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German Pages 165 [160] Year 1972
Gottfried Martin Arithmetik und Kombinatorik bei Kant
Gottfried Martin
Arithmetik und Kombinatorik bei Kant
W DE 1972 Walter de Gruyter · Berlin · New York
ISBN 3 11 003593 6 © Copyright 1972 by Walter de Gruyter & Co., Berlin. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere die der Obersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form — durch Photokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren — reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Daten Verarbeitungsmas chinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.
Vorwort Unterzieht man das Thema „Kant und die Arithmetik" einer ersten Durchsicht, so stößt man auf die Tatsache, daß zahlreiche Schüler Kants Lehrbücher der Mathematik verfaßt haben. Eine besonders prägnante Persönlichkeit dieses engeren Königsberger Kreises ist Johann Schultz, der das Amt eines praktischen Theologen mit dem Amt eines ordentlichen Professors der Mathematik in einer bemerkenswerten Weise verbindet. Alle diese mathematischen Lehrbücher aus dem Schülerkreise Kants sind in derselben Weise angelegt: Sie legen einen axiomatischen Aufbau der Mathematik zu Grunde, und sie stellen an die Form der Beweise strenge Anforderungen. Es muß nun gezeigt werden, daß diese beiden Ersdieinungen, Axiomatik und Beweisstrenge, eine eigentümliche Neuerung dieser Lehrbücher sind; es muß weiterhin gezeigt werden, daß diese beiden Grundlagen auf Kant selbst zurückgehen. Der Sachlage nach konnte dies nur durch Zusammentragen vieler Einzelheiten geschehen. Inzwischen habe ich mich bemüht, die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Ergebnisse weiterhin zu belegen. Dies kann in zwei Richtungen geschehen: Zunächst hat Kant von 1755 bis 1762 über Mathematik gelesen und es wäre wünschenswert, eine Nachschrift dieser Vorlesung zu kennen. Unter den Hörern dieser Vorlesung befand sich auch Herder und ich habe inzwischen einen Teil seiner Nachschrift der Mathematikvorlesung aufgefunden. Weiter muß sich Kant zwischen 1780 und 1790 eingehend mit mathematischen Problemen beschäftigt haben. Aus dieser Beschäftigung muß eine große Reihe von Reflexionen entstanden sein. Diese Reflexionen haben jedenfalls einige Jahre nach Kants Tode noch existiert und es wäre wünschenswert, sie wieder aufzufinden. Aber selbst, wenn dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen sollte, so gibt uns allein die Herdersdie Nachschrift eine hinreichende Bestätigung des in der folgenden Arbeit Dargelegten.
Gottfried Martin
Inhaltsverzeichnis Einleitung
9 TEIL I
Kapitel I.
Axiomatik und Logik der Mathematik
18
Kapitel II. Die analytischen Grundsätze
26
Kapitel III. Die Axiome der Arithmetik
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TEIL II Kapitel IV. Probleme der Zahlklassen
67
Kapitel V.
74
Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie
Kapitel VI. Das synthetische Urteil in der Arithmetik
103
A. Die natürlichen Zahlen 1. Belegstellen 2. Die Probleme 3. Der Aufbau der Zahl bei Kant 4. Die Arithmetisierung der Zahl 5. Die Logisierung der Zahl
103 103 104 106 110 112
B. Das arithmetische Urteil 1. Belegstellen 2. Interpretation von 7 + 5 = 12 3. Die Interpretation von Johann Schultz
113 113 116 119
. . . .
C. Interpretationsgeschichte des arithmetischen Urteils 1. Die Zeitgenossen Kants 2. Das 19. Jahrhundert 3. Die Mathematiker 4. Bolzano und Husserl 5. Die Marburger Schule D. Zusammenfassung Namenregister Sachregister Literaturverzeichnis
.
126 126 129 132 137 143 146 147 150 158
Einleitung Die Grundlagenfrage der Mathematik ist in einen hoffnungslosen Streit zwischen Formalismus und Intuitionismus, bestenfalls in einen ebenso hoffnungslosen Versuch einer Vermittlung zwischen den beiden angeblichen Gegensätzen versandet. Eine Besserung wird nidit eher eintreten, ehe man nicht erkennt, daß es sidi um philosophische Probleme handelt, d. h. aber, daß in den Grundlagenfragen der Mathematik rein systematisdie Betrachtungen von vornherein unfruchtbar bleiben müssen, und daß nur die innigste Verbindung von systematischen und historischen Methoden weiterführen kann. Husserl setzt die Geometrie als ein Gebiet an, in dem aus Axiomen auf rein formal analytischem Wege die geometrischen Lehrsätze abgeleitet werden. Dieser Ansatz ist von O. Becker in seinen „Beiträgen zur phänomenologischen Begründung der Geometrie" wiederholt und vertieft worden. Er gilt fast als allgemein zugestanden. Diese herrschende Auffassung widerspricht dabei dem schliditen Empfinden des schaffenden Mathematikers. Idi kann midi damit begnügen, Gauss anzuführen: Gauss, WW V I I I , S. 170-174 in der ablehnenden Besprechung von Schwab, Comm. in El. Eucl. libr. I. Ein großer Teil der Schrift dreht sidi um die Behauptung gegen Kant, daß die Gewißheit der Geometrie sich nicht auf Anschauung, sondern auf Definitionen und auf das „Principium identitatis" und das „Principium contradictionis" gründe. Daß von diesen logischen Hilfsmitteln zur Einkleidung und Verkettung der Wahrheiten in der Geometrie fort und fort Gebrauch gemacht werde, hat wohl Kant nicht leugnen wollen: aber daß dieselben für sich nichts zu leisten vermögen, und nur taube Blüten treiben, wenn nidit die befruchtende lebendige Anschauung des Gegenstandes selbst überall waltet, kann wohl niemand verkennen, der mit dem Wesen der Geometrie vertraut ist.
Der analytische Charakter der mathematischen Lehrsätze wird häufig in einer unglaublich platten Weise zum Ausdruck gebracht. In einer Kant-Festschrift durfte folgendes veröffentlicht werden: W. F. Meyer, Kant und das Wesen des Neuen in der Mathematik, Festsdirift, S. 309. Wir wünschen ganz im Sinne Kants zu zeigen, daß die gedachte Vermehrung entgegen dem äußeren Anschein keine materielle sondern nur eine formale ist, daß die Erweiterung mathematisdier Erkenntnisse nur in einer anderen Anordnung,
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Einleitung Gruppierung, Zusammenstellung, Trennung und Verbindung bereits vorhandener besteht. Um diese Auffassung zunächst an einem einfadien Bilde aus dem gewöhnlidien Leben zu erläutern: Jedermann weiß, daß ein und dasselbe Zimmer mit ein und demselben Mobiliar je nadi der Aufstellung und Verteilung des letzteren dem Beschauer einen ganz anderen, einen „neuen" Eindruck bietet, so daß man sogar audi leicht einen gewollten Eindruck, einen bestimmten „Stil" durch passende Anordnung hervorrufen kann. Nicht anders ist es in der Mathematik. Durdi bloße Umordnung von Teilen wird der Eindruck von Neuem, von Fortschritten erzeugt.
Einen Uberblick über die Lage in der Arithmetik gibt H. Beck in seiner „Einführung in die Axiomatik der Algebra". Kennzeichnend ist der erste Satz des Vorwortes: „Die Axiomatik der Algebra ist heute keineswegs abgeschlossen."
Diese Unabgeschlossenheit gilt in einem doppelten Sinn. Zunächst steht nicht eindeutig fest, welche arithmetischen Sätze als Axiome anzusetzen sind. Allerdings scheint eine gewisse Beliebigkeit in der Auswahl der Axiome eine ursprüngliche Schwierigkeit jeder Axiomatik zu sein. Die Axiomatik der Arithmetik ist ferner in dem Sinne unabgeschlossen, daß sich die axiomatisdie und die logische Schule nach wie vor unvermittelt gegenüber stehen. Als Vertreter der axiomatischen Riditung nenne ich etwa Peano und Zermelo, im weiteren Sinn auch Hilbert, als Vertreter der logisdien Riditung Frege, Couturat, Reichenbach, Carnap, Wittgenstein, im weiteren Sinne audi Russell. Man kann die fast allgemein angenommene Uberzeugung dahin zusammenfassen, daß die Sätze der Arithmetik rein formallogisch gewonnen werden können, während die Sätze der Geometrie zwar aus Axiomen, dann aber formallogisdi gewonnen werden. Zur Klärung dieser Fragen will die vorliegende Arbeit darstellen, wie Kant diese Probleme gesehen und behandelt hat. Die Grundfragen lauten dann in Kantischem Ausdruck: Gründet die Mathematik auf Axiomen? Sind Axiome synthetische Urteile? Sind die Lehrsätze synthetische Urteile? In allen diesen Fragen ist freilich bei Kant nichts geklärt, nicht einmal was Kant gemeint hat, geschweige denn, ob seine Meinung zutreffend war. Man trifft zunächst auf die Meinung, Kant habe von Mathematik überhaupt nichts verstanden. Die Antwort ist nicht sdiwer. Wenn Kant von der Mathematik, auf die er so viel Arbeit und Mühe verwandt hat und in der er als Privatdozent 15 Semester lang gelesen hat, wirklich gar nichts verstanden hat, dann soll man ihn aus der Reihe der audi nur mittelmäßig Begabten streichen. Aber, sagt man, er war zum mindesten doch mathematisch unproduktiv. Die vorliegende Arbeit bemüht sich zu zeigen, daß Kant den axiomatischen Charakter der
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Mathematik als erster wirklich erkannt und daß er zahlreiche Axiome - sei es allein, sei es in Zusammenarbeit mit Freunden - in produktiver mathematischer Arbeit aufgestellt hat. Zum mindesten aber, sagt man, ist Kants Meinung falsch, nach der die Mathematik auf Anschauung beruhen soll. Allerdings interpretiert man diese These dahin, daß die Mathematik auf dem Augenschein beruhe. Die folgende Arbeit bemüht sich zu zeigen, daß Kant vielleicht als erster die Beweisstrenge im heutigen Sinne gefordert hat, und daß die Interpretation der Anschauung als Augenschein ein nur aus der geschichtlichen Lage verständlicher völliger Abweg ist. Für die Angriffe auf Kants mathematisches Verständnis nenne ich nur beispielsweise Michaelis, Mansion, Couturat, Adickes, Vloomans. Michaelis, Über Kants Zahlbegriff 1884, S. 3. . . . Aber ebensowenig oder noch weniger als Christian Wolff, der doch wenigstens eine Reihe mathematischer Fachschriften herausgab, kann Kant als Mathematiker gelten. Mit Lambert, seinem großen Zeitgenossen, dem Vorläufer der Vernunftkritik, kann er auf mathematischem Gebiete nicht verglichen werden, so sehr er ihn in der Philosophie überragt. Die Geschichte der Mathematik nennt Kants Namen nicht. Mansion, Gauss contre Kant sur la giomitrie non euclidienne, S. 439. Kant a montr£ dans la Critique de la raison pure meme et ailleurs, qu'il ne connaissait que tr£s mal les έΐέιηεητβ des mathimatiques; il ne s'est nullement tenu au courant des redierdies qui ont paru de son temps, sur les premiers principes de la g^on^trie. Ebenso unrichtig ist auch die Behauptung von Couturat: Couturat, La Philosophie des Math&natiques de Kant, Rev. mit. 1904, S. 340. En rialiti, il y a Ii une erreur fondamentale sur la nature des νέηΐέ$ arithmitiques singuli£res, qui sont toutes d6montrables; les seules viritis primitives ou ind£montrables de l'Arithn^tique sont des propositions g£^rales ou axiomes, dont pr^cisiment Kant ne s'occupe pas. Adickes, Kant als Naturforscher 1924,1, S. 19. Zunächst ein Wort über die losen Blätter mathematischen Inhalts, die für die Mathematik als Wissenschaft, auch für ihre Geschichte, ohne jede Bedeutung sind. Desto größeren Wert haben sie aber als psychologische Dokumente. Denn aus ihnen lassen sich sichere Schlüsse auf die Größe von Kants mathematischer Begabung und Fertigkeit ziehen, und von beiden wird man nach Ausweis der losen Blätter nicht allzu hoch denken dürfen. Ausführlich setzt sich auch Vloomans mit Kants mathematischem Verständnis auseinander. Wenn Vloomans seine Ausführungen in einen größeren geistesgeschichtlichen Rahmen hineinstellt, so werden sie dadurch nicht richtiger. Vloomans, Anschauung und Verstand 1921, S. 120. Trotz seines tiefen Eindringens in das Wesen und die Bedeutung der exakten Wis-
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sensdiaft, wovon wir jetzt die Oberzeugung zur Genüge gewonnen haben, steht Kant zur Mathematik und zur mathematischen Naturwissenschaft nicht mehr in der produktiv lebendigen Beziehung, in der Plato, Descartes und Leibniz zu ihnen gestanden haben. Kants mathematische und naturwissenschaftliche Versuche gehören der Periode seiner jugendlichen Entwicklung an, und treten, sobald er den selbständigen Weg zu seinem philosophischen System gefunden hat, allmählich zurück. . . . Die Philosophie hat sich aus dem lebendigen Entwidslungsprozeß zurückgezogen und wendet sich bei Kant nunmehr ihrer prinzipiellen Grundlegung zu. S. 126: aber ganz erstaunlich, in seinen Werken sucht man vergebens den geringsten Widerhall des emsigen Forschens seiner Zeitgenossen im Sinn einer Kritik der Axiome... Der gründliche Philosoph Kant blieb in seiner Lehre vom Fortschritt der Mathematik seiner Zeit unberührt; er beschränkt sich in einen Dogmatismus den Axiomen der Geometrie gegenüber, einen Dogmatismus, der aus der Grundstimmung seines Systems sehr wohl begreiflich ist. An diesen heftigen Vorwürfen gegen Kants mathematisches Verständnis bleibt bemerkenswert, d a ß sie alle aus den letzten Jahrzehnten stammen. Der Vorwurf, f ü r die Mathematik keinerlei Verständnis zu haben, war im 18. Jahrhundert tödlich. Er wäre daher in den Streitschriften gegen K a n t ausgiebig verwandt worden, hätte er nur mit irgendeinem Recht erhoben werden können. Im Gegenteil ist noch jahrzehntelang die Uberzeugung wach geblieben, daß Kant sich auf die Mathematik durchaus verstanden habe. Man sehe etwa Schmeisser, Reine Mathesis 1817, S. 105. Wenn ihm (Kant), der die Tiefen des menschlichen Erkenntnisvermögens erforschte, eine gründliche Kenntnis des Wesens unserer Wissenschaft zu diesem Zwecke notwendig war, die sich in der Kritik der reinen Vernunft genugsam beurkundet, so legt er, der die Werke eines Newton studierte, in seiner Betrachtung des Weltbaues eine umfassende Kenntnis ihrer Lehren dar. H i e r wird also K a n t ausdrücklich eine gründliche Kenntnis des Wesens der Mathematik und eine umfassende Kenntnis der Lehren der Mathematik zugestanden. Nach Arnoldt, Bd. V, S. 177 ff. hat K a n t folgende mathematische und physikalische Vorlesungen angekündigt und wahrscheinlich auch gehalten: 1755/56 1756
Mathematik Mathematik
1756/57 1757 1758
Mathematik Mathematik Mathematik über Wolffs Auszug
Physik Naturwissenschaft nach Eberhards „Erste Gründe der Naturlehre" Physik Naturwissenschaft nach Eberhard Naturwissenschaft nach Eberhard
Einleitung 1759 1759/60 1760 1760/61 1761
1761/62
1762/63 1763
Mathematica varia Mathematik Mechanik Mathematik Reine Mathematik Arithmetik, Geometrie Trigonometrie Mechanik, Hydrostatik Hydraulik, Aerometrie Arithmetik Geometrie Trigonometrie Mathematik Mathematik
13 Physik nach Eberhard
Physik Physicam theoreticam
collegium physico-mathematicum
Es folgen bis 1788 noch 10 Vorlesungen über theoretische Physik und zwar vier nadi Eberhard, fünf nach Erxleben und eine nach Karsten. Klar ist der Aufbau des Kollegs zunächst in der Physik. Kant liest dort einen zweisemestrigen Kursus, im ersten Semester Physik - 1761/62 - als collegium physico-mathematicum bezeichnet, im zweiten Semester Theoretische Physik nach Eberhard. Nach 1761 wird die als Physik bezeichnete Vorlesung aufgegeben und einigermaßen regelmäßig von 1765/66 bis 1787/88 im ganzen zehnmal nur noch theoretische Physik nach Eberhard, Erxleben oder Karsten gelesen. Der Inhalt dieser Vorlesungen ergibt sich aus den benutzten Handbüdiern, die im wesentlichen Erörterungen über die atomare Struktur der Materie, über die Aggregatzustände und deren Veränderung insbesondere durch die Wärme enthalten. Schwieriger ist die andere Vorlesung über Physik zu bestimmen. Experimental-Physik im heutigen Sinne kann es nidit gewesen sein, da Mechanik, Akustik und Optik zur Mathematik-Vorlesung gerechnet wurden. Nach der Bemerkung 1761/62 - collegium physico-mathematicum - könnte man wohl an ein Colleg denken, das sich an Newtons Principia und an Kants Erstlingsschrift über das Kräftemaß anlehnte. Aus den mathematischen Vorlesungen lassen sich vier Cyklen abheben. 1. SS 1756-WS 1756/57. Ankündigung SS 1756: In der Mathematik werden die alten Vorlesungen fortgesetzt und neue angefangen. 2. SS 1758-SS 1759. Der Cyklus beginnt mit Wolffs Auszug und endigt mit mathematica varia.
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Einleitung
3. WS 1759/60. Ankündigung: Reine Mathematik, die ich anfange in einer besonderen, die mechanischen Wissenschaften in einer anderen Stunde, beide nadi Wolff. In diesem Semester dürfte Kant zu Ende gekommen sein, da beide Vorlesungen vierstündig angesetzt waren. 4. SS 1760-WS 1760/61. 5. SS 1761. Wieder wie im WS 1759/60 vier Stunden Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie und vier Stunden Medianik, Hydrostatik, Hydraulik, Aerometrie. Die Grundvorlesungen dauerten damals im allgemeinen vier Semester oder noch länger, Kant hat sie also kürzer und zwar in 2 bis 3 Semestern gelesen. Er ist dabei an Hand der Anfangsgründe weit in die Anwendungen hineingegangen. Wenn Arnoldt eine angebliche Vorlesung von Kant über Fortifikation und Pyrotechnik nicht auffinden kann, so handelt es sich um ein Mißverständnis. Schubert, Kantbiographie. WW ed. Rosenkranz Bd. 11,2. S. 35. Mit dem Wintersemester 1755 begann er die Reihe seiner akademischen Vorlesungen über Mathematik und Physik, jene nach Wolff, die letztere nach Eberhards Naturlehre, und trug sogar mit teilnehmendem Interesse die Lehren von der Fortifikation und Pyrotechnik vor.
Schubert will also gar nicht sagen, daß Kant über diese Themen besonders gelesen habe, sondern nur, daß er auch diesen abseits liegenden Teil der Vorlesung mit Interesse vorgetragen habe. Es war Sdiubert oder seinen ungenannten Gewährsleuten noch bekannt, daß Fortiiikation und Pyrotechnik Abteilungen des mathematischen Lehrbuchs von Wolff waren. Zu diesen Universitätsvorlesungen kamen noch häufige Privatvorlesungen in der Mathematik für die Königsberger Offiziere (Arnoldt 1. c.). Wenn Kant also 15 Semester lang eine vierstündige Vorlesung über Mathematik gehalten hat, so wird man ihm immerhin einige Kenntnisse der Mathematik zugestehen müssen. Wie sorgfältig Kant diese Vorlesungen vorbereitet hat, ergibt sich aus seiner Bibliothek. Arthur Warda ist es gelungen, das Verzeichnis von Kants Büchern wieder aufzufinden. Unter Kants Büchern befinden sich 27 rein mathematische Werke. Von diesen ist ein Werk nicht festzustellen, da es nur mit „Mathematische Figuren" bezeichnet ist. Die restlichen 26 Werke lassen sich in 3 Gruppen gliedern. 1. Sechs Werke, die nach der Kritik erschienen sind und wohl Geschenke der Autoren darstellen:
Einleitung
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Schultz, Entdeckte Theorie der Parallelen 1784. Schultz, Versuch einer genauen Theorie des Unendlichen 1788. Schultz, Anfangsgründe der reinen Mathesis 1790. Michelsen, Eulers Differentialrechnungen 1790. Michelsen, Geometrie in Briefen 1790. Schönberger, Grundlinien zu einer Größenwissenschaft in ihrer Natur dargestellt 1801. Weitere 12 Werke, die alle vor 1740 erschienen sind, könnte Kant schon als Student oder als Hauslehrer erworben haben: Descartes, Geometria ed. Sdiooten 1649. Bernoulli, ars conjectandi 1713. Gravesande, matheseos universalis elementa 1727. Wolff, elementa matheseos 1713/15. Hausen, elementa matheseos 1734. Jesper, Rechenbuch 1682. Köbel, Von künstlichem Feldmessen 1578. Sarganeck, Die Geometrie in Tabellen 1739. Schott, Organum mathematicum 1668. Stifel, arithmetica integra 1544. Vlacque, trigonometria artificialis 1633. Weidler, institutiones mathematicae 1718. Die restlichen 8 Werke dürfte sich Kant eigens für die mathematische Vorlesung angeschafft haben: Es handelt sich zunächst um die deutsche Ausgabe von Wolff mit 2 Erläuterungswerken. Wolff, Anfangsgründe 1750. Wolff, Auszug aus den Anfangsgründen 1749. Büttner, Erläuterung der Rechenkunst..., welche sich in Wolffs Auszug . . . befinden 1754. Dann 5 größere mathematische Lehrbücher, die in den Jahren der mathematischen Vorlesungen erschienen sind: Rudolph, Anfangsgründe der Arithmetik 1757. Lambert, Die freie Perspektive 1759. Lilienthal, Beschreibung einer leichten und geschwinden Methode, den genauen Inhalt aller krummen und geradlinigen Figuren zu erforschen 1759. Kästner, Anfangsgründe der angewandten Mathematik 1759-1761. Karsten, Mathesis theoretica elementaris 1760. Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß Kant nach Beendigung seiner mathematischen Vorlesungen für seine eigene Bibliothek keine mathematischen Werke
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mehr erworben hat, sonst müßte doch mindestens ein nach 1760 erschienenes Werk sich vorfinden. Unter Kants Büchern finden sich weiterhin zahlreiche Werke über Gebiete, die zwar noch von Wolff in den Anfangsgründen behandelt sind, aber heute nicht mehr zur Mathematik geredinet werden, eine Tatsache, die Warda entgangen ist. Gerade diese Werke geben ein Bild davon, wie Kant seine mathematischen Vorlesungen vorbereitet hatte. Wolif handelt in Bd. 1 der Anfangsgründe Rechenkunst, Geometrie und Trigonometrie ab. Es folgt noch in Bd. 1 die Baukunst und in Bd. 2 Anfangsgründe der Artillerie und Anfangsgründe der Fortifikation. Für diese Gebiete finden sich in Kants Bibliothek 8 Werke, von denen wohl 6 für die Vorlesungen beschafft sind: Sturm, le veritable Vauban 1710. Sturm, Architectura militaris 1755. Succov, Erste Gründe der bürgerlichen Baukunst 1751. Anweisung zur Kriegsbaukunst 1757. Struensee, Anfangsgründe der Artillerie 1760. Des Königs von Preußen (Friedrich II.) Unterricht von der Kriegskunst an seine Generals 1761. Furtenbach, Mannhafter Kunstspiegel 1663. Belidor, Architectura hydraulica 1740. Aus diesen Erwerbungen Kants ergibt sich, welchen Wert er darauf gelegt hat, den über die militärisdie und zivile Baukunst handelnden Teil seiner Vorlesung mit wirklichem Anschauungsmaterial auszustatten. Im zweiten Teil der Anfangsgründe bringt Wolff Mechanik, Hydrostatik, Aerometrie und Hydraulik. Hier läßt sich von den einzelnen Werken nicht mit Sicherheit sagen, ob sie für die Mathematik- oder die Physik-Vorlesung bestimmt waren: Anmerkungen über alle Teile der Naturlehre 1754. Dickinson, physica vetus 1703. Erxleben, Anfangsgründe der Naturgeschichte 1768. Haies, Statik der Gewächse mit einer Vorrede von Wolff 1748. Hanov, philosophiae naturalis sive physicae dogmaticae 1762. von Mairan, Abhandlung vom Eise 1752. Maupertuis, Versuch von der Bildung der Körper 1761. Wallerius, Mineralogie 1763. Eberhard, Beiträge zur Mathesis applicata 1757 (Erläuterung zu Wolff, Mechanik und Optik). Doppelmayr, Mathematische Instrumente 1717.
Einleitung
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Euler, Mechanics 1736. Weidler, tractatus de machinis hydraulicis 1728. Werckmeister, Orgelprobe 1716. Der dritte Band der Anfangsgründe bringt Optik, Katoptrik, Dioptrik, Perspektiv, sphärische Trigonometrie: Bernoulli, hydrodynamica 1738. Newton, optice 1719. Newton, philosophiae naturalis principia mathematica 1714. Benvenuti, Dissertatio physica de lumine. Zur Astronomie gehören folgende Werke: Gassendi, institutio astronomica 1647. Hevel, prodromus astronomiae 1690. Rost, Astronomisches Handbuch 1726. Marquardt, Elementa astrognosiae 1734. d'Alembert, Reflexions sur la cause g£n£rale des vents 1747. Kratzenstein, Von dem Einfluß des Mondes 1747. Baudouin, Entdeckung eines Trabanten der Venus 1761. Lambert, Cosmologische Briefe 1761. Meridiangrad, woraus man die Figur der Erde herleitet 1742. Meteorologia 1744. Semler, Astrognosia nova 1742. Galilei, systema cosmicum 1699. Den Schluß des dritten Bandes der Anfangsgründe bilden Chronologie, Geographie und Gnomonik. Zur Chronologie und Gnomonik gehören: Müller, Beschreibung aller derzeit üblichen Sonnenuhren 1712. Sully, Von der Einteilung der Zeit 1754. Diese Zusammenstellung derjenigen Werke, die Kant für seine Bibliothek erworben hat, zeigt, daß er in seiner Vorlesung den Anfangsgründen von Wolff gefolgt ist, insbesondere daß er die dort behandelten, heute nicht mehr zur Mathematik gerechneten Teile sich mit Sorgfalt zu eigen gemacht hat. Man sieht besonders, daß Kant für diese Vorlesung ein reichliches Anschauungsmaterial bereit gestellt hat. Sowohl aus dem Vorlesungsverzeichnis wie aus dieser Zusammenstellung der Bücherkäufe ergibt sich daher, daß Kant der Mathematik in dem damals üblichen Rahmen einen beträchtlichen Teil seiner Zeit und seiner Aufmerksamkeit gewidmet hat.
Teil I
KAPITEL
I
Axiomatik und Logik der Mathematik Bei der Schwierigkeit der Probleme erscheint eine kurze sachliche Erörterung geboten. Es ist meines Erachtens gänzlich unmöglich, wenn aus den Arbeiten der einzelnen Forscher, etwa Poincare oder Russell, irgendein Zitat herausgenommen wird, und wenn dann ebenso schlicht wie unbekümmert behauptet wird, die moderne Entwicklung habe Kant Recht oder Unrecht gegeben, je nach der Einstellung des Verfassers. Es muß immer wieder darauf hingewiesen werden, daß über Axiomatik und Logik der Mathematik keinerlei Übereinstimmung besteht. Dazu kommt, daß die Arbeiten der produktiven Forscher mit so vielen Vorbehalten versehen sind, daß sie keineswegs in einer so massiven Weise verwertet werden dürfen. Wenn etwa Russell beständig für die Möglichkeit einer rein logischen Ableitung der Mathematik zitiert wird, so drückt er selbst sich viel vorsichtiger aus. Er behauptet zwar, die Mathematik aus der Logik abgeleitet zu haben, ob aber damit die Probleme nidit nur in die Logik verschoben worden sind, läßt er ausdrücklich offen. Darüber hinaus ist die Bedeutung seines Reducibilitäts-Axioms kaum festzulegen. Wenn Brouwer einen Intuitionismus begründet, so bleibt der Zusammenhang mit der Kantischen Anschauung eine offene Frage. Hilbert beginnt zwar seine Grundlagen mit einem Kantzitat. Trotzdem bleibt fraglich, ob seine formalistische Begründung wirklich der Kantischen Begründung entspricht. Wenn Poinca^ das Gesetz der vollständigen Induktion, den Schluß von η auf n + 1 als synthetisches Urteil interpretiert, so ist nicht nur diese Interpretation strittig, sondern man könnte darüber hinaus noch fragen, ob Poinca^ denselben Sinn von Synthesis verwandt hat wie Kant. Es scheint mir bei dieser Sachlage geboten, zunächst die wichtigsten Axiomensysteme anzugeben und im Anschluß daran die wichtigsten Möglichkeiten der Interpretation durchzusprechen. Da eine Einstimmigkeit in diesen Fragen doch nicht zu erwarten ist, so können auf diese Weise wenigstens die Konsequenzen einer bestimmten Stellungnahme abgeschätzt werden. Der klassische Ausgangspunkt für alle Axiomatik ist Euklid. Die Ausgabe von Heiberg beginnt mit zusammen 13 Sätzen. Die mittelalterlichen Ausgaben des Euklid bringen diese Axiomentafeln fast immer in erweiterter Form. So beginnt
Axiomatik und Logik der Mathematik
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die wohl am meisten benutzte Ausgabe von Clavius statt mit 13 mit 24 Sätzen. Für unsere Zwecke kommt die Axiomentafel von Wolff in Betracht, der in den Elementa Matheseos 1713, S. 29 und S. 98, folgende vier Sätze gibt: Axioma I. Idem est aequale sibimetipsi. Axioma II. Quantitates homogeneae aut aequales sunt aut inaequales. Postulatum I. A quovis puncto Α ad quodvis punctum Β posse duci lineam rectam. Postulatum II. Lineam rectam terminatam AB utrinque produci posse. Als wichtigste Axiomentabellen der Neuzeit kommen dann in Frage die Tabelle von Peano: Arithmetices Principia 1889, die Axiomentabellen von Hilbert und die Axiomentabelle in den Principia Mathematica. Die Axiomentabellen von Kant entnehme ich den Anfangsgründen der reinen Mathesis von Joh. Schultz. Stellt man die dort gegebenen Axiome zusammen, so kommt man zu folgender Tafel:
Axiome Allgemeine
Größenlehre:
1. Die Quantität der Summe ist einerlei, man mag zu dem ersten gegebenen Quantum das andere oder zu andern das erste addieren, d. i., es ist allemal a + b = b + a , ζ. B. 5 + 3 = 3 + 5 . 2. Die Quantität der Summe ist einerlei, man mag zu dem ersten gegebenen Quanto ein anderes entweder auf einmal ganz oder jeden seiner Teile nach und nach einzeln addieren, d. i., es ist allemal c + ( a + b ) = ( c + a ) + b = c+a+b. Geometrie:
1. Es gibt nur einen unendlichen d. i. nach allen möglichen Seiten ohne Ende ausgedehnten Raum. 2. Der Raum ist stetig, d. i. alle seine Teile hängen so zusammen, daß die Grenze oder das Aufhören des einen Teils immer zugleich die Grenze oder das Anfangen des andern ist. 3. Die Ordnung, in welcher die Teile des Raumes nebeneinander sind, ist auf eine unabänderliche Art bestimmt. 4. Die geometrischen Flächen und Linien sind ebenso wie die körperlichen Räu-
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5. 6. 7. 8.
me und geometrischen Körper ausgedehnte stetige Größen, die Punkte aber sind unausgedehnt und die letzte Grenze alles Ausgedehnten im Raum. Von einem Punkt Α zum andern Β ist nicht mehr als eine gerade Linie AB möglich. Durch zwei Punkte Α Β ist nach beiden Seiten ohne Ende fort nicht mehr als eine gerade Linie möglich. Durch eine gerade Linie AB und einen Punkt C außer ihr geht ohne Ende fort nicht mehr als eine Ebene. Von einer geraden Linie kann nicht ein Teil in einer Ebene und der andere außerhalb derselben liegen.
Postulate Allgemeine
Größenlehre:
Postulat 1. Mehrere gegebene gleichartige Quanta durch ihr successives Zusammennehmen in ein Quantum d. i. in ein Ganzes zu verwandeln. Postulat 2. Jedes gegebene Quantum in Gedanken ohne Ende zu vermehren und zu vermindern. Geometrie:
Postulat 1. Von einem Punkt Α zum andern Β ist allemal eine gerade Linie AB möglich. Postulat 2. Jede gerade Linie AB kann durch ihre Endpunkte nach beiden Seiten C, D ohne Ende verlängert werden. Postulat 3. Durch eine gerade Linie AB und einen Punkt C außer ihr ist allemal eine Ebene möglich. Postulat 4. Jede Ebene läßt sich ringsum nach der Seite einer jeden geraden Linie, die in ihr liegt, ohne Ende verlängern. Postulat 5. In einer Ebene ist um das Zentrum C für den gegebenen Radius CB allemal eine Kreislinie ABDA möglich. Postulat6. Auf der gegebenen Grundfläche AEBA ist mit dem auf ihr senkrechten Parallelogramm FGCA ein Cylinder zu beschreiben. Postulat 7. Auf der Grundfläche AEBA ist mit dem auf ihr senkrechten Dreieck CDA ein Kegel zu beschreiben. Postulat 8. Um das Zentrum C mit dem Radius CA oder dem Durchmesser AB ist eine Kugel zu beschreiben. Soweit die vorliegende Arbeit zu dieser Frage neues Material beizubringen glaubt, stützt sie sich auf die bisher nicht beachtete Tatsache, daß aus dem Kreise der engeren Kantsdiüler, also seiner Freunde, Doktoranden und Studenten eine
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ganze Reihe von mathematischen Werken, insbesondere Lehrbücher erschienen sind. Eine genaue Durchsicht dieser Werke zeigt, daß sie gegenüber den Lehrbüchern der Zeit einen grundsätzlichen Unterschied aufweisen; sie benutzen alle eine axiomatische Grundlegung der Mathematik. Von hier aus kann man dann sehen, daß Kant als Erster den axiomatischen Charakter der Mathematik erkannt hat und welche Rolle diese Erkenntnis für seine Philosophie gespielt hat. Die folgende Arbeit will diese Zusammenhänge zunächst für die Arithmetik klarlegen. Bei diesen Tabellen habe ich für Kant zunächst die Axiome aus den Anfangsgründen der reinen Mathesis von Schultz genommen. Die Belege werden in den folgenden Kapiteln einzeln beigebracht werden. Aus dem Vergleich der Tabellen lassen sich zunächst zwei Gesichtspunkte abheben. Zunächst ist die Mathematik bei Wolff tatsächlich entsprechend dem von Leibniz aufgestellten Ideal eine Mathematik ohne Axiome. Wenn Kant eine solche Fundierung der Mathematik nach Leibniz oder Wolff mit aller Schärfe als unzureichend erkannt hat, so hat ihm die moderne Entwicklung darin tatsächlich Recht gegeben. Ein erster Vergleich mit Peano oder Hilbert genügt, um zu erkennen, daß auf den von Wolff gemachten Voraussetzungen eine Mathematik nicht begründet werden kann. Aber auch der Vergleich mit Euklid zeigt, daß bei ihm eine eigentliche Axiomatik im heutigen Sinne nicht vorliegt. Auch dies ergibt sich ohne weiteres aus einem Vergleich zwischen Euklid und Hilbert bzw. Peano. Welche Bedeutung die vorausgeschickten Sätze bei Euklid haben - Euklid selbst kennt ja nicht den Namen Axiom - ist schwierig. Es scheint aber so, als ob diese Sätze viel eher die Definition einer Geometrie mit Zirkel und Lineal geben sollten als eine Axiomatik im heutigen Sinne. Auf jeden Fall dürfte bei Euklid jeder Gedanke daran fehlen, daß ein Axiom ein Satz ist, bei dem auch das Gegenteil logisch möglich ist. Man kann zunächst rein historisch die Mathematik in Arithmetik und Geometrie gliedern. Schon Aristoteles hat die Bedeutung dieser Gliederung für die ontologischen Fragen der Mathematik erkannt. Als zweite Unterscheidung findet sich die Unterscheidung der mathematischen Sätze in Grundsätze und Lehrsätze vor. Ich will nun diejenige Meinung axiomatisch nennen, die unbeweisbare Grundsätze voraussetzt. Den entgegengesetzten Standpunkt bezeichne ich als logisch. Dabei verträgt sich die Meinung, die Geometrie sei axiomatisch durchaus mit der Meinung, die Arithmetik sei logisch. Der entgegengesetzte Standpunkt ist schwerlich denkbar, eine axiomatische Arithmetik verlangt sicherlich eine axiomatische Geometrie. Bei vorgegebenen Grundsätzen kann man weiterhin die Auffassung vertreten, daß sich die Lehrsätze aus diesen Grundsätzen rein logisch
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ableiten lassen. Eine solche Auffassung nenne ich deduktiv. Konstruktiv nenne ich dagegen diejenige Auffassung, nach der die Lehrsätze nicht auf rein logischem Wege aus den Grundsätzen deduziert werden können. Auch hier wird man sich einige Möglichkeiten kaum praktisch denken können. Scheidet man aus den 16 rein kombinatorischen Möglichkeiten in dieser Weise die praktisch nicht zu verwirklichenden aus, so behält man 5 faktische Möglichkeiten. 1. Arithmetik und Geometrie beruhen auf Axiomen und sind im Aufbau konstruktiv. Kant. 2. Arithmetik und Geometrie beruhen auf Axiomen, sind aber im Aufbau deduktiv. Fries, Husserl, Hilbert, Peano, Zermelo, König. 3. Arithmetik und Geometrie sind in Grundsätzen und Lehrsätzen rein logisdi zu deduzieren. Leibniz, Wolff, Grassmann, Russell, Wittgenstein. 4. Die Arithmetik ist logisch deduktiv, die Geometrie axiomatisdi konstruktiv. Von einer solchen Differenzierung zwischen Arithmetik und Geometrie gehen unter Führung von Gauss fast alle großen Mathematiker des 19. Jahrhunderts aus. Ich nenne hier nur Riemann und Hankel, dazu Nelson und Helmholtz. 5. Die Arithmetik ist logisdi deduktiv, die Geometrie axiomatisch dekutiv. Als Vertreter nenne ich Frege und Vloomans. Die Aufgliederung der einzelnen Forscher bleibt dabei im einzelnen fraglich, da selten ausdrückliche Festlegungen in diesen beiden Fragen vorliegen. Dabei kann sich die axiomatische Auffassung eine Möglichkeit offen halten, die die logische Auffassung wohl grundsätzlich verneinen muß. Die Entwicklung der Mengenlehre hat gezeigt, daß am Rande der mathematisch erfaßbaren Gebiete stets bisher unerfaßte Gebiete auftreten. Während ζ. B. die Einteilung der ganzen Zahlen in gerade und ungerade Zahlen das Gebiet in zwei gleichmäßig zu behandelnde Bereiche aufteilt, zeigt die Einteilung in rationale und irrationale Zahlen, in stetige und unstetige Funktionen, in konsistente und inkonsistente Mengen einen ganz anderen Charakter. Sie umschreibt ein bestimmtes, der mathemathischen Erfassung durch bestimmte Grundcharaktere zugängliches Gebiet: rationale Zahl, stetige Funktion, konsistente Menge. Eine sol die Einteilung faßt dann alles, was übrig bleibt, zunächst mit einem Namen zusammen und läßt dabei unentschieden, ob und wie dieser Rest mathematisch erfaßt werden kann. Eine axiomatische Auffassung jedenfalls könnte eine solche Sachlage für das Gesamtgebiet der Mathematik zulassen; sie könnte also die Auffassung vertreten, daß durch Grundcharaktere jeweils nur bestimmte Teilbereiche der ma-
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thematischen Erfassung zugänglich werden, während über die Restbereiche zunächst gar nichts ausgesagt werden kann. Man sieht leicht, daß die von uns benutzten Bezeichnungen, axiomatisch, logisch, konstruktiv und deduktiv der Kantischen Bezeichnung analytisch und synthetisch entsprechen und zwar in der Weise, daß die axiomatisdie Auffassung synthetische Grundsätze und die logische Auffassung analytische Grundsätze annimmt, während die konstruktive Auffassung auch für die Ableitung der Lehrsätze eine Synthesis fordert im Gegensatz zur deduktiven Auffassung, die die Lehrsätze durch analytische Urteile gewinnen will. Um diese Einteilungen deutlicher zu machen, ziehe ich einige Äußerungen der einzelnen Forsdier heran. Für eine rein logische Deduktion sowohl der Lehrsätze als auch der Grundsätze sprechen sich Leibniz und Wolff ganz eindeutig aus. Leibniz gibt in seinen Bemerkungen zum 1. Buch des Euklid für alle 20 Axiome (des Clavius) Beweise (Mathematische Schriften ed. Gerhard Bd. 5, S. 183-219). Leibniz ed. Buchenau, I, S. 286. Für midi steht fest, daß der Beweis der Axiome für die wahre Analysis oder Erfindungskunst von großem Nutzen i s t . . . Ich meinerseits bin ganz im Gegenteil der Ansidit, daß die Geometer zu loben sind, weil sie durch diese Sätze, wie durch Pflöcke, der Wissenschaft einen festen Halt gegeben und die Kunst entdeckt haben, fortzuschreiten und aus Wenigem so vieles herzuleiten; denn wenn sie die Erfindung der Theoreme und Probleme hätten hinausschieben wollen, bis alle Axiome und Postulate bewiesen gewesen wären, so hätten wir vielleicht heute noch keine Geometrie.
Für Leibniz sind also die Axiome eine Unvollkommenheit, die man im Aufbau der Geometrie so lange dulden muß, bis man die Beweise gefunden hat. Daß Wolff in seinen Elementa matheseos einen rein logischen Aufbau einer Mathematik ohne Axiome durchgeführt hat, ergibt sich schon aus der oben wiedergegebenen Axiomentabelle. Er sagt aber auch ausdrücklich Wolff, Elementa matheseos 1713 De methodo mathematica § 33. Notandum nimirum, eo minorem fieri axiomatum numerum, quo sufficientius notiones evolvuntur. Immo si verum fateri fas est, vera axiomata non sunt nisi propositiones identicae.
Denselben Standpunkt im Kampf gegen Kant nehmen auch Eberhard und Schwab ein. Eberhard, in Eberhards Magazin II, S. 157. Warum kann die Einbildungskraft nicht zwei gerade Linien zwischen zwei gegebenen Punkten denken? Den Grund davon würde ein höherer Verstand finden
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können; er würde alsdann apodiktisch gewiß, und diese Gewißheit würde eine vernünftige, keine bloß sinnliche sein. Also auch für Eberhard hat das A x i o m einen absoluten, vernünftigen Grund. Wir kennen ihn nur nicht. Schwab, Comm. in primum El. Eucl. libr., S. 44. . . . utque nullum axioma geometricum relinquatur inter axiomata Euclidea; demonstrabimus enim axiomata 10 et 12 atque ita manifestum erit, totam Geometriam niti generalissimis humanae cognitionis principiis. Für die Deduktion aus Axiomen kann ich Hilbert nennen. Hilbert, Axiomatisches Denken, Math. Ann. 78, S. 406. Wenn wir eine bestimmte Theorie näher betrachten, so erkennen wir allemal, daß der Konstruktion des Fachwerkes von Begriffen einige wenige ausgezeichnete Sätze des Wissensgebietes zugrunde liegen und diese dann allein ausreichen, um aus ihnen nach logischen Prinzipien das ganze Fachwerk aufzubauen. Für die ontologische Unterscheidung zwischen Arithmetik und Geometrie führe idi zunächst Gauss an: Gauss, Brief an Bessel 9. 4 . 1 8 3 0 , W W V I I I , S. 201. Nach meiner innigsten Überzeugung hat die Raumlehre in unserm Wissen a priori eine ganz andere Stellung wie die reine Größenlehre; es geht unserer Kenntnis von jener durchaus diejenige vollständige Überzeugung von ihrer Notwendigkeit (also auch von ihrer absoluten Wahrheit) ab, die der letztern eigen ist; wir müssen in Demut zugeben, daß, wenn die Zahl bloß unseres Geistes Produkt ist, der Raum auch außer unserm Geiste eine Realität hat, der wir a priori ihre Gesetze nicht vollständig vorschreiben können. V o n Frege und Vloomans liegen ausdrückliche Äußerungen vor: Frege, Grundlagen der Arithmetik, S. 101. . . . sehe ich ein großes Verdienst Kants darin, daß er die Unterscheidung von synthetischen und analytischen Urteilen gemacht hat. Indem er die geometrischen Wahrheiten synthetisch und a priori nannte, hat er ihr wahres Wesen enthüllt. Und dies ist nodi jetzt wert, wiederholt zu werden, weil es noch oft verkannt wird. Wenn Kant sich hinsichtlich der Arithmetik geirrt hat, so tut das, glaube ich, seinem Verdienste keinen wesentlichen Eintrag. Ihm kam es darauf an, daß es synthetische Urteile a priori gibt; ob sie nur in der Geometrie oder auch in der Arithmetik vorkommen, ist von geringerer Bedeutung. Vloomans, Anschauung und Verstand 1921, S. 153. Dasselbe lehren uns die reinen Verstandeswissenschaften; die Logik und die Arithmetik . . . Anders aber in der Geometrie, da tritt dem Verstand ein ihm wesensfremdes Element entgegen. D a ß für Kant und seine Schüler die Axiomatik der Mathematik im vollen Bewußtsein und in klar erkanntem Gegensatz zur Entwicklung bis zu ihrer Zeit
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aufgenommen worden ist, dafür mag außer den später beizubringenden Belegen von Kant und Schultz hier vorweg Zimmermann gelten. C. G. Zimmermann, Anfangsgründe der Geometrie 1813, S. V. Alle diese Vorteile der Mathematik aber können uns durdi eine unrichtige Behandlung derselben gänzlich entrissen werden. Die Methode muß sich hier auf der ihr eigentümlichen Höhe erhalten und kann von ihrer Strenge und ihren Forderungen nicht abgehen. Die Zahl der Grundsätze auf der einen Seite durch Lehren, welche der Verstand nicht als Grundsätze anerkennt, vervielfältigen auf der andern erklären und beweisen wollen, was keiner Erklärung und keines Beweises bedarf, und wodurch also der Verstand weder an Klarheit noch an Evidenz gewinnt; . . . sind Fehler, welche mit dem Geist der Mathematik und ihrer Methode im Widerspruche stehen. Diese Bemerkungen würden überflüssig sein, wenn nicht Männer, die in Ruf und Ansehen stehen, in ihren Schriften jene in der Natur der Sache gegründete Regel oft übersehen und mit diesen Fehlern eine zweckwidrige Zusammenstellung des ganzen verbunden hätten. Schon Proklus war in seinem Kommentar über die Elemente des Euklid bemüht, die Zahl der Axiome zu vermindern... etwas ähnliches unternahm auch Apollonius von Pergae und unter den neueren Mathematikern Roberval, vorzüglich aber Leibniz; (Oeuvres posth. L IV Ch XII). Zimmermann war ein erklärter Lieblingsschüler von Kant und geht bei der Auffassung seiner mathematischen Lehrbücher ganz in den Bahnen seines Lehrers. Die ganz klare Stellungnahme gegen Leibniz wird von ihm besonders noch dadurch unterstrichen, daß er die bekämpfte Meinung in genauem Zitat angibt. Diese kurze Ubersicht zeigt zunächst, daß in der Axiomatik nicht diejenige allgemeine Ubereinstimmung herrscht, wie in den anderen Gebieten der Mathematik. Die Darstellung der Axiome zeigt wesentlich größere Unterschiede als die Darstellung anderer mathematischer Gebiete. Zugleich zeigen die angezogenen Stellen, daß die Grundfrage der Axiomatik das Verhältnis zur Logik ist. Sind die Axiome logisch zu gewinnen? Sind aus den Axiomen die Lehrsätze logisch zu gewinnen? Damit gewinnen wir zugleich den Anschluß an eins der großen Kantischen Grundprobleme: Kants Kampf gegen die überlieferte Logik.
KAPITEL
II
Die analytischen Grundsätze Im Verlauf seiner axiomatisdien Untersuchungen hat Kant einen Teil der Grundsätze herausgezogen und als analytische Grundsätze vorangestellt. Die beiden Hauptstellen finden sich in der Kritik der reinen Vernunft. Kritik der reinen Vernunft A 163 f., Β 204 f. ( . . . Axiome der Geometrie . . . ) Was aber die Größe (quantitas) d.i. die Antwort auf die Frage: wie groß etwas sei? betrifft, so gibt es in Ansehung derselben, obgleidi verschiedene dieser Sätze synthetisch und unmittelbar gewiß (indemonstrabilia) sind, dennodi im eigentlichen Verstände keine Axiome. Denn daß gleiches zu gleichem hinzugetan oder von diesem abgezogen ein gleiches gebe, sind analytische Sätze, indem ich mir der Identität der einen Größenerzeugung mit der anderen unmittelbar bewußt bin; Axiome aber sollen synthetische Sätze a priori sein. Dagegen sind die evidenten Sätze der Zahlenverhältnisse . . . In den Prolegomena ist Kant bei der ausführlichen Darstellung der synthetischen Urteile wiederum auf die analytischen Grundsätze eingegangen. Die Stelle ist mit zwei bedeutungsvollen Änderungen in die Einleitung der zweiten Auflage übernommen worden. Prolegomena S. 2 6 9 ; Kritik der reinen Vernunft Β 16 f. Einige andere (B 16 wenige) Grundsätze, welche die Geometer voraussetzen, sind zwar wirklich analytisch und beruhen auf dem Satze des Widerspruchs; sie dienen aber nur (B 16 aber auch nur), wie identische Sätze, zur Kette der Methode und nicht als Prinzipien, z. B. a = a, das Ganze ist sich selber gleich, oder (a + b) > a, d. i. das Ganze ist größer als sein Teil. Und doch auch diese selbst, ob sie gleich nach bloßen Begriffen gelten, werden in der Mathematik nur darum zugelassen, weil sie in der Anschauung können dargestellt werden. Schultz faßt beide Stellen zusammen. Schultz, Prüfung 1 7 8 9 , 1 , S. 218 f. Es scheint zwar anfänglich als ob die Arithmetik von keinem Axiom wüßte. Denn alle die Sätze, die man in arithmetischen Lehrbüchern als Axiome aufzuführen pflegt, sind entweder bloße analytische Folgerungen aus Definitionen, wie ζ. B. die Sätze: daß das Ganze seinen Teilen zusammengenommen gleich, daß kein Teil größer sei als das Ganze, oder aus dem Satze: A = A d.i. aus dem Satze des Widerspruchs selbst, wie ζ. B. der Satz: Zwei Größen, die einer dritten gleich sind,
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sind einander selbst gleich, oder sie lassen sich als ζ. B. die Sätze: Gleiches zu Gleichem addiert oder davon subtrahiert gibt Gleiches, noch wirklich, wie schon Wolff in seinen Elem. math, gezeigt hat demonstrieren. Indessen ( . . . Axiome der Arithmetik . . . )
Die Erklärung Kants über diese analytischen Grundsätze sind eindeutig. Wir werden uns einen genauen Uberblick über die Sätze und die Art ihrer Ableitung verschaffen. Daraus wird sich zunächst ergeben, daß die Behauptung, die Stelle Β 16 f. sei verderbt, vollkommen gegenstandslos ist. Wir werden ferner eine Reihe wohl definierter Urteile bekommen, die von Kant ausdrücklich als analytische Urteile bezeichnet sind. Damit werden die Klagen, das analytische Urteil bei Kant sei unzureichend definiert, es fehle außerdem an hinlänglichen und beweiskräftigen Beispielen, ebenso gegenstandslos werden. Wir werden dabei auch auf eine schwierige Frage stoßen, die freilich Kant selbst nicht hat zur Lösung bringen können. Wenn ein Bereich von analytischen Sätzen existiert, so kann man besonders bei Kant die Frage stellen, welcher Wissenschaft diese Sätze zuzurechnen seien, der Mathematik oder der Philosophie. Je nach der Entscheidung dieser Frage wird entweder die Mathematik oder die Philosophie eine Disziplin bekommen, die keinerlei Synthesis kennt, sondern nur analytische Urteile. Ausgangspunkt für alle axiomatischen Betrachtungen sind die Elemente des Euklid. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß Euklid selbst den Ausdruck Axiom nicht gebraucht. Er kennt nur conceptiones communes und postulata. Es ist dabei allgemein anerkannt, daß Euklid nicht selbst die Elemente aufgestellt hat, sondern daß er sie im wesentlichen von Aristoteles übernommen hat. Die Bedeutung der Axiome sowohl für Euklid wie für Aristoteles bleibt nach wie vor dunkel. Schon Fries und Hankel haben darauf hingewiesen, daß Euklid im eigentlichen Sinne keine Axiome kennt. An die von Euklid gegebene Grundsatztafel setzt nun sofort die Weiterarbeit an, die sich in drei Richtungen gliedern läßt: 1. Versuche, die Begriffe Definition, Axiom und Postulat zu klären. 2. Versuche, die Axiome zu beweisen. 3. Versuche, die Axiome durch Aufstellung weiterer Axiome zu vervollständigen. Einen Uberblick über diese drei Bestrebungen gibt schon Proklus in seinem Kommentar. Jedenfalls zeigt die an Euklids Axiomentafel anknüpfende Diskussion, daß weder die einzelnen Begriffe Definition, Axiom, Postulat, noch die Sätze selbst, die als Definitionen, Axiome oder Postulate zu gelten hätten, eindeutig auszumachen waren. Clavius vertritt den Standpunkt, die Axiome zunächst einmal vollständig aufzusuchen; dagegen stehen Ramus und Borelli, die Axiome im eigentlichen Sinne nicht anerkennen. Die sehr bekannt gewordenen beiden englischen Werke, die bis zum siebten Satz des ersten Buches reichenden 13 Vorlesun-
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gen von Savile und die Ausgabe von Barrow folgen im wesentlichen Clavius, ebenso Sacheri. Mit Roberval werden die Versuche, die Axiome zu beweisen, wieder aufgenommen. Leibniz, Neue Abhandlungen, S. 80. Ich erinnere midi, daß, als man sich zu Paris über den seligen Roberval, der damals schon alt war, lustig machte, weil er nadi dem Beispiele des Apollonius und des Proclus die Grundsätze des Euklides beweisen wollte, idi den Nutzen dieser Untersuchung zeigte.
