - reformierte - Offizier Peter Stuppa die Holländer als Ungläubige 84 , worauf ein „Gründtlicher Bericht der Hollander Religion" aufgrund von eigens aus den Niederlanden bestellten Unterlagen antwortet und neben anderen Ratschlägen für die Schweiz auch das „gemeine Interesse aller freyen Ständen" darlegt: „Alle freye Ständ sind bey den Gekrönten nicht wohl angeschriben, heut gilt es einen, morgen den anderen: diser wird zum Vortisch genommen, jener zum desert gespart; dem es am besten geht, genießt der polyphemischen Genad und wird der letste auffgeschluckt."85 „Nähere Verständnuß und Freundschafft" sei ebenso angebracht wie die Entsendung einiger „Regimenten von beyden Religionen", meint der anonyme Verfasser, bei dem es sich um den Zürcher Ratsherrn Johann Heinrich Rahn handelt, der in anderem Zusammenhang wieder begegnen wird. 86 Noch weiter geht der ebenfalls anonyme, möglicherweise von einem Schweizer 87 verfaßte Traktat „L'affermissement des republiques de Hollande & de Suisse" von 1675. Geschildert wird ein Traum des Erzählers: Vom schweizerischen Nationalheiligen Nikiaus von Flüe begleitet, lauscht er einem Gespräch zwischen Wilhelm von Oranien, „le premier Libérateur de la Hollande", und Wilhelm Tell, „le fondateur de la liberté des Suisses". Bereits diese in antiken Kleidern auftretenden Protagonisten zeigen, daß die Konfes83 Unpartheyisches Urtheil aus dem Parnasso über den neuen Friedens-Currier, s. 1. 1674, 62 f. 84 Officier de l'armée du roy [Peter Stuppa], La religion des Hollandais (Sechs Epistel, nach Bern geschrieben [...]). Köln 1673. 85 Gründtlicher Bericht der Hollander Religion, s. 1. 1674,42; vgl. als frankophile Antwort darauf: Widerlegung eines Büchleins [...] dessen Titul ist: Wahrer Bericht von der Holländern Religion, s.l. 1674, 37: „Was Schmach und Spott die neuen Republicanten und ungezaltzne Politici den Fürsten und Herren angethan, sonderlich Frankreich und Engelland zum Gespött, es schämet mich selbe zu erzählen." Das Bild von Odysseus und dem Zyklopen findet sich ähnlich im katholischen, ebenfalls auf Holländisch übersetzten Traktat: Schreiben des Herren B. D. S. C. an Herren M. D. Schultheissen zu Solothurn, betreffend die jetzigen interets schweizerischer Cantones; vgl. Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 31. 86 Siehe unten S. 260; zu Rahns Verfasserschaft Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 117 f.; auch Meyer, Flugschriften (wie Anm. 77), 157-161. Der Autor selbst erwähnt seinen Aufenthalt in den Niederlanden, Gründtlicher Bericht (wie Anm. 85), 44, und entsprechend unverkennbar ist das holländische Quellenmaterial: So finden sich die Berufung auf Demosthenes und andere Argumente, etwa daß der Militärdienst in den Niederlanden für schweizerische Söldner eine „kostenlose herrliche Kriegsschule" bedeuten würde, später in Petrus Valkeniers Schriften, vgl. unten Anm. 113, Copia des Schreibens an Bürgermeister, Klein- und Grossräth, s. 1. 1693, 148, und ders., Memoriale [...] an das löbliche Canton Bern zu weiterer Conniventz der holländischen Werbung, s. 1. 1694. Möglicherweise ist also Valkenier der Informant des „Gründtlichen Berichts". 87 L'affermissement des republiques de Hollande & de Suisse, s. 1. 1675, 40, zeugt jedenfalls von genauen geographischen Kenntnissen der Gegend um Zofingen.

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sion, der sie angehören, keine Rolle mehr spielt; erörtert werden allein die Probleme republikanischer Regierung und Außenpolitik.88 Wie kann „F estât où plusieurs gouvernent", wegen der Vielzahl von Entscheidungsträgern stets fragil, Dauer erlangen? Sparta und Rom hatten Diktatoren, Venedig den Dogen - also ist eine entsprechende Institution (wie der Statthalter) auch für die Schweiz empfehlenswert: ein „Chef prudent & fidele", der die Einzelinteressen ausgleicht. Diese oranische, an der Mischverfassungstheorie orientierte Variante der Republik mit einer starken, einköpfigen Exekutive unterscheidet sich offensichtlich von derjenigen der holländischen Regenten, wie sie de la Court vertreten hat.89 Gemeinsam ist dem holländischen Republikanismus vor und nach 1672 dagegen die außenpolitische Abwehrhaltung gegen die aggressiven Monarchen. Dafür brauche es aber - dies ist die Hauptaussage des „Affermissement" - ein Bündnis der von Natur aus friedliebenden Republiken, „une Alliance absolument defensive", denn „les offensives sont plus propres aux Monarques, qu'aux Républicains, qui se doivent contenter de leurs libertés acquises, sans offenser celles de ceux qui les leur peuvent disputer naturellement, & avec plus d'apparence de droit". 90 Die Schweizer können den Holländern, historisch durch einen ähnlichen Freiheitskampf verbunden, Soldaten gegen gutes Geld liefern, was beide gleichermaßen stärken würde, da ja gilt: „toute sorte de Couronnes absolues & Ministres souveraines doivent estre suspectes aux Républicains".91 Trotz der geographischen Distanz könnten die beiden Arme Deutschlands, militärisch unter dem Oranier vereint und auch im wirtschaftlichen Austausch (commerce) eng verbunden, das europäische Gleichgewicht zwischen Bourbon und Habsburg aufrecht erhalten. „Ainsi les uns & les autres, détrompés de toute sorte d'alléchements & d'epouventements monarchiques, dégagés de leurs propres imaginations, & poussés d'une amitié & politiquement & fraternellement intéressée, venant à s'unir & à sentreayder de la maniere susdite, rendroyent, avec la benediction de Dieu (promise au Ps. 133.) ces deux Republiques perpétuellement fleurissantes de bonheur,

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Vgl. ebd. 21 f. zur Begründung eines Bündnisses: „II y auroit encore quelque conformité de Religion, si on en regarde la plus grande partie; mais, comme ce n'est plus la mode d'estre pieux, la Religion n'entre presque plus en conte aujourdhuy, lors qu'il est question de planter des amitiés." 89 De la Court, Holländisches Interesse (wie Anm. 54), 237 f., betont gerade, daß die Eidgenossenschaft seit 400 Jahren selten inneren Zwist erlebt habe, weil in ihr „kein Oberhaupt oder General" auf Dauer wirke. Die Eidgenossenschaft mit ihren souveränen Kantonen dient denn auch als Vorbild der „Staatsgezinden", vgl. Jonathan Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477-1806. Oxford 1995, 608. 90 L'affermissement (wie Anm. 87), 11 f. 91 Ebd. 34 f.

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comblées de gloire, enrichies de biens, affermies de force & redoutables à tous leurs ennemis." 92 Ähnliche Gedanken finden sich bei Petrus Valkenier, der ebenfalls 1675 einen umfangreichen Folianten mit dem Titel „Het Verwerd Europa" vorlegt, der zwei Jahre später auch auf Deutsch erscheint als „Das verwirrte Europa". Der 1641 in Emmerich geborene und in Leiden zum Juristen ausgebildete Valkenier ist ebenfalls ein entschiedener Anhänger der Oranier93: Nur sie, so die Lehre aus dem französischen Überfall von 1672, verfügen über die militärischen Qualitäten, die es braucht, um den skrupellosen und grausamen „Verwirrer" Europas zu bändigen: Ludwig XIV. In Sparta, Rom, England und Venedig (Exempel einer vollkommenen Republik) erkennt Valkenier die aristotelische Mischverfassung, wie sie auch in den Niederlanden bestehe, aber 1650 unheilvoll unterbrochen worden sei: Der Statthalter vertritt das monarchische Element und erfüllt in der Ausnahmesituation des Krieges die Funktion des mit Sondervollmachten ausgerüsteten römischen Diktators; die Generalstaaten repräsentieren das aristokratische Prinzip und die Regenten in den Städten das demokratische.94 Im Unterschied zu de la Court, der als Hobbes-Schüler das Eigeninteresse hervorgehoben hat, betont Valkenier in klassischer Tradition die republikanischen Tugenden, daß Staatsgeschäfte nicht zum Vorteil der Herrschenden getätigt werden, sondern zum Nutzen des Gemeinwesens. Gleichsam ein niederländischer Topos ist dabei das Lob, daß die kleinen, wohlgeordneten, aber auch wehrhaften Staaten ein „ruhiges und saturiertes Dasein" pflegen und wie etwa die Genuesen „nach dem Exempel aller heutigen Republicken sich mit ihrem gegenwärtigen Staat" begnügen.95 Das wäre auch die Bestimmung des niederländischen Händlervolks, das auf eine eigenständige Großmachtpolitik verzichtet hat - wenn nur der böse Nachbar Frankreich es in Frieden ließe! Angesichts dieser stetigen Bedrohung empfiehlt sich eine Allianz mit den „dreyzehen vereinigte Schweitzerische Cantonen" und ihren Zugewandten, die mit den Bergen eins sind wie die Holländer mit dem Meer und „den Anfang ihres freyen Staats einem holländischen Graven zu dancken haben, nemlich Ludwig von Bäyern, der zugleich Keyser war und die Schweitzerische Freyheit in ihrem ersten Anfang wieder den Gewalt des Hauses Oestreich mit offendlichen Urkunden hat befestiget". „Die Schweitzerische Cantonen und 92

Ebd. 44 f. Zu Valkeniers Leben und Wesen Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 1-3; Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 125-129. 94 Petrus Valkenier, Das verwirrte Europa. Amsterdam 1677; das Buch wird im Erscheinungsjahr 1675 und - mit einer anonymen Fortsetzung - 1688 und 1742 nachgedruckt. Zum Werk Friedrich Meinecke, Petrus Valkeniers Lehre von den Interessen der Staaten, in: Aus Politik und Geschichte. Gedächtnisschrift für Georg von Below. Berlin 1928, 146-155, sowie Mulier, Myth of Venice (wie Anm. 19), 59-61, 211 f. 95 Valkenier, Das verwirrte Europa (wie Anm. 94), 47. 93

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die Vereinigte Niederländer, weil sie beyderseits eine Republick Regirung haben, welche von allen Potentaten gehasset und gedräuet wird, müsten sich genau an einander verbinden und eine die ander in ihrer Freyheit, welche sie lieber haben solten als ihr Leben, beschützen."96 Die Nähe Valkeniers zum „Affermissement" ist auffällig, und es ist durchaus möglich, daß sein - allerdings viel umfangreicheres - Buch dem Verfasser des Traktats bekannt gewesen ist. Aus den beiden Schriften ergeben sich die Hauptzüge des außenpolitischen Republikanismus der Statthalterzeit: Ausgehend von der geographischen Lage an Deutschlands Rändern („gleichsam die beyde Arme des Teutschen Reichs" 97 ) und den historischen Freiheitskämpfen wird das durch Natur und freiheitliche Verfassung bedingte, in vielem ähnliche und verbindende Wesen der beiden Völker hergeleitet: friedfertige und genügsame Händlernationen mit Mischverfassungen, die sich in militärischer Tugend gegenseitig bei der Abwehr der aggressiven, antirepublikanischen, absolutistischen Monarchen beistehen können. Inwiefern diese niederländischen Appelle gewirkt haben, ist unklar; zu eigentlichen Bündnissen ist es jedenfalls nicht gekommen. Die letztlich Frankreich begünstigende Neutralität bleibt ein Bollwerk eidgenössischer Argumentation, und die Generalstaaten bemühen sich auch nicht ernsthaft um kostspielige Soldtruppen.98 Gleichwohl apostrophiert im Vorfeld der Tagsatzung von 1678 ein „unpartheyischer Schweitzer" die Niederländer als „unsere liebe Bunds-Genossen" und erachtet es gleichzeitig als Aufgabe „unserer Republic", das europäische Gleichgewicht zu gewährleisten.99 Das Bewußtsein breitet sich aus, als „freyer Stand" einer Jungfrau zu ähneln, die sich „gegen alle ihren außländischen Bulen rein behalten" und verhindern will, daß sich diese in der Schweiz festsetzen. 100 Wer vor allem damit gemeint ist, weiß jedermann: Das Bündnis mit Ludwig XIV. ist gerade auch wegen der „diversa regiminis forma" vielerorts umstritten.101 Vor allem aber rückt Frankreich 96

Ebd. 56. Ebd. Schweizer, Schweizerische Neutralität (wie Anm. 57), 330-338; Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 119. 99 Unpartheyischer Schweitzer auf der angesetzten Tagsatzung zu Baden (= Le suisse désintéressé à l'assemblée de Baden ), s. 1. 1678, A2, A4v. 100 Jacob Wurmann, Bulschafft der sich representierenden Eidtgnössischen Dam, welche einer hochloblichen Eidtgnoschaft ihre Herzensgedanken in treuen eröffnet, mit vermelden, daß sie Ihr [...] Jungfrauschaft gegen allen ihren außländischen Buhlen rein behalten [...]. Zürich 1676, ζ. B. 6: „Weil ich besitz ein Republik, I Ich erkenn keinen Herren."; 10: „Weil ich schon lang ein Republik, I Drum thut mein Kranz wol schmecken." Der nach eigenem Eingeständnis unbedarfte Dichter ist Hauptmann und Richter in der Zürcher Grafschaft Kyburg und widmet sein Gedicht den städtischen Honoratioren. 101 Vgl. hierzu die undatierte Analyse Judicium politicum foederis Gallici jam ferventis ad amicum perscriptum (Zentralbibliothek Zürich: Ms S 585, Nr. 23, fol. 210-213). Der anonyme Autor befürwortet zwar das Bündnis Zürichs mit dem französischen König, aber seine Argumentation macht auch den Standpunkt der Gegner deutlich. 97 98

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immer bedrohlicher an die Eidgenossenschaft heran: 1648 hat es sich den Sundgau angeeignet, 1678 folgt die Freigrafschaft und 1681 Straßburg. Östlich des Rheins werden unter anderem Breisach und Freiburg besetzt, Ansprüche auf die vorderösterreichischen Waldstädte sind angemeldet, vor den Toren Basels erhebt sich die 1679 errichtete Festung Hüningen, und Genf ist das Opfer ständiger Anmaßungen und berechneten Drucks. Verstärkt wird dieser durch die Religionspolitik: Mit dem Edikt von Fontainebleau und der folgenden Flüchtlingsnot stößt Ludwig XIV. die reformierten Schweizer ebenso vor den Kopf wie mit der Verwüstung der Pfalz ab 1688. Entsprechend ist die Ausgangslage günstiger denn je, als Petrus Valkenier 1690 als „Envoyé extraordinaire" in die Schweiz kommt: Bis 1704 wird er in Zürich residieren, von wo er eine formale Allianz und ab 1692 wenigstens das Recht auf Söldnerwerbung zu erlangen sucht. Schon von Regensburg aus, wo Valkenier zuvor gewirkt hat, ist auf Zürcher Wunsch ein reger Briefwechsel mit der Limmatstadt entstanden. Im insgesamt nüchternen Stil halboffizieller Korrespondenz hat der Holländer dabei ohne besondere Emphase „beyder Republiques Wohlfahrt" behandelt.102 Mit seiner Ankunft in Zürich wird aus dem Begriff „Republik" jedoch ein zentrales Element seiner rhetorischen Argumentation: Hier bietet sich eine Gemeinsamkeit an zwischen zwei geographisch entfernten Staaten, die nicht durch alte politische Verträge verbunden sind. Bereits beim ersten Auftritt vor der Tagsatzung der 13 Orte, am 10. November 1690, appelliert der Niederländer an die „consideration der beyderseitigen Libertät, Interesse, Conservation, Republiquaire Regierungs-Form". Valkenier spricht mit auch später ähnlich wiederholten Wendungen zur Eidgenossenschaft als einer „Absoluten, Independenten, Souverainen und zugleich auch Neutralen Republic". 103 Diese Konzepte des modernen französischen Staatsrechts sind den Tagsatzungsgesandten kaum vertraut, die noch lange in den genossenschaftlichen Kategorien der Alten Eidgenossenschaft und ihrer Bündnisse denken werden. In zahlreichen, oft auch gedruckten Reden wird Valkenier solche Worte während einiger Jahre stets wiederholen und damit den Ärger seines französischen Gegenspielers, des Gesandten Michel Amelot, provozieren: „Solche Repetitionen sind auch um desto gröber, verhaßt und vergiftet, weilen sie von einer Republic herkommen, welche den Respect, so grossen Königen gebühret, zu allen Zeiten in Obacht nemmen solte."104 Dagegen vertritt Valkenier gerade 102 So etwa Zentralbibliothek Zürich: Ms Β 28, fol. 1 ; vgl. auch Zentralbibliothek Zürich: Ms D 180, fol. 126: „zum besten beyder Republiquen". 103 Petrus Valkenier, Ansprach an die Dreyzehen wie auch Zugewandte Ort der Lobi. Eydgnoßschafft in Baden versamlet, gethan den 31. Oct./10. Nov. 1690, 4; hierzu auch Maissen, Neutrale Republic (wie Anm. *). 104 Des Französischen Herren Ambassador Amelots Antwort auf die von dem holländischen Herren Envoyé Valkenier [...] gethane Ansprach; samt wolgedachten Herren

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den Standpunkt, daß ein Freistaat ohne ungebührlich oktroyierte Demut dieselben außenpolitischen Möglichkeiten und dasselbe diplomatische Zeremoniell 105 beanspruchen darf wie eine Monarchie - und insbesondere „Freyheit und Souverainer Wille dieser independenten Republic" es der Schweiz erlauben, auch nach der Allianz von 1663 und ungeachtet der eigennützigen französischen Definition von „Neutralität" selbständig über Bündnisse und Söldner zu entscheiden. 106 Mit zahlreichen historischen Exempla vom Kampf der „Griechischen Republicquen" gegen Philipp von Mazedonien 107 über „unsere heldenmuthigen und glorwürdigen Vorfahren", die „sich zu einem freyen Volck gemacht, eine neue Republic formirt" haben108, bis in die jüngste Gegenwart, etwa das französische Bombardement von Genua im Jahr 1684, insistiert Valkenier auf der Notwendigkeit eines gemeinsamen Abwehrkampfes der Republiken gegen ihren Urfeind. „Dann die Cron Franckreich Ihre Praeeminenz über die Republiquen jetzt viel höher als je vormalen treibet, indem sie seitero, da Ihre Fortun sie zum Ubermuth gebracht, alle Republiquen gering schätzet, verächtlich tractiret, Dero Gesandtschafften die vorig gewohnte Ehrbezeugungen weigert, Ihr Wolwesen beneidet, und Ihren Undergang im Schildt führet."109 So klar sich diese Klage gegen die konkrete Person Ludwigs XIV., seine „despotische und arbitrare" Herrschaft und universalmonarchischen Pläne 110 richtet, Envoyé Replique (Zürich, 10./20. November 1690); vgl. ähnlich, an Zürich gerichtet: Staatsarchiv Zürich: Β i 329, 89. 105 Seit der Ankunft in Zürich zeigt sich Valkenier sehr empfindlich in protokollarischen Fragen, wobei er darauf besteht, daß der Republik die gleichen Ehrenbezeugungen erwiesen werden wie einem Monarchen, vgl. die Beispiele bei Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 159f., 167 Anm. 1, 214 („massen seine H. Principalen die Η. H. General Staaden, unter den Königlichen und denen Envoye's Extraordinaires von Republiquen in den Curialen auch keinen Unterscheid machend"). Valkeniers Sensorium zeigt sich auch im wiederholten Hinweis auf den demütigenden Empfang der Zürcher Gesandtschaft von 1687 in Paris, vgl. Valkenier, Ansprach (wie Anm. 104); ders., Klage über die vielfaltige Frantzösische Contraventiones [...] (Baden, 8. März 1691). 106 Valkenier, Ansprach (wie Anm. 104). 107 Petrus Valkenier, Proposition an die Groß-Mächtige Regierung des loblichen Cantons Bern. s.l. 1690 (29. Dez.), A4; auch auf französisch: ders., Proposition de M. V. [...], s. 1. 1690; ferner ders., Klage über Contraventiones (wie Anm. 105). Übernommen auch im anonymen Traktat: Zwey und Zwantzig denckwürdige Articul: Welche ein Eydgnössischer Patriot auß denen Propositionen, so der holländische Envoyé Herr Valkenier, einer löbl. Eydgnoßschafft zu Dero freundlichen Wahrnung [...] vorgetragen, s. 1. 1703. Zum „Philippmotiv" als „Warnungstopos" in der Eidgenossenschaft Peter Stadler, Vom eidgenössischen Staatsbewusstsein und Staatensystem um 1600, in: SZG 8, 1958, 11 f. 108 Petrus Valkenier, Das Interesse einer gesamten löblichen Eydgenoßschafft bei itzigen Conjuncturen, s. 1. 1697, 5. Vgl. Staatsarchiv Zürich: Β i 329, Propositio Valkeniers vor Räth und Bürger ( l . / l l . April 1693), 42; auch Staatsarchiv Zürich: A 217 2 , 49, sowie Algemeen Rijksarchief's Gravenhage, 1. 01. 06, 11691, fol. 333 v -335 v . 109 Valkenier, Frantzösische Contraventiones (wie Anm. 107). 110 Passim, so Valkenier, Interesse (wie Anm. 108), 9, 21; vgl. die Systematik bei Franz Bosbach, Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit. (Schriften-

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so selbstverständlich auch die Allianz mit evangelischen Kronen (insbesondere der oranischen in England) sich darstellt111, so sehr eignet Valkeniers Argumentation doch ein grundsätzlicher Zug gegen die Einzelherrschaft. Auch die geneigten Schweizer Leser verstehen diesen Konflikt als Etappe im seit der Antike dauernden Ringen gegen die auch innenpolitisch verschlagenen und letztlich allesamt usurpatorischen Könige.112 Ihretwegen braucht es eine nähere Freundschaft und „Sicherheits Tractat" zu allen Zeiten, „in betrachtung alle Monarchischen Regierungen die Republiquen überzwerch [neidvoll, mißgünstig] ansehn und sie bald über ein häufen würden werfen, wan diese durch kluge Staats-Maximen und einer vertraulichen Zusammenhaltung sich dagegen nicht zu schützen wissen würden". 113 Als es Välkenier im Frühjahr 1693 endlich gelingt, gegen anhaltenden Widerstand der frankreichfreundlichen Faktion einen Soldvertrag mit Zürich abzuschließen und damit das französische Monopol auf Schweizer Truppen zu brechen114, faßt er zusammen, was auf der Basis gemeinsamer Religion und Freiheit „einerley Regierungsformb" ausmacht: Daß man „die Gerechtigkeit über alles liebet, niemanden trübt, noch vergewältiget, keine conquesten sucht, sondern sich mit dem seinigen befriediget, mit den ehrlichen, auch Land und Leuth hogstnohtigen und nutzlichen Commercien und Fabriquen sich zu ernehren trachtet".115 Das außenpolitische Mißtrauen, mit dem man Monarchen begegnen müsse, sei für Zürich im Umgang mit den Generalstaaten hinfällig, „als welichs gleich hiesiger Stand ein Republic".116 Valkeniers republikanische Rhetorik dominiert vor allem in seinen frühen Schweizer Reden, solange er primär auf ein formales Bündnis abzielt117, und reihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 32.) Göttingen 1988, 107-121. 111 Vgl. Välkenier, Propositio (wie Anm. 108), 44, von „denen threiiwen verfechteren unserer Religion und der gemeinen freyheit, alß da sind Engelland, Holland, Brandenburg, und andere Evangelische Potenzen mehr". 112 Zwey und Zwantzig denckwiirdige Articul (wie Anm. 107): „Auf solche Weis seynd die mächtigste Könige zu der Monarchie gelangt, indeme ihre Anschlag entweder nicht recht gemercket oder sie wenig gefürchtet oder kaltsinnig widerstanden worden." 113 Staatsarchiv Zürich: Β i 329, Petrus Välkenier, Copia des Schreibens an Bürgermeister, Klein- und Grossräth [von Zürich]. 19./29. April 1693, 147; auch Staatsarchiv Zürich: A 217 2 ,71, sowie Algemeen Rijksarchief's Gravenhage, 1. 01.06, 11691, fol. 343. Die identische Formulierung wird 1674 an Bern gerichtet in ders., Memoriale (wie Anm. 86). 114 Zu diesen Verhandlungen Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 202-234; auch Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 77-101. 115 Välkenier, Copia (wie Anm. 113), 146f.; auch Staatsarchiv Zürich: A 217 2 , 71, sowie Algemeen Rijksarchief 's Gravenhage, 1. 01. 06, 11691, fol. 344. 116 Staatsarchiv Zürich: Β i 329, Gehaltene Conferenz mit Herren Envoyé Välkenier über die projectierte Puñete (28. April 1693), 175; auch Staatsarchiv Zürich: 217 2 ,76. Vgl. ferner Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 222. 117 Als die Freundschaftsbeteuerungen nicht den erwünschten Erfolg zeitigen, beweist Välkenier auch, daß er andere Klaviaturen beherrscht; vgl. Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 180. Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40),

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drängt den konfessionellen Appell an die „Gemeinschaft der Heiligen" in den Hintergrund, der bei den Gesandten der Generalstaaten in den 1670er Jahren, etwa Friedrich von Dohna und Abraham Malapert, noch zentral gewesen ist. 118 Was damals die Sprache anonymer Traktate gewesen ist, erklingt nun pathetisch aus dem Mund des offiziellen Gesandten der Vereinigten Provinzen. Dies gilt naturgemäß vor allem angesichts des ganzen Corpus Helveticum, wenn der Niederländer auch die katholischen Stände zu überzeugen hat. Wendet er sich an ausschließlich reformierte Adressaten, so erwähnt er als überzeugter Protestant den verbindenden und von Ludwig XIV. bedrohten Glauben durchaus, doch geschieht dies in engem Zusammenhang mit dem freistaatlichen Bekenntnis, gleichsam als zwei Facetten der Freiheit, in deren Namen der „Envoyé extraordinaire" auch die von ihm geschlossene Waffenbruderschaft vom „ursprung des Rheins mit dessen außgang" deutet.119 Entsprechend formuliert Valkenier 1697 in einem Brief an die Genfer, er habe das Seine dazu beigetragen, daß die Rhonestadt in den Frieden von Rijswijk eingeschlossen worden ist - „par un pur motief de religion et en qualité de Républicain". 1 ^ Um zu beurteilen, wieweit der außenpolitische Republikanismus der Niederlande insbesondere im Vorort Zürich aufgenommen worden ist, empfiehlt sich ein Blick auf diejenigen Bürger, die in verschiedener Hinsicht mit den

4 4 f . , spricht von einem eigentlichen Kurswechsel in der Argumentation, die ab 1691 auf eine Schweizer Neutralität mit gleicher Begünstigung der Kriegführenden abzielt. Tatsächlich besteht der entscheidende Wandel darin, daß die 1693 dann erfolgreichen Werbungen ab 1692 nicht mehr als Mittel zum Z w e c k (nämlich ein Bündnis) vorgeschlagen, sondern als konkretes Ziel der niederländischen Diplomatie angestrebt werden; vgl. dazu die überzeugende Darlegung bei van der Geest, „hij vloekt en zuipt" (wie Anm. 51), 59. 118 Vgl. Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 92; auch Malaperts Briefe in: Archives d'Etat de Genève: PH 3555 (7. November 1672): „la conservation de la religion", oder Staatsarchiv Zürich: A 2 1 7 ' , 180 (19./29. Dezember 1672). 119 Vgl. Zentralbibliothek Zürich: M s S 184, Kurze Erklärung d e r j e n i g e n Sinnenbilderen, so bey der von Ihr Excell. Hr. Peter Valkenier Extraord. Abgesandten Ihrer HochM. der Herrn General Staaten der Vereinigten Niderland. in der Eidgnoßschafft zu bezeugenden Freud wegen des geschlossenen Friedens den 9. 10. 11. Winterm. 1697 in Zürich gehaltener schönen Illuminationen dargestellet worden, 94: „war zusehen ein Generalitets-Leu, welcher einem geharnischten Schweizer einen von Oehl und Palmzweig gemachten Krantz überreicht, darin stuhnde: Inclusio. Einschliessung [in den Frieden von Rijswijk]. Darob giengen zwo Händ auß den Wolken, jedere haltend ein brennendes Herz mit der Uberschrift: Pro libertate. Für die Freyheit. Darunter stuhnde: Sic coëant animis Fontes ac Ostia Rhenji. Also werde der ursprung des Rheins mit dessen außgang vereiniget." Vgl. auch die Beschreibung der von Valkenier veranstalteten Feierlichkeiten bei Johann Heinrich Rahn, Ceremoniale Helvetico-Tigurinum (Zentralbibliothek Zürich: M s J 214), 211-214; ferner Zentralbibliothek Zürich: Ms L 5 3 0 , 3 4 3 - 3 4 8 , sowie Valkeniers Schilderung in seinem Gesandtenbericht, Algemeen Rijksarchief 's Gravenhage, 1. 01. 06, 11213, fol. 4 4 4 v - 4 4 6 . 120

Archives d'Etat de Genève: PH 3970 (Valkenier aus Zürich an Genf, 19. November 1697); zum Einschluß in den Frieden Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 147-149.

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Generalstaaten verbunden sind.121 Valkenier kann bei den zähen Soldverhandlungen gegen die frankophilen Kaufleute auf die Geistlichkeit zählen122, vor allem auf Antistes Antonius Klingler (1649-1713), der 1673 in Leiden studiert, 1679 in Franeker promoviert und 1680 einen Ruf nach Groningen abgelehnt hat. Wie die Formulierung in seinem Gutachten zugunsten der niederländischen Werbung zeigt („allein zur eere Godts, der Kirchen und des lieben Vaterlands")123, bleibt in diesen Kreisen die Argumentation jedoch ausschließlich konfessionell. Insofern überrascht es auch nicht, daß Klingler sich als intoleranter Vertreter der Orthodoxie hervortut und zur Zielscheibe der Frühaufklärer werden wird. Valkenier dagegen ist, obwohl strenger Calvinist, nicht klerikal und belustigt sich bei Gelegenheit über die wissenschaftsfeindlichen Vorurteile der Zürcher Geistlichen.124 Unter den Theologen scheint ihm der relativ aufgeschlossene Johann Heinrich Heidegger (1633-1698) am nächsten gestanden zu haben, der 1661 in den Niederlanden mit Gronovius, Graevius, Cocceius, Comenius und anderen Gelehrten zusammentrifft und 1667 als Nachfolger Johann Jacob Hottingers in Zürich Theologieprofessor wird. Rufe nach Leiden (1670) und Groningen (1681) lehnt er ab, doch bleibt er den Niederlanden stets verbunden, als Kontaktperson bereits für Malapert, 1689 als Begleiter des Gesandten Fabricius nach Bern und seit 1685 im Briefwechsel mit Valkenier. Diese geheime politische Korrespondenz wird auf Initiative Zürichs aufgenommen, führt nach der Aufdeckung zu französischen Protesten, wird aber bis zu Valkeniers Ankunft in der Schweiz fortgesetzt, ab August 1686 vorwiegend vom Kleinrat, Stadtschreiber und Säckelmeister Johann Heinrich Rahn (1646-1708), der als Verfasser eines hollandfreundlichen Traktats bereits begegnet ist.125 121

Die biographischen Angaben zu den im folgenden behandelten Zürcher Bürgern stammen, wo nicht anders angegeben, aus Johann Jacob Leu, Allgemeines helvetisches, eydgenössisches oder schweitzerisches Lexicon. Zürich 1747-1765; bzw. Supplement zu dem allgemeinen [...] Lexikon. Hrsg. v. Hans Jacob Holzhalb. Zürich 1786-1795. Vgl. für die hier diskutierten Gruppen jetzt aber auch Kempe/Maissen, Collegia der Insulaner (wie Anm. *). 122 Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), v. a. 202-206, 215-217, 232 f. 123 Algemeen Rijksarchief 's Gravenhage, 1. 01. 06, 11691, fol. 336 (Gutachten der geistlichen und Schuldiener unter Antistes Klingler zu Valkeniers Proposition, 1. April 1693); vgl. auch Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 49 (Oktober 1688, Spanheim an Klingler). 124 vgl. Valkeniers Urteil über die Ignoranz der Zürcher Geistlichen bei HoiningenHuene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 195. 125 Siehe oben S. 251. Vgl. die Briefsammlungen in der Zentralbibliothek Zürich: Ms Β 28; Β 260 (fol. 156-198); D 179 (fol. 3 1 , 3 3 , 3 6 , 54,56, 108, 142, 176); ferner im Staatsarchiv Zürich: A 170 3/4 (an Rahn). Zur Korrespondenz Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 130-132; Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 5 f.

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Neben Heidegger, dem Professoren Johann Heinrich Schweizer und den von Valkenier als befreundete Familien bezeichneten Meyer von Knonau, Escher, Holzhalb und Scheuchzer126, gehört Rahn offensichtlich zu den engsten Vertrauten des „Envoyé extraordinaire". Rahn hat 1660 in Heidelberg bei Johann Heinrich Hottinger und 1661 in Burgsteinfurt (Westfalen) bei Heidegger studiert; 1663 widmet er Hottinger seine „Theses politicae ex Hugonis Grotij de iure belli et pacis". 127 Auf einer Studienreise durch die Niederlande hört er möglicherweise bei Isaac Voss in Leiden 128 , danach bei Boeder in Straßburg. Der Groß- und ab 1689 Kleinrat dient verschiedentlich auf Gesandtschaften, wird 1696 Landvogt zu Baden und im gleichen Jahr Säckelmeister. Bereits 1681 Unterschreiberund 1687 Stadtschreiber, verfaßt er eine sehr umfangreiche Chronik der Vaterstadt, die wegen der darin enthaltenen Arcana erst nach wiederholten Bitten der Simlerschen Druckerei und stark gekürzt 1690 veröffentlicht wird. 129 Johann Heinrichs Bruder Jacob fällt als Leutnant in holländischen Diensten. 130 Rahn erweist sich als eine Schlüsselfigur nicht nur der niederländischen Einflußnahme in der Eidgenossenschaft seit den sechziger Jahren, sondern auch als wohl erster Vermittler republikanischen Gedankenguts. Der vermutlich wichtigste Kreis, in dem Rahn wirkt, geht ursprünglich auf Johann Heinrich Hottinger zurück, der als in Leiden ausgebildeter Orientalist, Theologieprofessor und Gesandter in den Niederlanden bereits begegnet ist. Kurz bevor er dem wiederholten Ruf nach Leiden mit Erlaubnis des Zürcher Rats folgen will, ertrinkt er 1667 bei einem Bootsunglück in der Limmat. 131 Einige seiner Schüler und Freunde gründen im Geiste des bewunderten Universalgelehrten 1679 das „Collegium Insulanum", so benannt nach dem Treffpunkt in der Wasserkirche, die auf einer Limmatinsel steht. 132 Hier halten die Mitglieder auf deutsch, lateinisch, französisch oder italienisch allwöchentlich 126 Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 190-193. Zu einigen Vertretern dieser Familie weiter unten; Johannes von Meyer-Knonau stirbt 1709 als Major in niederländischen Diensten. 127 Zum Leben Werner Schnyder-Spross, Die Familie Rahn von Zürich. Zürich 1951, 294-306; Kempe/Maissen, Collegia der Insulaner (wie Anm. *), 111-117. 128 Der notorisch unzuverlässige Leo Weiß, Die politische Erziehung im alten Zürich. Zürich 1940, 114, nennt Rahn einen Schüler von G. J. Voss; dieser ist allerdings bereits 1649 gestorben. Sein Sohn Isaac ist in Leiden geboren und wirkt von 1658 bis 1670 in den Niederlanden. 129 Weiß, Politische Erziehung (wie Anm. 128), 115; zur „Eidgnössischen GeschichtsBeschreibung" Richard Feller/Edgar Bonjour, Geschichtsschreibung der Schweiz vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Bd. 1. 2. Aufl. Basel/Stuttgart 1979, 354f. 130 Schnyder-Spross, Familie Rahn (wie Anm. 127), 307. 131 Zu Hottinger Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 42—48. 132 Dazu inzwischen ausführlich Kempe/Maissen, Collegia der Insulaner (wie Anm. *); die Resultate dieser Monographie, die sowohl die familiären Zusammenhänge als auch die Diskussionsthemen der Collegia ausbreitet, sind hier nicht mehr im einzelnen eingearbeitet worden.

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Vorträge aus ihren unterschiedlichen Berufs- und Interessenbereichen, „über allerley physikalische, historische und politische Vorwürfe"133, wobei ausdrücklich die „Freiheit des Redens" gilt. 1693 als „Collegium der Wohlgesinnten" neu gegründet mit dem Ziel, „in Tugend und Wissenschaft wohlgesinnte Leute" zu vereinen, wird die Sozietät immer stärker vom überragenden Naturwissenschaftler und Aktuar Johann Jacob Scheuchzer (1672-1733) dominiert; politische Kernprobleme der Frühaufklärung gehören auch bei ihm weiterhin zum Programm. Dieses Interesse zeigt sich bereits bei den Gründungsmitgliedern des „Collegium Insulanum". Der Theologe, Historiker und spätere Philosophieprofessor Johann Rudolph Ott ( 1642-1716) ist der Verfasser eines „Spicilegium questionum ethico-politicarum" (1681).134 Christoph Werdmüller (1650-1691), Sohn eines berüchtigten Söldnerführers, Schwiegersohn eines Bürgermeisters und 1690 Zunftmeister, schreibt siebzehnjährig eine „Oratio de causis rem publicam evertentibus"135 und läßt 1667 seine unter Heideggers Anleitung entstandenen „Quaestiones politicae de imperio et subjectione" drucken, die „erste staatswissenschaftliche Arbeit, die an Zürichs .Hochschule' verfasst wurde". 136 Sein Schwager Johann Rudolf Hess (1646-1695), Großrat und 1683 Landvogt in Grüningen, ist der erste Aktuar des Collegiums und wirkt später als Kurator der Stadtbibliothek. Selbst Historiker, stiftet er die erste Professur für Politik und vaterländische Geschichte am Zürcher Carolinum und verteidigt im Collegium die Authentizität Wilhelm Teils.137 Dort hören ihn auch sein Vetter zweiten Grades, der spätere Zunftmeister David Hess (1653-1705), und dessen Schwager Johann Jacob Escher (1656-1734), der ab 1711 das Amt des Bürgermeisters innehaben wird. Ohne selbst zu den Collegiaten zu gehören, zählt zu ihrem Umfeld ein weiterer späterer Freund Valkeniers, der Griechischprofessor und Theologe Johann Heinrich Schweizer. In Holland promoviert, veröffentlicht er 1689 ein „in Frag und Antwort eingerichtetes" Kompendium von Grotius' „De jure belli et pacis", das 1694 in zweiter Auflage und 1718 auf deutsch erscheint, wobei deutlich wird, daß Schweizer stellenweise „bessere und insonderheit mit der heiligen Lehr unserer Kirchen, wo Grotius abgewichen, genauer übereinstimmendere Gedancken und Sentenzen beygefügt hat". Grundsätzlich bemüht sich der Ge133 Gottlieb Emanuel von Haller, Bibliothek der Schweizer-geschichte und aller Theile, so dahin Bezug haben. Bd. 2. Bern 1787, 71. 134 Vgl. auch Johann Rudolph Ott, Instituta, destituía et restituta Helvetia, per dissertationem historicam in medium proposita. Zürich 1695. 135 Christoph Werdmüller, Oratio de causis rem publicam evertentibus, Zentralbibliothek Zürich: Ms Β 32, Nr. 40. 136 Leo Weiß, Die Werdmüller. Schicksale eines alten Zürcher Geschlechtes. Bd. 2. Zürich 1949, 361. 137 Ob des Wilhelm Teilen Histori für erdicht oder wahrhafft zu halten (1680), Zentralbibliothek Zürich: Ms Τ 418.

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lehrte zu belegen, daß die bestehende Ordnung mit dem Naturrecht übereinstimmt; doch bereits damit kann das „erste schweizerische Studienbuch für die juristische Ausbildung an einer Höheren Schule" eine Vorreiterrolle beanspruchen. 138 Die erwähnten und weitere Biographien von Collegiaten und ihren Zugewandten zeigen, daß Lehrjahre in Holland, Mitgliedschaft in einem der Collégien und politische Sympathie für die Generalstaaten oft einhergehen, jedoch nicht anachronistisch als homogene frühaufklärerische oder gar republikanische Parteibildung mißverstanden werden dürfen. Aber in diesen Kreisen, welchen vielfältig verschwägerte Mitglieder der vornehmsten und einflußreichsten Zürcher Familien ebenso angehören wie die führenden Gelehrten, finden offensichtlich Debatten statt, vor deren Hintergrund die zwei ersten republikanischen Schriften in der Eidgenossenschaft zu verstehen sind. Die aus der Tradition der venezianischen Gesandtschaftsberichte hervorgegangene, im 17. Jahrhundert vom Duc de Rohan vorgeführte 139 und ausgiebig gepflegte Literaturgattung, welche die Interessen der Staaten im europäischen Machtgefüge gleichsam als nach außen gewendete Staatsraison analysiert, ist bisher anhand der niederländischen Abhandlungen von de la Court oder Valkenier betrachtet worden. In der Eidgenossenschaft, die kaum eine aktive Außenpolitik betreibt und dies institutionell auch schwerlich kann, fehlen solche Schriften weitgehend - oder sind zumindest ungedruckt und entsprechend unerforscht. Im „Collegium Insulanum" jedenfalls werden zahlreiche Vorträge über das Verhältnis von Zürich und der Eidgenossenschaft zu den verschiedenen Mächten gehalten, in denen die politischen Überzeugungen der Redner gut greifbar sind. So handelt Rahn in einer der ersten Sitzungen, am 25. November 1679, auf italienisch „Von dem Interesse der Eidtgnossen und Pündtnern gegen den Herrschafft Venedig". Er deutet das Bündnis, das die Serenissima 1615 mit Zürich und Bern geschlossen hat, als Freundschaftsbeweis unter Republiken, 138 Hugo Grotius, Vom Kriegs- und Friedens-Recht [...] Ehmals von Hm. Joh. Heinrich Schweizer Prof. L. Gr. zusaraengezogen und in Frag und Antwort eingerichtet. Nunmehr aber wegen seiner Nutzbarkeit ins Teutsche übersetzt. Zürich 1718, 4. Vgl. ders., Jus belli et pacis in compendio institutioni scholasticae aptatum, & subinde castigatum, opera Joh. Henrici Sviceri. Zürich 1689, und ders., Jus Naturae et Gentium, ex Hugonis Grotii Nobili, De Bello et Pace, Opere. Zürich 1694; dazu Claudio Soliva, Der kleine Grotius von Zürich. Zum Studienbuch des Johann Heinrich Schweizer über des Hugo Grotius De Jure Belli ac Pacis, in: Louis Carlen/Friedrich Ebel (Hrsg.), Festschrift für Ferdinand Elsener zum 65. Geburtstag. Sigmaringen 1977, 233-243, hier zitiert 242. 1676 ist Schweizer selbst noch wegen seines Büchleins „Lapis Lydius" als „Cartesiomane" verunglimpft worden, vgl. Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 37; zum Verfasser auch Paul Schweizer, Geschichte der Familie Schwyzer oder Schweizer. Zürich 1916, 58. 139 Vgl Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte. Hrsg. v. Walther Hofer. (Werke, Bd. 1.) München 1957, 192-231; J. H. M. Salmon, Rohan and the Interest of State, in: Schnur (Hrsg.), Staatsräson (wie Anm. 56), 121-140.

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die „per l'interesse commune" Vorsorge treffen, falls „gli Potentate emuli della loro felicità" sie belästigen wollen. 140 Kurz darauf, am 30. März 1680, stellt Johann Jacob Escher eine „Comparatione della República Veneta, a l'Helvetica in genere ed a la Zurigana in spetie" an. 141 Der spätere Bürgermeister hält einleitend fest, daß der Mensch, „quell animai civile", die Herrschaft von vielen oder allen derjenigen von wenigen oder einem einzelnen vorziehe, weshalb auch er sich dankbar bekennt, daß er als Untertan in einer „Republ.a ben regolata ed Aristocratica" leben dürfe. Hinsichtlich der Außenpolitik vergleicht er die Lagunenstadt mit der gesamten Eidgenossenschaft, im Inneren dagegen mit Zürich. Außenpolitisch sei beiden Staaten die wichtigste „ragione di stato", das Gleichgewicht der Mächte aufrecht zu erhalten, das Eigene zu bewahren, jedoch nicht zu expandieren. Wenn man aber sehe, daß „la francia o altro stato, per guerre ingiuste tentarebbe d'accrescere le sue potenze talm.[ent]e che ne diventi più formidabile a nostre due Republ. pare giustificabile", dann sei eine Defensivallianz angebracht. Dabei dürfe man sich auch heimlich mit Soldaten aushelfen „perche l'oppressione d'un stato a lor uguale come l'Hollanda, Genova ed altro lasciarebbe indietro cattive consequenze per Esse", wie sich im eben beendeten Holländischen Krieg gezeigt habe. Was die innere Verfassung betrifft, so gelte beiderorts die „Ugualità de Republicani": Die Stimme des Dogen oder Bürgermeisters gelte nicht mehr als diejenige des geringsten Ratsmitglieds, und anders als in Monarchien entschieden Verdienste um das Vaterland über die in freien Wahlen bestimmten Ämterzuteilungen. Ungeachtet der Frage, wieweit diese Charakterisierung der Realität entspricht, zeigt bereits das venezianische Beispiel sehr gut, worin für die Zürcher das verbindende Wesen einer Republik besteht. Deutlich wird dies auch in Rahns lateinischer Rede vom 24. Februar 1680 „Was sich zwischen den General-Staaten der vereinigten Niderlanden und den Eydtgnoßen für freundschaftlich Comercia von Zeiten zu Zeiten zugetragen haben". 142 Wie der Titel sagt, geht es vor allem um die historischen Parallelen in zwei Föderationen, „eodem nobiscum fato, iisdem initiis, incremento et fine", welche die Tyrannis abgeworfen und einen neuen Staat begründet haben. Mit großer Sympathie schildert Rahn Malaperts Bemühungen, die Transgressionen zu verhindern. Wer nicht auf den Eigennutz, sondern auf die „publica utilitas" schaue, habe erkannt, daß das Söldnerunwesen eines Tages zum Nachteil der eigenen Heimat ausschlagen werde. Seien die Generalstaaten auch weit entfernt und formal keine Verbündete, so wären sie willige Alliierte, wenn die Schweiz angegriffen würde. Denn die Kenner der Arkanpolitik wüßten sehr wohl, daß 140 141 142

Zentralbibliothek Zürich: Ms Τ 132, Nr. 3, 293 f. (= Ms Β 57, 76-83). Zentralbibliothek Zürich: Ms FA v. Wyss II 110. Zentralbibliothek Zürich: Ms L 488, Nr. 24, 1219-1232 (= Ms Β 57, 84-90).

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jede Republik ihre Freiheit gegen die Begierden der Könige standhaft verteidigen müsse; falle eine, so nehme der unersättliche Hunger der Monarchen nur zu, bis alle einverleibt seien. Deshalb sei es legitim, sich im gemeinsamen Anliegen zu unterstützen, nötigenfalls heimlich, und dies um so mehr, wenn die gleiche Konfession beide Seiten verbinde. 143 Rahns Ausführungen sprechen die Sprache der antifranzösischen Traktate, die im Holländischen Krieg zirkulierten und die verfassungsmäßigen Gemeinsamkeiten der beiden Republiken betont haben. Daß er im „Collegium Insulanum" mit seinen Überzeugungen nicht allein dasteht, zeigen zwei Vorträge von David Hess, der einige Jahre später auf einer Gesandtschaft nach Regensburg von Valkenier betreut werden wird. 144 Am 25. Mai 1680 schildert dieser Großrat die Maximen des französischen Königs, von der Korruption über verlogene Rhetorik zu fiktiven Prätentionen, um Kriege vom Zaun brechen zu können. Dem allen sei auch die Schweiz ausgesetzt: „Mais il ne faut pas se laisser endormir au chant de ces sirenes."145 Noch deutlicher wird Hess in einem Vortrag „betreffende den jetzigen Zustand aller Europaeischen Potentaten und Ständen". 146 Nach den Monarchien und italienischen Mittelmächten behandelt er zuletzt die Niederländer und Eidgenossen: „Nun sind noch zwey nambhafte Republiquen oder freye Stände übrig, welche wegen ihrer gelegenheit wider das toßende waldwaßer [sie] französischer HerschSucht an statt zweyer vesten dämmen dienen solten." Allerdings habe der ruhmlose Friedensschluß von Nimwegen (1678) - in dem Ludwig XIV. die Freigrafschaft gewinnt - auch manche Freunde Hollands skeptisch gestimmt, so daß sie es sich zweimal überlegen würden, ehe sie sich durch feste Allianzen binden wollten.147 Die Voten von Rahn, Escher und Hess zeugen von einer tief empfundenen Nähe zu den Niederlanden (beziehungsweise Venedig) und von einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der republikanischen Staatsform. Gleichzeitig sind sie jedoch geprägt von der Vorsicht des eidgenössischen Vororts, der sich auf außenpolitische Abenteuer nicht einlassen will, bei aller Sympathie auch nicht mit den Generalstaaten, die bei der Abgrenzung vom übermächtigen Ludwig XIV. wohl doch nicht als ganz zuverlässiger Partner empfunden werden. Thematisch bedingt manifestieren sich die aufgezeigten republikanischen Loyalitäten vorwiegend in außenpolitischen Erörterungen; aber sie haben auch ihre innenpolitische Entsprechung. Noch vor der Gründung des „Colle143

Zentralbibliothek Zürich: Ms L 488, Nr. 24, 1232: „una debilitata et eversa haud quietaras insatiabiles cupiditates, donec et reliquas pari ruina involverint." 144 Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 29. 145 Zentralbibliothek Zürich: Ms Β 57, nachgebunden, 35-37 (Maximes). 146 Zentralbibliothek Zürich: Ms Β 57, nachgebunden, 49-71. 147 Zentralbibliothek Zürich: Ms Β 57, nachgebunden 66 f.

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gium Insulanum" erscheint 1678 die deutsche Übersetzung von Raebolt Heerman Scheies „Libertas Publica" unter dem Titel „Lob der Freyheit". Erscheinungsort und Übersetzer sind nicht angegeben; doch bei letzterem handelt es sich einmal mehr um Johann Heinrich Rahn. 148 Scheie (1620-1662), ein klassischer, den cartesianischen Neigungen seiner Zeitgenossen abgeneigter Republikaner und führender Gegner der Oranier, hat sein Büchlein nach Studien in Leiden und Reisen in Frankreich und Italien als Produkt einsamer philologischer Studien verfaßt, aber zu Lebzeiten ebensowenig veröffentlicht wie seine andere Schrift gleicher Gesinnung, „De jure Imperii", eine Entgegnung auf Salmasius' Apologie der Stuart.149 „Libertas publica" wird erst 1666 von Theophil Hogersius veröffentlicht, der auch eine eigene „Oratio C. Julium Caesarem tyrannum fuisse, in qua adhortationes & mónita ad cives de Liberiate tuenda" anfügt. In der Vorrede an den Leser schreibt der ungenannte Rahn, das Werk wäre nie auf deutsch erschienen, „wann nicht Freyheits-liebende Gemüther solches gantz sehnlich verlanget und dem Ubersetzer derselben gleichsam abgepreßt hätten". Er entschuldigt sich für die manchmal allzu groben Ausfälle gegen die Oranier, hält die Veröffentlichung aber „bey gegenwärtigen Land und Leuth zerstörlichen Weltbegegnussen" - im letzten Jahr des Holländischen Krieges! - gleichwohl für vertretbar: „zu hertzhaffter verthädigung der edlen Freyheit". Scheies Werk ist tatsächlich radikal, indem er seine Heimat als ein „Kind der Freiheit" versteht, und dies nicht nur außenpolitisch, in den Abwehrkriegen gegen Spanien und Frankreich, sondern auch innenpolitisch. Das Ziel des Buches ist es, mit insgesamt 16 Gründen darzulegen, „daß die höchste Macht nicht bey einem, sondern bey vielen bestehe". 150 Es richtet sich nicht nur an die Gebildeten, sondern auch an das gemeine Volk; entsprechend will Scheie nicht Aristokratie (das Regiment der wegsten und besten) und Demokratie (Pöbelregierung) gegenüberstellen, denn in den Generalstaaten herrsche eine aus beiden gemischte Verfassung - und als beider Gegensatz wird die Königsherrschaft vorgestellt.151 Viele würden letztere rühmen und so „den freyen Stand" und „die Oberherrschaft der Gesetze" vernichten: Sie „greiffen den Gesetzen öffentlich nach der Gurgel, und undergraben die Grundfestungen der freyen Städten; solche über einen häufen zu kehren, wo man sich nicht bey zeiten ins Mittel leget: Darmit dann die Regimentsart und zugleich

148

Radbod Hermann Scheie (Herr zu Venebrugg und Welberg etc.), Lob der Freyheit. Auß

dem Lateinischen in das Teutsche übersetzt, s. 1. 1678. Zur Verfasserschaft Leu, Lexikon ( w i e A n m . 121), Bd. 15, 19. 149 Zu Scheie und seinem Werk Kossmann, Politieke Theorie (wie Anm. 18), 3 2 - 3 4 . 150

Scheie, Lob der Freyheit (wie Anm. 148), 8.