Leibniz führt diesen Beweisversuch in voller Klarheit weiter. Er hat nicht nur in einer geschlossenen Abhandlung die Euklidschen Elemente nach dem Verzeichnis von Clavius sämtlich zu beweisen versucht, sondern gibt auch an vielen anderen Stellen Beweise und Ausführungen über die Notwendigkeit dieser Beweise. Leibniz, Neue Abhandlungen, S. 72 f. Denn ich verwerfe nicht nur alle zweifelhaften Prinzipien, sondern möchte sogar den Beweis bis auf Euklids Axiome ausdehnen, wie einige Alte es auch getan haben.
Die Absicht von Leibniz findet ihre Ausprägung in den großen Lehrbüchern von Wolff. Das auf Seite 19 gegebene Verzeichnis der Axiome seiner El. math, zeigt, daß es sich tatsächlich um eine im heutigen Sinne vollkommen axiomenfreie rein logische Mathematik handelt. Unter dem Eindruck dieses Vorgehens von Wolff und Leibniz stehen fast alle Lehrbücher des 18. Jahrhunderts. Allerdings ziehen die Verfasser es im allgemeinen vor, sich äußerst vorsichtig und gewunden auszudrücken, so daß sie zwar hin und wieder Grundsätze bringen, diese Grundsätze aber sofort wieder als beweisbar ansetzen oder bedauern, daß der Beweis noch nicht gefunden sei. Dagegen kann ich aus Mangel an Material nicht übersehen, ob dieses Vorgehen von Leibniz und Wolff auch in England und Frankreich diesen fast vollständigen Erfolg gehabt hat. In England steht dem schon Locke entgegen, der in einem geschlossenen Kapitel seiner Abhandlungen sich ausführlich über die Axiome äußert. Ebenso nehmen Savile, Barrow und, was wohl den Hauptausschlag geben dürfte, Newton, einen vollkommen axiomatischen Standpunkt ein. An Locke lehnt sich der in Deutschland viel beachtete Hensch an. Ganz aus dem Rahmen fällt die Geometrie in Tabellen von Sarganeck, der fast 100 Axiome der Geometrie ansetzt. Es dürfte kein Zufall sein, daß sich dieses Werk unter Kants Büchern findet. Sehr zurückhaltend äußert sich Holland. Holland, Abhandlung über die Mathematik, S. 38.
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Ich leugne nicht, daß es einige allgemeine ontologisdie Grundsätze gibt, die sowohl der arithmetischen als geometrisdien Größe gemein sind. Ihre Anzahl ist aber sehr gering, und sie betreffen die stetige Größe meistens nur insoferne, als man sie für ein teilbares Ganzes ansieht. Karsten hat einen Versuch gemacht, diese allgemeinen Sätze so vorzutragen, daß man auf sie die Arithmetik und Geometrie als koordinierte Wissenschaften bauen könnte. Er bekennt aber nachhero selbst, daß er jetzt seine allgemeine Mathematik, dem größten Teil nach, für eine bloß abstrakte Theorie der Zahlen halte. Eine bewußte Axiomatik findet sich zum ersten Male angesetzt bei Schultz und bei den direkten Kantschülern Kiesewetter, Zimmermann, Beck. Unmittelbar an Kant schließen sidi einige Versuche an, die auf eine systematische Axiomatik oder auf die Behauptung eines einzigen Grundaxioms hinauslaufen. In erster Linie ist hier Fries zu nennen, der in seiner Mathematischen Naturphilosophie unter Vernachlässigung der Geometrie fast ausschließlich Arithmetik und Kombinatorik behandelt. Er setzt ein oberstes Axiom an, um aus diesem alle anderen Axiome zu gewinnen. Fries, Mathematische Naturphilosophie 1822. S. 61. Die oberste Form aller Axiome ist: Zwischen bestimmten Grenzen ist jedesmal ein Teil der Reihe und nur ein Teil der Reihe möglich. S. 81 (Axiom der Arithmetik). Aus gleichartigen Größen als Teilen ist immer eine Summe und nur eine Summe möglidi. Zusatz 3: Eine Größe als ein Ganzes kann jeder beliebigen Zusammensetzung aus allen ihren Teilen gleichgesetzt werden; denn aus diesen Teilen ist nur die eine Größe möglich. Alle Komplexionen aus denselben arithmetischen Elementen sind einander gleich. Schmeisser, Reine Mathesis 1817, S. 130 f. Einem Dinge Α muß das Prädikat eines andern Β entweder zukommen oder nidit; ein drittes ist unmöglich. Dieser Satz auf Größen angewendet heißt daher: Eine Größe Α muß die Größe einer andern Β entweder haben oder nicht, mit andern Worten: Α muß Β entweder gleich oder ungleich sein. So haben wir den Satz, welcher allen obigen Forderungen Genüge tut, und als ein wirkliches Axiom gleichsam die Spitze unserer Wissenschaft ausmacht... Wie sich nun von diesem Satze aus die Arithmetik systematisch entfaltet, z e i g t . . . Mayr, Wissenschaftliche Methode 1845. S. 143. Das Nächste ist nun, daß bestimmt erkannt werde, daß in jeder ursprünglichen Wissenschaft ein Axiom und nicht mehr als dieses eine Axiom enthalten sein könne. S. 147. Das mathematische Axiom wird daher mehr in dem zweiten Satze gesucht werden müssen, daß dasselbe Resultat hervorgehe, in welcher Ordnung auch die einzelnen Größen addiert werden mögen. S. 150. Dann wird das Axiom lauten: Zwei Größen addiert, geben wieder eine G r ö ß e . . . in welcher Ordnung sie auch addiert werden mögen. S. 151. Wird dieser Satz als das wahre mathematische Axiom ausgesprochen . . .
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An diesen Versuchen ist interessant, daß das angebliche Grundaxiom sich immer als eine Zusammenziehung des assoziativen und kommutativen Gesetzes der Addition darstellt. Derartige Versuche, die Mathematik aus einem Grundaxiom zu entfalten, finden sich im Anschluß an Hegel naturgemäß häufiger. Sie dürften aber alle sachlich unzureichend sein und den Grundsinn der Kantischen Axiomatik verfehlen. Der weitaus bedeutendste von Hegel abhängende Versuch ist die Arbeit von Grassmann, die wir im folgenden genauer behandeln werden. Die Gleichheit ist 1. reflexiv, a = a 2. symmetrisch, aus a = b folgt b = a 3. transitiv, aus a = b und b = c folgt a = c . Man kann nun für die Behandlung der Gleichheit zwei Wege wählen. Man kann die Gleichheit definieren und aus der Definition die drei Eigenschaften der Gleichheit zu beweisen versuchen; man kann aber die Gleichheit auch lediglich durch ihre Eigenschaften bestimmen. Die erste Behandlung ist die logische, die zweite die axiomatische. Den rein axiomatischen Weg wählt Peano, der in seinen Axiomen 2, 3 und 4 die drei Eigenschaften der Gleichheit festlegt. Im allgemeinen wird aber für die Behandlung der Gleichheit der rein logische Weg gewählt, wobei die Gleichheit stets in irgendeinem Sinne als Ersetzbarkeit definiert wird. Leibniz definiert die Gleichheit als Substituierbarkeit; seiner Meinung nach kann man auf das Merkmal der Gegenseitigkeit dabei verzichten. Leibniz ed. Couturat, S. 546. Definitio: aequalia sunt quae (mutuo) sibi substitui possunt salva veritate, videtur nimium dicere seu obreptitia esse. Nam ex eo quod priori posterius substitui potest, salva circa magnitudines veritate, sequitur vicissim et posterius priori similiter substitui posse, ut alibi demonstravi. Iam quae demonstrari ex definitione possunt, inserere praeoccupando est (si rigide aggas) obrepere.
Der von Leibniz erwähnte Beweis steht in fast gleicher Weise bei Couturat S. 255 und in Specimen Calculi universalis, Leibniz philosophische Schriften, ed. Gerhardt VII, S. 219. Leibniz ed. Couturat, S. 255. Theorema tale formo: Si A ubivis substitui potest in locum ipsius B, etiam Β ubivis substitui potest in locum ipsius A, salva veritate. Quod demonstro ope Axiomatis: Β ubivis substitui potest in locum ipsius B. Nam si Α ubivis substitui potest in locum ipsius Β (ex hypoth.) substituatur et in loco posteriore Axiomatis hu jus: Β ubivis substitui potest in locum ipsius B, et fiet inde: Β ubivis substitui potest in locum ipsius A. Quod erat demonstrandum. I m Gesamtergebnis k o m m t Leibniz also z u folgender D e f i n i t i o n : Leibniz, Philos. W W ed. Gerhardt V I I , S. 219.
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Eadem sunt quorum unum in alterius locum substitui potest salva veritate.
Wolff, Ontologia, § 181, Identitatis definitio. Eadem dicuntur, quae sibi invicem substitui possunt salvo quocunque praedicato, quod uni eorum vel absolute vel sub data conditione convenit.
Wolff, Ontologia, § 349, Aequalitatis et inaequalitatis definitio, S. 274. Aequalia sunt, quae salva quantitate substitui sibi mutuo possunt. inaequalia sunt, quorum unum alteri salva quantitate substitui nequit.
Contra:
Von Leibniz und Wolff wird also die Gleichheit als Identität der Quantität bestimmt, und von hier aus das Ungleiche als das Nichtgleiche bestimmt. Schultz dagegen bestimmt umgekehrt das Gleiche als das, was keine Unterschiede hat. Der Unterschied mag unbedeutend erscheinen, verdient aber trotzdem festgehalten zu werden. Schultz, Anfangsgründe 1790, S. 29. Erklärung 1. Die inneren Merkmale eines Dinges heißen diejenigen, die seine Qualität und Quantität betreffen, die äußeren die, -welche seine Stelle im Raum und in der Zeit bezeichnen. Erklärung 2. Dinge, die sich durch kein inneres Merkmal unterscheiden lassen, heißen, an sich betrachtet, vollkommen einerlei.
Erklärung 4. Gleichartige Dinge von einerlei Qualität heißen ähnlich (similia), von einerlei Quantität gleich (aequalia). Grassmann greift wieder auf die Definition von Leibniz zurück. Grassmann, Ausdehnungslehre 1844, WW I, S. 34. Somit haben wir dem Begriff der Gleichheit seine Einfachheit gerettet und können denselben dahin bestimmen: daß gleich dasjenige sei, von dem man stets dasselbe aussagen kann, oder allgemeiner, was in jedem Urteile sich gegenseitig substituiert werden kann. Wie hierin zugleich ausgesagt liegt, daß, wenn zwei Formen einer dritten gleich sind, sie auch selbst einander gleich sind, und daß das aus dem Gleichen auf dieselbe Weise Erzeugte wieder gleich ist, liegt am Tage.
Jede logische Behandlung der Gleichheit muß nun aus der jeweils gewählten Definition die drei Eigenschaften der Gleichheit beweisen. Der übliche Beweis zerfällt in zwei Teile. Die Reflexivität der Gleichheit wird als Sonderfall der Identität aufgewiesen. Symmetrie und Transitivität werden dann aus diesem Satz und der Definition der Gleichheit bewiesen. Leibniz setzt ohne weiteres den Satz a = a als identischen Satz an. Demgemäß setzt audi Wolff diesen Satz als identischen Satz, d. h. aber für Wolff, als Axiom an. Wolff, El. math. 1713, S. 29. Axioma 1, Idem est aequale sibimetipsi.
Der von Wolff in der Ontologie § 351 gegebene Beweis kann für unsere Be-
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trachtung außer acht bleiben. Auch Lambert setzt den Satz - eine jede Größe ist sich selber gleich - als identischen Satz an, der sofort als wahr angenommen wird, sobald nur die Worte verstanden werden (Architektonik S. 97). In der an dieser Stelle von Lambert gemachten Unterscheidung zwischen gleichgültigen und wirklichen Grundsätzen bereitet sich die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen, am Unterschied zwischen den analytischen Grundsätzen und den synthetischen Axiomen, vor. Schultz führt die Reflexivität der Gleichheit im Anschluß an Leibniz und Wolff auf die Identität als deren Sonderfall zurück. Schultz, Anfangsgründe 1790, S. 30. Zusatz 6: Eine jede Größe ist sich selber gleich, d. i. a = a. Denn nach dem Satz des Widerspruchs oder der Identität ist die Quantität von a die Quantität von a.
Die Symmetrie der Gleichheit ist zwar stets bekannt gewesen und immer benutzt worden, aber ausdrücklich meines Wissens erst im 19. Jahrhundert formuliert worden. Die eben wiedergegebene Definition von Leibniz ging ja ausdrücklich auf die Frage ein, ob man die Symmetrie in die Definition mit hineinnehmen muß. Dagegen ist die Transitivität der Gleichheit auch von Euklid ausdrücklich als Grundsatz formuliert worden und die Beweisversudhe haben immer gerade an diesem Grundsatz angesetzt. Die Beweisversuche beginnen bereits mit Appollonius von Pergae, der etwa zwei Menschenalter nach Euklid lebte. Der Beweis ist durch Proklus erhalten und samt der bereits von Proklus daran geknüpften Kritik von Savile übernommen worden (Savile, Praelectiones Tresdecim, 1621, S. 145). Der auf eine wirkliche Substituierung hinauslaufende Beweisgedanke ist dann auch von Leibniz, Wolff und Kant durchgeführt worden. Leibniz, In Eucl. I, Math. V, S. 207. Sint aequalia a et b, et sit c aequale ipsi a, dico c etiam fore aequale ipsi b. Sint enim a = c, quia a = b, hinc b substitui potest ipsi a salva quantitate, et fiet b = c, qu. e. d.
Denselben Beweis bringt Wolff und zwar für die Gleichheit, El. math. S. 26 und Ontologia § 366/67, ganz allgemein für die Identität, Ontologia § 223. Auch Schultz benutzt denselben Beweisgedanken. Schultz, Anfangsgründe 1790, S. 30. Zusatz 7: (Zur Definition der Gleichheit). Wenn von mehreren Größen eine jede ebenderselben Größe gleich ist, so sind sie einander selbst gleich, d. i. -wenn a = x, b = x, c = χ usw.; so ist a = b = c usw. Denn da b = χ und c = x; so läßt sich
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im Satze a = χ statt χ sowohl b als c und im Satze b = χ statt χ gleichfalls c setzen.
Trotz der Ubereinstimmung zwischen Kant und Leibniz vermag die rein logische Behandlung der Gleichheit nicht restlos zu überzeugen. Helmholtz hat darauf hingewiesen, daß die Definition der Gleichheit als Substituierbarkeit in fast allen konkreten Fällen ihren Sinn verliert. Schon bei der Länge wird die Gleichheit nicht durch Substitution, sondern durch Aufeinanderlegen der betreffenden Strecken festgestellt. Will man versuchen, die Gleichheit zweier Temperaturen als Substituierbarkeit zu bestimmen, so muß man die Definition schon außerordentlich pressen, um noch einen halbwegs haltbaren Sinn zu bekommen. Zu demselben Ergebnis kommt Enriques. Enriques, Geschichte der Logik, S. 119. Wenn man die Gleichheit der Temperatur positiv durdi einen Versuch über Wärmegleichgewicht definiert, so kann man audi hier nicht a priori behaupten, daß „zwei einer dritten gleiche Temperaturen" untereinander gleich „seien". Um mit Kant zu reden, ist jenes anscheinend „analytische" Urteil in Wahrheit ein „synthetisches".
Der letzte Satz darf freilich nur mit Vorsicht ausgesprochen werden. Es ist zweifellos, daß die Sätze über Gleichheit für Kant analytische Grundsätze gewesen sind, d. h. daß sie aus Definitionen und dem Satz der Identität bzw. des Widerspruchs bewiesen werden können. Käme man nun zu der Uberzeugung, daß die Beweise dieser Sätze nicht stichhaltig sind, dann müßte man sie freilich aus dem Bereich der analytischen Grundsätze herausnehmen, und sie würden dann im Kantischen Sinne zu synthetischen Axiomen werden. Auch der mit den umfassendsten Mitteln unternommene Versuch von Russell, die Sätze der Gleichheit zu beweisen, vermag nicht restlos zu überzeugen. Man kann hier die Frage aufwerfen, wieweit die Ergebnisse, insbesondere die Symmetrie und die Transitivität der Gleichheit, in den ersten Ansätzen schon verdeckt liegen. Das würde darauf hinauslaufen, daß die Axiome lediglich in die Logik vorverschoben sind, eine Möglichkeit, die der äußerst behutsame Russell sich selbst offen läßt. In doppeltem Maße würden aber die Einwände von Helmholtz gelten, denn wenn es schon schwierig ist, die Gleichheit zweier Temperaturen als Substituierbarkeit zu definieren, erscheint es gänzlich unmöglich, die Gleichheit zweier Temperaturen unter die Russellsche Definition der Gleichheit zu bringen. Die beiden Hauptstellen haben uns gezeigt, daß für Kant die Sätze der Gleichheit analytische Grundsätze sind. Die Durchführung von Schultz in den Anfangsgründen der reinen Mathesis macht den Sinn dieser Definition deutlich: analytische Grundsätze müssen aus Definitionen und dem Satz der Identität
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bzw. des Widerspruchs bewiesen werden können. Die an späterer Stelle angeführten Kantstellen werden belegen, daß dies genau Kants Meinung gewesen ist. Käme man im Gegensatz zu Kant zu der Uberzeugung, daß die drei Grundsätze der Gleichheit sidi nicht beweisen lassen, dann müßten diese Sätze aus der Reihe der analytischen Grundsätze ausscheiden und als echte synthetische Axiome auftreten. An die Grundgesetze der Gleichheit schließt sich der Satz an, Gleiches zu Gleichem gibt Gleiches. Der Satz kann dann für alle anderen Operationen abgewandelt werden. Wolff bringt den Beweis in den El. math. § 88 und in der Ontologia § 371. Audi hier entspricht der WolfFsche Beweis dem Beweise von Leibniz. Nach einer Bemerkung von Leibniz (ed. Couturat) S. 147 hat Roberval seine Beweisversuche der Axiome gerade mit diesem Axiom begonnen. Leibniz bringt in seinen Bemerkungen zum 1. Buch des Euklid folgenden Beweis. Leibniz, In El. Eucl. I, Math. V, S. 206. Haec omnia demonstrari possunt ex definitione aequalium... ad Axiom 2. Sit a = 1 et b = m, erit a + b = 1+m. Nam a + b = a + b; pro a et b in alterutro latere substituitur 1 et m, fiet a + b = 1+m.
Schultz folgt ganz dem Beweisgang von Leibniz und Wolff. Schultz, Anfangsgründe 1790, S. 32. Zusatz zu Erklärung 7: Wenn man Gleiches mit Gleichem zusammennimmt, so sind die erzeugten Größen gleich, d. i. wenn a = b, c = d; so ist a + c = b + d . Denn im Satz a + c = a + c läßt sich b für a und d für c setzen folglich audi b + d für a + c , also ist a + c = b + d . . .
Peano bringt diesen Satz als Lehrsatz 22. Der Beweis benutzt den Schluß von η auf η + 1; die dadurch bedingte Einschränkung kann für Peano gleichgültig sein, da er nur eine Begründung der Arithmetik beabsichtigt. Für diesen Aufbau benutzt aber Peano die von ihm aufgestellten Axiome, von denen einige im Kantischen Sinne synthetische Axiome sind. Wenn der Beweisaufbau bei Peano der einzig mögliche wäre, dann wäre in Kantischer Terminologie der Satz Gleiches zu Gleichem gibt Gleiches kein analytischer Grundsatz, sondern ein synthetischer Lehrsatz. Für Russell gilt das schon wiederholt Bemerkte. Locke äußert sich in dem Kapitel über die Axiome ausführlich gerade über den vorliegenden Satz. Da diese Stelle über Lockes Auffassungsweise charakteristisch ist, setze ich sie noch hierher. Locke, Versuch 1690, ed. Winkler II, S. 256. Was drittens die Relationen von Modi anbetrifft, so haben die Mathematiker viele Axiome über die eine Relation der Gleidiheit aufgestellt, ζ. B. „Gleiches von Gleichem subtrahiert ergibt Gleiches". Mögen auch dieser Satz und die andern Sätze
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von dieser Art bei den Mathematikern als Axiome anerkannt werden und unanfechtbare Wahrheiten sein, so wird doch meines Eraditens niemand, der sie nachprüft, finden, daß sie eine klarere Selbstevidenz besäßen als die folgenden: „Eins und eins ist gleich zwei" und, „nimmt man von den fünf Fingern der einen Hand, desgleichen von den fünf Fingern der anderen Hand zwei weg, so wird an jeder Hand die gleiche Zahl von Fingern übrigbleiben". Im Reiche der Zahl lassen sich diese und tausend andere Sätze gleicher Art aufstellen, die uns Zustimmung abnötigen, sobald wir sie das erste Mal hören, und denen die gleiche, wenn nicht noch größere Klarheit eigen ist als jenen mathematischen Axiomen. Bei diesem Satz wird man freilich mit Recht Locke die v o n Kant immer wieder erhobene Forderung entgegenhalten können, daß die Mathematik niemals einen Satz, den sie beweisen kann, als unbeweisbar ansetzen darf. Euklid schließt die Tafel seiner Gemeinbegriffe mit dem Satz: Das Ganze ist größer als sein Teil; später hat man (ζ. B. Clavius) den eng damit zusammenhängenden Satz angefügt: das Ganze ist eben so groß wie die Summe seiner Teile. Wolff beweist beide Sätze sowohl in den El. math, als audi in der Ontologie. D i e beiden Beweisgänge sind nicht wesentlich verschieden. Ich gebe den Beweis der Ontologie wieder. Wolff beweist nach der Definition von „größer", „kleiner", „Ganzes" und „Teil", zunächst den zweiten Satz: Wolff, Ontologia 1730. § 341. Unum, quod idem est cum multis, dicitur totum; ex adverso multa, quae simul sumta idem sunt cum uno, dicuntur partes ejus et unumquodque eorum dicitur pars. § 352. Majus est, cujus pars alteri toti aequalis est: minus vero, quod parti alteri aequale est. D a nach dieser Definition die Gesamtheit der Teile mit dem Ganzen vollkommen identisch ist, ergibt sidi der Schluß auf eine Teilidentität, nämlich die Identität der Quantität ohne weiteres. Wolff, Ontologia 1730, § 356, S. 278. Omnes partes simul sumptae sunt toti aequales. Omnes enim partes simul sumptae toti substitui possunt, salvo omni praedicato, quod eidem tribuitur, consequenter etiam quantitate salva. Für den ersten Satz beweist Wolff zuerst, daß ein Teil kleiner ist als sein Ganzes, durch Umkehrung erhält er dann leicht den gesuchten Satz. Wolff, Ontologia 1730, § 357, S. 278. Quaelibet pars totius est minor toto. Quaelibet enim pars totius est sibimetipsi, adeoque parti totius per hypothesin aequalis. Est igitur toto minor. Demonstratio propositionis praesentis analyseos perfectae exemplum praebet, cum principia, quibus nititur, sint definitio et axioma veri nominis, propositio identica.
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Man kann zweifeln, ob dieser Beweis wirklich schlüssig ist. Der Beweisgang stammt von Leibniz. Leibniz ed. Buchenau, I, S. 57 f. Wenn ein Teil einer Größe einer anderen Größe in ihrer Gesamtheit gleich ist, so heißt die erste größer, die zweite kleiner. Daher ist das Ganze größer als der Teil. Es sei das Ganze A, der Teil B, so behaupte ich, daß Α größer als Β ist, weil ein Teil von Α (nämlich eben B) dem Β in seiner Gesamtheit gleich ist. Man kann dies auch durch einen Syllogismus mit der Definition als Obersatz und einem identischen Urteil als Untersatz aussprechen, nämlich: Was einem Teil von Α gleich ist, ist kleiner als A, der Definition nach. Nun ist Β sich selbst, also nach der Voraussetzung einem Teil von Α gleich. Also ist Β kleiner als A. Hieraus ersehen wir, daß alle Beweise sich letztlich auf zweierlei unbeweisbare Grundlagen zurückführen lassen: auf die Definitionen oder Ideen und auf ursprüngliche, d. h. identische Sätze, wie der, daß Β gleich Β ist, daß ein jedes Element sich gleich ist und unzählig viel derselben Art. In den Neuen Abhandlungen, ed. Cassirer S. 74, setzt sich Leibniz mit Locke auseinander. Hensch seinerseits in seiner Philosophia mathematica 1756 schließt sich wieder an Locke an und hält den Satz, das Ganze ist größer als sein Teil, für unbeweisbar. Beim Beweis dieses Satzes trennt sich Schultz zum ersten Mal v o n Leibniz und WolfF. Er bringt einen Beweis, der, soweit ich ersehen kann, zum ersten Mal in der Mathematik die einschränkenden Bedingungen berücksichtigt, unter denen der Satz allein richtig ist. Schultz, Anfangsgründe 1790, S. 38 Lehrsatz 1. Wenn ein Teil b des Ganzen b + a entweder seinem Nebenteil a gleich, oder dieser ein endlichvielster Teil von jenem ist, so ist jeder von den Teilen kleiner als das Ganze, und das Ganze größer als jeder seiner Teile. Beweis: Denn wenn b = a, so ist a + a = b + b = b + a . Da nun a < a + a , und b < b + b ; so ist teils a < b + a , teils b < b + a . Ist hingegen nicht b = a , und a ein endlich vielster Teil von b, so ist a < b, also erstlich a < b + a . Ferner gibt es eine solche endliche Menge m von a, daß entweder b = ma oder b > ma aber b < m a + a ist. Allein wenn b = ma; so ist b + a = m a + a . Da nun ma < m a + a ; so ist auch b < m a + a , also b < b + a . Ist hingegen b > ma und b < m a + a ; so ist ma ein Teil von b, folglich b = m a + p , mithin b + a = m a + p + a . Da nun b < m a + a ; so ist b < m a + p + a ; folglich wiederum b < b + a . Also ist in allen Fällen nicht nur a < b + a , sondern auch b < b + a . Zusatz. Also ist bei endlichen Größen der Teil allemal kleiner als das Ganze und das Ganze größer als sein T e i l . . . Anm. Der Satz, das Ganze ist größer als der Teil, ist in Ansehung endlicher Größen so einleuchtend, daß man ihn von jeher als Axiom aufgeführt hat, das keines Beweises bedarf. Allein, da sich der Grund seiner Gewißheit noch zeigen läßt, so halte
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ich es für Pflicht, ihn zu zeigen, und daher den Satz als Lehrsatz zu demonstrieren, und zwar umso mehr, da man sich gewöhnlich vorstellt, daß derselbe nicht nur von allen endlichen, sondern auch allgemein von allen unendlichen Größen gelten müsse.
Dieser Beweisgang, die benutzten Hilfssätze und die Anmerkung zeigen deutlich, daß sich Schultz über den Gegensatz zu Leibniz und Wolff vollkommen im klaren gewesen ist. Während für Leibniz und Wolff der Satz, das Ganze ist größer als sein Teil, schlechthin und ohne jede Einschränkung gültig ist, gilt er nach Schultz nur für endliche Mengen. Oder nochmals in einem anderen Ausdruck, Kant und Schultz haben den Satz, das Ganze ist größer als sein Teil, umgewandelt in den Satz, die Summe ist größer als jeder ihrer Summanden. Im Kern führen diese Gedankengänge auf Probleme der heutigen Mengenlehre; schon Vivanti, der Sachbearbeiter des betr. Teils der Cantorschen Geschichte der Mathematik, hat darauf hingewiesen, daß in den Entwicklungen von Schultz viel moderne Mengenlehre enthalten sei (Cantor IV, S. 658). Durch die Umwandlung des Satzes, das Ganze ist größer als sein Teil, in, die Summe ist größer als jeder ihrer Summanden, wird auch die merkwürdige Formulierung erklärt, die Kant in den Prolegomena und in Β 17 dem Satz gibt, wenn er schreibt (a+b) > a. Wenn nun der ganze Kreis der analytischen Grundsätze für die Kantische Philosophie außerordentlich aufschlußreich ist, so ist doch dieser letzte Satz sowohl in seiner Formulierung als auch in seinem Beweisgang wohl der interessanteste; und es erscheint mir äußerst merkwürdig, daß in der ganzen umfangreichen Kantliteratur nur Couturat die hier auftauchenden Probleme gesehen hat. Couturat, Philos. de Math, de Kant, Rev. mit. 1904, S. 346. Au surplus, on pourrait remarquer que Kant choisit assez malencontreusement son exemple de principe analytique: „Le tout est plus grand que la partie", qu'il formule: „(a+b) > a". En effet, cette proposition n'est meme pas un principe ou un axiome, car eile n'est vraie que pour certaines esp^ces de grandeurs, et non pour toutes... Par exemple, ce tWo^me est vrai pour les nombres finis, mais il n'est plus vrai pour les nombres cardinaux infinis. Sans doute, on ne peut reprodier ä Kant d'avoir igno^ ces viritis, si elementaires qu'elles soient aujourd'hui. Mais on se demande, nianmoins, comment il a pu, en vertu de ses propres principes, admettre qu'une telle proposition est analytique.
In dieser Frage wird übrigens deutlich, wie unberechtigt die Vorwürfe gegen Kants unzureichende mathematische Bildung sind. Kant und Schultz haben sich bereits diejenigen Sachverhalte erarbeitet, deren Unkenntnis ihnen Couturat nicht einmal anrechnen will. Peano bestimmt den Begriff größer und kleiner von den ganzen Zahlen her. Seine Definition läuft darauf hinaus, daß eine ganze Zahl dann größer ist als
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eine zweite, wenn sie aus dieser zweiten durch Addition einer dritten entsteht oder, daß die „späteren" Zahlen der Zahlenreihe größer sind als die vorangehenden. Das ist grundsätzlich derselbe Weg, den auch Schultz eingeschlagen hat. Die Definition, die Schultz von größer und kleiner gibt: „Wenn man durch eben dasselbe ein oder mehrere male Nehmen des Maßes . . . " , bedeutet einen Rückgriff auf die Euklidische Definition, Buch V, Definition 1. Durch diese Definition werden alle darauf gestützten Erörterungen des V. Budies auf kommensurable Größen eingeschränkt und folgerichtig führt Euklid den Begriff der inkommensurablen Größe erst in Buch X ein. Denselben Aufbau führt Schultz durdi. Auch er beweist den Sachverhalt zunächst nur für kommensurable Größen und dehnt dann über das archimedische Axiom den Beweis auf die inkommensurablen Größen aus. Damit hebt sich die Grundfrage noch einmal deutlich ab. Wird der Satz: Das Ganze ist größer als sein Teil, aus den Ideen von Ganzes, Teil, größer und kleiner abgeleitet, und gilt er deshalb schlechthin, oder muß die Bedeutung von Ganzes, Teil, größer und kleiner jeweils für den betreffenden Gegenstandsbereich neu bestimmt werden, so daß damit audi der Satz immer wieder neu bewiesen werden muß? Leibniz und Wolff setzen einen Beweis aus den Ideen und damit eine uneingeschränkte Gültigkeit an. Durdi die Bezeichnung der analytischen Sätze als analytische Grundsätze interpretieren zwar Kant und Schultz die Sätze in derselben Weise wie Leibniz und Wolff, durch die im konkreten Beweis vorgenommene Einschränkung aber entfernen sie sidi grundsätzlich von Leibniz und Wolff; die Bemängelung, die Couturat erhebt, besteht daher zu Recht. Von den vorkritischen Schriften Kants ist für unsere Frage besonders wichtig die Ende 1764 geschriebene Preisschrift: „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral". Die bisherigen Erörterungen haben gezeigt, daß die analytischen Grundsätze und nur diese aus Definitionen und dem Satze der Identität bzw. des Widerspruchs bewiesen werden können. Dann müssen offenbar noch andere Erkenntnisquellen auftreten. Crusius hatte nun bereits die Behauptung ausgesprochen, daß der Satz vom Widerspruch keineswegs der allein hinreichende Grund aller Erkenntnis sein könne, daß vielmehr außer diesem formalen Grundsatz noch materiale Grundsätze nötig seien. Diesen Fragen sind bei Crusius zusammenhängend die Kapitel 7 und 10 gewidmet. Crusius, Weg zur Gewißheit 1747, S. 470. Man muß . . . vielmehr erkennen, daß der Satz vom Widerspruche, weil er ein leerer Satz ist, nicht das einzige Prinzipium der menschlichen Gewißheit sei.
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Kant referiert die Auffassung von Crusius ausführlich und zwar unter grundsätzlicher Zustimmung in § 3 der dritten Betrachtung (II, S. 293-296). Kant läßt es dabei offen, ob die von Crusius aufgestellten materiellen Grundsätze in der Art wie sie aufgestellt sind, richtig sind. Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit, W W II, S. 295. Nun gibt es in der Weltweisheit viel unerweisliche Sätze, wie audi oben angeführt worden . . . insofern sie indessen zugleich Gründe von andern Erkenntnissen enthalten, so sind sie die ersten materialen Grundsätze der menschlichen Vernunft . . . Solche materialen Grundsätze machen, wie Crusius mit Recht sagt, die Grundlage und Festigkeit der menschlichen Vernunft aus. D i e uns hier besonders interessierende Frage, ob audi die Mathematik außer dem Satze des Widerspruchs und seinen Abwandlungen als formalen Grundsätzen materiale Grundsätze benötige, wird von Crusius verneint, v o n Kant aber bereits 1762 bejaht. Crusius, Weg zur Gewißheit 1747, S. 473. Ferner ist dieser einzige Grundsatz (Satz vom Widerspruch) zu der ganzen reinen Mathematik zureidiend... Weil nun diese unwidersprechlidi gewiß ist, so läßt man sich leicht verführen, zu glauben, daß auch bei aller übrigen Erkenntnis nichts weiter hinzuzunehmen nötig sei. Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit, W W II. S. 295 f. Die Methaphysik hat demnach keine formalen oder materialen Gründe der Gewißheit, die von anderer Art wären als die der Meßkunst. In beiden geschieht das Formale der Urteile nadi den Sätzen der Einstimmung und des Widerspruchs. In beiden sind unerweisliche Sätze, die die Grundlage zu Schlüssen machen. S. 282. Da die Größe den Gegenstand der Mathematik ausmacht, und in Betrachtung derselben nur darauf gesehen wird, wievielmal etwas gesetzt sei, so leuchtet deutlich in die Augen, daß diese Erkenntnis auf wenigen und sehr klaren Grundlehren der allgemeinen Größenlehre (welches eigentlich die allgemeine Arithmetik ist) beruhen m ü s s e . . . Einige wenige FundamentalbegrifFe vom Räume vermitteln die Anwendung dieser allgemeinen Größenkenntnis auf die Geometrie. S. 281. Ferner liegen in der Mathematik nur wenig unerweisliche Sätze zum Grunde, welche, wenn sie gleich anderwärts noch eines Beweises fähig wären, dennoch in dieser Wissenschaft als unmittelbar gewiß angesehen werden: Das Ganze ist allen Teilen zusammengenommen gleich; zwischen zwei Punkten kann nur eine gerade Linie sein usw. Dergleichen Grundsätze sind die Mathematiker gewohnt, im Anfange ihrer Disziplinen aufzustellen, damit man gewahr werde, daß keine anderen als so augenscheinliche Sätze geradezu als wahr vorausgesetzt werden, alles übrige aber strenge bewiesen werde. Damit ist zunächst klar, daß Kant im Anschluß an Crusius außer dem Satz des Widersprudis als formalen Grundsatz materiale Grundsätze und zwar im Widerspruch zu Crusius audi für die Mathematik fordert.
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Um einen Uberblick über die Frage zu erhalten, welchen Weg Kant von Crusius bis zu seinen eigenen Ergebnissen zurückzulegen hatte, können wir kurz aufzählen, in wieviel Arten die Grundsätze in der Kritik gegliedert werden. Dort kommen zum Ansatz: 1. Der Satz des Widerspruchs als der oberste Grundsatz aller analytischen Urteile. 2. Der oberste Grundsatz aller synthetischen Erkenntnisse. 3. Die synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes. 4. Die Grundsätze der Geometrie. 5. Die Grundsätze der Arithmetik. 6. Die Grundsätze des reinen Teils der Naturwissenschaft. 7. Die analytischen Grundsätze. 8. Die Empfindungsdaten. Von diesen Grundsätzen entsprechen der Satz des Widerspruchs und die Empfindungsdaten der Aufstellung von Crusius. Neu sind der oberste Grundsatz aller synthetischen Urteile und die Grundsätze der Geometrie und der Arithmetik. Die analytischen Grundsätze entsprechen den Aufstellungen von Leibniz, Wolff und Crusius. Für die Preisschrift von 1764 steht jedenfalls fest, daß auch die Mathemathik materiale Grundsätze benötigt. Für die Geometrie decken sich diese materialen Grundsätze mit den späteren synthetischen Axiomen, wie sich aus den Beispielen ergibt (II, 281: zwischen 2 Punkten kann nur eine gerade Linie sein; II, 281: der Raum hat 3 Dimensionen). Schwieriger liegt die Frage, welche Sätze Kant in der Preisschrift unter den wenigen und sehr klaren Grundsätzen der Arithmetik verstanden hat. Es kommen drei Satzgruppen in Frage: 1. nach S. 281, das Ganze ist seinen Teilen zusammengenommen gleich, die späteren analytischen Grundsätze; 2. die Axiome der Arithmetik, das assoziative und kommutative Gesetz der Addition; 3. die synthetischen Zahlformeln, etwa nach Β 16, 7 + 5 = 12. Eine Entscheidung vermag ich nach den kurzen Andeutungen der Preisschrift nicht zu treffen. Man muß sich vielmehr begnügen, festzustellen, daß Kant 1762 über Crusius hinaus sowohl für die Geometrie wie für die Arithmetik materiale Grundsätze gefordert hat. Zu Kants Zeiten scheint dieser Zusammenhang mit Crusius in Königsberg nicht gerade besonders bekannt gewesen zu sein. Bedk Ist ganz erstaunt, plötzlich auf einen solchen Zusammenhang zu stoßen. Beck, Brief an Kant 24. 8.1793, WW XI, S. 444 f. Vor einiger Zeit las ich in Crusii Weg zur Gewißheit und Zuverlässigkeit, veranlaßt durch Herrn Schmidts Lexikon, und zu meinem Verwundern habe ich (§ 260) die
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Unterscheidung der analytisdien und synthetischen Urteile weit deutlicher darin gefunden als in der von Ihnen zitierten Stelle des Locke. Denn ob er gleich, meiner Meinung nach, keine Einsicht in das Prinzip der synthetischen Erkenntnisse a priori verrät, so enthält doch diese Stelle wenigstens so viel, daß ein nachdenkender Leser wohl aufmerksam auf ihre Wichtigkeit dadurch gemacht werden könnte, indem Crusius geradezu diese Synthesis als die Grundlage der Realität unserer Begriffe andeutet.
Beck hat also während seines Studiums in Königsberg weder die Untersuchung über die Deutlichkeit noch Crusius Weg zur Gewißheit gelesen. Sachlich wird man Beck darin redit geben müssen, daß der systematische und historische Zusammenhang des synthetischen Urteils mit Crusius stärker und überzeugender ist als mit Locke. In der im Jahre 1770 geschriebenen Dissertation „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis" ist die in der „Untersuchung über die Deutlichkeit" durchgeführte Zweiteilung der Grundsätze in formale und materiale zu einer Dreiteilung entwickelt. Kant unterscheidet hier 1. den Stoff der sinnlichen Vorstellung, die Empfindung § 4-5; 2. die Prinzipien der Formen der Sinnenwelt, Raum und Zeit § 13-16; 3. oberste Prinzipien des reinen Verstandesgebrauchs, Möglichkeit, Dasein, Notwendigkeit, Substanz, Ursache § 8. Die Herausstellung der Prinzipien wird in betontem Gegensatz zu WolfF durchgeführt. De mundi sensibilis, WW II, S. 395. Vereor autem, ne 111. Wolffius per hoc inter sensitiva et intellectualia discrimen, quod ipsi non est nisi logicum, nobilissimum illud antiquitatis de phaenomenorum et noumenorum indole disserendi institutum, magno philosophiae detrimento, totum forsitan aboleverit, animosque ab ipsorum indagatione ad logicas saepenumero minutias averterit.
Daß Kant für die Geometrie synthetische Axiome annimmt, wird durch die fast völlige Ubereinstimmung des § 15 mit den entsprechenden Stellen über den Raum in der Kritik belegt. In § 15 C gibt Kant eine ganze Reihe Beispiele. Fraglich ist nur, ob er auch für die Arithmetik Axiome angesetzt hat. Die Mathematik ist gegliedert in Geometrie, Mechanik und Arithmetik. De mundi sensibilis, WW II, S. 397. Hinc Mathesis pura spatium considerat in Geometria, tempus in Mechanica pura. Accedit hisce conceptus quidam, in se quidem intellectualis, sed cuius tarnen actuatio in concreto exigit opitulantes notiones temporis et spatii (successive addendo plura et iuxta se simul ponendo), qui est conceptus numeri, quem tractat Arithmetica. Mathesis itaque pura, omnis nostrae sensitivae cognitionis formam exponens, est cuiuslibet intuitivae et distinctae cognitionis organon; et, quoniam eius obiecta
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Die analytischen Grundsätze ispa sunt omnis intuitus non solum principia formalia, sed ipsa intuitus orgmarii, largitur cognitionem verissimam simulque summae evidentiae in aliis exemplar.
Die Entwicklungen der ersten vier Kapitel werden zu Beginn des 5. Kapitels kurz referiert. De mundi sensibilis, WW II, S. 410. In omnibus scientiis, quarum principia intuitive dantur, vel per intuitum sensualem (experientiam), vel per intuitum sensitivum quidem, at purum (conceptus spatii, temporis et numeri), h. e. in scientia naturali et mathesi, usus dat methodum.
Besonders der Beginn des § 23 zeigt m. E. ganz deutlich, daß auch für die Arithmetik Grundsätze aus reiner Anschauung vorausgesetzt werden. Für die Geometrie und die reine Mechanik steht dieser Ansatz wohl außer Zweifel. Ich kann daher Dieterich nicht zustimmen, wenn er meint, daß Kant in der Dissertation die Arithmetik als eine rein logische Wissenschaft und zwar im Gegensatz zur Geometrie aufgefaßt habe (Dieterich, Kant und Newton 1876, S. 109). Auch der Briefwechsel, den Kant über die Dissertation mit Lambert und Marcus Herz geführt hat, gibt dasselbe Bild. Kant hat also im Jahre 1770 für die Mathematik vier Arten von Grundsätzen angesetzt: 1. begriffliche Grundsätze, 2. Axiome der Arithmetik, 3. Axiome der Geometrie, 4. Axiome der reinen Mechanik. Von diesen sind insbesondere die Axiome der Geometrie durch mehrere Beispiele belegt, es ist aber auch in der Dissertation unmöglich auszumachen, welche Sätze Kant als Axiome der Arithmetik angesetzt hat. In der Streitschrift gegen Eberhard kommt Kant noch einmal auf die analytischen Grundsätze zurück. Streitschrift gegen Eberhard, WW VIII, S. 196. Denn was bloß philosophisch (aus Begriffen) bewiesen werden kann, ζ. B. das Ganze ist größer als sein Teil, davon gehört der Beweis nicht in die Mathematik, wenn ihre Lehrart nach aller Strenge eingerichtet ist.
Kant bleibt hier in der Charakterisierung des analytischen Grundsatzes durchaus bei den Entwicklungen der Kritik. Ein analytischer Grundsatz muß aus Begriffen bewiesen werden können. Wenn Kant die Frage stellt, wohin diese Sätze gehören, so greift er damit eine kaum hebbare Schwierigkeit auf. Die Sätze von der Gleichheit, vom Ganzen und Teil usw. lassen sich schwer in eine bestimmte Wissenschaft einordnen und irren seit jeher zwischen der Ontologie, der Logik und der Mathematik hin und her. Einige Sätze sind zwar in den letzten Jahrzehnten in der Mengenlehre und der Logistik besonders ausführlich behandelt worden, es bleibt aber fraglich, ob die mengentheoretische oder logistische Behandlung erschöpfend ist. Man kann die Frage nach dem Ort dieser Sätze nun auch bei Kant selbst stellen. Kant hat ein System aller Wissenschaften mindestens als Ziel
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vor Augen gehakt. An welcher Stelle dieses Systems würden nun die analytischen Grundsätze zu behandeln sein? Es läßt sich wohl kein anderer Platz finden als in der Ontologie und zwar unter den Prädikabilien der Größe. Ich habe aber bei Kant keinen Hinweis auf eine solche Einordnung gefunden, obwohl er öfters von den noch zu behandelnden Prädikabilien spricht und dabei ein Hinweis auf die analytischen Grundsätze nahe gelegen hätte. Zu dem Thema der analytischen Grundsätze finden sich zahlreiche Reflexionen, von denen ich nur die wichtigsten wiedergeben kann. Es lassen sich vier Gedankengänge herausheben, mögen sie auch in den einzelnen Reflexionen verbunden sein: a) Im Anschluß an Crusius, der Satz des Widerspruchs als lediglich formaler Grundsatz genügt nidit, es sind materiale Grundsätze notwendig. b) Terminologische Umbildung von material-formal in synthetisch-analytisch. c) Wieviel Arten von Grundsätzen gibt es? d) Wenn außer dem formalen Grundsatz des Widerspruchs und den materialen Grundsätzen der Empfindung weitere materiale bzw. synthetische Grundsätze notwendig sind, welches ist der Ursprung dieser reinen synthetischen Grundsätze? In ganz ursprüngliche Erwägungen führt die Reflexion 3709, ca. 1762-63. In unserem gesamten Erkenntnisse müssen einige Erkenntnisse anderen zum Grunde liegen . . . Diejenigen Grundbegriffe, die nidit wiederum andere voraussetzen, heißen notiones primitivae (erste Grundbegriffe) und die Urteile von solcher Art judicia primitiva (erste Grundurteile).
a. Eine Reihe von Reflexionen schließen an die Unterscheidung an, die Crusius zwischen formalen und materialen Grundsätzen getroffen hatte. Reflexion 3747, ca. 1764-46. Alle principia der menschlichen Erkenntnis sind vel formalia vel materialia.
Reflexion 3710, ca. 1762-63. Alle ersten Grundsätze sind entweder formal oder material. Die ersten enthalten den Grund, wie die Begriffe im Urteil sollen im Verhältnis betrachtet werden. Die zweiten enthalten den medium terminum, vermittels dessen sie in diesem Verhältnis sollen miteinander betrachtet werden . . . Alle Sätze, die unmittelbar unter diesen beiden stehen, sind unerweislich; alle, die mittelbar darunter stehen, sind erweislich.
Reflexion 4655, ca. 1771-78 (diesem zeitlichen Ansatz von Adickes würde man aus rein sachlichen Erwägungen einen Ansatz auf ca. 1762-64 vorziehen). Principium identitatis und contradictionis werden beide contradictionis genannt. Indemonstrable Urteile stehen unmittelbar darunter. Materiale Grundsätze, darin
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Die analytisdien Grundsätze das Prädikat bestimmt ist, sind indemonstrabel... Die Möglichkeit der Dinge erfordert einen Realgrund.
Diese Reflexionen machen noch einmal den Zusammenhang mit Crusius deutlich, auf den Kant in der Preisschrift selbst hingewiesen hatte. b. Die zweite Gruppe der Reflexionen gibt den terminologischen Ubergang von material-formal zu synthetisch-analytisch. Reflexion 3742, ca. 1 7 6 4 - 6 6 , in zweiter Linie 1769. Es gibt materiale, es gibt auch formale Grundbegriffe. Principia analytica, synthetica. Reflexion 3923, ca. 1769. Einige Grundsätze sind analytisch und betreffen das Formale der Deutlichkeit in unserer Erkenntnis. Einige sind synthetisch und betreffen das Materiale. Einige Reflexionen benutzen schon ganz die neue Terminologie. Reflexion 3750, ca. 1 7 6 4 - 6 6 . Alle principia primitiva sind entweder Elementarsätze und analytisch oder axiomata und sind synthetisch. Unterschied eines analytischen und synthetischen Satzes überhaupt. Die rationalen sind analytisch, die empirischen synthetisch, im gleichen mathematische. Reflexion 3744, ca. 1 7 6 4 - 6 6 . Es gibt synthetische Sätze aus der Erfahrung . . . dergleichen sind auch die axiomata der Mathematik vom Räume. Principia rationalia können gar nicht synthetisch sein. Alle empirischen Sätze sind synthetisch und umgekehrt, alle rationalen Sätze sind analytisch. Reflexion 3976, ca. 1769. Es gibt reine Grundbegriffe der Anschauung oder der Reflexion; die ersten sind die Prinzipien der Erscheinung, die zweiten der Einsicht. Die ersten zeigen die Koordination, die zweiten Subordination. Reflexion 3127, ca. 1 7 6 4 - 6 8 . . . . Die synthetischen Sätze vermehren die Erkenntnis materialiter, die analytisdien formaliter. Dazu auch Reflexion 3126, ca. 1 7 6 4 - 6 8 . Alle principia sind entweder formal oder material, c) Mit der Gliederung der Grundsätze beschäftigen sich zwei größere Reflexionen aus den Jahren 1769 und 1771. Reflexion 3923, ca. 1769. Einige Grundsätze sind analytisch und betreffen das Formale der Deutlichkeit in unserer Erkenntnis. Einige sind synthetisch und betreffen das Materiale, als da sind die arithmetischen, geometrischen und chronologischen, im gleichen die empirischen. Aber es gibt noch Grundsätze, welche den Gebrauch der Vernunft in der synthesi
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überhaupt angehen. Die Natur aber unserer Vernunft hat dieses Gesetz, daß sie nicht unmittelbar, sondern mittelbar die Dinge erkennt; daher sie alles was geschieht, nur nach einem Grunde erwarten kann, und was durch keinen anderen Grund bestimmt wird, ihr unvernünftig i s t . . .
Reflexion 4370, ca. 1771. . . . Alle unmittelbar gewisse Sätze sind entweder 1. Grundformeln oder 2. Axiomata oder 3. Canones oder 4. Elementarsätze der Analysis oder 5. unmittelbar gewisse Sätze der Synthesis. Die ersten sind der Satz der Identität und des Widerspruchs. Die zweiten: objektive Grundsätze der Synthesis, Raum und Zeit. Die dritten: objektive Grundsätze der synthesis qualitativae. Die vierten und fünften: unmittelbar unter den Grundsätzen der Form sowohl der synthesis als analysis enthaltene materiale Sätze.
Diese beiden Reflexionen verbinden die Entwicklungen der beiden angezogenen vorkritischen Schriften mit der Kritik der reinen Vernunft selbst. Sie sprechen unmittelbar aus, welche Sätze unter die einzelnen Arten der Grundsätze fallen sollen. Die analytischen Grundsätze sind in der Reflexion 4370 als Elementarsätze der Analysis bezeichnet gemäß der Erklärung: Unmittelbar unter den Grundsätzen der Analysis enthaltene materiale Sätze. Die Reflexion 3923 spricht neben den geometrischen und chronologischen synthetischen Grundsätzen ausdrücklich von arithmetischen synthetischen Grundsätzen, die das Materiale in der Erkenntnis betreffen. Sie bestätigt damit ausdrücklich die soeben gegebene Auslegung der Preisschrift und der Dissertation. Für beide 1762 bzw. 1770 geschriebenen Schriften haben wir uns ausdrücklich für den Ansatz von arithmetischen, geometrischen und chronologischen Axiomen entschieden. Eine Angabe darüber, was Kant in dieser Zeit unter den Axiomen der Arithmetik bzw. den reinen sinnlichen Grundsätzen der Zahl verstanden hat, ist auch aus den Reflexionen und damit aus dem gesamten bis jetzt bekannten Material von Kant nicht zu erlangen. d) Die vierte Gruppe der Reflexionen stellt nunmehr die Frage nach dem Ursprung der allmählich herausgearbeiteten reinen synthetischen Grundsätze. Reflexion 4477, ca. 1772-75. Analytische Sätze lassen sidi aus dem principio contradictionis oder identitatis beweisen, aber nicht synthetische; woher gelangen wir also zu diesen? 1. empirisch, 2. durch reine Anschauung, 3. durch subjektive Konditionen der Verstandesvorstellung.
Reflexion 4162,ca. 1769-70.
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Die analytischen Grundsätze Alle Erkenntnis hat entweder empirische oder rationale Prinzipien; die letzteren sind entweder logisch oder real. Die logischen nehmen die ersten Begriffe von Dingen und Verhältnissen an, wie sie gegeben sind, und betrachten nur die Unterordnung nach der Identität und Kontradiktion; die zweiten sind durch die Natur der Vernunft gegebene erste Begriffe und Verhältnisse.