151 Ebd. 12.

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all unser Freyheit und was wir nachfolglich immer gutes besitzen, zu Boden gehen kan." 152 Die 16 Gründe gehen von der menschlichen Gleichheit „von Natur und von Herkommen her" über die Lasterhaftigkeit des Hoflebens und die milde und weniger belastende Herrschaft über Gleichgestellte hin zur größeren institutionellen Stabilität der ausgewogenen Republik. Die freie Regierung ist die ursprüngliche und älteste, bereits im Alten Testament und im frühen Rom exemplifiziert und auch den Niederlanden eigentümlich. Gewiß ist Herrschaft notwendig, sie muß aber ausschließlich auf Gerechtigkeit und Tugend beruhen, um natürlich und rechtmäßig zu sein, und bewahrt so „die wahre Freyheit und rechtschaffene Aehnlichkeit unter den Menschen". „Wann man eine vollkommene Regimentsart ertichten wollte, were eine freye Regierung die beste." 153 Der Übersetzer dieses antimonarchischen, ansatzweise sogar egalitären Traktats ist die Bezugsperson der Generalstaaten - offiziell als Stadtschreiber und inoffiziell als geheimer Korrespondent Valkeniers, der ihm über Ludwig XIV. klagt. 154 Die niederländischen Briefe richten sich an „Monsieur Jean Henry Rahn, Secretaire d'Etat de la Republique et Canton de Zurich en Suisse" 155 und bezwecken im Zusammenhang mit der Waldenserhilfe bereits 1687, vor Ausbruch des Pfälzischen Erbfolgekriegs, „die gute Intention und gemeines Interesse beyder löbl. Republiquen zu renovieren und fester zumachen". 156 Doch Rahn entpuppt sich nicht als williges Instrument der niederländischen Außenpolitik: Als Valkenier 1697, angesichts von Ludwigs XIV. Drohungen gegen Genf, mit dem Traktat „Das Interesse einer gesamten löblichen Eydgenoßschafft bei itzigen Conjuncturen" noch einmal unverhohlen „een Linie van communicatie", eine eindeutige Allianz zwischen den beiden Republiken errichten will 157 , ist es Rahn, der auf Beschluß des empörten Zürcher Rats die Entgegnung verfaßt: „Politisches Gespräch zwischen Franco, Arminio und Teutobacho: über das wahre Interesse der Eydgnoßschafft". 158 Darin wird das Prinzip einer wachsamen und bewaffneten, mit dem Nationalheiligen Nikiaus von Flüe begründeten Neutralitätspolitik verteidigt, die sich 152

Ebd. 1 f. Ebd. 18f., 30. 154 Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 30. 155 Staatsarchiv Zürich: A 170 3 , 12./22. Mai 1687 156 Staatsarchiv Zürich: A 1703, 23. August 1687. 157 Zum Traktat Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 139-143, Zitat 139; femer mit falscher Datierung Schweizer, Schweizerische Neutralität (wie Anm. 57), 324 f. 158 Politisches Gespräch zwischen Franco, Arminio und Teutobacho: über das wahre Interesse der Eydgnoßschafft, s. 1., s. a. [1697]; zur Verfasserschaft Haller, Bibliothek (wie Anm. 133), Bd. 5 , 4 4 4 (Nr. 1471), sowie Schweizer, Schweizerische Neutralität (wie Anm. 57), 325-327. 153

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von den Kriegsplänen der unzuverlässigen Alliierten nicht vereinnahmen lassen will, aber ebensowenig Illusionen über die französische Politik hegt. So spricht „Francus" selbst von „gegenwärtiger Despotischen Regierung der Cron Franckreich", deren Unberechenbarkeit und Arroganz er verkündet: „dann grosse Potentaten wollen nicht kleinen Republiquen niemahls del pare geben und sich Sachen in Schrift abzwingen lassen". Des Schweizers „Teutobachus" Ideale gründen dagegen in seinem „hoch-befreyten Staats-Wesen", wo Freiheitsliebe vorherrscht, „da fast jedes Dorff ein kleine Republic ist, in dem es seinen Dorffs-Vorgesetzten aigen Gericht, Kriegs-Officier, und an etlichen Orthen das hoche Malefiz ohne weitere Apellation habe, in denen so genandten kleinen Orthen aber ist ein jeder Landmann, er seye so gering als er wolle, selbs Herr, und hat in allen wichtigen Stands- und Lands-Sachen seine Stimm zugeben". Wenn also Rahn die außenpolitischen Implikationen einer republikanischen Offensivallianz gegen das despotische Frankreich ablehnt, so betont er doch gleichzeitig und in dieser Form erstmalig die Eigenheiten der souveränen, föderierten Schweizer Republiken, wo die rechtlichen und militärischen Kompetenzen oft auf Gemeindeebene verwaltet werden und mindestens in den demokratischen Landkantonen die einzelnen Bürger gleichberechtigt mitentscheiden. Angesichts ihres sozialen Hintergrunds ist es nicht überraschend, daß die Collegiumsmitglieder zu den höchsten Ämtern Zürichs aufsteigen und dies in den Jahren ab 1690159: Rahn wird 1689 in den Kleinen Rat gewählt, David Hess wird 1688160 und Christoph Werdmüller 1690 Zunftmeister; nach dessen frühem Tod 1691 folgt sein Bruder Johann Ludwig Werdmüller (16521708) nach, ein Schwager Johann Heinrich Rahns und schon bald gleichsam der „Außenminister" der Eidgenossenschaft.161 Ebenfalls Zunftmeister wird 1697 Johann Jacob Escher, dessen Vater Johann Caspar von 1691 bis 1696 als zweiter Bürgermeister gewirkt hat, an der Seite seines Verwandten Heinrich Escher, der sich in der erwähnten Gesandtschaft von 1687 am französischen Hof als Wahrer republikanischer Würde ausgezeichnet hat. Seit 1690 Zunftmeister ist ferner auch Beat Holzhalb (1638-1709), in Orange zum „Professor Eloquentiae" ausgebildet und nach Reisen durch die Niederlande und England unter anderem als Gesandter und Landvogt im Staatsdienst162, seit 1679 159 Vgl. zum Folgenden Werner Schnyder, Die Zürcher Ratslisten 1225 bis 1798. Zürich 1962. Zur Zürcher Verfassung Thomas Weibel, Das Regiment der Stadt Zürich, in: Geschichte des Kantons Zürich. Bd. 2: Frühe Neuzeit 16.-18. Jahrhundert. Zürich 1996, 16-65, v. a. 16-26 zu den Kleinräten (zu denen die Zunftmeister ex officio gehören) und Stadtschreibem. 160

1705 tritt mit Salomon Ott ebenfalls ein Mitglied des „Collegium Insulanum" seine Nachfolge an. 161 Weiß, Werdmüller (wie Anm. 136), 362-366; in dieser Eigenschaft hat Johann Ludwig Werdmüller auch mit Valkenier zu tun. 162 Holzhalb ist auch Korrespondent des niederländischen Botschafters Malapert, vgl.

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zudem als Unterstadtschreiber an Rahns Seite. 163 Beats gleichnamiger Sohn wirkt 1696 vorübergehend im „Collegium der Wohlgesinnten" mit, ein weiterer Sohn, Salomon, fällt 1702 als niederländischer Hauptmann bei Lüttich, und für denselben Dienstherrn stirbt 1728 sein Neffe, der Hauptmann Leonhard Holzhalb. Beat Holzhalb ist hier besonders hervorzuheben, weil er - wohl mit der Hilfe Rahns und seiner Chronik - das Programm des neuen Zürcher Rathauses entwirft, eines unzeitgemäßen, eindrücklichen Renaissancepalasts, der von der Säulenordnung der Fassade bis zum Kachelschmuck der Öfen republikanische Souveränität historisch und symbolisch zum Ausdruck bringt.164 Am 30. November 1693 beschließt der Kleine Rat den Neubau, worauf die mit Collegiumsmitgliedern gut dotierten165 - Räte „bey unzahlbaren Sessionen gar vili Mühe, Verdriesslich- und Beschwerlichkeiten" erleben.166 Unter der Leitung von Johann Heinrich Holzhalb (1639-1697) wird der Bau rasch vorangetrieben: Am 22. Juni 1698 erlebt das Rathaus bereits die Einweihung mit Feuerwerk und Festessen, an dem als Ehrengast auch Petrus Valkenier nicht fehlen darf. 167 Die Fenstergiebel im Erdgeschoß sind von 23 republikanischen Heroen aus dem alten Griechenland, Rom und der achtörtigen Eidgenossenschaft geschmückt. Ein von Beat Holzhalb gedichteter Sinnspruch drückt jeweils ihre Tugend und Vorbildfunktion aus: Gerechtigkeit und Klugheit, Aufrichtigkeit, Vaterlands- und Freiheitsliebe, Selbstlosigkeit, Wahrhaftigkeit und Opferbereitschaft. Hier wachen bis heute Themistokles (Non mihi sed patriae) und Lucius Iunius Brutus (Libertas sanguine praestat), Rudolf Brun, der Begründer des Zürcher Zunftregiments (Legibus ac armis), neben Wilhelm Teil (Tensus rumpitur arcus) die anderen Freiheitshelden wie Stauf-

Zentralbibliothek Zürich: Ms D 180, sowie Hoiningen-Huene, Schweiz und Holland (wie Anm. 42), 100. 163 Vgl. Johann Caspar Eschers Lebensbeschreibung in: Josephine Zehnder-Stadlin, Pestalozzi. Idee und Macht der menschlichen Entwicklung. Gotha 1875, 158. 164 Dazu Christine Barraud Wiener/Peter Jezler, Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich: Neue Ausgabe I: Die Stadt Zürich I. Stadt vor der Mauer, mittelalterliche Befestigung und Limmatraum. (Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 94.) Basel 1999, 289-343; auch Christian Renfer, Das Zürcher Rathaus. (Schweizerische Kunstführer.) Bern 1998; Renfer plant eine umfassende Monographie zum Thema. Eine detaillierte Interpretation des republikanischen Gehalts des Zürcher Rathauses findet sich im entsprechenden Kapitel von Maissen, Geburt der Republic (wie Anm. *). 165 Johann Heinrich Rahn, David Hess und Johann Ludwig Werdmüller sitzen wie Beat Holzhalb und Stadtbaumeister Johann Heinrich Holzhalb in diesen Jahren erst noch gemeinsam im vierundzwanzig Kleinräte umfassenden „Natalrat" (Tagungsperiode jeweils Dezember bis Juni), der von Bürgermeister Heinrich Escher präsidiert wird. 166 Staatsarchiv Zürich: Β χ 74, Anhang: Proposition Herren Bürgermeister Eschers bey Einweyhung des Neuwen Rathhauses anno 1698, 1. 167 Staatsarchiv Zürich: Β χ 74, 200-295; vgl. Hans Nabholz, Zur Baugeschichte des Rathauses, in: Zürcher Taschenbuch NF. 37. Zürich 1914, 203-240, hier 223 f.

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facher (Libertatis amor stabili nos foedere iunxit) und Winkelried (Pro sociis pulcherrima mors est). 168 Ähnlich ist der Gehalt im Inneren, wo Beat Holzhalb 1697 in einzigartiger Weise das Programm der großen drei Kachelöfen entwirft, welche die Munizipalstadt Winterthur stiftet. Den einen schmücken Szenen aus der Zürcher Geschichte bis 1444, die Inschrift „Libertas numine, iustitia, pace fideque nitet" und die städtischen Löwen mit Palmwedel und Schwert - der im ursprünglichen Winterthurer Entwurf vorgesehene Reichsapfel fehlt. Der zweite Ofen gilt der Eidgenossenschaft und den Kantonen mit Wappen, Schlachten, Besitzungen und Außenbeziehungen, so mit der Kachelinschrift: „Venedig ein Zierde befreyeter Ständen I Inwendig vest bleibet mit streitenden Händen, I Eidgnössischer Stande diß Wunder erfahrt, I Doch Einigkeit besser das Lande bewahrt." Der dritte Ofen, im Saal des Kleinen Rats, dient als Regentenspiegel, wo zahlreiche Allegorien (Weisheit, Wachsamkeit, Klugheit, Verschwiegenheit, Einigkeit, Keuschheit, Wahrheit, Dankbarkeit, Beständigkeit und vor allem Gerechtigkeit) daran erinnern, daß die Herrschaft an Gottes Gebot gebunden bleibt. Zentral prangt die „Discordia concors" - das Ideal eines Regiments, das sich aus „zerschidnen Leüth in Lehr und Ehre" zusammensetzt. Auf einem Zwischenfries erkennen die Magistraten schließlich die Köpfe von Feldherren der römischen Republik. 169 Besonders auffallig ist in der Zwinglistadt der säkular-heidnische Charakter des wichtigsten öffentlichen Gebäudes, außerdem auch der dezidierte programmatische Verzicht auf imperiale Symbolik. Nicht nur der erste Winterthurer Entwurf für die Öfen zeigt, daß dies keine Selbstverständlichkeit ist. Auch der Schaffhauser Goldschmied Johann Jacob Läublin schlägt für einen der zwei Löwen beim Eingangsportal ein Szepter vor, was der Rat als monarchisches Attribut ablehnt; statt dessen erhält der König der Tiere, wie in Venedig und den Generalstaaten Symbol staatlicher Souveränität, einen friedlichen Palmzweig in die Pfote. 170 Die Absage an die kaiserliche Ikonographie und damit auch an die traditionelle Legitimation der Zürcher Freiheit als reichsstädtische Unmittelbarkeit verschont nicht einmal das aus dem alten Rathaus übernommene Inventar: Hans Asper hat 1567 eine Holztafel mit zwei Löwen und verschiedenen Insignien der Reichsfreiheit gefertigt. Vermutlich beim Umzug in den Neubau wird sie überarbeitet: Reichsschild und Krone werden nun verdeckt durch einen Altar mit einem Relief, auf dem zwischen zwei Schilden der Rütlischwur zu sehen ist, und darüber Freiheitshut, Merkurstab und Lorbeerkranz. Außerdem erhält auch hier der Löwe anstelle des 168

Die Büsten und Inschriften bei Barraud Wiener/Jezler, Stadt Zürich (wie Anm. 164), 294-298. 169 Margrit Früh, Winterthurer Kachelöfen für Rathäuser, in: Keramik-Freunde der Schweiz. Mitteilungsblatt 95, 1981, 3-147, hier 97-106. 170 Nabholz, Rathaus (wie Anm. 167), 229f.

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Reichsapfels seine Palme.171 Nicht besser ergeht es der Wappentafel über den Bürgermeistersesseln im Saal des Kleinrats, die Ulrich Oeri (1567-1631) noch mit kaiserlichen Insignien versehen hat; sie wird vergoldet, der Reichsapfel durch den Palmwedel ersetzt, Reichswappen und Krone entfernt. 172 Die Ausbildung eines republikanischen Selbstverständnisses der politischen Elite Zürichs erfolgt im Spannungsfeld zwischen Frankreich und den Niederlanden offenbar aus der Besinnung auf die Notwendigkeit und die Möglichkeiten souveräner Staatlichkeit und ihrer Repräsentation. Wie dieser primär außenpolitisch akzentuierte Republikanismus aber schon in der nächsten Generation auch innenpolitische Früchte trägt, zeigt das Beispiel Johann Caspar Eschers, auf den abschließend einzugehen ist. Johann Caspar (1678-1762) ist der Enkel des gleichnamigen Bürgermeisters (1625-1696) und der einzige Sohn Johann Jacob Eschers, des Mitglieds im „Collegium Insulanum", der seinerseits von 1711 bis 1734 als Bürgermeister amtiert.173 Nach Studien in Nürnberg und Utrecht und der üblichen Bildungsreise durch die Niederlande und England (mit einem längeren Aufenthalt am Königshof) wird Johann Caspar 1701 Großrat, wirkt von 1717 bis 1724 als Landvogt von Kyburg und ab 1724 als Kleinrat. Verheiratet ist er standesgemäß mit Susanna Werdmüller, der Tochter des erwähnten einflußreichen Johann Ludwig Werdmüller und Nichte Johann Heinrich Rahns. Nach verschiedenen vermittelnden Missionen, 1729 in Graubünden und 1733 bis 1738 wiederholt in den Genfer Wirren, erlangt Escher 1740 die Bürgermeisterwürde, die er wie seine Vorfahren bis zum Lebensende innehat. Als Freund der Musen und besonders der griechischen Literatur unterhält er freundschaftliche Beziehungen zu Bodmer, Breitinger und ihrem Aufklärerkreis. Sein Sohn Johann Jacob stirbt 1729 bei Tournai als Leutnant in niederländischen Diensten. In Utrecht studiert Escher 1696/97 bei Gerard de Vries (1648-1705), dem erwähnten methodisch konservativen, eklektischen Republikaner, der in der Tradition der calvinistischen Tyrannen- und Widerstandslehre steht. Eigene Werke hat de Vries keine verfaßt, doch ist seine Lehrtätigkeit in zahlreichen Dissertationen faßbar.174 Ein bezeichnendes Beispiel ist Escher, dem de Vries Grotius und breite Kenntnisse über niederländische Staatstheorie und -praxis 171 Die beiden Varianten des Bildes bei Maissen, Insignes impériaux (wie Anm. 45), 509, Abb. 19 und 20. 172 Barraud Wiener/JezJer, Stadt Zürich (wie Anm. 164), 343 f.; Rudolf Schnyder, Zürcher Staatsaltertümer. Der Zürcher Staat im 17. Jahrhundert. (Aus dem Schweizerischen Landesmuseum, H. 34.) Bern 1975, 13 sowie Tafel 1. 173 Johann Caspar Eschers Lebensbeschreibung findet sich in der Zentralbibliothek Zürich: FA v. Wyss III 116; vgl. auch die Teiledition bei Zehnder-Stadlin, Pestalozzi (wie Anm. 163), 148-173, sowie David Wy.ç.s, Lebensgeschichte Johann Kaspar Eschers Bürgermeisters der Republik Zürich. Zürich 1790. 174 Kossmann, Politieke Theorie (wie Anm. 18), 67 f.

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vermittelt. 1697 druckt der aufgeweckte Zürcher in Utrecht seine aus 24 Thesen bestehende Dissertation „Exercitatio politica de libertate populi", die er wie üblich den beiden Bürgermeistern widmet sowie - unter anderem - David Hess und dem Vater Johann Jacob. Schon in der Einleitung verwirft der jüngere Escher den Absolutismus, der die ursprünglichen Freiheiten des Volkes ausmerzt, welche es deshalb in Bürgerkriegen zu wahren versucht. Dieser Widerstand werde dem Tyrannen von schmeichlerischen Räten als illegitim dargestellt. „Quod ego, natus in inclita República, quae tali occasione Libertatem suam repetivit, certe non nisi cum dolore animadvertere potui, & idciro publica hac Dissertatione disquirere institui."175 In dieser Gegend, wo die Libertas blühe, könne er sich über das Wesen der Freiheit, die den Fürsten so zuwider, den Völkern so teuer sei, ohne Rücksichten frei äußern. Ausgehend von Cicero („Libertas est potestas vivendi ut velis", Parad. 34) stellt Escher der Freiheit die von Gott auferlegte Pflicht gegenüber. Damit wendet sich der Zürcher ausdrücklich gegen „monstrosum illud atque decantatum hobbesianae sapientiae aedificium": Keines Fürsten Macht ist ungezügelt, sondern an die Regeln des Schöpfers und obersten Königs gebunden, wie es auch die Kinder den Eltern gegenüber sind. 176 Da nun alle Menschen Gott gleichermaßen unterworfen sind, folgt, daß sie im Paradies („status naturae, vel, si mavis, innocentiae") abgesehen von der wechselseitig geschuldeten Rücksicht volle Freiheit und Gleichheit genießen können. Durch den Sündenfall wird aber eine irdische „potestas aliquae Politica" unumgänglich. Denn im irdischen Naturzustand („Status quidam Naturalis, Civili oppositus") haben sich eine Vielzahl von Familienoberhäuptern mit unbeschränkter Macht gegenübergestanden, deren Überlebenskampf ständige Furcht und Anarchie erzeugte. Dem zu entkommen, haben sich diese Familien zusammengeschlossen, wozu die menschliche Natur beigetragen hat: der Instinkt des „animal sociale", die Selbstliebe, die auf langfristigen Nutzen abzielt, und die Unzulänglichkeiten des einzelnen, der stets auf die Hilfe anderer angewiesen bleibt. Gerade wegen der latenten Bosheit der Menschen bedarf diese Vergesellschaftung aber Wächter und Schützer in einer der drei aristotelischen Regierungsformen. „Unde sequitur, primitivam & maxime naturalem formam regiminis esse Democraticam, in qua singuli cives aequali libertate gaudent."177 Erst wenn die „voluntas universi populi" einem oder mehreren Herrschern delegiert wird, entstehen die anderen Verfassungsformen, in denen der Wille des oder der Herrschenden als Wille des Volkes verstanden wird: „Sic qualiscunque Respublica una persona dici potest, non physica quidem, sed moralis." 178 175 176 177 178

Johann Caspar Escher, Exercitatio politica de libertate populi. Utrecht 1697, 5 f. Ebd. 8. Ebd. 12. Ebd. 13.

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Die edleren (generosiores) Völker regieren sich von Anfang an demokratisch, bei absoluter Gleichheit eines jeden hinsichtlich der Freiheit. Insofern stellten die Freiheiten, die in Monarchien oder Aristokratien noch festzustellen seien, bloße Überreste der ursprünglichen, demokratischen dar. Der Grund dafür, die Regierung nur wenigen oder einem zu übertragen, liegt für Escher in der geforderten Effizienz, die es nicht erlaubt, drängende Beschlüsse täglich einer Volksversammlung vorzulegen. So wird die exekutive Macht befristet delegiert, wobei die Magistraten aber rechenschaftspflichtig bleiben. Allerdings usurpieren diese oft die Macht, populistisch im Gefolge innerer Unruhen, in denen die maßlose Plebs ihre Freiheit mißbraucht, oder als Heerführer nach einem gegen außen geführten Krieg, den es deshalb in Demokratien als Hauptübel zu meiden gilt. Von sich aus wird aber kein Volk unbegrenzte Machtkompetenzen abtreten, sondern stillschweigend oder in Verträgen stets fordern: „Salus populi suprema lex esto", nämlich daß sie am Leben bleiben, ihre Pflichten als gottesfürchtige Bürger erfüllen können und die Fundamentalgesetze eingehalten werden. Nur unter Vorbehalt von „religio, vita, opes, ac Magistratuum inferiorum creatio" verzichten die Bürger auf den „dulcis usus plenae libertatis" und leisten der Obrigkeit Gehorsam. Escher unterscheidet ausdrücklich die aus dem Naturrecht erwachsene „libertas populi" von der „libertas civitatis", der staatlichen Unabhängigkeit gegen außen, und vor allem von der „libertas imperantis", nämlich der unbegrenzten Herrschaftsgewalt, die sich umgekehrt proportional zur „libertas populi" entwickelt. Das Verhältnis dieser beiden Freiheiten ist von Volk zu Volk unterschiedlich: Es genau zu bestimmen, bemühe sich die „prudentia civilis". Die vorbehaltene Kompetenz des Volkes, die unteren Magistraten selbst zu bestimmen, ist deshalb besonders wichtig, weil diese - nicht aber Höflinge oder die wankelmütige Plebs - das Recht haben, als Repräsentanten des Volkes und als „custodes, defensores, ac vindices libertatis & jurium, quae Populus in Summam Potestatem non transtulit", gegen ungerechte Maßnahmen der Obrigkeit einzuschreiten und notfalls auch offen gegen die Tyrannis Widerstand zu leisten. Dies ist unabdingbar angesichts der maßlosen Herrschsucht der Fürsten, die stets bereit sind, mit Gewalt oder - wie Kaiser Augustus - mit raffinierten Täuschungen die absolute Macht zu erlangen. Ist ihnen dies gelungen, so verdienten sie den Namen „Tyrann", was Escher wiederum deutlich vom „malus princeps" abgrenzt, der sich alle möglichen Verfehlungen zuschulden kommen läßt, aber die „jura ac libertas Civium" nicht antastet. Umgekehrt kann - nach Eschers Definition - ein Tyrann durchaus die persönlichen Tugenden eines guten Fürsten besitzen. Entscheidend sei letztlich, ob er sich - etwa in einer Notsituation, und auch dann nur vorübergehend - zum eigenen Wohl oder um der Allgemeinheit willen über die Fundamentalgesetze hinwegsetzt: „ab habitu enim non actu quivis est denominandus".

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Besitzt also das Volk das Recht, dem Tyrannen Widerstand zu leisten und ihn auch abzusetzen? „Quod nos affirmare non dubitamus." 179 Das Volk überträgt die Herrschaft unter gewissen Bedingungen und in wechselseitiger Verpflichtung; hält sich der Fürst nicht an die Grundgesetze, ist auch das Volk von der Gehorsamspflicht befreit. „Princeps eo ipso quo Tyrannus fit, renunciare revera imperio: indicat enim ipso facto, se juxta praescriptas leges imperare amplius nolle, sed absoluto velie gaudere imperio, idque se, si populus (cujus consensu omne imperium legitimum originaliter nititur) tale sibi concedere recuset, vi vel aliis quibuscunque modis quesiturum; quo ipso hostem Civitatis se declarat. Proptereaque ad Populum redit jus, res ad suam societatem spectantes pro lubitu moderandi; hostemque talem e Civitate ejiciendi." 180 Wo alle Bitte und Geduld nichts gefruchtet hat und die niederen Magistraten oder Stände sich gegen den Tyrannen stellen, da darf das Volk Gewalt mit Gewalt bekämpfen und seine Rechte mit der Waffe verteidigen.181 Eschers Dissertation ist ein interessantes Gemisch zwischen der modernen, naturrechtlichen Theorie von Naturzustand (mit stark betonter Gleichheit der Menschen) und Gesellschaftsvertrag einerseits182, und andererseits dem älteren calvinistischen Widerstandsrecht, wie es hinsichtlich der niederen Magistraten insbesondere Beza dargelegt hat und im Zusammenhang mit der „Glorious Revolution" hochaktuell ist. Damit verbunden ist eine klare Absage an Rechtskonzepte, welche der Zeit und einem konkreten Volk (genio populi) nicht gemäß sind: die alttestamentlichen der Juden ebenso wie das römische Recht. Ihnen stellt Escher seinen Landsmann Josias Simler entgegen, der anstelle des geschriebenen römischen Rechts die heimischen Gesetze und Bräuche als Richtschnur der Eidgenossenschaft empfiehlt. Für Eschers Prägung durch seine Utrechter Umgebung ist die Schilderung seiner Doktordisputation aufschlußreich, die er selbst überliefert. In seiner 16. These hat er den Glauben behandelt als einen Bereich, der dem Gewissen vorbehalten bleibt. Doch der Bürger der Zwinglistadt schränkt gleich ein, daß die Obrigkeit in Fragen des Kultes durchaus eingreifen dürfe. Ist einmal durch „consensus populi" ein Bekenntnis eingeführt, so wacht sie darüber, daß dieses gerade auch als Verkünderin der öffentlichen Ordnung gepflegt und einge179

Ebd. 28. Ebd. 29. 181 vgl. auch Cicero, De officiis, 3, 6 („Nulla societas nobis cum tyrannis"), den Escher zum Abschluß seiner Dissertation anführt. 182 Eschers Aufgeschlossenheit für modernes Gedankengut zeigt sich auch in seiner Adaption von Hobbes' mechanistischer, analytisch-kompositorischer Methode, vgl. den unten erwähnten fünften Discours über die „Vereinigten Niderländischen Provinzen" (Zentralbibliothek Zürich: Ms FA v. Wyss, III 122): Escher erörtert eingangs die „Verwandtschaft und ähnlichkeit zwüschen den gesezen der physic und der policej". Beide Wissenschaften müßten die „Principia und specifica, die zur production und compositon eines dings gebraucht werden", herausarbeiten. 180

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halten wird. Individuelle Abweichler dürfen neue Dogmen nicht öffentlich kundtun; gegebenenfalls sind sie zu bestrafen, nicht als Dissentierende, sondern als Quelle politischer Unruhe. Auch wer im Stillen einen abweichenden Glauben pflegt, darf - unter Mitnahme des Besitzes - des Landes verwiesen werden. Gegen diese These erhebt sich unter exilierten Hugenotten im Publikum Protest, die in diesen Ausführungen eine Rechtfertigung des Edikts von Fontainebleau erkennen: Keine Obrigkeit sei dazu berechtigt, die natürlichen Rechte aller Menschen in Glaubenssachen zu beschneiden. Nach längerem Streitgespräch, wobei auch de Vries Escher erfolglos beispringt, kapituliert der peinlich berührte Zürcher: Er habe aus der Tradition seiner Heimatstadt heraus argumentiert, sei jetzt aber von einer prinzipiellen Toleranzpolitik überzeugt worden. Die Bekehrung wird mit allgemeinem Applaus aufgenommen. „Ich habe darauf dieser Thesi und den mir gemachten gründlichen Oppositionen aufmerksam nachgesinnt und ist eine christliche Toleranz mir desto lieber worden". 183 Seine Kenntnisse und Interessen kann Escher schon bald in Zürich anbringen, wo er sich „in Historia Helvetica" übt und sich dazu „bei Hr. Sekel Mr. Rahn, der Meiner Frauwen Oncle ware", anmeldet, um dessen Chronik zu lesen und vollständig abschreiben zu lassen.184 Um 1700 wird der junge Gelehrte ins Collegium der Wohlgesinnten aufgenommen, wo er sich schon bald mit Vorträgen hervortut, etwa einem „Discours von den principiis juris naturae" oder einem „Discours von der Pflicht des Menschen gegen sich selbst". An die Dissertation klingt thematisch der Vortrag „De artibus, quibus Augustus Romanam Rempublicam callide invasit" an. 185 In der Tradition eines Sallust beschreibt Escher, wie das „wollüstige volk" und „ambitieuse und der bürgerlichen aequalitet überdrüßige köpf die Republik nach ihrem Triumph über Karthago zugrunde richten, bis schließlich der verschlagene, „höchst kluge" Augustus „die democratische regierungsform in eine Monarchische" verwandelt. Gleich in fünf Reden vor dem Kollegium geht Escher, der auch die angeblichen „Memoiren" de Witts (de la Courts erwähnte „Maximen und Gründe" von 1671) und Aitzemas Geschichts werk gelesen hat 186 , auf die „Regierungs-

183 Carl Keller-Escher, Geschichte der Familie Escher vom Glas, 1320-1885. T. 1: Geschichtliche Darstellung und biographische Schilderungen. Zürich 1885, 107. 184 Zehnder-Stadlin, Pestalozzi (wie Anm. 163), 155. 185 Zentralbibliothek Zürich: Ms FA v. Wyss, III 122. 186 Zehnder-Stadlin, Pestalozzi (wie Anm. 163), 157. Vgl. Lieuwe van Aitzema, Historie of verhael van saken van staet en oorlogh in ende omtrent de Vereenigde Nederlanden. Den Haag 1657-1668; dazu Herbert H. Rowen, Lieuwe van Aitzema: a Soured but Knowing Eye, in: ders., The Rhyme and Reason of Politics in Early Modern Europe. Collected Essays of Herbert H. Rowen. Ed. by Craig E. Harline. (Archives internationales d'histoire

d e s i d é e s , Vol. 1 3 2 . ) D o r d r e c h t 1992, 8 3 - 9 7 .

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form der Sieben Vereinigten Niderländischen Provinzen" ein. 187 Der erste Discours behandelt „die einzelnen Provinzen, ihre Regierungsform und Verhältnis zueinander" und betont vor allem ihre uneingeschränkte Souveränität. Im dritten und vierten Discours geht es um die Utrechter Union und das Militärwesen, im fünften um die Marine und Kolonien. Im zweiten Discours wird die Verfassung der Niederlande vorgestellt, wobei Escher mit allgemeinen Überlegungen zu den Verfassungsformen einsetzt. In der „Monarchia" folgt auf einen ruhmvollen ein verdorbener Fürst, mit entsprechenden Folgen für „Commercia und Sciences"; in der „Aristocratischen Republic", etwa unter den Patriziern der Reichsstädte, herrscht stets der Parteienkampf der Ehrgeizigen; „was die Democratiam betrift", so droht das „wankelmühtige und zu verenderungen geneigte" gemeine Volk. Daher ist in Theorie wie Praxis die gemischte am ehesten die „vollkommenste Regimentsform", wobei es verschiedene Mischverhältnisse gibt. Der Absolutismus hat in der letzten Zeit viele mit Aristokratie „temperierte" monarchische Verfassungen abgeschafft, durchaus zum Nachteil der jeweiligen Länder; dies gilt auch für das weitgehend ruinierte Frankreich. „Aus Aristocratia und Democratia vermischte Regierungsformen behalten dißmahlen vornemlich die Eidgnößischen Stätt und vor dißen haben solche gehabt unterschidenliche von den alten griechischen Rep. deren Exempel uns alle lehren, daß diße form, pro conservanda libertate die allerbeste, hingegen ad amplificandos fines Imperii beinahe die allerschlimste seie." 188 Aus allen drei Regimentsformen gemischt ist schließlich Lykurgs spartanische Schöpfung gewesen, ebenso Karthago und Rom, „die vollkomenste [Regimentsform], so iemahls auf dem theatro dißer weit erschienen" und deshalb auch zur expansiven Reichsbildung befähigt. 189 Gegenwärtig wird die Vortrefflichkeit der vermischten Regierungsformen durch drei Republiken vorgeführt, „die Englische, in welcher die Monarchie, die Venetianische, in deren die Aristocratie, und die Niederländische, in deren kein sonderbahr, wohl aber bald die, bald einander praeponderiret".190 Escher hebt hervor, wie der Statthalter „als ein temperamentum polyarchiae" manche Zwietracht und Unruhe unter den Provinzen und Regenten verhindert oder endgültig entscheidet, Streitigkeiten, wie sie in der Eidgenossenschaft leider so häufig und lähmend seien. Auch die „enorme langsahmkeit der resolutionen, welche einem regimine polyarchico als ein proprium quarti modi unabscheidenlich anhanget", wird durch den Statthalter stark beschleunigt 191 , während er gleichzeitig konservativ den Bestand der vertrauten Insti187 Zentralbibliothek Zürich: Ms FA v. Wyss, III 122: Zweiter Discours über die Regierungsform der Sieben Vereinigten Niderländischen Provinzen (20. Februar 1703). 188 Escher, Zweiter Discours (wie Anm. 187), 8. 189 Ebd. 10. 190 Ebd. 12. 191 Ebd. 23.

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tutionen garantiert. Allerdings muß er sich auch selbst mäßigen und nicht wie Leicester, „der hochmühtige Engelsmann", sich verhaßt machen, indem er den „Republicanischen Humor der Niderländeren" vor den Kopf stößt.192 Hat Johann Caspar Escher während seiner langen politischen Karriere die Prinzipien seiner Jugend weiter gepflegt: Antiabsolutismus, Gleichheitsvorstellungen und Mischverfassung mit starkem monarchischen Element? Hinweise müssen hier genügen. Öffentliches Aufsehen erregt der Großrat erstmals 1707, als er sich für Reformen beim ignoranten Klerus ausspricht und dabei einen Konflikt mit Antistes Klingler vom Zaun bricht. Als seine Streitgefährten, vor allem Obmann Johann Heinrich Bodmer, 1713 gegen die Bestechlichkeit ihrer Ratskollegen protestieren und ein eigentlicher Aufstand auszubrechen droht, gehört Johann Caspar Escher mit seinem Vater, dem Bürgermeister Johann Jacob, auf seiten der Obrigkeit und mit Johann Jacob Scheuchzer auf seiten der Zünfte zu den vermittelnden Kräften, die einen glimpflichen Ausgang und - bescheidene - Reformen ermöglichen. Von der Sache her mit Bodmer verbunden, lehnt Johann Caspar Escher dessen Cromwellsche Allüren, die unkontrollierbare Erhebung des Volkes und die Änderung der Grundgesetze ab. 193 Nur wenige Jahre später läßt sich Johann Caspar - wie er später selbst schildert - nach seinem „republicanischen Humor" auf eine Kampfwahl um die wichtige Landvogtei Kyburg ein und schwingt obenauf, obwohl er sich rühmt, „daß Es mich keinen Pfennig gekostet" - offensichtlich entgegen der üblichen Praxis. 194 Sein Wirken als Landvogt von 1717 bis 1723 schlägt sich in den „Bemerkungen über die Regierung der Grafschaft Kyburg" nieder, die einen fürsorglichen und zugleich von seiner obrigkeitlichen Mission überzeugten Landesvater verraten.195 Die untertänigen Landbewohner sind ihm „Commilitones nit Servi": „Dann die Menschen, so fern sie eine äusserliche Societät, Regiment oder Stand ausmachen, sind anzusehen als natürliche Menschen", denen man in Religionssachen oder Volksfreuden nicht unnötige und ungerechte, da von den Bürgern selbst nicht befolgte Vorschriften machen solle - vielmehr müsse der Landvogt und auch die schlecht gebildete Geistlichkeit durch das gute Exempel wirken und Christi Lehre vorleben.196 Dazu braucht er allerdings außer Tugend ein „rechtes systema von einer guten Polizei": „Wer nit weiss, worin die Wohlfahrt eines Volkes bestehet, und was 192

Ebd. 30. Zu den Unruhen von 1713 Ernst Saxer, Die zürcherische Verfassungsreform vom Jahre 1713 mit besonderer Berücksichtigung ihres ideengeschichtlichen Inhalts. Zürich 1938, sowie Kempe/Maissen, Collegia der Insulaner (wie Anm. *), 249-280. 194 Zehnder-Stadlin, Pestalozzi (wie Anm. 163), 164. 195 Johann Caspar Escher, Bemerkungen über die Regierung der Grafschaft Kyburg, größtenteils ediert in: Archiv für Schweizerische Geschichte 4, 1846, 249-298; 5, 1847, 378-398. 1 9 6 Ebd. 261. 193

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ein Regent dazu könne und solle beitragen, wie kann er wohl regieren? und doch sind in der Welt viele Regenten, die, wann sie müssten über diese Frage antworten, vielleicht verlegen wären." 197 Seine Pflicht ist es nicht, sich zu bereichern, verehren zu lassen oder zu „thun, was er will", „sondern dass er seine Unterthanen so discipliniere, dass sie vernünftige, sociable und nützliche Menschen werden und bleiben, auch als solche in guter Ordnung, Ruh und Fried unter einander leben". 198 Die vermittelnden Missionen bei zugewandten Orten entsprechen dem Bild, das Escher von sich selbst zeichnet und an dem er sich offenbar mißt. Bei der Vermittlung zwischen den drei rhätischen Bünden wirken 1729 Vorstellungen der Dissertation nach: „Eine wohleingerichtete Republic sucht nur ihre eigne Erhaltung und das Wohlseyn ihrer Angehoerigen und Unterthanen, die genaue Beobachtung ihrer Fundamental-Satzungen." Im Inneren haben die „freyen Republiquen" einträchtig, gegen außen friedfertig zu sein: „Diese ihre Einigkeit und Unpartheylichkeit ist ihro ein sicherer Schirm, als alle ihre Paeß, Zeughaeusser, Geld und Mannschafft." Deshalb möge man bei inneren Meinungsunterschieden und Unruhen keine Fremden (womit vor allem Österreich gemeint ist) herbeirufen und sich ihnen unterwerfen, sondern „seinem Mitbürger um etwas weichen". 199 In gleichem Sinn fordert Escher 1734 von den Genfer Patriziern, sie sollten der Opposition entgegengehen - womit er sich den verständnislosen Zorn seines Freundes Jean Alphonse Turretini einhandelt, der darin eine Begünstigung der verachteten Demokratie erkennen will. 200 Die verschiedenen Trauerreden und -gedichte, die 1762 beim Ableben „Herren Johann Caspar Eschers, theuresten Vatter des Vatterlandes und Bürgermeisters der Stadt Zürich" gedruckt werden, spiegeln das von ihm gepflegte Bild des fürsorglichen republikanischen Regenten wider. Zwei dieser Schriften tragen dasselbe Frontispiz, mit einer Allegorie der weinenden „Republic", von Fama begleitet und umgeben vom Regentenstab, dem altrömischen Rutenbündel, einer Urne und dem „Eydgnösischen Freyheits-Hut". Verfaßt hat beide Texte Johann Caspar Ulrich, Pfarrer am Fraumünster, der 197

Ebd. 395. Ebd. 396. 199 Proposition der Hoch- und Wohlgeachten [...] an die Rhaetische Republic abgeordneten Herren, Herren Ehren-Gesandten der zweyen Großmaechtigen hochlobl. Staenden Zürich und Bern, s.l. 1729. 200 Lebensgeschichte (wie Anm. 173), 192. Turretini schreibt am 6. September 1734: „Vôtre lettre du 12me Mars nous avoit remplis d'esperances. Vous y disiès, que rien ne pourrait arriver de plus funeste à notre république qu'un changement qui la féroit incliner vers la démocratie; qu'on n'a qu'à considérer les differens gouvernements de la Suisse, & qu'on trouvera d'abord que les Cantons populaires sont dans une condition beaucoup inférieure. C'est ainsi que vous pensiés alors. Mais quantum mutatus ab ilio! Oserai-je ajouter aussi, qu'en divers lieux [...] on dit que Vous avés parlé de nos affaires d'une maniere très désavantageuse à notre magistrat, donnant tout le droit aux autres." 198

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1727 ebenfalls in Utrecht studiert hat und 1755 eine erfolgreiche Bibelübersetzung herausgibt.201 Sein Lob auf den „Obersten der Patrioten in Zürich" beginnt mit einer Apostrophe an die „göttliche Tugend" und die „unschätzbare Freyheit". Schon die Lektionen der Eltern hätten Escher Gehorsam, Bescheidenheit, Mäßigkeit, Frömmigkeit beigebracht und alle übrigen Tugenden, die „wie den rechtschaffnen Menschen, also auch den guten Bürger ausmachen". So habe er, auf dem „öde Pfade der Rechtschaffenheit" heroisch allen Versuchungen von Reichtum und Macht getrotzt und als weiser Richter, Beschützer und Strafer seine Pflicht verantwortungsvoll und gerecht erfüllt. 202 All dies Schaffen, alle seine Tugenden hätten in „Religion und Christenthum" geruht, in Kirchgang und stillem Gebet, wobei ihm jeder Zwang zuwider gewesen sei: „Er wüßte, daß in der Kriche eine christliche, wie in dem Staate eine bürgerliche Freyheit herrschen." Damit kommt Ulrich zum Höhepunkt seiner Rede: „Die bürgerliche Freyheit, die Seele des Staates, die in der durchgängigen Gleichheit der Bürger zu dem Genüsse der Glückseligkeit, in Behauptung der Ordnung, die das allgemeine Beste erfordert, und in heiliger Beobachtung der dahin abzweckenden Gesätze, bestehet; diese bürgerliche Freyheit, hielt Er für das erhabenste Vorrecht, das Er als ein Bürger genossen, und für ein Ihm anvertrautes Heiligthum, das Er als seinen Aug-Apfel verwahret hatte. Ihn schreckete nicht die Ungebundenheit des nach der Anarchie strebenden, und die Ausgelassenheit für Freyheit ansehenden Pöbels, noch der herrschsüchtige Stolz der nach der Oligarchie schnappenden Mächtigen; beyden widerstuhnde Er als für das Vatterlande gleich forchtbaren Feinden mit einem wahren Helden-Muthe." 203 In zwei anderen Nachrufen wird das republikanische Bekenntnis gegen außen deutlich, als Dank, daß die Zürcher nicht wie andere „dem strengen Willen eines Monarchen" ihre liebsten Güter aufzuopfern haben 204 und „daß du uns bisdahin bey der durch das Blut und durch den Schweiß unserer tapferen und von deiner Hand gestärckten Voreiteren erworbenen Freyheit erhalten hast. Wir haben, nach deiner Erbarmung, keinen Fürsten, keine Treiber, noch Zwingherrn über uns. Die weisen und vortrefflichen Männer, die über uns gesetzt sind, sind aus unserer Mitte, sie sind unsere Vätter und unsere Brüder."205 201

Vgl. den Bericht über die niederländische Reise: Gerold Meyer von Knonau, Eine Studienreise eines zürcherischen Theologen in den Jahren 1727 bis 1729, in: Zürcher Taschenbuch 18, 1895, 195-245, insbes. 197-204. 202 Johann Caspar Ulrich, Lob und Trauer-Rede auf den Tode Herren, Herren Johann Caspar Eschers, theuresten Vatter des Vatterlandes und Burgermeisters der Stadt Zürich. Zürich 1762, 3-9. 2 °3 Ebd. 11. 204 Trauer- und Freuden-Gedicht auf das höchstbetrübte und seligste Absterben [...] Joh. Caspar Escher [...] desgleichen auf die [...] Ehren-wähl Hs. Caspar Landolt. Zürich 1763,2. 205 Johann Caspar Ulrich, Der, auch nach seinem Tode, von seinen Kinderen hochverehrte und herzlich geliebte Landesvatter. Zürich 1762, 3 f.

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Das in diesen Nachrufen gezeichnete paternalistische Bild des um Frieden und Harmonie bekümmerten Hirten, der dafür aber auch Gehorsam fordert, entspricht dem aufgeklärten Herrscherethos von Eschers Zeit. Aufschlußreich ist diesbezüglich der Vergleich mit dem Nachruf auf Johann Caspars gleichnamigen Großvater, den 1696 verstorbenen Bürgermeister. Im älteren Text fehlen die Worte „Freiheit" und „Gleichheit", während die Parallelen im paternalistischen Regenten- und Hirtenbild offensichtlich sind; das fürsorgerische Ideal ist aber noch völlig eingebettet in die Zusammenarbeit mit der Geistlichkeit.206 Die starke Betonung der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit, die ja auch mit Leutseligkeit gegenüber der untertänigen Landbevölkerung einhergeht, ist dagegen beim jüngeren Escher ebenso auffällig wie die klare Absage an die monarchische, stets vom Absolutismus versuchte Welt der Fürsten. Beides ist das Produkt des in der Jugend vermittelten niederländischen Republikanismus, der aufklärerischen Freunde um Scheuchzer im „Collegium der Wohlgesinnten" und später im Bodmerkreis sowie der partizipatorischen Tradition in der städtischen Verfassung. Letzteres darf jedoch nicht überbewertet werden: Erst in den Jahren um 1700 ist in Zürich ein modernes, individualistisches Selbstverständnis des republikanischen, tugendhaften Bürgers entstanden, das an Elemente der genossenschaftlich-zünftischen Ordnung anknüpfen kann, aber darüber hinausgeht. Was charakterisiert den hier behandelten „Dutch moment", wie er in Zürich und darüber hinaus bei den anderen Eidgenossen und Zugewandten wirksam wird? Und inwiefern geht er über reine republikanische Rhetorik hinaus, die zu außenpolitischen Zwecken ebenso verwendet werden kann wie andere Argumentationsmuster? Wie das Beispiel Valkeniers zeigt, wird diese keineswegs nur von „Staatsgezinden" verwendet: „Freiheit" dient als Schlagwort auch der „Prinsgezinden".207 Im Abwehrkampf gegen Ludwig XIV. wird aus den Niederlanden „la clef de la liberté commune", der Vorposten der „liberté de l'Europe" 208 - ohne daß dies republikanische Konnotationen weckt. Und tatsächlich führen die Holländer ihre Kriege ja auch in Allianzen mit Fürsten und nicht mit Freistaaten.209

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Zürichklage über den tödlichen Hintritt des [...] Hn. Joh. Kaspar Eschem [...]. Zürich 1696. 207 Vgl. etwa den pro-oranischen Traktat: Der Wahr-sprechende Getreue Holländer. Darstellende das Fundament der von neuen wieder eingeführten alten Holländischen Gerechtigkeit, oder die alte Freyheit der Bürger. Durch einen Liebhaber der Freyheit des Vaterlandes, s. 1. 1673; ferner Kossmann, Development (wie Anm. 18), 107, zu Willem van der Muelen. 208 Gregorio Leti, La Monarchie universelle de Louys XIV. Amsterdam 1701; zitiert nach Jonathan 1. Israel, General Introduction, in: ders. (Ed.), Anglo-Dutch Moment (wie Anm. 24), 32. 209 Vgl. auch oben Anm. 111.

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Gleichwohl sind in den für die Schweiz relevanten Texten immer wieder ähnliche Elemente begegnet, die eine ,republikanische Internationale" begründen sollen210: Mischverfassung (mit dem Statthalter als monarchischem Element) und Kleinstaatlichkeit; Zurückweisung der zeremoniellen und kriegerischen Anmaßungen aller Monarchen, denen - vor allem aber den absoluten Herrschern - mit prinzipiellem Mißtrauen begegnet wird; statt dessen die Überzeugung, daß eine Republik grundsätzliche Vorteile gegenüber einem Königreich hat: Reichtum durch friedfertige Kommerzien und außenpolitische Mäßigung, Dauer und Stabilität durch Ausgleich der Interessen. Theoretisch entwickelt werden diese Argumentationsmuster zuerst etwa von de la Court im innenpolitischen Konflikt mit den oranischen Herrschaftsansprüchen und der sie umgebenden höfischen Welt, dann aber beispielsweise von Valkenier übertragen auf den außenpolitischen Überlebenskampf gegen den unersättlichen, anmaßenden Ludwig XIV.211 Der in der eigenen politischen (und wirtschaftlichen) Leistung begründete republikanische Stolz zielt nicht auf eine Revolution in den Monarchien ab. Illegitim ist die Einherrschaft nicht per se, wohl aber gefährlich - und stets gefährdet, zum Absolutismus zu degenerieren, die Bindung an die Fundamentalsatzungen zu verlieren. Dann allerdings, und nicht erst, wenn offene Despotie ausbricht, verstößt der König gegen Gott und Natur - ungeachtet seiner individuellen Tugend als Herrscher. Vom absolutistischen Souveränitätsverständnis herausgefordert, antworten die behandelten Autoren mit einer naturrechtlich begründeten Mischverfassung, die mindestens ebensoviel Respekt einfordert wie die überhöhte Einzelherrschaft. Dabei ist die staatsrechtliche Selbstdefinition kein von innen empfundenes Bedürfnis, sondern ein Gebot der Zeit, nicht zuletzt angesichts der juristischen Verbrämung des französischen Expansionismus. Verfassungsgeschichtlich verändert hat sich wenig in diesen durch mittelalterliche Freiheiten im Rahmen des Reichsverbands begründeten autonomen und föderierten Kommunen; was aber in einer Welt von Privilegien und Immunitäten die Regel gewesen ist, wird im Zeitalter des Territorialstaates zur Ausnahme und riskiert, als Anachronismus liquidiert zu werden. Als eher zufällige Produkte der Geschichte erkennen die Generalstaaten und in ihrem Gefolge die Eidgenossenschaft, daß die Kategorie „Republik" nachträglich historische Tradition (bis zu den tugendhaften Heroen der Antike) und völkerrechtliche Anerkennung vermitteln kann - und zwar angesichts der Souveränitätsproblematik besser als der herkömmliche, pragmati210

Vgl. auch Ernst H. Kossmann, In Praise of the Dutch Republic: some SeventeenthCentury Attitudes. London 1963, 4, 6 (Jacobus Lydius). 211 Umgekehrt wird auch Wilhelm III. von französischer Seite als Republikaner und neuer Cromwell angeschwärzt, was vielleicht in den Niederlanden zur verstärkten Identifikation mit dem Statthalter als antiabsolutistisch-republikanischer Institution führt; vgl. Israel, General Introduction (wie Anm. 208), 40-43.

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sehe „Republikanismus" mit den Widerstandsmythen Teils oder der Bataver. Entsprechend löst in Zürich und in anderen eidgenössischen Kantonen der Titel „Respublica" beziehungsweise „Republic" - in der Bedeutung als souveräner Freistaat - in einem langen Prozeß vom frühen 17. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts die älteren Bezeichnungen des Gemeinwesens auf Münzen, anderen staatlichen Symbolträgern und schließlich in der offiziellen Nomenklatur ab. 212 Das Zeitalter Ludwigs XIV. ist für die europäischen Republiken eine Phase der Bedrohung, die - im Sinne Hans Barons - mit dem Florentiner Kampf gegen die Visconti und - wie bei William Bouwsma - mit Venedigs Ringen mit Papst und Mächten zu vergleichen ist. In dieser Zeit wandelt und schärft sich das republikanische Selbstverständnis, weil die Republiken nun am modernen, westlichen Staats- und Völkerrecht gemessen werden. Zentral darin ist die Souveränitätslehre, und ihre Interpretation in der politischen Theorie, in der staatlichen Repräsentation oder im diplomatischen Zeremoniell ist im 17. Jahrhundert klar monarchisch. Dieser gegenwärtigen Herausforderung haben sich die Republiken zu stellen, die sich dabei erst richtig als solche erfahren - und nicht einer zukünftigen Herausforderung im Hinblick auf einen - im modernen Sinn - „demokratischen Republikanismus".213 Vielmehr müssen die Polyarchien nun ihren in der vormodernen Erfahrungswelt selbstverständlichen hierarchischen Staats- und Gesellschaftsaufbau mit bürgerlicher Ungleichheit und in der Praxis oft oligarchischen Zuständen in einer angemessenen Form konzipieren, die den Regeln der Souveränitätslehre genügt. Diese Form ist obrigkeitlich und elitär: Valkenier ist ein „aristocraat in merg en been". 214 Seine Zürcher Freunde sind in der Regel - im eigentlichen Sinn des Wortes - konservative, patriarchalisch denkende Magistraten, die sich über Untertanen und oft auch über Mitbürger erhaben glauben. 215 Doch das Argumentieren mit der und über die „Republic", so herrschaftlich sie im 17. Jahrhundert auch gedacht wird, impliziert ungewollt Freiheitsvorstellungen, die im Sinne Schillings dynamisch werden können. 216 Scheies Traktat und Johann Caspar Eschers Dissertation haben dies gezeigt: Aus der ursprünglichen Gleichheit des Naturzustands können individuelle Freiheiten abgeleitet werden. Und ebenso ist Eschers mit der christlichen Lehre verwobener Tugenddiskurs Voraussetzung eines aufgeklärten Herrscherbildes, das hohe ethische Ansprüche stellt und letztlich ohne Rücksicht auf das Geblüt all denen die politische Partizipation in Aussicht stellt, die - ob Bürger oder gar Untertanen - diesen Anforderungen genügen. Erst die monarchisch 212 213 214 215 216

Dazu ausführlicher Maissen, Valkeniers republikanische Sendung (wie Anm. 12). Vgl. Schilling, Der libertär-radikale Republikanismus (wie Anm. 17), 531-533. Bokhorst, Nederlands-Zwitserse Betrekingen (wie Anm. 40), 28. Vgl. Venturi, Re e repubbliche (wie Anm. 15), 32-34, 53. Dazu Schilling, Der libertär-radikale Republikanismus (wie Anm. 17), 516-521.

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geprägte Souveränitätslehre macht aus den mittelalterlichen Kommunen frühneuzeitliche Republiken, und erst die im Königreich Frankreich 1789 demokratisierte Souveränitätslehre bringt in den frühneuzeitlichen Republiken die gewaltenteilige, moderne Volksherrschaft hervor - soweit sie die napoleonische Ära überleben, was mit einer freistaatlichen Verfassung außer San Marino allein der Eidgenossenschaft gelingt.

Republikanismus in Europa Deutsch-Niederländische Perspektiven 1580-1650* Von

Martin van Gelderen

I. Einleitung In seiner klassischen Studie aus dem Jahr 1924, „Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte", feiert Friedrich Meinecke den Florentiner Humanisten Niccolò Machiavelli als den ersten modernen Denker, der die Tiefe der Staatsräson erfaßt hat. Es ist jedoch das Schicksal Machiavellis gewesen, schreibt Meinecke, „das er mit so vielen großen Denkern gemein hat, daß er nur mit einem Teile seiner Gedankenwelt das geschichtliche Leben zu beeinflussen vermochte".1 In der neueren Geschichte ist der Name Machiavellis seit dem 16. Jahrhundert unmittelbar mit Machiavellismus, mit einer skrupellosen Politik der Staatsräson verbunden. Meinecke bewertet diese Deutung als einseitig. Er bemerkt, daß Machiavellis „vi/tw-Ideal bald verblaßte" und „seine republikanischen Ideale" zwar beachtet, aber oft mißdeutet wurden. Aus dieser Perspektive markiert das Erscheinen von John Pococks Hauptwerk „The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition" (1975) und Quentin Skinners Studie zu „The Foundations of Modern Political Thought" (1978) eine radikale Neubewertung Machiavellis und der Rezeption seiner Werke.2 Pocock und Skinner stellen Machiavelli vor allem als „Philosophen der Freiheit" dar, als Leitfigur * Dieser Aufsatz basiert auf Vorträgen für das Forschungskolloquium von Gisela Bock zur Westeuropäischen Geschichte an der Freien Universität Berlin und für das StipendiatenKolloquium der Herzog-August Bibliothek Wolfenbüttel. Die Forschungen fanden im Rahmen des Netzwerks „Republicanism: A Shared European Heritage" statt, das von der European Science Foundation gefördert wurde, und profitierten wesentlich von Forschungsaufenthalten am Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen, und an der Herzog-August Bibliothek, Wolfenbüttel. Besonderer Dank gilt Matthias Weiß für seine Hilfe, Quentin Skinner für fortwährende Diskussion und Hans Bödeker, mit dem ich gegenwärtig ein größeres Projekt zur deutsch-niederländischen Problematik der respublica mixta entwickle. 1 Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte. Hrsg. v. Walter Hofer. München/Wien 1976,52. 2 John G. A. Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition. Princeton 1975; Quentin Skinner, The Foundations of Modem Political Thought. 2 Vols. Cambridge 1978.