Daß diese Frage für Kant die entscheidende Frage geworden ist, wird noch einmal in dem großen Brief an Herz (WW X, S. 131) herausgearbeitet. Wenn, wie es scheint, Crusius zwar formale und materiale Grundsätze unterscheidet, wenn er aber dabei unter den materialen Grundsätzen nur die Empfindungsdaten im Kantischen Sinne versteht, so bietet eine solche Frage keine grundsätzliche Schwierigkeit. In diesem Sinne jedenfalls ist die Gegebenheit der Sinnesdaten kein Problem. Die Frage wird erst dann brennend, wenn Kant zwischen die formalen Grundsätze und die materialen Sinnesdaten materiale aber reine Grundsätze einschieben muß. Wenn diese reinen materialen Grundsätze auf eine reine Anschauung zurückgeführt werden, so ist damit lediglich eine allererste Umschreibung gegeben. Der Brief an Herz und die beiden Reflexionen 4477 und 4162 zeigen nicht nur die Klarheit, mit der Kant das Problem herausgearbeitet hat, sie zeigen auch seine ursprüngliche Antwort: Die reinen synthetischen Grundsätze entspringen aus der Natur der menschlichen Vernunft. In der Frage der analytischen Grundsätze stimmen alle Kantianer, diesen Ausdruck im engeren Sinne der Kantschüler genommen, überein, und zwar sowohl was die Auffassung der Sätze als auch was den Kreis der hierher zu rechnenden Sachverhalte anbetrifft. Kiesewetter schickt seinen 1799 erschienenen Anfangsgründen eine Einleitung über Objekt und Methode der Mathematik voran. Dort gibt er in § 9 folgende Tafel der analytischen Grundsätze: 1. Wenn zwei Größen einer dritten gleich sind, so sind sie untereinander gleich. 2. Wenn zwei Größen einer dritten ähnlich sind, so sind sie untereinander ähnlich. 3. Wenn zwei Größen mit einer dritten kongruent sind, so sind sie untereinander kongruent. 4. Eine jede Größe ist sich selbst gleich. 5. Das Ganze ist größer als ein Teil desselben. 6. Das Ganze ist allen seinen Teilen zusammengenommen gleich.
Auch Zimmermann gibt in seiner Entwicklung analytischer Grundsätze auf Seite 4 ein Verzeichnis von 10 analytischen Grundsätzen: 1. Jede Größe ist sich selbst gleich. 2. Zwei Größen, die einer dritten gleich sind, sind untereinander gleich. 3. Gleiches zu Gleichem addiert gibt gleiche Summen.
Die Grundsätze 4 bis 10 wandeln den Grundsatz 3 für die anderen Operationen
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und zwar Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren, Potenzieren und sodann noch einmal für den Fall der Ungleichheit ab. Die erste im Kantisdien Sinne geschriebene Metaphysik von Jakob behandelt einige der analytischen Grundsätze und zwar in dem Teil: Von den reinen Begriffen, im ersten Kapitel: Von den Prädikaten und Grundsätzen der Quantität. Damit werden also in einem Kantisdien System der Wissenschaft die analytischen Grundsätze in der systematischen Ontologie und zwar als die Prädikabilien der Größe abgehandelt. Daß Kant mit seiner Unterscheidung zwischen formalen und materialen Grundsätzen bzw. zwischen synthetischen Axiomen und analytischen Grundsätzen einen bestimmten mathematischen Tatbestand herausgehoben hat, ist allgemein anerkannt worden. Es bleibt freilich merkwürdig, daß die an die analytischen Grundsätze ansetzenden Probleme im wesentlichen nur das Interesse der Mathematiker gewonnen haben, während die rein philosophischen Auslegungen entweder daneben gegriffen haben oder über die Probleme hinweggegangen sind. Eine Übernahme des Kantisdien Gedankenguts findet sich sdion bei Klügel, der audi sonst den Kantischen Gedankengängen freundlich gegenüber stand. G. S. Klügel, Mathematisches Wörterbuch 1803, II, S. 696. Grundsatz ist ein Satz, der für sich so augenscheinlich ist, daß er keines Beweises bedarf. Man kann die Grundsätze einteilen in logische oder formale und in materiale. Die ersteren enthalten eine Schlußform, die der Mathematik eigen ist. Dahin gehören die sieben ersten Grundsätze in dem ersten Buche der Euklidischen Elemente. Was einem und ebendemselben gleich ist, ist selbst gleich, Gleiches zu Gleichem hinzugetan, gibt Gleiches... Die materiellen Grundsätze fließen unmittelbar aus dem Begriffe, den sie betreffen. Was einander deckt, ist gleich, das Ganze ist größer als sein Teil, alle rechten Winkel sind einander gleich, zwei gerade Linien schließen keinen Raum ein . . .
Die Bedeutung der analytischen Grundsätze ist dann von Frege bemerkt worden, besonders ausführlich hat sich Hankel damit beschäftigt. Hankel, Theorie der komplexen Zahlensysteme, S. 52. Man sollte meinen, daß selbst die oberflächlichste Betrachtung hier zwei wesentlich verschiedene Klassen von Grundsätzen unterscheiden läßt, deren e i n e . . . sich auf Verhältnisse bezieht, die mit dem Begriff der Größe wesentlich verknüpft sind, während die a n d e r e . . . geometrische Wahrheiten enthält. Und doch ist dieser Unterschied von den meisten Mathematikern ganz übersehen worden, wie schon genugsam der Umstand beweist, daß man beide unter dem einen Namen der Axiome zusammengeworfen hat, den Euklid gar nicht kennt, denn er hat diesen Unterschied auf das Schärfste e r k a n n t . . . Von den Grundsätzen, die aus der geometrischen Anschauung entspringen, kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß es synthetische
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Die analytischen Grundsätze in der Ausdrucksweise . . . Kants sind . . . Näher liegt uns die andere Klasse der Grundsätze, die der notiones communes, deren Unterschied von jenen Kant wohl bemerkt h a t . . . Ein solcher Grundsatz spricht ein abstrakt allgemeines und notwendiges Gesetz aus, welches in allen Größengebieten stattfindet und, ohne seinen wesentlichen Charakter aufzugeben, in eine Definition verwandelt werden kann, welches ferner einen solchen Grad von Evidenz besitzt, da£ es durch seine bloße Exposition als unzweifelhaft wahr erkannt wird.
Es ist daher sicher unrichtig, wenn Thiele an der Stelle Β 17 eine Unsicherheit Kants konstruieren will (Wie sind die synthetischen Urteile der Mathematik a priori möglich?, S. 4). Wir haben schon oben darauf hingewiesen, daß man bei einzelnen dieser Sätze mit Recht die Frage stellen kann, ob die Zuteilung zu den analytischen Grundsätzen berechtigt ist und ob sie nicht vielmehr als synthetische Axiome angesehen werden müssen. Diese Frage muß aber mit ganz anderen Gründen erwogen werden. Thiele geht hier von einem viel zu engen Begriff des analytischen Urteils aus. Faßt man den Begriff des analytischen Urteils fälschlicherweise so eng, dann wird es tatsächlich kaum analytische Urteile geben. Kant kennt eine Reihe von Sätzen, die der Mathematik zu Grunde liegen und die er als analytische Grundsätze bezeichnet. Vollständige Zusammenstellungen finden sich in den Lehrbüchern der Schüler, insbesondere bei Schultz, Anfangsgründe der reinen Mathesis. Die Kantischen analytischen Grundsätze umfassen die Euklidschen Grundsätze (Euklid ed. Heiberg 1, 2, 3, 8 und Euklid ed. Clavius 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9, 19). Von diesen Sätzen sind im einzelnen bei Kant belegt: Das Ganze ist sich selber gleich: Β 17, Prol. 269, Refl. 4634. Gleiches zu Gleichem gibt Gleiches: A 164, Β 204. Gleiches von Gleichem gibt Gleiches: A 164, Β 204. Das Ganze ist größer als sein Teil: Β 17, Prol. 269, Refl. 3998, Eberhard V I I I , 196. Das Ganze ist allen Teilen zusammengenommen gleich: Preisschrift II, 281. Als analytische Sätze kommen drei Gruppen von Sätzen in Frage: 1. Gänzlich leere Sätze: Die Linie ist eine Linie; 2. die analytischen Grundsätze; 3. Sätze, die unmittelbar aus der Definition fließen, von der Form: ein Quadrat hat vier Seiten. Läßt man die gänzlich leeren Sätze außer acht, die nur durch eine sinnlose Formalisierung entstehen, so bestimmt man das analytische Urteil bei Kant am besten zugleich sachlich und geschichtlich: Das analytische Urteil kann im Sinne der Leibniz-Wolffschen Urteilslehre aus Definitionen und dem Satze des Widerspruchs bzw. der Identität bewiesen werden. Aus dieser Bestimmung ergibt sich sofort, daß ein analytisches Urteil für Kant nur ein Urteil a priori sein kann.
Die analytischen Grundsätze
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Das Urteil muß sich ferner aus der Definition, d. h. aber aus dem Begriff des Subjekts herausholen lassen, und damit gewinnen wir den Anschluß an die eigentliche Bestimmung. Wir haben also folgendes gewonnen: 1. die analytisdien Grundsätze sind einzeln bei Kant und seinen Schülern belegt. 2. Es ist klargelegt, in welcher Weise analytische Grundsätze bewiesen werden aus Definitionen und dem Satz des Widerspruchs. 3. Der Ansdiluß an Wolff und Leibniz ist hergestellt.
KAPITEL
III
Die Axiome der Arithmetik Die Axiome der Addition sind veröffentlicht von Johann Schultz 1789 ff. in der „Prüfung der Kantischen Kritik der reinen Vernunft", 1790 in den „Anfangsgründen der reinen Mathesis", 1805 in „Kurzer Lehrbegriff der Mathematik" (1820 in zweiter Auflage erschienen). Von hier aus sind sie in zahlreiche Werke gelangt, deren Autoren man im engeren oder weiteren Sinn als Kantianer bezeichnen kann. Direkte Schüler von Kant und Schultz sind Kiesewetter und Zimmermann. Die erste Darstellung über den engen Schülerkreis hinaus findet sich in Murhard „System der Elemente der' allgemeinen Größenlehre". Dann folgten Martin Ohm und Jakob Fries. Die Übernahme in die eigentliche Fachmathematik erfolgt durch Grassmann, Hamilton und Hankel. Dadurch dringen die Axiome der Arithmetik langsam in die eigentlichen Lehrbücher; ich nenne etwa Schröder, Frege, Schubert, Stolz, Baltzer, Brettschneider. Die abschließende Darstellung gibt Peano 1889 in den „Arithmetices principia". Nach der Darstellung dieser beiden Kreise werde idi zu zeigen versuchen, daß ein direkter Weg von Kant zur modernen Mathematik im wesentlichen über Martin Ohm und Grassmann geht, obwohl bei den zahlreichen Werken der Kantianer, in die die Axiome bereits übergegangen waren, eine ausschließende Feststellung schwer möglich ist. Zum Schluß des Kapitels werde ich die Frage prüfen, ob die Axiome von Kant oder von Schultz stammen. Um Kants Bedeutung als produktiver Mathematiker zu eindeutiger Klarheit zu bringen, werde ich beispielsweise das kommutative Gesetz der Multiplikation behandeln; auch dabei wird die Neuheit und die Bedeutung des Kantischen Vorgehens deutlich werden. Von Schultz gebe ich zunächst die in den „Anfangsgründen" erschienene Darstellung. Die „Anfangsgründe" tragen zwar die Jahreszahl 1790, in ihnen wird aber auf die „Prüfung" Bezug genommen, die ihrerseits auf dem Titelblatt die Jahreszahl 1791 trägt. Schultz, Anfangsgründe, S. 32, 40 und 41.
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Axiome und Postulate der allgemeinen Größenverknüpfung. Postulat 1: Mehrere gegebene gleichartige Quanta durch ihr successives Zusammennehmen in ein Quantum d. i. in ein Ganzes zu verwandeln. Anmerkung. Daß und wie dieses allgemein möglich sei, ist unmittelbar und intuitiv einleuchtend, ohne daß sich hierüber eine Vorschrift geben läßt, daher ist dieser Satz ein Postulat (Proleg. § 33). Ausführlicher ist dieses in meiner Prüfung der Kantischen Kritik S. 221 ff. gezeigt worden. Postulat 2: Jedes gegebene Quantum in Gedanken ohne Ende zu vermehren und zu vermindern. Anmerkung. Daß und wie dieses möglich sei, ist einem jeden unmittelbar einleuchtend, ohne daß man ihm weiter eine Vorschrift zu geben imstande ist, auf welche Art er sich, so groß oder klein auch eine gegebene Größe sein mag, doch immer noch eine größere oder kleinere denken könne. Ein mehreres hierüber findet man in meiner Prüfung der Kantischen Kritik S. 223, 224. Axiom 1 Die Quantität der Summe ist einerlei, man mag zu dem ersten gegebenen Quanto das andere oder zum anderen das erste addieren, d. i. es ist allemal a + b = b + a , ζ. B. 5 + 3 = 3 + 5 . Axiom 2 Die Quantität der Summe ist einerlei, man mag zu dem einen gegebenen Quanto ein anderes entweder auf einmal ganz oder jeden seiner Teile nach und nach einzeln addieren, d. i. es ist allemal c + ( a + b ) = ( c + a ) + b = c + a + b . Bei Leibniz finden sich die uns interessierenden Sätze an verschiedenen Stellen: Das Gesetz der unbeschränkten Ausführbarkeit der Addition findet sich in den Bemerkungen zum ersten Buche des Euklid (Math. Werke ed. Gerhardt VI, S. 206), das kommutative Gesetz in Mathematische Werke ed. Gerhardt VII, S. 7 7 - 8 2 . Prima calculi magnitudinum elementa demonstrata
§ 8 Theorema: + a +
b = + b + a. Patet ex praecedenti, quia ibi nihil refert, qua ordine collocentur: sufficit unum cum alio poni. Das kommutative und das assoziative Gesetz finden sich dann wiederholt in den Studien zur allgemeinen Charakteristik und zwar in den Manuskripten, die Gerhardt und Couturat herausgegeben haben. Ich habe aber keine Spur davon finden können, daß diese beiden Gesetze auf irgend einem Wege in die Öffentlichkeit gelangt wären; jedenfalls finden sie sich nicht in den Lehrbüchern des 18. Jahrhunderts, insbesondere nicht bei Wolff. Wenn Schultz in der von ihm selbst angezogenen Stelle (Prüfung I, 221 ff), sagt, daß die Arithmetik Grundsätze habe, „so sehr man sie audi bisher übersehen habe", so will er damit bewußt die Priorität für die Entdeckung dieser Grundsätze in Anspruch nehmen. Dies ist richtig in Bezug auf die beiden Axiome.
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Die Axiome der Arithmetik
Dagegen sind die beiden Postulate sdion wiederholt behandelt worden. Das zweite Postulat entspricht zunächst dem 2. Postulat des 7. Buches bei Clavius: Quolibet numero sumi posse majorem. Ebenso spricht Wolff in der Ontologie § 397 von demselben Postulat: „Dato quolibet numero sumi potest major. Detur enim numerus quicunque: cum numeri procreentur continua unitatis additione (§ 339) nil sane obstat, quo minus numero dato unitatem vel semel, vel aliquoties, hoc est, numerum quemcunque alium adiicias."
Allerdings ist richtig, daß der Satz von Kant als Postulat erkannt worden ist, während er für Wolff ein Lehrsatz ist. Anders ist die Behandlung bei Lambert, der zunächst die unbegrenzte Vermehrung durch Addition von 1 als Postulat bezeichnet: Lambert, Organon 1764,1, S. 469. „Der Begriff der Einheit ist ebenfalls einfach, und wir haben ihn unmittelbar in dem Wort Ich und so auch in der Vorstellung eines jeden Begriffes, insofern es ein Begriff ist. Die Wiederholung der Einheit gibt uns den Begriff der Zahl, welcher der Gegenstand der Arithmetik und daher eine Wissenschaft a priori ist, weil sie außer dem Begriff der Möglichkeit dieser Wiederholung weiter kein anderes Postulatum nötig hat."
In einem gewissen Gegensatz hierzu steht die Stelle Organon I, 500, wo Lambert praktisch von zwei Postulaten spricht: „Den Begriff der Einheit haben wir in dem Worte Ich, und mittelbarer in dem, was wir in unsern Vorstellungen zusammennehmen. Die Wiederholung der Einheit gibt den Begriff der Zahl, und ist an sich ein Postulatum, worauf die ganze Rechenkunst beruht. Alles dieses haben wir bereits (§ 26) angemerkt. Wir fügen demnach nur bei, daß dieses Zusammennehmen mehrerer Einheiten eine Zahl ausmacht, die wir ebenfalls wiederum als eine Einheit ansehen können. Daß es damit so weit gehen könne, als man will, wird unter die Postulate gerechnet."
Hier entspricht nun das Postulat, daß das Zusammenfassen mehrerer Einheiten eine Zahl ausmachen soll, dem Kantischen Postulat 1. Kiesewetter bringt, wie in allen seinen Werken so audi hier, die Grundsätze der Arithmetik in populärer Form: Kiesewetter, Die ersten Anfangsgründe 1799, S. 20 u. 23. „Einer werden zusammengezählt, wenn man zu der einen nach und nadi die Einheiten der andern hinzufügt. Daß man dies könne, ist ein Postulat der Arithmethik... Es ist völlig einerlei, ob man die erste Zahl zur zweiten, oder die zweite zur ersten hinzufügt, 5 + 4 = 4 + 5 . "
Kiesewetter kennt also die Sätze. Der Aufbau seines Lehrbuches ist aber so lasdi, daß weder in der Arithmetik noch in der Geometrie die Axiome und Postulate
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von den Lehrsätzen unterschieden sind, obwohl die Einleitung ausführlich von einem solchen Untersdiied handelt. Eine unveränderte Wiedergabe findet sich audi bei Chr. G. Zimmermann, einem Lieblingsschüler von Kant und Schultz, der in den Jahren 1788-1790 in Königsberg Mathematik und Philosophie studierte. Eine ebenfalls unselbständige Wiedergabe findet sich in dem „System der Elemente der allgemeinen Größenlehre" von Murhard. Über Murhard unterrichtet die Notiz in C. H. Müller, Studien zur Geschichte der Mathematik in Göttingen (Abh. zur Gesch. der Mathemat. Wiss. 18 (1904), S. 137). In seiner Größenlehre hat Murhard die Axiome und Postulate der Arithmetik wörtlich übernommen; von ganz geringfügigen Änderungen abgesehen, wie etwa Größe in Quantum im 1. Postulat. Murhard, Größenlehre 1798, S. 38. Die Arithmetik hat sowohl Axiome als Postulate. Jene sind: 1. Die Größe der Summe ist einerlei, man mag zu dem ersten gegebenen Quantum das zweite, oder zum zweiten das erste addieren d. i. es ist allemal A + B = B + A . 2. Die Größe der Summe ist einerlei, man mag zu einem gegebenen Quantum ein anderes entweder auf einmal oder jeden seiner Teile nach und nadi einzeln addieren d. i. es ist allemal C + ( A + B ) = ( C + A ) + B . Diese aber sind: 1. Aus mehreren gegebenen gleichartigen Größen durch ihre successive Verknüpfung den Begriff von einer Größe zu erzeugen d. i. sie in ein Ganzes zu verwandeln. 2. Ein gegebenes Quantum um so viel als man will d. L ins Unendliche zu vergrößern und zu vermindern.
Auf diese Größenlehre von Murhard bezieht sich ein Brief von Gauss an Bolyai vom 9.1. 1799. Briefwechsel Gauss - Bolyai, S. 15. Zu der Acquisition des Murhard wünsche ich Deines Kaisers Lande Glück. Das Buch was er dem Kaiser dediziert hat, ist buchstäblich (ich sage buchstäblich) aus dreien andern (von Sdiulze, Segner, Stahl) ausgeschrieben, nur ein paar Stellen ausgenommen, die unter aller Kritik sind (diese Nachricht habe ich von Pfaff, und ich habe selbst verglichen und buchstäbliche Übereinstimmung gefunden).
Wenn die Herausgeber des Briefwechsels unter Sdiulze Johann Karl Sdiulze verstehen, der 1782 in Berlin ein Taschenbuch der Meßkunst hat erscheinen lassen, so rührt diese irrtümliche Angabe lediglich daher, daß den Herausgebern nadi ihrer eigenen Angabe das System der Elemente der allgemeinen Größenlehre von Murhard, um das es sich hier handelt, wegen seiner Seltenheit nicht zugänglich gewesen ist. Nimmt man das Werk von Murhard zur Hand, so sieht man auf den ersten Blick, daß Murhard aus den Anfangsgründen des Königsberger Mathematikers abgeschrieben hat. Ich gebe den Vergleich einer kurzen Stelle, die
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nodi dadurch interessant ist, daß Schultz die Stelle seinerseits wieder einem Briefe entnommen hat, den er von Kant erhalten hat. 1. Original: Kants Brief an Sdiultz, WW X, S. 555. Die allgemeine Arithmetik (Algebra) ist eine dermaßen sidi erweiternde Wissenschaft, daß man keine der Vernunftwissensdiaften nennen kann, die es ihr hierin gleich täte . . . 2. Schultz, Prüfung 1789, S. 232. Nun ist gleichwohl die allgemeine Mathesis eine Wissenschaft, die bloß a priori einer so erstaunlichen Erweiterung fähig ist, daß man unter allen Vernunftwissensdiaften keine nennen kann, die es ihr hierin gleidi täte. 3. Murhard, System der Elemente der allg. Größenlehre 1798, S. 39. Ferner ist die allgemeine Größenlehre eine Wissenschaft, die bloß a priori einer so erstaunlichen Erweiterung fähig ist, daß man unter allen Vernunftwissenschaften keine nennen kann, die es ihr hierin gleich täte. (Kant) sogar, daß die übrigen Teile der reinen Mathesis ihren Wachstum größtenteils von der Erweiterung jener allgemeinen Größenlehre erwarten. (Schultz) so daß die ganze besondere Mathesis ihr Wachstum großenteils nur von der Erweiterung der allgemeinen erwartet. (Murhard) so daß die ganze besondere Größenlehre ihr Wachstum großenteils nur von der Erweiterung der allgemeinen erwartet. (Kant) bestände diese nun aus bloß analytischen Urteilen, so wäre wenigstens die Definition der letzteren unrichtig, daß sie bloß erläuternde Urteile wären, und dann wäre es ein wichtiges, schwer zu beantwortendes Problem: wie ist Erweiterung des Erkenntnisses durch bloß analytische Urteile möglich. (Schultz) Also ist es ein offener Widerspruch, daß durch bloße Zergliederung der Begriffe von Einheit, Vielheit und Allheit eine Wissenschaft von so unermeßlidiem Umfange zustande kommen könnte; mithin zeigt selbst dieser Umstand, daß sie durchaus synthetisch sein muß. (Murhard) Es ist also ein offenbarer Widerspruch, daß durch bloße Zergliederung der Begriffe von Einheit, Vielheit, Allheit, eine Wissenschaft von so unermeßlidiem Umfange zustande kommen könnte. Audi dieser Umstand zeigt daher, daß sie durchaus synthetisch sein muß. Was die Verwertung des Kantischen Briefes durch Schultz betrifft, so lag sie durchaus im Sinne von Kant. Der Brief von Gauss an Bolyai ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Er zeigt zunächst, daß Schultz so bekannt war, daß er in einem Briefe zwischen den beiden Freunden ohne weiteres zitiert werden konnte. Auch waren seine Bücher so bekannt, daß das Murhardsche Plagiat sofort bemerkt worden ist. Für die Verbreitung des Schultz'sdien Werkes sprechen auch andere Zitate. Ich nenne hier nur N o v a l i s (WW III, S. 23) und Martin Ohms Kritische Beleuchtungen 1819, S. 27 f. Der Brief von Gauss an Bolyai zeigt ferner, daß Gauss 1799 die Axiome der Arithmetik zugleich mit ihrem Ursprung gekannt hat.
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U m 1800 waren die Axiome der Arithmetik also schon in drei Werken erschienen, die unter dem direkten Einfluß Kants standen, nämlich Schultz, Kiesewetter und Murhard. Sie sind dann zum Teil in ganz verschwommener Form in die Lehrbücher des 19. Jahrhunderts übergegangen. Ich nenne als ersten Thibaut, der neben Gauss in Göttingen wirkte. Eine wirkliche Weiterarbeit an den Axiomen der Arithmetik findet sich bei Fries, Ohm und Grassmann. J a k o b Fries hat seine Arbeiten zur Mathematik in seiner Naturphilosophie niedergelegt. Schon die Stoffverteilung in diesem Werk zeigt, daß Fries im wesentlichen für die Arithmetik und die Kombinatorik interessiert ist, während die Geometrie zurücktritt. Diese Arbeit ist der erste Versudi einer systematischen Axiomatik, da die Axiome aus einem einzigen Grundprinzip gewonnen werden sollen. J a k o b Fries, Die mathematische Naturphilosophie 1822, S. 61. „Die oberste Form aller Axiome ist: Zwischen bestimmten Grenzen ist jedesmal ein Teil der Reihe und nur ein Teil der Reihe möglich . . . Die Formen der Postulate sind folgende: 1. Postulate der Beschreibung einer Größe. Von der Einbildung, eine Größe durch geometrische Bewegung geometrisch zu beschreiben. Von der Einbildung, arithmetisch eine Größe durch Zusammensetzen gleichartiger Teile zu bilden. 2. Postulate der Begrenzung. In jedem stetigen Ganzen für die Einbildung Teile zu begrenzen. 3. Postulate der Vergrößerung. Jede von der Einbildung gegebene Größe in Gedanken zu vermehren. 4. Postulate der Anordnung. Jede gegebene Anordnung in Gedanken zu variieren. 5. 81 ff.: 1. Axiom. Aus gleichartigen Größen als Teilen ist immer eine Summe und nur eine Summe möglich. Zusatz 3. Eine Größe als ein Ganzes kann jeder beliebigen Zusammensetzung aus allen ihren Teilen gleichgesetzt werden; denn aus diesen Teilen ist nur die eine Größe möglich. Alle Komplexionen aus denselben Elementen sind einander gleich. 2. Forderungen: 1. Zu jeder gegebenen Größe eine Einheit in Gedanken hinzuzutun. 2. Von jeder gegebenen gemessenen Größe in Gedanken eine Einheit abzuziehen." D a s Axiom der Arithmetik enthält in hödist kunstvoller Weise drei der Kantischen Grundsätze. D a ß das kommutative und das assoziative Gesetz in ihm enthalten sind, wird ausdrücklich durch den Zusatz 3 klargestellt. D a s erste
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Kantische Postulat ist im Axiom mit formuliert: „ist immer eine Summe und nur eine Summe möglich". Das zweite Postulat ist hier in zwei Forderungen auseinandergelegt, weil Fries das Prinzip der unbeschränkten Ausführbarkeit der inversen Operationen schon kennt, das man allgemein erst Hankel zuschreibt. Man wird diese Bearbeitung der Kantisdien Gedanken durch Fries schwerlich als einen Fortschritt ansehen können. Die Arbeit krankt zunächst an einer Übertreibung des Systemgedankens; bis jetzt wenigstens sind alle Versuche zu einer systematischen Mathematik fruchtlos geblieben. Audi die Rückführung der Addition auf die Kombination vermag nicht überzeugend zu wirken. Die Klarheit, mit der Kant die Grundgesetze heraushebt, wird zudem stark verwischt. Jakob Fries kennt also nicht nur die einzelnen Axiome, sondern ist sich auch über die Bedeutung der Axiomatik im Klaren. Seine Systematisierung kann man wohl nur als einen Versuch werten. Man muß dabei zugeben, daß gerade dieser Systemgedanke auf Schultz zurückgeht, dessen Werke Fries häufig zitiert und deren Kenntnis er nach der Art seiner Zitierung bei seinen Lesern voraussetzt. Man vgl. Fries, Naturphilosophie 1822, S. 112, 258, 260, 263, 276, 277, 285, 286 u. a. Durch diese Zitate kann die bei Fries von vornherein anzunehmende Abhängigkeit von Kant und Schultz auch konkret belegt werden. Martin Ohm gibt die vier Grundsätze in seinem „System" in folgender Weise: Ohm, „System" I, S. 14 u. 16. Zusatz: Stellen a und b Zahlen vor, so bedeutet a + b allemal audi eine Zahl, aber nur eine einzige . . . 3. Es ist allemal a + b = b + a . Denn jedesmal hat man die Zahl, die so viele Einheiten hat, als die Zahlen a und b zusammengenommen haben. Lehrsatz 1. Zu einer Summe a + b wird eine Zahl c addiert, wenn man diese Zahl c zu einem der Summanden addiert, den andern Summanden aber unverändert läßt, d.h. (a+b) + c = ( a + c ) + b = a + ( b + c ) .
Die beiden Postulate sind hier in einem Satz zusammengefaßt — die Addition gibt allemal eine einzige Zahl - , die beiden anderen Sätze entspredien den beiden Axiomen. Alle vier Grundsätze sind als bewiesene Sätze gegeben, und zwar fließt für Ohm der Beweis aus seiner Definition der Addition: Ohm, „System" I, S. 13. „Unter der Summe a + b , weldie aus den beiden Summanden a und b besteht, denken wir uns diejenige Zahl vorgestellt, welche so viel Einheiten hat, als die Zahlen a und b zusammengenommen haben.
Ähnlidi ist die Darstellung in der Zahlenlehre: Martin Ohm, „Elementar-Zahlenlehre" 1816.
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(Def. S. 7). Die Zahl c, die so viele Einheiten hat, als zwei andere Zahlen a und b zusammengenommen, bezeidinet man durch das Bild a + b und nennt dieses Bild die Summe der beiden Zahlen a und b.
Aus dieser Definition beweist Ohm 8 Lehrsätze: Martin Ohm „Elementar-Zahlenlehre" 1816, S. 11. 5. Das Bild b + a bezeidinet dieselbe Zahl als das Bild a + b , d. h. es ist a + b = b + a . 6. Es ist ( a + b ) + c = ( a + c ) + b = a + (b+c) usw. d.h. die Bilder ( a + b ) + c , ( a + c ) + b , a + (b+c) usw. bezeichnen alle dieselbe Zahl, nämlich die Zahl, die so viele Einheiten hat als die durch a, b, c bezeichneten Zahlen deren zusammengenommen h a b e n . . .
Wir merken an, daß die Schärfe, mit der Schultz bereits den Grund der Unbeweisbarkeit hervorgehoben hatte, hier verloren gegangen ist; es ist ja gar nicht die Frage, ob man etwas tun darf — etwa die Seiten vertauschen darf. Weshalb sollte ein Mathematiker verhindert sein, in der Summe die beiden Summanden zu vertauschen? Die Frage ist vielmehr, ob bei dieser immer möglichen Vertauschung die Summe ungeändert bleibt. Man kann es kaum besser ausdrücken als Schultz, wenn er sagt: »Aber woher weiß ich nun, daß dieses willkürliche Verfahren, das gar nicht im Begriffe des Addierens selbst liegt, in der Größe der Summe 7 + 5 keine Änderungmacht?" Während Ohm also die Axiome inhaltlich übernommen hat, ist die Feinheit des Aufbaus verloren gegangen; dagegen ist der Systemgedanke bei Martin Ohm bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Die Abhängigkeit Ohms von Kant und Schultz fällt ohne weiteres in die Augen. Man vergleiche etwa die Einleitung von Ohms „System der Mathematik" mit der Einleitung der „Anfangsgründe" von Schultz. Hermann Grassmann gibt die entscheidende Darstellung in seinem Lehrbuch der Arithmetik. Er bezeichnet mit e die positive Einheit. Hermann Grassmann, Lehrbuch der Arithmetik, WW II 1, S. 300. Wenn a irgend ein Glied der Grundreihe ist, so versteht man unter a + e . . . das auf a zunächst folgende Glied der Reihe. Erklärung. Wenn a und b beliebige Glieder der Grundreihe sind, so versteht man unter der Summe a + b dasjenige Glied der Grundreihe, für welches die Formel a + (b+e) = a + b + e gilt. Man nennt a und b die Summanden oder Stücke der Summe a + b , a den ersten Summand, b den zweiten. Die Verknüpfung heißt Addition. 20. e + a = a + e Beweis: (in Bezug auf a) Angenommen die Formel 20 gelte für irgend eine Größe a
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Die Axiome der Arithmetik so zeige ich zuerst, daß sie audi für die auf a zunächst folgende Größe a + e gelte, d. h., daß e + (a+e) = a + e + e sei. Es ist e+(a+e) = e+a+e = a+e+e da nach der Annahme für den bestimmten Wert a die Formel 20 gelten s o l l . . . Nun gilt aber die Formel 20 für den Fall, daß a = e ist. Denn dann ist e+a = e+e = a+e
Die spätere Entwicklung hat gezeigt, daß an dieser Ableitung von Grassmann nichts mehr zu verbessern ist. Grassmann macht sich übrigens die Entwicklungen selbst dadurch kompliziert, daß er sie sofort für die Gesamtheit der ganzen Zahlen, also für die positiven und negativen ableitet. Etwas zu kurz kommt bei Grassmann die Frage der unbeschränkten Ausführbarkeit, die Frage der Eindeutigkeit der Addition besonders audi die Bedeutung des Schlusses von η auf n + 1 für die ganzen Zahlen. Auch diese drei Momente werden in der abschließenden Darstellung von Peano sdiarf herausgearbeitet. Ob die Formel a + ( b + e ) = a + b + e eine Definition oder ein Axiom ist, dürfte eine Frage der ontologisdien Interpretation der Mathematik sein. Die eigentlich mathematische Frage ist mit der klaren Hervorhebung der Minimalvoraussetzungen beendet. Grassmann selbst steht auf dem Standpunkt, daß die Arithmetik nur aus Definitionen besteht, also keine Axiome kennt. Hermann Grassmann, Ausdehnungslehre, WW 11, S. 22. Der Beweis in den formalen Wissenschaften geht daher nicht über das Denken selbst hinaus in eine andere Sphäre über, sondern verharrt rein in der Kombination der verschiedenen Denkakte. Daher dürfen auch die formalen Wissenschaften nicht von Grundsätzen ausgehen wie die realen; sondern ihre Grundlage bilden die Definitionen. Wenn man in die formalen Wissenschaften wie ζ. B. in die Arithmetik dennodi Grundsätze eingeführt hat, so ist dies als ein Mißbraudi anzusehen, der nur aus der entsprechenden Behandlung der Geometrie zu erklären ist.
Hamilton kennt alle fünf Gesetze, eine systematische Darstellung der Arithmetik der ganzen Zahlen hat er nicht gegeben. Hankel gibt in seiner Theorie der komplexen Zahlensysteme nach dem einleitenden Abschnitt im Abschnitt 2 zunächst eine allgemeine Formenlehre. Er handelt dort im § 4 über den Algorithmus assoziativer Rechenoperationen ohne Kommutation, in § 5 über den Algorithmus assoziativer Operationen mit Kommutation. Es handelt sich also um eine Arithmetik der 5 Grundgesetze mit dem Ziel, zu ermitteln, was jeweils aus den einzelnen Gesetzen oder aus Verbindungen einiger dieser Gesetze gefolgert werden kann. Im Abschnitt 3 untersucht er dann die Gültigkeit dieser Gesetze. Er sagt darüber: Hankel, Theorie der komplexen Zahlensysteme, S. 33.
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Die in den beiden letzten Paragraphen statuierten formalen Gesetze der Addition und Multiplikation sind den bekannten und in § 1, 2 angeführten Gesetzen der aktuellen Addition und Multiplikation in der Größenlehre mit einiger Freiheit (in Bezug auf die Kommutativität) nachgebildet. Diese Gesetze sind es nun, die wir auf die Gebiete der Anschauung, insbesondere des Raumes im folgenden übertragen werden; und dies ist die eine Seite des Prinzips der Permanenz der formalen Gesetze. Wir werden dabei im allgemeinen so verfahren: Wenn ein Gebiet von Objekten gegeben ist, so wird man zunächst fragen, ob es eine auf sie anwendbare Operation gebe, welcher die Eigenschaften der Addition zukommen. Eine strikte Methode zur Beantwortung dieser Frage gibt es allerdings nicht, vielmehr wird die produktive Erfindung sie lösen müssen; das Prinzip der Permanenz leistet dabei gute Dienste. Ist aber eine Operation gefunden, welche die Eigenschaften der Addition hat, so wird man weiter fragen, ob es eine entsprechende Multiplikation gebe . . . Man wird den Standpunkt Hankels dahin zusammenfassen können, daß es an sich eine rein logische allgemeine Formenlehre gibt, daß aber für jedes „Gebiet von Objekten" durch ein Axiomensystem festgestellt werden muß, welche der in der Formenlehre entwickelten möglichen Gesetze in diesem Gebiet gelten. Ein solches Gebiet sind für Hankel die Zahlen, insbesondere zunächst die reellen Zahlen. Die systematische Darstellung der Addition und Multiplikation der positiven ganzen Zahlen findet sich auf den Seiten 37-40. Wenn auch Hankel ausdrücklich sich auf Grassmann bezieht: Hankel, Theorie der komplexen Zahlensysteme, S. 40. Den Gedanken, die Additions- und Multiplikationsregeln, so wie es hier geschehen ist, abzuleiten, verdankt man im wesentlichen Grassmann (Lehrb. d. Arithm.) so scheint mir doch bei Hankel ein Fortschritt darin zu liegen, daß die Entwicklung nicht sofort für alle ganzen Zahlen vorgenommen wird, sondern zunächst auf die positiven ganzen Zahlen beschränkt bleibt. Es fehlt bei Hankel nach wie vor eine thematisdie Heraushebung des S(Wusses von η auf n + 1 und des Archimedischen Axioms. Die Arbeiten von Frege finden sidi zunächst in seinen Grundlagen der Arithmetik, in denen er gegen den Grassmannschen Aufbau folgenden durchaus beachtlichen Einwand erhebt: Frege, Grundlagen der Arithmetik, S. 8. (Grassmann) will das Gesetz a + ( b + l ) = (a+b) + l durch eine Definition gewinnen, indem er sagt: „Wenn a und b beliebige Glieder der Grundreihe sind, so versteht man unter der Summe a + b dasjenige Glied der Grundreihe, für weldies die Formel a + ( b + e ) = a + b + e gilt." Hierbei soll e die positive Einheit bedeuten. Gegen diese Erklärung läßt sich
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Die Axiome der Arithmetik zweierlei einwenden. Zunächst wird die Summe durch sidi selbst erklärt. Wenn man nodi nicht weiß, was a + b bedeuten soll, versteht man audi den Ausdrudk a + ( b + e ) nicht. Aber dieser Einwand läßt sich vielleicht dadurdi beseitigen, daß man freilich im Widerspruch mit dem Wortlaute sagt, nicht die Summe, sondern die Addition solle erklärt werden. Dann würde immer noch eingewendet werden können, daß a + b ein leeres Zeichen wäre, wenn es kein Glied der Grundreihe oder deren mehrere von der verlangten Art gäbe. Daß dies nicht statthabe, setzt Grassmann einfach voraus, ohne es zu beweisen, so daß die Strenge nur scheinbar ist.
Die abschließende Darstellung haben die Grundgesetze durch Peano in dem 1889 erschienenen Werke „Arithmetices Principia" erhalten. Dieses Werk bietet in einer außerordentlich übersichtlichen und eleganten Begriffssdirift auf nur 20 Seiten eine Fülle von arithmetischen Gesetzen. Peano beginnt mit neuen Axiomen. Das Axiom 1 legt den Begriff der ganzen Zahl fest. Die Axiome 2, 3, 4 und 5 sind die Axiome der Gleichheit. Die Axiome 6 und 7 legen die unbeschränkte Ausführbarkeit und Eindeutigkeit der Addition fest. Das Axiom 8 ist neu und wichtig, es schließt eine Addition im Kreise aus, das Axiom 9 endlich bestimmt die Gültigkeit des Schlusses von η auf n + 1 für den betrachteten Bereich der ganzen Zahlen. Aus diesen neun Axiomen beweist nun Peano die Grundgesetze der Addition. Der Satz 18 definiert in der von Grassmann vorgeschlagenen Weise den allgemeinen Begriff der Addition a + ( b + l ) = (a+b) + l Satz 23 bringt das assoziative Gesetz. Dieses Gesetz gilt zunächst für c = l auf Grund der Definition 18, gilt es aber für c, so gilt es auch für c + 1 , also gilt es allgemein. Der Beweis des kommutativen Gesetzes erfolgt in zwei Schritten. Im Lehrsatz 24 wird der Satz zunächst für den Spezialfall bewiesen, daß ein Summand = 1 ist, also l + a = a + l , dann erfolgt in Satz 25 der allgemeine Beweis a + b = b + a . Beide Beweise erfolgen durch den Schluß von η auf n + 1 . Aus diesem Aufbau wird nun vollends klar, daß die von Grassmann zuerst benutzte Definition ein Spezialfall beider Gesetze ist, aus dem mit Hilfe des Schlusses von η auf n + 1 beide Gesetze in voller Allgemeinheit bewiesen werden können. Für das assoziative Gesetz ist das ohne weiteres klar, für das kommutative wird es deutlich, wenn man a und b = 1 setzt. Dann erhält man nämlich aus a + ( b + l ) = (a+b) + l 1 + (1 + 1) = (1 + 1) + 1 oder 1 + 2 = 2 + 1 Nachdem durch diesen Aufbau die Zusammenhänge zwischen den Grundgesetzen endgültig klargelegt sind, können die ontologischen Fragen aufgenommen
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werden: Was bedeutet hier Axiom und Definition? Kann man ζ. B. die Definition 18 so einfach hinsetzen? Sdion Frege hat an einer solchen Aufstellung Kritik geübt. Die neuere Diskussion - Hilbert, Natorp, Couturat, Zermelo, Russell geht fast ausschließlich um die ontologischen Fragen, die wir jetzt dahin zusammenfassen können: Ist die Arithmetik logisdi oder axiomatisdi zu begründen? Um jeden Zweifel auszusdiließen, daß bei Kant die formale Schärfe der modernen Mathematik bereits im vollen Umfang gefordert ist, will ich audi noch auf das kommutative Gesetz der Multiplikation eingehen. Das kommutative Gesetz der Multiplikation: a · b = b · a ist nach Cantor, von Pascal entdeckt worden. Schultz gibt den Satz und den Beweis in folgender Weise an. Schultz, Anfangsgründe der reinen Mathesis 1790, S. 64. Ein Produkt ganzer Zahlen ist dasselbe, man mag den ersten Faktor durch den andern, oder den andern durch den ersten multiplizieren, d. i. η · r = r · n. Denn da η = 1 mal η ist (§ 36 Z. 3) = η mal 1 (§ 36 Z. 2); so ist η · 1 = 1 · η η · 2 = η · 1 + η · 1 (Zus. 6) = 1 · η + 1 · η (p. dem.) = 2 · η (Zus. 4) η · 3 = η · 2 + η · 1 (Zus. 6) = 2 · η + 1 · η (p. dem.) = 3 · η (Zus. 4) η · 4 = η · 3 + η · 1 (Zus. 6) = 3 · η + 1 · η (p. dem.) = 4 · η (Zus. 4)
Schultz hat also schon richtig erkannt, daß man das kommutative Gesetz der Multiplikation aus dem Spezialfall 1 · η = η · 1 aus dem distributiven Gesetz (a+b) · n = a · n + b · n = n · a + n · b durch den Schluß von η auf n + 1 beweisen kann. Dagegen fällt Ohm wieder ganz in das alte geometrische Schema zurück: Ohm, System der Mathematik 1,1828, S. 57 f. Es ist allemal a · b = b · a und aus diesem Grunde heißen a und b beide ohne Unterschied Faktoren des Produktes. Denn man denke sidi eine Anzahl b Horizontalreihen und in jeder dieser Horizontalreihen a Einheiten, wie solches in nachstehendem Schema zu sehen i s t . . .
Dasselbe gilt von den Beweisen von Legendre und Gergonne. Der Beweis von Grassmann dagegen deckt sich wieder vollkommen mit dem Kantischen Beweis. Hermann Grassmann, Arithmetik, WW II 1, S. 321. Wenn a und b Zahlen sind, so ist: ab = ba Faktoren eines Produktes kann man vertauschen, wenn sie Zahlen sind. Beweis (induktorisdi). Die Formel 72 gelte für irgendeinen Zahlwert b, so ist a (b+1) = ab+a = ba+a = ba+la = (b+l)a
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Nun gilt die Formel 72 für b = 1; denn a · 1 = a = 1·a folglich usw.
Wir gehen nun dazu über, den faktischen Zusammenhang zwischen Kant und diesen eigentlich mathematischen Diskussionen zu belegen. Ich muß zunächst bemerken, daß es mir nicht möglich war festzustellen, ob auch Hamilton direkt auf die Kantsche Arbeit zurückgeht; für eine solche historische Verfolgung der Entwicklung in England wie auch in Frankreich fehlte mir das Material. Einen gewissen Anhaltspunkt gibt Hamilton selbst. Hamilton, Lectures on Quaternions 1853. Vorrede S. 2. I was encouraged to entertain and publish this view, by remembering some passages in Kant's Criticism of the Pure Reason, which appeared to justify the expectation that it should be possible to construct, a priori, a Science of Time as well as a Science of Space . . .
Freilich spricht hier Hamilton nur von einer Ermunterung, so daß kein positiver Sdiluß gezogen werden kann. Für uns ist nur bedeutsam, daß der Schöpfer der gewiß formalen Quaternionentheorie sich in seinen Absichten von Kant unterstützt sieht, ein schwerwiegender Einwand gegen die übliche Kantauffassung einer anschaulichen Mathematik. Ohm wird von Hamilton an mehreren Stellen zitiert, u. a. Hamilton, Lectures on Quaternions 1853. Vorrede S. 13. It is proper to mention, that results substantially the same, respecting the entrance of two arbitrary whole numbers into the general form of a logarithm, are given by Ohm, in the second volume of his valuable work, entitled „Versuch eines vollkommen konsequenten Systems der Mathematik" von Prof. Martin Ohm (Berlin, 1829, second Edition page 440,1 have not seen the first edition).
Die deutsche Entwicklung dagegen kann man einwandfrei auf Grassmann und Ohm zurückverfolgen; Peano bezieht sich ausdrücklich auf Grassmann. Peano, Arithmetices Principia 1889, S. V. In arithmeticae demonstrationibus usus sum libro: H. Grassmann Lehrbuch der Arithmetik, Berlin 1861.
Ebenso bezieht sich auch Hankel ausdrücklich auf Grassmann und Ohm. Hankel, Theorie der komplexen Zahlensysteme, S. 15. Nachdem ich den Weg, den ich in diesem Werke eingeschlagen habe, als den einzigen wissenschaftlich genügenden erkannt hatte, habe idi es mir angelegen sein lassen, zu ermitteln, wieweit derselbe schon von anderen angezeigt worden sei. Meine Ausbeute ist nicht groß gewesen . . . In Deutschland hat eine rein formale Darstellung der arithmetischen Operationen
Die Axiome der Arithmetik
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Μ. Ohm in der ersten Auflage seines „Versuchs eines vollkommen konsequenten Systems der Mathematik" 1822 gegeben, die er dann in der zweiten Auflage von 1828, ohne seine Meinung darüber zu ändern, „daß nur dieser Weg logisch strenge und also allein der vollkommene Überzeugung gewährende ist", zu Gunsten einer größeren Popularität so umgestaltet hat, daß er von dem gewöhnlichen Zahlenbegriff ausgeht und denselben überall vermischt mit dem der formalen Operationen anwendet. In ähnlicher nur noch minder strenger Darstellung taucht der Gedanke Ohms in deutschen Lehrbüchern hie und da auf, aber ohne daß er meines Wissens irgendwo so konsequent durchgeführt ist, als dies bei den Engländern mutmaßlich geschehen ist... Erst H. Grassmann hat diesen Gedanken mit wahrhaft philosophischem Geist ergriffen und von einem umfassenden Gesichtspunkte aus betrachtet... Damit ist also die Entwicklung einwandfrei auf Ohm und Grassmann zurückverfolgt. Über das Verhältnis von Grassmann zu Ohm gibt folgende Notiz Aufsdiluß: H . Grassmann, Gesammelte Werke, I I I 2, S. 75. Es ist überhaupt merkwürdig, mit wie wenigen mathematischen Büchern Grassmann zeit seines Lebens ausgekommen ist. Seine mathematische Bibliothek war äußerst winzig, da er vorwiegend die verhältnismäßig reichhaltige Bibliothek des Gymnasiums benutzte, in der ihm u. a. das Crelle'sche Journal, Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie, später auch die Mathematischen Annalen und sogar die Comptes Rendus zur Verfügung standen. Aus seinem eigenen Besitz sind an Werken über höhere Mathematik nur folgende zu nennen: Lagrange, Theorie des fonctions und Mέcanique analytique, Poncelet, Traiti des propriitis projectives, Moigno, Calcul difflrentiel et intigral, Verhulst, Traiti des fonctions elliptiques, M. Ohm, System der Mathematik, Magnus, Aufgaben aus der analytischen Geometrie, Steiner, Systematische Entwicklung und Die geometrischen Konstruktionen mittels der graden Linie und eines festen Kreises, Möbius, Barycentrischer Kalkül und später, wohl ein Geschenk des Verfassers, Mechanik des Himmels. Wir wollen nun die Frage aufwerfen, ob die Grundsätze der Addition von K a n t oder von Schultz stammen. D a ß zunächst Sdiultz der einzige authentische Ausleger Kants sei, w a r nicht nur die allgemeine Uberzeugung der Zeit, sondern ist audi von K a n t selbst ausdrücklich festgelegt worden. Dilthey hat weiterhin nachgewiesen, daß Sdiultz für seine Rezension des Kästner-Aufsatzes ein ihm von K a n t für diesen Zweck zur Verfügung gestelltes M a nuskript fast wörtlich benutzt hat. Schultz hat auch das Manuskript seines ersten Kommentars, der „Erläuterungen", K a n t vor dem Druck zur Prüfung zugesandt, wenn audi K a n t an diesem ersten Werk einen direkten Anteil anscheinend nicht genommen hat. Brief von Sdiultz an K a n t vom 28. 8 . 1 7 8 3 , W W X , S. 3 5 2 ff.
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Die Axiome der Arithmetik
Kants Brief an Schultz vom 17. 2. 1784, WW X, S. 366 ff. Von der „Prüfung", in dem die Grundsätze der Addition zuerst erschienen sind, läßt sich nun nachweisen, daß der auf die Arithmetik bezügliche Teil wesentlich auf Kant zurückgeht. Schultz hat auch dieses Werk zur vorherigen Prüfung an Kant gesandt. Im Manuskript waren die Urteile der Arithmetik als analytische Urteile bezeichnet. Dies entsprach dem Standpunkt von Schultz, der kurz vorher bei seiner Antrittsvorlesung für das mathematische Ordinariat im Jahre 1786 lediglich die These vertreten hatte, „die Urteile der Geometrie seien synthetisch". Da die im Jahre 1783 erschienenen Prolegomena bereits die ausführliche Erklärung über den synthetischen Charakter des Urteils 7 + 5 = 12 gebracht hatten, war eine solche Einschränkung auf die Geometrie unmißverständlich. Kant bat nun in einem ausführlichen Brief Schultz um eine nochmalige Prüfung dieser Frage und lud ihn am Schluß des Briefes zur mündlichen Unterredung über diese Frage ein. Kants Brief an Schultz vom 25. 11. 1788, WW X, S. 554 S. Es ist ganz in meiner Denkungsart, in Schriften, die die Berichtigung der menschlidien Kenntnisse und vornehmlidi die lautere unverhohlene Darstellung unserer Vermögen betreifen, durch Vertuschen der Fehler, die man in seinem eigenen System gewahr wird, oder durch Parteimachen und Beredungen keine Blendwerke zu machen, sondern sich, hier sowie allerwärts das: Ehrlich währt am längsten zum Wahlspruche zu nehmen. Daher ich die Ansicht des gründlichen Werks, welches Sie jetzt anfangen, vor der Herausgabe nur in der Absicht gewünscht habe, um, wo ein leicht zu hebender Mißverstand vielen künftigen Kontroversen zuvorkommen könnte, durch wechselseitige Mitteilung (die hier, da wir uns so nahe sind, so leicht ist) dieses Geschäfte zu erleichtern. Erlauben Sie mir daher, über die meinen Satze entgegengesetzte Behauptung: daß Arithmetik keine synthetische Erkenntnis a priori, sondern bloß analytische enthalte, einige Bedenklichkeiten anzuführen. . . . Mein unmaßgeblicher Vorschlag wäre also, die Nummer II von S. 54 bis 71 vor der Hand zu unterdrücken und (wenn es Ihre Zeit nicht erlaubt, jene gewünschte Untersuchung anzustellen) an die Stelle der gedachten Nummer etwa nur die Wichtigkeit einer solchen Untersuchung anzuführen. Eine Behauptung, die so gegen alles Folgende kontrastiert, als diejenige, welche jene Nummer enthält, würde denen, die nur einen Vorwand brauchen, um von allen tiefen Untersuchungen abzukommen, sehr zustatten zu kommen scheinen; um wohl gar von allem synthetischen Erkenntnisse a priori zu behaupten, daß sie nichts sei, sondern das alte principium contradictionis überall zulange . . . Ich hoffe, die Ehre zu haben, hierüber midi nodi mündlich mit Ihnen zu unterhalten . . .
Schultz hat sich tatsächlich von Kant überzeugen lassen. Die Prüfung selbst vertritt den Standpunkt, daß auch die Urteile der Arithmetik synthetisch sind, und
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dieser synthetische Charakter der arithmetischen Urteile wird mit dem neu erkannten und belegten axiomatischen Charakter der Arithmetik begründet. Aus dieser Vorgesdiidite ergibt sich jedenfalls, daß Schultz gegen Ende des Jahres 1788 die Grundsätze noch nicht kannte. Es sind nun zwei Möglichkeiten denkbar. Kant hat 1788 die Axiome der Arithmetik bereits gekannt und sie lediglich an Schultz weitergegeben, oder diese Axiome haben sich in der Diskussion zwischen Kant und Schultz über die Natur der arithmetischen Urteile herausgeschält. Auch in diesem zweiten Falle würde man wohl Kant als den Entdecker der Axiome ansehen, da er zweifellos bei diesen Diskussionen die Führung gehabt hat. Klarer würde ein eindeutiger Nachweis des ersten Falles sein. Leider habe ich trotz allen Suchens einen solchen echten Nachweis nicht finden können. In dem eben erwähnten Briefe vom 25.11. 1788 spricht Kant ausdrücklich davon, daß die Arithmetik keine Axiome habe, sondern nur Postulate. Kants Brief an Schultz vom 25.11.1788, WW X, S. 555 f. Die Arithmetik hat freilich keine Axiome
Sie hat aber dagegen Postulate.