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des Florentiner Republikanismus, der keineswegs verblaßt, sondern im 17. und 18. Jahrhundert eine der Hauptquellen für die atlantische republikanische Tradition ist. Diese Neubewertung ist engstens verbunden mit der Ambition, eine neue Geistesgeschichte zu gestalten. Unter dem Einfluß der linguistischen Wende verwandelt die neue Cambridge School das Studium der politischen Ideen in das Studium der politischen Sprachen und der politischen Diskurse.3 Die Vertreter der Cambridge School betonen, daß die klassischen politischen Denker im Rahmen ihres normativen Vokabulars und ihres intellektuellen Umfelds neu gelesen und studiert werden sollen. Diese neue Aufmerksamkeit für Sprache und intellektuelles Umfeld bedeutet, daß das Studium der politischen Ideen sich nicht mehr wie zuvor exklusiv auf einzelne große Staatsdenker richtet, sondern vielmehr auf Traditionen. Mit den Studien von Pocock und Skinner erfährt insbesondere das Studium des frühneuzeitlichen Republikanismus einen Aufschwung. 4 Pocock und Skinner verstehen den Republikanismus als politische Sprache, die durch eine spezifische Idiomatik und Rhetorik und durch „distinguishable language games of which each may have its own vocabulary, rules, preconditions and implications, tone and style" geprägt ist.5 Machiavelli ist Ausgangspunkt für Studien, die einerseits tief ins italienische Mittelalter zurückgehen und andererseits den Werdegang der atlantischen republikanischen Tradition bis ins späte 18. Jahrhundert erörtern. Für das Jahrhundert von Machiavelli erscheint der Republikanismus als die politische Sprache, die vom Leben als einem Kampf zwischen Tugend, virtù, und Fortuna spricht und die die Männer der Renaissance aufruft, ihre Glückseligkeit im aktiven politischen Leben zu suchen. In diesem Kampf geht es zuerst um Freiheit. Das republikanische Freitheitsideal basiert auf römischen Quellen und beinhaltet Selbstbestimmung und Selbstregierung der Bürger.

3

Die grundlegende Literatur ist zu finden in Quentin Skinner, Visions of Politics Vol. 1 : Regarding Method. Cambridge 2002; James Tully (Ed.), Meaning & Context. Quentin Skinner and his Critics. Oxford 1988. Siehe auch John G. A. Pocock, Introduction: The State of the Art, in: ders., Virtue, Commerce and History. (Ideas in Context, Vol. 2.) Cambridge 1985, 1-34, und ders., The Concept of a Language and the métier d'historien: some Considerations on Practice, in: Anthony Pagden (Ed.), The Languages of Political Theory in Early-Modern Europe. Cambridge 1987, 19-38. 4 Einige Beispiele sind Quentin Skinner, Machiavelli. Oxford 1981; Gisela BockJQuentin Skinner/Maurizio Viroli (Eds.), Machiavelli and Republicanism. (Ideas in Context, Vol. 18.) Cambridge 1990; Maurizio Viroli, From Politics to Reason of State. The Acquisition and Transformation of the Language of Politics 1250-1600. (Ideas in Context, Vol. 22.) Cambridge 1992; David Wootton (Ed.), Republicanism, Liberty and Commercial Society, 1649-1776. Stanford 1994; David Armitage/Armand Himy/Quentin Skinner (Eds.), Milton and Republicanism. (Ideas in Context, Vol. 35.) Cambridge 1995. Martin van Gelderen/ Quentin Skinner (Eds.), Republicanism: A shared European Heritage. 2 Vols. Cambridge 2002. 5

Pocock, Concept of a Language (wie Anm. 3), 21. Siehe auch ders., State of the Art (wie Anm. 3), 8.

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Sklaverei und Abhängigkeit sind die Antonyme der Freiheit.6 Mit vielen anderen bürgerlichen Humanisten betont Machiavelli in seinen „Discorsi", daß Rom seine grandezza nur der Freiheit verdanke: „Perche si vede per esperienza, le cittadi non avere mai ampliato né di dominio né di ricchezza, se non mentre sono state in libertà." 7 Machiavelli verbindet Freiheit mit bürgerlicher Selbstregierung und erteilt der Monarchie eine klare Absage. Es ist unmöglich, ein „vivere libero" mit einem „vivere sotto uno principe", einem Leben unter einem Fürsten, zu vereinbaren. Unter dem Fürsten ist das Volk einem „animale bruto" gleich und lebt im Käfig und in Sklaverei, „in cercere ed in servitù".8 Es ist ein Grundsatz des Republikanismus, erklärt Quentin Skinner, „that it is only possible to enjoy civil liberty to the full if you live as the citizen of a free state".9 Im italienischen Republikanismus geht es tatsächlich jedoch nur um bürgerliche Freiheit. Im Republikanismus der englischen Protestanten wie John Milton und Algernon Sidney geht es dagegen auch um religiöse Freiheit. Mit Zuversicht verbindet Milton das neue Primat der Gewissensfreiheit mit dem Primat der freien Republik: „This liberty of conscience, which above all other things ought to be to all men dearest and most precious, no government [is] more inclinable not to favour only, but to protect, than a free commonwealth, as being most magnanimous, most fearless and confident of its own fair proceedings." 10 Freiheit ist also ein Hauptbegriff der republikanischen Sprache; es ist ein dynamischer Begriff, sogar ein Streitbegriff. Immer wieder erörtern die Philosophen, Pamphletisten und Poeten der republikanischen Tradition die Frage, was Freiheit ist, und erforschen, wie man sie erwerben und erhalten kann. Sie suchen, wie John Milton es im Titel seiner Streitschrift aus dem Jahr 1660 sagt, „The Readie and Easie Way to Establish a Free Commonwealth". Der Weg zur freien Republik ist jedoch voller Gefahren. Immer wieder beschwören die republikanischen Vordenker nicht nur die Gefahr von außen, sondern auch die Gefahr von innen, die innere Zwietracht. Sie erläutern, daß die Ideale der bürgerlichen Freiheit und der bürgerlichen Selbstregierung dauerhaft bürgerliche Tugenden wie Stärke, Wachsamkeit, und Eintracht erfordern. Die Ideale der Freiheit und der Selbstregierung können nur in einer Republik verwirklicht werden, die John Pocock als Struktur der Tugend kennzeichnet, „a structure in which every citizen's ability to place the common good before his own was the 6

Zusammenfassend jetzt Quentin Skinner, Liberty before Liberalism. Cambridge 1998. Niccolò Machiavelli, Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, in: ders., Tutte le Opere. Florenz 1971, Buch II, Kapitel 2, 148. 8 Ebd. II 1, 16: „quel popolo è non altrimenti che un animale bruto, il quale, ancora che di natura feroce e silvestre, sia stato nutrito sempre in cercere ed in servitù". 9 Skinner, Liberty before Liberalism (wie Anm. 6), 68. 10 John Milton, The Readie and Easie Way to Establish a Free Commonwealth (1660), in: ders., Selections. Ed. by Stephen Orgel and Jonathan Goldberg. Oxford 1991, 349. 7

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precondition of every other's, so that every man's virtue saved every other's from that corruption part of whose time-dimension was fortuna".11 Bürgertugend und bürgerliche Partizipation sind also die Hauptmerkmale des Republikanismus. Sie verkörpern die bürgerliche Selbstregierung und beinhalten das gute Leben. Die Koppelung von Freiheit und Tugend ist ein wichtiges Problemfeld der republikanischen Tradition. Mit Ciceros „De Officiis" als antiker Hauptquelle loben und analysieren die republikanischen Theoretiker die klassischen Tugenden des freien Bürgers; wie Cicero erörtern sie das Spannungsverhältnis zwischen honestas und utilitas. James Harrington spricht in seiner „Oceana" vom Eigeninteresse des Menschen und erörtert, wie Eigeninteresse mit Bürgertugend und Gemeinwohl vereinbart und geordnet werden kann. 12 Für Machiavelli geht es um die Frage, wie man die unvermeidbaren Konflikte zwischen den umori der sozialen Gruppen so umgestaltet und kanalisiert, daß die Freiheit nicht leidet, sondern profitiert.13 Sowohl Machiavelli als auch Harrington meinen, daß gute Gesetze den optimalen Zustand des Gemeinwesens herbeiführen sollen. Harrington sucht „orders of government", die fähig sind, „to constrain this or that creature to shake off that inclination which is more peculiar unto it and take up that which regards the common good or interest".14 Die Suche nach einem ausgeklügelten System von gewählten Institutionen und guten Gesetzen, die Freiheit, Gemeinwohl und Bürgertugend fördern, steht ebenfalls im Zentrum der italienischen und atlantischen republikanischen Tradition. Von Machiavelli bis Madison befürworten republikanische Autoren die gemischte Verfassung einer respublica mixta. Hier allerdings konkurrieren mehrere Modelle. Machiavelli bevorzugt das römische Modell, dem es gelingt, die Konflikte zwischen grandi und popolo dynamisch (und militärisch) umzusetzen. Die Expansion führt zu der römischen grandezza, zu Ruhm und Ehre. Harrington befürwortet das Modell Venedigs, weil es eine stabile Eintracht aufbaut, die die sozialen und politischen Konflikte nicht risikovoll kanalisiert, sondern neutralisiert. Der Republikanismus von Machiavelli und Harrington beschäftigt zur Zeit viele englischsprachige Wissenschaftler. In der niederländischen und deutschen Forschung zum 16. und 17. Jahrhundert hat der Republikanismus weniger Beachtung gefunden. In den Niederlanden wird seit zwei Jahrzehnten über 11 Pocock, The Machiavellian Moment (wie Anm. 2), 184. Siehe auch Skinner, Machiavelli (wie Anm. 4), insbes. 53-57. 12 James Harrington, The Commonwealth of Oceana. Ed. by John G. A. Pocock. Cambridge 1995. Zu Harrington siehe Pocock, The Machiavellian Moment (wie Anm. 2), und die vier grundlegenden Aufsätze von Blair Worden, in: Wootton (Ed.), Republicanism (wie Anm. 4), 44-194. 13 Zu diesem Thema siehe Gisela Bock, Civil discord in Machiavelli's „Istorie Fiorentine", in: dies./Skinner/Viroli (Eds.), Machiavelli and Republicanism (wie Anm. 4), 181-201. 14 Harrington, Oceana (wie Anm. 12), 22; Machiavelli, Discorsi (wie Anm. 7), 17, 87.

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die Merkmale des niederländischen Republikanismus und dessen Platz im weiteren europäischen Kontext diskutiert. In seinen grundlegenden Studien zur Politiktheorie des 16. und 17. Jahrhunderts hat der Historiker Ernst Kossmann immer wieder auf den Traditionalismus und den Mangel theoretischen Tiefgangs der niederländischen Flugschriften hingewiesen. So gibt es laut Kossmann im ausgehenden 16. Jahrhundert keinen Republikanismus von theoretischer Bedeutung, und am Anfang des 17. Jahrhunderts kann er nur einen Hauch von Republikanismus in der neuen niederländischen Republik spüren. Seiner Ansicht nach sind die republikanischen Ideen von Schriftstellern wie Hugo Grotius theoretisch unvollkommen. Zudem wird die akademische Politiktheorie, die Politica, in Kossmanns Sichtweise bis tief ins 17. Jahrhundert durch Aristotelismus und eine Form des gemäßigten Monarchismus geprägt. Mit Ironie erklärt Kossmann, daß der respektable und zivilisierte niederländische Bürger des 17. Jahrhunderts „Aristoteliker, Humanist, Kalvinist und Befürworter des Naturrechts" sei.15 Die Versuche von Schriftstellern wie Spinoza, nach 1650 republikanische Theorien zu entwerfen, sind nach der Meinung von Kossmann zwar „manchmal hochinteressant", es sei jedoch schwierig, so schreibt er in seiner Antwort auf Pococks „Machiavellian Moment", „to interpret the history of Dutch republican theory as constituting a tradition of its own, that is to say, as possessing a particular identity that we can see developing over the centuries".16 Und Kossmann fügt hinzu, daß er nur wenige Verbindungen zwischen den niederländischen republikanischen Traktaten und den italienischen und atlantischen Traditionen, wie sie von Pocock dargestellt werden, erkennen kann. In der neueren Forschung gibt es wichtige Ansätze, diese Interpretation der niederländischen Politiktheorie zu ergänzen und zu korrigieren. In ihren Studien haben vor allem Eco Haitsma Mulier und Hans Blom die Brüder de la Court und Spinoza als die Hauptvertreter des neuen niederländischen Republikanismus nach 1650, der zutiefst von der Rezeption Machiavellis beeinflußt wird, hervorgehoben. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sich ab 1650 eine eigenständige niederländische Tradition entwickelt, deren Dynamik mit der atlantischen Tradition von Milton, Harrington, Sidney und Madison zu vergleichen ist.17 Wie Kossmann betonen auch Haitsma Mulier und Blom den Eklektizismus und die Eigenart der niederländischen Politiktheorie. 15 Siehe Ernst H. Kossmann, Politieke Theorie in het zeventiende eeuwse Nederland. (Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, afd. letterkunde, n. r., 67/2.) Amsterdam 1960; ders., Dutch Republicanism, in: L'età dei lumi: Studi, storici sul settecento Europeo in onore di Franco Venturi. Vol. 1. Neapel 1985, 4 5 5 ^ 8 6 (auch in: ders., Politieke theorie en geschiedenis. Verspreide opstellen en voordrachten. Amsterdam 1987, 211-234). 16 Kossmann, Dutch Republicanism (wie Anm. 15), 486. 17 Eco O. G. Haitsma Mulier, The Myth of Venice and Dutch Republican Thought in the Seventeenth Century. Assen 1980; dies., The Language of Seventeenth-Century Republi-

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In der Forschung der deutschen Politiktheorie wurde der Republikanismus bis vor kurzem im Grunde ignoriert. Historiker wie Gerhard Oestreich, Horst Dreitzel und Michael Stolleis haben für die Politica des deutschen Späthumanismus die Bedeutung der Schulen des politischen Aristotelismus, der Politica Christiana, der monarchomachischen Theorie, der Naturrechtstheorie und des Tacitismus hervorgehoben.18 Gerhard Oestreich hat in einer Reihe von Studien die Entwicklung des Tacitismus erforscht. Der niederländische Späthumanist Justus Lipsius erscheint in diesen Studien als Leitfigur der tacitistischen Schule. Mit der systematischen Ausweitung der Analyse fürstlicher Tugenden, allen voran der prudentia, unter dem Aspekt der Herrschaftstechnik wird die „Politica" von Lipsius, 1589 zuerst veröffentlicht, zu einer Brücke zwischen den Fürstenspiegeln der Renaissance und den Theorien der fürstlichen Herrschaft des absolutistischen Zeitalters.19 Im Unterschied zum Tacitismus stehen im politischen Aristotelismus und in der monarchomachischen Theorie nicht die Fragen des Herrschers, sondern die Fragen der Herrschaft und der Herrschaftstrukturen im Zentrum. Obwohl fast alle deutschen Politiktheoretiker Aristoteles, den Philosophen schlechthin, zitieren und seine Grundbegriffe und Denkmuster immer wieder benutzen, stellt, so hat vor allem Horst Dreitzel gezeigt, der politische Aristotelismus eine relativ autonome Konzeption der Politik dar.20 Politische Aristoteliker zitieren den Philosophen nicht nur, sondern entwerfen eine systematische canism in the United Provinces: Dutch or European?, in: Pagden (Ed.), The Languages of Political Theory (wie Anm. 3), 179-195; Hans Blom, Morality and Causality in Politics. The Rise of Naturalism in Dutch Seventeenth-Century Political Thought. Utrecht 1995. 18 Siehe Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1: Reichspublizistik und PoliceyWissenschaft 1600-1800. München 1988, 80-224; Horst Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland. Ein Beitrag zu Kontinuität und Diskontinuität der politischen Theorie in der frühen Neuzeit. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beih. 24.) Mainz 1992, 7-57; Wolfgang Weber, Prudentia gubematoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. (Studia Augustana, Bd. 4.) Tübingen 1992; Horst Dreitzel, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz. Bd. 2: Theorie der Monarchie. Köln/Weimar/Wien 1991,465-590, und Michael Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit. 3. Aufl. München 1995. 19 Siehe die Aufsätze Uber Lipsius in Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1969, und vor allem ders., Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 38.) Göttingen 1989. 20 Siehe Horst Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die .Politica' des Henning Amisaeus (ca. 1575-1636). (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte, Bd. 55.) Wiesbaden 1970; ders., Der Aristotelismus in der politischen Philosophie Deutschlands im 17. Jahrhundert, in: Eckhard Keßler/Charles H. Lohr/Walter Spam (Hrsg.), Aristotelismus und Renaissance. In memoriam Charles B. Schmitt. (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 40.) Wiesbaden 1988,163-192, und ders., Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft (wie Anm. 18), Bd. 2, 547-566.

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Methodik, die sich wesentlich an die humanistischen Interpretationen der Politik von Aristoteles anlehnt. Wie Aristoteles betonen die politischen Aristoteliker, daß die Politica eine eigenständige Disziplin ist, zu unterscheiden von Theologie, Jurisprudenz und Ethik. Politica ist die scientia constituendio et gubernandi rempublicum, sie beschäftigt sich also mit einem ganz bestimmten Lebensbereich, dem Bereich des Bürgers. Es ist das Hauptanliegen der Politica das bonum commune zu fördern und das bene et beate vivere zu verwirklichen. Ganz im Sinne von Aristoteles sehen die politischen Aristoteliker die Politica als eine praktische Wissenschaft, die sich dem Studium der praktischen Weisheit der utilitas reipublicae widmet. Die Suche nach dem optimalen Zustand des Gemeinwesens ist nicht theoretisch, sondern praktisch. Die Politica ist die Wissenschaft der civilis prudentia, wie der Titel von Herman Conrings Hauptwerk lautet. Zwischen 1580 und 1650 etabliert sich der politische Aristotelismus als Hauptströmung der lutherischen Politica an den Universitäten mit Altdorf, Helmstedt, Gießen, Leipzig, Wittenberg, Rostock, Tübingen und Straßburg als Hochburgen. Hauptkonkurrent des politischen Aristotelismus ist die Politica Christiana, jene Konzeption, die die Funktionen, Pflichten und Rechte des Herrschers als Teil der christlichen Schöpfungs- und Heilsordnung erforscht.21 Die Politica Christiana versteht die Politica nicht als autonome Disziplin, sondern verbindet sie engstens mit Religion und Theologie. Ihren Ausdruck findet diese christliche Konzeption der Politik zuerst in den Schriften der Reformatoren und dann in den großen Werken des konfessionellen Zeitalters. Herausragend sind die calvinistische Politica von Althusius (1603), die lutherische „Biblische Policey" von Reinking (1653) und die katholischen Studien von Adam Contzen. Ähnlich den politischen Aristotelikern existiert bei den Vertretern der Politica Christiana eine lebendige Meinungsverschiedenheit Uber die Fragen des besten status und der besten Regierungsform des Gemeinwesens. In der Politica Christiana wird ein breites Spektrum von Optionen formuliert, das von der monarchia temperata bis zur Theorie der Monarchomachen reicht. Zwischen 1600 und 1650 bilden die deutschen Monarchomachen eine eigene Schule, deren Autoren im Gegensatz zu den anderen Theoretikern der Politica Christiana die Politica als autonome Disziplin betrachten. Mit Althusius sind Clemens Timpler und Johann Heinrich Aisted wichtige Vertreter der deut21

Siehe Dreitzel, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft (wie Anm. 18), Bd. 2, 547-566; Wolfgang Weber, Staatsräson und Christliche Politik: Johann Keßlers .Reine und Unverfälschte Staats-Regul' (1678), in: Enzo Baldini (Ed.), Aristotelismo politico et Ragion di Stato. Florenz 1995, 157-180, und den Beitrag von Luise Schorn-Schutte in diesem Band. Vgl. auch dies., Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 62.) Gütersloh 1996,490ff.

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sehen Monarchomachen. Christoph Besold, der sich zu einem der bedeutendsten Theoretiker der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entwickelt, kann sowohl den Monarchomachen als auch den Aristotelikern zugerechnet werden. Die Grenzen zwischen den Schulen der deutschen Politica sind fließend. Die Gelehrten des 17. Jahrhunderts sind mobil und flexibel in der Aufnahme neuer Theorien. Diese Flexibilität ist im Zusammenhang mit der politischen Dynamik des 17. Jahrhunderts zu verstehen. Im historischen Kontext des Dreißigjährigen Krieges darf es zum Beispiel nicht verwundern, daß sich die Naturrechtstheorie, die sich eingehend mit den Fragen von Krieg und Frieden auseinandersetzt, allmählich verselbständigt. Das Aufkommen der Naturrechtstheorie bezeugt noch einmal deutlich die engen Verbindungen zwischen dem deutschen und dem niederländischen Studium der Politica Hugo Grotius ist für die Entwicklung der deutschen Naturrechtstheorie von entscheidender Bedeutung. Althusius widmet die zweite und spätere Auflagen seiner Politica den Friesischen Provinzialstaaten. Conring, Pufendorf und viele andere deutsche Gelehrte studieren an der Universität von Leiden. So ist es relativ leicht, deutsch-niederländische intellektuelle Verbindungen und Konstellationen zu skizzieren.22 Viel schwieriger ist es, das Verhältnis dieser deutsch-niederländischen Konstellationen zu den Traditionen des italienischen und atlantischen Republikanismus zu ergründen. In der deutschen Historiographie beruht die Klassifizierung der Schulen der Politica auf Unterschieden, die sich auf Inspirationsquellen, Ziele, Methodik und Epistemologie der Politica als Disziplin und auf divergierende Ansichten über die erwünschte Verfassung des Gemeinwesens beziehen. Vor diesem hermeneutischen Horizont ist die linguistische Wende scheinbar nirgendwo zu erblicken. Aber vielleicht sollte man die hermeneutischen und historiographischen Kontraste nicht übertreiben. Wie der italienische und englische Republikanismus des 16. und 17. Jahrhunderts sind die Schulen der deutschen Politica eingebettet in das Vokabular, die Rhetorik und den Stil des europäischen Späthumanismus. Civitas, civis und respublica sind damit nicht nur die Grundbegriffe des italienischen und atlantischen Republikanismus, sondern auch der Schulen der deutschen und niederländischen Politica. Rom und Venedig stehen nicht nur in Italien Modell für die Suche nach der optimalen respublica, sondern auch im Alten Reich und in der neuen niederländischen Republik. Für die Erforschung der intellektuellen Verbindungen zwischen dem scheinbaren niederländischen Eklektizismus, den deutschen Schulen der Politica und dem italienischen und atlantischen Republikanismus erscheint eine vergleichende Untersuchung der Rolle des Begriffs respublica mixta in der 22

Siehe Heinz Schneppen, Niederländische Universitäten und deutsches Geistesleben. Von der Gründung der Universität Leiden bis ins späte 18. Jahrhundert. (Neue Miinstersche Beiträge zur Geschichtsforschung, Bd. 6.) Münster 1960.

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deutschen und niederländischen Politiktheorie als sinnvoller Ausgangspunkt. Die respublica mixta ist nicht nur ein Grundbegriff der republikanischen Sprache, sondern natürlich auch der niederländischen und der deutschen Geschichte. Das Alte Reich und die neue Republik teilen die verfassungsmäßigen Probleme der civitas composita. Gerade im Zeitalter des Achtzigjährigen und des Dreißigjährigen Krieges wird die Geschichte der Vereinigten Provinzen und der deutschen Territorien und Städte durch bittere politische, ideologische und militärische Auseinandersetzungen über die Macht und Bedeutung der zentralen und föderalen Institutionen geprägt. So gibt es leidenschaftliche Diskussionen über die Generalstaaten und den Statthalter in den Niederlanden und über den Kaiser und den Reichstag im deutschen Reich. Ihr Verhältnis zu den territorialen Einheiten, zu den einzelnen Provinzen und Städten in der Republik und zu den Fürstentümern und Reichsstädten im Alten Reich wird immer wieder in Frage gestellt.23 Sozial- und Kulturhistoriker der deutschen Städte haben neuerdings betont, daß die politische Kultur der freien deutschen Städte, ähnlich wie in der Republik, gerade in dieser Zeit von einem „Stadtrepublikanismus" geprägt wird. Freiheitsrechte, die Korrelation von Bürgerrechten und Pflichten und genossenschaftliche Partizipation der Bürger am Stadtregiment sind die Grundpfeiler der städtischen politischen Kultur. Die Analyse des deutschen Stadtrepublikanismus führt Heinz Schilling zu der Feststellung, daß „das Stadtbürgerliche Politikmodell" im nord- und nordwestdeutschen Raum des Reiches „bis weit in die Früh-Neuzeit hinein kaum weniger breit fundiert" ist „als in den Städtelandschaften Oberitaliens oder Flanderns und Brabants".24 Die theoretische Einordnung der freien Städte in die respublica stellte eine wichtige Herausforderung für die Vertreter der neuen Politica dar. Im Alten Reich erschwerte die Autonomie der Städte die Erläuterung der Reichsverfassung. In der neuen Republik war die Erklärung des Verhältnisses zwischen autonomen Städten und Provinzen gleichfalls problematisch. Die Verfassungsproblematik wurde erheblich kompliziert durch die Bedeutung und Wirkung von Jean Bodins neuer Souveränitätslehre.25 In seinem Hauptwerk „Les 23

Zum Vergleich siehe Olaf Mörke, The Political Culture of Germany and the Dutch Republic: Similar Roots, Different Results, in: Karel Davids/Jan Lucassen (Eds.), A Miracle Mirrored. The Dutch Republic in European Perpective. Cambridge 1995, 135-172. 24 Heinz Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus"?, in: Helmut G. Koenigsberger (Hrsg.), Republiken und Republikanismus im Europa der frühen Neuzeit. (Historisches Kolleg, Kolloquien, Bd. 11.) München 1988, 101-143, hier 137. Siehe für die Niederlande Marc Boone/ Maarten Prak, Rulers, Patricians and Burghers: the Great and the Little Traditions of Urban Revolt in the Low Countries, in: Davids/Lucassen (Eds.), A Miracle Mirrored (wie Anm. 23), 99-134, und jetzt Maarten Prak, Gouden Eeuw. Het Raadsel van de Republiek. Nijmegen 2002. 25 Siehe Julian H. Franklin, Sovereignty and the Mixed Constitution: Bodin and his Critics, in: J. H. Burns/Mark Goldie (Eds.), The Cambridge History of Political Thought,

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Six Livres de la République", das ab 1576 in ganz Europa zum Bestseller wird, erklärt Bodin die Souveränität für absolut und unteilbar und erteilt damit der respublica mixta eine klare Absage: „Ie respon, qu'il ne s'est iamais trouvé, & qu'il ne se peut faire ny mesmes imaginer, attendu que les marques de souveraineté sont indivisibles."26 Diese Absage stellt für die niederländischen und deutschen Verfassungstheoretiker die wichtigste theoretische Herausforderung des 17. Jahrhunderts dar.

II. Respublica Mixta In den niederländischen Debatten stellen Freiheit und Gewissensfreiheit, Widerstandsrecht und Volkssouveränität die großen Themen dar.27 In der politischen Rechtfertigung und Motivation des niederländischen Aufstandes wird von Anfang an betont, daß Freiheit im allgemeinen und Gewissensfreiheit im besonderen als die höchsten politischen Werte, als das Wesen der vita civilis gefeiert werden sollen. In den Niederlanden, so behaupten diejenigen, die den Aufstand gegen Philip II. politisch rechtfertigen, wird die Freiheit durch eine Verfassung geschützt, deren Kern die uralten Privilegien bilden; durch ein ausgeklügeltes politisches System, in dem Städte und ständische Volksvertretungen die Hauptrollen spielen, und nicht zuletzt auch durch tugendhafte Bürger, die das Ideal des aktiv partizipierenden politischen Menschen verkörpern. Die klassischen Helden dieses Ideals sind wie in Italien Sallust und Cicero.28 Das Bild des Aufstandes als Streit für die Freiheit ist für die politische Kultur der werdenden Republik sinnstiftend. Nach der Meinung der Niederländer war es das Ziel der Spanier, die Niederlande zu unterwerfen, sie in die Sklaverei zu führen und eine absolute fürstliche Herrschaft zu etablieren. Im Kampf gegen Philip II. erfüllen die ständischen Vertretungen, die Generalstaaten und die Provinzialstaaten in Zusammenarbeit mit Adligen wie Wilhelm von Oranien und den unbeugsamen Räten der Städte in Flandern, Brabant und Holland ihre Pflicht als Wärter der Freiheit. Ab 1566 wird die Position der Staaten in der Verfassung immer wieder aufgewertet, bis sie um 1580 den Status von souveränen Mächten erhalten. Während der Kölner Friedensverhandlungen von 1579, die kläglich schei1450-1700. Cambridge 1991, 298-328, und / H. M. Salmon, The Legacy of Jean Bodin: Absolutism, Populism or Constitutionalism?, in: History of Political Thought 17, 1996, 500-522. 26 Jean Bodin, Les Six Livres de la République. Paris 1583, Ndr. Aalen 1961,266. 27 Siehe Martin van Gelderen, The Political Thought of the Dutch Revolt, 1555-1590. (Ideas in Context, Vol. 23.) Cambridge 1992. 28 Als wichtiges Beispiel siehe „Politicq Onderwijs", eine politische Schrift aus dem Jahr 1582. In englischer Übersetzung in: Martin van Gelderen (Ed.), The Dutch Revolt. Cambridge 1993, 165-226.

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tern und direkt zur Abschwörung von Philip II. als Landesherren führen, versucht der Sprecher der Generalstaaten, der friesische Humanist Aggeaus van Albada, eine systematische Analyse der Verfassung, die die politische Vormacht der Staaten mit dem Prinzip der Volkssouveränität verbindet. Albada ordnet seine Analyse in die europäischen Traditionen der humanistischen Rechtsgelehrten ein. Seine Hauptquellen sind die Schrift „De Principatu" des italienischen Humanisten und Juristen Mario Salomonio und die „Kontroversen" von Fernando Vázquez, einem spanischen Juristen, dessen radikale Vorstellungen durchaus der thomistisch-aristotelischen Schule von Salamanca zuzuordnen sind.29 Unter Berufung auf Salomonio und Vázquez behauptet Albada, daß Gott die Menschen „frei und gleich" erschaffen hat und daß der einzige Grund für die Schöpfung des Fürsten die Förderung der „menschlichen und bürgerlichen Gesellschaft" sei. Wie Vázquez betont Albada, daß das Volk den Fürsten erschaffen hat. Laut Albada gilt dieser Grundsatz für alle Magistrate. Seine Folgerung ist, daß das Recht der Herrschaft letztendlich „das Recht des gemeinen Volkes" ist. In diesem Sinne stellt Albada die Generalstaaten und Provinzialstaaten als Vertreter des Volkes dar. Wie der Fürst haben die Generalstaaten und Provinzialstaaten die Aufgabe, dem Gemeinwesen und Gemeinwohl zu dienen. Albada betont, daß die Aufnahme der Waffen gegen Philip II. völlig legitim war, denn aufgrund des Prinzips der Volkssouveränität haben die Staaten, die als Vertreter des Gemeinwesens dem Fürsten seine Autorität überreicht haben, das Recht, dem Fürsten diese Autorität abzunehmen, falls er die ihm gestellten Bedingungen mißachtet. Zur Unterstützung seiner Argumente verweist Albada an dieser Stelle nicht nur auf Salomonio und Vázquez, sondern auch auf die „Vindiciae contra Tyrannos" aus dem Jahre 1579, das Hauptwerk der französischen Monarchomachen. Der Thronwechsel zugunsten Heinrichs von Navarra führt in Frankreich zu dem unmittelbaren Verfall der monarchomachischen Theorie auf protestantischer Seite. In den Niederlanden intensiviert die Abschwörung von Philip II. dagegen die politische Debatte über die optimale Verfassung des Gemeinwesens, über Fragen der Souveränität und über die Machtverteilung zwischen Generalstaaten, Provinzialstaaten und Städten. Besonders einflußreich ist die Theorie von François Vranck, der 1587 die Autorität und Gewalt der Generalstaaten und Provinzialstaaten gegen die Behauptung verteidigt, daß diese Versammlungen nur Delegierte zusammenbringen, die explizit den Anweisungen 29

Siehe Aggeaus van Albada, Acten van den Vredehandel geschiet te Colen. Antwerpen 1581. Zu Salomonio siehe Skinner, Foundations (wie Anm. 2), Vol. 1,148-152, und Vol. 2, 132-134, sowie Anthony Black, The Juristic Origins of Social Contract Theory, in: History of Political Thought 14,1993, 57-76. Zu Vázquez siehe jetzt die grundlegende Studie von Annabel S. Brett, Liberty, Right and Nature. Individual Rights in Later Scholastic Thought. (Ideas in Context, Vol. 44.) Cambridge 1997.

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ihrer Vorgesetzten, dem souveränen Gemeinwesen folgen. Vranck akzeptiert das Prinzip der Volkssouveränität, wobei der Begriff auf die Korporationen der Adligen und der Städte in Holland verweist. Er akzeptiert ebenfalls, daß die Staaten repräsentative Institutionen sind, deren Arbeit man durchaus als Delegation bezeichnen kann. Der Delegierte, der an der Staatenversammlung teilnimmt, darf nur „in Übereinstimmung mit seiner Instruktion und seinem Auftrag" handeln. Ihren Auftrag erhalten die Delegierten von ihren „Prinzipalen", den Ständen der Adligen und der Städte. Laut Vranck führen diese politischen Grundsätze jedoch nicht zur wesentlichen Einschränkung der Position der ständischen Vertretungen. Denn obwohl die Souveränität dem Volk gehört, wird sie verwaltet von den Delegierten des Volkes, den Staaten. Vranck benutzt an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen Zugehörigkeit und Verwaltung der Souveränität, die auf Bodin selbst zurückgeht. Diese Unterscheidung ermöglicht es Vranck, den Schluß zu ziehen, „daß die Souveränität in allen Angelegenheiten bei den Staaten liegt".30 Die Debatte über Souveränität ist mit Vrancks Intervention keineswegs beendet, obwohl sein Traktat im Laufe der Jahrhunderte immer mehr als Grundsatzerklärung der Verfassung der Republik betrachtet wird. Entscheidende Bedeutung haben ebenfalls die Schriften von Hugo Grotius, der am Anfang des 17. Jahrhunderts Bodins Souveränitätslehre mit einer neuen politischen Theorie des Gemeinwesens und der potestatis civilis entgegentritt. Hugo Grotius entwickelt seine Theorie zuerst in einer Reihe von Veröffentlichungen, aber auch in Manuskripten, die in seinem Freundeskreis Verbreitung finden, aber nicht oder nur zum Teil veröffentlicht werden. Der kurze „Commentarius" zur Frage der Souveränität und die grundlegende Studie „De Iure Praedae", mit dem berühmten und später veröffentlichten Kapitel über die Freiheit des Meeres, „Mare liberum", sollen in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Beide Schriften zeigen, daß Grotius einerseits dem politischen Denken des Aufstandes viel schuldet, aber andererseits im Sinne des nördlichen Späthumanismus versucht, eine systematische Analyse der Souveränität als Teilbestand einer allumfassenden Lehre von Politik und Recht zu entwikkeln. Deswegen legt Grotius in „De Iure Praedae" zuerst den methodus und den ordo seiner Lehre fest. Er behauptet, daß die grundsätzlichen Probleme von Krieg und Frieden nicht nur „auf der Basis der geschriebenen Gesetze" gelöst werden können, sondern daß ihre Erforschung auf der ratio naturae gegründet werden sollte. Grotius beruft sich auf die Juristen der Antike, die „für die Kunst des bürgerlichen Regierens auf den Brunnen der Natur zurückver-

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François Vranck, Short Exposition of the Right Exercised from all Old Times by the Knighthood, Nobles and Towns of Holland and Westvriesland for the Maintenance of the Liberties, Rights, Privileges and Laudable Customs of the Country, in: van Gelderen (Ed.), The Dutch Revolt (wie Anm. 28), 227-238.

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weisen". 31 Die „Disziplin des Rechts" soll dem „Innersten des Herzens der Philosophie entspringen", wie Cicero es in „De Legibus" hervorgehoben hat. Mit der natürlichen Vernunft sollen die Fundamente der Rechtslehre formuliert werden. Damit hat Grotius den methodus seiner Lehre festgelegt. Es folgt deshalb eine Diskussion über den ordo, über die pädagogische und rhetorische Darstellung der Lehre. In diesem Sinne nimmt Grotius an der zeitgenössischen Debatte über Forschung und Lehre der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen teil. Um 1600 wird diese Debatte beherrscht vom Ramismus des Pierre de la Ramée und dem paduanischen Neu-Aristotelismus, dessen wichtigster Vertreter Jacopo Zabarella ist.32 Für die Pädagogik und Rhetorik seiner Schrift entwickelt Grotius, so behauptet er, eine neue Darstellungsweise. Er möchte zuerst „was universal wahr ist als generelle Proposition" festlegen und diese dann graduell entfalten und dem Spezialfall anpassen: „Ordo autem instituto hic convenit, ut initio quid universim atque in genere verum sit videamus, ideque ipsum contrahamus paulatim ad propositam facti speciem." In einer berühmten Passage vergleicht Grotius seinen Ansatz mit dem der Mathematiker, und er betrachtet den mathematischen Charakter seines ordo als eine wichtige Erneuerung.33 Grotius behauptet also nicht, daß die Einzelteile seiner Argumentation innovativ sind. Er behauptet auch nicht, obwohl die Forschung es oft so gesehen hat, daß die Mathematik das methodische Modell für Humanwissenschaften wie Politik und Recht sein sollte.34 In der Methodik seiner Forschung folgt Grotius hauptsächlich Cicero, und wie dieser setzt er sich hin und wieder mit dem akademischen Skeptizismus auseinander. Die innovative Kraft von „De Iure Praedae" liegt in der Argumentationsweise, die einen neuen pädagogischen und rhetorischen Ansatz für sich beansprucht. Nachdem Grotius methodus und ordo festgelegt hat, formuliert er ordnungsgemäß die prolegomena seiner Lehre. Er stellt neun axiomatische Re31

Hugo Grotius, De Iure Praedae Commentarius. Ed. H. G. Hamaker. Den Haag 1868, 6. Über diese Debatte siehe Cesare Vasoli, La dialettica e la retorica dell'Umanesimo. „Invenzione" e „Metodo" nella cultura del XV e XVI secolo. Mailand 1968; Wilhelm SchmidtBiggemann, Topica Universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft. (Paradeigmata, Bd. 1.) Hamburg 1983, und Anthony Grafion/Lisa Jardine, From Humanism to the Humanities. Education and the Liberal Arts in Fifteenth- and SixteenthCentury Europe. Cambridge, Mass. 1986. Das Standardwerk über Ramus und den Ramismus ist Walter J. Ong, S. J., Ramus, Method, and the Decay of Dialogue. Cambridge Mass./London 1983. 33 Siehe Grotius, De lure Praedae (wie Anm. 31), 7, und ders., Briefwisseling van Hugo Grotius. Ed. P. C. Molhuysen. T. 1: 1597-17 Augustus 1618. Den Haag 1928, 72. 34 Vgl. Alfred Dufour, Droits de l'homme, droit naturel et histoire. Droit, individu et pouvoir de l'Ecole du Droit naturel à l'Ecole du Droit historique. Paris 1991, 100-103; Richard Tuck, Philosophy and Government, 1572-1651. (Ideas in Context, Vol. 26.) Cambridge 1993, 171, und ders., Grotius and Seiden, in: Bums/Goldie (Eds.), The Cambridge History of Political Thought (wie Anm. 25), 505 zur Ansicht, daß Grotius „mathematics as the methodological model for the human sciences" etabliert. 32

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geln und dreizehn Fundamentalgesetze vor, die von der Ebene der Allgemeinheit bis zur Ebene der Spezialfälle hinausreichen. Auf der Ebene der Allgemeinheit bezeichnet Grotius zuerst Selbsterhalt, sui-amor, und Freundschaft, amicitia, als die wesentlichen Merkmale der Einzelpersonen im Zustand der natürlichen Freiheit, in der jeder, wie Grotius sagt, „frei und sui iuris" ist. Dieser Skizze eines Naturzustandes von Einzelpersonen, die mit Eigenliebe und Soziabilität ihr Leben gestalten, liegt Grotius' Theorie des Entstehens der bürgerlichen Macht, der potestatis civilis, zugrunde. Grotius erläutert, wie die freien Einzelpersonen aus Gründen der Demographie, Sicherheit und Wirtschaft kleinere Gemeinschaften errichten. Die Errichtung dieser Gemeinschaften mittels eines Vertrages beruht also auf dem Konsens zwischen freien Personen, die ihr Gemeinwohl verbessern möchten: „Haec igitur minor societas consensu quodam contracta boni communis gratia, i.e. ad se tuendam mutua ope et acquirenda pariter ea, quae ad vivendum necessaria sunt sufficiens multitudo, respublica dicitur et singuli in ea cives."35 Für Grotius verweist der Begriff respublica also auf eine Gruppe von Einzelpersonen, die sich vereinigen, um durch Zusammenarbeit ihre Sicherheit und wirtschaftliche Lage zu verbessern. Mit einem Vertrag, den Grotius als foedus andeutet, vereinigen die Einzelpersonen sich aus freiem Willen in einem „einheitlichen und permanenten Körper", der seine eigenen Gesetze bekommt. Von singuli werden die freien Einzelpersonen des Naturzustandes zu cives, Bürgern. Die Gesetze des Gemeinwesens entspringen dessen Willen als einheitlichem Körper, der auf dem Konsens der Bürger beruht. Grotius argumentiert, daß die bürgerliche Macht, die sich in Gesetzgebung und Rechtsprechung manifestiert, ganz wesentlich im Herzen des Gemeinwesens ruht: „Potestatem civilem, quae in legibus judiciisque conspicitur, primo ac per se penes ipsam esse rempublicam."36 Natürlich findet nicht jeder die Zeit und Gelegenheit, sich der Verwaltung der bürgerlichen Angelegenheiten zu widmen. Aus diesem Grund wird die Verwaltung einer Gruppe von Magistraten anvertraut, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Aufgrund ihres Mandates haben die Magistrate ihre Autorität erworben, Gesetze für die respublica zu erlassen, die alle Bürger binden. Die Betonung des Magistratsbegriffs stellt eine subtile und wichtige Wende in Grotius' Diskurs dar. Grotius entwickelt eine Theorie der Entstehung bürgerlicher Macht, die der politischen Philosophie des radikalen Flügels der Schule von Salamanca in vielem verpflichtet ist. Es ist kein Zufall, daß Grotius, wenn er theoretische Grundsätze wie die Bestimmung der natürlichen Freiheit und die Definition von Grundbegriffen wie respublica und potestas civilis formuliert, sich immer wieder auf Francisco de Vitoria und vor allem 35 36

Grotius, De Iure Praedae (wie Anm. 31), 19 f. Ebd. 25.

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auf Fernando Vázquez beruft. 37 Wenn Grotius magistrates als politischen Grundbegriff hervorhebt, lehnt er sich jedoch zugleich ganz bewußt an die politische Sprache des niederländischen Aufstandes an. So gelingt Grotius fast reibungslos die Vereinigung der spanischen Theorie der bürgerlichen Macht von Vázquez mit der politischen Sprache des niederländischen Aufstandes. Dieser Kraftakt schafft nicht nur eine neue humanistische Rechtslehre und politische Theorie, sondern beinhaltet auch die radikale Ablehnung der Bodinschen Souveränitätstheorie. Denn Grotius hebt magistratus als politischen Grundbegriff hervor, um zu betonen, daß diejenigen, die bürgerliche Gewalt ausüben, ob sie nun König, Fürst, Provinzialrat oder Stadtrat heißen mögen, lediglich Verwalter sind. Grotius wiederholt in „De Iure Praedae" mehrfach das Argument, daß „wie jedes Recht des Magistrates dem Gemeinwesen entspringt, so entspringt jedes Recht des Gemeinwesens aus den Einzelpersonen", und er bestätigt noch einmal, daß „die öffentliche Gewalt durch den gemeinsamen Konsens konstituiert wird": „Imo vero ut a república ad magistratum, ita ad rempublicam jus omnes a singulis devenit, collatoque consensu, ut ad regulam tertiam ostendimus, potestas publica constituta est." 38 In „De Iure Praedae" hält Grotius konsequent an seiner Vorliebe für den Begriff der bürgerlichen oder öffentlichen Gewalt fest und vermeidet Begriffe wie maiestas oder summum Imperium. Wo Bodin die Souveränität als „la puissance absolue & perpetuelle d'une Republique, que les Latins appellent maiestatem"39 definiert, da beharrt Grotius auf dem Begriff der summa potestas. Im „Commentarius" verwendet er die tradierte Definition von Bartolus und beschreibt summa potestas als „das Recht, das Gemeinwesen zu regieren, das keine höhere Autorität unter Menschen hat": „Summam autem potestatem cum dicimus, ius illud gubernandi rempublicam intelligimus quo superius aliud inter homines non sit." 40 In klarem Gegensatz zu Bodin stellt Grotius zudem die Regierungsmacht weder als absolut noch als ewig dar. Wenn der Delfter Humanist den wohl bedeutendsten Bestandteil der summa potestas, das Recht der Kriegserklärung, erörtert, bestätigt er die Position von Vitoria und erklärt, daß „alle bürgerliche Macht im Gemeinwesen residiert, das seiner Natur nach völlig fähig ist, sich selbst zu regieren, zu verwalten und seine ganze Macht und Fähigkeit auf das Gemeinwohl zu richten": „Jure autem naturali et divino, ut ipsius Victoriae verissimam exprimamus sententiuam, potestas tota civilis in respublica residet, cui de se competit gubernare se ipsam 37

Ebd. 236. Zum Verhältnis zwischen Vázquez und Grotius siehe Martin van Gelderen, From Domingo de Soto to Hugo Grotius. Theories of Monarchy and Civil Power in Spanish and Dutch Political Thought, in: Il Pensiero Politico 32, 1999, 183-201. 38 Grotius, De lure Praedae (wie Anm. 31), 91. 39 Bodin, Six Livres de la République (wie Anm. 26), 122. 40 Hugo Grotius, Commentarius in Theses XI, in: Peter Borschberg, Hugo Grotius C o m mentarius in theses XI,: an Early Treatise on Sovereignty, the Just War, and the Legitimacy of the Dutch Revolt. Bern 1994, 215.

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et administrare et omnes potestates suas in commune bonum dirigere."41 Grotius wiederholt, daß die Macht des Fürsten der Macht des Gemeinwesens entspringt und führt aus, daß demzufolge „das Recht, einen Krieg anzufangen, dem Fürsten nur in dem Sinne eignet, wie er für das Gemeinwesen handelt und dessen Mandat empfangen hat": „Unde et jus belli suscipiendi ad Principem pertinet, duntaxat qua vices reipublicae gerit et ab ea mandatum accepit." 42 Laut Grotius steht „die größere und höhere Macht, den Krieg zu erklären" dem Gemeinwesen selbst zu. Er verallgemeinert diesen Punkt und unterschreibt die radikale Stellung von Vázquez, der ausführt, daß die Macht des Gemeinwesens auch nach der Errichtung eines Fürstentums intakt bleibt. Unter Berufung auf Vitoria akzeptiert Grotius im Fortgang das Argument „des spanischen Theologen ..., daß das Gemeinwesen einen Fürsten anstelle eines anderen annehmen darf, und das Prinzipat von einer Dynastie auf eine andere übertragen darf, wie das Beispiel Frankreichs beweist": „... adeo quidem ut idem ille theologus Hispanus posse a República mutari Pincipes et Principatum de genere in genus transferri Gallorum exemplo probet." 43 Diese Theorie der bürgerlichen Gewalt ermöglicht Grotius eine ausgefeilte Ablehnung der Bodinschen These der Unteilbarkeit der Souveränität. Wenn „die Macht des Gemeinwesens" auch nach der Einstellung einer oder mehrerer Magistrate aufrecht und intakt bleibt, dann kann die Verwaltung der einzelnen Aspekte der Souveränität natürlich mühelos auf die unterschiedlichen Magistrate verteilt werden. Damit ist die respublica mixta als Verfassungsmöglichkeit in aller Ehre wiederhergestellt. Ohne weiteres kann Grotius, wenn er die Verfassung der werdenden niederländischen Republik mit den glorreichen Republiken der Antike vergleicht, wie er sagt, das Plädoyer der Weisen für die respublica mixta akzeptieren, und dies „in dem Sinne, daß ein einziger civitas die Majestät des Fürsten mit der Autorität des Senats und der Freiheit des Volkes vereinigt". Grotius bevorzugt dabei eindeutig eine respublica mixta, in der die Aristokratie dominiert. In seiner Jugendschrift „De República Emendanda" (1598-1600) schreibt er, daß die wohlgeordnete Republik „diejenige ist, in der die wichtigste Rolle einer proportionalen Anzahl von Männern von außergewöhnlicher Tugendhaftigkeit und praktischer Weisheit (prudentia) zukommt". 44 In seinem „Liber de Antiquitate Reipublicae Batavicae" von 1610 erklärt Grotius mit Nachdruck und Leidenschaft, daß Holland seit der Antike eine derartige Republik von tugendhaften „Optimaten" ist. Während Grotius Bodins Souveräntitätslehre mit einer neuen systematischen Rechtslehre und politischen Theorie widerlegt, entwickelt der bedeu41

Grotius, De Iure Praedae (wie Anm. 31), 268 f. Ebd. 269. 43 Ebd. 44 Hugo Grotius, De República Emendanda. Ed. Arthur Eyffinger, in: Grotiana NS. 5, 1980, 80. 42

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tendste Gegner Bodins im Alten Reich, Johannes Althusius, eine neue „Politica". Althusius stützt seine politische Theorie auf das Prinzip der freiwilligen Vergemeinschaftung, consociatio. Im ersten Satz seines Hauptwerkes definiert Althusius die Disziplin der Politica als die Kunst des consocimeli, des Miteinanderseins. Der Mensch als Gemeinschaftswesen, der in einer consociato, einer Lebensgemeinschaft lebt, ist der Grundstein der Politik: „Politica est ars homines ad vitam socialem inter se constituendam, colendam & conservandam consociando" 45 In dem Politikverständnis der Monarchomachen hat der Mensch als Bürger eine schöpferische Rolle. Althusius sieht im Konsens und der Übereinstimmung der Bürger die heilsame Ursache der Bildung des politischen Gemeinwesens: „Causam efficientem consociationis politics esse consensum & pactum civium communicantium."46 Der Unterschied zu Grotius ist jedoch groß. Die deutschen Monarchomachen sehen den Menschen nicht als Einzelperson, der Selbsterhalt und Freundschaft sucht, sondern als symbiotisches Wesen. Der Nachdruck liegt bei Althusius, Timpler und Aisted auf der consociatio in ihrer Ganzheit. Die Begriffe Bürger und bürgerliche Gemeinschaft verweisen - und das ist neu - auf die Gesamtheit der sozialen Rollen, die Menschen in ihrem Leben einnehmen. Die Monarchomachen betonen, daß die Menschen in einem weiten Zirkel von Lebensgemeinschaften und Körperschaften leben. Im privaten Bereich beginnt dies mit der Familie und der Genossenschaft, im öffentlichen Bereich erweitert sich der Zirkel der Politik auf die Städte, die bei Althusius mit dem Sammelbegriff universitas angedeutet werden, dann auf die Provinzen und schließlich auf die respublica. Die Monarchomachen schränken den Politikbegriff also nicht auf die Ebene der civitas und der respublica ein. Die Politik umfaßt alle symbiotischen Körperschaften. Die republikanischen Hauptthemen der bürgerlichen Partizipation und der bürgerlichen Tugenden verschwinden damit nicht von der politischen Bühne, sondern erscheinen in einem neuen Licht. Die Rolle des Bürgers wird Teilbestand einer umfassenden Analyse der sozialen Rollen des Menschen als Mitglied unterschiedlicher symbiotischer Körperschaften. 45

Johannes Althusius, Politica Methodicè digesta atque exemplis sacris & profanis illustrata. Herborn 1614, Buch I, Nr. 1, 2. Zur neueren Althusius-Forschung siehe Karl-Wilhelm Dahm/Wemer Krawietz/Dieter Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius. (Rechtstheorie, Beih. 7.) Berlin 1988; Peter Jochen Winters, Althusius, in: Stolleis (Hrsg.), Staatsdenker in der frühen Neuzeit (wie Anm. 18), 29-51 ; Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland (wie Anm. 18), 17-32; Giuseppe Duso, Una Prima Esposizione del Pensiero Politico di Althusius: La Dottrina del Patto e la Costituzione del Regno, in: Quaderni Fiorentini per la Storia del Pensiero Giuridico Moderno 25, 1996, 65-126; ders., Il governo e l'ordine delle consociazioni: la Politica di Althusius, in: ders. (Ed.), Il Potere. Per la Storia della Filosofia politica moderna. Rom 1999, 77-94. 46 Althusius, Politica (wie Anm. 45), I 28, 9.