Man könnte allerdings hier noch fragen, ob Kant zur Begründung des synthetischen Charakters der Sätze 7 + 5 = 1 2 schon die Grundsätze benutzt hat, ohne sie als Axiome bezeichnet zu haben. Daß jedenfalls über diese Frage in Königsberg eifrig diskutiert worden ist, ergibt sich aus den Thesen, die Beck für seine Habilitation in Halle im Jahre 1891 verteidigt hat. Beck, De theoremate Tayloriano, Thesis 5. Dubitari potest, utrum arithmetica axiomata habeat.
Man kann nun für unsere Frage zwei Stellen der „Prüfung" selbst heranziehen. Schultz berichtet nämlich die uns aus den Briefen bekannte Vorgeschichte. Schultz, Prüfung 1789,1, S. 217. In der Tat wüßte ich audi nicht, ob irgend ein Empirist, wenn er nicht etwa sogar den Satz des Widerspruchs selbst für empirisch und nur sofern für gewiß hält, sofern sidh erwarten läßt, daß seine durch alle bisherigen Erfahrungen bestätigte Richtigkeit sich auch künftighin erproben werde, sich wirklich so weit verirren könnte, irgend einen richtig demonstrierten arithmetischen und algebraischen Satz für empirisch zu halten, und sich ζ. B, zu überreden, daß zweimal zwei nur deshalb gewiß vier sei, weil er es noch nie anders wahrgenommen habe. Vielmehr erklären alle Gegner unsers Weltweisen einmütig die arithmetischen Sätze insgesamt für analytisdi, mithin eben hierdurch für Sätze a priori, indem es lächerlich wäre, sich bei der bloßen Zergliederung der Begriffe auf Erfahrung zu berufen. Kein Einwurf hat midi audi weniger befremdet als dieser; denn der Gedanke, daß die Sätze der Arithmetik, ζ. B. 7 + 5 = 1 2 , bloß analytisch, ja sogar völlig identisdi seien, hat soviel Schein, daß ich eben hier den scharfen Blids unserers Kant vorzüglich bewundere, daß er diesen Schein dennoch so tief durdidrungen hat, indem nach meiner Ein-
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Die Axiome der Arithmetik
sidit die Erforschung der wahren Natur der Arithmetik gerade eins der allersdiwersten Probleme ist. Ein so rückhaltloser Bezug auf Kant wäre schwer verständlich, wenn Schultz die Entdeckung der arithmetischen Axiome, über deren Bedeutung er sidi durchaus im klaren ist, für sich hätte in Anspruch nehmen wollen. Man kann auch den kurz hinterher stehenden Satz (Prüfung, S. 235) heranziehen: Vorjetzt will ich bloß bemerken, daß es mir geglückt ist, audi die eigentlichen Axiome der Zeit ausfindig zu machen. Man wird diese verschiedene Behandlung - bei der Arithmetik der ausdrückliche Bezug auf Kant, bei den Axiomen der Zeit die ausdrückliche Erklärung, daß sie von Schultz selbst ausfindig gemacht worden sind - wohl dahin auslegen können, daß die Axiome der Arithmetik von Kant und die Axiome der Zeit von Schultz stammen. Grundsätzlich kann dabei wohl kein Zweifel sein, daß selbst bei einer Formulierung durch Schultz diese Sätze im eigentlichen Kern auf Kant zurückgehen. Mit der soeben klargelegten Einschränkung glaube ich daher sagen zu können, daß Kant nicht nur grundsätzlich den axiomatischen Charakter der Arithmetik aufgezeigt hat, sondern daß er zugleich in konkreter mathematischer Arbeit zwei Grundsätze der Addition, nämlich das kommutative und das assoziative Gesetz der Addition entdeckt hat.
Teil Π
KAPITEL
IV
Probleme der Zahlklassen Die Arbeiten zur Grundlegung der Mathematik sind keineswegs erst neueren Datums, sondern ziehen sich gleichmäßig durch alle Jahrhunderte. Dabei tauchen neben den allgemeinen Fragen regelmäßig Sonderfragen auf. In dieser Hinsicht wurden im 17. und 18. Jahrhundert vier Fragen diskutiert. Die negativen Zahlen, das unendlich Kleine, das Parallelenaxiom und der Berührungswinkel (einer Kurve mit ihrer Tangente). Dabei ist es wohl immer so, daß die ganz Großen sidi von diesen Tagesfragen etwas entfernt halten. So haben sich Fermat und Descartes in erster Linie der Ausbildung der analytischen Geometrie, Newton und Leibniz der Ausbildung der Infinitesimalrechnung und Euler der Anwendung und Durchführung der neuen Methoden gewidmet. Es zeigt die Größe Kants, daß audi er sich nicht in die Tagesfragen hineinziehen ließ, was besonders beim unendlich Kleinen nahe gelegen hätte, sondern vielmehr seine Interessen der Axiomatik zuwandte. Sieht man nun von diesen wenigen ganz Großen ab, so hat eigentlich jeder Mathematiker des 17. und 18. Jahrhunderts irgendwo und irgendwann einmal zu diesen Tagesfragen geschrieben. So ist audi über die negativen Zahlen ein unendlicher Fluß von Tinte vergossen worden. Nun ist es allerdings richtig, daß gerade die negativen Zahlen immer wieder neue Schwierigkeiten bieten. Die Schwierigkeiten liegen einmal in der Gewinnung der Rechenregeln, dann in der Frage, was diese neu auftretenden „imaginären" Größen bedeuten sollen. So ist ζ. B. die bekannte Regel „Minus mal Minus gibt Plus" leicht zu erkennen, aber schwierig zu begründen. Hat man sich nun durdi die Rechengesetze der Addition und Subtraktion glücklich durchgewunden, dann kann man audi Potenzen mit negativen Basen oder Exponenten leicht bewältigen. Um so größere Schwierigkeiten madien wiederum die Wurzeln aus negativen Zahlen und die Logarithmen negativer Zahlen. Charakteristisch für die Literatur zu dieser Frage sind etwa die Ausführungen von Kästner in seinen „Anfangsgründen der Arithmetik", auf die Kant in der Vorrede zum „Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen" verweist oder die 185 (!) Seiten umfassenden beiden Abhandlungen von W. J. G. Karsten in dessen mathematischen Abhandlungen (1786).
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Probleme der Zahlklassen
Auch hat man damals geglaubt, bei der Multiplikation negativer Zahlen Paradoxien herausstellen zu können. Auf diese Paradoxien spielen Kant (Versuch über den Begriff der negativen Größen, WW II, S. 170) und Schultz an. J. Schultz, Anfangsgründe 1790, S. 131. Alles Paradoxe, das man in der Multiplikation entgegengesetzter Größen sucht, ist also leeres Blendwerk, und jene aus mehr als einem Grunde fehlerhaften Redensarten sollten billig aus der Mathematik gänzlich verwiesen werden.
Mit den negativen Größen beschäftigt sich ausführlich der 1763 erschienene „Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen". Kant legt dort (WW II, S. 174) seine Anschauung folgendermaßen dar: Eine Größe ist in Ansehung einer andern negativ, in so fern sie mit ihr nicht anders als durch die Entgegensetzung kann zusammen genommen werden, nämlich so, daß eine in der andern, soviel ihr gleich ist, aufhebt. Dieses ist nun freilich wohl ein Gegenverhältnis, und Größen, die einander so entgegengesetzt sind, heben gegenseitig von einander ein Gleiches auf, so daß man also eigentlich keine Größe schlechthin negativ nennen kann, sondern sagen muß, daß + a und — a eines die negative Größe der andern sei; allein, da dieses immer im Sinne kann hinzugedacht werden, so haben die Mathematiker einmal den Gebrauch angenommen, die Größen, vor denen das - steht, negative Größen zu nennen, wobei man gleichwohl nicht aus der Acht lassen muß, daß diese Benennung nidit eine besondere Art Dinge ihrer inneren Beschaffenheit nach, sondern dieses Gegenverhältnis anzeige, mit gewissen andern Dingen, die durch + bezeichnet werden, in einer Entgegensetzung zusammen genommen zu werden.
Prüft man diesen Versuch genauer, so sieht man, daß bei Kant die Zahlenklassen, insbesondere die negativen Zahlen, nicht als rein mathematische Fortbildung, sondern als Beschreibung gewisser Sachverhalte angesehen werden. Daß dieser Gedankengang auch noch während und nach der Kritik festgehalten wurde, ergibt sidi insbesondere aus den „ Anfangsgründen " von Schultz. Schultz, Anfangsgründe, S. 122. Die Lehre von den entgegengesetzten Größen ist keine willkürliche Erdichtung der Mathematiker, sondern es gibt allerdings Größen, die ihrer Natur nach einander entgegengesetzt sind, so daß sie durch ihre Verbindung einander ganz oder zum Teil aufheben, ζ. B. Vermögen und Schulden
Insbesondere findet sich bei Kant nichts, was auf den Hankeischen Gedanken von der Permanenz der formalen Gesetze weist. Daher dürfte auch die stark von hierher gesehene Interpretation der Synthesis durch die Marburger Schule schwerlich zutreffend sein. Bei den Erörterungen über Addition und Subtraktion negativer Zahlen sind dann Formeln aufgestellt worden, in denen das kommutative und assoziative
Probleme der Zahlklassen
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Gesetz der Addition vorbereitet werden. Die wichtigste, und soweit ich sehen konnte, erste Stelle findet sidi bei Euler. Euler, Vollständige Anleitung zur Algebra, WW I, S. 13. Hieraus ist klar, daß es hierbei gar nidit auf die Ordnung der hergesetzten Zahlen ankomme, sondern daß man dieselben nadi Belieben versetzen könne, wenn nur eine jede das ihr vorstehende Zeichen behält; also anstatt der obigen Formel kann man setzen 12+2—5 — 3—1 oder 2—1 — 3 — 5+12 oder 2 + 12—3 — 1—5, wobei aber zu merken ist, daß in obiger Formel vor der Zahl 12 das Zeidien + vorgesetzt verstanden werden muß. Im Absatz 259 (S. 93) gibt Euler die allgemeine Formel: Wenn demnadi zu dieser Formel a—b+c noch diese d—e—f addiert werden soll, so wird die Summe in folgender Gestalt ausgedrückt a-b+c+d-e-f wobei wohl zu bemerken, daß es hier gar nicht um die Ordnung der Glieder ankomme, sondern dieselben nach Belieben untereinander versetzt werden können, wenn nur ein jedes sein ihm vorgeschriebenes Zeidien behält. Also könnte die obige Summa audi also geschrieben werden: c—e+a—f+d—b. Merkwürdigerweise sind diese Formeln nicht in die Lehrbücher der beiden folgenden Jahrzehnte übergegangen. Die einzige Stelle die ich gesehen habe, ist vielmehr Hadaly von Hada: Anfangsgründe der Mathematik 1789, S. 23. Der Wert der vielgliedrigen Größen bleibt ungeändert, welche Stelle immer ihre Glieder gegeneinander besetzen. Denn jeder einzelne Wert der Glieder, wie sie immer mit ihren Zeidien versetzt werden mögen, verbleibet unversehrt: a+b—c = b—c+a = —c+a+b. In dem Versuch über die negativen Größen äußert sich Kant im Gegensatz zu den Anschauungen seiner Zeit sehr zurückhaltend über den Wert der Definition in der Mathematik (WW II, S. 170): Der Begriff der negativen Größen ist in der Mathematik lange im Gebrauch gewesen und daselbst audi von der äußersten Erheblichkeit. Indessen ist die Vorstellung, die sidi die mehrsten davon machten, und die Erläuterung, die sie gaben, wunderlidi und widersprechend; obgleich daraus auf die Anwendung keine Unrichtigkeit abfloß, denn die besonderen Regeln vertraten die Stelle der Definition und versicherten den Gebrauch; was aber in dem Urteil über die Natur dieses abstrakten Begriffs geirrt sein mochte, blieb müßig und hatte keine Folgen. Hier ist zum ersten Mal klar ausgesprochen, daß die mathematischen Begriffe nicht durdi Definitionen, sondern durch „besondere Regeln" d. h. also letzten Endes durch Axiome bestimmt werden. Uber Brüche, Verhältnisse, Proportionen und Progressionen findet sich bei Kant nichts von Belang. Dagegen bestätigen die entsprechenden Kapitel in den „Anfangsgründen" von Schultz, die schon bei den negativen Zahlen gemachten Beob-
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achtungen. Im Gegensatz zu den anscheinend immer möglichen willkürlichen Erdichtungen wird neuen Zahlklassen erst dann eine wirkliche mathematische Bedeutung zugesprochen, wenn sie bestimmte Sachverhalte beschreiben. Es finden sich bei Kant dann noch einige Reflexionen, die aber wohl mehr erste Erwägungen als durchgeführte Überlegungen darstellen. Reil. 2885, ca. 1752 bis 56. Absonderung ist Subtraktion. Man vergleiche dazu Meiers Vernunftlehre, 2. Aufl. 1762, § 294, S. 430 f.; vgl. a. Kant, WW X V I , S. 560. Kurz, die Absonderung ist in der Tat eine Subtraktion, wodurch wir von den niedrigem Begriffen ihren Unterschied absondern, bis wir endlich den allerhöchsten Begriff bekommen
Dieselbe Vergleichung findet sich noch etwas weiter ausgeführt in der Reil. 5652, aber auch dieser Reflexion kann man eine besondere Bedeutung nicht entnehmen. Bei den irrationalen und komplexen Zahlen treffen wir in der Hauptsache drei Probleme an: die Darstellung irrationaler Zahlen durch unendliche Ausdrücke, die Bedeutung der imaginären Zahlen und die Transzendenz gewisser Zahlen insbesondere von e und π. Die erste Frage findet sich ausführlich erörtert in einem Brief Kants an Rehberg (Kant WW X I , S. 208 ff.): J/2 ist durch die mittlere Proportionalzahl zwischen 1 und der gegebenen Zahl = 2 ausgedrückt. Es ist also audi möglich, eine solche Zahl zu denken . . . Daß aber der Verstand, der sidi willkürlidi den Begriff von j/2 macht, nicht audi den vollständigen Zahlbegriff, nämlich durch das rationale Verhältnis derselben zur Einheit hervorbringen könne, sondern sich, gleichsam von einem andern Vermögen geleitet, müsse gefallen lassen, in dieser Bestimmung eine unendliche Annäherung zur Zahl einzuschlagen... Denn daß sidi zu jeder Zahl eine Quadratwurzel finden lassen müsse, allenfalls eine solche, die selbst keine Zahl, sondern nur die Regel der Annäherung zu derselben, wie weit man es verlangt, scheint mir diese Befremdung . . . eben nicht zu bewirken, sondern daß sich dieser Begriff geometrisch konstruieren läßt, mithin nicht bloß denkbar, sondern auch in der Anschauung adäquat anzugeben s e i . . .
Kant sieht also das Erstaunliche darin, daß gewisse Zahlen für die Arithmetik zwar keiner endlidien Darstellung fähig sind, daß aber dieselben Zahlen sehr wohl in der Geometrie endlich und also adäquat gegeben werden können. Dieselben Gedankengänge finden sich in den Reflexionen 13 und 4762. Die Reflexionen 5652 und 6434 vergleichen die Irrationalzahlen wegen ihrer Darstellung in einer unendlichen Reihe mit den Ideen der Dialektik; es scheint aber nicht als ob dieser Vergleich größere Bedeutung hätte.
Probleme der Zahlklassen
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Was die imaginären Zahlen anbetrifft, so hatte sich wegen der Unentbehrlichkeit dieser Begriffe das 17. Jahrhundert schon entschlossen, ihnen Bürgerrecht in der Mathematik zu gewähren; sie blieben dabei aber immer ein Fremdkörper. Ihre Unentbehrlichkeit beruhte in erster Linie darauf, daß die Zahl der Wurzeln einer Gleichung nur dann dem Grade der Gleichung entsprach, wenn man die imaginären Wurzeln mitzählte. Descartes, Geometria I, S. 76. Caeterum radices tain verae quam falsae non semper sunt reales sed aliquando tantum imaginariae; hoc est, semper quidem in qualibet aequatione tot radices quot dixi, imaginari licet; verum nulla interdum est quantitas, quae illis, quas imaginamur, respondet.
Newton stellt dann als erster die Frage nadi der Zahl der komplexen Wurzeln einer Gleichung (Arithmetica universalis); diese Untersuchungen werden dann durch Maclaurin weitergeführt. Auch Leibniz kommt in diesem Zusammenhang auf die imaginären Wurzeln zu sprechen. Leibniz, Specimen novum analyseos, Math. V, S. 357. Itaque elegans et admirabile effugium reperit in illo Analyseos miraculo, idealis mundi monstro, pene inter Ens et non-Ens Amphibio, quod radicem imaginariam appelamus.
Diese Anschauung vertritt auch Kant - im Briefe an Rehberg und ihm folgend Schultz. Joh. Schultz, Anfangsgründe, S. 170. 4
2n
Die Ausdrücke j/—1, V—16 und überhaupt —1 bedeuten also ebensoviel als ein viereckiger Kreis. Inaessen sind diese Ausdrücke in der höheren Mathematik von großem Nutzen, und man nennt sie daher unmögliche oder imaginäre Zahlen.
Man sieht, daß auch Kant die damaligen Schwierigkeiten gesehen hat, ohne selbst weiter gekommen zu sein. Eine wirkliche Ubersicht hat man erst durch die am Ende des 18. Jahrhunderts von verschiedenen Forschern entdeckte geometrische Darstellung der komplexen Zahlen erlangt, eine Darstellung die durch Gauss zur allgemeinen Anwendung gekommen ist. Das Problem der transzendenten Zahlen ist aus den Bemühungen um die Zahl π entstanden. Man hat ja schon sehr früh hohe Annäherungen an π gefunden. Es erhob sich nun die Frage, ob eine genaue Darstellung von π möglich sei, d. h. zunächst, ob π rational darstellbar sei. Würde dies verneint, ob π wenigstens als Wurzel einer Gleichung zu finden, d. h. also, ob π in der heutigen Unterscheidung gesprochen, algebraisch oder transzendent sei. Die großen Mathematiker des 17. und 18. Jahrhunderts sind wohl nicht im Zweifel darüber gewesen,
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daß π irrational sei, sie haben aber auch die Transzendenz von π schon angenommen. Äußerungen hierzu liegen bei Leibniz und Euler vor. Lambert aber war der erste, der die Irrationalität von π beweisen konnte. Der Beweis beruht darauf, daß die Darstellung von π durch einen Kettenbruch nicht abbrechen kann, sondern ins Unendliche gehen muß. Welche Bedeutung man in Königsberg diesen Arbeiten beigemessen hat, bezeugt die Tatsache, daß Johann Schultz in einer eigenen Arbeit diesen Beweis von Lambert verschärft hat; abgedruckt in: Sehr leichte und kurze Entwicklung einiger der wichtigsten mathematischen Theorien, Königsberg 1803. Die Arbeit von Lambert findet sich in: M£moires der Berliner Akademie 1768, S. 265-324. Am Schluß dieser Arbeit, S. 321 ff., spridit Lambert die ausdrückliche Vermutung aus, daß weder π noch e noch zahlreiche andere Größen jemals als Wurzeln algebraischer Gleichungen dargestellt werden können. Diese Arbeiten von Lambert sind aber in der zeitgenössischen Mathematik vollkommen unbeachtet geblieben. Cantor, Geschichte der Mathematik, IV, S. 448. Der ganze Charakter von Lamberts auf absolute Exaktheit zielender Beweisführung steht ebenso ganz außerhalb der fast nur auf formale Erweiterung der Mathematik hinzielenden Tätigkeit seiner Zeitgenossen, daß eine Nichtbeachtung derselben wohl verstanden werden kann.
Insbesondere kennt Wolff keine transzendenten Zahlen, da für ihn sämtliche irrationalen Zahlen algebraisch sind. Wolff, Ontologia 1730, § 405, S. 312. Numeri irrationales sunt ut linea recta ad lineam rectam aliam datam.
Um so aufmerksamer hat Kant diese Arbeiten von Lambert verfolgt. Dies läßt sich außer der eben angeführten Arbeit von Schultz schon daraus entnehmen, daß auf den Lambertschen Beweis, wenn auch nur als illustrierendes Beispiel, in der Kritik der reinen Vernunft ausdrücklich hingewiesen wird: A 480, Β 508. Hat man wohl jemals gehört: daß, gleichsam wegen einer notwendigen Unwissenheit der Bedingungen, es für ungewiß sei ausgegeben worden, welches Verhältnis der Durchmesser zum Kreise ganz genau in Rational- oder Irrationalzahlen habe? Da es durch erstere gar nicht kongruent gegeben werden kann, durch die zweite aber noch nicht gefunden ist, so urteile man, daß wenigstens die Unmöglichkeit soldier Auflösung mit Gewißheit erkannt werden könne, und Lambert gab einen Beweis davon.
Wenn Kant in dieser Weise die Bedeutung der Lambertschen Untersuchung erkannt hat, obwohl die zeitgenössische Mathematik an ihnen vorbei gegangen ist und erst Gauss sie wieder aufgenommen hat, so kann man meiner Meinung nach
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nicht davon reden, daß Kant für die Mathematik kein Interesse gehabt habe oder daß er von der Mathematik nichts verstanden habe. Besonders bemerkenswert ist, daß Wolff an den Fragen der Transzendenz vollkommen vorbeigeht, daß also Kant seine Kenntnisse in keiner Weise aus Wolif geschöpft haben kann. Es wäre im übrigen völlig unverständlich, wenn Kant die Arbeiten des ihm so nahe stehenden Lambert nicht sämtlich gelesen hätte. Die eben angeführte Stelle in der Kritik zeigt aber darüber hinaus, daß Kant mit sicherem Blick die grundlegende Entdeckung von Lambert erkannt hat.
KAPITEL
V
Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie Kombinatorik nennt man diejenige mathematische Disziplin, die die möglichen Zusammenstellungen einer gegebenen Anzahl von Elementen mit oder ohne Rücksicht auf ihre Anordnung untersucht. Eine schon aus dem Altertum bekannte Aufgabe ist die Frage, in wieviel Anordnungen 12 Personen zu Tische sitzen können. Die Aufstellung der benötigten Formeln hat die Mathematiker des 17. Jahrhunderts lebhaft beschäftigt; besondere Werke haben Pascal, Leibniz und J. Bernoulli geschrieben (J. Bernoullis Ars conjectandi befand sich in Kants Bibliothek). Man glaubte, in der Kombinatorik die Grundwissenschaft für die gesamte Mathematik gefunden zu haben und es bildete sich - in der Hauptsache in Deutschland - unter der Führung Hindenburgs eine besondere kombinatorische Schule. Die kombinatorischen Methoden haben jedoch diese hochgespannten Erwartungen nicht erfüllt. Dabei nahm die Kombinatorik im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts sowohl in den Lehrbüchern der Mathematik als auch in der Diskussion über die Grundlage der Mathematik einen außerordentlich breiten Raum ein. Für die reine Mathematik schlage man etwa bei Thibaut nach, der als Zeitgenosse von Gauss in Göttingen als der beste „Dozent" der Mathematik galt und zahlreiche vielgelesene Lehrbücher verfaßt hat; für die Grundlagenfragen sehe man Lambert und Fries ein. Die Kombinatorik gewinnt nun für die Logik und die Ontologie eine vierfache Bedeutung. Zuerst werden zusammengesetzte Begriffe als eine Kombination von einfachen Begriffen aufgefaßt, dann wird zweitens das Urteil als eine Kombination von zwei Begriffen, nämlich des Subjekt- und des PrädikatbegrifTs aufgefaßt, zuletzt wird drittens der Schluß als eine Kombination von Urteilen betrachtet. Uber diese drei Betrachtungsweisen hinweg legt sich das vierte Problem, ob es möglich ist, für ein bestimmtes Sachgebiet ein Zeichensystem so aufzustellen, daß die sachlichen Möglichkeiten des betrachteten Gebietes vollständig dadurch gefunden werden können, daß man sämtliche Kombinationen der Zeichen aufstellt. Von diesen vier Problemen ist heute nur das unwichtigste lebendig geblieben, die Zahl der möglichen Schlußweisen durch die Kombination von Urteilen zu ermitteln. Ich
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werde in diesem Kapitel versuchen, die Bedeutung dieser Probleme für Kant aufzuzeigen; es werden sich dabei Beziehungen zwischen Kant und Leibniz ergeben. Grundlegend ist zunächst die Auffassung zusammengesetzter Begriffe als Kombination einfacher Grundbegriffe. Ein solcher Ansatz liegt wohl schon vor, wenn eine species aufgefaßt wird als eine Zusammenfügung aus genus proximum und differentia specifica. Den ersten bewußten Versuch in dieser Richtung hat Raimundus Lullus unternommen. Das für uns wichtigste Werk ist die im Jahre 1666 erschienene Jugendschrift von Leibniz: De Arte combinatoria. In dieser Schrift gehen mathematische und philosophische Gedanken bunt durcheinander. Die uns interessierenden ontologisdien Ansätze erscheinen als Anwendungen der von Leibniz gegebenen kombinatorischen Formeln. Verhältnismäßig uninteressant sind die dort gegebenen Erwägungen, die Zahl der möglichen Schlüsse kombinatorisch zu bestimmen. Viel weiter reicht schon der an Lullus anknüpfende Gedanke, die Menge aller Sätze und insbesondere die Menge aller wahren Sätze zu bestimmen. Leibniz, De Arte combinatoria, Phil. IV, S. 61. Propositio componitur ex subjecto et praedicato, omnes igitur propositiones sunt combinationes. Logicae igitur inventivae propositionum est hoc problema solvere: 1. Dato subjecto praedicata, 2. Dato praedicato subjecta invenire, utroque tum affirmativae, tum negativae.
Als das Wichtigste aber erweist sich die kombinatorische Auffassung von zusammengesetzten Begriffen. Wenn es zusammengesetzte Begriffe gibt (homo gleich animal rationale), dann muß es nach Leibniz auch einfache Begriffe geben; dann müssen aber weiter nach Leibniz alle zusammengesetzten Begriffe als Kombinationen von einfachen Begriffen aufgefaßt werden können. Leibniz, De Arte combinatoria, Phil. IV, S. 65. Datus quicunque terminus resolvatur in partes formales, seu ponatur eius definitio; partes autem hae iterum in partes seu terminorum definitionis definitio usque ad partes simplices seu terminos indefinibiles.
Nachdem nun Leibniz auf diese Weise alle Begriffe in die Grundbegriffe oder in die Elementarbegriffe als die Elemente gespalten hat, bildet er alle möglichen Kombinationen, zu zweien, zu dreien... und setzt auf diese Weise alle zusammengesetzten Begriffe zusammen. Alles was bei Leibniz mit der scientia generalis oder mit der ars characteristica zusammenhängt, ist nur eine Ausführung dieses Grundgedankens, dessen Durchführung mit algebraischen, arithmetischen, geometrischen und mechanischen Methoden versucht wird. Als Beispiel sei auf die arithmetische Methode verwiesen. Wenn die Elementarbegriffe durch die Primzahlen dargestellt werden, dann
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werden dementsprechend zusammengesetzte Begriffe durch Produkte von Primzahlen dargestellt (Im einzelnen verweise ich auf Couturat: La Logique de Leibniz, bes. die Kap. 4, 6 und 8). Auf diesem Gedanken baut sich nun die analytische Urteilstheorie von Leibniz auf. Wenn im ersten Ansatz jedes Urteil als eine Kombination von zwei Begriffen aufgefaßt wird 'S i P', so wird jetzt auch der Subjektbegriff als eine Kombination von Elementarbegriffen aufgefaßt. Dann besteht aber das Urteil darin, daß das Prädikat einen einzelnen Bestandteil dieses zusammengesetzten Subjektbegriffes herauszieht, das heißt aber, das Urteil erhält die Form '(AB) i B \ Auf diese Weise kann und muß das Urteil notwendig sein, denn der Teilbegriff Β muß notwendig von dem zusammengesetzten Begriff (AB) ausgesagt werden können, wie etwa rationale von animal rationale. Damit gelangt Leibniz zur abschließenden Bestimmung: Praedicatum inest subjecto. Leibniz, Phil. VII, S. 300. Generaliter omnis propositio v e r a . . . potest probari a priori ope Axiomatum seu propositionum per se verarum, et ope definitionum seu idearum. Quotiescunque enim praedicatum vere affirmatur de subjecto, utique censetur aliqua esse connexio realis inter praedicatum et subjectum, ita ut in propositionequacunque: Α est Β . . . utique Β insit ipsi A, seu notio ejus in notione ipsius A aliquo modo contineatur.
Leibniz, Phil. VIII, S. 6; Couturat, La Logique de Leibniz, S. 208. Semper igitur praedicatum seu consequens inest subjecto seu antecedenti, et in hoc ipso consistit natura veritatis in universum.
Wir betrachten hier nur mathematische Urteile und können uns daher auf die Betrachtung von Urteilen beschränken, deren Subjektbegriffe von endlich hoher Zusammensetzung sind. Subjektbegriffe von unendlich hoher Zusammensetzung sind für Leibniz die bestimmende Eigenschaft contingenter Urteile. Solche Urteile können a priori nur durch einen göttlichen Verstand gefällt werden, der im Stande ist, Begriffe unendlich hoher Zusammensetzung aufzulösen. Diese Urteilstheorie von Leibniz ist uns erst durch Couturat aufgehellt worden, der das umfangreiche Problem nach allen Verzweigungen zugleich in seiner mathematischen, logischen und ontologischen Bedeutung erforscht hat. Hält man nun diesen Ansatz von Leibniz mit dem zusammen, was Kant als analytisches Urteil bekämpft, so erkennt man die genaue Identität. Damit sind alle Vorwürfe hinfällig geworden, die an der Kantischen Urteilslehre tadelten, es sei dort nicht genau bestimmt, wie ein Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten sein könnte, ja, es sei noch nicht einmal genau bestimmt was dieses Enthaltensein bedeuten soll.
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Kant hat vielmehr mit dem analytischen Urteil die Leibnizsche Urteilstheorie vollkommen richtig dargestellt, und was es heißt, der Prädikatbegriff sei im Subjektbegriff enthalten, kann man in Ausführlichkeit bei Leibniz nachlesen. Bei diesem Ansatz von Leibniz wird nun auch ein durchgängiger Zusammenhang zwischen einem Gebiet und einem Zeichensystem möglich. Wenn es ein solches Gebiet gibt, in dem endlich viele oder abzählbar viele Grundbegriffe existieren und wenn in diesem Gebiet alle zusammengesetzten Begriffe Kombinationen dieser Grundbegriffe sind - es kann dahingestellt bleiben, ob nur ein einzelnes Gebiet oder ob vielleicht die ganze Wissenschaft diese Struktur aufweist - , dann kann ein solches Gebiet dadurch dargestellt werden, daß zunächst die Grundbegriffe durch Grundzeichen bezeichnet werden. Dann wiederum kann sich die Weiterarbeit darauf beschränken, diese Grundzeichen zu kombinieren und jede Kombination von Grundzeichen muß einen zusammengesetzten Begriff bezeichnen. Die Schwierigkeiten gehen also nach zwei Richtungen; zunächst müssen Grundbegriffe existieren und ermittelt sein, dann gehen aber in die Weiterarbeit alle die Schwierigkeiten ein, die in der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem stecken. Wenn sich das analytische Urteil Kants auf die Urteilstheorie von Leibniz bezieht, so kann man daran nebenbei die oft geäußerte Angabe prüfen, Kant habe Leibniz im wesentlichen nicht selbst studiert, sondern durch Wolff kennengelernt. Erscheint eine soldie Anschauung bei der fast unbegrenzten Arbeitsfähigkeit von Kant schon unglaubhaft, so erweist sie sieht bei der hier vorliegenden Frage als ungenügend. Die analytische Urteilstheorie von Leibniz wird nämlich von Wolff nicht mehr aufrecht erhalten. Zwar setzt auch Wolff für jede Aussage ein gewisses Enthaltensein an: Wolff, Logik, § 61. Quae enti cuidam constanter insunt, ea de eodem absolute enuntiari possunt et contra.
Der Leibnizsche Ansatz wird aber von Wolff dadurch grundsätzlich verschoben, daß Wolff auf die Scholastik zurückgreift und die Bestimmungen eines Seienden in essentialia, attributa und modi unterscheidet. Nur in dem seltenen Fall, in dem ein Seiendes durch seine Essentialien definiert ist, und aus der Gesamtheit der Essentialien als dem Subjektbegriff eine einzelne essentielle Bestimmung als das Prädikat der Aussage herausgezogen wird, ist auch für Wolff das Urteil ein identisdies. Wolff, Logik, § 223. Si subjectum per essentialia definitur, et aliquod vel quaedam eorum de eodem praedicantur, propositio identica est.
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Ein solches Urteil würde also der Bestimmung von Leibniz entsprechen. Nun ist es nach Wolff aber möglich, ein Subjekt auch anders zu definieren, etwa durch eine hinreichende Zahl von Attributen (Logik, § 234: Si subjectum per attributa definitur . . . ) . In einem solchen Falle kann gewissermaßen über Kreuz geschlossen werden. Von den essentiellen Bestimmungen auf Attribute oder von den Attributen auf essentielle Bestimmungen. Ein solches Urteil will Wolff nicht mehr ein identisches nennen. Um den Unterschied deutlich herauszustellen, betrachten wir den gerade in der Mathematik so häufigen Fall, daß ein Begriff auf zwei verschiedene Weisen definiert wird. Die erste Definition sei (a, b, c) die zweite (f, g, h), dann wäre das Urteil (a, b, c) ist a oder das Urteil (f, g, h) ist f sowohl für Leibniz als auch für Wolff ein identisches Urteil. Anders liegt dagegen die Sache bei dem Urteil (a, b, c) ist f oder (f, g, h) ist a. Bei diesen Urteilen stellt Leibniz nun folgende Überlegung an. Da beide Definitionen, sowohl (a, b, c) wie auch (f, g, h) denselben Gegenstand definieren, so müssen die zur Definition benutzten Begriffe nodi zusammengesetzte Begriffe sein, die bei der weiteren Auflösung in dieselben Stammbegriffe zerfallen müssen. Es sei etwa a = kl, b = mn, c = op und f = kn, g = mp, h = ol, dann lassen sich die beiden Definitionen auflösen (a, b, c) = (kl, mn, op) und (f, g, h) = (kn, mp, ol). Dann stellen sich die vier Urteile in folgender Form dar: (a, b, c) ist a als (kl, mn, op) ist kl (a, b, c) ist f als (kl, mn, op) ist kn (f, g, h) ist f als (kn, mp, ol) ist kn (f, g, h) ist a als (kn, mp, ol) ist kl Auf diese Weise sind tatsächlich alle Urteile für Leibniz identische Urteile. Eine solche Auflösung zweier verschiedener Definitionen in dieselben Stammbegriffe ist aber für Wolff gänzlich unmöglich. Er hat sich eine solche Urteilstheorie sogar durch die Unterscheidung zwischen essentialia, attributa und modi vollkommen verlegt, denn die Leibnizsche Urteilstheorie verlangt umgekehrt vollkommen gleichförmige Grundbegriffe. In ihr ist nur die Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Begriffen möglich. Dann kann aber Kant audi diese Urteilstheorie nicht aus Wolff kennen gelernt haben. Schmalenbach ist wohl der erste gewesen, der den herkömmlichen Ansatz, Kant habe Leibniz nur durch Wolff gesehen, durchbrochen hat. Er hat darauf hingewiesen, daß zunächst der junge Kant Leibniz ganz ausgezeichnet kennt, ja sogar vertritt, und daß dann das eigentliche Werk Kants durchaus als eine Auseinandersetzung mit Leibniz angesehen werden muß (Schmalenbach, Leibniz, S. 502 und das ganze letzte Kapitel). Er hat weiter darauf hingewiesen, daß Kant in gewichtigen Grundfragen, etwa der prästabilierten Harmonie, über ein sehr viel
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besseres Verständnis von Leibniz verfügt als Wolff selbst (S. 241). Unsere Analyse des analytisdien Urteils kommt also in dieser konkreten Einzelfrage zu demselben Ergebnis. Kant hat Lambert außerordentlich hochgesdiätzt, ja Lambert war für ihn der einzige Zeitgenosse, bei dem er eine Ubereinstimmung mit den eigenen philosophischen Zielen vorfand. Diese Hodischätzung geht zur Genüge aus Kants Briefen an Lambert hervor. Aber auch Lambert sdireibt zu einer Zeit, da er selbst schon berühmt und Kant noch ein unbekannter Privatdozent war, an Holland: Lambert an Holland, am 7. 4. 1766, Lamberts Briefwechsel I, S. 136. Idi habe k u r z nach der Versendung meines letzten Schreibens ein Traktätchen erhalten: T r ä u m e eines G e i s t e r s e h e r s . . . Dieser Weltweise, mit dem idi unter allen die ähnlichste Gedenkart habe . . .
Um diesem Zusammenhang mit Lambert einen deutlichen Ausdrude zu geben, wollte Kant die Kritik der reinen Vernunft Lambert widmen. Reflexion 5024, ca. 1776. Sie haben midi mit Ihren Zuschriften beehrt. Die Bemühung, auf Ihr Verlangen einen Begriff von der Methode der reinen Philosophie zu geben, hat eine Reihe v o n Betrachtungen v e r a n l a £ t . . .
Stellt man nun die Frage, worin Kant und Lambert wirklich überein kamen, so ist diese Frage keineswegs leicht zu beantworten. Man kann zunächst einige weitere Äußerungen von Kant heranziehen. Refl. 4866, ca. 1776-78. Lambert analysierte die Vernunft, aber die Kritik fehlt nodi.
In ähnlidiem Sinn lauten die Reflexionen 1629, 4893, 4900. Was Kant unter einer solchen Analysis versteht, hat er in der Einleitung zur Analytik ausdrücklich festgelegt. Krit. d. reinen Vernunft A 65, Β 90. Idi verstehe aber unter der Analytik der Begriffe nicht die Analysis derselben, oder das gewöhnliche Verfahren, in philosophischen Untersuchungen, Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalte nach zu zergliedern . . . , sondern die noch wenig versuchte Zergliederung des Verstandesvermögens selbst.
Demgemäß bezieht sich audi der ganze nächste Absatz in erster Linie auf Lambert. Krit. d. reinen Vernunft A 66 f., Β 91 f. Wenn man ein Erkenntnisvermögen ins Spiel setzt, so tun sidi nach den mancherlei Anlässen verschiedene Begriffe hervor, die dieses Vermögen kennbar machen und sich in einem mehr oder weniger ausführlichen A u f s a t z sammeln lassen, nachdem die Beobachtung derselben längere Zeit oder mit größerer Scharfsinnigkeit ange-
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Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie stellt worden. Wo diese Untersuchung werde vollendet sein, läßt sich, nach diesem gleichsam mechanischen Verfahren, niemals mit Sicherheit bestimmen. Audi entdecken sich die Begriffe, die man nur so bei Gelegenheit auffindet, in keiner Ordnung und systematischen Einheit, sondern werden zuletzt nur nach Ähnlichkeiten gepaart und nach der Größe ihres Inhalts, von den einfachen an zu den mehr zusammengesetzten, in Reihen gestellt, die nichts weniger als systematisch, obgleich auf gewisse Weise methodisch zustande gebracht werden.
Dann will also der Kantische Vorwurf, Lambert sei nur ein Analyst, folgendes besagen: Es wird anerkannt, daß es die Aufgabe der Philosophie ist, die Grundbegriffe aufzusuchen, abgelehnt aber wird Lamberts Methode, der die ihm vorkommenden gebräuchlichen Begriffe analysiert und auf diese Weise gewissermaßen durch eine methodische Beobachtung die Grundbegriffe zu erlangen hofft. Wir müssen, sagt Kant, wenn wir die Gesamtheit der Grundbegriffe erlangen wollen, die Begriffe nicht in ihrem Vorkommen, sondern an ihrem Geburtsort aufsuchen. Verschaffen wir uns einen kurzen Uberblick über Lambert, um die Richtigkeit und die Bedeutung dieser Kantischen Kritik zu prüfen. Die philosophischen Hauptwerke von Lambert sind das „Neue Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrtum und Schein" (1764) und „Anlage der Architektonik oder Theorie des Ersten und Einfachen in der philosophischen und mathematischen Erkenntnis" (1771). Die zahlreichen Arbeiten Lamberts zur Logistik finden sich in der Architektonik und in Zeitschriftenaufsätzen. Lambert übernimmt nun von Leibniz zunächst die Grundunterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Begriffen. Lambert, Organon 1764,1, S. 456. Die nächste Folge, die sich daraus ziehen läßt, ist, daß wenn man sich a priori versichern will, daß ein Begriff nichts Widersprechendes habe und daher ein realer und möglicher Begriff sei, man müsse zeigen können, daß er auf eine zulässige Art aus einfachen Begriffen zusammengesetzt sei.
Damit entsteht in der Philosophie eine Grundwissenschaft, deren Aufgabe es ist, die einfachen Begriffe aufzusuchen, und deren Methode in einer Musterung der menschlichen Begriffe besteht. Lambert, Organon 1764,1, S. 421. . . . daß unsre wissenschaftliche Erkenntnis ganz und im strengsten Verstände a priori sein würde, wenn wir die Grundbegriffe sämtlich kennten und mit Worten ausgedrückt hätten und die erste Grundlage zu der Möglichkeit ihrer Zusammensetzung w ü ß t e n . . .
Lambert, Architektonik I, S. 6.
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Will man aber jeden einzelnen Begriff, der einfadi ist, aufsuchen, so muß man die menschlichen Begriffe sämtlich durch die Musterung gehen lassen.
Lamberts Absicht geht also dahin, die Grundbegriffe in ihrer Vollständigkeit aufzusuchen. Ob dies möglich ist, läßt er ausdrücklich dahingestellt. Lambert, Ardiitektonik I, S. 30. Da das Reich der Wahrheiten sich ebenso, wie das Reidi der Möglichkeiten, in das Unendliche ausbreitet, so bleibt in dieser Absicht betrachtet in den menschlichen Wissenschaften immer eine Unvollständigkeit zurück. So ζ. E. können wir etwa die einfachen Begriffe aufsuchen und abzählen, darauf sich unsere ganze Erkenntnis gründet. Allein es könnten uns viele ebenso fehlen wie dem Blinden die Begriffe der Farben
In der Ardiitektonik (I, S. 12 ff.) setzt sich Lambert mit Locke und Wolff auseinander. Locke habe zwar die einfachen Begriffe gefunden, es aber unterlassen, die möglichen Folgerungen zu ziehen; Wolff aber habe die Methode zu großer Feinheit entwickelt, aber die Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Begriffen unbeaditet gelassen. Auf die Tatsache, daß diese Grundunterscheidung von Leibniz von Wolff nicht mehr benutzt wird, habe idi bereits im vorigen Abschnitt hingewiesen. Lambert kommt dann im Organon I, S. 498 zu folgender Tafel der Grundbegriffe: Bewußtsein, Existenz, Einheit, Dauer, Sukzession, Wollen, Solidität, Ausdehnung, Bewegung, Kraft. Das Verfahren nun, aus den uns vorkommenden Begriffen die einfachen Grundbegriffe zu gewinnen, nennt Lambert Analysis. Sind die Grundbegriffe gewonnen, so beginnt die Synthesis, der Aufbau der zusammengesetzten Begriffe aus den einfachen. Dieser Aufbau erfolgt in der Weise, daß sämtliche Kombinationen der Grundbegriffe durchgegangen werden und die mit Widersprüchen behafteten Kombinationen ausgeschieden werden. Durdi ein solches Verfahren wird ein doppeltes Ziel erreicht: Auf der einen Seite erlangt man die Gesamtheit aller wahren Begriffe, auf der andern Seite bekommt die Methode die Sicherheit und die Evidenz der Mathematik. Lambert, Organon I, S. 527. Man sieht leicht, daß hierbei eine Kombination möglich ist, wodurch alle Abwechselungen, die man unter einer gewissen Anzahl Begriffe vornehmen kann, bestimmt werden. Und tut man dieses, so ist unstreitig, daß man nicht nur jedem Genüge lesiten, sondern auch noch alle Lücken, die zurückbleiben, ausfüllen kann.
Lambert, Organon I, S. 565. Wenn man bei einfachen Begriffen anfängt, so macht die Vermeidung eines Sprunges in ihrer Verbindung oder Zusammensetzung, soweit man fortgeht, die Gewißheit absolut. Denn einfache Begriffe sind an sich gedenkbar..., und das Irrige kann nur
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Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontotogie in ihrer Verbindung oder Zusammensetzung v o r k o m m e n . . . Versichert man sich demnach bei jedem einzelnen Teile dieser Zusammensetzung oder Verbindung von ihrer Möglichkeit, so geht man Schritt für Schritt, und da demnach jeder Sprung dadurch vermieden wird, so ist man, soweit man darin geht, von der Möglichkeit der Vorstellung versichert, und das Bewußtsein jeder dieser Sdiritte macht die Gewißheit absolut.
Lambert, Organon I, S. 538. Dieses System oder das Reich der Wahrheit nehmen wir hier so, daß wenn wir alle Wahrheiten nach unserer Art, sie vorzustellen, wüßten, sie dieses Reich der Wahrheiten ausmachen würden. Wir betrachten demnach hier das ganze System aller Begriffe, Sätze und Verhältnisse, die nur immer möglich sind, als bereits in seiner Verbindung und Zusammenhange und sehen das, so wir etwa bereits davon wissen, als Teile und einzelne Stücke dieses Systems an, weil wir auf diese Art, so oft wir neue Stücke finden und mit den bereits gefundenen zusammenhängen wollen, den Grundriß des ganzen Gebäudes vor Augen haben und jedes einzelne Stück danach prüfen können.
Nadi diesem kurzen Uberblick können wir jetzt beurteilen, wieweit Kant und Lambert zusammengehen und wo die Differenz beginnt. Gemeinsam ist beiden die Grundabsiclit, das System oder das Reich der Wahrheit, wie Lambert sagt, oder das System der reinen Vernunft, wie Kant sagt, dadurdi zu finden, daß zunächst das System der Grundbegriffe aufgestellt wird und daß dann aus diesen Grundbegriffen sämtliche zusammengesetzten Begriffe abgeleitet werden. Kant geht über den Lambertschen Ansatz in drei Punkten hinaus: Er wählt eine andere Methode; er ist von der Vollständigkeit des Systems der reinen Vernunft überzeugt; er spaltet die bei Lambert noch von Leibniz her festgehaltene Homogenität der apriorischen Erkenntnis auf, indem er zwei Erkenntnisquellen ansetzt. Den ersten Punkt hat Kant in der oben wiedergegebenen Stelle zur Genüge beleuchtet. Kant will das System der Grundbegriffe nicht dadurch gewinnen, daß er die bisher benutzten Begriffe sämtlich durchmustert, er sucht vielmehr die Gesamtheit der menschlichen Begriffe an ihrem Ursprungsort auf. Kant hat zweitens an der absoluten Vollständigkeit des Systems der reinen Vernunft festgehalten. Ich werde einige Betrachtungen Kants hierüber im folgenden noch heranziehen. Die weiterhin durchgeführte Aufspaltung der apriorischen Erkenntnis in zwei Stämme wird uns in folgendem in ihren Auswirkungen beschäftigen. Es erheben sich nämlich zwei Fragen. Wir sahen eben, daß für Lambert im letzten Ziel die Methode der Philosophie mit der Methode der Mathematik zusammenfiel; eine Gefahr, die nicht nur Lambert bedroht hat. Es fragt sich nun, ob Kant, der in erstaunlich weitem Maße diesen Ansätzen von Leibniz und Lambert gefolgt ist, dieser Gefahr der Mathematisierung der Philosophie entgangen ist. An sich könnte schon diese Frage, bei dem leidenschaftlichen Kampf,
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den Kant gegen die Verschmelzung von Mathematik und Philosophie geführt hat, absonderlich erscheinen. Wir werden aber im folgenden einige höchst merkwürdige Stellen antreffen, die eine Behandlung dieser Frage fordern. Die zweite Frage geht in entgegengesetzter Richtung. Zweifellos war Kant der Uberzeugung, daß es ihm durch die veränderte Fragestellung gelungen sei, sich der Vollständigkeit seiner Grundbegriffe zu versichern und damit gleichzeitig die Grundlagen für ein System der reinen Vernunft zu legen. Nun fragt sich aber, ob nicht die von ihm erkannte Heterogenität der reinen Erkenntnis, ihr Ursprung aus zwei verschiedenen Erkenntnisquellen, diese mühsam erreichte Vollständigkeit des Systems wieder zunichte macht. Die von Leibniz entworfene Ars characteristica universalis ist im 18. Jahrhundert vielfältig diskutiert worden, zum mindesten hat Kant sie durch Lambert kennengelernt. Zu Beginn seiner philosophischen Arbeit lehnt Kant einen solchen Ansatz schroff ab. Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze 1764, WW II, S. 279. Hier (in der Weltweisheit) können weder Figuren noch sichtbare Zeichen die Gedanken noch deren Verhältnisse ausdrücken, auch läßt sich keine Versetzung der Zeichen nach Regeln an die Stelle der abstrakten Betrachtung setzen, so daß man die Vorstellung der Sachen selbst in diesem Verfahren mit der klareren und leichteren der Zeichen vertauschte, sondern das Allgemeine muß in abstracto erwogen werden.
Aus dieser sachlichen Ablehnung heraus überschüttet Kant nun die logistischen Versuche von Leibniz mit scharfem Spott. Kant, Nova dilucitatio 1755, WW I, S. 389 f. . . . fateor, me in hoc magni philosophi effato patris illius Aesopici testamentum animadvertere, qui cum animam iamiam efflaturus aperuisset liberis, se thesaurum alicubi in agro abscondidisse . . . Sed si, quod res est, aperte fateri fas est, vereor, ne quod acutissimus Boerhaavius in Chemia alicubi de alchymistarum praestantissimis artificibus suspicatur . . .
Es ist sicher hart, wenn Kant an dieser Stelle Leibniz mit den Alchimisten vergleicht. Derselbe Angriff wird wiederholt in der letzten der kleinen Frühschriften: Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Räume 1768, WW II, S. 377. Der berühmte Leibniz besaß viel wirkliche Einsichten, wodurch er die Wissenschaften bereicherte, aber noch viel größere Entwürfe zu solchen, deren Ausführung die Welt von ihm vergebens erwartet hat. Ob die Ursache darin zu setzen: daß ihm seine Versuche noch zu unvollendet schienen, eine Bedenklichkeit, welche verdienstvollen Männern eigen ist und die der Gelehrsamkeit jederzeit viel schätzbare Fragmente entzogen hat, oder ob es ihm gegangen ist, wie Boerhaave von großen Che-
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Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie misten vermutet, daß sie öfters Kunststücke vorgaben, als wenn sie im Besitze derselben wären, da sie eigentliche nur in der Überredung und dem Zutrauen zu ihrer Geschicklichkeit standen, daß ihnen die Ausführung derselben nicht mißlingen könnte, wenn sie einmal dieselbe übernehmen wollten, das will ich hier nicht entscheiden.
Diese scharfe Ablehnung einer Ars diaracteristica universalis ist ja nichts anderes als die Ablehnung mathematischer Methoden in der Philosophie. Sie ist daher für Kant, der schon in seinen Frühschriften Mathematik und Philosophie scharf auseinanderhält eine unumgängliche Notwendigkeit. Da nun diese Ablehnung von mathematischen Methoden in der Philosophie in dem bekannten Kapitel der Kritik der reinen Vernunft mit großer Schärfe weiter durchgehalten wird, sollte man es für unmöglich halten, daß Kant seinen Widerstand gegen die Leibnizsdie Charakteristik aufgegeben hat. Und doch ist er so weit gegangen, im System diese rein mathematischen Methoden dieser Ars diaracteristica universalis zu verwenden oder ihre Verwendung zum mindesten zu versuchen. Diese erstaunliche Schwenkung Kants kann man zunächst den Reflexionen und dem Briefwechsel entnehmen. Von da aus wird man zahlreiche Stellen der Werke, insbesondere der Kritik der reinen Vernunft und der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft nicht mehr abschwächend lesen dürfen, sondern man wird sie so nehmen müssen, wie sie dastehen. Zunächst findet sich die spöttische Ablehnung, wenn auch in etwas verdeckter Form noch in der Kritik und zwar in dem Kapitel über den Unterschied zwischen der Mathematik und der Philosophie: Das große Glück, welches die Vernunft vermittels der Mathematik macht, bringt ganz natürlicherweise die Vermutung zuwege, daß es, wo nidit ihr selbst, doch ihrer Methode, audi außer dem Felde der Größen gelingen werde, indem sie alle ihre Begriffe auf Anschauungen bringt, die sie a priori geben kann und wodurch sie, so zu reden, Meister über die Natur wird . . . Auch scheint es den Meistern in dieser Kunst an dieser Zuversicht zu sich selbst und dem gemeinen Wesen an großen Erwartungen von ihrer Geschicklichkeit, wenn sie sich einmal hiermit befassen sollten, gar nicht zu fehlen (A 724, Β 752). Ganz anders klingen dagegen folgende drei Reflexionen: Refl. 4937, ca. 1776-78. Es ist von der größten Wichtigkeit, eine Wissenschaft der Vernunft technisch zu machen. Die Logici haben es mit ihrer Syllogistik als einer Fabrik umsonst versucht. Nur in Ansehung der Größe ist es den Erfindern des Algorithmus gelungen. Sollte es nicht in der Kritik der reinen Vernunft auch so sein, nicht zur Erweiterung, sondern Läuterung der Erkenntnisse? Durch die technische Methode kann man bei der Bezeichnung jedem Begriffe seine Funktion geben oder vielmehr die functiones
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selber an sidi selbst und gegeneinander ausdrücken. (Die Algebra drückt sie nur gegeneinander aus, vielleicht auch so im transzendentalen Algorithmus. Die Versehen können dadurch allein verhütet werden und das Ubersehen.)
Reil. 4938, ca. 1776-78. . . . Die Mathematiker haben geglaubt, wenn sie die Objekte der reinen Vernunft bearbeiteten, etwas vorzügliches auszurichten. Aber es ist zu bedauern, daß, wenn sie diese Erkenntnisse objektiv nehmen, sie ein undankbares Feld bearbeiten. Aber in der Kritik der Vernunft können sie den größesten Nutzen schaffen. Holland.
Reil. 5047, ca. 1 7 7 6 - 7 8 . Die Mathematik kann wohl keinen Nutzen in Erfindung objektiver philosophischer Sätze haben, weil sie über die Sicherheit der datorum nicht urteilen kann. Wenn aber diese einmal ausgemacht sind, so kann ein mathematischer Kopf so wie eine arithmeticam universalem so eine transzendentale analysin erfinden.
Alle drei Reflexionen haben den gleichen Sinn. Die Mathematik soll in der Philosophie als Hilfswissenschaft benutzt werden. Erstaunlich sind die Ausdrücke: transzendentale Analysis und transzendentaler Algorithmus. Ein Algorithmus ist ein Redienverfahren. Kant fordert also in der Philosophie ein transzendentales Rechenverfahren. Diese Reflexionen zeigen die Mathematik als eine Hilfswissenschaft, ja geradezu als eine Methode der Philosophie und bedeuten damit eine erstaunliche Hinneigung Kants zur Mathematik über seine ursprüngliche Ablehnung hinaus. Ich ziehe zur weiteren Begründung zunächst Kants Briefwechsel heran. In Frage kommen Briefe an Herz, Schultz, Beck, Reinhold und Hindenburg. Sie erstrekken sich über einen Zeitraum von über 20 Jahren und können also nicht aus einer einmaligen Stimmung heraus entstanden sein. Kant an Marcus Herz, Ende 1773, WW X, S. 144. Ich glaube nicht, daß es viele versucht haben, eine ganz neue Wissenschaft der Idee nach zu entwerfen und sie zugleich völlig a u s z u f ü h r e n . . . Es leuchtet mir aber davon eine Hoffnung entgegen . . . , nämlich der Philosophie dadurch auf eine dauerhafte Art eine andere und vor Religion und Sitten weit vorteilhaftere Wendung zu geben, zugleich aber audi ihr dadurch die Gestalt zu geben, die den spröden Mathematiker anlocken kann, sie seiner Bearbeitung fähig und würdig zu halten.
Also schon zu einem Zeitpunkt, an dem der erste Entwurf der Kritik greifbare Gestalt angenommen hat, trägt sich Kant mit der Hoffnung, die Einführung mathematischer Methoden in die Philosophie zu ermöglichen. Nach der Fertigstellung der Kritik werden diese Hoffnungen immer stärker. So schreibt Kant an Schultz am 26. 8.1783, WW X, S. 351: Diese und die andern zum Teil erwähnten Eigenschaften der Tafel der Verstandesbegriffe scheinen mir noch Stoff zu einer vielleicht wichtigen Erfindung zu enthalt e n . . . , die einem mathematischen Kopfe wie dem Ihrigen vorbehalten ist: Eine
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Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie artem characteristicam corobinatoriam daran in Ausübung zu b r i n g e n . . . Vielleicht findet Ihre Scharfsinnigkeit durch Mathematik unterstützt hier einen helleren Prospekt, wo mir nur etwas, wie im Nebel verhüllt, vor Augen schwebt.
Schultz antwortet sofort am 28. 8.1783, WW X , S. 354. Die sinnreiche Idee, welche Euer Hochedelgeboren in Absicht auf die Anwendung der Kategorientafel zur Erfindung der artis characteristicae combinatoriae mir zu eröffnen beliebet, ist ganz vortrefflich... Nur wüßte ich außer Ihnen den Mann nicht, dessen schöpferisches Genie der Ausführung eines solchen Plans angemessen wäre.
Von den andern gleichlautenden Briefen ziehe ich nur noch den von Beck heran. Kant an Beck am 27. 9. 1791, WW X I , S. 290. Audi verliere ich nicht die Hoffnung gänzlich, daß, wenn dieses Studium gleich nicht der Mathematik neues Lidit geben kann, diese doch umgekehrt, bei dem Oberdenken ihrer Methoden und heuristischen Prinzipien, samt den ihnen noch anhängenden Bedürfnissen und Desideraten, auf neue Eröffnungen für die Kritik und Ausmessung der reinen Vernunft kommen und dieser selbst neue Darstellungsmittel für ihre abstrakten Begriffe selbst etwas der ars universalis diaracteristica combinatoria Leibnizens Ähnliches verschaffen könne. Denn die Tafel der Kategorien sowohl als der Ideen, unter welchen die kosmologischen Etwas den unmöglichen Wurzeln Ähnliches an sidi zeigen, sind doch abgezählt und in Ansehung alles möglichen Vernunftgebrauchs durch Begriffe so bestimmt, als die Mathematik es nur verlangen kann, um es wenigstens mit ihnen zu versuchen, wieviel sie, wo nidit Erweiterung, doch wenigstens Klarheit hineinbringen könne.
N a d i diesen Briefstellen kann man an der Tatsache nicht mehr vorbeigehen, daß Kant seinen ursprünglichen heftigen Widerstand gegen Leibniz in bezug auf die Logistik aufgegeben hat und daß er selbst umgekehrt in dieser Methode den Weg zur Vollendung des eigenen Systems sieht. Wir werden daher im nächsten Abschnitt kurz Kants Verhältnis zur Logistik streifen, um dann Stellung und Bedeutung der Logistik im System der reinen Vernunft zu betrachten. Die Ansätze, mit denen Leibniz die Logistik begonnen hatte, sind im 18. Jahrhundert eifrig weiter verfolgt worden. Besonders viel hat sich Lambert mit diesen Problemen beschäftigt. Bei ihm finden sich auch die Arbeiten der andern Autoren fast vollständig angeführt. Zum mindesten diese Berichte von Lambert müssen Kant bekannt gewesen sein. Trotzdem findet man bei Kant kaum ein Eingehen auf die logistisdien Probleme. Im gewissen Sinne kann man den im Jahre 1763 erschienen „Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen" hierher rechnen. Dazu finden sich noch einige Reflexionen, wie etwa die Reil. 1946: Schön + ; Nichtschön... o; häßlich - . Oder die Refl. 3 7 1 1 : . . . Also ist das Nihil negativum P - P = Ο · P. Man vergleiche etwa dazu noch die Reflexionen 3873, 3989, 3997, 4391, 4658, 5651.
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Es hat aber den Ansdiein, als ob diese kleinen logistischen Versuche für Kant keine besondere Bedeutung gehabt hätten. Es Enden sich auch bei den mathematisch eingestellten Freunden und Schülern, insbesondere bei Joh. Schultz, keinerlei Versuche zur Logistik. Bei diesem haben wir oben schon gesehen, mit welcher Entschiedenheit er Kants Anregung, eine kombinatorische Logistik zu entwerfen, zurückweist. Kant hat zeit seines Lebens als Ziel ein System vor Augen gehabt, das mit verschiedenen Ausdrücken, etwa als System der reinen Vernunft, systematische Metaphysik, systematische Ontologie bezeichnet wird. Ich will hier die Frage aufwerfen, was Kant sich als Inhalt und Methode eines solchen Systems der reinen Vernunft vorgestellt hat, und ob sich entscheiden läßt, warum dieses System nicht zur Ausführung gekommen ist. Ich werde in diesem Abschnitt zunächst die Kantischen Angaben über die Fertigstellung des Systems zusammenstellen, werde dann den Grundriß des Systems wiedergeben und zuletzt einen Sonderteil, die systematische Ontologie, ausgrenzen. An diesem Sonderteil werde ich dann im nächsten Abschnitt die Schwierigkeiten durchgehen, die einer Vollendung des Systems im Wege standen. Von Beginn seiner Arbeit an hat Kant als Ziel ein System vor Augen, das einen endgültigen Abschluß bringen und damit die end-· losen Streitigkeiten der Philosophen beenden soll. Zunächst kann man das stolze Wort des Abschnitts 7 der Vorrede zu den „Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte" (WW I, S. 10): „Ich habe mir die Bahn schon vorgezeichnet, die ich halten will. Ich werde meinen Lauf antreten, und nichts soll mich hindern ihn fortzusetzen", nur in dieser Richtung verstehen. Wenn Kant dieses Wort mit 23 Jahren schrieb, so kann er damit nur eine endgültige Lösung im Auge gehabt haben. Auf den schon erreichten Besitz gewisser Erkenntnisse deutet die Ankündigung in dem „Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen" 1763, WW II, S. 203 f. Ich habe über die Natur unseres Erkenntnisses in Ansehung unserer Urteile von Gründen und Folgen nachgedacht, und idi werde das Resultat dieser Betrachtungen dereinst ausführlich darlegen . . . Bis dahin werden diejenigen, deren angemaßte Einsicht keine Schranken kennt, die Methoden ihrer Philosophie versuchen, bis wieweit sie in dergleichen Frage gelangen können.
Die ausdrückliche Ankündigung findet sich zum ersten Mal in den Träumen eines Geistersehers von 1766, WW II, S. 342. . . . und die Philosophen werden zu derselbigen Zeit eine gemeinschaftliche Welt bewohnen, dergleichen die Größenlehrer schon längst inne gehabt haben, welche wichtige Begebenheit nicht lange mehr anstehen kann, wofern gewissen Zeichen
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Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie und Vorbedeutungen zu trauen ist, die seit einiger Zeit über dem Horizonte der Wissenschaft erschienen sind.
Diese Stelle führt direkt in die von Kant niemals ganz überwundenen, vielleicht unüberwindbaren Schwierigkeiten hinein; sagt sie dodi mit dürren Worten, daß die Philosophie nach dem Vorbilde der Mathematik zu einer allgemein gültigen Wissenschaft erhoben werden soll. Besteht dabei nicht die Gefahr, daß die Kantische Grundunterscheidung zwischen Mathematik und Philosophie wieder verwischt wird? Auf was sich die „Zeichen und Vorbedeutungen" beziehen sollen, ist nicht ganz klar. Da die Schrift eine außerordentlich scharfe Kritik an Wolff und Crusius enthält, kommen diese beiden nicht in Frage; wenn man unter diesen „Zeichen und Vorbedeutungen" nicht Kants eigene Vorarbeiten verstehen will, was doch starke Schwierigkeiten hat, so käme nur Lambert in Frage. Auch sachlich würde das von Lambert erstrebte Reich der Wahrheit hier sehr wohl gemeint sein können. Von einem solchen endgültigen System bringt Kant nun in der Kritik der reinen Vernunft die wichtigsten und grundlegendsten Teile, insbesondere aber die vollständige Tafel der reinen Grundbegriffe. A 80, Β 106 (zitiert nach Kants Nachträgen XLIV). Dieses ist nun die Verzeichnung aller reinen Begriffe der Synthesis, die der Verstand a priori in sich enthält.
Diese Begriffe werden auch bezeichnet als Stammbegriffe (A 81, Β 107), Elementarbegriffe (A 64, Β 89; Β 109), Grundbegriffe (A 81, Β 107). Damit hat Kant nun endgültig den Schritt über Lambert hinaus getan, der Zweifel ist beseitigt, das System der reinen Grundbegriffe ist vollständig. Wie könnte audi nach der Kantischen Wendung die Vernunft, die das System der reinen Grundbegriffe in sich selbst findet, gegen sich selbst blind sein. Es mag hier die Angabe genügen, daß Kant von der Vollständigkeit und Endgültigkeit durchaus überzeugt war; die entscheidenden Belege sind ja bekannt. Aber die Kritik der reinen Vernunft gibt das an sich vollständige System nicht vollständig wieder. A 81 f., Β 107. Um der letztern willen ist also noch zu bemerken: daß die Kategorien als die wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes, audi ihre ebenso reinen abgeleiteten Begriffe haben, die in einem vollständigen System der Transzendental-Philosophie keineswegs übergangen werden können, mit deren bloßer Erwähnung aber ich in einem bloß kritischen Versuch zufrieden sein kann.
Kurz darauf spricht Kant (A 83, Β 109) von einem „System der reinen Vernunft". Eben vorher verspricht er die Vorlage eines vollständigen Systems. A 82, Β 108.
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Da es mir hier nicht um die Vollständigkeit des Systems, sondern nur der Prinzipien zu einem System zu tun ist, so verspare ich diese Ergänzung auf eine andere Beschäftigung. Audi die Vorrede zur ersten Auflage verspricht dieses System (A X X I ) : Ein solches System der reinen (spekulativen) Vernunft hoffe ich unter dem Titel: Metaphysik der Natur, selbst zu liefern, welches, bei noch nicht der Hälfte der Weitläufigkeit, dennoch ungleich reicheren Inhalt haben soll, als hier die Kritik . . . Diese Gedankengänge finden sich noch an zahlreichen anderen Stellen der Kritik der reinen Vernunft. Es mag hier genügen, den Schlußsatz heranzuziehen: A 856, Β 884. Der kritische Weg ist allein noch offen. Wenn der Leser diesen in meiner Gesellschaft durchzuwandern Gefälligkeit und Geduld gehabt hat, so mag er jetzt urteilen, ob nicht, wenn es ihm beliebt, das Seinige dazu beizutragen, um diesen Fußsteig zur Heeresstraße zu machen, dasjenige, was viele Jahrhunderte nicht leisten konnten, noch vor Ablauf des gegenwärtigen erreicht werden möge: nämlich die menschliche Vernunft, in dem, was ihre Wißbegierde jederzeit, bisher aber vergeblich, beschäftigt hat, zur völligen Befriedigung zu bringen. Dieser etwa um 1780 geschriebene Satz ist ein stolzes Wort. Noch vor Ablauf des Jahrhunderts, also von 1780 an gerechnet in 20 Jahren, sollen die bisher vergeblichen Fragen der Vernunft zu einer völligen Befriedigung gebracht werden; und Kant geht nodi weiter. E r glaubt durch seine Vorarbeiten so viel geleistet zu haben, daß der einzelne Leser einen tätigen Anteil an der Fertigstellung des Systems nehmen kann. Auch hier taucht wieder die Ähnlichkeit mit der Mathematik auf, wo stets nach der Begründung eines Gebietes durch ein schöpferisches Genie der Ausbau durch die Mitarbeit aller erfolgt. Für die Herstellung eines solchen Systems sind zunächst die „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft" eine Teilarbeit, wie Kant (B 110 Anm.) ausdrücklich anzeigt. Darüber hinaus findet sich in den Briefen immer wieder der Hinweis auf die noch zu leistende Arbeit. Die Stellen folgen in zeitlicher Ordnung der Übersicht halber direkt hintereinander: Kant an Mendelssohn am 16. 8 . 1 7 8 3 , W W X , S. 346. Vor dieser Zeit denke ich indessen doch ein Lehrbuch der Methaphysik nach obigen kritischen Grundsätzen und zwar mit aller Kürze eines Handbuches zum Behuf akademischer Vorlesungen nach und nach auszuarbeiten und in einer nicht zu bestimmenden, vielleicht ziemlich entfernten Zeit, fertig zu schaffen. Kant an Bering am 7. 4. 1786, W W X , S. 441. Weil nun, wenn wir diese Arbeit [2. Aufl. der Kritik] wie ich sie mir jetzt entwerfe, gelingt, es beinahe in jedes Einsehenden Vermögen stehen wird, ein System
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Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie der Metaphysik danach zu entwerfen, so werde idi darum die eigene Bearbeitung des letzteren etwas weiter hinaussetzen, um für das System der praktischen Weltweisheit Zeit zu gewinnen.
Jakob, Prüfung der Mendelssohnsdien Morgenstunden, eine vorangeschickte A b handlung von Kant (WW VIII, S. 155), schließt S. L X : Die Sadien der Metaphysik stehen jetzt auf einem solchen Fuß, die Akten zur Entscheidung ihrer Streitigkeiten liegen beinahe schon zum Sprudle fertig, so daß es nur nodi ein wenig Geduld und Unparteilichkeit im Urteile bedarf, um es vielleicht zu erleben, daß sie endlich einmal ins Reine werden gebracht werden. Königsberg den 4. Aug. 1786.1. Kant. Kant an Herz am 24. 12. 1787, W W X , S. 512. Ich habe mich in meinen philosophischen Arbeiten in ein für mein Alter ziemlich beschwerliches und weit hinaussehendes Geschäfte eingelassen; aber ich finde darin, vornehmlich was den Rückstand betrifft, den ich jetzt bearbeite, so guten Fortgang und habe so gute Hoffnung, die Sachen der Metaphysik in ein so sicheres Gleis zu bringen, daß mir dieses zur Aufmunterung und Stärkung dient, um meinen Plan zur Vollendung zu bringen. K a n t an Beck am 20. 1. 1792, W W X I , S. 313 f. Ich habe mir sonst schon einen Entwurf gemacht, in einem System der Metaphysik diese Schwierigkeit zu umgehen und von den Kategorien nach ihrer Ordnung anzufangen (nachdem idi vorher bloß die reinen Anschauungen von Raum und Zeit, in welchen ihnen Objekte allein gegeben werden, vorher exponiert habe, ohne nodi die Möglichkeit derselben zu untersuchen) und zum Schlüsse der Exposition jeder Kategorie ζ. B. der Quantität und aller darunter enthaltenen Praedikabilien samt den Beispielen ihres Gebrauchs nun beweise, daß von Gegenständen der Sinne keine Erfahrung möglich sei als nur, sofern idi a priori voraussetze, daß sie insgesamt als Größen gedacht werden müssen und so mit allen übrigen. Diese Briefe belegen zur Genüge, daß weder die Kritik der reinen Vernunft nodi die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft das System völlig ausschöpfen. Sie zeigen aber audi, daß der Weiterbau durch die Kritik der praktischen Vernunft und die Kritik der Urteilskraft ebenfalls nicht das geplante System darstellt. In der Richtung dieses Systems lag fraglos das Opus postumum, an dem Kant bald nach 1790 begonnen hat. Wieweit diese Arbeit für unsere Fragen Bedeutung hat, wird sich so lange nicht entscheiden lassen, ehe nicht eine wirklich zuverlässige Ausgabe vorliegt. Darüber hinaus ist diese Arbeit ja unvollendet geblieben. In einem besonderen Kapitel der Kritik, in der Architektonik der reinen Vernunft (A 840 ff., Β 868 ff.), hat Kant einen Aufriß des Systems der reinen Vernunft gegeben:
Vernunfterkenntnis aus empirischen Prinzipien empirische Philosophie
Erkenntnis aus reiner Vernunft reine Philosophie Propädeutik Kritik
System der reinen Vernunft Metaphysik
spekulativer
praktischer
Gebraudi der reinen Vernunft
Metaphysik der Natur
I
Metaphysik der Sitten
Metaphysik imengeren Verstände
Physiologie der reinen Vernunft
Transzendentalphilosophie
Ontologie immanent rationale Physiologie körperliche Natur
denkende Natur
rationale Physik
rationale Psychologie
physica rationalis
psychologia rationalis
transzendentale Welterkenntnis rationale Kosmologie
rationale Theologie
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Die Fortschritte der Metaphysik bringen folgende Einteilung (nach Seitenzahlen der Ausgabe von K. Vorländer in der Philos. Bibl.): System der reinen theoretischen Philosophie Metaphysik der Natur S. 122 Metaphysik der Sitten S. 85 Mathematik S. 85 1. Stadium Wissenschaftslehre S. 99 Sicherer Fortschritt S. 99, 118 Theoretisch, dogmatisch S. 99,108 Dogmatismus S. 89 Propädeutik S. 84 Kritik der reinen Vernunft Transzendentalphilosophie S. 84 Ontologie S. 84, S. 108 Rationale Physik Rationale Seelenlehre Grenze der Erfahrung 2. Stadium Zweifelslehre S. 99 Stillstand S. 99, S. 108 skeptisch S. 99, S. 108 Skeptizismus S. 89 Kosmologie S. 108 physica rationalis psydiologia rationalis 3. Stadium Weisheitslehre S. 99 Überschritt S. 99 praktisch dogmatisch S. 99, 108 Kritizismus S. 89 Vollendung S. 108 Theologie a. Theologie S. 109, S. 133-138 Gott S. 126 b. Moralische Theologie S. 138-140 Freiheit S. 126 c. Psychologie S. 140-142 Unsterblichkeit S. 126 Wenn Kant ständig die Vollständigkeit und Abgeschlossenheit des Systems der
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reinen Vernunft betont, so ist es der schwerste Mangel eines solchen Systems, daß es in dieser abgeschlossenen Gestalt nicht wirklich vorgelegt worden ist. Es wäre ja nun leicht, den spöttischen Vergleich mit den unerfüllbaren Versprechungen der Alchimisten, den Kant so gut gegen Leibniz zu handhaben wußte, gegen Kant selbst zu wenden. Fruchtbarer ist es, nach den Gründen zu suchen, warum Kant dieses System nicht fertiggestellt hat. Man könnte da zunächst auf die Schwierigkeiten eingehen, die sich etwa aus dem gegenseitigen Verhältnis von Ontologie, Physiologie und Theologie ergeben, man könnte dabei darauf hinweisen, daß die beiden oben wiedergegebenen Systementwürfe durchaus nicht so genau auf einander passen, wie es eigentlich sein müßte. Man könnte auch in der Ontologie bleiben und die Kategorientafel angreifen, sei es, daß man die Zwölfzahl beibehaltend, einzelne Kategorien durch andere ersetzt, sei es, daß man mehr oder weniger Grundbegriffe ansetzt. Hält man grundsätzlich ein System für möglich, so kann man den Ansätzen der deutschen Idealisten folgen. Man kann etwa mit Fichte zu dem Kantischen System den Ur- und Grundbegriff suchen, aus dem alles andere sich ableiten läßt; man kann auch mit anderen Methoden den Aufbau versuchen und etwa mit Hegel das starre Schema der Kantischen Begriffe ablehnen und durch die dialektische Bewegung ersetzen. Uns aber, von einem Zweifel an der Möglichkeit eines Systems der reinen Vernunft getrieben, interessiert die Frage, ob nicht der unbestreitbare Systemwille Kants mit Kants ureigensten Grundsätzen in so harte Widersprüche geriet, daß das System unvollendet bleiben mußte. Wir fragen also: Konnte Kant das System nicht fertigstellen, sei es seines Alters wegen, sei es aus Unvermögen, oder war das System bei den Kantischen Grundsätzen an sich unvollendbar? Wenn ich in folgendem versuchen werde, den Aporien des Kantischen Systems nachzugehen, so weiß ich, daß dieser erste Anlauf nicht zu der notwendigen und möglichen Klarheit gelangen wird. Was fehlt eigentlich nach allem, was Kant schon vorgelegt hat, noch am Gesamtsystem? Das noch Fehlende hat Kant selbst ausdrücklich und genau bezeichnet: A 81, Β 107. U m der letzteren willen ist also noch zu bemerken: daß die Kategorien, als die wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes, audi ihre ebenso reinen abgeleiteten Begriffe haben, die in einem vollständigen System der Transzendental-Philosophie keineswegs übergangen werden können, mit deren bloßer Erwähnung idi aber in einem bloß kritischen Versuch zufrieden sein kann.
Im selben Sinne: Fortschritte der Metaphysik, S. 98. Noch gehören zu den Kategorien als ursprünglichen Verstandesbegriffen auch die Prädikabilien, als aus jener ihrer Zusammensetzung entspringende und also abge-
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Kombinatorik und die Idee einer systematischen Ontologie leitete, entweder reine Verstandes- oder sinnlich bedingte Begriffe a p r i o r i . . . die gleichfalls vollständig aufgezählt und in einer Tafel systematisdi vorgestellt werden könnten.
Wir wollen nun von dem System der reinen Vernunft nur diesen Teil, nämlich das System der reinen Begriffe, gegliedert in das System der Grundbegriffe und das System der abgeleiteten Begriffe betrachten. Der Kantische Sprachgebrauch ist in bezug auf die Gliederung des Systems nicht ganz fest, ich halte midi an den vorwiegend gebrauchten Ausdruck, der in den Fortschritten der Metaphysik ausdrücklich bestimmt wird. Fortschritte der Metaphysik, S. 84. Die Ontologie ist diejenige Wissenschaft (als Teil der Metaphysik), welche ein System aller Verstandesbegriffe und Grundsätze, aber nur, sofern sie auf Gegenstände gehen, welche den Sinnen gegeben und also durdi Erfahrung belegt werden können, ausmacht. Sie berührt nicht das Obersinnliche, welches doch der Endzweck der Metaphysik ist, gehört also zu dieser nur als Propädeutik, als die Halle oder der Vorhof der eigentlidien Metaphysik und wird Transzendentalphilosophie genannt, weil sie die Bedingungen und ersten Elemente aller unserer Erkenntnis a priori enthält.
Um den uns hier interessierenden Gesichtspunkt noch schärfer herauszuheben, werde ich von einer systematischen Ontologie reden. Dann lautet unsere Frage: Ist nach den Kantischen Grundsätzen eine systematische Ontologie möglich? Da wir das System der Grundbegriffe, die Kategorientafel, als unbestritten gelten lassen wollen, so können wir die Frage auch dahin konkretisieren: Bilden die zusammengesetzten Begriffe ein vollständiges, abgeschlossenes und erschöpfend darstellbares System? Wir betrachten also die systematische Ontologie im Sinne der im vorhinein wiedergegebenen Definition aus den Fortschritten der Metaphysik. Sie wird von Kant an anderen Stellen auch als die Metaphysik der Natur bezeichnet (A 841, Β 869). Dagegen schwankt bei Kant die Bedeutung der physica rationalis. Diese systematische Ontologie hat den Grund sowohl zur Mathematik als auch zur Naturwissenschaft zu legen. Zu ihr gehören aus der Kritik der reinen Vernunft die transzendentale Ästhetik und die transzendentale Analytik, sodann die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft und das Opus postumum. Wir wollen also fragen, ob diese systematische Ontologie als eine systematische Wissenschaft überhaupt möglich sei und benutzen als Fingerzeig eine Bemerkung von Natorp. Natorp, Logische Grundlagen, S. 276. Nach diesem allen ist die Voranstellung der Zeit und des Raumes vor die Gesetze des Denkens des Gegenstandes im System der Kantischen Transzendental-Philoso-
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phie ein ernster Fehlgriff, verständlich und entschuldbar allenfalls nur im Sinne einer Vorwegnahme. In einem strengeren Systemaufbau hätten sie ihre Stelle wohl finden müssen in der Modalität, bei der Kategorie der Wirklichkeit; aber audi bei der Möglichkeit und der Notwendigkeit.
Auf der einen Seite kann doch nidit bezweifelt werden, daß die Heraushebung von Zeit und Raum als reine Anschauungen einen Grundsatz des Kantischen Systems darstellt, auf der anderen Seite wird man nicht die unendliche Arbeit bestreiten können, die die Marburger Schule an Kant unter besonderer Hervorhebung des Systematischen geleistet hat. Da erscheint es doch sehr merkwürdig» daß hier Zeit und Raum als eine besondere Störung im Systemaufbau empfunden wird. Und wenn dem wirklich so wäre? Wenn wirklich Raum und Zeit den Systemaufbau Kants gestört, vielleicht sogar zerstört hätten? Dann könnte es wirklich so sein, daß das Ziel Kants, das endgültige System der reinen Philosophie, durch seine eigene große Entdeckung, nämlich den Anschauungscharakter von Raum und Zeit, gesprengt worden ist. Versuchen wir, um dieser Frage näher zu kommen, auf Kants System und zwar in der Beschränkung auf die systematische Ontologie, Kants eigene Unterscheidungen anzuwenden. Wir fragen: Sind die Urteile der systematischen Ontologie analytische oder synthetische Urteile? Wir müssen zu diesem Zweck zwei terminologische Schwierigkeiten ausräumen; zunächst wird der Gegensatz analytisch-synthetisch in zwei Bedeutungen gebraucht. Wenn wir auf Lambert zurückgreifen, so ist dort der Aufbau klar. Lambert zergliedert die ihm vorkommenden Begriffe bis auf ihre Grundbegriffe - Analysis - und baut dann aus diesen Grundbegriffen die zusammengesetzten Begriffe zusammen - Synthesis. Diese Bedeutung wird von Kant ursprünglich angewandt und beständig durchgehalten. Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze, WW II, S. 290. Es ist noch lange die Zeit nidit, in der Metaphysik synthetisch zu verfahren; nur wenn die Analysis uns wird zu deutlich und ausführlich verstandenen Begriffen verholfen haben, wird die Synthesis den einfachsten Erkenntnissen die zusammengesetzten, wie in der Mathematik, unterordnen können.
In diesem Sinne heißt derjenige Teil der Kritik der reinen Vernunft, der durch Zergliederung des Verstandesvermögens das System der Grundbegriffe und Grundsätze darstellt, transzendentale Analytik, und derjenige Teil, der - in der Kritik noch fehlend - zur Vervollständigung des Systems aus den Grundbegriffen die abgeleiteten Begriffe und aus den Grundsätzen die Lehrsätze aufbaut, müßte Synthetik heißen. In ganz andere Richtung geht aber die neue Unterscheidung, die Kant selbst geschaffen hat. Dort heißt Analysis eine Wissenschaft,
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die sich nur auf den Satz des Widerspruchs gründet, und Synthesis eine Wissenschaft, die darüber hinausgeht. Auch in der Anwendung des Wortes Metaphysik ist eine gewisse Beweglichkeit festzustellen. Metaphysik heißt einmal das ganze System der Philosophie, so daß sie auch die systematische Ontologie mitumfaßt, zum anderen bleibt die volle Bedeutung erhalten, Metaphysik als eine Wissenschaft, die über die Grenzen der Erfahrung hinausgeht, mag sie nun positiv oder negativ gewertet werden. Daß die systematische Ontologie eine synthetische Wissenschaft in der eigentlich Kantischen Bedeutung des Wortes ist, daran kann kein Zweifel sein. Zunächst ist die reine Naturwissenschaft ein Teil dieser systematischen Ontologie, der synthetische Charakter aber der reinen Naturwissenschaft ist sowohl in den Prolegomena § 14 bis 38 als auch in Β 17 ausdrücklich festgestellt. Was enthält die reine Naturwissenschaft und damit die systematische Ontologie an tatsächlichen Erkenntnissen? Die Kritik (A 82, Β 108) nennt folgende zusammengesetzten Begriffe, die hierher gehören würden: Kraft, Handlung, Leiden, Gegenwart, Widerstand, Entstehen, Vergehen, Veränderung. In den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft werden ζ. B. das Parallelogramm der Kräfte und das Newtonsche Gesetz, daß die Schwerkraft umgekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung sei, a priori deduziert. Im Opus postumum will Kant noch weit speziellere Naturerscheinungen a priori ableiten. Nun soll die Philosophie, insbesondere also die systematische Ontologie, eine Wissenschaft aus reinen Begriffen sein. Aber wie soll dies möglich sein? Kann man das Parallelogramm der Kräfte oder das Newtonsche Gesetz aus reinen Begriffen deduzieren? Gehen nicht notwendig Anschauungen und zwar Zeit und Raum in solche Gesetze ein? Und gilt dasselbe nicht auch schon von Kraft, von Widerstand, von Veränderung? Wollte man nun umgekehrt mit einer Wissenschaft aus reinen Begriffen Ernst machen und alle Begriffe und Sätze der reinen Naturwissenschaft, in die anschauliche Momente eingehen, aus der systematischen Ontologie streichen, was bleibt dann noch übrig? Erwägt man diese Bedeutung von Raum und Zeit für die reine Naturwissenschaft, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß sie von Kant zu Recht als eine rein synthetische Wissenschaft bestimmt worden ist. Umgekehrt aber muß sie als ein Teil der Philosophie eine Wissenschaft aus reinen Begriffen sein. Dann müßten aber ihre Sätze analytische Sätze sein, und so wird sie von Kant auch tatsächlich bestimmt. Kant sagt nämlich ausdrücklich, die Kritik habe die synthetischen Grundlagen bereits gegeben, die Fertigstellung des Systems sei eine lediglich analytische Arbeit: A 13 f, Β 27 f.
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Daß diese Kritik nicht schon selbst Transzendental-Philosophie heißt, beruht lediglich darauf, daß sie, um ein vollständiges System zu sein, auch eine ausführliche Analysis der ganzen menschlichen Erkenntnis a priori enthalten müßte. Nun muß zwar unsere Kritik allerdings audi eine vollständige Herzählung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkenntnis ausmachen, vor Augen legen. Allein der ausführlichen Analysis dieser Begriffe selbst, wie auch der vollständigen Rezension der daraus abgeleiteten enthält sie sich billig, teils, weil diese Zergliederung nicht zweckmäßig wäre, indem sie die Bedenklichkeit nicht hat, welche bei der Synthesis angetroffen wird, um deren willen eigentlich die ganze Kritik da ist, teils, weil es der Einheit des Planes zuwider wäre, sich mit der Verantwortung der Vollständigkeit einer solchen Analysis und Ableitung zu befassen, deren man in Ansehung seiner Absicht doch überhoben sein konnte. Diese Vollständigkeit der Zergliederung sowohl, als der Ableitung aus den künftig zu liefernden Begriffen a priori, ist indessen leicht zu ergänzen, wenn sie nur allererst als ausführliche Prinzipien der Synthesis da sind, und in Ansehung dieser wesentlichen Absicht nichts ermangelt.
Man mag in diesem Absdinitt »Synthesis' beziehen, worauf man will, so ist doch unverkennbar, daß der synthetische Teil der Aufgabe im wesentlichen erledigt ist. Was fehlt, wird von Kant als Analysis und Ableitung bezeichnet. Kant vermeidet also die von uns aufgeworfene Schwierigkeit an sich dadurdi, daß er sehr vorsichtig Analysis und Ableitung sagt. Die Schwierigkeit liegt eben darin, daß die systematische Ontologie auf der einen Seite eine Wissenschaft aus reinen Begriffen sein soll, dann wären ihre Sätze analytisch, auf der anderen Seite sieht man nur allzu deutlich, daß die reinen Anschauungen - des Raumes und der Zeit - für sie unentbehrlich sind, und damit erweisen sich ihre Sätze als synthetisch. Wie wäre überhaupt ein solches System der abgeleiteten Begriffe möglich? Greifen wir noch einmal auf Lambert zurück, der in diesem Falle nur den Gedankengang von Leibniz weiterführt. Lambert setzt voraus, das System der Grundbegriffe sei gefunden, bzw. die uns bekannten Grundbegriffe seien ein Teil dieses Systems, dann kann man sämtliche Kombinationen durchführen: Ergibt sich bei der Zusammenstellung von Grundbegriffen ein Widerspruch, so scheidet ein soldier zusammengesetzter Begriff als unmöglich aus. Ist die Zusammensetzung widerspruchsfrei, so ist sie auch möglich und der so gebildete Begriff wirklich. In diesem Sinne wäre also die Wissenschaft der abgeleiteten Begriffe eine reine Kombinatorik, die lediglich auf den Satz des Widersprudis gegründet ist. Ähnliche Erwägungen dürften auch Kant geleitet haben, wenn er eine solche Wissenschaft als analytisch bezeichnet. Auf der andern Seite aber müssen die widerspruchsfreien Begriffe nadi Kant in leere und in erfüllte zerfallen. So wäre ein anderes Gravitationsgesetz etwa nadi der dritten Potenz durchaus widersprudis-
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frei denkbar. Da nun Kant das Newtonsche Gravitationsgesetz a priori ableitet, so scheidet eine Begründung durch empirische Momente aus, und die Auszeichnung der zweiten Potenz kann nur auf den reinen Anschauungen gegründet sein. Gilt dies für die gesamte systematische Ontologie, dann ist sie doch anschauungsbezogen und also synthetisch. Wie könnte die Methode einer systematischen Ontologie aussehen? Wir haben S. 83 ff. gesehen, daß Kant für die Herstellung dieses Systems der abgeleiteten Begriffe eine ars characteristica universalis fordert, ja, daß er sogar eine transzendentale Analysis und einen transzendentalen Algorithmus in den Kreis seiner Erwägungen gezogen hat. Aber damit wären rein mathematische Methoden in die Philosophie eingeführt und auch die Ontologie wäre auf eine symbolische Konstruktion angewiesen; und tatsächlich bestimmt auch Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, WW IV, S. 478. Idi habe in dieser Abhandlung die mathematische Methode, wenngleich nicht mit aller Strenge befolgt (wozu mehr Zeit erforderlich gewesen wäre, als ich darauf zu verwenden hätte), dennoch nachgeahmt, nicht um ihr durch ein Gepränge von Gründlichkeit besseren Eingang zu verschaffen, sondern weil ich glaube, daß ein solches System deren wohl fähig sei und diese Vollkommenheit auch mit der Zeit von geschickterer Hand wohl erlangen könne . . .
Hier spricht Kant also mit klaren Worten aus, daß die metaphysischen Gründe der Naturwissenschaft an sich mit rein mathematischen Methoden zu bearbeiten seien. Nun ist aber (B 109 f) ausdrücklich festgelegt, daß dieses Werk ein Teil des versprochenen Systems der reinen Vernunft sein soll. Dann müßte also tatsächlich das System der reinen Vernunft zum mindesten in der Ontologie mit rein mathematischen Methoden bearbeitet werden; wo bleibt aber dann der von Kant so nachdrücklich behauptete Unterschied zwischen der Philosophie und der Mathematik? Als dritter Charakter einer synthetischen Wissenschaft wird sich uns wenigstens in der Arithmetik die Erweiterungsfähigkeit ins Unbeschränkte ergeben. Auch bei diesem Gesichtspunkt treten bei der systematischen Ontologie Schwierigkeiten auf. Die Bezeichnung .erweiternd' könnte bei Kant einen dreifachen Sinn haben: 1. Eine Erkenntnis ist dann erweiternd, wenn sie nicht aus tautologischen Sätzen besteht, sondern zu einem wirklichen Zuwachs von Wissen führt. 2. Ein solcher Zuwachs könnte aber unbeschränkt sein, dann würde eine Wissenschaft im eigentlichen Sinne sich erweiternd nennen, wie etwa die Arithmetik. 3. Eine Wissenschaft ist auch dann erweiternd, wenn sie ihre Erkenntnisse über die Grenzen der möglichen Erfahrung hinaus erweitert. Wir haben uns auf die Ontologie beschränkt und brauchen daher die dritte Be-
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deutung nicht zu berücksichtigen. Es ist lediglich die Frage, ob die Ontologie auf eine beschränkte Anzahl von Erkenntnissen führt oder ob sie eine sich ins Unbeschränkte erweiternde Wissenschaft ist. Das erste folgt aus allem, was Kant in der Kritik der reinen Vernunft über die Möglichkeit eines vollständigen Systems sagt, wie sich auch an anderen Stellen bestimmte Erklärungen finden; neben den Fortschritten der Metaphysik S. 98, beispielsweise die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (WW IV, S. 473): daß in allem, was Metaphysik heißt, die absolute Vollständigkeit der Wissenschaften gehofft werden kann . . also auch hier die Vollständigkeit der Metaphysik der körperlichen Natur zuversichtlich erwartet werden kann. Auf der anderen Seite bestimmt Kant, woran übrigens sachlich kein Zweifel sein kann, die systematische Ontologie als eine wirkliche Erweiterung unserer Erkenntnisse. Über die Fortschritte der Metaphysik S. 87. Erweiterung der Erkenntnis a priori, audi außer der Mathematik durch bloße Begriffe, und daß sie Wahrheit enthalte, beweiset sich durch die Übereinstimmung solcher Urteile und Grundsätze mit der Erfahrung. S. 88. Denn, was die Vernunft als Erweiterung a priori von ihrer Erkenntnis der Gegenstände möglicher Erfahrung in der Mathematik sowohl als in der Ontologie sagt, das sind wirkliche Schritte, die vorwärts gehen und wodurch sie Feld zu gewinnen sicher ist.
Gibt man also zu, daß die Ontologie eine sich erweiternde Wissenschaft ist, und soll auf der anderen Seite doch von ihr eine Vollständigkeit zuversichtlich erwartet werden können, dann müßte also irgendwo eine Grenze existieren, bis zu der die Ontologie als eine apriorische Wissenschaft möglich ist und durch deren Erreichung sie zugleich ihren endgültigen Absdiluß erfährt. Nirgends aber bei Kant findet sich auch nur die Andeutung einer solchen Grenze oder auch nur ein Hinweis darauf, wie eine solche Grenze aussehen könnte. Kraft, Widerstand, Entstehen, Vergehen, Veränderung sollen Begriffe sein, die in die apriorisdie Ontologie gehören. Warum dann nicht auch Schmelzen und Gefrieren, warum nicht Sich-Kristallisieren und Sich-Auflösen; wo soll da eine Grenze der Erweiterung sein? Nicht anders steht es mit den Gesetzen. Das Parallelogramm der Kräfte und das Newtonsche Gravitationsgesetz sollen als ein Teil der systematischen Ontologie a priori deduziert werden können. Warum soll dann ein Gesetz, das den Zusammenhang zwischen Drudk und Temperatur regelt, nicht mehr apriorisch sein? Wo soll hier die Grenze liegen? Man kann an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß hier der schrankenlose Apriorismus der deutschen Idealisten seinen Ursprung hat. Auf der einen Seite hat nun freilich Kant diesen Schritt zum schrankenlosen Apriorismus nicht mehr wirklich
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vollzogen, auf der anderen Seite haben die deutschen Idealisten sich den Weg hierzu erst durch den Verzicht auf die Bedeutung der reinen Anschauungen frei gemacht. Daher liegt der Schluß nahe, daß die Sonderbedeutung der reinen Anschauung mit dem Gedanken eines abgeschlossenen Systems unverträglich sei. Die Schwierigkeiten entspringen besonders aus dem von Kant stets festgehaltenen Unterschied zwischen Philosophie und Mathematik; man vergleiche etwa A 713, Β 741: Die philosophische Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus Begriffen, die mathematische aus der Konstruktion der Begriffe. Ebenso heißt es in den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, WWIV,S. 469: Reine Vernunftserkenntnis aus bloßen Begriffen heißt reine Philosophie oder Metaphysik; dagegen wird die, welche nur auf der Konstruktion der Begriffe vermittels Darstellung des Gegenstandes in einer Anschauung a priori ihre Erkenntnis gründet, Mathematik genannt.
Wie die systematische Ontologie als Metaphysik der Natur in dieser Unterscheidung untergebracht werden soll, ist auf keine Weise abzusehen. Man könnte ja zu der Unterscheidung greifen, daß audi die Metaphysik der Natur die reinen Anschauungen, soweit sie für diese Disziplin bedeutungsvoll sind, nur nach bloßen Begriffen behandelt. Aber audi eine solche Unterscheidung hat sich Kant durdi die ausdrückliche Erklärung abgeschnitten, daß die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft an sich nadi rein mathematischer Methode abgehandelt werden müßten. Aber die Metaphysik der Natur ist nidit die einzige Disziplin, deren Stellung im System Schwierigkeiten macht. So ist ζ. B. die Frage nicht ganz leicht zu beantworten, an welcher Stelle im System die analytischen Grundsätze erschöpfend darzustellen seien. Die größte Schwierigkeit aber bietet die Zeit selbst. Gibt es überhaupt eine apriorische Wissenschaft von der Zeit? Beim Raum scheint das Problem einfadi zu sein; die Geometrie ist die apriorische Wissenschaft vom Räume. Trotzdem taucht auch hier die Schwierigkeit auf, daß die Geometrie (die Lehre von einem bestimmten Quantum) audi von Kant bereits als ein Spezialfall der allgemeinen Mathesis (als der Lehre von der Quantitas) betrachtet wird. Dann liegt also der Geometrie noch eine ganz andere Wissenschaft, nämlich die reine Mathesis zu Grunde. Bei der Zeit beständen drei Möglichkeiten: 1. Es gibt eine besondere apriorische Wissenschaft von der Zeit. 2. Die allgemeine Mathesis, also die Arithmetik, die Algebra und die rein arithmetisch begründete Analysis, ist die Lehre von der Zeit. 3. Die reine Bewegungslehre ist die Lehre von der Zeit.
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Für eine selbständige Wissenschaft von der Zeit findet sich bei Kant kein Anhalt. Daß in der transzendentalen Ästhetik nicht auf die Arithmetik als die Lehre von der Zeit Bezug genommen wird, haben wir bereits gesehen. Dagegen ist in der 2. Auflage eine Bemerkung mit eingeschoben, die in sehr vorsichtiger Weise einen Zusammenhang zwischen der Zeit und der allgemeinen Bewegungslehre festlegt (B 49): Also erklärt unser Zeitbegriff die Möglichkeit so vieler synthetischer Erkenntnisse a priori, als die allgemeine Bewegungslehre, die nicht wenig fruchtbar ist, darlegt. Diese Bemerkung findet sich in genau gleicher Weise in bezug auf die Geometrie (B 41): Also macht allein unsere Erklärung die Möglichkeit der Geometrie als einer synthetischen Erkenntnis a priori begreiflich. Nun kann aber die allgemeine Bewegungslehre unmöglich die reine Wissenschaft von der Zeit sein, da in diese Wissenschaft räumliche Bestimmungen ständig eingehen. Diese Schwierigkeit macht sich auch bei den Kantschülern bemerkbar. Wie man bei der Betrachtung der Geometrie sehen kann, lehnt Schultz eine besondere Wissenschaft von der Zeit ab. Die Wissenschaft von der Zeit sei mit der Geometrie der geraden Linie identisch und verdiene daher wegen ihres geringen Umfanges nicht, als eine besondere Wissenschaft behandelt zu werden. Kiesewetter dagegen bleibt dem Kantischen Ansatz getreu und fordert eine eigene Wissenschaft von der Zeit, ohne sie verwirklichen zu können. Man kann alle diese Schwierigkeiten, die die reinen Anschauungen der Fertigstellung eines Systems bieten, zusammenfassen, wenn man die Anweisung betrachtet, die Kant selbst für eine solche Fertigstellung gibt (A 82, Β 108). Die Kategorien, mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder audi untereinander verbunden, geben eine große Menge abgeleiteter Begriffe a priori, die zu bemerken, und wo möglich, bis zur Vollständigkeit zu verzeichnen, eine nützliche und nicht unangenehme, hier aber entbehrliche Bemühung sein würde.
Man muß die Frage, ob nach dieser Anweisung eine vollständige Tafel der apriorischen Begriffe aufzustellen sei, mit einem glatten Nein beantworten. Es ist immerhin bemerkenswert, daß Kant an dieser Stelle ein solches Ergebnis durch das eingeschobene „wo möglich" mit einem deutlichen Fragezeichen versieht, während er an anderen Stellen die erreichbare Vollständigkeit außer jeden Zweifel setzt. Es wäre freilich leicht, nach dieser Anweisung zunächst einmal die reinen Begriffe, also die Kategorien untereinander zu verbinden, eine Vollständigkeit der abgeleiteten Begriffe wäre allerdings hier nur dann zu erwarten, wenn die Zusammensetzung der Höhe nach begrenzt wird. Man müßte etwa festsetzen, daß kein zusammengesetzter Begriff mehr als zwölf Teile enthalten darf. Fehlt dagegen eine solche Schranke, so geht die Zusammen-
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Setzung und damit auch die Zahl der abgeleiteten Begriffe selbst ins £ndlose. Gänzlich unlösbar ist aber der andere Teil der Aufgabe, zu einer vollständigen Tafel der apriorischen Begriffe dadurch zu kommen, daß man die Kategorien mit den Modi der reinen Sinnlichkeit verbindet. Man sieht ohne weiteres, daß zur Vollständigkeit nicht nur die Kategorien, sondern auch die Modi der reinen Sinnlichkeit nur in endlicher, wohl bestimmter Anzahl gegeben sein dürfen. Bei den Kategorien trifft dies nach Kant zu; es gibt genau zwölf. Aber bei den Modi der reinen Sinnlichkeit ist doch nach Kant selbst an eine solche systematische Aufzählung gar nicht zu denken; vielmehr besteht gerade der Kantische Ansatz darin, daß die reine Sinnlichkeit von uns Menschen schlechthin hingenommen werden muß. Wir wissen nicht einmal, warum wir Mensdien nur zwei reine Anschauungen und warum wir diese Anschauungen haben. Daher hat Kant eine Aufzählung der Modi der reinen Sinnlichkeit in endlicher wohlbestimmter Anzahl nicht nur nicht gegeben, sondern eine solche Darstellung ist in sich unmöglich. Denn wenn selbst gewisse Modi der reinen Sinnlichkeit aufgezählt werden, so könnte, da nach Kant eine Ableitung der reinen Sinnlichkeit unmöglich ist, niemals der Beweis geführt werden, daß diese Aufzählung vollständig sei. Wir kommen also zu dem Schluß, daß der Anteil, den die reinen Anschauungen zu dem System der reinen Vernunft beitragen, keiner abschließenden Bestimmung fähig ist. Damit wird aber auch der Gedanke eines solchen Systems als eines vollständigen und zu einer endgültigen Fertigstellung zu bringenden Gebäudes gesprengt. Und so erweist sich nicht nur die Bemerkung von Natorp als richtig: Die Eigenstellung der reinen Anschauungen ist tatsächlich mit dem Gedanken eines abgeschlossenen Systems unverträglich; die soeben behandelten Schwierigkeiten fließen auch alle aus derselben Quelle. Die reinen Anschauungen, insbesondere aber die Zeit, zeigen sich als ständige Störungen des Systems. Und vielleicht liegt gerade die Größe Kants darin, daß er nicht diese Probleme vergewaltigt und darauf ein abgeschlossenes System errichtet hat, sondern daß er diese Fragen soweit getrieben hat, wie irgend möglich war, und daß er sie dort mit allen Fragezeichen hat stehen lassen.
KAPITEL V I
Das synthetische Urteil in der Arithmetik Wenn in diesem Kapitel der Beginn mit einigen Interpretationen gemacht wird, so muß man freilich beachten, daß wirklich eindringende Interpretationen nur dann möglich sind, wenn man auch über die Arithmetik verfügen kann. Die vorliegende Arbeit wird sich daher audi in diesen Fragen darauf beschränken, Material beizubringen.
A. Die natürlichen Zahlen 1.
Belegstellen
Kant handelt von der Zahl an verschiedenen Stellen der Kritik der reinen Vernunft. Dies hat zu Schwierigkeiten und Irrtümern Anlaß gegeben. In der Dissertation bereits war die Zahl in den der transzendentalen Ästhetik entsprechenden Kapiteln erwähnt worden (WW II, S. 397): Accedit hisce conceptus qüidam, in se quidem intellectualis, sed cuius tarnen actuatio in concreto exigit opitulantes notiones temporis et spatii (successive addendo plura et iuxta se simul ponendo), qui est conceptus numeri, quem tractat arithmetica.
Die transzendentale Ästhetik handelt nicht von der Zahl, obwohl dies immer wieder behauptet wird (Vaihinger II, S. 387, O. Becker, Mathematische Existenz, S. 654). Die maßgeblichen Erörterungen Kants finden sich jedoch an drei Stellen der Kritik: Im § 10 der Erörterungen zur Kategorientafel innerhalb der Lehre von den reinen Verstandesbegriffen, in der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe und innerhalb der Analytik der Grundsätze im Schematismuskapitel. Bei der Lehre von den reinen Verstandesbegriffen kommt Kant zweimal auf die Zahl zu sprechen (A 78, Β 104): Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige, welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht: so ist unser Zählen (vornehmlich ist es in
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größeren Zahlen merklicher) eine Synthesis nach Begriffen, weil sie nach einem gemeinschaftlichen Grunde der Einheit geschieht (ζ. E. der Dekadik). An diesen § 10 sind zur weiteren Erläuterung in der zweiten Auflage die Paragraphen 11 und 12 angefügt. Dort sagt Kant in Β 111: So ist die Allheit (Totalität) nichts anderes als die Vielheit als Einheit betrachtet... So ist der Begriff einer Zahl (die zur Kategorie der Allheit gehört) nicht immer möglich, wo die Begriffe der Menge und der Einheit sind (ζ. B. in der Vorstellung des Unendlichen). In der transzendentalen Deduktion erläutert Kant an der Zahl die Stufen der Synthesis. Wir werden diese nur an in der ersten Auflage befindlichen Stellen im folgenden näher betrachten. Eine ausdrückliche Darstellung der Zahl bringt dann das Schematismuskapitel in A 142 f, Β 182 und in A 146, Β 185 f: Das reine Bild aller Größen (quantorum) vor dem äußeren Sinne ist der Raum; aller Gegenstände der Sinne aber überhaupt die Zeit. Das reine Sdiema der Größe aber (quantitatis), als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anderes als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge. Und die zweite Stelle: Es fällt aber dodi auch in die Augen: daß, obgleich die Sdiemate der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl auch restringieren, d. i. auf Bedingungen einschränken, die außer dem Verstände liegen (nämlich in der Sinnlichkeit). Daher ist das Schema eigentlich nur das Phänomenon oder der sinnliche Begriff eines Gegenstandes in Obereinstimmung mit der Kategorie (numerus est quantitas phaenomenon, sensatio ...). Wünscht man bei einer so vielschichtigen Erscheinung wie der Zahl überhaupt eine geschlossene Definition, so kann man als die entscheidende Kantische Definition am ehesten diese annehmen: Numerus est quantitas phaenomenon. Auf die Zahl greift noch einmal die Kritik der Urteilskraft zurück (WW V, S. 253 f), ohne daß dort wesentlich Neues gesagt würde. Die dort von Erdmann vorgeschlagenen Korrekturen sind schwerlich eine Verbesserung des Textes.
2. Die Probleme Bei Erörterung dieser Fragen hat man Kant immer wieder Dunkelheit und Unbestimmtheit vorgeworfen. Schon die im Jahre 1793 erschienene erste Dissertation beklagt sich über diese Schwierigkeiten.
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Schultz, De judiciis anal, et synth. 1793, S. 18. Qualis est nostra numeri repraesentatio? Estne intuitus? an conceptus?