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Die respublica ist vielleicht nicht einmal die wichtigste Form der Vergemeinschaftung, obwohl Althusius sie als die umfassende politische Gemeinschaft, die aus mehreren Lebensgemeinschaften, teils aus privaten und teils aus öffentlichen, zusammengesetzt ist, beschreibt. 47 Nach Althusius wird die respublica „vom vereinigten Volk gebildet" und entsteht „kraft Übereinstimmung aller ihr angegliederten Gemeinschaften und Körperschaften", die unter einer Rechtsordnung zusammengebracht werden. 48 Im Modell der consociatio basieren alle Lebensgemeinschaften auf Übereinstimmung. Das Volk, hier betrachtet als Zirkel der Lebensgemeinschaften, ist der Brunnen der Souveränität. Althusius beruft sich wie Grotius auf Vázquez, um seine Aussage zu untermauern, daß das Volk das Gemeinwesen konstituiert. 49 Die respublica ist buchstäblich die res populi: „Nam & regni proprietas est populi." Althusius zitiert die klassische Definition Ciceros aus dessen „De República", übermittelt durch Augustinus, und erklärt, daß „respublica die Sache des Volkes ist, die zu Recht und rechtmäßig entweder durch einen Fürsten, einige Optimaten, oder das ganze Volk regiert werden kann": „Respub. ait., est res populi, cum bene & justé geritur ab uno rege, sive à paucis optimatibus, sive ab universo populo." 50 Es gilt, die Regierenden als die Magistrate zu kennzeichnen, die ihre Berufung und Autorität der Lebensgemeinschaft verdanken, dessen Diener sie sind. Demzufolge lehnt Althusius die Unterscheidung zwischen regnum als „Herrschaft des Fürsten" und respublica als Herrschaft der „poly archi sehen Optimaten" ab. Statt dessen betont er, daß die Verwaltung der respublica immer temperatam & mixtam sein soll und verbindet fast reibungslos monarchische und aristokratische Elemente miteinander. Althusius lehrt, daß eine Lebensgemeinschaft sowohl von einem Vorsteher, einem summus magistratus, als auch von einer Repräsentantenversammlung der Glieder der Gemeinschaft vertreten wird. Im Geiste Melanchthons und Calvins spricht Althusius hier von den „Ephoren", die das ganze Volk repräsentieren und deren Handlungen als Handlungen der Gemeinschaft betrachtet werden sollen: „Ideo ejusmodi administratores & curatores totum populum représentant, & factum eorundum universitatis reputatur." 51 Diese Auffassung der respublica und der respublica mixta wird von Zeitgenossen wie Henning Arnisaeus und Bartolomeus Keckermann scharf angegriffen. Im Jahr 1605 veröffentlicht Arnisaeus, ausgebildet an der Universität 47

Ebd. IX 3, 167. Ebd. 4< > Ebd. XVIII l^tO. 50 Ebd. IX 4, 168. Der Verweis auf Cicero, De República, III 27, ist übermittelt durch Augustin, De Civitate Dei, II 21. 51 Althusius, Politica (wie Anm. 45), XVIII 11, 279. Zu Althusius' Theorie der doppelten Repräsentation siehe Hasso Hofmann, Repräsentation in der Staatslehre der Frühen Neuzeit, in: Dahm/Krawietz/Wyduckel (Hrsg.), Politische Theorie des Johannes Althusius (wie Anm. 45), 513-542, und Duso, Una prima Esposizione (wie Anm. 45), 107-114. 48

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Helmstedt, seine „Politica", zehn Jahre später folgt sein politisches Hauptwerk „De República", das er dem Wolfenbiitteler Herzog widmet. Zeitgleich mit Arnisaeus verfaßt Keckermann, Professor für Philosophie am Gymnasium in Danzig, seine Hauptwerke. Die „Systema disciplinae politica" erscheint 1607. Die Studien von Arnisaeus und Keckermann werden bald zu Dauerbrennern der akademischen Politica und sind besonders für die Entwicklung des politischen Aristotelismus von fundamentaler Bedeutung. In seiner Methodik ist Arnisaeus treuer Schüler der paduanischen Neu-Aristoteliker. Er befürwortet die Medizin als methodisches Modell für die Politica und hebt ganz im Sinne Zabarellas die Bedeutung des ordo resolutivo für die praktischen Wissenschaften hervor.52 In diesem Sinne soll die Politik Wahrnehmung und Normativität miteinander verbinden. Die therapeutischen Vorschläge der Politik sollen auf einer grundsätzlichen Diagnose der politischen Körper in Vergangenheit und Gegenwart basieren. Diesem Ansatz folgend bedeutet dies, daß Arnisaeus zuerst die Materie der Politica etabliert, und dieses soll, der aristotelischen Tradition gemäß, die civitas sein. Arnisaeus argumentiert in einem sehr wichtigen Kapitel, daß die meisten Theoretiker der Politik, zum Beispiel Bodin, Althusius und Keckermann, die Begriffe civitas und respublica zu Unrecht als Synonyme betrachten. Für Arnisaeus steht der Begriff respublica für die Form (formas), das Ziel (finis) und die Ordnung (ordo) der bürgerlichen Gemeinschaft. Arnisaeus versucht, seine innovative Unterscheidung zwischen civitas und respublica unter Anwendung der aristotelischen Kategorie essentia zu erläutern und definiert den Begriff respublica dann als die Ordnung des Regierens und Gehorchens: „Reipublicae essentiam consistere in ordine imperandi et parendi."53 Die Politik wird damit zur wissenschaftlichen Disziplin, die das Regieren studiert und die Regierung als eine separate Ordnung, die mit den Hauptmerkmalen der Bodinschen Souveränität ausgestattet ist, betrachtet: „Perfecta igitur definitio Reipubl. est, quod sit ordo civitatis, tum aliorum imperiorum, tum praecipuè summae potestatis, à qua profluit regimen per medios magistratus in universos subditos."54 Als ordo civitatis hat die Regierung ihre eigene „bürgerliche Klugheit". Es ist eine Hauptaufgabe der Politik, die Regeln derprudentia civilis zu erörtern, und dementsprechend tut dies Arnisaeus auf vielen hundert Seiten. Aus Gründen der Klugheit qualifiziert Arnisaeus die Monarchie als wirksamste Regierungsform, aber er akzeptiert zugleich, daß es klug sein kann, eine andere 52

Henning Arnisaeus, De República seu Relectionis Politicae Libri II. Frankfurt am Main 1615, Buch II, Prooemium, 2-38. Das Standardwerk über Arnisaeus ist Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus (wie Anm. 20). 53 Arnisaeus, De República (wie Anm. 52), Buch II, Kapitel 1, Sektion 1, Nr. 10,43; auch Sektion 4, Nr. 22, 77. 54 Ebd. II 1, Sektion 1, Nr. 14, 44.

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Regierungsform zu wählen. Dabei erscheint die Wahlmonarchie des Alten Reiches als Vorliebe Arnisaeus', und dies führt, trotz Bodins theoretischer Einwände, zu einer Akzeptanz der respublica mixta. Obwohl Arnisaeus Bodins Definition der Souveränität fast ausnahmslos zustimmt, lehnt er die These von der Unteilbarkeit der Souveränität entschieden ab. Die respublica verkörpert ganz im Bodinschen Sinne tatsächlich die Souveränität, aber, so Arnisaeus, dies ist keine einfache Macht und Fähigkeit (facultas), sondern umfaßt viele Machtformen: „Jam Majestas non est facultas aliqua simplex, sed ex multis potestatibus concrescit."55 Das Beispiel des Alten Reiches zeigt, daß die Majestätsrechte über viele Machtinhaber verteilt werden können. Arnisaeus widmet diesem Problem der Verfassung des Reiches etwa 250 Seiten seiner Abhandlung. Ausführlich erörtert er die Rolle des Kaisers und der mächtigen Kurfürsten. Er folgert „mit einem Wort", wie er sagt, daß das Reich eine respublica mixta sei, die Monarchie und Aristokratie vermischt: „Concludo uno Verbo, Statum Imperij hodierni mixtum esse ex Aristocratia & Monarchia, ita quidem ut Aristocratia praeponderet, sed Imperatori sua quoq; jura, quae deducía sunt, integra & cum summa potestate relinquantur."56 Diese eher traditionelle Schlußfolgerung sollte Uber die Bedeutung der theoretischen Innovationen des Helmstedter Humanisten nicht hinwegtäuschen. Arnisaeus erkennt, daß die neue Definition der respublica als die Ordnung des Regierens und Gehorchens die Bedeutung politischer Grundbegriffe wie Bürger (civis) und civitas dramatisch ändert. In seinem Verständnis verlassen gerade diese Begriffe den Bereich des Politischen und verlieren damit völlig ihre republikanische Konnotation. Die republikanische Hauptthese, die die Partizipation der Bürger als Herzschlag der Politik beschreibt, wird durch Arnisaeus grundsätzlich abgelehnt. Der Bürger der civitas wird in Arnisaeus' Theorie zum gehorsamen Untertan der souveränen Regierung umgeformt. 57 Viele politische Aristoteliker haben jedoch große Hemmungen, diesen Neuerungen zu folgen. Die „Systema Disciplinae Politiciae" von Keckermann ist hierfür ein eindrucksvolles Beispiel. Der Danziger Humanist unterscheidet innerhalb der praktischen Philosophie zwischen Prudentia Ethicae, die das private Glück und den einzelnen Menschen betrifft, Prudentia Oeconomicae, die sich mit Haushalt und Familienleben beschäftigt, und der Politica, die sich auf die Politia oder respublica richtet. In der Definition von Politia und respublica bleibt Keckermann jedoch den klassischen Quellen 55

Ebd. II 6, Sektion 1, Nr. 47, 881. Ebd. II 6, Sektion 5, Nr. 134,1084. 57 Siehe Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 18), Bd. 2, 557, und Andrea Löther, Bürger·, Stadt- und Verfassungsbegriff in frühneuzeitlichen Kommentaren der Aristotelischen .Politik', in: Reinhart Koselleck/Klaus Schreiner (Hrsg.), Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom Hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. (Sprache und Geschichte, Bd. 22.) Stuttgart 1994, 239-273. 56

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treu. Er beschreibt politia als den ordo inhabitantium civitatem und verweist für die Ansicht, daß die respublica die res populi ist, natürlich auf Cicero. Die Thematik der Politica ist damit gegeben. Sie beschäftigt sich mit dem status publicus, mit der Versammlung und der Ordnung der Menge, deren Ziel das „öffentliche Glück" ist.58 Wie Arnisaeus bietet Keckermann eine eingehende Analyse der unterschiedlichen Formen der respublica. Keckermann unterscheidet sieben Formen der respublica, darunter nicht nur die drei reinen Formen, Monarchie, Aristokratie und Demokratie, sondern auch vier Formen, die er als mixta und temperata deutet. Die respublica temperata enthält eine Mischung aus zwei oder drei reinen Formen, und Keckermann bietet ausführliche Darstellungen der möglichen Mischverfassungen. Den Vorzug gibt auch er der Monarchie. Laut Keckermann entspricht die Monarchie in ihrer Form sowohl der Herrschaft Gottes als auch den natürlichen Neigungen des Menschen. Während die Monarchie die perfekte respublica darstellt, erörtert Keckermann im zweiten Buch der „Systema" die unvollkommene respublica, die er als „Polyarchie" deutet. Die „Polyarchie" kann nur gewürdigt werden, wenn es ihr gelingt, der Einheit und Eintracht der Monarchie gleichzukommen. In dieser Hinsicht hat die Aristokratie wesentlich bessere Chancen als die Demokratie, aber generell sieht Keckermann die Schöpfung einer wohlgeordneten respublica mixta als difficilimum. Trotzdem schreibt er lobende Sätze über die Mischung von Monarchie und Aristokratie und erkennt an, daß viele politici diese Form der respublica mixta als sehr stabil und der menschlichen Natur entsprechend bewerten. Die Mischung von Aristokratie und Demokratie ist nach seiner Ansicht vor allem für Städte geeignet, in denen Handel und Gewerbe engstens mit der Liebe zur Freiheit verbunden sind. Laut Keckermann sind die Niederlande ein Beispiel dieser Form von Mischverfassung, denn sie haben „die Demokratie als Regierungsform, vermischt in den Räten mit der Aristokratie".59 Wie Arnisaeus und Keckermann bieten viele politische Aristoteliker solche ausführlichen Analysen der respublica mixta. Sie beziehen sich in ihren Beispielen nicht nur auf Sparta, Rom und Venedig, sondern auch auf Schweden, England und das Alte Reich selbst. Die meisten politischen Aristoteliker befürworten die Monarchie, und ihre Lehre darf zweifellos als eine treibende Kraft für die Entwicklung des territorialen Staates im Alten Reich gedeutet werden. Immer wieder äußern sie jedoch auch Zweifel. Viele politische Aristoteliker schwanken bei der Bevorzugung der Regierungsform zwischen der Effizienz und Staatsmacht der puren Monarchie und der verwirrenden Mischverfassung des Reiches, denn irgendwie schafft letztere Raum für Freiheit, 58

Bartholomeus Keckermann, Systema Disciplinae Politicae. Hannover 1608, 7. 59 Ebd. 34.

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Mäßigkeit und Mäßigung.60 Die bürgerliche Klugheit lehrt ja gerade, daß die Wahl der Regierungsform die Überlegungen der prudentia civilis ernst nehmen soll. Dementsprechend sind die politischen Aristoteliker, wie Horst Dreitzel zu Recht immer wieder betont hat, au fond Verfassungsrelativisten. Im Fall von Christoph Besold dienen die Überlegungen der bürgerlichen Klugheit einer leidenschaftlichen Verteidigung der respublica mixta. Besold ist ein Ireniker der Politica. Er benutzt die politische Sprache und die Grundbegriffe des politischen Aristotelismus, greift jedoch auch auf Althusius und andere deutsche Monarchomachen zurück und beruft sich zudem auf eine eindrucksvolle Reihe spanischer, italienischer und niederländischer Autoren. Mit Althusius sieht Besold den Menschen als ein symbiotisches Wesen, das in der bürgerlichen Gemeinschaft das gute Leben sucht.61 Im Sinne Arnisaeus' unterscheidet er zwischen civitas und respublica, obwohl die Unterscheidung sofort mit einer musikalischen Metapher relativiert wird: „Rempublicam choris & harmoniis: Civitatem personis & numeris comparai."62 Besold definiert die respublica als die Regierung der bürgerlichen Gemeinschaft und stattet sie unter Berufung auf Bodin mit Souveränität aus: „Respublica ita definiri posse idetur: ut sit hominum plurium, ac rerum privatarum, tum inter se communium; summâ cum potestate ac ratione gubernatio."63 Im Fortgang wendet Besold sich jedoch gegen Bodin. Er weigert sich, die Souveränität vom Volk zu lösen und erklärt die respublica unter Berufung auf Cicero eindeutig zur res populi. „Das Volk", schreibt Besold, „ist nicht irgendeine Menge, sondern ein Rechtsbündnis, das auf Konsens basiert, eine Gemeinschaft zum Zwecke des gemeinen Nutzen": „Populus autem non est omnis multitudo; sed coetus juris consensu, & utilitatis communione sociatus &C."64

Besold fügt sich ein in die Gruppe deutscher und niederländischer Autoren, die in der maiestas realis des Volkes das einzige Fundament der Verwaltungsrechte der Regierenden findet, die er mit dem Begriff maiestas personalis andeutet. Mit dieser Unterscheidung widerlegt Besold Bodins These von der Unteilbarkeit der Souveränität und spricht sich eindeutig für die Bevorzugung der respublica mixta aus. Im Geist der aristotelischen Tradition bereichert er seine theoretischen Überlegungen mit praktischen Beobachtungen. Besold re60

Siehe Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus (wie Anm. 20), 294. Christoph Besold, Principium et Finis Politicae. Hoc est, Dissertationes Duae. Quarum Una; Praecognita Politices proponit. Altera; De República curanda agit, in: Christophori Besoldi JCti. Opens Politici: Variis Digressionibus Philologicis & Juridicis illustrati, Editio Nova. Straßburg 1626, Kapitel III und IV. Zu Besold siehe Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung (wie Anm. 17), 37-41, und Franklin, Sovereignty (wie Anm. 25), 323-328. 62 Besold, Principium et Finis Politicae (wie Anm. 61), V ii, 48. 63 Ebd. VIII i, 76. 64 Ebd. 61

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flektiert die deutsche und europäische Verfassungsvielfalt und verweist mit Zustimmung auf die einzigartige Bedeutung und Würde der ständischen Vertretungen: „In omnibus ferè Europae provinciis, Populorum salutem, simul ac Principum dignitatem, in Publicis Comitijs acquiescere; eaque haberi pro unico malorum omnium, & calamitatum publicarum remedio, nemo sanus unquam dubitavit."65 In seiner Dissertation „De reipublicae statu mixto" plädiert Besold für eine respublica mixta, die die Majestätsrechte zwischen Fürsten und Senat verteilt. In dieser Dissertation beruft Besold sich mehrmals auf Paulus Busius, der an der neuen Universität von Franeker in Friesland lehrt. In seiner Auseinandersetzung mit Bodin verfahrt Busius ähnlich wie Besold. Zuerst definiert Busius in seinem Hauptwerk „De República" aus dem Jahr 1613 maiestas im Bodinschen Sinne als ius & potestatem Reipublicae supremam & legibus solitami Wie Besold beobachtet Busius dann, daß die meisten Gemeinwesen zur Kategorie der respublica mixta gehören. Mit diesem empirischen Befund widerlegt er die These von der Unteilbarkeit der Souveränität. Die Schrift von Busius zeigt, was Struktur und Vokabular betrifft, eine große Ähnlichkeit mit dem politischen Aristotelismus. Das Aufkommen der Politica und des politischen Aristotelismus bilden das intellektuelle Umfeld für Busius' „De República". Zugleich gibt es jedoch auch wichtige Unterschiede. Busius bevorzugt in seiner Darstellung wie Grotius eine republikanische Regierungsform. Dieser Vorzug geht unter anderem auf Busius' Konzeption der civitas und respublica zurück. Busius sieht die civitas als Körperschaft von freien Menschen und damit als Quelle der Souveränität. In der Theorie von Busius bleibt die respublica der civitas verpflichtet. Busius definiert den status respublica als „die Verfassung und öffentliche Ordnung der ganzen bürgerlichen Gemeinschaft". Auch der wichtigste Vertreter des niederländischen Aristotelismus, Franco Burgersdijk, befürwortet die respublica mixta. In den „Idea Politica", die eine erfrischend kurze und elegante Synthese der aristotelischen Politica bieten, akzeptiert Burgersdijk zwar aufgrund theoretischer Überlegungen, daß man die Monarchie zunächst einmal als eine einfache, wohlgeordnete und natürliche Regierungsform betrachten soll67, die Erfahrung lehrt jedoch, so behauptet Burgersdijk, daß es unter Betrachtung der menschlichen Schwächen nicht immer klug sei, die Monarchie zu befürworten. Die Vermischung der

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Christoph Besold, De Consilio Politico. Tübingen 1622, Kapitel IX, Paragraph 9, 327. Paulus Busius, De República libri tres. Frankfurt am Main 1627, 47. 67 Franco Burgersdijk, Idea Politica. Ed. Georgius Hornius. Leiden 1668, Kapitel II, Nr. 2, 9-10. Die erste Auflage erschien im Jahre 1644. Zu Burgersdijk siehe E. P. Bos/H. A Krop (Eds.), Franco Burgersdijk (1590-1635). Neo-Aristotelianism in Leiden. Amsterdam/ Atlanta, GA 1993. 66

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Regierungsformen in der respublica mixta steht für die Mäßigung und Ausgewogenheit, die für die bürgerliche Eintracht erforderlich sind. Busius wird hoch geschätzt von Besold, der das Hauptwerk des Friesen als fundamentalen Text für das Studium der Politica generalis bewertet.68 Burgersdijk wiederum ist der einflußreiche Lehrer von Hermann Conring. Diese Symbiose der deutschen und niederländischen Politica findet nicht überall Gefallen. Pieter de la Court erklärt, daß sein Bruder Johan mit den „Politischen Diskursen" von 1650 die deutsche Politica direkt herausfordern will. Im Vorwort dieser Schrift erläutert Pieter, wie unzufrieden sein Bruder mit der Entwicklung der Politica war. Die „lateinischen Bücher von einigen deutschen Professoren, Doctoren, Predigern und Schulmeistern, die paradieren mit prätentiösen Titeln wie Politica, Systema Politicum, Doctrina Civilis, Prudentia Politica, de República, Arcana Rerumpublicarum, Aphorismi Politici, Axiomata Politica, etcetera", beurteilt de la Court als „pedantisch feige, geschmacklos, scholastisch, gefüllt mit Ignoranz und falschen, schädlichen und aufrührerischen Meinungen". 69 Nichtsdestoweniger folgt das Hauptwerk der Brüder de la Court, die „Politische Wag Schale", so der Titel der Leipziger Übersetzung von 1669, jedoch in beträchtlichem Maß den Konventionen der Disziplin der Politica, die die Brüder angeblich so leidenschaftlich ablehnen.70 In Struktur und Vokabular ist die „Politische Wag Schale" der konventionellen Politica tatsächlich sehr ähnlich, aber es gibt zugleich einige wichtige Neuerungen. Erstens befürworten die Brüder de la Court ausdrücklich die neue Konzeption der menschlichen Natur, die im Rahmen der philosophischen Innovationen um die Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelt wird. In dieser Konzeption geht es um eine neue Analyse der menschlichen Leidenschaften; der Ansatz der Brüder de la Court steht damit in der Tradition der neuen Philosophie von Descartes und Hobbes, die sich eingehend mit den Leidenschaften auseinandersetzt.71 Die Brüder heben die Bedeutung von Thomas Hobbes in ihrer Darstellung über die menschliche Leidenschaft und die amour propre hervor und betonen, wie diese zu Wettbewerb und zum Krieg „Aller gegen Alle" führt. Der Einfluß von Hobbes und auch von Grotius ist nicht nur in der Skizze des „miserablen Standes der menschlichen Natur", sondern auch in der Analyse der Staatenbildung zu spüren. Im Sinne von Grotius und Hobbes verdeutlichen die Brüder de la Court, wie die Rationalität der Selbstbehauptung 68

Siehe Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria (wie Anm. 18), 52. Johan und Pieter de La Court, Politike Discoursen handelende in Ses onderscheide Boeken, van Steeden, Landen, Oorlogen, Kerken, Regeeringen, en Zeeden. Amsterdam 1662, Vorwort, fol. 2. 70 Siehe Johan and Pieter de La Court, Consideration van Staat, ofte Politieke Weegschaal. Amsterdam 1662. 71 Siehe Blom, Morality and Causality (wie Anm. 17), 177. 69

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zum Gesellschaftsvertrag und zur Schöpfung des „politischen Staates" mit absoluter und unteilbarer Souveränität im Sinne Bodins führt. Auch in der Bewertung der Regierungsformen bieten die Brüder eine Mischung von konventionellen Darstellungen und Neuerungen. Im Sinne der akademischen Politica gibt es ausführliche Analysen der Monarchie, der Aristokratie und der Demokratie, und wie die politischen Aristoteliker vermischen die Brüder reibungslos empirische Darstellung mit normativer Bewertung. Nach eingehender Betrachtung wird die Monarchie mit Leidenschaft und Witz verworfen. Statt dessen loben die Brüder die Freiheit und die freie Republik. Laut de la Court glänzt die freie Republik mit Tugend, Weisheit und Bildung, Fleiß und Frieden, Wahrhaftigkeit und Mäßigkeit der Leidenschaften. Dieses Lob der freien Republik ist, wie Eco Haitsma Mulier zeigt, in hohem Maße italienischen Autoren wie Machiavelli und Boccalini verpflichtet. 72 Die eindeutige Anerkennung Machiavellis ist genauso überraschend wie die Vorliebe für die Demokratie, und, in den späteren Auflagen der „Politischen Wag Schale", für die Mischung von Aristokratie und Demokratie. Die Brüder teilen jedoch nicht Machiavellis Vorliebe für die expansive Römische Republik. Statt dessen üben sie scharfe Kritik an Rom, das als „Mördergrube und Wolfsgrube, die grausamste und fluchwürdigste Republik, die es je auf diesen Erdboden gegeben hat", umschrieben wird. 73 Und so ist die Schlußfolgerung dann wieder konventionell. Ganz im Sinne der republikanischen Freiheitsideologie, so wie sich diese seit dem Aufstand in der Republik entwickelt hat, befürworten die Brüder de la Court Frieden und Eintracht, Mäßigkeit und Wohlfahrt.

III. Schlußfolgerungen Um die Jahrhundertmitte hat die Politica sich als autonome Disziplin an den Universitäten des Alten Reiches und der neuen Republik fest etabliert. Der Nachlaß umfaßt viele hundert reichhaltige und dicke Bände, die heutzutage in den Bibliotheken in Leiden und Wolfenbüttel immer gepflegt und manchmal gelesen werden. Die Erörterung der Entwicklung des Begriffs respublica mixta im deutschen und niederländischem politischen Denken läßt mehrere Schlußfolgerungen zu, die angesichts der Fülle der Quellen, oder auch nur aus Gründen der prudentia civilis, als Arbeitshypothesen vorgestellt werden sollen: 72

Siehe das grundlegende Kapitel über de la Court in: Haitsma Mulier, The Myth of Venice (wieAnm. 17), 120-170. 73 De La Court, Consideration van Staat, ofte Politieke Weeg-schaal (wie Anm. 70), Buch 6, Kapitel 4,513.

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1. Zuerst gilt es festzuhalten, daß der niederländische Republikanismus, der politische Aristotelismus und die Theorie der Monarchomachen völlig in die Sprache des nördlichen Späthumanismus eingebettet sind. In dieser Hinsicht ist die Kontinuität mit dem Vokabular und der politischen Sprache der italienischen Renaissance, Republikanismus inklusive, hervorzuheben. Zugleich entwickelt jede Schule der Politica innerhalb des Vokabulars des Späthumanismus einen eigenen Diskurs und eine eigene Systematik. Die politischen Aristoteliker bevorzugen den Aristoteles latinus, die deutschen Monarchomachen haben genau wie die niederländischen Republikaner eine Vorliebe für die Mischung von Aristoteles, Cicero und anderen römischen Klassikern. Der überragende Respekt vor der klassischen Herkunft der politischen Sprache bedeutet, daß die bürgerlichen und partizipatorisehen Deutungsschichten von Grundbegriffen wie civitas, civis und respublica die Diskussionen über Gemeinwesen, Gemeinwohl und Regierungsform mitgestalten. So ist Ciceros Deutung der respublica als res populi unausweichlich. In den Auseinandersetzungen wird sie leidenschaftlich unterstützt, aber auch scharf abgelehnt. 2. Die europaweite Befürwortung von Bodins Theorie der absoluten und unteilbaren Souveränität prägt die Auseinandersetzung über die respublica mixta in der Politica des nördlichen Späthumanismus. Neue Theorien werden entwickelt, in deren Zentrum die Deutung der Grundbegriffe civitas und respublica steht. Viele Autoren heben in Antwort auf Bodin das Volk im Sinne einer Körperschaft von freien Bürgern als Urquelle der Souveränität hervor. Als maiestas realis ist die Volkssouveränität voll und ganz der civitas verhaftet. Der Begriff maiestas personalis wird benutzt, um die Verwaltung der einzelnen Souveränitätsrechte durch Magistrate zu benennen. In der urbanisierten niederländischen Republik kann civitas noch ohne viel Mühe im klassischen Sinne gedeutet werden. Wie im italienischen Republikanismus steht die civitas für Freiheit, Autonomie und Bürgertugend. Im Alten Reich entwickeln die Monarchomachen eine umfassende Theorie der bürgerlichen Gemeinschaft, die die Komplexität der sozialen Rollen und der politischen Organe versucht zu erfassen. Kommunikation, Körperschaft und Repräsentation sind die Stichworte dieser Theorie. In krassem Gegensatz hierzu befürworten die politischen Aristoteliker eine scharfe Unterscheidung zwischen civitas und respublica. Sie definieren die respublica als die Ordnung des souveränen Regierens und Gehorchens. Die civitas ist damit nicht mehr der Ort der freien Bürger, sondern der Untertanen. 3. Obwohl die Vorliebe für die „freie Republik" am stärksten im niederländischen Republikanismus hervortritt, findet man sie auch bei den deutschen Monarchomachen und politischen Aristotelikern. Die Wahl zugunsten der freien Republik beruht auf praktischen Überlegungen im Sinne der bürgerlichen Klugheit, der prudentia civilis. Diese Überlegungen beziehen sich auf die Geographie, die Wirtschaft und insbesondere auf die traditionellen mores

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der civitas. Im Fall der Niederlande ist die republikanische Vorliebe auf die einschlägigen politischen Werte der Freiheit, der Selbstregierung und der Tugend zurückzuführen. Mit ihrem spezifischen Verfassungsrelativismus befürworten die politischen Aristoteliker das republikanische Gemeinwesen vor allem für diejenigen Städte, die Freiheit und Kommerz als wichtigste mores kennen. 4. Es ist auffallend, daß zwischen 1580 und 1650 eine ausgefeilte Theorie der menschlichen Natur im Grunde fehlt. Anscheinend vermeiden die Vertreter der Politica diese Thematik ganz bewußt, da es ihr Anliegen ist, die Autonomie der Politica als Disziplin hervorzuheben. Deswegen wird vor allem im politischen Aristotelismus jede Vermischung nicht nur mit der Theologie, sondern auch mit der Ethik vermieden. Das Aufkommen der neuen Naturrechtstheorie und der neuen Philosophie von Hobbes und Descartes führt um 1650 zu wesentlichen Neuerungen, wie die Schriften der Brüder de la Court, Conring und später Pufendorf und Spinoza bezeugen. Die Weichen für das Verhältnis zwischen Republikanismus und Naturrechtstheorie werden dann neu gestellt. 5. Der politische Aristotelismus und die monarchomachische Theorie, erweisen sich als internationale Traditionen, die die Grenzen Europas mühelos überqueren. Der deutsch-niederländische Austausch ist dabei besonders intensiv und produktiv. Nicht nur die monarchomachische Theorie, sondern auch der politische Aristotelismus erscheint als deutsch-niederländische Schule der Politica. In dem intellektuellen Umfeld des politischen Aristotelismus bekommt der so oft erwähnte Eklektizismus der niederländischen politischen Literatur neue Bedeutung und erweist sich als Bestandteil einer internationalen Schule der Politica, die gerade auf Systematik und Methodik großen Wert legt. Das trifft für die Politica insgesamt zu. Die Politica entwickelt sich im intellektuellen Umfeld von Ramismus und Neu-Aristotelismus. Ihre gesellschaftliche Relevanz liegt nicht nur in dem unmittelbaren politischen Kommentar, sondern auch in einer neuen systematischen Pädagogik, Ausbildung und Rhetorik. Der intellektuelle Austausch zwischen Republik und Reich beschränkt sich also keineswegs auf den Neustoizismus von Justus Lipsius. Fragen der Verfassung, der bürgerlichen Kultur und des Aufbaus neuer wissenschaftlicher Disziplinen stehen vielmehr im Zentrum des deutsch-niederländischen intellektuellen Gefüges. Die vergleichende Erforschung des Begriffes respublica mixta in der deutschen und niederländischen Politiktheorie zeigt nicht nur, daß die populäre Gegenüberstellung von deutschem Absolutismus und niederländischer Freiheit irreführend ist, sondern auch, daß die Betonung der eigenen Sonderwege durch niederländische und deutsche Historiker für die Frühe Neuzeit neu bedacht werden sollte. Manchmal nehmen Niederländer und Deutsche ihre historischen Eigenarten immer noch ein bißchen zu ernst.

.Nicht für die Religion selbst ist die Conföderation inter dissidentes eingerichtet..." Bekenntnispolitik und Respublica-Verständnis in Polen-Litauen* Von

Michael G. Müller Die folgenden Überlegungen gelten dem Versuch, aus der Betrachtung konfessionspolitischer Konfliktlagen und Konfliktlösungen in der frühneuzeitlichen Rzeczpospolita Einsichten in die Strukturen politischen Denkens in Polen-Litauen zu gewinnen. Die nähere Erkundung der politikleitenden Konzepte beim Umgang mit dem Problem der Bekenntnisspaltung soll dazu verhelfen, bestimmte Aspekte des Politikverständnisses der polnisch-litauischen Ständegesellschaft zu erhellen, wobei es gleichermaßen um deren politisches Wertesystem wie um die darauf bezogene ständepolitische Praxis geht. Die Wahl eines solchen Problemzugangs bedarf der Begründung. Gewiß verweist die Frage nach den Strukturen politischen Denkens zunächst eher auf staatstheoretische Diskurse, und auch Polen-Litauen böte hier ein nicht unergiebiges Untersuchungsfeld. Das staatstheoretische Oeuvre von Andrzej Frycz Modrzewski (1503-1572) ist sicher als ein gewichtiger Beitrag zur europäischen Diskussion über die Grundlagen von Staatlichkeit und politischem Handeln zu sehen, seine „Commentariorum de República emendanda libri V" von 15541 waren zentral für die gelehrte Erasmus-Rezeption in Polen und haben ihrerseits westliche Autoren, darunter Bodin und Grotius, beeinflußt.2 Aber auch Wawrzyniec Grzymala Goslicki (ca. 1530-1607) oder Aron Alek-

* Diskursus szlachica polskiego [Diskursus eines polnischen Szlachcicen]. Ms, o. J. (ca. 1607), zitiert nach Henryk Wisner, Najjasniejsza Rzeczpospolita. Szkice ζ dziejów Polski szlacheckiej XVI-XVII wieku [Ehrwürdigste Republik. Skizzen zur Geschichte des adligen Polen im 16.-17. Jahrhundert]. Warschau 1978, 163. Das vollständige Zitat lautet: ,.Nicht für die Religion selbst ist die Conföderation inter dissidentes eingerichtet, und wenn der König uns seinen Eid darauf leistet, so gilt dieser Eid nicht der Religion, sondern dem Frieden unter den Konföderierten." 1 Andrzej Frycz Modrzewski, Commentariorum de República emendanda libri V. Basel 1554; die erste deutsche Übersetzung erschien bei Bullinger in Basel 1557 unter dem Titel: Von Verbesserung des Gemeinen Nutz Fünff Bücher; wissenschaftliche Edition: Andrzej Frycz Modrzewski, Opera omnia. Vol. 1. Warschau 1953. 2 Siehe Waldemar Voisé, Polish Renaissance Political Theory: Andrzej Frycz Modrzewski, in: Samuel Fishman (Ed.), The Polish Renaissance in its European Context. Bloomington 1988, 174-188.

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sander Olizarowski (1616-1659) ließen sich einer solchen polnischen Tradition gelehrter Auseinandersetzung mit - und produktiver Teilhabe an - der politischen Theoriebildung im frühneuzeitlichen Europa zurechnen.3 Für eine Ideengeschichte gelehrten politischen Denkens in diesem Sinne gäbe es in Polen-Litauen mithin durchaus Stoff. Zumindest zwei Gründe sprechen jedoch dafür, für die Frage nach den politischen Leitkonzepten der polnischlitauischen Ständegesellschaft andere Anknüpfungspunkte zu suchen. So gilt zum einen, daß der europäische staatstheoretische Diskurs, wie ihn Modrzewski in der Rzeczpospolita eher nur partiell, nämlich in einem primär gelehrten Kontext, vermittelt scheint. Deutlich sind jedenfalls schon im 16. Jahrhundert Tendenzen, das eigene Politikideal des Unionsstaats in bewußter Abgrenzung von westlichen Leitideen zu formulieren - sichtbar etwa in der Abstinenz von einer auf das Römische Recht bezogenen Staatsdebatte4 oder auch in der widersprüchlichen Rezeption Bodins, der den polnischen Zeitgenossen wohl vertraut war, wegen der geargwöhnten Absolutismus-Nähe seiner Staatslehre jedoch explizit weder eine nennenswerte positive noch negative Würdigung erfahren hat5. Entsprechend standen andere, als Theoretiker weniger profilierte, dafür aber „nationalere" Autoren dem Zentrum des politischen Denkens in Polen-Litauen vielleicht näher als Frycz Modrzewski: etwa der Jesuit und königliche Beichtvater Piotr Skarga (1536-1612), Verfasser berühmt gewordener „Reichstagspredigten"6, oder der Krakauer Kanoniker und Jurist Szymon Starowolski (1588-1656) 7 . Zum andern: Auf sehr unmittelbare Weise war die Entwicklung des polnischen politischen Denkens dieser Zeit verknüpft mit den konkreten politischen Herausforderungen der Epoche, welche der entstehenden frühneuzeitlichen Rzeczpospolita die eigentlichen Anlässe zur Formulierung ihres Respublica-Verständnisses lieferten. So antwortete die Debatte seit dem späten 16. Jahrhundert zunächst vor allem auf die Grundfrage nach den Parametern für die Integration einer Ständegesellschaft, welche durch die „parlamentarische Union" der alten Kronländer von 1569 sowie die Etablierung des Wahlkönigtums im Interregnum nach 1572 in ein neues politisches Beziehungsge3

Eugeniusz Jarra, Historia polskiej filozofii politycznej [Geschichte der polnischen politischen Philosophie]. London 1968; Lech Szczucki (Ed.), Filozofia i mysl spoleczna XVI wieku [Philosophie und gesellschaftliches Denken im 16. Jahrhundert]. Warschau 1978. 4 Siehe Andrzej Walicki, The Polish Political Heritage of the 16th Century and its Influence on the Nation-Building Ideologies of the Polish Enlightenment and Romanticism, in: Fishman (Ed.), The Polish Renaissance (wie Anm. 2), 34-57. 5 Dazu Janusz Tazbir in seiner ausführlichen Einleitung zu der Edition von Piotr Skarga, Kazania sejmowe [Reichstagspredigten]. 3. Aufl. Breslau/Warschau/Krakau/Danzig 1972, III-CVI, hier XXXVIIf. 6 Siehe vorige Anm. 7 Politische Hauptwerke: Polonia nunc denuo recognita. Köln 1632. 2. Aufl. Danzig 1652; Reformacja obyczajów polskich [Reformation der polnischen Sitten], Krakau 1645/46.

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füge eingetreten war. Zugleich reflektierte sie die komplexen Beziehungen des Unionsstaats in seiner neuen Gestalt zu seinen unmittelbaren Nachbarn an erster Stelle das Verhältnis zu den Habsburgern, die als Protagonisten einer Politik monarchischer Herrschaftszentrierung in Ostmitteleuropa und als Wegbereiter der Gegenreformation, nicht zuletzt aber auch als aktive Bewerber um die polnische Krone die Eliten der Rzeczpospolita in besonderem Maße zu programmatischen Positionierungen veranlaßten. Vor allem aber gilt, daß das zentrale Forum für diese Debatte das Landtags- und Reichstagsgeschehen selbst war: Zu einem guten Teil erfolgten die bewußten programmatischen Positionierungen in der Form von ständepolitischer Praxis. Eines der Politikfelder, auf dem politische Normenbildung in diesem Sinne, also als theoretische und praktische Positionierung, nachvollzogen werden kann, ist gewiß die Bekenntnispolitik. Denn das Problem der Glaubensspaltung stellte sich in Polen-Litauen nicht nur in bezug auf das Verhältnis zwischen den unterschiedenen Bekenntnisgruppen des Adels - und damit namentlich für das 16. Jahrhundert zugleich in bezug auf den Ausgleich der unter anderem konfessionell markierten landschaftlichen Gegensätze. Es berührte vielmehr auch die Frage der konstitutionellen Ausgestaltung des Wahlkönigtums - mußten hier doch besondere Vorkehrungen getroffen werden, damit die Limitierung der monarchischen Gewalt nicht unter bekenntnisparteilichen Vorzeichen unterlaufen werden konnte. Schließlich war das konfessionelle Moment wesentlicher Bestandteil jenes ideologischen Integrationsprozesses, welcher im 17. Jahrhundert, vor dem Hintergrund vor allem der Auseinandersetzung mit Schweden, zur Ausprägung eines stark kulturell unterlegten „sarmatischen" Politikideals führen sollte. In den folgenden Überlegungen können freilich nur einige Aspekte dieser Wechselwirkungen zwischen Bekenntnispolitik und politischer Normenbildung zur Sprache kommen - und dies zudem nur auf einer stark synthetischen Ebene. Sie konzentrieren sich auf zwei allgemeinere Fragen. So soll erstens erörtert werden, unter welchen konstitutionellen Vorzeichen die Lösung des polnisch-litauischen Religionsfriedens, die berühmte Toleranzakte der Warschauer Konföderation von 1573, zustande kam und welche Reflexe diese Lösung in der konstitutionellen Diskussion wie in der ständepolitischen Praxis gefunden hat. Zweitens geht es um den Versuch einer Erklärung des vordergründig paradoxen Befundes, daß die Durchsetzung der polnischen Gegenreformation dann im 17. Jahrhundert zwar in eine enge Verbindung von kultureller Elitenidentität und Katholizismus hineingeführt hat, es jedoch auch jetzt nicht zur Ablösung der alten Toleranzordnung durch ein eigentlich „konfessionalisiertes" Gesamtstaatsmodell kam. Warum, wäre hier im Blick auf das politische Denken nachzufragen, blieb gerade Polen-Litauen auch jetzt ohne katholische Konfessionalisierung im strikten Sinn? 1. Wenn die Geschichtsschreibung, und zwar auch außerhalb Polens, die religiöse Toleranzkultur der frühneuzeitlichen Rzeczpospolita überwiegend

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als eine Art Sonderweg mit positiven Vorzeichen gesehen hat, so kann dies kaum verwundern. Die Integration der orthodoxen Szlachta und selbst muslimischer Ritter in das Ständegefüge des Unionsstaats seit dem 15. Jahrhundert, vor allem aber die vergleichsweise unspektakuläre Bewältigung der reformatorischen Glaubensspaltung stand zu westlichen Erfahrungen in deutlichem Gegensatz; das Friedensinstrument der Warschauer Konföderation von 1573 erscheint mit seiner ebenso lapidaren wie eindeutigen Deklaration der religiösen Gewissensfreiheit zunächst wirklich singulär. Weniger freilich ist angesichts solch beeindruckender Belege für eine aufgeklärte Toleranzkultur avant la lettre darüber reflektiert worden, auf welchen konkreten Logiken ständepolitischen Denkens und Handelns die bekenntnispolitischen Entscheidungen bis 1573 beruhten. Geht man dieser Frage aber näher nach, so kommt man rasch zu dem Befund, daß die Lösung von 1573 die dem politischen System der Rzeczpospolita nicht nur angemessenste, sondern eigentlich auch die einzige mit diesem kohärente Antwort auf das Problem der Glaubensspaltung war. Der 1569 neu fundierte Unionsstaat konnte, wie noch zu zeigen sein wird, dem Problem des Bekenntnispluralismus nicht anders begegnen als mit Hilfe eines strikt „politischen" Ausgleichs, der sich an anderen Kategorien orientierte als etwa der Religionsfrieden des Reichs. 8 Dies war nicht von vornherein absehbar gewesen. Die ersten Schritte auf dem Weg zur Warschauer Konföderation 9 wurden eher in den typischen Bahnen reformationszeitlicher Interimsbemühungen getan - so wenn der Reichstag 1552 die bischöfliche Ketzergerichtsbarkeit suspendierte, wenn 1555 die Abhaltung eines „Nationalkonzils" über die Fragen von Laienkelch und Zölibat beschlossen wurde und der König 1557 sowohl dem landsässigen Adel als auch den ersten Königlichen Städten vorläufig das Recht einräumte, protestantische Hausgeistliche bzw. Stadtprediger zu bestellen. Auch in Polen, kein Zweifel, ging es zunächst also um die befristete Stillstellung der speziell aus der Reformation resultierenden Bekenntniskonflikte - und zwar in der Perspektive, diese mittel- oder längerfristig zu überwinden. Im Interregnum nach 1572 dagegen stand der Unionsstaat bereits vor grundsätzlich anderen politischen Aufgaben, und zwar auch in der Bekenntnisfrage. Es ging nun, nach der Lubliner Union von 1569, um einen Religionsfrieden umfassenderer Art, der auch die alten nicht-katholischen Bekenntnisse unter dem Adel einschließen sollte und damit einen in jedem Fall dauerhaften Zustand von Glaubensspal8

Allgemein zu dem Problem Stanislaw Salmonowicz, Konfederacja warszawska 1573 r. [Die Warschauer Konföderation von 1573]. Warschau 1985; s. auch Michael G. Müller, Calvinism in Royal Prussia and the Practice of Religious Toleration in Poland-Lithuania, 1570-1607, in: Robert Scribner/Ole Peter Grell (Eds.), Tolerance and Intolerance in the European Reformation. Cambridge 1997, 262-282. 9 Als Uberblick: Walerian Krasinski, Zarys dziejów powstania i upadku reformacji w Polsce [Historischer Abriß von Aufstieg und Niedergang der Reformation in Polen]. Vol. 1. Warschau 1903.

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tung in Rechnung stellen mußte. Zugleich sollte der Ausgleich den Charakter einer Art von „Grundgesetz" erhalten, um ihn der Wahlkapitulation des rex electus inkorporieren zu können. Die Interregnumsreichstage waren dafür insofern ohnehin der angemessene konstitutionelle Ort, als die monarchische Gewalt so auf sichtbare Weise aus dem Rechtssetzungsakt ausgeschlossen blieb; die adligen dissidentes de religione gaben sich selbst und aus souveränem Entschluß eine Friedensordnung, die sowohl für alle folgenden Wahlkönige als auch für kirchliche und weltliche Institutionen des Unionsstaats Verbindlichkeit haben sollte. Gleich mehrere wichtige Besonderheiten des Religionsfriedens von 1573 lassen sich denn auch mit dem Bezug auf diese Entstehungszusammenhänge erklären. So gilt zunächst, daß das Konföderationswerk einen seiner Natur nach strikt säkularen Rechtsakt darstellte, der die theologische Seite des Problems der Glaubensspaltung fast programmatisch ignorierte - ja nicht einmal die vom Religionsfrieden geschützten Bekenntnisse näher zu bezeichnen versuchte, geschweige denn einzelne Glaubensrichtungen explizit davon ausschloß. Dies mag, wie oft vermutet wurde, zum Teil auf den akuten politischen Druck in der Entscheidungssituation von 1573 zurückzuführen sein das Bedürfnis, den schwierigen Ausgleich erst einmal möglichst weitgehend von bekenntniskirchlichem Konfliktstoff zu entlasten. Wichtiger scheint jedoch, daß jede auch nur vorsichtige Würdigung religiöser Gesichtspunkte im Grunde auch dem Integrationsgedanken der Union von 1569 widersprochen hätte - war diese doch als ein rein ständepolitisch und -institutionell fundierter Zusammenschluß angelegt, der die landschaftlichen Besonderheiten in anderen Zusammenhängen nicht tangierte. Die konsequent profanrechtliche Regelung der Bekenntnisfreiheit trug dem jedenfalls Rechnung. Der Adel jeden religiösen Bekenntnisses wurde mit dem profanrechtlichen Begriff dissidentes de religione angesprochen; die pax inter dissidentes gestattete jedem die freie Religionsausübung und garantierte Schutz gegen jegliche Benachteiligung oder Verfolgung aus Gründen des Glaubens. Dies schloß natürlich nicht aus, daß schon im Entstehungsjahrzehnt der Toleranzordnung die Kontroverse um deren Geltungsbereich doch auch auf der konfessionellen Ebene in Gang kam. Rasch zeichnete sich eine Annäherung zwischen Katholiken, Orthodoxen und den im „Consensus Sendomirensis" verglichenen Protestanten ab hinsichtlich der Ausgrenzung von „Sekten" namentlich der Arianer, die ungeachtet ihres adligen Rückhalts 1658 als erste christliche Bekenntnisgemeinschaft kraft eines Reichstagsgesetzes aus der Toleranzordnung ausgeschlossen wurden. Ebenso früh begann eine unterschwellige Umdeutung des Dissidenten-Begriffs nach konfessionellen Gesichtspunkten in gleich zweifacher Hinsicht: indem die nicht-christlichen Bekenntnisse bald nicht mehr im Rahmen der Toleranzordnung mitgedacht wurden, zugleich aber indem der Begriff dissidentes allmählich auf die nicht-

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katholischen Christen überging, wodurch die Frage der religiösen Koexistenz zunehmend als eine zwischen Katholiken und Dissidenten wahrgenommen wurde. 10 Und doch hat diese christlich-konfessionelle Bedeutungszuweisung den säkularen, nicht-theologischen Grundzug der Toleranzordnung eben nicht aus dem Bewußtsein der Zeitgenossen verdrängt. Wenn etwa um 1607 in einem anonymen „Diskurs eines polnischen Szlachcicen" davon die Rede ist, daß „die Konföderation nicht für die Religion selbst eingerichtet ist" und der König folglich auch nicht auf eine Religion, sondern auf den Frieden unter den Konföderierten den Eid leiste11, so wird damit ausdrücklich auf den politischen Kern zurückverwiesen. Und entsprechend läßt sich der Hinweis desselben Autors auf die primär ständerechtliche Definition des Kreises der durch die Konföderation Begünstigten lesen: „Zu den confederata [...] gehört der Katholik, der Reuße, der Evangelische, Arianer, Sachse, Kalvinist [...], die Heiden, wenn sie Szlachcicen sind."12 Nicht in der religiösen Sphäre an sich setzt die regelnde Funktion des Rechts ein, sondern dort, wo religiöser Dissens den Frieden unter dem Adel bedroht. Damit ist ein zweites Charakteristikum der Toleranzordnung von 1573 angesprochen, das sich wesentlich aus deren politischem Entstehungszusammenhang erklärt: Der Religionsfrieden war allein auf das Prinzip der individuellen Glaubensfreiheit ausgerichtet und hatte damit das einzig hier verfügbare Rechtskonzept angewandt, nämlich das Nebeneinander der Bekenntnisse auf der Ebene der adligen Kardinalrechte zu regeln. So zu verfahren schien insofern zwingend, als die „staatliche Funktion" der Rzeczpospolita nach dem zeitgenössischen Politikverständnis wesentlich auf die Wahrung der Rechte und Freiheiten ihrer adligen citoyens bezogen war sowie darauf, die gleichberechtigte Wahrnehmung dieser Rechte und Freiheiten über die gesamtstaatlichen ständischen Institutionen zu sichern.13 Dies bedeutete zwar keineswegs, wie vor allem die westliche Polen-Historiographie oft unterstellt hat, daß das polnische Rechts- und Politiksystem die einzelnen Landschaften und deren nicht-adlige Bevölkerung gleichsam programmatisch ausgespart, sie also als „staatsfreien" Raum einer uneingeschränkten regionalen Adelsherrschaft überlassen hatte; gerade die bekenntnispolitischen Diskussionen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts sind voll von Kontroversen über die geforderte einheitliche Durchsetzung des Toleranzgebots - und zwar nicht zuletzt im Hinblick auf die „plebejusze", welche ein Konstitutionsentwurf der Landbotenkammer auf dem Reichstag von 1606 sogar per Gesetz gegen die Anmaßung eines lus reformandi durch geistliche wie weltliche Grundherren und 10

Wisner, Rzeczpospolita (wie Anm. *), 146. Siehe Anm. *. 12 Ebd. 13 Dazu prägnant u. a. Claude Backvis, Szkice o kulturze staropolskiej [Skizzen zur altpolnischen Kultur]. Warschau 1975, 475. 11

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städtische Obrigkeiten in Schutz nehmen wollte.14 Um so mehr galt jedoch, daß eine gesamtstaatliche Ordnung im strikten Sinn nur in den Institutionen von Wahlkönigtum und Szlachta materiell Bestand hatte. Die Verhältnisse in und zwischen den Territorien der Länder Polen und Litauen oder auch zwischen Bekenntnisgruppen konnten nicht zum Gegenstand konstitutioneller Regelungen des Unionsstaats werden. Noch weniger aber hatte sich die Übernahme des cuius reg/o-Prinzips mit Gleichheitspostulat und Einheitsgedanken mit der Rzeczpospolita-Idee vereinbaren lassen: „Es gibt kein gesondertes Recht für Katholiken und ein anderes für Nicht-Katholiken", erklärte Großkanzler Tomasz Zamoyski auf dem Sejm von 1639, „noch kann es in libera Reipublica, deren anima die aequalitas ist, ein solches geben." 15 In Kauf genommen werden mußte damit freilich, daß der polnische Religionsfrieden eine wesentlich geringere Regulierungskraft besaß als der des Reichs; vor allem die Protestanten mußten dies schnell erkennen. Dennoch hat die große Mehrheit der politischen Publizisten in der Rzeczpospolita die Pax inter dissidentes als eine Errungenschaft konstitutionellen Handelns emphatisch verteidigt. Dem gleichsam kruden und „despotischen" Lösungsversuch nach dem cuius regi'o-Grundsatz schien das polnische Modell einer Regulierung auf individualrechtlicher und säkularer Grundlage deutlich überlegen.16 Inwieweit sind die politischen Leitvorstellungen, die bei dem Projekt der Warschauer Konföderation Pate gestanden hatten, nun aber auch im Handeln der einzelnen Bekenntnisparteien in der Folge von 1573 abgebildet? Daß von allen Seiten, und von Anfang an, auf eine Revision der Koexistenzregelung hingearbeitet wurde - sei es im Sinne ihrer Aushöhlung, sei es in der Perspektive der von den Protestanten betriebenen „Befestigung" - liegt auf der Hand. 17 Wichtig ist für uns jedoch die Frage, ob auch hier ähnliche politikkonzeptionelle Bindungen wirksam blieben oder ob die konfessionelle Auseinandersetzung bis zum Durchbruch der Gegenreformation auch das oben umrissene Respublica-Verständnis unterlaufen oder gar in Frage gestellt hat. 14 Der handschriftlich erhaltene Konstitutionsentwurf zitiert bei Wisner, Rzeczpospolita (wie Anm. *), 150. 15 Ebd. 237 f. 16 Zu den wenigen Ausnahmen unter den politischen Publizisten gehörte der Reformierte Andrzej Wolan (1530-1610), Landbote auf zahlreichen Reichstagen und erfahren in mehreren ständischen und königlichen Ämtern, der in den Polemiken um Piotr Skarga (Contra Scargae columnas, 1584) das cuius regio-Prinzip ausdrücklich verteidigte und ein konfessionelles Königtum für den Unionsstaat forderte; Eugeniusz Jarra, Andrew Wolan, 16th Century Polish Calvinist Writer and Philosopher of Law. London 1958, 124ff. 17 Am ausführlichsten dazu Miroslav/ Korolko, Spory i polemiki wokól konfederacji warszawskiej w latach 1573-1576 [Auseinandersetzungen und Polemiken um die Warschauer Konföderation zwischen 1573 und 1576], in: Odrodzenie i Reformacja w Polsce 18, 1973, 65-94; ders., Klejnot swobodnego surnienia. Polemiki wokól konfederacji warszawskiej w latach 1573-1658 [Das Kleinod der Gewissensfreiheit. Die Polemik um die Warschauer Konföderation von 1573 bis 1658]. Warschau 1974.

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Wenn letzteres auf ein bestimmtes Lager in der konfessionellen Auseinandersetzung zutrifft, dann am ehesten für Teile der Geistlichkeit. Im Zuge der nachtridentinischen Mobilisierung der Gegenreformation kam es schon auf der Petrikauer Generalsynode von 1577 zur öffentlichen Verdammung des Religionsfriedens. Konsequent versuchten die geistlichen Senatoren in der Folge auch, dessen konstitutionelle Verbindlichkeit zu negieren und, in Verbindung mit dem Häresie-Vorwurf, die Legitimität eines säkularen Ausgleichs an sich in Frage zu stellen. Freilich, solche Positionen der öffentlichen Polemik schienen zum Teil zugleich wieder relativiert durch ein überwiegend gemäßigteres Agieren im ständepolitischen Umgang mit ihren Kontrahenten. Eine offene Front zur Aufkündigung der Konföderation kam auf den Reichstagen jedenfalls nicht zustande, und selbst Piotr Skarga sollte an seiner anfangs radikalen Ablehnung des Ausgleichs mit der Versicherung vorsichtige Korrekturen anbringen, daß „wir nicht daran denken noch dachten [...], vom nachbarlichen Frieden mit euch abzustehen".18 Um so bedeutsamer erscheint in unserem Zusammenhang jedoch die deutliche Affinität, welche einzelne geistliche Wortführer in den Polemiken um die Glaubensspaltung zu einer Stärkung der monarchischen Gewalt im Rahmen der Rzeczpospolita entwickelten. Daß der Gedanke einer stärkeren monarchischen Zentrierung des politischen Systems an sich freilich keineswegs ohne Tradition im polnischen Denken des 16. Jahrhunderts war, läßt sich schon bei Andrzej Frycz Modrzewski prominent belegen.19 Doch wo es Modrzewski noch immer um ein aristotelisches, rechtsgebundenes monarchia mixta-Modell ging, formulierte etwa Piotr Skarga nun das simple Postulat der Überwindung von geistlicher und weltlicher Zwietracht durch ein mächtiges konfessionelles Königtum.20 Zumindest in ähnlicher Richtung aber argumentierte auf protestantischer Seite der Jurist Andrzej Wolan, der die Versäumnisse der vorreformatorischen Könige Polens bei der religiösen Einigung des Unionsstaats kritisierte und die Rzeczpospolita auf das Staatskirchenwesen Elisabeths I. als Vorbild verwies.21 Nicht zuletzt gibt das politische Taktieren verschiedener geistlicher Senatoren im langen Interregnum von 1572 bis 1575 18 Upominanie do ewanjelików i wszystkich spotem niekatolików [Mahnung an die Evangelischen und alle Nicht-Katholiken], anonym 1592 in Krakau erschienene Flugschrift, in der Skarga die Zerstörung des protestantischen Gotteshauses in Krakau von 1591 zu rechtfertigen versuchte - freilich mit Argumenten, welche der Frage der konstitutionellen Grundlagen der Bekenntnisbeziehungen aus dem Weg gingen; dazu die Einleitung zu Skarga, Kazania sejmowe (wie Anm. 5), XLIV. 19 Vgl. besonders Modrzewski, Opera omnia (wie Anm. 1), Vol. 1, 70-75: Commentariorum de república emenanda libri quinqué, liber de moribus, cap. Χ. 20 Skarga, Kazania sejmowe (wie Anm. 5), 58ff.: Dritte Predigt: Über das zweite Gebrechen der Republik, welches die innere Zwietracht ist. 21 Andrzej Wolan, De principe et propriis eius virtutibus. Krakau 1608; dazu Jarra, Historia (wie Anm. 3), 111-120.

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Anlaß zu der Vermutung, daß aus ihrer Sicht die reformatorische Bedrohung auch einen Kompromiß mit erweiterten Machtansprüchen eines der gegenreformatorischen Sache ergebenen Thronprätendenten hätte rechtfertigen können. 22 Es bedurfte allerdings kaum eines massiven politischen Einsatzes der Dissidenten, um solche Bestrebungen zu neutralisieren. Auch die Führer des katholischen Adels standen vielmehr spätestens seit den politischen Erfahrungen mit dem Wahlkönig Heinrich von Valois (1573/74) entschieden gegen konstitutionelle Risiken vor dem Hintergrund der Toleranzfrage.23 Der Bestand der Rzeczpospolita hatte auch für sie Vorrang vor der eigenen Bekenntnissache. Dies galt sowohl im Hinblick auf die Sorge für die allgemeine Verpflichtung der Wahlkönige auf die Anerkennung und Bewahrung des Religionsfriedens als auch hinsichtlich der Bemühungen, diesen nicht durch vermeidbare Konflikte belastet zu sehen. Im Hinblick auf letztere Frage sollte es, nach dem toleranten Regiment König Stefan Báthorys bis 1586, unter Sigismund III. Vasa denn auch bald zu deutlichen Spannungen zwischen dem König und dem Lager der „politisierenden" Katholiken um den profilierten Großkanzler und Hetmán Jan Zamoyski kommen. Zu den Spannungsfeldern sollten hier etwa die gegenreformatische Offensive der Bischöfe seit der Petrikauer Provinzialsynode von 1589 gehören oder auch die Frage der politischen Polarisierungswirkungen der Brester Kirchenunion von 1596, welche den Anstoß zur Bildung der Wilnaer Generalkonföderation von 1599 zwischen Protestanten und disunierten orthodoxen Christen geben sollte. Vorrangig konstitutionelle Erwägungen ließen die Partei Zamoyskis aber auch von jenen gegenreformatorischen Anläufen in den königlichen Städten abrücken, welche die Bischöfe mit Duldung des Königs nach 1589 unternahmen. So lösten die gesteuerten „Tumulte" gegen protestantische Gotteshäuser und Gemeinden in Krakau, Posen und Wilna eine neuerliche Debatte über ein vermeintliches lus reformandi des königlichen Stadtherrn aus, in der die Verfechter dieses Anspruchs im Prinzipiellen unterlagen: Wie in dieser Sache auch Piotr Skarga24 mußten die Verteidiger der Gewaltakte auf das Hilfsargument ausweichen, daß die Pacta conventa den König nicht zur Beförderung der Katholiken, aber auch nicht zu aktivem Schutz der Dissidenten anhielten25; zudem vermochten sie nicht zu verhindern, daß der Reichstag von 1593 mit einem Gesetz „de tumultibus" den protestantischen Forderungen nach mehr

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Hierzu und zum Folgenden noch immer am eindringlichsten Gotttried Schramm, Der polnische Adel und die Reformation, 1548-1607. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte, Bd. 36.) Wiesbaden 1965. 23 Ebd. 252-271. 24 Siehe Anm. 18. 25 Wisner, Rzeczpospolita (wie Anm. *), 155.

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Rechtssicherheit noch einmal ein kleines Stück entgegenkam26. Aber auch die Versuche der Bischöfe, das königliche Patronatsrecht über die Pfarrkirchen in den großen Städten des Königlichen Preußen für einen Einbruch in das dortige protestantische Kirchenwesen zu nutzen, zeitigten angesichts der wachsamen Haltung der adligen Beobachter ähnlich zwiespältige Wirkungen. Zwar mußten die Städte am Ende in der Sache Kompromisse schließen. Doch hatten sich nicht nur die dissidentischen Stände 1594 von dem Argument der Städte überzeugen lassen, daß der Streit um die Pfarrkirchen als Religionssache unter die Warschauer Konföderation falle - und daß „alle Excesse, so wegen der Confoederation einfallen können [...] auf ofentlichem Reichstage allein solen entschiden werden".27 Ein Einschreiten des Reichstags zwecks Wahrung seiner eigenen Prärogativen wie der Kardinalrechte war mithin auch dann programmiert, wenn dessen Mehrheit mit dem protestantischen Anliegen nicht sympathisierte, und diesem Risiko gingen König und Bischöfe bewußt aus dem Weg.28 Aus der Perspektive der dissidentischen Partei freilich bot der relative Konsens über den konstitutionellen Status quo in der Bekenntnisfrage dennoch nur eine fragile Existenzgrundlage. Denn über den allgemeinen Grundsatz der individuellen Glaubensfreiheit hinaus hatte die politische Lösung von 1573 schließlich nichts in ihrem Interesse geregelt - und auch nicht regeln können. So wenig der Status der altkirchlichen Institutionen und deren Besitzstand thematisiert, geschweige denn eingeschränkt worden war, so wenig hatte die Systematik der Toleranzordnung Raum dafür gelassen, die Existenz der anderen Bekenntniskirchen rechtlich zu verorten. Sie hatten keine ständeinstitutionell verankerten „Defensoren" 29 und keine der katholischen vergleichbare Gerichtsbarkeit. Das völlige Fehlen „territorialer" Elemente im konstitutionellen Aufbau der Rzeczpospolita Schloß für die Dissidenten die Möglichkeit aus, sich in Landeskirchen mit festerer Bindung an territoriale Gewalten zu 26

Über die Reichstagsentscheidung von 1593 Waclaw Sobieski, Nienawisc wyznaniowa ttumów za rzgdów Zygmunta III [Religionshaß der Massen unter der Regierung Sigismunds III.] Warschau 1902, 62ff.; s. auch Schramm, Der polnische Adel (wie Anm. 22), 288 f. 27 Ursachen, warumb die Sachen der Preussischen Städte von Einräumung der Kirchen an den Reichstag zu verlegen; Archiwum Partstwowe Gdansk, 300 R/Pp 82, 565 f. 28 Ausführlich über den Pfarrkirchenstreit und seine politischen Hintergrunde Michael G. Müller, Zweite Reformation und städtische Autonomie im Königlichen Preußen. Danzig, Elbing und Thom in der Epoche der Konfessionalisierung (1557-1660). Berlin 1997, 111 ff. 29 Das Modell hatten hier die Defensoren der utraquistischen Kirche im benachbarten Böhmen gewiesen, die seit 1531 von den Ständen gewählt wurden und die weltliche Vertretung der Kirche nach außen übernahmen. Tatsächlich erkannten die polnischen Dissidenten allenfalls rückblickend den Nutzen dieser Einrichtung; erst auf dem Interregnumsreichstag 1632 sollten Protestanten und Disuniten gemeinsam mit einer entsprechenden Forderung auftreten; s. Schramm, Der polnische Adel (wie Anm. 22), 263.

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organisieren; im protestantischen Milieu ist man einer solchen Konsolidierung mit dem lockeren, allerdings nie formalisierten Verbund der städtischen Kirchenorganisationen von Danzig, Elbing und Thorn wohl noch am nächsten gekommen. 30 Aber auch die Frage, wie die Dissidenten hier eigentlich hätten grundsätzlich vorankommen können, ließ sich schwer beantworten. Daß es Chancen gegeben haben mag, die protestantische Sache an eine gesamtständische Bewegung zu koppeln und sie damit zum Integrationsprogramm für die Rzeczpospolita an sich zu machen - etwa in der Konfrontation mit Heinrich von Valois, vor allem aber im Kontext der adligen Protestbewegung von 1606, dem „Rokosz des Zebrzydowski" - läßt sich nicht ausschließen. Doch waren eben „die oppositionellen Energien, die sich in Polen entluden, ungleich schwächer als in den Nachbarländern [Ungarn und Böhmen]"; für eine konfessionell geleitete ständepolitische Sammlungsbewegung reichte der Konfliktstoff zwischen Krone, Magnaten und Szlachta als Antrieb offenbar nicht aus.31 Die Anstrengungen um die „Befestigung" des Religionsfriedens dagegen, wie sie seit den 1590er Jahren auf den Reichstagen verstärkt gemacht wurden, konnten kaum mehr zum Gegenstand haben, als die bewußten „Exzesse" der gegenreformatorischen Anläufe einzudämmen und konkretere rechtliche Barrieren gegen die Beeinträchtigung der individuellen Gewissensfreiheit zu errichten. Sowohl in ihrem politischen als auch ihrem kirchlichen Handeln sehen wir die Dissidenten denn auch auf ein schmales Handlungsfeld festgelegt. Dies gilt nicht zuletzt für ihre eigene bekenntniskirchliche Programmatik. Daß die Protestanten schon bei ihrem Ausgleich im „Consensus Sendomirensis" auf eine Bekenntnisunion verzichtet und sich bewußt mit dem Modell einer fraterna coniunctio begnügt hatten32, hing zwar gewiß auch mit theologischen Einigungshindernissen zusammen. Es bezeichnet aber auch eine programmatische Abstinenz von kirchlichen Positionierungs- und Integrationsbemühungen, die bis zur Thorner Synode von 1595 und über das Jahrhundertende hinaus verfolgt werden kann. 33 Jedenfalls haben die Führer der protestantischen Kommunität in der Regel vehement ablehnend auf Forderungen der Geistlichkeit nach theologischer Selbstverständigung reagiert - und zwar auch dort, wo es, wie im Fall der Arianer, um durchaus prekäre Abgrenzungen ging. Zugleich begegneten sie Konflikten innerhalb der polnischen protestantischen 30

Müller, Zweite Reformation (wie Anm. 28), 58 ff. So überzeugend Schramm, Der polnische Adel (wie Anm. 22), 288-314, das Zitat 289. 32 Zur Interpretation des Consensus am genauesten Kai Eduard Jord Jfirgensen, Ökumenische Bestrebungen unter den polnischen Protestanten bis zum Jahre 1645. Kopenhagen 1942, 260 ff. 33 Ein guter Überblick bei Janusz Tazbir, Die Religionsgespräche in Polen, in: Gerhard Müller (Hrsg.), Die Religionsgespräche der Reformationszeit. (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 191.) Gütersloh 1980, 127-144. 31

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Kirchen mit entschiedenem Druck, vor allem der Kirchendisziplin Geltung zu verschaffen und Streitsachen nicht theologisch zu verhandeln, sondern in politicis zu stellen34 - das heißt, der Bewahrung der geltenden bekenntnispolitischen Koexistenzlage unterzuordnen. Dahinter aber stand neben dem Bemühen um pragmatische Konfliktbegrenzung offenbar auch die Überzeugung, daß mehr als die individuelle Gewissensfreiheit im Rahmen des konstitutionellen Religionsausgleichs tatsächlich nicht eingefordert werden konnte und sollte. Eine Vision von einem konfessionell geleiteten gesellschaftlichen und ständepolitischen Einigungsprozeß jedenfalls hat die protestantische Partei offenbar nie gehabt. Vielmehr scheint, als hätte sie die Trennung von Religion und Politik, welche durch die Lösung von 1573 signalisiert worden war, in ähnlicher Weise für sich angenommen wie die „Politisierenden" im Lager ihrer katholischen Kontrahenten. Bei aller Vehemenz der konfessionellen Konfrontationen auf fast allen Reichstagen der Regierungszeit Sigismunds III.35 unterlag die sie begleitende politische Kontroverse denn auch gleichsam einer zweifachen Selbstbeschränkung. So galt zum einen, daß die durchgehaltene Fundamentalkritik an der Warschauer Konföderation seitens der katholischen Geistlichkeit den partiell überkonfessionellen politischen Grundkonsens Uber den Religionsfrieden eher stärkte als untergrub; gerade aus der Hochphase der katholischen Gegenpropaganda stammen auch die fundiertesten staatstheoretischen Apologien der Konföderation.36 Zum andern aber wiesen auch die politischen Anstrengungen der dissidentischen Verteidiger des Religionsfriedens programmatisch kaum über dessen Konsolidierung - die den Dissidenten beharrlich verwehrte „Exekution" der Pax inter dissidentes durch begleitende Gesetze - hinaus: So zielbewußt und erfolgreich sie direkte Verstöße gegen die Toleranzordnung als Beeinträchtigungen von Fundamentalrechten und damit als Angriffe auf die Ständefreiheit parlamentarisch zu „politisieren" vermochten, so wenig ließ dieser Ansatz es zu, ihren jeweiligen Bekenntnissen an sich mehr rechtliches Terrain zu sichern. In beiden Richtungen also hatte die Konstruktion von 1573 durchgreifendes politisches Handeln blockiert. Wie Janusz Radziwill 1648 rückblickend über die gegenreformatorische Bedrängung des dissidentischen (hier arianischen) Adels urteilte: Man habe sich wohl angestrengt, sich der Häretiker zu entledigen; doch „haben unsere Vorfahren kein Mittel gefun-

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Dies ist gut nachvollziehbar anhand der Konsultationen der preußischen Städte mit den protestantischen Senatoren wegen der Bekenntniskonflikte in Marienburg und Danzig zwischen 1603 und 1606; s. Müller, Zweite Reformation (wie Anm. 28), 122 ff. 35 Korolko, Kleijnot (wie Anm. 17), 9 1 - 1 0 9 ; s. auch Wartaw Sobieski, Pamigtny sejm 1606 r. [Der denkwürdige Reichstag von 1606]. Warschau 1913. 36 Eine aufschlußreiche Anthologie polemischer Texte aus der Zeit zwischen 1592 und 1 6 1 5 b e i Korolko,

K l e i j n o t ( w i e A n m . 17), 1 7 7 ^ 1 2 .

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den, das erlaubt hätte, deren Religion aus Polen hinauszudrücken ohne doch zugleich die Freiheit der Szlachta zu erdrücken".37 2. Das polnische 17. Jahrhundert ist in der Geschichtsschreibung gewiß zu Recht mit dem rapiden Verfall religiöser Toleranz sowie mit der gegenreformatorischen Überformung der Elitenkultur, und zwar auch der politischen, als epochenprägenden Entwicklungen assoziiert worden. Nach der massenhaften Rekonversion protestantischer Adliger zum alten Glauben seit der Jahrhundertwende wurden die verbliebenen protestantischen Gemeinden mit stetig zunehmenden formellen und informellen Einschränkungen konfrontiert. Seit dem 1632 erlassenen Verbot, neue protestantische und orthodoxe Gotteshäuser in königlichen Städten zu errichten, gab es auch eine anti-dissidentische Gesetzgebung, die aufgrund der Einführung immer neuer, aber auch der restriktiven Umdeutung alter Beschränkungen ein ständig engeres Netz um die dissidentischen Gemeinden zog. Die Konstitution von 1668 griff, indem sie Apostaten mit der Todesstrafe bedrohte, erstmals indirekt auch in die Glaubensfreiheit des Adels ein. 38 Zugleich aber trat auf der anderen Seite der gegenreformatorische Katholizismus in eine neue Integrationsfunktion ein, indem die zunächst primär an das Respublica-Verständnis geknüpfte gesamtstaatliche Identität der Eliten nun zunehmend mit kulturellen Werten, darunter religiösen, angereichert wurde. Der ständische Nationsbegriff des „Sarmatismus", der sich jetzt als die ideologische Leitfigur durchsetzen sollte, war ebenso auf gemeinsame Sprache und ethnische Abstammung bezogen wie auf einen spezifischen adligen Habitus und ging zunehmend auch eine Verbindung wenn nicht mit dem Katholizismus an sich, so doch mit bestimmten „nationalen" Formen einer katholischen Frömmigkeitskultur ein.39 Die stereoptype Wahrnehmung Polens als einer katholischen „Adelsrepublik" war hier angelegt. Im Licht unserer bisherigen Überlegungen wären diese Entwicklungen zunächst scheinbar nur auf zweierlei Weise zu interpretieren: Entweder hat sich das Respublica-Verständnis des polnisch-litauischen Adels im Übergang zur Epoche des Sarmatismus derart grundlegend geändert, daß es auch zu einer radikal neuen konstitutionellen Verortung der Bekenntnisfrage kommen konnte. Oder aber der Zusammenhang zwischen dem Respublica-Verständnis 37

Zitiert nach Wisner, Rzeczpospolita (wie Anm. *), 147. Allgemein über die Entwicklung des 17. Jahrhunderts Janusz Tazbir, Reformacja w Polsce [Die Reformation in Polen]. Warschau 1993, 235-252, sowie jetzt besonders das ausführliche Einleitungskapitel bei Wojciech Kriegseisen, Ewangelicy polscy i litewscy w epoce saskiej, 1698-1763 [Die polnischen und litauischen Protestanten in der Sachsenzeit, 1698-1763], Warschau 1996. 39 Zu den kultur- und gesellschaftsgeschichtlichen Bedeutungen des vieldiskutierten Phänomens des Sarmatismus noch immer am eindringlichsten Janusz Tazbir, Kultura szlachecka w Polsce. Rozkwit, upadek, relikty [Die Adelskultur in Polen. Aufstieg, Niedergang, Relikte]. Warschau 1983. 38

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des Unionsstaats und einem programmatisch säkularen Umgang mit dem Problem der Glaubensspaltung war letztlich doch nicht so eng, wie wir oben zu begründen versucht haben. Vielleicht war die Verschiebung des quantitativen Verhältnisses zwischen den Bekenntnissen im Gefolge der Gegenreformation an sich schon Erklärung genug dafür, daß die Pax inter dissidentes offenbar als konstitutionelle Institution angreifbar wurde? Bei genauerer Betrachtung der angedeuteten Entwicklungen des 17. Jahrhunderts ergibt sich aber noch eine weitere Deutungsmöglichkeit, die hier kurz umrissen werden soll. Sie geht von der Vermutung aus, daß weder der konfessionelle Formierungsprozeß im Zeichen des Sarmatismus noch die faktische Abdrängung der nicht-katholischen, vor allem protestantischen, Bekenntnisgruppen im Unionsstaat das Respublica-Verständnis der Ständegesellschaft fundamental berührt haben. Denn es läßt sich einerseits zeigen, daß die konfessionelle „Aufladung" der Ständepolitik im 17. Jahrhundert eine partielle, an konkrete Anlässe und Kontexte gebundene Erscheinung war und daher mit einer „Konfessionalisierung" von Staat und Gesellschaft nicht verwechselt werden darf. Andererseits muß der komplizierte und uneinheitliche Verlauf der gegenreformatorischen Auseinandersetzung mit den Minderheitsbekenntnissen in Rechnung gestellt werden; bis ans Ende des 17. Jahrhunderts ging es hier vorwiegend darum, den rechtsfreien Raum, den die konstitutionelle Regelung von 1573 gelassen hatte, für die katholische Sache zu nutzen, nicht aber um eine Infragestellung des Religionsfriedens selbst. So ließe sich der erste der oben angesprochenen Erklärungsansätze gewissermaßen umkehren: Auch in der veränderten Konstellation des 17. Jahrhunderts läßt sich in der bekenntnispolitischen Entwicklung noch die Wirksamkeit desselben Respublica-Begriffs erkennen. Das heißt, auch unter den Bedingungen nunmehr deutlich asymmetrischer Beziehungen zwischen den Bekenntnisgruppen hat das Modell der adligen Staatsbürgerschaft als Integrationsprinzip für den Gesamtstaat seine Leitfunktion offenbar nicht verloren. Einige Beobachtungen mögen diese Deutung untermauern. Eine erste hier bedeutsame Beobachtung ist die, daß das „Zusammenrükken" der Adelsnation im Zeichen des Katholizismus für das 17. Jahrhundert vor allem eine Frage der katholisch-protestantischen Beziehungen war, speziell aber der Erfahrungen der Rzeczpospolita in der kriegerischen Konfrontation mit dem protestantischen Schweden und dessen wirklichen oder vermeintlichen Verbündeten innerhalb wie außerhalb des Unionsstaats. Dagegen gaben die Beziehungen zu den orthodoxen „Mitbürgern" des Unionsstaats vergleichsweise wenig Anlaß zur Emotionalisierung der katholischen Adelsmehrheit - und dies obgleich das religiöse Beharren des disunierten Adels eigentlich durchaus bekenntniskirchlichen Konfliktstoff barg. Aber auch der Gegensatz zur muslimischen Macht des Osmanischen Reichs hat bei der konfessionellen Formierung in der Rzeczpospolita zunächst offenbar nur eine

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nachgeordnete Rolle gespielt. Noch um 1600 konnten die Dissidenten damit argumentieren, daß gerade die Friedensfähigkeit der christlichen Bekenntnisse im Unionsstaat diesen zum Antemurale Christianitatis qualifiziere.40 Auch stieß die Perspektive der Unterordnung unter eine habsburgisch geführte katholische Liga gegen die Türken noch immer auf ähnliche Vorbehalte wie im 16. Jahrhundert. Denn ein durchschlagender Erfolg der Habsburger, schrieb etwa Kronstallmeister Krzysztof Zbarawski 1623 an den Krakauer Bischof, würde nicht zuletzt den konstitutionellen Bestand der Rzeczpospolita in Frage stellen: „Wir werden wohl den katholischen Glauben haben, aber dazu auch die deutsche Unfreiheit."41 Um so sensibler reagierten die polnisch-litauischen Stände darauf, daß die Kriege mit Schweden seit den 1620er Jahren unabhängig von ihren dynastischen und wirtschaftsstrategischen Hintergründen bald in die Bahnen eines Religionskonflikts gerieten - das heißt letztlich von beiden Seiten als konfessionelle Kriege geführt wurden 4 2 So brachte die schwedische Kriegführung den Faktor der „Konfessionsverwandtschaft" immer wieder ins Spiel, wo die Invasion polnischen Territoriums auf protestantische Untertanen der polnischen Krone traf. Umgekehrt aber lag es nahe, daß die Rzeczpospolita ihre traumatischen Rückschläge im großen Preußischen Krieg der 1620er Jahre wie auch vor allem in der „Sintflut" des Kriegs von 1655 bis 1660 als Resultat einer protestantischen Konspiration gegen die katholische Adelsnation rationalisierte. Dabei ist jedoch wichtig zu bemerken, daß aus polnischer Sicht die Zuweisung als protestantisch in erster Linie national und zudem sozial konnotiert war, ja vielleicht im Zusammenhang mit einer „xenophoben" Neupositionierung der Adelsgesellschaft ihre eigentliche Bedeutung hatte. Sicher aber gehörten zu den erstrangigen Assoziationen mit dem Begriff Protestantismus sowohl Schwedisch und Deutsch als auch der soziale Kontext von „Bürgerlichkeit", verkörpert durch das vermeintlich verräterische deutsch-protestantische Stadtbürgertum in Preußen.43 Bezeichnend für diese Überlagerung von konfessionellen mit ethnisch-sozialen Kategorien ist eine von Henryk Wisner rekonstruierte Episode auf dem polnischen Reichstag von 1639: Der Kulmer Bischof hatte seine Klagen gegen die Stadt Thorn und deren deutsche Räte in eine allgemeine Polemik gegen die Nicht-Katholiken gekleidet, was erhebliche Unruhe unter den Landboten provozierte. Daraufhin ermahnt durch Primas Jan Lipski, versuchte der Bischof seine Äußerungen dahin gehend zu 40

Korolko, Klejnot (wie Anm. 17), 189. Zit. nach Wisner, Rzeczpospolita (wie Anm. *), 157. 42 Der Kontext genau analysiert bei Antoni Mgczak, Walka o dominium maris Baltici [Der Kampf um das dominium maris Baltici], in: Gerard Labuda (Ed.), Historia Pomorza. Vol. 2/1. Posen 1976, 474-525. 43 Dazu etwas ausführlicher Michael G. Müller, Städtische Gesellschaft und territoriale Identität im Königlichen Preußen um 1600. Zur Frage der Entstehung deutscher Minderheiten in Ostmitteleuropa, in: Nordost-Archiv 6, 1997, 565-584. 41

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erläutern, daß er Ehre und Ansehen der fraglichen Herren natürlich sehr wohl achte und „nichts odio gegen Personen adligen Standes habe sagen wollen, sondern nur [!][...] gegen die Städte". 44 Die Episode von 1639 scheint aufschlußreich aber auch im Hinblick auf den zweiten oben angesprochenen Aspekt. Daß der (vermeintliche) Versuch, das Ansehen dissidentischer Standesgenossen vor der Öffentlichkeit des Reichstags zu schmälern, auch jetzt noch erheblichen Anstoß erregte, illustriert die auseinandergehende Wahrnehmung des konstitutionellen und des bekenntniskirchlichen Aspekts der Dissidentenfrage im 17. Jahrhundert. So haben die ständischen Institutionen - Land- und Reichstage sowie ständische Gerichte - einerseits direkt an den um 1630 einsetzenden Bestrebungen in Richtung einer aktiven Eindämmung der Entwicklung dissidentischer, vor allem protestantischer Kirchlichkeit mitgewirkt: Dem erwähnten Verbot der Errichtung neuer nicht-katholischer Gotteshäuser in königlichen Städten (im Lauf der Zeit übrigens via facti auf das gesamte Territorium des Unionsstaats ausgedehnt sowie umgedeutet zu einem Verbot, existierende Kirchen auch nur instandzusetzen 45 ) traten vor allem nach 1660 verschiedene Einschränkungen hinsichtlich der tolerierten „Öffentlichkeit" dissidentischer religiöser Praktiken an die Seite. Ferner sollte die Ausgrenzung der Arianer aus dem Toleranzrecht den Weg für eine neue, auch andere Bekenntnisse betreffende Praxis von Häretiker-Gerichtsbarkeit ebnen. Mit der Einführung des Prinzips rex catholico esso sowie dem Ausschluß von Dissidenten von der Nobilitierang schließlich rückte die diskriminierende Gesetzgebung des Reichstags nahe an den politischen Bereich heran 4 6 Andererseits wurde die Grenze, welche durch das Kardinalrecht der individuellen Gewissensfreiheit seit 1573 gesetzt war, letztlich doch nicht überschritten - nicht vor 1717 jedenfalls, als sich nach der akuten Bedrohung durch ein dominium absolutum der Wettiner und deren protestantische Hausmacht die Bekenntnisfrage auch politisch unter anderen Vorzeichen stellte. So stand selbst die Amtsfähigkeit von Dissidenten als Ständerepräsentanten und staatliche Funktionsträger ungeachtet der zunehmend ablehnenden Haltung der Adelsmehrheit im 17. Jahrhundert noch nicht prinzipiell in Frage. Daß die Wahlkönige in den Pacta conventa den Bestand der Warschauer Konföderation unverändert gewährleisten mußten, entsprach im Blick auf die individuelle Glaubensfreiheit der Szlachta weiterhin einer konstitutionellen Realität. 47 Untermauert wird dieser Befund durch die Beobachtung, daß noch um 1630 auch die aktive Glaubenspropaganda adliger Dissidenten nicht ohne politische Komplikationen sanktioniert werden konnte. Dies betraf nicht nur 44

Wisner, Rzeczpospolita (wie Anm. *), 159. Kriegseisen, Ewangelicy (wie Anm. 38), 63 f. 4 6 Ebd. 29 ff. 47 Tazbir, Reformacja (wie Anm. 38), 241 f. 45

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die verbliebenen nicht-katholischen Magnaten, sondern, wie ein relativ spektakulärer Fall aus Kleinpolen belegt48, durchaus auch die dissidentische Szlachta: Aufgrund seiner 1624 in Krakau erschienenen Übersetzung von Pierre Moulins „Heraklit" wurde der Protestant Samuel Bolestraszycki durch den Bischof von Przemysl der Gotteslästerung beschuldigt - und mußte, ungeachtet der erklärten Billigung seines Werks durch König Sigismunds Schwester Anna sowie einer gewissen Protektion durch den litauischen Magnaten Krzysztof Radziwill, die Verurteilung durch das Landgericht Przemysl und 1627 auch durch eine knappe Mehrheit der Richter des Lubliner Krontribunals zu einer Haft- und Geldstrafe hinnehmen; zudem verbot das Urteil bei Androhung der Todesstrafe für Gemeine bzw. des Ehrverlusts für Adlige, das Werk zu verbreiten. Nicht zu unterbinden vermochte die Autorität der Richter jedoch, daß der Fall wiederum eine breite, auch reichstagsöffentliche Debatte über den Status von Gewissens- und Meinungsfreiheit in der Rzeczpospolita auslöste, in der die Kritiker des Urteils die Oberhand behielten. Im Blick auf die , forma Reipublicae nostrae" erschien auch Katholiken ein solcher Eingriff rechtlich nicht zu begründen; und „was libertati mea sed non religioni pertinet", so der Kastellan von Krakau, „dagegen will ich einstehen et immori circa libertatem".49 Wenn es dennoch Jahre dauerte, bis der Fall beigelegt werden konnte, so lag dies an den Schwierigkeiten, den Konflikt ohne zu großen Schaden für die Beteiligten zurückzufahren. Während der Reichstag zögerte, das Krontribunal durch eine Kassation des Urteils bloßzustellen, schlug Bolestraszycki den Vergleichsvorschlag einer Reichstagskommission aus. Erst 1649, nach weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen, brachte ein eigenes Gesetz über die volle Rehabilitierung Bolestraszyckis die Sache an ihr Ende. In der langen historiographischen Debatte über das Politikverständnis in der frühneuzeitlichen Rzeczpospolita hat die Frage nach dessen Staatsbezogenheit stets eine zentrale Rolle gespielt. Dabei ist oft auf die Widersprüchlichkeit des Freiheitsbegriffs in seiner theoretischen und politikpraktischen Handhabung in Polen-Litauen hingewiesen worden. Wie etwa Andrzej Walicki unter Verweis auf Benjamin Constants Unterscheidung zwischen einem älteren kollektiven und einem modern individualistischen Freiheitsbegriff (Freiheit des Staates versus Freiheit vom Staat) argumentiert hat, wäre die Rzeczpospolita in vieler Hinsicht dem moderneren Konzept verpflichtet gewesen - ohne daß sie freilich die typisch vorgängige Erfahrung der staatlichen Durchdringung der Gesellschaft in der Frühneuzeit durchlaufen hätte; das Respublica-Verständnis des Unionsstaats im 16. und 17. Jahrhundert wäre demnach im Sinne auch

48 49

Wisner, Rzeczpospolita (wie Anm. *), 207-213. Ebd. 209 f.

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Michael G. Müller

älterer Deutungen nicht nur als staatsabgewandt, sondern vielleicht sogar als der Idee von Staatlichkeit entgegengesetzt anzusehen.50 Manches in unserer bekenntnisgeschichtlichen Erkundung scheint für diese Deutung zu sprechen. Namentlich die Tatsache, daß es in Polen-Litauen kaum Ansätze für jene Verknüpfung von Konfessionalität mit einer Programmatik staatsgesellschaftlicher Integration gab, wie sie andernorts in Europa epochentypisch war, mag in eine solche Richtung weisen. Dennoch erscheint es zumindest ebenso plausibel, Antoni M^czaks neuere Überlegungen hier aufzugreifen und auch bei der Frage nach den Leitkategorien politischen Denkens die exzeptionelle Strukturlage des polnisch-litauischen Unionsstaats stärker in den Vordergrund zu stellen.51 Vielleicht war das in dem politischen Wertesystem der Rzeczpospolita begriffene Modell ein durchaus kohärenter, ja sogar der rationalste Ansatz, um innere Staatsbildung auf konstitutioneller Basis in einem besonders weiträumigen, kulturell stark diversifizierten, zugleich aber wirtschaftlich-sozial und kommunikativ sehr wenig verdichteten Flächenstaat zu betreiben.

50

Walicki, Political Heritage (wie Anm. 4), 35 f. Antoni Mçczak, Rzeczpospolita, in ders./Henryk Samsonowicz/Andrzej Szwarc/Jerzy Tomaszewski, Od plemion do Rzeczypospolitej. Naród, panstwo, terytorium w dziejach Polski [Von der Stammesgesellschaft zur Republik. Nation, Staat und Gesellschaft in der Geschichte Polens]. Warschau 1996, 71-144. 51

Staatsräson, Benehmen und Melancholie: Ein politischer Teufelskreis der italienischen Renaissance?* Von

Pierangelo

Schiera

Der Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert sollte nicht nur als Ausgangspunkt der weiteren glänzenden aufklärerischen gesamteuropäischen Entwicklung angesehen werden, sondern auch als Resultat des bis dahin zurückgelegten Weges, der von der wechselseitigen Begegnung verschiedener Kulturen Europas geprägt worden war. Nicht nur hinsichtlich der neuen internationalen Lage, auch innenpolitisch bot Europa in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein ganz anderes Bild als vor dem Dreißigjährigen Krieg. Es sei nur auf die epochale Konsolidierung des modernen Staates hingewiesen, sowohl im Fall der großen nationalen Monarchien (wie Frankreich, England und Spanien zum Beispiel) als auch im Fall der kleineren Territorien Mittel- und Südeuropas.1 Damit beschleunigte sich auch die Zirkulation von Ideen und Erfahrungen unter den verschiedenen Ländern bzw. der Wettbewerb unter den Menschen, der nicht ohne kulturelle Folgen bleiben konnte.2 1. Bekanntlich wurde auch Deutschland von dieser Umwandlung betroffen, in der die traditionelle Staatlichkeit durch die Entstehung von souveränen Territorialstaaten und durch die Krise des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation neue Wege finden mußte.3 Ohne die Möglichkeit, diese Entwicklung * Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung von Pierangelo Schiera, Benehmen, Staatsräson und Melancholie in der frühen Neuzeit. Christian Thomasius zwischen Mittelmeer und Nordeuropa, in: Rudolf Morsey/Helmut Quaritsch/Heinrich Siedentopf (Hrsg.), Staat, Politik, Verwaltung in Europa. Gedächtnisschrift für Roman Schnur. Berlin 1997, 181-201. 1 Dietmar Willoweit, Die Herausbildung eines staatlichen Gewaltmonopols im Entstehungsprozeß des modernen Staates, in: Albrecht Randelzhofer/Wemer Süss (Hrsg.), Konsens und Konflikt. 35 Jahre Grundgesetz. Vorträge und Diskussionen einer Veranstaltung der Freien Universität Berlin vom 6.-8. Dezember 1984. Berlin/New York 1986, 313 ff.; Michael Stolleis, Die Idee des souveränen Staates, in: Reinhard Mußgnug (Hrsg.), Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 15.3. bis 17. 3. 1993. (Der Staat, Beih. 11.) Berlin 1996, 63-85. 2 Franco Venturi, La circolazione delle idee, in: Rassegna storica del Risorgimento 41, 1954, 203-222. 3 Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodemen Staates. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1969; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der

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durch Verwaltungs- und Verfassungsmaßnahmen auf einer großterritorialen (nationalen) Ebene zu begleiten, mußten die jungen deutschen Staaten innere Motive ausarbeiten, um eine neue Legitimation zu finden.4 Auch aus konfessionellen Gründen wurde das Hauptaugenmerk dabei auf die Schaffung und Erhaltung der „guten Ordnung und Policey" gerichtet. Dies hatte einerseits mit der äußeren Sicherheit des Lebens der Untertanen zu tun, andererseits aber auch mit ihrem „Pflicht-Recht" auf materielle Wohlfahrt und Glückseligkeit. Die sogenannte „Pflichtenlehre", aus der ein Pfeiler des deutschen Vernunftrechts geworden ist, verband sowohl den Herrscher als auch die Subjekte in der gemeinsamen Aufgabe, das irdische Leben so gut wie möglich in seinen konkreten Bedingungen abzusichern. 5 Vor allem dadurch legitimierte sich in Deutschland die Autorität der neuen Herrscher und ihrer Staaten, die jetzt als „Christen"-, aber zugleich auch als „Policey"-Staaten definiert und präsentiert wurden. Ein Krieg allein hätte eine solche Umwandlung des sozialen und politischen Lebens nicht bewirken können. Es gab sicherlich tiefere und langfristigere Prozesse, die jene Entwicklung ermöglichten. Man kann sie in dem komplexen Phänomen der (sowohl katholischen als auch protestantischen) Reformation zusammenfassen, worunter nicht nur die große religiöse Erneuerung der kirchlichen Institutionen und Glaubenslehren verstanden werden soll, sondern auch die Fülle von Diskussionen, Konflikten und Kompromissen, die jeden Aspekt des Lebens neu gestalteten - unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Menschen als verantwortliches Individuum in der Gesellschaft. Dazu gehörte auch die glänzende Blüte der Moralphilosophie, die, durch eine sehr produktive Antithese und Dialektik zwischen der reformierten protestantischen und der gegenreformatorisch katholischen Welt im 17. Jahrhundert die alte Tradition des christlichen Naturrechts fortsetzend, den größten BeiSäkularisation (1967), in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht. Frankfurt am Main 1976,42-65, und ders., Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichsstände, in: Der Staat 8, 1969, 449^478; Bernd Roeck, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts. (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Bd. 4.) Stuttgart 1984; Bernd Matthias Kremer, Der Westfälische Friede in der Deutung der Aufklärung. Zur Entwicklung des Verfassungsverständnisses im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation vom konfessionellen Zeitalter bis ins späte 18. Jahrhundert. (Jus ecclesiasticum, Bd. 37.) Tübingen 1989. 4 Pierangelo Schiera, La concezione amministrativa dello Stato in Germania (1550— 1750), in: Storia delle idee politiche, economiche e sociali. Diretta da Luigi Firpo. Voi. 4: L'età moderna. Turin 1980, 363-442; und die Aufsätze von Wolfram Siemann, Helga Schnabel-Schule, Andreas Fijal, Ekkehard Jost, Pierangelo Schiera, Christian Mecking, Christian Baldus und Horst Mühleisen, in: Dietmar Willoweit (Hrsg.), Staatsschutz. (Aufklärung, 7, H. 2.) Hamburg 1994. 5 Vanda Fiorillo (Ed.), Samuel Pufendorf, filosofo del diritto e della politica. Atti del convegno internazionale Milano, 11-12 novembre 1994. (Seminari giuridici, Voi. 7.) Neapel 1996.

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trag zur Entstehung einer strukturellen Säkularisierung des sozialen Lebens und der Politik leistete.6 Mir scheint, daß mindestens drei Wege eines solchen Kulturtransfers gezeigt werden können. Sie berühren die Regeln des sozialen Umgangs unter den Individuen und den Gruppen, die Techniken des politischen Handelns von Seiten des Herrschers und seines exekutiven Apparats sowie die individuelle Haltung und Stimmung des einzelnen als Subjekt der herrschenden Gewalt einerseits und als aktives und verantwortliches Mitglied der Gesellschaft andererseits. Stichworte also: Benehmen, Staatsräson und Melancholie. 2. Alle drei Bewegungen entstanden in der italienischen oder, besser gesagt, mediterranen Renaissance und erfuhren durch Frankreich und England eine Verbreitung von europäischer Dimension. Unsere Frage besteht darin, ob und wie weit diese drei Wege auch in Deutschland rezipiert wurden und ob sie im protestantischen Lager eine nennenswerte Übersetzung und Aneignung erfuhren. Ein gemeinsamer Nenner, der uns auch methodisch in dieser Rekonstruktion leiten wird, liegt in der Tatsache, daß es sich um „Diskurse" handelt, das heißt um ziemlich geschlossene Praxis- und Begriffsfelder, die durch die Selbständigkeit von Objekt, Sprache und Zweck charakterisiert waren. Von Gesellschaft, öffentlicher Autorität (Herrschaft) und Individuum war innerhalb der okzidentalen Zivilisation seit jeher die Rede. Um eine entsprechende Behandlung zu finden, braucht man aber im Mittelalter die „fremden" Sprachen der Theologie oder der Rechtswissenschaft.7 Erst in der Renaissance kann man die Entstehung von „eigenen Sprachen" finden. Meiner Meinung nach hatte dies mit der Säkularisation des politischen Geistes zu tun, womit ich jenen Prozeß des Zusammenlebens (durch den Ausbau des modernen Staats, der bürgerlichen Gesellschaft und des Individuums) meine, der den Menschen von einer zu direkten Verantwortung gegenüber sich selbst und gegenüber Gott befreien konnte.8 6

Gerhard Oestreich, Neostoicism and the Early Modern State. Cambridge 1982; ders., Filosofia e costituzione dello Stato moderno. Neapel 1989; ders.. Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung. Göttingen 1989. 7 Walter Ulimann, The Development of the Medieval Idea of Sovereignty, in: EHR 65, 1949, 1-33; Jürgen Miethke, Die Anfänge des säkularisierten Staates in der politischen Theorie des späteren Mittelalters, in: Mußgnug (Hrsg.), Entstehen und Wandel (wie Anm. 1), 7-43; Paolo Grossi, L'ordine giuridico medievale. 3. Aufl. Rom 1997, und ders.. Recht ohne Staat. Der Autonomiebegriff als Grundlage der mittelalterlichen Rechtsverfassung, in: Morsey/Quaritsch/Siedentopf (Hrsg.), Staat, Politik, Verwaltung (wie Anm. *), 19-29; Paolo Prodi, Il sacramento del potere. Il giuramento politico nella storia costituzionale dell'Occidente. Bologna 1992. Deutsch: Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents. (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, Bd. 11.) Berlin 1997. 8 Franz Borkenau, Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild. Studien zur

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In diesem Kontext sollte die Beziehung zwischen der italienischen Renaissance und der protestantischen Reformation besondere Aufmerksamkeit finden. Meiner Ansicht nach kann diese Beziehung am besten dadurch analysiert werden, daß man die Rezeption der drei erwähnten Diskurse untersucht. Eben dort haben sich in der Tat eigene Züge der modernen Staatlichkeit und Sozialität entwickelt, die unser Verfassungsleben bis heute prägen. Dafür wird hier exemplarisch die Figur von Christian Thomasius vorgestellt. Nicht nur war er so modern, an allen drei Diskursen mit Originalität teilnehmen zu können, er war sich auch deren fremder Herkunft bewußt. Er bietet deswegen ein gutes Beispiel für den Versuch, einen Vergleich zwischen Nord- und Südeuropa anzustellen. 3. Ist Thomasius der Ausgangspunkt meiner Darlegung, so soll meine erste Überlegung sich auf das „Benehmen" beziehen, das heißt auf die Fülle von Ratschlägen, Beispielen und Regeln, der Anwendungen und Disziplinen, die seit dem Mittelalter verarbeitet wurden, um das Zusammenleben der Menschen zu erklären und zu steuern. Christian Thomasius handelte über dieses Problem in einer „Der Studirenden Jugend" gewidmeten Schrift, die unter dem deutschen Titel „Welcher Gestalt man denen Franzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle?" am 31. Oktober 1687 in Leipzig veröffentlicht wurde.9 In ihr betrachtet er ein „Collegium über des Gratians GrundReguln, Vernünftig, klug und artig zu leben". Letztere waren seit kurzer Zeit in Deutschland Thema, da sie 1686 unter dem Titel „Homme de Cour oder Balthasar Gracians Vollkommener Staats- und Welt-Weise [...]" übersetzt worden waren. Es scheint jedoch, als hätte Thomasius schon die französische Übersetzung von Amelot de la Houssaie gekannt, die der deutschen Übersetzung zugrunde liegt.10 Die erklärte Absicht von Thomasius ist es, seinen Studenten („Meine Herren") darzulegen: „[...] wer der Gracian gewesen? Was er sonst geschrieben? Geschichte der Philosophie der Manufakturperiode. Paris 1934, Ndr. Darmstadt 1973; Luden Goldmann, Le Dieu caché. Études sur la vision tragique dans les .Pensées' de Pascal et dans le théâtre de Racine (1959). Paris 1969. Deutsch: Der verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung in den .Pensées' Pascals und im Theater Racines. (Soziologische Texte, Bd. 87.). Neuwied 1972; Antonio Negri, Descartes politico o della ragionevole ideologia. Mailand 1970. 9 Christian Thomasius, Von Nachahmung der Franzosen. Nach den Ausgaben von 1687 und 1701. Mit einer Vorbemerkung v. A. Sauer. Stuttgart 1894. (Deutsche Literaturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, Bd. 51, NF. 1.) Ndr. Nendeln (Liechtenstein) 1968. 10 Balthasar Gracian, L'homme de cour. Maximes traduites de l'espagnol sur l'édition originale de 1647 par [Abraham Nicolas] Amelot de la Houssaie et précédées d'une introduction par André Rouveyre. Paris 1924. (Nicht vergessen sei, daß de la Houssaie auch Machiavelli, Sarpi und Tacitus ins Französische übersetzt hat!) Eine weitere Auflage der deutschen Übersetzung des Werkes erschien 1711: Balthasar Gracians Homme de Cour; oder, Kluger Hof- und Welt-Mann. Nach Monsieur Amelot de la Houssaie seiner französischen Version ins Teutsche Ubersetzt von Selintes. Augspurg 1711.

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Was von diesem Buch absonderlich zu halten? Wie die Censur, so der Jesuit Bouhours davon andern Schriften, auch seinen Widersachern: Ob er den Titel des Gracians mit dem Titel L'Homme de Cour geschickt verwandelt? was von seinen Anmerkungen zu halten? was ich in Erklärung dieses Buchs für eine Ordnung beobachten wolle? was meine Herren für Nutzen daraus zuhoffen? Wiefern ich mich selbst die Grund-Reguln des Gracians zuverstehen und zubeobachten fähig erkenne u.s.w."11 Was hier interessiert, ist die grundsätzliche Haltung des Thomasius gegenüber Gracian: Er betont eher die Weise als den Inhalt, mehr den sozialen Wert des Verhaltens als seine innere Plausibilität; die Betonung liegt mehr auf dem durchschnittlichen statistischen Ergebnis der Auswirkungen als auf ihrer ursprünglichen Triftigkeit. All das erklärt sich aus der Tatsache, daß Thomasius in seiner Schrift die Privat-Person besonders hervorhebt, welche sich, mit Hilfe der „Rede-Kunst" und den „Mathematischen Wissenschaften", „die Regeln gründlich zu raisonnieren" aneignen muß. Die Privat-Person von Thomasius stellt sich als Gegenpol zum Fürsten dar, mit dem er sich kurz zuvor beschäftigt hatte. Zwischen diesen beiden Polen entwickelt sich das politische und soziale Leben. Thomasius war einer der Ersten, der diesen neuen Raum verstand und für denselben den Ausdruck „bürgerliche Gesellschaft" benutzte mit der Intuition, daß es sich dabei um einen „artifiziellen" Raum handelte.12 Die Abstraktion von Tugenden und Lastern hat sich bei Thomasius durchgesetzt: Aus beinahe biologisch-beruflichen Eigenschaften wurden beide zu exempta, zu Denksprüchen, zu Weltcharakteren, zu rationalen Überzeugungen. Dadurch entstand tatsächlich ein als sinnvoll betrachteter sozialer Zwang, der einerseits auf der Glückseligkeit und andererseits auf der Sittenlehre beruhte. Wenn man den Vergleich mit Gracian fortführen will, so lag dessen Vorschlag ursprünglich zwischen der Tugend und dem Laster, bzw. er war deren algebraische Summe, ihr statistischer Durchschnitt. Es handelte sich, wie er selbst sagt, um das Königreich der großen Obhut seiner selbst, ,,de[n] Thron der Vernunft, die Grundlage der Vorsicht, und durch sie gelingt alles leicht [...] Sie besteht in einem natürlichen Hang zu allem, was der Vernunft am an11 Thomasius, Von Nachahmung (wie Anm. 9), VII. Sauer betont die nicht chauvinistische Absicht des Eingreifens von Thomasius, der im wesentlichen auf den Einklang des deutschen Charakters (den er in der Geduld zusammenfaßt) mit dem französischen (den er in der Lebhaftigkeit zusammenfaßt) zielte. Über den Einfluß des Gracian auf Thomasius zitiert er das soeben erschienene Buch von Karl Borinski, Balthasar Gracian und die Hoflitteratur in Deutschland. Halle an der Saale 1894. 12 Christian Thomasius, Von der Artzeney wider die unvernünftige Liebe und der zuvorher nöthigen Erkränktniß Sein selbst. Oder: Ausübung der Sitten-Lehre. Nebst einem Beschluß, worinnen der Autor den vielfältigen Nutzen seiner Sitten-Lehre zeiget und von seinem Begriff der Christlichen Sitten-Lehre ein aufrichtiges Bekänntnis tut. Halle-Salfeld 1696, Ndr. mit einem Vorw. v. Werner Schneiders. Hildesheim 1968, 13.

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gemessensten ist, wodurch man bei allen Fällen das Richtigste ergreift". Wenn man den häufigen Hinweis auf das Thema der Glückseligkeit und der Nützlichkeit hinzufügt, versteht man auch den Ratschlag, den uns Gracian gibt und der sich mit dem weiter behandelten Thema der Melancholie offensichtlich verbindet: „[...] Nicht zu einem Ungeheuer von Narrheit werden. Dergleichen sind alle Eitele, Anmäliche, Eigensinnige, Kapriziöse, von ihrer Meinung nicht Abzubringende, überspannte, Gesichterschneider, Possenreißer, Neuigkeitskrämer, Paradoxisten, Sektierer und verschrobene Köpfe jeder Art [...]." In der Tat: „Wo die große Obhut seiner selbst fehlte, ist keine Leitung mehr möglich: und an die Stelle eines nachdenkenden Bemerkens des fremden Spottes ist der falsche Dünkel eines eingebildeten Beifalls getreten." Das überträgt sich dann fast unmittelbar in die Warnung: „Einen ganz kleinen kaufmännischen Anstrich haben. Nicht alles sei Beschaulichkeit, auch Handlung muß dabei sein [...] Daher trage der kluge Mann Sorge, etwas vom Kaufmann an sich zu haben, gerade so viel, als hinreicht, um nicht betrogen und sogar ausgelacht zu werden. Er sei ein Mann auch fürs täglich Tun und Treiben, welches zwar nicht das Höchste, aber doch das Notwendigste im Leben ist. Wozu dient das Wissen, wenn es nicht praktisch ist? und zu leben verstehn ist heutzutage das wahre Wissen."13 Ganz ähnlich lautet die Konklusion von Thomasius: „Es wird aber auch hinwiederum niemand verneinen können, daß man der Natur durch Kunst merklich forthelffen könne, die Kunst aber am füglichsten durch gewisser Grund-Regeln und Maximen erlernet werde." Natürlich bezieht Thomasius sich hier auf das Buch von Gracian, den er kommentieren will, aber seine Ausführung ist viel weitreichender und betrachtet die „Lehre", die ein „vollkommener weiser Mann (un parfait homme sage)" besitzen muß, um „[...] seine Gedanken [zu] gründen und vernünftig [zu] raisonnieren".14 4. Dies ist der Nährboden, in den die Thematik der Staats- und Weltweisheit bei Thomasius eingebettet ist. Dasselbe gilt für die Lehre von der Staatsräson. Auch hier treten Zweckmäßigkeit und Konkretheit in den Vordergrund, und so befinden wir uns wieder mitten auf der Kreuzung zwischen Disziplin und Ordnung.15 Um die Herkunft der Lehre von der Staatsräson aus Italien besser zu erklären, möchte ich sie als eine Art von kollektiver Rechtfertigung vorstellen, die die italienischen politischen Schriftsteller des ausgehenden 16. Jahrhunderts benutzten, um das politische Scheitern ihrer Signori und Signorìe zu verste13 Balthasar Gracian, Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Deutsch v. Arthur Schopenhauer. Mit einer Einl. v. Karl Vossler. 7. Aufl. Stuttgart 1951, passim. 14 Thomasius, Von Nachahmung (wie Anm. 9), 34. 15 Pierangelo Schiera (Ed.), Ragion di Stato e ragioni dello Stato. Neapel 1996.

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hen und zu überwinden. Sie zielte darauf ab, eine kategoriale Verfeinerung und begriffliche Abstraktion zu erreichen, durch die der Übergang von einer Betrachtung der Politik als fortuna zu einer als prudentia ermöglicht oder erleichtert wurde.16 Das ist eng mit dem verbunden, was wir bereits über die Tugenden gesagt haben, aus denen objektive und öffentliche Eigenschaften der sozialen und politischen Subjekte geworden sind: Auch hier hatte die prudentia im Verlauf des Mittelalters eine dominierende Position in der Hierarchie der individuellen Tugenden erlangt. Zu dieser Entwicklung hat Christian Thomasius selbst beigetragen, wie sein Weg zu einer Definition der Politik zeigt. Diese nämlich erscheint als „Regeln der Nützlichkeit oder die Lehre dessen, daraus die Ruhe des Menschen besteht, d. i. wenn der Mensch weder Schmertzen noch Armuth, noch auch sonst Beschimpffung leydet, oder vielmehr, wenn er einen wahren Mangel des Schmertzens, eine wahre Genügsamkeit und Ehre hat". 17 Die Hobbes'schen Züge sind klar, aber nicht nur diese. Bei seiner unmittelbaren und funktionalen Abhandlung über die „politische Klugheit", die nichts anderes ist als die deutsche Staatsräson, scheint Thomasius noch eine andere praktische Sorge zu haben: nämlich mit Hilfe der Politik eine einwandfreie Regelung der Beziehungen zwischen den Menschen zu finden, die in die Gesellschaft hineingezwungen sind. Gehört all dies zur philosophisch-moralischen Ebene, so lohnt es sich auch, die technische Entwicklung zu beachten, die inzwischen in den verschiedenen Bereichen des organisierten Lebens eingetreten ist, von dem wirtschaftlichen über den administrativen bis zum politischen Sektor im engeren Sinne.18 Das 17. Jahrhundert hat die erste Spezialisierung des modernen staatlichen Lebens kennengelernt und durch die Ausarbeitung ausführlicher und zweckmäßiger Techniken detaillierte Sachkenntnisse errungen. Zwar hatten diese noch kein „wissenschaftliches" Paradigma, beanspruchten aber schon selbständige „Statuten". Nicht auf einer externen religiösen Rechtfertigung sollten sie beruhen wie im Mittelalter, noch auf dem humanistischen Vertrauen in die innere Qualität des Menschen. Vielmehr zielten sie auf die Bearbeitung und Anwendung von geeigneten Mitteln, um dem neuen Anspruch der Individuen zu genügen, ein geordnetes, ruhiges und materiell glückliches Leben in der Gesellschaft zu

16 Gianfranco Borrelli, Ragion di stato e Leviatano. Conservazione e scambio alle origini della modernità politica. Bologna 1993. 17 Von der Vorlesung 1687, über die viel wichtigere „Einleitung in die Sittenlehre" 1692 bis zum „Entwurf der politischen Klugheit" 1710 und den „Höchstnöthigen Cautelen" 1713. 18 Mohammed Rassem, Riflessioni sul disciplinamento sociale nella prima età moderna con esempi dalla storia della statistica, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento 7, 1982, 39-70.