Auch Michaelis in seiner Arbeit über Kants Zahlbegriff beklagt sich über ein Hin- und Herschwanken. Er meint, in den an die Kategorientafel sich anschließenden Stellen habe Kant „den Begriff der Zahl ganz aus der Sphäre der Sinnlichkeit hinaus in das Reich des Verstandes" verwiesen. Dagegen beziehe die Erörterung im Sdiematismuskapitel den Begriff der Zahl untrennbar auf die Zeitanschauung. Zwischen diesen beiden Erörterungen sieht Michaelis einen unauflösbaren Gegensatz. Die Gegensätze sind wohl nicht so stark wie Michaelis sie gefunden hat. Darüber hinaus ist „die Zahl" ein so schwieriger Begriff, daß im Gegenteil jede glatte Lösung von vornherein Verdacht erwecken muß. Welches sind nun überhaupt die Grundfragen, an deren Lösung eine Untersuchung über die Zahl zu arbeiten hat? Zunächst wird von der einen Seite behauptet, die Begriffe der Mathematik, insbesondere aber die Zahlen, seien an sich existierende Begriffe und die mathematischen Sätze an sich existierende ewige Wahrheiten. Diese Behauptung wird von der andern Seite bestritten. Diese Seite will keine Mathematik gelten lassen, die unabhängig vom Menschen existiere. Zu dieser Grundfrage kommt dann die weitere Frage, die nur unter den Kantischen Voraussetzungen einen Sinn hat: Ist die Zahl ein reiner Begriff oder eine Anschauung. Zwei weitere Fragen sind im 19. Jahrhundert klarer herausgearbeitet worden, sie betreffen die Arithmetisierung und die Logisierung der Zahl. Um die erste Frage zunächst noch etwas auszuführen, so kleidet man die beiden Möglichkeiten häufig in die Frage: Werden neue mathematische Sätze entdeckt oder erfunden? Ich ziehe kurz Bolzano heran. Bolzano setzt Vorstellungen an sich an, die unabhängig davon existieren, ob sie von irgendeinem Menschen vorgestellt werden. Bolzano, Wissenschaftslehre, I, § 19. Was der Verfasser unter einem Satze an sich verstehe? . . . unter einem Satze an sich verstehe idi nur irgendeine Aussage, daß etwas ist oder nicht ist; gleichviel, ob diese Aussage wahr oder falsdi ist; ob sie von irgend jemand in Worte gefaßt oder nicht gefaßt, ja audi im Geiste gedacht oder nicht gedacht worden ist.
Obwohl es also keineswegs zur Bestimmung einer Wahrheit an sich gehört, werden weiterhin nach Bolzano wegen Gottes Allwissenheit alle Vorstellungen und Wahrheiten an sich, insbesondere also alle mathematischen Begriffe und Urteile, beständig von Gott vorgestellt und gedacht. Mit diesem Ansatz hat nun Bolzano zweifellos auch den eigentlichen Kern der Leibnizschen Theorie gefaßt. Auch für Leibniz sind die mathematischen Urteile veritates aeternae, die insbe-
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sondere von Gott beständig gewußt werden. Dieser Ansatz ist für Leibniz so selbstverständlich, daß er sogar von einer mathesis divina spricht (Leibniz, Phil. VII, S. 304): Ex his iam mirifice intelligitur, quomodo in ipsa originatione rerum mathesis quaedam divina seu mechanismus metaphysicus exerceatur, et maximi determinatio habeat locum.
Man sieht schon hier, daß sich Kant schwerlich an Leibniz anschließen wird. Für Kant ist ja der Unterschied zwischen einem unendlichen und dem endlichen Verstand des Menschen so unüberbrückbar groß, daß schwerlich zu erwarten ist, es könnten beide dieselbe Mathematik haben.
3. Der Aufbau der Zahl bei Kant
Wir setzen zunächst bei der transzendentalen Deduktion der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft an, wo Kant die Begriffe der Zeit, der geraden Linie und der Zahl als Beispiele für die drei subjektiven Erkenntnisquellen benutzt. Kant unterscheidet die Synthesis der Apprehension in der Anschauung, die Synthesis der Reproduktion in der Einbildung und die Synthesis der Rekognition im Begriffe (A 102): Nun ist offenbar, daß, wenn ich eine Linie in Gedanken ziehe, oder die Zeit von einem Mittag zum andern denken, oder audi nur eine gewisse Zahl mir vorstellen will, ich erstlich notwendig eine dieser mannigfaltigen Vorstellungen nach der anderen in Gedanken fassen müsse. Würde ich aber die vorhergehende (die ersten Teile der Linie, die vorhergehenden Teile der Zeit oder die nach einander vorgestellten Einheiten) immer aus den Gedanken verlieren und sie nicht reproduzieren, indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde niemals eine ganze Vorstellung.. ja gar nidit einmal die reinsten und ersten Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können.
Dieser Gedankengang wird bei der „Synthesis der Rekognition im Begriffe" in folgender Weise fortgeführt (A 103): Vergesse ich im Zählen: daß die Einheiten, die mir jetzt vor Sinnen schweben, nadi und nach zu einander von mir hinzugetan worden sind, so würde ich die Erzeugung der Menge durch diese sukzessive Hinzutuung von Einem zu Einem, mithin audi nicht die Zahl erkennen; denn dieser Begriff besteht lediglich in dem Bewußtsein dieser Einheit der Synthesis... Denn dieses eine Bewußtsein ist es, was das Mannigfaltige, nach und nach Angeschaute, und dann auch Reproduzierte, in eine Vorstellung vereinigt.
Ich gebe zunächst ein ganz einfaches Beispiel der Zahlbildung. Wenn die Fuhrleute einen Wagen voll von in Säcken befindlichen Kartoffeln abladen wollen, so
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pflegen sie an einem Stein am Hauseingang jeden hineingetragenen Sack mit einem Kreidestrich zu bezeichnen. Jeder fünfte Sack wird aber nicht mit einem neuen senkrechten, sondern mit einem Querstrich bezeichnet, so daß es so aussieht:
MI Dann sehen dreiundzwanzig Säcke so aus:
Mi
w
w
mr in
In diesem einfachen Zählverfahren fallen die von Kant aufgezeigten drei Stufen des Zählens auf das deutlichste auseinander. Zunächst wird die Mannigfaltigkeit der Säcke nach und nach - Stück für Stück beim Hineintragen - angeschaut. Da der Mann nicht im Kopfe zählen will und es bei seiner Arbeit audi gar nicht kann, bezeichnet er jeden einzelnen Sack mit einem Strich. Die weitere Zählung kann sich nun an die Striche halten. Das zweite Erfordernis für ein Zählen ist, daß die jetzt statt der Säcke zu zählenden Kreidestriche in einer Reihe angebracht werden. Würde der Fuhrmann den jeweiligen Strich einmal hier, einmal dort anbringen, dann wäre er hinterher so klug wie vorher. In gewissem Sinne könnte nun eine fortlaufende Reihe von Kreidestrichen schon eine Zahl darstellen. Kronecker, Über den Zahlbegriff, S. 266. Sind aber Wiederholungen gestattet, so genügt schon ein einziges Zeichen, um jede Zahl auszudrücken, nämlich so, daß das eine Zeidien so oft wiederholt wird, als die Zahl angibt.
Aber schon für den Fuhrmann ist diese Art des Zählens unzweckmäßig; er führt vielmehr die eigentliche Begrifflichkeit der Zahl dadurch ein, daß er durch den fünften als Querstrich geführten Stridi sidi ein pentadisdies System schafft. Für die von Fuhrleuten benötigten Zahlen kommt er hiermit aus, da man eine Übersicht wohl bis an die Zahl 50 behält. Würden die Fuhrleute größere Zahlen benötigen, so hätten sie sich wahrscheinlich durch eine erneute Zusammenfassung von etwa fünf Fünfergruppen eine erneute Einheit geschaffen. Damit ist auch zugleich die Kantisdie Gliederung deutlich gemacht. Zählen bedeutet ein Mannigfaltiges Stück für Stück durchgehen, es - beim Zählen durch die Ordnung in einer Reihe - reproduzierbar machen und dies Reproduzierbare durch einen Begriff zu einer einheitlichen Vorstellung zusammenzufassen. Schon hier hat Kant verschiedenes festgelegt. Zunächst wird beim Zählen stets ein Mannigfaltiges durchgezählt. Dieses werden im Anfang stets irgendwie be-
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Das synthetische Urteil in der Arithmetik
nötigte Dinge sein. Später kann sich das Zählen dann wohl frei machen, kann dann audi Zeichen, ja selbst Begriffe zählen und kann zuletzt, um ganz bei sich zu bleiben, Zahlzeichen oder Zahlbegriffe zählen. Die Aufgliederung des Erkenntnisvermögens in Sinn, Einbildungskraft und Apperzeption bezweckt bei Kant eine Gliederung des Zählens in „durchgehen" (das Mannigfaltige der Anschauung), in „Zusammennehmen" zu einer reproduzierbaren Reihe und ein „Zusammenfassen" in die Einheit des Begriffs. Diese Aufgliederung findet sich keineswegs nur in der transzendentalen Deduktion der ersten Auflage, sondern wird von Kant ständig durchgehalten, wie beispielsweise A 77, Β 102 zeigt: Allein die Spontaneität unseres Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen.
Demgemäß bestimmt das Schematismuskapitel in A 142 f, Β 182: Also ist die Zahl nidits anderes, als die „Einheit" der „Synthesis" des „Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt".
Auch die Urteilskraft (WW V, S. 253 f) unterscheidet das Zusammensetzen der Einbildungskraft von der Zusammenfassung im Begriff, sei es in der Dekadik, sei es in der Tetraktik. Demgemäß ergeben sich die Teilfragen. Daß zunächst die Zahl nach Kant stets ein Zählbares voraussetzt, wird von Schultz mit aller Deutlichkeit unterstrichen. Schultz, Anfangsgründe, S. 55 Anm. 1, Zur Definition der ganzen Zahl: Daß man auf keinem anderen Wege als auf dem in der 22. Erklärung angezeigten, nämlich bloß durch Vergleidiung eines Quanti mit einem andern gleichartigen, das man ein oder mehrere male nimmt, zum Begriffe einer ganzen Zahl kommen kann, ist für sich klar. Denn Zählen, ohne Dinge zu denken, die man zählt, ist offenbar ungereimt, und wir kommen also zum Begriffe sowohl der Zahl 1 als aller übrigen ganzen Zahlen bloß auf folgende A r t . . .
Im Zählen ist nun weiterhin die Bildung einer reproduzierbaren Reihe enthalten. Es scheint so, als ob hier der Ansatz der Mengenlehre läge und als ob die Mengenlehre die Zahlen als reproduzierbare d. h. aber vergleichbare Reihen auffaßt, um so den grundlegenden Begriff der Äquivalenz zu gewinnen. Für Kant gibt die Apperzeption die eigentliche Begrifflichkeit der Zahl, die ihren Niederschlag in der Dekadik findet, wobei an sich jede Zahl als Grundzahl des Systems auftreten kann. Die Probleme der Dekadik sind im 17. und 18. Jahrhundert vielfältig diskutiert worden. Man hat schon früh gesehen, daß an sich die Grundzahl des Zahlensystems beliebig ist. Diese Tatsache gewinnt eine be-
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sondere Bedeutung durch das an ihnen hängende Einmaleins. Die mit den Grundzahlen des Systems - also im dekadischen System die Ziffern 1 bis 9 — auszuführenden Grundoperationen können nämlich nicht ausgerechnet werden, sondern müssen anschaulich gewonnen und als das sogenannte Einmaleins auswendig gelernt werden. Newton hat diese Tatsache zu Beginn seiner Arithmetica universalis ausdrücklich festgehalten. Newton, Arithmetica universalis 1761. S. 12. De additione: Numerorum, ubi non sunt admodum compositi, additio per se manifesta est. Sic quod 7 plus 9 seu 7+9 faciunt 16, et quod 11 + 15 faciunt 26 prima fronte patet. S. 20. De multiplicatione: Numeri, qui ex multiplicatione duorum quorumvis numerorum non majorum quam 9 oriuntur, memoriter addiscendi sunt. Leibniz erkannte, daß in diesem prima fronte patet ein schwieriges Problem verborgen liege. Er sah auch wohl als erster, daß es in einem dyadischen System kein Einmaleins gibt und glaubte deshalb, durch die Ausbildung des dyadischen Systems alle hier wurzelnden Schwierigkeiten überwinden zu können. Leibniz, Mss. Phil. VII Β III 24; Couturat, La Logique de Leibniz, S. 88. . . . perfectior est characteristica numerorum bimalis quam decimalis vel alia quaecunque, quia in bimali ex diaracteribus omnia demonstrari possunt quae de numeris asseruntur, in decimali vero non item. Wolff, Anfangsgründe, § 38. . . . der vortreffliche Leibniz hat auch eine Arithmeticam binariam oder dyadicam erfunden, welche nicht über zwei zähle und den Gelehrten die verborgenen Eigenschaften der Zahlen zu untersuchen dienen kann, indem sie dieselben in ihre ersten Elemente 0 und 1 auflösen. Besonders ausführlich geht Lambert in seiner Architektonik auf die Fragen des Zahlengebäudes ein. Auch er weist auf die besondere Bedeutung des dyadischen Systems bei Leibniz hin. Lambert hat auch bereits darauf hingewiesen, daß es Eigenschaften der Zahlen gibt, die unabhängig vom Zahlensystem sind, ζ. B. die Eigenschaft einer Zahl, Primzahl zu sein. Wenn Kant zur Kennzeichnung der Einheit der Apperzeption im Begriffe auch bei den Zahlen sehr vorsichtige und umfassende Formulierungen verwendet, so wird man hierin wohl sein Bestreben sehen können, neben solchen arithmetischen Begriffen wie der Grundzahl des dekadischen Systems auch andere Begriffe wie etwa Primzahl zuzulassen. Hierbei sieht man nun weiterhin, daß die dekadischen Zahlen keineswegs homogen sind. Sie zerfallen nämlich in drei Gruppen: Zunächst nimmt die Eins eine Sonderstellung ein, da auf die Eins der von Kant aufgezeichnete dreigliedrige Prozeß des Zählens unanwendbar ist. Bei der Eins gibt es weder ein Mannigfaltiges der Anschauung, geschweige denn ein Zusammennehmen durch die Einbil-
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dungskraft oder ein Zusammenfassen durch die Apperzeption. Dann kommen als zweite Gruppe die kleinen Zahlen, mögen sie nun bis 5, bis 10 oder bis 15 gehen, Zahlen also, die einer schlichten anschaulichen Darstellung etwa an den Fingern fähig sind. Als dritte Gruppe kommen die großen Zahlen, die nur noch in einem Zahlensystem symbolisch konstruierbar sind. Die Zahl 2351 ist nur noch durch Zahlzeichen zu geben. Hier setzen dann die Probleme der symbolischen Konstruktion ein, die nach Kant das charakteristische Merkmal der Arithmetik ist. Von der Darstellung im Schematismuskapital begnügen wir uns festzuhalten, daß hier Kant in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu Leibniz steht. Der von Kant unternommene Versuch, Aufgaben und Bedeutung eines Schemas für die Gesamtleitung des Denkens festzustellen, mag dunkel oder hell sein; jedenfalls steht fest, daß damit die Zahl an die Zeit, also an eine Form des endlichen Verstandes des Menschen gebunden ist, und es steht fest, daß die Zahl eine Erscheinung ist. Demgemäß fällt die Mathematik, insbesondere aber die Zahl in ihrer Ganzheit, dem endlichen Verstände zu, und damit unter die Bestimmung von Β 145: Denn wollte ich mir einen Verstand denken, der selbst anschaute (wie etwa einen göttlichen . . . ) , so würden die Kategorien in Ansehung eines solchen Erkenntnisses gar keine Bedeutung haben. Sie sind nur Regeln für einen Verstand, dessen ganzes Vermögen im Denken besteht.
Diese Bestimmung wird kurz darauf noch einmal ausdrücklich für die Mathematik gegeben (B 147): Folglich sind alle mathematischen Begriffe für sich nicht Erkenntnisse; außer, sofern man voraussetzt, daß es Dinge gibt, die sich nur der Form jener reinen sinnlichen Anschauung gemäß uns darstellen lassen.
4. Die Arithmetisierung
der Zahl
Unter der Arithmetisierung der Mathematik versteht L. Kronecker in seinem Aufsatz über den Zahlbegriff (S. 265) die Begründung der gesamten Mathematik aus dem Zahlbegriff. Eine solche Arithmetisierung der Mathematik setzt natürlich voraus, daß zunächst der reine Begriff der Zahl gefaßt wird, abgelöst von allen Anwendungen, insbesondere von den geometrischen Bedeutungen, in denen bestimmte Zahlklassen zuerst aufgetreten sein mögen. Es ist ja bekannt, daß die Griechen die irrationale Zahl vorwiegend als geometrisches Problem sahen. Sie war ja auch in der Diagonale des Quadrats zuerst aufgetreten und bot darüber
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hinaus einer arithmetischen Erfassung erheblichen Widerstand. Wir haben oben Seite 72 gesehen, daß noch Wolff die irrationale Zahl rein geometrisch bestimmt, nämlich als das Verhältnis einer geraden Linie zu einer anderen. Diese Probleme zerfielen für das 17. und 18. Jahrhundert noch in zwei verschiedene Teilaufgaben. Auf der einen Seite war die irrationale Zahl von der geometrischen Anwendung zu trennen, auf der andern Seite von der Differential- und Integralrechnung, die ebenso wie die Irrationalzahl ursprünglich rein geometrisch gefunden wurden. Erst die Lösung im Limesbegriff brachte den Zusammenhang. Den Gedanken einer rein arithmetischen Begründung der Differential- und Integralrechnung hat als erster wohl Euler erwogen. Wie wenig dagegen diese Notwendigkeit in das allgemeine Bewußtsein der Mathematiker gedrungen war, zeigen die damaligen Lehrbücher. Ich nenne beispielsweise Kästner, Anfangsgründe 1782, S. 5. Alle diese zur Analysis gehörigen Wissenschaften (Algebra, Differential- und Integralrechnung) sind eigentlich große Kapitel der Arithmetik oder der Geometrie oder einer Wissenschaft, die aus beiden zusammengesetzt ist.
Schultz dagegen ist sich völlig klar darüber, daß die Arithmetik besonders aber die Irrationalzahl und die Infinitesimalrechnung von allem geometrischen Beiwerk gelöst werden muß. Demgemäß definiert er die Irrationalzahl - im Gegensatz zu Wolff - ohne jeden Bezug auf die Geometrie und erhebt die gleiche Forderung für die Infinitesimalrechnung. Schultz, Anfangsgründe 1790. S. 47. Wenn zwei gleichartige Größen a und b sich durch irgendein gemeinschaftliches Maß c erzeugen lassen; so heißen sie kommensurable Größen oder Rationalgrößen. Lassen sie sich dagegen durch kein gemeinschaftliches Maß, das man von ihnen annehmen mag, erzeugen; so heißen sie inkommensurable Größen oder Irrationalgrößen. S. 2. Derjenige Teil der reinen Mathesis, der allgemein die möglichen Verknüpfungen des Gleichartigen untersucht, durch welche ein Quantum überhaupt erzeugt werden kann, folglich von der verschiedenen Qualität der Quantorum gänzlich abstrahiert, heißt die allgemeine Größenlehre (mathesis universalis). Derjenige hingegen, welcher quanta von gegebener Qualität zum Objekt hat, die besondere (mathesis specialis); jene ist also die Grundlage sowohl von dieser als der ganzen angewandten Mathesis. S. 10. Da die Algebra nebst der Differential- und Integralrechnung nichts anderes als höhere Arithmetik ist, folglich lediglich zur allgemeinen Mathesis gehört, so müssen diese drei Wissenschaften ebensowohl als die gemeine Arithmetik von der besonderen Mathesis ganz abgetrennt behandelt werden, und es ist also eine [Αετάβασις είς άλλο γένος, wenn man die Beweise ihrer Sätze aus der Geometrie oder Trigonometrie hernimmt. Oberhaupt muß das ganze System der allgemeinen Mathesis, da sie die Grundlage der ganzen besonderen und angewandten ist, billig so eingeridi-
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tet werden, daß selbst der, der nicht das mindeste von Geometrie weiß, im Stande ist, dasselbe komplett und gründlich einzusehen. Diese Unterscheidung von einer Grundwissenschaft der Mathematik, die auf die Quantitas als solche geht, im Gegensatz zur Geometrie, die ein bestimmtes Quantum nämlich den Raum behandelt, geht auf Kant zurück. A 717, Β 745. Die Mathematik aber konstruiert nicht bloß Größen (quanta), wie in der Geometrie, sondern audi die bloße Größe (quantitatem), wie in der Buchstabenrechnung, wobei sie von der Beschaffenheit des Gegenstandes, der nach einem solchen Größenbegriff gedacht werden soll, gänzlich abstrahiert.
A 142, Β 182. Das reine Bild aller Größen (quantorum) vor dem äußeren Sinne ist der Raum, aller Gegenstände der Sinne aber überhaupt die Zeit. Das reine Schema der Größe aber (quantitatis) als eines Begriffes des Verstandes ist die Zahl.
5. Die Logisierung der Zahl Wenn man in diesem Sinne eine rein arithmetische Darstellung und Begründung der Zahl fordert, so liegt die Frage nahe, ob sich nicht eine rein logische Darstellung der Zahl geben läßt. Man darf natürlich bei dieser Frage nicht im Terminologischen hängen bleiben, sondern muß auf die sachlichen Fragen zurückgehen. Versteht man unter Logik etwas ganz anderes wie Kant, dann kann man natürlich leicht gegen Kant zu Felde ziehen. Der Urheber dieses Gedankens einer rein logischen Begründung der Mathematik ist unbestritten Leibniz, dessen Meinung ich mit den Kantischen Aufstellungen verglichen habe und weiterhin vergleichen werde, da meiner Meinung nach nur ein Vergleich in den konkreten Einzelfragen weiterführt. Man findet den Ansatz einer rein logischen Begründung der Mathematik bei drei philosophischem Schulen, in der Marburger Schule, in der Phänomenologie und im „Wiener Kreis" (Carnap, Reichenbach). Ich will hier beispielsweise Paul Natorp anführen: Natorp, Logische Grundlagen 1921, S. 1. Das Unterscheidende liegt darin: ob die Grundbegriffe einer Wissenschaft selbst durch die Logik dargeboten, ob sie selbst zugleich Begriffe der Logik sind, und ob ihre ersten Grundsätze in den ersten Gesetzen der Logik enthalten oder aus ihnen ableitbar . . . sind.
Wie wir sahen, hat auch schon Leibniz das gleiche gefordert: Alle Axiome zu beweisen.
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B. Das arithmetische Urteil 1.
Belegstellen
Wir müssen uns jetzt einer genauen Untersuchung des arithmetischen Urteils bei Kant zuwenden, um zu sehen, zu welchen Ergebnissen er gelangt ist. Schon die erste Auflage der Kritik enthielt die Feststellung, daß 7 + 5 = 1 2 kein analytischer Satz ist (A 164, Β 205). Daß 7 + 5 = 12 sei, ist kein analytischer Satz. Denn ich denke weder in der Vorstellung von 7, noch von 5, noch in der Vorstellung von der Zusammensetzung beider die Zahl 12, (daß ich diese in der Addition beider denken solle, davon ist hier nidit die Rede; denn bei dem analytischen Satze ist nur die Frage, ob ich das Prädikat wirklich in der Vorstellung des Subjekts denke). Die Hauptstelle findet sich in den Prolegomena und ist mit einer wichtigen Erweiterung in die Einleitung der zweiten Auflage der Kritik übernommen. Prolegomena, W W IV, S. 268 f. und Β 15 f. Man sollte anfänglich zwar denken, daß der Satz 7 + 5 = 12 ein bloß analytischer Satz sei, der aus dem Begriffe einer Summe von Sieben und Fünf nach dem Satze des Widerspruchs erfolge. Allein, wenn man es näher betrachtet, so findet man, daß der Begriff der Summe von 7 und 5 nichts weiter enthalte, als die Vereinigung beider Zahlen in eine einzige, wodurch ganz und gar nicht gedacht wird, weldies diese einzige Zahl sei, die beide zusammenfaßt. Der Begriff von Zwölf ist keineswegs dadurch schon gedacht, daß ich mir bloß jene Vereinigung von Sieben und Fünf denke, und, ich mag meinen Begriff von einer solchen möglichen Summe noch so lange zergliedern, so werde ich doch darin die Zwölf nidit antreffen. Man muß über diese Begriffe hinausgehen, indem man die Anschauung zu Hilfe nimmt, die einem von beiden korrespondiert, etwa seine fünf Finger, oder (wie Segner in seiner Arithmetik) fünf Punkte, und so nach und nach die Einheiten der in der Anschauung gegebenen Fünf zu dem Begriffe der Sieben hinzutut. Prol. 269 Β 15 f. Man erweitert also wirklich seinen BeDenn ich nehme zuerst die Zahl 7, und, griff durch diesen Satz 7 + 5 = 12 und indem ich für den Begriff der 5 die tut zu dem ersteren Begriff einen neuFinger meiner Hand als Anschauung en hinzu, der in jenem gar nicht gezu Hilfe nehme, so tue ich die Einheidadit war, ten, die ich vorher zusammennahm, um die Zahl 5 auszumachen, nun an jenem meinem Bilde nach und nach zur Zahl 7, und sehe so die Zahl 12 entspringen. Daß 7 und 5 hinzugetan werden sollten, habe ich zwar in dem Begriffe einer Summe = 7 + 5 gedacht, aber nicht, daß diese Summe der
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d. i. der arithmetische Satz ist jederzeit Zahl 12 gleich sei. Der arithmetische synthetisch, Satz ist also jederzeit synthetisch; welches man desto deutlicher inne wird, wenn man etwas größere Zahlen nimmt, da es dann klar einleuchtet, daß, wir möchten unsere Begriffe drehen und wenden, wie wir wollen, wir, ohne die Anschauung zu Hilfe zu nehmen, vermittels der bloßen Zergliederung unserer Begriffe die Summe niemals finden könnten. Zu dieser Grundquelle tritt als die zweite und wichtigste Belegstelle der große Brief Kants an Schultz vom 25. 11.1788 (WW X , S. 554 ff) hinzu, den ich zur weiteren Interpretation vorwiegend benutze. Die philosophische Diskussion ist durch Locke eröffnet worden, dessen Versuch über den menschlichen Verstand im 7. Kapitel des 4. Buches, § 10, über die Axiome handelt. . . . Und in der Tat, ich darf wohl an diejenigen, die durchaus behaupten, daß alles Wissen außer jenen allgemeinen Prinzipien selbst auf allgemeinen, angeborenen, selbstevidenten Grundsätzen beruhe, die Frage riditen, welches Prinzip erforderlich sei, um zu beweisen, daß eins und eins zwei, zwei und zwei vier, dreimal zwei sechs sind? Da wir dies ohne jeden Beweis erkennen, so erhellt, daß entweder nicht alles Wissen auf bestimmten praecognita oder allgemeinen Axiomen, den sogenannten Prinzipien, beruht oder aber, daß audi jene Sätze Prinzipien sind. Sind sie aber diesen zuzuredinen, so besteht ein großer Teil der Arithmetik aus Prinzipien. In seinen Nouveaux essays, ebenfalls im 7. Kap. des 4. Buches, § 10, hat Leibniz diese Frage aufgegriffen und folgenden Beweis gegeben: Daß zwei und zwei vier ist, ist keine völlig unmittelbare Wahrheit: wenn nämlich vier so viel bedeutet wie drei und eins. Man kann diese Wahrheit demnach beweisen und zwar folgendermaßen: Definitionen 1. Zwei ist eins und eins, 2. Drei ist zwei und eins, 3. Vier ist drei und eins. Axiom Wenn man Gleiches an die Stelle von Gleichem setzt, so bleibt die Gleichheit bestehen. Beweis 2 und 2 ist 2 und 1 und 1 (nach Def. 1), 2 + 2 2 und 1 und 1 ist 3 und 1 (Nach Def. 2), 3 und 1 ist 4 (nach Def. 3).
2_f_J + 1 -v—1
Also (nach dem Axiom) ist 2 und 2 = 4. Was zu beweisen war. Ich hätte, statt zu sagen, daß 2 und 2 2 und 1 und 1 ist, auch sagen können, daß 2 und 2 gleich 2 und 1 und 1 ist, und so das übrige. Aber man kann dies, der größeren Vollständigkeit halber, überall gleichzeitig mit darunter verstehen, und zwar auf Grund eines anderen Axioms, wonach jedes Ding sich selbst gleich oder wonach das, was dasselbe ist, auch gleich ist.
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Es gilt heute allgemein als zugestanden, daß dieser Beweis von Leibniz unzureichend ist, weil er das assoziative Gesetz benutzt; man vergleiche dazu die Belege auf S. 133. Mir kommt es aber darauf an, den eigentlichen Sinn der Leibnizschen Grundaufstellungen zu erfassen. Geht man auf die Leibnizsche Unterscheidung von zusammengesetzten und einfachen Begriffen zurück, so ist fraglos der Begriff vier ein zusammengesetzter Begriff. Ein zusammengesetzter Begriff setzt sich aus Teilbegriffen zusammen und ist dieser Begriff. Der Begriff homo ist der Begriff animal rationale. In diesem Sinne ist der Begriff vier zusammengesetzt aus den beiden Begriffen drei und eins. Man müßte also genau genommen nicht schreiben vier gleich drei + eins, was ja Leibniz auch nicht schreibt, sondern :vier: ist :drei, eins: Da sich nun audi drei wieder zerlegen läßt, ergeben sich ohne Berücksichtigung der Anordnung vier Zerlegungen des zusammengesetzten Begriffes Vier in Teilbegriffe. Wir haben also :vier: ist :drei, eins: :zwei, zwei: :zwei, eins, eins: :eins, eins, eins, eins: Daß diese Interpretation wirklich richtig ist, ergibt sich aus zwei Erwägungen. Zunächst sagt Leibniz selbst in der angeführten Stelle, daß vier nicht nur gleich zwei und zwei ist, sondern auch, daß es zwei und zwei schlechthin ist. Der zusammengesetzte Begriff vier muß ja ebenso schlechthin die Summe seiner beiden Teilbegriffe zwei,zwei sein, wie der Begriff homo die Summe seiner Teilbegriffe animal rationale. Weiterhin setzt aber das Zerfallen eines zusammengesetzten Begriffes in seine Teilbegriffe Gradunterschiede zwischen diesen Zerfällungen voraus. Es muß nämlich eine ursprüngliche Zerfällung geben, in die der zusammengesetzte Begriff in die wirklich einfachen Teilbegriffe zerfällt. Daneben können weniger ursprüngliche Zerfällungen auftreten, Zerfällungen, in denen selbst noch zusammengesetzte Begriffe verwandt werden. Diese Konsequenz hat nun Leibniz auch tatsächlich gezogen. Leibniz, Hauptschriften ed. Cassirer Bd. 1, S. 359. . . . es ist ζ. B. die Eigenschaft der Zehnzahl, daß sie gleich 6 + 4 ist, der Natur nach später als die, daß sie gleich 6 + 3 + 1 ist — da der zweite Ausdruck der ursprünglichen Definition der Zahl 10, nach der sie gleich 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 ist, näher liegt - , dennoch kann aber die ferner liegende Bestimmung hier ohne die frühere gedadit, ja, was noch mehr ist, bewiesen werden.
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2. Interpretation von 7+5
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Die Interpretation des arithmetischen Urteils bei Kant schlägt häufig deshalb einen falschen Weg ein, weil sie zu sehr an der von Kant gegebenen Nominaldefinition des analytischen und synthetischen Urteils haftet. Man müht sidi dann immer wieder damit ab, Widersprüche im Begriff des analytischen Urteils aufzufinden. Man fragt, wie der Prädikatbegriff im Subjektbegriff enthalten sein könne, wie er aus ihm herausgezogen werden könne. Man übersieht dabei zweierlei. Zunächst gibt es bei Kant sicherlich in der Mathematik im eigentlichen Sinne kein analytisches Urteil. Wenn Kant dies nicht in aller Schroffheit ausspricht, so hat das möglicherweise folgenden Grund: Man braucht in der Mathematik hin und wieder Sätze von der Form: Das gleichseitige Dreieck ist eih Dreieck. Will man etwa einen Satz beim gleichseitigen Dreieck beweisen, so wird man natürlich über den Satz: Das gleichseitige Dreieck ist ein Dreieck, auf den Satz zurückgehen: Das Dreieck hat die Winkelsumme von 2 Rechten. Mögen solche Urteile in der Mathematik auch nicht besonders häufig und nicht besonders wertvoll sein, so liegt dodi kein Grund vor, sie gänzlich zu verwerfen. Man wird daher audi die vorsichtige Ausdrucksweise Kants als eine Rücksichtnahme auf solche Sätze begreifen können. Darüber hinaus aber muß man beachten, daß es Kant keineswegs in erster Linie daran liegt, eine logische Unterscheidung zwischen zwei Urteilsarten, nämlich dem synthetischen und dem analytischen zu machen, sondern daß er mit dem synthetischen Urteil in erster Linie den Charakter des betreffenden Gebietes, in unserem Falle den der Arithmetik, interpretieren will. Die Hauptstelle Β 15 ff zerfällt in drei Abschnitte: 1. Der Begriff einer Summe. („Allein, wenn man es näher betrachtet... so werde ich doch darin die Zwölf nicht antreffen.") 2. Die Addition kleiner Zahlen. („Man muß über diese Begriffe hinausgehen Der arithmetische Satz ist also jederzeit synthetisch.") 3. Die Addition großer Zahlen, („welches man desto deutlicher inne wird . . . die Summe niemals finden könnten.") Wir setzen zunächst beim dritten Abschnitt ein und betrachten einen häufig vorgebrachten Einwand in der Formulierung von Hankel. Hankel, Komplexe Zahlensysteme, S. 53. . . . Begründung der Zahlformeln . . . an den fünf Fingern . . . Und wenn man auf diese Weise audi den Satz 2 - 2 = 4 begründen kann, so wird man, obgleich Kant gerade letzteres vorschlägt, wohl darauf verzichten müssen, den Satz, daß, 1000 · 1000 = 1 000 000, auf diese Art zu erweisen.
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Dem ersten Augenschein nach, hat Hankel recht. Im zweiten Abschnitt spricht Kant davon, daß man zur Durchführung von 5 + 7 die Anschauung der Finger zu Hilfe nehmen muß, und dieser Notwendigkeit, die Finger zu Hilfe zu nehmen, sagt Kant dann im dritten Abschnitt, werde man desto deutlicher inne, wenn man etwas größere Zahlen nimmt. Nun kann dies aber unmöglich die Meinung von Kant gewesen sein; daß der Mensch nur zehn Finger hat und deshalb die Operation von 1000 · 1000 = 1 000 000 nicht an diesen zehn Fingern durchführen kann, war auch Kant einsichtig. Aber ist deshalb, weil die Finger nicht mehr ausreichen, der Fortgang von den Summanden auf die Summe ein begrifflicher Schluß? Doch wohl nicht; bei größeren Zahlen wird vielmehr die Summe errechnet. Das heißt also, die Arithmetik hat einen Kalkül oder vielmehr umgekehrt, das Rechenverfahren der Arithmetik ist der Grundtyp jedes Kalküls. Nun erfolgt aber jedes Rechnen auf dem Papier oder an der Tafel, d. h. aber sogar unter Benutzung einer räumlichen Anschauung. Daß dies nicht zufällig ist, ersieht man aus der Anweisung ζ. B. für die Addition: Man schreibe die zu addierenden Zahlen so untereinander, daß die Einer unter den Einern, die Zehner unter den Zehnern stehen, und so fort. Daß dieses Untereinanderschreiben eine räumliche Anweisung und damit eine Anschauung in sich birgt, ist wohl ohne Zweifel. Man sieht dann allgemeiner, daß schon das Stellenprinzip einer dekadischen Zahl eine räumliche Anschauung voraussetzt. Ganz allgemein gesprochen ist jedes mathematische Arbeiten ein Operieren mit räumlichen Zeichen und damit eine Benutzung der Anschauung. Diesen Tatbestand hat Kant dadurch angezeigt, daß er der Arithmetik eine symbolische Konstruktion zuschreibt. Für das Rechnen mit großen Ziffern ist es jedenfalls außer allem Zweifel, daß die Durchführung mit Ziffern eine räumliche Anschauung voraussetzt. Von hier aus begreift man nun, welchen Wert Kant darauf legt nachzuweisen, daß das primitive Rechnen durch die Anschauungshilfe der Finger zustande kommt. Man darf sich aber dadurch nicht täuschen lassen. Der Kern des Gedankengangs ist, daß jede Arithmetik in ihrer symbolischen Konstruktion anschauliche Momente voraussetzt. Es ist dabei gleichgültig, ob das primitive Rechnen mit Fingern oder ob das ausgebildete Rechnen mit Zahlen auf dem Papier arbeitet. Darüber hinaus gibt es in jeder Werkarbeit die mannigfachsten Zwischenstufen zwischen den Fingern und dem Papier. Wir halten als Ergebnis des zweiten und dritten Abschnittes fest: Die Arithmetik ist durch ihre symbolische Konstruktion an Zeichen und damit an Anschauungen gebunden. Im ersten Abschnitt legt Kant dar, daß im Begriff einer Summe von sieben und fünf die Zahl zwölf nicht enthalten ist und gerade an dieser Formulierung ha-
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ben sehr viel Interpretationsversuche angesetzt. Nun, wenn die Zwölf nicht in dem Begriff einer solchen Summe enthalten ist, so kann man umgekehrt fragen, was ist denn im Begriff einer solchen Summe enthalten? Man kann zunädist sieben plus fünf zu zwei Ergebnissen formulieren: 7 + 5 = 12 7+5 = 5+7 Die erste Formulierung würde anzeigen, daß im Begriff einer Summe noch nicht das Ergebnis enthalten ist sondern erst in der eben angezeigten Weise errechnet werden muß. Das zweite Ergebnis würde anzeigen, daß im Begriff einer Summe nicht die Axiome enthalten sind, die die Addition der ganzen positiven Zahlen bestimmen. Es wird sich zeigen lassen, daß Kant beides umfassen will. Der Begriff einer Summe enthält weder das Ergebnis nodi die Axiome. Die zweite Behauptung mag zunächst auffällig erscheinen, sie gewinnt aber an Bedeutung, wenn man den auf unseren Abschnitt direkt folgenden Absatz heranzieht. Prolegomena, S. 269 und Β 16. Ebensowenig ist irgendein Grundsatz der reinen Geometrie analytisch. Daß die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei, ist ein synthetischer Satz. Denn mein Begriff vom Geraden enthält nichts von Größe, sondern nur eine Qualität. Der Begriff des Kürzesten kommt also gänzlich hinzu und kann durch keine Zergliederung aus dem Begriffe der geraden Linie gezogen werden. Anschauung muß also hier zu Hilfe genommen werden, vermittels deren allein die Synthesis möglich ist.
Diese beiden Absätze entsprechen sich genau. Während in der Arithmetik durch keine Zergliederung aus dem Begriff einer Summe von sieben und fünf der Begriff von zwölf gewonnen werden kann, kann in der Geometrie ebensowenig aus dem Begriff einer Geraden der Begriff des Kürzesten durch irgendeine Zergliederung gewonnen werden. Mit dieser Stellungnahme greift Kant in die Diskussion des 18. Jahrhunderts ein und nimmt in der Frage, ob es einen Begriff der geraden Linie gebe, aus dem der betreffende Grundsatz geschlossen werden könne, den von ihm neu entwickelten axiomatischen Standpunkt ein. Wenn sich diese Interpretation durch die Heranziehung weiterer Stellen und die Berücksichtigung von Joh. Schultz befestigen ließe, so würde Kant durch die Behauptung „die arithmetisdien Urteile sind synthetische Urteile" die Arithmetik nach drei Richtungen hin charakterisiert haben. 1. Die Arithmetik ist eine axiomatische Wissenschaft; sie braucht Grundsätze, die weder aus dem Satz des Widerspruchs allein noch mit Hilfe dieses Satzes aus Begriffen abzuleiten sind. 2. In der Arithmetik werden die Ergebnisse erst durch die Aktivität des Mathematikers gewonnen, der die Ergebnisse „ausrechnet".
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3. Die Arithmetik benutzt die symbolische Konstruktion und ist dadurch an die Anschauung insbesondere audi an die räumliche Anschauung gebunden.
3. Die Interpretation
von Johann Schultz
Es ist durchaus merkwürdig, daß man in der unübersehbaren Literatur über das synthetische Urteil bei Kant die Interpretation von Schultz noch nie benutzt hat, obwohl Kant selbst Schultz als seinen authentischen Interpreten bezeichnet hat, und obwohl Kant das Manuskript nachweislich gelesen und eine grundlegende Änderung verlangt hat (vgl. S. 63 f.), wie auch die Interpretation auf Unterredungen mit Kant zurückgeht und die uns bekannten Briefe Kants teilweise wörtlich verwendet (vgl. S. 54). Ich werde daher ausführlicher auf diese Interpretation eingehen. Johann Schultz gab 1784 einen Kommentar zu Kants Kritik heraus unter dem Titel: „Erläuterungen über des Herrn Professor Kant Kritik der reinen Vernunft". Dieser Kommentar ist aus einer Rezension entstanden, die auf Kants Wunsch zu einer Buchausgabe erweitert wurde. Er enthält einen Anhang des Titels „Versuch einiger Winke zur näheren Prüfung derselben", der auf Kants Anregung zurückgeht. Eine Ausführung zu einer solchen Prüfung ist dann das zweibändige Werk: „Prüfung der Kantischen Kritik der reinen Vernunft" 1789/92, auf das bereits im 3. Kapitel die Sprache gekommen war. Der erste Band des Werkes interpretiert die Einleitung, der zweite Band die transzendentale Ästhetik. Die versprochene Fortsetzung (vgl. Bd. II, S. VI) ist nicht mehr erschienen. Der uns hier interessierende erste Band ist in folgender Weise aufgebaut: Prüfung der Einleitung. § 1 Was sind Urteile a priori? S. 1 § 2 An welchen Merkmalen kann man erkennen, daß ein Satz ein Urteil a priori sei? S. 8 § 3 Was sind synthetische Urteile? S. 28 § 4 Gibt es theoretische Wissenschaften, welche synthetische Urteile a priori enthalten? S. 45 I In der allgemeinen Logik gibt es einen reinen Teil, der aus lauter Sätzen a priori besteht, die aber nicht synthetisch sondern alle analytisch sind. S. 45 II Die Geometrie besteht aus lauter synthetischen Sätzen a priori. S. 54 III Die ganze reine Arithmetik und allgemeine Mathesis überhaupt ist ebenso wie die Geometrie eine ganz reine Wissenschaft, die aus lauter synthetischen Sätzen a priori besteht. S. 211
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D a s synthetische Urteil in der Arithmetik I V Die Physik setzt einen reinen Teil voraus, der mit Recht Naturwissensdiaft heißt und aus synthetischen Sätzen a priori besteht. S. 236 V Die Metaphysik ist eine reine Wissenschaft, die aus lauter synthetischen Sätzen a priori besteht. S. 238 § 5 Wichtigkeit der Untersuchung, wie synthetische Urteile a priori möglich seien? S. 240
Man sieht schon aus dieser Gliederung, wie stark das Interesse auf der Geometrie liegt, aber immerhin sind audi der Arithmetik noch 25 Seiten gewidmet. Die Untersuchung nimmt dort folgenden Verlauf: Begriff und Gliederung der Arithmetik (S. 211-215). Die Arithmetik ist keine empirische sondern eine Wissenschaft a priori (S. 215-217). Die arithmetischen Sätze werden einmütig für analytisch, mithin eben hierdurch für Sätze a priori gehalten (S. 217-218). Kant hat diesen Schein des analytischen Charakters der Arithmetik als erster durchdrungen und den synthetischen Charakter erkannt (S. 218). Der synthetische Charakter der Arithmetik ist aus folgenden Hauptgründen einleuchtend: 1. Die Arithmetik hat ebenso wie die Geometrie sowohl Axiome als Postulate (S. 218-229). 2. Die ganze Arithmetik beruht auf Äquationen oder Gleichungen (S. 229-232). 3. Analytische Urteile können unsere Begriffe gar nicht erweitern (S. 232). Also ist die ganze reine Mathematik eine synthetische Wissenschaft a priori (S. 233). Die Mathematik ist eine Wissenschaft aus der Konstruktion ihrer Begriffe (S. 233). Die Mathematik bezieht sich nur auf sinnliche Gegenstände (S. 233). Axiome und Postulate der Zeit (S. 234-236). Der synthetische Charakter der Arithmetik wird also von Schultz auf drei Gründe gestützt: 1. Sie ist axiomatisch 2. Sie besteht aus Gleichungen 3. Sie ist erweiterungsfähig Auf die von uns aufgeworfene Frage, ob das Wesentliche an dem Beispiel 7 + 5 = 12 oder 7 + 5 = 5 + 7 sei, wird durch die beiden ersten Abschnitte dahingehend beantwortet, daß der synthetische Charakter des arithmetischen Urteils sich auf beide Momente stützt. Demgemäß interpretiert Schultz das Beispiel zweimal, indem er die Aussage das erste Mal auf die axiomatische Grundlage hin prüft und sie das zweite Mal als Gleichung betrachtet. Die erste Interpretation habe ich bereits in Kapitel III ausführlich wiedergegeben. Sie läuft darauf hinaus, daß die Addition 7 + 5 die Anwendung des kom-
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imitativen u n d assoziativen Gesetzes bedingt. D i e s stimmt auch mit den D a r legungen v o n H a n k e l , N e l s o n und C o u t u r a t überein (vgl. S. 134), wenn auch nicht anzunehmen ist, d a ß einer v o n diesen Dreien die E r ö r t e r u n g v o n Schultz g e k a n n t hat. D a m i t ist der Beweisversuch v o n L e i b n i z unter den A u g e n v o n K a n t als unrichtig erwiesen worden. Schon k u r z d a r a u f erschienen in E b e r h a r d s Zeitschrift zwei A n g r i f f e auf diese B e h a u p t u n g . E b e r h a r d , V o n dem Einflüsse der sinnlichen Anschauungen a u f die Wahrheit und Gewißheit, E b e r h a r d s M a g a z i n , I V 1791, S. 69. Die Wahrheit eines Satzes der Addition hängt also nicht von der Zeit ab, d. i. von der Ordnung, worin die Teile der Summe sind gedacht worden; 2 und 4 macht 6, ich mag die 2 oder die 4 zuerst denken. Das folgt aus dem Satze: Eine jede Größe ist allen seinen wirklichen Teilen zusammengenommen gleich; welcher darauf beruht, daß das Ganze sidi selbst gleich und mit allen seinen Teilen zusammengenommen einerlei ist. Wie bringt nun Herr Schultz in diesen Satz: Die Summe ist ihren Teilen gleich, die Anschauung der Zeit? - Sein erstes Axiom der Arithmetik lautet: . . . die Summe ist ihren Teilen gleich, in welcher Ordnung der Sukzession man diese Teile denken mag; 6 ist so gut = 4 + 2 als 2 + 4 . Ich frage einen jeden, ob das nicht heißt: Die Wahrheit dieses Satzes aus der Addition hängt gar nicht von der Zeit, gar nicht von der Ordnung der Zeitfolge, worin die Teile der Summe gedacht werden, ab. Das zweite Axiom ist mit dem ersten einerlei; denn es sagt nur das von den mittelbaren Teilen der Summe aus, was das erste von den Teilen überhaupt aussagt; es ist also überflüssig und vermehrt die Anzahl der arithmetischen Axiome ohne Not. D e r zweite Angriff s t a m m t v o n L a z a r u s B e n d a v i d , den m a n a n sich als K a n tianer bezeichnen k a n n u n d der a u f diese seine Einstellung i m A n f a n g seines Artikels auch ausdrücklich B e z u g nimmt. B e n d a v i d , D e d u k t i o n der mathematischen Prinzipien aus Begriffen, E b e r h a r d s M a g a z i n , I V 1791, S. 4 2 1 . Man kann daher mit Gewißheit behaupten, daß die Arithmetik keine Postulate habe. Denn der einzige Satz, der auf die bloße Möglichkeit geht, daß nämlich das Denken der Zahlen überhaupt nicht eingeschränkt werden könne, ist ein förmlicher Lehrsatz, und läßt sich durch den Satz der Identität streng e r w e i s e n . . . Sie hat aber auch keine Axiomata, denn da der Freiherr von Wolff die gewöhnlich als Grundsätze ausgedrückten Lehrsätze bis zur völligen Evidenz erwiesen hat . . . , so bleiben nur noch zwei Sätze zum Beweisen übrig, um alle sogenannten Axiomata aus der Arithmetik hinwegzuschaffen . . . Um aber den Beweis des Satzes a + b = b + a einzusehen, muß man sich erinnern, daß W o l f f . . . gezeigt hat: wenn Gleiches von Gleichem weggenommen wird, so bleibt Gleiches, und . . . wenn Ungleiches von Ungleichem weggenommen wird, so bleibt Ungleiches. Dies vorausgesetzt, behaupte ich: a + b = b + a . Denn wären sie nicht gleich, so sei a + b = c, b + a = d und c und d seien ungleich . . . Man nehme von a + b sowohl als von c das Stück a hinweg, so bleibt b = e
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Das synthetische Urteil in der Arithmetik (e bedeutet nämlich c—a). Ebenso werde von b + a und d das Stüde a hinweggenommen, so wird b = f, wenn f = d - a ist. D a nun c und d verschieden sein sollen (per hyp.), und beiden a hinweggenommen, so miißten auch e und f verschieden sein. D a aber beide = b sind, so ist das . . . unmöglich. Folglich ist a + b = b + a w.z.e.
A u f den Angriff v o n E b e r h a r d ist Schultz selbst in dem k u r z d a r a u f erschienenen 2. B a n d seiner P r ü f u n g eingegangen. Schultz, Prüfung, I I 1 7 9 2 . S. 237. Allein dieser Einwurf [von Eberhard, Magazin I V , S. 69] beruht auf bloßen MißVerständnissen; denn a) wenn ich in Gedanken das Ganze c dadurch erzeuge, daß ich b zu a setze, das Ganze d hingegen dadurch, daß ich a zu b setze; so denke ich offenbar unter c und d nicht einerlei, sondern verschiedene Ganze, von denen das erste bloß mit a + b, das andere aber bloß mit b + a dem Begriffe nach einerlei ist. Also folgt aus dem Satze: das Ganze ist mit seinen wirklichen Teilen zusammengenommen einerlei, zwar, daß c = a + b und d = b + a , aber nicht, daß c = d sei. Bei der Addition der Zahlen zeigt sich dies noch deutlicher; denn wenn ich 2 zu 4 addiere; so wird die Summe auf eine ganz andere Art erzeugt, als wenn ich 4 zu 2 addiere. Eben die Zeitfolge, welche die Verknüpfung der Teile des Ganzen c von der Verknüpfung der Teile des Ganzen b verschieden macht, kann in beiden wirklich sehr oft audi eine Verschiedenheit der Qualität veranlassen; ζ. B. wenn man auf die Spitze einer Pyramide von 4 Kubikfuß eine von 2 Kubikfuß setzt, so entsteht ein Ganzes von ganz anderer Qualität, als wenn man auf die Spitze einer Pyramide von 2 Kubikfuß eine von 4 Kubikfuß setzt. Worin liegt also der Grund, daß ich nicht besorgen darf, es werde durch sie auch eine Verschiedenheit der Quantität in ihnen entstehen, sondern apodiktisch sagen kann, daß sie in Ansehung dieser jederzeit einerlei sind? . . . S. 240. Überdem ist hier noch der besondere Umstand merkwürdig, daß es nicht bei allen arithmetischen Operationen erlaubt ist, anstatt sie mit dem Ganzen auf einmal vorzunehmen, dieses nach und nach mit seinen Teilen zu tun; denn statt -7- kann ich zwar beständig — + — aber statt — d a r f ich nie — + — sagen. 5
°
5
5
2+3
2
3
°
G e r a d e durch diese Diskussion w i r d die besondere Bedeutung der A x i o m e für den synthetischen C h a r a k t e r der Arithmetik noch einmal unterstrichen. E s bleibt übrigens merkwürdig, d a ß K a n t in der Streitschrift gegen E b e r h a r d a u f die Arithmetik, insbesondere also auch a u f etwaige A x i o m e der Arithmetik nicht eingeht. W e n n audi z w a r die Schrift in erster Linie den synthetischen C h a r a k t e r einer apriorischen Naturwissenschaft behandelt, so w i r d doch auch die Geometrie ausgiebig berücksichtigt. U b e r die Arithmetik dagegen findet sich nur «ine einzige außerordentlich zurückhaltende Bemerkung. K a n t , Ü b e r eine Entdeckung, W W V I I I , S. 2 2 0 .