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führen.19 So versteht man gut, daß die Staatsräson sich vor allem auf der pragmatischen Ebene der Sammlung und der Analyse von Daten und der entsprechenden exekutiven Intervention abspielte. Die Statistik und die Polizei sind die beiden Krücken gewesen, auf die die moderne Staatlichkeit sich hinter den Kulissen der Souveränität stützte, um ihre Macht zu legitimieren. 5. Mit Sicherheit von italienischer Herkunft20 zeigt sich die Staatsräson als „Lehre" auch aufgrund der ausgeprägten Rezeption, die sie in ganz Europa erfuhr. Es interessiert uns jedoch mehr zu sehen, wie diese Lehre auch im politischen Rahmen Deutschlands Fuß fassen konnte.21 19 Kurtzer Entwurff der Politischen Klugheit, sich selbst und anderen in allen Menschlichen Gesellschaften wohl zu rathen und zu einer gescheiden Conduite zu gelangen. Frankfurt am Main/Leipzig 1710. Nicht anders lautet der Titel (und das Ziel) von Adolph Freiherr von Knigge, Umgang mit Menschen. Berlin 1788 (neuerdings ders., Werkauswahl in zehn Bänden. Hannover 1993). Die gesamte Perspektive führt doch zur ersten Rezeption der italienischen Benehmensschriften im frühen 17. und schon im 16. Jahrhundert zurück: vgl. Emilio Bonfatti, La Civil Conversazione in Germania: la letteratura del comportamento da Stefano Guazzo a Adolph Knigge. (Università degli Studi di Triest, Facoltà di Magistero, Ser. 3, Vol 4.) Udine 1979. Zur Nachwirkung des Thomasius vgl.: Barbara Zaehle, Knigges Umgang mit Menschen und seine Vorläufer. Ein Beitrag zur Geschichte der Gesellschaftskritik. (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, H. 22.) Heidelberg 1933. Zur Tradition der Klugheitslehren über Kant vgl. Nestore Pirillo, L'uomo di mondo fra morale e ceto. Kant e le trasformazioni del moderno. (Annali dell'Istituto Storico ItaloGermanico in Trento, Monografia 7.) Bologna 1987. Zur gesamten Fragestellung gehörte auch die Physiognomik-Literatur, die in Johann Christian Lavater, Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. 4 Bde. Leipzig/Winterthur 1775-1778 (Faks.-Ndr. Leipzig 1968/69) ihren Gipfel fand; vgl. dazu Claudia Schmölders, Das Vorurteil im Leibe. Eine Einführung in die Physiognomik. 2. Aufl. Berlin 1997, aber schon im Werk: De coniectandis cuiusque Moribus et latitantibus animi affectibus libri X: Opus novi argumenti et incomparabile de Scipio Claramontius Caesenatis, cur. Hermannus Conringius. Helmstedt 1665, ihre gründlichste Erörterung gefunden hatte. Es lohnt sich sicherlich zu bemerken, daß nicht nur noch einmal Hermann Conring dabei tätig war, sondern auch, daß der „Claramontius" kein anderer als Scipione Chiaramonti, einer der wichtigsten Vertreter der italienischen „Ragion di Stato" (mit seinem Werk: Della Ragione di Stato. Florenz 1635), war. Dazu schon der wichtigste italienische Historiker der Staatsräson Rodolfo de Mattei, Scipione Chiaramonti e la varietà della ,Ragion di Stato', in: Il problema della Ragion di Stato nell'età della Controriforma. Mailand/Neapel 1979, und darüber hinaus Gino Benzeni, Art. „Chiaramonti, Scipione", in: Dizionario Biografico degli Italiani. Voi. 24. Rom 1980, 541-549. 20 Abgesehen von den Prämissen eines Lodovico Guicciardini und eines Monsignor Della Casa veröffentlichte Giovanni Botero schon 1589 das erste wichtige Buch mit diesem Titel, in dem die Verbindungen zu Machiavelli - unwichtig ob passend oder unpassend ganz offensichtlich sind. Über die Thematik der Staatsräson im deutschen Raum vgl. Roman Schnur (Hrsg.), Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs. Berlin 1975; Michael Stolleis, ,Arcana imperii' und .Ratio status'. Bemerkungen zur Staatstheorie des frühen 17. Jahrhunderts. (Veröffentlichungen der Joachim JungiusGesellschaft der Wissenschaften Hamburg, Nr. 39.) Göttingen 1980; Herfried Münkler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsräson in der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1987. 21 Nach Stolleis, der ausdrücklich von einer „Rezeption der ,welschen' Ragion di Stato" spricht, gibt es eine unmittelbare Konsequenz zwischen der deutschen Rezeption der bei-

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Die Krise des Reichs und der Beginn der Reformation gehören zu den Voraussetzungen des Konfessionalisierungsprozesses, der die Geschichte der Neuzeit bestimmt hat. Von diesem Kontext ausgehend hat schon Hubert Jedin die Meinung von Traiano Boccalini widerlegt, die aus der lutherischen Reformation hervorgegangene Staatsräson habe vor allem innerliche Qualität besessen. Dadurch gelang es Jedin, die Reformation selbst auf eine überwiegend politische Frage zurückzuführen, fast ohne „Gründe" theologischer oder religiöser Art. 22 Abgesehen davon, ob Jedin Recht hatte oder nicht, bleibt die Tatsache bestehen, daß ein Zeitgenosse wie Boccalini eine derartige These als plausibel darstellen konnte. Die deutsche Aufnahme der Staatsräsonlehre war keineswegs nur negativer und abwertender Art (wie es im Grunde die Haltung von Boccalini selbst war). Reinking zum Beispiel klagte die täuschende Natur der Staatsräson (wirkliche und eigentliche „Betrieg-Kunst") an, übersetzt aber 1653 ihre Substanz in ein Büchlein mit dem Titel „Biblische Policey". Schon früher hatte Besold unter dem Einfluß von Settala und Ammirato die arcana behandelt. Noch interessanter scheint die Wendung zu sein, die das Problem der Staatsräson durch die lateinische Übersetzung in ratio status von Chemnitz über Textor zu Pufendorf erhalten konnte.23 Pufendorf war eher ein Berater der Fürsten als ein in seinem Elfenbeinturm eingeschlossener Theoretiker. Er gab lieber Ratschläge, anstatt abstrakte Theorien zu formulieren; seine Wirkungsstätten waren Heidelberg, Stockholm und Berlin, also die Hauptsitze der neuen nordeuropäischen Politik. Damit war er den Interessen der Staaten näher als dem Recht der Völker.24 Ein zentraler Punkt, um seinen Gedankengang über die Staatsräson zu begreifen, scheint der von ihm formulierte Unterschied zwischen „regulären" und „irregulären" Staaten zu sein. Tatsächlich entsteht damit eine neue Erklärung der verschiedenen Staatsformen, die gegen die alte aristotelisch-mittelalterliche ausgespielt wird, indem in ihr der Ausnahmefall eingeführt wird. Das rührte von der Sorge her, die Pufendorf für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation empfand (weder.heilig noch römisch noch ein Reich hätte Voltaire kurze Zeit später gesagt) und bestätigte lediglich die lockere den Begriffe „Staatsräson" (1602) und „Souveränität" (1609): Michael Stolleis, Die Idee des souveränen Staates (wie Anm. 1), 77. 22 Hubert Jedin, Religion und Staatsräson. Ein Dialog Trajano Boccalinis über die deutsche Glaubensspaltung, in: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 53, 1933, 304—319. 23 Pasquale Pasquino, Polizia celeste e polizia terrena. D. Reinkingk e V. L. von Seckendorf^ in: Annali dell'istituto storico italo-germanico in Trento 8, 1982, 325-355. 24 Seine Einleitung zu der Historie der Vornehmsten Reiche und Staaten, so itziger Zeit in Europa sich befinden. Frankfurt am Mayn 1682-1685, spiegelt die ersten dokumentarischen und statistischen Anliegen der italienischen Staatsräson bereits im 16. Jahrhundert (von einem Beccadelli oder einem Guicciardini beispielsweise) wider.

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Haltung unseres Autors gegenüber der Lehre von der Staatsräson. Für ihn handelte es sich nur darum, ein seltsames historisches Phänomen zu begreifen und damit zurechtzukommen, indem man es mit neu auftretenden Interessen zusammenfügte. Solche neu auftretenden Interessen waren gerade die „Staats"-Interessen. Deswegen brauchen wir nicht zu staunen, wenn Pufendorf das Heilige Römische Reich für „seine" Territorialfürsten als einen echten „Staatenbund" (foederatorum aliquod systemä) interpretierte. Entsprechend betonen die neuesten Studien den Beitrag, den Pufendorf zur Konstruktion einer nicht mehr allgemeinen und einheitlichen Theorie der Staatsräson leistete, einer Staatsräson mit vielen Varianten, die den Staaten und ihren verschiedenen Interessen gleichmäßig zur Verfügung stand. 25 6. Pufendorfs Position stimmt mit der allgemeinen Behandlung der Staatsräson im deutschen Sprachraum des 17. Jahrhunderts überein, die mehr von konjunkturellem als von strukturellem Interesse bestimmt war in Verbindung mit den Ergebnissen des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens. In diesem experimentellen Sinne kann die alte Meinung von Joseph Schumpeter bestätigt werden, nach der Pufendorf den Weg zu einer eigenen „politischen Wissenschaft" der Territorialstaaten eröffnet habe - einer „Wissenschaft", die nichts anderes war als die entstehende „Policeywissenschaft" in ihrer umfassenden inneren Zusammensetzung aus Regeln, die die neuesten und dringendsten Aspekte des staatlichen Lebens steuern konnten, von den wirtschaftlichen zu den finanziellen und administrativen; ein Bündel von Techniken, die mehr als ein Jahrhundert lang in der deutschen Kameralistik vereint blieben, um den konkreten Fragen der entstehenden neuen Politik einheitliche Lösungen aus dem Blickwinkel des Staates zu geben. Mit den neuen Lehrstühlen für „Cameral-wissenschaft" in Halle und Frankfurt an der Oder (1727) und der entsprechenden Einführung von „echten Cameralisten" in die neuen Organe der preußischen Verwaltung (Generaldirektorium) 26 fand die Zeit der Deutschen Staatsräson ein vernünftiges Ende aufgrund der systematischen Erforschung von Mitteln und Methode, die geeignet wären, das gegensätzliche Verhältnis zwischen Untertanen und Fürsten zu legitimieren. 27

25

Alain Dufour, Fédéralisme et Raison d'État dans la pensée politique pufendorfienne, in: Vanda Fiorillo (Ed.), Samuel Pufendorf (wie Anm. 5), 107-138. 26 Pierangelo Schiera, Dall'arte di governo alle scienze dello Stato. Il cameralismo e l'assolutismo tedesco. (Archivo dello Fondatione Italiana per la Storia Amministrativa, Collana 1; Monografie, ricerche ausiliarie, opere strumentali, Voi. 8.) Mailand 1968. 27 Über die praktische Prägung des deutschen politischen Denkens der Neuzeit siehe längst vor den jüngsten allzu theoretischen und abstrakten Überlegungen über die Blüte der praktischen Philosophie im 18. Jahrhundert Wilhelm Hennis, Zum Problem der deutschen Staatsanschauung, in: VfZ 7, 1959, 1-23, und Hans Maier, Ältere deutsche politische Staatslehre und westliche politische Tradition. (Recht und Staat in Geschichte und Gegenw a r t , H . 3 2 1 . ) T ü b i n g e n 196«·

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In diesem Rahmen ist auch das Werk von Christian Thomasius zu sehen, der von Leipzig nach Halle berufen wurde, um die „staatliche" Richtung zu unterstützen, die der preußische Herrscher der neuen, im pietistischen Umfeld gegründeten Universität aufprägen wollte, um das doppelte Ziel einer „Säkularisierung" der Politik gegen den wachsenden Einfluß der lutherischen Theologie und einer „Technisierung" der politischen Aufgaben zu verfolgen. 28 Wie gerade Thomasius' Philosophie zeigt, wurden dabei auch Kernaspekte der Figur des Untertans berührt, dem im Mechanismus der Herrschaft eine immer zentralere Rolle zuwuchs. Durch seine Rechte (zur Glückseligkeit) und seine Pflichten (zur Steuerzahlung) wurde aus dem Untertan ein neuer Protagonist der Politik, der sich bald als Staatsbürger profilieren konnte.29 7. Das hatte selbstverständlich auch mit dem Ausbau einer neuen Gesellschaft zu tun, der, wie skizziert, Thomasius selbst den Namen einer „bürgerlichen Gesellschaft" gab. 30 Sie bestand aus Gruppen und Individuen, die neue Ziele und neue Mittel verfolgten, um nach sozialen Regeln zu leben. Solche Regeln suchten sie in der Vernunft, woraus sich wissenschaftliche Forschung entwickelte.31 In diesen Prozeß war auch die Melancholie einbezogen, jene „GemüthsUnruhe", die bei Thomasius eine zentrale Rolle für die Entstehung der Gesell-

28

Notker Hammerstein (Hrsg.), Universitäten und Aufklärung. (Das achtzehnte Jahrhundert, Suppl.-Bd. 3.) Göttingen 1996. 29 Trotz ihrer sehr begrenzten Bedeutung als einfacher Dissertation und ihrer sehr scholastischen Komposition sei auch die Schrift Christian Thomasius, In Academia Fridericiana Celeberrimi Autoris De ratione Status Dissertationem. Magdeburg 1693, erwähnt. Für eine Einbettung des Thomasius in die gesamte soziokulturelle Fragestellung der Zeit vgl. Wilhelm Rudolf Jaitner, Thomasius, Rüdiger, Hoffmann und Crusius. Studien zur Menschenkunde und Theorie der Lebensführung im 18. Jahrhundert. Bleicherode 1939; Ernst Bloch, Christian Thomasius, ein deutscher Gelehrter ohne Misere, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 2, 1952/53, 3 3 9 - 3 5 2 ; Werner Schneiders, Naturrecht und Liebesethik. Zur Geschichte der praktischen Philosophie im Hinblick auf Christian Thomasius. (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Bd. 3.) Hildesheim/ New York 1971; Hans-Jürgen Schings, Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1977. 30 Vgl. Anm. 12. 31 Vgl. Anm. 19. Darüber hinaus betont Hans-Jürgen Schings, Melancholie und Aufklärung (wie Anm. 29), 26 ff., das „wissenschaftliche" Interesse des Thomasius für eine systematisch erlernbare Technik der Menschenbeherrschung: ein „[...] Laster- bzw. Passionenschema, kombiniert mit der alten Temperamentenquadriga, bietet sich als Raster und Ordnungsschema an [...]". Vgl. Christian Thomasius, Die neue Erfindung einer wohlgegründeten und für das gemeine Wesen höchstnötigen Wissenschaft Das Verborgene des Herzens anderer Menschen auch wider ihren Willen aus der täglichen Konversation zu erkennen, in: Fritz Brüggemann (Hrsg.), Aus der Frühzeit der deutschen Aufklärung. Christian Thomasius und Christian Weise. (Deutsche Literatur, Reihe Aufklärung, Bd. 1.) 3. Aufl. Darmstadt 1966, 6 2 - 7 9 ; ders., Weitere Erleuterung durch unterschiedene Exempel des ohnlängst gethanen Vorschlags wegen der neuen Wissenschaft Anderer Mcnaohen Gemühter erkennen zu lernen. 4. Aufl. Halle 1711.

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schaft spielte. 32 „La sagesse et la folie sont fort voisines. Il n'y a qu'un demy tour de l'une à l'autre [...] La philosophie nous apprend que la melancholie est propre à tous les deux. De quoy se fait la subtile folie, que de la plus subtile sagesse?" Das sind Worte, die Pierre Charron 1601 in seiner Schrift „De la sagesse" benutzt, um das mittelalterliche kulturelle Element der Preud'hommie zu säkularisieren und es der modernen Honnêteté gleichzustellen. Die Weisheit, die daraus resultiert, wird ikonographisch durch einen Tugendspiegel dargestellt: einen Spiegel jener Tugend, die mit soliden Ketten versucht, nicht nur die Leidenschaft und den Aberglauben, sondern auch die öffentliche Meinung und die künstliche und arrogante Wissenschaft zu disziplinieren. Und die Ketten gehen in unserer Ikone von einem Würfel aus, auf dem die Sagesse-Sapientia aufrecht steht, in offensichtlicher Auseinandersetzung mit der Kugel, die das Emblem und zugleich der bewegliche Berührungspunkt der Fortuna in der melancholischen Renaissance war.33 Der Zusammenhang Disziplin-Melancholie scheint mir zentral für das Verständnis der Moderne zu sein 34 , und zwar in Richtung jener normierten und technisch geregelten Politik, von der bisher die Rede war. Bis jetzt haben wir die Linien des Sozialen (durch die Verwandlung der Techniken tugendhaften Benehmens) sowie der Staatlichkeit (durch unterschiedliche Aspekte der Staatsräson) verfolgt. In beiden Fällen haben wir eine Art europäischer Zirkulation wahrnehmen können, die auch als eine Transition von der Renaissance des Mittelmeerraums bis zur nordeuropäischen Reformation pointiert werden 32 Vgl. Christian Thomasius, Von der Artzeney (wie Anm. 12), 21: „Die Gemüths-Unruhe ist ein unruhiges Mißvergnügen des Menschen, welches darinnen besteht, daß der Mensch bald Schmerzen bald Freude über etwas empfindet, und in diesem Zustande sich mit andern Creaturen, die gleichfalls keiner Gemiithes-Ruhe fähig sind, noch dieselbige verschaffen können, zu vereinigen trachtet." Es soll auch bemerkt werden, daß Thomasius 1692 in seiner Einleitung in die Sittenlehre sagt: „Das Glück ist die von der Melancholie weit geschiedene, wahre Gemüthsruhe", zit. nach Wolfgang Weber, Im Kampf mit Saturn. Zur Bedeutung der Melancholie im anthropologischen Modernisierungsprozeß des 16. und 17. Jahrhunderts, in: ZHF 17,1990, 155-192, hier 186. Wahrscheinlich entspricht das alles der Auseinandersetzung zwischen Melancholie und Disziplin, s. Giorgia Alessi, Discipline. I nuovi orizzonti del disciplinamento sociale, in: Storica 2, 1996, 7-37. 33 Pierre Charron, De la sagesse. 3 Vols. Bordeaux 1601, Ndr. Paris 1986. Für die Neuauflage des Buches verfaßte Charron 1603 eine neue lange Einleitung, die bald unter dem Titel „Petit traité de la sagesse" erschien; vgl. die Einführung von Gianpierro Stabile, in: Pierre Charron, Piccolo trattato sulla saggezza. Neapel 1985. 34 Pierangelo Schiera, Melanconia e disciplina: considerazioni preliminari su una coppia di concetti all'alba dell'età moderna, in: Silvia Rota Ghibaudi/Franco Barcia (Eds.), Studi politici in onore di Luigi Firpo. Vol. 1. (Collana „Gioele Solari", Voi. 8/1.) Mailand 1990; ders., Melancolía e disciplina. Riflessioni critiche, in: Bio-Logica 4, 1990; ders., Schrift(lichkeit) und Melancholie als mögliche Legitimationsfaktoren moderner Politik, in: Theo Stammen/Hanna Gerl-Falkovitz (Hrsg.), Politik - Bildung - Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag. Paderborn/München/Wien/Zürich 1996, 129-151; ders., Melancolía y Derecho. La confrontación entre individuo y disciplina a favor del ordinamento, in: Carlos Petit (Ed.), Pasiones del Jurista. Amor, memoria, melancolía, imaginación. Madrid 1997, 115-160.

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könnte. Gewiß nicht zufällig haben wir Thomasius an der Kreuzung dieser Wege schon gefunden. Gilt dies auch für die Melancholie? Keine Kultur hat in der Neuzeit dieses Thema so intensiv gepflegt wie die deutsche; dennoch besteht kein Zweifel an seiner italienischen Herkunft. 35 Doch interessiert uns hier die anschließende Entwicklung der Problematik, die von einer negativen Vision des menschlichen Daseins gekennzeichnet wurde im Sinne eines Schwäche- aber zugleich eines Verantwortungszustands gegenüber der sozialen Pflicht (oder Notwendigkeit) des (geregelten) Zusammenlebens. Neben Luthers aus der christlich-abendländischen Tradition stammenden Anklage der Melancholie als balneum diaboli gewann letztere neue Bedeutungen, die mit dem Wissen zusammenhing, daß der Mensch für das soziale Leben ungeeignet ist und mit dem Wissen über den Preis, den der moderne Staat von seinen Mitgliedern fordert. Meines Erachtens entsprach all dies in Deutschland der schon erwähnten Pflichtenlehre36, auf der die deutsche Variante des Naturrechts hauptsächlich beruhte, während in England Hobbes' „Leviathan" die politische Antwort auf die English Malady - jenes Haupthindernis für die Erfüllung des Gentleman-Ideals - war.37 Nach der Reprise der „lebendigen" und „einzigartigen" Ficinus-Melancholie aus dem mittelmeerischen Raum hatte das Thema in ganz Europa eine von der Medizin bis zur Theologie, von der Philosophie bis zur Rechtswissenschaft verbreitete Aufmerksamkeit gewonnen. Ihr gemeinsamer Nenner war das Interesse für das menschliche Handeln, sowohl was seine Begründung betraf, als auch was die Suche nach den praktischen Mitteln für seine Verwirklichung anging. Humor, Affekt, Charakter, Temperament waren Begriffe, die an der Grenze von Melancholie und Disziplin lagen. Sie wurden verantwortlich für den Aufstieg und die Konsolidierung der temperantia über die mittelalterliche Hierarchie der Kardinaltugenden hinaus und bildeten gleichzeitig eine wichtige Basis für die mit der Entstehung des modernen Staats eng verbundene Moralphilosophie.38

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Raymond Klibansky/Erwin Panofsky/Fritz Saxl, Saturn and Melancholy. Studies in the History of Natural Philosophy, Religion and Art. London 1964. Deutsch: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Frankfurt am Main 1992. 36 Vgl. Anm. 5. 37 Lawrence Babb, The Elizabethan Malady: a Study of Melancholia in English Literature from 1580 to 1642. East Lansing 1951. Dessen Hauptquelle ist selbstverständlich Richard Burton, The Anatomy of Melancholy (by Democritus Junior). Oxford 1621. Über Hobbes' Beziehung zu Melancholie vgl. Pierangelo Schiera, Hobbes e la melancolía. Con qualche considerazione sull'origine del moderno, in: Studi in onore di Fulvio Tessitore. (La città nuova, Quaderni, Voi. 5.) Neapel 1999. 38 Lynn White jr., The Iconography of,'Temperantia' and the Virtuousness of Technology, in: Theodore K. Rabb/Jerrold E. Seigel (Eds.), Action and Conviction in Early Modern

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8. Das Thema erfuhr in Deutschland eine überwiegende medizinische Behandlung in Form der Hypochondrie 39 , die aber bald eine juristische Erweiterung aufgrund der Frage nach der Handlungsfähigkeit der Subjekte erfuhr. Das hatte zum Beispiel wichtige Auswirkungen für die Fälle der „Hexenverfolgung" und für das neue Fach der „Gerichtsmedizin". 40 Uns interessiert besonders der Beitrag von zwei Politikwissenschaftlern, Hermann Conring und Christian Thomasius. Der erste, medicus excellens et singularis, obwohl sicherlich viel bekannter als juristischer Kommentator und politischer Ratgeber der größten Fürsten seiner Zeit, gab 1669 das Werk „De Hermetica Medicina" heraus, in dem er die Begründung für eine empirische und experimentelle Medizin lieferte und ihr einen zentralen Platz innerhalb der sapientia im naturwissenschaftlichen Sinne zuwies. Dementsprechend betreute er an der Universität Helmstedt zwei Dissertationen über melancholia und morbus hypochondriacus, in denen der Zusammenhang zwischen der individuellen und der sozialen Dimension der beiden Krankheiten verdeutlicht wurde. 41 Theoretisch bedeutender war der Beitrag von Christian Thomasius, der 1732 eine Dissertation von Bartholomeus Johannes Sperlette du Montguyon „De praesumptione furoris atque dementiae" diskutierte. Es handelte sich um eine juristische Dissertation auf den Spuren von Zacchia, der ebenfalls wiederholt zitiert wurde. In ihr wird ein ausführlicher Überblick über die unterschiedlichen Meinungen zur Melancholie gegeben, verbunden mit der Kritik an vielen assertiones doctorum, unter ihnen besonders die berühmte aristotelische Frage nach der melancholicorum sapientia. Thomasius scheint an dem philosophischen Blickwinkel nicht interessiert gewesen zu sein und geht so Europe. Essays in Memory of Ε. H. Harbison. Princeton 1969, 197-219. Für die Moralphilosophie vgl. oben Anm. 6. 39 Schon 1620 hatte Henning Arnisaeus in Helmstedt eine „aristotelisch" konzipierte Dissertation mit dem Titel „De Melancholia hypochondriaca" gehalten (Respondens Christianus Schutze). Wie bei Hermann Conring (s. u. Anm. 41) wurde in Helmstedt die Verbindung zwischen Medizin und Politik sehr ernst genommen, in einer Tradition, die bald auch Thomasius selbst erreichen und einbeziehen wird; W. Jackson Stanley, Melancholia and the Waning of the Humoral Theory, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 33, 1978, 367-376. 40 Vgl. Esther Fischer-Homberger, Medizin vor Gericht. Gerichtsmedizin von der Renaissance bis zur Aufklärung. Mit 70 illustrierten Fallbeispielen zusammengestellt von Cécile Emst. Bem/Stuttgart/Wien 1983. Auch in diesem Gebiet war wieder ein Italiener, Paolo Zacchia, der Pionier, indem er 1621 mit der Veröffentlichung seiner „Quaestiones medicolegales, in quibus eae materiae medicae, quae ad legales facultates videntur pertinere, proponuntur, pertractantur, resolvuntur" begann (Rom 1621-1650). Vgl. Pierangelo Schiera, Aspekte der Sozialdisziplinierung in der italienischen Rechtstheorie und -praxis des 17. Jahrhunderts, in: Dieter Simon (Hrsg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, Frankfurt am Main, 22. bis 26. September 1986. (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 30.) Frankfurt am Main 1987, 341-558. 41 Hermannus C™~r,gius, Disputano medica inauguralis de Melancholia, Respondens Nifco/-»» Ou Mont. Helmstedt 1659; De Morbo Hypochondriaco, Respondens Johannes Henricus Berchtfeld. Helmstedt 1662.

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weit zu behaupten, daß die modernen Mediziner besonders nach Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs die schwarze Galle belächeln. 42 Fast dreht er das aristotelische Paradigma der melancholischen Genialität um, indem er zwar nicht verneint, daß die Melancholiker oft von hervorragender Intelligenz sind, dies aber eher der stultitia zuschreibt als der sapientia. Der Schluß verwundert noch heute: Die Menschen werden als „stulti [...] ergo et melancholici" geboren, und als Heilmittel dafür gilt wiederum die prudential 9. Damit sind wir wieder zu unserem Anfangspunkt zurückgekehrt und können dabei bleiben. Auch aus der Perspektive der atrabilis liegt das Schicksal der Menschen nach Thomasius in ihren eigenen Händen, so daß sie nur durch Applikation und Intelligenz gegen ihre angeborenen Schwächen wirken können. Für ihn ist das Angeborene nicht mehr die Tugend, sondern das Böse. Aber mit Hilfe von Geselligkeit und Politik können die Menschen um ihre materielle Glückseligkeit kämpfen. 44 Thomasius war nicht der erste, der einen solchen Weg gegangen ist, er konnte aber unterschiedliche Fäden zusammenfügen, die durch ihn nun ein gewisses Gewebe, ein Muster erhielten. Wir befinden uns hier schon innerhalb der Aufklärung, und in England oder in Frankreich waren die Dinge noch weiter. Die Neuheiten bei Thomasius beruhen keinesfalls auf Diskontinuitäten; sie waren vielmehr Ausdruck einer Reformkultur, also der pragmatischen Anpassung der Lehre an die „natürlichen" Bewegungen der Gesellschaft und des Staates. Damit hing auch die Durchsetzung von Fächern zusammen, die

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Auch für Thomasius spielt die Melancholie eine wichtige Rolle in der Beziehung zwischen Medizin und Politik, weil sie das menschliche Handeln rechtlich entgleisen lassen kann mit großen Folgen für die Frage der Verantwortung. Dies ist besonders gefahrlich, denn die Melancholie kann höchst simulativ sein („Praesertim melancholia ille morbus est, qui saepissime simulatione subjacet [...]", in: Michael Alberti, De Melancholia vera et simulata, Respondens G. H. Graebnerus. Halle 1743). Auf derselben Linie steht auch Christian Wolff, der in seiner Philosophie practica universalis, methodo scientifico pertractata. Frankfurt am Main/Leipzig 1738, 422 unter § 574: Actiones ex melancholia commissae imputan nequeunt, schreibt: „Etenim in melancholia depravali ratiocinationem in confesso est apud omnes, ut ideo pro specie delirii habeatur [...]". Über die methodischen Fragen der Beziehung zwischen Medizin und Recht vgl. Maximilian Herberger, Dogmatik. Zur Geschichte von Begriff und Methode in Medizin und Jurisprudenz. (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 12.) Frankfurt am Main 1981. 43 Der Beitrag des Thomasius zur Melancholielehre seiner Zeit besteht nicht zuletzt in seiner wichtigen Einleitung zu: Michael Alberti, Systema j u r i s p r u d e n c e medicae, quo casus forenses, a ictis et medicis decidendi, explicatur in partem dogmaticam et practicum partitum. 5 Vols. Halle/Fulda/Leipzig/Görlitz 1725-1740. Hier wird Paolo Zacchia als Gründer des neuen Fachs gelobt, es werden aber auch seine Schwächen genannt, vor allem seine Behandlung der Themen furor und dementia, woraus der Schluß gezogen wird: „Similem obscuritatem apud eum occurrerc in doctrina de melancholia". Solche Kritik hatte Thomasius schon in seiner Schrift De PraesumptioneFuroris aiquc Dcinentiae. Haue ιτΐί>, s «uht, wo er S. 42 § 33 schrieb: „Mea sententia de melancholicorum sapientia haec est: Homines omnes a nativitate stulti sunt, ergo et melancholici [...]". 44 Gerade in diese Richtung geht das letzte Zitat weiter.

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immer technischer und präziser, also auch spezialisierter wurden, die aber den Weg zum Zeitalter der Wissenschaft im 19. Jahrhundert eröffneten. 4 5 Sind die Ziele des menschlichen Zusammenlebens materiell, so können auch die Mittel zu ihrer Verwirklichung nur materielle sein. Von dieser Herabsetzung des Anspruchs von Wissenschaft hatte Thomasius schon bei dem Anschlag des ersten deutschsprachigen Programms an das „schwarze Brett" der Leipziger Universität ein Beispiel gegeben. 4 6 Daraus wird ein entzauberter, aber zielgerichteter Gebrauch des Wissens für politische Zwecke. Hier liegen die Wurzeln einer neuen Legitimität, die aus dem Kalkül sozialen Handelns besteht, sowohl auf seiten der Untertanen, um die aus der Geselligkeit herrührenden Vorteile zu maximieren, als auch auf seiten des Staates, um die Basis des Konsenses und darüber hinaus der Politik zu verbreitern

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10. Der erste Schritt in diese Richtung war die allmähliche, aber dauerhafte Erfindung (wenn nicht Bildung, Disziplinierung und Zucht 4 8 des Individuums als Statist auf der sozialen Bühne. S o w o h l die Benehmens- als auch die Staatsräson- und Melancholie-Literatur haben dazu grundsätzlich beigetragen. Innerhalb der katholischen mediterranen Welt hatte dies keine wichtige politi45

Pierangelo Schiera, Il laboratorio borghese. Scienza e politica nella Germania dell'Ottocento. (Istituto Storico Italo-Germanico [Trento], Monografia 5.) Bologna 1987. Deutsch: Laboratorium der bürgerlichen Welt. Deutsche Wissenschaft im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1992. 46 Im Neudruck seiner Schrift über Gracian, in: Christian Thomasens Allerhand bissher publicirte Kleine Teutsche Schrifften. Mit Fleiss colligiret und zusammen getragen; Nebst etlichen Beylagen und einer Vorrede. Halle 1701, 73, erinnert Thomasius an den Skandal, den seine „Teutschen programma" 1697 in Leipzig hervorriefen, fügt aber auch hinzu, daß einige es als sehr kühn empfanden „[...] daß ein junger Mann von etwa dreyssig Jahren, und zumal der nicht gereist hatte, sich unterstünde, über geheimnisse der staats-Sachen [...] zu lesen, und die allergrößte Hoff-Politic als eine Schul-Wissenschaft tractiren wollte". 47 Meiner Meinung nach steht die Prämisse der Legitimität seit dem Hohen Mittelalter am Anfang des politischen Kurses in Europa, vgl. Pierangelo Schiera, Legittimità, disciplina, istituzioni: tre presupposti per la nascita dello Stato moderno, in: Giorgio Chittolini/ Anthony Molho/Pierangelo Schiera (Eds.), Origini dello Stato. Processi di formazione statale in Italia fra medioevo ed età moderna (Annali dell'Istituto storico italo-germanico, Quaderno 39.) Bologna 1994 (engl. Übers, ed. by Julius Kirshner, Chicago 1995). Wie tief die reformerische Kultur des Kalküls in der deutschen Tradition der Polizeiwissenschaft noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingebaut war, kann beispielsweise aus den Werken des österreichischen Kameralisten Joseph von Sonnenfels abgeleitet werden: Summaria istitutionum politicarum adumbratio. Excerpta e Princípiis politiae, commerciorum et rei aerariae celeberrimi Iosephi a Sonnenfels. Buda 1808, wo § 20 die Species usitatiores calculi politici behandelt. 48

Pierangelo Schiera, Lo Stato moderno e il rapporto disciplinamento-legittimazione, in: Problemi del socialismo 5, 1986, 111-135; Heinz Schilling (Hrsg.), Kirchenzucht und c^;„Misziplinierung im fiuhncuieitlichen Europa. (ZHF, Beih. 16.) Berlin 1994; Paolo Prodi (Ed.), Disciplina dell'anima, disciplina del corpo e disciplina della società tra medioevo ed età moderna. (Annali dell'Istituto storico italo-germanico, Quaderno 40 ) Bologna 1994.

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sehe Folge, weil die Trennung von Religion und Politik dort keinen Raum mehr für die politische Verantwortung des Menschen ließ.49 Das Gegenteil passierte in der konfessionalisierten Welt Nordeuropas, in der die Beziehung zwischen Religion und Staat, sowohl im protestantischen als auch im katholischen Feld so eng blieb, daß der Untertan seine Verantwortung noch intensiver als früher ausüben mußte, wenngleich unter dem Mantel aus Ethik, Moralphilosophie oder Sittenlehre, in dem sich das tiefe Problem der unvollendeten Säkularisation des politischen Handelns sehr wohl verstecken konnte.50 Es ist also kaum erstaunlich, daß die zumeist literarischen Spuren des Cortegiano, des Principe und der malinconia eine besondere Kombination auf deutschem Boden finden konnten, die sich in der Theorie und Praxis des „Policey-Staates" einerseits und des Staatsbürgers andererseits verkörperte.51 Ich habe diese Kombination im Titel meines Aufsatzes als „Teufelskreis" bezeichnet. Das sollte ursprünglich ein Scherz sein. Inzwischen bin ich der Überzeugung, daß jene Kombination in Deutschland eine Basis fand, die viel angemessener und produktiver war als zum Beispiel in England oder in Frankreich, um von den mediterranen Ländern zu schweigen. Die Figur des Christian Thomasius hat mich in diesem Kontext sehr beeindruckt, weil die Bestätigung meiner These bei ihm so augenfällig ist, daß er als gemeinsamer Nenner eines umfassenden Prozesses gelten kann. 52 Mein Verweilen bei ihm mag übertrieben scheinen, aufgrund dieser Zufälligkeit wurde es aber möglich, eine Variante des politischen Denkens der Neuzeit zu entdecken, die gleichzeitig den Wechsel vom südeuropäischen zum nordeuropäischen Paradigma erklären könnte ebenso wie die entsprechende Vertiefung der Verbindung von privaten und öffentlichen Zielen und Rollen. Ich habe dies einen „Teufelskreis" genannt, weil die drei Spuren der mediterranen politischen Renaissance bei ihrer Rezeption in Nordeuropa häufig negativ dargestellt wurden. Aber dadurch traten die drei Punkte des Benehmens, der Staatsräson und der Melancholie zu einem Kreis zusammen, der in der herkömmlichen Tradition noch nicht existierte; und dieser Kreis funktionierte und hatte Folgen, sowohl in der Praxis als auch in der Theorie des poli49

Paolo Prodi/Luigi Sartori (Eds.), Cristianesimo e potere. (Pubblicazioni dell'Istituto di Scienze Religiose [Trento], Voi. 10.) Bologna 1986. 50 Max Weber, Die protestantische Ethik und der ,Geist' des Kapitalismus. Textausgabe aufgrund der 1. Fassung von 1904/05 mit einem Verzeichnis der wichtigsten Zusätze und Veränderungen aus der 2. Fassung von 1920. Hrsg. u. eingel. v. Klaus Lichtblau. Bodenheim 1993. 51 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800. München 1988. 52 In meinem Buch: Dall'arte di governo alle scienze dello Stato (wie Anm. 26) hatte ich Christian Thomasius in einer traditionelleren Weise präsentiert, obwohl er schon damals in der ganzen Praktizität seines Denkens in Verbindung mit den kameralistischen Lehren dargestellt wurde.

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tischen Handelns. Er berührte die äußere Organisation der Gewalt genauso wie die innere Disposition der Individuen. Es handelte sich um eine Entwicklung, die die Dichte des politischen Handelns vermehrte und die es vermochte, entsprechende Organe und Mittel zu schaffen, um auf die neuen Bedürfnisse eine Antwort zu geben. Ethik und Kodifizierung waren die größten Resultate der Aufklärung in diese Richtung, beide in Verbindung mit einer stark laisierten Vernunft.53 Die neue Mischung von privaten Interessen und öffentlichen Verpflichtungen, die daraus entstand, ist ein wichtiges Zeichen der Modernisierung gewesen, durch die das Zeitalter der Revolution und Konstitution bestimmt wurde.54

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Vom alten Werk von Giovanni Torello, Storia della cultura politica moderna. Assolutismo e codificazione del diritto. Bologna 1976, bis zur neuesten Forschung von Paolo Prodi, Una storia della giustizia. Bologna 2000. 54 Ein Forschungsprojekt an der Humboldt-Universität Berlin über den europäischen Konstitutionalismus im 18. und 19. Jahrhundert nimmt diese Forschungen auf, aus ihm sind bisher drei Tagungen hervorgegangen (1997, 1998 und 2000), s. Martin Kirsch/Pierangelo Schiera (Hrsg.), Denken und Umsetzung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 28.) Berlin 1999.

Die Erfindung des Politikers Bemerkungen zu einem gescheiterten Professionalisierungskonzept der deutschen Politikwissenschaft des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts Von

Wolf gang E. J. Weber I. Einleitung Seit einigen Jahren ist in den meisten parlamentarischen Demokratien eine öffentliche Debatte im Gange, in der es im allgemeinen um die Erfordernisse und Chancen einer Anpassung des politischen Systems an den beschleunigten ökonomisch-sozialen Wandel, im besonderen aber um die Frage nach der Legitimität und Leistungsfähigkeit professioneller Politik geht. Diese Frage wird zudem nicht nur nachdrücklicher denn je gestellt, sondern vielfach auch in bislang kaum gekannter Schärfe negativ beantwortet. Bereits die Prämisse, daß die Komplexität industriegesellschaftlicher Politik unabdingbar die Aneignung entsprechenden Expertenwissens, politisches Dauerengagement und laufbahnförmigen Bewährungsaufstieg, mithin die Übertragung des politischen Geschäftes an eine spezifisch dazu qualifizierte, eigene Profession erfordere, wird zunehmend bestritten. Noch heftigere Ablehnung erfahren bestimmte empirische Erscheinungsformen professionellen Politikertums. Grundlage der Kritik ist vor allem die Überzeugung, daß Professionalisierung unweigerlich Elitenbildung bedeute, die auf diese Weise entstandenen Eliten sich unvermeidlich nach unten abschlössen, dadurch die eigentlichen Bedürfnisse der Bürger nicht mehr wahrnähmen und somit ebenso unweigerlich entsprechende politische Fehlleistungen produzierten. Als Alternative gilt im wesentlichen die Ersetzung derartiger ,zentristischer' „Politiker-Politik" durch dezentrale, im .eigentlichen' Sinne kommunale Politik einer selbstbewußten, engagierten Zivilgesellschaft, die sich über ihre Bedürfnisse und Notwendigkeiten in einem fortwährenden .reflexiven Diskurs' Klarheit verschafft. 1 1 Ulrich Beck, Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt am Main 1993, bes. 204-248, hier 17; für Kritik an den gegenwärtigen politischen Eliten Deutschlands vgl. exemplarisch die zahlreichen Stellungnahmen des Speyerer Verwaltungswissenschaftlers Hans Herbert von Arnim, zuletzt ders., Der Staat als Beute.

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Fundamentale Kritik professioneller Kompetenzaneignung, Professionalisierung als Elitenbildung, tendenzielle Enteignung eines politischen Souveräns durch professionelle politische Eliten - diese gewichtigen Elemente der gegenwärtigen Debatte sollten einer um historisch-kritische Orientierungsleistungen bemühten Frühneuzeitforschung Gründe genug sein, auch in ihrem Arbeitsbereich nach entsprechenden Problemkonstellationen und Verarbeitungsformen Ausschau zu halten. Die historische Grundvoraussetzung dazu ist ja gegeben. Wesentlich in die Frühe Neuzeit, konkret das 16. und 17. Jahrhundert, fällt mit der Entstehung des frühmodernen Staates bekanntermaßen auch die Entwicklung professionellen Politikertums in Gestalt neuer politisch-juristisch-administrativer Staatsbetreibereliten.2 Aber auch über diesen Befund der politischen Sozialgeschichte hinaus liegen Anknüpfungspunkte für eine Untersuchung der neuzeitlichen Anfänge professioneller Politik vor. Denn bereits diejenige schmale Studie vom Anfang unseres Jahrhunderts, welche trotz mancher Zeitgebundenheit bis heute als für unser Thema maßgebend zu gelten hat, nimmt auf die Frühe Neuzeit eindeutigen Bezug: Max Webers Vortrag „Politik als B e r u f , entstanden im Revolutionswinter 1918/19.3 Der große Kultursoziologe hob über seine Definition der Verwaltung als routinisierte Herrschaft nicht nur das Mißverständnis auf, praktisch und theoretisch trennscharf zwischen entscheidungsbildender Politik und weisungsgebundener Umsetzung von Politik unterscheiden zu können. Er identifizierte ferner nicht nur den frühneuzeitlichen Rat und Minister, also in seiner Diktion den hohen „Fachbeamten", als frühesten Phänotyp des professionellen Politikers, der Politik zu seinem Lebenserwerb gemacht habe und insofern erstmals genuin von der Politik lebe. Vielmehr formulierte er darüber hinaus erstmals unmißverständlich die Konsequenz professioneller politischer Kompetenzaneignung, nämlich eben die Herausforderung des - in diesem Fall fürstlichen Souveräns. Schon das frühneuzeitliche fürstliche Fachbeamtentum habe kraft seiner überlegenen fachlichen Qualifikation - in einem unaufhörlichen, zumindest „latenten Kampf mit der - eben nicht professionell-qualifikationsWie Politiker in eigener Sache Gesetze machen. München 1993. - Dieser Aufsatz stellt die überarbeitete und ergänzte Fassung eines Vortrags dar, den ich außer in Potsdam auch an den Universitäten Greifswald, Zürich und Dresden halten durfte. Er ist auch als Dank an die Kolleginnen und Kollegen gedacht, denen ich diese Einladungen verdanke. 2 Zuletzt umfassend und mit aller weiterführenden Literatur Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Power Elites and State Building. (The Origins of the Modern State in Europe, Theme D.) Oxford u. a. 1996, und jetzt ders., Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999 u.ö. 3 Max Weber, Politik als Beruf, in: ders., Schriften und Reden. (Max Weber Gesamtausgabe, Abt. l , B d . 17.)Tübingen 1992, 113-252. Die Literatur nimmt auf die Frühe Neuzeit und den hier zur Debatte stehenden Sachverhalt bisher kaum Bezug, vgl. Stefan Breuer, Max Webers Herrschaftssoziologie. (Theorie und Gesellschaft, Bd. 18.) Frankfurt am Main 1993, und jetzt Andreas Anter, Max Webers Theorie des modernen Staates. Herkunft, Struktur und Bedeutung. (Beiträge zur politischen Wissenschaft, Bd. 82.) Berlin 1995.

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mäßig, sondern lediglich durch Geburt und Stand legitimierten - fürstlichen „Selbstherrschaft" gestanden. In diesem steten Kampf sei der Fürst seinen Fachbeamten gegenüber „zunehmend in die Lage eines Dilettanten" geraten und schließlich, ohne daß dieses Ergebnis ausdrücklich formuliert würde, von ihnen überwältigt worden.4 Es ist erstaunlich, daß die Beschreibung dieser für die Entwicklung des modernen Staates mit entscheidenden soziopolitischen Dynamik in der einschlägigen Forschung bis heute kaum systematische Beachtung gefunden hat. Die vorliegenden Beiträge zur Geschichte des Begriffs , Politiker' nehmen entweder den Professionalisierungsaspekt nur am Rande wahr oder setzen die Entstehung professionellen Politikertums erst für die Zeit der Durchsetzung der Massendemokratie an.5 Das in der Problemperspektive verwandte Konzept des Ministerabsolutismus weist ähnliche Beschränkungen auf. Es nimmt zentral nicht das Verhältnis von Minister und Fürsten, sondern von Minister und Untertanen in den Blick. Ferner konzipiert es das letztere - und damit die Frage der fürstlichen Souveränität gegenüber dem .Fachbeamtentum' - wesentlich als je besonders persönliches Verhältnis, also ohne Bezug zur Strukturproblematik der Profession und der professionellen Elite, und nicht zuletzt geht es von einem nur punktuellen, ausnahmsweisen Auftreten dieses historischen Phänomens aus. Auch ein jüngerer französischer Ansatz zur Konzeptualisierung einer eigenständigen Ministergeschichte führt nicht merklich weiter.6 Lediglich Christof Dipper hat im Hinblick auf das Verhältnis von Für4

Weber, Politik als Beruf (wie Anm. 3) 167-169, 177 f. Vgl. Nicolai Rubinstein, The History of the Word politicus in Early-Modem Europe, in: Antony Pagden (Ed.), The Languages of Political Theory in Early Modern Europe. (Ideas in Context, Vol. 4.) Cambridge 1987,41-56 (behandelt nur die Zeit bis ca. 1575); Dietrich Herzog, Art. „Politiker", in: Martin Greiffenhagen/Sylvia Greiffenhagen/Rainer Prätorius (Hrsg.), Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. (Studienbücher zur Sozialwissenschaft, Bd. 45.) Opladen 1981, 308-311; Kerstin Burmeister, Die Professionalisierung der Politik am Beispiel des Berufspolitikers im parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland. (Beiträge zum Parlamentsrecht, Bd. 25.) Berlin 1993. Volker Sellin spricht in seinem grundlegenden Artikel zum Begriffsfeld Politik (Art. „Politik", in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhard Koselleck [Hrsg.], Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 4. Stuttgart 1974, 789-874, hier 807-838) den vorliegenden als entscheidend erachteten Sachverhalt zwar an, weiß aber von der Existenz eines eigenen Quellenbestands bzw. Diskurses noch wenig: Mit dem Substantiv Politicus werde einerseits der politische Autor, andererseits der praktische „Staatsmann" (815) bezeichnet, wobei damit sowohl die Souveräne als auch alle übrigen an der Herrschaft beteiligten Funktionsträger gemeint seien, und zumindest bei Conring diene die Politik als Regierungswissenschaft dazu, die Herrschaftsträger für ihre Herrschaftsaufgaben zu qualifizieren. Helmut Georg Koenigsberger verzichtet in seiner Aufsatzsammlung: Politicians and Virtuosi. Essays in Early Modern History. (History Series, Vol. 45.) London 1986, auf eine nähere Begriffsbestimmung. Die für 1994/95 angekündigte Darstellung von Ulrich Dierse, Die bösen Politiker, ist offenbar noch nicht erschienen. 6 Jean Bérenger, Pour une enquete européenne de la problème du ministériat au XVII 5

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sten und hohen Beamten als Strukturproblem unzweideutige Worte gefunden: „Das Regierungssystem der europäischen Monarchie in der Frühen Neuzeit gleicht einer immer wieder versuchten Emanzipation der Herrscher vom übermächtigen Einfluß ihrer Berater."7 So verwundert kaum, daß der Forschung einschließlich Max Webers auch der gedruckte Niederschlag eines einschlägigen Diskurses schon des ausgehenden 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts fast völlig entgangen ist. Nicht nur eine mit der heutigen Lage verwandte Problemkonstellation war also in dieser Epoche gegeben, es existierte auch ein einschlägiger Diskurs, ein nach Maßgabe seiner besonderen Verhältnisse anderer, aber doch erkennbarer Vorläufer unserer heutigen Debatte. Damit ist die Zielsetzung des vorliegenden Beitrags angedeutet. Skizziert werden sollen in der gebotenen Kürze die Voraussetzungen, Formen, Inhalte und Wirkungen - bzw. Nicht-Wirkungen - eines frühneuzeitlichen Diskurses, der nicht nur vertiefte Aufschlüsse über die Strukturen des politischen Denkens im Europa der Frühen Neuzeit ermöglicht, sondern unter Umständen auch zur Vertiefung der gegenwärtigen Debatte beitragen kann.

II. Ein Quellenbestand: Das Politicus-Schrifttum Möglicherweise schon mit der „Oratio de homine politico ac rebus eundem constituentibus" des Juristen Johann von Koetteritz (Straßburg 1597), definitiv jedoch mit der rund 150 Seiten starken Disputation „Vir politicus" des Soester Patriziersohns und Rostocker Theologen Johannes ab Affelen (Hanau 1599 und Straßburg 1621) verselbständigte sich im akademischen und außerakademischen moralphilosophisch-politiktheoretischen Diskurs des Späthumanismus und des konfessionellen Zeitalters eine Teildebatte, die schon erheblich früher eingesetzt hatte. Diese Teildebatte, in der es um die Konzeptualisierung eines neuen politischen Rollentyps ging, der - wie unten noch zu zeigen sein wird - schon bald professionelle Züge annahm, brachte bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts zumindest rund sechzig einschlägige Drucke hervor, deren Zugehörigkeit und Zusammenhang sich regelmäßig bereits am Titel sowie an den entsprechenden Zitationen und Literaturverweisen belegen läßt.8 siècle, in: Annales 29, 1974, 166-192; vgl. ferner die verstreuten Hinweise bei Ronald G. Asch/Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus - ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550-1700). (Miinstersche Historische Forschungen, Bd. 9.) Köln/Weimar/Wien 1996. Erst nach Abfassung dieses Beitrags ist erschienen Michael Kaiser/Andreas Pecar (Hrsg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit. Berlin 2003. 7 Christof Dipper, Deutsche Geschichte 1648-1789. Frankfurt am Main 1991, 224. 8 Diese Zahlung umfaßt auch umfangreichere unselbständige Titel; sie dürfte noch un-

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Bei den meisten dieser Drucke handelt es sich um artistische und rechtswissenschaftliche Studienabschlußschriften (Dissertationen, Disputationen) in lateinischer Sprache und mit eher begrenztem (20-30 S.) Umfang. 9 Vertreten sind praktisch ausschließlich lutherische und reformierte Universitäten. Beiträge aus katholischer Feder sind nicht nur selten, sondern beziehen sich zumeist auch thematisch einerseits auf ein allgemeineres, andererseits ein spezielleres Verständnis des Politicus.10 Obwohl gerade in der stärksten Publikationsphase - von ca. 1630 bis um 1700 - die lateinische Qualifikationsschrift das Feld nahezu völlig beherrscht, gewinnen daneben und danach außerhalb der Universität entstandene, deutschsprachige Publikationen an Bedeutung. Diese Verschiebung geht, wie noch darzulegen ist, mit einem inhaltlichen Akzentwechsel einher. Die Verfasser der Traktate11 sind erwartungsgemäß überwiegend Universitätsangehörige: Professoren und Examinanden der Politica, der Geschichte oder eines sonstigen philosophisch-philologischen Faches, Professoren und Absolventen der Rechtswissenschaften. Die übrigen Beiträge sind nahezu ausnahmslos von entsprechend ausgebildeten, aber zum Zeitpunkt der Abfassung bereits in fürstlichem, gelegentlich auch adeligem oder städtischem vollständig sein. Eine Veröffentlichung des Verzeichnisses in Form einer kommentierten Bibliographie ist vorgesehen. 9 Beispiele: Georgi Gumpelzhaimeri Dissertatio de politico. Auctior prodit opera et studio Joh. Mich. Moscherosch. Straßburg 1652 [Erstausgabe 1621]; Politicus bonus et malus rotunda descriptione adumbratus [...] sub praesidio [...] Dn. M. Michaelis Eifleri [...] Publico literarum examini subjectus a Christiano Hempelio. Königsberg 1642; Dissertatio de Politici objectoque ejus, circa quod vocatur, natura, sub praesidio Dn. Georgi Conradi Bergli respondente Stanislao a Sbaszyn Sbaskio. Frankfurt an der Oder 1651; Dissertatio De boni politici requisitis; sub praesidio [...] Dn. Michaelis Wendeleri [...] M. Samuel Schelvigius [...] submittit. Wittenberg 1663; Disputatio politica De Characteribus perfecti politici ex universali Aristotelis politica collectis [...] pro loco in Facúltate [...] legitime obtinendo [...] submittit Praeses M. Io. Friedericus Nicolai [...], respondente Johanne Blochberg [...]. Jena 1669; De Politicis empiricis sub praesidio [...] Dn. Eliae Silberradii [...] dissert Johannes Henricus Faber [...]. Straßburg 1712. 10 Vgl. beispielsweise Francesco Piccolomini, Comes politicus. Venedig 1594; Julii Belli Iustinopolitani Hermes politicus sive de peregrinatoria prudentia libri tres. Frankfurt am Main 1608; Alessandro Carreri De potestate Romani Pontificie adversus impíos políticos. Rom 1599; Wilhelm Ignatius Schütz, Reflexiones politico-consolatoriae oder Reiffliche Überlegungen deijenigen Widerwertigkeiten und Unglück, [...] welchen ein Politicus [...] underworffen ist. Frankfurt am Main 1661; Caspar Ens, Nucleaus historico-politicus, e probatissimorum auctorum scriptis excerptus. Köln 1675, sowie Paradisus historicopoliticus. Köln 1656, Johannes a Jesu Maria, Ars gubernandi. Köln 1674, oder Carlo de Grobendonc S.J., De ortu et progressu spiritus politici. Prag 1666. In der Regel handelt es sich also um italienische oder andere Beiträge aus dem außerdeutschen katholischen Raum. Benutzt wird in erster Linie ein normativer Politicus-Begrìff: der wahre christliche (katholische) oder der falsche, ketzerische oder gar atheistische Politiker, daneben gilt als Politiker der an der weltlichen Obrigkeit beteiligte consiliarius oder minister, siehe dazu meine weiteren Ausführungen unten. 11 Ich fasse im folgenden diejenigen Befunde zusammen, die sich aus den mir vorliegenden Werken ergeben.

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Dienst Tätigen geschrieben. 12 Sieht man genauer hin, so verstärkt sich dieser Praxisbezug noch erheblich. Auch die Mehrzahl der als Universitätsangehörige Schreibenden nahm als Mitglied eines fürstlichen Rates, gelegentlicher Ratgeber, Gutachter oder Diplomat am politischen Geschäft teil. 13 Diese Betätigung entspricht den zeitgenössischen Verhältnissen. Gerade die am häufigsten vertretenen Universitäten Straßburg, Heidelberg, Leipzig und Helmstedt fungierten in dieser Periode viel eher als politisch-juristische Denkschmieden, Dienstleistungszentren und Beamtenausbildungsanstalten, waren also stärker Bestandteil des politisch-administrativen Systems ihrer Territorien als autonome Institutionen .internationaler' Gelehrsamkeit. 14 Noch ohne auf die konkreten Inhalte der Drucke Bezug zu nehmen, kann damit vermutet werden, daß hier ein Schriftenbestand vorliegt, in dem sich vorzüglich eine bestimmte soziale Schicht, nämlich eben das im 16. Jahrhundert formierte territoriale Beamtenbürgertum, über seine Wahrnehmungen, Bewertungen, Interessen und Möglichkeiten austauscht. Diese Vermutung wird erhärtet durch die Widmungen und sonstigen sozialen Bezüge der Vorworte und Nachworte: Adressat ist nicht lediglich der jeweilige Landesherr, was bekanntermaßen den allgemeinen Dedikationsgepflogenheiten entsprechen würde, sondern signifikant häufig zusätzlich oder ausschließlich ein oder eine Mehrzahl hoher Beamter. In einigen Fällen scheinen diese Widmungsadressaten das entsprechende Stück direkt in Auftrag gegeben zu haben. Manche Dedikationen erklären ihre Patrone oder Mäzene, zu denen auch maßgeblich Angehörige städtischer Magistrate und Universitätsprofessoren zählen, folgerichtig mehr oder weniger ausdrücklich zur idealen Verkörperung des behandelten Rollentyps Politicus. Auch einschlägige Charakterisierungen und Stilisierungen der gesamten politisch-administrativen Elite fehlen nicht. 15

12 Dies gilt vor allem auch für den frühesten systematischen Beitrag: Jacob Bornitz, Politicus, id est brevis designatio et declaratio artifices, & officii Politici, ubi quid Politicus, qui finis, quae munia & adminicula ejus, [...] investigate, & [ . . . ] demonstratur tabula Artis, & Artificis politicis subjecta. Görlitz 1606. Bomitz (1560/70-1625) war 1597 in Wittenberg zum Doktor beider Rechte promoviert worden, zum Zeitpunkt der Abfassung des Politicws-Traktats hatte er eine Stelle in der Finanzverwaltung übernommen; vgl. zu Leben und Werk Michael Stolleis, Jakob Bornitz ca. 1560-1625, in: ders., Pecunia nervus rerum. Zur Staatsfinanzierung in der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1983, 129-154. 13 Erste Indizien für diese Tätigkeiten liefern die jeweiligen Titel der Autoren. Hinzu kommen Hinweise in den Widmungen und Einleitungen, die anhand der gängigen biographischen Literatur zu ergänzen sind. 14 Vgl. hierzu auch die Hinweise bei Michael Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts. Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800. München 1988, 237-251 u . ö . 15 In Fortführung der (neu-)aristotelischen Stilisierung der Politica (s. unten) zur regina artium bzw. scientiarum bewertet zum Beispiel Bornitz, Politicus (wie Anm. 12), Ad Lectorem o. S. die Bezeichnung Politicus als Augustissimus titulus. Für zahlreiche Indizien

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III. Die Politikwissenschaft (Politica) als Mutterdisziplin der Politicus-Debatte Die Politicus-Oebatte ist in ihrem Kern nach eigenem Bekunden, nach der Fachzugehörigkeit ihrer Autoren, nach ihren Literaturreferenzen sowie inhaltlich-material unzweideutig integraler Bestandteil des zeitgenössischen politikwissenschaftlichen Fachdiskurses, auch wenn dieser konstitutive Zusammenhang sich allmählich abschwächt bzw. die Debatte teilweise den Charakter einer allgemeineren öffentlichen Diskussion annimmt. Ihre grundlegenden Perspektiven und Zielsetzungen sind deshalb von dieser Politikwissenschaft, dem sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts allmählich aus dem übergreifenden Fachkontext lösenden moralphilosophischen Teilfach Politica her, zu bestimmen. In diesem Kontext hat sich der beste Kenner der deutschen Politica, Horst Dreitzel, wenigstens knapp mit ihr befaßt. 16 Die wesentlich aus einer zunehmend praktisch-realistischen Wahrnehmung und Interpretation des aristotelischen politischen Denkens entwickelte Politica, die ihre Grundlegung im protestantischen Bereich vornehmlich Luthers Zwei-Reiche-Lehre und Melanchthons Rehabilitierung des Aristoteles und Ciceros als Autoritäten diesseitigen Orientierungs- und Gestaltungswissens verdankte, begriff sich seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert als Wissenschaft erfolgreicher Gründung, Regierung und Erhaltung des politischen Gemeinwesens (ars constituendi, imperandi ac conservandi rempublicam). 17 Sie ist ungeachtet ihrer breiten philosophischen und verfassungstheoretischen Bemühungen deshalb vor allem als praktische Begleitwissenschaft der frühmodernen Staatsbildung zu betrachten. Angesichts der um 1580/90 einsetzenden und bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts anhaltenden demographischen, sozioökonomischen und politischen Krisenerscheinungen pendelte sich ihr programmatischer Schwerpunkt allerdings schon bald auf dem Aspekt der Erhaltung (conservado) der politischen Ordnung ein, und zwar der Erhaltung der Ordentsprechenden Gruppenbewußtseins vgl. beispielsweise die kollektive Widmungsadresse des Conring-Schülers Heinrich Walm, Aphorismi de Politici pragmatico. Helmstedt 1672. 16 Zuletzt in Horst Dreitzel, Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland. Ein Beitrag zur Kontinuität und Diskontinuität der politischen Theorie in der frühen Neuzeit. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beih. 24.) Mainz 1992, 10-13. In verschiedener Hinsicht unzureichend ist die auf Dreitzel und Stolleis, Geschichte (wie Anm. 14), gestützte Erwähnung des neuen Faches bei Arno Seifert, Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien, in: Christa Berg (Hrsg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert: Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. München 1996, 197-374, hier 275, 339 und 342 f. 17 Vgl. zusammenfassend Wolfgang Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen Politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. (Studia Augustana, Bd. 4.) Tübingen 1992, 42-80, und exemplarisch Bomitz, Politicus (wie Anm. 12), A2.

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nung mittels intensivierter, in ihrer Effizienz optimierter Herrschaft, wodurch sich fortschreitend engere Bezüge zum machiavellisch-staatsräsonalen Politikdenken ergaben. 18 Die Politica entwickelte daher, gestützt auf die Prämisse der Notwendigkeit eines notfalls von oben her ordnungs- und friedenserzwingenden, entsprechend stabilen politischen Systems - des frühmodernen Staates - , Legitimierungs- und praktische Optimierungslehren für alle Bedürfnisse der Staatsbildung, also sowohl für das europäisch vorherrschende monarchische als auch das weniger häufige aristokratisch-oligarchische Modell: Machtmonopolisierungs- und Kompetenzausweitungslehren für die Souveräne, Selbst- und Fremddisziplinierungslehren für Herrschende und Untertanen, Umsturzverhütungs- und -niederschlagungslehren, Steuerdurchsetzungslehren, Lehren für erfolgreiche Außenpolitik und Kriegführung usw. Allerdings überwog in diesen Bemühungen der Komplex der soziopsychischen Konditionierung und fallweisen Intervention denjenigen der Institutionenbildung, weshalb die spätere, Institutionen- und theorieorientierte politische Ideengeschichte diesem Ansatz wenig Attraktivität abzugewinnen vermochte. 19 Vor allem aber - und damit kehren wir zu unserem spezielleren Thema zurück - strebte die Politica in bisher unbeachteter Konsequenz eine höchst modern anmutende Professionalisierung der Politik an mit der Folge, daß sie eben auch den hier zu beobachtenden, eigenen Diskurs darüber hervorbrachte.

IV. Der Politicus: Definition und Abgrenzung Die Prägung des Substantivs Politicus erfolgte an der Wende zum 17. Jahrhundert in einer Gemengelage unterschiedlicher Verständnisse des Politischen. ,Politisch' konnte nicht nur wertneutral im Gegensatz zu ,privat' oder ,familiär' ,öffentlich-staatlich' heißen, sondern - angesichts der sich noch verschärfenden Konfessionalisierung auch zumindest tendenziell pejorativ ,weltlich' im Gegensatz zu .geistlich'. Im Frankreich der Hugenottenkriege erwuchs aus diesen Begriffsverständnissen bekanntlich die Faktionsbezeichnung „les Politiques", mit welcher die Anhänger einer starken Königsgewalt gemeint waren, die zur Erzwingung öffentlichen Friedens und weltlicher Ordnung eingesetzt werden sollte, um gegen blutigen Konfessionskrieg friedliche 18 Vgl. zur sich parallel herausbildenden Wissenschaft vom Öffentlichen Recht mit weiteren Hinweisen Wolfgang Weber, Potestas et Potentia Imperii. Bemerkungen zum Bild des Reiches in der deutschen Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts, in: Rainer A. Müller (Hrsg.), Bilder des Reiches. (Irseer Schriften, Bd. 4.) Sigmaringen 1994, 97-122. 19 Diesen Sachverhalt hat am Beispiel des Justus Lipsius schon früh richtig erkannt Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547-1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 38.) Göttingen 1989, 147-149.

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christliche Praxis im Diesseits und damit letztlich jenseitige Erfüllung zu ermöglichen. Die im Entstehen begriffene Politica des Reiches, an deren Wiege nicht zuletzt der Politique Jean Bodin stand, rezipierte dieses fortgeschrittene Verständnis, reicherte es aber mit neuen Akzenten an und konnte es so zu einem Ansatz ihres Professionalisierungskonzeptes machen.20 Die entscheidende Fortentwicklung bestand eben in der Ableitung des Begriffs „non [...] e ductu naturae ac civilem societatem in genere, vel ad populärem Rempublicam in specie, neque e statu Laico, multo minus ex ilia factione Gallicana; sed solummodo ex habitu acquisito Civilis seu Politicae prudentiae".21 Auf welche Weise der Erwerb politikwissenschaftlich-politischer Qualifikation erfolgen sollte, wird ebenfalls unmißverständlich ausgedrückt: über das Studium eben der Politica. Wie die Medizin den Medicus und die Rechtswissenschaft den Juristen ausbildete, so beanspruchte also die Politica, den gelehrten Politiker hervorzubringen. Das Geschäft der Politik sollte zu einer akademischen Profession transformiert werden; der Politiker wird zum „artifex Reip. perficiundae" 22 Entsprechend fallen die Definitionen des Politicus aus. „Politicum appello non qui Piatonis aut Aristotelis dogmata tantum teneat; non qui juris civili privati tantum particulam delibavit; non eum, qui aliquali rerum experientia valet; non qui, ut vulgos opinatur, astute simulare & dissimulare sciat, quod vix viri boni esse arbitrar; non qui in conversatione hominum, praesertim in aulis moribus decoris, in sermone & gestu utatur, quem verius Ethicum appelles; non qui obiter tantum historiam hanc vel illam percurrerit, non eum, qui externas nationes transeunter viderit; & linguas exóticas calleat: Verum ilium, qui sit vir bonus, & prudentiam civilem theoria & praxi obfirmatam sibi comparaverit, eandemque dextre ad fundationem & conservationem Reipubl. accomodare sciat, seu ut explicatius dicam, qui vera arte politica imbutus, historiis & peregrinatione Rerumpublicarum, atque tandem praxi Imperii, Iudicii, Consilii, legationis exercitatus sit, ex quibus solidam prudentiam imbiberit, eamque congruenter ad usum transferre possit."23 20

Vgl. für viele Ideam boni perfectique Politici [...] Praeside [...] Dn. Jacobo Thomasio [...] repraesentare & defendere conabitur Johann Melchior Hoffmeister. Leipzig 1668, A3 § X V - XVII, mit Erwähnung der Zeloti als konfessionsfanatische Gegengruppe, auf die in einem ganz anderen Fall unlängst Wolfgang Behringer, „Politiker" und „Zelanten". Zur Typologie innenpolitischer Konflikte in der Frühen Neuzeit, in: ZHF 22, 1995, 4 5 5 ^ 9 4 , eingegangen ist. Aus der einschlägigen Literatur zu den französischen Entwicklungen seien genannt Edmond M. Bearne, The Politiques and the Historians, in: JHIdeas 54, 1993, 355-380, und Peter Lawrence Rose, The Politique and the Prophet. Bodin and the Catholic League 1598-1594, in: HJ 21, 1978, 783-789. 21 Thomasius/Hoffmeister, Ideam boni (wie Anm. 20), A3 § XVIII. 22 Bornitz, Politicus (wie Anm. 12), A2 u. ö., vgl. auch Tabula II. 23 Jacob Bornitz, Discursus politicus de Prudentia politica comparanda. Erfurt 1602, 122f; vgl. Bornitz, Politicus (wie Anm. 12), passim. Von den grundsätzlich nur in den Differenzierungen abweichenden übrigen Begriffsbestimmungen vgl. exemplarisch Walm, Apho-

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Als professioneller Politiker kann also weder der bloße politische Theoretiker, der lediglich im Privatrecht bewanderte Jurist, der bloße Empiriker (Praktiker), der Anpasser und Heuchler oder der Weltläufige und Höfling noch der Geschichtskundige, Reiseerfahrene oder Sprachgewandte gelten. Vielmehr muß es sich um einen moralisch standfesten, politikwissenschaftlich wie praktisch-politisch orientierten und beschlagenen Mann handeln, der sein Wissen und Können den Erfordernissen der Begründung und Erhaltung eines Staates anzupassen weiß, genauer: erfolgreich Politikwissenschaft studiert hat, historisch und durch Reisen entsprechend gebildet ist, in der Herrschaftspraxis, als Richter, Angehöriger eines Ratsgremiums oder im diplomatischen Dienst Erfahrungen gesammelt hat und seine auf diese Weise erworbene politische Klugheit konsequent in die Praxis umzusetzen bemüht ist. Die Vertreter der Berufswissenschaft Politik sind mithin bemüht, ihre Profession gegen rivalisierende Ansprüche sowohl von innerhalb der Universität (Juristen, Philosophen, Theologen24) als auch von außerhalb (Nichtakademiker, vor allem lediglich aus dem Hof hervorgehende Empiriker) durchzusetzen und als autonomen Bereich akademisch optimierter Praxis zu monopolisieren. Im Fortgang des Diskurses erfuhren diese Definitionen und Abgrenzungen weitere Verfeinerung. Gegen zeitgenössisch höchst gefährlichen Machiavellismusverdacht richteten sich Beiträge, die demonstrativ den fundamentalen Unterschied zwischen einem Pseudopoliticus bzw. spurius Politicus und dem verus Politicus, also dem moralisch einwandfreien, professionellen Politiker herausarbeiteten.25 Dem Bedarf der Abgrenzung des Politicus vom Juristen, insbesondere dem Staatsrechtler, entsprachen Schriften, die entweder an der Besonderheit des auch für den Politicus vorgesehenen Rechtsstudiums oder an den unterschiedlichen Berufsrollen ansetzten.26 Der näheren Deutung des problemreichen Zusammenhangs von akademisch-theoretischer Ausbildung und außerakademischer Praxis gegen Vorstellungen von Praktikern (Empirikern), ohne Studium und Theorie auskommen zu können, widmeten sich Traktate rismi (wie Anm. 15), 68 f., wo die Notwendigkeit einer entsprechenden Motivation des Politikers zur Ausübung seines Amtes unterstrichen wird, oder Simon Bornmeister, Dissertatio de scientia perfecti politici, variis annotationibus illustrata. Nürnberg 1679, B1 § X; seit den ausgehenden 1660er Jahren wird die Eigenschaft der Klugheit (prudentia), die den Politicus auszeichnen sollte, durch den Aspekt einer Anwendung rectae rationis verdrängt. 24 Vgl. zur Abgrenzung gegenüber den Theologen zusammenfassend Dreitzel, Absolutismus (wie Anm. 16), 10. 25 Bogislaus Philipp von Chemnitz, Idea seu Effigies cum veri, tum spurii Politici. Frankfurt an der Oder 1625; Eifler/Hempel, Politicus bonus (wie Anm. 9); Dissertatio de bono et malo politico [...] Georgi Caspari Kirchmaieri (Praes.) respondit Heinrich Gottfried Cronberg. Wittenberg 1660; Wendeler/Schelvig, De boni politici requisitis (wie Anm. 9); Requisita boni politici, una cum viis ac mediis hue facientibus [...] subjiciunt M. Daniel Ringmacher et respondens Johann Jacob Miller. Ulm 1699. 26 Dissertatio de finibus politices et iurisprudentiae [...] sub praeside Philippi Richardi Schroederi [...] respondit Julius Aegidius Ne ge lin. Königsberg 1721.

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über den Politicus illiteratus und Politicus empiricus.21 Eine Feindifferenzierung der Rollen des akademischen Politikers entwickelten Texte, die an den je unterschiedlichen Erfordernissen politischer Betätigung in der Politikberatung, der Gesetzgebung und der Justiz ansetzten. 28 Die Einführung einer Unterscheidung zwischen dem noch nicht und dem bereits perfekten Politicus eröffnete einerseits die Möglichkeit, konkurrierenden Benutzungen des Politikerbegriffs entgegenzukommen, andererseits die Qualifikationsanforderungen und Entwicklungsmuster des akademischen Politikers stärker zu profilieren. 29 Diese zuzuschreibenden und zu erwerbenden Merkmale machten im übrigen den Schwerpunkt der ausführlich dargelegten, gleichzeitig jedoch um Systematik bemühten Ausführungen aus. Der äußerste Differenzierungsgrad, welcher den ramistischen Entwurf von Jacob Bomitz auszeichnete 30 , wurde in der Folge allerdings nicht mehr erreicht.

V. Merkmale und Qualifikationen des Politicus Während die frühen Beiträge die vom Politicus geforderten natürlichen und anzueignenden Eigenschaften noch in lockerer Folge aufzählen, haben diese Reihungen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Form ausgefeilter Merkmalskataloge angenommen. Ein Beispiel dafür bietet die am Ulmer Gymnasium 1699 veranstaltete Disputation „Requisita boni politici una cum viis ac mediis hue facientibus", die direkt an die jungen künftigen Politici gerichtet ist. 3 ' Allgemeine natürliche Erfordernisse sind eine zuverlässige Anlage zum Guten, Verstand, Urteilsvermögen, ein gutes Gedächtnis, dauerhafte Neigung zur Politik, geistig-seelische Regsamkeit, eine gewisse Sprachbegabung, Liebenswürdigkeit, Gesundheit bzw. körperliche Belastbarkeit sowie ein ausgeprägter Wille zur dauernden Verbesserung dieser Anlagen durch Fleiß, Lernbereitschaft und Lerneifer. 32 Zur im engeren Sinne moralischen Ausstattung zählen im Verhältnis zu Gott unerschütterlicher christlicher Glaube, stetiger 27

Silberrad/Faber, De Politicis empiricis (wie Anm. 9); Politicum illiteratum [...] praeside M. Johanne Gottlieb Hardt [...] sistet Joachimus Christian Westphal. Leipzig 1684; Exercitatio propolitica de politicis empiricis [...] sub praeside M. lo. Henrici Ackeri, [...] auetor et respondens Ewaldus de Goltz. Jena 1705. 28 Trismegistus politicus seu Dissertatio politica de prudentia triplici, legumatrice, consulatrice et juridicaria [...] praeside Eberhardi Rudolphi Roth [...] respondens Christoph Caldenbach. Ulm 1678. 29 Nicolai/Blochberg, De characteribus perfecti politici (wie Anm. 9); Thomasius/Hoffmeister, Ideam boni (wie Anm. 20); Bornmeister, De scientia perfecti politici (wie Anm. 23). 30 Bornitz, Politicus (wie Anm. 12), Tabula II. 31 Ringmacher/Miller, Requisita boni politici (wie Anm. 25). 32 Ebd. 1-8.

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Eifer im Streben nach einem guten Gewissen, Liebe zu Ehrbarkeit, Tugend und Gerechtigkeit, Pflichtbewußtsein, Freigebigkeit, Freundlichkeit, Zuvorkommenheit, Mäßigung, Wahrheitsliebe und Verschwiegenheit, Zuverlässigkeit, Wachsamkeit, Selbstdisziplin und Beständigkeit. Bereits stärker politische Tugenden sind Orientierung am und Einsatzfreude für das gemeine Wohl, Prinzipientreue, Gesetzes- und Ordnungsliebe sowie entsprechende Formen der Klugheit (prudentia legumlatrix, prudentia judiciaria, prudentia consiliario-, Klugheit gegenüber der eigenen Person und Funktion; Klugheit gegenüber anderen, politischen Ansprechpartnern; Klugheit im Handeln, Reden, Trauen und Vertrauen anderer Personen, usw.). Des weiteren werden vom Politicus vielfältige intellektuelle Fähigkeiten (requisita doctrinalia) verlangt: Denkfähigkeit und allgemeine Bildung; wahres Christentum 33 ; Kenntnis des Naturrechts, der Ethik, der normativen und theoretischen Grundprinzipien der Politik, der doctrina politica specialis sive Jurispublici und des Privatrechts; Grundkenntnisse der Metaphysik, Mathematik und Logik, soweit erkenntnistheoretisch und politisch-praktisch erforderlich erscheinend; rhetorische Befähigung, Kenntnis der allgemeinen und landesspezifischen Geschichte sowie der Geographie, schließlich möglichst ausgedehnte Fremdsprachenfertigkeit. 34 Wie diese Kenntnisse und Befähigungen erworben werden können, erfährt ebenfalls breite Erörterung. Worauf es ankommt, sind zunächst die Gnade Gottes bzw. das unablässige Gebet, eine gute Erziehung durch die Eltern, die Qualität und Einsatzfreude der Schullehrer und Universitätsprofessoren, konsequente Ordnung und Disziplin im Studium, Unermüdlichkeit und Auswahlsicherheit beim Lesen, Konsequenz in der Praxisreflexion und Praxiserprobung des Gelesenen je nach Erfordernis im engeren Kreis oder in der breiteren Öffentlichkeit, gut vorbereitete und diszipliniert durchgeführte Bildungsreisen, gezielte körperliche Ertüchtigung sowie möglichst häufige Konversation mit gleichwertig oder besser Qualifizierten. Ausgesprochenen Realitätssinn verrät schließlich die Aufforderung, sich einerseits die Gunst geeigneter Patrone zu erwerben, andererseits auf stete Vermehrung und Wahrung des eigenen guten Rufes zu achten. 35 Ausführungen zur Einrichtung des politikwissenschaftlichen Studiums, des Kernelements der Qualifikation zum professionellen Politiker, finden sich in allen Beiträgen. Umfassende Vorschläge bieten jedoch eigene Traktate, von welchen wenigstens der Lehrbrief des Altdorfer Geschichts- und Politikprofessors Christoph Coler von 1601 sowie die Lehrdissertation des Steinfurter

33

Ebd. 29-31 („cognitio Die & verae Religionis Christianae ex S. Literis"). Ebd. 9-39. Noch ausgedehntere Kenntnisse fordert zum Beispiel Bornitz, Politicus (wie Anm. 12), A5-B1. 35 Ringmacher/Miller, Requisita boni politici (wie Anm. 25), 39-41: „ist keine Gewalt, der so willig gehorsamet wird, als dem guten Credit" (47). 34

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Arztes Nicolai Hoboken aus dem Jahre 1663 genannt seien.36 Der Schwerpunkt der Erörterungen liegt freilich bei der Beschreibung des erforderlichen Lesestoffs als der wichtigsten Lern- und Aneignungsform, während zur Dauer und Gliederung des Studiums nur beiläufige Bemerkungen gemacht werden. Danach geht der Diskurs in der Regel von einem vier- bis fünfjährigen Studium aus, von welchem drei Jahre auf das politische Studium an der Artistischen Fakultät, ein bis zwei Jahre auf ein juristisches, vornehmlich öffentlichrechtliches Ergänzungsstudium entfallen. Im Anschluß an die Universitätsausbildung soll eine politische Bildungsreise (peregrinano académica politica) durchgeführt werden, die ebenfalls Gegenstand eigener Erörterungen geworden ist.37 Was der Politikstudent sich anzueignen hat, sind Normenwissen, Faktenwissen und Klugheitsregeln. Die Unterscheidung dieser Wissensformen und deren wechselseitiges Verhältnis bleiben im Verlauf des ausgehenden 16. bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts jedoch nicht gleich, sondern wechseln und unterliegen generell fortschreitender Differenzierung. Das bedeutet, auch die Lektüreprogramme verändern sich in ihrer Zusammensetzung und Ordnung, wiewohl ein fachkonstitutiver Kernbestand erhalten bleibt.38 Im Vordergrund der Fachausbildung steht durchweg das Normenwissen, welches zeittypisch bereits bei der religiösen Norm und der allgemeinen Moral einsetzt. Der Politicus hat sich fachbegleitend mit der Bibel auseinanderzusetzen und die Kirchenväter zu lesen. Gelegentlich wird daneben die Lektüre der Werke Martin Luthers oder Jean Calvins empfohlen. Seine allgemeine moralisch-ethische Bildung soll er sich anfangs aus den klassischen antiken Philosophen, besonders Piaton, Aristoteles und Cicero, sowie den antiken Komödien, Fabeln und Satiren aneignen. Später, an der Wende zum 18. Jahrhundert, kann auf die antike Dichtung verzichtet werden und erscheinen zeitgenössische Moralphilosophen und Naturrechtler wichtiger. Ähnliches gilt für das im engeren Sinne politikwissenschaftliche Normenwissen. Das anfängliche, nahezu vollständige Monopol der antiken Autoritäten Piaton, Aristoteles und Cicero reduziert sich bis an den Beginn des 36

Christoph Coler, Epistola de studio politico ordinando. Nürnberg 1601, benutzte Ausgabe: Hermann Conring, Opera. Vol. 3. Braunschweig 1730, 89-97; Nicolai Hoboken, Dissertatio manuductoria de politicae prudentiae studio académico breviter utiliterque absolvendo. Utrecht 1663. Zum Gesamtzusammenhang und zu den Biographien der Verfasser siehe Weber, Prudentia gubernatoria (wie Anm. 17), 10-31. Eine zeitgenössische Bibliographie ist Johann Jochius, Prodromus Bibliothecae Politicae, in quo de bibliotheca politica ordinanda scriptoribus [...] itemque methodibus studii politici agitur. Jena 1705. 37 Vgl. die Zusammenstellung bei Justin Stagi, Apodemiken. Eine räsonnierte Bibliographie der reisetheoretischen Literatur des 16. und 17. und 18. Jahrhunderts. Paderborn 1983, die allerdings die große Gruppe der im engeren Sinne politischen Apodemiken nicht trennscharf erkennen läßt. 38 Vgl. hierzu und zum Folgenden grundsätzlich meine Befunde in Weber, Prudentia gubernatoria (wie Anm. 17).

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18. Jahrhunderts zur Dominanz, parallel spielen die neuaristotelischen Klassiker Henning Arnisaeus (ca. 1575-1636), Hermann Conring (1606-1681) und Johann Heinrich Boeder (1611-1672), der bereits breit naturrechtliches Gedankengut aufnimmt, eine wachsende Rolle. Dann jedoch machen sich unter dem Einfluß der Eklektik, des Naturrechts und der Frühaufklärung starke Tendenzen bemerkbar, die antiken und neuaristotelischen Autoritäten vollständig zu ersetzen. Entsprechend sollen auf dieser Ebene jetzt vor allem Johann Franz Buddaeus (1667-1729), Samuel Pufendorf oder Christian Thomasius gelesen werden. 39 Genauer gesagt, das politikwissenschaftliche Normenwissen schrumpft zu einem Element des Naturrechts und der aufgeklärten Moralphilosophie. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat sich nämlich die dritte Komponente des Politikstudiums, das Klugheitswissen, endgültig verselbständigt und in den Vordergrund geschoben. Wie zuletzt Merio Scattola herausgearbeitet hat, konnte im Rahmen der aristotelischen Auffassung der Politikwissenschaft eine spezifische Lehre politischer Klugheit nur ansatzweise entwickelt werden. 40 Der künftige Politicus wurde von seinen akademischen Lehrern im Hinblick auf den Erwerb derartigen, für die Praxis doch entscheidenden Wissens deshalb auf die Geschichtsschreibung und außeraristotelischen Klugheitslehren, vor allem den Tacitismus und Lipsianismus, verwiesen. 41 Einen entsprechend außerordentlich hohen Stellenwert nahm daher das Geschichtsstudium ein, mit der Folge der Produktion einer Fülle auch geschichtstheoretischer Werke. 42 Den Studenten der Politik wurden grundsätzlich so gut wie alle Klassiker der antiken und neuen Historie zur Lektüre nahegelegt, anfangs galten Thukydides, Xenophon, Polybios, Sallust, Livius, Tacitus usw. sogar mehr als Philippe de Commynes, Francesco Guicciardini, Johannes Sleidan usw. 43 In dem Bestreben, die Fülle der Texte und Sachverhalte fachspezifisch didaktisch-propädeutisch aufzubereiten, entstanden komplexe Gattungs- und Gliederungsentwürfe, deren Spezifität der heutigen Historiographiegeschichte kaum noch präsent ist. 44 Dennoch, und angesichts der fortschreitend deutlicher zutage tretenden

39

Vgl. Ringmacher/Miller, Requisita boni politici (wie Anm. 25), 31-33. Merio Scattola, ,Prudentia se ipsum et statum suum conservandi': Die Klugheit in der praktischen Philosophie der frühen Neuzeit, in: Friedrich Vollhardt (Hrsg.), Christian Thomasius (1655-1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. (Frühe Neuzeit, Bd. 37.) Tübingen 1997, 333-363. 41 Vgl. Coler, Epistola (wie Anm. 36), 9 5 - 9 7 . 42 Exemplarisch Johann Andreas Eilers, Dissertano historico-politica de mutuo studii historici et politici nexu. Jena 1737. 43 „Vetus Historia te praecipue ducat, instruat, dirigat; nova oblectet aut erudiat" - Coler, Epistola (wie Anm. 36), 93. 44 Vgl. exemplarisch Johann Andreas Bose, De prudentia et eloquentia civili comparanda diatribae isagogicae. Jena 1699.

40

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Probleme der historischen Überlieferung und der politikwissenschaftlich richtigen Interpretation historischer Empirie, mußte die Benutzung dieser Quelle zur Verifizierung von Normenwissen und zur Schöpfung oder Exemplifizierung politischer Klugheitsregeln zunehmend Bedenken hervorrufen. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verselbständigte und systematisierte sich deshalb das Klugheitswissen und reduzierte sich die Funktion der Geschichte für die Politica tendenziell zur Faktenvermittlung mit der Konsequenz fortschreitender Konzentration auf die Zeitgeschichte: „Das neueste Stück der neuen Historie besteht darinnen, daß man die Personen kenne, die als Souverain, oder Ministri, den Staat regieren, oder dabey gebraucht werden; was ihre capacitas, Zuneigung, caprice, privat-interesse, Manier zu agieren und dergleichen seye: In massen auch ein grosser Theil des wol und Übels seyn eines Staates davon herrühret". 45 Der Politikstudent dieser Phase sah sich demzufolge bereits deutlich weniger auf die alten Historiker verwiesen, sondern sollte sich vor allem aktuelle historische, staatenkundliche und geographische Kenntnisse aneignen. Auf der anderen Seite hatte er sich mit einem neuen Wissensgebiet, eben demjenigen der politischen Klugheit, zu befassen, wo ihm allerdings in wachsendem Maße deutschsprachige, unmittelbar zeitbezogene Handbücher zur Verfügung standen. 46 Daß dieses Teilgebiet der Politikwissenschaft wenig später in einem verwandten und gleichnamigen Teilgebiet der allgemeinen praktischen Philosophie aufging, dessen Thema die Behauptung des je eigenen, individuellen ,Status' in der Gesellschaft und die Mehrung der je eigenen, individuellen Eudämonie war, gehört bereits in ein späteres Kapitel der Geschichte der Politikwissenschaft. 47 In den Schnittbereich von Fakten- und Klugheitswissen fallen indessen auch diejenigen Befähigungen und Fertigkeiten, die mit der Zurüstung der eigenen Persönlichkeit für das politische Geschäft und der Optimierung des gesellschaftlich-politischen Umgangs mit Vorgesetzten, Gleichrangigen oder Untergebenen zu tun haben. Auf die Fülle der Lektüreerfordernisse und Praxisübungen in diesem Bereich, von der praktischen Psychologie über die Rhetorik bis zu den Kavaliersfächern, in deren Rahmen korrektes Auftreten und Verhalten zu lernen war, kann hier nicht eingegangen werden. Zu verdeutlichen bleibt hingegen das juristische Curriculum, welches die politikwissenschaftliche Studienanleitungsliteratur für ihre Zöglinge vorsieht. Wie bereits erwähnt, sollte die Befassung mit dem öffentlichen Recht im Vordergrund stehen. Damit war fortschreitend deutlicher das je spezifische 45

Samuel Pufendorf, zitiert bei Ringmacher/Miller,

Requisita boni politici (wie Anm. 25),

37. 46

Exemplarisch Wilhelm Adolf von Feist, Handbuch der Fürsten und fürstlichen Beamten, worin der Kem der politischen Klugheit aus den vornembsten verschiedenen neuen Lateinischen als Französischen Politischen Schreibern kurz zusammengezogen. Bremen 1660. 47 Vgl. Dreitzel, Absolutismus (wie Anm. 16), 12.

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Staatsrecht als entscheidende Bedingung politischen Handelns gemeint; das heißt, anstatt sich mit den Abgründen des Römischen öffentlichen Rechts zu beschäftigen, hatte der künftige Politicus in erster Linie Landes- und Polizeiordnungen, Statuten, Kodifikationen usw. zu studieren. 48

VI. Professionelle Tätigkeitsfelder und Ansprüche Welche Aufgaben sollte der fertig ausgebildete Politicus im Herrschafts- und Staatssystem übernehmen, und was versprachen sich die Betreiber der Politica von einer derart professionalisierten Politik? Auf die fachkonstitutive Zielsetzung der Politikwissenschaft, die scharf wahrgenommene politisch-gesellschaftlich-kulturelle Krise des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts zu überwinden und künftige, ähnliche Krisen zu verhüten, sind wir bereits eingegangen. Dieser Krisentherapie und Krisenprävention sollte einerseits die Ausstattung der legitimen, zur Durchsetzung von Ordnung und Stabilität fähigen Herrschaftseliten mit entsprechendem Herrschaftswissen eben vor allem durch das Politikstudium, mithin die Verwissenschaftlichung der Politik, dienen. Zu Politici im professionellen Sinne ausgebildet werden sollten also zunächst die Angehörigen des Adels als der traditionellen Herrschaftselite, die als Souveräne (Principes, personae majesticae) oder Helfer eines Souveräns (Majestad inservientes nobiles) bereits über entsprechende Positionen oder zumindest Positionsansprüche und -aussichten verfügten. Bereits im grundsätzlichen Verzicht auf adelige Herkunftsqualifikation und in der Ausrichtung des Professionalisierungsprogramms ausschließlich auf Qualifikation und Leistung 49 kommt jedoch zum Ausdruck, daß darüber hinaus an die Hervorbringung oder Förderung einer neuen, einschlägigen Expertenelite gedacht ist. Mit diesen Experten - „Regiments-Verständige, Policey Gelehrte" 50 - waren bevorzugt die (nichtadeligen) Beamten gemeint. Sie sind es 48

Vgl. Ringmacher/Miller, Requisita boni politici (wie Anm. 25), 33 f. Vgl. exemplarisch die Diskussion bei Marcus Zuerius Boxhorn, Institutionum Politicarum libri duo. Leipzig 1659, 135-138, mit der Feststellung „Interest enim omnium, ut omnibus bonis aditus pateat ad dignitates" (135), sowie Feist, Handbuch (wie Anm. 46), 267-271 mit dem kritischen Höhepunkt: „Der große Hauff der Edelleut ist dem gemeinen Stand und einem Fürsten selbst schädlich" (271). 50 Hardt/Westphal, Politicum illiteratum (wie Anm. 27), A3 (Unterscheidung von Souveränen und Nichtsouveränen als gleichermaßen Politici). Vgl. auch Walm, Aphorismi (wie Anm. 15), 9 , 2 7 - 3 0 (Unterscheidung „cum imperio" und „sine imperio"), und Feist, Handbuch (wie Anm. 46). Discursum de Politico simulante, praeside DNO. Christiano Faselto, [...] sistit Gottfried Becker. Wittenberg 1666, A4 § 11 : „Tum & alii se offerunt, qui Principem cum Politico convertunt [...]. Verum fallunt & falluntur opposito. Non enim Respublica a solis Principibus, sed ab horum etiam Consiliariis, Senatoribus, Praetoribus, Consulibus & c. administratur." Zum Gebrauch medizinischer Metaphorik in der Darlegung der Aufgaben von Politica und Politicus vgl. nur Bornitz, Politicus (wie Anm. 12), A2-A3. 49

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im Fortgang der Debatte sogar fortschreitend ausschließlich, wie zum Beispiel aus dem Titel des Beitrags von Christoph Rapp aus dem Jahre 1664 hervorgeht: „Homo politicus, hoc est: consiliarius novus, officiarius et aulicus." 51 In dieser Titelformulierung sind auch wieder die Tätigkeitsfelder des Politicus angesprochen. Es geht um Positionen im fürstlichen Rat bzw. in den verschiedenen Ratsgremien, um Stellen im seit dem 16. Jahrhundert expandierenden Verwaltungsapparat und um nicht näher spezifizierbare oder wechselnde Dienste am spätestens seit dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts bedeutend wachsenden fürstlichen Hof. Nur vor dem Hintergrund, daß diese Stellen für die neuen Politici erst erworben bzw. sogar erkämpft werden müssen, sind die ausführlichen Erörterungen der Notwendigkeit und der Techniken der Gewinnung eines mächtigen Patrons - und zwar sowohl aus dem Kreis der Fürsten als auch der bereits etablierten Minister, Räte usw. - verständlich. Christian Weises vielzitierter „Politischer Academicus, das ist: Kurtze Nachricht, wie ein zukünftiger Politicus seine Zeit und Geld auf der Universität wohl anwenden könne", markiert in seinen breiten Darlegungen politischer Karriereplanung und -umsetzung nur den Endpunkt einer lange zuvor begonnenen Entwicklung. 52 Welche beruflichen Tätigkeiten in diesen Stellen in welcher Weise vorzunehmen sind, darüber gibt die Politicus-Literatur nur ansatzweise, nämlich im Kontext ihres entsprechend spezifizierten Studiengangs - wie oben angesprochen der Erwerb etwa einerprudentia legumatrix, consulatrix und judicaria - , Auskunft. Sie verweist jedoch für diese Bedürfnisse auf die einschlägigen Spezialdiskurse (und -Schriften), also die Traktate über den Consiliarius, Minister, Legaten usw., die parallel aufblühten. 53 Dennoch läßt auch bereits das Po/ii/cHs-Schrifttum denjenigen Anspruch auf politische Partizipation unmißverständlich erkennen, auf den es in der Perspektive unserer Eingangsfrage ankommt. Zu den unverzichtbaren Qualifikationen bzw. dem professionellen Ethos des Politikers gehört es, sich und seine Tätigkeit an der wahren Staatsräson, das heißt nicht lediglich am Wohl der Herrschenden bzw. des Herrschers, also

51

Christoph Rapp, Homo politicus, hoc est: consiliarius novus, officiarius et aulicus. Cosmopolis 1664, 2. Aufl. 1666. 52 Christian Weise, Politischer Academicus, das ist: Kurtze Nachricht, wie ein zukünftiger Politicus seine Zeit und Geld auf der Universität wohl anwenden könne. Amsterdam 1685, 3. Aufl. 1696. Neu bei Weise ist also keineswegs die Einbeziehung des bürgerlichen Politikaspiranten, sondern - wir kommen weiter unten darauf zurück - die Erweiterung des Politikbegriffes auf alle Sachverhalte kluger Statussicherung, wodurch das Politikstudium zu einem Studium diesseitiger Klugheit avancieren (bzw. degenerieren) konnte. 53 Eine zusammenfassende Darstellung fehlt bisher, vgl. meinen Problemaufriß: Wolfgang Weber, „Ein vollkommener fürstlicher Staats-Rath ist ein Phoenix." Perspektiven einer politischen Ideengeschichte der hohen Beamtenschaft, in: ZHF 21, 1994, 221-234, mit Quellenverweisen.

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des Fürsten, sondern auch am Wohl der Untertanen, auszurichten. Nur derjenige, der „secundum juris & utilitatis publicae regulas" denkt und handelt, dem die „salus populi suprema lex est", verdient überhaupt den Titel eines wahren Politicus.54 Mit anderen Worten, die Vertreter der Politica beanspruchten nicht nur, auch Fürsten- und Adelssprößlinge einem politischen Eignungstest und Ausbildungsverfahren zu unterziehen, über deren Erfolg sie selbst, die Politikprofessoren, entschieden, und aus denen auch Nichtadelige, insbesondere Angehörige ihrer eigenen Schicht, erfolgreich hervorgehen konnten. Sie nahmen vielmehr auch die Kompetenz für sich in Anspruch, wahre Staatsräson und wahres Gemeinwohl definieren zu können, und gaben ihren Absolventen diesen Definitionsanspruch zumindest implizit mit. Bereits hier versuchte also eine professionalisierte Elite sich zum Träger wahren Gemeinsinns, eigentlichen Vertreter der Staatsräson, eigentlichen Staatsträger zu stilisieren. Die wichtigste Umsetzung dieses Anspruchs erfolgte in der Entwicklung einer einschlägigen Theorie des Rechts zur Kritik am Fürsten und zur fürstlichen Beratung. Die allgemeinen Grundlagen der Konzeption der correctio Principis, zu der die prudentes und potentes nicht nur ermächtigt, sondern sogar verpflichtet seien, hat einschließlich ihrer aristotelischen Elemente vor Jahren schon Klaus Schreiner rekonstruiert. 55 Bereits aus dem Spätmittelalter stammt der Topos, daß es für das Gemeinwohl besser sei, einen schlechten Fürsten und gute Räte zu haben als schlechte Berater und einen guten Fürsten. „Siquidem unus malus, potest a pluribus bonis corrigi, multi autem mali; nequeunt ab unoquamvis bono, ulla ratione superari." 56 Daß die Räte als Mehr54

Politica de Politico dissertano, quam [ . . . ] sub moderamine D N . M . Simonis Friderici Frenzeiii [ . . . ] exponit Augustus von Lattichen. Wittenberg 1668. A 3 - B 3 , C l (erstes Zitat); Chemnitz, Idea ( w i e A n m . 25), 6a (zweites Zitat); vgl. Walm, Aphorismi (wie A n m . 15), 1 2 - 1 9 , Faselt/Becker, Discursus ( w i e A n m . 50), B1 § VIII; Bornitz, Politicus ( w i e A n m . 12), A l . 55

Klaus Schreiner, „Correctio Principis". Gedankliche Begründung und geschichtliche Praxis spätmittelalterlicher Herrscherkritik, in: Frantisek Graus (Hrsg.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme. (Vorträge und Forschungen, Bd. 35.) Sigmaringen 1987, 2 0 3 - 2 5 6 , vgl. z u m aristotelischen Anteil 2 1 2 - 2 1 4 . 56 Christoph Besold, D e Consilio politico axiomata aliquammulta. Tübingen 1615, 13; vgl. die Variation dieses T h e m a s in den Beiträgen der einschlägigen Kollektionen Consiliarius et senatoris officium. Köln 1643, und Consistorium Principis, S u m m o r u m virum delectu coactum, und sententiis instructum. Straßburg 1663, s o w i e deren Niederschlag selbst auf der E b e n e der Prinzenerziehung z u m Beispiel in: Vätterliche Ermahnung Maximiiianis in Ob- und Nidern Bayern Heerzogen und [ . . . ] Churfürsten 1639, in: Heinz Duchhardt (Hrsg.), Politische Testamente und andere Quellen z u m Fürstenethos der frühen Neuzeit. ( A u s g e w ä h l t e Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Bd. 18.) Darmstadt 1987, 1 1 9 - 1 3 5 , hier 132: „Wan die g e h e i m b e mit-Regenten [!] nichts nuz sein, machen s y e offt das g e m a i n e w e s e n schlimmer, als wan der Fürst selbst nit der beste wäre." Ferner Feist, Handbuch ( w i e A n m . 46), 126: „ [ . . . ] e s ist billicher, das ein Fürst den Raht vieler guten Rähte f o l g e , als das die Rähte seinen Willen f o l g e n müssen. Ob schon das Glück die Fürsten Uber andere erhoben hat, darumb haben sie eben nicht allein die meiste Weißheit. Es

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heit zur Korrektur fürstlichen Denkens und Handelns in der Lage seien, setzt zumindest eine funktionale Äquivalenz dieser Räte mit dem Fürsten voraus. Einzelne Autoren leiten die Überlegenheit des Rätekollegiums aus der prinzipiellen Überlegenheit der Wissenschaft Uber die Erfahrung ab. 57 Ferner liegt dieser Argumentation ein diskursiv-kollektives Beratungs- und Entscheidungsmodell zugrunde, das aus der Universität stammen dürfte: Das Wahre, hier die politisch richtige Entscheidung, geht in der Regel aus einem freien Meinungsaustausch einer Vielzahl von Experten hervor - nicht zufällig wird die Bedeutung der vom Souverän zu gewährenden libertas consulendi massiv unterstrichen. Der einzelne - der einzelne Fürst - ist auch bei höchster Begabung zumal infolge allenthalben unvermeidlicher Affektanfalligkeit sehr viel weniger in der Lage, dieses Wahre und Richtige zu treffen. Von der Annahme auf bestem Wege gewonnenen, besten Rates hängt damit zumindest indirekt auch die Legitimität des Fürsten ab, weil die Zurückweisung derartigen Rates dem Staat und Gemeinwohl nur abträglich sein kann: „Lethale [...] illius Reipublicae habetur signum, ubi vel Princeps petere consilium negligit, vel idonei consiliarii desunt. [...] Qui vult omnia regere solus, superbus magis, quem sapiens dici meretur. Consilium aliorum, prudens praefert & suo [!]. Prudentissimus idoneusque Princeps, aliena sapientia libenter uti, suam susceptam habere debeat." 58 Eine weitere Argumentationslinie setzt beim herrschaftsunfähigen Fürsten oder an der Situation des Fehlens eines fürstlichen Souveräns, also beim Interregnum, an. Zunächst geht es um die Aufrechterhaltung der höchsten Autorität: „Wenn (der Fürst) keine Kräfte mehr hat, dan muß er seine Regierung [trotzdem] so anstellen, das alle die andere vermeinen, er wisse und beschicke alles." 59 Wer in diesem Fall die Herrschaft praktisch auszuüben gefordert ist, sind jedoch die Minister und Beamten, während der Fürst auf die zukunftsträchtige Funktion der Symbolisierung und Repräsentation der höchsten Autorität und des Staatsganzen reduziert wird: „Principes mortales, regna vero immortalia". Zumindest über „brevissima intervalla" hinweg haben die Räte und Minister, die „quotidianum & frequens exercitium" ausüben, als Garanten

seind alle keinen Salomones. Es ist ein ungewisser Raht, den man sich selbst gibt." Vgl. auch 128: „Unglückselig seind die Fürsten, welche der Warheit die Ohren verschliessen; wan sie dieselbe nicht hören können, müssen sie an ihrer Wolfart verzweifeln." 57 Acker/Goltz, Exercitatio propolitica (wie Anm. 27), 60-73. 58 Besold, De Consilio (wie Anm. 56), 7,12; gegenüber der Korporation der Räte in einer weniger wahrheitsträchtigen und deshalb für den Staat bedenklichen oder gar gefahrlichen Position steht auch gegebenenfalls der einzelne vom Fürsten bevorzugte Rat oder Minister (vom unprofessionellen Favoriten ganz abgesehen): hierum dreht sich die MinistrissimusDebatte der Zeit, vgl. exemplarisch Dissertatio de Ministrissimis [...] praeside Jacobo Thomasio [...] autor sistit Wilhelmus a Schrödero. Leipzig 1680. Für genaue Anweisungen zur Organisation der Ratsarbeit vgl. auch Feist; Handbuch (wie Anm. 46), 118-131. 59 Feist, Handbuch (wie Anm. 46), 113.

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der Stabilität zu fungieren. 60 Auch in der Wahrnehmung der einfachen Untertanen wachsen die Helfer der Souveräne in die Funktion eigentlicher Staatsrepräsentanten hinein. „Hi enim, si in absentiam, majoribus illis succedunt & eorum auctoritate ac nomine in negotiis publicis occupantur, quoad vim saltern rerum pro majoribus aestimantur". 61 Daß die hohen Beamten beanspruchen, als „de corpore Principis vel Reipublicae" anerkannt und deshalb auch über das Sonderrecht des crimen laesae majestatis geschützt zu werden, versteht sich schon fast von selbst. 62 Ungeachtet aller - und durchaus massiv vorgetragenen - gegenläufigen Argumente, die auf Unverzichtbarkeit und besondere Vorteilhaftigkeit der monarchischen Verfassung und fürstlicher Letztentscheidung wie Letztverantwortung aus praktischen politischen Gründen zielen: der angesprochene weitgehende und nach seiner Logik stets ausweitungsfähige Partizipationsanspruch der professionellen Sekundärelite der Beamtenschaft gegenüber dem Souverän ist unverkennbar. Das auf den ersten Blick vielleicht eher obskure, womöglich zu Recht bisher im neulateinischen Textschutt verborgene Professionalisierungskonzept der Politica des 17. Jahrhunderts nimmt damit spätestens an dieser Stelle eine faszinierende gesellschaftlich-politisch systemtranszendierende Qualität an. Professionalisierung sollte absichtsvoll dazu eingesetzt werden, überkommene Herrschaftsprivilegien zurückzudrängen und schließlich zugunsten der politischen Ambitionen einer neuen, professionellen Schicht stillzulegen. Diese Strategie war im Prinzip zukunftsträchtiger als die Entwürfe der in der Forschung stärker beachteten Utopien, die zeitgleich ebenfalls verstärkte Produktion erfuhren und sich inhaltlich radikalisierten, was auch eine noch größere Entfernung von der gegebenen Realität bedeutete. 63

VII. Das Scheitern des Konzepts Gemessen an seinem höchsten Anspruch, nämlich an die Spitze der sich herausbildenden Staaten der Zeit professionelle, auch oder sogar bevorzugt nichtadelige, akademisch gebildete Leistungseliten zu bringen, um die politischen Verhältnisse auf diese Weise zu stabilisieren und an einem zukunfts60

Samuel Pufendorf, De Interregnis, in: ders., Dissertationes Academicae selectiores. Lund 1675, 330-381, hier 330 und 333; Johann Franz Buddaeus, Elementa Philosophiae practicae. Halle 1712, 579-581. 61 Boxhorn, Institutionum (wie Anm. 49), 133. 62 Johann Christoph Becmann, Conspectus doctrinae politicae in brevibus thesibus. Frankfurt an der Oder 1691, 95 und 97; Johann Friedrich Lange, De ministris Principis. Frankfurt am Main 1670, Sectio I. 63 Alfred Wendehorst, Flucht aus der Wirklichkeit: Wandlungen von Utopien zwischen Barock und Aufklärung, in: Frank-Lothar Kroll (Hrsg), Neue Wege der Ideengeschichte. Fschr. für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag. Paderborn u. a. 1996, 137-154.