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. . . in Ansehung der Objekte des inneren Sinnes, wie will er die diesem zum Grunde liegende Bedingung, die Zeit, als Größe, aber nur von einer Abmessung, und als stetige Größe (so wie audi der Raum ist) aus seinen einfadien Teilen, die seiner Meinung nach der Sinn zwar, nur nicht abgesondert wahrnimmt, der Verstand dagegen hinzudenkt, herausvernünfteln und aus den Schranken der Undeutlidikeit und mithin bloßen Mängeln eine so positive Erkenntnis, weldie die Bedingungen der sich unter allen am meisten a priori erweiternden Wissenschaften (Geometrie und allgemeine Naturlehre) enthält, herleiten? Diese positive Erkenntnis, die die Grundlage der Geometrie und der allgemeinen Naturwissenschaft ist, ist doch wohl die reine Mathesis. Aber warum spricht Kant nicht deutlicher? Vielleicht kann man folgende Vermutung äußern: Kant hat im wesentlichen an der Streitschrift im Laufe des Jahres 1789 gearbeitet. D a nun in demselben Zeitraum zwischen dem Briefe vom 25. 1 1 . 1 7 8 8 und dem E r scheinen der Prüfung 1791 Kant mit Schultz über den synthetischen Charakter der Arithmetik diskutiert haben dürfte, so wäre es immerhin möglich, daß Kant mit Rücksicht auf die in diesen Diskussionen eben erst greifbar werdenden eigentlichen Axiome der Arithmetik in der Streitschrift selbst positive Äußerungen über die Arithmetik vermieden hat. Die Untersuchung von Schultz wendet sich dann dem Gleichungscharakter des Urteils 7 + 5 = 12 zu. Schultz, Prüfung, I, S. 229. Die ganze Arithmetik beruht auf Äquationen oder Gleichungen. Nun hat es zwar beim ersten Anblick einer Aquation ζ. B. 7 + 5 = 12 einen sehr großen Schein, daß sie nidit nur ein analytischer, sondern sogar ein völlig identischer Satz sei, worin das Subjekt und Prädikat ganz einerlei Begriff, oder das eine wohl gar nur der eigentliche Name des andern ist. Man erklärt daher die Gleichung 7 + 5 = 12 gewöhnlich so: 7 + 5 ist 12, oder gar, wie H. Reimarus will, 7 + 5 heißt 12. Allein, wäre dieses richtig, so wäre gar keine praktische Addition nötig, sondern ein jeder, der nur die Zahlen kennt, müßte im Begriffe 7 + 5 den ZahlbegrifF 12 sofort unmittelbar denken, so daß es ihm bei dem Gedanken 7 + 5 ebenso unmöglich wäre, an die Zahl 12 nicht zu denken, als es uns unmöglich ist, an das allervollkommenste Wesen und doch nicht an Gott zu denken;... Da nun ferner die Zahl 12 auch in unzählig vielen andern Gleichungen das Prädikat sein kann, ζ. B. 18 — 6 = 12, 3 · 4 = 12, 144 = 12 usw., so ist audi 7 + 5 = 18-6 = 3 · 4 = j / 144 usw. Also wäre auch 7 + 5 mit 18—6 mit 3 · 4 mit der Quadratwurzel von 144 und mit unzähligen anderen Verknüpfungen nur ein Begriff, und idi müßte also alle diese ebenfalls mit 7 + 5 zugleich mitdenken... Es ist demnach klar, daß die bloße Analysierung des Begriffs von 7 + 5 midi nie darauf führen kann, daß seine Quantität so viel als die von 12 betrage; sondern, soll idi dieses erkennen, so muß ich über diesen Begriff schlechterdings hinausgehen und erst die beiden Axiome nebst dem ersten Postulat der Arithmetik zu Hilfe nehmen. Die Axiome lehren mich, daß es mir freisteht, statt der ganzen 5 auf einmal, sukzessiv ihre Teile zur Zahl 7 hinzuzufügen und
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Das synthetische Urteil in der Arithmetik dabei zugleidi die Ordnung der Teile zu verwechseln, und das Postulat zeigt mir, daß und wie dieses allerdings möglich ist. Und so komme ich erst durch dies mühsame synthetische Verfahren zur Einsidit, daß die Quantität von 7 + 5 mit der von 12 einerlei ist.
Man muß hier beachten, daß Schultz von einem mühseligen synthetischen Verfahren spricht und daß dieses synthetische Verfahren eine andere Bedeutung haben muß als der synthetische Charakter der Axiome. Wir haben bis jetzt gesehen, daß die Arithmetik deshalb synthetisch ist, weil sie auf synthetischen Axiomen beruht und wir werden später sehen, daß die Axiome deshalb synthetisch sind, weil sie auf der Anschauung, und zwar die arithmetischen Axiome auf der Zeitanschauung beruhen. Aber bei der vorliegenden Interpretation ist mit einem mühseligen synthetischen Verfahren die Tatsache bezeichnet, daß die Arithmetik auf einer wirklichen Durchrechnung bestimmter Verfahren beruht. Gehen wir noch ein Beispiel durch: Der Satz (a + b) 2 = a 2 + 2ab + b 2 wird auf folgende Weise gewonnen: (a+b)2 = (a+b)2 = (a+b) (a+b) = a(a+b)+b(a+b) = a · a+a ·b+b · a+b · b = a · a+a ·b+a ·b+b • b = a2+2ab+b2 Man sieht, daß dies tatsächlich der Grundcharakter des arithmetischen Verfahrens ist: es wird eine identische Gleichung angesetzt und dann wird nach den zur Verfügung stehenden Axiomen oder Gesetzen die rechte Seite - oder auch beide Seiten - umgeformt, bis man die gewünschte Gleichung erhält. Es wäre leicht, hier ein etwas verwickelteres Beispiel zu nehmen, etwa einen Satz aus der Integralrechnung. Besonders klar kommt dieses Grundverfahren zum Ausdruck, wenn ausschließlich eine symbolische Darstellung benutzt wird, wie etwa in den Principia mathematica. Die hier für den synthetischen Charakter der Arithmetik aus dem Verfahren heraus gegebene Begründung entspricht genau Kants eigenen Gedankengängen. Brief Kants an Schultz vom 25. 11. 1788, WW X, S. 555. Von ebenderselben Größe kann ich mir durch mancherlei Art der Zusammensetzung und Trennung (beides aber, sowohl Addition als Subtraktion ist Synthesis) einen Begriff machen, der objektiv zwar identisch ist (wie in jeder Aquation), subjektiv aber nach der Art der Zusammensetzung, die ich denke, um zu jenem Begriffe zu gelangen, sehr verschieden ist, so daß das Urteil über den Begriff, den ich von der Synthesis habe, allerdings hinausgeht, indem es eine andere Art derselben (welche einfadier und der Konstruktion angemessener ist) an die Stelle der ersteren setzt,
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die gleichwohl immer das Objekt auf ebendieselbe Art bestimmt. So kann idi durch 3 + 5, durch 1 2 - 4 , durch 2 · 4, durch 2 3 zu einerlei Bestimmung einer Größe = 8 gelangen. Allein in meinem Gedanken 3 + 5 war doch der Gedanke 2 · 4 gar nidit enthalten; ebensowenig aber auch der Begriff von 8, welcher mit beiden einerlei Wert hat.
Schultz gibt dann eine dritte Begründung des synthetischen Charakters der Arithmetik dahingehend, daß die Arithmetik eine sich in besonderem Maße erweiternde Wissenschaft sei. Der betreffende Abschitt bei Schultz stimmt fast wörtlich mit dem entsprechenden Absatz des Briefes von Kant überein; ich habe die Stelle wegen des Zusammenhangs von Kant, Schultz und Murhard bereits im Kapitel III, S. 54 zitiert. An die beiden letzten Begründungen schließt sich nun eine grundlegende Erwägung an, die ich hier wenigstens anzeigen will. Wenn die wirkliche Durchführung der Rechnung eine solche Rolle für die Arithmetik spielt, und wenn die Arithmetik gerade deshalb eine der besonderen Erweiterung fähige Wissenschaft ist, so fragt sich natürlich sofort, welche Bedeutung diese Aktivität des Mathematikers für die Arithmetik im ganzen habe, ob es vor einer solchen Aktivität des Mathematikers überhaupt eine Arithmetik gibt, oder wie man ja gewöhnlich zu sagen pflegt, ob die arithmetischen Sätze gefunden oder erfunden werden. Die Antwort von Schultz ist eindeutig. Schultz, Prüfung, II 1792, S. 262 f. Nunmehr ergibt sich auch die wahre Natur der notwendigen und ewigen Wahrheiten der Arithmetik. Ein jeder arithmetische Satz ist allerdings objektiv wahr; das heißt: seine Wahrheit hängt nicht von der besonderen Beschaffenheit des vorstellenden Subjekts ab, sondern jedes Subjekt, das ihn versteht, muß ihn schlechterdings für wahr halten. Allein, da eine Zahl kein Ding ist, das an sich existiert, sondern ein Objekt, das erst durch sukzessive Verknüpfung der Einheiten vom Verstände erzeugt werden m u ß . . . und jeder arithmetische Satz erst auf die nämliche Weise e n t s t e h t . . . ; so ist es ein offenbarer Widerspruch, wenn man ζ. B. meint, das Produkt 8 von 4 und 2 sei, da der Satz 2 mal 4 ist 8, objektiv wahr ist, nicht erst durdi die Multiplikation produziert oder hervorgebracht, sondern sdion ewig so gewesen; denn das hieße ebenso viel als: Die Zahl 4 ist schon wirklich durch 2 multipliziert worden, und hat das Produkt 8 gegeben, noch ehe sie durch 2 multipliziert worden.
Wir wollen hier abschließend noch einmal den Gedankengang in dem großen Briefe Kants an Schultz durchgehen: Wir erinnern uns, daß Schultz das Manuskript der Prüfung an Kant übersandt hatte und daß in diesem Manuskript die Urteile der Arithmetik als analytische Urteile bezeichnet waren. In dem Briefe vom 25. 11. 88 bittet nun Kant Schultz, er möge diesen seinen Standpunkt doch noch einmal einer gründlichen Nachprüfung unterziehen. Kant gliedert seine
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Begründung für den synthetischen Charakter des arithmetischen Urteils in fünf Absdinitte: 1. Die allgemeine Arithmetik ist eine sich erweiternde Wissenschaft (vgl. S. 64). 2. Es sind von jeder Größe verschiedene Darstellungen möglich, die zwar objektiv identisch, aber subjektiv verschieden sind, weil sie verschiedene Arten der Zusammensetzung sind. So kann 8 durch 3 + 5 , durch 1 2 - 4 , durch 2 - 4 , durch 2 S dargestellt werden (vgl. S. 124 f.). 3a. Das Urteil 3 + 4 = 7 ist ein Postulat. 3b. Wenn ich mit 3 + 4 zugleich 7 denken müßte, dann müßte idi auch 1 2 - 5 denken; dies ist aber dem Bewußtsein zuwider. 4. Also besteht auch der Sinn einer Gleichung darin, daß dieselbe objektive Größe in verschiedener Weise dargestellt, in verschiedener Weise konstruiert wird. 5. Arithmetik und Zeit. Wir sehen also, daß die Begründung, die Schultz als die zweite aus dem Verfahren und als die dritte aus dem Erweiterungscharakter der Arithmetik gibt, sich eng, teilweise sogar wörtlich an Kant anschließt. Was die erste Begründung aus dem axiomatischen Charakter der Arithmetik angeht, so ist Ubereinstimmung vorhanden in Bezug auf die Postulate, da Kant audi in seinem Briefe schon den synthetischen Charakter der Arithmetik mit den Postulaten begründet. Dagegen läßt sich, wie ich bereits dargelegt habe, aus dem uns bekannten Material über die beiden Axiome - das kommutative und assoziative -
nichts Sicheres
aussagen.
C. Interpretationsgeschichte des arithmetischen Urteils 1. Die Zeitgenossen Kants Noch zu Kants Zeiten ist eine lebhafte Diskussion über das synthetische Urteil entstanden. Von den Anhängern Kants wurden eine Reihe von Erläuterungen dazu gegeben, die die Grundprobleme klar und sauber herausarbeiten, wenn sie auch meistens nur eine Paraphrase der Kantischen Ausführungen darstellen. Wohl eine der ersten Betrachtungen ist die 1785 erschienene Arbeit von C. G. Schütz, programma de syntheticis mathematicorum pronuntiationibus (Opp. philol. et philos. 1830, S. 294): Similiter in arithmetica universali constructione ac disjunctione signorum et characterum, omnia perficiuntur argumenta, adeoque in illa quoque parte matheseos, quae quam late pateat neminem fugit, omnia ad intuitum revocantur.
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Notum theorema est: in progressione geometrica factum primi et ultimi membri aequale est singulis factis binorum membrorum a primo et ultimo utrinque aequaliter distantium. Hie si philosophus aliquis in exponendo subjecto, ejusque vi verbis declaranda bene mane versari coeperit, concubium sit noctis, ut ait ille apud Plautum, antequam ad praedicatum pervenerit. Quid mathematicus? Postquam primum membrum universali nomine a, exponentem rationis s. indicem appelavit, statim Seriem contemplationi subiicit, subscipta eadem inverso ordine a am am8 am3 am4 am5 am" am· am5 am4 am* am8 am1 am0 unde manifestum sit contemplanti factum primi et septimi s. ultimi, facto secundt et sexti, item tertii et quinti, denique quarti in se ipsum ducti aequale esse, nimirum a1 me.
Schütz macht dann noch auf die besondere Bedeutung der primitiven Anschauung der Finger und Punkte aufmerksam. In gleiche Richtung geht auch Andreas Metz, Kurze und deutliche Darstellung, des Kantischen Systems 1795, S. 49. Daß 108+2389 = 2497 oder 2389-108 = 2281 sei, kann ich in Ewigkeit nicht durdi die bloße Analysis des Begriffes 108+2389 oder 2389-108 herausbringen... Welche diese Summe oder Differenz sei, weiß idi nicht eher, als bis ich über jene Begriffe hinausgehe und zur Anschauung meine Zuflucht nehme, daß ich nämlich die Einheiten der ersten zu den Einheiten der andern nach und nach, am Leitbande der Anschauung (etwa durch Punkte) hinzutue . . .
Einen sehr großen Einfluß in dieser Zeit haben die Arbeiten von Georg Samuel Albert Mellin gehabt, von denen die wichtigste wohl das sechsbändige Wörterbuch der kritischen Philosophie ist. Obwohl Mellin die Darstellung der Axiome der Arithmetik durch Schultz kennt und im Artikel Axiom wiedergibt, macht er für die Begründung des synthetischen Urteils von dem axiomatischen Gesichtspunkt keinen Gebrauch. Er stützt sich vielmehr in der ausführlichen Darstellung des arithmetischen Urteils lediglich auf die symbolische Konstruktion (Mellin» Wörterbuch, I, S. 199 ff.). Mellin gibt dann (V, S. 433 f.) eine zweite Begründung: Beide Begriffe ( 7 + 3 und 12) stehen allerdings miteinander in Verknüpfung, denn sie sind gerade so wie Augustus und der Kaiser, Begriffe von dem nämlichen Gegenstande, aber sie geben ihn nicht durch die nämlichen Merkmale zu denken. Dieser Gedanke von den verschiedenen Merkmalen führt in seiner Konsequenz unweigerlich zur Subjektivierung des Unterschiedes. Trotz dieser Erläuterungen durch die Anhänger stieß Kants Behauptung vom synthetischen Charakter der arithmetischen Urteile auf heftigen Widerstand. Auf die Angriffe von Eberhard und Bendavid habe ich bereits hingewiesen (vgl. S. 121). Johann Georg Heinrich Feder lehnte den Unterschied von vornherein als.
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indiskutabel ab mit der rhetorischen Frage: ist er nicht offenbar analytisch? (Feder, Uber Raum und Kausalität 1787, S. 48). Eine der ersten Widerlegungen versuchte Dietrich Tiedemann: Uber die Natur der Metaphysik, S. 55. Demzufolge wird also der Satz 7 und 5 machen 12 analytisch sein müssen. Unter allen möglichen Teilen von 12 finden sich auch 7 und 5, mithin, um zu sagen 7 und 5 sind 12, ist nicht nötig, aus dem Begriff von 12 herauszugehen. Tiedemann verwechselt hier offenbar die Teile des Begriffs mit den Teilen der Sache. 7 und 5 sind zwar Teile von 12; sie sind aber nicht schon deshalb Teile des Begriffes von 12. Deutlicher wird dies in der Geometrie. Ein Teil eines Quadrates ist etwa ein halbes Quadrat; ein Teil des Begriffes Quadrat ist - bei einer Definition gleichseitiges Rechteck' - gleichseitig. Daß und wie diese beiden ,Teile' in einer ganz bestimmten Urteilstheorie zusammenfallen könnten, haben wir bei Leibniz gesehen. Aber so wie Tiedemann es versucht, geht es nicht. Johann Christoph Schwab beteiligte sich an dem Preisausschreiben der Berliner Akademie, auf das sich auch Kants Entwurf über die Fortschritte der Metaphysik bezieht. Die mit einem Preise gekrönte Arbeit von Schwab enthält einen Anhang ,Von den analytischen und synthetischen Urteilen' (Preisschrift 1796, S. 168 f.). Der Satz 1 + 1 = 2 soll synthetisch und deswegen wahr sein, weil ich die Einheit sukzessiv zu sich selbst addiere, mithin diese Operation in der Zeit gesdiieht. Dieses Zusammenaddieren mag immerhin von unserm Verstand auf eine sukzessive Art und in der Zeit geschehen; so ist doch diese Sukzession nidit der Grund, warum der Satz wahr ist. Der Satz 1 + 1 = 2 ist offenbar identisch und weiter braucht es nichts, um sich von seiner Wahrheit zu überzeugen... Endlich folgt aus dieser Kantischen Theorie von dem Fundament der arithmetischen Wahrheiten, daß es für einen Verstand, der in seinen Vorstellungen nicht an die Bedingungen der Zeit gebunden ist, keine Arithmetik gibt. Daß nun der göttliche Verstand nicht zählt wie wir, d. i. die Zahlen und die arithmetischen Wahrheiten nicht sukzessiv formiert und denkt, haben bisher alle Philosophen zugegeben: daß es aber in dem göttlichen Verstände gar keine Zahl und keine Arithmetik gebe, eine solche Behauptung war der neueren Philosophie vorbehalten.
Schwab hat in diesem Angriff tatsächlich den Kern des Kantischen Gedankenganges herausgeholt. Wenn Kant das Wesen des menschlichen Verstandes in seiner Endlichkeit festgestellt hat, so wird damit tatsächlich die gesamte Mathematik eine Angelegenheit des Menschen und nur eine Angelegenheit dieses endlichen Verstandes. Der damals vielgenannte Gottlob Ernst Schulze ließ 1801 eine zweibändige Kritik der Kantischen Lehren erscheinen. In diesem Werk (Kritik der theoretischen Philosophie 1801, I, S. 177) bestreitet er zunächst die Unbeweisbarkeit der von Johann Schultz gegebenen Axiome der Arithmetik und sucht diese Sätze aus dem
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bloßen Begriff der Zahl zu erweisen. Im zweiten Band wird der Angriff auf eine interessante Weise neu formuliert (G. E. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie 1801, II, S. 175). Begriffe sind nicht durch ihre Zeidien (in der Sprache und Schrift) sondern lediglich durch das, was darin gedacht wird von einander verschieden. Begriffe von Zahlen (bei weldien Zahlen von aller Qualität der darin verbundenen Einheiten abstrahiert wird) können also auch entweder nur durch die Menge der darin verbundenen Einheiten oder in Ansehung der Verbindung dieser Einheiten verschieden sein. In der Zahl 12 werden aber nicht mehr, und audi nicht auf eine andere Art verbundene Einheiten gedacht als in dem Begriff 7 + 5 .
Gerade in diesem letzten Gedanken irrt Schulze. Es ist zwar richtig, daß in 12 nicht mehr Einheiten gedacht werden als in 7 + 5 , diese Zwölf Einheiten sind aber entgegen der Behauptung in beiden Formen auf verschiedene Arten verbunden. In 12 als 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 hingegen in 7 + 5 als (1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1 + 1) + (1 + 1 + 1 + 1 + 1). Daß diese beiden Arten der Verbindung aber verschieden sind, daran kann doch gar kein Zweifel sein. Genau dieselbe Auflösung hat Johann Schultz vorgenommen, indem er in der Prüfung (I, S. 231) nur den einen Summanden auflösend, 7 + 5 auflöst in 7 + ( l + 1 + 1 + 1 + 1) und von hier aus ist, wie er richtig ausführt, nur durch Anwendung der Axiome weiterzukommen.
2. Das 19. Jahrhundert Man muß sich bei der Diskussion über das analytische und das synthetische Urteil immer wieder davor hüten, in rein logische Unterscheidungen abzugleiten. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Urteilsarten verliert jede Bedeutung, sobald die Richtung auf die Herausarbeitung des ontologischen Charakters - zunächst in unserer Teilfrage - der Arithmetik verloren geht. Gerade in diesen Abweg ist aber der größere Teil aller Bearbeiter geraten. Man kann die Diskussion über das analytische und das synthetische Urteil bei Kant in sieben Gruppen gliedern: 1. Der deutsche Idealismus 2. Bolzano und Husserl 3. Die Mathematiker 4. Der Unterschied wird als ein relativer aufgefaßt: so Schleiermacher und fast alle Logiker und Philosophiehistoriker 5. Enge Anlehnung an Kant: A. Riehl
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6. Alle Sätze werden synthetisch, audi die analytischen Grundsätze 7. Die Anschauung wird verworfen: die Marburger Schule Ich kann mich bei der 1., 4., 5. und 6. Gruppe mit einer kurzen Übersicht begnügen, da eine erschöpfende Darstellung ins Endlose führen würde. Die philosophischen Zielsetzungen des deutschen Idealismus bringen für die Frage des synthetischen Charakters der Arithmetik praktisch gar nichts. Zunächst ist jedes positive Verhältnis zur Mathematik verlorengegangen; wenn dann überhaupt mathematische Fragen gestreift werden, dann wird die leichter zugängliche Geometrie gewählt. Das Entscheidende aber ist, daß der Grundansatz eines geschlossenen deduktiven Systems mit dem von Kant erschlossenen axiomatischen Charakter der Mathematik unvereinbar ist. Hat die Mathematik Axiome, dann ruht sie auf einer Mehrzahl unableitbarer Grundsätze und dann kann sie auf keine Weise deduziert werden. Nun verlangt aber Fichte eine Deduzierbarkeit nicht nur der Mathematik sondern der gesamten Natur. So sagt er in der ersten Ausgabe des Begriffs der Wissenschaftslehre (Ausgabe F. Medicus, I, S. 194 Anm.): . . . daß sie [die Gesetze der Natur] sich, das kleinste wie das größte, der Bau des geringfügigsten Grashalms, wie die Bewegung der Himmelskörper, vor aller Beobachtung vorher aus dem Grundsatze alles menschlichen Wissens ableiten lassen.
Es ist wohl vollkommen unmöglich, diesen Gedanken Fichtes mit den auf das vorsichtigste abgewogenen Behauptungen von Kant in Einklang zu bringen. Nicht viel besser liegen die Dinge bei Hegel. Ist schon Hegels Habilitationsschrift ,De orbitis planetarum' für jeden naturwissenschaftlich Geschulten ein Stein des Anstoßes, so sind zahlreiche Bestimmungen und Bemerkungen der Enzyklopädie völlig unannehmbar. Man muß in diesen Fragen Gauss wirklich recht geben, wenn er schreibt (Gauss, Briefe an Schumacher IV, S. 337): Sehen Sie sich doch nur bei den heutigen Philosophen um, Schelling, Hegel, Nees von Esenbeck und Konsorten, stehen Ihnen nidit die Haare zu Berge bei ihren Definitionen? Diese Frage scheint mir deshalb wichtig zu sein, weil hier die Wurzel für die tiefe und unheilvolle Entfremdung zwischen Mathematik und Philosophie liegt. Diese Kluft ist nicht von Kant, sondern von den deutschen Idealisten aufgerissen worden. Dabei wird man weniger diejenigen Gedankengänge im Auge haben, in denen Hegel die mathematischen Begriffe als „äußerliche" oder „gleichgültige" bestimmt, etwa Logik, ed. Lasson, I, S. 200: Denn die Zahl ist die gleichgültige Bestimmtheit... Den richtigen Kern in dieser Bestimmung wird niemand leugnen wollen, es fehlt aber bei Hegel jedes wirkliche Interesse und Verständnis für die mathematischen Probleme. Die umfangreichen Kapitel der Logik über die Infinitesimalrechnung referieren nur in unselbständiger Weise die Arbeiten der französischen Mathematiker. Während Kant sich von der Diskussion über das unendliche Kleine ferngehalten hat, läßt sich Hegel wieder in die damals noch rein mathema-
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tische Diskussion über das Infinitesimale hineinziehen. Demgemäß steht Hegels Angriff auf das synthetische Urteil in der Arithmetik auf schwachen Füßen und kann sich m. £ . in bezug auf die gedankliche Höhe nicht einmal mit den Angriffen von Eberhard, Schwab oder G. E. Schulze messen. Hegel, Logik, I, S. 202. Der Begriff der Summe heißt weiter nichts als die abstrakte Bestimmung, daß diese zwei Zahlen zusammengefaßt werden sollen, und zwar als Zahlen auf eine äußerliche, d. i. begrifflose Weise, - daß von sieben weiter numeriert werden soll, bis die hinzuzufügenden Eins, deren Anzahl auf fünf bestimmt ist, erschöpft worden; das Resultat führt den sonst bekannten Namen z w ö l f e . . . Fünf ist allerdings in der Anschauung gegeben, d. h. ein ganz äußerliches Zusammengefügtsein des beliebig wiederholten Gedankens eins; aber sieben ist ebensowenig ein Begriff; es sind keine Begriffe vorhanden, über die man hinausgeht. Die Summe von 5 und 7 heißt die begrifflose Verbindung beider Zahlen, das so begrifflos fortgesetzte Numerieren von sieben an, bis die Fünfe erschöpft sind, kann man ein Zusammenfügen, ein Synthesieren, gerade wie das Numerieren von eins an, nennen - ein Synthesieren, das aber gänzlich analytischer Natur ist, indem der Zusammenhang ein ganz gemachter, nichts darin ist, noch hineinkommt, was nicht ganz äußerlich vorliegt. Das Postulat, 5 zu 7 zu addieren, verhält sich zu dem Postulate, überhaupt zu numerieren, wie das Postulat, eine gerade Linie zu verlängern, zu dem, eine gerade Linie zu ziehen. Sdileiermacher bringt die im folgenden dargestellte Auffassung, daß der Untersdiied zwischen einem analytischen und einem synthetischen Urteil nur ein subjektiver sei. Merkwürdig ist, daß auch die Werke von Jakob Friedrich Fries für eine weitere Aufhellung des synthetischen Urteils wenig ergiebig sind, obwohl Fries ein starkes Interesse für die Mathematik hat. Anscheinend liegen zwei Gründe vor: zunächst hat sich Fries allzusehr auf die logische Bestimmung des Unterschieds abdrängen lassen (vgl. Neue Kritik der Vernunft, § 6 5 ) ; sodann hat Fries den Grundsinn der Kantischen Anschauung völlig verfehlt. Späterhin hat er sidi dann fast ausschließlich kombinatorischen Fragen gewidmet. Die Kombinatorik nimmt ja schon in der Naturphilosophie' den breitesten Raum ein. Die vierte Gruppe der Interpretationen nimmt ihren Ursprung bei Friedrich Schleiermadier. Von seiner »Dialektik', § 308 aus betrachtet, ist der Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Urteilen nur relativ. Sdileiermacher, Dialektik, W W IV, 2, S. 563. Der Unterschied zwisdien analytischen und synthetischen Urteilen ist ein fließender, welcher für uns gar nicht in Betracht kommt. Dasselbe Urteil (Eis schmilzt) kann ein analytisches sein, wenn das Entstehen und Vergehen durch bestimmte Temperaturverhältnisse schon in den Begriff des Eises aufgenommen war, und ein synthetisches, wenn noch nidit. Dies gilt aber audi von
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Das synthetisdie Urteil in der Arithmetik den vollständigen Urteilen, wenn dodi eine bestimmte Sphäre des Zusammenseins unter einen Begriff auch gebracht werden kann, wie ζ. B. jedes Weltsystem ein solcher Begriff ist. Diese Differenz sagt also nur einen verschiedenen Zustand der Begriffsbildung aus. Anmerkung: Dies gilt auch von den mathematischen. Der Satz von den Winkeln im Dreieck ist nur ein analytischer, wenn in den Begriff eines Dreiecks aufgenommen ist die Entstehung aus der Bewegimg einer Linie vom Scheitel herab, dem freilich die andern einfachen Bewegungen müssen vorangegangen sein.
An Schleiermacher schließen sich fast alle Forscher des 19. Jahrhunderts an. Ich nenne hier nur überschlagsweise Friedrich Albert Lange, Christoph Sigwart, F. A. Trendelenburg, Friedrich Überweg, Benno Erdmann, Ernst von Aster, Eduard von Hartmann. Es findet sich dann weiter eine fünfte Gruppe von Interpretationen, die so eng an Kant angelehnt sind, daß nichts Neues dabei herausspringt. Hier nenne ich beispielsweise Aloys Riehl. Die etwa im ersten Band des philosophischen Kritizismus (S. 443 ff.) sich über das synthetische Urteil findenden Ausführungen sind praktisch nur eine Paraphrase der Kantischen Sätze. Eine sechste Gruppe faßt den Begriff des synthetischen Urteils so weit, daß schließlich alle Sätze, insbesondere aber auch die Kantischen analytischen Grundsätze, zu synthetischen Sätzen werden. Der weitgehendste Ansatz findet sich wohl bei Wilhelm Wundt, der im vierten Abschnitt des ersten Bandes seiner Logik die Axiome in diesem Sinne behandelt. Eine genauere Ausführung findet sich in einer durch Wundt angeregten Dissertation von Willi Reichardt, Kants Lehre von den synthetischen Urteilen, S. 608. In ähnlichem Sinne äußert sich dann audi Gottlob Lipps in seinen Untersuchungen über die Grundlagen der Mathematik. In gewissem Sinne gehört auch Heinrich Rickert hierher. Wenn Rickert in seiner Auseinandersetzung mit der Marburger Schule an einem alogischen Moment in der Mathematik mit Zähigkeit festhält, so dürfte er damit dem eigentlichen Sinn der Kantischen Anschauung weit näher sein als die Marburger Schule. Wenn er dagegen auch den Satz 1 = 1 als einen synthetischen Satz ansetzt, so geht er damit sicherlich über Kant hinaus.
3. Die
Mathematiker
Eine ausführliche Auseinanderseztung des Charakters der arithmetischen Urteile bringt Gottlob Frege in seinen Grundlagen der Arithmetik. Er geht zunächst auf den Beweis von Leibniz ein. Frege, Grundlagen, S. 7 f.
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Dieser Beweis [von Leibniz] scheint zunächst ganz aus Definitionen und dem angeführten Axiome aufgebaut zu sein Bei genauerer Betrachtung entdeckt man jedodi eine Lücke, die durch das Weglassen der Klammern verdeckt ist. Genauer müßte nämlich geschrieben werden: 2+2 = 2 + ( l + l ) (2+l) + l = 3+1 = 4 Hier fehlt der Satz 2 + ( l +1) = (2 + l) + l der ein besonderer Fall von a+(b+c) = (a+b)+c ist. Setzt man dies Gesetz voraus, so sieht man leicht, daß jede Formel des Einsundeins so bewiesen werden kann. Diese Lücke im Beweis von Leibniz wird auch von Leonard Nelson in seinem Vortrag über Kant und die nichteuklidische Geometrie (Weltall, VI, 1906, S. 153) deutlich gemacht. Frege merkt audi an, daß Kant, wie wir bereits auf S. 109 f. gesehen haben, die Zahlen nicht für homogen hält, sondern einen Unterschied zwischen kleinen und großen Zahlen macht. Frege, Grundlagen, S. 6 f. Kant hat offenbar nur kleine Zahlen im Sinne gehabt. Dann würden die Formeln für große Zahlen beweisbar sein, die für kleine durch die Anschauung unmittelbar einleuchten. Aber es ist mißlich, einen grundsätzlichen Unterschied zwischen kleinen und großen Zahlen zu machen, besonders, da eine scharfe Grenze nidit zu ziehen sein mödite. Wenn die Zahlformeln etwa von 10 an beweisbar wären, so würde man mit Recht fragen: warum nicht von 5 an, von 2 an, von 1 an? Frege hat den genauen Sinn der Kantischen Aufstellung doch wohl nicht genau getroffen; denn Kant sagt ja an keiner Stelle, daß die Addition kleiner Zahlen unmittelbar einleuchten. Weiterhin hat sich Frege audi in dasselbe Mißverständnis der Stelle Β 15 ff. abdrängen lassen, das wir bei Hankel schon beobachtet haben (S. 116 f). Frege, Grundlagen, S. 6. Kant will die Anschauung von Fingern oder Punkten zu Hilfe nehmen, wodurch er in Gefahr gerät, diese Sätze gegen seine Meinung als empirische erscheinen zu lassen; denn die Ansdiauungen von 37 863 Fingern ist doch jedenfalls keine reine. Der Ausdruck .Anschauung' scheint audi nicht redit zu passen... Haben wir denn überhaupt eine Anschauung von 135 664 Fingern oder Punkten? Hätten wir sie und hätten wir eine von 37 863 Fingern und eine von 173 527 Fingern, so müßte die Richtigkeit unserer Gleichung sofort einleuchten ([135 664+37 863 = 173 527]), wenigstens für die Finger, wenn sie unbeweisbar wäre; aber dies ist nidit der Fall. Diese Mißverständnisse führen dann dazu, daß Frege sich zwar über die mathe-
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matische Arbeit Kants außerordentlich anerkennend äußert, daß er aber im Ergebnis nur die Geometrie für synthetisch hält, während er im Gegensatz zu Kant die Arithmetik für analytisch erklärt. Auf Hermann Hankel bin ich wiederholt eingegangen. Louis Couturat lehnt sich in seinem Artikel: La philosophie des math£matiques de Kant, eng an Frege an. Audi er kommt zu dem Ergebnis, daß zwar der Beweis von Leibniz eine Lücke habe, trotzdem aber seien die Urteile der Arithmetik sämtlich analytisch. Ob P. Mansion wenigstens die Bedeutung der beiden Axiome für die Addition der ganzen Zahlen erkannt hat, weiß ich nicht. Mansion, Gauss contre Kant, S. 445. Dans la Critique de la raison pure, faute de bien savoir la definition du signe + et de 5, il ne voit pas que l'on peut prouver que 7+5 = 12, par une suite de jugements analytiques. Otto Holder lehnt die axiomatische Methode ab und vertritt eine genetische Methode, deren philosophischer Standort nicht leicht zu bestimmen ist. Axiome gibt es nach ihm nur in der Geometrie (vgl. Die mathematische Methode 1924, S. 326). Demgemäß leitet er das kommutative und das assoziative Gesetz der Addition wie Grassmann aus der Definition ab (vgl. ebd. § 65). Er gerät aber dabei in die Schwierigkeit, daß er das Kontinuum, also einen arithmetischen Begriff, entweder doch axiomatisch oder „als eine gegebene Urform" auffassen muß (ebd. § 124). Von hier aus setzt er sich dann (§ 127) mit Kant auseinander. Eine Auseinandersetzung mit Hilbert, Brouwer und Russell ist unzweckmäßig, solange man nicht auch die geometrischen Fragen heranziehen kann. Lediglich von Bertrand Russell kann man hier schon die Grundzüge klar legen. Die Principia mathematica beginnen mit zehn „primitive propositions", von denen 1.4 das kommutative Gesetz und 1.5 das assoziative Gesetz bringen; 1.6 ist im Kern der Modus Barbara, der aus diesem Grundsatz durch eine kurze Weiterentwicklung hervorgeht. Auf Grund dieser Voraussetzung kann Russell den Satz des Widerspruchs, formuliert als das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten, beweisen. Es ist möglich, gewisse Grundsätze und gewisse Lehrsätze zu vertauschen und es ist weiterhin möglich, diese Grundsätze in höchst kunstvoller Weise in einen einzigen Satz zusammenzuziehen. Uber die Zweckmäßigkeit einer solchen Zusammenziehung, die auch nicht von Russell selbst stammt, läßt sich streiten. Es fragt sich nun, wie sich die Principia mathematica zu dem verhalten, was Kant als die Grundcharaktere der Mathematik herausgearbeitet hat. Hier wird man die Antwort geben müssen: Die Principia mathematica sind die reinste Verwirklichung des Kantischen Gedankens einer reinen Mathesis. Für eine solche
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Beurteilung sind vier Gründe entscheidend. Die Principia mathematica haben jeden Bezug auf besondere Quanta abgestreift; sie sind axiomatisch begründet; sie benutzen eine reine symbolisdie Konstruktion; sie sind eine der Erweiterung fähige Wissenschaft. Ich kann deshalb auch Heinrich Behmann nicht zustimmen, wenn er zu dem entgegengesetzten Schluß kommt, daß durch die Principia mathematica der analytische Charakter der Mathematik endgültig bewiesen sei. Freilich darf man sich hier nicht in einen Wortstreit hineinziehen lassen. Wenn die Logistik als eine neue Wissenschaft entstanden ist, so fragt sich allererst, welche Stelle sie in der Kantischen Gliederung der Wissenschaft einzunehmen habe. Wenn Kant ausdrücklich festsetzt, daß die formale Logik nur den Satz des Widerspruchs benutzen solle, so kann unmöglich die Logistik, soweit sie das assoziative und das kommutative Gesetz benutzt, zur formalen Logik im Sinne Kants geredinet werden. Aus diesem Grunde scheide idi von vornherein die Annahme aus, die Mathematik könne oder müsse deshalb zur formalen Logik gerechnet werden, weil sie ein Teil der Logistik sei. Aber auch die sachlichen Behauptungen Behmanns sind unzureichend. Er läßt sich von vornherein in den Abweg einer rein logischen Bestimmung des Unterschieds zwischen analytischen und synthetischen Urteilen abdrängen. In seinem Aufsatz: Sind die mathematischen Urteile analytisch oder synthetisch? (Erk. IV Heft 1, Mai 1934, S. 6) sagt er: . . . mir scheint, daß auch Kants eigentliche Absicht durch die bisherigen Ausführungen richtig wiedergegeben ist und daß, um dies deutlich zu erkennen, man nur nötig hat, seine Darstellung von gewissen ihr anhängenden Unklarheiten und Ungeschicklichkeiten zu befreien.
Ich leugne durchaus, daß es in irgendeinem Sinne eine Aufgabe sei, Kants Darstellung von Unklarheiten und Ungeschicklichkeiten zu befreien. Im Gegenteil, es existiert kein philosophisches Werk, das so sauber gearbeitet ist, wie die Kritik der reinen Vernunft. Behmann geht von drei Grundgedanken aus. Zunächst stellt er fest, daß Russell die von ihm behandelten mathematischen Probleme rein logistisch dargestellt hat (S. 5). Auf Grund der vorausgegangenen Erwägungen werden wir mithin unter einem analytischen Urteil ein solches zu verstehen haben, das nach Ersetzung der vorkommenden definierten Begriffe durch ihre Definitionen in den Grundbegriffen sidi als ein rein logisches Gesetz oder als ein Anwendungsfall eines solchen darstellt.
Wenn Behmann damit sagen will, daß es zusammengesetzte Begriffe und im Gegensatz dazu einfache, rein logische Grundbegriffe gibt, so findet diese Behauptung jedenfalls in Russell selbst keine Stütze. Will er aber auf das äugen-
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fälligste Merkmal der Principia mathematica hinaus, daß dort mathematische Probleme in einer rein logistischen, d. h. rein symbolischen Zeichensprache abgehandelt sind, dann sagt diese Bemerkung nichts gegen Kant. Daß die symbolische Konstruktion das charakteristische Merkmal einer reinen Mathesis sei, hat Kant wiederholt ausgesprochen. Und niemand wird zweifeln können, daß die Principia mathematica die bis heute beste Form einer rein symbolischen Konstruktion darstellen. Eine zweite Begründung für den analytischen Charakter der Mathematik findet Behmann darin, daß (S. 21 ff.) die Arithmetik nur von logischen Grundsätzen Gebrauch machen könne. In einer analytischen Logik gibt es jedodi nach Kant überhaupt keine Mehrzahl von Grundsätzen; die analytische Logik kennt nach Kants ausdrücklicher Bestimmung nur einen einzigen Grundsatz nämlich, den Satz des Widerspruchs. Alle anderen analytischen Sätze müssen, was Kant an den analytischen Grundsätzen gezeigt hat (vgl. Kap. II), bewiesen werden. Wenn die Logistik das kommutative und das assoziative Gesetz unter ihre Grundsätze aufnimmt, so führt sie damit im Sinne und in der Nachfolge Kants synthetische Axiome ein. Nach diesen beiden unzureichenden Begründungen würde allerdings eine dritte Begründung durchschlagen (ebd. S. 12). Es bedarf nämlich eines Neuaufbaues der formalen Logik, nicht als einer mehr oder weniger übersichtlichen Zusammenstellung, sondern als eines in sich geschlossenen und klar überblickbaren Systems von Begriffen und Gesetzen.
Wenn dies wirklich so wäre, daß die Logistik und mit ihr die moderne Mathematik ein System von Begriffen und Gesetzen wäre, dann wäre damit allerdings ein grundlegender und durchschlagender Einwand gegen die Kantische Auslegung der Mathematik gewonnen. Wäre die Mathematik ein System, so müßten sich einerseits die Grundsätze in einen systematischen Zusammenhang bringen lassen, was aber hieße, sie müßten entweder untereinander oder aus einem allgemeinen Prinzip ableitbar sein; zum andern würde durch ein solches System die Mathematik ihren Charakter als eine sidi im besonderen Maße erweiternde Wissenschaft verlieren. Ein System bedeutet ja eine vollständige und abgeschlossene Zusammenfassung eines Gebietes; in einem System kann nichts grundsätzlich Neues mehr auftauchen. Sieht man sich nun die Principia mathematica an, so sind diese in keiner Weise, wie Behmann meint, ein in sich geschlossenes und klar überblickbares System. Schon allein die Tatsache, daß Russell über 300 Grundzeichen einführen muß, spricht dagegen. Ebensowenig läßt sich ein systematischer Zusammenhang in den Grundsätzen aufzeigen, geschweige denn, daß Russell einen solchen gesehen hätte. Offenbar ist Behmann dadurch zu falschen Ergebnissen gelangt, daß er sich auf eine logische Bestimmung des
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Unterschieds hat abdrängen lassen. Die drei Grunddiarakteristika, mit denen Kant die Mathematik interpretiert hat: Axiomatik, symbolische Konstruktion und Erweiterung, sind durch die Logistik nicht widerlegt, sondern erhärtet worden.
4. Bolzano und Husserl
In welcher Weise Bernhard Bolzano Vorstellungen an sich und Wahrheiten an sich ansetzt, habe ich bereits auf Seite 105 dargetan. Ich gebe zur weiteren Erläuterung noch eine Stelle aus Prihonski, Neuer Anti-Kant 1850, S. 2. Wenn man nämlidi so spricht, so ist es offenbar, daß man sich unter dem Wahren oder der Wahrheit einen gewissen Satz an sich denkt, gleichviel ob irgend jemand da sei, der diesen Satz für wahr hält und ausspricht, ja sich ihn auch nur vorstellt, oder ob kein solches Wesen da sei. Wir nehmen alsdann das Wort Wahrheit in einem solchen Sinne, danach es noch Wahrheiten an sich, und somit audi Sätze an sich gibt, welche (außer Gott) niemand kennt, ja nicht einmal vorstellt. So sagen wir ζ. B.: Bevor noch irgend jemand die Frage aufgeworfen hatte, was für eine Ziffer die tausendste Dezimalstelle der Zahl η sei, sei gleichwohl einer unter den zehn Sätzen, die wir uns denken, wenn wir erklären, daß die erwähnte Ziffer eine Null, eine Eins, eine Zwei, usw. sei ein wahrer oder eine Wahrheit.
Alle diese mathematischen Begriffe und Sätze werden beständig von Gott gedacht. Bolzano, Wissensdiaftslehre 1837,1, S. 113. Aus der Allwissenheit Gottes folgt zwar, daß eine jede Wahrheit, sollte sie auch von keinem anderen Wesen gekannt, ja nur gedacht werden, doch ihm, dem Allwissenden, bekannt sei, und in seinem Verstände fortwährend vorgestellt werde. Daher gibt es eigentlich nicht eine einzige, durchaus von niemand erkannte Wahrheit.
Ich habe bereits dargestellt, daß diese Auslegungen der Zahlen als Vorstellungen an sich, die beständig von Gott gedacht werden, in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu der Kantischen Auslegung der Zahl als Quantitas phänomenon steht. Nachdem Bolzano, vom Satz an sidi ausgehend, den Begriff einer Vorstellung und eine Vorstellung an sidi entwickelt hat (Wissenschaftslehre, I, S. 216), unterscheidet er Vorstellungen in zwei Hinsichten. In einer Hinsicht sind die Vorstellungen entweder einfach oder zusammengesetzt, in einer anderen haben sie entweder einen oder mehr als einen Gegenstand. Vorstellungen nun, die sowohl einfach sind als auch nur einen einzigen Gegenstand haben, nennt Bolzano An-
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schauungen (§ 72); Vorstellungen, die keine Anschauungen sind und audi keine Anschauungen als Teile enthalten, heißen Begriffe (§ 73); Vorstellungen, die zusammengesetzt sind und unter ihren Teilen auch Anschauungen enthalten, heißen gemischte Vorstellungen (§ 73). Bolzano glaubt die Kantisdien Ansätze fortzusetzen, und ein gewisser Zusammenhang mit der Kantischen Bestimmung der Anschauung als repraesentatio singularis liegt auch vor. D i e Ergebnisse aber sind unvereinbar, da Bolzano auf Grund seiner Definition Raum und Zeit als reine Begriffe ansetzt. Bolzano, Wissenschaftslehre, I, § 79, S. 364. Wenn aber die Vorstellungen von der ganzen unendlichen Zeit und von dem ganzen unendlichen Räume keine Anschauung sind: so sind sie reine Begriffe. Auch die Bestimmung des Unterschieds zwischen analytischen und synthetischen Urteilen wird ganz anders aufgebaut. Bolzano, Wissenschaftslehre, II, § 148, S. 83. Wenn es aber auch nur eine einzige Vorstellung in einem Satze gibt, welche sich willkürlich abändern läßt, ohne die Wahr- oder Falschheit desselben zu stören; d. h. wenn alle Sätze, die durch den Austausch dieser Vorstellung mit beliebigen andern zum Vorscheine kommen, entweder insgesamt wahr oder insgesamt falsch sind, vorausgesetzt, daß sie nur Gegenständlichkeit haben: so ist schon diese Beschaffenheit des Satzes merkwürdig genug, um ihn von allen, bei denen dies nicht der Fall ist, zu unterscheiden. Ich erlaube mir also, Sätze dieser Art mit einem von Kant entlehnten Ausdrucke analytische, alle übrigen aber, d. h. bei denen es nicht eine einzige Vorstellung gibt, die sich ihrer Wahr- oder Falschheit unbeschadet willkürlich abändern ließe, synthetische Sätze zu nennen. Seltsamerweise legt Bolzano auch bei dieser Unterscheidung den größten Wert auf den Zusammenhang mit Kant. Bolzano, Wissenschaftslehre, I, § 65, S. 288. Doch wer in den hier besprochenen Unterschied wohl am tiefsten eindrang, dem es auch der Verfasser dieses Buches verdankt, wenn seine eigene Ansicht über diesen Gegenstand richtig sein sollte, ist K a n t . . . er behauptete, daß es nur diese synthetischen Wahrheiten wären, um deren Erkenntnis es sich in einer jeden Wissenschaft vornehmlich handle; daß alle Lehrsätze der Mathematik, Physik usw. nur solche synthetischen Wahrheiten seien. Wer dieses als richtig erkennt, dem liegt auch die Einsicht nahe, daß es unzählige Beschaffenheiten eines Gegenstandes gebe, die sich aus dem Begriffe desselben mit Notwendigkeit ableiten lassen, obgleich wir sie gar nicht als Bestandteile in diesem Begriffe denken. Trotz dieser schwerwiegenden Äußerung möchte ich doch glauben, daß im letzten Grunde nur eine terminologische Ubereinstimmung vorliegt. Bei Kant ist die Bedeutung der Anschauung für die Mathematik so wesentlich, daß die A u f hebung der Anschauung auch die Ubereinstimmung mit Kant aufheben muß.
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In Wirklichkeit interpretiert Bolzano die Anschauung bei Kant auch als Augensdiein. Bolzano, Wissenschaftslehre, III, § 305, S. 186. Aus diesen und ähnlichen Beispielen glaube ich zu entnehmen, daß Kant der Wirkung einer eigenen, reinen Anschauung zuschrieb, was aus gewissen nur dunkel vorgestellten Gründen, meistens auf bloßes Zeugnis der Sinne, namentlich des Auges, angenommen wird.
Eine solche Interpretation der Kantischen Anschauung lag allerdings Bolzano nahe, dessen eigene mathematische Arbeit mit Erfolg auf eine rein arithmetische Darstellung der Grundbegriffe ging. Ich hoffe aber hinreichend gezeigt zu haben, daß diese Aufgabe auch schon von Kant erkannt worden ist. Die wesentliche Differenz zwischen Bolzano und Kant liegt in den Wahrheiten an sich. Wenn die Mathematik ein solches Reich von Wahrheiten an sich ist, dann verschwimmt nicht nur die grundlegende Bedeutung der Axiome, sondern es tritt auch die Bedeutung der arithmetischen Methode als eine symbolische Konstruktion zurück, da dann ja die mathematischen Wahrheiten nicht mehr aufgebaut, sondern als Wahrheiten an sich hingenommen werden. In seinen Äußerungen zum arithmetischen Urteil 7 + 5 = 12 selbst (Wissenschaftslehre, III, § 305, S. 186 und Beiträge zu einer begründeteren Darstellung der Mathematik, S. 147) will Bolzano den Begriff einer Summe durch das assoziative und das kommutative Gesetz definieren und dann die einzelnen Additionen analytisch ableiten. Unter Bolzanos Einfluß stehen eine Reihe von Forschern. Ich nenne als ersten Prihonski, dessen Neuer Anti-Kant ein erläuternder Auszug aus der Wissenschaftslehre ist. Prihonski geht die Kritik der reinen Vernunft im Zusammenhang durch und vergleicht sie Abschnitt für Abschnitt mit der Meinung von Bolzano, wobei er den mathematischen Problemen sein besonderes Augenmerk zuwendet. In der Darstellung von Prihonski erscheint der Gegensatz zwischen Kant und Bolzano wesentlich schärfer als man es nach den eigenen Äußerungen Bolzanos erwarten sollte. Einen großen Einfluß scheint auch die Arbeit von R. Zimmermann Uber Kants mathematisches Vorurteil gehabt zu haben, eine Arbeit, der noch Husserl in seiner Philosophie der Arithmetik Beifall zollt. Die Arbeitsweise von Zimmermann erhellt schon der Satz (S. 16): Die Ansicht, daß alle mathematischen Urteile synthetisch seien, kann man Kants mathematisches Vorurteil nennen, wie Fries bekanntlich von dessen transzendentalen gesprochen hat. Die Einwände Zimmermanns gegen Kant sind äußerst kümmerlich, und man könnte sogar meinen, als ob Zimmermann sich nicht einmal darüber klar gewesen sei, welche Bedeutung das assoziative und das kommutative Gesetz für den Satz
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Das synthetische Urteil in der Arithmetik
7 + 5 = 12 haben. Ein solches Versäumnis wäre allerdings schon damals unverzeihlich gewesen. Hierher ist audi J. Bergmann zu rechnen. Audi er diskutiert in seiner Arbeit Über den Satz des zureichenden Grundes (S. 291 ff.) das arithmetische Urteil ausführlich. Er benutzt dabei unbesorgt den Beweis von Leibniz, ohne nämlich auf das fehlende assoziative Gesetz aufmerksam zu machen. Ausführliche Darlegungen zur Mathematik finden sich bei Franz Brentano. In dem Versuch über die Erkenntnis beschäftigt sich der 2. Teil mit dem logischen Charakter der Mathematik. Die Mathematik geht nach Brentano zunächst von empirischen Begriffen aus. Nun zerfallen bei Brentano die evidenten Urteile in zwei Klassen. Die einen sind Wahrnehmungen, die sichere Tatsachen offenbaren. „Die anderen sind allgemeine negative Urteile, die den Gegenstand gewisser zusammengesetzter Begriffe als unmöglich verwerfen" (Versuch, S. 47). Diese allgemeinen negativen Urteile zerfallen in drei Klassen von folgender Form: Etwas Rotes ist unmöglich blau. Etwas Blaues ist unmöglich nicht blau. Kein Bräutigam ohne Braut. Nach Brentano sind alle mathematischen Sätze von der Form: Es gibt kein C, welches zugleich Α und Β ist. In diesem Sinne ist die Mathematik, und zwar sowohl die Arithmetik als auch die Geometrie, eine rein logische Wissenschaft. Sowohl die Grundsätze als auch die Lehrsätze sind analytische Sätze von apodiktischer Evidenz, da sie alle lediglich Fälle des Kontradiktionsgesetzes sind. Dabei löst sich für Brentano keineswegs die Mathematik in ein konditionales System etwa von der Form ,wenn die und die Axiome gelten, gelten die und die Lehrsätze' auf. Die Axiome sind vielmehr als analytische Wahrheiten absolut gewiß und eines Nachweises fähig. Es gibt nur eine wirkliche und absolute Geometrie, und zwar die euklidische. Auf diese Weise kommt Brentano trotz seines Ausgangs vom Empirischen doch zu einer absoluten Mathematik. Aus gewissen empirisch gegebenen Begriffen lassen sich analytische Sätze von apodiktischer Evidenz als Grundsätze gewinnen und aus diesen Grundsätzen auf rein syllogistischem Wege die gesamte Mathematik. Für Brentano ist dann Kants Interpretation der Mathematik ein offenbarer Unsinn. Edmund Husserl führt Bolzanos Ansätze zur Vollendung und vollendet damit gleichzeitig die Rückkehr zu Leibniz. Der grundlegende Begriff ist der Begriff einer definiten Mannigfaltigkeit, von dem ich in der Einleitung dieser Arbeit ausgegangen bin. Wenn demnach Husserl die Mathematik, sei es in Teilgebie-
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ten, sei es insgesamt, als eine definite Mannigfaltigkeit auslegt, so will er damit sagen, daß die Mathematik ein widerspruchsfreies System von Sätzen sei, das aus einer bestimmten Zahl von Grundsätzen auf rein syllogistischem Wege gewonnen wird. Uber diesen Grundbegriff hinaus hat Husserl eine ausführliche Darstellung der mathematischen Probleme in der 1929 erschienenen Formalen und transzendentalen Logik gegeben. Hier wird Leibnizens Mathesis universalis im Sinne einer rein analytischen Wissenschaft von neuem mit Nachdruck gefordert. Husserl, Formale und transzendentale Logik. S. 80: Der neue Oberbegriff der hier fraglichen Disziplin wäre also Form einer deduktiven Theorie oder eines „deduktiven Systems" . . . Neben der Aufgabe seiner formalen Definition besteht nun die in Unendlichkeiten greifende, ihn zu differenzieren, mögliche Formen solcher Theorien in expliziter systematisier Ausgestaltung zu entwerfen, aber auch mannigfaltige Theorienformen dieser Art theoretisch als Einzelheiten höherer Formallgemeinheiten zu erkennen, diese selbst und zuhödist eben die oberste Idee einer Theorienform überhaupt, eines deduktiven Systems überhaupt - in einer systematischen Theorie in ihren besonderen und bestimmten Formen zu differenzieren. S. 86: Es erwächst hier also die Idee einer universalen Aufgabe: nach einer obersten Theorie zu streben, die alle möglichen Theorienformen, bzw. alle möglichen Mannigfaltigkeitsformen als mathematische Besonderungen, also ableitbar, in sich fassen würde. S. 68: Fragt man nach dem Universalbegriff, der das einheitliche Gebiet dieser offenbar zusammengehörigen Disziplinen umgrenzen soll, so ist man zunächst in Verlegenheit. Aber wenn man die naturgemäß weiteste Allgemeinheit der Begriffe Menge und Zahl erwägt und die ihren Sinn bestimmenden Begriffe Elemente bzw. Einheit, so erkennt man, daß die Mengen- und Anzahlenlehre bezogen ist auf das Leeruniversum Gegenstand überhaupt oder Etwas ü b e r h a u p t . . . Hieraus erwächst eine universale Wissenschaftsidee, die einer formalen Mathematik im voll umfassenden Sinne, deren Universalgebiet sich fest umgrenzt als Umfang des obersten Formbegriffes Gegenstand überhaupt oder des in leerster Allgemeinheit gedachten Etwas überhaupt, mit allen in diesem Feld apriori erzeugbaren und daher erdenkbaren Ableitungsgestalten... Solche Ableitungen sind neben Menge und Anzahl (endliche und unendliche), Kombination, Relation, Reihe, Verbindung, Ganzes und Teil usw. So liegt es nahe, diese ganze Mathematik als eine Ontotogie,... aber als eine formale, auf die reinen Modi des Etwas überhaupt bezogene anzusehen. Husserl fordert also eine Mathesis universalis als ein System aller möglichen Systeme, die eine definite Mannigfaltigkeit ist und die möglichen Abwandlungen des Etwas überhaupt in systematischer Vollständigkeit behandelt. Eine solche Mathesis universalis mag möglich oder unmöglidi sein, die Mathematik, die wir treiben, ist nicht von diesem Charakter. D i e in dieser Formulierung einer Ma-
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Das synthetisdie Urteil in der Arithmetik
thesis universalis steckenden Forderungen sind so ungeheuer, daß man sich der Tragweite erst bewußt wird, wenn man sich die einzelnen Forderungen konkret vorstellt. Die Mathematik soll sowohl in ihrer Gesamtheit als auch konsequenterweise in ihren Teilgebieten eine definite Mannigfaltigkeit sein, also mit anderen Worten, ein widerspruchsfreies Gebiet sein. Es ist aber nur allzu bekannt, daß wir nicht ein einziges Teilgebiet der Mathematik kennen, dessen Widerspruchsfreiheit bewiesen oder vorausgesetzt werden kann. Nun soll aber nach Husserl nicht nur ein einzelnes solches Gebiet (Axiomsystem und Lehrsatzsystem) existieren, sondern es soll sogar ein System soldier Systeme geben. Der interessanteste Teil eines solchen Systems wäre fraglos das System aller möglichen Axiomsysteme; ein, wie mir scheint, schlechthin unerfüllbares Ziel. Es kommt weiter hinzu, daß dieses System aller möglichen Axiomsysteme das System der möglichen Abwandlungen des Etwas überhaupt darstellen soll. Hält man die Forderung konkret mit den Principia mathematica zusammen, so erkennt man, daß in den Principia mathematica jedenfalls keine dieser Forderungen erfüllt ist. Es findet sich in den Principia mathematica zunächst kein Nachweis darüber, daß das hier behandelte Gebiet eine definite Mannigfaltigkeit sei; es ist nicht einmal die Widerspruchsfreiheit bewiesen. Auch als den Ansatz zu einem System aller möglichen Axiomsysteme kann man die Principia mathematica nicht auffassen; nicht einmal für die in diesem Werke verwandte geringe Anzahl von Axiomen ist ein systematischer Zusammenhang gegeben. Deshalb bringen die Principia mathematica auch ebensowenig ganz oder teilweise die systematischen Abwandlungen des Etwas überhaupt. Die Principia mathematica sind überhaupt kein System, geschweige daß sie der übersteigerten Forderung eines Systems aller Systeme Genüge leisten können. Uber das konkrete Beispiel 7 + 5 = 12 äußert sich Husserl in der Philosophie der Arithmetik S. 204, wo er die Ansicht F. A. Langes verwirft und sich der Meinung von R. Zimmermann, wiedergegeben in Kants mathematischem Vorurteil, anschließt. Die in den logischen Untersuchungen (II, 1, S. 254) gegebene Definition des analytischen und des synthetischen Satzes ist eine Weiterbildung der Bolzanoschen Unterscheidung und hat nun endgültig mit Kant nur noch den Wortgebraudi gemeinsam. Zu einem äußerst merkwürdigen Ergebnis kommt Hermann Ritzel, ein im Weltkrieg gefallener Husserlschüler, in einer sonst schönen und klaren Arbeit. Er kommt zu dem Sdiluß, das Urteil 7 + 5 = 12 sei analytisch im wissenschaftlichen und synthetisch im außerwissenschaftlichen Denken. Wenn für eine Relativierung des Unterschiedes zwischen analytischen und synthetischen Urteilen
Das synthetische Urteil in der Arithmetik
143
sich bei Kant schon keine Unterlagen auffinden lassen, so liegt eine solche Relativierung ,wissenschaftlich-außerwissenschaftlich' vollständig außerhalb aller Kantischen Überlegungen. Eine solche Unterscheidung mag wertvoll sein für die Erwägungen die Ritzel angestellt hat; die Erwägungen Kants können damit nidit einmal berührt sein. Ritzel, Uber analytische Urteile, S. 333. Es ist nun ohne weiteres zuzugeben, daß man die Zahlen in der Weise Couturats definieren kann, denn 5 ist 4 + 1 , 6 ist 5 + 1. Setzt man aber den Sinn der Zahlen in dieser Weise fest, so müssen Zahlengleichungen als analytische Urteile betrachtet werden, genauer sogar als tautologische... unter Zugrundelegung entsprechender Definitionen kann also der Satz 7 + 5 = 12 mit Recht als ein analytisches Urteil betrachtet werden. Nun fragt sidi aber, ob der so definierte Sinn der Zahlbegriffe audi ihr gewöhnlicher Sinn ist, oder ob wir nidit etwa im nichtwissenschaftlichen Gebrauch mit den Zahlausdrücken etwas anderes meinen, so daß für diesen Wortgebrauch das Urteil nicht mehr analytisch ist. In der Tat verhält es sich so . . .
5. Die Marburger
Schule
Die Marburger Schule bezeichnet zwar die mathematischen Urteile als synthetisch, wir werden aber sehen, daß dieser Bezeidinung nidit mehr der ursprünglich Kantische Sinn zu Grunde liegt. Die Hauptwerke dieser Schule sind von Hermann Cohen ,Kants Theorie der Erfahrung' und das »System der Philosophie', von Paul Natorp ,Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften', von Ernst Cassirer ,Das Erkenntnisproblem in Philosophie und Wissenschaft' und .SubstanzbegrifF und Funktionsbegriff'. Es ist bekannt, daß Cohen bei der Auslegung der Mathematik von der Infinitesimalrechnung ausgegangen ist; vgl. Das Prinzip der Infinitesimalmethode und seine Geschichte, Berlin 1883. Schon dieser Ansatzpunkt muß die gesamte Interpretation auf den Standpunkt von Leibniz hindrängen. Konsequenterweise wird dann auch die Anschauung als eigenständige Erkenntnisquelle völlig gestrichen. Natorp, Logische Grundlagen, S. 2. Die nachfolgende, von Kant ausgegangene Philosophie, audi die gegenwärtige, nichts weniger als „orthodoxe" neukantische Richtung hat an dem Dualismus von reiner Anschauung und reinem Denken mehr und mehr Anstoß genommen und endlich entschlossen mit ihm gebrochen.
Demgemäß wird eine rein logische Begründung der Mathematik angestrebt. Dieser Ansatz wirkt sich zunächst auf die Zahlbegriffe selbst aus. Natorp, Logische Grundlagen, S. 130.
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Das synthetische Urteil in der Arithmetik Man darf nicht hoffen, zu einer soldien anders zu gelangen, als indem man als erste Voraussetzung zugrunde legt, daß Zahlen schlechthin sind und, einmal ihren Begriff gesetzt, als eben das, als was sie gesetzt sind, gesetzt bleiben, unentstanden, unvergänglich, unveränderlich.
In einer solchen rein logischen Begründung der Mathematik darf es keine unbeweisbaren und unbewiesenen Grundsätze geben. Demzufolge gibt Natorp Beweise, besonders von geometrischen Grundsätzen; er ist auch von der Beweisbarkeit der arithmetischen Grundsätze überzeugt. Natorp, Logische Grundlagen, S. 149. Idi habe bei der Addition unterlassen, die besonderen Gesetze, welche die Arithmetik für diese Operationen aufstellt: das kommutative, assoziative und distributive Gesetz, ausdrücklich abzuleiten, weil die Ableitung keine besonderen Schwierigkeiten bietet.
Aus Natorps Artikel zu den logischen Grundlagen der neueren Mathematik (S. 177 ff.) geht hervor, daß er sich dem Beweisgang von Grassmann anschließt. Daß also diese Ableitung der gesamten Mathematik aus einem Ursprung völlig im Gedankengang von Leibniz steht, daran ist kein Zweifel. Diese Einstellung zur Mathematik führt nun zu einer völlig unzureichenden Interpretation der Kantischen Synthesis. Dies macht sich in ,Kants Theorie der Erfahrung' schon dadurch bemerkbar, daß das ganze Problem des synthetischen Urteils schon umfangsmäßig kaum zur Geltung kommt. Cohen hat dies wohl gesehen, hat aber aus der Not eine Tugend gemacht, indem er zu Beginn seiner Vorrede zur 1. Auflage erklärt: In dem vorliegenden Buche habe ich es unternommen, die Kantische Aprioritätslehre von neuem zu begründen.
Kant aber formuliert die Hauptfrage der Kritik in dem Satz: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Damit wird also die Wissenschaft, insbesondere die Mathematik, nach zwei Richtungen hin interpretiert, und zwar als apriorisch und als synthetisch. Der grundlegende Charakter des Werkes von Cohen für das Kantverständnis soll in keiner Weise geschmälert werden, auf die Dauer aber erweist sich die Interpretation ausschließlich vom Apriori her als unzulänglich. Demzufolge sind auch die Äußerungen dürftig; vgl. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, S. 514. Die von Cohen selbst gegebene Interpretation des analytischen und des synthetischen Urteils im 2. Teil des 11. Kapitels geht demgemäß an Kants Absicht vorbei. Cohen behauptet nämlich, das synthetische Urteil sei ein solches Urteil, das sich innerhalb der Grenzen der Erfahrung halte und deshalb rechtmäßig sei, das analytische Urteil dagegen sei ein Urteil, das über die Grenzen der Erfahrung hinausgehe.
Das synthetische Urteil in der Arithmetik
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Cohen hat diese unzulängliche Interpretation des analytischen und des synthetischen Urteils offenbar selbst bemerkt, wenn er (S. 515) etwas kummervoll schreibt: So hat sich denn aus dieser Betrachtung der Kantisdien Beispiele ergeben, daß dieselben der Bedeutung des Unterschiedes, welchen sie verdeutlichen sollen, nicht widersprechen; sondern, soweit Beispiele Begriffen gewachsen sein können, denselben gemäß sind. Es ist allerdings ein schlechtes Ergebnis, wenn eine Interpretation nicht weiter kommt, als daß die von Kant selbst gegebenen Beispiele der neuen Auslegung nidit direkt widersprechen, und es scheint mir dann kein guter Ausweg zu sein, zu erklären, der Sinn stimme schon, aber die von Kant gegebenen Beispiele seien schlecht gewählt. Darüber hinaus ist der Satz 7 + 5 = 12 ja nicht einmal ein Beispiel eines arithmetischen Satzes, sondern die Addition ist ein grundlegendes Verfahren der Arithmetik. Es ist also nicht so, daß Kant ein Beispiel gibt, sondern Kant will an einem grundlegenden Verfahren die Richtigkeit seiner Interpretation aufweisen. Obwohl Natorp ebenfalls von Kants „nicht immer glücklich gewählten Beispielen" spricht (Logische Grundlagen, S. 45), versucht er doch eine etwas eingehendere Interpretation des synthetischen Urteils. Natorp, Logische Grundlagen, S. 44 ff. Hierbei unterscheidet aber Kant scharf das Stadium der Forderung von dem der Erfüllung... Das ist aber genau riditig. Schreibe ich hin 1-1, 1-2, 1:1, 1:2, und gar 0:0 oder j/ 2, |/ -1, oder die Formel einer unendlichen Reihe und so fort, so sind damit Beziehungen, die sonst schon bekannt waren, unter ebenfalls sdion bekannten Termini ausgesprochen, aber ausgesprochen zunächst nur im Sinne der Forderung, welche Forderung damit nidit auch schon erfüllt oder auch nur erfüllbar ist. Das genaueste Verständnis, was damit gefordert ist, belehrt nicht darüber, ob die Forderung überhaupt erfüllbar ist, und ob auf nur eine oder mehrfache, etwa gar unendlidifadie Weise. Nur eine als zulässig erst zu beweisende Weiterentwicklung bisher bekannter Rechenoperationen entscheidet darüber; ja es kann notwendig werden, deren ganz neue einzuführen, ζ. B. die Grenzmethode und damit Differentiation und Integration. Die Null und die negative Zahl war nicht gegeben durch die ursprüngliche, von 1 beginnende Zahlenreihe, die gebrochene nidit durch die ganze, die irrationale nicht durdi die rationale, die imaginäre nicht durch die reelle. Es bedurfte, wenn die geforderte neue Zahl aus einem unmöglichen zum möglichen und wirklichen arithmetischen Begriff werden sollte, einer gänzlichen Neusdiöpfung, die man vielleicht Jahrhunderte lang nidit wagte, und ohne das unabweisliche Bedürfnis der unbeschränkt allgemeinen Durchführung auch der schon bekannten Rechenoperationen niemals gewagt hätte. Natorp lehnt sich hier an Hankel an und sieht in dem Prinzip der Permanenz der formalen Gesetze das Wesentliche der Mathematik, insbesondere das We-
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Das synthetische Urteil in der Arithmetik
sentliche des synthetischen Charakters. Daß dieser Gedanke in Kant selbst noch keine konkrete Stütze findet, haben wir bereits gesehen. Es ist aber wohl möglich, ihn aus den Kantischen Ansätzen und zwar aus der symbolischen Konstruktion heraus zu entwickeln, niemals kann aber dieses Prinzip für eine umfassende Interpretation der Synthesis auslangen. Die Marburger Schule hat sich durch den Verzicht auf die Anschauung ein wirkliches Eindringen in die Probleme der Kantischen Synthesis verbaut.
D. Zusammenfassung Als die wesentlichen Charakteristika der Kantischen Synthesis in der Arithmetik haben wir herausgearbeitet: die Anschauung, die symbolische Konstruktion und die Erweiterung. Die Anschauung findet ihren wesentlichen Niederschlag in der Axiomatik. Ich hoffe klargelegt zu haben, welche Bedeutung die Aufstellung der arithmetischen Axiome durch Schultz hat und welcher Anteil Kant daran beizumessen ist. In allen diesen Fragen nimmt die Zeit eine grundlegende Bedeutung ein. Die reine Zeitanschauung ist die Quelle der Axiome; in der Zeit vollzieht sich die symbolische Konstruktion der Arithmetik und schließlich ist die Erweiterungsfähigkeit der Arithmetik ein zeitlicher Charakter. Auf die Zeit als die Grundlage der Kantischen Lehre von der Mathematik laufen auch alle wesentlichen Angriffe hinaus, die gegen das synthetische Urteil in der Arithmetik gerichtet sind. Bolzano, Brentano, Husserl, Cohen, Natorp, sie alle nehmen an, daß die mathematischen, insbesondere die arithmetischen Sätze, an sich bestehen'. Es wird nötig sein, auch die Geometrie bei Kant in allen Einzelheiten durchzugehen. Dann endlich wird man auf Grund des gesamten Materials die grundlegende Bedeutung klarlegen können, die Kant der Zeit für die Mathematik zugemessen hat.
Namenregister (der Buchstabe ,a' bedeutet Anmerkung) Adickes, Erich 11, 43 Aesop 83 a d'Alambert, Jean Lerond 17 Apollonius von Perga 25 a, 28 a, 32 Aristoteles 27 Arnoldt, Emil 12, 14 Aster, Ernst von 132 Baltzer, Richard 50 Barrow, Isaak 28 s.a. Euklid Baudouin 17 Beds, H. 10 Beck, Jacob Sigismund 29, 40, 65, 85, 86, 90 Becker, Oskar 9, 103 Behmann, Heinrich 135, 136 Belidor, Bernard Forest de 16 Bendavid, Lazarus 121, 127 Benvenuti, Carol 17 Bergmann, Julius 140 Bernoulli, Daniel 17 Bernoulli, Jacob 15, 74 Bering, Johann 89 Boerhaave, Hermann 83 a Bolyai, Johann 53, 54 Bolyai, Wolfgang 53, 54 s.a. C. F. Gauss Bolzano, Bernhard 105, 129, 137, 139, 140, 142, 146 Borelli 27 s. Euklid Brentano, Franz 140, 146 Brettschneider, C. A. 50 Brouwer, Luitzen Egbertus Jan 18, 134 Budienau, Artur (Hrsg.) 23 s. Leibniz Büttner, Christoph Andreas 15 Cantor, Moritz 37, 61, 72 Carnap, Rudolf 10, 112 Cassirer, Ernst 143 Clavius 19, 23, 27, 28, 35, 48, 52 s.a. Euklid
Cohen, Hermann 143, 144, 145, 146 Couturat, Louis 10, 11, 30, 37, 38, 51, 61, 76, 121, 134, 143 a Crelle, August Leopold 63 a Crusius, Christian August 38, 39, 39 a, 40, 40 a, 41, 41 a, 43, 44, 46, 88 Descartes, R e ^ 12 a, 15, 67, 71 Dickinson, Edmund 16 Dietrich, Konrad 42 Dilthey, Wilhelm 63 Doppelmayer, Johann Gabriel 16 Eberhard, Johann August 23, 24, 42, 121, 122, 122 a, 127, 131a Eberhard, Johann Peter 12, 13, 14 a, 16 Enriques, Federigo 33 Erdmann, Benno 132 Erxleben, Johann Christian Polykarp 13, 16 Euklid 18, 21, 23, 25 a, 27, 28, 28 a, 32, 35, 38, 47 a, 48,140 Euler, Leonhard 15, 17, 67, 69, 72, 111 Feder, Johann Georg Heinrich 127, 128 Fermat, Pierre de 67 Fichte, Johann Gottlieb 93, 130 Frege, Gottlob 10, 22, 24, 47, 50, 59, 61, 132, 133, 134 Friedrich II. 16 Fries, Jakob Friedrich 22, 27, 50, 55, 56, 74, 131, 139 Furtenbach 16 Galilei, Galileo 17 Gassendi, Petrus 17 Gauss, Karl Friedrich 9, 22, 53, 54, 55, 71, 72, 74,130,134 Gergonne 61 Gerhardt, Carl Immanuel (Hrsg.) 23, 51 s.a. Leibniz
Namenregister
148
Grassmann, Hermann Günter 22, 30, 31, 50, 55, 57, 58, 59, 59 a, 60, 60 a, 62, 62 a, 63, 63 a, 134, 144 Gravesande, Wilhelm Jakob 15 Hadaly von Hada 69 Haies, Stephan 16 Hamilton, William Rowan 50, 58, 62 Hankel, Hermann 22, 27, 47, 50, 58, 59, 62, 68, 116, 117, 121, 133, 134, 145 Hanov, Michael Christoph 16 Hartmann, Eduard von 132 Hausen, Christian August 15 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 30, 93, 130, 130 a, 131, 131a Heiberg 18, 48 s.a. Euklid Helmholtz, Hermann 22 Hensdi, E. 28, 36 Herder, Johann Gottfried von 5 s. I. Kant Herz, Marcus 42, 46, 85, 90 Hevel, Johann 17 Hilbert, David 10, 18, 19, 21, 22, 24, 61, 134 Hindenburg, Karl Friedridi 74, 85 Holder, Otto 134 Holland, Georg Jonathan 28, 79, 85 a Husserl, Edmund 9, 22,129, 139, 140, 141, 142, 146 Jakob, Ludwig Heinrich Jesper, Johann 15
47, 90
Kästner, Abraham Gotthelf 15, 63, 67, 111 Karsten, Wenzeslaus Johann Gustav 13, 15, 29 a, 67 Kiesewetter, Johann Gottlieb Karl Christian 29, 46, 50, 52, 55, 101 Klügel, Georg Simon 47 Köbel, Jacob 15 König, J . 22 Kratzenstein, Christian Gottlieb 17 Kronecker, Leopold 107, 110 Lagrange, Joseph Louis de 63 a Lambert, Johann Heinrich I I a , 15, 17, 32, 42, 52, 72, 72 a, 73, 74, 79, 79 a, 80, 81, 82, 83, 86, 88, 95, 97, 109 Lange, Friedridi Albert 132, 142
Lasson, Adolf (Hrsg.) 130 a s.a. Hegel Legendre, Adrien Marie 61 Leibniz, Gottfried Wilhelm 12 a, 21, 22, 23, 25, 25 a, 28, 30, 31, 32, 33, 34, 36, 37, 38, 40, 48, 49, 51, 67, 71, 72, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 82, 83, 83 a, 84, 86, 86 a, 93, 97, 105, 106, 109, 109 a, 110, 112, 114, 115, 121, 128, 132, 133, 133 a, 134, 140, 141, 143, 144 Lilienthal, Johann Samuel 15 Lipps, Gottlob Friedrich 132 Locke, John 28, 34, 35, 36, 41, 41 a, 81, 114 Lullus, Raimundus 75 Maclaurin, Colin 71 Magnus 63 a Mansion, Paul 11,134 Marquardt, Conrad Theophil 17 Maupertuis, Pierre Louis Moreau de 16 Medicus, Fritz (Hrsg.) 130 s.a. Fichte Meier, Georg Friedrich 70 Meilin, Georg Samuel Albert 127 Mendelssohn, Moses 89, 90 Metz, Andreas 127 Meyer, F. 9 Michaelis, C. T. 11,105 Midieisen, Johann Andreas Christian 15 Möbius, August Ferdinand 63 a Moigno 63 a Müller, C. H. 53 Müller, Johann Ulrich 17 Murhard, Ferdinand Wilhelm August 50, 53, 53 a, 54 a, 55, 125 Natorp, Paul 61, 94, 102, 112, 143, 144, 145, 146 Nees von Esenbedi, Christian Gottfried 130a Nelson, Leonard 22,121, 133 Newton, Isaac 12 a, 13, 17, 28, 67, 71, 96, 98, 99, 109 Novalis, d. i. Friedridi Leopold Freiherr von Hardenberg 54 Ohm, Martin 50, 54, 55, 56, 57, 61, 62, 62 a, 63, 63 a
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Namenregister Pascal, Blaise 61, 74 Peano, Guiseppe 10, 19, 21, 22, 30, 34, 37, 50, 58, 60, 62 Plato 12 a Poggendorff, Johann Christian 63 a Poincari, Henri 18 Poncelet, Jean Victor 63 a Prihonski 137, 139 Proclus 25 a, 27, 28 a Ramus, Petrus 27 Rehberg, August Wilhelm 70, 71 Reichardt, Willi 132 Reichenbach, Hans 10, 112 Reimarus, Johann Albert Heinrich 123 a Reinhold, Karl Leonhard 85 Rickert, Heinrich 132 Riehl, Aloys 129, 132 Riemann, Bernhard 22 Ritzel, Hermann 142, 143 Roberval 25 a, 28, 28 a, 34 Rost, Johann Leonhard 17 Rudolph, Daniel Gottlob 15 Russell, Bertrand 10, 18, 22, 33, 34, 61, 134, 135, 136 Sarganeck, George 15, 28 Savile 28, 32 s.a. Euklid Segner, Johann Andreas von 53 a, 113a Semler, Christian Gottlieb 17 Sigwart, Christoph 132 Sdielling, Friedrich Wilhelm Joseph 130 a Sdileiermadier, Friedrich Ernst Daniel 129, 131, 132 Sdimalenbach, Herman 78 Schmeisser, F. 12 Schmidt d. i. Schmid, Karl Christian Erhard 40 a Schönberger, Andreas 15 Schott, Gaspar 15 Sdiröder, Ernst 50 Schubert, Friedrich Wilhelm 14 Schubert, Hermann 50 Schütz, Christian Gottfried 126, 127 Schultz, Johann 5, 15, 19, 21, 25, 26, 29, 31, 32, 33, 34, 36, 37, 38, 48,
50, 51, 53, 54, 54 a, 55, 57, 61, 63, 64, 66, 69, 71, 72, 85, 87, 101, 105, 108, 114, 118, 119, 120, 121, 121a, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 129, 146 Schulze, Gottlob Ernst 128, 129, 131a Schulze, Johann Karl 53, 53 a Schumacher 130 Schwab, Johann Christoph 23, 128, 131a Stahl 53 a Steiner, Jakob 63 a Stiefel, Michael 15 Stolz 50 Struensee, Carl August 16 Sturm, Leonhard Christoph 16 Succov, Laurenz Johann Daniel 16 Sully, Heinridi 17 Thibaut, B. F. 55, 74 Thiele, Günther 48 Tiedemann, Dietrich 128 Trendelenburg, Friedrich Adolf Überweg, Friedrich
132
132
Vaihinger, Hans 103 Verhulst 63 a Vivanti 37 Vlacque, Adrian 15 Vloomans, A. 11, 22, 24 Vorländer, Karl (Hrsg.) 92 Wallerius, Johann Gottschalk 16 Warda, Arthur 14, 16 Weidler, Joann Friederic 15, 17 Werckmeister, Andreas 17 Wittgenstein, Ludwig 10, 22 Wolff, Christian 11 a, 12, 13, 14, 14 a, 15, 16, 17, 19, 21, 22, 23, 31, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 41, 41 a, 48, 49, 51, 52, 72, 73, 76, 77, 81, 88, 109, 111, 121a Wundt, Wilhelm 132 Zermelo, Ernst 10, 22, 61 Zimmermann, Christian Gottlieb 29, 46, 50, 53 Zimmermann, Robert 139, 142
25,
Sachregister Addition 52, 56, 57, 57 a, 59, 60, 60 a, 68, 109 a, 113 a, 116, 117, 118, 120, 121a, 122 a, 123 a, 133, 134, 139, 144 a, 145 a Grundgesetze, formale Gesetze 59, 59 a, 60, 63, 64, 66 Synthesisdiarakter 124 a Rechengesetze 67 Kommutatives Gesetz 40, 66 Assoziatives Gesetz 40, 66 Eindeutigkeit 58, 60 sukzessive 104 a unbeschränkte Ausführbarkeit 51 Ähnlidikeit 46 a Äquivalenz 108 Algebra 10, 54 a, 65 a, 67, 70 a, 71, 71 a, 72, 85a, l i l a Algorithmus 58, 84 a, 85, 85 a, 98 Analysis 95, 95a, 97, 101, l i l a , 114 transzendentale 85, 85 a, 98 Elementarsätze 45 Anschauung 59 a, 70 a, 106, 107, 108, 108 a, 113 a, 114 a, 118 a, 124, 127, 127 a, 131, 131a, 137, 138, 138 a, 143, 143 a, 146 reine, a priori 46, 84, 90 a, 97, 98, 100, 100 a, 101, 102, 139, 139 a sinnliche 110 a, 121 räumliche 117, 119, figürliche 133 a gleichartige 104 a das Angeschaute 106 a Apperzeption 108, 109, 110 Apprehension 104 a Aporie 93 Apriori, Apriorismus 99, 144,144 a Arithmetik 11, 21, 24, 24 a, 26 a, 29 a, 41, 41a, 51a, 52 a, 54 a, 55, 58, 58 a, 59 a, 66 a, 85 a, 100, 101, 110, 111, l i l a , 114 a, 116, 117, 119, 119 a, 120, 125, 125 a, 126 a, 128 a, 136, 144 a, 145, 146 Sätze und Grundsätze 10, 34, 42, 52 s.a. arithmetische Urteile
Axiome und Postulate 40, 45, 52 a, 53, 53 a, 55, 65, 65 a, 122, 123, 128 axiomatisdi-deduktiver und axiomatisch-konstruktiver Aufbau 22, 23 axiomatischer Charakter 10, 41, 61, 65, 65 a, 66,118,120,126,127 analytischer Charakter 65 a, 120, 125, 134 synthetischer Charakter, Erweiterungsfähigkeit 98, 120, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 130, 146 logischer Charakter 10, 21, 42, 61, 140 ontologischer Charakter 61, 129 symbolischer Charakter 124, 146 Zeitabhängigkeit 126 Gleichungscharakter des arithmetischen Urteils 120, 123, 123 a Grundoperationen 69, 109 s.a. Zahlsysteme unbeschränkte Ausführbarkeit 56, 58, 59 a, 60 s.a. Progression Ars characteristica universalis 83, 84, 86 a, 98 Attribut 78 Ausdehnung, räumliche 20, 81 Axiomatik 10, 25, 29, 30, 55, 56, 67, 118, 137, 146 Axiome, Axiomensystem 10, 11, 18, 21, 24, 26, 26 a, 27, 30, 34, 55 a, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 114, 114 a, 118,120, 122,123 a, 132,133, 139,140, 142 der Mathematik 29 a, 35 a s.a. Mathematik der Geometrie 12 a, 19, 42, 45, 134 s.a. Geometrie der Arithmetik 19, 27 a, 29 a, 42, 45, 50, 66,119,121 a, 124,146 s.a. Arithmetik der reinen Medianik 42 s.a. Mechanik synthetischer Charakter 10, 33, 34, 40, 47, 48, 124, 136
Sachregister logischer Charakter 25 dironlogischer Charakter 45 Beweisbarkeit 27, 28, 34, 112 der Addition 50 s.a. Addition der Gleichheit 60 s.a. Gleichheit der Zeit 66 des Euklid 18 archimedisches 38, 59 Begriff, Begriffe 43 a, 76, 77, 81, 81 a, 82 a, 84, 84 a, 88, 99 a, 106, 106 a, 107, 108, 114 a, 117, 118, 129 a, 131 a, 136 a, 138 System 82 a, 94 Grundbegriffe 43 a, 44 a, 75, 77, 78, 80, 81, 82, 88, 88 a, 93, 95, 97 a, 106 a s.a. Kategorien System 82, 83, 88, 94, 94 a, 95, 97 leere 97 bloße 100 möglidie 80 a einzelne 81 a wahre 81 reale 80 a einfache 74, 75, 78, 80, 80 a, 81, 81 a, 115 zusammengesetzte 74, 75, 76, 77, 78, 80, 80 a, 81, 82, 82 a, 94, 95, 96, 97, 101, 115, 135, 140, 141a identische 124 a reine, a priori 88, 88 a, 94 a, 96, 97, 97 a, 102, 105,138, 138 a vollständige Tafel 101 reine, abgeleitete 93 a, 94, 95, 96, 97, 98,101,101 a, 102 empirisdie, sinnliche 94 a, 104 a, 140 Definierbarkeit 78, 96 Konstruierbarkeit 120 an sidi existierende 105 Analyse, Analytik 79 a, 80, 81, 127 a Synthese 81 mathematische 105,110 a, 137 Definitionscharakter und axiomatischer Charakter 69 s.a. Mathematik arithmetische 109,145 a s.a. Arithmetik Berührungswinkel 67 Bewegung, Bewegungslehre 81, 100, 101
151
räumlidi-zeitliche Bestimmungen 101 Bewußtsein 81, 106 a Bild, arithmetisches Abbild auf der Zahlengeraden 57 a s.a. Zahl Brüche, arithmetische Zahlverhältnisse 69 s. a. Zahl Darstellung, symbolische der Arithmetik 124 Dasein, Existenz 41,'81 Dauer, zeitliche 81 Definition, definieren 27, 48, 49, 58, 59 a, 61, 78, 133 formale 141 a in der Mathematik 69, 69 a Dekadik 104, 108 s.a. Zahlsysteme Denken 108 a, 110 a, 143 a Gesetz und Schema 94 a, 110 Diagonale 110 Dialektik, die Hegeische 93 Differentialund Integralrechnung, arithmetische Begründung 67, 111, l i l a , 143 Differentiation und Integration 145 a Differenz 127 a Ding, Merkmale 31 a Dreieck, gleidiseitiges 116 Ebene 20 Einbildung, Einbildungskraft 23 a, 106,108,109,110 Einheit, Einheiten 52 a, 81, 104,104 a, 108 a, 129, 129 a synthetische a priori 103 a sukzessive 128 a Zählbarkeit 106 a Elementarbegriffe, Grundbegriffe, Stammbegriffe 88, 88 a, 93 a, 97 a s. a. Begriffe Elementarsätze, analytische und synthetische 44 a Empfindung, Empfindungen 40, 41, 43 Empirie 140 Empirismus 65 a ,Enthaltensein in' 76, 77 Entstehen und Vergehen 96, 99 Erfahrung, mögliche Erfahrung 92, 94 a, 96, 98, 99 a, 144
152
Sachregister
Erkenntnis, Erkenntnisse 43 a, 46 a, 84 a, 87 a, 91,96, 99,108, 110 a a priori 82, 83, 94 a, 97 a, 99 a synthetische, synthetische a priori 41 a, 64 a, 98, 99, 101 zusammengesetzte 95 a mathematische 100 philosophische 100 Erkenntnisgrund, Erkenntnisquelle 38, 82, 106 Erkenntnisvermögen 79 a, 108 Etwas überhaupt 141,141 a, 142 Existenz, Dasein 41, 81 Flädie, geometrische 19 Formalismus in der Mathematik 9, 18 s. a. Mathematik Formenlehre in der Arithmetik 58, 59 s. a. Arithmetik Freiheit 92 Funktionen, stetige und unstetige 22 Ganzes und Teil 35, 36 a, 37, 38, 39 a, 40, 42 a, 46 a, 47 a, 48, 55 a, 121a, 122 a, 141a Gattung-und-Art-Sdiema 75 Gegenwart, räumlich-zeitliche 96 Gegenstand, Gegenstände 100 a sinnliche 94 a, 104 a, 112 a überhaupt 141 a Geometrie 21, 24, 24 a, 29 a, 39 a, 40, 41, 41a, 55, 58a, 70, 100, l i l a , 112, 112 a, 119 a, 120, 122, 123, 123 a, 127 a, 128, 130, 146 Axiome, Postulate, Lehrsätze 9, 10, 12 a, 19, 20, 26 s. a. geometrische Urteile axiomatisch-deduktiver und axiomatisch-konstruktiver Aufbau 21, 22, 23, 24 Wahrheitsfrage 9 a, 47 a apriorischer Charakter 42, 100,118, 118a synthetischer Charakter 41, 64,101, 134 logischer Charakter 140 euklidische 140 nicht-euklidische 133 analytische 67 Gesetz, Grundgesetz 56, 60, 136 a
der Kontradiktion 140 s. a. Satz des Widerspruchs der Arithmetik 60 s. a. Arithmetik kommutatives 51, 55, 61, 68, 69, 120, 121, 126, 134, 135, 136, 139, 144 a assoziatives 30, 51, 55, 60, 68, 69, 115, 121, 126, 134, 135, 136, 139, 140, 144 a distributives 61, 144 a Newtonsdies 96 formales, Prinzip der Permanenz 145 Gewißheit, formale und materiale Gründe 39 a s. a. Wahrheit Gleiches und Ungleiches 121 a Gleichheit 31, 31 a, 42, 46, 48, 114 a, 124 a Definition 32 a logische und axiomatische Behandlung 30, 33 als Relation 34 a Reflexivität 30, 31, 32, 34 Symmetrie 30, 32, 33, 34 Transitivität 30, 31, 32, 33, 34 Substituierbarkeit 30, 33 Gleichungen, algebraische 71, 72 s. a. Algebra arithmetische 120, 126 s. a. Arithmetik identische 124 Gott, Gottes 92, 123 a, 137, 137 a Gedanken 105 Erkenntnis 91 Allwissenheit 105, 137 Gravitationsgesetz 97, 98, 99 Grenzmethode, Methode des Grenzübergangs 111, 145a s.a. Progression Größe, Größen, quantum, quanta 26 a, 39 a, 46 a, 47, 53, 55, 84, 84 a, 90, 104a, l i l a , 112, 112a Begriff, Schema, Bild 43, 47 a, 54 a, 104 a, 112 a arithmetische und geometrische 29 a negative in der Arithmetik 68, 68 a, 69 stetige 123 a kommensurable und inkommensurable 38, 111 a größer und kleiner 35, 36 a, 37, 38
Sachregister
153
Grundbegriffe s. Begriffe Grundsätze 25, 25 a, 48 a, 52, 58 a, 65, 95, 99a, 114a, 118,121 a, 134 System 95 begriffliche 42 der Arithmetik 32, 40, 44 a, 45, 51, 144 s. a. Arithmetik der Geometrie 40, 44 a, 45, 144 s. a. Geometrie der reinen Naturwissenschaft 40, 42 der Zahl 45 s. a. Zahl logische 23, 136, 141 ontologische 29 a objektive 45 a formale 41, 43, 43 a, 46, 47, 47 a materiale 39, 39 a, 41, 43, 43 a, 46, 47,47 a analytische 23, 26, 26 a, 27, 33, 34, 37, 38, 40, 42, 43, 44 a, 45, 46, 47, 48, 49, 100, 118 a, 130, 132, 136, 140 synthetische 23, 26, 26 a, 34, 40, 44 a, 45, 46 chronologische 44 a, 45 unbeweisbare 21
Kongruenz 46 a Konstruktion, symbolische 127, 135, 136, 137, 139 Kontinuum 134 Kosmologie 91,92 Kraft 81, 86, 99 Kreis 72 a Kugel 20
Handlung 96 Harmonie, prästabilierte
Mannigfaltigkeit in der Anschauung 106 a, 107, 108 a, 109 Mannigfaltigkeit, definite 140, 141, 142 Marburger Schule 68, 95, 112, 130, 132, 143, 146 Mathematik 12, 12 a, 21, 25 a, 27, 29 a, 39, 39 a, 41, 41 a, 42, 48, 56, 61, 71, 72, 73, 74, 78, 83, 84, 85, 85 a, 88, 89, 92, 94, 95 a, 98, 99 a, 100, 100 a, 105, 106, 110, 112, 112 a 116, 130, 130 a, 137, 139, 140, 141, 142, 146 System 136 Grundcharakter, Methode 9, 39 a, 40, 67, 82, 85, 86 a, 134 s.a. mathematische Urteile Widerspruchsfreiheit 141 Beweisbarkeit 35 Deduzierbarkeit 130 axiomatischer Charakter 5, 10, 11, 18, 21,23, 24, 28,130 analytischer Charakter 9, 135, 136 synthetischer Charakter, Erweiterungsfähigkeit 10, 100, 100 a, 120, 136, 137, 139, 143, 144, 146
78
Idealismus, deutscher 99, 100, 129, 130, 130 a Idee, Tafel 86 a Induktion, vollständige 18, 34, 58, 59, 60, 61, 61 a Infinitesimalrechnung 67, 143 s. a. Differential- und Integralrechnung Intuitionismus 9, 18 Kalkül, arithmetisches 117 s.a. Arithmetik Kategorien 88, 88 a, 90 a, 93 a, 94 a, 95 a, 101, 101a, 103 a, 104 a, 110 a s. a. Grundbegriffe Tafel 85 a, 86 a, 93, 94, 94 a, 102, 105 Kegel 20 Kettenbrüche 72 Kombinationen von Begriffen 76, 77, 97, 141 a s.a. zusammengesetzte Begriffe Kombinatorik 55, 58, 59 a, 74, 75, 86 a, 87, 131
117, 119,
Lehrsatz, Lehrsätze 23, 25, 52, 95, 121 a, 140,142 der Mathematik und Physik 138 a Leiden 96 Linie, gerade 19, 20, 23 a, 39 a, 40, 101,106, 106 a, 111, 118, 118 a, 131a Logarithmus 67 Logik 18, 24 a, 25, 33, 42, 74, 75 a, 112, 112 a s. a. - , logischer Charakter allgemeine reine 119a formale 135 analytische 136 Logistik 42, 80, 86, 87, 135, 136, 136 a, 137
154
Sachregister
logischer Charakter 18, 23, 28, 132, 140, 143, 144 ontologischer Charakter 21, 58, 105, 141a Anschauungscharakter, Subjektgebundenheit 11, 105, 128, 138 Abhängigkeit vom Denken Gottes 105, 106 Mathesis, reine 123, 134, 136 universalis 100, l i l a , 119a, 141,142 divina 106 Mechanik 41, 41 a Anschauungscharakter 42, 62 Menge, Mengen 75, 104 a, 106 a, 141 a konsistente und inkonsistente 22 Mengenlehre 22, 42, 108 Metaphysik 39 a, 89, 90 a, 91, 94 a, 96, 99 System 89 a, 90 a systematische 87 der Natur 89 a, 91, 92, 94, 9 9 , 1 0 0 der Sitten 91, 92 synthetischer Charakter 95 a Methode, mathematische 84, 85, 98, 98 a algebraische 75 arithmetische 75, 139 geometrische 75 mechanische 75 genetische 134 axiomatisdie 134 Modi 34 a, 78, 101 a Modus barbara 134 Möglichkeit 41 Möglichkeiten, Reich der 81a Multiplikationen, formale Gesetze 59, 59 a, 68, 68 a, 109 a Natur 91,130,130 a Naturwissenschaft, allgemeine Naturlehre 94, 120 a, 123, 123 a mathematische 12 a metaphysische Grundlagen 98 synthetisch-apriorischer Charakter 96, 122 Nihil negativum 86 Notwendigkeit 41 Null 145 a Numerieren 131 a Ontologie 99 a
4 2 , 4 3 , 7 4 , 9 1 , 9 2 , 9 3 , 9 4 a,
systematische 47, 87, 94, 95, 96, 97, 98, 99,100 apriorische 99 formale 141 a synthetischer Charakter 98, 99 Operation, inverse 56 Paradoxien in der Mathematik 68, 68 a s. a. Mathematik Parallelogramm, ebenes 20 der Kräfte 96, 99 Parallelenaxiom 67 Phänomenologie 112 Phänomenon 104 a Philosophie 27, 80, 83, 84, 85, 85 a, 88, 98, 100, 100 a, 130 a s. a. Transzendentalphilosophie System 96 theoretische 92 reine 91,95 empirische 91 Methode 82 Physik 120 a rationale 91, 92, 94 Physiologie 93 der reinen Vernunft 91 Postulat 27, 51a, 52, 55 a, 56, 61a, 120,121 a, 123 a, 124 a, 126,131 a der Arithmetik 20, 53, 53 a, 65, 65 a s. a. Arithmetik der Geometrie 20 s. a. Geometrie Potenzen 67 Prädikat, Prädikatbegriff 74, 75 a, 76, 76 a, 77,113 a, 116, 123 a Prädikabilien 90 a, 93 a Primzahlen 75, 76, 109 Prinzip, Prinzipien 89 a, 114 a logische 46 a reale 46 a der Synthesis 97 a, s. a. Synthesis der Permanenz 59 a Progression, arithmetische 69, 70, 70 a, 71, 72 Proportionen, Proportionalzahl 69, 70 a Psychologie, rationale 91, 92 Quantum, quantitas, 90 a, 100, 108 a Quadrat 128
Quantität
20,
Sachregister Raum 19, 20, 24 a, 31 a, 39, 41, 45 a, 59 a, 62 a, 90 a, 94 a, 100, 103 a, 104 a, 106 a, 112,112 a, 123 a, 138, 138 a Anschauungscharakter 95, 96, 97 Realität der Begriffe 41 s. a. Begriff Rechenverfahren 58, 117 s. a. Arithmetik Redlteck, gleichseitiges 128 Reduzibilitätsaxiom 18 Reich der Wahrheit 82, 88 s. a. Wahrheit Reihen, unendliche 141 a, 145 a Relation 141 a System aller Verhältnisse 82 a Reproduktion, das Reproduzierte 106 a, 107, 108, 108 a, 109, 110 Satz, Sätze an sich 105 a, 137, 137 a unmittelbar gewisse 45 a a priori 65 a System 82 a leere 38 a tautologische 98 identische 26 a, 123 a, 128 wahre 75, 75 a, 137 a, 138 a falsche 138 a unbeweisbare 39 a rationale 44 a materiale 45 empirische 44 a, 133 a analytische 45 a, 48, 96, 97, 113, 113 a, 119 a, 128 a, 132 a, 136, 138 a, 140, 142 synthetische 97, 118 a, 120 a, 128 a, 130, 132, 138 a, 142 philosophische 85 a mathematische 21, 105, 137, 140 s. a. Mathematik algebraische 65 a s. a. Algebra arithmetische 65 a, 114 a, 116, 120, 125, 125 a, 145, 146 s. a. Arithmetik Satz von der Identität 31, 32, 32 a, 33, 38, 43 a, 45 a, 48, 121 a Satz des Widerspruchs 32 a, 33, 34, 38, 38 a, 39, 39 a, 40, 43, 43 a, 45 a, 48, 49, 64 a, 65 a, 96, 97, 113 a, 118, 134, 135, 136 Satz vom ausgeschlossenen Dritten 29 a, 134
155
Schema von Sinnlichkeit und Denken 104 a, 110 Sdiluß, logischer 74, 75 Schwerkraft 96 Seelenlehre, rationale 92 Sinn, innerer 123 a äußerer 104 a, 112 a Sinn, Sinnlichkeit 41, 101 a, 105, 108 Modi 101 a, 102 Schemata 104,104 a Solidität 81 Spontaneität 108 a Stammbegriffe s. Elementarbegriffe Subjekt, Subjektbegriff 49, 74, 75 a, 76, 76 a, 77, 113 a, 116, 123 a Substanz 41 Subtraktion 67, 68, 70 a, 124 a Sukzession 51, 53, 81, 107, 108, 108 a, 121
Summe und Summanden 19, 37, 51 a, 56, 56 a, 57, 57 a, 59 a, 60 a, 113 a, 114 a, 116, 117, 118, 121 a, 127 a, 129, 131a, 139 Synthesis 18, 27, 41a, 88 a, 95, 95 a, 96, 97, 97 a, 106 a, 107, 108, 108 a, 113 a, 124 a, 131 a, 141, 144, 146 reine des Mannigfaltigen nach Begriffen 103 a, 104 a Stufen der Apprehension, der Reproduktion und der Rekognition 104, 106 System 57, 82 a, 94, 95, 95 a, 97, 100, 101, 136a s.a. Axiomensystem, Begriffe und Grundbegriffe, Grundsätze, Mathematik, Metaphysik, Philosophie, Relation, Sätze, Transzendentalphilosophie, Vernunft, Wissenschaft, Zahlensystem deduktives 130, 141 a vollständiges 83, 97 a, 99 abgeschlossenes 102 aller Systeme 141, 142 Tafel s. Begriffe a priori, Ideen, Kategorien Teilbegriffe 115 Theologie 92, 93 rationale 91 moralische 92 Theorie, oberste 141 a Theorienformen 141 a
Sachregister
156 Transzendentalphilosophie 92, 94 a, 97 a System 88 a, 93 a Trigonometrie 111a
88 a,
91,
Obersinnlidies 94 a Unendliches 104 a das unendlich Kleine 67, 130 a, 131a Unsterblichkeit 92 Ursache 41 Urteil, Urteile 43 a, 48, 49, 67, 74, 76, 78, 87 a, 99 a tautologisdie 143 identische 77, 78 notwendige 76 contingente 76 negative 140 indemonstrable 43 a analytische 23, 24 a, 27, 40, 41, 41 a, 48, 54 a, 64, 76, 77, 79, 95, 116, 129, 131, 131a, 135, 135 a, 138, 142, 143 a, 144, 145 Subjektgebundenheit 131 synthetische 18, 23, 24 a, 26, 26 a, 41, 41 a, 48, 95, 116, 118,119, 119 a, 120, 126, 127, 129, 131, 131a, 132, 135, 138, 144, 145 Subjektgebundenheit 131 mathematisdie 76, 105, 106 s. a. Mathematik ewiger Wahrheitscharakter 105,106 arithmetische 64, 64 a, 65, 113, 116, 118, 126, 127, 132, 134, 139, 140 s. a. Arithmetik geometrische 64 s. a. Geometrie Urteilstheorie 76, 77, 78 erste Grundurteile 43 a als Kombination von Begriffen 67, 77 Veränderung 96, 99 Vergehen 96, 99 Vernunft, reine Vernunft 39 a, 45 a, 46, 79 a, 84, 85 a, 86, 87, 88, 89 a, 91, 99 a System 82, 83, 86, 87, 88 a, 89 a, 91, 92, 93, 94, 98, 102 Vernunfterkenntnis aus Begriffen und aus der Konstruktion von Begriffen 100, 100 a Verstand, reiner Verstand 40, 79 a,
88 a, 104 a, 105, 110 a, 112 a, 123 a, 125 a, 128 a, 137 Prinzipien, Vermögen 41, 95 a endlicher des Menschen 106, 110, 128
unendlicher Gottes 76, 106, 110 a, 128 a Verstandesbegriffe s. Kategorien Vielheit als Einheit 104 a Vorstellung, Vorstellungen 104 a, 106 a an sich 105, 137 einfadie 137, 138 zusammengesetzte 137, 138, 138 a sinnliche 41 Gottes 105 Wahrheit, Wahrheiten, unmittelbare 114a an sich 105, 137, 137 a, 139 notwendige und ewige 105, 125 a Reich der Wahrheit 81 a, 82 a analytische 140 synthetische 138 a mathematisdie 139 s. a. Mathematik arithmetische 128a s. a. Arithmetik geometrische 47 a s. a. Geometrie Wahrheit - Falschheit 105, 105 a Wahrnehmung, Wahrnehmungen 139 a 140 Welterkenntnis 91 s. a. Erkenntnis Wesensbestimmungen, essentialia 78 Widersprechendes 80 a, 81 Widerspruchsfreiheit 141, 142 Widerstand 96, 99 Wiener Kreis 112 Wille, Wollen 81 Winkelsumme im Dreieck 116, 132 a Wissenschaft, Wissenschaften 42, 84 a, 88, 94 a, 96, 97, 112 a, 123 a, 140, 144 System 42, 47 theoretische, formale, a priori 52 a, 54 a, 58 a, 100, 119 a, 120,120 a analytische 97, 141 sythetisdie, Erweiterbarkeit 54 a, 96, 98, 119 a, 120, 135 Darstellbarkeit 75, 76, 77 Vollständigkeit 99 Wissenschaftslehre 92 Wurzeln algebraischer Gleichungen 67, 70 a, 71, 71 a s. a. Algebra
Sachregister Zahl, Zahlen 24 a, 52, 52 a, 56 a, 57 a, 61 a, 103,103 a, 104, 104 a, 105, 105 a, 106, 106 a, 107, 107 a, 108, 108 a, 109 a, 112 a, 113 a, 122 a, 128 a, 129, 131 a, 141 a, 143 a, 144 a Zahlbegriff 52 a, 63 a, 105, 107, 108, 110,123 a Eigenschaften 109 Existenzdiarakter 125 a Ansdiauungs-, Ersdieinungs-, Vorstellungscharakter 105,110,137 Subjektgebundenheit 110, 117, 118, 125, 125 a arithmetische Darstellbarkeit 70, 105, 112 geometrische Darstellbarkeit 70, 71, 110, 111 logische Darstellbarkeit 105,112 begrifflose Verbindung 131 a symbolische Konstruktion 110 höhere, niedrigere 110, 114 a, 116, 117, 133, 133 a, 134 inhomogener Charakter 133 Zahlformeln 116 a, 133a synthetischer Charakter 40, 65, 65 a Zahlzeichen 107, 107 a, 108,110 Zahlklassen 68,70 ganze, gerade und ungerade, positi-
157
ve und negative 22, 37, 58, 59, 60, 61 a, 67, 68, 68 a, 108, 108 a, 118,145 a rationale und irrationale 22, 70, 72, 72 a, 110, 111, 145 a komplexe 70,71 reele und imaginäre 59, 70, 71, 71 a, 145 a algebraische 70, 71, 72, 73 Zählen, Zählverfahren 103 a, 107, 108 Zahlenreihe 107,108 Zahlensystem, Grundzahl 108, 109, 110 dyadisdies System 109, 109 a Tetraktik 108 pentadisches System 107 dekadisches System 109, 117 die Zahlen eins, zehn, zwölf 109, 115 a, 118 Zeichen, räumliches 117 Zeichensystem 74, 77 Zeit, Zeitfolge 31a, 41, 45 a, 62 a, 90 a, 94 a, 100, 101, 102, 103 a, 104 a, 106, 106 a, 112 a, 121a, 122 a, 123 a, 128 a, 138, 138 a, 146 Anschauungscharakter 95, 96, 97, 105, 124 als reine Wissenschaft 101
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159
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Kants Metaphysik der Natur Gr.-8°. VIII, 197 S. 1966. Lwd. DM 38,ISBN 3 11 003235 X (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie Bd. 9)
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Transzendentale Dialektik Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. 4 Teile. Groß-Oktav. 1966/71. Kartoniert je DM 28,—. I. Ideenlehre und Paralogismen. XII, 198 Seiten. II. Vierfache Vernunftantinomie; Natur und Freiheit; intelligibler und empirischer Charakter. IV, S. 199—408. III. Das Ideal der reinen Vernunft; die spekulativen Beweisarten vom Dasein Gottes; dialektischer Schein und Leitideen der Forschung. IV, S. 409-644. IV. Die Methodenlehre. Mit einem Nachwort und Register für alle vier Teile. VI, S. 645-847.