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weisenden Verständnis von Gemeinwohl und Staatsräson auszurichten, ist das Professionalisierungskonzept der Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts freilich unzweifelhaft gescheitert. Der Herrschaftsanspruch des Adels blieb prinzipiell erhalten, ja er verstärkte sich noch mit der Folge, daß die Politikund Beamtentheoretiker der Aufklärung, voran Carl Friedrich von Moser, sich ebenfalls und erneut mit dessen Problematik auseinanderzusetzen hatten. 64 Erst an der Wende zum 19. Jahrhundert soll es bekanntermaßen erstmals einem höheren Beamtentum gelungen sein, eigene, gesellschaftsumwälzende Reformvorstellungen umzusetzen, nämlich im Preußen der Reformzeit. 65 Die Ziele der Politik und das Staatshandeln davor, gerade im 17. und 18. Jahrhundert, wurden vornehmlich vom Interesse der Dynastien bestimmt. 66 Ob dennoch Erfolge erzielt werden konnten, das heißt über Beeinflussungen und Prägungen von Wahrnehmungen, Mentalitäten und Denkweisen durch Lektüre der einschlägigen Publikationen hinaus Professionalisierungswirkungen etwa in Gestalt der Optimierung der Rekrutierung und der Arbeitsweisen von hohen Beamten eintraten, die sich auch als strukturelle Beeinflussung des Souveräns niederschlugen, wäre im einzelnen noch zu untersuchen. Analysebedürftig erscheint aus diesem Komplex unter anderem die Frage, ob es sich bei den bisher als Juristen betrachteten Inhabern höchster Beamtenränge nicht teilweise eher um Politici handelte, die sich mit dem Recht studienprogrammgemäß nur sekundär bzw. ergänzend befaßten. 67 Wie ist aber dieses überwiegend negative Ergebnis zu erklären? Zumindest die folgenden Faktoren sind dafür haftbar zu machen. Erstens war, um dem Programm der Polìtica zum Erfolg zu verhelfen, vor allem anfänglich, aber auch noch später, die Gewinnung von Teilen des herrschenden Adels dafür erforderlich. Diese Gewinnung schien realistischerweise nur durch Anpassung an die Erwartungen und Bedürfnisse dieses Adels möglich

64

Grundlegend, aber ohne eingehende Berücksichtigung der hier vorgeführten älteren Debatte, auf die Moser in einer Vielzahl von Anspielungen und Hinweisen Bezug nimmt, Angela Stirken, Der Herr und der Diener. Friedrich Carl von Moser und das Beamtenwesen seiner Zeit. (Bonner Historische Forschungen, Bd. 51.) Bonn 1984. Für den gesamten Komplex deutlich ergänzungsfähig bleibt auch Hans Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums. (Handbuch des öffentlichen Dienstes, Bd. 1.) Köln/Berlin/Bonn/München 1980, 91-160. 65 Hans Rosenberg, Die Überwindung der monarchischen Autokratie, in: Karl Otmar von Aretin (Hrsg.), Der Aufgeklärte Absolutismus. (Neue wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 67.) Köln 1974, 182-204; Bernd Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland. Frankfurt am Main 1986. 66 Vgl. hierzu jetzt Wolfgang E. J. Weber (Hrsg.), Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte. Köln/Weimar/Wien 1998. 67 Die Ausführungen bei Dietmar Willoweit, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes, in: Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches. Stuttgart 1983, 346-360, bieten manche Anknüpfungspunkte für derartige Nachforschungen.

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mit der Folge, daß das Studium politicum stets in der Gefahr stand, zu einer Variante des Adelsstudiums zu degenerieren. Diese Gefahr verstärkte sich unter den Bedingungen des kriegerischen und deshalb dem Adel günstigen 17. Jahrhunderts, entsprechend schwächte sich der eigentlich adelskritische Professionalisierungsimpuls ab. Zweitens und im Zusammenhang damit gelang es der Politica nicht, ihre Rollenbezeichnung Politicus bzw. Politiker als zweifelsfrei positiven, berufsspezifischen Fachbegriff durchzusetzen. Vielmehr sorgten Fundamentalisten aller Konfessionen dafür, daß in Anknüpfung an den oben erwähnten pejorativen Beigeschmack des Wortes mit Politicus weiterhin auch der bloße Weltmann, der nur auf sein eigenes, diesseitiges Fortkommen bedachte und dieses gegebenenfalls auch mit unmoralischen Mitteln befördernde Egoist und der entsprechend böse Herrschaftsexperte, der Machiavellist oder Statist, gemeint sein konnte. 68 Drittens erwies sich angesichts der angesprochenen je besonderen Merkmale und Erfordernisse der entstehenden Staaten und der fortschreitenden Ausgliederung und Verfestigung spezialisierter Beamtenrollen der prinzipiell universale Kompetenz- und Geltungsanspruch des professionellen Politikers als zusehends nicht mehr haltbar. 69 Viertens verloren im Verlauf des 17. Jahrhunderts die Universitäten als Stätten politischer Ausbildung generell an Bedeutung, eigneten sich bekanntermaßen die Höfe wesentliche Elemente dieser Funktion an. Fünftens dürfte sich aber auch ein bisher kaum erkanntes Zentralproblem nichtadeligen Herrschaftsanspruchs verschärft haben, welches uns zugleich vor einer zu schnellen Vereinnahmung des Professionalisierungskonzepts der Politica für die Moderne warnt. Dieses Problem war die Herstellung des erforderlichen Gehorsams seitens der Untertanen. Der nichtadelige Politicus mußte sich den bestehenden Legitimitätsvorstellungen der Beherrschten anpassen. Diese Anpassung mußte insbesondere in der Aneignung von Vorrang und Ehre bestehen. Fügsamkeit erwirkende Ehre war jedoch nur über den Fürsten, in der Ableitung eigener Ehre aus der Ehre des Fürsten, zu gewinnen. Der auf den ersten Blick so rationale, moderne ,Fachbeamte' Max Webers mußte sich gegenüber den nichtadeligen und erst recht gegenüber den adeligen Untertanen des Fürsten als Symbol und Abbild des Fürsten präsentieren, um Gehorsam zu finden. Die massiven Bestrebungen der frühneuzeitlichen bürgerlichen Beamtenschaft, nobilitiert zu werden, entsprangen mithin nicht nur dem sozialen Interesse, nach oben zu 68

Vgl. exemplarisch Christoph Peller, Politicus sceleratus, impugnatus: Id est compendium politices novum. Nürnberg 1665, mit einem entsprechenden Titelkupfer, sowie den einschlägigen Artikel „Politicus", in: Zedlers Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 28. Leipzig/Halle 1741, 1528f. 69 Auf diese universale Kompetenz, welche ebenso universale, d.h. .internationale' Karrieren ermöglichen sollte, hob insbesondere die Schule H. Comings ab, vgl. Walm, Aphorismi (wie Anm. 15).

Die Erfindung des Politikers

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kommen und oben zu bleiben. Sie waren vielmehr auch uniiberwindbar funktional bedingt und mußten dementsprechend Mentalität und Verhalten der Politici tief, aus der Perspektive der ursprünglich adelskritischen Professionalisierungskonzeption her eindeutig negativ, beeinflussen. 70 Schließlich, aber keineswegs zuletzt, hat sich offenbar in der Praxis die für eine fürstenkritische, tendenziell autonome Politikgestaltung unerläßliche kollegiale Struktur des Zusammenwirkens der Politici nicht umsetzen lassen, obwohl diese auch in den einschlägigen Ratsordnungen hohe Wertschätzung erfuhr: Zu verlockend waren die mannigfaltigen Versuchungen, sich durch Aufbau einer besonderen Beziehung zum Souverän je persönliche materielle und immaterielle Vorteile zu verschaffen, der eigenen Familie nutzen zu können, usw. Und zu kompliziert war möglicherweise die Aufgabe, den kollegialen Anspruch der Politici verfahrenstechnisch, im Hinblick auf entsprechende Informationsbeschaffung und -Verarbeitung bzw. Beratung, optimal institutionalisieren zu können. 71

VII. Resümee Unsere Analyse eines bislang kaum beachteten Diskurses der deutschen Politikwissenschaft des 17. Jahrhunderts hat belegt, daß die Idee, Politik durch Verwissenschaftlichung und Professionalisierung zu optimieren, eine Errungenschaft bereits der Frühen Neuzeit war. Sie hat femer gezeigt, daß den Erfindern und Betreibern dieser Professionalisierungskonzeption auch die Chancen und Probleme der Elitenbildung durch Professionalisierung weitgehend präsent waren. Schließlich konnten auch starke Tendenzen nachgewiesen werden, über den Verwissenschaftlichungs- und Professionalisierungsanspruch in die Sphäre des politischen Souveräns - in diesem Fall des Fürsten einzugreifen bzw. dessen Souveränität zumindest tendenziell zu beschneiden. Mit anderen Worten, wir haben mit diesem frühneuzeitlichen Diskurs tatsächlich einen Vorläufer der gegenwärtigen Debatte um das professionelle Politikertum vor uns. 70 Vgl. zu diesem Komplex meine Hinweise in Wolfgang Weber, Honor, fama, gloria. Wahrnehmungen und Funktionszuschreibungen der Ehre in der Herrschaftslehre des 17. Jahrhunderts, in: Sybille Backmann/Hans-Jörg Künast/Sabine Ullmann/B. Ann Tlusty (Hrsg.), Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. (Colloquia Augustana, Bd. 8.) Berlin 1998, 70-98, sowie Georg Schmidt, Voraussetzung oder Legitimation? Kriegsdienst und Adel im Dreißigjährigen Krieg, in: Otto Gerhard Oexle/Werner Paravicini (Hrsg.), Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 133.) Göttingen 1997, 431-451, hier 431^433 und 447. 71 Vgl. für diese Ebene wieder Dietmar Willoweit, Allgemeine Merkmale der Verwaltungsorganisation in den Territorien, in: Jeserich/Pohl/von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte (wie Anm. 67), Bd. 1, 289-344, hier 318-327.

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Die Lebendigkeit und Unvoreingenommenheit der frühneuzeitlichen politischen Ideenproduktion wären jedoch verkannt, wenn sie auf den Stellenwert einer frühen Apologie politischer Professionalisierung reduziert würden. In Wirklichkeit schlossen ihre Perspektiven ansatzweise sogar eine , zivilgesellschaftliche' Lösung der Problematik dauerhaften und spezifisch kompetenten Politikengagements ein. „Politicus vero non tantum Principem, sed subditum quoque officio suo rite fungentem includit. Prudentia quippe Politica non in imperando tantum, sed & obtemperando consistit. Distinguendum igitur inter appellationem principalem & minus principalem. Principaliter quidem Princeps quatenus reipublicae tractandae & gubernandae omnes vias tenet, ejusdemque naturam prope habet perspectam Rempubl. prudenter administrât & omnia ad publicam salutem dirigit, est Politicus nominandus. Minus vero principaliter & subditis, qui civilem prudentiam sibi compararunt, & in civili vita publicam salutem spectant, hoc nomen merentur." 72 Wiewohl die Politica in zutreffender Wahrnehmung ihrer Umwelt grundsätzlich von der mittelalterlich-frühneuzeitlichen soziopolitischen Verfassung, also einer dauerhaften Verteilung von Herrschaft und Gehorsam auf zwei unterschiedliche gesellschaftliche Größen ausging, hielt sie doch letztlich auch an der klassisch antiken, aristotelischen Idee „aktiver Staatsbürgerschaft" fest. 73 Zumindest der Abstand zwischen Herrschenden und Gehorchenden sollte durch politische Bildung auch der Gehorchenden verringert werden. Die Politikwissenschaft sollte mithin nicht nur der Elitenbildung, sondern auch der Hebung der politischen Kenntnisse aller Untertanen dienen. Die Erziehung der Untertanen in politischer Klugheit - das war und ist aber nicht weniger als ein erster Schritt hin zur Ermöglichung eines umgreifenden , reflexiven politischen Diskurses' aller Beteiligten und damit zur politischen Partizipation auch der Untertanen.

72

Faselt/Becker, Discursus (wie Anm. 50), A4-B1. Horst Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die „Politica" des Henning Arnisaeus (ca. 1575-1636). (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für Universalgeschichte, Bd. 55.) Wiesbaden 1970, 363; vgl. zur Anerkennung der öffentlichen Meinung - und damit auch zur Meinung des ,Volkes' - als politischer Faktor in der aristotelischen Tradition Schreiner, „Correctio principis" (wie Anm. 55), 254 f. 73

Abkürzungen AHRF ARG EHR GG HJ HZ JAmH JEcclH JHIdeas JModH PVS SZG VfZ ZfP ZHF ZNR ZRGGA ZRGKA

Annales historiques de la Révolution française Archiv für Reformationsgeschichte English Historical Review Geschichte und Gesellschaft The Historical Journal Historische Zeitschrift Journal of American History Journal of Ecclesiastical History Journal of the History of Ideas Journal of Modem History Politische Vierteljahresschrift Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Zeitschrift für Politik Zeitschrift für historische Forschung Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung

Die Autoren Prof. Dr. Ronald G. Asch, Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Universität Freiburg, Werthmannplatz, D-79085 Freiburg Prof. Dr. Robert von Friedeburg, Hoogleraar Geschiedenis, Universiteit Rotterdam, Postbus 1738, NL-3000 DR Rotterdam Prof. Dr. Martin van Gelderen, European University Institute, Department of History and Civilization, Villa Boccaccio 121,1-50133 Florenz Prof. em. Dr. Wolfgang Mager, Hengstenberger Str. 13, 32139 Spenge Prof. Dr. Thomas Maissen, Historisches Seminar, Universität Luzern, Kasernenplatz 3, Postfach 7455, Ch-6003 Luzern Prof. Dr. Michael G. Müller, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Universität Halle, Kröllwitzer Straße 44, 06120 Halle Prof. Dr. Pierangelo Schiera, Lehrstuhl für die Geschichte der Politischen Theorien, Dipartimento di Scienze Umane e Sociali, Università degli Studi di Trento, Via Verdi 26,1-38100 Trient Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte, Lehrstuhl für Neuere Allgemeine Geschichte, Universität Frankfurt am Main, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg, Eichleitnerstraße 30, 86159 Augsburg

Register 1. Personenregister

Adalbero von Laon 93 Adams, John 59 f. Aegidius Romanus 112,116 Affelen, Johannes ab 350 Albada, Aggeaus van 293 Allen, J.W. 127 Aisted, Johann Heinrich 289, 299 Althusius, Johannes 9-11,149,151-157, 159f., 162-169,180f., 183-185, 191, 193f., 289f., 299f., 304f. Amelot, Michel 256 Amsdorf, Nikolaus von 186, 207, 211 f., 230 Aquin, Thomas von 228 Argenson, René-Louis de Paulmy Marquis d' 57f. Amisaeus, Henning 11,112 f., 161 f., 163, 165,182, 300-304, 342, 360 Asch, Ronald G. 9 Asper, Hans 269 August, Kurfürst von Sachsen 216 Augustinus, Aurelius 111 Bader, Karl Siegfried 20 Bailyn, Bernard 76 f. Baldus de Ubaldis 101,107 Bancroft, Richard 133 Bankes, Sir John 143 Baron, Hans 72-77, 79, 83,155, 234, 281 Bartolus de Sassoferrato 101,107 Beaufort, Lieven de 240 Beccadelli, Ludovico 337 Beheim, Nikolaus 216 Behm, Johann 225 Behnen, Michael 167 Bellarmin, Roberto 140 Beseler, Georg 20, 23-26, 39, 84 Besold, Christoph 187,290,304-306 Beza, Theodor 162,232 Bilson, Thomas 131 Blickle, Peter 79-81,83,235,237 Blom, Hans 287 Boccalini, Traiano 307, 337

Böckenförde, Ernst-Wolfgang 21 f. Bodin, Jean 11 f., 14, 70,112, 155, 161 f., 174, 180f., 294, 297f., 301 f., 304f„ 307 f., 311 f., 355 Bodmer, Johann Heinrich 270, 276, 279 Bolestraszycki, Samuel 327 Boreel, Willem 246 Bornitz, Jacob 357 Botero, Giovanni 167, 336 Bouhours, Dominique 333 Bouwsma, William 281 Brady, Thomas A. 201, 203 Brei tinger, Johann Jacob 24 f., 270 Brissot de Warville, Jacques Pierre 69 f., 79 Bruni, Leonardo 59, 73 f., 113 Brunner, Otto 200 Brutus, Junius 162,184, 268 Bucer, Martin 72f„ 180 Buchanan, George 137, 157, 170f., 174 Buddaeus, Johann Franz 360 Bugenhagen, Johannes 186,207,210, 212f., 230 Bullinger, Johannes 180,244 Burgersdijk, Franco 305 Burgess, Glenn 127 f. Burhill, Robert 141 Busius, Paulus 305 f. Calvin, Jean 72, 74, 180, 183, 199, 244, 300,359 Cameron, James 149 Campbell, Archibald, Marquis und Earl of Argyll 155, 176,191 f., Casa, Monsignor Giovanni della 336 Caspar, Johann 267 Cephalus, Sigismundus, eigentlich Hartmann Beyer 208 Charron, Pierre 340 Chemnitz, Martin 220, 222 f., 337 Cicero, Marcus Tullius 74, 94, 163, 271, 286,292, 295, 300, 303 f., 308, 353, 359 Clapmarius, Arnold 162, 167

Register

376

Coke, Sir Edward 143 f. Coler, Christoph 358 Collinson, Patrick 123-125, 128 Comenius, Johann Arnos 259 Commynes, Philippe de 360 Conring, Hermann 162, 165, 289f., 306, 309, 342, 349, 360, 368 Constant, Benjamin 327 Contarmi, Gasparo 78 Contzen, Adam 289 Court, Johann de la 237, 239 f., 287, 306f., 309 Court, Pieter de la 237, 239 f., 245-247, 250, 252f., 262, 274, 280, 287, 306f. Craig, Thomas 194 Cromwell, Oliver 64, 173, 176, 234, 276 Cruciger, Kaspar 186,212 Crusius, Christian August 339 Cues, Nicolaus von 156 Cunradt, Christoph 226 Dachselhofer, Nikiaus Venner 241 David, Earl of Stratheam 169 Descartes, René 239 f., 243, 306, 309 Didymus, Gabriel 208 Dipper, Christof 349 Dohna, Friedrich von 258 Dreitzel, Horst 149, 288, 353 Drummond of Hawthornden, William 179 Eichhorn, Friedrich 22 Elisabeth I., Königin von England 9, 123125, 128, 130, 132, 134, 147 Escher, Heinrich 241,267 Escher, Johann Caspar (Jun.) 270-279, 281 Escher, Johann Caspar (Sen.) 270, 279 Escher, Johann Jacob 261, 263 f., 267, 271,276 Ferdinand I., Römisch-deutscher Kaiser 159 Fergus, König (myth.) 185 Fettmilch, Vincenz 98 Fiennes, Gregory, Lord Dacre 146 Fink, Zera S. 76 f. Flacius Illyricus, Matthias 212, 214 f., 220, 223 Fleck, Johannes 224 f. Flüe, Nikiaus von 251, 266 Forster, Georg

68

Franz I., König von Frankreich 241 Freder, Johannes 207 Friedeburg, Robert von 9 Gallus, Nikolaus 212,223 Gelderen, Martin van 11 Georg, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 188 Gerber, Karl Friedrich 19, 22 Gerhardt, Johann 183 Giannotti, Donato 78 Gierke, Otto von 4, 17 f., 22 f., 26 f., 2 9 56, 82, 84, 90, 94, 119, 121, 156f„ 162 Gillespie, George 172 Goslicki, Wawrzyniec Grzymala 311 Gracian, Balthasar 333 f., 344 Graevius 259 Graswinckel, Dirck 239 Grote, Alexius 207 Grotius, Hugo 11,239,261,270,287, 290, 294-300, 305 f., 311 Grüter, Marlies 22,216 Guicciardini, Francesco 78, 360 Guicciardini, Lodovico 336 f. Gülich, Nikolaus 98 Hackaert, Jan 243 Haller, Karl Ludwig von 17 f., 84-90, 94 Hamilton, Alexander 66 Harrington, James 78, 120, 286f. Harvey, William 343 Heidegger, Conrad 244 Heidegger, Johann Heinrich 259-261 Heinrich III., König von Frankreich 134 Heinrich IV., König von Frankreich 138, 293 Heinrich VIII., König von England 135, 141 Heshusius, Tileman 223 Hess, David 261, 264, 267, 271 Hess, Johann Rudolf 261 Hobbes, Thomas 180, 239 f., 243, 253, 306, 309, 335, 341 Hoboken, Nicolai 359 Hoffmann, Julius 339 Hofmann, Hasso 163 Hogersius, Theophil 265 Holzalb, Beat 267-269 Holzalb, Johann Heinrich 268 Holzalb, Leonhard 268 Holzalb, Salomon

268

1. Personenregister Honey man, Andrew 149 f., 153, 175, 179-181, 184, 186, 188f„ 191, 194 Hooft, Cornells Pietersz 239 Hooker, Richard 129 f. Hotman, Francis 162 Hottinger, Johann Heinrich 243, 248, 260 Hottinger, Johann Jacob 259 f. Houssai, Amelot de la 332 Houtuyn, Adriaan 239 f. Howie, Robert 175 Huber, Ulrich 239 Israel, Jonathan 238 Jakob I. [VI.], König von England und Schottland 125f., 135, 137-141, 156, 171 f., 185 Jay, John 66 Jedin, Hubert 337 Joachim Friedrich, Kurfürst von Brandenburg 224 Johann Friedrich d. M., Herzog von Sachsen 214,219 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 225 Johann VI., Graf von Naussau-Dillenburg 154 Johann Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz, Herzog von Jülich-Berg 98 Johannes von Salisbury 228 Johannes von Segovia 103-106 Jonas, Justus 186 Kant, Immanuel 70f., 79 Karl I./II., König von Schottland und England 64,125 f., 145,149,159,170,173, 175, 179, 185, 191 Karl V., Römisch-deutscher Kaiser 73, 207, 210f. Keckermann, Bartholomäus 11, 116, 300303 Kießling, Rolf 83 Klingler, Antonius Antistes 259, 276 Knigge, Adolph 336 Knipschild, Philipp 91, 106-110, 114-118 Knox, John 150, 157, 174, 180, 182, 189 Koenigsberger, Helmut G. 81, 235, 237 Koetteritz, Johann von 350 Koselleck, Reinhart 19 Kossmann, Emst 237, 287

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Laband, Paul 22, 156 Läublin, Johann Jacob 69 Laud, William 142 Lawson, George 179f„ 186-189, 194 Lehmann, Christoph 91,109 Leicester, Robert Dudley Earl of 129, 276 Leu, Hans Jakob 89 Leyser, Polycarp 218,223 Lipsius, Justus 199, 244, 288, 309, 331, 354 Lipski, Jan 325 Livius, Titus 360 Locke, John 31, 61, 78, 155, 193 f. Lolme, Jean-Louis de 63 Losaeus, Nicolaus 101, 103, 106f. Ludwig XIV., König von Frankreich 91, 241, 245, 250 f., 253-256, 258, 264, 266,279-281 Ludwig XVI., König von Frankreich 66, 69 Luhmann, Niklas 5, 7 Luther, Martin 131, 168, 180, 186, 209, 228, 230,341,353, 359 Macak, Antoni 328 Machiavelli, Niccolò 77 f., 240,250,283287, 307, 332 Madison, James 66, 286 f. Mager, Wolf gang 4, 9, 149, 201, 237 Maior, Georg 209f„ 217, 229 Mair, John 169 Maissen, Thomas 10 f., 202 f. Malapert, Abraham 258 f., 263 Maria I. Tudor, die Katholische, Königin von England 124 Maria Stuart, Königin von Schottland 124 f., 129, 150, 158, 170, 176, 265 Marsilius von Padua 156 Maurer, Georg Ludwig von 22 Maximilian II., Römisch-deutscher Kaiser 159 Mazarin, Jules 91 Meier, Ulrich 16, 202 Meinecke, Friedrich 2, 198, 283 Melanchthon, Philipp 112, 180 f., 186, 211 f., 214, 219, 222, 230, 300, 353 Melville, Andrew 171 Menius, Justus 209 f., 212 Menteith, Sir Robert Gaham, Earl of 169 Meyer, Conrad 243 Milton, John 285

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Register

Modrzewski, Andrej Frycz 311 f., 318 Moeller, Bernd 203 Moerbeke, Wilhelm von 59, 111, 113 Monner, Basilius 227 Montesquieu, Charles-Louis de Secondât, Baron de la Brede et de 31,62,84 Montguyon, Bartholomäus Johannes Sperlette 342 Moritz, Anja 216, 225 Moritz, Kurfürst von Sachsen 208 Mörlin, Joachim 222 Moser, Carl Friedrich von 367 Moser, Johann Jacob 99 f., 110 Moser, Justus 21 Moulin, Pierre 327 Muelen, Willem vander 239 Mulier, Eco Haitsma 287, 307 Müller, Michael G. 11 Müntzer, Thomas 192 Oeri, Ulrich 270 Oestreich, Gerhard 288 Olizarowski, Aaron Aleksander 312 Olson, Oliver K. 212 Ommeren, Rudolf van 247 f. Oresme, Nicole 112 Oslander, Andreas 212 Ott, Johann Rudolph 261 Owen, David 136 f. Paine, Thomas 65 f., 67 Pareus, David 136 Parker, Henry 146 Parsons, Robert 134 Pettegree, Andrew 149 Philipp I., der Großmütige, Landgraf von Hessen 188 Philipp II., König von Spanien 134, 292, 293 Philipp von Mazedonien 256 Phineas 176f., 182 Platen, Georg 222 Piaton 359 Pocock, John G.A. 5 , 6 , 7 , 7 7 f., 203,206, 234f., 283-287 Polybios 59,360 Pomponius 102 Pufendorf, Samuel 290, 309, 330, 337 f., 360 f.

Radziwill, Janusz 322 Radziwill, Krysztof 327 Rahn, Johann Heinrich 251, 259 f., 263268, 270, 274 Ramée, Pierre de la 295 Rapp, Christoph 363 Reinking, Theodor Dietrich 138, 289 Richelieu, Armand Jean du Plessis 91 Ritter, Gerhard 2 Robbins, Caroline 76 f. Robert II., König von Schottland 169 Rollock, Robert 175 Rorarius, Thomas 212, 220-224 Rotteck, Karl von 22 Rousseau, Jean-Jacques 238 Rowen, Herbert H. 203 Russell, Conrad 143 Rutherford, Samuel 150, 157,179-181, 183,185-188 Sallust 274,292,360 Salomonio, Mario 293 Salutari, Coluccio 73 f. Saravia, Hadrian 132-134, 136 Sarcerius, Erasmus 217 Sarpi, Paolo 332 Savigny, Karl Friedrich von 53 Scottola, Merio 360 Schele, Raebolt Heerman 239f., 265, 281 Scheuchzer, Johann Jacob 243, 261, 276, 279 Schiera, Pierangelo 12 Schilling, Heinz 56, 81-83, 120, 200, 235-237,281,291 Schlüsselburg, Conrad 212, 222f„ 225 Schmauß, Johann Jakob 107 Schmidt, Georg 196 Schoppe, Andreas 225 Schorn-Schütte, Luise 10, 149 Schreiner, Klaus 202, 364 Schröder, Jan 21 Schweizer, Johann Heinrich 260 f. Scott, Jonathan 149 Seiden, John 124 Sharp, James 149 f. Sheldon, Garrett Ward 78 Sidney, Algernon 285, 287 Sieyès, Emmanuel Joseph 69 f., 79 Sigismund III. Wasa, König von Polen und Schweden 322

1. Personenregister Simler, Josias 240,273 Skarga, Piotr 312, 318 f. Skene, John 194 Skinner, Quentin 5 f., 79, 203, 206, 235, 283-285 Sleidan, Johannes 360 Smith, Thomas 124 Sommer, Johannes 232 Sommerville, Johann 123,126-128 Sonnenfels, Joseph von 344 Spangenberg, Cyriacus 223 Spinoza, Baruch de 237, 239 f., 287, 309 Starowolski, Szymon 312 Stein, Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum 30 Steuart, James 150-152, 173, 176 f., 179, 181-186, 192-194 Stirling, James 150f„ 176 Stolleis, Michael 288 Stuppa, Peter 251 Suarez, Karl von 155 Tacitus, P. Cornelius 199, 332, 360 Tawney, Richard 154 Teil, Wilhelm 251, 261, 268, 281 Textor, Johann 337 Themistokles 268 Thomas von Aquin 111 f. Thomasius, Christian 332-336, 339, 341345, 360 Thukydides 360 Timann, Johannes 207 Timpler, Clemens 289, 299 Tortus, Mathaeus 140 Troeltsch, Emst 154 Turretini, Jean Alphonse 277 Ulrich, Johann Caspar

277 f.

Valkenier, Petrus 240,253-262,264,266, 268, 279-281 Valois, Heinrich von 319,321 Vázquez, Fernando 293, 297 f. Velthuysen, Lambert van 239 Venturi, Franco 237 Viret, Pierre 192 Visconti, Giangaleazzo, Herzog von Mailand 74,281

379

Vitoria, Francisco de 296 ff. Voltaire (Francois Marie Arouet) 337 Voss, Isaac 260 Vranck, Francois 293 f. Vries, Gerard de 239 f., 270, 274 Wagner, Bartholomäus 216 f., 224 Wait?., Georg 22 Walicki, Andrzej 327 Walsingham, Sir Francis 129 Warren, Mercy Otis 59 Wartenberg, Roxane 216 Weber, Max 19, 31, 36,50, 154, 206, 348, 350, 368 Weber, Wolfgang E. 12 Wehler, Hans-Ulrich 1 Weise, Christian 336,339 Welcker, Karl Theodor 22 Werdmüller, Christoph 261,267 Werdmüller, Johann Ludwig 267, 270 Werdmüller, Susanna 270 Whitgift, John (Erzbischof von Canterbury) 129 Wigand, Johannes 223 Wilhelm I. von Oranien, Statthalter der Niederlande 134,160,251 Wilhelm II. von Oranien, Statthalter der Niederlande 239 Willoweit, Dietmar 107 Wisner, Henryk 325 Witt, Johan de 239, 246, 274 Wittgenstein, Ludwig von 154 Wolan, Andrej 318 Wolfgang, Graf von Schönburg 216 Wood, Gordon S. 77 f. Worden, Blair 149, 203 Xenophon 360 Zabarella, Jacopo 295, 301 Zacchia, Paolo 343 Zamoyski, Tomasz 317 Zbarawski, Krzystof 325 Zuckert, Hartmut 83 Zwingli, Hyldrich 180,245

380

Register

2. Länder- und Ortsregister Altdorf 289,358 Andernach 208 Basel 103,243,255 Berlin 155,337,346 Bern 84, 89, 238, 241, 244 f., 259, 262 Biberach 100 Brabant 291 f. Brandenburg, Kurfürstentum 224 f. Braunschweig 218 f., 222 f., 227, 231 Breisach 255 Bremen 207 Britische Inseln 157, 186, 235 Burgsteinfurt 260 Burgund 247 Cambridge Canterbury

123 129, 136, 145

Danzig 301,320 Deutschland 1 f., 25, 27, 29,43, 130f., 134 f., 153, 158, 169, 182, 234, 236, 246f., 252, 254, 286, 288, 290f„ 329, 331 f., 336, 342, 345-347 Dordrecht 244 Earls Coinè 158 Edinburgh 149, 170, 175 Elbing 320 Emden 9, 160 Emmerich 253 England 2, 8 f., 11, 24, 57, 60 f., 63-65, 70, 76, 79, 120f„ 123-125, 128, 130, 132-136, 138, 140, 142, 147, 149, 156-159, 173, 175, 190f„ 194f.,234f„ 245, 253, 256, 267, 270, 285, 290, 303, 329, 343, 345 Esslingen 106 Europa 4 f . , 8 - l l , 19,66, 133, 140, 158f., 196f., 200, 233, 246, 253, 287, 293, 309, 329, 336, 344, 350 Flandern 291 f. Florenz 73 f., 77 f., 234, 281, 283 f. Fontainebleau 255, 274 Franeker 305 Frankfurt am Main 98,207 Frankfurt an der Oder 338

Frankreich 12,57,60,68,131,134 f., 174, 195, 233, 239, 241 f., 245-247, 249f„ 253 f., 256, 265, 267, 270, 275, 293, 329, 343, 354 Freiburg im Breisgau 255 Freiburg im Üchtland 244 Friesland 290 Galloway 150 Genf 63, 72, 129, 234, 238, 243 f., 249, 255, 258, 263, 266, 270 Genua 234,256 Gießen 138,289 Glauchau 216 Graubünden 270 Griechenland 268 Groningen 243,259 Grüningen 261 Halle an der Saale 338 f. Hamburg 99 Hanau 350 Heidelberg 175, 260, 337, 352 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation 9-12, 16, 46, 49 f., 54, 94, 99, 119,195, 197, 206f„ 214, 235f„ 243, 290, 303f., 307f., 329f., 337 Helmstedt 113, 289, 301 f., 342, 352 Herborn 160, 175 Hessen 230 Holland 60, 192, 238, 243, 245 f., 250-252, 261-263, 292 f. Ipswich 158 Italien 12, 201, 234-236, 240, 246, 265, 285 f., 290, 292,334 Jena

214,222,227,231

Karthago 274 f. Köln 9 6 , 9 8 , 2 9 3 Königsberg 223 Krakau 319,327 Küstrin 224 Kyburg 270,276 Leiden

132, 243, 253, 259f„ 290, 307

2. Länder- und Ortsregister Leipzig 2 0 7 , 2 1 7 , 2 8 9 , 3 3 2 , 3 3 9 , 3 5 2 Limmat 260 Lübeck 98 Lublin 327 Lucca 234 Lüneburg 231 Lüttich 268 Magdeburg 207, 211 f., 231 Mecklenburg, Herzogtum 207 Münster 174 Naumburg 211 Navarra 131 Neapel 240 Niederlande 2, 9, 11, 79, 132, 134, 160, 173, 233 f., 236-239, 241-251, 253, 258-260, 263, 266f., 270, 275, 279, 286-288, 290f., 303, 309 Nordamerikanische Kolonien, Neuengland, Neue Welt 58 f., 63, 65, 7 7 79, 175, 233, 235 Nürnberg 107f., 212, 270 Oberitalien 291 Oberpfalz 220 Oberschwaben 83 Orange 267 Osmanisches Reich 324 f. Österreich, Haus 159,161 Österreich, Herzogtum 253, 277 Ostfriesland 160 Padua 295 Paris 69,241,246 Penig 216 f. Pentland 176 f. Perth 172 Pfalz 255 Pforzheim 157 Piémont 245 Polen, polnische Adelsrepublik 9, 11, 60 Polen-Litauen 311-313, 317f„ 321, 323, 325 Pommern, Herzogtum 207 Posen 319 Praisley 176 Preußen 325,367 Przemysl 327 Regensburg 212, 255

381

Rom 76, 102, 114, 129, 145, 252f„ 266, 268, 275, 285, 290, 303, 307 Römisches Reich 102,114,153,157-162, 168 f., 174, 186, 194 Rostock 207, 223, 289, 350 Sachsen 214, 218f„ 230 Salamanca 293,296 San Marino 60,234,282 Schönburg 216 Schottland 9, 124, 135, 138f., 142, 149f„ 152, 156-159, 168-171, 173-176, 178, 182, 190, 192-194 Schweden 303 Schweiz, Schweizerische Eidgenossenschaft 9 f., 79 f., 84, 89 f., 202, 233 f., 236-250, 255f., 259f., 262f„ 266-269, 273, 275, 280, 282 Soest 350 Southampton 132 Spanien 125, 128, 182, 239f„ 245, 265, 293,329 Sparta 60, 76, 252 f., 303 Speyer 91 Springfield 158 St. Andrews 149, 175 Steinfurt 358 Stockholm 337 Stralsund 207,223,225 Straßburg 72, 255, 260, 289, 350, 352 Strathearn 169 Sundgau 255 Thom 320,325 Thüringen 210 Torgau 207 f., 230 Tournai 270 Tübingen 289 Turin 101 Ulm

357

Utrecht 240, 243, 270f., 273, 275, 278 Varennes 66 Venedig 60, 234, 239, 252 f., 262 f., 269, 281,286, 290, 303 Vereinigte Staaten von Amerika 2, 5, 60 Weimar 155 Wilna 319 Winterthur 269

382

Register

Wismar 207, 222 f. Wittenberg 207, 209, 211 f., 220, 222, 289, 352 Wolfenbüttel 307 Würzburg 161

York 145 Zürich 238,240-245,248,255,257-263, 266-270, 273 f., 277-279, 281

3. Sachregister Absolutismus 8,14, 22, 75, 139, 154, 162 f., 168, 180, 200, 201, 216, 220, 239f., 271, 275, 280, 312 Adel, Aristokratie 8, 11, 59, 71, 114, 116-118, 159, 170, 172-174, 229, 272, 275, 298, 302, 307, 313 f., 316, 319, 322f., 325, 367f. Amerikanische Revolution 17, 57, 63, 70f.,76f.,79, 83f., 120 Amt 65, 95, 97, 101, 130, 204, 207f„ 210f„ 213, 216f., 221 f., 228-231 Amtsgewalt 130, 140, 142 Anstaltsstaat/Anstalt 39^11,154,156, 167 Antichrist 208,210,231 Apologie, Apologeten 127, 129f., 138, 141 Aristotelismus 8, 11, 59, 61, 64, 93, 110, 160-163, 165, 181, 198, 203, 209, 227, 287-290, 304f„ 308f. Armada 170, 174f., 178 Aufklärung 57,339,343,346 Aufruhr/Aufstand 99,150,176,219 Augsburger Religionsfrieden 158 f., 174 Autonomiebestrebungen, gemeindliche 201 Autorität 331,343 Begriffsgeschichte 5-7 Benehmen 329, 331 f., 340, 344f. Bischof, bischöfliches Amt 130,136, 146f., 320 Bundesgedanke, biblisch 199 f. Bundesverfassung, amerikanische (1787) 64-66, 77 Bürger, Bürgertum, Beamtenbürgertum, Bürgerlichkeit 13, 16,44f., 49f., 5 4 - 5 6 , 74, 80, 82, 92, 94, 9 6 - 9 9 , 105 f.,

109,111,114f„201-203,269,286,289, 291 f., 296, 299, 302, 308, 347, 352 Bürgereid 82,96,221 Bürgergemeinde 13, 34,46, 82, 86, 88 f., 105, 110, 119, 121,219 Bürgerhumanismus 73 f., 76-79, 83, 120f., 155 Bürgerschaft 16f., 34f„ 37 f., 43,45,47 f., 87,92-99, 101, 108f„ 110, 119, 121, 200,218 Bürgerversammlung 13,30,38 f.,45 f., 48f., 50-52, 54f., 89f., 94, 96, 102f„ 106, 119 Caesaropapismus 141,231 Calvinismus 74f„ 125, 142, 152, 154f. Calvinisten 132,225,259,316,320 Cambridge School 5-7, 235, 284 Christiana, corpus christianum 3, 10f., 195, 197-199, 203-206, 211, 214-221, 226-228, 231 f. Civil Law 127 civitas 165, 201, 290, 299, 301 f., 308 Common Law 127, 142, 144, 147f. correctio principis > Herrscherkritik 8, 199, 209 Demokratie 8, 59, 64, 66f„ 71, 108, 114-116, 118, 155, 164f„ 191, 277, 307 Despotismus 71 f., 84, 91 Disziplin 306, 334, 340 f., 358 Drei-Stände-Lehre 10, 12, 204, 206, 208 f., 211-220, 223, 226, 228 f., 231 ecclesia externa 221, 224 Einheit 27,30,33 Elite, Elitenbildung 201, 227, 323, 347 f., 352, 362, 366, 369 f.

3. Sachregister Episkopalverfassung, Episkopat, Episkopalisten 133, 136, 173, 179 Erbrecht 128, 135, 147 Ethik, christliche/politische 197, 210, 289 Französische Revolution 17, 22,57,68, 70 f., 79, 83 f., 120 Freiheit 22, 25,27, 30-32, 35, 54,61-63, 65,68,76, 78f., 86,248f., 257f., 284-286, 292, 294, 296, 298, 303, 307-309, 327. - Gewissensfreiheit 285, 292, 322, 326 - Glaubensfreiheit 316,320,323,326 Frühbürgerliche Revolution 3, 80 Frühmoderne Staatsbildung/frühmoderner Staat 348, 353 f. Fürst, Fürstenspiegel 137, 220f„ 285, 288, 338, 348f., 364f„ 368f. Gegenreformation 147, 313, 317f., 323 Gegenwehr 8, 191 Gehorsam 29, 92,96,106, 109,168,187, 191, 208, 210, 218, 221 f., 230, 272, 368, 370 Gehorsamsverweigerung 208,210f., 218, 222 f., 225, 230 Geistlichkeit 149-153, 207-209, 211, 214-216, 218f., 221, 225-227, 229, 231,318, 321 f. Gemeinde 23-26,34-37,39,43,45 f., 48, 50-52, 54, 86 f., 106, 121, 211 f., 218 Gemeine Beste 82,90 Gemeiner Mann 80, 93,149, 151, 158, 166 Gemeinwesen 22, 40, 42, 45 f., 49 f., 52, 58,61,67, 73 f., 76, 86, 102, 117, 119, 149-153, 157, 159, 161-168, 173f„ 178, 180-190, 192-194, 286, 289, 293 f., 296-299, 305 Gemeinwohl 61, 116, 286, 293, 296f., 308 f., 364 f. Genossenschaft 13, 17-27, 29-34, 37, 40 f., 45 f., 50,84-88,90,94,119,201 f., 236 Genossenschaftslehre 28, 156 Gesellschaft 92, 113, 152 f., 156, 162, 181, 293, 327, 330f„ 333, 335, 339f. Gewaltenteilung Verfassung, gewaltenteilig-repräsentative 23, 31, 50, 61-64, 68,71,83, 120f., 234

383

Glaubensspaltung 313-315, 324 Glorious Revolution (1688) 31, 61, 78 Gottesgnadentum 125, 133, 136f., 139, 142, 148 Hausvater 32, 197, 208, 212f„ 219 Hausväterliteratur 209 Herrschaft 4, 8-11, 18f„ 21 f., 27, 32f„ 40f., 55, 85, 119, 123, 125-128, 131, 133-142, 144f„ 147, 164, 168, 192, 197, 199, 201-204, 220f„ 223, 228f., 288, 292 f., 331, 339, 349, 354, 364 f., 370 Herrschaft, konsensgestützte 10, 16, 202, 204 Herrschaftsordnung 161-164,167,183f., 186,189,227 Herrscher 134,136, 139-141, 182, 185, 288 f., 330 f., 364 Herrscherkritik ->• Obrigkeitskritik 8, 10, 12, 199 f., 217 Historiographie, Geschichtsschreibung 154, 290, 313, 316, 323, 327, 360 Hugenotten 131, 134, 136, 245 Humanismus 74f„ 169, 193 Ideengeschichte 1-3,197,206 Identitätsrepräsentation 62, 87 f., 90, 105 f., 110, 165 Individuen, Individuum, Individualismus 25,68,71,75,151,153,156f„ 175,177, 183, 186, 189, 193f., 330f„ 335, 339 Intellectual history 2 f. Interim, Augsburger 207 f., 210-214, 216f., 220, 223, 226, 230f. Interim, Leipziger 208 Israel (Volk) 178 Juristen 17,21,59,97,101-103,110,124, 137, 140, 143, 150, 215, 218, 225-227, 230 f., 350, 356, 367 Katholizismus, Katholiken 130, 134, 139-141, 144, 313, 315-317, 324, 327, Kirche 158f„ 170f., 173f., 176f., 179 Kirchenregiment, Kirchenverfassung 105, 128, 139 f., 142-145, 147, 171 Klerikalismus 142 f. Kollegialitätsprinzip 100 Kommunalismus 4, 10, 80f., 155, 201, 236

384

Register

K o m m u n e 3 4 , 4 4 , 50, 96 f. Kommunikation, politische 2 - 1 0 , 1 2 , 2 0 9 , 2 1 1 , 2 1 8 , 2 2 9 , 308 Konfession, Konfessionalisierung, Konfessionalisierungsprozeß, konfessionell, konfessionelles Zeitalter 57, 130, 134, 147,158, 247, 249-251, 2 5 8 f „ 264, 289, 313, 324, 328, 350, 354 Konflikt 8, l l , 1 5 0 f . , 1 5 8 , 1 6 9 , 1 7 3 f . , 203, 206, 2 1 4 f „ 2 1 8 - 2 2 0 , 225, 232, 239, 246 f., 251, 257, 276, 2 8 0 , 2 8 6 , 319, 321,327,330, - Bekenntniskonflikt 314 - Glaubenskonflikt 151 f., 158 - Konfessionskonflikt 151-154, 160, 168,311 - Religionskonflikt 174, 325 Konsens 7 - 1 0 , 9 4 , 98, 197, 2 0 2 - 2 0 4 Körperschaft 17, 29 f., 3 9 ^ 3 , 4 6 , 53, 58, 8 9 , 9 4 , 101 f., 107, 119, 121, 144, 166, 299f., 308 Körperschaftskonzept 50, 84 Körperschaftslehre 6 0 , 1 0 8 , 1 1 0 , 1 1 9 Landstadt 31, 4 6 , 4 8 , 5 4 f „ 2 1 6 f „ 222 Legitimation, Legitimität 3 f., 8 , 1 2 6 , 1 2 8 , 131-133, 139, 144, 147, 166, 169, 175, 182, 192f„ 197, 199, 204, 206, 228, 330, 344, 347, 365 Lehnsrecht, Lehnswesen 93, 2 3 0 f . Liberalismus 21, 23, 78f., 120, 156f. Linguistic turn 5 Luthertum, Lutheraner 138, 152, 154, 183 Machiavellismus 199, 283, 356, 368 Magdeburger Bekenntnis 131, 157, 160, 171, 174 Magistrat, magistratus inferiores/superior 61, 133, 156, 162, 164-166, 177f„ 182f., 1 8 5 , 1 8 7 - 1 9 0 , 1 9 2 f . , 2 3 0 , 272, 296-298, 300, 308, 352 Melancholie 329, 331, 334, 3 3 9 - 3 4 5 miles papae 2 1 1 , 2 1 7 Mischregiment, Mischverfassung -* res publica mixta 10, 1 4 f „ 61, 76, 114, 116, 118, 133, 188, 200, 2 3 4 , 2 4 0 , 2 5 2 - 2 5 4 , 275f., 280, 286, 290f., 303 Moderne, Modernisierung, Modernisierungstheorie 2 - 4 , 6 , 7 0 , 1 9 4 , 196,202, 205, 340, 346 monarchia mixta 1 0 , 3 1 8

Monarchie 8f., 11, 14f., 22, 26, 56, 5 8 f „ 63, 68f., 79, 84, 90f., 114, 119, 123, 127 f., 133 f., 136, 144, 147, 153, 155, 158, 164, 168, 173, 197, 201, 203f., 224, 228 f., 263, 272, 301 f., 305, 307, 329,350 Monarchomachen, Monarchismus 73, 133 f., 137, 155, 162, 174, 201, 287, 289 f., 293, 299, 304, 308 Moralphilosophie 330, 341 f., 345 Naturrecht 149, 151, 1 5 3 f „ 156, 178, 182 f., 191, 194, 240, 262, 271-274, 280, 290, 330, 3 4 1 , 3 5 8 , 360 Naturzustand 183, 186, 189,194, 271, 273, 2 8 1 , 2 9 6 Negative Confession (1581) 172,177 Neuaristotelismus, Antimachiavellismus 186, 199,295, 350 Neuzeit 2 , 4 , 10, 21, 55 f., 75, 82, 84, 93, 97, 101, 114, 117, 121, 154, 161 f., 196, 203, 337 f., 341, 345, 348, 350, 355, 369 Notwehr, Notwehrrecht 8 f., 159, 168, 173 f., 178, 182 f., 191-193, 195,200, 207-213 Nutzen, gemeiner 202 Obrigkeit 12, 31, 3 7 , 4 3 f., 47, 49, 54, 72 f., 92, 111, 115, 117, 121, 127, 140, 142 f., 156 f., 159, 161, 167f„ 177 f., 182, 184, 186-189, 197, 201, 207 f., 210-221, 223-225, 230, 317, 351 Obrigkeitskritik Herrscherkritik 10,12, 195, 208 f., 217, 222, 232 Obigkeitsstaat 157 oeconomia 209 Oligarchie 202 Papst, Papsttum 140 f. Parlament 9 , 6 1 , 123, 1 2 7 f „ 135, 139, 146 f. Parlamentarismus 3 1 , 8 1 , 1 5 5 Partizipation 202 f., 236 pater patriae 2 2 2 , 2 2 5 Pflichtenlehre 3 3 0 , 3 4 1 pius magistratus 215, 219f., 223f., 229 politia 2 0 9 , 2 1 1 , 3 0 2 Politica, politica Christiana 153f., 160f., 174, 194, 197 f., 2 8 8 - 2 9 0 , 303 f., 3 0 6 309 Politica, Politikwissenschaft, Politiktheo-

3.

Sachregister

rie 9 f., 113, 118, 198, 232, 244, 2 8 6 291, 294, 299, 302, 312, 3 4 7 f „ 3 5 1 364,366-370 Politikverständnis, politisches Denken 151-153, 157, 159, 162, 1 6 7 f „ 174, 2 9 7 , 3 1 1 - 3 1 3 , 328 Politiker, politicus 12, 1 9 8 , 3 4 7 - 3 6 0 , 362-364, 3 6 7 - 3 6 9 Politikstudium 359 f. Presbyterianer, Prebyterianismus, presbyterianisch 125, 129 f., 139, 147, 155, 159, 169-176, 179f., 186f., 189, 191 princeps christianus 199 Professionalisierung 12, 56, 347 f. Protestanten, Protestantismus 129f., 135, 141, 1 4 4 , 3 1 5 - 3 2 2 , 325 Prudentia, prudentia gubernatoria 227, 335 Pulververschwörung 138, 140 Puritanische Revolution 76, 78 f. Puritanismus, puritanische Bewegung, Puritaner 125 f., 129f., 136f„ 142 Ramismus 295 Rat 13,16 f., 30 f., 3 6 - 3 9 , 4 3 - 5 3 , 5 5 f., 82, 8 7 - 9 8 , 100-102, 105 f., 108-110, 114, 117, 119, 121, 2 1 8 f . Ratsregiment 16f., 56, 97, 99-101, 105, 112, 116, 118 f., 121 Rechtswissenschaft 341 Reformation 1 6 , 4 6 f „ 57, 98, 125, 144f., 148, 151, 157, 169f., 1 7 2 f „ 175,178, 182, 192, 211, 330, 332, 337, 340 Regiment 61, 94, 112-114,116, 118, 122 Regnum 162-165, 167 Reich 3 , 3 3 , 1 5 3 , 1 6 1 , 2 3 0 , 3 3 7 Reichshofrat 99 f. Reichsregiment 162, 170 Reichsstadt Städte 31, 3 8 , 4 6 f., 49, 54f., 7 3 , 9 1 , 99f., 106-110, 114f.,234, 275 Reichsstände 159, 161 f., 166, 168, 187, 191, 1 9 3 , 2 2 2 Reichstag 291, 313, 319-322, 3 2 5 f . Reichstagspredigten 312 Religionskriege, französische 131, 134 Renaissance 75 f., 120, 194, 284, 329, 308, 331 f., 340, 345 Repräsentation 83, 87, 90, 102, 104, 108, 110, 153 f., 156, 162-166, 187, 308, 365

385

Repräsentativsystem 6 2 , 6 5 - 6 7 , 7 1 , 120 Republik, res publica 9 - 1 1 , 5 8 - 6 1 , 63, 6 5 - 7 0 , 72 f., 76f., 81, 84-90, 94, 108, 113, 123, 128, 203, 235, 237, 245-250, 2 5 2 - 2 5 7 , 2 6 2 - 2 6 7 , 2 6 9 , 271, 2 7 4 f „ 277, 2 8 0 - 2 8 2 , 291 f., 296, 298-301, 303-305, 307-309, 312, 317, 323 f., 327 Republikanismus 4, 7, 9 f „ 13, 17, 5 7 f „ 60 f., 6 5 - 8 4 , 119 f., 155, 200-204, 217, 224, 229, 233-243, 245, 252, 254, 258, 270, 279, 281, 283-288, 290, 308 f. res publica Christiana 224 res publica mixta 10 f., 286, 290-292, 298, 300, 302-306, 309 Revolution 63, 78, 159, 191, 346 Rzeczpospolita 1 1 , 3 1 1 - 3 1 4 , 3 1 6 - 3 2 1 , 324f.,327f. Säkularisation 3 3 0 f „ 345 Säkularisierung 2 4 9 , 3 3 1 , 3 3 9 Schmalkaldischer Bund 186, 200 Schöpfungsordnung 10, 205, 209, 227 f. Semantik, historische 5, 7 Sittenlehre 333, 335, 345 Souverän, Souveränität 11 f., 14, 29, 55, 153, 161, 194, 236, 2 3 9 f „ 243, 267, 269 f., 275, 280-282, 293 f., 297 f., 3 0 0 3 0 2 , 3 0 4 f . , 307f., 336f., 3 4 8 , 3 6 5 f . , 369 Souveränitätskonzept 14, 112 Späthumanismus 1 1 , 3 0 8 , 3 5 0 Staat 2 0 , 2 9 - 3 1 , 3 4 f., 4 3 , 4 6 , 4 9 f., 5 2 , 7 1 , 85, 152, 159, 162, 324, 327, 329-331, 337 f., 341 Staatsbildung 328 Staatlichkeit 328 f., 340 Staatsbürger 3 2 4 , 3 3 9 Staatsräson 12, 161, 199, 262, 283, 329, 331, 334-338, 340, 344 f., 350, 356 Staatsräsonlehren 1 6 2 , 3 3 7 Staatstheorie, Staatslehre 128, 147, 270, 312 Städte Reichsstädte 34-36, 234, 253, 2 9 1 - 2 9 4 , 303, 314, 3 1 9 f „ 323, 326 Städteordnung, preußische (1808) 30 Stadtgemeinde 35, 42 Stadtrepublikanismus 81-84, 120f., 236, 238,291 Stadtverfassung 109 Stände 31, 33, 36, 93, 133-135, 170, 188 f., 193, 207, 232

386

Register

Ständelehre 111 Ständeversammlung 93 status ecclesiasticus 215, 219, 221, 223, 232 status oeconomicus 218 f., 223 status politicus 214f., 218-220, 223f., 232 Stuart 76, 126-128, 147 Systemtheorie 5 Szlachta 314, 317, 321, 326 f. Tacitismus 199,288,360 Territorialisierung 158, 168 Territorialstaaten 48, 329, 338 Theologen 137, 140, 350, 356 Theologie 289,331,341 -politische 1,197,199,232 Toleranz 11, 274, 313, 315, 319f. Tyrann 90,132,138,185,210f„ 215,217, 221 f., 229, 231,239,271-273 Tyrannei 182, 190 Tyrannenlehre 165, 270 Tyrannenmord 134 Ungehorsam 183,217 Unionsstaat 312-315, 317f. 324, 327f. Universität 289, 302, 348, 350, 352 Untertan, Untertanen 12, 34,46 f., 80, 85, 93, 110, 113, 126, 131, 134, 140, 147, 150f., 157, 162, 164, 167f., 174f„ 177, 180-182, 186-188, 190f„ 201, 207, 213, 217-219, 221, 224f„ 230, 302, 330, 338 f., 345,364, 370

Verfassung 66, 68, 71, 86, 123 f., 129 - gewaltenteilig-repräsentative Gewaltenteilung 57, 61, 63, 69 f., 120 Verfassungsform 11 Vernunft 333,339,346 Vertragsgedanke 199f., 230 Via Media 129 f. Volk 30, 62, 64, 71, 85, 102f„ 106, 108, 115, 118, 153, 156, 164-166, 178, 180, 183f., 187f., 190, 193, 272, 285, 293f., 304, 308 Volkssouveränität 22f.,53,134,156,167, 234, 292-294 Wächteramt 207f„ 210, 213, 216, 220223 Wahl 44,47,88,101,223 Wahlkönigtum 11 Westfälischer Frieden 159, 239, 330, 338 Widerstand 8-10, 72f„ 90f., 98f., 121, 124f„ 131,133 f., 138,145,149f„ 152, 155, 157 f., 165, 168, 171 f., 174, 177f„ 182, 185-188, 190-192, 225, 229, 239, 271 f. Widerstandsrecht 9 f., 72, 124, 128, 131-133,135-138, 147, 149,151,158, 168, 178, 181,186-188,191, 193, 195, 200, 213,222 f., 225, 229-232, 273,292 Wiener Schlußakte 22 Wissenschaft 161, 339f., 344 Zwei-Reiche-Lehre

143, 353